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Full text of "Neurologisches Centralblatt 3.1884 Harvard"

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Boston 

Medical Library 
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Boston 

Medical Library 
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NEUROLOGISCHES 

CENTRALBLATT 


UBBRSICHT 

DER 

LEISTUNGEN AUF DEM GEBIETE DER ANATOMIE, 
PHYSIOLOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES NERVEN- 
SYSTEMS EINSCHLIESSLICH DER G EISTESKRANKHEITEN. 



DRITTER JAHRGANG. 



4 


LEIPZIG, 

' VERLAG VON VEIT & COMP. 
1884. 


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Druek von Metzger & Wittig In Leipzig. 


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/VLy / * 


NeurologischesCentralblatt. 

cM M ^ 0 >X 

Uebersicht deiyLeistungen auf d^^ebiete^der^Anaw^e, Physiologic, Pathologie 
• und Therapie des Nervenswfenjesi ein^ij^sp^c^ d£r jGeisteskrankheiten. 

\Heran8gegofeeB*ven J 

Dpitter Priratdocent TTnlttwJWf^Berllu. Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Za beziehen darch 
alle Buchhandlungen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deatschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1884 . 1 . Jannar. M 1 . 


Inhalt. I. Originalmittheilungen. 1. Ueber die nach Durchschneidung der Sehnerven- 
fasern im Innern der Grosshirnhcmispharen auftretenden Erscheinungen von W. Bechterew. 
2. Ueber das Auftreten von Transfert-Erscheinungen wahrend der Behandlung dcr partiellen 
Epilepsie von L. Hirt. 

II. Referate. Experimented Physiologic. 1. Willkilrliche Beschleunigung der 
Herzaction von Tarchanoff. 2. Verhalten der vasomotorischen Centren des Gehirns u. Uiicken* 
marks gegeniiber elektrischer Reizung des Schadcls, der Wirbelsaule u. der Haut von Fein- 
berg. — Pathologische Anatomic. 3. Entwickelungsheinmung in der motorischen Spbare 
des Grosshirns von Jensen. 4. Des alterations des nerfs cutanea chez les ataxiques par 
D6jerine. — Pathologie des Nervensysterns. 5. Note sux un cas d’aphasie avec inte- 
grite de la troisifemc circonvolution frontale gauche et lesion des faisceaux Manes sous-jacents 
par Raymond et Artaud. 6. Etude anatomique et clinique sur la paralyBie labio-glosso-laryngee 
par Ddjerlne. 7. Neurite traumatique de plexus brachial droit etc. von Pozzi. 8. Multiple 
Neuritis von MUIIer. 9. Recherches sur la courbe de la secousse musculaire dans differentes 
maladies du systemc neuro-musculaire par Mendelssohn. 10. Krampfe der Respirationsmus- 
keln von Riegel. — Psychiatrie. 11. Insanity from quinine by Kiernan. 12. La paranoia 
e le sue forme Giuseppe et Tonnine. — Therapie. 13. A case of severe cerebral concussion 
in which the bromide of potassium in large doses averted death by M’Donald. 14. La 
guerison du tremblement par Temploi de la v6ratrine par Fdris. 15. Gegen Morphiomanic 
von Jackson. — Forensische Psychiatrie. 16. Examen de F6tat mental de Delmet 
Geddon, inoendiaire par Motet. 17. Vertiges dpileptiques; Assassinat; Acquittement par du 
Saulle. — Anstaltswesen. 18. Verwaltungsbericht der Bezirks-Irren-Anstalten Stephans- 
feld-Hordt von Stark. 19. Verwaltungsbericht der Bezirks-Irren-Anstalt bei Saargemtind von 
Freusberg. 

HI. Aus den Gesellschafften. — IV. Bibliographle. — V. Personalien. — VI. Vermlschtes. 


I. Originalmittheilungen. 

Ueber die nach Durchschneidung der Sehnervenfasem ini 
Innern der Grosshimhemispharen (in der Nachbarschaft des 
hinteren Abschnittes der inneren Kapsel) auftretenden 

Erscheinungen. 

Von Dr. W. Bechterew, Docent an der kaiserl. medioin. Akademie zu St. Petersburg, 
Ordinator der Klinik von Prof. Mibbzejbwsky. 

In meinen fruheren Arbeiten habe ich auf Grund meiner Versuche an 
hoheren Thieren festgestellt, dass die Sehnervenfasem bei letzteren im Chiasma 
eine unvollstandige Kreuzung erfahren. Diese Thatsache wird unwiderleglich 


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durcli den Umstand bewiesen, dass Durchtrennung der Sehnervenfasern hinter 
dem Chiasma auf ihrer Bahn zu den Vierhugeln (im Tractus opticus und Brach. 
anter.) an den Thieren bilaterale Hemianopsie zur Folge hat, indem an beiden 
Augen der Gesichtsfelddefect die der ladirten Hemisphare entgegengesetzte Seite 
betrifft. 1 

Ebensowenig veranlassen einseitige Yerletzungen der Vierhugel, wie ich aus 
anderen Versuchen mich uberzeugen konnte, vollkommene Blindheit eines Auges. 
Hingegen stellen nach bezeichneter Operation an den Thieren Erscheinungen 
halbseitiger Blindheit derselben Art sich ein, wie nach Durchtrennung des ent- 
sprechenden Tractus opticus oder Brach. anter. 2 

Aus diesen Thatsachen ist es ersichtlich, dass die Sehnervenfasern auf ihrer 
Bahn hinter dem Chiasma bis zu den Vierhugeln inclusive keine neue Kreu- 
zung erleiden. 

Doch ist es bekannt, dass die Vierhugel nicht den Endigungspunkt fur die 
von der Netzhaut des Auges erhaltenen Impulse bilden. Nach der Eutdeckung 
eines Sehcentrums in der Grosshirnrinde konnen wir die Vierhugel nur als eine 
Station auf der Bahn der centripetalen Ausbreiturig der Gesichtsimpulse ansehen. 
Hieraus entspringt unabweisbar die Schlussfolgcmng, dass die Sehnervenfasern 
hinter den Vierhugeln in der weissen Substanz der Grosshirnhemisphareu weiter- 
ziehen und in den Ganglienelementen der Occipitalregion der Hirnrinde ihr 
Ende finden. 

In der That beweisen zahlreiche pathologische Beobachtungen, dass Zer- 
storungen im hinteren Abschnitt der inneren Kapsel ausser halbseitiger Sensi- 
bilitatslahmung und Affectionen der Sinnesorgane — des Gehors, Geruchs und 
Geschmacks — an der contralatcralen Korperhalfte fast immer auch deutlich 
ausgepragte Sehstorungen zur Folge haben. 

Die anatomische Untersuchung entdeckt ebenfalls nach aussen vom Pulvinar 
Faserziige, die einerseits die Fortsetzung der Tractus optici bilden, andererseits 
mit dem in der Rinde des Occipitallappens endenden sagittalen Occipitalbundel 
in Verbindung stehen. 3 

Bisher haben jedoch weder die Angaben der Anatomie, noch pathologische 
Beobachtungen — die, wie wir unten sehen werden. scharfe Widerspruche unter- 
einander aufweisen — die Moglichkeit ergeben, die Frage zu entscheiden, ob 
4ie Sehnervenfasern auf ihrer Bahn von den Vierhugeln zur Hemispharenober- 
flache ohne nochmalige, der im Chiasma stattfindenden ahnliche Kreuzung ver- 
laufen, oder ob auf dieser Bahn eine Erganzungskreuzung stattfindet, wie einige 
Autoren annahmen. 

Indessen kann diese Frage, welche ohne Zweifel fur die Physiologie sowohl 
als fur die Pathologie des Nervensystems bedeutendes Interesse bietet, auf experi- 
mentellem Wege definitiv entschieden werden. In der That genugt es, einem 

1 Siehe Neurologisches Centralblatfc. 1883. Nr. 2 u. 12. 

2 „Ueber die Verricbtung der Vierhugel/* Wratech (mssisch). 1883. Nr. 32—35. Ref. 
im Neurol. Centralbl. 1883. Nr. 18. 

8 Wernicke, Lehrbuch der Gehirnkrankheiten. 1881. Bd. I. § 9. 


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Thier die Sehnervenfasern im Innern einer Hemisphare, also auf ihrer Bahn von 
den Vierhugeln zur Himrinde, zu durchtrennen, um auf Grund der dabei seitens 
des Gesichts sicli einstellenden Erscheinungen den entsprechenden Schluss uber 
Verlauf und Richtung der Sehnervenfasern hinter den Vierhugeln zu ziehen. 

Zu bezeichnetem Zweck unternahm ieh eine Reihe von Versuchen an Hunden 
mit Durchschneidung der Faserzuge in der Nachbarschaft des hinteren Abschnitts 
der inneren Kapsel, indem ich ein Instrument benutzte, das die Form eines 
dunnen Futterals besitzt, aus welchem nach Wunsch des Experimentators eine 
feine Klinge beinahe unter rechtem Winkel zur Seheide herausgeschoben 
werden kann. 

Es ist bekannt, dass schon Veysse&re 1 und nach ihm Carville und Duret* 
vermittelst eines ahnlichen Instrumentes Versuche mit Durchschneidung des hin¬ 
teren Abschnittes der inneren Kapsel anstellten. Doch die Aufmerksamkeit 
dieser Autoren war bei diesen Versuchen beinahe ausschliesslich auf die bei den 
Thieren sich einstellenden Erscheinungen halbseitiger Anasthesie gerichtet. Veys- 
sifiRE bemerkt nur, dass in seinen Versuchen das Sehvermogen unbeeintrachtigt 
zu sein schien, obgleich er dabei die Angabe macht, dass er nicht in der Lage 
war, die Thiere mit wunschenswerther Genauigkeit betreflfs des Verhaltens ihrer 
Sinnesorgane zu untersuchen; Carville und Duret aber erwahnen in ihren 
Versuchen gar nichts uber den Zustand des Sehvermogens ihrer Thiere. 

Die Ausfuhrung der in meinen Versuchen vorgenommenen Operation ver- 
langt keine specielle Beschreibung, da sie wesentlich fast in Nichts von dem- 
jenigen Verfahren abwich, welches VeyssiIsre und Carville und Duret be- 
nutzten. Es ist jedoch zu bemerken, dass das Instrument bei seiner Einsenkung 
in die Substanz der inneren Kapsel zum Zweck der Durchtrennung der Seh¬ 
nervenfasern nicht zu tief eindringen darf. Andernfalls misslingt der Versuch 
aus folgenden Grunden: Wenn das Instrument so tief durch die innere Kapsel 
gefuhrt wird, dass die Durchschneidung vermittelst der herausgeschobenen Klinge 
unter der Kniehockerebene stattfindet, so werden die Sehnervenfasern gewohnlich 
gar nicht verletzt, und es kbnnen also auch gar keine Sehstorungen am Thier 
aultreten; 8 wenn aber die Durchschneidung der Fasern der inneren Kapsel 
zwischen Sehhugel und Linsenkern angebracht ist, so wird gar nicht selten auch 
der aussere Kniehocker verletzt, und deshalb lasst es unmoglich sich entscheiden, 
ob die am Thiere zur Beobachtung gelangenden Sehstorungen als Resultat der 
Durchschneidung der Fasern der inneren Kapsel oder der Lasion des ausseren 
Kniehockers aufzufassen sind. 

In Berucksichtigung der angedeuteten Verhaltnisse zog ich es vor, in meinen 
Versuchen die Durchtrennung der Faserzuge der inneren Kapsel in der Hohe 

1 Veyssi^re, Recherches cliniques et exp^rimentales sur Pheinianesthesie de cause cere¬ 
brate. Th^se de Paris. 1874. 

2 Cabvtlle et Duret, Sur les fonctions des hemispheres c4rebraux. Arch, de Physiol, 
norm, et pathol. 1875. p. 352 sq. 

• Ich vermuthe, dass das Fehlen von Sehstorungen an den Versuchsthieren VEYSSifeRB’s 
eben durch den Umstand sich erklaren lasst, dass die Durchschneidung der Fasern der inneren 
Kapsel von ihm ziemlich niedrig ausgefUhrt wurde. 


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der oberen Flache des Sehhugels auszufuhren, unmittelbar nach aussen von der 
Uebergangsstelle des Seitenventrikels in das untere Horn, also uber dem ausseren 
Kniehocker. 

Die Resultate dieser Yersuche waren in alien Fallen identisch. Weder die 
Motilitat noch die allgemeine Sensibilitat der Thiere liess Veranderungen er- 
kennen. Nur seitens des Gesichts boten deutliche Storungen sich dar, die in 
Folgendem bestanden: 

Wenn dem Thier ein Auge verbunden wird, so erweist schon einfache Be- 
obachtung das Bestehen von Sehstorungen an ihm. Schon von Anfang an fuhrt 
das Thier Bewegungen mit seinem Kopfe aus, die offenbar darauf gerichtet sind, 
den bestehenden Gesichtsfelddefect auszugleichen. Ausserdem stosst es bei Orts- 
veranderungen fast immer an diejenigen Hindernisse, die an der Seite der un- 
verletzten Hemisphare liegen — sowohl bei Verbindung des rechten als des 
linken Auges. Letzterer Umstand enthalt zweifelsohne den Beweis, dass das 
Thier an einem bestimmten Gesichtsfelddefect beider Aiigen leidet, der der ver- 
letzten Hemisphare contralateral ist. 

Fine genauere Untersuchung des Sehvermogens der Thiere lasst dadurch 
sich anstellen, dass man sie mit einem Stuck Brot anlockt oder von verschie- 
denen Seiten drohende Geberden ausfuhrt. In beiden Fallen, ermoglicht die 
Reaction seitens des Thieres in ziemhch genauer Weise die Dimensionen das 
erhalten gebliebenen Abschnittes des Gesichtsfeldes zu bestimmen. 

In dieser Weise konnte ich mich uberzeugen, dass an den operirten Thieren 
thatsachlich halbseitige Blindheit beider Augen an der der verletzten Hemisphare 
entgegengesetzten Seite besteht, oder mit anderen Worten — an den Thieren 
wird Functionsausfall der homonymen Halften beider Netzhaute an der Seite 
der ausgefuhrten Durchschneidung beinerkt. Die Grenze, die den aufgetretenen 
Defect vom erhalten gebliebenen Abschnitt des Gesichtsfeldes trennt, bildet an 
jedem Auge eine in der Nahe des Fixationspunktes verlaufende verticale Linie. 
In Folge dessen erscheint der Gesichtsfelddefect am contralateralen Auge immer 
bedeutend grosser, als am gleichseitigen. An den Pupillen waren keine deut- 
lichen Veranderungen wahrnehmbar. 

Also waren die an den operirten Thieren beobachteten Krscheinungen voll- 
kommen mit denjenigen identisch, welche an ihnen nach Durchschneidung des 
gleichseitigen Tractus opticus und nach einseitiger Verletzung eines ausseren 
Kniehockers, Brach. anter. oder der Vierhugel sich einstellen. Hieraus entspringt 
die natiirliche Schlussfolgerung, dass die Sehnervenfasem nach Erreichung der 
Vierhugel an einer Seite durch den hinteren Abschnitt der inneren Kapsel der- 
selben Hemisphare ohne nochmalige Kreuzung weiter ziehen. 1 

1 Es ergiebt sich ans nnseren Versnchen noch ein Umstand, der cinige Anfmerksamkeit 
verdient. Wir haben gesehen, dass an den von uns operirten Thieren gar keine Stbrungen 
der allgemeinen Sensibilitat wahrzunehmen waren; indessen wissen wir aus den Experiinenten 
von VEY88ifcBB und Cabville und Dubet, dass Durchschneidung der Fasern des hinteren 
Abschnitts der inneren Kapsel unausbleiblich von fast vollstandigem Verlust der Sensibilitat 
an der contralateralen Korperhalfte begleitct wird. Diese Differenz der Versnchsergebnisse 
lasst sich, meiner Meinung nach, vollkommen durch den Unterschicd in der Ausfiihrung der 


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Doch fragt es sich, ob wir das Recht haben, auf Grand der oben beschrie- 
benen Yersnche allein zu behanpten, dass eine solche Kreuzung nicbt irgendwo 
hdher, z. B. im Inneren des Balkens stattfindet? Naturlicb nicht. Znr Ent- 
scheidung dieser Frage mussen wir nocb den Effect der Zerstorung des in der 
Rinde des Occipitallappens gelegenen Centrums selbst, wo die Sehnervenfasem 
ibr Ende linden, kennen lernen. 

Leider sind die in dieser Hinsicht vorhandenen Untersuchungen nicht ganz 
unter einander ubereinstimmend und verlangen dieselben noch weitere Bearbei- 
tung. Wir beschranken uns hier nur auf die Anffthrung der hauptsachlichsten 
Ergebnisse dieser Untersuchungen. 

Fereieb hatte anfanglich angenommen, dass Zerstorung des Gyrus angu- 
laris einer Hemisphare am Aflfen stets vollkommene, obgleicb zwar nicht un- 
vergangliche Blindheit des contralateralen Auges zur Folge habe. 1 Spater modi- 
ficirte dieser Autor ein wenig seine Anschammgen in dieser Hinsicht und gelangte 
auf Grand neuer Versuche zu folgenden Schlussen: „1. Der OccipitaUappen kann 
ein- oder doppelseitig entfemt werden, ohne Sehstorang zu erzeugen, wenn die 
Gyri angulares unversehrt bleiben. 2. Nach vollstandiger Zerstorung des Gyrus 
angularis an einer Seite tritt totale Erblindung des anderseitigen Auges ein. 
Die Blindheit dauert aber nur einige Stunden; ob spater eine vollkommene Her- 
stellung des Sehvermogens erfolgt, lasst sich nicht mit Bestimmtheit ermitteln. 
Totale Erblindung von dreitagiger Dauer tritt ein, wenn beide Gyri angulares 
gleichzeitig zerstort sind, darnach stellt sich das Sehvermogen wieder her, doch 
kann man noch nach einem Monat Sehschwache nachweisen. 3. Abtragung des 
Gyrus angularis und Hinterhauptlappens einer Hemisphare verursacht Sehstorang 
an beiden Augen, Hemiopie nach der der L§sion gegenuberliegenden Seite. Nach 
einer Woche bessert sich das Sehen und tritt allmahlich vollstandige Heilung 
ein. 4. Die einzige Lasion, welche vollstandige und bleibende Erblindung zur 
Folge hat, war Zerstorung der Gyri angulares und Hinterhauptlappen beider 
Hemispharen.“ 2 


Operation selbst erklaren. Vkyssi^be und Cabville und Dubet ffthrten, wie aus der von 
ihnen gegebenen Bescbreibung sich entnehmen lasst, die Durcbschneidung der Fasern der 
inneren Kapsel ziemlicb niedrig aus, zwischen Sehhugel und Linsenkera; wahrend in meinen 
Versuchen die Durchschneidung in der H5he der oberen Flache der Sehhugel stattfand. In 
Berhcksichtigung dieses Umstandes konnen wir annehmen, dass die sensiblen Fasern in ihrem 
Verlauf zur Hemispharenoberflache schon im oberen Abschnitte der inneren Kapsel ihre Rich- 
tung andern. Dieser Schluss kann mit deijenigen Thatsache in Einklang gebracht werden, dass 
die Rindencentren f&r die verschiedenen Sensibilitatsarten nicht in den hinteren Abschnitten 
der Hemispharen, son deni mehr vorwarts, namlich in der Nachbarschaft der motorischen 
Centren und in der unmittelbar fiber dem Sulcus Sylvii befindlichen Region gelegen sind. 
[Siehe meine Mittheilung: „Ueber die Localisation der Haut- (Tast- und Schmerz-) Empfin- 
dungen und des Muskelgeffihls an der Oberflache der Qrosshirnhemispharen.* 1 Neurologisches 
Centralblatt. 1883. Nr. 18.] 

1 Febrixb, Die Functionen des Gehirns, fibersetzt von Obebstbinbb. 1879. 

a Centralblatt ffir Nervenheilkunde. 1880. Nr. 19. Es ist nicht schwer zu bemerken, 
dass die citirten Behauptungen des Autors einige Widersprfiche enthalten. Es ist z. B. un> 
begreiflich, wie Zerstorung eines Gyrus angularis und Occipitallappens Hemiopie an beiden 


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Luciani und Tambubini beobachteten bei Zerstorung eines bedeutenden 
Theils der hinteren Region einer Hemisphare an Hunden Amaurose des contra- 
lateralen und geringfugige Amblyopie des gleichseitigen Auges. Am Affen hat 
indessen nach Beobachtungen derselben Autoren einseitige Zerstorung des Seh- 
centrums bilaterale Hemiopie deijenigen Netzhauthalften zur Folge, welche der 
operirten Seite entsprechen, d. h. Defecte der contralateralen Gesichtsfeldhalften 
an beiden Augen. Bei bilateraler und umfassender Zerstorung beider Sehcentren 
an Hunden wird voUkommene Blindheit beider Augen beobachtet. Unvollstan- 
dige bilaterale Zerstorung der Sehcentren am Affen raft bilaterale Amblyopie 
hervor. 1 

Munk’s Ansicht zufolge wird nach Zerstorung der hinteren Region einer 
Hemisphare an Hunden sogen. psychische oder Seelenblindheit am contralateralen 
Auge beobachtet, wobei nur ein unbedeutender ausserer Abschnitt der Netzhaut 
noch die Fahigkeit bewahrt, aussere Eindriicke aufzunehmen; zugleich stellt sich 
am anderen (d. h. an dem entsprechenden Auge) ein Functionsausfall ein, der 
dieselben Dimensionen wie der aussere Netzhautabschnitt besitzt Am Affen in¬ 
dessen bringt Zerstorung des Occipitallappens echte Hemiopie beider Augen mit 
Functionsausfall der entsprechenden Halften beider Netzhaute hervor. Zerstorung 
beider Occipitallappen bewirkt an Hunden sowohl als an Affen vollstandige Blind¬ 
heit beider Augen. 2 

Aus vorstehender gedrangter Uebersicht geht hervor, dass gegenwartig die 
meisten Physiologen geneigt sind, einen Einfluss jeder Hemisphare auf das Seh- 
vermogen beider Augen anzunehmen. Fur Affen wenigstens kann diese That- 
sache als sicher festgestellt gelten; hinsichtlich des Hundes jedoch lassen die 
zwischen den Autoren betreffs des Einflusses von Zerstorungen der hinteren Hemi- 
spharenregion an diesen Thieren bestehenden Widersprache noch zu keinem end- 
gultigen Schluss uber die uns beschaftigende Frage kommen. 

Es ist hier nicht der Ort, in eine Erorterung uber die Ursache erwahnter 
Widerspriiche einzugehen. Das Bestehen derselben ist schon aus dem Umstande 
begreiflich, dass der Einfluss von Rindenzerstorangen auf die Functionen des 
Organismus ein Untersuchungsobject der neuesten Zeit bildet, und die in dieser 
Hinsicht vorhandenen Untersuchungen konnen ohne Zweifel noch nicht als ab- 
geschlossen gelten. 

In Beracksichtigung dieses TJmstandes habe ich in der letzten Zeit selbst 
Yersuche mit Zerstorung des Sehcentrums der Rinde an Hunden angestellt. Die 
Ergebnisse dieser Yersuche werden von mir an anderer Stelle eingehend ver- 

Augen hervorbringt, wenn Zerstorung eines Gyrus angularis allein vollstandige, obgleich 
vorubergehende Erblindung des contralateralen Auges nach sich zieht; ferner — wie kann 
Zerstdrung der Occipitallappen allein nicht von Sehstorungen begleitet werden, wenn Zer¬ 
storung beider Occipitallappen sammt den Gyri angulares voUkommene und langandauemde 
Erblindung beider Augen zur Folge hat? 

1 Luciani i Tamburini, Sui centri psico-sensori corticali. Rivista speriment. di freniatria. 
1879. Medic. Centralbl. 1879. Nr. 38. 

s Munk, Ueber die Functionen der Grosshirnrinde. Gesammelte Mittheilungen aus den 
Jahren 1877—1880. Berlin 1880. 


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offentlicht warden; bier halte ich es nnr fur noting zu erwahnen, dass Abtra- 
gung der hinteren Region einer Grosshirnhemisphare an Hunden in betracht- 
Uchem TJmfang in meinen Yersucben stets ebenso eharaktenstische Erschein ungen 
balbseitiger Blindheit an beiden Augen zur Folge hatte, wie Durchtrennung der 
Fasem des hinteren Abschnittes der inneren Kapsel, einseitige Yerletzung der 
Vierhugel und Dnrchschneidung des Traotus optici an der namlichen Seite. Dabei 
erweist aufmerksamere Untersuchung der Thiere gewohnlich, dass der nach Zer- 
storung der Rinde im Gesichtefelde jedes Auges entstehende Defect bei ihnen 
ungefahr dieselben Dimensionen hat, wie in alien Fallen der Durchtrennung der 
Sehnervenfasern hinter dem Chiasma. 

Auf Grund dieser Daten konnen wir mit Bestimmtheit schliessen, dass an 
Hunden sowohl als an AfFen jede Grosshirnhemisphare Einfluss auf die Function 
der entsprechenden Seiten beider Netzhaute besitzt, dass folglich bei ihnen die 
Sehnervenfasern in ihrem ganzen Verlauf hinter dem Chiasma (also weder in 
den Vierhugeln, noch in den Hemispharen) keine neue Kreuzung erfahren. 

Es ist hier von Interesse, einen Blick darauf zu werfen, inwieweit die That- 
sachen aus der Pathologie des Menschen mit den oben angefuhrten Versuchen 
uber Durchschneidung der Fasern der inneren Kapsel an Hunden in Einklang 
stehen. 

Das ziemlich oft vorkommende Zusammenfallen halbseitiger Anasthesie des 
Korpers mit Hemianopsie bei Affection der inneren Kapsel beim Menschen hat 
schon seit lange die Aufmerksamkeit der Pathologen auf sich gelenkt. Schon 
Jackson machte im Jahre 1874 auf die Frequenz eines solchen Zusammenfallens 
aufmerksam. 1 Bei der Section solcher Falle erwies es sich ubrigens nicht seiten, 
dass gleichzeitig mit Affection der Fasern der inneren Kapsel auch der hintere 
Sehhugelabschnitt mit den Kniehockem vom pathologischen Prozess ergriffen war. 
Also konnte das Auftreten halbseitiger Blindheit in diesen Fallen leicht durch 
die Betheiligung dieser soeben genannten Gebilde an der Affection erklart werden. 

Indessen finden sich in der Literatur einige Falle verzeichnet, die mit den 
Erscheinungen halbseitiger Blindheit verliefen, wahrend die Section eine Affection 
der inneren Kapsel oder der aus derselben austretenden Sehfasern ohne Affec¬ 
tion des Sehhugels und der Kniehocker ergab. Hierher gehoren die Falle von 
Fobsteb , 2 Hosch , 3 Jastrowitz 4 und einige andere. 

Die Beobachtungen dieser Autoren bieten also vollkommene CTebereinstimmung 
mit den oben geschilderten experimentellen Untersuchungen. 

Von anderer Seite ist es bekannt, dass Charcot und seine nachsten Anhanger 
in Fallen von Affection der inneren Kapsel halbseitige Lahmung der Sensibilitat 
gleichzeitig mit Affection aller Sinnesorgane, also auch des Gesichts, an der ent- 
gegengesetzten Korperhalfte beobachteten. Die Sehstorung besteht in solchen 
Fallen nach Charcot nicht in Hemiopie, sondern in vollstandiger Blindheit des 


1 Lancet 1874. II. 1875. I. 

* Grafe-Samibch. VH. S. 118. 

3 Klin. Monatsbl. f. Angenheilk. 1878. S. 281. 

4 Arch. f. Angenheilk. 1877. S. 254. 

•* 


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contralateralen Auges. In Analogie mit diesen Beobachtungen stellt Charcot 
die Falle hysterischer Hemianasthesie, welche gewohnlich von einer eben solohen 
Affection der Sinnesorgane, speciell des Gesichts begleitet ist, indem er offenbar 
annimmt, dass diese Falle durch functionelle Storung derselben Region des Nerven- 
systems erklart werden mussen, in welcher organische AfiTectionen in von Hemi¬ 
anasthesie und Lahmung der Sinnesorgane an einer Korperhalfte begleiteten 
Fallen gefunden werden. 

In Berucksichtigung dieser Beobachtungen hat Charcot fur das Bestehen 
vollkommener Kreuzung der Sehnervenfasern im Gehirn sich ausgesprochen, in¬ 
dem er die hypothetische Yoraussetzung macht, dass das im Chiasma ungekreuzte 
Bundel des Tractus opticus in den Vierhugeln eine Kreuzung erfahrt. 1 

Diese Schlusse stehen jedoch in solchem Widerspruch mit den meisten an- 
deren Fallen, in denen klassische Hemianopsie (wie bei AfiFectionen des Occipital- 
lappens 2 ) beobachtet wurde, dass einige der neueren Autoren, z. B. Belluard, 3 
die Genauigkeit der Beobachtungen Charcot’s und dessen Schuler in Verdacht 
ziehen, indem sie annehmen, dass den publicirten Fallen gekreuzter Amblyopie 
in der That Hemiopie zu Grunde lag. Der erwahnte Autor nahm dabei auf 
den Umstand Rucksicht, dass bei der Hemianopsie die Hauptaffection stets das 
contralaterale Auge betriflt, was seiner Meinung nach zur Yerwechselung dieser 
Sehstorung mit gekreuzter Amblyopie Anlass geben konnte. 

Wenn man jedoch berucksichtigt, wie charakteristisch die Erscheinungen 
halbseitiger Blindheit sind, so muss die Andeutung betreffs Ungenauigkeit der 
Beobachtung in den Fallen von Affection der inneren Kapsel, in denen gekreuzte 
Amblyopie notirt wurde, zum mindesten voreilig genannt werden. Es darf hierbei 
auch die unbestrittene Autoritat Charcot’s und seiner Schuler in der TJnter- 
suchung von Nervenkranken, welche zweifelsohne mit der Moglichkeit eines solchen 
Irrthums sehr schwer in Einklang zu bringen ware, nicht ausser Acht gelassen 
werden. 

Vor nicht sehr langer Zeit wurde, zum Zweck alle Falle von Sehstorungen 
bei Hirnaffectionen in Uebereinstimmung unter einander zu bringen, in der 
Literatur unter anderem eine Vermuthung ausgesprochen, die die ursprungliche 
Hypothese Charcot’s fiber den Verlauf der Sehnervenfasern im Gehim in der 
Hinsicht erganzte, dass fur das sogenannte aussere Tractusbundel, welches nach 
Charcot’s Schema in den Vierhugeln sich kreuzt, in dessen weiterem Verlauf 
eine neue Kreuzung angenommen wurde. 4 In der letzten Zeit hat diese An- 
sicht auch Seitens Grasset 6 Unterstutzung gefunden. 

1 Chabcot, Le 9 ons sur les localis. dans les mal. dn cerveau. 

* S. besonders die Falle von Baumgarten (Med. Centralbl. 1878. Nr. 21), Cubschmann 
Centralbl. f. Augenheilk. 1879. S. 181), Webnicke (Der aphasische Symptomencomplex. Breslau 
1874), Wbstphal (Charitd-Annalen. Bd. VI u. VII), Haab nnd Huguenin (Centralbl. f. Nerven- 
heilkunde. Nr. 7. 1882), Bbioh (Medicinskoje Obosrenije. Bnssisch. Bd. XVII. S. 643) a. A. 

* Belluard, De l'h^mianopsie. Paris 1880. 

4 Landolt, De la valenr des certains symptomes oculaires dans la localisation des 
maladies c£rdbrales. Bulletin de la society de m£d. prat, de Paris. Nagel’s Jahresb. 1876. S.404. 

6 Gbasset, De l’amblyopie croisee et de Tb^mianopsie dans les lesions cer6br. Nouveau 
ch4ma du trajet presume des fibres optiques. Montpellier medical. 1883. F4vrier. 


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9 


Aus vorstehender Abhandlung ist es jedoch ersichtlich, dass eine solche 
Ansicht uber den Yerlauf der Sehnervenlasem im Gehirn mit den Ergebnissen 
experimenteller Untersuchungen in directem Widerspruoh steht. 

Mit Rucksicht hierauf sind wir eher geneigt anzunehmen, dass die bisher 
in der Literatur bekannten Falle gekreuzter, von halbseitiger Sensibilitatslahmung 
begleiteter Amblyopie nicht in directer Abhangigkeit von einer functionellen 
oder organischen Storung deijenigen Sehfasem steben, welche den hinteren Ab- 
schnitt der inneren Eapsel einnehmen. Unserer Meinung nach verlangen diese 
Falle eine Erklarang, die von deijenigen ganz verschieden ist, zu welcher wir 
auf Grand obiger Betrachtnngen bezfiglich der bei Affectionen der inneren Eapsel 
auftretenden Hemianopsie berechtigt sind, da nur letztere das directe nnd un- 
ansbleibliche Resultat einer Unterbrechung der Sehnervenfasem in dieser Hohe 
bildet 

Ohne Zweifel jedoch sind die bis jetzt vorhandenen Beobachtnngen noch 
nicht genfigend, nm mit Bestimmtheit zu sagen, in welcher Weise in einigen 
Fallen bei Affection der inneren Eapsel Amblyopie entsteht. Man kann nur 
hoffen, dass aufmerksame ophthalmoskopische Untersuchung nnd genaue Be- 
stimmung der Grenzen des erhalten gebliebenen Gesichtsfeldabschnitts vermittelst 
eines Perimeters in solchen Fallen in der Zukunft von wirklichem Nutzen fur 
die Entscheidung bezeichneter Frage sein kann. 

St Petersburg, im September 1883. 


2. Ueber das Auftreten von Transfert-Erscheinungen 
wahrend der Behandlung der partiellen Epilepsie. 

(Nach einem am 16. Nov. in der medic. Section der vaterland. Gesellschaft gehaltenen Vortrage.) 

Von Prof. Dr. L. Hirt, Breslau. 

So lange die Therapie der Epilepsie eines der dunkelsten und fur den Arzt 
oft genug peinlichsten Capiteln der Neuropathologie ist, so lange darf es sicher 
als gerechtfertigt erscheinen, wenn man immer und immer wieder den Yersuch 
macht, in der Frage, was gegen die Epilepsie therapeutisch geschehen konne, 
einen Schritt vorwarts zu kommen. Wahrend eines langeren Aufenthaltes in 
Paris hatte ich einige Male Gelegenheit, Epileptiker zu sehen und zu unter- 
suchen, die man nach dem Vorgange Brown-SEquabd’s theils am Nacken, theils 
an den Extremitaten mittelst des PAQUELiN’schen Thermocauters cauterisirt 
hatte, wonach angeblich langeres Sistiren der Anfalle eingetreten war. Nach 
meiner Ruckkehr nach Deutschland nahm ich, von dem Wunsche geleitet, die 
Richtigkeit der Erfolge zu prufen, wiederholt in derselben Weise die Cauterisationen 
vor, ohne in irgend einem Falle classischer Epilepsie, wo die Convulsionen sich 
auf beide Korperhalften erstreckten, einen Nutzen davon zu sehen; ein reiches 
poliklinisches Material gestattete ‘ zahlreiche Yersuche, alle waren ganz oder 
fast ganz erfolglos. Da es sich immer nur um einen Hautreiz handelte und 
sich viele Patienten die points de feu nur sehr ungem appliciren liessen, so 


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subsituirte ich spaniscbe Fliegenpflaster, welche ich im Nacken oder, falls der 
Patient an irgend einem Gliede eine ansgesprochene Aura spurte, ringformig 
um das betrefifende Glied applicirte und 12—24 Stunden liegen liess; auch so 
blieb der Erfolg negativ. Anders verhielt es sich dagegen in mehreren 
Fallen corticaler sogenannter jACKSON’scher Epilepsie, wo sich die 
Convulsionen, theils ohne, theils von Bewusstseinsverlust begleitet, nur auf eine 
Korperhalfte erstreckten. 

Der erste hierher gehOrige Fall betraf einen 9jahrigen Knaben, Karl H., den 
ich am 26. April 1883 zuerst sah; das Kind, aus einer durchaus gesunden Familie 
stammend, war gut genahrt, ein kraftig aussehender Junge, litt seit einem Jahre an 
halbseitigen Convulsionen ohne Bewusstseinsverlust, welche taglich 30—40mal (von 
denen 8—10 auf die Nachtzeit kamen) auftraten; in der letzten Zeit hatte die Mutter 
Gedachtnissabnahme constatirt, sonst war von einem psychischen Defecte Nichts zu 
finden. Regelmassig 4—5 Minuten vor den Anfallen ffihlte der Pat. ein lebhaftes 
Kitzeln im unteren Drittel des linken Oberarms, dem Biceps entsprechend, wodurch 
er zum Jucken gereizt und die Mutter von der nahenden Attacke in Kenntniss gesetzt 
wtirde. Ich liess genau da, wo das Kitzeln gespfirt wurde, ein ringfOrmiges, 1 / 2 Zoll 
breites spanisches Fliegenpflaster legen, welches 24 Stunden liegen blieb, wahrend 
deren das Kind 5 leichte Anf&lle hatte. In den nachsten 3 Tagen wurde dieselbe 
Stelle mit Ung. Canth. taglich einmal eingerieben — seit der Zeit ist keine Aura 
und kein Anfall mehr aufgetreten; zum letzten Male sah ich den Knaben Mitte 
October, er erschien vOllig gesund und besucht nunmehr die Schule. 

Der zweite Fall bezog sich auf einen 27jahrigen Kaufmann, A. S. aus Oppeln, 
der am 6. Mai 1883 in meine Behandlung kam; derselbe litt seit 13 Jahren an 
halbseitigen Convulsionen, deren Entstehung mit einem im 13. Jahre erlittenen Sturze 
in Verbindung gebracht wurde. Ihren Anfang nahmen sie jederzeit in der grossen 
Zehe des rechten Fusses, welche in zittemde Bewegung gerieth — von da aus verbreiten 
sie sich, von lebhaften Schmerzen begleitet, fiber Unter-, Oberschenkel und die obere 
Extremist; das Bewusstsein blieb immer erhalten, Zungenbiss und unwillkfirliche 
Urinentleerung findet nicht statt. Es wurde um die grosse Zehe des rechten Fusses 
und um das rechte Fussgelenk eine ringfflrmige spanische Fliege gelegt, nach deren 
Application die sonst taglich einmal auftretenden Anfalle zunachst vfillig sistirten; 
erst Anfang Juli fanden sich Recidive, wobei jedoch von dem Kranken als sehr auf- 
fallig berichtet wurde, dass die Anfalle nicht mehr die rechte, sondern jetzt 
die linke Seite betrafen. Bei seiner Anwesenheit am 6. Juli ftberzeugte ich 
mich von der Richtigkeit seiner Mittheilung, die Anfalle waren auf die andere Seite 
ubergegangen. Applicirt wurden nun ringffirmige spanische Fliegen um beide 
grosse Zehen und beide Fussgelenke gleichzeitig, worauf keine Anfalle 
mehr erschienen. Am 15. October, also nach reichlich 3 Monaten, sah ich den Pat. 
zum letzten Maie, bis dahin war er vfillig gesund geblieben, ohne, was ich als selbst- 
verstanlich voraussetze, seit dem 6. Mai irgend eine Arznei erhalten zu haben. 

Ein dritter Fall, einen 56jahrigen Schuster, 0. E. in Breslau, betreffend, verlief 
im Allgemeinen genau so wie der zweite, auch hier blieben die halbseitigen Con¬ 
vulsionen weg, nachdem sie nach Anbringung des Hautreizes auf die andere Seite des 
Kfirpers fibergesprungen waren, aber nach dem Cediren der Attacke ffihlte sich der 
Patient monatelang so unwohl, abgeschlagen, zur Arbeit unfahig, dass er oft seine 
frfiheren Anfalle mit dem dazwischen liegenden relativen Wohlbefinden zurfickwfinschte. 

In einem vierten Falle litt ein 19jahriges Madchen, M. F. aus Lodz, aus vollig 
gesunder Familie seit 2 Jahren an Anfallen, die monatlich 1—2mal auftraten und 
dadurch eingeleitet wurden, dass der 4. und 5. Finger der linken Hand in Hyper- 
extensionsstellung geriethen, wahrend die 3 andern stark flectirt wurden; die nur die 


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linke Kbrperhalfte betreffenden Convnlsionen waren von Zungenbiss, Bewusstlosigkeit 
nnd vOlliger Anasthesie begleitei Dabei gab Fat. an, dass die linke Hand nach 
jedem Anfalle 1—2 Tage auffallend schwach bliebe. Nachdem das linke Handgelenk 
wie gewOhnlich mit einem ringfSrmigen Pilaster, das 24 Stunden liegen blieb, ver- 
sehen worden war, blieben die Anf&Ue 8 Tage aus, dann erschienen sie auf der 
rechten Korperhalfte, nnd Pat. theilte in einem Briefe ausdriicklich mit, dass auch 
die Schwache aus der linken Hand in die rechte flbergegangen sei. Die 
Unbequemlichkeit, welche durch die spanische Fliege bervorgerufen worden war, ver- 
anlasste die Mutter, die Application einer zweiten nicht mebr zu gestatten; gegen 
die nunmehr rechtsseitigen Convulsionen wurde Bromkali, 4 Gramm pro die gegeben, 
wodurcb eine wesentliche Besserung, welche man friiher trotz grosser Bromkalidosen 
vergeblich erhofft hatte, erzielt wurde. 

Einen funften Fall endlich habe ich von einem 30jahrigen, seit 16 Jahren an 
linksseitigen Convulsionen (ohne Bewusstseinsverlust) leidenden Madchen, M. S. aus 
Breslau, zu berichten, bei dem nach Application der spanischen Fliege die Anfalle 
allerdings rechtsseitig auftraten, aber trotz einer zweiten Umpflasterung des auderen 
Handgelenks (die Aura entstand im kleinen Finger) nioht, wenigstens nicht unmittel- 
bar cedirten; nocli nach Wochen wurden, wenn auch selten, Attacken beobachtet — 
ob dieselben endlich ausblieben, weiss ich nicht zu berichten, da sich der Pat. nicht 
mehr vorgestellt hat. 

Ueberblicken wir die 5 geschilderten Falle, so kann es, vielleicht mit Aus- 
nahme des ersten, der wegen der Haufigkeit der Anfalle fCir Hystero-Epilepsie 
imponiren konnte, wohl keinem Zweifel unterliegen, dass wir es mit Epilepsie 
and zwar mit der zuerst von Hughlings Jackson genauer beschriebenen, von 
Chabcot und Pitbes eingehend studirten Form, welche man als Rinden-, oder 
partielle Epilepsie bezeichnet, zu thun haben; diese Diagnose scheint uns, ob- 
gleich in keinem Falle vorubergehende Hemi- oder Monoplegien nachzuweisen 
gewesen waren, zweifellos. Allen gemeinsam ist das Beschranktbleiben der Con¬ 
vulsion auf eine Korperhalfte und das Auftreten einer Aura immer in demselben, 
bestimmten Gliede, wodurch der Anfall 1— 4 Minuten vorher annoncirt wurde. 
Bei alien (mit Ausnahme des ersten) trat ferner die merkwurdige Erscheinung 
auf, dass die Convulsionen nach Anbringung eines mehrere Stunden wahrenden 
lokalen Hautreizes von der einen Korperhalfte auf die andere ubersprangen, ein 
Phanomen, welches bekanntlich zuerst 1877 in der Salpetriere in Paris beobachtet 
und als „Transfert“ bezeichnet wurde. Wahrend es sich aber dort nur an 
hysterischen Weibem und zwar unter dem Einfluss von Magneten im Zeitraum 
von wenigen Augenblicken vollzog, wo z. B. eine Hemianasthesie, eine Contractur 
und dergl. von der einen nach der anderen Korperhalfte ubertraten, waren es 
hier Epileptiker, z. Th. Manner, und zum Zustandekommen der Erscheinung 
waren Stunden, ja sogar Tage und Wochen erforderlich; trotzdem halten wir es 
lediglich fur ein Analogon eben der bei Untersuchung und Begutachtung der von 
Bubq gemachten metallo-therapeutischen Mittheilungen gemachten Beobachtung. 
So wenig wie Bubq u. A. sind wir eine Erklarung davon zu geben im Stande; 
ob es sich um moleculare Yeranderungen in den peripheren Nervenendigungen 
handelt, welche durch den Hautreiz bedingt worden waxen, oder ob andere Fac- 
toren in Rechnung zu bringen sind, bleibe dahingestellt 

Nur zwei Grunde sind es, die uns zur Publication der obigen Falle veranlasst 


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haben, einmal weil wir ausser bei Buzzard in seinen Vorlesungen liber Nerven- 
krankheiten nirgends, weder in der deutschen, noch in der franzosischen Literatur 
etwas uber den uns bescbaftigenden Gegenstand gefunden haben, und zweitens, 
weil die Transferterscheinungen in der Mehrzahl der von uns beobachteten Falle 
der Heilung Oder wenigstens der monatelangen Cedirung der Anfalle voraus- 
gingen. Wir sind daher zu der Ansicht gekommen, dass alle diejenigen Falle 
von partieller Epilepsie, in denen unter den von uns mitgetheilten Verhaltnissen 
Transferterscheinungen hervorzurufen sind, eine relativ gunstige Prognose quoad 
valetudin. compl. gewahren; freilich mussen noch weitere Yersuche angestellt 
werden. Ein augenblicklich in meiner Behandlung befindlicher Fall drangt zu 
der Untersuchung, welche Momente das Ausbleiben des Transfert veranlassen 
konnen; auch das kommt zweifellos, wenn auch wohl nur ausnahmsweise, vor. 
Festzuhalten bleibt unter alien TJmstanden, dass das von uns eingeschlagene 
therapeutische Yerfahren nur dann indicirt ist, wenn ausnahmslos jedem An¬ 
falle eine deutliche Aura vorangeht, die immer in demselben Korpergliede, als 
Zittem, oder Ameisenkriechen, Kitzeln und dergL, auftritt 


n. Refer ate. 

Experimentelle Physiologic. 

1) Ein Fall willkiirlicher Beschleunigung der Herzaotion von Prof. Tar- 
chanoff. (Meshdunarodnaja Klinika. 1883. Nr. 9. Russisch.) 

Ein junger Mann Namens S., an dem ausser einer erhChten Reizbarkeit des 
Nervensystems nichts Abnormes zu bemerken war, wurde zufallig darauf aufmerksam, 
dass er die Fahigkeit besitze, die Frequenz seines Pulses willktirlich zu beschleunigen, 
indem er eine gewisse Willensanstrengung mache, analog denjenigen, die zur willktir- 
lichen Contraction anderer Muskelgebiete erforderlich sind. Verf. constatirte ver- 
mittelst graphischer Untersuchung des Pulses, Blutdrucks, der Respiration und Herz- 
th&tigkeit, dass in der That die willkOrliche Beschleunigung letzterer direct durch 
Willeusimpulse zu Stande kam. Zugleich notirte er an demselben Subject die Fahig- 
keit, auch andere Muskelgebiete willktirlich und strict zu beherrschen, die gewohnlich 
der willkUrlichen Innervation fast gar nicht unterliegen, — wie die Ohrmusculatur, 
Platysma myoides, einzelne Muskelgruppen der Oberschenkel etc. Die willkMiche 
Pulsbeschleunigung betrug gewChnlich 20—35 Schlage in der Minute. Kleine Dosen 
Arsenik erleichterten bezeichnete Action, Einathmung von Lustgas (N0 2 ) hemmte 
dieselbe vollstandig. S. ausserte sich hinsichtlich letzteren Umstandes, dass er dabei 
ein Gefflhl babe, als ob der Muskel, den er contrahiren wolle, gelahmt sei. 

Das Studium der Pulscurven und allgemeine physiologische Betrachtungen ver¬ 
anlassen Verf. zu der Ansicht, dass 6s sich in beschriebenem Fall um abnorm er- 
leichterte Leitung zwischen den corticalen Willenscentren und dem excitomotorischen 
Nervenapparat des Herzens handle. P. Rosenbach. 


2) Ueber das Verhalten der vasomotorisohen Centren des Gtehirns und 
Buekenmarks gegeniiber elektrischer Beizung des ScMdels, der 
Wirbels&ule und der Haut von Feinberg. (Jeshenedjelnaja klinitsches- 
kaja Cazeta. 1883. Nr. 24—27. Russisch.) 

Beobachtung der Temperaturschwankungen (vermittelst sensibler unter die Haut 
der Pfoten applicirter Thermometer) an Hunden und Kaninchen bei den in der Ueber- 
schrift benannten Bedingungen ergab folgende Resultate: 


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Nach 15—20minutenlanger Galvanisation an einer Sch&delseite sank die peri- 
phere Temperatur an den contralateralen Pfoten um 1—2,2° C., wahrend an den 
gleichseitigen die Thermometer nur sehr geringe Schwankungen aufwiesen; hieraus 
schliesst Yerf., dass Galvanisation an einer Schadelhalfte Erregung der vasomotorischen 
Rindencentren der entsprechenden Hemisphare hervorbringt — Galvanisation des 
Ruckenmarks (stabile Application der Elektroden an Nacken- und Kreuzgegend, ab- 
steigende nnd aufsteigende Strflme) hatte Emiedrigang der peripheren Temperatur an 
den Pfoten beiderseits um 2,3 0 C. zur Folge; wenn die Elektroden an Lenden- und 
Kreuzgegend applicirt wurden, sank die Temperatur an den Hinterpfoten bedeutender, 
als an den vorderen; diese Ergebnisse lassen F. Erregung der in der grauen Rdcken- 
markssubstanz enthaltenen vasomotorischen Centren, vorzftglich in der intrapolaren 
Strecke durch Galvanisation an der Wirbelsaule annehmen. 

Nach 4—5ndnutenlanger Faradisation der Haut einer Extremitat (nach Ent- 
femung der Haare) sank die Temperatur in beiden ausseren Gehdrgangen um 0,6 bis 
2 0 C.; zugleich ergab dabei Beobachtung der entblCssten Hirnoberfl&che am Kaninchen 
vermittelst einer Loupe deutliche Yerengerung der Himgefasse mit nachfolgender 
Hyperamie. 

Im Anschluss an diese experimentellen Ergebnisse folgen einige allgemeine Be- 
trachtungen fiber vasomotorische Effect© der Galvanisation bei Kranken. 

P. Rosenbach. 


Pathologische Anatomie. 

3) Ein Fall von Entwlokelungshemmung in der motorisehen Sphttre des 
Grosshirns von J. Jensen. (Arch. f. Psych. XIY. S. 752.) 

35jahrige Idiotin, geht erst zu 6 Jahren, seit der Pubertat epileptisch, vor den 
Anfallen aufgeregt, meist rein, dressurfahig, unbeholfene kindliche Sprache; gelegent- 
lich einer kleinen Operation zeigt sich Fehlen jeder Schmerzausserung. Section: 
Langs der Mittellinie des Schadeldaches Knochenneubildung, in der kleinen Fontanelle 
Schaltknochen, links frisches subarachnoidales Extravasat. Hirngewicht (mit H&uten) 
989, links 405, rechts 412, Cerebellum 118, die weichen Haute 10 Gramm. Hydro¬ 
cephalus int. Auffallende Windungsarmuth, besonders an dem Stirnlappen, die statt 
der Furchen nur seichte Eindrticke zeigen; der vordere Ast der Fossa Sylvii fehlt 
beiderseits, die S. central, nur angedeutet, ebenso die erste Schlafenfurche, Prae- und 
Postcentralfurchen fehlen; die tiefsten Furchen sind die Sylvi’schen, doch entsprechen 
auch sie nicht der Norm; es fehlt dagegen die vordere und obere Grenzfurche der 
Insel. Bei Flachenausmessung zeigt sich, dass die Stirnlappen um 5 1 / 2 %, die 
Scheitellappen um 4% °/ 0 gegen die Norm zurilckbleiben; die gesammte Grosshirn- 
oberflache ist gegen die Norm um 7V 2 % zurtick, die Lange der Gesammtfurchen 
um 45 °/ 0 ; genaue Bestimmungen bezflglich der Rindendicke liessen sich nicht vor- 
nehmen, doch schien sie etwas breiter als in der Norm; beil&ufige Bestimmungen des 
Rindenantheils lassen denselben betr&chtlich reducirt erscheinen; doch sprechen sowohl 
Gehirn- als Schadelbefund gegen die etwa zu machende Annahme, dass es sich hier 
um ein mikrocephales Gehirn handelt. 

Die Epilepsie deutet J. als allgemeine Irritabilitat und Beflexerregbarkeit in 
Folge Insufficienz und Energielosigkeit der Hemmungscentren der Grosshirnrinde; zur 
Deutung des Intelligenzdefectes werden die durch Bindenausspfflung verblOdeten Hunde 
herangezogen. 

Mehrere Tabellen geben die ausffihrlichen Messungsresultate an Schadel und 
Hirn des Falles wieder; ebenso ist die Grosshirnoberfl&che in mehreren Zeichnungen 
dargestellt. A. Pick. 


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4) Des alterations des nerfs eutan&§ chez les ataxiques par Ddjerine. 

(Archives de phys. Dormale et pathologique. 1883. No. 5. p. 72.) 

D. theilt ausfiihrlicher zwei Beobachtungen mit, auf welche schon in seiner 
frflheren Publication fiber den Gegenstand (Sitzungen der Societe de biologie vom 
18. Febr. u. 18. Marz 1882. Cf. d. Centralbl. 1882. p. 160 u. 191) Bezug genommen 
war. Es handelt sich um 2 an Ataxie locomotrice leidende Frauen, bei denen die 
Autopsie Yeranderungen an den Hautnerven, von rein peripherisehem Ursprunge, nach- 
wies; und zwar, wie schon Pier ret (1880) gezeigt hatte, in Form einer — nach P. 
mit der Neuritis optica vollkommen in Parallele zu stellenden Entzhndung (Neuritis) 
deijenigen Endausbreitungen, welche sich zu den von lancinirenden Schmerzen, Anasthesie, 
Hyperasthesie und pemphigoider Eruption eingenommenen Hautabschnitten begeben. 

In beiden Fallen, die klinisch sehr ausgesprochene Sensibilitatsstfirungen dar- 
boten, zeigten Rfickenmark und hintere Wurzeln erheblich verschiedene Yeranderungen 
nach Intensit&t und Ausbreitung. Im ersten Fall die Burdach’schen und Goll’schen 
Strange in ilirer ganzen Lange in ein dichtes fibroses Gewebe, mit verdic-kten Ge- 
fassen, umgewandelt, in dem kaum hier und da noch einige NervenrOhren aufzufinden 
waren. Im zweiten Fall war dagegen die Krankheit erst im Beginn ihrer Ent- 
wickelung, die Ausbreitung viel geringer, die Zahl der noch intacten NervenrGhren 
eine sehr grosse. Dem entsprechend auch die Betheiligung der hinteren Wurzeln. 
HinterhOrner und Clarke’sche Saulen in beiden Fallen normal. 

D. meint daher, dass dieser Befund ungeniigend sei, um die in beiden Fallen 
fast gleich schweren Sensibilitatsstorungen zu erklaren, und dass man ftir diesen 
Zweck auf die in den peripherischen Nerven vorgefnndenen Veranderungen recurriren 
mfisse. Der rein periphere Ursprung dieser Veranderangen wird dadurch bewiesen, 
dass die Spinalganglien und die aus ihnen hervorgehenden Wurzeln der 
gemischten Spinalnerven vollstandig intact sind; ebenso auch der gemischte 
Nervenstamm selbst; die entzfindliche Veranderung beginnt erst in den feineren Ver- 
zweigungen (reichte aber in Beobachtung 2 bis in 2—3 mm dicke Zweige, z. B. des 
Saphenus int., hinanf). Die Hautnervenendigungen untersuchte D. nicht, nimmt aber 
mit Langerhans an, dass dieselben gesund seien; den Pierret’schen Vergleich mit 
der Neuritis optica der Atactischen weist er zurfick, weil letztere — nach Poncet 
— auf centralen, die Neuritis der Hautnerven dagegen auf rein peripherischen Ur- 
sachen beruhe. A. Eulenburg. 

Pathologie des Nervensy stems. 

5) Note sur un cas d’aphasie avee int^grite de la troisidme circonvolution 

frontale gauche et ldsion des faisceaux blancs sous - jaeents par 

Raymond et Artaud, Paris. (Gaz. med. de Paris. 1883. No. 47.) 

Nachdem die Yerff. 22 ahnliche Falle, bei denen nicht die Broca’sche Win- 
dung, sondem die von derselben ausgehenden Leitungsfasem (Fasc. pediculo-front. inf. 
nach Pitres) zerstfirt waren, zusammengestellt, theilen sie folgenden neuen Fall mit 

Henriette L., 47 Jahre alt, hatte im Mai 1882 einen apoplectischen Anfall mit 
rechtsseitigen Krampfen, wonach sich rechtsseitige Hemiplegie mit Contracturen ent- 
wickelte; dabei Aphasie, nur „Ja a und „Nein“ mSglich; erschwerte Beweglichkeit der 
Zunge und Schlingbeschwerden. — Zunehmende geistige Schwache. — Am 22. Juli 
1883 neuer Anfall mit Krampfen im linken Arm und Bein und der linken Gesichts- 
halfte, Abweichung der Augen und des Kopfes nach rechts. — Am 23. Juli ist die 
Kranke vollstandig wortlos, kann auch die Zunge nicht herausstrecken; linke Pupille 
weiter; Kopf deviirt nach rechts, Augen normal beweglich. Der rechte Vorderarm in 
leichter Beugecontractur, Hand gestreckt, zweite und dritte Phalangen der Finger 
flectirt. Sensibilitat herabgesetzt, die ganze Extremitat abgemagert. 


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Das re elite Bein in Extensionscontractur, Sensibilit&t herabgesetzt, Musculatur 
atropbisch. Knieph&nomen verstarkt, Fnssclonns. Links Hemiplegic mit linksseitiger 
Gesichtsl&hmnng, leichte Contractur des Beines. Reflexzuckungen von der Haut des 
Schenkels und der Fnsssohle aus. — Allgemeine Herabsetzung der Sensibilitat. 

Am 25. Juli war die linksseitige Hemiplegie fast vollstandig verschwunden. — 
Am 26. Coma, in der Nacht Tod. 

Autopsie: Gehirnarterien atheromatOs. — Rechts die Pia adharent am Fusse 
der Centralwindangen, wo sich ein etwa 50-Pfennig-Stiick grosser meningealer Blut- 
erguss findet. — In Linsenkern, Yormauer und ausserer Kapsel ein alter Erweichungs- 
herd von 3 cm HOhe und 2 cm Breite. — Innere Kapsel unverletzt. 

Links ein alter Erweichungslierd im Lob. parietalis sup. — Die Broca’sche 
Windung intact. — Ein grosser Erweichungslierd im Linsenkern und in der inneren 
Kapsel, der nach Aussen und Oben bis in den Fuss der beiden Centralwindungen und 
der unteren Stimwindung reicht. 

An der vorderen Brfickenflache, etwa 1 cm von ihrem unteren Rande, ein etwa 
erbsengrosser hamorrhagischer Herd, der die vordere Halfte der rechten Pyramide 
einnahm. 

Linke Halfte der Med. oblongata atrophirt; Degeneration des Pyramidenstranges 
und des Tttrck’schen Bflndels. 

Die Verff. heben die Coincidenz der Aphasie und Glossoplegie besonders hervor. 

Hadlich. 


6) Etude anatomique et clinique sup la paralysie labio-glosso-laryngde par 

Dferine. (Archives de physiologic norm, et path. 1883. No. 6. p. 180.) 

D. giebt die Beschreibungen und Sectionsbefunde (genaue Untersuchung des 
Rtlckenmarks und der Med. obi.) zweier F&lle von typischer (Duchenne’scher) Glosso- 
pharyngolabialparalyse, die auf der Abtheilung von Yu 1 pi an in der Charity beobachtet 
wurden. 

Der Standpunkt, welchen D. auf Grand dieser Untersuchungsbefunde einnimmt, 
ist folgender: Die paralytischen Symptome, welche die hervorragenden Zhge des 
typischen Krankheitsbildes constituiren, kOnnen nur durch die Erkrankung der Pyra- 
midenbahnen erklart werden — und nur diese anatomische Erkrankungsform (Seiten- 
strangsklerose) entspricht der Bezeichnung „Glossopharyngolabialparalyse“; wogegen 
die in Gesichts- und Zungenmuskeln Offers beobachteten Storangen bei progressiver 
Muskelatrophie nichts mit jener Krankheit zu thun haben. Die Glossopharyngolabial- 
paralyse, Typus Duchenne, kann in 2 Formen, als secund&re oder primare Er- 
kranknng, vorkommen. Die secundare Form ist nichts weiter als eine Etappe der 
amyotrophischen Lateralsklerose. Die primare (fcchte Glossopharyngolabialparalyse, 
Duchenne-Vulpian) hat zum anatomischen Substrat eine „bulbomedullare 
amyotrophische Sklerose der Pyramiden mit absteigendem Yerlaufe“. 

Die Befunde in den beiden KrankheitsfO.ilen ergaben a) an den Muskeln theils 
einfache Atrophie, theils letztere mit fein granulOs-fettigem Zeifall und Sklerose-Adipose 
(bes. ausgesprochen an der Zunge, wo auch fast vOlliger Schwund der Papillen in 
beiden Fallen); b) im Nervensystem die gewOhnlichen Veranderungen in den Nerven- 
kernen des verlangerten Marks in Form von Pigmentatrophie (bes. Hypoglossus-, 
oberer und unterer Facialiskem, sowie auch der angeblich sensitive subependym&re 
Oder pneumospinale Deiters’sche Kern, — wahrend der weiter nach vorn gelegene 
angeblich motorische, sog. accessorische Hypoglossuskern intact war); analoge Ver- 
anderungen an den motorischen Zellen der YorderhOrner liessen sich mit abnehmender 
Intensitat bis ins Lumbalmark abwarts verfolgen. Ausserdem Sklerose der Pyramiden- 
bahnen (Vorder- und Seitenstrangbahnen), sowie auch der vorderen Wurzelzone im 


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Cervicaltheil; wahrend sich im Dorsaltheil die Sklerose auf die hintere Partie der 
Seitenstrange beschrankte und den Lumbaltheil fast ganzlich verschonte. 

A. Eulenburg. 


7) Neurite traumatique de plexus brachial droit. — Atrophie musculaire 
du membre blessd. — Troubles trophiques (Eruption vdsieuleuse) 
de la main droite; lesion trophique symdtrique du cotd sain (main 
gauche) par le Dr. Pozzi, Paris. (Gaz. mdd. de Paris. 1883. No. 41.) 

Ein SOjahriger Mann fiel auf den rechten Ellbogen und zog sich dabei neben 
der directen Quetschung des N. ulnaris eine Luxatio humeri subcondyloidea zu, durch 
welche der Plex. brachialis sehr heftig, wenn auch nur bis zu der nach ganz kurzer 
Zeit (Minuten) bewirkten Reposition, comprimirt wurde. Keine Anasthesie, aber sehr 
starke lancinirende Scbmerzen in Vorderarm und Hand, und ausserdem intensives 
Brennen in der Haut der Hand. Erst nach 2—3 Wochen Nachlass der Schmerzen. 

In den ersten Tagen vollstandige Lahmung des ganzen Arms, spater nur noch 
des Yorderarms und der Hand, und zwar so, dass Pro- und Supination sowie Flexion, 
und Extension der Hand fast ganz, die Bewegimgen der Finger vollstandig unmCglich 
waren. — Die Rotation, Ab- und Adduction des Humerus ist erheblich, die Er- 
hebung des Arms ein wenig geschwacht. 

Bei der 4 Wochen nach der Verletzung vorgenommenen faradischen Unter- 
suchung fand Verf. 

1. an den Muskeln der Hand die elektrische Sensibilitat und Contractilitat 
v5llig erloschen; 

2. an alien Muskeln des Vorderarms, an der vorderen Partie des M. deltoideus, 
supra- und infraspinatus, pectoralis maj. und min. und latissim. dorsi eine starke 
Herabsetzung; 

3. an der hinteren Partie des M. deltoideus, an M. rhomboideus eine geringe 
Schwachung der elektr. Contractilitat, die Sensibilitat erhalten. 

Entsprechend den Graden der Lahmung war Atrophie der Muskeln eingetreten, 
sowie ein atrophischer Zustand der Haut und der Fingemagel. 

Ein Vergleich der Temperatur beider oberen Extremitaten ergab fHr Hand und 
Vorderarm der gelahmten Seite ein Mehr von 0,1—0,4—1,0° (entgegen Weir 
Mitchell’s Angaben). 

Ausserdem aber fand sich an der gelahmten Hand, am meisten an der Innen- 
flache, ein desquamirender vesiculSser Hautausschlag, und ein gleicher, genau 
symmetrischer, auf der gesunden (linken) Hand. 

Yerf. citirt zwei analoge Beispiele, von Weir Mitchell (1874) und von 
Annandale (1866) beobachtet. Im letzteren Falle handelt es sich urn eine Finger- 
narbe, von welcher ein Hautausschlag der Hand ausging, der sich ganz symmetrisch 
auch auf der anderen Hand entwickelte; an dieser blieb er bestehen, ging sogar 
weiter, wahrend er auf der primaren Seite nach Amputation des Fingers sich verlor. 

Yerf. ist der Ansicht, dass man „einen gewissen Grad von Congestion oder 
Entzfindung" in den Kemen des betreffenden Rfickenmark-Segmentes annehmen miisse, 
obwohl er sich selbst das Bedenken entgegenhalt, dass die Stflrungen auf der ge¬ 
sunden Se.te lediglich trophische sind, ohne Spur von Lahmung oder Anasthesie. 

Hadlich. 


8) Bin Pall von multipler Neuritis von Dr. F. C. Mfiller, Strassburg i. E. 
(Arch. f. Psych. 1883. Bd. XIV. H. 3.) 

Eine 60j&hrige Frau, Potatrix, erkrankte 4 Monate vor der Aufnahme an einem 
subacuten Gelenkrheumatismus, in dessen Verlauf Zeichen psychischer St6rung und 


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schliesslich ein Zustand agitirter Melancholia und vOlliger Yerwirrtheit eintraten. 
Bei der Aufhahme constatirt man ausser den psychischen Stdrungen und lebhaften 
Gliederschmerzen eine ausgebreitete Lahmung resp. paretische Schwaehe zahlreicher 
Muskein mit allgemeiner Schlaffheit und Abmagerung der KSrpermusculatur. An 
den Gelenken nichts mehr von Schwellung Oder Crepitation. Die Lahmung war 
nahezu vollstandig in den Streckem der Hand, den Streckera und Beugera der Finger, 
Beugung, Streckung im Ellbogengelenk und die Bewegungen im Schultergelenk noch 
in ziemlichem Grade erhalten. Bewegungen im Knie sehr beschr&nkt, Fdsse v5llig 
gelahmt. Sammtliche tiberhaupt mbgliche Bewegungen ungemein kraftlos und un- 
sicher, doch ohne Tremor. 

GrSbere Yeranderungen der Sensibilitat scheinen zu fehlen. 

Die elektrische Untersuchung lasst in den meist gelahmten Muskein ausgesprochene 
Entartungsreaction constatiren. — PlOtzlicher Tod ohne asphyctische Erscheinungen. 

Bei der Section fanden sich tuberculSse Yeranderungen in den Lungen, auf den 
Pleuren, einige tuberculOse Ulcerationen im Darm. 

Die mikroskopische Untersuchung der atrophischen Muskein zeigte in einem 
Theile der Fasem atrophische Degeneration, in anderen glasige Quellung; keine 
Wucherung der Muskelkeme und des Perimysium. Die intermuscul&ren Nerven&ste 
enthalten fast nur kOrnig-fettig zerfallene oder yollkommen atrophische Fasern. Ent- 
ztodliche Erscheinungen an den Gefassen und im interstitiellen Gewebe der Nerven 
fehlten durchaus. In den grbsseren Nervenstammen nimmt die Degeneration deutlich 
ab, dieselben sind mehr als gew5hnlich mit Fett durchwachsen. Wie weit der Pro- 
zess der Degeneration centralwarts hinauf reicht, wurde nicht festgestellt, nur am 
N. medianus zeigten sich in der Achselhbhle noch deutliche Veranderungen. 

Die vorderen und hinteren Wurzeln des Rftckenmarks ohne Veranderung des 
Rtickenmarks selbst und die Med. oblongata normal, speciell keine Yerringerung und 
Alteration an Yorderhornganglienzellen. 

In der Epikrise macht Yerf. zunachst auf den Zusammenhang der Polyneuritis 
mit dem Gelenkrheumatismus aufmerksam, in dessen Yerlauf dieselbe sich entwickelt 
hatte. Sodann auf die Complication mit Tuberculose, die auch in anderen Fallen von 
Polyneuritis beobachtet ist. Die complicirende GeistesstSrung, die freilich ihre Er- 
klarung in dem hohen Alter der Kranken, dem Alcoholmissbrauch und dem voran- 
gegangenen Gelenkrheumatismus haben konnte, ist in ihrer Combination mit multipier 
Neuritis ebenfalls nicht ohne Analogien in der Casuistik. 

Bemerkenswerth erscheint Yerf. die Thatsache, dass in solchen Fallen gleich- 
zeitig Gehirn und periphere Nerven in grosser Ausdehnung ergriffen sind bei intactem 
RQckenmark. Eisenlohr. 


9) Becherches but la courbe de la secousse musoulaire dans diffdrentes 
maladies du systdme neuro-musculaire par M. Mendelssohn. (Aus der 
Sitzung der Pariser Akad. der Wissensch. v. 9. Juli u. 6. August 1883.) 

Bei cerebraler Hemiplegie, aber erst wenn Contracturen und danach Atro- 
phien sich einstellen, wird die Kurvo der Muskelzuckung hbher, steigt steiler an, 
fallt anfangs auch sehr steil ab, urn aber sodann langsamer und allm&hlicher als 
sonst zur Abscisse zurilckzukehren: ganz ahnlich, wie bei den veratrinisirten Muskein. 

Je mehr die Atrophie zunimmt, urn so langer wird einerseits die Latenzperiode 
und die Dauer der Kurve, indem sowohl An- wie Absteigen sich sehr verlangsamt, 
wahrend andererseits die H5he der Kurve immer geringer wird. 

Aehnliche Form der Kurven findet man bei der amyotrophischen Lateralsklerose, 
bei der spastischen Spinalparalyse u. a. 

Bei der Pseudo - Hypertrophie der Muskein folgt auf ein kurzes Ansteigen ein 


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ausserst verlangsamtes Absteigen der Kurve. Bei Tabes, wenn die Lahmungen ein- 
treten, wie oben bei Atrophie angegeben. Bei Chorea eine kurze Kurve, bei Para¬ 
lysis agitans dagegen, wenigstens in ihren Endstadien, eine lange, verlangsamte Kurve. 

Hadlich. 

10) Ueber Kr&mpfe der Bespirationsmuskeln. Aus der medicinischen Klinik 
in Giessen. Yon Franz Riegel. (Zeitschr. f. klin. Med. Bd. VI. S. 550.) 

Bei einem 14jahrigen, etwas schwachlichen Knaben stellten sich 14 Tage nach 
einem Fall in’s Wasser zur Winterszeit eigenthfimliche respiratorische Krampfe ein. 
Dieselben bestanden in sehr haufig sich wiederholenden kurzen, krampfhaften, 
lauten Exspirationen, welche zwischen den fibrigen normalen Atliemzfigen ein- 
geschaltet waren. Yon Zeit zu Zeit erfolgten auch einige tiefe In- und Exspirationen, 
an welche sich noch einige kurze Exspirationsstosse anschlossen. Bei jeder dieser 
krampfhaften Exspirationen sah man das Epigastrium stark eingezogen werden und 
die Bauchmuskeln sich heftig contrahiren. Zur besseren Veranscbaulichung dieser 
Verhaltnisse dienen einige beigegebene Athmungskurven. Dieselben zeigen, dass es 
sich urn reine Exspirationskrampfe handelte, welche theils spontan ohne vorangegangene 
Inspiration auftraten, theils sich unmittelbar an eine normale Exspiration anschlossen. 
Psychische Erregungen, Schreck und dergl. steigerten die Intensitat der Anfalle. 

Nachdem diese Erscheinungen fiber 1 Jahr lang gedauert batten, wurde Pat. in 
die Klinik aufgenommen. Hier gelang es in kfirzester Zeit durch methodische Athem- 
fibungen und eine geeignete psychische Behandlung, sowie durch einmalige Anwendung 
des faradischen Stroms Heilung zu erzielen. Die Diagnose einer „hysterischen“ 
Affection kann daher keinem Zweifel unterliegen. Strfimpell. 


Psy chiatrie. 

11) Insanity from quinine by Jos. G. Kiernan. (The Alienist and Neurologist. 

1883. IV. p. 608.) 

Verf. reproducirt zunfichst 2 Falle von wochenlang dauernder Melancholie resp. 
Stupor, die er mehrmals bei jedem der beiden fibrigens schwer belasteten Individuen 
nach kfirzerem oder langerem Gebrauch von Chinin beobachtet und schon 1881 im 
„Journal of nervous and mental disease" verCffentlicht hat. Der neue Fall, den er 
jetzt mittheilt, betrifft einen 38jahrigen psychopathischen und von je gegen Alcohol 
ausserordentlich irresistenten Mann, der nach einer Malariainfection 1 Scrupel 
(=1,2 Gramm) Chinin nahm und schon 1 Stunde spfiter in heftige Tobsucht ver- 
fiel. Dieser durch besondere Zerstfirungssucht ausgezeichnete Anfall schwand nach 
etwa 2 Stunden, vielleicht in Folge subcutaner Injection von Coniin, doch stellte er 
sich mit derselben Heftigkeit von neuem ein, als spater noch einmal Cinin verordnet 
worden war. 

Zum Schluss weist Verf. mit Recht auf die medicoforense Bedeutung hin, die 
derartige Falle unter Umstanden haben kfinnen. Sommer. 


12) La paranoia e le sue forme, dei doti Giuseppe e Silvio Tonnini. (Arch, 
ital. per le malatie nervose. 1883. XX. p. 409.) 

Eine sehr lesenswerthe Darstellung der zur Zeit vorherrschenden Ansichten fiber 
das Wesen und die Entstehung der sog. Verrficktheit mit besonderer Berficksichtigung 
der deutschen Literatur. Ein ausffihrliches Referat fiber die eigenen Anschauungen 
der Verff. kann indess erst gegeben werden, wenn die Arbeit vollstandig verfiffentlicht 
8ein wird; hoffentlich wird dies schon in den nachsten Heften des betreffenden Archivs 
geschehen. Sommer. 


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Therapie. 

13) A case of severe cerebral concussion in which the bromide of po¬ 
tassium in large doses averted death by John M’Donald. (Glasgow 
med. Journal. 1883. XX. 6. p. 431.) 

20jahriger Schafer; fiel beim Herabsteigen von einer der hochsten Spitzen des 
Colin Hills vorauber gegen eine Felskante und klemmte sich den Kopf zwischen zwei 
Steinen. Starke Nasenblutung. Erst nach einigen Stunden kam HfQfe und gelang 
es mit Schwierigkeit den Verletzten in der Nahe bergabwarts und unter sicheres 
Obdach zu schaffen. Bei der Ankunft daselbst war Pat. bewusstlos; Puls 58, voll 
und regelmassig; Haut etwas kalt, Athmung ruhig, beide Pupillen etwas dilatirt. 
Nur geringfugige Excoriationen an den Gliedem und hinter dem linken Ohre. Unter 
Anwendung von Stimulantien etc. allmahliche Besserung. Am vierten Tage aber 
traten eigenthfimliche Krampfanfalle ein, die sich alle 12 Minuten wiederholten; die- 
selben begannen mit Zucken unter dem linken Auge und verbreiteten sich allmahlich 
fiber Gesicht, Hals, Brust, Rumpf und untere Gliedmaassen; gegen Ende jedes An- 
falls heftiges Aufschlagen auf das Bett, Cyanose, Dyspnoe (Krampf der Respirations- 
muskeln). Der Versuch, eine dargereichte Bromkaliumflussigkeit zu schlucken, rief 
einen neuen Anfall hervor. Die Anfalle folgten immer haufiger, zuletzt alle 1 1 / 2 Mi¬ 
nuten auf einander und setzten das Leben des Pat. in augenscheinliche Gefahr. D. 
lOste nun ca. 6 Gramm Bromkalium in einem Essl5ffel lauwarmen Wassers und in- 
jicirte diese Flflssigkeit in das Rectum. Wahrend der Injection noch ein Anfall, aber 
dann rapides Seltener- und Schwacherwerden der Anfalle und ganzliches Ausbleiben 
derselben. Innerer Fortgebrauch von Bromkalium (2 J / 2 Gramm 3mal taglich, spater 
ca. 2 Gramm per dosi) noch 3 Wochen hindurch; wahrend der ersten 14 Tage er- 
schien, wenn die Medication ausgesetzt wurde, das Muskelzucken jedesmal wieder, 
dann blieb auch dies aus. Gegen Ende der 4. Woche konnte Pat. seine Umgebung 
erkennen und Fragen beantworten. Allmahlich voile Genesung, nur das Gesicht be- 
hielt einen etwas schmerzhaft verzogenen Ausdruck. A. Eulenburg. 


14) La gu^ risen du tremblement par l'emploi de la veratrine par M. F dr is, 

de Brest. (Prog. med. 1883. No. 28.) 

In der Society de biologie theilte F. seine Beobachtungen fiber die Wirkung des 
Veratrin gegen Tremor mit: Er sah beim Alcoholismus, bei verschiedenen ner- 
vosen Affectionen und bei febrilen Zustanden das Zittern schon nach geringen Veratrin- 
dosen verschwinden. — Die Wirkung des Mittels soli schon nach den ersten Dosen 
eintreten und, wenn das Medicament eine Zeit lang fortgebraucht wird, auch nach 
dem Aussetzen desselben noch monatelang anhalten. Fdris verordnet 0,002 pro die 
in vier Pillen. — Wenn der Erfolg ein dauemder sein soil, muss die Behandlung 
mindestens 10 Tage fortgefuhrt werden. Laquer. 


15) Gegen Morphiom&nie von Jackson. (Progres med. 1883. 1. Dec.) 

Gegen Morphiomanie empfiehlt J. allmahliche Entziehung des Morphium, indem 
man die Dosis zuerst auf 2 Drittel der gewohnten herabsetzt. War die genommene 
Dosis 0,60 pro die, so verschreibt man: 

Morph, sulf. 2,8, Extr. Belladonn. 0,5, Chinin. sulf. 1,75, Capsic. 0,15; 
M. f. pil. Nr. 42. Taglich 3 Pillen. Bei jeder Reiterirung (nach 14 Tagen) wird 
die Dosis des Morphium verringert, bis es schliesslich ganz weg bleibt. 

Dabei kraftige Diat, 1—2 Glas Bier taglich, auch Anwendung des faradischen 
Stroms. M. 


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Forensische Psychiatric. 

16) Examen de l'dtat mental de Delmet GAddon, incendiaire par Motet. 
(L r Enc4phale. 1883. No. 4. p. 474.) 

Ein erblich belasteter, geistig sehr geschwachter Epileptiker, welcher, unter der 
Einwirkung des Alcohol, meist Sonntags, yiele Brandstiftungen verfibte. — Die Frage: 
Wohin auf die Dauer mit ibm? giebt auch bier zu Yerlegenheiten Anlass. 

Siemens. 


17) Vertiges dpileptiques. Assassinat. Aoquittement. Par Legrand dn 
Saulle. (Archives de Neurol. 1883. No. 17. p. 161.) 

Vom 15. Jahre an Schwindelanfalle, im 17. Jahre eine Kopfverletzung. 3 Jahre 
danach Ofters Kopfschmerzen und verschiedene Zuckungen, Schwarzwerden vor den 
Augen; in diesen Anfallen marschirte er ohne Bewusstsein fort. Sp&ter traten auch 
Hallucinationen und Angstanfalle auf, Vergiftungs- und andere Yerfolgungsiden. In 
einem solchen Zustande ermordet er den Brautigam seiner Schwester. Partielle 
Amnesie. Der eine Gutachter hielt ihn fflr zurechnungsunfahig, der andere fdr einen 
Alcoholiker. L. erkl&rt ihn fflr einen „epileptique vertigineux“. Derselbe wurde 
freigesprochen. Siemens. 


Anstalts wesen. 

18) Berioht fiber die Verwaltung der vereinigten Bezirks-Irren-Anstalten 
Btephansfeld-Hdrdt vom 1. April 1882 bis 31. Mftrz 1883, erstattet von 
dem Director Dr. Stark. 

Verwaltungsjahr 1881/82 schloss mit 1075 Kranken (510 M., 565 Fr.) 

Neu aufgenommen 239 „ (140 M., 99 Fr.) 

(19 Kranke weniger als im vorhergehenden Jahre). 

Entlassen . . . 242 Kranke (120 M., 122 Fr.) 

Bestand l / 4 1883: 1072 „ (530 M., 542 Fr.) 

Genesen entlassen 43 „ (20 M., 23 Fr.) = 18°/ 0 

der Aufnahmen; von denen 26°/ 0 zur Melancholie, 48°/ 0 zur Tobsucht, 16°/ 0 zur 
primaren Paranoia gehOren. 

Todesfalle 83 (42 M., 41 Fr.) d. h. 6,3 % der Verpflegten; 
Paralytiker waren unter diesen 25. 

Yon Interesse ist der berichtete Fall eines Kranken, der sich mittelst ernes 
Nagels absichtlich den Testikel verletzt und an Trismus starb, obwohl der Testikel 
bei den ersten Zeichen des Trismus exstirpirt wurde. — Ein anderer Kranker hatte 
ein 20 cm langes Drahtsttlck unabsichtlich verscbluckt; dasselbe wurde 5 Monat 
sp&ter aus einem Abscess fiber dem rechten Darmbeinkamm hervorgezogen. Es waren 
keinerlei unangenehme Erscheinungen aufgetreten, die Wunde schloss sich schnell. 

Erfreulich ist die hohe Zabl der beschaftigten Kranken: Es arbeiteten von den 
Kranken der letzten Klasse 48,5 °/ 0 (44,1 °/ 0 Manner, 52,6 % Frauen) taglich den 
ganzen Tag. Die Anstalten bewirthschaften: 70 Hectaren Acker und Wiesen. 

An Bek5stigung kostet der Kranke pro Kopf und Jahr 276,72 Mark. M. 


19) Verwaltungsberioht der Bezirks-Irren-Anstalt bei S&argemund fiir das 
Jahr 1882/83 von Director Dr. Freusberg. 

Bestandam 1.April 1882:387 Kranke (159 M., 228 Fr.). Aufgenommen: 131(69 M., 
62 Fr.). Entlassen: 70 (36 M., 44 Fr.). Bestand 31. Marz 1883: 448 (192 M., 256 Fr.). 


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Von den Aufgenommenen waren einfache Psychosen 26 M., 44 Fr.; Paralytiker 
16 M., 9 Fr.; Alcoholisten 10 M., 2 Fr. Fine grosse Reihe sorgfUltig zusammen- 
gestellter Tabellen giebt fiber Krankheitsdauer vor der Aufnahme, Alter der Kranken 
nnd Civil stand, Krankheitsdauer der Genesenen und Todesursachen etc. Aoskunft. 
Erblichkeit wurde nachgewiesen bei 28,9 °/ 0 s&mmtlicher Kranken. 

Die Kosten der Bekostigung betrugen in der IV. Klasse per Kopf und Jahr 
178,71 Mark. M. 


III. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft fflr JPsychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung 
den 10. December 1883. 

Herr Westphal: Ueber einen Fall von Tumor des linken Sohl&fen- 
lappens (mit Demonstration des Praparates). Es handelt sich um einen 45jahrigen 
Mann, der seit 1879 an haufigen Anfallen von Bewusstlosigkeit mit Zuckungen in 
den rechtsseitigen Extremitaten, heftigen Kopfschmerzen, Ohrensausen etc. litt. Seit 
Anfang d. J. in die Charitd aufgenommen zeigte er hier Benommenheit und Schlaf- 
sucht, massige motorische Schwache der rechtsseitigen Extremitaten, leichte Parese 
des rechten Facialis, unsichern Gang mit Fallen nach hinten, auch nach rechts. 
Beiderseits Stauungspapille, verminderte SehscMrfe, die nach und nach in vOllige 
Blindheit tiberging. — An Stelle der Zuckungen rechterseits trat spater Tremor, 
besonders des rechten Arms. — Die Sprache zeigte keinerlei Stflrung; auch aus dem 
Schlafe erweckt antwortete Pat. stets deutlich und sachgemass, und es bestanden 
sicher weder Spuren von Aphasie noch von Worttautyheit; Taubheit oder SchwerhOrig- 
keit eines Ohres war nicht constatirt. 

Nach dem am 9. November d. J. erfolgten Tode ergab die Section einen grossen 
Tumor, Gliosarkom, des linken Schlafenlappens, wodurch dieser vollstandig zerstOrt 
war. Wenn auch noch an einzelnen Stellen Reste der Rinde vorhanden waren, so 
waren diese doch auch erweicht und von Tumorgewebe durchwachsen, zum Theil stark 
comprimirt; die zugehflrige Marksubstanz war sicher zerstflrt. Thalamus opt. voll- 
kommen gut, Corp. striat., Linsenkern und Umgebung geschwollen; die Inselwindungen 
erweicht und nach vom herausgedrangt. 

W. bemerkt nun zu diesem hflchst bemerkenswerthen Falle, dass man daraus 
sicher keinen Beweis gegen die Resultate der Munk’schen Experimente, zu deren 
Bewunderern er sich zahle, herleiten kOnne. Aber es ergcbe sich fflr ihn hieraus 
von neuem, dass wir in der Pathologie uns selbst die Thatsachen zusammenstellen 
und nicht direct Ergebnisse physiologischer Experimente flbernehmon, sondem diese 
bios als Grundlage und Wegweiser unserer klinisch-pathologischen Untereuchungen 
benutzen dflrfen. — Prtifen wir die bisherigen Ergebnisse der Pathologie bezflglich 
der Function des linken Schlafenlappens, so sind dieselben allerdings sehr gering. 
W. kann eigentlich noch keinen Fall, der fflr Munk’s Lehre sprache, dass bei Zer- 
storung der Rinde eines Schlafenlappens Taubheit auf dem entgegengesetzten Ohre 
stattfinde, bei stronger Kritik aller Umstande, auffinden; das gelte auch von dem von 
Hu tin verflffentlichten Falle, und auch von dem Schafer’schen (Centralbl. f. Nerven- 
heilk. 1881. Nr. 3), wo seiner Meinung nach der sehr kleine (linsengrosse) und alte 
Herd nicht mit den nicht sehr lange vor dem Tode beobachteten Symptomen von 
Taubheit in Beziehung gebracht werden kflnne. 

Ebensowenig erachtet es W. bisher durch Beobachtungen als sicher erwiesen, 
dass Zerstflrung gewisser Schlafenwindungen der linken Seite beim Menschen noth- 
wendig Worttaubheit zur Folge habe, und macht er auf die Schwache der Beweis- 
fflhrung in dieser Beziehung in dem Lehrbuche des Herrn Wernicke aufmerksam. 
Trotzdem habe er sich bemflht, eine Erklarung zu finden, welche wenigstens den 


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absoluten Widerspruch, der sicb zwischen seiner Beobachtung und der anfgestellten 
Hypothese (Worttaubbeit bei Erkrankung des linken Schlafenlappens) resp. den Resul- 
taten der Munk’schen Versuche fande, zu beseitigen vermochte. Er kam auf den 
Gedanken, dass, ahnlich wie man far die Broca’sche Windung constatirt babe, dass 
in seltenen Fallen der der recbten Seite die Bedeutung der linken mit Bezug auf 
die Spracbe zuzuscbreiben war, und zwar vorzugsweise bei notorisch linksliandigen 
Menschen, so aucb in dem vorliegenden Falle vielleicht ausnahmsweise etwas Aehn- 
liches far die recbten Scblafenwindungen im Gegensatz zu den linken anzunebmen 
sei, d. h. dass die Wortvorstellungen bier ausnahmsweise in der Rinde des rechten 
Schlafenlappens ibren Sitz gebabt batten. — W. liess desbalb Erkundigungen bei 
der Frau des Yerstorbenen einzieben, welcbe in der That die interessante, aber alien 
Zweifel festzustellende Thatsache ergaben, dass Pat. yon Jugend auf linkshandig 
gewesen war. 

Hierdurcb ware wenigstens eine Analogic zu gewissen Beobacbtungen aber 
motori8che Apbasie bei linksseitiger Hemiplegie (also bei rechts anzunebmendem Herde) 
hergestellt; die fehlende Taubbeit des rechten Ohres dagegen warde zunacbst nicht 
in Uebereinstimmung mit den Resultaten des pbysiologiscben Versucbs zu bringen sein. 

In der Discussion setzt Herr Mendel auseinandor, dass er docb glaube, den 
Schafer’schen Fall far die Munk’sche Lebre verwerthen zu kOnnen. Er urgirt be- 
Bonders, dass er in diesem Fall die Diagnose auf einen Herd im Schlafenlappen vor 
der Section auf Grund der Munk’scben Experiraente gestellt babe. Was den West- 
pharschen Fall betrifft, so ktinne man vielleicht aucb die Annabme macben, dass bei 
der ganz allm&hlichen Zersttfrung des linken Schlafenlappens die rechte Seite die 
Function der linken abernommen habe. 

Herr Richter, Dalldorf, hat einen Fall von sehr ausgesprochener Worttaubbeit 
beobachtet, bei dem sich eine ZerstOrung der ersten linken Schlafenwindung orgab. 

Herr Hadlich weist auf die von Dr. Claus in Sachsenberg im „Irrenfreund“ 
(1883. Nr. 6) karzlich verftffentlichten 2 Falle bin, bei denen sich bei im Leben 
beobachteter sensorischer Aphasie das eine Mai eine Erweichung der ersten linken 
Schlafenwindung und eines Theiles der zweiten, das andere Mai eine Atropliie des 
linken Schlafenlappens ergab. Allerdings handelte es sich beide Male um demente 
Individuen. 

Herr Remak demonstrirt einen Fall von Myoclonus multiplex. Nacli 
Diphtheric war ausser anderen Lahmungen eine Ataxie mit aufgehobenem Knie- 
phanomen bei dem Kranken (lljahriger Knabe) eingetreten, mit deren Heilung viel¬ 
leicht in Folge eines Schreckes der jetzige Zustand sich entwickelte: klonische 
Zuckungen in den Muskeln der Schulter, des Oberarms, Bauches, Oberschenkels etc. 
(Unterschenkel und Vorderarm sind frei), die bei intendirten Bewegungen sofort auf- 
hflren, letztere gar nicht stflren; im Schlafe hbren sie nicht ganz auf. Das Knie- 
phanomen ist jetzt gesteigert; Hautreize steigem reflectorisch die Zuckungen. R. giebt 
eine nahere Analyse des Falles und erkiart ihn fflr eine Neurose, Sitz des Lei dens 
im Rfickenmark. 

R. bespricht die Analogic dieser Affection mit einzelnon der von Henoch als 
Chorea electrics bezeichneten Falle. Unter den 5 Fallen letzterer Art, welche R. 
beobachtete, war einer ebenfalls nach Diphtheric aufgetreten. Der vorgestellte Fall 
deckt sich vOllig mit dem von Friedreich als Paramyoklonus, von Lowenfeld als 
Myoklonus multiplex beschriebenen Symptomencomplex. 

Herr Bernhardt stellt einen 19jahrigen Mann vor, bei dem eine locale und 
einseitige Analgesic rechterseits besteht und zwar Arm, Schulter, Nacken, Brust 
bis zur Brustwarze, Theile der rechten Gesichtshalfte. Der Umstand, dass sich der 
Zustand angeblich soit 1879 entwickelt bat, eine grosse Constanz, resp. sebr lang- 
same Entwickelung zeigt, dass nicbts vorliegt, hier Hysterie anzunebmen, veranlasst 
B. mit aller Reserve auf die MSglicbkeit hinzuweisen, dass hier ein Fall von Syringo- 


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myelie resp. gliomatose Wucherung der grauen Substanz in der Entwickelung begriffen 
sei. In der Discussion wurden von Herrn Remak und Mendel verschiedene Be- 
denken gegen diese Annahme geaussert; der letztere glaubte die Annahme der 
Hysterie nicht ffir ausgeschlossen zu erachten. Hadlich. 


Vortrftge, gehalten wahrend der 51. Jahresversammlung der British Medical 
Association in Liverpool, August 1883. (The British Medical Journal. 
1883. 29. Sept.) 

Ad. Wahltuch, Manchester, gab zunachst eine Zusammenstellung der von ihm 
in seiner Privatpraxis durch Elektrotherapie behandelten 122 Krankheitsfalle. Eine 
specielle Aufzahlung der einzelnen Leiden, gegen die der Vortragende, meistens mit 
grossem Erfolge, den constanten oder den faradischen Strom angewendet hat, wflrde 
an dieser Stelle zu weit fuhren; genauer erwahnt mogen nur diejenigen Sttfrungen 
werden, auf deren Bekampfung durch die Elektrotherapie W. selbst besonders auf- 
merksam macht. 

Asthma nervosum kam llmal zur Behandlung und in jedem Fall trat dauernde 
Heilung eiu; u. A. nach lljahriger Dauer bei einer Frau von 49 Jahren, bei der das 
Ausblciben der frdher regelmassig im Spatsommer und Herbst sich einstellenden An- 
falle durch 3 Jahre hindurch constatirt werden konnte. Die Anode wurde auf den 
oberen Theil des inneren Randes des Sternocleidomastoideus, die Kathode auf die 
Trachea, neben dem Sternoclaviculargelenk aufgesetzt; die Application von 2 bis 
10 Elementen dauerte fur jeden Vagus etwa 5 Minuten; in 9 Fallen wurden freilich 
neben der Elektrotherapie noch Inhalationen von Natrium arsenicosum verordnet, doch 
will W. in Zukunft die letzteren fortlassen. 

Habituelle Obstipation, die z. Th. schon seit vielen Jahren den dauernden Gebrauch 
von Drasticis nothwendig gemacht hatte, wurde in 7 Fallen unter gleichzeitiger Regu- 
lirung der Diat durch Aufsetzen der Anode auf die Magengrube, wahrend die Kathode 
dem Verlauf des Darmkanals folgend auf der Oberflache des Abdomen herumgefilhrt 
und endlich in der linken Leistengegend, der Flexura sigmoidea entsprechend, fixirt 
wurde, in 10—20 Sitzungen von 10—30 Minuten Dauer (5—30 Elemente) geheilt. 

Ferner hatte W. 33 Geschwulste mit Elektrolyse behandelt: er stach ein oder 
mehrere Nadeln in den Tumor und verband sie mit dem negativen Pol, wahrend die 
feuchte Schwammanode in der Nahe auf die Haut gesetzt wurde; 5—20 Elemente 
bei Sitzungen von 5—45 Minuten. Die 33 Falle setzten sich aus 14 Cystomen 
(und Angiomen?), 6 „Ganglien“, 8 Papillomen, 2 Varicenknoten des Unterschenkels 
und der Unterlippe, 1 „BroDchocele“ und aus 2 Lipomen zusammen; mit Ausnahme 
der beiden Letzteren wurde jedesmal mit gutem Erfolge vorgegangen. Nach jeder 
Application des constanten Stromes trat zwar eine reactive Schwellung des betreffen- 
den Tumors ein; sie verlor sich aber dann im Verlauf von etwa 24 Stunden und 
gleichzeitig nahm auch der ursprungliche Umfang der Geschwulst ab, bis zum voll- 
standigen Schwunde derselben. 

Von 27 neuralgischen Affectionen wurden 22 vollstandig geheilt; ganz ohne 
Erfolg war die elektrische Behandlung nur in einem Fall von beiderseitiger Unter- 
schenkelneuralgie. Ungeheilt blieben ferner 2 Falle von Schreibekrarapf und 1 Fall 
von Paralysis agitans. (Schluss folgt.) 


IV. Bibliographie. 

Zur pathologischen Anatomic der Bleil&hmung von Oeller. Munchen 1883. 
Rieger’sche Buchhandlung. Mit einer Tafel. 26 Seiten. 2 M. 40 Pf. 

Verf. wendet sich aus theoretischen Grtinden, nachdem er einen historischen 
Riickblick auf die Entwickelung der Anschauung fiber Bleilahmung geworfen, gegen 


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24 — 


die myopathische Theorie und spricht sich far die Annahrae einer Ruckenmarkslasion 
aus, wie sie namentlich von E. Reraak seit langer Zeit verfochten ist. Zn den 
drei positiven Befunden von Vulpian, v. Monakow und Zunker fiigt er folgen- 
den Fall: 

Ein 43jahriger Mann, wolcher mit Bleiweisskitt anscheinend sehr unvorsichtig 
umgegangen war, hatte ein Jahr vor der Aufnahme zuerst einen Eolikanfall, seitdem 
Ofter Mattigkeit und Parasthesien in den Armen. Einige Monate vor der Aufnahme 
Lahmung der linken Handstrecker, welche nach einigen Scliwanken einer completen 
Extensorenlahmung beider Seiten Platz machte. Die Strecker der Finger und der 
Hand, die Introssei und Dauraenballenmuskeln waren vollstandig gelahmt, massig 
atrophiscb. Der N. radialis war unerregbar, an den Muskeln EaR vorhanden. Die 
Sensibilitat dabei nicht wesentlich beeintrachtigt. Deutlicber Bleisaum, hochgradige 
Anamie. Es entwickelte sicli eine schwere Nephritis mit Albuminurie, Oedemen, As¬ 
cites, Hautgangran und Herzschwache, der Pat., 3 Monate nach der Aulnahme und 
5 Monate nach Eintritt der vollstandigen Extensorenlahmung, erlag. 

Ausser den Veranderungen in den ser5sen Sacken, dem Herzen, den Nieren, der 
Milz, fand sich im Gehirn Blasse und Durchfeuchtung, die Cerebrospinalflilssigkeit 
war vermehrt. Nach der Hartung des Ruckenmarks waren von der Med. oblongata 
bis zur Mitte des Halsmarks in der grauen Substanz unbedeutende Blutaustritte 
sichtbar. Yon der Halsanschwellung ab wurden diese Blutungen in den mittleren 
Parthien der Vorderhflmer zahlreicher. Vom 5. bis 8. Halsnerven war die Substanz 
der Vordersaulen in der Mitte erweicht, w&hrend die Gusseren Tlieile mit ihren 
Ganglienzellengruppen intact waren. Die in dem erweichten Gewebe liegenden 
Ganglienzellen waren dagegen verandert, auch fanden sich Spinnenzellen, Detritus 
und Blutaustritte. Es war die weisse Substanz nur in den rechten Seitenstrangen, 
jedoch nicht im directen Zusammenhange mit der Veranderung der grauen Substanz 
erheblich erkrankt. Das tibrigo RGckenmark war gesund. In den Muskelasten des 
N. radialis waren etwa 2 / 6 der Nervenfasem atrophiscb; im Stamme waren die Ver¬ 
anderungen viel geringer. Die Muskulatur bot einzelne verschmalerte Bftndel, Ver- 
lust der Streifung bis zur Umwandlung in kOrnigen Detritus und erhebliche Kem- 
vermelirung dar. 

Oeller nimmt fhr die Erklarung der Erweichung ein Vorausgehen von hamor- 
rhagischen Herden an und weist in Bezug auf die Gefassdegeneration und Nephritis auf die 
Maier’schen Resultate Gber die Wirkung des Bleis im Organismus hin. Moeli. 


V. Personalien. 

Am 21. Dec. 1883 starb zu Berlin nach kurzem Krankenlager der Geh. Medicinal- 
rath Prof. Dr. Karl Bogislav Reichert im 73. Lebensjahr. Unter seinen vielen 
bahnbrechenden Arbeiten sei an dieser Stelle nur seiner hervorragenden Yerdienste 
urn die Lehre von der Entwickelungsgeschichte und dem Bau des Gehims gedacht. 

VI. Vermi8chtes. 

Der Selbstmord in Hussland. Wie in alien iibrigen Staaten, so ist aucli im 
europaischen Russland die Zahl der Selbstmorde in schneller Zunahme begriffen. Yon 
16 Selbstmorden auf je 1 Million Einwohner im Jahre 1803 ist diese Zabl auf 30 im Jahre 
1875 gestiegen. Yiel auffallender freilich ist der Zuwachs der Selbstmorde in den grossen 
Stadten, besonders in Petersburg, wo ihre Zahl von 33 im Jahre 1861 auf 85 im J. 1869, 
98 im J. 1871 und 136 im J. 1878 (auf je 1 Million Einwohner berechnet) gestiegen ist. 
Geistesstorung ist bei etwa 20% &Her Selbstmorde als Ursache anzunehmen; Trunkenheit 
.oder* alcoholische Psychose bei weiteren 10%. In den 10 Jahren 1869 — 7 * haben in Peters¬ 
burg nioht weniger als 57 und in Moskau 40 Kinder im Alter von 8—16 Jabren einen Selbst¬ 
mord unternommen. 

(Likatscheff in Arcb. di psich. science penali ed antropol. crim. 1883. p. 315 seq.) 

Sommer. 

Yerlag von Ybit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzqbr & Wittiq in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Dritter 


Herausgegeben von 

Dr. E. Mendel, 

Priratdocent an der Unirersitit Berlin. 


Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nnmmern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen dnreh 
alle Bnchbandlnngen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Dentschen Reichs, sowie 
direct von der Yerlagsbuchbandlnng. 


1884. 


15. Jannar. 


m2. 


In halt. I. Originalmittheiiungen. 1. Znr Lehre von der antiepileptiscben Wirknng 
des Bromkaliom von P. Rosenbach. 2. Ueber das Verhalten der allgemeinen nnd speciellen 
Sensibilitat bei Krampf- nnd Geisteskranken von Thomsen. 3. Bemerknnp zn dem Anfsatze 
„fiber arteficielle, cadaverdse und pathologische Veranderungen des Rfickenmarks von Dr. 
Richard Schulz** von A. Pick. 4. Notiz zn vorstehender Bemerkung von R. Schulz. 

II. Refferate. Ezperimentelle Physiologie. 1. Untersncnnngen fiber Refiexe von 
Mendelssohn. 2. Directe Erregbarkeit der Vorderstrange des Rfickenmarks von Mendelssohn. 

— Pathologische Anatomie. 3. Storm ed autopsia d'un idiota sub microcefalo del Frl- 
gerio. — Pathologie des Nervensystems. 4. Les convulsions 4pileptiformes d'origine 
corticale par Franck et Pitres. 5. Eisenbahnzusammenstoss auf dem Heidelbergcr Bahnhof 
von Jungst. 6 . Mydlite chronique diffuse compliqude d’accidents apoplectiformes sums de 
mort par Giraudeau. 7. Perimeningitis et myelitis bulbi acuta von Burzew. 8 . May tabes 
dorsalis sometimes have a peripheral origin? by Herbert. 9. Case of primary lateral sclerosis 
or spasmodic tabes by Hopkins. 10. Etude but le tabes dorsal spasmodique par Jubineau. 

— Psychiatric. 11. Reciprocal insanity by Parsons. 12 . Sopra un caso di paralisi gene- 
rale progressiva degli alienati a forma circolare etc. del Maccabruni. — Therapie. 13. Bei- 
trag zur Pathologie und Therapie der Perforationen der Shrapneirschen Membran von Hessler. 
14. On alcoholic cerebral and mental disorders by Robertson. 15. Nervenstrackning af Svensson. 

— Forensische Psychiatric. 16. De la Morphinomanie dans ses rapports avec la m&le- 
cine Mg&Ie par de Montyei. 

III. Aus den Gesellschaften. 

IV. Personalien. 

V. Vermiscbtes. 


I. Originalmittheiiungen. 

1. Zur Lehre von der antiepileptischen Wirkung des 

Bromkalium. 1 

Von Dr. P. Rosenbach, Ordinator der Klinik ffir Nerven- und Geisteskranke an der 
medidnischen Akademie zu St. Petersburg. 

(Aus dem klinischen Laboratorium von Prof. Mierzejewbky.) 

Das Bromkaliiim wurde, soviel mir bekannt, zuerst im Jahre 1853 von 
Locock gegen die Epilepsie empfohlen und verdrangte bald fast alle anderen 

1 Vom Autor mitgetheilt in der Sitzung der St Petersburger psychiatrischen Geeellschaft 
am 8. October 1883. 


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26 


zahlreichen „Specifica“, die gegen diese Krankheit in G-ebrauck waren. Im Jahre 
1858 erklarte Radcliffe das Bromkalium for das wirksamste Mittel bei Epi- 
lepsie; 1864 wurde diese Behauptung gleichzeitig von Robert M’ Donnell und 
Williams bestatigt, und seitdem erschien fast keine klinische Arbeit uber die 
Epilepsie, in welcher dem Bromkalium nicht der erste Platz in der Reihe der 
therapeutischen Mittel eingeraumt ware. In vielen Kliniken warden specielle 
Versuche uber die Wirkung des Bromkalium auf Epilepsie angestellt, und noch 
unlangst (1881) erschienen fast zu einer Zeit zwei Arbeiten uber diesen Gegen- 
stand: Bennett 1 constatirte bedeutende Besserung unter dem Einfluss von 
Brompraparaten an 95 °/ 0 von 300 Epileptikem, die er im Laufe mehrerer Jahre 
beobachtete; Febrand 2 sah den namlicken wohlthatigen Effect an 89 Epilep- 
tikern, die auf der Abtkeilung von Legband du Saulle behandelt wurden. 
Dasselbe wird auch in alien, im Verlauf des letzten Decenniums erschienenen 
Monographien uber die Epilepsie bestatigt (Eohevebria, Hughlings-Jackson, 
Bergeb, Gowers). Letzterer aussert sich in dieser Hinsicht folgendermaassen: 
„Der merkwurdige Erfolg, der in den meisten Fallen vom Gebrauch der Brom- 
praparate beobachtet wird, hat die Therapie der Epilepsie und Yerschreibung 
von Brompraparaten zu fast identiscken Ausdrucken gemacht.“ 3 

Gegenwartig zweifelt wohl Niemand daran, dass die antiepileptische Wir¬ 
kung des Bromkalium wesentlich auf dem Brominhalt desselben beruht, und 
andere Salze des letzteren — Ammonium, Natrium, auch Lithium bromatum 
(Weib-Mitschel) besitzen einen analogen wohlthatigen Einfluss auf Epileptiker. 
Nur Sander 4 bestritt in dieser Hinsicht die Bedeutung des Broms, indem 
er sie dem Kali zuschrieb und behauptete, dass Chlorkalium gegen Epilepsie 
sich nicht weniger wirksam erweise, als Bromkali; doch wird diese Angabe durch 
zahlreiche klinische Beobachtungen anderer Autoren so wohl, als durch experi- 
mentelle Ergebnisse widerlegt. 

Was die zahlreichen Untersuchungen uber die physiologische Wirkung des 
Bromkalium auf den Organismus anbetrifft (Eulenburg u. Guttmann, Lewitzki, 
Rabuteau, Husemann, Binz, Krosz u. A.), so constatiren alle einen deprimiren- 
den Einfluss des Bromkali auf das Nervensystem. Eulenburg u. Guttmann 5 
behaupten auf Grand ihrer Versuche, dass das Bromkalium ein Gift ist, welches 
hauptsachlich das Centralnervensystem afficirt, die Leitimg in den centrifugalen 
sowohl als centripetalen Bahnen der Cerebrospinalaxe erschwert und die Ueber- 
tragung motorischer Willensimpulse an die Musculatur, die bewusste Perception 
der Empfindungen und die reflectorischen Acte hemmt. Lewitzki 6 constatirte 
an Thieren den hemmenden Einfluss des Bromkalium auf die Reflexthatigkeit 

1 Bennet, A statistical inquiry into the action of the bromides in epilepsy. Edinb. 

medic. Journ. 1881. Febr.-March. 

3 Ferrand, De la curabilite relative de l’epilepsie a la S al p6 trier e. These de Paris. 1881. 

3 Gowers, Epilepsy and other chronic convulsive diseases. London 1881. p. 252. 

4 W. Sander, Centralbl. f. d. medic. Wissensch. 1868. Nr. 52. 

5 Eulenburg u. Guttmann, Virchow's Archiv. 1867. Bd. 41. 

6 Lewitzki, Ueber die Wirkung des Bromkaliums auf das Nervensystem. Virchow’s 
Archiv. 1869. Bd. 45. 


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27 


des Rfickcnmarks. Kbosz 1 schreibt demselben auf Grund der Analyse eigener 
Empfindungen nach grossen Dosen Bromkaliom einen deprimirenden Einfluss 
auf die Thatigkeit des Gehims (vorzfigbch der Grosshimhemispharen) zu: er be- 
obachtete an sicb und anderen Menscben, die Bromkali eingenommen batten, 
dass dadurch das Denken und die Fahigkeit, die Aufmerksamkeit zu fixiren, 
erschwert und Neigung zum Schlafen bervorgerufen werde. Die hypnotische 
Wirkung des Bromkabum und die Herabsetzung der Reflexerregbarkeit und ge- 
schlechtlichen Erregung durcb dasselbe sind fiberhaupt von alien Beobachtem 
anerkannt. 

Vorstehende Angaben, die die physiologiscbe Wirkung des Bromkabum auf 
den Organismus erheben, konnen jedoch sehr wenig zur Erklarung dessen anti- 
epileptischer Kraft beitragen, um so weniger, als die der Epilepsie zu Grande 
liegenden pathologischen Bedingungen bisher nocb nicht festgestellt sind. Die 
empirisch gefundene wohlthatige Einwirkung des Bromkab auf Epileptiker wurde 
als Thatsache angenommen und gewohnbch durch allgemeine Herabsetzung der 
Reflexerregbarkeit erklart (Voism). Einige Autoren fibrigens bildeten zur Er¬ 
klarung andere Hypothesen. So vermuthete SchbGdeb vn deb Rode, der als 
Ursache der Epilepsie eine Dilatation der Capibargefasse in der Med. oblongata 
annahm, dass die antiepileptische Wirkung des Bromkabum auf einer durcb 
dasselbe hervorgebracbten Verengerung der Gefasse beruhe; doch abgesehen davon, 
dass die gefassverengende Wirkung des Bromkab durcbaus nicbt als sichergestebt 
gelten kann, ist die Hypothese Schroder van deb Role’s fiber die Entstehung 
der Epilepsie selbst sehr zweifelhaft. Kbosz 2 3 vindicirt dem Bromkabum die 
Fahigkeit, moleculare Veranderungen in den Zeben und Fasern des Nerven- 
gewebes hervorzubringen, die zur Ausgleichung der der EpUepsie zu Grande 
begenden molecularen Veranderungen dieser Elemente fuhren. Es ist leicht 
ersichtbch, dass diese Voraussetzung die Aufhebung der uns beschaftigenden 
Frage wenig fordert. 

Indem icb auf Grund kliniscber und experimenteller Thatsachen, die von 
mir in der Sitzung der St. Petersburger psychiatrischen Gesellschaft vom 8. Oc¬ 
tober 1883 kurz mitgethebt und in extenso an anderer Stelle veroffentbcht werden, 
zu dem Schluss gelangte, dass der Ausgangspunkt der Epbepsie sowohl, als der 
epbeptischen Krampfanfabe, in die Grosshirnrinde zu verlegen sei, zog ich in 
den Kreis meiner Untersuchungen fiber die Pathogenese der Epilepsie auch die 
Frage fiber die Wirkung des Bromkabum auf das Gehim. 

Durch die Untersuchungen Albebtoni’s 3 ist es bekannt, dass Bromkabum 
an Thieren die Erregbarkeit des Grossbims bedeutend herabsetzt, indem an 
einem Thier, dem dieses Mittel gewisse Zeit verabreicht wurde, ein starkerer 
Strom erforderbch ist um durch Reizung der psychomotorischen Centren mini- 


1 Kbosz, Ueber die physiolog. WirkuDg des Bromkalimn. Arcb. f. experim. Pathol, o. 

Phannacol. 1877. Bd. VI. 

3 Kbosz, 1. c. 

8 Albbbtori, Uoteraach. fiber die Wirkung einiger Arzneimittel auf die Erregbarkeit 
des Grosshirns etc. Arcb. f. experim. Pathol, u. Pharmacol. 1882. Bd. XV. H. 3/4. 


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28 


male Bewegungen der entsprechenden Muskelgruppen hervorzurufen, ais an einem 
gesunden; in einem Yersuch des genannten Autors erwies sich sogar nach ein- 
maliger Yerabreichung von 3 Gramm Bromkali an einem Hunde ein starkerer 
Strom zur Hervorrufung eines epileptischen Anfalls durch Reizung der Himrinde 
nothwendig, als vor der Yergiftung. 1 Doch indem Albebtoni auf diese Ver- 
suchsweise sich beschrankte, liess er es unaufgeklart, welche Hiratheile von der 
von ihm gefundenen Herabsetzung der Erregbarkeit des Gehirns betroffen werden. 
Mit dem Zweck, dieser Frage naher zu treten, nntemahm ich folgende Versuche: 

Dem Thier wnrde (ohne Narcotisation) das Gehim in der Gegend der Regio 
cruciata an beiden Hemispharen freigelegt und nach Entfemung der Dura mater 
das Minimum der Stromstarke (Abstand zwischen den Rollen eines Dubois- 
REYMOND’schen Schlittenapparats) notirt, welches bei Reizung eines Rinden- 
centrums Bewegung der entsprechenden Muskelgruppe hervorrief. Diese Strom¬ 
starke ist, wie man leicht sich uberzeugen kann, fur beide Hemispharen fast 
gleichwerthig. Darauf wurde das untersuchte Rindencentrum durch Cauterisation 
vermittelst des Paquelin’schen Apparates oder durch Ausloffelung zerstort und 
die Erregbarkeit der unterliegenden weissen Substanz, d. h. die minimale Strom¬ 
starke bestimmt, welche bei Reizung der blossgelegten Marksubstanz die ent- 
sprechende Bewegung hervorrief. Durch oftmalige Yersuche uberzeugte ich mich, 
dass dieses Minimum dem vorigen gewohnlich fast gleich ist, indem es in einigen 
Fallen dasselbe ubersteigt, in anderen etwas geringer sich erweist. Diese Schwan- 
kungen sind wahrscheinlich dadurch bedingt, ob die Oberflache der weissen Sub¬ 
stanz rein oder von zerstorter Substanz resp. Blutgerinseln bedeckt ist, als auch 
durch die Dicke der abgetragenen Hirngewebeschicht. Doch jedenfalls betragt 
die zur Hervorbringung des entsprechenden Bewegungseffects erforderliche Ver- 
anderung des Rollenabstandes nicht mehr als 10—15 mm. Nach bezeichneter 
Untersuchung wird dem Thier per os eine bestimmte Quantitat Bromkalium 
eingefiihrt; gewohnlich gebrauchte ich eine 4—5procentige Losung desselben in 
destillirtem Wasser. In keinem einzigen Fall rief die eingefuhrte Flussigkeit 
Erbrechen hervor; im Gegentheil, sie wird von den durch die vorhergehende 
Operation erschopften Hunden anscheinend gem getrunken. Je nach der Grosse 
der verabreichten Dosis stellen sich sogleich oder nach einiger Zeit Intoxications- 
erscheinungen ein. Wenn die Dosis sehr gross war, verfallt der Hund fast so- 
fort in einen soporosen Zustand und verendet zuweflen schon nach 15—20 Mi- 
nuten auf dem Operationstisch, was besonders leicht sehr jungen Thieren passirt. 
Wenn aber die Dosis glucklich gewahlt war — wie ich mich uberzeugen konnte, 
ungefahr 0,6—0,7 Gramm pro Kilo Korpergewicht — lasst sich am Hund schon 
nach einigen Minuten eine gewisse Tragheit und deutliche Abnahme der Sensi- 
bilitat wahrnehmen, so dass die weitere Untersuchung ohne Maulkorb vorgenommen 
werden kann. Fast unmittelbar nach Darreichung des Bromkalium wird an der 
Himoberflache intensive Hyperamie bemerkt, und zuweilen hat dann Reizung der 
Rinde oder der blossgelegten weissen Substanz durch schwache Strome einen heftigen 


1 Albrbtoni , 1. c. p. 255. 


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29 


Bewegungseffect zur Folge. Doch nach Verlauf geringer Zeit — 10—20 Mi- 
nuten — verandert sich das Bild: der Hund reagirt gar nicht auf aussere Reize, 
zuweilen bellt und gesticulirt er — anscheinend unter dem Einfluss von De- 
lirien oder Hallucinationen, zuweilen wird er ziemlich unruhig; die Pupillen sind 
erweitert, die Sensibilitat fur Schmerzreize vollstandig erloschen; die Hyperamie 
des Gehirns nimmt ab. Zugleich sinkt die elektrische Erregbarkeit der Hirn- 
rinde allmahlich, jedoch ziemlich rasch, und wenn die Dosis genugend war, tritt 
ein Moment ein, wo Application des starksten Stromes (bei ubereinandergescho- 
benen Rollen) keinen Bewegungseffect zur Folge hat; indessen lassen sich durch 
unmittelbare Reizung der blossgelegten weissen Substanz — sowohl in der Hemi¬ 
sphare, wo sie vor der Vergiftung untersucht war, als nach neuer Bindenzerstorung 
in der anderen Hemisphare — deutliche Bewegungen in den entsprechenden 
Muskelgruppen bei ungefahr derselben Stromstarke hervorrufen, die vor der In¬ 
toxication als wirksam sich erwies; bei Verstarkung des Stromes werden die 
ausgelosten Bewegungen energischer, nehmen sogar einen convulsiven Charakter 
an, doch cessiren sie gleichzeitig mit Entfernung der Elektroden vom Gehim 
und gehen niemals in einen allgemeinen epileptischen Krampfanfall uber. 1 

Beispielsweise fuhre ich hier folgendes Yersuchsprotokoll an: Am 24. Sep¬ 
tember, 4V 2 Uhr. Einem erwachsenen 6245 Gramm schweren Hund wird die 
linke Hemisphare in der Gegend der Centren fur die Muskeln der contralateralen 
Gesichtshalfte blossgelegt; dieselben ergeben eine minimale Contraction bei 15 cm 
Rollenabstand. Nach Cauterisation des bezeichneten Rindencentrums ruft Rei¬ 
zung der blossgelegten weissen Substanz dieselben Bewegungen bei 16—15 cm 
Rollenabstand hervor. Die Operationswunde wird zugenaht, und dem Hund 
4 Gramm Bromkalium in 4procentiger Losung per os verabreicht. Er leistet 
dem Einfuhren der L5sung keinen Widerstand, vomirt nicht; unmittelbar nach 
Darreichung des Giftes bleibt er ruhig und unbeweglich, reagirt nicht auf Rei¬ 
zung der Nasenschleimhaut durch einen kraftigen Strom. Trepanation der 
rechten Schadelhalfte an entsprechender Stelle. Nach Entfernung der Dura 
mater wird an der Himoberflache intensive Rothe wahrgenommen. Bei Appli¬ 
cation schwacher Strome (16—15 cm) an die motorische Zone der Rinde an 
der einen, sowohl als anderen Hemisphare werden keine Bewegungen erzielt. 
Bei Verstarkung des Stromes (ubereinandergeschobene Rollen) ergiebt weder 
Reizung der psychomotorischen Centren, noch anderer Rindengebiete, einen epi¬ 
leptischen Anfall. Reizung der blossgelegten weissen Substanz in der linken 
Hemisphare wird schon bei 14 cm Rollenabstand von entsprechenden Bewegungen 
in der rechten Gesichtshalfte begleitet; bei Verstarkung des Stromes treten in 
derselben clonische und tetanische Convulsionen auf, die bei Entfernung der 
Elektroden sogleich cessiren. Cauterisation des Rindencentrums fur das Gesicht * 
an der rechten Hemisphare. Reizung der unterliegenden blossgelegten weissen 


1 An nicht vergifteten Hunden gelingt es gewohnlich bei so beschrankten Rindeu- 
zerstomngen wie diejenigen, welche in den oben geschilderten Versuchen ausgefiihrt wnrden, 
durch intensive elektrische Reizung der blossgelegten weissen Substanz einen epileptischen 
Anfall hervorzurufen. 


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Substanz wird schon bei 15—14 cm Rollenabstand von entsprechenden Be- 
wegungen in der linken Gesiclitshalfte begleitet, und es ergiebt sich hier das- 
selbe Yerhalten starken Stromen gegenuber, wie an der anderen Hemisphere. 
Ein epileptischer Anfall lasst sich dnrch keine elektrische Reiznng des Gehims 
hervorrufen. Der Hund erscheint trage, benommen, apathisch, der Kopf hangt 
herunter, die Pupillen sind ad maximum erweitert und reagiren nicht auf Licht- 
reize. Schmerzempfindlichkeit am Schwanz und an den Pfoten ist nicht vor- 
handen. Die Untersuchung der Erregbarkeit des Gehirns wird wiederholt im 
Laufe einer halben Stunde vorgenommen, stets mit den namlichen Resultaten. 
Um 7 Uhr ist der Yersuch beendet, der Hund vom Operationstisch losgebunden. 
Man bemerkt an ihm atactischen Gang, die Hinterbeine werden etwas geschleppt; 
allgemeine Analgesic und Neigung zum Schlaf. 

In anderen Fallen, wenn die Intoxication nicht so stark war, wird nach der 
Darreichung des Bromkalium nicht vollstandiger Verlust der Erregbarkeit der 
Himrinde beobachtet, sondem nur Yerminderung derselben, wahrend Reizung 
der blossgelegten weissen Substanz ungefahr bei derselben Stromstarke, wie vor 
der Yergiftung, von entsprechenden Contractionen der Muskeln begleitet wird. 

Also zeigen unsere Versuche, dass bei genugender Intoxication durch Brom- 
kalium an Hunden die Erregbarkeit der Grosshimrinde fur elektrische Reize 
abnimmt oder ganz verschwindet, wahrend die Erregbarkeit der unterliegenden 
weissen Substanz beinahe unverandert bleibt. 

Weim wir diesem Resultat experimenteller Untersuchung diejenige allgemein 
anerkannte Thatsache gegenuberstellen, dass bei an Epilepsie leidenden Menschen 
die Anfalle unter dem Einfluss von Bromkahum seltener und schwacher werden, 
in manchen Fallen auf lange Zeit verschwinden, so entsteht die Yoraussetzung, 
dass der wohlthatige Einfluss des Bromkalium auf Epileptiker von der durch 
dieses Mittel hervorgebrachten Abnahme der Erregbarkeit der Himrinde abhangt. 

Ohne in eine Erorterung anderer Schlussfolgerungen, die aus vorstehenden 
Versuchen bezuglich der Frage uber die Pathogenese der Epilepsie zu ziehen 
waren, einzugehen, beschranke ich mich hier auf die Mittheilung deijenigen That- 
sachen, die zur physiologisohen Erklarung des therapeutischen Werthes des 
Bromkalium bei der Epilepsie dienen konnen. 

Eine indirecte Bestatigung der vorzuglichen, wenn nicht ausschliesslichen, 
Beziehung des Bromkalium zur grauen Substanz ergiebt sich auch aus der 
Arbeit Tschycz’s , 1 der bei mikroskopischer Untersuchung des Ruckenmarks von 
mit Bromkalium vergifteten Hunden fand, dass dieses Gift pathologische (de- 
generativ-atrophische) Yeranderungen ausschliesslich in den Nervenzellen der 
grauen Substanz hervorbringt, die weisse Substanz dagegen unverandert lasst 

1 T8CHYCZ, Ueber die Veranderungen des Ruckenmarks bei Vergiftung mit Morphium, 
Atropin, Bromkalium und Argentum nitricum. Morskoi Sbornik. 1883. (Russisch.) Ref. im 
,»Neurolog. Centralbl.** 1883. Nr. 20. S. 464. 


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3T 


2 . Ueber das VerHalten der aUgemeinen und speciellen : 
Sensibilitat bei Krampf- und Geisteskranken. 

Yorlaufige Mittheilung 

von Dr. Thomsen, Assistcnzarzt 
an der psychiatrischen Klinik in der Charite. 

Ursprunglich ausgehend von der Voraussetzung, dass das Gesichtsfeld auch 
bei nicht hysterischen Kranken eine Veranderung aufweisen durfle, habe ich die 
sensorischen Functionen bei ca. 100 Kranken der Irren- und Kr^mpfabtheilung 
der Charity genauer untersucht und zunachst gefunden, dass sensorische Anas- 
thesien und Hemianasthesien — d. h. concentrische Gesichtsfeldeinengung, Sto- 
rungen des Gehors, Geruchs, Geschmacks und des Muskelsinns — mit oder 
ohne Betheiligung der cutanen Sensibilitat keineswegs nur vorkommen bei 
Hysterischen, sondern ebenfalls bei Epileptischen, sowie bei einer Reihe von 
Geisteskrankheiten, die zwar nicht lediglich, aber doch vorwiegend in der affec- 
tiven Sphare ablaufen, wahrend das Yorstellungsleben intact bleibt Dahin ge- 
horen ausser acuten hallucinatorischen Anfallen Depressions- resp. Angstzustande, 
welche nur gelegentlich zu Hallucinationen mit oder ohne Bewusstseinstrubung 
exacerbiren. 

Was die Epileptischen anlangt, so habe ich das Yerhalten der sensorischen 
Functionen speciell des Gesichtsfeldes zum epileptischen Anfall bereits mitgetheilt, 1 
und sei daher hier nur wiederholt, dass der epileptische Insult (bezw. sein Aequi- 
valent) nur dann sensorische Anasthesie, speciell concentrische Gesichtsfeldeinengung 
bewirkt, wenn er mit einem hallucinatorischen Delir oder (ohne Bewusstseins- 
trubung) mit einer Beeintrachtigung der affectiven Sphare einhergeht, und dass 
die Anasthesie zugleich mit diesen Zustanden verschwindet Den TJebergang zu 
den sensorischen Anasthesien Hysterischer bilden die langjahrigen, meist schwach- 
sinnigen und affectiv ungemein labilen Epileptiker, bei denen stationare Storungen 
der allgemeinen und speciellen Sensibilitat gar nicht so selten sind. 

Der hysterische Anfall convulsiver oder psychischer Natur ist im All¬ 
gemeinen in seinem Einfiuss auf die sensorischen Functionen dem epileptischen 
gleichwerthig, doch folgen in der Hysterie entweder die Anfalle rascher auf ein- 
ander oder aber die dem Insult parallel gehende resp. nachfolgende affective 
Storung gleicht sich in dem freien Intervall nicht aus, woraus resultirt, dass 
anasthetische Hysterische, bei denen ja in der That ein psychisches Gleich- 
gewicht fast nie besteht, wohl Schwankungen in der Intensitat der Anasthesien, 
aber selten vollige Intermissionen mit Ruckkehr zur normalen Aesthesie zeigen. 

Erwahnt sei noch, dass die sensorischen Anasthesien zuweilen schon eben 
vor dem Anfall nachweisbar sind. 

Was die nicht hysterischen Psychosen anlangt, so habe ich sen¬ 
sorische Anasthesien, speciell concentrische Gesichtsfeldeinengung nicht gefunden 
bei Paralytikem, bei (nicht epileptischen) Deliranten und bei chronisch Yerruckten, 

1 Cf. dies. Centralbl. 1883. Nr. 23: Sitzungsbericht der Gesellschaft fflr Psychiatric etc. 

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selbst nicht bei den Angstzustanden der letzteren, bei denen ja freilich nicht 
die Angst, sondem die Wahnvorstellungen resp. die im Sinne der Verrficktheit 
gefarbten Hallucinationen das Primare sind, aus denen erst secundar die Angst 
hervorgeht. 

Wo eine rein affective Storung durch die Entwickelung stabiler Wahnideen 
in Yerrucktheit fibergeht, babe ich die anfangs vorhandene sensorische Storung 
verschwinden sehen. 

Dagegen habe ich Beeintrachtigungen der allgemeinen und speciellen Sensi- 
bilitat bei folgenden Psychosen gefunden. 

Erstens bei der acuten hallucinatorischen Verwirrtheit jungerer weiblicher 
Personen, die (besonders beim ersten Anfall) oft in ganz kurzer Zeit ablauft; 
femer bei primaren Angstzustanden ganz ohne Vorstellungen, bei einem Fall 
von allgemeiner Angst nach Kopfverletzung, bei einem Fall von Morbus Base- 
dowii, der zu heftigen Angstanfallen exacerbirte, ferner bei einem Falle von 
klassischer Platzangst, bei welchem sich durch einen kfinstlich erzeugten Angst- 
zustand (Pat. wurde fiber die leeren Corridore geschickt) eine Yermehrung der 
Anasthesie — grossere Einengung des Gesichtsfeldes — hervorrufen liess. 

Sodann fand ich eine sensibel -sensorische Anasthesie im melancbolischen 
Stadium einer Folie circulaire, die mit dem Umschlag in eine leichte Manie 
fiber Nacht vdllig verschwand und schliesslich in einem Falle von Zwangsvor- 
stellungen mit Zwangshandlungen, den ich trotz der Vorstellungen als zu den 
Angszustanden gehorig betrachten mochte. 

In alien diesen Zustanden geht die Storung der sensiblen und sensorischen 
Functionen dem Zustande der affectiven Sphare resp. der hallucinatorischen 
Bewusstseinstrfibung parallel und nimmt ab und zu, resp. verschwindet zugleich 
mit dieser — letzteres geschieht zuweilen schon in ganz kurzer Zeit. 

Ich glaube, dem Verhalten der sensorischen Aesthesie eine weitergehende 
Bedeutung sowohl differential-diagnostisch (z. B. bei Epileptischen, die der Simu¬ 
lation verdachtig sind) als prognostisch vindiciren zu dfirfen. 


3. Bemerkung zu dem Aufsatze „iiber arteficielle, cadaverose 
und pathologische Veranderangen des Ruckenmarks von 

Dr. Richard Schulz“. 

Von Dr. Arnold Pick. 

Obzwar mit Herm Schulz darin ubereinstimmend, dass es zu weit fuhren 
wurde, alle eiuzelnen Ansichten uber einzelne Punkte der pathologischen Ana¬ 
tomic des Ruckenmarks zu reproduciren, zumal wenn es sich nur um gelegent- 
liche Aeusserungen der Autoren handelt, scheint mir ein yolliges Uebergehen 
nicht am Platze, wo es sich am einen ausfuhrlicheren Aufsatz iiber einen solchen 
einzelnen Punkt handelt; und so halte ich es im Interesse der Sache fur geboten, 
mit Rucksicht auf die Schlussfolgerungen des Herrn Schulz bezuglich der Va- 
cuolenbildung in den Ganglienzellen auf den von Kahleb und mir in unseren 


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„Beitrage zur Pathologie und pathologischen Anatomie des Centralnervensystems 
Leipzig 1879“ veroffentlichten Aufsatz „TJeber Vacuolenbildung in den Ganglien- 
zellen des Ruckenmarks“ hinzuweisen, in welchem wir auch die Frage, ob Kunst- 
product oder nicht, behandeln. Aber auch die ScHTJLz’schen zwei Falle scheinen 
mir wegen ihrer geringen Zahl und der geringen Zahl der veranderten Ganglien- 
zellen, nicht so beweiskraftig, dass seine Schlussfolgerung, die Vacuolenbildung 
sei Kunstproduct, auch fur Falle mit auch nur etwas reichlicherer Vacuolen¬ 
bildung mit Sicherheit zutrafe; denn trotz des Fehlens cadaveroser und aller 
pathologischen Veranderungen kann es sich doch um eine bios die Gang- 
lienzellen betreffende pathologische Veranderung handeln. Einzelne Ganglien- 
zellen mit Vacuolen sind schon fruher ofter auch von uns (1. c. S. 101) gesehen 
worden, ohne dass die Betreffenden diesen Befund als pathologisch betrachtet 
hatten. 


4. Notiz zu yorstehender Bemerkung. 

Von Dr. Riehard Schulz. 

Die vorstehenden Bemerkungen des Herra Pick veranlassen mich zu folgenden 
Gegenausserungen. Selbstverstandlich ist es mir ausserordentlich leid, dass ich 
gerade die grossere Arbeit uber die „Vacuolenbildung in den Ganglienzellen des 
Ruckenmarks“ der verehrten Autoren unbeachtet gelassen habe. Bezuglich der 
Sache selbst scheint es mir ziemlich einerlei, ob die Vacuolenbildung sehr reich- 
lich sich zeigt, oder wie bei meinen Beobachtungen nur in sparsamer Weise. 
Eine Entstehungsursache kann man fuglicherweise doch fur diese eigenthum- 
liche Bildung nur annehmen und da spricht die Thatsache, dass entzundete 
Ruckenmarke notorisch schwer zu harten und arteficiellen Veranderungen mehr 
ausgesetzt sind, dass also hier gerade reichliche Vacuolenbildung leicht vorkommen 
kann, zu Gunsten meiner Auffassung. Mit absoluter Sicherheit kann naturlich 
keine Entstehungsweise behauptet werden. 


n. Refer at e. 


Experimentelle Physiologie. 

1) Untersuohungen iiber Reflexe, zweite Mittheilung von Dr. M. Mendelssohn 
aus St. Petersburg. (Sitzungsbericht der Akademie der Wissenschaften zu 
Berlin. 1883. V.)' 

Verf. studirte den Einfluss von Halb- und Ganzquerschnitten verschiedener Theile 
des Rfickenmarks auf das Zustandekommen der Reflexe. Der Reiz wurde immer an 
der rechten unteren Extremitat angebracht. Ein Halbquerschnitt auf der gereizten 
Seite dicht unter dem Abgange der Armnerven bewirkt eine sehr starke Schwachung 
der Reflexe in der rechten oberen Extremitat, gar keine Schwachung in der unteren 
Extremitat, eine geringe in der oberen und unteren linken Extremitat. — Aehnlich, 
nur schwacher, wirkt ein Halbschnitt rechterseits im Dorsalmark. 

Ein rechtsseitiger Halbschnitt dicht oberhalb des Ursprungs der Nerven fdr die 


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untere Extremitat bewirkt eine sehr starke, resp. vollige, Schwachung der Reflex© 
in der recliten unteren Extremitat, nur eine geringe in den drei fibrigen Gliedem,. 

Halbschnitte linkerseits bewirken immer nur eine sehr bedeutende Schwachung; 
der Reflexe in der linken unteren Extremitat. 

Ein vollstandiger Querschnitt des Dorsaltheils des Riickenmarks schwacht nur 
die Reflexe in der linken unteren Extremitat (die oberen fallen natflrlkh aus); rechter- 
seits tritt diese Schwachung nur dann auch ein, wenn der Querschnitt dicht liber 
den Nervenwurzeln der unteren Extremitaten gemacht war. 

Langs-(Sagittal-)Schnitte sind wirkungslos. 

M. verwerthet diese Resultate fflr Rosenthars Ansicht vom Zustandekommeu 
der Reflexe in den obersten Abschnitten des Riickenmarks. Hadlich. 


2) Beitrag zur Frage nach der directen Erregbarkeit der Vorderstr&nge 
des Riickenmarks yon M. Mendelssohn aus St. Petersburg. (Arch, fur 
Anat. u. Physiol. Physiolog. Abth. 1883. S. 281—288.) 

M. giebt hier eine ausfflhrliche Beschreibung seiner Yersuche, liber deren Resul- 
tat er bereits den 10. Febr. 1883 in der Socidtd de Biologie de Paris berichtet hatte, 
worUber bereits in Nr. 8 S. 190 d. Centralbl. 1883 referirt ist. — Die Yersuphsanordnung 
schliesst wohl in der That Stromschleifen nach den Riickenmarks-Wurzeln aus. 

Hadlich. 


Pathologische Anatomie. 

3) Storia ed autopsia d'un idiota sub microcefalo, nota del Dr. Frigerio. 

(Archivio di psichiatria, scienze penal, ed antropol. 1883. p. 301.) 

Kurze Beschreibung eines 20jahrigen Idioten mit auffallend kleinem Kopfe und 
besonders in der Entwickelung zurflckgebliebener Stimpartie. Der ganze Korper war 
nur 130 cm lang, die oberen Extremitaten ungleich, links um etwa 20 mm klirzer 
als rechts. Pat. war unreinlich, gefrassig und konnte nur die beiden Silben „u pe“ 
aussprechen; von den Sinnesorganen schien nur das Geh6r genligend zu functioniren; 
das Gefflhl war fast ganz unentwickelt. 

Das Gehirn wog nur 200 Gramm; das Kleinhim schien relativ sehr gross zu 
sein. Die Windungen der Stim- und Hinterhauptslappen waren sehr schmal. Die 
Rinde der linken vorderen Centralwindung war gerbthet und erweicht. Der Balken 
glich oinem sehr dunnen Bande. Die Gefasse der Basis sollen von normaler Weite 
gewesen sein; am Schadel waren indess das Foramen jugulare wie die Sinusabdrucke 
in den Knochen weit geraumiger rechts als links. Sonst sei erwahnt, dass alle Nahte 
ausser der Stirnnaht noch often waren, sogar die Sphenobasilarfuge. Capacitat 
1025 Gramm, Lange 167 mm, Breite 127 mm: daher Langenbreitenindex = 76,0. 
Horizontalumfang 464 mm; die Langscurve misst nur 298 und die Biauricularcurve 
281 mm. Mit der Asymmetric der Extremitaten Mngt wohl die geringere Ausbildung 
der rechten Stirn- und Occipitalhalfte zusammen. Sommer. 


Pathologie des Nervensystems. 

4) Reoherches expdrimentales et critiques sur les convulsions epilepti- 
formes d’origine cortical© par Franck et Pitres. (Archives de phys. 
normale et path. 1883. 15. annde. No. 5 p. 1 et No. 6 p. 101.) 

Die zum Theil auf schon bekannten fttheren, zum Theil auf neuen Experimental- 
untersuchungen beruhenden Schlussergebnisse der Yerff. sind im Wesentlichen folgende: 


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Die (experimentelle) cortical© Epilepsie kann nur bei gewissen Thierklassen erzeugt 
werden; leicbt bei Katzen, Hunden, Affen; weniger leicht bei Kaninchen und Meer- 
scbweincben; niemals bei Y5geln, Batrachiero und Fiscken. Elektrische Reizung ist 
am meisten geeignet, die epileptiformen Convulsionen sicker hervorzurufen; und zwar 
ist dieselbe um so wirksamer, je energiscber sie ist und je langer sie einwirkt. 
Uebrigens konnen auch mechanische und chronische 1 Reize, Traumen des Gehirns, 
umschriebene Lasionen der Windungen zu — unmittelbaren oder spateren — epi¬ 
leptiformen Convulsionen Veranlassung geben; ihre Wirkung ist also unsicherer als 
die elektrischer StrOme. 

Um convulsiviscbe Anfalle zu erzeugen, muss der Reiz — direct oder fort- 
gepflanzt — auf die Rindenschicht der sogenannten motoriscben Windungsabschnitte 
einwirken. Die „epileptogene Zone“ fallt zusammen mit der „motorischen“. 
Jede auf die graue Rindenschicht dieser Zone einwirkende Reizung kann epileptiforme 
Zuckungen veranlassen; nie aber eine Reizung, welche auf nicht excitable (d. h. nicht 
„motorische“) Rindenterritorien beschrankt bleibt. Die Reizung der unter der motorischen 
Rindenschicht liegenden weissen Substanz, Reizung des Corpus striatum, des Thalamus, 
der Capsula interna sind unfahig, wahre epileptiforme Convulsionen hervorzurufen. 

Die Wirksamkeit der zur Provocation der Anfalle geeigneten Reize ist abhangig 
von dem Grade der Excitabilitat der Nervencentra. Letztero kann durch verschieden- 
artige Einfliisse zu- oder abnehmen. Sie nimmt zu durch toxische Substanzen (Strychnin, 
Absinth, Atropin, Cannabin etc.) und besonders durch einen leichten Grad entzdnd- 
licher Reizung dor Nervenelemente. Sie wird verringert oder aufgehoben durch 
anasthesirende Inbalationen (Aether, Chloroform), durch intravenose Injection von 
Chloral, durch Asphyxie, durch locale Aetheraufstaubung auf die graue Corticalschicht. 
Bei gewissen Thieren (Hund, Katze) ist die motorische Zone zur Zeit der Geburt 
noch nicht excitabel; man kann erst einige Tage nach erlangter Reizbarkeit des 
Gehirns eine corticale Epilepsie hervorrufen. Im Allgemeinen schwachen oder be- 
seitigen alle Agentien, welche die Gehirnexcitabilitat fiberhaupt schwachen oder auf- 
heben, auch die Geneigtheit der Yersuchsthiere zu epileptiformen Convulsionen; und 
umgekehrt. — Die durch Himtraumen erzeugte Epilepsie kann auf die Nachkomraen 
vererbt werden, ohne dass sich bei Letzteren irgendwie merkliche Himveranderungen 
fanden. 

Die experimentell bei Hunden hervorgerufene Rindenepilepsie ist nach F. und P. 
in ihrer Natur und ihren Aeusserungen der sogenannten corticalen (Jackson’schen) 
Epilepsie des Menschen durchaus ahnlich, und die aus der Untersuchung jener her- 
geleiteten Ergebnisse konnen auch auf die von Rindenreizung abh&ngige Epilepsie des 
Menschen in gleicher Weise Anwendung finden. 

Wie schon in fruheren Arbeiten, so weisen fibrigens auch hier die Verff. die 
von Luciani vertretene Anschauung zuriick, dass bei der Rindenepilepsie die Rinde 
als „Centralorgan“ der Convulsionen aufzufassen; vielmehr betrachten sie fOr das 
Zustandekommen diffuser oder allgemeiner Convulsionen, fhr die generalisation" des 
epileptischen Anfalls, die graue Substanz des Rtlckenmarks und der Medulla oblongata 
als wesentlich betheiligt und unentbehrlich. Nach ihren Versuchen kbnnen die An- 
falle sich veraUgemeinem, auch wenn ein grosser Theil der motorischen Zone vorher 
zerstdrt wurde, und werden femer die durch Hirnrindenreizung provocirten 
Convulsionen durch plbtzliche Exstirpation der motorischen Windungs¬ 
abschnitte nicht unterbrochen. (Letzteres behaupten F. und P. im Widerspruche 
mit H. Munck; sie schieben ihr abweichendes Ergebniss dem Umstande zu, dass sie 
die Yersuchsthiere niemals morphinisirten.) Die Gehirnrinde ist also noth- 


1 Auf letztere, wenig beachtete Thatsache haben Eulenburg und Landois schon 
vor 7 Jahren aufmerksam gemacht (Kochsalzapplication auf der Rindenoberflache bei Hunden; 
vergl. Virchow'B Archiv, Bd. 68). 


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wendig, um den Anfall zu erringen, aber ist nicbt „Organ der Convul- 
sionen“ Sie bewirkt letztere vielmehr, indem sie tiefer liegende Centren in einen 
analogen Spannnngszustand versetzt, wie der, in welcbem sie selbst sich befindet; 
diese (medullaren Oder bulbaren) Centren sind es dann, welche durch ibre Entladung 
die Convulsionen — nunmehr selbststandig und unabhangig von der Himrinde — 
produciren. In der scbeinbaren Unerregbarkeit der grauen Rfickenmarkssubstanz 
glauben die Verff. kein Hindemiss dieser Hypotbese zu linden. 

A. Eulenburg. 


5) Berioht fiber den Eisenbahnzusammenstoss auf dem Heidelberger Bahn- 
hof am 30. Mai 1882 nebst Bemerkungen iiber Storungen des 
Centralnervensystems naoh EisenbahnunfUllen von C. Jungst. (Zeit- 
schrift fQr Heilkunde. 1883. Bd. IV. H. 3 u. 4. S. 281.) 

J. giebt eine ausffthrliche Darstellung der an den zablreicben Opfem des Unglficks- 
failes beobacbteten kliniscben, cbirurgiscben sowohl wie nervOsen Erscbeinungen, zum 
Theil aucb mit Sectionsbefunden, die jedocb einem kurzen Referate nicht zuganglicb 
sind; seine neuropatbologischen Beobacbtungen verbindet er mit der bekannten Literatur 
zu einer zusammenfassenden Darstellung des Gegenstandes. A. Pick. 


6) Note sur on oas de mydlite ohronique diffuse oompliqude d’aeoidents 
apopleotiformes suivis de mort par C. Giraudeau. (Revue de m&lecine. 
(1883. Novembre p. 972.) 

Bei einem 60jabr. Manne entwickelte sicb seit Beginn des Jabres 1883 eine 
Atropbie beider Nn. optici. Am 10. Mai desselben Jabres stellte sicb ein 
plOtzlicber Scbmerz in der Kreuzgegend ein und wenige Stunden darauf eine 
fast complete Labmung beider Beine, verbunden mit einer starken Sensibilitats- 
stbrung und Incontinentia urinae. Reflexe nicbt untersucbt. Am 18. Mai trat, wiederum 
ganz plOtzlicb, Bewusstlosigkeit und schnarchende Respiration ein, und 10 Minuten 
spater starb der Kranke. 

Bei der Section fand sicb eine ziemlicb starke cbroniscbe Arachnitis spinalis 
und im Lendentbeil des Rfickenmarks ein fiber mebrere Centimeter sicb aus- 
debnender acuter Erweicbungsherd, welcber von zablreicben kleinen Hamorrha- 
gien durchsetzt war. Das verlangerte Mark und die Brttcke erscbeinen auffallend 
fest und sklerotiscb, ersteres etwas atrophiscb. Ausserdem zeigt die Aracbnoidea 
auch hier zahlreicbe bindegewebige Verdickungen. Das Gehirn ist vollstandig nor¬ 
mal. — Die mikroskopiscbe Untersuchung ergab, dass sowobl im verlangerten 
Mark, als aucb im Rfickenmark von den verdickten weicben Hauten aus sicb zabl- 
reicbe breite bindegewebige Streifen in das Rfickenmark hineinzogen. Namentlicb 
waren alle eintretenden Gefasse von einer breiten bindegewebigen Scbeide umbfillt, 
ibre eigenen Wandungen verdickt. In der Randzone des Rfickenmarks fanden sicb 
zablreicbe bindegewebige Horde, innerbalb welcber die Nervenfasem deutlicb ver- 
scbmalert erscbienen. An einzelnen Stellen zeigten sicb aucb kleine Gruppen „byper- 
trophiscber" (gequollener) Axencylinder. Der Erweicbungsherd bestand aus rotben 
Blutkfirpercben, FettkCmcbenzeUen und Detritus. 

Der Fall ist demnach aufzufassen als eine cbroniscbe, wie es scheint, lange 
symptomlos verlaufende Arachnitis mit Betheiligung des Rfickenmarks und des Bulbus. 
Die im Mai plOtzlich eingetretene Labmung beziebt sicb auf den bamorrbagiscben 
Erweicbungsherd im Lendenmark, der letzte tCdlicbe Insult wahrscheinlich auf eine 
pldtzlicb eintretende Circulationsstfirung in der Oblongata. Strfimpell. 


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7) Perimeningitis et myelitis bulbi acuta von Burzew. (Jesbenedjelnaja klini- 
tscbeskaja Gazeta. 1883. Nr. 26—31. Russisch.) 

Ein kraftiger 38jabr. Bauer erkrankte nacb einer intensiven Erkaltung plotzlich 
an heftigen Kopfschmerzen, begleitet von allgemeinem Unwohlsein und Fieber. Nacb 
3 Wocben gesellten sich in rascber Reibenfolge Labmungserscbeinungen an den Glie- 
dem und am Gesicbt hinzu, nebst ErhChung der Sehnenreflexe, Verengerung der 
linken Pupille, stellenweiser Anasthesie, Hamretention, und 4 Wocben nacb dem 
Anfang der Krankheit trat der Tod ein (Herzlabmung obne cerebrale Erscheinungen). 

Die Section erwies acute Entzfindung des den Cervicaltbeil des Mckenmarks 
umgebenden perimeningealen Bindegewebes und einen ganz friscben Erweicbungsherd 
in der Substanz des Bodens des 4. Ventrikels. 

Yerf. betont das Fehlen jeglicber pathologiscber Veranderungen des Knochen- 
kanals Oder anderer Theile, die zu einer secundaren Entzfindung des bezeicbneten 
perimeningealen Bindegewebes batten fbbren kCnnen, und siebt letztere als primar 
entstanden an. Die friscbe Erweicbung im verl&ngerten Mark, die sicb als hamor- 
rhagiscber Herd erwies, fasst er als Folge einer durcb den perimeningealen Ent- 
zfindungsprozess bedingten Sterung des Blutkreislaufs auf. Die Seltenheit des Vor- 
kommens primarer perimeningealer Entziindungen ergiebt sicb daraus, dass Yerf. in 
der Literatur nur zwei dem bescbriebenen Falle ahnlicbe vorgefunden bat — einen 
von Lewitzky (Rud new’s Journal. Bd. X. Russiscb) und einen von Lemoine und 
Lannois (Revue de mddecine. 1882). F. Rosenbacb. 


8) May tabes dorsalis sometimes have a peripheral origin? by Herbert 
W. Page. (Brain. 1883. Oct. p. 361—368.) 

Ein bei der Aufnabrae 36jahr. Mann, welcber 18 Jabre zuvor Scbanker und 
Ausscblag gebabt batte, batte vor 8 Jabren von einem Hfibnerauge unter dem Metatar- 
sophalangealgelenk des recbten Halux aus eine Ulceration bekommen, welcbe angeb- 
licb durch „Frostbrand“ zum Verlust der Zebe gefbbrt batte. Ein Jahr spater war 
dieselbe Affection links aufgetreten und der Halux amputirt worden. Erst seit drei 
Jabren bestanden springende Schmerzen. Bei der Aufnahme feblte das Kniephanomen, 
war die Licbtreaction der Pupillen trage, und bestand unzweifelhaft Anastbesie der 
Fusssohlen. Nacb 3 Monaten trat eine exquisite tabische Artbropatbie des linken 
Fussgelenks auf. 

Diese Beobacbtung von Mai perforant als frfibste Krankbeitserscbeinung einer 
Tabes dorsalis giebt dem Verf. Veranlassung, besonders auf Grund der Angaben von 
Savory und Butlin, fiber dem Mai perforant regelmassig zukommende degenerative 
Veranderungen der versorgenden peripberen Nerven, gegeniiber Ball und Thibierge 
(vgl. dieses Centralbl. 1882. S. 128), welcbe die unmittelbare Abhangigkeit von dem 
Rfickenmarksleiden annebmen, aucb mit Rficksicbt auf einen Fall von Treves (vgl. 
dieses Centralbl. 1882. S. 520), die Hypotbese zu ventiliren, ob die Tabes nicbt 
bisweilen einen peripheriscben Ursprung babe (vgl. Westpbal und D6jerine 
dieses Centralbl. 1882. S. 160 u. 191. und 1883. S. 565.) E. Remak. 


9) Case of primary lateral sclerosis or spasmodic tabes by John Hopkins. 

(Brain. 1883. Oct. p. 372—385.) 

Die Rfickenmarksautopsie des 21j&br. Pat. ergab Integritat der Meningen, gela¬ 
tines© Degeneration der Seitenstrange von der Spitze aufwarts bis in den oberen 
Theil der Dorsalregion, reebts bflher hinauf als links. In der Lumbargegend erstreckt 
sich die Degeneration in die Vorderstrange. An einer Stelle waren die Yorderstr&nge 
aucb an der Medianfissur gelatines. Oberbalb der Lendenanscbwellung betraf die 


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Sklerose die Vorderstrange nicht in derselben Ausdehnung nnd holier hinauf warcn 
nur die Seitenstrange afficirt. Nach der Erhartung zeigte sich die graae Substanz 
in einzelnen Fartien besonders im mittleren Dorsaltheil betheiligt. Die mikroskopische 
Untersuchung ergab nahezu vollige Abwesenbeit von Nervenfasem in den Seiten- 
strangen nnd benacbbarten Theilen der Vorderstrange des unteren Endes des Rficken- 
marks. Die grossen Zellen der Vorderhorner waren atrophirt in der unteren Halfte 
des Rfickenmarks mit Ausnahme eines Schnittes, welcher aus der Lumbarregion ent- 
nommen war, in welchem die Zellen an Umfang und Zahl normal waren etc. 

Der klinische Verlauf war eine allmahlich entstandene spastiscbe Paraplegic der 
Unterextremitaten mit Andeutungen von Sensibilitatsstdrungen, Blasencatarrh, Decu¬ 
bitus am Os sacrum und den Trochanteren, schliesslich Abmagerung der Beine (keine 
elektriscbe Untersuchung). 

Wahrend Verf. in seinem Falle eine Verification der Charcot’schen Hypothese 
der primaren Sklerose der Seitenstrange als Basis der Tabes spasmodica erblickt, 
liegt nach der Ansicht des Referenten weder klinisch ein reiner Fall von „spastischer 
Spinallahmung“ noch anatomisch eine unzweifelhafte primare Systemerkrankung der 
Seitenstrange vor. E. Remak. 


10) Etude sur le tabes dorsal spasmodique (Soldrose primitive des fais- 
eeaux latdraux) par Fernand Jubineau. (Thdse de Paris. 1883.) 

Ausser der Besprechung der Literatur eigener Fall mit Sectionsbefund (Arach¬ 
nitis cerebralis, im Londentheil des Rfickenmarks Sklerose der Seitenstrange), doch 
ist dereelbe wegen nicht vollstandiger Untersuchung des Rfickenmarks nicht geeignet, 
die Lehre von der isolirten Seitenstrangerkrankung zu stfitzen. M. 


Psy chiatrie. 

11) Beoiprooal insanity by R. S. Parsons. (The Alienist and Neurologist. 1883. 

IV. p. 591.) 

Ein neuer und interessanter Fall von „inducirtem Irresein" (folie a deux). Zwei 
Schwestern im Alter von 26 und 24 Jahren, von gesunder Constitution, angeblich 
nicht hereditar belastet — doch war ein Cousin geisteskrank und ihre Mutter war 
raindestens sehr wenig begabt — hatten von Jugend auf stets mit einander auFs 
engste vereint gelebt und waren sich seit Jahren in Folge der Arbeitstheilung bei 
ihrem Erwerbe, als Schneidermadchen, vollig unentbehrlich geworden. Sie verkehrten 
mit Niemand, besuchten daher keine Vergnfigungen und lebten einsam mit einander, 
fibrigens im Hause ihrer Eltem und nicht gerade in ungfinstigen Verhaltnissen. 
Ohne bekannte Veranlassung entwickelten sich nun bei Beiden wohl gleichzeitig Ver- 
folgungswahnvorstellungen mit dem Charakter der primaren Verrticktheit: welche der 
Schwestern zuerst erkrankt sei, konnte nicht sicher festgestellt werden. Die ursprfing- 
lichen Wahnideen bestanden darin, dass beide Schwestern sich beklagten, ein gewisser 
Mann wolle die Jfingere von ihnen heirathen; da diese aber nichts davon wissen 
wolle, so quale er sie jetzt beide und habe auch ihre Ueberffihrung in die Irren- 
anstalt bewirkt. Allmahlich spann sich nun aus diesen Wahnvorstellungen ein dichtes 
romantisches Netz urn die beiden Personen. Die Jfingere habe deswegen — so hiess 
es spater — die Bewerbungen jenes unglficklichen Liebhabers, die er durch seine 
Augensprache, sowie durch seine Gesten zu erkennen gegeben habe, zurfickgewiesen, 
weil sie sich selbst schon einen anderen Gatten erwahlt habe. Dass der Gegenstand 
dieser einseitigen Wahl durchaus damit einverstanden sein mflsse, schien beiden 
selbstverstandlich. Nun seien aber auch ihre Eltem gegen sie aufgetreten und 


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hatten die jfingere Tochter zwingen wollen, einen Dritten zu heirathen. Sie hatten 
zirar Die da von gesprochen, aber ihre Absichten batten sie durch Zeicben verrathen 
und als sie den Widerstand der M&dcben bemerkt h&tten, batten sie dieselben kfihl 
nnd gelegentlich sogar scblecbt bebandelt. Spater erkannten die Madchen freilich, 
dass sie sicb anfanglich selbst geirrt batten: der zaerst verscbmabte Liebbaber babe 
sie namlich nie verfolgt, dies batten vielmehr, „wie sie seit einigen Wochen“ wfissten, 
nur ibre eigenen Eltem and die F&milie des yon den letzteren ausgesacbten Brau- 
tigams veranlasst. Zuletzt freilich hfitten sicb aucb nocb die Aerzte der Irrenanstalt 
in die Jfingere verliebt und batten die nichtswttrdigsten Yersuche gemacht, ibre Ein- 
willigung zu erzwingen etc. etc. 

Besonders interessant ist es, in der ausffihrlichen Krankengescbicbte zu beobachten, 
wie mit der Ausbreitung der Wahnideen aucb die Bildung cbarakteristiscber Kunst- 
ausdrficke bei beiden Personen in identiscber Weise vor sicb gegangen ist; endlich 
ist nocb zu erwahnen, dass in dem jabrelangen Yerlaufe der Erankbeit bei Beiden 
langere Bemissionen eingetreten sind, sobald sie in der Anstalt von einander getrennt 
worden waren. Nach der mehrfach mfiglich gewordenen Entlassung sind die Scbwestem 
freilich jedesmal wieder trotz aller Abmabnungen in den frfiheren engsten Yerkebr 
zu einander getreten; die Folge war, dass immer nach nur kurzer Frist die Wahn- 
vorstellungen wieder das Uebergewicbt erbielten und die Patientinnen daber wegen 
ihres drohenden und gewaltth&tigen Auftretens von neuem der Anstalt zugeffihrt 
werden mussten. 

Zum Schluss der lesenswertben Arbeit wirft Yerf. nocb die Frage auf, ob nicbt 
scbon allein in Rficksicht auf die mOgliche „Infection“ der anderen, besonders der 
jugendlicben und weiblichen Familienmitglieder die Entfemung eines frisch Erkrankten 
aus dem Ereise der AngebOrigen dringend wfinschenswerth sei. Sommer. 


12) Sopra un caso di paralisi generate progressiva degli alienati a forma 
oiroolare, considerate in rapporto alia temperatura, nota del dott. 
Ugo Maccabruni. (Arch, italian. per le malattie neryose. 1883. p. 461.) 

Nach einer ausffihrlichen Besprecbung der hierher gebCrigen Literatur fiber 
Paralyse mit circularem Yerlauf tbeilt Yerf. einen selbst beobachteten Fall von Para¬ 
lyse bei einem 50jabrigen Hereditarier mit, in dem sicb langere Zeit hindurch ganz 
regelmassig Erregungszustande mit den gewfihnlicben Grdssenwahnvorstellungen und 
Perioden melancholisch-hypochondrischer Depression abwechselten. Die Dauer der 
ersteren war gewdbnlicb bedeutend langer als die der letzteren; ibre Maxima waren 
20 resp. 5 Tage. Dies circulare Stadium hielt fast 5 Monate an; nachber verfiel 
Pat. scbnell in den tiefsten BlSdsinn mit fortscbreitender Lahmung der Efirperkrafte, 
der er nacb weiteren 3 Monaten erlag. Die Gesammtdauer der Paralyse batte etwa 
3 Jahre betragen; ein epileptiformer Anfall, eingeleitet von einer praeparoxysmellen 
Temper&tursteigerung bis 38,9, war scbon im Beginn des circularen Stadiums zu 
beobachten gewesen, und spfiter traten nocb einigemal Gongestionserscbeinungen mit 
apoplectiformen Symptomen auf. 

Yon dem Gedanken ausgebend, die circulare Form konne mit einem entsprecbenden 
Schwanken der Temperatur einbergeben, liess nun Yerf. regelmassig die letztere 
messen, und zwar in der Acbselbfible, nacbdem er die gegen diese Metbode gerade 
bei Paralytikem erbobenen Einwfirfe ffir den vorliegenden Fall zurfickgewiesen. 

Das Besultat entspracb indess seinen Yoraussetzungen nur in sebr geringem 
Maasse. Die Durchschnittstemperatur wahrend der Exaltation betrug nfimlich 36,6 
und wahrend der Depression 36,9, Differenzen, die Yerf. ffir zu unbedeutend hfilt, 
um darauf bin ein bestimmtes Urtheil abzugeben. Im Uebrigen scbliesst er sicb 
den Erfahrungen neuerer Forscber, wie Erfimer, Mendel u. A. an, indem er der 


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Paralyse einen fieberlosen Yerlauf, oft gar mit subnormalen Temperaturen, vindicirt. 
Fieber bei einem Paralytiker sei stets auf eine somatiscbe Complication zurftckznfahren 
und unter Umstanden seien anscheinend normale Temperaturen bei derartigen Kranken 
schon als leicht febrile zu betrachten, indem deren wirkliche normale Warme viel- 
leicbt zwischen 35 und 36 Grad lage. 

Da der Temperaturverlauf keinen Anhalt far die Erklarung der circularen Form 
gegeben hat, so empfiehlt Yerf. eine Theorie des Prof. Mairet in Montpellier (De 
la demence melancholique) zur eventuellen Prafung: Mairet leitet die Depression 
gewisser Paralytiker yon einer vorwiegenden Erkrankung der Hirnbasis ab, wahrend 
die gew6hnliche Erregung mit Grossenwahn etc. im Allgemeinen von den Lasionen 
der Convexitat abhangen solle. Je nachdem nun die Congestion mehr auf die Basis 
oder auf die Convexitat beschrankt sei, kame es vielleicht zu diesen Oder jenen ent- 
gegengesetzten Symptomen in ihrem psychischen Verhalten. Der bekannte Einfluss 
der Hereditat auf das Zustandekommen circularer GeistesstSrungen wird durch die 
Mairet’sche Hypothese allerdings gar nicht in Rechnung gezogen. Sommer. 


Therapie. 

13) Beitrag but Fathologie und Therapie der Ferforationen der Shrapnell’- 
sohen Membran von Hessler. (Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XX. H. 2. S. 121.) 

Zwei der vom Yerf. mitgetheilten Falle zeigen den ja auch schon aus zahlreichen 
anderen Beobachtungen bekannten Zusammenhang zwischen schweren nervdsen resp. 
psychischen St5rungen und Erkrankungen des Ohres, hier einem chronischen Eiterungs- 
prozesse hinter der Membrana flaccida Shrapnelli. Das eine Mai handelte es sich 
um epileptiforme Paroxysmen, welche regelmassig mit einer von dem afficirten Ohre 
ausgehenden sensiblen Aura begonnen und die ganzlich verschwanden, als das Ohren- 
leiden geheilt war. Bei der zweiten Patientin bestanden neben Kopfschmerz, man- 
gelndem Schlaf und excessiver Kraftlosigkeit h6chst beunruhigende psychische Er- 
scheinungen, namlich zeitweises Irrereden, Yerlust des Erinnerungsvermbgens und eine 
solche Geistesschwache, dass das Madchen nicht mehr die Bezeichnungen far die 
gewohnlichsten Gegenstande wusste, nicht mehr den Stand der Uhr ablesen konnte etc. 
Desgleichen verlangte sie nie von selbst Nahrung, sondern ass nur, wenn sie gefattert 
wurde. Auch in diesem Falle verloren sich bei einer geeigneten Localbehandlung 
des Ohres alle die genannten cerebralen Symptome vollstandig. Blau. 


14) On alcoholic cerebral and mental disorders by Alex Robertson. (Yor- 
trag in der med. chir. Society am 5. Oct. 1883. — Glasgow med. Journ. 1883. 
XX. 6. p. 448.) 

R. meint, bei einem Theile der durch Alcoholmissbrauch neuropathisch gewordenen 
Individuen wirkt der Alkohol vorzugsweise auf die motorischen Centren; bei einer 
zweiten Gruppe auf die speciellen Sinnescentren (und zwar zuweilen einseitig: uni- 
laterale Hallucinationen); bei einer dritten auf die vasomotorischen und die (secre- 
torischen) Schweisscentren. — Weiter verbreitet sich R. aber die Behandlung des 
Delirium tremens. Anfangs abte R. die „Opium- und Whisky-Behandlung" (in 
einem Falle, der genas, enorme Dosen von Beiden); spater fand er das Leiden auch 
durch einfache Emahrung des Kranken heilbar, jedoch wirke Chloralhydrat allein 
oder zusammen mit Bromkalium, oder auch kleine Dosen Opium, nicht selten be- 
schleunigend. Schliesslich erwahnt R. auch Tart. stib. und Tinct. Dig. in grossen Dosen. 

In der Discussion meint Murdoch Cameron, dass die ungleiche Wirkung des 
Chloralhydratfl von Anwendung unreinen Praparates herrtihre! 


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Scott Orr rUhmt Opium in kleinen Dosen, Tart. stib. als „Contrastimulus“, und 
Bromkalium. 

Wallace Anderson erklart letzteres ftkr das wirksamste Mittel. 

Hugh Thomson erz&hlt einen Fall, in dem durch Chloroform-Inhalation Del. 
tremens hervorgerufen wurde; gleiches kOnne auch durch Chloral geschehen, dieses 
und ahnliche Mittel tibten, obgleich schlafmachend, doch bei Del. tremens keinen 
curativen Effect 

Lapraik rath in der Behandlung zu individualisiren; in einem Fall© begann er 
mit kleinen Dosen Tart, stib., gab dann Pulv. Jalap, comp, und kleine Dosen Chloral 
und Bromkalium mit gfinstigem Erfolge. 

Fergus betont die Auseinanderhaltung von Del. tremens und Dipsomanie. Bei 
ersterer meist gar keine Medicaments, sondem Lagerung im dunkeln Zimmer und 
Kraftigung durch starken beef-tea u. dgl. — Bei Dipsomanie „mehr mechanische und 
moralische als arztliche Behandlung'*, absolute Abstinenz; bei Rtickfalligen Cayenne- 
Pfeffer in vollen Dosen als bestes Arzneimittel. 

Auf eine Anfrage von Carsewell erwiedert schliesslich Robertson, dass er 
Chloral in der Regel nur in Dosen von 20—30 Gran (=1,2—1,9 g) verabreichte. 

A. Eulenburg. 


16) Nervstr&ekning af Dr. Ivar Svensson. (Arsberattelse fr&n Sabbatsbergs 
sjukhus i Stockholm f5r 1882. Stockholm 1883. S. 127.) 

Verf. dohnte bei 2 an Tabes dorsalis leidenden Mannera beide Ischiadici in der 
Mitte des Schenkels. Im 1. Falle besclirankte sich der Nutzen der Operation darauf, 
dass die Temperatur der Beine h5her und die Ham- und Faecalentleerung geregelter 
wurde und nicht mehr unfreiwillig geschah, ein halbes Jahr spater aber war wieder 
alles wie vor der Operation. Im 2. Falle, in welchem, jedenfalls in Folge von Durch- 
trankung des Verbandes mit Ham, die Operationswunden nicht per primam intentionem 
heilten, war der Erfolg ein ahnlicher, namentlich zeigte sich nach der Operation 
Besserung in Bezug auf die Ham- und Kotheutleerung, aber der Kranke erklarte 
spater, dass die Ungelegenheiten, die er in Folge der Operation gehabt habe (heftige 
und oft auftretende Krampfanfalle in der ersten Zeit nach der Operation, Decubitus) 
grosser seien als der Nutzen. Demnach sind Verf.s Resultate durchaus nicht sehr 
aufmuntemd. Gflnstige Resultate, die erzielt worden sind, lassen sich, wie Verf. 
meint, vielleicht am besten durch die Annahme erklaren, dass in solchen Fallen eine 
andere, den Symptomen nach der Tabes wesentlich gleiche Krankheit, aber mit weniger 
schwerer Prognose, vorgelegen habe. Auch in einem Falle von Krampf im Aus- 
breitungsbezirk des N. accessorius Willisii, in dem nicht bios der Stemodeidomastoideus, 
sondem auch verschiedene andere Muskeln am Kinp, an der Schulter und dem Arme 
von klonischen Krampfen ergriffen waren, hat Verf. von der Dehnung des Nerven 
kaum einen Nutzen gesehen. Als Hfilfsmittel bei Nervenresectionen gegen Neural- 
gien hat die Nervendehnung, wie Verf. hervorhebt, den grossen Nutzen, dass es durch 
sie mOglich wird, die Resection naher nach dem Centmm zu auszufhhren. In eiuem 
Falle dehnte und resecirte Verf. wegen langwieriger Neuralgien den N. frontalis und 
in zwei den N. infraorbitalis nach diesem Principe, in den beiden letzteren Fallen 
brannte er ausserdem den Canalis infraorbitalis mit einer glhhenden Platinspitze aus. 
In alien drei Fallen wurde die Neuralgie vollstandig beseitigt, obwohl sie sich in 
einem Falle auf einen viel grossem Umkreis ausdehnte, als der vom N. infraorbitalis 
innervirte. Walter Berger. 


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Forensische Psychiatrie. 

16) Be la Morphinomanie dans ses rapports avee la mddecine ldgale 
(Afflaire Fiquet) par Marandon de Montyel. (L’Encdphale. 1883. 
No. 6. p. 667.) 

M. erdrtert an der Hand des „Falle8 Fiquet" die Beziehungen der „Morphino- 
raanie" zur gerichtiichen Medicin. Der Fall betrifft eine Ifignerische lfiderliche Person, 
welche ein Kind mit sich gelockt und getddtet hat. Sie war Morphinisms nnd inji- 
cirte sich bis zu einem Gramm pro die. Ffir die gerichtsarztliche Beurtheilung ist 
die Dosis gleichgultig, es kommt auf die Resistenzfahigkeit des Individuums an. Die 
Morphinomanie beweist dberhaupt an sich nichts ffir den Geisteszustand, sie ist an 
und ftlr sich keine Psychose. Das Morphin ist eben ein Genuss- und Beizmittel, wie 
der Tabak, der Alcohol. Es ffihrte auch bei der betreffenden Person durchaus keine 
Veranderung ihres Yerhaltens herbei. Nach wie yor war sie lfignerisoh, intriguant 
und in unmoralische Handel yerwickelt, frequentirte die Sprechstunden der Aerzte 
und liess sich in Hospitaler aufnehmen. Nach der Verhaftung des Morphins ent- 
wdhnt, zeigte sie die gewfihnlichen kfirperlichen Stfirungen, einige hysterische „Anfalle“ 
simulirte sie. Sie heuchelte Amnesie ausschliesslich ffir die Zeit des Verbrechens, 
sonst war ihr Gedachtniss fiberall treu. Auch die die That begleitenden Umst&nde 
sprechen fQr vorherige Ueberlegung und bewusstes logisches Handeln. Nachher ver- 
suchte sie noch Hallucinationen zu simuliren. 

Es fragt sich, welchen Einfluss hat die Morphinomanie auf das Seelenleben. M. 
unterscheidet den Zustand des regelmassigen Genusses von dem der Enthaltung 
(„puissance“ — „abstinence“), bei der „puissance“ unterscheidet er die Periode der 
Euphorie und die des kOrperlichen und geistigen Marasmus. Der ersteren (Euphorie) 
erkennt er die Zurechnungsfahigkeit zu, die Personen der marastischen Periode sind 
Kranke. Entzieht man dem Morphinomanen das gewohnte Stimulans, so ist er eben- 
falls als ein Kranker zu betrachten. 

Hiernach musste M. die Figuet ftlr zurechnungsfahig erkl&ren. Verdfichtig war 
die Sucht, zu simuliren, auch blieb der Fall deshalb unklar, weil kein rechtes Motiv 
zur That aufzufinden war. M. plaidirte daher ftlr mildernde Umstande, indem er 
ihre Charakterschwache, ihre Unsfcfitheit und ihr mangelhaftes Urtheil berflcksichtigte. 

Bei einer emeuten Exploration schloss Blanche sich diesem Gutachten an 
(Annal. m6d. psych. 1883). Die Figuet wurde zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurtheilt 

_ Siemens. 


m. Aus den Oesellsohaften. 

Vortr&ge, gehalten w&hrend. der 51. Jahresversammlung der British Medical 
Association in Liverpool, August 1883. (The British Medical Journal. 
1883. 29. Sept.) 

Bevan Lewis, West Riding, las fiber die Beziehungen der Localisations- 
bestrebungen zur Psychologic. Der Vortrag, der sich im Allgemeinen ffir die 
Berechtigung der bisher aufgestellten Rindencentra aussprach, und der you einer sorg- 
faltigeren Ortsbestimmung der erkrankten Partien, was Lage, Grosse und Tiefe der 
Zerst5rung betrifft, ffir die Zukunft noch weitere und wesentlich genauere Aufschlfisse 
in Aussicht stellte, kann nicht durch ein kurzes Referat erledigt werden; es muss 
daher auf das Original und besonders auf die p. 626 und 627 mitgetheilten Kranken- 
geschichten verwiesen werden. Die betreffenden 12 Patienten hatten fast ausschliess¬ 
lich motorische Stfirungen der rechtsseitigen Extremitaten (Hemiplegien, Paresen oder 
epileptiforme Attaken) und verschiedenartige Formen der Aphasie, Agraphie etc. ge- 
zeigt; bei ihrer Autopsie fanden sich zwar regelmassig Affectionen der Corticalis oder 
der Hirnganglien, aber nicht immer entsprachen dieselben den nach den heutigen 


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Kenntnissen fiber Localisation zn stellenden Diagnosen ihrer Lage. Speciell seien in 
dieser Hinsicht die Falle VI nnd XII erwahnt. 

In der sicb anschliessenden Discussion theilte Beach, Darenth, unter Anderem mit, 
er habe bei zwei tauben Idioten, in Uebereinstimmung mit den bekannten Angaben 
Ferrier’s, einen beiderseitigen Bildungsdefect der ersten Temporalwindung beobachtet. 
Indessen dfirfe andererseits ans der anscheinend normalen Ausbildung gewisser Rinden- 
bezirke nicht ohne Weiteres auf ihre vollstandige Functionsfahigkeit geschlossen werden. 
So mfisse man z. B. mit ziemlicher Sicherbeit die Stirnlappen ffir den „Sitz der In- 
telligenz" halten, and docb seien dieselben gerade bei Idioten oft sehr kraftig ent- 
wickelt, ja bei 2 Mikrocephalen mit einem Himgewicht von 218 resp. 622 Gramm 
(7 resp. 20 Unzen engl. Medizingew.) seien sie grosser als unter normalen Verhalt- 
nissen gefunden worden. In derartigen Fallen kOnnten seichte Furchung oder mangel- 
hafte Ausbildung der betreffenden Ganglienzellen ffir den psychiscben Defect verant- 
wortlich gemacbt werden. 

Auch Shuttleworth, Lancaster, erwahnte einen Fall von mikrocephaler Idiotie 
bei einem 15jfihrigen Mfidchen, obschon die Frontallappen anscheinend normal waren; 
eine hochgradige Beeintrachtigung des GehOrs, die gleichzeitig bestand, konnte mit 
ziemlicher Sicherheit auf eine Agenesie der ersten Schlafenwindung zurfickgeffihrt 
werden. 

Zum Schluss warnte dann Ireland, Prestonpans, vor allzu pracisen Localisations- 
bestimmungen; es seien schon so viele Centra in der Himrinde angeblich nachgewiesen, 
dass ffir die Intelligenz kaum noch ein Platzchen fibrig bliebe, und er habe in seiner 
vieljahrigen Erfahrung gerade bei Idioten oft genug Gelegenheit gehabt, ausgedehnte 
Zerstfirungen gewisser Rindenbezirke, deren Function fast allgemein anerkannt sei, 
zu sehen, ohne dass im Leben die entsprechenden Symptoms auch nur angedeutet 
gewesen waren. 

Sodann theilte Wiglesworth, Rainhill, die Resultate seiner Untersuchungen 
fiber Knochendegenerationen bei Geisteskranken mit, nachdem er fiber die englische 
Literatur dieser Frage eine kurze Uebersicht gegeben hatte. Er hatte ausschliesslich 
die Rippen mit Rficksicht auf ihre haufigen Brfiche bei Irren untersucht, und zwar 
stammte das Material von 30 Geisteskranken (9 mannl und 21 weibl. mit einem 
Durcbschnittsalter von 47,6 Jahren) und zur Feststellung der normalen Verhaltnisse 
von 8 Geistesgesunden (2 mannl. und 6 weibl. im mittleren Alter von 31 Jahren). 
Die dnrchschnittliche Dicke der Compacta, die ja hauptsachlich den Schutz gegen das 
Zerbrechen gewahrt, betrug nach 44 Messungen der normalen Rippen 0,59 mm; nach 
175 Messungen an Irren aber nur 0,32 mm, also kaum die Halfte von der Machtig- 
keit jener. Nur bei einer kleinen Zahl der Irren schienen die Rippen normal; bei 
einer bedeutenden Majoritfit war die fiussere Schicht entsprechend den obigen An¬ 
gaben stark verdfinnt, wahrend die Haversi’schen Canale dilatirt waren; doch dflrften 
diese Abnormitaten wohl mehr auf allgemeine ErnahrungsstOrungen und auf das 
hOhere Alter der Untersuchungsobjecte zurfickzuffihren sein; eine ffir Geisteskranke 
specifische Degeneration der Rippen konnte nur in 3 Fallen beobachtet werden, was 
fibrigens immerhin 10°/ o ausmachen wfirde. Es handelte sich bier um eine Osteo- 
porose, die von innen nach aussen vorschreitend Vacuolen bis zu einer Lange von 
2,3 mm und bis zu einer Tiefe von 0,42 mm in der Rindensubstanz erzeugte, und 
die bei den Rippen Geistesgesunder niemals beobachtet wurde. W. neigte daher der 
Ansicbt zu, wenigstens ein Theil der Knochenbrfiche, die bei Irren ja so hfiuflg durch 
verhaltnissmassig geringffigige Einwirkungen veranlasst wfirden, sei auf eine derartige 
AushOhlung und Yerdfinnung der compacten Rinde zurfickzuffihren. Jene 3 Ffille 
betrafen fibrigens keinen einzigen Paralytiker. 

Mercier, Stone, berichtete dann fiber eine Scharlachepidemie, die durch das 
haufige Auftreten ausgepragter Yerfolgungsdelirien bei den jugendlichen Patienten 
merkwfirdig war. Alle Scharlachfalle hatten einen milden Yerlauf genommen und 


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befanden sich bereits in der Reconvalescenz, ohne Fieber nnd ohne Albuminurie; alle 
hatten aber Anginasymptome dargeboten. Am 11. Tage nach dem Ausbruch der 
Krankheit wurden 2 Knaben, die tibrigens in getrennten Raumen schliefen, gegen 
Abend unerwartet unruhig; unter zunehmender Erregung sprachen und larmten sie 
dann fast die gauze Nacht und liessen dabei deutliche Verfolgungsvorstellungen er- 
kennen, die sich zuletzt in thatlichen Angriffen auf ihre Umgebung als auf die ver- 
meintlichen Verfolger und Qualgeister ausserten. Nach diesem Schlaf erwachten sie 
am nachsten Tage ohne jede Erinnerung an das Vorgefallene. In den nachsten Tagen 
erkrankten noch 3 andere Knaben unter denselben nachtlichen Delirien, und diese 
wiederholten sich fast 3 Wochen lang, allmahlich allerdings schwacher und undeut- 
licher werdend. Auch am Tage war unmittelbar nach den Hauptmahlzeiten eine 
leichte und schnell vorhbergehende GeistesstOrung regelmassig zu beobachten. Da 
der intermittirende Charakter der Anfalle die anfangliche Ansicht, man habe es mit 
einer der postdiphtherischen Lahmung analogen Erkrankung des Centralnerven- 
systems zu thun, im weiteren Yerlauf unwahrscheinlich machte, und da jede Temperatur- 
steigerung fehlte, ein febriles Delirium auch nicht anzunehmen war, wahrend der 
elende leere Puls bei alien diesen Deliranten auffiel, so wurde als ursachliches Moment 
die auch sonst evidente Anamie der Patienten betrachtet. Das Auftreten der Delirien 
bald nach der Nahrungsaufnahme und zur Schlafzeit, also in Zeitpunkten, in denen 
sich schon unter normalen YerMltnissen eine relative An&mie des Gehirns einzustellen 
pflegt, sprach ebenso wie der Erfolg der excitirenden und roborirenden Behandlung 
ffir die Richtigkeit jener Hypothese. In alien Fallen trat flbrigens vdllige Genesung ein. 

Endlich wurde noch ein casuistischer Beitrag zur Kenntniss der epileptischen 
Psychosen von Baker und Mickle mitgetheilt. Es handelte sich hier um einen 
charakteristischen postparoxysmellen Dammerzustand mit religiCsen und melancholischen 
Wahnvorstellungen. Durch Rasiren des Haupthaares und der Pubes schien sich der 
25jahrige Patient auf Befehl Gottes, mit dem er sich laut unterhielt, zum Tode vor- 
bereitet zu haben, und war im Begriff, mit einem Rasirmesser sich den Hals abzu- 
schneiden, als sein entsetzter Bruder die Thtir sprengte und ihn festzuhalten ver- 
suchte. Ein hartnackiger Kampf entspann sich, in dom der Kranke sich zahlreiche 
Wunden beibrachte, bis endlich ausreichende Hiilfe erschien und den Unglticklichen, 
der liber und iiber mit Blut bedeckt war, bandigte. Als der Anfall dann vorflber 
war, bestand nur eine theilweise Amnesie; er erinnerte sich sehr wohl seiner Selbst- 
mordversuche, wusste aber nichts von dem Kampfe mit seinem Bruder u. s. w. 

Sommer. 


Royal medical and chirurgical Society. Session of the 23. Oct. 1883. (The 
Lancet. Oct. 27.) 

Nachdem der President Marshall die Verleihung des Marshall-Hall-Preises 
an Ferrier officiell verkttndet hatte, gab der Letztere in seiner „Marshall-Hall Prize 
Ovation" eine Scizze der neueren Fortschritte in der Physiologic und Patho- 
logie des-Nervensystems. 

Nach einer kurzen Reminiscenz an die alteren Bestrebungen von Marshall Hall 
auf der einen, Flourens auf der anderen Seite knhpft F.’s Vortrag direct an die 
durch die grundlegende Arbeit von Fritsch und Hitzig inaugurirte Epoche in der 
Gehimphysiologie. Er erinnert an seine Discussion mit Goltz auf dem Londoner 
internationalen Congress, durch welche seines Erachtens der Nachweis der Localisation 
bestimmter Functionen in der Gehirnrinde, wenigstens ftlr ein Wirbelthier ausser 
Zweifel gestellt sei. Ein eingehendes Studium der vergleichenden Physiologic nie- 
derer Thierarten im Zusammenhange mit einer vervollkommneten Technik der experi- 
mentellen Bearbeitung des Grosshims mhsse nothwendiger Weise allmahlich dem 
Localisationsprincip zum Durchbruch verhelfen. Als Grundlage dieser differenten 


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Functionen verschiedener Gehirnpartien spricht F. — im Sinne seiner Mheren Aus- 
fuhrungen — anatomische Structureigenthumlichkeiten an und schliesst mit dem 
Wunsche, die Anfange einer chirurgiscben Behandlung intracranieller Prozesse auf 
der Basis der Localisationslehre sich immer fruchtbringender entwickeln zu seben. 

Yon Seiten der Gesellscbaft warden F.’s Ausfdhrungen allerseits mit grosser 
Anerkennung anfgenommen. 

Altbans, der in F.’s Vortrag eine BerfLhrung der Controversen des Yortr. mit 
Hitzig und Munk vermisst, nimmt Veranlassung, den gttnstigen Erfolg elektrischer 
Applicationen in der Gegend bestimmter Corticalpartien als eine kliniscbe Bestatigung 
der Localisationslebre hervorzuheben. 

Prof. Scbafer erinnert an die s. Z. von ibm mit Langley im Auftrage des 
Londoner Congresses ausgefftbrte Control-Untersucbung der Ferrier’schen Gebirne, 
welche zu Gunsten der F.’schen Deutung spracb. Die Goltz’schen Einwande seien 
nur von vergleichend physiologiscbem Interesse, insofern sie den Beweis lieferten, 
dass bei niederen Tbieren die nervbsen Centralapparate Functionen ubernehmen konnen, 
welcbe dem Anscbein nacb den Leistungen bbherer Centren bei b5ber stebenden 
Tbieren nicht unabnlich sind. 

Sbarkey hat in 6 Fallen von L&sion der motorischen Zonen durchaus die 
Yoraussetzungen der Localisationslehre bestatigt und erinnert u. A. speciell an einen 
Fall von Blindbeit bei Zerstbrung des Gyrus angularis. 

Dr. Maclagan regt die Frage nacb der Localisation des „thennischen Cen¬ 
trums" an. 

In seinem Schlusswort erwidert Ferrier kurz auf die Bemerkungen von Alt- 
bans, sowie auf die Frage des letzten Redners, zu deren Beantwortung ibm keine 
eigenen Erfahrungen zu Gebote stohen und verweist dann auf die von ihm mit- 
gebrachton Pr&parate, Gypsabgusse und Photographien von den Gehirnen seiner Ver- 
sucbsthiere. East. 


British Medical Association. 54. Meeting in Liverpool. (Brit. med. Journal. 

1883. August 18.) 

Die unter Betheiligung von ca. 1000 Mitgliedem vom 31. Juli bis 3. Aug. d J. 
in Liverpool abgehaltene 51. Jabres-Versammlung der British Medical Asso¬ 
ciation brachte als ersten Gegenstand in der Tagesordnung der Section fur innere 
Medicin eine Discussion iiber Aphasie , welcbe durch die Betheiligung hervor- 
ragender Neuropatbologen wie J. Hughlings Jackson, Broadbent, Gairdner etc. 
lebhaftes Interesse erregte. 

Der einleitende Vortrag von Prof. Gairdner, Glasgow, gab nicht sowobl ein 
systematiscbes Referat fiber die neueren Arbeiten in der Frage der Aphasie, als eine 
formgewandte und anziehende ErOrterung uber einige psycbologiscbe Fragen bei der 
Genese des gesprochenen und gescbriebenen Wortes. 

Die Ausbildung und Eintibung der Sprache verknfipft sicb nach G. auFs Engste 
mit einer Art von „Herabdruckung“ (^degradation") des ursprfinglicb an die Thatig- 
keit hOberer intellectueller Centren gebundenen Sprachvorganges zu einem Acte halb 
unwillkUrlicber Function tiefergelegener Ganglienapparate. Wie bei einer Reibe an- 
derer complicirter Bewegungsvorgange vollziebt sich der „motorische Theil" des Sprach¬ 
vorganges, der eingelemte Coordinationsmechanismus der Sprache, fOrmlich automatisch, 
ja nocb mehr, aucb eine Reibe taglich gebraucbter gelaufiger Pbrasen, Interjectionen etc. 
verfallen mehr und mebr diesem „spieldosenartig“ arbeitenden Automatismus, dessen 
halbreflectorische Thatigkeit sich jedoch weit weniger von der Herrscbaffc des leiten- 
den bbberen Centrums zu emancipiren vermag als andere Bewegungscombinationen, 
bei denen eine Mitwirkung der Intelligenz nicht so nothwendig in’s Spiel kommt. 
Yortr. erwahnt die von Broadbent u. A. bervorgebobene Erfabrungstbatsacbe, dass 


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die complicirteren Bewegungscombinationen der rechten Hand, sowie der Sprachorgane 
an die Integritat der linken Grosshirnhemisphare gekniipffc sind. Nach Broad bent’s 
Anschauung musste hiernacb bei der halbseitigen Lahmung unter gewissen Verhalt- 
nissen der Sprachvorgang nur insoweit eine Einbusse erleiden, als die intellectuelle 
Thatigkeit dabei unmittelbar betheiligt ist; andererseits mtlssten jene automatisch 
gewordenen eingelernten Phrasen und unwillktirlichen Ausrufe (G. nennt sie „emotional 
language" im Gegensatze" zur intellectual language'*) unter Umstanden dabei unentwegt 
weiterbestehen. Dem entspricht dieklinische Erfahrung von Hughlings Jackson u. A., 
welche solcbe abgerissenen Satze, Flfiche, Ausrufe u. dgl. bei total Aphasischen fort- 
bestehen sahen und sie den inarticulirten Lauten und Schreien Bewusstloser an die 
Seite stellen. 

In eine Kritik der neueren Eintheilungsversucbe der aphasischen Stoning ein- 
tretend, vermag G. zunachst in der Unterscheidung der Paraphasie von der Aphasie 
keinen wesentlichen Fortschritt zu erblicken, obwohl er dieselbe als sachlich gerecht- 
fertigt anerkennen muss. Er erinnert an eigene und fremde Erfahrungen fiber ge- 
wisse aphasische und paraphasische Zufalle in physiologischer Breite, die haufig bei 
den nachstliegenden Worten, ja nicht selten bei einem und demselben Worte wieder- 
holt sich geltend machen. Als eine eigenthumliche Form der „Paranomasie“ erscheint 
der von Thomas Watson mitgetheilte Fall des Sir Wm. Lawrence, der, unfahig 
ein ihm mangelndes Wort zu finden, trotzdem wunderbarer Weise im Stande gewesen 
8ein soil, dasselbe zum Gegenstande eines scherzenden Wortspiels zu machen. 

Weit mehr einverstanden ist G. mit Kussmaul’s Aufstellungen der Wort- 
blind he it und Worttaubheit — obwohl er die meisten seiner aphasischen 
Kranken auch mehr oder weniger wortblind und noch haufiger worttaub gefunden hat. 

Auf zu unsicherer psychologischer Basis steht dem Yortr. die Differenzirung 
einer atactischen und amnestischen Aphasie, insolange wir nicht im Stande 
sind exact von Fall zu Fall zu analysiren, in wieweit bei jedem einzelnen Kranken 
ein Erinnerungsdefect bei der Sprachst5rung mitspielt. Direct auszuschliessen ist die 
amnestische Form der Aphasie nur dann, wenn die Gedankenausserung durch die 
Schrift oder die Fahigkeit Geschriebenes verstandnissvoll zu lesen erhalten ist. Ein 
beruhmtes und schlagendes Beispiel fur das isolirte Erhaltenbleiben der einen oder 
andern dieser genannten Fahigkeiten bietet der Fall Lord Deumans, eines hoch- 
begabten englischen Staatsmannes, der, unfahig zu sprechen und zu schreiben oder 
Gesprochenes aufzufassen, nur im Stande war sich durch Geberden seiner Umgebung 
verstandlich zu machen und trotz alledem mit grossem Interesse und sichtlichem 
Yerstandniss in mehreren Sprachen Lecthre trieb, fiber welche er durch Mienen eine 
sachgemasse Kritik bekundete. Die Aufstellung einer eigenen „Alexie“ halt G. ftir 
fiberflussig. 

Fflr die eigenthfimlichen Modificationen der Bahnen, durch welche die Auffassung 
und Wiedergabe der Bezeichnung eines bestimmten Gegenstandes ihre Centren erreicht, 
dient ein weiterer Fall als Illustration, in welchem bei Erhaltung einer grossen Summe 
„automatischer“ Satzverbindungen nahezu totale Unfahigkeit bestand, Dinge und Per- 
sonen zu benennen und bei welchem nur die VorfQhrung des geschriebenen Worts 
eine wenigstens nahezu richtige Bezeichnung herbeizuffihren vermochte, die freilich 
alsbald wieder vergessen war. Noch eigenthtimlicher erscheint die Krankengeschichte 
eines zum Theil wieder hergestellten Aphasikers, der bei voller Fahigkeit gut Domino 
zu spielen, mit Mflnzen umzugehen etc., weder auf Wunsch die Zahlen z. B. der 
Dominoaugen, zu nennen, noch eine bestimmte ihm aufgegebene Zahl aus einer An- 
zahl von Dominosteinen herauszusuchen vermochte, der endlich die in Worten ge- 
schriebene Zahl nicht entziffem konnte, bei alledem aber im Stande war, durchaus 
prompt jede in arabischen Ziffern ihm aufgeschriebene Zahl abzulesen. 

Zum Schluss bertllirt Vortr. noch kurz die Frage des Einflusses der aphasischen 
Sprachstorung auf den Geisteszustand ihres Tragers und fasst seine Anschauung dahin, 


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dass beim Erwachsenen, der das Hfllfsmittel der Sprache bereits zur Erwerbung eines 
gewissen intellectuellen Funds ausgenutzt bat, im Allgemeinen kein Grund vorliegen 
durfte, eine Sch&digung der Verstandeskrafte, speciell eine Beschrankung seiner Dis- 
positdonsfahigkeit in forensischem Sinne anzunehmen, dass dagegen bei Eintritt der 
Aphasie im Kindesalter der Ausfall eines so wichtigen Bildungsmittels, wie der Spracbe, 
auf alle Falle eine hochgradige Entwickelungshemmung der Intelligenz bedingen und 
so in derartigon Fallen die Aphasie ein sicb aller Voraussicht nach einen mehr oder 
weniger hohen Grad von Imbecillitat herbeifuhren milsse. 

Dr. Huglings Jackson sieht in der ganzen aphasischen Sprachstdrung ein 
interessantes Beispiel der Zerlegung eines complexen Actes in seine Componenten — 
eines Yorganges, den er auch in einer Reihe anderer pathologiscber Processe wiederfindet. 
Jene halb automatischen Inteijectionen und Satze, welche Apbasiker aus dem Unter- 
gange ihres Spracbschatzes noch gerettet haben, richten sich ubrigens ihrem Inhalte 
nach nicht selten nach der Situation des Kranken im Moment der Katastrophe — 
eine Erscheinung, die mit Beispielen belegt und mit gewissen postepileptischen Sto- 
rangen der Sprache in Yergleich gesetzt wird. 

B. J. vertritt die Meinung, dass die rechte Hemisphare bei der mehr „auto- 
matischen" Wort- und Satzbildung in Function zu treten, die linke den intellectuellen 
oder „willkCirlichen“ sprachlichen Leistungen vorzustehen habe. Die sogenannte Para- 
phasie sei nichts anderes, als der Ausdruck der ungebhhrlichen Einmischung der 
„automatischen“ Aeusserungen der rechten Grosshirnrinde — eine Art „verbaler 
Diplopie". Ein sehr haufiges, nicht selten hbersehenes begleitendes Symptom bei 
Aphasischen sei eine meist rechtseitige Hemiopie, die auch bei Individuen mit sog. 
Wortblindheit nicht selten zu constatiren sei. 

Broadbent knfipft an die Bemerkungen Gairdner’s fiber congenitalen Defect 
der Broca’schen Windung an und berichtet uber einen Knaben mit angeborener 
Entwickelungshemmung dieses BLimtheiles, der bei completer Aphasie durchaus nicht 
idiotisch, vielmehr zu Botengangen etc. ganz brauchbar war. Die Eintheilung der 
verschiedenen Formen der Aphasie m5chte er gegenuber Gairdner noch dadurch 
vervollstandigen, dass er alle „Benennungen“ von den gesammten flbrigen Sprach 
objecten abgetrennt wissen will als die Kardinalobjecte des sprachlichen Denkens, fhr 
welche die gesammten ubrigen Sprach wendungen nur als Fassung dienen. 

Seine Erklarung fhr die Art der Betheiligung des Gehirns an der Sprachbildung 
basirt auf der Voraussetzung, dass jedes Sinnesgebiet sein corticales Perceptions- 
centrum besitze. Auf dem Wege einer zweiten Combination werden dann die Ein- 
drticke der einzelnen Perceptionscentren in einem gemeinsamen Centralapparat aufs 
Neue gesammelt und es erfolge unter Mitwirkung vornehmlich der GehOrsvorstellungen 
die „Benennung“ des Gegenstandes. Die Bezeichnungen „Worttaubheit“ und „Wort- 
blindheit" will B. nicht gelten lassen und erklart die bezflglichen klinischen Falle 
durch eine Stdrung in der Verbindung zwischen dem Perceptionscentrum des be- 
treffenden Sinnes und der Centralstatte der Benennung, ohne dass eine ahnliche 
Sprung durch L&sion des betreffenden sensoriellen Perceptionscentrums selbst strenge 
auszuschliessen ware. 

Clifford Allbutt halt es fhr gefahrlich, auf dem von einigen der Vorredner 
betretenen Wege psychologischer Deduction in der Forschung fiber Aphasie weiter zu 
gehen und verspricht sich ungleich mehr Nutzen von einer mehr physicalischen 
Auffiassung des Vorganges. Von diesem Gesichtspunkte aus halt er den Sprachvor- 
gang fur einen in weitem Sinne automatischen, der einerseits unter der Anregung 
centripetaler Eindriicke, andererseits unter der hemmenden Controle hOherer Cortical- 
apparate stehe. 

Fr. W. W. Ireland m6chte den schwachenden Einduss des Mangels der arti- 
culirten Sprache auf die intellectuelle Leistungsfahigkeit mehr betont wissen, als dies 
von seinen Yorrednern geschehen ist und halt dafdr, dass das von Broadbent 


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erw&hnte Kind jedenfalls sehr geistesschwach, wenn auch nicht vOllig idiotisch gewesen 
sein mfisse. 

Drummond wendet sich vor Allem gegen die Existenz einer rein atactischen 
Apbasie ohne alle amnestiscben St6rungen. Er bait den Apbasiker ffir nur bedingt 
dispositionsfahig. 

James Ross pl§,dirt ftir die von Wernicke begrttndete Eintheilung in moto- 
riscbe und sensoriscbe Apbasie, welcbe scbon dnrcb die in einzelnen F&Uen bervor- 
tretenden Ansfallserscbeinungen von Seiten benachbarter Rindengebiete mit verwandter 
Function als rationell erscbeinen mfisse. 

G. A. Woods ^assert seine Ideen liber die anatomiscben Substrate transitoriscber 
apbasiscber Stbrungen etc. Er erinnert femer an die Beobachtung, dass in den 
Fallen von recbtsseitiger Hemiplegie, wo die L&bmung des Beines die des Armes 
tibertrifft, die SpracbstOrung weniger bocbgradig zu sein pflege, behauptet, dass eine 
Rindenlasion der linken Hemisphere f&r den Intellect des aphasiscben Kranken um 
so verbangnissvoUer sei, je weiter sie auf die binter den Stimwindungen gelegenen 
Regionen fibergreift. 

Archibald Cameron sncbt das unabh&ngig von einander zu beobacbtende 
Yorkommen der agrapbiscben und aphasiscben StOrung casuistiscb zu belegen, indem 
er gleichzeitig das frulierc Verschwinden der Aeusserung durcb die Schrift oder durch 
das gesprocbene Wort durch eine individuell verscbiedene Entwickelung der einen 
oder anderen dieser Qualitaten und eine darin begrftndete ungleicbzeitige Ermfldbar- 
keit derselben zu deuten versucbt. 

Als ein interessantes Beispiel einer Emotionsneurose auf dem Gebiete der Sprache 
liefert die von T. Mark Ho veil mitgetheilte Krankengescbicbte eines vorber gesunden 
Postbeamten, der durcb einen r&uberischen Ueberfall eine dauernde isolirte Sprach- 
stOrung acquirirt batte. 

Das Schlussresum6 des Referenten, Gairdner, griff wesentlicb auf die von 
verschiedenen Seiten in differentem Sinne beantwortete Frage der forensischen Zu- 
rechnungsfahigkeit der Aphasiker ein und zwar pricisirt G. seinen Standpunkt schliess- 
licb dabin, dass nicht sowohl nach allgemeinen patbologiscben Grunds&tzen, als nach 
Wfirdigung der individuellen Verhaltnisse von Fall zu Fall das Urtheil iiber die 
Dispositionsfahigkeit gefUllt werden mtisse — eine Aufgabe freilich, welche durcb die 
Schwierigkeiten der Untersuchung baufig grosse Verlegenheiten bereite. 

Fffr criminelle Yergehen seien Apbasische in der Obergrossen Mehrzahl der 
Falle sicber in vollem Maasse verantwortlich. East. 


IV. Fersonalien. 

Unser Mitarbeiter, Herr Dr. Schulz, wurde zum Vorstand der mediciniscben 
Abtbeilung des berzogl. Krankenbauses zu Braunschweig ernannt. 

Fur die Professur der Psychiatrie in Prag sind vorgeschlagen: primo loco: 
v. Krafft-Ebing, secunado loco unser Mitarbeiter Dr. Pick, Director der Irren- 
anstalt Dobran. _ 


V. Vermischtes. 

Bei der Preisvertheilung in der Academic de M4decine zu Paris erhielten den Preis 
Civrieux (Ueber die Ursachen der Tabes): Professor Landouzy und Ballet; den Preis 
Falret (Ueber Schwindel mit Delirium) Gamier. 

Die neuen Preisaufgaben (Arbeiten sind vor 1. Juli 1884 in franzdsiscber oder lateiniscber 
Sprache an die Akademie zu senden) sind, soweit sie die Neurologie interessiren, folgende: 
Preis Civrieux (1500 fr.): Ueber die Sclerose en plaques. 

Preis Lef^vre (2500 fr.): Fftr das beste Werk iiber cue Melancholic. 

Preis Falret (1000 fr.): Ueber Geisteskrankheiten durcb Diathese. 


Yerlag von Vkit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Witttg in Leipzig. 


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Neurologisches Centr alblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomic, Physiologic, Pathologic 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Dr. E. Mendel, 

Dritter Privstdocwit an der Unlrerritit Berlin. J&hrg&llg. 

Monatlich eracheinen zwei Nummera. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Yerlagsbuchhandlung. 

1884. 1. Febrnar. 3. 


Inhalt I. Originalmlttheiliingen. 1. Ueber das Verhalten erkrankter Nerven und Mus- 
keln gegen magnetelektrische Strome von Eulenburg. 2. Ueber die Bedeutung der Vacuolen- 
bildung in den Nervenzellen von Rosenbach. 

II. Reforate. Experimented Physiologic. 1. Riflessi tendinei nei criminal!, 
Nota dei Marro e Lombroso. 2. Disappearance of the tendon reflex, without ascertainable 
pathological basis by Spltzka. — Pathologische Anatomie. 3. Ueber Veranderungen des 
R&ckenmarks in Folge von Dehnung des N. ischiadicus von Tarnowskaja. — Pathologie 
des Nervensystems. 4. Notes on three oases of cerebellar disease by Oliver. 5. Contri- 
buzione alia fisio-patologia cerebellare del Scarpi. 6. Enc£phalite parenchymateuse limitee 
de la substance grise, avec 4pilepsie partielle comme syndrome cliniqae par Danlllo. 7. Gas 
de scldrose lateral© amyotrophique, la d4g£n6rescence des faisceaux pyramidaux se pro pageant 
a travers tout Eencepbale par Kojewnikoff. 8 . Cas de sclerose laterals amyotrophique avee 
autopsie par Marie. 9. Contribution a Pbistoire de la maladie de Thomsen par Marie. — 
Psychiatrie. 10. Sur la theorie de la paralysie gdndrale par Baillarfer. — Therapie. 
11. Tilfalde af traumatisk Tetanus med hetdig Udgang, meddelt af PetrSus. 

III. Aus dea Gesellschaften. 

IV. Blbliographle. 

V. Vermischtes. 


I. Originalmittheilungen. 

1. Ueber das Verhalten erkrankter (degenerirter) Nerven 
und Muskeln gegen magnetelektrische Strome. 

Von A. Eulenburg. 

Schon vor einem Jahre habe ich, veranlasst durch cine anderweitige, nicht 
hierbergehorige Beobachtung, das Verhalten der Muskeln gegen magnetelektrische 
Strome in zwei Fallen vorgeschrittener EaR (schwere rheumatische Facialpara- 
lysen) einer Prflfung unterzogen, jedoch mit negativem Ergebniss, d. h. ich fand, 
wie ich auch vorher vermuthete, keine Abweichnng von dem Verhalten gegen 
die gewohnlichen voltaelektrischen Inductionsstrome. 

Nachdem nun vor einiger Zeit Jolly 1 uber das Verhalten degenerirter 


1 Section fftr Psychiatrie und Ncrrenkrankheiten der 56. Natm-forecher-Versamralung 
(vgl. dieses Centralbl. 1883. Nr. 19. S. 454). 


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Muskeln gegen statische Elektricitat Untersuchungen mitgetheilt hat, welehe 
eine gewisse Eigenthumlichkeit der Eeaction auf Entladung statischer Elektricitat 
(spateres Yerlorengehen derselben als der Reaction fur Inductionsschlage) be- 
kundeten, schien es mir von Interesse, die Untersuchungen in Betreff magnet- 
elektrischer Strome noch eiiimal aufzunehmen und in einer grosseren Anzahl 
geeigneter Krankheitsfalle zu wiederholen. 


Die Versuche wurden innerhalb der letzten Wochen mit einem von Herm 
Instrumentenmacher E. Goldschmidt freundliclist hergegebenen magnetelek- 
trischen (SAXTON’schen) Apparate 1 an 14 Kranken meiner Nerven - Poliklinik 
gemacht, worunter 10 Falle einfach quantitativer Veranderung (Herabsetzung, 
resp. Aufhebung der faradischen und galvanischen Nerven-Reizbarkeit, der farado- 
muscularen und galvanojnuseirim^ , und 4 Falle von EaR in 

verschiedenen Stadie^^O^ 

Die 10 Fyie/^antitattver Veranderung (Herabsetzung, resp. Auf¬ 
hebung) betrafen wtel pdriplheveiiiM spinale Lahmungen und Amyotrophien 
verschiedener Art ^essentielle. JSindfirlahmugg, progressive Muskelatrophie, Blei- 

it naher ein, da sie insgesammt das 
sich namlich die Erregbarkeit fur 


lahmung etc.) Ich 
gleiche Resultat darbo 1 
magnetelektrische Strome der faradischen (voltaelektrischen) Ner¬ 
ven- und Muskelreizbarkeit uberall proportional; sie war vermindert 
oder aufgehoben, je nachdem auch letztere herabgesetzt erschien oder vollstandig 
fehlte. 


Auch unter den 4Fallen von quantitativ-qualitativen Veranderungen 
(EaR), die zur Untersuchung herangezogen werden konnten, zeigten drei ein 
dem Anschein nach vollig* paralleles Verhalten gegen magnet- und 
voltaelektrische Strome. Einer derselben betraf eine schwere rheumatische 
(einseitige) Faciallahmung; der zweite eine Bleilahmung; der dritte eine durch 
traumatische Neuritis des Ulnaris bedingte Paralyse einzelner Handmuskeln. 
Im ersten Falle (Lahmung seit 2 l / 2 Monaten bestehend) waren faradische und 
galvanische Nervenreizbarkeit, sowie faradomusculare Contractilitat im Gebiete 
des rechten Facialis ganzlich erloschen; die galvanomusculare Contractilitat ge- 
steigert, Zuckung trag, KaSZ=AnSZ (beide rechts bei Stromstarke von 0,2—0,3 M. A. 
links erst bei 1—1,2 M. A.). Hier fehlte also die Erregbarkeit fur magnet¬ 
elektrische Strome vollstandig, auch wenn solche von fast unertraglicher Starke 
(durch grosse Haufung der Unterbrechungen) auf die Muskeln, Triangularis, 
Quadratus menti etc. localisirt wurden. Ebenso bei der Bleilahmung (Fehlen 
jeder faradischen Reaction im Extensor dig. comm., bei erhdhter galvanomus- 
cularer Contractilitat, trager Zuckung und uberwiegender AnSZ) und bei der 
traumatischen Ulnarislahmung (fehlende faradische Reaction; verminderte galvano¬ 
musculare Contractilitat, bei tragem Zuckungsmodus ausschliesslich Reaction auf 


1 Derselbe, mit gezahnter Welle and Drehrad versehen, aber ohne STOHBBB'sehen 
Commutator lieferte also abwechselnd gerichtete gleicbfdrmige InductionsstrSme yon variabler 
Hiiuflgkeit nnd entspreohender Starke. 


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AnSZ in einzelnen Mm. interossei, namentlich ext I und IV — also einem sehr 
vorgeschrittenen Degenerationsstadium in den genannten Muskeln entsprechend). 

Anders verhielt es sich dagegen in dem vierten der gepruften Falle von 
EaR, einem Falle von schwerer peripherer (rheumatischer) Facialpara- 
lyse, der auch sonst durch seinen Verlauf ein gewisses Interesse darbietet, 
wesshalb ich denselben im Folgenden kurz resumire. 

Eine 38jahrige Frau (Ida W.) kam am 4. Marz 1883 mit L&hmung des 
linken Facialis in poliklinische Behandlung. Die vor 3 Wochen, angeblich 
auf Grand atmospharischer Noxe plotzlich entstandene Lahmung war eine com¬ 
plete und totale; Gehor- und Geschmackstorungen bestanden nicht, Zunge und 
Uvula wichen etwas nach links, Gaumensegel ohne Schiefstellung. Faradische 
Nerven- und Muskelreizbarkeit ganzlich erloschen (von alien Antlitzmuskeln 
zuckten nur Masseter und Temporalis), ebenso galvanische Reizbarkeit des Fa- 
cialis-Stammes und seiner Verzweigungen. Dagegen enorm gesteigerte galvano- 
musculare Contractilitat mit exquisit verlangsamtem, tetanoidem- Zuckungs- 
charakter; KaSZ=AnSZ, beide schon bei 0,1—0,2 M. A.; auch mit schwachen 
Stromschleifen von der gesunden Gesichtshalfte oder von der Halsgegend aus, 
sowie mit schwachen labilen Stromen; KaOZ ebenfalls gesteigert, schon bei 
einer Stromstarke von 0,5—0,6; AnOZ bei 0,7—0,9 M. A. — Die Prognose 
wurde, diesem Befunde gemass, ziemlich ungdnstig, als die einer schweren 
Form, gestellt Die Erscheinungen der EaR nahmen in den nachsten 
Monaten, ungeachtet der angewandten galvanischen Behandlung, stetig zu; 
AnSZ wurde > KaSZ, KaOZ erheblich >AnOZ; im Juli war die galvanomus- 
culare Contractilitat uberhaupt im entschiedenen Absinken begriffen, Zuckungen 
erfolgten nur mit nahezu gleich starken oder selbst etwas starkeren Stromen 
wie auf der gesunden Gesichtshalfte, waren durch Stromschleifen von der letz- 
teren aus nicht mehr leicht hervorzurufen, zeigten aber ausgesprochen tragen 
Charakter und Pravaliren der AnS-Reaction; O-Zuckungen nur noch schwer zu 
erhalten. Die Motilitat war ganz aufgehoben, die gelahmte Musculatur, nament- 
lich Unter- und Oberlippe, deutlich atrophisch. — So verhielt sich der Zustand 
Mitte Juli. Als ich nach den Ferien, beinahe 2 l / 2 Monate spater (am 27. Sept) 
die Patientin wieder untersuchte, hatte sich das Bild in erfreulicher und uber- 
raschender Weise verandert. Die Motilitat hatte sich theilweise wiederhergestellt, 
das Auge konnte bis auf eine geringe Spalte geschlossen werden; Mund und 
Nase weniger schiefstehend, Oberlippe noch deutlich verdunnt In Stamm und 
Zweigen des gelahmten Facialis zeigten sich Spuren wiederkehren- 
der faradischer Reaction, allerdings noch sehr geschwacht; Zuckungsminimum 
bei unipolarer Reizung vom N. facialis aus rechts 102 mm, links erst ca. 40 mm, 
wobei uberdies nur ganz schwache und trage Zuckung in Zygomaticus major 
und Unterlippe; bei directer Muskellahmung keine Reaction selbst auf starkste 
Inductionsstrome. Galvanische Nervenreizbarkeit der faradischen entsprechend 
in beginnender Wiederkehr, aber noch relativ gering (KaSZ vom Nerven aus bei 
1,5 M. A.); galvanomusculare Contractilitat nicht merklich gesteigert, die Zuckung 
noch von verlangsamtem, contracturartigem Charakter, AnSZ ziemlich = KaSZ, 


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AnOZ wieder >KaOZ. — Hiemach konnte mit Sioherheit anf eine bereits zu 
Stande gekommene and in fortschreitender Entwickelnng begriffene Regenera¬ 
tion in Nerv and Muskeln geschlossen werden, obgleich die faradomusculare 
Contractilitat allerdings nocb fehlte, auch in den nachsten Wochen noch nicbt 
erkennbar hervortrat. 

Die unter diesen Umstanden am 18. und 19. October vorgenommene Er- 
regbarkeitsprdfung mittelst magnetelektrischer Strome ergab nun 
Folgendes: Bei unipolarer Reizung (ein Conductor, in Plattenform, in der Hand 

— der andere, in Form ernes ca. l 1 / t cm im Durchmesser haltenden Schw amm - 
tragers in loco applicirt) zeigte sich nicbt nur an Stamm and Verzwei- 
gangen des Facialis, sondern auch an den bisher faradisch ganzlich 
unerregbar gewesenen Gesichtsmuskeln deutliche Reaction — wenn 
auch einerseits bedeutend schwacher als an symmetrischen Stellen der gesunden 
Seite, andererseits von enger begrenztem und zugleich tragerem, contracturartigem 
Yerlaufe. 

Um einen vergleichenden Maassstab der Stromstarken zu gewinnen, welche 
an symmetrischen Stellen beider Seiten zur Reizung erforderlich waren, wurde 

— da die Stromstarke magnetelektrischer Strome mit der Umdrehungsgeschwin- 
digkeit bekanntlich zunimmt — diejenige Drehungsgeschwindigkeit des 
rotirenden Systemes, d. h. die auf die Secunde berechnete Gesammt- 
zahl der (aus den Zahnelungen der Welle und des Drehrades resul- 
tirenden) Spiralendrehungen gemessen, welche behufs Hervorrufung 
der Znckungsminima zur Anwendung kommen musste. Da jeder Viertel- 
drehung der Spiralen ein Polwechsel im rotirenden Anker und somit ein Rich- 
tungswechsel des auf den Kdrper ubergehenden Stromes entspricht, so lasst sich 
auch durch einfache Multiplication mit Tier leicht die Gesammtzahl der sich 
summirenden einzelnen Stromstosse ermitteln, welche den Schliessungs- und Oeff- 
nungsschlagen der voltaelektrischen Inductionsstrome entsprechen. — Die beiden 
Pole des Hufeisenmagneten waren ubrigens, um einen Theil der magnetischen 
Kraft des letzteren zu binden, wahrend der Versuche durch einen stellbaren 
Eisenanker geschlossen; der auf den Korper ubertragene Strom hatte 
demgemass eine nicbt schmerzhafte Starke. 

Unter diesen Umstanden wurde nun als zur Auslosung der Zuckungsminima 
nothwendig folgende Rotationsgeschwindigkeit der Axe (in der Secunde) er- 
mittelt: 

Ort der Reizung: Rechts: Links: 

1. Facialisstamm (am For. stylomastoides).5—6 . . 40 

2. Ramus pro M. triangulari et levatore menti .... 4 . . 16— 17 

3. M. triangularis, quadratus menti; orbicularis oris . . 6—7 . . 20—30 

Die secundaren 1 faradischen Strome der gewohnlichen Voltainductoren, selbst 
solche von weit grosserer Schnellschlagigkeit und Intensitat, lieferten zu dieser 

1 Vergleichende Prtfung mittelst priraarer Inductionsstrome wurde leider damaJs anter- 
lassen. Spater zeigten sich dieselben den secundaren analog. 


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Zeit an den gelahmten Gesichtsmuskeln bei directer Application noch keine be- 
merkbaren Resultate. — Erst 10 Tage spater (am 28. October) zeigten sich die 
ersten Spuren wiederkehrender faradomuscularer Contractilitat fur die gewohn- 
lichen (voltaelektrischen) Inductionsstrome; es bedurfte znr Auslosung der 
Zuckungsminima an den genannten Muskeln auf der gelahmten Seite eines 
Rollenabstandes von 30—45, auf der gesunden eines solchen von 110—120 mm 
(Zuckung uberdies links localisirter und von deutlich tragerem Charakter). 

Aus dieser Beobachtung scheint hervorzugehen, dass zwar die Erregung 
fur voltaelektrische und fur magnetelektrische Inductionsstrome 
im Allgemeinen parallel verlauft — dass aber doch einzelne Falle 
vorkommen, in denen die Erregbarkeit degenerirter Muskeln fdr 
magnetelektrische Strome fruher wiederkehrt (vielleicht auch in den- 
selben spater erlischt?) als fur voltaelektrische. Moglicherweise ist ein 
derartiger Befund auf gewisse, noch nicht differenzirbare Falle partieller EaR be- 
schrankt, wahrend er sich bei bios quantitativen Anomalien anscheinend uber- 
haupt nicht, und auch bei EaR jedenfalls nur ausnahmsweise findet. — Uebrigens 
hat, wie leicht einzusehen, ein derartiges ungleichmassiges Yerhalten gegen diese 
beiden Arten von Inductionsstromen an sich durchaus nichts so Ueberraschendes 
und Frappirendes, sondern lasst sich vielmehr aus gewissen Verschiedenheiten 
der Entstehungs- und Wirkungsweise beider Stromarten ungezwungen erklaren. 
Es ist dabei namentlich an die offenbar sehr viel langere Dauer der einzelnen 
Stromstdsse bei den magnetelektrischen Stromen zu denken, da wahrend jeder 
Yierteldrehung der Spiralen (d. h. wahrend jeder abwechselnden Annaherung 
und Entfernung derselben gegen je einen Magnetpol) ein allmahliches Entstehen 
und Verschwinden des Magnetismus im Eisenkem, somit ein allmahliches An- 
wachsen und Abnehmen der Induction und ein entsprechendes An- und Ab- 
schwellen der Stromstarke in den Spiralen stattfindet Wir wissen nun, nach 
den Versuchen von Neumann u. A., dass sich der Muskel in einem gewissen 
Stadium der Degeneration gegen kurzdauemde Reize wesentlich anders verhalt, 
als gegen solche von langerer Dauer; worauf ja das fruhere Verschwinden der 
OZ vor der SZ im Verlaufe der EaR, sowie das Yerschwinden der faradischen 
Reaction bei erhohter galvanischer wesentlich beruhen. Auch stehen hiermit 
gewisse altere Beobachtungen von Hitzig 1 im Einklange, die eine Verschieden- 
heit der Reaction gegen primare und secundare Inductionsstrome zu Gunsten 
der ersteren in gewissen Fallen ergeben; auch hierbei scheint ja die etwas 
langere Dauer der primaren Inductionsstrome eine Rolle zu spielen. Nebenbei 
sei auch an die etwas grdsseren elektrolytischen Wirkungen der primaren In¬ 
ductionsstrome im Vergleiche zu den secundaren, sowie insbesondere der magnet¬ 
elektrischen Strome im Vergleiche zu den voltaelektrischen Inductionsstromen 
erinnert — Es ist demnach nicht undenkbar, dass in einem Falle gleich dem 

1 Deutsches Archiv far klinische Medicin. Y. S. 555. — Die entgegengesetzte Beobach¬ 
tung, in einem Falle von Poliomyelitis ant., machte merkwhrdigerweise Haokbb (Petersb. 
med. Wochenschr. 1882. 40). 


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hier vorliegenden, bei allmahlicher Restitution und wiederkehrender Motilitat, 
auch der Muskel seine Erregbarkeit bereits zuruckerlangt habe fur Reize von 
der Einzeldauer und dem Yerlaufe der magnetelektrischen Stromstosse, wahrend 
er dagegen fur solche von der Einzeldauer voltaelektrischer Schliessungs- und 
Oeffnungs - Inductionsschlage noch anscheinend unerregbar verharre. Jedoch 
durfte es aich dabei vermuthlich in der Regel (wie auch hier) nur um ein ver- 
haltnissmassig kurzes Uebergangsstadium bis zur Wiederkehr der faradomuscu- 
laren Contractilitat auch fur primare und secundare Voltainductionsstrome, 
handeln. Weitere Prufungen — namentlich auch ganz frischer Falle von EaR 
— mussen daruber entscheiden, ob es sich bei diesen Differenzen der Erreg¬ 
barkeit gegen verschiedenartige Induct,ionsstrome um einen ofteren Befund handelt, 
sowie auch ob die hier beobachtete Torpiditat der (faradischen) Zuckung dabei 
ein wesentliches und nothwendiges Begleitphanomen bildet, wonach diese Falle 
sich etwa denen der sog. „partiellen EaR mit indirecter Zuckungstragheit“ (Ebb) 
anreihen wurden. 


2. Ueber die Bedeutung der Vacuolenbildung in den 

Nervenzellen. 

Von Dr. P. Rosenbaeh, 

Ordinator der Elinik fur Nerven- and Geisteskranke von Prof. Mirezbjewbky an der 
medicinischen Akademie zn St. Petersburg. 

Im pathologisch - anatomischen Bilde der Myelitis findet man gewohnlich 
sogenannte vacuolisirte Nervenzellen, d. h. solche, deren Protoplasma Substanz- 
verluste in Gestalt spharischer Aushohlungen bietet Leyden , 1 2 Ebb 1 und an- 
dere die pathologische Anatomie der Myelitis behandelnde Autoren beschreiben 
die Vacuolisation der Nervenzellen als Ausdruck eines pathologischen Prozesses; 
Chabcot hingegen bemerkt, dass er sich noch nicht davon uberzeugen konnte, 
dass dieser Zustand etwas anderes als ein Artefact sei. 3 Indessen sind in den 
letzten Jahren die Yeranderungen des Ruckenmarks studirt worden, die sich 
bei Intoxication mit verschiedenen Giften, auch beim Hungerzustande, entwickeln. 
Es wurde dabei an verschiedenen Thieren (Hunden, Kaninchen, Meerschweinchen) 
ausgebreitete und intensive Yacuolenbildung in den Nervenzellen gleichzeitig mit 
anderen degenerativ-atrophischen Veranderungen derselben gefunden (DanUjLO, 
Popow, Tschycz, Mankowsky, Rosen bach). Ich habe Vacuolisation der Gang- 
lienzellen beim Hungern nicht nur im Ruckenmark, sondern auch im Grosshirn, 
Kleinhim und in den Spinalganglien beschrieben. 4 Die Autoren, die Unter- 

1 Lbybrn, Elinik der BBckenmarkskrankheiten. Berlin 1874. Bd. I. S. 76. 

2 Ebb, Spec. Pathol, u. Therapie v. Zibxssbm. Bd. XI. 

s Chabcot, Elinische Vortrage fiber Erankheiten des Nervensystems. Deutsche Ueber- 
setzung. 1878. 2. Abth. S. 200. 

4 Robbnbach, Ueber die durch Inanition bewirkten Tezturveranderungen der Nerven- 
centren. Neurol. Centralbl. 1888. Nr. 15. Ausffihrlicher russiseh: ..Ueber den Einfluss des 
Hungerns auf die Nervencentren". Dissertation. St. Petersburg 1883. 


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suchungen fiber pathologische Frozesse am Centralnervensystem vomahmen, be- 
fassten tdch selbstverstandlich zuvor mit dem Stadium des normalen Banes des- 
selben, and keiner von Omen hat Vacuolenbildung in den Nervenzellen gesunder 
Thiere beschrieben. Also liegt anscheinend kein Grand ror daran zu zweifeln, 
dass die Yacuolisation der Nervenzellen ein pathologischer (degenerativ-atrophischer) 
Prozess ist 

Indessen ist unlangst Richard Schulz, der eine specielle Untersuchungs- 
reihe fiber arteficielle and cadaverose Veranderangen des Rfickenmarks ange- 
stellt hat, auf Grand seiner Untersuchangen za der Charcot sich anschliessenden 
Behanptang gelangt, dass die Yacaolenbildong in den Ganglienzellen als eine 
arteficielle Yeranderang aufzufassen sei. „Damit ist natfirlich nicht ausgeschlossen“, 
meint er, „dass dieselbe einmal gelegentlich, auch vielleicht sogar oft and sehr 
ansgebreitet bei Myelitis vorkommen kann, denn entzfindete Rfickenmarke sind 
oft schwer za harten and ganz besonders arteficiellen Yeranderangen ausgesetzt“ 1 
Diese kategorische Behanptang stfitzt sich aaf folgenden Thatbestand: Schulz 
nahm 20 Leichen, bei denen er ein nicht krankhaft verandertes Rfickenmark 
voraussetzen zu dfirfen glaubte und ffihrte die Section in verschiedenen Zeit- 
abschnitten (1—44 Stunden) post mortem aus, indem die wahrend der Section 
herrschende Temperatur (—2° bis +15 1 /, 0 R.) notirt wurde; die Erhartung 
and Bearbeitang der Rfickenmarke far die mikroskopische Untersachang ge- 
schah in alien Fallen in der namlichen Weise. Vacuolenbildung wurde nur in 
zweien dieser Rfickenmarke gefunden: das eine gehorte einem 37jahr. Manne, 
dessen Autopsie 5 Stunden post mortem (bei 0°) erfolgte, und bei dem sich 
Schrampfhiere, Lungentuberculose und Hydrocephalus intemus vorfand; das 
andere einem 76jahr. Greise, der 24 Stunden post mortem (bei 14° R) secirt 
wurde, und bei dem die Autopsie Pericarditis, Lungenodem, Fettleber, Knorpel- 
platten auf der Milzkapsel, Granulamieren und Amputation des rechten Enies 
wegen Kniegelenkentzfindung ergab. — Im ersten Fall fand sich Vacuolen- 
bildung in einer Ganglienzelle und war ganz imBeginn; ausserdem erschienen 
manche der Ganglienzellen hyalin und gequollen, die Neuroglia war mehr ver- 
schwommen, schwammig, ohne deutliche Spinnenzellen, die Axencylinder nach 
der Peripherie des Rfickenmarks zu nicht recht scharf contourirt Im zweiten 
Fall fanden sich auch nur in einer Ganglienzelle drei sohon ausgebildete Ya¬ 
cuolen, doch sonst keine pathologischen Yeranderangen, nur „einzelne“ Axen¬ 
cylinder nach der Peripherie des Rfickenmarks deuteten wieder auf Hartungs- 
verschiedenheiten hin (? 1. c. S. 534). 

Da manche der von Schulz zum obenbezeichneten Zweck untersuchten 
Rfickenmarke von Personen stammten, die an Typhus, Tuberculose oder anderen 
Allgemeinerkrankungen verstorben waren, so scheint uns zu allererst die Mei- 
nung des Autors, dass an seinen Leichen ein nicht krankhaft verandertes 
Rfickenmark vorauszusetzen war, ungerechtfertigt; wenn er auch in vielen seiner 
Falle Vacuolenbildung und andere Yeranderangen vorgefunden hatte, so ware 

1 Richard Schulz, Ueber arteficielle, cadaverose end pathologische Verandenmgen dea 
Rhckenmarks. Nenrolog. Centralbl. 1883. Nr. 23. S. 534. 

»* 


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er unseres Erachtens doch nicht in der Lage gewesen, die Auflassung, dass 
dieselben pathologischer Natur seien, zuruckzuweisen, da bei'AUgemeinerkran- 
kungen eher das Yorhandensein einer Affection einzelner Ganglienelemente zu 
erwarten ist, als vollstandiges Fehlen einer solchen. In der That bemerkt 
Schulz, dass in sechs Ruckenmarken bisweilen einzelne, oft viele Ganglienzellen 
weniger scharf contourirt, verschwommen, von glasigem hyalinen Aussehen ohne 
deutlichen Kern erschienen; in zwei anderen wurden vereinzelte hyaline und 
wie sklerosirend geschrumpfte Ganglienzellen beobachtet. 1 Obgleich der Autor 
bezeichnete Veranderungen in seinen Fallen auch willkurlich for arteficiell, 
durch verschiedene Hartung bedingt, halt, so bestreitet er wenigstens nicht im 
Allgemeinen die pathologische Bedeutung derselben, wie er es bezuglich der 
Yacuolisation thut. 

Falls man dagegen zugiebt, dass die in Rede stehenden Ruckenmarke 
nicht krankhaft verandert waxen, so fuhren eben die Ergebnisse der Unter- 
suchungen Schulz’s zu dem Schluss, dass die Vacuolenbildung in den Nerven- 
zellen kein durch die Hartung bedingtes Artefact ist, da von 20 in ein und 
derselben Weise erharteten Ruckenmarken 18 gar keine Vacuolisation aufwiesen, 
und in zweien nur je eine vacuolisirte Nervenzelle gefunden wurde. Wenn die 
Yacuolenbildung in diesen zwei Zellen durch Hartung bedingt war, so ist es 
ganz unbegreiflich, wie die Vacuolenbildung nicht in einer grosseren Zellenzahl 
und in anderen Riickenmarken sich vorfand. 

Abgesehen von dieser kritischen Auseinandersetzung sind directe Beweise 
dafur vorhanden, dass die Vacuolenbildung in den Nervenzellen ein pathologischer, 
bei Lebzeiten sich entwickelnder und nicht durch Hartung bedingter Prozess ist. 
Wie schon oben erwahnt, wird an Ruckenmarkspr&paraten von Thieren, die 
durch Intoxication mit verschiedenen Giften oder duroh Hunger getodtet sind, 
ausgebreitete und intensive Vacuolisation neben anderen degenerativ-atrophischen 
Yeranderungen der Ganglienzellen beobachtet; doch lassen sich auch aus frischen, 
nicht erharteten Praparaten pathologischer Ruckenmarke vacuolisirte Zellen iso- 
liren, und eine uberzeugende und vortreffliche Abbildung einer solchen isolirten 
Zelle ist in Popow’s Dissertation 2 (Tafel II, Figur V) verdffenthoht Ausserdem 
gelingt es bei sehr bedeutender Yergrosserung sich zu uberzeugen, dass die den 
Yacuolen entsprechenden Aushohlungen des Protoplasma ein feines unregel- 
massiges Netzwerk, zuweilen sogar Formbestandtheile (dem Zerfall des Zell- 
leibes entstammend) enthalten. Letztere Thatsachen schliessen die Moglichkeit 
eines postmortalen Ursprungs der Yacuolenbildung durch Hartung von vome- 
herein aus. 


1 1. c. 1883. Nr. 24. S. 554. 

' Popow, Beitrage zor Lehre von der acuten Myelitis tozischen Ursprangs. Dissert. 
St. Peterabnrg 1883. (Rnssisch.) — S. anch Popow, Virchow’s Archiv. 1883. Bd. 93. H. 2. S. 358. 


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II. Referate. 

Experimentelle Physiologie. 

1) Riflessi tendinei nei criminal!. Nota dei Dott. Marro e Prof. Lombroso. 
(Arch, di psichiatr. scienze penali ed antropol. crim. 1883. IV. p. 382.) 

Verf. haben das Yerhalten der Sehnenreflexe bei 226 Verbrechern untersucht 
und fanden bei mehr als der Halfte aller Individuen Abnormitaten des Patellarreflexes. 
Er fehlte vOllig bei 3,5 °/ 0 , auf einer Seite nur bei ebenfalls 3,5 °/ 0 ; er war gesteigert 
bei 17,2, abgeschwacht bei 14,6, und auf beiden Seiten verschieden stark bei 14,1 °/ 0 . 
Normal erschien er daher nur bei 47 %. 

Die Einzelheiten, besonders in Bezug auf die Form des Verbrechens, mftssen im 
Original nachgesehen warden; urn aber zu zeigen, in wie hohem Grade die Sehnen- 
reflexe unter dem Einfluss hereditarer Belastung, individueller Erkrankung etc. ab- 
norm werden, mag die folgende vom Ref. aus den zerstreuten Angaben der Yerff. 


zusammengestellte Tabelle hier noch einen Platz finden. 



Es waren unter den 

normalem 

vermehrtem 

ungleich 

starkem 

Reflex 

schwachem 

fehlendem 

Individuen mit: 

Reflex 

Reflex 

Reflex 

Reflex 

selbst normal . . 
selbst neuropsycho- 
nathisch ezcl. Epi- 
lepsie .... 

75,5 »/„ 

62,7 ®/ 0 

62,6 ®/ 0 

54,5 »/„ 

37,5 ®/, 

0 

2,5 ®/„ 

6,2 »/„ 

0 

12,5 »/„ 

selbst epileptisch . 
belastet durch Al- 
coholismns der El- 

3,77 % 

0 

0 

l 

15,15 ®/ 0 

18,75 «/„ 

tern . 

belastet durch Psy¬ 

12,26 % 

14,28 »/ 0 

21,87 ®/ 0 

12,12 ®/ 0 

12,5 »/„ 

chosen der Eltem 

8,49 °/« 

20,51 % 

9,37 «/ 0 

18,18 ®/ 0 

S 

18.75 »/» 

ommer. 


2) Disappearance of the tendon reflex, without ascertainable pathological 
basis by E. C. Spitzka. (Am. Journ. of Neurol, and Psychiatry. 1883. p. 514.) 

Ein 32jahr. Arzt, nie luetisch, vom 18. bis 22. Jahre sehr starker Potator mit 
mehreren deliriumartigen Anfallen, seitdem aber ntichtern, verheirathet und Vater von 
4 Kindern, konnte in seiner Jugend mit grosser Leichtigkeit das Kniephanomen, das 
damals noch nicht medicinisch verwerthet wurde, an sich selbst produciren. Mit 
Sicherheit wusste er, dass es noch im 17. Jahre vorhanden gewesen war, und er 
war daher sehr tiberrascht, es im 25. Jahre, als seine diagnostische Bedeutung be- 
kannter wurde, nicht mehr hervorrufen zu kCnnen. Seitdem sind 7 Jahre verflossen, 
ohne dass eine spinale oder sonstige Erkrankung bemerkbar geworden sei. 

(Nach des Ref. Ansicht stehen aber mit dieser Behauptung mehrere Symptome, 
die Spitzka selbst anfiihrt, in auffallendem Widerspruch. So giebt Yerf. selbst an, 
der betreffende Patient habe einen eigenthtimlichen „wippenden“ Gang (im englischen 
Original ist dieses deutsche Wort gebraucht!); er habe ferner beim Gehen ein GefUhl 
von Steifigkeit in den Unterextremitaten, und leide Offers an krampfhaften Zuckungen 
im Gastrocnemius; ja, wenn er in die auf dem Fussboden stehenden Schlafschuhe 
hineinschlfipfen wolle, so werde haufig der betr. Unterschenkel spastisch nach oben 
geschleudert, als ob er auf eine Nadel getreten hatte! Ferner geht Pat. im Dunkeln 


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vorsichtiger, er schwankt bei geschlossenen Augen, und eine Herabsetzung der Potenz 
scheint vorhanden zu sein.) 

Den eigenthtimlichen Gang haben sammtliche mannlichen Kinder des Pat. geerbt; 
fiber deren Sehnenreflexe ist leider nichts gesagt. Sommer. 


Pathologische Anatomie. 

3) Ueber Ver&nderungen des Bhckenmarks in Folge von Dehnong des 
N. ischiadicus von M.me Tarnowskaja. (Mitgetheilt in der Sitznng der 
St. Petersburger psychiatrischen Gesellschaft am 10./22. Dec. 1883. Russisch.) 

Eine experimented histologische Arbeit, ausgefiihrt im klinischen Laboratorium 
des Prof. Mierzejewsky. Es wurde an Kaninchen ein blossgelegter N. ischiadicus 
yermittelst eines dynamometrischen Hakens mit bestimmter Kraft gedehnt, und die 
operirten Thiere nach verschiedenen Zeitraumen get5dtet. Nach der Operation steilte 
sich temporar Parese oder Lahmung der operirten Extremit&t ein, mit Entartungs- 
reaction der Muskeln. Im gedehnten Nervenstamme fanden sich je nach der Starke 
der Dehnung mehr oder weniger ausgebreitete degenerative Yeranderungen. 

Im Rfickenmark erwies die mikroskopische Untersuchung Folgendes: Wenn die 
Starke der Dehnung nicht 2 Kilogramm erreichte, blieb das Rttckenmark unverandert 
doch falls die Dehnung mit einer Kraft von 2—5 Kilo ausgefiihrt war, so fanden 
sich im Lendentheil des Riickenmarks regelmassig Hyperamie mit punktfbrmigen 
Hamorrhagien in der grauen Substanz (vorziiglich in den Hinterhdmern), Proliferation 
der Neurogliazellen, Anftillung des Centralkanals mit plastischem Exsudat, und Binde- 
gewebswucherung nebst Schwund der Nervenfasern in dem der operirten Seite ent- 
sprechenden Hinterstrang. Hatten die Kaninchen die Operation 4 Wochen und langer 
hberlebt, so liessen sich ausserdem an der operirten Seite deutliche Yerminderung 
des Hinterhorns und Hinterstrangs, Atrophie der hinteren Wurzeln, zum Theil auch 
Schwund und Degeneration der Nervenzellen im entsprechenden Yorderhom wahr- 
nehmen. 

Bezeichnete Yeranderungen des Riickenmarks werden von der Yerfasserin als 
eine durch die Nervendehnung bewirkte traumatische Reizung desselben angesehen; 
die Atrophie des Hinterhorns, Hinterstrangs und der hinteren Wurzeln an der ope¬ 
rirten Seite f&hrt sie auf partielles Zerreissen der Nervenfasern zuruck, welche in 
verschiedener H5he in das Rfickenmark ein- und aus demselben austreten. 

_ P. Rosenbach. 


Pathologie des Nervensystems. 

4) Notes on three cases of cerebellar disease by Thomas Oliver. (Journal 
of Anatomy and Physiology. 1883. July. p. 484.) 

Drei Falle von Cerebellar-Erkrankung, wovon zwei mit Sectionsbefund. 

1) 4jahr. Knabe, vor 2 Monaten riicklings auf den Kopf gefallen; am folgenden 
Tage taumelte Pat. und konnte kaum gehen. Gelegentliches Erbrechen, haufiger 
Kopfschmerz. Un^higkeit zum Stehen; auf die FUsse gesteUt fiel Pat. rtickwarts. 
Spater Convulsionen, vollige Erblindung (ophthalmoskopisch nur Blasse der Papille). 
Tremor in Armen und Beinen. Rascher Wechsel der Gesichtsfarbe; taches cdrebrales. 
Muskelrigiditat; Kniephanomen gesteigert. Zeitweise verlangsamte Respiration, bis 
auf 12 in der Minute. Pupillen dilatirt, aber ungleich; Conjunctiva empfindungslos. 
Tod schliesslich unter Coma. Die Section ergab nun im Cerebellum, und zwar im 
mittleren Lappen desselben, eine Yeranderung; dieser ganze Lappen von einer 
weichen gelatinoiden Geschwulst eingenommen, die sich mikroskopisch als Gliom 
herausstellte. 


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2) 18jahr. Mann, am 4. Oct. 1882 mit Schmerzen im Hinterkopf, Nacken und 
Augapfeln aufgenommen, die vor 3 Jahren nach einem Fall auf den Hinterkopf zu- 
eret aufgetreten sein sollen. Seit 3 Wochen Schwindel, Neigung zum Yorwartsfallen. 
Der sehr heftige, anhaltende Kopfschmerz fflhrt gew5hnlich zu Erbrechen. Beide 
Opticuspapillen ausserst blass, fast weiss. Patellarreflex verstarkt (besonders links). 
Beim Yersuche zn geben taumelt Pat. etwas nacb beiden Seiten, kann sich aber gut 
umdreben und mit geschlossenen Augen stehen und geben. Scbeinbare Besserung 
unter Bromkaliumgebraucb. Am 17. Oct. plbtzlicb ein Anfall von sebr beftigem 
Kopfschmerz, in welcbem Pat. zurflck fiel und todt war. Die Section ergab eine 
Erweicbung, die sicb vom linken Corpus dentatum bis in die recbte Kleinhirnhalfte 
erstreckte, einen Theil der recbten Kleinhirnhemisphare umfasste, aber das Corpus 
dentatum der letzteren intact liess. Innerbalb des erweicbten linken Lappens ein 
graurflthlicher Fleck; derselbe bestand mikroskopiscb nur aus Bundzellen, obne eine 
Spur von Stroma (Sarcom). 

3) 34jahr. Mann, litt im October 1882 an Sprachlosigkeit, Unfabigkeit zum 
Stehen und Geben, bocbgradiger Ataxie in Armen und Beinen, Neigung rflckwarts 
zu fallen. Der Sprachverlust war vor 18 Monaten plOtzlich, ohne Bewusstseins- 
stSrung, aufgetreten, gleicbzeitig mit Schwache im linken Arm und Bein; die Er- 
scbeinungen gingen allmahlicb zurflck. Seit 2 Wocben heftiger Kopfschmerz, Erbrechen, 
und Sprachstflrung, obne sonstige Erscbeinungen paralytischer Art Patellarreflex 
gesteigert; Pupillen dilatirt; Pat. konnte obne Hulfe nicbt stehen und geben, und 
fiel bei geschlossenen Augen um. — Unter Jodkaliumgebrauch besserte sicb die 
Sprache, der Gang blieb atactiscb. Pat. gab zu, vor 8 Jahren an Syphilis gelitten 
zu haben. — 0. vermuthet einen Bluterguss im mittleren Lappen des Cerebellum. 

A. Eulenburg. 


5) Contribuzione alia flsio-patologia oerebellare del Scar pi. (Italia medica. 

1883. XYH. Serie 2a. Nr. 37. p. 292.) 

Knabe von 14 Jahren. Keine Hereditflt. Seit dem 11. Jabre intermittirende, 
alle 7—8 Tage fflr einige Stunden auftretende heftige Kopfscbmerzen in der Hinter- 
bauptsgegend, die sicb bisweilen mit Erbrechen verbanden. Im 13. Jabre trat neben 
einer recbtsseitigen Skoliose und zunehmender Taubbeit des recbten Obres die Nei¬ 
gung auf, den Kopf auf die rechte Schulter zu beugen. Am 27. Marz 1881 pl5tz- 
licb intensive Kopfscbmerzen, Erbrechen, klonische und toniscbe Krampfe, Coma; 
nacb einer Stunde Exitus letalis. Bei der Section fanden sicb die Zeicben hocb- 
gradigen Hirndruckes (Herausquellen des Hiras, starke Spannung der Meningen, Er- 
weiterung der Yentrikel) und als Ursacben desselben in der Gegend der recbten 
Kleinbirnbemispbare 3 fast hflhnereigrosse Cysten, von denen die eine einen starken 
Druck auf den recbten Acusticus ausflbte, wahrend eine andere sicb vom Pons durch 
das Hinterbauptsloch nocb 3 cm weit in den Wirbelkanal hineinerstreckte und die 
Medulla oblongata comprimirte. Yon der recbten Kleinbirnbemispbare war keine Spur 
mehr erbalten. Den Inhalt der mit einander communicirenden Cysten bildete eine 
gelbliche, durchscheinende Flflssigkeit. Als Ausfallssymptom ist Yerf. geneigt, die 
Kecbtsbeugung des Kopfes aufzufassen, indem er das Kleinhim als ein Eeflexcentrum 
zur Regulirung der normalen Kopfhaltung betracbtet; durch Ausfall gewisser Muskel- 
gruppen sollen dann die Antagonisten das Uebergewicht erbalten. Die iibrigen 
Symptom© werden (gewiss mit Recbt) als Folgen der lokalen und allgemeinen intra- 
craniellen Drucksteigerung aufgefasst und sind somit fflr die Patbologie des Klein- 
bims nicbt naber zu verwerthen. E. Krapelin. 


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6) Enoephalite parenchymateuse limitAe de la substance grise, avec epi- 
lepsie partielle comme syndrome Clinique par Danillo. (Arch, de 
Neurol. No. 17. p. 217—236 et pi. VI.) 

Der hier beschriebene Befund wurde erboben an dem Gehirn eines 22jAhr. MAd- 
chens, das seit dem 5. Lebensjabre an fiberaus baufigen Anfallen partieller links- 
seitiger Epilepsie — Krampfen in Arm, Bein und linker Gesichtshalfte, mit darauf- 
folgender vorfibergehender Lahmung obne Bewusstseinspause — gelitten hatte. Die 
recbte Hemispbare war viel voluminOser wie die linke; erstete wog 675 Gramm, 
letztere 547. Die Hypertrophie betraf vorwiegend den Stimlappen und in diesem 
einen der Wurzel der oberen und mittleren Stirnwindung angehfirigen Abschnitt im 
Grunde der I. Stimfurche. Hier ist der Durcbmesser der grauen Rinde doppelt so 
gross (8 mm) als am identiscben Ort der linken Hemispbare, und tritt auf Durch- 
scbnitten die Rinde 3 mm fiber das Niveau der Marksubstanz. In diesem Bezirk ist 
ein Theil der Ganglienkorper aller Scbicbten Yeranderungen eingegangen, die als 
Schwellung, VergrSsserung des Kerns, Vacuolenbildung, Schwund der FortsAtze be- 
schrieben und abgebildet worden. Neben diesen Yeranderungen der Zellen finden 
sicb solcbe der Neuroglia. Yerdicbtung ihres Mascbennetzes, Yermehrung der Kerne, 
Entwickelung von Spinnenzellen, Erweiterung der Subadventitialraume der GefAsse, 
Anffillung derselben mit lympboiden Elementen, Anschwellung und Yermehrung der 
Kerne in den Gefasswanden. 

Da nun D. diese interstitiellen Prozesse nur neben den hficbsten Graden der 
Metamorphose der GanglienzellenkOrper fand, nicbt aber neben den Anfangsstadien 
derselben, so erblickt er das Primare des Prozesses in der Yeranderung der Ganglion- 
kfirper und nennt ihn deshalb parenchymatfise Encephalitis. Die Marksubstanz dieser 
Partie war bis auf einen kleinen hamorrbagischen Erweicbungsherd normal. 

Tuczek. 


7) Cas de sclerose latdrale amyotrophique, la degenerescence des fais- 
oeaux pyramidaux s@ propageant a travers tout l’encdphale par 
Kojewnikoff. (Arch, de Neurol. No. 18. p. 356—375 et pi. VI. VII. VIII.) 

Klinisch bot der durch vorzeitigen Tod in Folge von Lungenphthise abgeschlossene 
Fall von amyotrophischer Lateralsklerose nichts Besonderes: ziomlicb plOtzlicher Be- 
ginn des Leidens mit Schwache in den Unterextremitaten, Muskelrigiditat, VerstAr- 
kung der Sehnenphfinomene, Spinalepilepsie; allmablicber Uebergang auf die Musculatur 
des Rumpfes und der Oberextremitaten, ohne Storungen der SensibilitAt, der Intelli- 
genz, der Function der Himnerven; gegen das Lebensende mfissige Atropbie der 
Musculatur des Thenar und Antitbenar. Gesammtdauer der Affection etwa 3y 2 Jabre. 

Es fand sicb beiderseitig symmetrische Sklerose der Pyramidenseitenstrangbabnen 
in ibrer ganzen Ausdebnung. DieSelbe liess sicb — an der Hand der Kornchen- 
kugeln — verfolgen durch die Pyramiden der Oblongata — in ibrem gesammten 
Querscbnitt —, durch die Langsfaserbfindel der vorderen Brfickenabtheilung in den 
Hirnscbenkelfuss. Die weitere Ausdehnung des Prozesses nacb aufwarts wurde in 
der Weise festgestellt, dass Horizontalschnitte durch die Grosshirnhemispharen, in 
verscbiedenen Hoben gelegt, an zahlreicben Stellen auf KOrncbenkugeln untersucht 
und die Befunde in der Weise registrirt wurden, dass die positiven Fundorte als, 
je nacb dem Reicbtbum an Kfirncbenkugeln, mehr odor weniger dunkel scbraffirte 
Kreise in die Figur des Schnittes eingetragen wurden. Yon einer nachtrAglichen 
Untersucbung an Scbnitten des geharteten PrAparates wird Nichts berichtet; beson- 
ders exact ist die Methode nicbt, da der Umfang der degenerirten Partie mit dem 
KCmcbenkugeln enthaltenden Bezirk nicht zusammenzufallen braucbt (Ref.). K. findet 
die Degeneration in der inneren Kapsel beiderseits symmetriscb innerbalb des 3. Viertels 
(vom Knie an gerecbnet) des hinteren Scbenkels; sie steigt dann gegen die Rolando’scbe 


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Furche auf und lasst sich verfolgen in den oberen Abschnitt der Centralwindungen, 
besonders der vorderen, deren graue Rinde sie erreicht, ebenfalls beiderseits symme- 
trisch; in letzterer selbst fanden sicb keinerlei Yeranderungen. Auch die Ganglien- 
kugeln in den YorderhOrnem des Rfickenmarks erwiesen sich — bis auf geringe 
etwas zweifelhafte Yeranderungen im Halsmark — intact, ebenso wie die Kerne in 
der Oblongata. In den vorderen Wurzeln des unteren Halsmarks und in den Nn. 
medianus und ulnaris fand sich eine ganz massige Degeneration und Atrophie ein- 
zelner Fasem, ebenso war Atrophie einzelner Bfindel der Interossei und der Muskeln 
des Thenar und Antithenar zu constatiren. 

Das Hauptgewicht legt Yerf. mit Recht auf die nachgewiesene continuirliche 
Degeneration beider Pyramidenbahnen von ihrem Anfang in den Centralwindungen 
bis zu ihrem Ende im Lendenmark. — Dieselbe ist eine partielle, wie nach dem 
klinischen Befund — die Gesichts- und Halsmusculatur war frei, die der Ober- 
extremitaten und des Rumpfes massig afficirt, die der Unterextremitfiten nicht vollig 
gelahmt — zu erwarten war. Im Uebrigen ist der Befund eine beim Erwachsenen 
bisher seltene Bestatigung des von Flechsig mit Hfilfe der Entwickelungsgeschichte 
festgestellten Yerlaufs der Pyramidenbahnen. Tuczek. 


8) Cas de sclerose lat&rale amyotrophique aveo autopsie par Marie. (Compt. 
rend, gdnfoal. 1884. 2. Janv. Socidtd de Biologie stance 1883. 29. Ddc.) 

Klinische Erscheinungen bei einer Frau: Obere Extremitaten sehr erheblich 
atrophisch; an alien 4 Extremitaten spontaner oder provocirbarer spastischer Zustand, 
erhebliche Steigerung der Sehnenreflexe. Mikroskopische Untersuchung: frisch: Die 
grossen motorischen Zellen der YorderhSmer sind verschwunden. KOrnchenkugeln im 
Rfickenmark wie im Hirn, hier besonders in der Briicke und Capsula interna und 
den motorischen Gyris. Das Yerschwinden der Zellen langs des Pyramidenstrangs 
spricht fUr die Systemerkrankung, wie sie Charcot annimmt. Der Tod erfolgte in 
diesem Fall durch Decubitus und Septicaemie. M. 


9) Contribution & Phistoire de la maladie de Thomsen (spasme musculaire 
au d6but des mouvements volontaires) , par le Dr. Pierre Marie. 
(Revue de mddecine. 1883. D6cembre p. 1064.) 

Marie und Ballet haben im Januar 1883 den ersten in Frankreich beobachteten 
und diagnosticirten Fall von Thomsen’scher Krankheit (Myotonia congenita) 
veroffentlicht (Archives de Neurologie). In der vorliegenden Arbeit giebt M. zunachst 
ein ausffihrliches Referat fiber diejenigen deutschen Arbeiten, welche in der frfiheren 
YerOffentlichnng noch nicht berficksichtigt wurden, und knfipft hieran die Beschrei- 
bung einer neuen eigenen Beobachtung an. 

Ein 31jahr. Kaufmann leidet seit frfihester Kindheit an einer eigenthfimlichen 
Starrheit der Beine, welche jedesmal eintritt, wenn er mit den Beinen und dem 
Rumpf nach vorhergegangener Ruhestellung irgend eine Bewegung ausffihren will. 
Nach Yerlauf einiger Augenblicke lasst die Steifigkeit wieder nach und die Bewegung 
kann dann in normaler Weise ausgeffihrt werden. In den Armen und in den Ge- 
sichtsmuskeln bestehen keine ahnlichen StOrungen. Sonstige nervSse Erscheinungen 
sind nicht nachweisbar, nur leidet Pat. von Zeit zu Zeit an kurzdauemden klonischen 
Krampfanfallen in der rechten KOrperhalfte, welche den Eindruck leichter partiell- 
epileptischer Anfalle machen. Der Kranke ist von allgemein reizbar-nervOser Con¬ 
stitution. Eine Schwester desselben hat an einem ahnlichen Zustande gelitten, scheint 
davon aber dauemd geheilt zu sein. 


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M. fasst den Fall als einen zwar etwas ungew5hnlichen, aber docb zur Thom- 
sen’schen Krankheit geh5rigen auf. Ob die epileptiformen Anf&lle direct zur Krank- 
heit gehbren oder eine Complication bilden, lasst er unentschieden. 

Strtlmpell. 


Psychiatrie. 

10) Sur la theorie de la paralysie general© par Bail larger. (Annales mMico- 
psychologiques. 1883. Janvier—Novembre.) 

Die sebr ausfiibrlicbe und interessante Arbeit stellt der unitaren Theorie tlber 
das Wesen der allgemeinen Paralyse eine dualistische entgegen. Nach dieser ware 
Dementia paralytica und paralytischer Irrsinn (folie paralytique) etwas Grundver- 
schiedenes und keineswegs nach der Auffassung der Unitarier verschiedene Aeusserung 
desselben Leidens. 

In geschichtlicher Beziehung erinnert Baillarger daran, dass Bayle, der Vater 
der unitaren Theorie, urspriinglich feststellte, dass eigentlich paralytische Symptome 
sich nicht in alien Formen des Irrsinns, sondem nur in den, mit GrCssenwahnideen 
einhergehenden, zeigten. Er nannte jene Form daher monomanie ambitieuse avec 
paralysie. — Parchappe gab der gleichen Form den Namen folie paralytique. 


I. 

Nach der unitaren Theorie gehtfren zur allgemeinen Paralyse die Folie, die De- 
menz und Lahmung als constants Symptome. Die Dementia paralytica ware also 
nicht eine consecutive, sondem immer eine primare Form. Nun kann der Beginn 
des Leidens sich aber ebensowohl durch Manie als durch Melancholie aussern. Bei 
manchen Kranken kSnnen beide Formen sogar aufeinanderfolgen. Dieser Thatsache 
gegenhber mtlssen die Anhanger der unitaren Theorie die entgegengesetzte Aeusserung 
der Anfangsstadien durch Manie und Melancholie auf denselben pathologisch-ana- 
tomischen Zustand im Him beziehen. 

Baillarger resumirt als Gnindlagen der unitaren Theorie: 

1. Die allgemeine Paralyse aussert sich durch drei verschiedene Erscheinungen, den 
Irrsinn, die Demenz und die Lahmung. 

2. Die allgemeine Paralyse ist eine paralytische Geistesstbrung und eine primitive 
Form. 

3. Die Symptome der allgemeinen Paralyse, Irrsinn, Demenz und Lahmung, milssen 
auf eine organische StOrung der nervbsen Centren, vorwiegend der Yorderlappen 
des Grosshiras, bezogen werden. 

TL Die dualistische Theorie. 

Baillarger will die Dementia paralytica von der Folie paralytique als Form 
durchaus unterschieden wissen und stellt das „d61ire“ als ein accessorisches Symptom 
der durch Demenz und Lahmung charakterisirten Krankheit hin. 

Die allgemeine Paralyse ware danach eine eigentliche paralytische Demenz, stets 
unheilbar und basirend auf einer Periencephalitis mit Degenerescenz der Ganglion- 
zellen und mit Sklerosevorgangen. 

Die Folie paralytique hingegen kann sich durch Manie und durch Melancholie 
aussern. An beide Formen heften sich die bekannten somatischen Erscheinungen, 
Stammeln und Unsicherheit der Sprache, Ungleichheit der Pupillen etc. Die Intensi¬ 
ty der meist hypochondrischen Melancholie kann sehr verschieden sein und bis zum 
Stupor gehen. — Die Lasionen, welche der Folie paralytique zu Grunde liegen, hebt 
B. nicht weiter hervor. Er behauptet, dass diese nicht schlechter und nicht • besser 
bekannt seien, wie diejenigen, welche den einfachen Formen der Manie resp. 


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Melancholic zu Grande lagen. Wohl ist aber der Zusammenhang zwischen der Folie 
paralytique and den Congestivstossen zu untersuchen. Thatsachlich beruht das An- 
fangsdelirium der aligemeinen Paralyse vorwiegend auf dem Congestivzustande (Bayle). 
Zahlreiche Beobacbtungen beweisen diesen Zusammenbang. — Andere Autoren haben 
sich dieser Auffassung sehr genahert, so Dagonet, Nasse, letzterer durch die Auf- 
stellung der aligemeinen Pseudoparalyse alcoholischen Ursprungs. — Dass eine Yer- 
sehiedenlieit in der Gmndlage der beiden Formen, des paralytischen Irrsinns and der 
Dementia paralytica anznnehmen sei, beweisen die temporaren and daaemden Hei- 
lungen, welche immer nur die ersten Erscheinungen der Folie paralytique betreffen. 
Diese geht haufig der echten aligemeinen Paralyse v or auf; die letztere muss folge- 
richtig als secondare Form aufgefasst werden. 

Wenn man von maniakalischen und melancholischen Formen der aligemeinen 
Paralyse spricbt, so sind das also nicbt, wie meist angenommen wird, einfache, son- 
dern vielmehr complicirte Formen. 


m. 

1. Die Pseudoparalyse. 

Durch die Annahme der aligemeinen Pseudoparalyse ist zu der schon compli- 
cirten Sache noch ein Kapitel mehr hinzugekommen. Wenn der Beobachtungen 
auch noch nicht sehr zahlreiche sind, so konnte B. doch 15 Krankengeschichten 
sammeln, aus denen hervorgeht, dass die periencephalitischen Lasionen bei Kranken 
fehlen kOnnen, welche mehr oder minder lange Zeit die psychischen und somatischen 
Erscheinungen der aligemeinen Paralyse dargeboten hatten. Selbst mikroskopische 
Yeranderungen der kleinsten Gefasse, mit Ausnahme der Zeichen von Hyper&mie, 
kOnnen fehlen (Mendel). 

Es bleibt daher nichts anderes tlbrig, als anzunehmen, dass, selbst wenn die 
Erscheinungen der aligemeinen Paralyse ein Jahr und linger bestanden haben, diese 
dennoch nicht mit Bestimmtheit auf organische Yorg&nge in der Himrinde bezogen 
werden durfen, sondem sich durch einfache circulatorische StOrungen erklaren lassen. 
Erinnert man sich nun daran, dass die Folie paralytique dieselben Symptome, den- 
selben Yerlauf, dieselbe Intermittenz und Transformationen zeigen kann, wie die ein- 
fachen Irrsinnsformen, so bleibt nur noch anzunehmen, dass der ersteren flberhaupt 
keine essentiellen Yeranderungen organischer Natur zukommen. 

Alle diese Thatsachen sind selbstverstandlich ebensoviel Anklagen gegen die 
unitare Theorie und sprechen fflr die Selbststandigkeit der Folie paralytique. Yerf. 
meint, dass dieses in gleicher Weise der larvirten Paralyse Westphal’s zu Gute 
komme, wie viele andere bisher nicht gentlgend erklarte Erscheinungsweisen der 
Paralyse durch die Annahme der neuen Form eine Erkl&rung fanden. 

2. Die allgemeine Paralyse ohne Spraehstdrung. 

Das erste Symptom, nach welchem der Arzt in einem der Paralyse verd&chtigen 
Falle sucht, ist die SprachstOrung. 

Doch giebt es Falle, zumal prolongirt verlaufende, in denen die Sprachstorung 
fehlte, wahrend alle oder die moisten sonstigen Symptome der Paralyse vorhanden 
waren. Daneben gab es andere, in denen die somatischen Erscheinungen fast ganz 
fehlten, sodass die Paralyse nur durch die psychischen Erscheinungen charakterisirt 
war (We8tphal’s latente Formen). 

Waren nun die Falle, in welchen die SprachstOrung fehlte, Paralysen? Die 
Vertreter der unitaren Theorie haben nun die Wahl, diese Falle der aligemeinen 
Paralyse oder der einfachen Geistesstdrung zuzuweisen. Yon den letzteren unter- 
scheiden sich die in mehreren Krankengeschichten citirten Krankheitsfalle doch sehr 


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erheblich durch das Yorhandensein der fibrigen ffir die Paralyse charakteristisclien 
Symptome. 

Es zeigt sich daher, dass das Fehlen eines einzelnen Symptoms nicht genfigt, 
urn daraus fiber die Qualitat des Krankeitsfalls zu entscheiden. 

Nach der Auffassung der Unitarier mfissten daher alle die citirten Falle, weil 
sie nicht znr einfachen Geistesstorung gerechnet werden kOnnen, der allgemeinen 
Paralyse hinzugewiesen werden. 

Dagegen lassen sich nun schwere Einwande erheben: namlich die Beobachtungen 
fiber das oben erw&hnte zweifellos vorhandene Yorkommen der Pseudoparalysis gene- 
ralis, welche durch einfache circulatorische StOrungen in der Hirnrinde erklart werden 
kann (s. oben). 

In den Fallen, in welchen die Paralyse nur oder fast nur durch psychische 
Symptome sich kennzeichnete, hat man daher in noch grOsserem Maasse das Recht, 
die periencephalitischen StOrungen zu leugnen. 

Zum Beweise werden 5 Krankengeschichten eingeschoben, in denen auch Sprach- 
stdrungen fehlten. Periencephalitische Erscheinungen fanden sich in keinem dieser 
Falle, ob die Dauer der Krankheit eine langere oder kfirzere war. In Fallen schein- 
barer vOlliger Heilung, wie in einem Falle Brunei’s, welcher nach 6monatlicher 
schwerer Tobsucht zur Genesung kam und in welchem keine SprachstOrung vorlag, 
darf man denn doch wohl nicht von Heilung einer „pericebritis“ sprechen! Dem 
gegenflber wird an die weise Yorsicht Nasse’s erinnert, welcher keine Paralyse ohne 
Yorhandensein der SprachstOrung annehmen wollte. 

Welcher Form sollen denn nun diese Krankheitsfalle zugewiesen werden? 

Ffir die Unitarier sind derartige Kranke nicht paralytisch, sie kOnnen daher nur 
an einfachem Irrsinn leiden. Zumal kann man diese Krankheitsfalle auch nicht der 
Pseudoparalyse zuschreiben. 

Manche Autoren haben daher angenommen (Delasiauve, Calmeil), dass diese 
Patienten von der Paralyse nicht ergriffen, sondem „bedroht“ waren. 

Dieser Unklarheit setzt Baillarger nun die dualistische Theorie entgegen. 

Alle diese Falle, welche von „einer Attaque der Pericebritis genesen“ sein sollen, 
oder von der allgemeinen Paralyse „bedroht“ waren, gehOren nach seiner Auffassung 
zur Folie paralytique. 

3. Von dem „delire paralytique" bei der einflachen GeistesstSrung. 

Aus dem Bisherigen ergab sich, dass das Fehlen eines einzelnen Symptoms der 
Anfangserscheinungen allgemeiner Paralyse, auch nicht das Fehlen der SprachstOrung 
genfigen wfirde, urn deshalb die Diagnose dieser Krankheitsform auszuschliessen. 

Welche Diagnose soil man nun femer bei Maniakalischen stellen, welche ver- 
wirrten und zusammenhanglosen GrOssenwahn zeigen, sowie bei den Melancholischen, 
welche hypochondrische, flbertriebene, absurde Wahnvorstellungen vorbringen? Man 
nahm bis jetzt an, dass paralytisch gefarbte GrOssenideen bei der einfachen Manie 
vorkommen ktfnnen, zumal wenn diese alcoholischen Ursprungs ist (Marcd, Dagonet, 
A. Yoisin). 

Baillarger sieht das Yorkommen vOllig paralytisch gefarbter GrOssenwahn- 
vorstellungen bei der einfachen Manie und selbst bei alcoholischen Formen als ein 
viel bedenklicheres Symptom an. Das zeige die Hauffgkeit der Bfickfalle dieser 
StOrungen zumal in ausgesprochene Paralyse, welche bei der einfachen Manie in 
dieser Weise ungewohnlich sei. Er fragt, ob man beztiglich der weiteren Prognose 
jemals zwei von Manie geheilt Entlassene, deren einer GrOssenwahnideen geaussert 
habe, w&hrend der andere die gewohnlichen Erscheinungen einfacher Manie darbot, 
gleichstellen werde? Aus der UnmOglichkeit, den ersteren Fall schon der allgemeinen 
Paralyse zuzuweisen, ebensowenig wie man wagen dfirfe, ihn als einfache Manie zu 


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bezeichnen, zieht B. den Schluss, dass diese Schwierigkeit der Classification nur durch 
Annahme der dualistischen Theorie zu umgehen sei. 

4. Die Folio a double forme und die allgemeine Paralyse. 

Verwechslung der Anfangsstadien beider Formen sind moglich (Edgis). 

Aus weiteren Krankengeschichten, yon denen die von Benaudin mitgetheilte 
hervorzuheben ist, schliesst B., dass in den Fallen der sogenannten Paralysie a, double 
forme die schwersten Erscheinungen der allgemeinen Paralyse vorkommen, wahrend 
deren spateres vOlliges Verscbwinden und das Wiederauftreten der Intelligenz docb 
verbieten, diese Symptome auf die Zerstdrungen einer diffusen, chroniscben Perience¬ 
phalitis zu beziehen. Es kann sich also nur um ein Vortauschen paralytischer 
Symptome durch eine Folie a double forme handeln, was ein neuer Beweis fur die 
Unabhangigkeit dieser Symptome yon der Periencephalitis chronica diffusa sein wurde. 

5. Die alcoholisohe Pseudoparalyse. 

Es wird mit Nasse die Frage aufgeworfen, ob man die F&Ue von Heilungen 
bei Paralysen alcoholischen Ursprungs wirklich als Heilungen echter Paralyse anzu- 
sehen habe. Nasse entschied sich bekanntlich, diese Falle als Pseudoparalysen zu 
bezeichnen. Die Antwort Baillarger’s fallt im Wesentlichen im Sinne der Be- 
antwortung voretehender Frage (Nr. 4) aus. 

Er meint: man findet bei einigen Kranken, welche auf Grand alcoholischer Ex- 
cesse irrsinnig wurden, sammtliche Zeichen der Anfangsstadien allgemeiner Paralyse. 
Diese kdnnen mehrfache Anfalle der Krankheit durchmachen, aber schliesslich genesen. 

Andere erliegen, und bei diesen finden sich nicht die ffir die Paralyse charak- 
teristischen periencephalitischen Veranderungen des Gehirns vor. 

Ferner kommen Ausgange in einfachen chronischen Irrsinn und einfache Demenz, 
o h n e Lahmungen vor. — Diese Facta kSnnen zu Gunsten der Existenz der Pseudo¬ 
paralyse angerufen werden, welche man gleichm&ssig, sowohl von der einfachen alco¬ 
holischen Irrsinnsform, als von der allgemeinen Paralyse, unterscheiden mfisste. 

Auch diese Ueberlegung vermehre demnach die Zahl der Folies paralytiques, 
welche unabhangig von Periencephalitis chronica diffusa auftreten kOnnten. 

6) Ausgang der allgemeinen Paralyse in einfache Demenz ohne L&hmung. 

Derartige Falle, in welchen nach 3—4monatlicher Dauer der Initialsymptome 
einfache Demenz, ohne paralytische Symptome, persistirte, welche nunmehr 10—20 
Jahre unverandert andauern kann, sind nach Baillarger haufiger, als gemeiniglich 
angenommen wird. Nach seiner Meinung sind diese Falle aber irrthfimlich als Para¬ 
lysen bezeichnet werden. Es kdnne sich nur um eine Folie paralytique gehandelt 
haben, Oder wenn man sie annehmen will, eine Pseudoparalyse. 

Zu Fallen dieser Art rechnet B. diejenigen latenter Paralyse Westphal’s. 
Yerschiedene franzSsische Autoren hatten das mehrfache Vorkommen dieses Krankheits- 
verlaufis in den Anstalten constatirt (in Charenton allein 12—15 Kranke dieser Art). 

Auch diese F&lle seien von der allgemeinen Paralyse gewdhnlichen Yerlaufs zu 
trennen. 


7. iHemissionen der allgemeinen Paralyse. 

Dieselben sind nach B. folgerichtig nichts anderes, als eine Trennung der beiden 
von ihm unterschiedene Krankheitsausserangen, der Folie paralytique, welche ver- 
schwindet und der Dementia paralytica, welche andauert. 

Aus einer Beihe mitgetheilter Beobachtungen geht diese Persistenz der Dementia 


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paralytica, wenn sie vielfach auch nur andeutungsweise erschien, gegenfiber dem Nach- 
lass des „delire“ hervor. Die leichte und nachgewiesen haufige Trennung der beiden 
Krankheitsausserungen, lasse sich nur durch die Annahme eines eigenen Charakters 
jeder der Beiden erklaren. 

Zweifellos kfinnen die Lasionen der Dementia paralytica primitiven Ursprungs, 
wenn sie dem Ausbruch der Folie paralytique vorausgingen, diese auch hervorrufen. 

1st die Folie paralytique einmal ausgebrochen, so bleibt sie nicht in directer 
Abhangigkeit von den Lasionen der Dementia; sie kann ffir sich bestehen und ver- 
schwinden. 


8. Die Heilung der allgemeinen Paralyse. 

Das Yorkommen derselben ist selten aber erwiesen, erst neuerdings von Mendel. 

Die Unitarier mfissen die Heilung als ein Zuruckgehen der periencephalitischen 
Stfirungen erklaren, sonst bliebe nur die Mfiglichkeit der Annahme einer Pseudo- 
paralyse. 

Die Stellung Baillarger’s zu dieser Frage ist yon vomherein klar. Fur ihn 
betreffen die Heilungen der allgemeinen Paralyse nur die Folies paralytiques, welche 
er sich ja von einer Periencephalitis unabhangig denkt. Die erstere Krankheitsform 
bedingt functionelles ErlOschen, die zweite nur functionelle Sttfrungen und Verkehrt- 
heiten, deren Heilung mfiglich ist. 

Die Unitarier haben zugeben mfissen, dass — wenigsteus in einzelnen Fallen 
— die Erscheinungen der allgemeinen Paralyse bestehen konnten, ohne dass man 
bei der Autopsie Zeichen der zu erwartenden Periencephalitis chronica diffusa fand. 
In solchen Fallen ist die Annahme circulatorischer StOrungen als Erreger jener Zu- 
stande wohl unumganglich. Dies wird dazu durch gelegentliches brfiskes Erwachen 
aus einem Zustande illustrirt, wie ein solcher aus der Arbeit von Mendel mitgetheilt 
wird, in welchem der Kranke erklarte, es sei ihm „wie Schuppen von den Augen 
gefallen". Sollten, fragt Baillarger, in solchen Zustanden denn plfitzlich die Er¬ 
scheinungen von Periencephalitis zurfickgetreten sein? oder soli man annehmen, die- 
selben hatten trotz mehrmonatlicher Dauer die Intelligenz ganz frei gelassen? 

Vielmehr ergiebt sich aus alien Berichten fiber geheilte Paralysen, dass dieselben 
in einer Zeit erfolgt waren, in welcher die Periode functioneller Stfirung noch nicht 
fiberschritten war (s. oben), sodass das ganze Krankheitsbild durch die Annahme 
circulatorischer Stfirungen erklarlich ist, deren Genesungsfahigkeit unbestreitbar ist. 

Das Studium der geheilten Paralysefalle spricht nach B. am deutlichsten gegen 
die Unitarier. 

9. Wechselnde Aeusserungsweise der Paralyse und die Paralysie gAnArale 

A double forme. 

Die Haufigkeit des Wechsels in der Erscheinungsweise der Paralyse ist bekannt. 
In einem jfingst mitgetheilten Fall von Camuset folgte Melancholie, Manie, Melan- 
cholie und nochmals Manie auf einander. — Meist erfolgt der Tod im zweiten Anfall. 

Ffir die Unitarier ersteht hier die Schwierigkeit, die widersprechende Aeusserung 
desselben Krankheitszustandes, einmal als Manie, dann als Melancholie, zu erklaren. 

Wie das mit den feststehenden Lasionen der Periencephalitis chronica diffusa zu 
vereinigen sei, bleibe unklar. 

Ffir die dualistische Theorie bietet das keine Schwierigkeit; die Transformation 
und Intermittenz beziehen sich nur auf die Folie paralytique, oder wie man in Frank- 
reich immer noch sagt: das „d61ire“. 

(Schluss folgt.) Jehn. 


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Therapie. 

11) Et Tilf&lde af traumatisk Tetanus med heldig Udgang, meddelt af 
Distriktslage Petra us i Nibe. (Hosp.-Tidende. 1883. 3. E. I. 48.) 

Ein 17 Jahre alter Knecht hatte sich durch Fall auf die Spitzen einer Egge 
am recbten Oberschenkel 2 tiefe Wunden zugezogen, die Verf. am nachsten Tage 
mit Erde yerunreinigt uud entztlndet fand; er legte an jede Wunde eine Knotennabt 
an und einen antiseptischen Yerband. Die Wunden heilten langsam. Nach ungefahr 
14 Tagen traten, nachdem sich Pat. feuchter und rauber Witterung ausgesetzt hatte, 
Schmerzen im Nacken, Starre der Nackenmuskeln, Schlingbeschwerden und Schwierig- 
keit, den Mund zu Offnen, auf und nach wenigen Tagen entwickelte sich allgemeiner 
Tetanus mit sehr haufigen und ausserst heftdgen AnfMlen, die theils ohne nachweis- 
bare Ursache auftraten, aber auch durch die geringsten Eeize hervorgerufen wurden. 
Der Kranke wurde in wollene Decken eingehilllt, um ihn mdglichst in Schweiss zu 
erhalten, und bekam Portwein in reichlicher Menge und auf der HOhe der Krankheit 
taglich 3—4 subcutane Injectionen mit je 2, manchmal auch 2 l / 2 —3 Centigramm 
Morphium muraticum, ausserdem zur Zeit der hdchsten Gefahr Chloralhydrat in Tages- 
gaben von 4—5 Gramm. Nach den Einspritzungen trat fast augenblicklich Euhe 
ein, aber selten Schlaf; die Muskeln wurden schlaff mit Ausnahme der Nackenmuskeln 
und der Unterkieferheber, die Schmerzen nahmen ab. Allm&hlich wurden die Anfalle 
weniger haufig und weniger heftig, am langsten blieb die Contractur der Kaumuskeln 
und der Nackenmuskeln, auch Athembeschwerden und momentane Suffocationsanfalle 
blieben lange. Nach 23 Tagen hatten die Krampfe aufgehort und weitere 3 Wochen 
spater konnte Pat. entlassen werden. Walter Berger. 


III. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft ftlr Psychiatric und Nervenkrankheiten. Sitzung 
den 14. Januar 1884. 

Remak demonstrirt ein neues, vom Mechaniker Hirschmann construirtes 
absolutes Verticalgalvanometer. Ein astatisches um eine horizontal Axe schwingendes 
Magnetnadelpaar kehrt aus der bei Aufhebung des Em flosses des Erdmagnetismus 
immer nach beiden Seiten gleichen Ablenkung durch entsprechende Gewichtsbelastung 
allemal genau in die verticale Eichtung zurflck. Dadurch, dass der ganze Galvano- 
meterkasten mit der Scala zur Horizontalebene drehbar und durch eine Schraube ein- 
stellbar ist, wird die genaue Einstellung auf den Nullpunkt der Scala leicht thunlich. 
Bei der grOssten Empfindlichkeit des Galvanometers entspricht jeder Strich der zehn 
sehr weiten Scalatheile einem halben Milliampdre. Stdpselverschlhsse am Fussbrett 
gestatten durch Einschaltung entsprechender Nebenschliessungen ftlr den Strom die 
Galvanometerausschl&ge und somit die Empfindlichkeit auf die Halfte oder den vierten 
Theil zu reduciren, so dass je nach Belieben jeder Theilstrich einen halben, einen 
ganzen, oder zwei Milliampdre entspricht, also genaue Messungen von 0,5 MA (durch 
Abschatzung auch darunter) bis 20 MA mOglich sind. Durch entsprechende Vor- 
schaltungen von Widerst&nden ist daffir gesorgt, dass der Gesammtwiderstand des 
Galvanometers bei jeder Empfindlichkeit derselbe ist (500 S. E.). 

Das Instrument hat sich im praktischen Gebrauch sowohl zu elektrodiagnostischen 
als therapeutischen Zwecken durchaus bewahrt, ist besonders sehr handlich und be- 
quem und viel dauerhafter, als das eine subtile Behandlung erfordemde grosse 
Edelmann’sche Horizontalgalvanometer (vgl. Neurol. Centralbl. 1883. S. 47), wenn 
auch letzteres noch feinere Messungen gestatte. Der Yortragende glaubt das In¬ 
strument, abgesehen von kleinen Mangeln (etwas zu langsame Dampfung der Nadel- 
schwingungen etc.), angelegentlichst empfehlen zu dfirfen. 


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In der Discussion bestatigten Bernhardt und Eulenburg, die sich seit einigen 
Wochen des Instrumentes bedient haben, die Gtlte und praktische Brauchbarkeit desselben. 

Westphal bemerkt „iiber Erkrankung peripherischer Nerven bei Tabes* 4 , 
indem er den nachfolgenden Vortrag des Herrn Sakaky einleiten wolle, dass man 
fruher die peripherischen Nerven bei Tabes kaum untersucht habe. Im Jahre 1878 
habe er selbst zuerst einen rein sensiblen Nerven, den Nervus cutaneus post, (vom 
Ischiadicus) untersucht (vgl. Archiv ffir Psychiatrie Bd. YIII) und stark atrophirt ge- 
funden. — Dann hat Dejdrine ahnliche Untersuchungen gemacht. Er fand in zwei, 
ihren Symptomen nach sehr ahnlichen Fallen von Tabes das eine Mai die hinteren 
Wurzeln fast gar nicht, das andere Mai sehr stark afficirt, und in letzterem Falle 
die peripherischen sensiblen Hautnerven stark atrophirt. — Ganz neuerdings hat 
derselbe Autor in 2 Fallen von Tabes sensible peripherische Hautnerven untersucht 
und wieder hochgradig atrophisch gefunden. — W. seinerseits bekam vor 5—6 Mo- 
naten einen Fall von Tabes zur Section, bei welchem sich die peripherischen sen¬ 
siblen Nerven an den Unterschenkeln erheblich atrophirt erwiesen und zwar an den 
am meisten peripherischen Theilen mehr, als an den mehr central warts gelegenen; 
die Muskelnerven waren intact. Herr Sakaky, der auf W.’s Veranlassung die be- 
treffenden Untersuchungen angestellt hat, wird selbst darhber Genaueres berichten. 

Sakaky: Es handelt sich urn einen Fall von Tabes bei einer Frau von 
38 Jahren, die nach 9jahriger Dauer der Krankheit starb. Neben den gewShnlichen 
klinischen Symptomen waren dagewesen: Verlangsamung der Empfindungsleitung, Ver- 
nichtung des Muskelgeffthls, schliesslich fast vollstandige Anasthesie beider Unter- 
schenkel. Die Obduction ergab die graue Degeneration der Hinterstrange, gleich- 
zeitig wurden eine Anzahl Nerven herauspraparirt (Nn. saphenus major, cutan. femor. 
intern., die Rami musculares ffir den M. extensor quadriceps und N. cutan. brach. 
extern.), in der gewOhnlichen Weise in Chromsaure gehartet, geschnitten und gefarbt. 
Gleichzeitig wurden Praparate von normalen Nerven in derselben Weise hergestellt. 
Wahrend im normalen Nerven des Erwachsenen in einem Quadratmillimeter 3000—3700 
deutlich erkennbare markhaltige Nervenfasern zu linden sind, und zwar mit geringem 
Unterschied zwischen centralen und peripherischen Abschnitten, verhalt sich die Sache 
ffir die Tabes ganz anders, wenigstens soweit es in dem untersuchten Fall die Nv. 
sapbenus major und minor betraf, wahrend die Muskelaste und der N. cutan. brach. 
extern, normal waren. Zahl der markhaltigen Nervenfasern in 1 Quadratmillimeter: 

Normal Tabes 



central 

peripherisch 

central 

peripherisch 

N. saphen. major . 

. 3200 . 

. 2944 . 

. 2432 . 

. 896 

N. saphen. minor. . 

. 3392 . 

. 3200 . 

. 1920 . 

. 2176 

Muskelast . . . 

. 3136 . 

. 2944 . 

. 2880 . 

. 3428 

N. cutan. brach. ext. 

. 3072 . 

. 3584 . 

. 3712 . 

. 2944 


Unter dem Mikroskop zeigt sich femer in den pathologischen Nervenpraparaten 
nur eine geringe Zahl normaler Nervenbfindel, wahrend der Rest aus Bindegewebe, 
aus geschrumpfter Schwann’scher Scheide bestehi Yacuolenbildung der Axencylinder 
und Fettkornchenzellen konnte nicht nachgewiesen werden, wohl aber eine Yermehrung 
der Kerne des Endoneurium und eine Yerdickung der Gefasswande. 


Uhthof/ „iiber Sehnervenatrophie". U. hat jetzt im Ganzen 154 F&Ue von 
Sehnervenatrophie untersucht. Davon waren: 

spinalen Ursprungs. 

cerebralen Ursprungs .... 
genuine progressive Atrophie 
aus Neuritis hervorgegangen 
durch Orbitalprozesse veranlasst 
bei Dementia paralytica entstanden 


30% 

24% 

15% 

12 % 

6 °/o 

4,2%. 


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Der Rest vertbeilte sich auf Fall© yon Alcoholmissbranch u. A. Hierbei ist zunachst 
die bobe Ziffer yon 30°/ o fbr die spinalen Formen bemerkenswerth, besonders im 
Verhaltniss zu den 16 °/ 0 der genuinen progressiven Atropbie, wahrend man frdber 
(y. Grafe) relatiy yiel mebr Falle der genuinen Form zurechnete. U. meint, dass die 
immer mebr yerbesserten diagnostiscben Hfllfsmittel die Zabl der genuinen Atropbien 
burner mebr beschranken, vielleicbt ganz beseitigen werde, wie ja jetzt scbon die 
spinalen Formen yiel besser erkannt werden (Kniephanomen). 

Betreffs der Defect© des Gesicbtsfeldes unterscbeidet U. vier Formen: 1) Die 
gleichmassige Beschrankung der Sehscliarfe des ganzen Gesicbtsfeldes (haufigste Form). 
2) Ausfall ernes, gegen den Rest des Gesicbtsfeldes scbarf abgegrenzten, Theiles des- 
selben. 3) Ausfall einer Halfte, der oberen Oder unteren; docb ist die Halbirung, 
resp. Symmetric niemals genau, und diese Form von wabrer Hemianopsie zu unter- 
scbeiden. 4) Ausfall der Peripherie bei mebr Oder weniger intactem centralen Seben: 
eine Form, welcbe U. im Ganzen 4mal geseben bat. (Das mikroskopische Praparat 
eines solcben Falles wird von U. demonstrirt.) 

Dass bei den Atropbien eine Seite, die nasale Seite (v. Grafe), oder die tem¬ 
poral (FOrster), ttberwiege, kann U. nicbt linden. 

Nur 5mal unter alien Fallen spinaler Atropbie fand U. gleicbzeitig Augenmuskel- 
lahmungen. 

Bei den cerebralen Formen waren etwa in der Halfte der Falle Spuren von 
Neuritis naclizuweisen. Ein Drittel dieser Kranken war in jugendlichem Alter. 

Auch Neuritis mit folgender Opticus-Atrophie zeigte sich besonders bei jugend- 
licben Individuen und zwar ftberwiegend mannlicben Gescblecbts. 

Ebenso trifft die hereditare Neuritis so tiberwiegend das mannliche Gescblecbt 
— besonders zwiscben 12 und 30 Jabren — dass man das weibliche fast als immun 
bezeicbnen kann. 

Einmal gesellte sich Diabetes bei dieser Form zur Atropbie des Opticus hinzu; 
von anderen complicirenden Nervenkrankbeiten sah U. nichts. 

Dass die Dementia paralytica nur 4,2°/ ft lieferte, kOnnte auffallen. Aber U. 
scb6pfte sein Material nur aus der Augenklinik, nicht aus Irrenanstalten. 

Zum Schluss stellte U. nocb einen jungen Menscben mit beiderseits temporaler 
Hemianopsie vor, welche nach einer Fractura baseos cranii mit mutbmaasslicber Yer- 
letzung des Cbiasma zurilckgeblieben ist und seitdem unverandert bestebt, bbrigens 
dem Patienten, er ist Schneider, kaum hinderlich ist. Hadlich. 


Clinical Society of London. Sitzung vom 26. October 1883. (The Lancet. 

1883. Nov. 3.) 

Dr. Charlton Bastian berichtete einen Fall von Hirnh&morrhagie bei 
einem lGjfthrigen Knaben, der seit ca. 3 Wocben vor seinem Ende an vorftber- 
gebenden Kopfschmerzen gelitten batte. Pat. wurde nach einer leichten kdrperlicben 
Anstrengung (beim Reiten) plOtzlicb bewusstlos, bekam toniscbe und kloniscbe Krampfe, 
er bracb. SoporOs in's Hospital verbracbt, zeigte sich neben der Fortdauer der ge- 
nannten Convulsionen eine fast complete linksseitige Hemiplegie. Unter Unregel- 
massigkeit der Athmung Entwickelung von LungenOdem etc. starb der Kranke nach 
wenigen Stunden. 

Die Section ergab einen hamorrhagischen Erguss in alien 4 Ventrikeln, welcber 
dberdies an die Hirnbasis gedrungen war und dort eine subarachnoidale Blutung er- 
zeugt batte. Ganz frischer Bluterguss in den Linsenkem. Erkrankung des Herzens 
oder der Gefasse nicbt nacbweisbar. 

Derselbe erzahlt die Krankengescbicbte eines 67jabrigen Potators, der den 
Morgen nach einem starken Excess bewusstlos umgefallen war und comatOs mit extrem 
verengten Pupillen, eowie mit balbseitiger Rigiditat der recbten KOrperbalfte in's 


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Hospital aufgenommen wurde, wo er uuter enorm niedriger Temperatur nach einigen 
Stunden verschied. 

P. M. Ausgedehnter intraventricularer Bluterguss mit partieller Zerstorung des 
rechten Streifenhflgels; an letzterer Stelle fand sich ein Aneurysma von etwa % Zoll 
Durchmesser, in dessen Wand ein etwa 1 Linie grosser Biss sich fand. Die grosseren 
Hirngefasse frei. 

Vortr. hebt an seinem Falle als besonders bemerkenswerth hervor: 1) die weit- 
gebende Temperaturerniedrigung; 2) das seltene Vorkommen aneurysmatischer Er- 
weiterungen einer der kleinen in die Streifenhugelsubstanz eintretenden Gefasszweige; 
3) die Abwesenheit yon Convulsionen trotz des Blutergusses in die Ventrikel; 4) die 
Thatsacbe, dass nicht sowohl eine Pupillenerweiterung, als hocbgradige Myosis be- 
stand — als Ausdruck der Druckwirkung der subaraclmoidalen Blntung. 

East. 


51. Versammlung der British Medical Association. (British Medical Journal. 

1883. Aug. 18 and Sept. 22.) 

Althaus, On some postepileptio phenomena. An der Hand eines reichen 
klinischen Materials liefert A. statistiscbe Daten zur Wtlrdigung der H&ufigkeit acuter 
oder chronischer psychischer StOrungen im Gefolge epileptischer Anf&Ue. 

Unter 250 Epileptikem, die er innerbalb 6 Jahren beobachtete, waren nur 
89 = 35,6 °/ 0 von jeder mit der Epilepsie in Zusammenhang zu bringenden 
geistigen Anomalie. Von diesen hatten 61 = 68,5 % gewOhnlich des Nacbts, 28 = 31,4°/ 0 
unter Tags ibre Attacken — sammtliclie nur typische und ausgebildete Krampfanfalle. 

Dagegen fallen alle Kranken seiner Clientel, die nur an Petit mal, epileptischen 
Schwindel etc., flberhaupt nur an rudiment&ren Anf&llen litten, unter die 161 FSlle 
mit mebr Oder weniger schwerer und andauemder geistiger StSrung und zwar zeigten 
123 = 76,5 °/ 0 typische Convulsionen, 26 = 16,1 % Petit mal, 12 = 7,4% epileptoidem 
„Automatismus“. Dem Geschlechte nach vertheilten sich die Falle auf 91 = 56,5% 
Manner und 70 = 43,5% Frauen. Das Lebensalter der befallenen Individuen 
schwankte zwischen 5 und 62 Jahren derart, dass die Altersperiode zwischen 5. und 
15. Jahre mit 10,5% am wenigsten, die von 15—25 Jahren mit 24% am st&rksten 
belastet erscheint; bei den ubrigen Decennien schwankte die Procentzahl von 15—16. 

In atiologischer Hinsicht war bei 66 Patienten = 40,9 % Hereditat nach- 
zuweisen. Eigenartige ursachliche Momente fQr die mit psychischen Folgeerscheinungen 
verlaufenden Falle waren nie zu eruireu. 

Die letzteren sab A. wesentlich unter zwei klinischen Formen verlaufen: 1) Acute 
transitorische StGrungen im directen zeitlichen Anschlusse an die Krampfzufalle. 
2) Chronisch verlaufende, stetig progressive Abnahme der geistigen Krafte nach den 
epileptischen Attacken. 

Die typische Periodicitat der meist in derselben Gestalt, nur gewShnlich in 
successive schwererer Form auftretenden Psychosen bildet fUr A. das treffendste 
charkteristische Merkmal der acuten Form des postepileptischen Irreseins. Als Para- 
digma der letzteren wird in ex tenso die Krankengeschichte einer Patientin mit- 
getheilt, bei der von Anfang an im Anschluss an klonische Krampfanialle im Gebiete 
des Facialis und Quintus mit mehr oder weniger tiefem Bewusstseinsverluste sich 
regelmassig ein mehrere Tage lang anhaltender Erregungsznstand mit lebhaften 
Hallucinationen des Gehors und Gesichts in progressiv gesteigerter, meist den ur- 
sprtlnglichen Krampfanfallen conformer Intensitat einzustellen pflegte (vgl. Original). 
Bei der Behandlung dieser Kranken sah A. vom Chiningebrauch gftnstigen Erfolg. 

Dem Inhalte der geistigen StSrungen nach vertheilen sich die Falle wie folgt: 
„Erregungszustande mit Hallncinationen 22 = 13,6%, Manie mit Verfolgungsideen 
12 = 7,4%, krankhaft heitere Exaltation 3 = 1,8%/* 124 Kranke=77% fallen 


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unter die Form der chronischen Abnabme dee intellectuellen YermOgens in all ihren 
Graden yon der einfacben G edachtni ssschwache bis zur Imbecillitat. Das ziemlicb 
cbarakteristiscbe Krankbeitsbild zeicbnet sicb nacb A. aus durcb eine allmablicbe 
Verlangsamung der geistigen Thatigkeit, durch Scbwache des Urtheils, das Gefftbl 
des Zuriickgesetztseins in der Gesellschaft, endlicb durcb ein wenigstens partielles 
Bewusstsein der Erkrankung, deren psycbiscbe Wirkungen jedoch geflissentlich ge- 
leugnet werden. Grosse Dosen von Bromkalium baben auf das geistige Yerbalten 
derartiger Kranken einen eber schadlichen, Cbinin, Phosphor, Strychnin nnd Arsenik 
(in der genannten Reihenfolge) gewOhnlich gunstigen Einfluss. Bezuglich gewisser 
Falle tbeils hystero-epileptischer, theils ausgesprochen epileptiscber Krampfe bei 
Onanisten, bei denen baufig intellectuelle Defects sicb ffihlbar macben, bemerkt A., 
dass er sie bei seiner Statistik ausgescbieden babe, weil in der Begel nacbweislicb 
die Masturbation an sicb scbon ein Symptom beginnender psychiscber Scbwache dar- 
stelle. Er will wiederbolt durcb baufige kraftige Aetzungen der Gians penis, bei 
Frauen der Clitoris, bei derartigen Masturbanten gftnstigen Erfolg erzielt baben. 
Endlicb blieben bei seiner Zusammenstellung alle Falle von „symptomatiscber Epilepsie", 
nacb Schadel-Verletzungen, Syphilis etc. eo ipso unberdcksichtigt. 

A. Hughes Bennett, On Hysterical Malingering. Eine 45j&hr. Kranken- 
warterin bot wahrend mebrmonatlicber Beobacbtung die Erscheinungen einer scbweren 
Hysterie: Halbseitige Contractur der rechtsseitigen Extremitaten, verbunden mit der 
klassiscben Form der totalen Hemianastbesie dieser Seite, einscbliesslich halbseitiger 
Stdrung des Gesichts (Yerminderung von S., FarbensinnstSrung), GehGrs, Geruchs 
nnd Geschmacks. — Haufig wiederkebrende touiscbe und klonische Krampfe von 
einstundiger und nocb langerer Dauer mit unvollkommenem Bewusstseinsverlust, nicbt 
selten vorwiegend recbtseitig und gefolgt von einer vasomotoriscben Stflrung (erytbema- 
tOse Fleckung) an der Haut dieser KCrperhalfte. Metallo-therapeutiscbe Proceduren 
(Eisen) erzielten anf&nglich Wiederkebr der Sensibilitat — ohne Transfert — ver- 
sagten aber schliesslich, und erst nacb Wochen wurde zufallig die ohne alle weiteren 
Maassnahmen eingetretene Restitution der normalen Empfindung constatirt Dagegen 
blieben die motorischen Storungen Monate lang durchaus ungebessert — Patientin 
konnte weder stehen nocb gehen — und wurde schliesslich nacb Hause entlassen. 

Scbon wenige Wochen spater wurde die Person gericbtlich verfolgt wegen mebr- 
facber Schwindeleien und Diebstable, die sie kurze Zeit nacb ihrer Entlassung be- 
gangen hatte. Ibre Motilitat war jetzt eine durchaus ungestflrte und gestand sie 
einer Freundin, alle die oben genannten Krankbeitserscbeinungen willkdrlicb horvor- 
gebracbt und so durch Monate lang ihre Aerzte getauscht zu haben. In dieser 
Aussage findet H. B. genhgenden Grund, den Fall als ein pragnantes Beispiel jener 
eigenartigen Tauschungssucbt der Hysteriscben hinzustellen, in welchen es sich nicht 
sowohl urn ein Heucbeln nicbt vorbandener Krankbeitszustande bandelt — wie beim 
gewOhnlicben Simulanten — sondern urn die Yorfiihrung willktirlich bervorgebracbter 
pathologischer Zustande auf der Basis einer ubergrossen Erregbarkeit des Central- 
nervensystems. Die allbekannten Erfabrungen von „Selbsthypnotisirung u bei Indi- 
viduen, deren Nervensystem durch wiederbolte hypnotische Proceduren in einen patbo- 
logischen Erregungszustand versetzt wunde u. dgl., werden als Parallelen angefbbrt. 

_ East. 


IV. Bibliographic. 

Iaeit&den der Psychiatric fQr Mediciner und Juristen von Dr. H. Neumann, 
Prof, an der Universitat in Breslau, Director der psychiatrischen Klinik etc. 
Breslau 1883. Preuss & Jtlnger. 134 S. 

Der Herr Verfasser behandelt in diesem Leitfaden — abgesehen von der Vor- 
rede, mit der wir uns nicbt zu beschaftigen baben — die Psychiatric inclusive ihrer 


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Beziehungen zum Staatsleben. Bei dem Umfange des Buclies 1st natnrgemass eine 
in jeder Hinsicht erscliopfende Darstellung nicht beabsichtigt worden und ffir den 
Streit der Meinungen ist kein Raum geblieben. Seine Bearbeitnng konnte das, was 
sie geschaffen bat, nnr erreichen durch scbarfes Hervorheben der Yon ibm als wich- 
tigste angesebenen Punkte und eine sebr precise Fassung des Gegebenen. Diesem 
Umstande und der Thatsacbe, dass der Herr Verf., auf eine reiche Erfahrung zurfick- 
blickend, ganz und gar auf den Boden einer aus eigenem Denken erwacbsenen An- 
scbauung sicb gestellt bat, ist es zuzuscbreiben, dass gegen Einzelbeiten in der Dar¬ 
stellung z. B. gegen die Classification von mancber Seite Einwfirfe erboben werden 
kdnnten. So in der Frage der primaren Verrficktbeit und namentlicb gegenfiber der 
Abgrenzung, in welclie der Herr Verf. den Begriff der Paralyse fasst, wobei auch die 
somatiscben Veranderungen, welcbe nur vom Gesichtspunkte der „Ataxie“ betracbtet 
werden, in den Hintergrund treten. Ob eine solche Darstellung nicbt geeigneter ffir 
den Yorgescbrittneren, als ffir den medicinischen Neuling, oder ffir den Juristen sicb 
erweisen wird, muss dabingestellt bleiben. 

Bei der Lectfire der Schrift tritt die ja von frfiher her bekannte ausserordent- 
licbe Klarbeit der Darstellung, welcbe jedes halbe Verstfindniss oder Missverstfindniss 
ausschliesst, und die lebbafte Gedankenentwickelung derart bervor, dass auch die 
anfanglich etwas fremd anmuthende Fassung in kurze, fast tbesenbafte Paragrapben 
bald als eine angemessene Form empfunden wird. Die Abneigung gegen das Pao* 
tiren mit Hypotbesen, die bfindige Anerkennung der Unmfiglicbkeit so viele z. B. 
atiologische Fragen zu beantworten, der kritiscbe Zug, der sich aucb gegen mancbe 
eingewurzelte Unklarbeit des Ausdrucks, wie „Vorboten“, „pseudo“ „typisch“ etc. in 
lebhafter Weise wendet, verleihen dem Buche einen anregenden Charakter. 

Moeli. 


V. Vermischtes. 

Durch Entscheidung des Reicbsgerichts vom 29. October 1883 ist festgestellt, dass 
auch dann die Strafe der schweren Kfirperverletzung eintritt (§ 224 des deutschen Straf- 
gesetzbuches: hat die Kfirperverletzung zur Folge, dass der Verletzte — in Geisteskrankbeit 
verfallt etc.), wenn die in Folge der Kfirperverletzung eingetretene Geisteskrankheit eine 
heilbare ist. M. 


The London Medical Record berichtet von einer Krankheit der Geldzahlerinnen, die in 
Washington in dem Treasury Departement angestellt sind. Sie bekommen Schmerzen in den 
Handen, im Kopf, in den Augen und erkranken schbesslich an allgemeinen Ernahrungs- 
storungen. Diese Symptome werden durch den bei der Herstellung der Mfinzen verwendeten 
Arsenik hcrvorgebracht. M. 


Ein erwahnenswertber Fall von transitoriscbem Inresein wird aus einem Bleihfittenwerk 
in Nevada mitgetheilt. Ein Bergmann, der mit der Ausbesserung eines Bleiofens beschaftigt 
war und langere Zeit die aufsteigenden Dfinste batte einatbmen mfissen, wurde von einem 
plfitzlicheu Wu than fall ergriffen und drang mit einem Hammer auf drei bei ibm stehende 
Arbeiter ein. Er wfirde sie alle ermordet haben, wenn nicht noch reebtzeitig Hfilfe herbei- 
gekommen ware und ihn nach langerem Kampfe gebunden batte. Kaum war er aus der 
Bleiatmosphare entfernt und an die frisebe Luft gebracht, so legte sicb die tobsiichtige Er- 
regung und es trat schnell vollige Aufklarung ein. Ueber etwaige Amnesie ist nichts ge- 
sagt. Der betreffende Patient war frfiher ganz gesund gewesen, doch war er neuropathisch 
sebwer belastet. (The Alienist and Neurologist; 1883. IV. p. 698.) Sommer. 


Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen ffir die Redaction sind zu richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mxtzgbe & Wittig in Leipzig. 


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Neueologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie', Physiologic, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschHesslich der Gfeisteskrankheiten. 


Drifter 


Herausgegeben von 

Dr. E. Mendel, 

Privatdocent an der Unlrenitit Berlin. 


iahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zn heziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deatschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlang. 


1884. 6. Februtfr. Ne 4. 


I n h a 11. I. Oriainalmittheilungen. Meningitis spines chronica der Cauda eqnina mit 
secundarer ftfickenmarksdegeneration, wahrscheinnch syphilitiscben Ursprungs, yon Elsenlohr. 

II. Rbferate. Anatomie. 1. La oapacita del cranio in rapporto alia statura del Amadei. 
— Experimentelle Physiologie. 2. On the cortical areas removed froiq t)ie brain of 
a dog, and from the brain of a monkey, a report by Klein, Langley and SchSfer. 3. Ett 
enkelt fSrfaringssatt att bestamma musteteinnets sk&rpa af Bttxi — Pathologische Ada- 
tomie. 4. Myelitis chron., diffusa par Raymond. — Pathologie des Nervensystems,. 
5. Contribution a I'&ude de rh^niichorde symptomatique dans les lesions c4r6brales par IRab- 
bdorf. 3. H6mipl6gie faciale inf&ieure* h&nipldgie brachiaie ldgfcre avec paralysie complete 
des extenseurs de la main sur l’avantbras, a gauche, survenues a la periods ultime u’une 
affection cardiaque, par sordl. 7. Note sur un cas de compression de la protuberance par 
dilatation anlvrysmale du tronc basilatre par Hhllopdaa et fflraudtiaif. 8. Fall von Hysterie 
mit spontaner Hypnose von Rybalkln. 9. Du Mutisme hysterique par Revllliod. 10. Two 
cased of hysteria by Wflfftn. 11. Zur Symptomatology der Rfickenmarkscompression bei 
tuberculoser Caries der uuteren Halswirbel von Kahler. 12. Crampe fonctjonelle du cou par 
Fdr4. — Psychiatrie. 13. Sur la theorie de la paralysie gen^rale par Balllarger (Schluss). 
14. Syphilis iii its relation to progressive paresis by Kfernah. 15. Beitr&ge zut Pathologie 
nnd p&thologischen Anatomie der progressive^ Paralyse von Zacher. r- Therapie. 16. Ueber 
Schlaflosigkeit nnd Schlafmittel von Eickholt. — Forensische Psychiatrie. 17. Ueber 
die Verbreitung nhysischer Degeneration bei Verbrechern und' die jBeziebungen zwischen 
Degenerationszeichen und Neuropathien von Knecht. 
tli. Aus den 1 GeSeltschhtten 1 
IV. Bfttiogi'aphfe. 


t. Originalmittlisilungen. 

Meningitis spinalis clironica der Cauda equina mit 
secundarer Riickenmarksdegeneration, wahrscheinlich 
syphilitischen Ursprungs. 

Vori D/. C. Elsenlohr in Hamburg. 

Weniger die ThatsaChe tmd Fontider secuttdaren Rfickeiiitiartevefanderaiig, 
als die eigenthumliche Natufc und def Yeriatif des an der Cattda equina etablirten 
Krankheitsprozesses stftteWen' nifr den fblgetfdfcn Fall einer Mittheiliidg werlh zu 
machen. Beobachtung mid ari&tomische Untersuchung wurden mir durch die 
Gute des Herm Dr. BUlau, Oberarztes am allgemeinen Krankenhause, ermoglicht. 


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Ein BOjahriger Kaufmann kam Ende Mai 1876 von New-York nach Ham¬ 
burg und liess aich am 31. Mai im allgemeinen Krankenhause, einer in der 
letzten Zeit aufgetretenen Lahmung der Beine halber, aufhehmen. Er hatte vor 
11 Jaliren Syphilis acquirirt, deren wesentliche Manifestation nach seiner Er- 
zahlung ein Exanthem in der Umgebung des Anus gewesen war. Im Laufe 
des letzten Jahres stellten sich zuerst Obstipation and anangenehme Sensationen 
in der Aftergegend ein, dann gesellte sich hinzu motorische Schwache in den 
unteren Extremitaten, besonders dem linken Bein. 

Die Obstruction wurde sehr hartnackig, es trat Incontinenz des Urins ein 
und auf der Beise nach Europa wurde ziemlich plotzlich das rechte Bein ganz 
gelahmt. 

Bei der Aufnahme constatirte man hochgradige Lahmung des Mastdarms, 
der, mit Koth angeffillt, sich seines Inhaltes nur mit grosster Schwierigkeit ent- 
ledigte, Lahmung der Blase mit Incontinenz, Blasencatarrh mit reichlicher Eiter- 
menge im Urin. 

Die rechte untere Extremitat vollkommen unbeweglich in alien Gelenken. 
Das linke Bein kann aufgehoben und in alien Gelenken bewegt werden, aber 
mit wesentlich herabgesetzter Kraft. Die Hautsensibilitat an beiden Unter- 
extremitaten stark herabgesetzt, an der linken in hbherem Grade, als an der 
rechten; an letzterer besonders an der Aussen- und Hinterseite des Oberschen- 
kels, an der ersteren besonders an Yorder- und Innenseite des Oberschenkels. 
Pat. klagte fiber haufige dumpfe bohrende Schmerzen in den unteren Extremi- 
taten, im Mastdarm, und qualenden Urindrang. 

Enter eingeleiteter Innuctionskur besserte sich die Motilitat der Unter- 
extremitat etwas; am 13. Juni wurde wiederkehrende Beweglichkeit in der rechten 
Oberschenkelmusculatur constatirt Die Reflexe von der linken Planta aus in 
der linken TJnterextremitat schwach, dagegen lebhaft gekreuzt in der rechten. 

Im Juli nahmen die subjectiven Beschwerden des Patienten, bald mehr 
dumpfe, bald lebhaftere Schmerzen im After und in den Beinen wesentlich zu. 
Auf dem Kreuzbein bildete sich ein Decubitus. Die Muskeln der Beine magerten 
in erheblichem Grade ab (Strychnininjectionen, Faradisation der Muskeln der 
Beine, Sublimat innerlich, Carholinjectionen zur Linderung der Schmerzen). 

September. Die Zehen des rechten Fusses werden etwas beweglich. 
Klagen fiber Druck und Schmerz in der Kreuzgegend und im After, Schwere 
und Schmerzen in den unteren Extremitaten dauem fort Decubitus auf dem 
Os sacrum in Heilung; dagegen haben sich auf Gesass und Trochanteren Decubitus- 
stellen gebildet (Lagerung auf dem Schragbett). 

December. Anasthesie entsprechend der Motilitatsstorung an der rechten 
TJnterextremitat und speciell im Ischiadicusgebiet starker ausgesprochen. Die 
unausgesetzt andauernden neuralgischen Sensationen in After und Kreuz, den 
unteren Extremitaten machen Morphininjectionen nothwendig. 

Januar 1877. Auftreten schmerzhafter Muskelzuckungen in den unteren 
Extremitaten. 


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April 1877. Rechtes Bein noch hochgradig gelahmt, die Motilitat des 
linken doch noch so gut, dass Pat auf kurze Zeit stehen kann. 

Yom 19.—29. April ein Erysipelas faciei, das Anfang Mai recidivirte. 

October 1877. Nur noch eine flache Decubitusstelle auf dem rechten 
Trochanter. In beiden unteren Extremitaten haufig Schmerzen von lanciniren- 
dem, durchfahrendem Charakter; Zuckungen im rechten Bein. 

Motilitat der rechten unteren Extremitat sehr erheblich beeintrachtigt, aher 
besser, als bei der Aufnahme. Die Bewegungen des Fusses schwach und wenig 
ausgiebig, besser ausgefuhrt, aber von geringer Energie die Beugung und 
Streckung im Eniegelenk. 

Tiinks sind sammtliche Bewegungen ausfuhrbar und von recht guter, doch 
untemormaler Kraft. 

Die Sensibilitat an der hinteren Flache beider Oberschenkel bis zur 
Kniekehle ziemlich erloschen, herabgesetzt beiderseits an der Wade, rechts mehr 
als links. 

Auf der Yorderseite des Oberschenkels ist die Sensibilitat beiderseits ziem¬ 
lich gut erhalten; an der Aussenseite des linken Unterschenkels stark herab¬ 
gesetzt Hyperalgesie am Fussrucken und um die Kndchel beiderseits. An der 
rechten Planta starke Herabsetzung der Sensibilitat, links ist dieselbe ganz und 
gar erloschen. Plantarrefiex rechts schwach, fehlt links. Das rechte Bein er¬ 
heblich abgemagert im Vergleich zum linken. Die Prufung der elektrischen 
Erregbarkeit ergab geringe Herabsetzung der faradischen Reaction im N. peroneus 
und tibialis links; die directe faradische Erregbarkeit in den Mm. tibial. antic, 
extens. digitor., hallucis, dem triceps surae sin. durchaus erhalten und nur wenig 
vermindert, deutlich herabgesetzt in den Flexoren des linken Unterschenkels. 
Rechts bedeutende Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit im N. peroneus, 
Aufhebung derselben im N. tibialis. Mm. tibial. antic., extens. digitor. et hallucis, 
flexores cruris bei directer faradischer Reizung unerregbar. 

Fur den galvanischen Strom geringe Herabsetzung der indirecten Er¬ 
regbarkeit im N. peroneus und tibialis sinist., starkere Herabsetzung im N. peron. 
dexter, Erloschensein im N. tibial. dexter. Bei directer Reizung im N. tibial. 
antic, und in den Extensores digitor. rechts exquisite galvanische Entartungs- 
reaction mit quantitativer Herabsetzung, langgezogene AnSZ > KaSZ. Im 
Gastrocnemius dexter AnSZ = KaSZ, quantitativ herabgesetzte Erregbarkeit 

In den Flexores cruris rechts keine Reaction. 

Links in den genannten Muskeln des Unterschenkels bei directer galvanischet 
Reizung rasche Zuckungen mit starkerer KaSZ. 

November. Emahrung leidlich. Sitzen auf langere Zeit unmoglich wegen 
Zunahme der Schmerzen in den unteren Extremitaten. Fortdauemder dumpfer 
Schmerz, Ziehen und Drangen im After. Die schmerzhaften Empfindungen 
verbreiten sich langs der Hinterseite der Oberschenkel. Daneben anfallsweise 
in mehrtagigen Intervallen sehr heftige bohrende Schmerzen in beiden Ober- 
schenkeln, rechts mehr als links. 

Keine vollstandige Lahmung, weder rechts noch links, auch mit dem rechten 


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Bein frann Pat so zjjsmlich &4e Jlewegungep apsfphren, aber dpjrpbaps kraftlos, 
das reohte Bein geratif beim Erbeben in fpichfes Ziftera; keine Sppr yep Afaiie. 
Keine eigentlichep Zucjtppgen der Mflskejp, 4°°^ hesjebt.rechts permanent ein 
An- und Abschwellen der Glptapi, ^uyeilep aucfy der ^uskejn ap dor Aqssen- 
seite des Oberscbenkels, fast rhythmisch ca. §0mal in der kfinqte. J4nke be- 
stehen diese Contractipnen nfcht. 

Muskelgefuhf vollkpmmpn eyhalten, Paf. isf pber (fie Lagp seiner (Bieder 
unmer orientirt. 

Die Hautsensibilitat noch in beiden Ischiadicusgebieten wesentlich alterirt 
far Tast- und Schmerzeindrucke, far Temperataren besser oonserrirt Cruralis- 
gebiete in Bezug auf die Sensibilitat erheblich besser, besonders das rechte. 

Blase Tollkommen gelahmt, permanentes Haratraufeln, ohne dass Pat eine 
Empfindung davon hat 

Stuhl geht unwillkurlich ab, doch giebt Pat an, dass er das Andrangen 
des Kothes durch Yermehrung der schmerzhaften Empfindungen an der Hinter- 
seite der Oberscbenkel wabmehme. 

Die folgenden Monate waren eine Zeit schwer zu beschreibenden Leidens 
far den Patienten. XJnausgesetzt von Schmeizen in den anteren Extremitaten 
gequalt, die nor vor&bergehend durch Morphin gelindert wurden, mit vollkommner 
Lahmung von Blase und Mastdarm, trotz sorgfaltiger Pflege wieder vergrosserten 
Decubitus versank Pat. auch psychisch in einen Zustand tiefetpr Depression. 
Im Februar 1878 machte er, lebensuberdrossig, einen Selbstmordversuch, indem 
er sich die Badialarterien anschnitt, blieb aber trotz erheblichen Blutverlnstes am 
Leben. 

Am 12. Marz 1878 wurde er dorch den Tod befreit, nachdem er einige 
Tage in einem halb comatosen Zustand mit Erhaltung einer Spur von Bewusst- 
sein, aber mangelnder Pupillen- und Comealreaction gelegen. 

Section aip 13. Marz 1878, 12 Stunden post piort Tiefer Decubitus aof 
dem Krpuzbein, \yeniger tiefer auf den Trochpnteren. 

Dura spipalis yog der Jfohe des 10. Dorsalnervep bis zuig Ende des 
Sadies pn dey hinteren Fiacre fest mit <fer Pia yerwpchsen; auf der yorderep 
yfache ersfreckt sich diese Venyachsung nur bis ?pr hflitte der H5he dey Cppde 
equina. Nacfi Trepnung dipser Veiyvachsupgen zeigt sich dip Pia pp der hjp.- 
teren Flache sulzig getrubt und, verdickt; es eysfreckt sich diese Verdickpng in 
abnetnpendem Grade bis zum mitfleren Dorsaltheil. 

Die Nerven der Cauda equina unter einander fest yerlothet durch von 
der yerdichtep Pip ausgehende, qberall zwischen jene eindringende bindegewebige 
Septa. Dfe letzteren sind in der hinteren Ifalfte starker uqd derber, als ip der 
yorderen und erstrecken sich ip einer Hohe von ypehreren Centimetem durch 
dap Copvolut dey Nervenwuryelp, epthaltep tibrigens keine Spur von gallert^gen 
Oder kasigem Eisudat 

Die hinteren W urzeln des unteren Ruckenmarksabscbnitts oberhalb dor 
Yerscbineizungsstelje in der Cauda equina und zwar vom Einfrttt in’s Rucken- 


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mark an dunn nnd grauroth, die vorderen Wurzeln zum grossten Theil weiss 
gefarbt. 

Das Ruckenmark zeigt im Sacraltheil auf dem Durchschnitt eine dunkel- 
braungraue Yerfarbung der Hinterstrange in tote. In der grauen gelatinos 
durchscheinenden Masse sind einige weissgelbe Striche und Flecken zu sehen. 

In der Hohe der Lendenanschwellung dieselbe graue Verfarbung der Hinter¬ 
strange. Im unteren Dorsaltheil die inneren Partien beider Hinterstrange leb- 
haft grauroth mit weissen strichformigen Flecken. Die graue Substanz im 
Lenden- und Brusttheil eingesunken und blass, die Zeichnung otter verwaschen. 
Die Degeneration der Hinterstrange nimmt im oberen Dorsaltheil immer mehr 
die Form eines regularen in der Mitte gelegenen Keils an. In den Hinter- 
strangen des Halstheils sind die hinteren Partien der GoLi/schen Strange in 
Keilform grau verfarbt und mit denselben weissgelben Streifen versehen, wie 
tiefer unten. In der Pyramidenkreuzung ist nur noch ein schmaler degenerirter 
Saum an der hinteren Peripherie sichtbar; in der Hohe der Oliven keine Ver- 
anderung mehr. 

Gehirn anamisch; in der Pia, in der Umgebung des Pons, einige kleine 
flachenhafte Hamorrhagien. 

Aus dem ubrigen Sectionsprotokoll ist nur zu erwahnen, dass die Milz gross, 
der linke Ureter erweitert, in der Rinde der linken Niere einige radiar ange- 
ordnete Gruppen weissgelber kleiner Herde gefunden wurden. 

Die Musculatur der rechten unteren Extremitat hochgradig atrophisch, 
theils blassgelb, tlieils blassbraun verfarbt; die Veranderung sowohl am Ober- 
als am Unterschenkel ausgesprochen. Besser ist die Musculatur des linken 
Beines, besonders am Oberschenkel, doch zeigt sich auch hier eine deutliche 
Verfarbung. 

Nervenstamme rein weiss, an Yolum nicht merklich verandert. 

Mikroskopisch frisch untersucht erwiesen sich die im Sectionsprotokoll er- 
wahnten weissgelben Flecke im Gebiet der grauen Hinterstrange als Con¬ 
glomerate von grossen Komchenzellen, die in der Umgebung der Gefasse massen- 
haft angehauft waren. Ausserdem fandensich zahlreiche Corpora amylacea. 

Die Cauda equina zeigt auf Querschnitten nach derHartung eine innige 
Yerkittung ihrer Nervenbundel durch die bindegewebigen Einstrahlungen, die 
von den adharenten, verdickten und verschmolzenen Ruckenmarkshauten aus- 
gingen. An der hinteren Partie waren diese Yerwachsungen fester, die einge- 
schobenen Septa dichter und breiter, als in den vorderen Abschnitten der Cauda. 

Die Faserbundel der hinteren Halfte der Cauda equina enthielten denn 
auch fast nur degenerirte Nervenfasem, leere Scheiden, die in Intervallen 
spindelformige Auftreibungen mit hyalinen Kugeln, feinkornigem Fette und 
Pigment besassen. 

Die vorderen Abschnitte der Caudabundel zeigten sich zum Theil ebenfalls 
hochgradig degenerirt und ihrer Markscheiden beraubt (Fettkomchen, Vermeh- 
rung der interstitiellen Zellenelemente), zum Theil fuhrten sie noch markhaltige 
Fasem, die aber im Allgemeinen verdunnt erschienen. Hochgradige Degeneration 


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boten die unterhalb der breiten Yerwachsungsstelle gelegenen, wieder frei ge- 
wordenen Faserbundel sowohl des vorderen als des hinteren Abschnitts der Cauda. 

Die vorderen Wurzeln oberhalb der Yerwachsungsstelle wohl erhalten, 
nicht degenerirt, dagegen waren die hinteren Wurzeln des ganzen Lumbaltheils 
durch Bundel stark atrophischer, nur mit sparlichen Markresten besetzter Fasern 
reprasentirt Doch fanden sich normale Fasern allerdings noch in ansehnlicher 
Zahl auf der linken Seite, wahrend rechts die Degeneration vollstandiger erschien. 

Die hinteren Wurzeln des untersten Dorsaltheils zeigten keine De¬ 
generation mehr. 

Die genauere mikroskopische Untersuchung des Ruckenmarks ergab in 
den Hinterstrangen — und nur in diesen — Degeneration in folgender 
Anordnung. 

Im unteren Sacraltheil sind die Hinterstrange total degenerirt, mit 
Ausnahme eines kleinen, hart der Medianlinie anliegenden Feldes, das nach vom 
bis etwa zur Mitte der letzteren reicht, und der der hinteren Commissur an- 
grenzenden seitlichen Partien der Hinterstrange. In dem degenerirten Terrain 
finden sich keine markhaltigen Fasern mehr. 

Im Lendentheil totale Degeneration der Hinterstrange; weniger intensiv 
ist dieselbe in den unmittelbar den hinteren Wurzeln angrenzenden Abschnitten, 
am intensivsten an der Peripherie und in der Medianlinie. Ganz frei ist kein 
Theil des Gebietes der Hinterstrange. 

Im unteren Dorsaltheil ist ebenfalls Alles degenerirt mit Ausnahme 
zweier fast freier Felder, die ihrer Lage nach der Mitte des inneren Randes der 
hinteren Wurzeln entsprechen. In den der hinteren Commissur anliegenden 
Abschnitten finden sich noch Nervenfasem. 

Im mittleren und oberen Dorsaltheil ruckt die Degeneration nach 
der Mittellinie zusammen zur Form eines Keils, der mit seiner Spitze bis an 
die hintere Commissur reicht, mit der Basis ungefahr die Halfte der Peripherie 
der Hinterstrange umfasst. Die Keilform ist streng gewahrt, ebenso ist die 
Degeneration auf beiden Seiten ganz symmetrisch. 

In der Hohe des 8. Cervicalnerven wie in der Halsanschwellung selbst ist 
die Spitze dieses medialen Keils von der hinteren Commissur erheblich abge- 
ruckt und reicht nur bis zur Halfte des sagittalen Durchmessers der Hinter¬ 
strange. Die Basis nimmt ca. x / 4 der Hinterstrangperipherie ein. 

Im oberen Cervicaltheil zeigt sich nahezu dasselbe Yerhaltniss; der Keil ist 
noch etwas schmaler geworden. 

Zwischen Ruckenmark und Medulla oblongata im Anfang der Pyramiden- 
kreuzung erscheint als degenerirtes Feld ein Dreieck, dessen Basis sich wieder 
verbreitert hat, ca. x / 3 der Peripherie der Hinterstrange symmetrisch beiderseits 
einnimmt. Die Degeneration verliert sich in den Kemen der Funiculi graciles. 

Im rechten N. ischiadicus finden sich bei der mikroskopischen Untersuchung 
zahlreiche degenerirte Fasern einzeln und in Bundeln zwischen normalen. 

Die Muskeln der rechten Unterextremitat zeigten zum Theil, besonders 


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der Gastrocnemius, ausgedehntere und intensive Degeneration, zum Theil (Sar- 
torios, Vastus extern.) nur partielle degenerative Veranderungen. 

Es handelte sich demnach anatomisch um eine ausgiebige Compression 
der Nervenwurzeln der Cauda equina mit den obligaten secundaren Degenera- 
fcionen bestimmter Abschnitte der Hinterstrange durch die ganze Lange des 
Ruckenmarks, mit secundarer Degeneration der direct betroffenen hinteren Wur- 
zeln nach aufwarts, der betheiligten Plexusabschnitte und Nervenstamme nach 
abwarts, sowie einer degenerativen Atrophie der Muskeln. 

Werfen wir einen Blick auf die lokale Ausbreitung der Hinterstrangdegenera- 
tion im Ruckenmark, so finden wir im Lumbalmark die Hinterstrange total 
(mit Erhaltung weniger Nervenfaserreihen in den lateralen und vordersten Par- 
tien) erkrankt, im untern Dorsaltheil kommt eine zunachst sehmale Zone langs 
der hinteren Wurzeln hinzu, die nach oben successive breiter wird, bis im mitt- 
leren Dorsaltheil die Degeneration die Form eines ganz regelmassigen Keils mit 
scharfer, dicht an die hintere Commissur reichender Spitze annimmt Im Hals- 
theil ruckt die Spitze dieses Keils erheblich nach hinten, wahrend auch die 
Basis des letzteren sich verschmalert, die Form aber immer geometrische Regel- 
massigkeit beibehalt. Im Uebergangstheil hat das Degenerationsfeld weniger 
feste Contouren, sondem bietet mehr allmahlichen Uebergang seiner Grenzen dar. 

Eine Parallelisirung unseres Falles mit den Fallen von Compression der 
Canda equina durch einen Tumor (Falle von Lange, Simon), sowie mit den 
neuerdings von Schultze 1 beschriebenen von traumatischer Quetschung der 
Cauda equina (Fall 1 und 2) ist naturgemass nahegelegt. 

Der Effect der Compression musste bezuglich der anatomischen Folgever- 
anderungen derselbe sein, wie bei einem Tumor; wahrend unser Fall bezuglich 
der Eigenart der Veranderung, der auf den untersten Abschnitt der Rucken- 
markshaute beschrankten Meningitis isolirt steht. 

In dem neusten von Schultze mitgetheilten Fall von secundarer Degenera¬ 
tion nach Quetschung der Cauda equina (Fall l) 2 findet sich eine im Allgemeinen 
ahnliche Verbreitung der Erkrankung wie in unserem Fall. In den unteren 
Partien des Ruckenmarks sind nur ganz unbedeutende Differenzen zwischen 
beiden Fallen vorhanden; dagegen weicht die Degeneration der medialen Par¬ 
tien der GoLi/schen Strange im oberen Dorsal- und Halsmark insofern von der 
unseres Falles ab, als bei ersterem die Figur bis zur hinteren Commissur heran- 
reicht, und im oberen Dorsaltheil und unteren Halstheil wieder eine flaschen- 
formige Verbreiterung zeigt 

Das Bild des Degenerationsfeldes in unserm Falle steht, was die erwahnten 
Ruckenmarkspartien anbetrifft, etwa in der Mitte zwischen dem von Schultze 
beschriebenen ersten Fall von Quetschung der Cauda equina und einem zweiten 
von Vemichtung der Ischiadicuswurzeln und des untersten Lendentheils. Der 
Unterschied wird sich am einfachsten dadurch erklaren, dass in unserem Fall 

1 Beitrag zur Lehre von der secundaren Degeneration des Menschen etc. Arch. f. Psych, 
u. Nervenkrankh. Bd. XIV. H. 2. 

* Siehe Abbildung 1. c. 


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eine weniger weit hinaufreichende and intensive Zerstdrung der Warzeln der 
Cauda equina stattgefunden, als in Sohultzes erstem Fall. Dass es wesentlich 
die Ischiadicusfasern sind, die in den holier gelegenen Abschnitten des 
Ruckenmarks die peripher-medialen Abschnitte der Hinterstrange einnehmen, 
diirfte fur unseren Fall, der auch in den Ischiadicusgebieten die ausgepragtesten 
(sensiblen) StSrungen hot, ganz gut zutreffen. 

Wir haben den Erlauterungen Sohultzes fiber die Form und Grosse der 
secundaren Hinterstrangdegeneration, fiber die Bedeutung und Ausdehnung der 
sogenannten GoLL’schen Strange Nichts hinzuzuffigen, schliessen uns vielmehr 
ganz seiner Auffassung an, die im Frindp ja bereits von Kaht.hr und Fiok 1 
ausgesprochen und auch in Einzelheiten durchgeffihrt ist: Dass die GoLL’schen 
Strange in ihrer gevohnlich angenommenen Topographic keineswegs ein quali- 
tativ von ihrem Nachbargebiet verschiedenes System sind, sondem nur die 
langsten Faserbfindel desjenigen Systems von Nervenfasern darstellen, welche 
als centripetale Fortsetzung der hinteren sensibeln Wurzeln der Unterextremi- 
taten anzusehen sind. 

Ueber die Symptomatologie des Falles ist zu bemerken: Die Erkla- 
rung der wesentlichen Krankheitserscheinungen, der heftigen und hartnackigen 
Schmerzen, der Blasen- und Mastdarmaffection, der auf zahlreiche Nervengebiete 
ausgebreiteten atrophischen Lahmungen mit den entsprechenden Aenderungen 
der elektrischen Erregbarkeit, der objectiven Sensibilitatsstdrungen, auch des 
Ganges dieser Erscheinungen, der Remissionen speciell in den Lahmungssymp- 
tomen liegt in der Natur und dem Gang des meningitischen Prozesses, und der 
davon abhangigen degenerativen Veranderungen der oomprimirten, irritirten und 
schliesslich erdrfickten Nervenfasern. Klinisch beachtenswerth ist der Beginn 
mit abnormen Sensationen in der Sphare des Rectum und Anus, die baldige 
und intensive Betheiligung von Rectum und Blase an der Lahmung. 

Es ist — falls sich der anatomische Vorgang einer im untersten Theil des 
Spinalkanals und chronisch ablaufenden Meningitis wiederholen sollte — zu 
prasumiren und aus den anamnestischen Angaben unseres Falles abzuleiten, 
dass im Initialstadium vorwiegend Initationserschemungen von Seiten der hin¬ 
teren Wurzeln in beschrankten Gebieten, eventuell mit visceraler Localisation 
hervortraten und vielleicht ein Bild hervorbrachten, das mit manchen anomal 
beginnenden Tabesfallen Aehnlichkeit hat Spater wfirden die Lahmungserschei- 
nungen der unteren Extremitaten mit partiellen Muskelatrophien, die in be- 
stimmten Nervengebieten zu localisirenden Anasthesien das Krankheitsbild ge- 
nfigend abgrenzen gegen die atrophischen Spinallahmungen einerseits, gegen die 
diffuse Myelitis andererseits, ein Bild, das der Natur der Sache gemass freilich 
von einem Tumor der Cauda equina kaum zu unterscheiden ware. 

Fur die syphilitische Natur des Krankheitsprozesses kann ich allerdings 
keinen directen anatomischen Nachweis beibringen. Residuen von gummosem 
Exsudat in den meningitischen Pseudomembranen oder unzweifelhaft syphilitische 

1 Znr Lehre von den Faeenyetemen in den Hinterstrangen des Rttokenmarks. Zeitsebr. 
f. Heilk. 1881. II. 


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Veranderungen anderer Organe wurden bei der Section nicht gefunden. Doch 
scheint mir schon die eigenthfimliche Form der Spinalmeningitis in Zusammen- 
hang mit der unzweifelhaften Lues in der Vorgeschichte des Kranken einen 
schwerwiegenden Anhalt for die Annahme der syphilitischen Natur des ersteren 
zu geben. Diese Form der chronischen Infiltration der Kfickenmarkshaute, die 
mit der Bildung dicker, die Oberfiache der Nervencentra oder die abtretenden 
Nervenwurzeln comprimirender Schwielen einhergeht — als Besultat eines reich- 
lichen, gallartigen Exsndats — darf wohl fast immer als der Syphilis zugehorig 
in Anspruch genommen werden. 1 

Obwohl in der Localisation verschieden, dfirfte doch die Beobachtung yon 
Bbubebgeb (Virch.’s Arch. Bd. 60) einen ahnlichen Vorgang reprasentiren; die 
Meningitis mit massigem Exsudat und Bildung dichter Schwarten hatte sich 
hier fiber das ganze Bfickenmark und die Basis cerebri ausgebreitet; der Zu- 
sammenhang mit Lues war evident. 


II. Referate. 


Anatomie. 

I) La capacity del oranio in rapporto alia statura, del dott. G. Amadei. 

(Arch, per l’antropologia e l’etnologia. 1883. Yol. XIIL Fasc. 2.) 

Eine anerkennenswerthe Arbeit, die auf Grand eines wohl einzig dastehenden 
Materials die Frage nach der Abhangigkeit der Schadelcapacitat von der Kflrper- 
grCsse behandeli Yerf. hat fifiher in einer (aucb in diesem Centralbl. 1883. S. 395 
besprochenen) Arbeit den Kanminbalt von 475 Irrenschadeln gemessen and ist bei 
der Discassion fast za denselben Resaltaten gelangt, wie Ref. Jetzt ist er in der 
Lage, za 408 jener Schadel die zagebOrige KOrperlange nachzatragen. Da das 
Wesentliche seiner neaen Arbeit in den Tabellen liegt, so mass aaf das Original 
verwiesen werden, das far jeden Anthropologen von Werth ist. Hier sei nar hervor- 
geboben, dass die Capacitat im Allgemeinen der Kftrpergrdsse proportional ist; dass 
die „relative Capacitat" (d. b. die Zahl der Kabikcentimeter Raaminbalt, die im 
gegebenen Fall aaf jeden Centimeter KOrperlange kommt) im entgegengesetzten Sinne 
verlauft, and dass bei gleicber Statnr die Capacitat der Fraaen wesentlicb geringer 
ist, als die der M&nner. Auffallige Aasnabmen von diesen Regeln werden in psychia- 
triscber Hinsicbt den Yerdacbt aaf abnormen Schadel- and Gebimbaa rechtfertigen. 

Sommer. 


Experimentelle Physiologic. 

2) On the oortioal areas removed from the brain of a dog, and from the 
brain of a monkey. A report by Dr. Klein, Mr. Langley and Prof. 
Schafer. (Jonm. of Physiol. 1883. IV. Dec.) 

Die Untersnchnng betraf die Gehirne der Thiere, welche Goltz and Ferrier 
und Yeo aaf dem intemationalen Congresse in London im Jahre 1881 der physio- 
logischen Section vorgefQbrt batten. Die Erscbeinangen, welche die Thiere damals 

1 YgL Hbubksb, „Syphili8 des Rfickenmftrks und seiner Haute" in Ziemssbn's Handb. 
Bd. XL 1. 


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darboten, sowie die an die Demonstrationen sich anschliessenden Ausffihrungen der 
Experimentatoren sind bereits frfiher (Jahrg. 1882 S. 177) referirt worden. 

Langley leitet seinen Bericht fiber den Befund an der rechten Hemisphare des 
Hundes yon Goltz mit einer sehr ausffihrlichen Darstellung der Fnrchen und Win- 
dungen des normalen Hundebirns ein. Er nennt, indem er die Constanz der Win- 
dungen und Furchen als Grundlage nimmt, die 3 vorderen Bogen der um die Fossa 
Sylvii ziehenden Windungen: Anterior sylvian, Anterior ecto-sylvian und coronal, von 
den hinteren 5 Bogen entsprechen die Posterior sylvian und Post, ecto-sylvian den 
analogen vorderen Bogen; die Coronal spaltet sich hinter der vom oberen Umschlags- 
rand der Hemisphare herablaufenden Fissura ansata in die Posterior supra-sylvian und 
die ecto-lateral. Als letzter hinterer Bogen liegt oben, durch die Fissura ansata (minor) 
von dem hintem Schenkel des um den Sulcus cruciatus gescblungenen Gyrus sig- 
moideus (post, limb of sigmoid gyrus = frontalis posterior) getrennt, die Entolateral 
convolution, an die sich nach hinten die Postsplenial und Suprasplenial anlegen. Der 
vordere Schenkel des Gyr. sigmoid, entspricht unserem Gyr. praefrontalis (Front, anter. 
Pansch). Die Windung, in welche die vorderen Enden der Bogenwindungen zu- 
sammenfliessen, bezeichnet L. als Anterior composite, die entsprechende hintere als 
Posterior composite. 

Yollstandig entfemt waren an der rechten Hemisphare des Goltz’schen Hundes 
vom ersten Windungszuge: fast der ganze laterale Abschnitt vom vorderen Schenkel 
des Gyrus sigmoideus, der laterale Theil des hinteren Schenkels dieses Gyrus, das 
hintere Drittel der Endolateral-Windung und Theile der ganz hinten gelegenen Supra¬ 
splenial und Postsplenial-Windungen. Vom 3. Windungszuge waren nur scbmale Reste 
am vorderen Ende der Coronal und am medianen Theil der Ecto-lateral-Windung 
zurfickgeblieben. Der 2. Windungszug war bis auf ein schmales vorderes Stuck der 
Coronalwindung ganz entfemt; vom 1. Windungszug die Posterior-sylvian weggenommen. 
Ausserdem fehlten noch kleine Stficke der vorderen und hinteren Composite-Convo¬ 
lution und des Lobus suborbitalis. Auch war an der rechten Gehirahalfte die graue 
Substanz des Corpus geniculatum externum und ein Theil des Corp. genicul. intern., 
sowie die anstossenden Partien des Thalamus opticus degenerirt. 

An der von Klein untersuchten linken Hemisphare war die Ausdehnung der 
Yerletzung eine geringere, indem nach vome bios der mittlere Theil des Posterior 
sigmoid. Gyrus weggenommen war und der grbsste Theil der Coronal-Windung hier 
erhalten war. Nach hinten war die Yerletzung annahernd ahnlich der rechten Seite, 
jedoch fiberschreitet die Begrenzung des Effects am hinteren Ende der Hemisphare 
die Umschlagstelle anscheinend nicht wesentlich, wahrend an der rechten Hemisphare 
auch die hintere innere Flfiche des Hinterhauptlappens stark in Mitleidenschaffc ge- 
zogen worden war. 

Goltz hatte angegeben, dass das Thier zuweilen und zwar hfiufiger mit den 
Hinterpfoten ausgleite und mitunter mit der linken KSrperhfilfte an Gegenstande an- 
stosse. Er hatte demonstrirt, dass bei Quetschen der linken Hinterpfote eine dent- 
liche Empfindungsausserung folgte. Vergleicht man, was ja im Grossen und Ganzen 
moglich, die Lage der Munk’schen Rindenfelder mit dem Umfange der Lasion, so 
zeigt sich, dass auf der linken Hemisphare nur die Ffihlsphare des rechten Vorder- 
beines einen kleinen Verlust erlitten hat, die Hinterbeinregion nur gestreift ist, auf 
der rechten Hemisphare ist jedenfalls ein grosser Theil der Region fttr das linke 
Hinterbein stehen geblieben (p. 293), dagegen ist die Vohderbeinregion rechts sehr 
umfassend oder ganz entfemt worden. 

Das Yerhalten gegenfiber Gesichtseindrficken wurde von Goltz als Theilnahm- 
losigkeit bei erhaltenem Sehen gedeutet, von Yeo als auf Einschrankung des Ge- 
sichtsfeldes und theilweise als auf Gewfihnung an bestimmte Yorgange beruhend an- 
genommen. Jedenfalls war die Rinde des Hinterhauptlappens nicht in ganzer Aus¬ 
dehnung entfemt, namentlich links nicht, aber auch rechts blieben kleine Stficke zuruck. 


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An dem von Sch&fer untersuchten Ferrier’schen Affen beschrankte sich die 
Lfision auf die Wegnahme der vorderen und hinteren Centralwindung und der Scheitel- 
lappchen linkerseits; sie ging nur wenig auf das Stirnhim fiber, Schlafen und Hinter- 
hauptshim, sowie die innere Oberflache der Hemisphere sind ganz intact geblieben. 
Aucb an den Centralwindungen blieben scbmale Stellen erhalten. In der inneren 
Kapsel waren einzelne nicht ganz gescblossen, sondem mehr zerstreut liegende Bfindel 
degenerirt; im Fusse des Uimscbenkels lag die Degeneration ziemlich in der Mitte. 
Jenseits der Fyramidenkreuzung zeigte sich die Hauptmasse der degenerirten Fasem 
auf der rechten Seite in der Gegend der Formatio reticularis, ein kleiner Theil ver- 
bleibt in dem linken Yorderstrange und scheint sich theilweise gegen die linke For¬ 
matio reticularis hinzuwenden, er ist aber an etwas tiefer gelegenen Schnitten nicht 
mehr zu finden. Im Halsmarke lag in dem Hinterstrange rechterseits ein unregel- 
massiges, dreieckiges, nicht scharf begrenztes Degenerationsfeld. Ausserdem fand sich 
auf der linken (nicht gekreuzten) Seite eine symmetrisch zu den rechtsseitigen De- 
generationsflecken gelegene Stelle im Hinterseitenstrange, an welcher ebenfalls eine, 
wenn auch nicht so intensive Degeneration von Nervenfasem auf alien Schnitten 
nachweisbar war. In dem Brust- und Lendentheile war die Degeneration nur ein- 
seitig auf der rechten Seite vorhanden. 

Da Sch. den Befund doppelseitiger Degeneration in den Pyramiden-Seitenstrang- 
bahnen hOchst fiberraschend („perplexing“) nennt, sei es erlaubt, darauf hinzuweisen, 
dass Bef. schon vor einiger Zeit nach grossen einseitigen Grosshimverletzungen beim 
Hunde auch in der gleichseitigen Pyramidenseitenstrangbahn eine schwache De¬ 
generation gefunden hat (Jahrg. 1883 S. 24). Moeli. 


3) Ett enkelt forfaringssfitt att bestfimma muskelsinnets sk&rpa af Magnus 
Blix. (Upsalalakaref&ren. Ffirh. 1884. XIX. 2. S. 123.) 

Die hdchst einfache Methode, die Scharfe des Muskelsinns zu bestimmen, welche 
B. vorschlfigt, ist die folgende. Wenn man z. B. die Scharfe des Muskelsinns an 
einem Arme messen will, sitzt oder steht das Versuchsobject angelehnt, mit herab- 
h&ngenden Armen und halt in der Hand des zu untersuchenden Armes einen Blei- 
stift; auf Armeslange entfernt vor ihm und in der H6he seiner Schulter ist ein Blatt 
Papier an der Wand oder an einer Tafel in vertikaler Lage angebracht, auf dem 
eine Marke aufgezeichnet ist. Die zu untersuchende Person hebt nun, ohne sich im 
Uebrigen zu rfihren, den Arm, ffihrt unter Controle der Augen die Spitze des Blei- 
stiftes nach der Marke und ffihrt den Arm wieder in die herabhangende Stellung 
zurfick. Darauf muss die Yersuchsperson die Marke mit geschlossenen Augen zu 
treffen suchen. Derselbe Yersuch wird abwechselnd mit offenen und mit geschlossenen 
Augen wiederholt, sodass die Bewegungen abwechselnd unter Controle des Gesichts- 
sinnes geschehen oder nur auf die Leitung des Muskelsinns angewiesen sind. Bei 
den Bewegungen mit geschlossenen Augen verfehlt die Spitze des Bleistiftes das Ziel 
mehr oder weniger und jedesmal entsteht ein Bleistiftpunkt auf dem Papier. Wenn 
der Versuch oft genug wiederholt worden ist, misst man die Abstande der verschie- 
denen Bleistiftpunkte auf dem Papier und dividirt die Summe der Abstande durch 
die Anzahl der Punkte, oder richtiger der einzelnen Versuche. Der Quotient ist der 
mittlere Fehler. Die Wirkung der Aufmerksamkeit oder der Uebung ist hierbei 
allerdings nicht auszuschliessen, aber die Yerbesserung des Resultats durch die 
Uebung erreicht bald eine gewisse Grenze, so dass dieser Fehler durch mfiglichst 
haufige Wiederholung des Versuchs verringert wird. Die Anordnung des Versuchs 
kann in ihren Einzelheiten vielfach abgeandert werden und muss auch modificirt 
werden, wenn es sich urn andere Muskeln als die des Armes handelt. Vorlaufig hat 
B. nur eine Anzahl Gesunder untersucht und in 3 Fallen als mittleren Fehler ge- 


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funden: 26,7 — 14,5 — 21,2 Millimeter, nach 3tagiger Uebung 16,4 — 13,5 — 
10,8; in 6 weiteren Fallen bei dem ersten Yersnch 16,8 — 17,7 — 14,2 — 17,5 

— 25,5 — 45,2, nacb 4tagiger Uebung 11,8 — 14,6 — 15,6 — 11,5 — 12,6 

— 22,4 Millimeter. Bei der grossen Verschiedenheit der Werthe, die sich auch bei 
Gesunden findet, ist es schwer, eine Grenze zwischen normalen und in geringem 
Grade berabgesetztem Muskelsinn zu zieben, diese muss erst durch Erfahrung fest- 
gesetzt werden. Bei Ataxie Messungen anzustellen, hat B. keine Gelegenheit gehabt. 

Walter Berger. 


Pathologische Anatomie. 

4) Myelitis ehron. diffusa par le Dr. Raymond, Paris. (Gazette med. de Paris. 

1884. 1 et 3.) 

Es handelt sich urn einen 59jahrigen Mann, der seit mindestens 23 Jahren an 
einer Erkrankung des Ruckenmarks gelitten hatte. Nach jahrelangen und maass- 
losen Excessen in Baccho et Yenere und nachdem er mit 25 Jahren secundar syphi- 
litisch gewesen war, bemerkte er mit 36 Jahren Schwache in den Beinen, die sich 
nach 3 Jahren zu vollstandiger Lahmung entwickelte, wahrend nach und nach auch 
die oberen Extremitaten paralytisch wurden. GMelschmerz, Fehlen des Kniephanomens, 
ausgebreitete Muskelatrophie. In der sensiblen und sensorischen Sphare keine St6- 
rung (Lungentuberculose). — Haufiges Schlucksen, viel Erbrechen. Tod den 13. Fe- 
bruar 1882. 

R. hat nun eine sehr sorgfaltige histologische Untersuchung vorgenommen, um 
zu sehen, ob und wie weit bei einer so lange bestehenden Rfickenmarksaffection das 
Gehim, speciell die motorische Rindenzone, in Mitleidenschaft gezogen werde. 

Makroskopisch am Gehim nichts Abnormes, ausser grosser Anamie. Am RUcken- 
mark fand sich eine diffuse, keinem bestimmten System angehfirende Myelitis: die 
graue Substanz der Vorder- und HinterhOrner und alle Theile der weissen Substanz 
waren mehr oder weniger erkrankt. Es bestand entzftndliche Yascularisation, Kem- 
wucherung, glasige und pigmentare Entartung der Ganglienzellen, Auftreibung der 
Axencylinder, Untergang der Nervenfasem. — Der im Lendentheil beginnende Pro- 
zess war am starksten im Dorsaltheile und setzte sich in abnehmender Starke durch 
den Bulbus bis in die Pedunculi cerebri fort. — Die weisse Substanz des Rttcken- 
marks war am starksten in den die grauen Saulen umgebenden Theilen, sowie im 
Gebiet der vorderen und hinteren Wurzelfasern erkrankt. 

R. giebt sodann eine eingehende Beschreibung der einzelnen Kerne und Strange 
der Med. obi., die grSsstentheils afficirt waren. 

Am Gehim konnte er, ausser einer leichten Pigmentirung der Ganglienzellen 
der Rinde, nichts Abnormes finden. 

Auch an den peripherischen Nerven, den sensiblen sowohl wie den Muskelnerven, 
war keine StOrung nachzuweisen. Hadlich. 


Pathologie des Nervensy stems. 

5) Contribution 4 Pdtude de l’hdmichorde symptomatique dans lea ldsions 
odrebrales par M. Mabboux. (Revue de mddecine. 1883. Ddc. p. 1054.) 

Bei einem schon seit langerer Zeit Zeichen von Geistesschwache und melan- 
cholische Wahnideen darbietenden 23jahrigen Soldaten trat am 17. Mai 1883 pl6tz- 
lich, ohne Bewusstseinsverlust, eine starke rechtsseitige Hemichorea ein. Die 
Sensibilitat der befallenen Seite verhielt sich vollstandig normal; ebensowenig konnte 
eine deutliche Pares© der betroffenen Glieder nachgewiesen werden. Die choreiformen 


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Zuckungen steigerten sich von Tag zu Tag, so dass sie schliesslich einen formlich 
convulsivischen Character annahmen. Am 2. Juni trat wahrend eines mehrstiindigen 
„eclamptischen Anfalls“, welcher aber auch jetzt auf die rechte Seite beschrankt 
blieb, vollstandiger Bewusstseinsverlust, stertoroses Athmen und schliesslich der Tod 
ein. Die Autopsie ergab ausser einer chronischen Leptomeningitis einen haselnuss- 
grossen Herd, welcher im hinteren Abschnitt der inneren Kapsel zwischen Linsenkern 
und Thalamus opticus gelegen war. Die Mitte des Herdes wurde von einem alteren 
Blutgerinnsel gebildet, welches von einer hamorrhagischen Erweichungszone umgeben 
war. In alien hbrigen Theilen des Gehirns und in den sonstigen KGrperorganen 
nichts Besonderes. 

Bemerkenswerth in dem Fall ist das Fehlen einer gleichzeitigen Hemianasthesie 
und Hemiplegie. Die hierhber vom Verf. angestellten Betrachtungen sind im Original 
nachzusehen. Strhmpell. 


6) Hdmipldgie faciale infdrieure, hdmipldgie brachiale ldgdre aveo para- 
lysie complete des extenseurs de la main sur l’avantbras, 4 gauche, 
survenues a la pdriode ultime d’une affection cardiaque par le Dr. 
F. Sorel. (Revue de mddecine. 1883. Sept. p. 765.) 

Eine 50jahr. Patientin mit einem seit langerer Zeit bestehenden Mitralklappen- 
fehler erlitt zuerst eine Embolie in die linke Art. cruralis mit nachfolgender Gangran 
des linken Beines und wenige Tage vor ihrem Tode eine plOtzlich eintretende Lah- 
mung des linken unteren Facialis und eine Lahmung im linken Arm, welche vorzugs- 
weise die Strecker des Handgelenks betraf. Die Sensibilitat blieb intact. — Die 
Section ergab einen frischen embolischen Erweichungsherd in den mittleren Dritteln 
der hinteren und vorderen Centralwindung. Strhmpell. 


7) Note sur un cas de compression de la protuberance par dilatation 
anAvrysmale du tronc basilaire par Hallopeau et Giraudeau. (L’Encd- 
phale. 1883. No. 6. p. 657—666; avec figure.) 

In dem vorliegenden Fall fand sich die A. basilaris zu einem haselnussgrossen 
Aneurysma erweitert und in der Weise verlagert, dass das untere Ende am linken 
unteren, das obere am rechten oberen Rande der Briicke lag, und der Tumor vor- 
zugsweise die rechte Brtickenhalfte, in die er auch eine Vertiefung gegraben hatte, 
comprimiren musste. Die Erscheinungen wahrend des Lebens begannen — etwa 
6 Monate vor dem Tode — mit Gfirtelgeffihl, Geffihl von Taubheit in den Beinen; 
daun stellte sich unvollkommene, an Intensitat wechselnde, allmahlich zunehmende 
Lahmung. sammtlicher Extremitaten ein, die spater auf der linken Seite weit inten- 
siver wurde; Abstumpfung der Sensibilitat, Verlust des Eniephanomens, Andeutung 
von Ataxie, SprachstOrungen, Incontinentia urinae et alvi, Abweichung der Zunge 
nach links, Yerlust der Hautreflexe linkerseits; dazwischen Anfalle von Zuckungen 
vorzugsweise in der linksseitigen Extremitatenmusculatur. 3 Tage vor dem Tode 
verf&llt der Kranke in Coma, begleitet von Zuckungen im rechten Orbicularis palpe¬ 
brarum und frontalis, sowie von Bulbusbewegungen im Sinne der Deviation conjugude 
nach rechts. Yorher schon war bemerkt worden, dass der Kranke den Kopf etwas 
hintenfibergebeugt hielt und Beschwerden belm Schlucken zeigte. Jetzt stellten sich 
Bespirationsst5rungen ein; die Athmung wurde mfihsam, frequent, der Kranke cya- 
notisch; er hielt, wahrend er in tiefem Coma lag, den Kopf nach hinten. Neigte 
man ihn nach vom, oder setzte man den Pat. auf, so stand sofort die Athmung in 
Exspirationsstellung still, gleichviel in welcher Phase sie sich befunden hatte; sie 
kam sofort wieder in Gang, wenn man den Kopf rfickwarts neigte. Dieses Experiment 


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konnte in den letzten 12 Stunden vor dem an Asphyxie erfolgenden Tode beliebig 
oft mit gleichem Erfolg wiederbolt werden. Eine ausreichende Erklarung f&r diese 
Erscheinung geben die Verff. nicht. Tuczek. 


8) Ein Fall von Hysterie mit spontaner Hypnose von Rybalkin. (Mitgetheilt 
und demonstrirt in der Sitzung der St. Petersburger psychiatriscben Gesell- 
schaft am 5. November 1883. Russisch.) 

Ein 19jahriges anamisches Madchen, dass an gewOhnlichen hysterischen Er- 
scheinungen leidet und ausserdem linkerseits mit Hemianasthesie, Verlust des Muskel- 
geffihls, Anosmie, Taubbeit und Gesichtsfeldbeschrankung behaftet ist, verfallt seit 
2 Jabren taglicb spontan zu der namlicben Zeit in Hypnose. W&brend derselben 
bietet sie beiderseitige Anasthesie, Hyperastbesie des linken Obres und das Phanomen 
erbdhter neuromuscularer Reizbarkeit. Druck auf einen Augapfel bewirkt Hemi- 
letbargie der gegenfiberliegenden KOrperhalfte, und die in diesem Zustand an den 
Gliedem bervorgerufenen Contracturen lassen sicb durcb Streicbeln der Antagonisten 
lOsen. Die Hypnose wird nacb 15—20minutenlangem Bestehen von Somnambulismus 
gefolgt, indem Patientin sicb von ibrem Lager erhebt, mit geschlossenen Augen 
umhergeht, Bekannte, sowie verscbiedene Gegenst&nde durcb Betasten erkennt, ohne 
indess auf Tast- oder Scbmerzreize zu reagiren. In diesem Zustand beantwortet sie 
Fragen, die man an sie stellt, treffend und sogar witzig vermittelst verscbiedener 
Geberden oder schriftlich, als ob sie nicbt sprecben kdnnte. Beim Nennen Lhres 
Namens, bei beftigem Gerausch oder Application eines starken Inductionsstroms er- 
wacht sie plfltzlich und behauptet, sicb des Gescbebenen nicbt zu entsinnen. Be- 
zeicbnete Erscbeinungen spielen sicb in derselben Reibenfolge ab, wenn die Hypnose 
kunstlicb (durcb Fixation im Laufe von 6—7 Minuten) hervorgerufen wird. Durcb 
oftmalige kdnstlicbe Hypnotisation gelang es R., die spontanen bypnotiscben Anfalle 
zu beseitigen. Ausser diesem Mittel wurden kalte Bader und Argentum nitricum 
angewendet. P. Rosenbacb. 


9) Du Mutisme hystdrique par le Prof. Revilliod. (Revue mdd. de la Suisse 
romande. 1883. No. 10.) 

R. tbeilt mebrere Beobacbtungen (2 davon ausftibrlich) mit von Kranken, zwei 
mannlicben und zwei weiblichen, die er fur Hysterische bait und bei denen er einen 
cbarakteristiscben Yerlust der Sprache, zum Tbeil sogar jedes Lautes constatirte. — 
Zwei dieser Kranken wurden von Dr. Wyss genau laryngoskopisch untersucbt und 
dabei Folgendes gefunden: Die Ab- und Adduction der Stimmbander ging ganz gat 
von Statten, aber die Spannung der Stimmbander feblte, dieselben zeigten sich faltig, 
buchtig, flottirend in der Atbemluft. Bei dem Versuche, ein Wort oder einen Ton 
hervorzubringen, erfolgte absoluter Yerscbluss der Stimmritze, nnd es bedurfte einer 
gewissen besonderen inspiratoriscben Anstrengung, urn die Respiration wieder in Gang 
zu bringen. 

R. bait daffir, dass in diesen Fallen die vom N. laryngeus sup. innervirten Muse, 
crico-tbyreoidei, welcbe die Spannung der Stimmbander bewirken, gelabmt sind, bei 
ungestdrter Tbatigkeit der vom N. recurrens versorgten Muskeln; und zwar sei diese 
isolirte Labmung des N. laryngeus sup. ein patbognomonisches Zeicben bestebender 
Hysterie. Weitere Symptome dabei waren „ein gewisser Grad von Anasthesie" am 
Isthmus faucium und am Eingang zum Larynx; femer ein empfindliches Gef&bl von 
Atbemnotb. — Elektricitat und Strychnin-Injectionen zeigten sicb am wirksamsten. 

Nacbdem R. obige Beobacbtungen in der medicinischen Gesellscbaft zu Genf 
(den 5. Sept 1883) vorgetragen hatte, wurde in der Discussion von versebiedenen 


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Seiten bestritten, dass bei den mitgetheilten Krankengeschichten es sicb um Hysterie 
gehandelt hatte; auch wUrde eine blose Lahmung des N. laryngeus sap. nicht vdllige 
Stummheit erzeugen konnen. Hadlich. 


10) Two oases of hysteria by G. L. Walton. (Arch, of medicine. 1883. X. 1.) 

1) Eisenbahnbeamter von 55 Jabren, fruher ganz gesund, aber vor 5 Monaten 
in Folge eines schweren Traumas der rechten Seite erkrankt. Seitdem beftige R&cken- 
scbmerzen, Abnahme der Libido sex., psychiscbe Reizbarkeit bei weinerlicher Stimmung, 
motoriscbe Schwache and eine fast totale Anasthesie der rechten Korperhalfte; links 
war nur eine Abnahme des EmpfindungsvermOgens zu constatiren. Ausserdem con- 
centrische Gesichtsfeldbeschrankung, rechts bedeutender als links. Sehscharfe rechts 
sehr herabgesetzt, ebenso die Farbenperception. Physikalische Untersuchung ohne 
Resultat. 

Gehor beiderseits abgeschwacht: rechts wird die sonst auf 60—80 cm hSrbare 
Uhr nur bei Contact am Felsenbein, links auf 30 cm Distanz gehOrt. Geruch und 
Geschmack fehlen rechts vollig. 

Ein starker Elektromagnet, dem rechten Arm fast unmittelbar anliegend, bringt 
nach 30 Minuten vdllige Ruckkehr der Sensibilitat. Derselbe Elektromagnet ruft 
nach 20minutiger Application an dem (anasthetischen und tauben) rechten Ohr voll- 
standige Sensibilitat und Horvermogen auf 10 cm Distanz her vor. Keine Transfert- 
erscheinung; Dauer der Besserung einige Stunden. Zur Controle wurde der Electro¬ 
magnet auch im unwirksamen Zustande (also bei nicht geschlossenem Strom) angelegt 
und blieb ohne jede Einwirkung bei dem von dieser PrUfung natfirlich nichts ahnenden 
Patienten. Unter weiterer Behandlung mit Elektricitat und Hydrotherapie wurde 
ubrigens nach etwa 7 Wochen eine sehr bedeutende Besserung aller Krankheits- 
erscheinungen erzielt. 

2) Gut entwickeltes 16jahriges Madchen mit Dysmenorrhoe seit einem Jahre. 
Seit 4 Monaten ausserordentliche Hyperasthesie der ganzen oberen linken Kflrper- 
halfte, ausser der Hand; vor 3 Monaten in Folge von Schreck ein 2stflndiger Anfall 
von Bewusstlosigkeit. Sehr reizbares und explosives Wesen. Die Untersuchung er- 
giebt neben der sehr schmerzhaften Hyperasthesie, speciell der linken Mamma, eine 
concentrische Einschrankung des Gesichtsfeldes mit Herabsetzung der Sehscharfe auf 
V 6 links. Farbenperception ist nur fur blau rich tig. Ferner fehlt das GehOr, der 
Geruch und der Geschmack links vOllig. Das Seltene des noch in Behandlung be- 
findlichen Falles liegt darin, dass bei absolutem Ausfall specifischer Sinnesempfindungen 
die betreffenden Sinnesorgane nicht wie sonst regelmassig bei Hysterie, anasthetisch 
sind. Wahrend der weiteren Beobachtung hat sich iibrigens die Hyperasthesie auch 
auf die rechte obere KQrperhalfte ausgedehnt, aber bis jetzt ohne Sprung der rechts- 
seitigen Sinnesorgane. 

Nachtrag. Seit jener Verdffentlichung hat Yerf. (im Boston medical and sur¬ 
gical journal 1883) einen neuen Fall von schwerer Hysterie mit Hemianasthesie etc. 
im Anschluss an die Explosion einer Granate neben dem etwa 20jahr. Pat. mitgetheilt. 
Auf Grand der Arbeiten von Page und Putnam liber „Railway spine u und gesttitzt 
auf seine eigene erste und dritte Beobachtung, schliesst er sich nun der Ueberzeu- 
gung jener an, dass die scheinbaren RUckenmarkserschfltterungen nach Eisenbahn- 
unglQcken und ahnlichen schreckhaften Unfallen sehr haufig im Gehirn ihren wahren 
Sitz habe und den Charakter schwerer Hysterie auch bei Mannern annehme. 

Sommer. 


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11) Zur Symptomatologie der Buokenmarkseompression bei tuberculdser 

Caries der unteren Halswirbel von 0. Kahler. (Prag. med. Wochenschr. 

1883. Nr. 47—52.) 

Auf Grand der Thatsache, dass der wesentliche Factor der Compression bei der 
in Bede stehenden Affection meist die Pachymeningitis ext. caseosa ist, and veran- 
lasst durch eine eigene Beobachtung, welche ergab, dass trotz des Bestehens einer 
zum Tode filhrenden Rdckenmarkslasion die directen Symptome der Knochen- and 
Gelenksaffection wahrend des ganzen Yerlaufes fehlten, versucht K. eine genauere 
Symptomatologie der gedachten Affection festzustellen. 

Die erste Erscheinung ist ein meist einseitig die oberen Extremitaten befallender, 
zuweilen in den Nacken ausstrahlender Schmerz, der zuweilen auf einer Gelenksregion 
localisirt, eine Gelenksaffection vortauschen kann; zuweilen finden sich bios Parasthe- 
sien, selten Sensibilitatsdefecte. In einzelnen Fallen fehlen diese Erscheinungen und 
als erste Erscheinung zeigt sich eine Atrophie einzelner Muskeln der Arme oder des 
Schultergttrtels, auffallend h&ufig anfanglich localisirt und beschrankt auf die Binnen- 
muskeln einer oder beider Hande; die Ausbreitung der Atrophie findet in atrophischer 
Weise entweder zuerst auf die Muskeln der Beugeseite oder auf jene der Streckseite, 
dann auf die des Oberarms oder SchultergQrtels; die Lahmung entspricht dem Grade 
der Atrophie. Die Untersuchung der elektrischen Erregbarkeit erzielt normales oder 
wenig gesunkene Erregbarkeit f&r beide Stromesarten und an vereinzelten Muskeln, 
besonders der Hand, partielle Entartungsreaction und Andeutungen completer Ent- 
artungsreaction. Nimmt man zu den genannten Erscheinungen noch die aus jenen 
resultirenden Difformit&ten der Hand, so ergiebt sich fdr eine Beihe von Fallen dieses 
Stadiums eine auffallende Aehnlichkeit mit der progressiven Muskelatrophie. Ab- 
weichend von dieser ist der Yerlauf der Atrophie, der ein rascher ist. Fftr die ge- 
schilderte Gruppe von Fallen von Wirbelcaries, welche K. von den andern geschieden 
wissen will, nimmt er als Ursache eine Pachymeningitis ext. an der Yorderflache des 
Bdckenmarks an, durch welche dieses in massigem Grade und von vorn her com- 
primirt wird, wofdr sich auch mehrere Sectionsbefunde anfdhren lassen. Die zweite 
Gruppe von Wirbelcaries zeigt gleich anfanglich Zeichen einer in- und extensiv 
schwereren Rftckenmarksaffection, relativ rasche motorische und sensible Lahmung der 
Extremitaten und des Bumpfes und zwar gleichmassig Arm und Beine befallend, 
oder in hemiplegischer Form, oder selten und vorfibergehend als cervicale Paraplegia; 
die meist zuerst auftretenden motorischen Lahmungen zeigen alsbald oder sp&ter 
spastischen Charakter, den Schluss bilden Sphincterenlahmung und Decubitus; zu¬ 
weilen kommen auch Besserungen und selbst Heilung vor. Die im Yerlaufe auf- 
tretende Muskelatrophie, localisirt an den Armen und am Schultergtlrtel, ist eine 
ziemlich allgem eine, nur einzelne Muskeln und Muskelgrappen starker beschlagend. 
Die elektrische Untersuchung ergab (in 2 untersuchten Fallen) normale Erregbarkeit 
fdr beide Stromesarten und nur an einzelnen Muskeln partielle Entartungsreaction. 
Pathologisch-anatomisch ergeben sich fdr diese Gruppe Befunde starkerer ZerstOrung 
und Dislocation der Wirbel. 

Anhangsweise erwahnt K. die Symptomatologie einzelner Falle, deren pathologisch- 
anatomische Bestatigung noch aussteht: es entwickelt sich eine auf eine bestimmte 
Muskelgruppe der Arme oder des Schultergdrtels beschrankte Muskelatrophie, die 
dann durch Jahre bestehen bleibt; daneben zeigen sich manifests Symptome von 
Wirbelaffectkm. In einem Falle fand sich neben einem Senkungsabsccss einseitige 
Atrophie des Serratus antic, mqjor. 

Bezdglich der pathogenetischen Deutung der in der ersten Beihe von Fallen 
beobachteten Muskelatrophie zeigt K., dass dieselbe wahrscheinlich von der Erkran- 
kung der Vorderstrange und der VorderhSrner abhangt, wofdr ausser den Befunden 
bei experimenteller Btlckenmarkscompression auch ein Befund von Proust und Ballet 


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spricht. Dafftr 1st auch anzuftlhren, das Verhalten der Sehnenreflexe an den Armen, 
welche nicht wie bei Neuritis fehlen, vielmehr deutlich entwickelt sind. 

Pupillarph&nomen fanden sich in K.’s Fallen mit Rficksicht auf den tiefen Sitz 
der L&sion niemals, Pnlsverlangsamung einmal vorabergehend; constant dagegen 
gleicbzeitig mit dem Auftreten schwerer Labmung bedeutende Zunahme der Puls- 
frequenz. 

Bezflglicb der 5 eingebend mitgetbeilten Beobachtungen, davon eine mit Sections- 
befund, muss auf das Original verwiesen werden. A. Pick. 


12) Crampe fonotionelle du oou par Cb. FdrA (Revue de mddecine. 1883. 

Sept. p. 769.) 

F. beschreibt 2 Falle von Accessorius-Krampf aus der Praxis von Charcot. 

Im ersten Fall, welcher einen 32j&hr. Herrn betraf, bestand der Krampf schon 
seit 3 Jabren. Beim Liegen empfand Pat. keinerlei Behinderung der Bewegungen 
des Kopfes, ebensowenig wenn er sass und seinen Kopf, sowie seinen rechten Arm 
gut untersttitzen konnte. Sobald aber der Kopf nicht mehr unterstfltzt war, begann 
er sich nach links zu drehen. Bei starkeren Bewegungen (z. B. beim Treppensteigen) 
wurde der Krampf im rechten Sterno-cleidomastoideus so stark, dass das Kinn bei- 
nahe auf die linke Scbulter zu liegen kam. Weitere objective Yeranderungen, Sensi- 
bilit&tsstGrungen und dergl. feblten vollstandig. 

Der zweite Fall betrifft einen seit 5 Jahren bestebenden toniscben Accessorius- 
Krampf der rechten Seite bei einem 55jahrigen Geschaftsmann. Auch bier zeigte der 
Kopf keine Abweichung von seiner Stellung, wenn er allseitig gut unterstbtzt wurde, 
wahrend er sonst durch die Contraction des rechten Sternocleidomastoideus und Cu- 
cullaris ganz nach der rechten Schulter zu gezogen wurde. In diesem Falle bestanden 
auch heftige Scbmerzen in der rechten Seite des Halses, welche in den rechten Ober- 
arm ausstrahlten. 

Ueber den weiteren Vealauf der Falle ist nichts mitgetheilt. 

Strdmpell. 


Psychiatrie. 

13) Sur la thdorie de la paralysie gdn^rale par Baillarger. (Annales medico- 
psychologiques. 1883. Janvier—Novembre.) [Schluss.] 

IV. Natur und pathologisohe Physiologie der Folie paralytique. 

Die Lasionen, welche filr die ersten Perioden der allgemeinen Paralyse ange- 
nommen werden mtlssen, sind noch recht verschieden definirt. 

Vasomotorisch-spastische Zust&nde der Gefasse (Luys), Anomalien der Blut- 
vertheilung (Meynert, Lubimoff) und daher rhhrende StOrungen in der Textur 
und dem Leben der feinen cellulS-ren Gebilde; Congestivstdsse und Isch§,mien (Foville), 
welche eine functionelle Erregung der betreffenden nervdsen Theile hervorrufen, werden 
als Grundlagen der psychischen Initialerscheinungen angesprochen. 

Die Uebererregung wird als Grand der Ataxien angesehen; die Sclerose durch 
interetitielle Hyperplasie des Bindegewebes und die Degeneration der Gangliengebilde 
als Grundlage der Demenz und Labmung. 

Der Grand der initialen circulatorischen Vorgange kann mannigfach sein (mo- 
ralische Aufregungen, intellectuelle und sensuelle Excesse etc.). 

Darin unterscheidet sich die Aetiologie der Folie paralytique in Nichts von der 
der einfachen Psychosen. Es handelt sich urn Symptome perverser Function, welche 
durch einfache circulatorische Sttirungen bedingt sein kCnnen. 


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Wie der einfache Irrsinn kann auch die Folie paralytique durch Erblichkeit 
hervorgerufen sein. 

Man hat aber eine specielle Neigung zu cerebralen Congestionen bei im mittleren 
Lebensalter stehenden Mannern als besonders disponirend angesehen, ja diesen Urn- 
stand sogar ffir das seltene Auftreten der einfachen Manie bei Mannern im Alter 
von 30—60 Jahren verantwortlich gemacht. 

Mendel nimmt sogar an, dass jeder Anfall von Manie bei einem Manne von 
35—40 Jahren, in den grossen Stadten wenigstens, den Yerdacht beginnender 
Paralyse rege machen mflsse. 

Danach kOnnte man versucht sein, anzunehmen, dass im mittleren Lebensalter 
bei Mannern die Folie paralytique die einfache Manie vertrete. 

So wfirde auch die Vereinigung der beiden, sonst ganz verschiedenen Formen, 
der Folie paralytique und der Dementia paralytica erklarlicher, wobei von Neuem 
daran erinnert wird, wie die Folie paralytique o h n e alle somatischen Erscheinungen 
vorkommen kann. 

Dafdr kennzeichnet sie sich aber durch das Auftreten der charakteristischen 
GrOssen wahnideen, welche das Vorspiel der organischen Lasionen bilden, welche 
sehr verschieden von denjenigen sind, mit welchen das Krankheitsbild der einfachen 
Geistesstorung abschliesst. 

Es hangt von dem Ueberwiegen des „vesanischen“ oder des somatischen Ele¬ 
ments ab, ob in den Fallen, in welchen die beiden Constituenten der allgemeinen 
Paralyse zusammentreten, das Krankheitsbild nach der einen oder der anderen Rich- 
tung gefarbt sein wird. 

Gegenuber der Ueberwiegenden erscheint dann die Andere accessorisch. 

Die Folie paralytique ware danach eine Abart der Geistesstorung, zu welcher 
sich im mittleren Lebensalter, und vorwiegend bei Mannern, ein neues Element, ge- 
kennzeichnet durch die speciellen Wahnvorstellungen und die korperlichen Symptome, 
hinzugesellt. 

Sie ist daher eine Geistesstorung „cum materia" 

Baillarger zieht resumirend folgende Schlilsse: 

1) Die allgemeine Paralyse hat nur zwei constante und pathognostische Symp- 
tome, die Demenz und die Lahmung. Sie ist eine essentielle Dementia paralytica. 

2) Die Dementia paralytica durchlauft in einer grossen Anzahl von Fallen alle 
ihre Perioden, ohne dass der Kranke Wahnvorstellungen hat. Sie ist daher von der 
geistigen StOrung unabhangig. 

3) Es giebt eine Abart der Geistesstorung, welche durch GrOssenwahn oder 
hypochondrische Yorstellungen charakterisirt ist, specielle Charaktereigenschaften 
aussert und zu welcher vielfach Symptome muscularer Ataxie hinzutreten. 

Diese Art der Geistesstorung, welche, je nach den Fallen, bald als einfacher 
Irrsinn, bald als eine Form der allgemeinen Paralyse betrachtet wurde, hat eine 
Existenz fUr sich. Sie stellt, selbst in den leichteren Fallen, eine Androhung der 
allgemeinen Paralyse dar. Man kann sie unter dem Namen der Folie paralytique 
bezeichnen. 

4) Zu dieser Form sind alle in den letzten Jahren unter der Bezeichnung der 
allgemeinen Pseudoparalyse beschriebenen Falle, wenigstens die „vesanischen“ Formen 
derselben, zu rechnen. 

5) Die Folie paralytique kann in Heilung ausgehen, zuweilen in einfache De¬ 
menz ohne Lahmung. In der Mehrzahl der Falle geht sie in die Dementia para¬ 
lytica fiber. 

Die Letztere ist, entgegengesetzt den Ansichten der unitaren Theorie, daher 
haufig eine secund&re Krankheii 


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6) Die Folie paralytique kann bei schon von chroniscber Periencephalitis be- 
fallenen Kranken ansbrechen. Sie bildet dann eine wirkliche Complication. 

7) Die Ausbr&che der Folie paralytique, welche man als Complication im Be- 
ginn der allgemeinen Paralyse beobachtet, heilen haufiger; aber die anfangliche und 
primare Krankheit setzt ihren Gang fort. Dies ist die Bedeutung der Remissionen 
bei der allgemeinen Paralyse. 

8) Die Folie paralytique zeigt, abgesehen von den speciellen oben bezeichneten 
Eigenschaften, dieselben Symptome, Formen und selbst dieselben Transformationen, 
wie die einfachen GeistesstOrungen. 

Wie die von den verschiedenen Formen einfacher GeistesstOrung Befallenen, wie 
man sagt, auf verschiedenen Wegen, zum einfachen BlOdsinn kommen, so gerathen 
die von verschiedenen Formen der Folie paralytique befallenen Kranken auf ver¬ 
schiedenen Wegen, aber rapider, in die Dementia paralytica hinein. 

9) Die Folie paralytique hat bis jetzt nicht anders als durch einfache circu- 
latorische Starungen erklart werden kflnnen. 

Sie ist aus zwei differenten Elementen, einem psychischen und einem somatischen 
znsammengesetzt. 

Dies ist die Geistesstftrung „cum materia". Jehn. 


14) Syphilis in its relation to progressive paresis by Jas. G. Kiernan. 

(The Alienist and Neurologist. 1883. Juli. p. 450.) 

Nach ausflihrlicher Mittheilung der Literatur, welche den atiologischen Zusammen- 
hang von Lues und Paralyse der Irren behandelt — bekanntlich sind die Ansichten 
hierfiber sehr verschieden und die Angaben fiber die Haufigkeit des Zusammentreffens 
beider Krankheiten bei ein und demselben Individuum schwanken zwischen 0°/o 
(Lewin, Fournier) und 100% — kommt Verf. zu dem Ergebniss, dass zur Zeit 
wenigstens weder vom klinischen noch vom pathologischen oder therapeutischen Stand- 
punkt aus ein diagnostischer Unterschied zwischen allgemeiner Paralyse bei einem 
Luetiker und bei einem Nicht-Luetiker aufrecht erhalten werden kQnne. Weder die 
Symptome der sog. Pseudoparalysis luetica, noch der Mangel ausgesprochener GrOssen- 
wahnvorstellungen (Wille), weder der frfihe Ausbruch im jugendlichen Alter, noch 
die Hkufigkeit der Remissionen sei pathognostisch fhr eine auf syphilitischer Basis 
sich entwickelnden Paralyse. Die Diagnose ex juvantibus sei ganz irrelevant, da 
antiluetische Kuren bei zweifellos coexistirender Syphilis oft ohne jeden Erfolg ge- 
blieben seien, und da andererseits Mercurialien etc. sich gelegentlich bei nicht spe- 
dfischer Paralyse heilsam gezeigt hatten (Spitzka). Ausserdem sei es in manchen 
Fallen, die fftr den Zusammenhang beider Krankheiten angesprochen wtirden, sehr 
wahrscheinlich, dass die Lues erst in Folge der prodromalen Excess© der betreffenden 
Kranken erworben worden sei. 

Jedenfalls sei der Einfluss der Syphilis far die Entstehung der Paralyse sehr 
fibersch&tzt worden; eine antiluetische Behandlung der letzteren sei indess stets zu 
versuchen. Sommer. 


15) Beitr&ge zur Pathologie und pathologischen Anatomie der progredsiven 
Paralyse von Zacher. Ueber einzelne Symptome resp. Symptomen- 
gruppen, die im Anschlusse an paralytisohe Anf&lle auftreten. 

(Arch. f. Psych. XIY. S. 463.) 

I. Im ersten Abschnitte behandelt Z. das Verhalten der Sehnen- und Haut- 
reflexe bei und nach den Anf&Uen und kommt auf Grand seiner Beobachtungen, von 
denen mehrere mitgetheilt werden, zu dem Schlusse, dass jenes abhangt sowohl von 


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der Art der durch den Anfall gesetzten motorischen Stbrungen, als von dem Yer¬ 
halten der Sehnenreflexe vor dem Anfalle; bei Paralytikern ohne Rfickenmarkserkran- 
kung sind die Sehnenreflexe wahrend und nach den Anfallen auf der KQrperhalfte 
mit motorischen Reizerscheinnngen gesteigert, selbst wenn neben jenen auch Paresen 
vorliegen, sie sind schwacher und kdnnen vielleicht ganz schwinden an der einfach 
paretischen KOrperhalfte. Dasselbe gilt auch fUr Paralytiker mit abnormen Sehnen- 
reflexen, sodass bei Paralytikern mit Seitenstrangaffection nach Anfallen mit motorischen 
Reizerscheinungen die Sehnenreflexe hochgradig gesteigert, nach gemischten AnfAllen 
etwas gesteigert, nach paretischen Anfallen etwas abgeschwacht erscheinen; bei Para- 
lytikem mit Tabes dors, fehlen die Sehnenreflexe an den Beinen, die der Arme sind 
bisher nicht untersucht; Paralytiker mit combinirter Strangsclerose zeigten Fehlen aller 
Sehnenreflexe an den Beinen, keine Steigerung derselben an den Armen; dabei ist 
mit Rtlcksicht auf widersprechende Beobachtungen von Claus zu bemerken, dass in 
des letzteren Fallen die Hinterstrangaffection nur im Hals- und oberen Brusttheil 
nachweisbar war. 

Abgesehen von ein- und doppelseitigem so gearteten Yerhalten der Sehnenreflexe 
konnen die beschriebenen Modificationen sich auch auf einzelne Extremitaten beschranken, 
wofilr ein schOnes Beispiel angefflhrt wird. 

Aehnlich wie zwischen Sehnenreflexen und motorischen Erscheinungen scheint 
auch das Verhaltniss zwischen Hautreflexen und Schmerzempfindlichkeit; bei Abstumpfung 
oder Aufhebung des Schmerzgeftihls Herabsetzung oder Verlust der Hautreflexe in 
specie des Cremasterreflexes. Die Constanz dieses Verhaltnisses erlaubt einen Riick- 
schluss vom Yerhalten des Cremasterreflexes auf die Schmerzempfindlichkeit und in 
zweiter Linie auf das Verhalten der Motilitat; entgegengesetzt erwies sich das Yer¬ 
halten nach Anfallen mit motorischen und sensiblen Reizerscheinungen. Das ungleiche 
Yerhalten der Haut- und Sehnenreflexe erklart sich demnach aus der haufigen ein- 
seitigen Combination von Reiz- und Lahmungserscheinungen. Die frfiher von Noth- 
nagel bei Gehirnapoplexien von Z. auch bei Paralytikern beobachtete Erscheinung 
der AuslOsung von Zuckungen im zweiten Beine bei Beklopfen des ersten erklart Z. 
mit N. durch gesteigerte Muskelerregbarkeit des zweiten Beines. 

Zur Erklarung des aufgedeckten Nexus zwischen Motilitat und Reflexen schliesst 
sich Z. der Annahme von Schwarz an, dass ein destruirender oder lahmender Pro- 
zess der motorischen und sensiblen Hirnabschnitte auch die mit diesen in Verbindung 
stehenden Reflexcentra des Ruckenmarks mehr oder weniger lahmt, die reizende Wir- 
kung des Hirnprozesses aber sie in erhohte Erregbarkeit versetzt. Z. modificirt den 
Satz nur in soweit, dass die Annahme einer Destruction der Himelemente mit Ruck- 
sicht auf die Paralyse eliminirt wird. 

Aus den beobachteten Thatsachen ergiebt sich femer die Annahme, dass die 
hier in Betracht kommenden Rindenabschnitte in die Hirarinde zu localisiren und 
dass die Sehnenphanomene wahre Reflexe sind (die Beweise siehe im Original. Ref.), 
dass femer (gegen Striimpell) das Verhaltniss zwischen Muskelspannungen und 
Sehnenreflexen kein causales, sondem ein coordinirtes ist. 

H. Ueber einige im Anschlusse an paralytische Anfalle auftretende 
St6rungen auf motorischem Gebiete. Z. hat dabei zuerst im Auge die bei 
verschiedenen andera Himaffectionen beobachteten automatischen, zweckmassig ge- 
ordneten, coordinirten Bewegungen, die den Charakter des Gewollten, Intendirten 
zeigen und gewohnlich an Anfalle mit motorischen Reizerscheinungen anschliessen; 
sie betreffen zumeist den Arm, selten das Bein oder den Kopf. Z. halt diese Be¬ 
wegungen vielleicht zum Theil ftlr bedingt durch Parasthesien, dunkle Sinneseindrilcke 
und Hallucinationen, zum Theil fflr automatisch und durch centrale Reize ausgel&si 
Des Weiteren bespricht Z. die nach den Anfallen auftretende conjugirte Kopf- und 
Augen8tellung, deren Auftreten den Prevost-Landouzy’schen Angaben entspricht; 


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schliesslich erwahnt Z. Stfirungen des Muskelsinnes, die vielleicht nicht selten, jedoch 
schwer zu constatiren sind; als solche betrachtet er die Thatsache, dass dem Kranken 
nach dam Anfalle die Extremitaben in die verschiedensten unbequamen Stellungen 
gebracht warden kOnnen, ohne dass derselbe dagegen reagirt, dass ein Anderer die 
Zunge nicht vorstrecken kann, ohne dass eine Lahmuog vorlage, n. a. A. 

III. Ueber Sehstfirungen bei and nach paralytischen Anfallen. Be- 
zfiglich des ausffihrlichen Details dieses Abschnittes muss auf das Original veryiesen 
warden, das Besoltat seiner Untersuchungen resumirt Z. dahin: Sicber constatirt sind: 
1. Zustande von reiner Seelenblindheit, bezfiglich welcher noch festzustellen ware, ob 
dieselben stets doppelseitig zugleich mit rechtsseitigen Stdrungen der Motilitat etc. 
and dysphatischen Erscbeinungen auftreten. 2. DoppeLseitige Sehstflrungen, hochst 
wahrscheinlich Hemianopsien; als wahrscheinlich ist eine dritte Grappa hinzustellen, 
die eine combinirte Sehstfirung darbietet; ob ausserdem noch Falle von rein einseitiger 
Amaorose vorkommen, ist hbchst zweifelhaft. Die Falle Westphal’s machen es 
wahrscheinlich, dass die Hemianopsien die JFolge k^ankkafter Prozesae im Hinter- 
hirn sind. 

IY. Ueber eine im Anschlnsse an paralytische Anfalle auftretende 
vasomotorische Stdrung. Es handelt sich am Striemen- and Qaaddelbildung 
nach Streichen der Haut mit einem stumpfen Gegenstande, die Z. als eine Steigernng 
des bekan|iten Trousseau’schen Zeichens handelt. 

Indem Z. zum Schlusse die paralytischen Anfalle im Allgemeinen bespricht, hebt 
er das vorwiegend doppelseitige Auftreten hervor, sowie die Thatsache, dass beider- 
seitige paretische Erscheinungen von ihm nicht beobachtet sind, vielmehr immer 
wenig8tens einseitig Eeizerscheinongen vorkommen; ferner betont er, dass sich aus 
den verschiedenen Anfallen bestimmte Typen hervorheben, die von andem Hirnaffec- 
tionen her bekannten Krankheitsbildem entsprechen and mit grosser Wahrscheinlich- 
keit auf einen bald in diesem, bald in jenem Abschnitte der Gehimrinde sich ab- 
spielenden Prozess zu beziehen sind; dass die Anf&lle auf eine Exacerbation eines 
chronisch-entzftadlichen Prozesses zu beziehen sind, sieht Z. durch die Untersuchungen 
bezfiglich der Temperaturen in den Anfallen nicht gestdtzt, ist vielmehr der Annahme 
geneigt, dass die beobachteten Temperaturdifferenzen von der vorhandenen Oder fehlenden 
Betheiligang der thermischen Centren in der Himrinde abhangen. A. Pick. 


Therapie. 

16) Uet>er Schlaflosigkeit und Schlaftnittel von Eickholt. (Deutsche medic. 

Wochenschr. 1883. Nr. 49.) 

Aus diesem vor praktischen Aerzten gehaltenen Yortrage sei das Urtheil des 
Yerf. fiber einige neuere Schlafmittel hier mitgetheilt: 

1) Das (richtiger ist wohl der) Paraldehyd. Er bewahrt sich bei frischen 
Melancholien, bei Erschdpfungszustanden nach l&nger dauemden Manien, intercurrent 
bei Aufregungszustanden im Yerlauf der Dementia paralytica und bei Trinkern in 
Abstinenz. Nachtheile: H6chst unangenehmer nicht zu verdeckender Geschmack und 
Geruch. Das Mittel wird durch die Lungen wieder ausgeschieden, und ist noch 
24 Stunden nach seiner Anordnung die Atmosphare des Kranken von dem wider- 
liphen "Paraldehydgeruch durchsetzt. Yiele Menschen haben eine unfiberwindliche 
Aversion gegen das Mittel, namentlich Frauen; es reizt die Schleimhaute, bewirkt 
Trockenheit des Schlundes und grosses Durstgeffihl. Die langer fortgesetzte Anwen- 
dung hatte bei vielen Kranken heftige Kopfcongestionen und einen vasoparalytischen 
Zustand der peripheren Gefasse zur Folge. 


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2) Acetal (Diathylacetal). Die schlafmachende Wirkung desselben ist eine 
hochst unsichere. Der Geschmack, brennend und atzend, ist noch unangenehmer wie 
beim Paraldehyd, die anangenehmen Nebenwirkungen dieselben wie bei letzterem. 
Die schlafmachende Dosis ist 8—10 Gramm, eine ungef&ge Menge, welche zudem 
VerdauungsstOrungen hervorruft und in ungenhgender Verdflnnung die Magenwan- 
dung anatzt. 

3) Cannabinum tannicum (Merk). Es wirkt prompt in Dosen von 0,1— 
0,5 bei „neurasthenischer“ Schlaflosigkeit, sowie bei leichter Melancholie; zu verwerfen 
ist es bei hallucinatorischen Zustanden. Ueble Neben- und Nachwirkungen treten in 
der Eegel nicht ein. 

Bezuglich des Hyoscyamin tritt Ref. aus eigener Erfahrung der Ueberzeugung 
des Yerf. vollkommen bei, dass das Mittel die von einigen Seiten an dasselbe ge- 
stellten Erwartungen nicht rechtfertigt. Die toxischen Erscheinungen haben selbst 
in ganz massigen Dosen etwas tiberaus Beangstigendes und Erschreckendes. Das 
Schmieren und Zerreissen sah Ref. in wirklich schweren Fallen, in denen sich dieee 
Uebel nicht auf andere Weise besser und rationeller verhhten liessen, bei Gebrauch 
des Hyoscyamin nur so lange aufhOren, als das musculomotorische Elend dauerte. 

Tuczek. 


Forensische Psychiatric. 

17) Ueber die Verbreitung physischer Degeneration bei Verbrechem und 
die Beziehungen zwischen Degenerationszeichen und Neuropathien 

von Dr. Knecht. (Allg. Zeitsclir. f. Psych. 1883. Bd. 40. H. 4.) 

Von 1214 mannlichen Insassen der Strafanstalt Waldheim zeigten 579 (48%) 
Abweichungen vom normalen Typus in ihrer KOrperbildung, 130 davon einfache Zeichen, 
die Uebrigen mehrfache. Von den 1214 Individuen waren 7% psychisch abnorm, 
5% epileptisch; 11 Individuen zeigten andere Nervensttfrungen, 72 hatten Narben 
von Kopfverletzungen, 212 waren Gewohnheitstrinker (17,5%, Baer giebt 19,6% 
an). Die Degenerationszeichen bilden den haufigsten Ausdruck der neuropathischen 
Disposition, doch schhtzt erblich Belastete das Fehlen dieser Zeichen nicht vor Er- 
krankung. Die Nachkommen von Epileptischen und Trunkshchtigen sind am meisten 
gefahrdet. 

Zu einem Vergleich mit der Haufigkeit des Vorkommens der sog. Degenerations¬ 
zeichen bei der geistesgesunden Bevolkerung fehlen bisher in Deutschland noch die 
positiven Unterlagen. 

Die Dotails der Ausfhhrungen mussen im Original nachgelesen werden. 

Siemens. 


III. Aus den Oesellschaften. 

0 

51. Versammlung der British Medical Association. (British Medical Journal. 

1883. Sept. 22.) 

Fred. W. Lowndes, Venereal and sexual Hypochondriasis. L. bespricht 
(in der Section fur Chirurgie) jene jedem beschaftigten Praktiker bekannte Klasse 
unglflcklicher „eingebildeter Kranker a , die entweder an einer venerischen Infection 
zu leiden glauben, oder aber eine Schwachung ihrer sexuellen Potenz bemerkt haben 
wollen und bei denen diese Ueberzeugung trotz aller gegentheiligen Versicherungen 
der zahlreichen Fachmanner, die sie der Reihe nach consultiren, unverbruchlich fest- 
steht. Er pladirt trotzdem dafur, in alien Fallen derartigen Individuen die Grund- 
losigkeit ihrer Befhrchtungen kurz und bundig darzulegen, ohne dabei Indicationen, 


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welche sich aus Anamie, allgemeiuer Nervositat etc. derselben ergeben, bei der Be- 
handlung zu vemachlassigen. Den Rath zur Cohabitation zu therapeutischen Zwecken 
halt L. sowohl fur moralisch verwerflich, als beim sexuellen Hypochonder gewohnlich 
fur nutzlos. 

T. R. Glynn, Case of complete Paraplegia with Rigidity terminating 
in Recovery. Hochgelegene Querschnittsmyelitis durch Compression bei Wirbelcaries. 
Ziemlich vollkommene Heilnng nach l 1 / 2 Jahren. 

David Drummond, An unusual case of locomotor ataxia. Der durch 
die klassischen Symptome charakterisirte Fall betraf einen 42jahrigen Eisenarbeiter 
(mit 22 Jahren Syphilis, Excesse in Baccho et Yenere) und zeichnete sich aus durch 
eine ganz enorme StOrung des Muskelgefuhls und der Coordination in alien 4 Ex- 
tremitaten derart, dass schon in der Ruhe des Patienten haufig formlich choreatische 
Bewegungen die Extremitaten hin- und herrissen, ohne dass der Kranke sich dessen 
bewusst wurde. Sein Gang war so wankend, dass er wiederholt als Betrunkener 
polizeilich aufgegriffen wurde. Zur drastischen Illustration seiner tiefgehenden Sto¬ 
ning des Muskelbewusstseins wird folgendes Geschichtchen angeffihrt: Der Kranke 
kam eines Tages ganz knapp vor Abgang eines Zuges, den er benfttzen wollte, zur 
Bahn. In dem Bestreben, seinen Zug nicht aus den Augen zu verlieren, hielt er 
den Blick auf dieeen geheftet und machte grosse Anstrengungen, urn, wie er glaubte, 
auf dem Perron rasch vorwarts zu kommen. Er war jedoch nicht wenig erstaunt, 
als ihn das Gelachter der Umstehenden darauf aufmerksam machte, dass seine An¬ 
strengungen resultatlos und er trotz der erdenklichsten Evolutionen seiner Arme und 
Beine — auf dem alten Fleck stehen geblieben war. Bemerkenswerth ist an dem 
Falle, dass das Gleichgewicht im Stehen trotz hochgradigster Coordinationsstorung 
lang erhalten blieb. Kast. 


IV. Bibliographie. 

Krankheiten des Nervensystems, Lehrbuch der speciellen Pathologie und 
Therapie der inneren Krankheiten, von Prof. A. Strum pell. II. Band. 
I. Theil. Leipzig 1884. Vogel. 

Man durfte nach den bisherigen Arbeiten des Yerfassers, die ganz vorzugsweise 
in das Gebiet der Nervenpathologie fallen, erwarten, dass dieser Theil seines Lehr- 
buchs mit besonderer Vorliebe und hervorragender klinischer Erfahrung abgefasst 
sein wurde. Und in der That, man wird sich bei der Lecture des Buches uber- 
zeugen, dass nur die grhndlichste Sachkenntniss, eingehende Beschaftigung mit der 
pathologischen Anatomic der Nervenkrankheiten und eine damit zusammenhangende 
kritische Beherrschung des grossen Materials es ermoglichen konnten, auf 444 Seiten 
eine so relativ vollstandige Darstellung der Nervenpathologie zu geben. Nicht nur 
die allgemeinen Grundzuge derselben sind mit anerkennenswerther Klarheit dargelegt, 
sondern auch die Details mit der glucklichsten Ueberlegung ausgewahlt und der 
Charakter des Lehrbuchs streng gewahrt. 

Das Wichtigste von den neueren pathologisch-anatomisc^ien, experimentellen und 
entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen (z. B. fiber die Systemerkrankungen im 
Rhckenmark, fiber die Localisation in der Gehimrinde, fiber die Gefassvertheilung in 
der Medulla oblongata, fiber die Genese der Epilepsie) findet man in pragnannter 
Khrze aufgeffihrt. Die Anordnung des Stoffes ist eine ubersichtliche. Krankheiten 
der peripheren Nerven, vasomotorische und trophische Neurosen, Krankheiten des 
Rhckenmarks, des verlangerten Marks, des Gehims und schliesslich Neurosen ohne 
bekannte anatomische Grundlage bilden die 6 Hauptabschnitte, und es reprasentirt 
diese Eintheilung wenigstens eine moglichste Annaherung an das anatomische Princip. 

Wir beschranken uns, was das Detail anlangt, auf wenige Bemerkungen. Fur 


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sehr zweckmassig und instructiv halten wir die bei den Neuralgiefi gegebenen sche- 
matlschen Uebersfchtsbilder der wichtigsten Hantnervengebiete. Im Capitel, das die 
Ueberschrift tragt: einfache and multiple degenerative Neuritis, macht Str. darauf 
aufmerksam, dass wabrscheinlicb viele Falle von sog. Neuritis nicht als Entzflndung, 
sondem ate eine besondere Art prim&rer, degenerativer Atropbie der Nerven 
aufzdfassen seien. 

Die Rubricirung der Migrane unter den Abschnitt „vasomotorische Neurosen" 
entspricbt zwar der herrscbenden Anschauung, aber scbwerlich dem objectiven Sach- 
veThatt. — 

Sehr einverstanden sind wir mit der kritischen Behandlung der chronischen 
Leptomeningitis spinalis, die sich nach Anatomie, Symptomatologie etc. selbst in den 
besten Lehr- und Handbfichem als wohl charakterisirte selbst&ndige Krankheitsform 
aufgeffihrt fincDet. Der Aussprucbs Str.’s, dass ein sicherer khttisch und anatomisch 
beweiskraftiger Fall von primarer chronischer Leptomeningitis nicht existire, verdient 
in seiner Unbestreitbarkeit die grosste Beachtung von Seiten der Aerzte, und dttrfte 
wohl die H&uftgkeit der Diagnosen auf chronische SpinalmeningitiB etwas reduciren. 

Eine der Leyden’schen n&her als der Erb’schen stehende Auffassung entwickelt 
Str. bezfiglich der Natur der atactischen Stfirung bei der Tabes. Letzfere 
beruhen nach ihm wahrscheinlich vorzugsweise auf dem Ansfali centripetaler regu- 
latorischer Erregungen, Oder noch mehr auf Stfirung der Uebertragung dieser Erre- 
gungen auf die motorischen Apparate, sind also wahrscheinlich durch eine Lasion dbr 
grauen Substanz bedingt. Es braucht, daher der Grad der Ataxie bei der Tabes 
keineswegs der StOrung der bewussten Sensibilit&t parallel zu gehen; letztere 
braucht gar nicht alterirt zu sein und doch kann Ataxie bestehen. Die Angabe Str.’s, 
dass das ErlOschen des Kniereflexes bei Tabes ein — selbst in den frilhen Stadien 
— constantes Symptom sei, halten wir ftlr unrichtig. 1st auch noch kein Fall von 
Tabes mit erhaltenem Patellarreffex zur Section gekommen, so kennen wir doch ver- 
schiedene Falle Jahre lang bestehender Tabes, d. h. solcher, in denen Alles uns be- | 
rechtigt, die Diagnose Tabes zu stellen, Nichts, eine andere complicirende Affection 
anzunehmen, in denen der Kniereflex erlialten, sogar lebhaft ist. Wir haben zur 
Zeit 4 solcher Falle in Beobachtung. 

Bei der Erwahnung des Ergotin in der Therapie der Tabes ware zu erinnern, 
dass franzGsische Autoren (Grasset) wesentliche Yerschlimmerung der Tabessymptome 
durch Gebrauch dieses Mittels beobachtet haben und dass dabei Yorsicht, Yermeiden 
continuirlicher Anwendung, geboten ist. 

Sehr zu loben sind die bftndigen allgemeinen Yorbemerkungen fiber die toxische 
Diagnostik der Gehirnkrankheiten, die Lehre von den cerebralen Localisationen und 
speciell die AusftQirungen fiber die Aphasie. 

Die beiden letzten den „Neurosen ohne bekannte anatomische Gitondlage" an- 
gehorigen Abschnitte fiber die Hysterie und Neurasthenie geben natfirlich nur eine I 

Skizze, aber doch eine recht gut entworfene Skizze dieser praktisch so wichtigen | 

Krankheitsformen. 

Warum Str. hysterische Neuralgien nicht zulassen, sondern in den betr. Fallen 
eine Combination der Hysterie mit der Neuralgie annehmen will, ist uns nicht recht 
verstandlich. Im Gegentheil, wir halten die directe Abhangigkeit zahlreicher Neu¬ 
ralgien von der Hysterie ffir so evident, als es der Zusamnienhang der Lahmungen, 
Contracturen etc. mit jener ist. Eisenlohr. 


Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber Wird gebeten. 

Einsendungen ffir die Redaction sind zu richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag vrtti Yi<it & Gotfp. in Leipzig. — Dhtdk von MkTzenM & WtefTlG in Leipzig. 


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NeurologischesCentralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physioiogie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Dr. E. Mendel, 

Dritter PriTAtdooent AH der Unforaitit Berlin. 


Monatiich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1884. 


1. Mftrz. m 5. 


In halt. I. Origlnalmitthellungen. Ueber einen Fall von disseminirter granuldser Sklerose 
der Hirnrinde von Greiff. 

II. Referate. Anatomie. 1. Fossa occipitale mediana nelle razze umane e nei crimi- 
nali per il Lombroso. — Ezperimentelle Physioiogie. 2. Experiment. Untersuchungen 
fiber den Ausdruck der Gemftthsbewegungen bei Thieren von Bechterew. 3. Untersuchungen 
fiber die Zuckungscurve des menschlichen Muskels etc. von Edinger. — Patholo^ische 
Anatomie. 4. TSdtliche pemphigusartige Dermatitis etc. von Meyer. 5. Compression der 
Cauda equiaa mit secundarer Degeneration im RM. von Roth. 6 . Veranderungen der Clarke'- 
schen Saulen bei Tabes dorsalis von Llssauer, Zusatz von Weigert. — Pathologie des 
Nervensystems. 7. 1 nuclei del corpo striato pel dott. Silvio Tonnini. 8. Recent 
investigations into the pathology of so-called concussion of the spine by Putnam. 9. Fort- 
schreitende halbseitige Gesichtsatrophie von Mierzeiewsky und Erlitzky. 10. Hemiatrophia 
facialis progressiva von Banham. 11. Trigeminus-Lahmung von MUIIer. 12. ZurLehrevom 
Husten von StrOblng. 13. Nutritive alterations and deformity of fingers from pressure on 
nerves in the axilla by Milos. 14. On the neurotic origin of progressive arthritis deformans 
by Weber. 15. Thermische Neurosen von Scherschewsky. 16. Bemarkingen om Diabetes af 
Salomonsen. — Psychiatrie. 17. Verrftcktheit, von Mendel. 18. II riflesso tendineo Della 
paralisi progressiva degli alienati pel Bianchl. 19. Zur Lehre vom Alcoholismus von Mierze¬ 
iewsky. 20. On the Pathology by Wlgleswortb. — Therapie. 21. Krampf im Splenius von 
Adamkiewicz. 22. Tabes dorsalis etc. von Bdkai. 23. Electrical treatment of insomnia by 
Blackwood. 24. Mechanical restraint in the treatment of the insane by Bonnet. — Foren- 
si ache Psychiatric. 25. U mancinismo sensorio ed il tatto nei delinauenti e nei pazzi 
pel Lombroso. 26. La sensibilita laterale nei pazzi pel Amadel e Tonnini. — Anstaltswesen. 
27. Die Heilanstalt Johannisberg bei Eaiserswerth von Roller. 

III. Alls den Geseilschaften. — IV. Bibliographle. — V. Vermischtes. 


I. Originalmittheilungen. 


Ueber einen Fall von disseminirter granuloser Sklerose 

der Hirnrinde. 

Von Dr. F. Greiff, 

Assistenten an der Irrenklinik zu Heidelberg. 

TJnter dem Namen: „Cirrhose atrophique granuleuse diss4min4e des circon- 
vohitioiis c^r^brales" hat kurzlich Pozzi 1 einen mit dem unten folgenden offen- 
bar analogen Fall beschrieben. Da fiber diese eigenthfimliche Form der Hirn- 
rindensklerose sonst in der Literator kein Material vorznliegen scheint, dfirfte 

1 L'Enc^pbale. 1883. p. 155. 


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eine weitere Beobachtung nicht unwiUkommen sein. Wie aus der Ueberschrift 
hervorgeht, handelt es sich um einen disseminirt zwischen normaien Rinden- 
partien auftretenden sklerotischen Prozess; der Ausdruck „granulds“ bezieht sich 
auf das makroskopische Aussehen der veranderten Rindenoberflache. 

Frau F., 65 Jahre alt, wurde am 30. Januar 1883 in die Anstalt auf- 
genommen. Aus der nur mangelhaft zu eruirenden Anamnese ist hervorzuheben, 
dass Hereditat anscheinend nicht vorhanden war und dass Pat. fruher keine 
schwerere Krankheit, insbesondere keine des Centralnervensystems durchgemacht 
hatte. Eine auffallige Abnahme der Intelligenz wurde bei der Kranken in der 
letzten Zeit nicht bemerkt, dagegen soil sie manchmal „Anfalle“ gehabt haben, 
uber deren Natur leider nichts Naheres zu ermitteln war. Der Beschreibung 
nach scheinen es kurz andauernde Anfalle von Bewusstlosigkeit, angeblich ohne 
Krampfe, gewesen zu sein. Im Uebrigen gait Pat. als eine tuchtige und fleissige 
Hausfrau; sie besass nur ein Kind, ein Madehen von 17 Jahren, das vollstandig 
gesund sein sollte. Syphilis und Potus wurden geleugnet. 

Wenige Tage vor der Aufnahme brach nach einem Streite mit einer Ver- 
wandten plotzlich eine geistige Storung bei der Pat aus; sie wurde sehr un- 
ruhig, schwatzte unaufhorlich von alien moglichen Dingen durcheinander, schlief 
gar nicht mehr und kam von Tag zu Tag in starkere Erregung, sodass sie 
schliesslich unter dem Einfluss zahlreicher Hallucinationen, Verkennen ihrer 
Umgebung und zunehmender Bewusstseinstorung sehr aggressiv wurde, die 
Mobel demolirte etc. 

Bei der Aufnahme am 30. Januar 1883 zeigte Pat. starke Benommenheit, 
lag bewegungslos da mit rochelnder Respiration, Puls 120, klein und frequent; 
Pupille reactionslos, stecknadelkopfgross (Pat. hatte zu Hause noch eine starke 
Morpliiuminjection erhalten); Augen und Mund waren krampfhaft geschlossen, 
bedeutende Starre in Armen und Beinen. Haut- und Sehnenreflexe waren nicht 
zu erzielen. Nach kalten Uebergiessungen und anderen starkeren Hautreizen 
fing Pat. endlich an, sich zu ruhren, oflhete die Augen, fing an zu sprechen 
und brachte vornehmlich Delirien religiosen Inhaltes hervor, wobei noch immer 
eine gewisse Benommenheit zu constatiren war. 

Den nachsten Tag uber im Wesentlichen derselbe Zustand mit Starre der 
Glieder, Benommenheit, religiose Delirien, am 3. Tage, den 1. Februar 1883 
Morgens, war Pat. ziemlich klar; die Starre der Glieder verschwunden, keine 
Parese oder sonst eine Storung auf motorischem Gebiete; Pat. sprach in ziemlich 
geordneter Weise uber ihre Verhaltnisse, klagte ihre Verwandten an, dass die- 
selben sie um ihr Yermogen bringen wollten und brachte noch weitere ahnliche 
Verfolgungsideen vor; uber die Vorgange der letzten Tage wollte sie Nichts 
wissen. 

Gegen Abend traten zahlreiche Hallucinationen auf, welche auch noch am 
folgenden Tage, den 2. Febr., die Scene beherrschten. Pat. horte ihre Ver¬ 
wandten auf dem Corridor, dieselben pfiffen durch Rohren, liessen Dampf in’s 
Zimmer, dass Alles umnebelt sei, vergifteten das Essen, und dergl. Mittags 


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verfiel Pat. wieder in ihre fruhere Starre und Reactionslosigkeit, und murmelte 
nnr dann und wann XJnverstandliches vor sich hin. 

In den folgenden Tagen bot die Kranke im Ganzen dasselbe eigenthumliche 
Verhalten; sie lag meist steif und starr mit krampfhaft geschlossenen Augen da, 
musste gefuttert und in’s Bad getragen werden, reagirte auf keinerlei aussere 
Reize, mitunter jedoch wurde sie plotzlich mobil, schrie gerade hinaus, schlug 
um sich, um indess bald wieder in ihren Stupor zuruckzufallen. Es entwickelte 
sich unter Temperaturerhohung bis 38,7 eine ausgebreitete Bronchitis. 

Am Morgen des 8. Febr. 1883 verschied Pat. plotzlich im Bade, nachdem 
sie kurz zuvor noch stark geschrieen und sich heffcig gestraubt hatte. 

Autopsie: Schadeldach ziemlich compact, dunn, Gefassfurchen sehr tief; 
Dura mater ist an einzelnen Stellen etwas starker mit dem Schadeldach ver- 
wachsen. Pia mater blutreich und stark ddematos, von den Hirnwindungen 
leicht und ohne Substanzverlust abziehbar. Gefasse an der Hirnbasis ohne 
Veranderung. 

Die Windungen des Grosshims stellenweise verschmalert, besonders an den 
Stirnlappen; ausserdem zeigen einige von ihnen und zwar die n. Stimwindung 
und hintere Centralwindung beiderseits, eine starkere Atrophie, ihre Oberflache 
erscheint etwas eingesunken und stark granulirt. 

Die Himrinde nicht verschmalert, von hellbrauner Farbe; Substanz des 
Grosshirns im Allgemeinen von mittlerem Blutreichthum und massiger Derbheit. 
Die Ventrikel sind nicht merklich erweitert, ihr Ependym fein granulirt 

Kleinhirn und Ruckenmark bieten makroskopisch nichts Auffallendes. 

Im TJebrigen fand sich Emphysem, Bronchectasie, Bronchitis capillaris, 
embolische Thrombose mehrerer grossen Zweige der Pulmonalarterie. 

Das in MuLLEB’scher Flussigkeit gehartete Gehirn bot makroskopisch 
Folgendes: 

Im Ganzen besteht die Veranderung in einer unregelmassigen Granulirung, 
d. h. einer Bildung von Hockerchen und Grubchen auf der Rindenoberflache, 
sodass dieselbe ungefahr das Aussehen wie chagrinirtes Leder erhalt; auch in 
die Tiefe der Furchen hinein setzt sich diese Veranderung fort. Die starker 
afficirten Windungen erschienen ausserdem in toto atrophirt, schmal und niedrig. 
Auf den weniger intensiv veranderten Windungen sind die Erhebungen und 
Vertiefungen nicht so stark ausgepragt, liegen nicht so dicht bei einander; die 
Windungen selbst zeigen keine starkere Atrophie. Die geringgradigsten Ver- 
anderungen prasentiren sich als kleine Grubchen und Impressionen auf sonst 
anscheinend normalen Windungen. 

Was die Verbreitung des Prozesses auf die einzelnen Gyri betrifft, so findet 
sich dieselbe auf der rechten Hemisphare hauptsachlich ausgebildet an der 
II. Stirnwindung, die in ihrer Totalitat, von ihrem IJrsprung aus der vorderen 
Centralwindung bis an ihr vorderes Ende ergriffen ist. Yon ihr setzt sich der 
Prozess auf die vordere und hintere Centralwindung fort und .zwar von beiden 
nur den oberen Theil zunachst der Langsspalte einnehmend. Weiter hinten ist 
wieder das obere Parietallappchen in erheblicher Weise ergrifFen. Weniger stark 


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verandert zeigt sich die m. Stimwindung beeonders in ihrem vordereten Ab- 
schnitt and die II. Schlafenwindung etwa in ihrer Mitte. An verechiedenen 
anderen Windnngen erkennt man die gennggradigste Entviokelung dee Prozesses, 
wie oben geschildert. 

Die linke Hemisphere zeigt im Wesentliohen dieselben Windnngen afficirt, 
also vorzugsweise die IL Stirn- and die Gentralwindungen in ihrem oberen Ab- 
schnitt, sonst fiber verechiedenen Windnngen die geringen Grade dee Prozesses 
Im Ganzen ist die rechte Hemisphere starker betrofien als die linke. 

Anf einem Schnitt dorch eine der afficirten Windnngen erkennt man scbon 
makroskopisch hello Streifchen, welche die Bindensubstanz durchsetzen und zwar 
gehen dieselben meist von den Einziehnngen der Oberflache aus und dringen 
entweder nur eine Strecke weit in die Binde ein, oder sie reichen von der 
Oberflache bis in die weisse Substanz; an manchen Stellen strahlen diese Streif¬ 
chen wieder von der weissen Substanz ein Stfick weit in die Binde ein, aber 
anch dann immer einer der Yertiefungen in der Oberflache entgegen. Da und 
dort erkennt man auch unregelmassig eingestreute helle Fleckchen in der Binde, 
welche um kleine Gefasslumina sich zu gruppiren scheinen. 

Die mikroskopische Untersuchung ergiebt im Wesentlichen zwei verachiedene 
Befande, von denen der eine, an Yerbreitung und Bedeutung vorwiegende, den 
Einziehungen der Bindenoberflache und den in der makroskopischen Beachrei- 
bung erwahnten hellen Streifen und Flecken in der Bindensubstanz entspncht, 
wahrend der andere viel seltener sich findet und makroskopisch nioht erkenn- 
bar ist. 

Dntersucht man eine der ersteren Stellen, so ergiebt sich zunaohst, dass 
sich die betreffenden Yeranderungen meist in der Umgebung eines Gefasses 
vorfinden; es werden so die hellen Streifen durch das veranderte Gewebe um 
ein im Langsschnitt getroffenes Gefass hervorgebracht, die Fleckchen durch den 
entsprechenden Befund um einen Gefassquerschnitt; manchmal liegt auch mitten 
in der Binde ohne directen Anschluss an einen Gefassschnitt ein Nest oder ein 
Streifen des veranderten Gewebes. 

Histologisch besteht dasselbe aus einem reticulirten, bindegewebigem Gerfiste 
mit einer ziemliohen Anzahl Bundzellen; in den Maschen des Netzwerkes, be- 
sonders in der Nahe der Gefassschnitte, liegen sehr viele Corpora amylacea. 
Die Gefasse selbst sind von massiger Weite, ihre Wandungen nur wenig yer- 
dickt, von geringer Zellenwuoherung durchsetzt; in ihrer naohsten Umgebung 
sind die Maschen des reticulirten Gewebes am weitesten und werden nach der 
Peripherie des Herdes zu immer dichter, bis sie allmahlich in das fein reticulirte 
Grundgewebe der angrenzenden normalen Partien fibergehen. In diesen mehr 
oder weniger weit in der Binde um sich greifenden Gewebswucherungen fehlen 
die nervosen Bestandtheile vollstandig; auch keine sklerotuchen Ganglienzellen 
liegen darin, wohl findet sich aber meist ein Saum von solchen in der unmittel- 
baren Umgebung dieser Partien. An den Stellen, wo sich ein solcher Gewebs- 
zug ron der Oberflache der Binde hereinsenkt, zeigt sich die Pia etwas verdickt 
und mit einer reichhohen Anzahl Corp. amylacea durchsetzt. Die angrenzende 


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ausserste Rindenschicht ist hier yerbreitert und besteht aus einem weitmaschigen 
bindegewebigen Netzwerke mit eingestreuten Rundzellen und Corp. amylaceis. 
Die weisse Substanz bietet ausser Kemvermehrung nichts Besonderes; nur 
an einzelnen Stellen erkennt man, dass ein in den unteren Rindenschicbten ge- 
legener Herd etwas auf sie fibergegangen ist; ihr feingestreiftes Gewebe ist hier 
dnrch dasselbe mehr oder minder dichte Maschenwerk mit Rundzellen, Corp. 
amylaceis etc. yerdrangt 

Wesentlich verschieden von der oben geschilderten Yeranderung ist der 
Refund in den Herden der zweiten Art. In dieser besteht die Grundsubstanz 
aus einem compacten, feinst gekomt erscheinenden Gewebe, welches sich von 
dem reticulirten Grundgewebe der umgebenden normalen Partien durch seine 
Dichtigkeit sehr deutlich abhebt. In diesem Gewebe finden sich nur wenige 
und unregelmassig gelagerte Ganglienzellen eingebettet, welche ausserdem gegen- 
uber denjenigen der benachbarten normalen Rindenabschnitte erhebliche Form- 
veranderungen darbieten; sie sind schmal, scharf zugespitzt, mit starren Con- 
touren versehen. Kern und Kernkorperchen treten meist noch deutlich hervor, 
es fehlt aber vollstandig das komige Zellprotoplasma, sodass meist nur die ersteren 
und eine scharfe Umhfillungscontour um sie zu erkennen sind, von welch letz- 
teren ein oder mehrere dfinne und kurze Fortsatze ausgehen. Diese veranderten 
Ganglien farben sich auch starker als diejenigen der normalen Partien und 
haben im Gegensatz zu diesen keine Spur eines pericellularen Raumes; sie 
liegen wie eingekeilt und comprimirt in dem sklerotischen Grundgewebe. Neben 
diesen so veranderten Ganglienzellen finden sich auch einzelne grossere und 
anscheinend normale, mit deutlichem Protoplasma, breiten Fortsatzen etc. 
Weiterhin fehlen in den sklerotischen Stellen die markhaltigen Nervenfasem 
fast vollstandig, wie an Osmium- und Saurefuchsin-Praparaten zu erkennen ist 
Yon Gefassen finden sich nur wenige, schmale Stammchen und Capillaren; im 
Vergleich zu den normalen Rindenabschnitten ist eine massige Kernwucherung 
vorhanden. Nach der Oberflache der Windung zu verschwinden die Ganglien 
bald vollstandig und machen reichlichen Rundzellen und einer Anzahl kleiner 
Spinnenzellen Platz; die erste Schicht fiber diesen sklerotischen Stellen zeigt fein 
fibrillaren Aufbau, keine Verwachsung mit der Pia. 

Die Grosse, Localisation und Form dieser Herde ist sehr verschieden; manche 
uehmen die ganze Ausdehnung der Rinde von der weissen Substanz bis zur 
Oberflache ein, beginnen schmaler in der Nahe der ersteren und erreichen in 
den oberen Rindenschichten eine grossere Breitenausdehnung, andere sind kleiner 
und betreffen bios die beiden oberen Schichten. Ihre Localisation ist ebenfalls 
sehr verschieden und makroskopisch nicht gekennzeichnet, wahrend wir von den 
ersteren Herden gesehen haben, dass sie immer den hellen Streifen und Flecken 
entsprechen und meist von den Stellen der Einziehungen und Yertiefungen in 
der Rindenoberflache ausgehen. Dagegen liegen jene manchmal auch in den 
kleinen Hockern der Rindenoberflache, was bei den letzteren nie vorkommt. Die 
moisten der kleinen Hocker zeigen jedoch normale Rindenconstitution und treten 
nor durch die benachbarten Einziehungen der Oberflache als kleine Erhebungen 


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hervor. Was das Localisationsrerhaltniss der beiden Prozesse zu einauder an- 
belangt, so 1st zu constatiren, dass imrner in der Nachbarschaft der zulefczt 
beschriebenen Herde ein oder mehrere Streifen der ersten Form mit ihrer netz- 
formigen Grundsubstanz, Corp. amylaceis etc. zu finden sind, aber nicht um- 
gekehrfc, da, wie schon erwahnt, jene im Vergleich zu diesen nur selten vor- 
kommen. 

Der Vollstandigkeit halber sei noch erwahnt, dass in den tieferen Hirn- 
abschnitten, in Pons und Ruckenmark, nichts Abnormes gefunden wurde. 

(Schluss folgt.) 


n. Referate. 


Anatomie. 

1) Fossa ocoipitale mediana nolle rasze umane e nei oriminali per il prof. 

Lombroso. (Archiv. di psichiatr. 1883. IY. p. 505.) 

Verf. hat bekanntlich seit langerer Zeit das auffallend haufige Yorkommen einer 
medianen Fossa occipit. im Cerebellartheil der Hinterhauptsschuppe bei Irren und bei 
Yerbrechem constatirt. Bei jenen fand er eine Frequenz von 14 %, Rom iti von 
12%, bei diesen von 16%, wahrend normale Schadel nnr bei 4,1 (nach Romiti 
5 %) dieselbe Abnormitat aufwiesen. Ffir den Neuropathologen ist dieser Befund in 
so fern von Wichtigkeit, als bei etwa 60% aller Falls eine Bildungsanomalie dea 
Wurms oder der Tonsillen mit ihm vereinigt ist, ein Rfickschluss anf eine abnorme 
Gehimorgani8ation daher gerechtfertigt erscheint. In der vorliegenden Arbeit weist 
Yerf. nun nach, dass auch bei „inferioren“ Racen eine medians Hinterhauptegrube 
sehr haufig ist, bis zu 26%, und er findet darin eine neue Stfitze ffir seine be- 
kannte Ansicht, dass der KCrper der Irren wie der Verbrecher durch zablreiche 
(atavistische?) Degenerationszeichen charakterisirt ist. Sommer. 


Experimentelle Physiologie. 

2) Experimentelle Untersuchungen fiber den Ausdruek der Gtemiithfl- 
bewegungen bei Thieren. Vorlaufige Mittheilung von W. Bechterew. 
(Wratsch. 1884. Nr. 1. Russisch.) 

Die Arbeit bildet einen Nachtrag zu der vom Autor im Neurolog. Centralbl. 
1883. Nr. 3 verOffentlichten Mittheilung fiber die Function der Sehhfigel. Anf Grund 
neuer, an verschiedenen Thiergattungen angestellter Experiment© best&tigt B. die 
frfiher von ihm ausgesprochene Auffassung der Sehhfigel als Centren ftir den un- 
wiRkfirlichen Ausdruek von Gomfithsbewegungen. Die dieser Anschauung zu Grunde 
liegenden Thatsachen bestehen wesentlich in Folgendem: 

An Saugethieren sowohl, als an Vfigeln und Amphibien, denen die Grosshim- 
hemisphfiren ohne Yerletzung der Sehhfigel abgetragen sind, gelingt es noch ver- 
mittelst geeigneter ausserer Reize verschiedenartige Stimmausserung und diejenigen 
complicirt-en Bewegungen (Aufrichten der Hautbedeckungen, mimische Gesicbtscontrac- 
tionen, Zurucklegen der Ohren bei Saugethieren etc.) hervorzurufen, die den Thieren 
im normalen Zustand zum unwillkfirlichen Ausdruek ihrer Gemfithsbewegungen dienen. 
Falls jedoch nach Abtragung der Hemispharen die Sehhfigel zerstfirt oder die Him* 
schenkel durchtrennt werden, so haben die fiblichen peripheren Reize keine einzige 
complicirte Ausdrucksbewegung mehr zur Folge, und die reflectorische Stimmausserung 


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erleidet an solchen Thieren hflchst deutliche Stflrangen. Bezflglich letzterer bemerkt 
Yerf., dass es an einigen Thieren (vorzflglich Eatzen nnd Hunden) nach bezeichneter 
Operation gar nicht mehr gelingt, lantes langgezogenes Schreion hervorzurufen, und 
auch die heftigsten ausseren Eeize nnr leise, bald ganz verschwindende Stimmausse- 
rung bewirken; an anderen Thieren hingegen, als Eaninchen und Meerschweinchen, 
kann nach Durchschneidung der Hirnschenkel noch Schreien erzielt werden, das je- 
doch stets kflrzer, leiser und einf5rmiger klingt, als an solchen Thieren, denen nach 
Abtragung der Hemisph&ren die Sehhflgel unversehrt gelassen sind. 

An Saugethieren, denen eine isolirte Zerstflrung der Sehhflgel angebracht ist, 
wird Ausfall aller derjenigen Bewegungen wahrgenommen, welche ihnen zum un- 
willkilrlichen Ausdruck ihrer Affecte dienen (mimische Contractionen der Gesichts- 
muskeln, charakteristische Bewegungen der Ohren etc.), wahrend die willkflrliche 
Motilitflt der Giieder dabei durchaus keine Beeintrachtigung erleidet. In dem Um- 
stand, dass an solchen Thieren noch durch aussere Beize reflectorische Stimmausse- 
rung bewirkt wird, sieht Yerf. keinen Beweis dafflr, dass diese Thiere zum unwill- 
kflrlichen Ausdruck ihrer Gemflthsbewegungen befahigt waren, da es annehmbar ist, 
dass sie bei schmerzhaften Beizen ihre Stimme willkflrlich laut werden lassen. 
Ausserdem giebt er auf Grand seiner Yersuche zu, dass noch Centren fflr einfflrmige 
„elementare“ Stimmausserung unter den Sehhflgeln — in der Varolsbrflcke oder Me¬ 
dulla oblongata gelegen sind, was mit den Untersuchungen Longet’s (Anatom, et 
physiol, du syst. nerveux, 1.1, Paris 1842) und Vulpian’s (Le 9 ons sur la physiol, 
normale et comparde du syst. nerveux. Paris 1866) flbereinstimmt. Also kann das 
Schreien der Thiere nach Zerstdrung der Sehhflgel auch reflectorisch durch diese 
Centren ausgelflst werden. Beschrankte Lasionen der Sehhflgel haben keinen voll- 
standigen Ausfall der Ausdracksbewegungen zur Folge, doch Yerletzung der hinteren 
Portion eines Sehhflgels bewirkt stets mimische Lahmung der gegenflberliegenden 
Gesichtshalfte. 

Bei elektrischer Beizung der Sehhflgel stellen sich ausser verschiedenartigen 
Schreien bestandig deutliche Bewegungen der Ohren, des Gesichts und der Extremi- 
taten ein. P. Bosenbach. 


3) Untersuchungen fiber die Zuckungscurve des menschlichen Muskels 
im gesunden und kranken Zustande von Dr. Lud. Edinger in Giessen. 
(Ztschr. f. klin. Med. Bd. VI. H. 2.) 

Ed. flberzeugte sich durch Yorversuche, dass beim Studium der Zuckungscurve 
man nicht die Verkflrzung, sondem besser die Yerdickung des Muskels messen muss 
weil nur letztere, wie Bernstein auseinandergesetzt hat, allein ein richtiges Bild 
von dem Verlauf und der Dauer einer Contractionswelle liefert. 

Er fand nun, was die Gestalt der Curve (abgesehen von der H6he), was die 
Latenzzeit und die Ablaufszeit der ganzen Curve anbetrifft, flberall nur recht minimale 
Unterschiede, mochte man am Arm eines kr&ftigen Mannes oder an dem einer schwachen 
Reconvalescentin untersuchen. Die Form der Curve ist dieselbe, wie die mit dem 
Helmholtz’schen Myographium aufgenommene thierischer Muskeln. 

Die Dauer der Latenzzeit (vom Offnungsschlag bis zum Beginne der Contraction) 
war meist 0,01 Sec. (0,009—0,016). Dabei ist die Stromst&rke gleichgflltig. 

Wenn Mendelssohn fflr verschiedene Muskeln verschieden grosse Latenzzeiten 
fand, so liegt dies nach E. daran, dass an den verschiedenen Eflrperstellen die 
Durchleitung des Stromes durch die Haut verschieden grosse Widerstande bietet; 
dasselbe trifffc zu, wenn der Muskel beim Versuche nicht quer, sondern in der Lflngs- 
richtung von dem elektrischen Strome durchflossen wird: es giebt dann grflssere 
Latenzzeiten. 

*• 


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Die Curve steigt steil an, erreicht ihre HChe durchschnittlich nacb 0,045 Sec., 
bildet eine stumpfe Spitze oder einen graden Curvenrficken und fallt dann mit einigen 
secundaren Erbebungen in 0,3—0,45 Sec. bis zur Nulllinie ab. 

Die ganze Muskelzuckung dauert 0,287—0,441 Sec. 

Auf pathologischem Gebiete constatirte E. Folgendes: 

1. Bei Contracturen nacb Hirnhamorrhagien: geringe Yerl&ngerung der Latenz- 
zeit, dagegen etwas rascberes Ansteigen der Curve. 

2. Bei Contracturen der Druckdegeneration des Buckenmarkes (Caries) und bei 
Myelitis des Halsmarkes wurden normale Zablen gefunden. 

3. Bei Tabes: Verlangerung der Latenzzeit. 

4. Bei progressiver Muskelatropbie bedeutende Yerlangerung der Latenzzeit 

5. Bei multipler Sklerose nicbts Abnormes. 

6. Bei atropbiscben Muskeln ankylotiscber Glieder gleicbfalls Yerl&ngerung der 
Latenzzeit. 

7. Bei Icterus und Diabetes normale Latenzzeit, aber doppelte bis dreifacbe 

Curvendauer. _ Hadlicb. 


Pathologische Anatomie. 

4) Ueber einen Fall von todtlicher pemphigusartiger Dermatitis mit Ver- 
finderungen im Nervensystem von P. Meyer. Aus der medicin. Klinik 
zu Strassburg i. E. (Yircb. Arch. 94. 2. S. 185—211 u. Taf. Y.) 

Es bandelt sicb um eine allgemeine blasenbildende Dermatitis, die ohne vorauf- 
gegangene Symptome einer Nervenerkrankung, anatomiscbe Veranderungen in Haut- 
nerven und Ruckenmark zeigte. Ein 65j8hr. Mann mit Cataract und Arcus senilis, 
sonst aber gesund und rfistig, erkrankte obne bekannte Ursache an einer Hautaffec- 
tion, die anfangs das Bild eines Eczems in verscbiedenen Stadien, obne Stfirung des 
Allgemeinbefindens bot; in der 4. Wocbe einen pemphigusartigen Charakter annabm, 
unter Fieberbewegungen, rascber Abmagerung des Kranken, bedeutenden Stfirungen 
des Allgemeinbefindens. In h5chst maligner Form schritt der Pemphigus rapide 
weiter, bis schliesslicb fast die gesammte Hautdecke in einer Weise umgewandelt 
scbien, wie sie nur nacb Verbrennungen hOberen Grades verandert zu sein pflegt, 
und, nacb nur 7 wOcbentlicher Krankbeitsdauer der Tod eintrat. 

In der Haut fand sicb neben partieller oder vollstandiger Abbebung der Epi¬ 
dermis bedeutende Zelleninfiltration der Papillarscbicht, theilweise hyaline Umwand- 
lung ibrer Gefasse, und in zahlreichen kleinen Arterienstammen tief in der Cutis 
und im subcutanen Gewebe ein so hober Grad von Endarteriitis, dass das Lumen 
dadurcb fast oder ganz unwegsam geworden war. In den feineren Hautnerven aus 
den verschiedensten KQrperregionen fanden sicb viele Fasem in meist frischeren 
Stadien parenchymat5ser Degeneration; derselbe Befund hie und da im Iscbiadicus, 
in grbsseren Aesten des Plexus bracbialis; in den Muskelnerven im Sympatbicus mit 
seinen Ganglien, in den Spinalganglien und -wurzeln nichts Abnormes. Im Rticken- 
mark: Sklerosirung des interstitiellen Gewebes in der ganzen Lange der Goirscben 
Strange, sowie fleckweise in den Burdacb’scben Strangen des oberen Halsmarks und 
den Hinter-Seitenstrangen des unteren Dorsal- und oberen Lendenmarks. Diese Sklero¬ 
sirung hatte stellenweise zum Scbwund der Nervenfasem gefiihrt. Die Blutgefasse 
in den erkrankten Partien waren mit dicken sklerotiscben Wandungen verseben, ibr 
Lumen dadurcb stark beeintrachtigt. Diese zur Obliteration fQbrenden Gef&ssver- 
anderungen in Haut und Rfickenmark sind nacb der Ansicbt des Yerf. das Prim&re; 
die secundaren Veranderungen der Marksubstanz des Rfickenmarks baben dann die 
scbon bestebenden EmahrungsstOrungen der Haut in verderblicber Weise gesteigert. 
Nur in diesem Sinne handelt es sicb um eine „neuropathische Dermatonose a . 

_ Tuczek. 


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6) TJeber elnen Fall von Compression der Cauda equina mit secundftrer 
Degeneration im Biiokenmark, Inaug.-Diss. von A. Both. Berlin, den 
19. Febraar 1883. (Verspatet.) 

Bei dem Pat. waren 2 Jahre vor dem Tode heftige Schmerzen im Kreuz und 
weiterhin im Gebiete der Ischiadici aufgetreten, gegen welche alle angewandte Medi¬ 
cation erfolglos blieb. Nach einem Vergiftungsversuch mit Cyankali trat Paraplegic, 
Blasen- und Mastdarmlahmung ein. Diese Erscheinungen gingen nur langsam und 
nicht vollstandig zuiUck, namentlich bestand die Blasenl&hraung fort. Die gegen die 
heftigen Schmerzanfalle vorgenommene Dehnung beider Ischiadici und Crurales erzielte 
keinen dauernden Erfolg. Unter heftiger Cystitis und Decubitus trat der Tod ein. 

Es hatte sich eine Neubildung (fibro sarcom) im Wirbelkanal in der Gegend 
des Promontorium entwickelt und unter Yerwachsung mit den Rflckenmarkshauten 
eine hochgradige Compression der Nervenstr&nge der Cauda equina veranlasst. Die 
Nervenwurzeln waren dflnn, durchscheinend und entbehrten z. Th. vollstandig der 
nervOsen Elemente, bestanden nur aus losem Bindegewebe. Nach oben und unten bin 
hatte sich secund&re Degeneration entwickelt. Im Rfickenmark bestand eine erheb- 
liche Degeneration der Hinterstrange, welche nach oben vom Lendenmark annahernd 
das gewohnliche Bild darbot. Im Lendenmark selbst lagen zahlreiche Kornchenzellen, 
und zwar am dichtesten in der mittleren Partie der Hinterstrange, wahrend zu beiden 
Seiten der Medianfissur, sowie namentlich langs der Grenze des Hinterhorns von der 
Mittellinie bis zur Umbiegungsstelle desselben und einwarts von der Austrittstelle der 
hinteren Wurzeln die K6mchenzellen viel weniger dicht gefunden wurden. H6her 
hinauf im Lendenmark verbreitert sich die aussere relativ intacte Zone mehr und 
mehr, sodass im Brustmarke die zeltfflrmig dreieckige Figur aufsteigender Degeneration 
zu 8tande kommt. 

Durch Yergleichung mit einem Rfickenmark, in dessen Halstheile eine Degene- 
rationsfigur in Folge einer Compression im unteren Brusttheile entstanden war, ergab 
sich, dass bei der Compression im Dorsalmarke die Degenerationsfigur in ihrem vor- 
deren Abschnitte umfangreicher war als bei der Compression der Cauda equina. 
Dieser Zuwachs an Degenerationsflache muss deshalb auf die Compression der centri- 
petalen Fasem, welche zwischen der Sacral- und Dorsalregion in das Rfickenmark 
eintreten, bezogen werden. 

Es liegen also die direct im Hinterstrange aufsteigenden Faseru dem hinteren 
Ende der hinteren Medianfissur urn so naher, je tiefer ihre Eintrittsstelle in das 
Rfickenmark liegt. Die Fortsetzung der aufsteigenden Fasern des Plexus sacralis 
liegt im oberen Lendenmarke in den Hinterstrangen, analog den Stellen, welche wir 
bei der Tabes am Mhesten befallen finden. Moeli. 


0) TJeber Ver&nderungen der Clarke’sehen S&ulen bei Tabes dorsalis von 
Heinrich Lissauer, cand. mod. aus Danzig; Zusatz von C. Weigert. 
(Fortsch. d. Med. 1884. 15. Februar.) 

Yermittelst der Weigert’schen Fuchsinfarbung (die Beschreibung der Modi¬ 
fication der ersten Farbung mit Saurefuchsin vgl. im Original) gelang es Lissauer 
nachzuweisen, dass der Bezirk der Clark e’schen Zellengruppen im normalen Rficken¬ 
mark durch einen ganz besonderen Reichthum an feinen Nervenfaserchen 
ausgezeichnet ist. Es finden sich sowohl dicht gedrfingte Gruppen aufsteigender 
Fasern, als auch sehr zahlreiche horizontal feine Fadchen, die kreuz und quer 
ziehen. L. hat nun 10 F&lle von Erkrankung der Medulla auf dieses Yerhalten 
untersucht und zwar betreffen 5 F&lle reine weit vorgeschrittene Hinterstrangsklerose, 
2 Ffille Hinterstrangsklerose mit Degeneration in den Seiienstrangen, 1 Fall eine 
Mhere Epoche der Tabes, endlich 2 Falle Hinterstrangsklerose mit zwischenliegenden 


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normalen Abschnitten, und beiderseitige leicbte Atropbie im mittleren Gebiete der 
Seitenstrange. 

In all diesen Fallen Men die Clarke’schen S&ulen im Gegensatz zn jenen 
normalen dorcb ihre Faserarmntb auf. Die wohlerhaltenen Ganglienzellen liegen 
in einem ganz blassen, yon faserigen, nervbsen Elementen fast vollst&ndig entblflssten 
Bezirk, wahrend die ringsumher gelagerte graue Snbstanz keineswegs yon einer ent- 
sprecbenden Veranderung betroffen ist. 

Man findet dbrigens scbon an mikroskopischen Schnitten von Chromsaureprapa- 
raten, wenn man sie gegen eine belle Fl&che halt, die degenerirten Bezirke blass 
und durchseheinend, wahrend sie an normalen Fraparaten matt und gelblicber als die 
hbrige graue Substanz sicb zeigen. 

Es scbeint demnach bei der Tabes eine auf das Gebiet der Clarke’scben 
Saulen lokalisirte Degeneration von Nervenfasern vorzukommen. 

Weigert ffigt hinzu, dass es ibm gelungen ist, mittelst einer anderen Tinction 
die betreffenden Yeranderungen nocb deutlicher zu macben. Er farbt die Scbnitte 
stark mit Hamatoxylin, wascbt sie dann in einer alkaliscben LCsung von rotbem 
Blutlaugensalz aus (die Differenzirung wird hier vollendet und erfolgt so langsam, 
dass die Ueberwachung keine Scbwierigkeit darbietet), es erscbeinen sodann: die 
Nervenfasern tief schwarz, die Grundsubstanz hellgelb, die Ganglienzellen braunlich, 
die Kerne nicbt gefarbt. Die Fasem sind bei dieser Metbode nicbt nur deutlicher, 
sondem sie erscbeinen viel ausgiebiger bis in die feinsten Elements gefarbt. 

_______ M. 


Pathologie des Nervensystems. 

7) 1 nuclei del corpo striato pel Dott. Silvio Tonnini. (La psicbiatria. 1883.) 

Auf Grund zablreicber eigener und fremder Beobacbtungen gelangt Yerf. zu dem 
Resultat, dass er unter gunstigen Yerhaltnissen eine Differentialdiagnose zwischen 
Erkrankungen des Nucleus caudatus und des Nucleus lenticularis fCLr mbglicb bfilt. 
Es kOnnen allerdings in beiden Fallen motorische, sensible und vasomotoriscbe St6- 
rungen eintreten; aber bei Erkrankung des Linsenkerns sind die motoriscben Symp¬ 
toms anhaltender und h&uflger, und haufiger mit sensiblen und vasomotoriscben com- 
binirt, als bei Erkrankungen im Schweifkern. Der zeitlicbe Yerlauf der StGrungen 
kann aucb von Wichtigkeit sein: gleicbmassige Abnabme aller Symptoms spricht gegen 
den Sitz im Nucleus caudatus, wo gewOhnlich die sensiblen und vasomotorischen zuerst 
schwinden; scbwinden die motorischen Symptome zuerst und kann man ausserdem den 
Sitz des Herdes in der Capsnla interna ausscbliessen, so ist mit grosser Wahrschein- 
lichkeit eine Erkrankung des binteren Abschnitts des Linsenkerns anzunehmen. 

Ist der Sitz des Herdes voraussicbtlicb im Nucleus caudatus, so ist der Linsen- 
kem meistens nicht betheiligt. Sprecben aber die Symptome fhr den Sitz im letzteren, 
so kann der Nucleus caudatus docb ausserdem nocb erkrankt sein. Yielleicbt kann 
aucb die Erfahrung, dass Herde im Nucleus caudatus viel seltener als im Linsenkern 
vorkommen, zur Entscheidung benutzt werden. Sommer. 


8) Beoent investigations into the pathology of so-called concussion of the 
spine by James Putnam. (Boston med. and surgical journal Yol. CEX. 
Nr. 10. p. 217.) 

Yerf. scbliesst sicb in dieser Arbeit fast durcbg&ngig den Ausfflbrungen Page's 
an, der als Bahnarzt allerdings ein ausserordentlich reicbes Material zur Verfflgung 
hatte. 250 neue Falle von „Railway spine u konnte er ibrer besonderen EigenthOm- 
lichkeit wegen aus einer nocb weit betrachtlicheren Zabl von Krankenbeobacbtungen 
auswablen und kam darauf zu dem Besultat, dass organiscbe Bfickenmarkserkran- 
kungen in Folge der schweren Erschtitterung des ganzen KOrpers bei Eisenbahn- 


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unglticken nur dann zu erwarten sind, wenn gleichzeitig Verletzungen der knochernen 
Wirbelsaule entstanden waren. 1st die letztere unverletzt, so ist auch das Bftckenmark 
als nicht beeintrachtigt anzunehmen. Die Symptome, die frfiher einer sogenannten 
,,Bftckenmarkserschiltterung“ zugeschoben wurden, sind fast ansscbliesslich Zeichen 
einer functionellen Hirnerkranknng, die der schweren Hysterie Charcot’s am nachsten 
kommt. Diese Auffassung kann in forensen Fallen znr Entscheidung, ob Simulation 
vorliegt Oder nicht, von Wichtigkeit werden. Denn sehr haufig lasst sich bei den 
M&nnern, die in Folge eines Eisenbahnunfalls fiber nervdse Stbrungen der bekannten 
Art klagen, eine selbst dem Pat. bisher unbemerkt gebliebene Hemianasthesie mit 
Beeintr&chtigung der anderen Sinnesorgane nnd besonders mit Einschrankung des 
Gesichtsfeldes und mit unrichtiger Farbenperception nachweisen. Anch eine Ab- 
stumpfung des GehOrs ist oft ganz charakteristisch, indem in diesen Fallen haupt- 
s&chlich die Enochenleitung der Tbne gestflrt ist und zwar besonders ffir die hbheren 
TOne, mit mehr als 4—5000 Schwingungen in der Secunde. Auch einseitiger Ge- 
ruchs- Oder Geschmacksverlust ist haufig bei dem nichts ahnenden Pat. zu constatiren. 

_ Sommer. 


O) Fortsohreitende halbseitige Gtesichtsatrophie von Prof. Mierzejewsky 
und Dr. Erlitzky. (Wjestnik psychiatrii i Nevropatologie. 1883. II. Bussisch.) 

Die Hemiatrophie betraf die linke Gesichtshafte einer 31jahr. Frau und war auf 
das vom N. inframaxillaris versorgte Gebiet beschr&nkt, in welchem sowohl die Mus- 
keln, als auch Haut und Enochen afficirt waren, was durch beigeffigte Abbildungen 
illustrirt ist. Patientin litt ausserdem frfiher an epileptischen Erampfanfallen, die im 
10. Lebensjahr sich zuerst einstellten, deren letzter jedoch vor 6 Jahren stattgefunden 
hatte. Die Hemiatrophie machte sich ein Jahr nach dem ersten epileptischen Anfall 
bemerkbar und schritt seitdem langsam, aber progressiv fort. Die Autoren suchen in 
ibrem Fall den Ursprung der trophischen StOrung in dem dem 3. Trigeminusast ent- 
sprechenden Kern am Boden des 4. Ventrikels (locus coeruleus). Da in diesem Ge¬ 
biet auch das „Erampfcentrum‘‘ Nothnagel’s localisirt ist, so bringen sie die 
Hemiatrophie mit den epileptischen Anfallen in Zusammenhang, in dem Sinn, dass 
beide Leiden durch Affection der namlichen Zellengruppe bedingt seien. 

_ P. Bosenbach. 


10) Hemiatrophia feoialis progressiva von Banham. (Sheffield Med. chir. Society. 

Brit. med. Journ. 1884. Jan. 12.) 

Eraftiges und gesundes Madchen von 15 Jaliren ohne hereditare Anlage hatte 
vor 4 Jahren ein Zahngeschwilr in Folge eines cariOsen Zahnes gehabt; bald danach 
Schmerzen in der rechten Seite des Halses und des Gesichts, spS,ter Yerfarbung der 
Haut am Halse, dann Yertrocknung derselben, Verschwinden des subcutanen Fettes, 
besonders der Masseter erschien im oberen Theil atrophisch. Sensibilitat, Mastication, 
Blutgef&s8e normal. 

B. meint, dass hier eine ascendirende Neuritis vom Zahngeschwur aus stattge¬ 
funden. Bemerkenswerth ist, dass fast ausschliesslich das Fett und das Bindegewebe 
von der Atrophie befallen waren. M. 


11) Zwei Tftlle von Trigeminus-L&hmung von C. W. Mftller, Wiesbaden. (Arch, 
f. Psych. XIV. S. 263.) 

Der 1. Fall betrifft einen Herrn, welcher trotz des Verlustes des einen Auges 
ein guter Thiermaler ist. Nach einem erhitzenden Marsche Erkaltung des Kopfes, 
danach ziehende, benehmende Schmerzen in der rechten Kopfhalfte, welche mit Unter- 
brechung 2 Jahre anhielten. 4 Jahre nach dem Insult deutliche Zeichen von krank- 
hafter Veranderung in den sensiblen Fasern des Trigeminus, spater Ausdehnung des 


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Prozesses auf die sensibeln Hinterhaupts- und Armnerven rechterseits. Yerlust dee 
Geschmacks auf den vorderen zwei Dritteln der rechten Zungenh&lfte. Die interessanten 
Details des Befundes s. im Original M. nimmt als Sitz des Leidens eine tiefgehende 
schwere Neuritis des Trigeminusstammes resp. der extramedull&ren sensibeln Wurzeln, 
f&r Stflrangen der ubrigen sensibeln Nerven am Hinterhaupt und Arm eine Myelitis 
an, welche letztere die Erscheinungen im Trigeminusgebiet vielleicht nocb verstarkt 
hat. Die motorische Portion des Trigeminus war frei, desgleichen Facialis, Acusticus 
und Glossopharyngeus. Die Sttfrung muss noch jenseits vom Gasser’schen Ganglion 
liegen, also nehmen die Geschmacksfasem der vorderen a /s ^er Zunge dort ihren 
Verlauf. Von besonderem Interesse 1st auch die Yerminderung der Speichelsecretion, 
der ThraneDabsonderung und der Schweisssecretion auf der befallenen Seite. Besondere 
trophische Stdrungen fehlten. — Der consequent (central) gebrauchte galvanische Strom 
brachte, wenn auch langsam, Besserang. 

Der 2. Fall ist diagnostisch einfacher. Anamische, cachektische Frau von 51 J. 
Totale Lahmung des sensibeln Theiles des linken Trigeminus (mit Ausnahme zweier 
kleiner Nerven des 3. Astes, welche auch im 1. Fall verechont blieben, Buccalis und 
Auriculo-temporalis), weiter des motorischen Astes (Lahmung und Atrophie der Kau- 
muskeln und Lahmung des Sphensotaphylinus). Sodann trophische StGrungen: neuro- 
paralytische Ophthalmie und Otitis. Den Locus morbi verlegt M. in diesem Falle 
in das Ganglion Gasseri. — Auch in diesem Falle war der Geschmack auf den vor¬ 
deren zwei Dritteln der linken Zungenhalfte verloren gegangen. Die Ophthalmie trat 
spater auch auf die rechte Seite fiber. 

Die sehr ausfuhrlich geschilderten Falle geben zur Besprechung vieler wichtiger 
Fragen Anlass, deren Erbrterung sich einem kurzen Beferat entzieht. 

Siemens. 


12) Zur Lehre vom Huston von Dr. P. Strtibing, Priv.-Doc. in Greifswald. 

(Wien. med. Presse. 1883. Nr. 44 u. 46.) 

Den Auseinandersetzungen fiber die Pathogenese des Hustens liegt ein Fall von 
„nerv6sem Husten" zu Grande, den Verf. bei einem 19jahrigen Madchen zu be- 
obachten Gelegenheit hatte. Nach Ablauf eines acuten Kehlkopf- und Bronchial- 
katarrhs entwickelte sich im Laufe von 3 Monaten ein hartnackiger Husten, der be- 
sonders dadurch bemerkenswerth war, dass er durch jede mechanische Eeizung der 
Haut ausgelOst werden konnte — links auf schwachere Beize hin als rechts. Drack 
auf das linke Ovarium veranlasste einen Hustenparoxysmus von „beangstigender 
Starke". (130 HustenstOsse in der Minute.) — Lungen und Kehlkopf ohne patho- 
logischen Befund. — Untersuchung der Genitalorgane von negativem Besultat. — 
Sonst bot die Pat. das ausgesprochene Bild von Hysterie: Linksseitige Hyper- 
asthesie und Hyperalgesie der Haut, Mastodynie und Ovarie auch vorzflglich linksseitig. 
Die von Erfolg begleitete Behandlung der kOrperlich geschwachten Pat. bestand in 
der Hebung des Allgemeinbefindens und der Anwendung von Narcoticis und Anti- 
hystericis und mOglichste Yermeidung jeglicher Irritirung der hyperasthetischen Peri¬ 
pherie durch Corsett und schnfirende Kleidung. 

Nach einigen Monaten kehrten, durch neue Schadlichkeiten veranlasst, die 
hysterischen Symptome wieder zurfick, der Husten blieb aber aus. — Es stellten sich 
jedoch Convulsionen ein: „Das Krampfcentram fibemahm", wie der Verf. meint, „an 
Stelle des in seiner Erregbarkeit zur Norm zurfickgekehrten Hustencentrams — die 
Entladung in die motorischen Bahnen." 

Am Schlusse der Arbeit bespricht S. die verschiedenen Mdglichkeiten, bei denen 
es sich urn eine pathologische Erregung des Hustencentrams handelt, durch Bahnen, 
welche unter normalen Yerhaltnissen nicht zu diesem Centrum leiten, wie in dem 
besprochenen Fall durch die sensiblen Nerven der ausseren Haut. — (Kef. beobachtet 


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flbrigens in seiner Praxis ziemlich h&ufig aucb bei nicbt hysterischen Individuen die 
Erscheinung des sog. „nervflsen Hastens": es bleibt nach katarrhalischen Affectionen 
der Bespirationsorgane nicbt selten eine Hyperasthesie in den betreffenden Nerven 
zorflck, welche die Patienten zum Husten zwingt. Der Reflex scbeint eben in solcben 
Fallen nicbt mebr gebemmt werden zu kOnnen. — Gelingt es, die Kranken zur 
energischen Niederdrflckung des Hustenreizes durch den Willen zu veranlassen, dann 
wird allmahlich eine Hemmung des Reflexes erreicbt und Heilung des oft Jabre lang 
beetehenden Leidens erzielt. — Geschieht dies aber nicbt, so bietet disponirten In¬ 
divid uen der „qualvolle“ Husten natflrlicb die gflnstigste Gelegenheit, hysteriscb zu 
werden.) Laquer. 


13) Nutritive alterations and deformity of fingers from pressure on nerves 
in the axilla by F. T. Miles. (Tbe Journ. of nerv. and mental disease. 
1883. YoL X. p. 615.) 

Nach einem Falle betrachtliche, dauernde Scbmerzbaftigkeit der Scbulter, des 
Armes und der Finger als deren Ursacbe nach 2 Jabren eine irreducirbare Luxation 
des Oberarmkopfes nacb abwarts constatirt wird. 

Status: Fast constanter Schmerz der Scbulter, dumpfes Geffthl im Ring- und 
kleinen Finger, Supination mangelbaft, Bewegungen im Handgelenk steif, ebenso die 
der letzten Pbalangealgelenke; leicbte Deformation des Handgelenkes obne nachweis- 
bare Verletzung desselben; die Finger stehen gespreizt und k5nnen nur scbwer theil- 
weise einander genahert werden; leicbte Atropbie der Muskeln an Scbulter und Arm, 
unbedeutende Atropbie der Handmuskeln. Die Finger mit Ausnahme des Daumens 
zeigen (illustrirt durch Zeichnung) tropbische StOrungen besonders des 4. und 5., 
der kleine Finger ist deform mit der Convexitat nach aussen gekrflmmt, seine Ge- 
lenke steif; seine Haut, sowie die des 4. Fingers blass, glanzend, wie gedehnt; die- 
selbe Hautveranderung findet sicb in geringerem Grade an den letzten Phalangen 
der flbrigen Finger. Die Nagel zeigen Langs- und Querbiegung, der des kleinen 
Fingers ist verscbroben und gerunzelt. Die Sensibilitat fur Tast- und Temperatur- 
empfindung und fUr den faradiscben Strom ist berabgesetzt, besonders an den zwei 
letzten Fingera; Beklopfen der letztgenannten erzeugt eine unangenehme Empfindung, 
welcbe ein Fortreissen der Hand veranlasst. Die Muskeln des Yorderarms zeigen 
nonnale elektrische Erregbarkeit, die Interossei reagiren nur schwacb auf selbst starke 
faradiscbe und galvanische Str5me; die Kleinfingerballenmusculatur reagirt wenig oder 
gar nicbt. Die Palpation im Verlaufe der Armnerven ist nicbt schmerzhaft, zeigt 
keine Anscbwellung an denselben. 

M. deutet den Fall als eine durch den Druck des Humeruskopfes veranlasste 
Neuritis mit sebr langsamen Yerlaufe, und als beweisend fflr gesonderte tropbische 
Nerven. A. Pick. 


14) On the neurotic origin of progressive arthritis deformans by Leonard 
Weber. (The Journ. of nerv. and ment. disease. 1883. Vol. X. p. 630.) 

W. stfltzt seine Anscbauung von der neurotiscben Natur der in Rede stebenden 
Affection auf die Aetiologie der relativ zahlreich von ibm beobachteten Falle (Affecte, 
Ausschweifungen), auf den symmetrischen Beginn und Gang der Affection, auf die 
neuralgischen und tropbischen Symptome derselben, auf den negativen Erfolg anti- 
rheumatiscber Behandlung im Gegensatze zu den Erfolgen galvanischer Bebandlung 
des centralen Nervensystems in Yerbindung mit entsprechender Diat, Lebertbran und 
Eisen. Eine Casuistik von 6 Fallen findet sicb angescblossen. 

In der an W.’s Vortrag in der New-York neurological Society anschliessenden 


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Debatte bestatigt Wendt den gfinstigen Erfolg der empfohlenen Behandlung an einem 
von Weber’s Fallen, spricbt sicb jedocb wie auch Dana gegen W.’s Theorie ans. 

Morton, der glaubt, dass die Krankheit haufig bei Neurastheniscben vorkommt, 
erinnert daran, dass J. £. Mitchell 1834 die Theorie aofgestellt, dass die Gruppe 
der Bheumatismen Spinalaffectionen seien. A. Pick. 


15) Thermisohe Neurosen von Scherschewsky. (Wratsch. 1883. Nr. 34—44. 

Bussisch.) 

Yerf. theilt in extenso 4 F&lle ans seiner Praxis mit, in denen zeitweise Er- 
hohung der Temperatur (bis 40—41,2°) eintrat ohne irgend welche palpable Symp- 
tome, die auf Infection Oder Erkrankung der inneren Organe hinweisen. Die Fieber- 
erscheinungen stellten sich in einigen Fallen wiederholt ein, hielten gewOhnlich 
mehrere Tage lang an, liessen sich dnrch die fiblichen Antipyretics nicht beeinflussen, 
wichen dagegen zuweilen Sauerstoffeinathmungen. Haufig warden sie von diversen 
nerv6sen Symptomen begleitet, als erhflhte Sehnenreflexe, Yeranderlichkeit der Pupillen- 
weite, Herzklopfen, Schmerzhaftigkeit des linken Intercostalraums oder des linken 
Plexus brachialis, erhOhte Speichel- oder Schweissabsonderung etc. Bei einem Kinde 
wurden die Paroxysmen durch die geringffigigste Gemfithsbewegung herbeigeffihrt. 
Im Hinblick auf die Existenz thermischer Centren im Centralnervensystem und in 
Berficksichtigung anderer pathologischer Thatsachen halt Yerf. die Annahme fur ge- 
rechtfertigt, beschriebene Fieberparoxysmen durch eine Erkrankung des Nervensystems 
zu erklaren, die die Function der thermischen Centren beeintrachtigi 

P. Bosenbach. 


16) Bem&rkingen om Diabetes af Dr. med. L. W. Salomonsen. (Ugeskr. f. 

Lager. 1883. H. B. YHI. 26. 27.) 

Ein Kind im Alter von 6—7 Jahren fand Verf., der hinzugerufen worden war, 
dem Tode nahe im diabetischen Coma, es starb nach einigen Stunden und Nach- 
forschungen ergaben, dass das Kind schon langer an Diabetes gelitten hatte und die 
Eltern schon frfiher ein Kind an derselben Krankheit und unter denselben Symptomen 
verloren hatten. — In einem Falle, in dem die Untersuchung des Harns mit Bar- 
reswill’s Flilssigkeit und mit Wismuth und Kali causticum nur unsichere Besultate 
gaben, gelang der Nachweis nach Zusatz von basisch essigsaurem Blei zum Hame. 
— Bei einer 40 Jahre alten Dame, die frfiher die Zeichen von Diabetes dargethan 
hatte, fand sich, nachdem sie ungefahr 3 Wochen an starkem Durst gelitten hatte, 
7 °/ 0 Zucker im Ham; als sofort die geeignete Diat und Behandlung in Anwendung 
gekommen war, fand sich nach 8 Tagen keine Spur von Zucker mehr, auch alle 
Krankheitssymptome waren verschwunden, zur Zeit der Mittheilung schon seit l / 2 Jahre, 
KOrpergewicht und Krafte hatten zugenommen. — Bei einer 73 Jahre alten Frau, 
die im Yerlaufe eines Sommers 3mal an Gesichtsrose gelitten hatte und Symptome 
von Diabetes zeigte, fanden sich 5°/ 0 Zucker im Hame, nach 8tagiger Behandlung 
nur noch 1 1 / 2 °/ 0 ; die krankhaften Erscheinungen schwanden spater und Erysipele 
traten nicht wieder auf. — Bei einem 55 Jahre alten Mann, der frfiher an Nieren- 
kolik, spater an Gicht gelitten hatte, war die Zunge seit 14 Tagen schwarz und 
trocken (wie mit eingetrockneter Tusche gefarbt); der Kranke klagte nur fiber 
Trockenheit im Munde und etwas Durst. Der Ham enthielt 5°/ 0 Zucker, wurde 
aber nach 8 Tage langer Behandlung vollstandig zuckerfrei; die Zunge nahm ihr 
normales Aussehen wieder an. Da der Kranke die Diat nicht strong hielt, trat 
spater wieder Zucker im Hame auf. Nierenkolik zeigte sich, seitdem der Diabetes 
bestand, nicht wieder, nur einige ganz leichte arthritische Anfalle kehrten wieder. 
Ohne jede nachweisbare Yeranlassung stellte sich im Yerlaufe der Krankheit einmal 


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Ill 


plfttzlich Plumose ein, die einen sehr hohen Grad binnen Kurzem erreichte und, 
nachdem sie 4 Wochen lang alien angewendeten Mitteln getrotzt hatte, nacb grttnd- 
licher Desinfection eben so scbnell verschwand, als sie gekommen war. 

Walter Berger. 


Psychiatrie. 

17) Verriicktheit, von Mendel. (Artikel aus Eulenburg’s Real-Encyclopldie der ges. 

Heilkunde. 1883.) 

Paranoia sollte man, conform den anderen wissenschaftlichen Bezeicbnungen, 
auch wegen der odibsen Bedeutung des Wortes „ Verriicktheit" im Publicum, f&r 
diese Psychose gebrauchen. Die Geschichte dieser Form, von Heinroth bis West- 
phal, von Esquirol bis auf die beutigen Psychiater in Frankreich und England, 
zeigt mancherlei Wandlung der Anschauungen. 1 — M. theilt einfach in primare und 
secundare Paranoia, und definirt die erstere als functionelle Psychose, welche charak- 
terisirt ist durch das primare Auftreten von Wahnvorstellungen, welche das gesammte 
geistige Leben des Kranken regieren. Um die secundare Paranoia, welche am Schluss 
des Artikels, da sie bereits in frllheren Artikeln besprochen, nur kurz behandelt wird, 
hier gleich vorweg zu nehmen, so bejaht M. die Frage, ob sie aus einer prim&ren 
Melancholia Oder Manie entstehen kOnne. M. gesteht zu, dass sie sehr selten sei 
(cf. d. Centralbl. 1883. S. 215); er beruft sich auch auf das Zeugniss von Snell. 
[Ref. ist nicht dieser Ansicht. Ich gedenke demnachst nachzuweisen, dass solche 
Falle zu den combinirten Psychosen zu rechnen sind.] 

Die von den Autoren aufgestellten Unterarten der prim&ren Paranoia lasst M. 
zum Theil fallen und theilt seinerseits in einfacher und klarer Weise in solche Falle, 
welche ohne Hallucinationen entstehen und gemeinhin auch ohne solche bleiben, Par. 
simplex und zweitens in solche mit Hallucinationen, Par. hallucinatoria. 

Die Par. simplex zerfallt naturgemass wieder in acuta und chronica. Die Acuta 
entsteht mit Wahnideen depressiven Charakters (Yerfolgungswahn) oft mit hypochon- 
drischer Farbung. Die Anfange der chronischen Form reichen meist sehr weit in 
das frilhere Leben zurtick, sodass sie mit Sicherheit nicht eruirt werden kOnnen. 
Erst in Folge irgend eines Ereignisses tritt die Krankheit zu Tage. — Der psycho- 
logische Zusammenhang ist auch hier: erst Yerfolgungs-, dann Ueberschatzungsideen. 
[Hierin liegt die Compensation, die Befriedigung des logischen Causalitatsbedtirfnisses. 
Die Kranken werden verfolgt, weil sie etwas Besonderes sind.] 

Von Varietaten und Unterarten ist die originare Verriicktheit selten und fallt 
meist mit dem unter dem klinischen Bilde der Verriicktheit verlaufenden, in der 
Pubertat entstandenen Irresein (einer Art der sogenannten Hebephrenie) zusammen. 
Auch darin hat M. vollkommen Recht, wenn er sagt, dass der Querulantenwahnsinn, 
welcher oft erst im 4. und 5. Decennium des Lebens auftritt, nicht eine Form der 
origin&ren Paranoia ist. Er entwickelt sich bei hereditar Belasteten auf der Basis 
einer gewissen Charaktereigenthumlichkeit in Folge Hinzutretens eines atiologischen 
Momentes, eines Rechtsstreits Oder dergl. 

Die Par. hallucinatoria kann acut auftreten Oder sich chronisch entwickeln. Die 
acuten Formen haben gewOhnlich ihre bestimmte Aetiologie in verschiedenen andem 
Krankheitszustanden; sie sind heilbar. Bei der chronischen Form treten gewOhnlich 
bei geistig bisher Gesunden zu einer Zeit, wo er sich kOrperlich unwohl fflhlt Oder 
unter dem Einfluss heftiger psychischer Einflfisse steht, Sinnestauschungen auf, meist 


1 Dass M. sagt, Tuczek wolle die hypochondrische Form der Verriicktheit nicht gelten 
lassen, ist wohl nor ein missverstandlicher Ansdruck. — T. hat nur behauptet, dass es eine 
hypoch. Seelenst. nicht gebe. 


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solche des Geh&rs. Interessant ist das statistische Ergebniss M.’s: von 98 Paranoischen 
begannen 89 mit GehSrst&uschungen. [Es ist richtig, dies heryorznheben, gegenftber 
denen, welche so oft von Gesichtshallucinationen sprechen. Es ist wobl sicber, dass 
Letztere nur bei den Psychosen der Kinder, bei solchen nach acuten fieberhaften oder 
sonstigen Krankheiten, bei schweren Neurosen (Epilepsie und Hysteric) und bei In- 
toxicationen vorkommen.] 

Die Intelligenz bleibt bei den meisten Formen von Paranoia lange ungeschwacht 
Die Form der Wahnideen ist meist die der Verfolgung, dann die (compensirende) der 
Selbstfibersch&tzong. Unterarten sind: das Del. metabolicum, palingnosticum, die Paranoia 
hypochondriaca, erotica, religiosa, stuporosa. Paranoische Ver&nderung des Wort- 
schatzes, der Schrift (auch der Symbolik) kommen vor. Das Ffihlen (die Gemtlths- 
bewegungen) ricbtet sich nach dem Inhalt der Wahnvorstellungen resp. Hallucinationen. 
In den spateren chronischen Stadien (der Compensation) stellt sich eine gewisse 
Gleichgewichtslage des Gemfithes ein. Krankheitsgeffthl findet sich meist nur in der 
ersten Zeit. Die Handlungen resultiren aus den Wahnideen; oft gehSren die Kranken 
zu den gefahrlichsten Irren. Somatisches Yerhalten und K6rpergewicht sind von 
Umstanden abhangig und haben nichts Charakteristisches. 

Betreffend die Haufigkeit findet M., dass die Par. an die Melancholic heranreicht, 
vielleicht sie fibertrifft, jedenfalls ist die Manie von den Dreien am seltonsten. Yon 
den Unterarten ist die Par. hallucinat. chronica die haufigste, die hall, acuta die sel- 
tenste. Das Pradilectionsalter ist zwischen 25 und 30 Jahren. 

Die atiologischen Verhaltnisse zeigen, dass die Paranoia ebensowenig wie die 
Manie und Melancholie zu den Degenerationspsychosen zu rechnen ist. — Ausbruch 
und Yerlauf sind, von den wenigen peracuten Formen abgerechnet, meist langsam; 
als Ausgange hat M. Heilung nur bei der acnten Par. simpl. und hallucinat. gesehen. 
Bei den Ungeheilten tritt nur zuweilen Dementia ein und auch hier nie die htiheren 
BlOdsinnsgrade. Der Tod erfolgt durch andere Krankheiten oder durch Selbstmord. 
Die pathologisch - anatomischen Befunde sind ftir Par. nicht charakteristisch. Die 
differentielle Diagnose stfitzt sich auf den Nachweis, dass 1. die vorhandenen Wahn¬ 
ideen primar — nicht auf einer emotiven Grundlage — entstanden und 2. dass sie 
nicht hervorgebracht sind durch eine organische Hirnerkrankung. 

Bei der Therapie stellt M. mit Becht die fQr den pract. Arzt wichtigste Frage 
in den Yordergrund, ob der Kranke in eine Anstalt gehSrt oder nicht 

Die ganze Darstellung ist knapp, klar und pracis. Siemens. 


18) II riflesso tendineo nella paralisi progressiva degli alienati pel Dott 

L. Bianchi. (Arch, di psich., sdenze pen. ed antrop. crim. 1883. IV. p. 508.) 

Verf. macht auf die sehr divergirenden Angaben der einzelnen Autoren fiber den 
Zustand der Sehnenreflexe bei der allgemeinen Paralyse aufmerksam und meint, jene 
Differenzen seien dadurch hervorgerufen, dass Kranke in den verschiedensten Stadien 
ohne Weiteres mit einander verglichen sein mOgen. Im Beginn des Leidens seien 
aber die Beflexe, speciell das Kniephanomen, gewfihnlich gesteigert, und erst im 
weiteren Yerlaufe trete eine Abnahme bis zum vfilligen Schwinden derselben ein. 

Er selbst fand bei 26 Paralytikem anfanglich 15mal eine Steigerung und 2mal 
einen Yerlust des Kniereflexes, wahrend nach einigen Monaten von denselben Patienten 
nur noch 10 gesteigerte und 9 verringerte oder geschwundene Beflexe darboten; 
wahrend bei der ersten Untersuchung 9 das normale Verhalten zeigten, war dies 
spater nur noch bei 7 der Fall. Sommer. 


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10) Zur Lehre vom Aleohalismus von Prof. Mierzejewsky. (Wjestnik psychiatrii 
i nevropatologii. 1883. H. Russisch.) 

Nach einer allgemeinen Schilderung der durch chronischen Alcoholmissbrauch 
bewirkten nervflsen und psychischen Symptom© behandelt Verf. in ausf&hrlicher Weise 
die im Delirium tremens auftretenden Sinnestauschungen. Er betont als charakteristisch 
ffir dieselben, dass sie einerseits sicb unmittelbar an vage Traumgebilde anschliessen, 
andererseits beztlglich ibres Inhalts, ihrer Projection im Baum etc. in ausserordent- 
licher Weise von zufalligen ausseren Beizen der Sinnesorgane and functionellen St5- 
rungen letzterer beeinflusst werden. Beispielsweise giebt sich in den in Bede stehenden 
Gesichtshallucinationen das Bestehen langanbaltender Nachbilder oder erhbhte Reiz- 
barkeit der Netzhaut fftr einzelne Farben kund. Die Eigenthhmlichkeit der Ent- 
stehnngsweise alcoholiscber Sinnestauschungen wird durch zahlreiche eigene Beobach- 
tungen des Autors illustrirt. 

Im folgenden Abschnitt werden die in naher Yerwandtschaft mit dem Delirium 
tremens stehenden sog. Trance -Zust&nde der Alcoholiker behandelt, die noch wenig 
erforscht sind, denen jedoch in forensischer Beziehung eine hervorragende Bedeutung 
zukommt, da die im Trance-Zustande vollbrachten Handlungen nicht selten den 
trtigerischen Stempel einer gewissen Zweckmassigkeit und Ueberlegtheit an sich tragen, 
und die partiellen Erinnerungsdefecte solcher Subject© geeignet sind den Verdacht 
von Simulation zu erwecken. Nach Yerf. AusfQhrungen gehen solche Trance-Zust&nde 
zuweilen dem Ausbruch eines typischen Delirium tremens einige Zeit voraus und 
bilden sich allm&hlich in letzteres urn. Die eigenthhmliche Bewusstseinsstflrung in 
den alcoholischen Trance-(Dammer-)Zust&nden bietet grosse Aehnlichkeit mit gewissen 
Formen psychischer Epilepsie. 

Zum Schluss bringt Yerf. folgenden interessanten Fall, fiber den er als Mitglied 
des Medidnalconseils (hCchste Instanz fftr arztliche Expertise in Bussland) sein Ur- 
theil abzugeben hatte: Der 25jahrige Polizeimeister P. in Tschita (Sibirien), der seit 
Jahren in baccho Missbrauch trieb, jedoch seine Dienstpflichten musterhaft erfQllte, 
liess sich plCtzlich eine Beihe ausserordentlicher verbrecherischer Amtshbertretungen 
zu Schulden kommen. Nachdem er namlich eines Abends in freudiger Erregung fiber 
den Fang eines wichtigen Yerbrechers stark dem S|chnaps zugesprochen, begann er 
einen im Bestaurant befindlichen Untergebenen, der seiner Aufforderung mitzutrinken 
nicht genflgend Folge leistete, ernstlich zu misshandeln, und als zwei dabei anwesende 
Kellner (amnestirte politische Yerbrecher) demselben zu Hhlfe eilten, liess er sie ver- 
haften und in’s Gefangniss abfQhren. Hier wurde sofort auf seinen Befehl ein Galgen 
errichtet, und unter seiner persbnlichen Leitung an den Yerhafteten mehrmals die 
Procedur des Aufhangens ausgefflhrt. In der n&mlichen Nacht tlberfiel er mit einigen 
Kosaken ein Privathaus, st5rte die Einwohner von ihrer Ruhe auf, misshandelte sie 
th&tlich und liess sie schliesslich ebenfalls in’s Gefangniss abfflhren. Am anderen 
Morgen hatte P. nur summarische undeutliche Erinnerung fUr das Geschehene, und 
die sofort vorgenommene medicinische Untersuchung constatirte an ihm deutlich aus- 
gepr&gten S&uferwahnsinn, dessen Erscheinungen erst nach einigen Wochen sich ver- 
loren. Da das hierftber eingeholte Gutachten des Medicinalconseils dahin lautete, dass 
die incriminirten Handlungen im krankhaften Zustande vollbracht seien, wurde das 
gegen P. eingeleitete Gerichtsverfahren eingestellt. P. Bosenbach. 


20) On the Pathology of Mania by J. Wiglesworth. (Journ. of mental science. 
1884. Jan. p. 485.) 

Auf Grand der von Herbert Spencer zum Yerstandniss der psychischen Yor- 
gange aufgestellten, von Hughlings Jackson unter Anderem zur Erklarung der 
epileptischen Tobsucht benutzten Theorie von der Superposition zahlreicher „coordi- 


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nirter“ Centren, deutet W. die Marne als prim&re Affection der h&chsten coordinirendec 
Rindencentren, durch deren temporare oder permanente Ausschaltung die niederen dm 
grdsseren Theil der Rinde einnehmenden Centren in Thatigkeit treten; die Neigung 
derselben zu gesteigerter Leistung ftihre durch reflectorische Reizung des vasomotorischen 
Systems eine secundare Hyperamie lierbei. Bezffglich der Ausftlhrung muss auf das 
Original verwiesen werden. A. Pick. 


Therapie. 

21) Em Krampf im Splenius von Prof. Adamkiewicz in Krakau. (Wien. med. 

Presse. 1883. Nr. 48 u. 49.) 

Die Lehre von der Entstehungsweise der Contracturen in verschiedenen Muskel- 
gruppen bereichert A. dnrch die Mittheilong eines Falles von Krampf im rechten 
Splenius capitis et colli. 

Bei einer sonst gesunden Patientin bestand seit 6 Jabren ein krampfhafter Zug 
des Kopfes nacb reclits und hinten (Annaherung des Kopfes an die recbte Schultar), 
der ohne bekannte Ursacbe allmablich entstanden war. Diese zwar bekannte, dock 
im Ganzen seltene, wie Verf. angiebt, nur 2mal, von Erb und Duchenne, beschrie- 
bene Affection scbwand nach 6w6cbentlicber Faradisation des linken scbeinbar ge¬ 
sunden Splenius. 

In diesem Heilerfolge erblickt A. einen Beweis, dass die Splenius-Contractur in 
dem vorliegenden Falle durcb Schwache seines Antagonisten hervorgerufen worden 
und mit Hebung der gewissermaassen latenten Schwache durch den faradischen Strom 
auch sofort wieder verschwunden sei. Laquer. 


22) Tabes dorsalis, symptomatisehe Heilung nach innerer Verabreichung 
von Nitras argenti von Prof. Arpad B<5kai. (D. Med. Ztg. 1884. Nr. 4.) 

B. giebt Arg. nitr. in Pillen (0,01—0,02 pro die), welcbe er nur mit Argilla 
alba unter Hinzugabe einiger Tropfen Wasser bereiten lasst und verscbreibt nur fftr 
einige Tage. Dabei zerfallt das Arg. nitr. nicbt, wahrend es sonst leicbt zu reinem 
Silber reducirt wird. Die Patienten mftssen, urn zu verbtlten, dass durcb reicbliche 
Salzsaure im Magen das Arg. nitr. in Chlorsilber verwandelt wird, die Pillen ndch- 
tern nehmen, weil sicb dann nur wenig Salzsaure im Magen befindet und Milch 
nachtrinken. Dann bildet sicb Silber-Casein oder Albumin, das sicb in Salzsaure 
und Milcbsaure gut I6st und leicht resorbirt wird. M. 


23) Electrical treatment of insomnia by Will. Blackwood. (Philadelph. med. 
times. 1883. p. 91.) 

Gegen Schlaflosigkeit in Folge von Erscb5pfungszustanden, aber aucb bei Neu- 
ralgien und bei Geisteskrankheiten empfieblt Verf. eine eigenthumliche Metbode 
„allgemeiner u Elektrisation. Der Arzt setzt die gut befeuchtete Schwammelektrode 
auf die Gegend des Plexus Solaris und nimmt in dieselbe (linke) Hand die andere 
Elektrode, aber so, dass er den Scbwamm berubrt. Er scbliesst daber den Strom, 
sobald er mit der rechten Hand irgend eine Hautstelle des Patienten berftbrt Auf 
diese Weise massirt er nun den ganzen KSrper mit Ausnabme besonders empfindlicher 
Partien, indem er gleicbzeitig einen schwacben faradischen Strom circuliren lasst 
Besonders bei der Massage des Rdckens soli oft scbon nacb wenigen Minuten Schlaf 
eintreten. Schwache galvaniscbe StrOme baben ebenfalls einen bald einscbl&femden 
Effect, wenn die Kathode auf den Plexus Solaris applicirt und die Anode durcb deu 


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115 


Arzt zwischen Scheitel und Nacken bewegt wird. Bei beiden Metboden ist die Dauer 
von viel gdnstigerem Einfluss als die Intensitat des Stromes, die mCglichst klein ge- 
nommen werden soil. Sommer. 

24) Mechanical restraint in the treatment of the insane by Alice Bennet, 
Dr. med. et phil. (Medico-legal Journ. New York. 1883. p. 286.) 

Eine warm and llberzeugend geschriebene Oratio pro domo. Wesentlicb Neues 
enthalt sie wenigstens ffir Deutschland, wo die freie Behandlung der Irren fast tlberall 
strong durchgeftlhrt wird, nicbt; in den Yereinigten Staaten scbeint allerdings nocb 
in vielen Anstalten ein ausgiebiger Gebrauch von Zwangsmitteln und Isolirung ge- 
macht zu werden. Urn so anerkennenswerther ist es daher, dass die Yerfasserin, die 
seit 3 Jahren die &rztliche Behandlung der Frauenabtheilung in der Staatsanstalt zu 
Norristown leitet, unter recht ungftnstigen Verhaltnissen die Beseitigung des Restraint 
erreicht hat Sommer. 


Forensische Psychiatrie. 

25) H manoinismo sensorio ed il tatto nei delinquent! e nei pazzi pel Dott. 

Lombroso. (Archiv. di psichiatr., scienze penali ed antropol. crim. 1883. 

IV. p. 441.) 

26) Iaa sensibilita laterale nei pazzi pel dott. Amadei e Tonnini. (Ibid. 

1883. IY. p. 511.) 

Beide Arbeiten kOnnen im Zusammenhange besproclien werden, da sie sich gegen- 
seitig erganzen. 

Lombroso vertheidigt bekanntlich seit Jahren die Ansicht, dass Irre und (in 
noch hOherem Grade) Verbrecher gewissermassen „inferiore“ Menschen sind, die ana- 
tomisch und physiologisch nachweisbare Abweichungen vom normalen Yerhalten zeigen. 
In dieser Hinsicht werden nun sehr interessante neue Ergebnisse von den oben ge- 
nannten Forschern mitgetheilt. 

Normale Individuen sind gewflhnlich „Rechtser“ und zwar sowohl in Bezug auf 
die motorische Kraft und auf die Coordination der Bewegungen, als in Bezug auf 
die Feinheit des Tastgeffihls. Kraft-, Geschicklichkeits- und Geftihls-Linkser, wenn 
Ref. dieee Namen einftihren darf, finden sich unter 100 Normalen nur 14, reap. 5, 
resp. 26mal; unter Verbrechem aber, wobei die Gelegenheitsverbrecher nicht einmal 
von den eigentlich nur in Frage kommenden Gewohnheitsverbrechem getrennt sind, 
23, resp. 18, resp. 75mal und unter 100 Irren trifft man nur 4,2 Geschicklichkeits- 
linkser, aber etwa 80 Geftlhlslinkser. Dass hbrigens diese auffalligen Differenzen 
aus genflgend grossen Beobachtungsreihen abstrahirt sind, geht daraus hervor, dass 
z. B. bei der Geschicklichkeitsuntersuchung nicht weniger als 949 Normale, 251 Ver¬ 
brecher und 480 Irre berticksichtigt werden konnten. Geringer sind allerdings die 
Zahlenreihen bei der Untersuchung der Gefiihlsscharfe, aber der Unterschied zwischen 
den Normalen und den Verbrechem und Irren ist doch zu bedeutend, als dass er 
nur auf Zufall beruhen kflnnte. Weitere Forschungen werden jedenfalls in nachster 
Zeit angestellt werden, ob thatsachlich anzunehmen ist, dass (nach Lombroso) der 
Verbrecher, und in sensorieller Hinsicht auch der Irre, vorwiegend mit der rechten 
Hemisph&re des Hirns, der Normale aber mit der linken arbeitet! Hirnw&gungen 
und Schadelmessungen werden die Pravalenz der einen oder der anderen Hemisphare 
vielleicht noch leichter nachweisbar machen kOnnen. Nach den Messungen des Ref. 
(Virchow’s Archiv. Bd. 90. S. 144) sind z. B. die Schadel der Irren in ziemlich ge- 
niigender Uebereinstimmung mit der obigen Theorie zu 2 /s rechts und nur zu 1 / s links 
starker gewClbt und gerSumiger. Sommer. 


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Anstaltswesen. 

27) Die Heilanstalt Johannisberg bei Kaiserswerth von Boiler. Mit zwei 
Ansichten und einem Situationsplan. (Kaiserswerth 1883. Yerlag der Dia- 
conissen-Anstalt.) 

Yorliegender Bericht umfasst die Geschichte, die Lage, die Einrichtungen der 
Anstalt und die Krankenbewegung der Frauen in den Jahren 1881 und 1882. 


Stand den 1. Januar 1881 . . 35 



Aufgenommen . 

30 


Yerpflegt 

65 

Abgang: 

genesen und gebessert . 

9 


ungeheilt. 

6 


gestorben. 

2 

17 

Bestand 

den 31. December 1881 

48 


Zugang 1882 .... 

40 


Yerpflegt 1882 

88 

Abgang: 

genesen und gebessert . 

23 


ungeheilt. 

12 


gestorben. 

5 

40 

Bestand 

den 31. December 1882 

48 


Yerpflegungstage 1882: 

Kranke Pflegetage Durchschnitt 

88 17315 196,8 

Bei einem circa 50 betragenden Krankenstande ist die Zahl der Schwestern 
27—28, von denen sich 5 nur aushiilfsweise mit der Krankenpflege beschaftigen. 

Dem statistischen Bericht fiigt R. klinische und therapeutische Bemerkungen bei, 
aus denen hervorgeht, dass in Kaiserswerth die Kranken in einer dem Standpunkt 
der Wissenschaft durchaus entsprechenden Weise untersucht und behandelt warden, 
besonders auch unter genauer Individualisirung. Ueber die Bedeutung der gyn&co- 
logischen Zustande ffir Entstehung und Verlauf der Psychosen theilt B. die von 
Bipping, Peretti und wohl den meisten Psychiatern, denen sich neuerdings auch 
bedeutende Gynacologen anschliessen, vertretene Auffassung. Die beschriebenen Falle, 
in denen Morphiuminjectionen ein wesentlicher Antheil an dem gfinstigen Ausgang 
zugeschrieben wird, sind nicht ganz fiberzeugend. Ira Princip Vertreter des Nores¬ 
traint behalt sich Verf. die gelegentliche Anwendung mechanischer Beschrankungs- 
mittel als ultima ratio vor. Bef. hat aus eigener Erfahrung kein Urtheil fiber eine 
derartige Eventualitat. — Ein Selbstmord ereignete sich unter den Kranken innerhalb 
der Jahre 1881 und 1882 nicht; da indessen in diesen 2 Jahren nur 7 Patientinnen 
starben, und die Statistik hSchsten 5 % der Todesfalle an Selbstmorden gestattet, ist 
. dieses ffir den Dirigenten der Anstalt immerhin glfickliche Ereigniss nicht besonders 
gfinstigen Umstanden anzurechnen. Tuczek. 


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m. Aus den (tosellschaften. 

Aus der „Ophthalmological society of the United Kingdom" zu London. 

Sitzung vom 11. Oct. 1883. (Brit. med. Joum. 1883. Oct. 20. p. 777.) 

Dr. Ormerod stellte einen 44jahrigen, frfiher syphilitischen Patienten vor, der 
vor 6 / 4 Jahren von einer linksseitigen Hemiplegie befallen war und bei dem sich seit 
5 Monaten Sehnervenatrophie allein anf dem rechten Auge und auf der Aussenseite 
der Papille ein kleiner glatter Tumor, der die Netzbaut nach vorn vorwdlbte, ent- 
wickelt hatte. Dabei bestand eine Beschr&nkung des Gesiclitsfeldes derart, dass nur 
der untere und innere Quadrant ganz frei war. In der Discussion wurde der Tumor 
als ein Choroidealsarcom angesprochen. 

Dr. Nettleship berichtete fiber einen Tumor, der vom Keilbein ausgehend den 
linken N. oculomotorius und zuletzt den Pons und Pedunculus sinist. comprimirt hatte. 
Die Symptome waren zuerst Sehnervenatrophie und Lahmung der Augenmuskeln auf 
der linken Seite, dann aber neben vOlliger Erblindung auf dem linken Auge totaler 
Ausfall der rechten Gesichtshalfte des rechten Auges; der Defect war scharf begrenzt, 
die Trennungslinie zog durch den Pixationspunkt. Der betreffende Patient hatte die 
ersten Symptome im 30. Jahre bemerkt und erlag dem Leiden erst nach 7 Jahren. 

Einen anderen Fall von gleichseitiger Hemianopie besprach Dr. Sharkey. Eine 
Frau litt seit 2 Jahren an epileptischen Krampfanfallen, denen eine „optische Aura" 
in den rechten Halften beider Gesichtsfelder vorausging und die eine Parese des 
rechten Arms und Kopfschmerzen regelmassig zur Folge hatten. Im weiteren Yer- 
lauf wurde nun der beiderseitige Defect der rechten Gesichtsfeldhalfte, sowie eine 
Lahmung des rechten Arms permanent, und da die Begrenzung des Defectes nicht 
vertical durch den Fixationspunkt ging, vielmehr eine centrale Zone mit erhaltener 
Function3fahigkeit von der rechten Gesichtsfeldhalfte auf beiden Angen abtrennte, 
diagnosticirte Sharkey eine Lasion des Bindencentrums fttr den Arm und im Gyrus 
angularis der linken Hemisphere; eine Erkrankung des Tractus opticus, die auch 
(wie z. B. im vorher referirten Fall) gleichseitige Hemianopie bedingen kfjnne, sei 
auszuschliessen wegen der geschilderten Begrenzung des Defectes. Sommer. 


New York Neurological Society. Sitzung vom 5. Juni 1883. (The Joum. of 
nerv. and ment. disease.) 

M. J. Roberts stellt einen Fall von Myxoedema vor: 50jahrige, nicht hereditar 
belastete Frau, Schmerzen in der Steissbeingegend, an den Brust- und Halswirbeln, 
Blasse und Geschwollensein des Gesichts, maskenahnlicher Ausdruck, dicke Sprache, 
reizbare Yerstimmung, Zwangshandlungen, Nervositat, Yergesslichkeit, allgemeines 
Gefflhl von Ameisenlaufen, Verlust der Kopf- und Schamhaare, sowie der in den 
Achseln; die Schwellung der Beine zeigt keinen Eindruck bei Fingerdruck, cutane 
An&sthesie, Parese bei starkem Mddigkeitsgefuhl, „schuttelnder" Gang, Amblyopie, 
Schlaflosigkeit, Anorexia, Gefuhl elektrischer Schlage durch den ganzen Korper, An- 
falle von Schwache, Menstmationsanomalien, subnormal© Temperatur in der Achsel- 
h6hle, zeitweise wasserklarer Urin. 

George B. Elliott giebt folgenden Befund eines Hautstdckes vom Bein der 
Patientin: 

Entschiedene Yerdickung der Gefasswandungen, allgemeiner Schwund der Schweiss- 
drhsen, die stellenweise von Embryonalzellen umgeben sind; im Gorium, dicht unter- 
halb des Bete mucosum, strahlige (branching) Zellen, jedoch nicht so zahlreich, dass 
die Annahme der Anwesenheit von Schleimgewebe sicher berechtigt ware, die Haar- 
balge sind normal, starke Nervenfasem sind vorhanden. 


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J. H. Gunning fiber „Rest-Cure“. Es handelt sich urn die zuerst von Weir 
Mitchell, sp&ter von Playfair getlbte, bekannte Behandlungsmethode der neu- 
rasthenischen Affectionen. A. Pick. 


Aus der Acaddmie des Sciences zu Paris. Sitzung den 7. Januar 1884. (Compi 
rend. 1884. Janv. 9.) 

Vulpian uberreicht eine Arbeit von Landouzy und Dejerine uber progressive 
hereditare Myopathie. Die Krankheit ist eine Varietat der progressiven Muskelatrophie 
und tritt bei hereditar praedisponirten Individuen in den ersten Jahren des Lebens 
auf. Die Hauptdifferenz gegen die progressive Muskelatrophie besteht darin, dass 
bei dieser hereditaren Form die Atrophie im Gesicht beginnt, wahrend dieses nur 
ganz ausnahmsweise und secundar bei der Atrophie der Erwachsenen ergriffen wird. 
Bei der Obduction eines an dieser Krankheit Gestorbenen fand sich das Rflckenmark 
durchaus gesund; in den Muskeln einfache Atrophie. M. 


Societe fran 9 aise d’Ophthalmologie. Sitzung vom 29. Januar 1884. (Progrds 
mdd. 1884. Fdv. 9.) 

Darier: Die Application des elektrischen Stromes in der Nahe des Auges ruft 
bekanntlich eine Lichterscheinung hervor. Die Intensitat des Stromes, die nothwendig 
ist, um die Erscheinung hervorzurufen, ist bei den verschiedenen Personen sehr wech- 
selnd; hat man aber diese primare Reaction einmal erhalten, so ist die Stromstarke 
bei neuer Hervorrufung der Lichterscheinung — bei der sec und are n Reaction — fast 
constant bei alien Personen, die einen gesanden Sehnerven haben, sie betr&gt 1 / 10 Milli- 
ampdre. Ist dagegen der Sehnerv Sitz einer organischen Lesion — Entzflndung oder 
Degeneration — so muss die Stromstarke, um die secundare Reaction hervorzurufen, 
0,5—15 Milliampdres betragen; in einzelnen Fallen ist sie ganz verschwunden. Diese 
Reaction ist fttr Diagnose und Prognose von grosser Bedeutung; sie wird Aufschluss 
daruber geben, ob die Papille der Heilung fahig ist, oder ob es sich um eine Neu¬ 
ritis handelt, die in Atrophie des Sehnerven flbergehen wird. 

Abadie, dessen Assistent Darier ist, bestatigt die Mittheilungen desselben, 
wahrend Wecker und Monoyer auf die ausseren Umstande (Feuchtigkeit der Haut, 
Dicke der Gewebe etc.) aufmerksam machen, durch die auch bei Gesunden die elek- 
trische Reaction schwanken wird. 

In der Sitzung vom 31. Januar 1884 macht Martin (de Cognac) auf die Mi- 
•grane aufmerksam, die durch Augenstdrungen hervorgerufen und als Irisalgie be- 
zeichnet wird (Piorry). Er hat 93 Falle gesamraelt, in denen die Patienten an 
Astigmatismus litten und glaubt, dass man bei alien Personen, die an Migrane 
leiden, Astigmatismus, der bald statisch, bald dynamise!* ist, linden wird. Der 
dynamische Astigmatismus ist besonders geeignet zur Hervorbringung der Anfalle. 
Passende Glaser kSnnen die Anfalle beseitigen. Die Hemicrania ophthalmica entsteht 
aus derselben Ursache. M. 


Socidtd de Biologie, Paris. Sitzung den 13. Oct. 1883. 

Ch. Fdrd: Morphinism© et grossesse. Eine 22jahrige Frau, im 6. Monat 
schwanger, welche taglich 1,24 Morphium verbrauchte, unterzog sich einer Kur. Die 
Morphium-Menge wurde taglich um 0,005 verringert, doch mussten der auftretenden 
Uterinkoliken und heftigen Kindsbewegungen halber mit der Verringerung der Dosis 
haufig innegehalten werden, sodass die Kranke zur Zeit der Entbindung noch 0,13 
taglich nahm. — Die Entbiudung verlief normal. Nach 8 Tagen nahra F. die Kur 


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wieder auf, musste aber auch jetzt haufig Pausen eintreten lassen, weil die Lochien 
wiederholt aussetzten und erst wieder flossen, nachdem Morpbium verabreicht war. 
Desbalb nahm die Patientin 4 Wocben post partum nocb 0,08 taglicli. Jetzt wurde 
plotzlicb alley Morpbium entzogen: beftige Kolikschmerzen, DiarrhG, Scblaflosigkeit; 
aber vora nachsten Tage an gutes Befinden, das nocb nacb 2 Monaten constatirt wurde. 

Interessant war, dass die durcb die Geburt fur das Kind gesetzte plOtzlicbe 
Entziebung bewirkte, dass dasselbe grosse Unrube, beftige Bewegungen zeigte und 
60 Stunden lang ununterbrocben scbrie, dann aber gesund erscbien. 

F. bait demnacb die Morpbium-Entziebung wabrend der Scbwangerscbaft in Rack- 
sicht auf die Mutter fttr erlaubt, in Rbcksicbt auf das Kind far geboten; denn die 
plOtzlicbe Entziebung mit der Geburt kOnne letzterem leicbt verhangnissvoll sein. 

Hadlich. 


IV. Bibliographie. 

Tisch fiir Nervenkranke bearbeitet von Med. Dr. Oscar Eyselein. Karlsbad. 
Verltg von Feller. 1883. 267 Seiten. 

Das Bucb bescbaftigt sicb nicbt bloss, wie der Titel angiebt, mit dem „Tisch“ 
der Nervenkranken, sondem mit dem ganzen Regime derselben im weitesten Sinne. 
Die klare Darstellung, wie die Fernhaltung aller Uebertreibungen, zu der nur so leicbt 
solcbe populare Darstellungen binneigen, macbt das Bucb wobl geeignet, den Kranken 
Anleitungen far ibr Leben zu geben und damit die arztlicbe Bebandlung zu unter- 
statzen. Aucb der praktiscbe Arzt wird aus der Scbrift zablreiche beherzigenswerthe 
Winke far seine Ordinationen entnehmen. Die Ausstattung ist gut. M. 


Geehrter Herr Redacteur! 

Die Bedeutung, welcbe Charcot's interessante Beobacbtung aber den plOtzlichen 
Verlust der optischen Erinnerungsbilder (s. dieses Centralbl. 1883. S. 399) far die 
centrale Sinnespbysiologie erlangt bat, giebt mir Yeranlassung, darauf aufmerksam zu 
macben, dass SchrOder van der Kolk (Die Patbologie und Tberapie der Geistes- 
krankbeiten. 1863. S. 29) eine Beobacbtung mittbeilt, bei der es sich neben anderen 
in das Gebiet der Apbasie gehOrigen Erscbeinungen offeubar aucb urn Verlust der 
optischen Erinnerungsbilder bandelt und die nocb besonders dadurch interessant ist, 
dass aucb die Rackkehr dieser Erinnerungsbilder beobachtet werden konnte. 

SchrOder van der Kolk bat abrigens aus dieser und verschiedenen anderen 
Beobacbtungen ganz zutreffende Scbiasse gezogen, und einzelne Aeusserungen zeigen, 
dass er aucb das gekannt und aucb richtig beurtbeilt bat, was Gal ton neuerdings 
als Mental Imagery ausgedehnter untersucbt bat. So betont er (1. c. S. 32), in dieser 
Ausdebnung allerdings mit Unrecht, die ausscblaggebende Bedeutung der optischen 
Erinnerungsbilder far das Denken; offenbar war er durcb sein eigenes Denken zu 
diesem Scblusse veranlasst, indem er auf S. 29 erwahnt, dass er ein weit besseres 
Zablen- als Namensgedachtniss babe, was sicb aus der S. 67 gemachten Mittbeilung 
erklart, wo er sagt: „Icb selbst bewabre mit Leicbtigkeit Zablen im Gedacbtniss und 
bei einer Rackerinnerung sebe ich die Zabl so vor mir, wie icb sie fraher gedruckt 
oder gescbrieben vor mir gebabt habe.“ 

Genebmigen Sie etc. 

A. Pick. 


V. Vermischtes. 

In der Sitzung der Society frai^aise de temperance am 28. Dec. 1883 sprach Dujardin- 
Beaumetz aber die Bebandlung dee Alcoholismus durch Strychnin. Lutton, Reims, batte 


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empfohlen, dass Strychnin in die alcoholischen Getranke hineingemischt wfirde, am deren 
schfidliche Wirknng zn paralysiren. Nach seinen Versnchen konnte Dujardin-Beaumetz 
diese Wirkung zwar nicht bestatigen, aber er vermocbte die Symptome der Trankenbeit nnd 
das dnrcb Alcohol hervorgerufeue Delirium acutnm mittelst jenes Mittels zn beseitigen. 

(Gaz. mdd. 1884. 1. Janvier.) 

Znr Freiheit der Wissenschaft. In England hat sich in neuester Zeit in Folge 
einer in der ,.Lancet" vom 3. Nov. 1883 erschienenen Arbeit fiber die giftigen Eigenschaften 
des salpetrigsanren Natrons ein lebhafter Storm der Entrfistung, fast ansscbliesslicb aller- 
dings in Laienkreisen, erhoben, der darin gipfelt, dass das Gnratorium eines grossen Kranken- 
hanses (des Westminster Hospital), an welchem der Verf. jener Arbeit, Dr. Morrell, an- 
gestellt isfc, seine offene Missbilligung fiber die „Anwendnng yon Arzneimitteln, deren Wir- 
kungen noch nicbt vollig sicher gestellt seien („fully ascertained")", in der Tagesliteratnr 
aosgedrfiekt bat. Es ware interessant zn wissen, ffigt die Redaction der „Lancet" (1- X1L 
1883) binzn, welche Arzneimittel dann fiberhanpt einem Arzte gestattet seien; denn selbst 
von den seit vielen Jahren in die Pharmacopoe anfgenommenen Drognen ist docb kanm eine 
vollig in ihren Wirknngen bekannt — von neneren Mitteln, die znm Theil docb eine unent- 
behrlicbe Bereichernng des Arzneiscbatzes darstellen, ganz zn schweigen. Im vorliegenden 
Falle ist fibrigens die Aufregung ganz unerklarlich, denn kein einziger der Patienten hat, 
abgesehen von scbnell vorfibergebenden Nebenwirknngen, irgend eine Schadigni^, viele sogar 
eine Bessernng ihres Znstandes erfabren; ein anderer Nutzen jener Arbeit lie^t darin, dass 
im AnschlaBs an Morrell’s Untersuchungen die Maximaldosis non anf Vio ihrer frfiheren 
Hohe herabgesetzt worden ist (von 20 Gran anf 2 Gran), so dass ffir die Znkunft wohl 
mancbes Unglfick vermieden werden wird. Jedenfalls kann man der Sympatbie, welche die 
„Lancet" jenem so schwer angegriffenen Collegen ausdrtickt, nor beipflichten. Ffir den 
Neurologen ist beilaufig zu erwabnen, dass das salpetrigsanre Natron speciell gegen Epi- 
lepsie empfohlen worden war. Sommer. 

Um dem Uebelstande, dass bei dem Nichtgebrauch der Pravaz’schen Spritze der 
Stempel scbnell eintrocknet, zn begegnen, bat der Bandagist Kraus in Berlin das Etni der 
Spritzen etwas verlangert; dadnrch wird es mfiglich, in der Spritze eine kleine Menge Flfissig- 
keit zn belassen, indem das Nadelende der Spritze mit einer kleinen Hartgnmmibfilse ver- 
schlossen wird. M. 

In der Sitznng der Academie de M4decine zu Paris vom 12. Febr. 1884 demonstrate 
Constantin Paul Thermometer, die sicb znm Gebranch ffir lokale Temperatnrmessnngen 
anf der Hant sebr got eignen. Die Anheftnng an die Hant geschieht dnroh Einschlnss in 
eine Kantscbnkmasse, die wie ein Schrdpfkopf anf die Hant applicirt wird. Anf behaarten 
Theilen lassen sie sicb nicht anbringen. (Progr&s medical. 1884. Febr. 16.) M. 

Beligidser Wahnsinn. (American Journal of Neurology and Psychiatry. 1883. p. 579.) 

Im unmittelbaren Anschluss an das Aufbreten einer Abtheilung der sog. „Heilsarmee" 
(Salvation army), die ja anch kfirzlich erst in der Schweiz ihr Unwesen trieb, erkrankte in 
Franklin (Yerein. Staaten) ein woblbabender Farmer unter den Erscbeinnngen tobsficbtiger 
Erregung mit Hallncinationen nnd religioser Exstase. Nachdem er wocbenlang predigend 
umhergezogen war nnd besonders die Qualen des jfingsten Gericbts der sfindhaften Mensch* 
heit geschildert hatte, reifte in ibm der Entscblnss, die Seini^en grasslicb zn todten, um 
ihnen im Jenseits das hollische Fener zn ersparen. Mitten m einem einsamen Walde er- 
richtete er ein holzernes Krenz nnd begann, seinen 8jahrigen Sohn an dasselbe zn schlagen, 
ids zwei Holzfaller nnerwartet dazn kamen. Der nnselige Vater liess nun den mit einer 
Hand bereits angenagelten Sohn am Krenze bangen, scbmetterte einen der Holzfaller zn 
Boden nnd sprang fliehend in einen benachbarten See. Man bielt ihn fur ertranken, docb in 
der folgenden Nacht kam er wieder znm Vorschein. Er stfirzte in sein Hans nnd erschlng 
znnacbst seine Fran. Dann knebelte er seine 17iahrige Tocbter nnd schleppte sie anch in 
jenen Wald. Er erbaute dort einen grossen Opferaltar ans gefalltem Holz nnd band das 
Madchen anf demselben fest. Sommer. 

Um Einsendnng von Separatabdrficken an den Heransgeber wird gebeten. 

Einsendungen ffir die Redaction sind zn ricbten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Dritter 


Herausgegeben von 

Dr. E. Mendel, 

Privatdocent an der Uniftnitit Berlin. 


Jahrgang. 


Monatlioh erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen dnrch 
alls Buchhan diungen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Dentschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbnchhandlnng. 


1884. 15. M&rz. 


ms. 


I n h a 1 1 I. Originalmittheiiungen. 1 . Znr Vacuolenbildnng in den Ganglienzellen des 
Rfickenmarks von Schulz. 2. Ueber einen Fall von disseminirter granulbser Sklerose der Hirn- 
rinde von GreHV (Schlnss). 

II. Referate. Anatomie. 1 . Die Eleinhirnrinde von Beevor. — Experimentelle 
Physiologie. 2. Ueber das Kniephanomen in Beziehnng znr Hantsensibilitat derPatellar- 
gegend von iaroschewsky. 3. Experimentelle Untersuchnng der nnter dem Namen „Sehnen- 
phanomene" bekannten Erscheinnngen von Rosenheim. — Pathologische Anatomie. 

4. Chorea and its possible cause by Richter. — Pathologie des Nervensystems. 

5. Om den epileptoide sinnes jukdomen af Hjertstrdm. 6. Epilepsie partielle par Planat. 
7. Seltener Fall von Epilepsie von Schrelber. 8. Acute aufsteigenae Paralyse von Hoffmann. 
9. De la my&ite aignC centrale survenant chez les syphilitiques a nne 6poqne rapprochde 
dn debut de l’affection par Dljerins. 10. De quelques accidents spinanx determines par 
la presence dans la mobile d’un ancien foyer et mydlite infantile par Ballet et Dutil. 
11. On posterior spinal sclerosis, consecutive to disease of bloodvessels by Buzzard. 12. Znr 
Lehre vom Kopftetanus von Bernhardt. — Psvchiatrie. 13. Der Sauferwahnsinn in St. 
Petersburg von Bary. 14. EinflusB der Trunksucnt auf die Entstehung der Idiotie von Kind. 
15. Katatonie von Jensen. — Therapie. 16. Behandlung der NahrungBverweigerung bei 
Irren von Siemens. 17. Tetanus traumaticus nnter Curare-Einspritzungen von Gontermann. 

18. Cas de gu&ison d’hallucinations unilatdrales d’otue de cause externe par Mabille. 

19. Mitfcheilitnpen aus der Praxis von KUpper. — Forensische Psychiatric. 20. The 
simulation of insanity by the insane by Hughes. 

III. Aus den Gesetlschaften. 

IV. Bibliographic. 

V. Vermlschtes. 


I. Originalmittheiiungen. 

1. Zur Vacuolenbildnng in den Ganglienzellen des 

Riickenmarks. 

Von Dr. Richard Schulz. 

Meine Auffassung fiber die Entstehung und Bedeutung der Vacuolen in 
den Ganglienzellen des Ruckenmarkes 1 hat in Nr. 3 d. Bl. dieses Jahres seitens 

* Ueber arteficiclle cadaverose nnd pathol. Verandemngen des Rfickenmarks. Nr. 23 
u. 84 d. Bl. 1883. 


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des Herrn Bosenbach, Petersburg, eine kritische Besprechung erfahren, welche 
mich zu folgender Erwiderung zwingt 

Zunachst muss ich die Behauptung des Herrn Bosenbach, dass meine 
Voraussetzung, bei meinen untersuchten Leichen ein nicht krankhaft ver- 
andertes Buckenmark Tor mir zu baben, ungerechtfertigt sei, zuruckweisen. Ich 
glaube, der grosste Theil der Kliniker und besonders pathologischen Anatomen 
wird mit mir darin dbereinstdmmen, wenn ich ein Ruckenmark als nicht krank¬ 
haft verandert annehme, falls der betreffende Patient bei Lebzeiten absolut keine 
Storangen seitens des Buckenmarks gezeigt hat, falls nach dem Tode an dem 
Buckenmarke makroskopisch weder vor noch nach der Hartnng keine Zeichen 
pathologischer Veranderungen hervortreten und falls die Haute, das Aussehen, 
die Gonsistenz des Bdckenmarks einen normalen Eindruck machen. 

Dieses war bei den von mir untersuchten Buckenmarken der Fall, es wurde 
nur nicht in meiner Arbeit ausdrflcklich erwahnt, weil es gewissermaassen selbst- 
verstandlich war. Wenn Herr Bosenbach femer sagt, ich hielte die bei sechs 
Buckenmarken gefundenen Veranderungen an einzelnen Ganglienzellen, welche 
weniger scharf contourirt, verschwommen, von glasigem hyalinen Aussehen ohne 
deutlichen Eem waren, willkurlich fur arteficiell durch verschiedene Hartnng 
bedingt, so muss ich mich gegen diesen Vorwurf verwahren. Eine Ueberzeugung, 
welche man bei lang dauernder muhsamer Untersuohung gewonnen hat, kann 
doch nicht ohne Weiteres eine willkurliche Annahme genannt werden. 

Mit demselben und vielleicht noch grosserem Bechte konnte ich sagen, dass 
Herr Bosenbach die Vacuolenbildung, welche er bei seinen verhungerten Thieren 
fand, willkbrlich fur pathologisch erklart, denn beim Verhungem tritt wohl 
nach und nach eine immer zunehmende Atrophie und schliesslich der Tod ein, 
aber das Verhungem ist doch keine eigentliche Erankheit und die sich bei der 
Section findenden Veranderungen sind nur die einer allgemeinen Atrophie sammt- 
licher sonst normaler Organe. 

Letzteres hatte ich selbst vor einigen Jahren Gelegenheit zu constatiren bei 
der Section eines Gollegen, welcher einer mit ausserster Strenge durchgefQhrten 
vegetarianischen nnd dabei auf ein Minimum beschrankten Ernahrangsweise zom 
Opfer fiel. Die Atrophie erstreckt sich selbstrerstandlich auf die zelligen Elemente 
des Eorpers und disponirt daher die Ganglienzellen zur Vacuolenbildung, wie 
dieses nachstehend weiter ausgefQhrt werden wird. 

Herr Bosenbach findet es weiterhin „ganz unbegreiflioh", dass die Vacuolen¬ 
bildung — die Buckenmarke als nicht krankhaft verandert rorausgesetzt — 
nicht in einer grosseren Zellenzahl und in anderen Buckenmarken sich vorfand> 
wenn sie durch Hartung bedingt war. Hiergegen ist zu erwidem, dass sich die 
Vacuolenbildung wohl in einer grosseren Anzahl von Zellen in den betreffenden 
Buckenmarken gefunden hatte, Mis eine noch grossere Zahl von Schnitten der- 
selben untersucht worden ware. Dazu lag aber kein triftiger Grand vor. Die 
Vacuolenbildung war in den betreffenden Buckenmarken in sparlicher Weiae 
vorkommend constatirt, ob sie nun in ein paar Ganglienzellen mehr oder weniger 
sich fand, das schien mir vollkommen belanglos. Dass sich die Vacuolenbildung, 


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wenn durch Hartung bedingt, nicht aach in anderen Rackenmarken fand, erklart 
8ich daraus, dass einmal die GangUenzeUen in diesen kraftig and wideretands- 
fahig waren, wie dieses weiter nnten ausgefuhrt verden wird, dann, dass bei 
diesen Rhckenmarken die H&rtnng sehr gleichmassig und gut vor sich ging. 

Den angeblioh directen Beweis Rosenbach’s, dass die Yacuolenbiidnng in 
den NervenzeUen ein pathologischer, bei Lebzeiten sich entwiokelnder and nicht 
durch Hartang bedingter Process sei, weil sich nach Popow auch aus frischen, 
nicht erhartetenPraparaten pathologischer Rftckenmarke vacuolisirte Zellen isoliren 
liessen, kann ich nicht anerkennen, vielmehr nor so aufiassen, dass die Vaouolen- 
bildnng aach bei anderen Praparationsmethoden als bei der Hartang in der nach- 
stehend zu erorternden Weise eintreten kann. 

Wenn Herr Rosbnbach femer Eingangs seiner Besprechung sagt „Leyden, 
Ebb and andere die pathologische Anatomie der Myelitis behandelnden Autoren 
beschreiben die Yacaolisation in den NervenzeUen als Ausdrack eines pathologischen 
Processes", so ist es mir sehr zweifelhaft, ob dieser Satz in dieser Weise den 
Anschauongen der betreffenden Autoren entsprioht sagt, die bei Myelitis 
acuta eintretenden mikroskopischen Yeranderangen der GanglienzeUen besprechend, 1 
folgendes: „Aaoh die Ganglienzellen werden von den entzandlichen Yeranderangen 
ergriffen. Sie erscheinen geschweUt, oft formlioh wie aufgeblaht, zu sehr be- 
trachtlicher Grosse; ihre Substanz ist getriibt, Eem and Kemkorperchen aber 
im Beginn meist intact, selten in Theilung begriffen; manchmal aach glasige 
QueUung der ZeUen and Yaoaolenbildang in denselben." 

Ich kann diesen Worten nor entnehmen, dass „manchmal“ gelegentlich 
aach Yacaolenbildang in den GangUenzeUen bei der acaten Myelitis gefunden 
wird, dass sie aber aach in vielen FaUen fehlt, dass sie als nicht absolut zu dem 
pathologisch anatomischen BUde der Myelitis acuta gehort Gehorte die YacuoU- 
sation wirklich als nothwendiges Poetalat dazu, kame ihr uberhaupt eine besondere 
Bedeutung in pathologischer Beziehung zu, so wurde ein Autor wie StbUmpell 
dereelben in seinem neuen vorzhglichen Lehrbuch, * in welchem der jetzige Stand 
der Nervenpathologie auch in mikroskopischer Beziehung zum Ausdruck gelangt, 
doch wohl in Eurze Erwahnung gethan haben. 

In meiner Arbeit (1. c.) habe ich mich absichtlich, am in der darch den 
Bahmen dieses Blattes gebotenen Eurze zu bleiben, darauf beschrankt, die aus 
meinen TJntersuchungen gezogenen Resultate mitzutheilen. 

Im Nachfolgenden sei es mir gestattet, in Edrze meine Auffassung uber 
die Yacaolisation und die Entstehungsweise derselben auseinanderzusetzen. 

YieUeicht durfte daduroh eine Yeretandigang herbeigefuhrt werden kdnnen. 

Die Yacuolenbildung in den GanglienzeUen ist eine ganz eigenartige Er- 
scheinung, die uns in anderen ZeUen, in anderen Organen des thierischen und 
men3chtichen Edrpers fast nie entgegentritt Wahrend die meisten pathologischen 
Yeranderangen der ZeUen in den verechiedenen Organen immer in dereelben 

1 Ebb, Knnkheiten dee Bfickenmarks. II. Aofl. Leipzig 1878. S. 418. 

* StbOmpkll, Krankheiten des Nervensystems. II. Bd. I. Th. d. Lehrbuch d. spec. 
Pathologie u. Therapie. Leipzig 1884. 


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Weise wiederkehren, kommt die Vacuolenbildung fast nur in den Ganglienzellen 
vor. Es bilden sich helle, runde, blasenartige, leere Raume inmitten des Proto¬ 
plasma. In vacuolisirten Ganglienzellen aus myelitischen Herden ist das ubrige 
Protoplasma bisweilen mit Fettkomchen versehen und die Ganglienzellen selbst 
sind geschwellt, wohingegen sich das ubrige Protoplasma in vacuolisirten Ganglien¬ 
zellen aus normalen Ruckenmarken, wie in meinen Fallen, vollstandig normal 
verhalt, die Ganglienzellen selbst scharf contourirt und mit schonen Fortsatzen 
versehen sind. Ioh denke mir die Yaouolen in folgender Weise entstanden. 
Das Protoplasma jeder Ganglienzelle hat in sich eine gewisse evasion, sine 
gewisse elastische Spannung. Findet nun durch irgendwelche Verh&ltnisse, sei 
es durch ungleichmassige oder zu starke Einwirkung von Alcohol, durch ungleicb- 
massige Hartung, oder bei frischer Praparation durch Druck mit dem Deck- 
glaschen oder andere aussere Gewalten eine gewisse Zerrung statt, so erleidet 
die Cohasion an einer oder mehreren Stellen eine Unterbrechung, vermoge seiner 
Elasticitat zieht sich das Protoplasma zuruck und es entstehen so runde, leere, 
blasenartige Raume. Dass bei frischen Praparaten in den den Vacuolen emt- 
sprechenden Aushohlungen des Protoplasma ein feines unregelmassiges Netzwerk, 
zuweilen sogar Formbestandtheile, wie Rosbnbach anfuhrt, beobachtet werden, hat 
meiner Meinung nach durchaus nichts Auffallendes. Dem Zerfall des Zellleibea 
wie Rosenbaoh annimmt, entstammt dasselbe jedoch meiner Ansicht nach nicht 
sondern es ist einfach aus ProtaplasmaSden gebildet, welohe bei dem Zurack- 
ziehen des zahen Protoplasma in den Yaouolen persistirten. 

Naturlich disponiren normale Ganglienzellen in normalen Ruckenmarken 
weniger zur Yacuolenbildung, sie setzen alien Einwirkungen, welche dieselbe 
herbeifuhren, grosseren Widerstand entgegen und daraus erklart es sich weiter, 
dass ich die Yacuolenbildung bei meinen Ruckenmarken so selten gefunden habe. 
Die Ganglienzellen, in welchen ich Vacuolen bei meiner Untersuchung fend, 
mussen besonders zart und mit geringerer innerer Cohasion versehen gewesen 
sein, pathologisch verandert brauchten sie jedoch absolut nicht zu sein, um 
Vacuolen zu bekommen. Als derartig zartere, weniger widerstandsfahige Ganglien¬ 
zellen, die sehr zur Vacuolenbildung disponiren, mochte ich auch die durch Ver- 
hungem kunstlich praparirten Ganglienzellen ansehen. 

In den Ganglienzellen entzundeter Ruckenmarke kdnnen die Vacuolen oft 
und sehr ausgebreitet vorkommen. Die krankhaft veranderten Ganglienzellen 
haben eine geringere innere Cohasion, sie sind nicht im Stande Einwirkungen 
des Alcohols bei der ffirtung, mechanischen Einwirkungen bei frischer Praparation 
den Widerstand entgegenzusetzen, wie gesunde Ganglienzellen, es tritt daher 
die Yacuolenbildung in ihnen ofter auf. Daraus darf jedoch nodi lange nicht 
der Schluss gezogen werden, dass nun auch die Vacuolenbildung ein patho- 
logischer Process sei, sie ist vielmehr meiner Meinung nach ein rein mechaniacher 
durch aussere Einwirkungen herbeigefuhrter Vorgang, der sowohl in normalen? 
als in krankhaft veranderten Ganglienzellen vorkommen kann und dem deshalb 
eine hervorragende, besonders auch eine pathologische Bedeutung nicht 
zukommt. 


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2. Ueber einen Fall von disseminirter granuloser Sklerose 

der Himrinde. 

Von Dr. F. Greiff, 

Assisteiiten an der Irrenklinik zn Heidelberg. 

(Schlns8.) 

Betrachtet man naher den oben geschilderten makroskopischen nnd mikro- 
skopischen Befund, so springt die Aehnlichkeit des vorliegenden Falles mit dem 
oben bezeichneten von Pozzi deutlich in die Augen. Bier wie dort makro- 
skopisch eine ausserst charakteristische Veranderung der Rindenoberflache, welche 
entsprechend einigen Windnngen ein „chagrinirtes“ Anssehen angenommen hat; 
hier wie dort mikroskopisch derselbe eigenthumliche histologische Befund in 
zwei Typen: einmal sklerotische Stellen, welche sich meist an die Gefasse an- 
schliessen und bestehen aus einer bindegewebigen, netzformigen Grundsubstanz 
mit reichlicher Kemwucherung, Ansammlung von Gorp. amylacea bei vollstan- 
digem Mangel der nervosen Elemente, sodann andere Herde mit compacter 
Grundsubstanz, Verminderung und Sklerosirung der nervosen Bestandtheile, 
massiger Kemwucherung. Die beiden Veranderungen finden sich eingesprengt 
zwischen normal erscheinenden Rindenpartien, die erste besonders da vorkommend, 
wo partielle Atrophie und Einsenkungen der Rindenoberflache vorhanden sind, 
die zweite ohne charakteristische Localisation, jedenfalls keinen atrophischen 
Stellen der Rinde entsprechend. Dass die beiden verschiedenartigen histologischen 
Befunde in die Klasse der sklerotischen Prozesse gehoren, kann wohl keinem 
Zweifel unterliegen, es fragt sich nur, wie sie sich zu einander verhalten, d. h. 
ob sie verschiedene Stadien desselben pathologischen Vorganges oder zufallig 
neben einander verlaufende Prozesse darstellen. Schon Pozzi hat diese Frage 
aufgeworfen und sie schliesslich unentschieden gelassen. Mit voller Sicherheit 
vermag sie, wie gleich hier vorausgeschickt werden soil, auch der vorliegende 
Fall nicht zu losen. 

Man konnte sich den pathologischen Yorgang einmal so vorstellen, dass 
die Herde um die Gefasse die ersten Stadien des Prozesses darstellen und dass 
dann durch Schrumpfung des Gewebes die anderen sklerotischen Partien mit 
ihrer dichten Grundsubstanz sklerosirten Ganglien etc. entstanden. Dieser An- 
nahme stehen indess einige gewichtige Grunde entgegen. Wie oben geschildert, 
fehlen in den ersteren, nach dieser Ansicht frischeren, Partien die nervosen 
Elemente, speciell die Ganglien vollstandig, wahrend in den letzten, hiemach 
alteren und intensiver sklerotischen Stellen noch eine ziemliche Anzahl wenn 
auch stark veranderter Ganglien zu erkennen ist. Sodann musste m a n doch 
eher erwarten, dass diese alteren, durch Schrumpfung der frischeren Verande¬ 
rungen entstandenen Herde den atrophischen Stellen der Rinde und den Ein- 
ziehungen der Oberflache entsprachen, was jedoch gerade nicht der Fall ist; sie 
liegen vielmehr zuweilen in den kleinen Erhebungen der Rinde oder an Stellen 
derselben, die jedenfalls keinerlei Atrophie zeigen. 


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126 


In dieser Weise lasst sich also wohl ein Znsammenhang der beiden Pro- 
zesse nicht gut denken. Etwas plausibler durfte schon die Annahme erscheinen, 
dass die letzterwahnten Herde das Primare seien, die ersteren die spateren Sta- 
dien desselben Prozesses. Man musste dann annehmen, dass in jenen durch 
Zerfall der noch vorhandenen nervosen Elemente, Auftreten von Corp. amylacea, 
ferner durch einen rareficirenden Prozess in ihrer compacten Grundsubstanz die 
Partien mit der netzformigen Grundsubstanz, reichlichen Corp. amylaceis etc. 
entstanden waren, welche dann durch spatere Retraction ihres Gewebes die 
narbigen Einziehnngen der Rindenoberflache bedingt hatten. Gegen eine der- 
artige Ansicht spricht indess der Umstand, dass sich nirgends ein directer 
Uebergang der beiden Prozesse in einander nachweisen lasst, dass die in der 
Peripherie der alteren Herde gelegenen frischeren Partien sich ganz anders 
prasentiren, als die Stellen mit der compacten Grundsubstanz, den sklerotischen 
Ganglien etc.; ihre Grundsubstanz ist im Gegensatz hierzu deutlich reticular, 
einzelne Corp. amylacea treten auf, die noch vorhandenen Ganglien sind un- 
deutlich, im Zerfall begriffen, sehen aber nicht so sklerosirt und zusammen- 
gepresst aus, wie in jenen Stellen; sodann fehlen in den letzteren die Corp. 
amylacea, welche fftr die anderen Herde so charakteristisch sind; Gefasse sind 
nur wenige und schmale vorhanden, wahrend wir gesehen haben, dass sich in 
den anderen der Prozess hauptsachlich um die gr5sseren Gefassstammchen grup- 
pirt unfl offenbar von ihnen seinen Ausgang genommen hat. 

Ein directer genetischer Zusammenhang zwischen den beiden Formen von 
Sklerose lasst sich also auch auf diesem Wege nicht nachweisen. Es scheint 
demnach kein anderer Ausweg offen zu bleiben, als zwei verschiedene Formen 
von Sklerose anzunehmen, welche sich hier unabhangig von einander in der 
Rinde entwickelt haben. 

Vielleicht liesse sich die Sache noch so erklaren, dass ein Zusammenhang 
der beiden Prozesse insofem vorhanden ist, als der eine derselben nicht sowohl 
durch eine Veranderung und Weiterentwickelung des anderen direct entstanden 
ist, als vielmehr durch die Einwirkung desselben auf das umliegende Gewebe 
in mehr indirecter Weise hervorgerufen wurde. Man hatte sich dann den Vor- 
gang vielleicht so zu denken, dass in dem Befund der atrophischen Stellen mit 
der reticulirten Gewebswucherung um die Gefasse, reichliche Corp. amylaceis, 
vollstandiger Mangel der nervosen Elemente, die ersten Yeranderungen gegeben 
seien, als einem primar in der Rinde auftretenden, mit Schwund der nervosen 
Bestandtheile und Bindegewebswucherung einhergehenden, disseminirten, skle¬ 
rotischen Prozess; bei Weiterentwickelung desselben und schliesslicher Retraction 
des Gewebes, wie sich dieselbe in der narbigen Einziehung der Rindenoberfiache 
etc. kundgiebt, werden die umliegenden normalen Rindenabschnitte in mehr 
oder minder hohem Grade beeintrachtigt, je nachdem mehr oder weniger zahl- 
reiche und intensiver veranderte Partien in ihrer Nachbarschaffe vorhanden sind. 
Es lasst sich denken, dass solche Rindenabschnitte einer gewissen Compression 
oder Zerrung ansgesetzt seien oder in ihrer Blutversorgung beeintrachtigt werden 
kdnnen u. dergl. 


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Unter dieser schadigenden Einwirkung von der Umgebung her wurden also 
die sklerotischen Partien der oben in zweiter Linie beschriebenen Art mit dem 
dichten Grundgewebe, sklerotischen Ganglien etc. entstanden sein. Es spricht 
einigermaassen fur diese Entstehungsweise der Umstand, dass sich stets in der 
Umgebung jener bindegewebigen Wucherungen ein Saum derselben sklerotischen 
Ganglien fand, wie in den grdsseren sklerosirten Partien, femer ein Bild aus 
einem Schnitt vom oberen Parietallappchen; es zog sich hier einer der primaren 
sklerotischen Streifen von der Oberflache ein Stuck weit in die Rinde hinein 
und bog dann, einen ziemlich ausgedehnten Abschnitt der oberen Rindenschichten 
umfassend, wieder nach der Oberflache urn; die ganze von ihm umfasste Rinden- 
partie befand sich im Zustand der zweiten Art der Sklerose mit ihrem dichten 
wie comprimirt aussehenden Grundgewebe, atrophischen und sklerosirten Gang¬ 
lien etc. Solche Befunde lassen die beschriebene Entstehungsweise immerhin 
als moglich erscheinen, wenn auch zugegeben werden muss, dass sie etwas Ge- 
zwungenes an sich hat; eine sichere Entscheidung fiber den Zusammenhang der 
beiden sklerotischen Prozesse ist eben zur Zeit nioht moglich. 

Es erfibrigt noch, auf einige Eigenthfimlichkeiten des histologischen Be- 
fundes kurz zurfickzukommen. Es erschien bei der mikroskopischen Unter- 
suchung der zweiten Herdart sehr auflallend, dass mitten in dem dichten sklero¬ 
sirten Grundgewebe, neben den atrophischen Ganglien einzelne grossere, anschei- 
nend intacte Ganglienzellen mit reichlichem Protoplasma, breiten Fortsatzen etc. 
gefunden wurden, die also vorlaufig inmitten des sklerotischen Prozesses un- 
versehrt geblieben waren; es erinnert dies Verhalten an das von Chaboot 
zuerst hervorgehobene und seither mehrfach bestatigte Yorkommen von einzelnen 
intacten Nervenfaserquerschnitten und sonst vollstandig sklerosirten Partien des 
Rfickenmarkes bei multipler Sklerose. Auch in einzelnen Fallen der multiplen, 
tuberosen Sklerose der Hirnrinde (Falle von Habtdegen 1 , Bbucknee*) 
findet sich auffallender Weise derselbe Befund von anscheinend intacten grossen 
Ganglienzellen in sklerotischen Herden erwahnt. 

Die genannte tuberose Sklerose der Hirnrinde, vorzugsweise als angeborene 
Aimmalift bei Idioten aufgefunden, ist jedenfalls eine der hier geschilderten Form 
von Sklerose nahestehende und verwandte Affection. Abgesehen von dem schon 
erwahnten Befunde der intacten, grossen Ganglien bieten die Falle von Bbucknee, 
BouBNETHiLE und Beissadd auch sonst im histologischen Detail weitere Ana¬ 
logies 

In dam Falle von Poliak 3 tritt wieder mehr die Aehnlichkeit im makro- 
skopischen Befund hervor; dieser Autor sagt von den ergriffenen Windungen, 
dass sie „das Aussehen gewannen, als ob ein variotoser Prozess in seinen ver- 
schiedenen Stadien der Efflorescenz bis zur Narbenbildung sich daran vollzogen 
hatte". In der That ist der herangezogene Yergleicb ein sehr guter und passt 
auch vortrefflich fur Pozzi’s und den vorliegenden Fall von disseminirter, gra- 


** 


1 Archiv fur Psychiatrie. XI. S. 117. 

* Ibid. XH. S. 550. 

* Ibid. XII. S. 157. 


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nuloser Stlerose der Himrinde. Die atrophischen Formen von Sklerose, wie sie 
bei senilen Dementen und Paralytikem yorkommen, steht die vorliegende Affec¬ 
tion femer; handelt es sich bei ihr docb run disseminirt zwischen ganz normalen 
Rindenpartien auftretende, kleine sklerotische Herde, wahrend bekanntlich bei 
jenen mehr diffuse, gewohnlich eine Reihe von Windungen mehr gleichmassig 
befallende Prozesse vorliegen; auch die histologischen Befunde zeigen dabei er- 
hebliche Differenzen von dem oben gekennzeichneten. 

Es kann sich noch fragen, ob man es im vorliegenden Falle, ahnlich wie 
bei der tuberosen Sklerose, vielleicht mit einer ursprunglich congenitalen Affec¬ 
tion zu thun habe, welche wahrend des Lebens ihren Stillstand erreicht oder 
sich nur in massigen Grenzen weiter entwickelt habe. Dagegen spricht nur zu- 
nachst der anatomische Befund, indem sich unzweifelhafte Stellen von verhalt- 
nissmassig frischer Erkrankung mit reichlicher Gewebswucherung und einer 
grossen Anzahl Rundzellen vorfanden, da ferner auch die betreffenden Windungen 
im Uebrigen gut ausgebildet erschienen und sich sonst keine Anomalien vor¬ 
fanden, welche auf ein Zuruckbleiben des Centralorgans in der Entwickelung 
hindeuteten, wie man sie z. B. bei der tuberdsen Sklerose fast ohne Ausnahme 
beobachtete. 

Noch mehr als der anatomische Befund spricht der klinische Verlauf des 
ganzen Falles gegen eine congenitale Affection. Wenn die Anamnese auch 
sparlich ausfiel, so erfuhr man doch, dass die betreffende Frau weder als Kind, 
noch als Erwachsene erhebliche Intelligenzschwache gezeigt habe, was doch wohl 
bei einer derartigen angeborenen Anomalie recht auffallend ware. Femer hat 
sie auch sonst keinerlei Symptome einer Affection des Centralorganes dargeboten 
— bis in den letzten Jahren, wo „Anfalle“ auftraten mit Bewusstlosigkeit, ver- 
muthlich Petit-mal-Anfalle; auch in dem Falle von Pozzi hat der betreffende 
Patient in seinen letzten Lebensjahren an reichlichen epileptischen Anfallen ge- 
litten. Wahrscheinlich wird auch in dem vorliegenden Falle eine Intelligenz¬ 
schwache bestanden haben, die eben der darauf nicht achtenden Umgebung 
entgangen sein mag. Es.darf wohl als ziemlich sicher hingestellt werden, dass 
sich bei Fortdauer des Lebens und Weiterentwickelung der Rindenerkranknng 
schliesslich deutlichere Zeichen einer Beeintrachtigung des Centralorganes, spe- 
ciell Intelligenzschwache und Zunahme der Anfalle gezeigt hatten. Die Ent¬ 
wickelung des Prozesses geht wahrscheinlich auf die letzten Jahre zuruck und 
man kann sich wohl vorstellen, dass durch die vorliegende Rindenaffection ein 
gunstiger Boden fur die Entwickelung einer Psychose geschaffen wurde. 

Q. Referate. 

Anatomie. 

1) Die Eleinhirnrinde von Ch. Beevor. (Arch. f. Anatomie u. Physiologie. 1883. 

Phys. Abth. S. 363.) 

Der Yerf. hat zum Studium des Kleinhims — besonders vom Hunde — eine 
Anzahl neuerer Untersuchungsmittel: Sanrefuchsin, Nigrosin u. A. angewendet. 


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Er bestatigt zunachst den Zusammenhang von je einer Purkinje’schen Zelle 
mit einer markhaltigen Faser, welche die KOrnerschicht durchsetzend in den Markstrahl 
zieht: nnverzweigte Fasern. — Ausser diesen giebt es in der KOrnerschicht einen 
Plems von feineren markhaltigen Nervenfasern, der sich in die moleculare Schicht 
hinein fortsetzt: verzweigte Fasern. 

Yon den KOmern der KOrnerschicht unterscheidet B. wie Denissenko zwei Arten. 
Die sog. Eosin-Zellen (bipolare Ganglienzellen?) scheinen ihm mit markhaltigen Nerven- 
fasem zusammenzuhangen. Die Hamatoxylin-Zellen sind Gliazellen, welche durch 
feine Auslaufer ein dem reticulirten Bindegewebe ahnliches Netz bilden; sie hangen 
mit dem Gliazellennetz der weissen Substanz direct zusammen. — An der Grenze der 
KOrnerschicht und molecularen Schicht bilden Gliazellen eine besondere Lage (limitans 
interna), von welcher aus Stfitzfasern senkrecht zur Oberflache verlaufen, die bekannten 
Bergmann’schen. 

In der „molecularen“ Schicht bildet gleichfalls ein Glianetz die Grundlage, aber 
mit nur wenigen persistirenden Zellen, denn die meisten sind mit ihrem Protoplasma 
bei der Bildnng des Glianetzes in dieses aufgegangen. — Purkinje’sche Zellen und 
ihre grossen veiistelten Fortsatze werden von einer aus Gliazellen und Glianetz ge- 
bildeten Scheide umfassi 

Ftlr den Zusammenhang des eigentlich nervOsen Systems stellt B. nun folgendes 
Schema auf (von dem er allerdings selbst sagt, dass es auch anders sein kOnne): Aus 
dem Markstrahl geht eine unverzweigte Nervenfaser zu einer Purkinje’schen Zelle, 
deren verastelte Fortsatze sich in der molecularen Schicht zerstreuen — in der einen 
von Ob erst einer nachgewiesenen Verastelungsebene —; ihre letzten Enden biegen 
sich um 90° um, verlaufen so der Oberflache parallel und sammeln sich zu Fasern, 
die sich mit Mark umgeben und einen Nervenplexus bilden, welcher in die KOrner- 
schicht und durch diese hindurch (verzweigte Fasern derselben) zum Markstrahl gelangt. 

(Leider hat B. den Uebergang der Zellenfortsatz-Enden in Nervenfasern und die 
Umbiegung um 90° nicht gesehen, sondem nur vermuthet Dass B. die vom Re- 
ferenten gesehene Umbiegung der feinsten Enden der Zellenfortsatze um 180° und 
ihr Rflcklaufen zur KOrnerschicht nicht zu Gesicht bekommen hat, liegt wahrscheinlich 
an den eingreifenden Erhartungsmethoden, die er anwendete.) 

Ueber seine Auffassung des Glianetzes, das er als Analogon der Markscheide fur 
die Enden der Ganglienzellenforts&tze ansieht, stellt B. eine besondere Abhandlung 
in Aussicht. Hadlich. 


Experimentelle Physiologie. 

2) Ueber das Knieph&nomen in Beziehung zur Hautsensibilit&t der Fatellar- 
gegend von Jaroschewsky. (Wratsch. 1884. Nr. 3. Russisch.) 

Verf. untersuchte 300 Rekruten (im Alter von 21 Jahren) einerseits auf das 
Verhalten der Patellarsehnenreflexe, andererseits auf die Scharfe des Tastgefflhls in 
der Patellargegend. Zu ersterem Zweck notirte er das Yorhandensein oder Fehlen, 
sowie die Hefidgkeit des Kniephanomens; zu letzterem — den minimalen Abstand der 
Spitzen eines Weber’schen Tastzirkels, bei welchem noch beide Spitzen deutlich 
empfunden wurden. Bei 2,14°/ 0 der untersuchten Subjecte, bei welcheu das Knie- 
ph^nomen beiderseits fehlte, betnig der Spitzenabstand 2,5—4 cm, bei 75 % ^ 
Sehnenreflexen von mittlerer Starke 1—2,5 cm; bei 10°/ 0 mit schwachen Reflexen 
1,5—3,5 cm; bei 9,3°/ 0 mit stark ausgedrflcktem Kniephanomen 0,5—2 cm. Diese 
Zahlen veranlassen Yerf. zu der Behauptung, dass die Starke des Kniephanomens von 
dem Zustand der Hautsensibiliat, also von der Reizbarkeit der in der Haut der 
Patellargegend enthaltenen centripetalen Nerven beeinflusst wird. Hierdurch erklart 
er die Seltenheit des Fehlens des Kniephanomens im frfihen Kindesalter (nach 


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Pelizaeus* Angabe nur in 0,25°/ 0 ), und die Zunahme dieser Erscheinung im Greisen- 
alter (nach M6bius in 15°/ 0 ), wo die Hautsensibilitat gewfihnlich abgestumpft wird. 

In einigen der untersuchten Falle war das Kniephanomen nnr an einer Seite 
vorhanden, wahrend es an der anderen vollstandig fehlte; in anderen war es an einer 
Seite bedeutend starker ausgepragt, als an der anderen. Hier fanden sicb gewohnlich 
entsprechende Differenzen in der Scharfe des Tastgeffihls an beiden Seiten. So betrug 
in einem Fall der minimale Abstand der Zirkelspitzen am rechten Bein, wo das Knie- 
phanomen kraftig war, 1,5 cm, wahrend er sich am linken, an dem sich nur ein 
sehr schwacher Patellarsehnenreflex hervorrufen liess, auf 2,5 cm belief; genauere 
Untersuchung constatirte in der linken Patellargegend Narbenbildung nach Brand- 
wunden. Da eine Herabsetznng der Hautsensibilitat der Patellargegend durch ver- 
schiedene Bedingungen herbeigefuhrt werden kann, so bestreitet Verf. die Bedeutung 
des Fehlens der Sehnenreflexe als ausschliessliches Symptom einer Erkrankung der 
hinteren Rfickenmarksstrange. P. RosenbaclL 


3) Experiment© lie Untersuchung der unter dem Namen „SehnenphAnomene M 
bekannten Erseheinnngen vonTh. Rosenheim. (Inaug.-Diss. Berlin 1884.) 

R. sucht die seit langer Zeit streitige Frage der Entstehnng der Sehnen- 
phanomene — reflectorisch oder nicht — auf experimentellem Wege, und zwar mittelst 
exacter Latenzbestimmungen zu entscheiden. Der zu gleichem Zwecke von 
Eulenburg und Gowers angewandten Methode (Luftkapseln) macht R. den Vorwurf, 
dass dabei die zur Fortleitung des Druckes im Luftrohr erforderliche Zeit nnberfick- 
sichtigt geblieben sei — ein Yorwurf, der, so weit er sich auf die Versuche des Ref. 
bezieht, unbegrfindet ist (vgl. meine ausdrfickliche Angabe fiber diesen Punkt, Zeit- 
schrift f. klin. Med. Bd. IV, Heft 1 und 2; die zur Fortpflanzung des Luftdruck3 
erforderliche Zeitlange berechnet sich dort = 0,003 Secunde). R. bediente sich daher 
der elektrischen Uebertragungsmethode; ein an der Patellarsehne befestigtes Knpfer- 
oder Stanniolplattchen ffihrte durch Leitungsdraht zu einera Daniel 1-Element©, das 
mit einem elektromagnetischen Markirer leitend verbunden war; von diesem ging ein 
Draht zu dem metallischen Kopfstfick eines ffir diesen Zweck construirten Percussions- 
hammers. Sobald letzterer das Stanniol berfihrte, wurde der Strom geschlossen und 
der Schreibhebel des Markirers angezogen. Der Zeitpunkt der beginnenden Muskel- 
contraction wurde mittelst einer geeigneten Vorrichtung auf elektromagnetischem Wege 
ebenfalls markirt; die Spitzen beider Markirer zeichneten vertical fiber einander auf 
der Trommel des Kymographen, bei grosster Rotationsgeschwindigkeit derselben (1 Meter 
Cylindermantel in 13 Secunden). — Bei einem so untersuchten gesunden Knaben 
betrug der Betrag gewohnlich 0,035—0,04 Secunden — zeitweise aber auch. 0,05; 
einmal selbst 0,10! seltener unter 0,035 (0,03, resp. 0,025). Aehnliche Schwan- 
kungen zeigten sich auch bei 3 anderen Versuchspersonen; unter pathologischen Ver- 
haltnissen Sinken bis zu 0,025 (Hemiplegie mit massigen Contracturen). — Die Dauer 
der Latenz wird nach R. beeinflusst durch die Starke des Schlages und die Lag© des 
getroffenen Punktes der Sehne; vielleicht auch durch vorfibergehende Einflfisse von 
Seiten des untersuchten Individuums, z. B. Aufregung, Bewegungen und durch patho- 
logische Verh&ltnisse. 

Um den Einfluss der Starke des Schlages etc. genauer zu eruiren, wurde ein 
Schlagapparat construirt, bei welchem die Starke des Schlages durch Anwendung von 
Fedem verschiedener Starke beliebig abgestuft werden konnte; ausserdem wurde dabei 
auch immer nur eine bestimmte circumscripte Stelle der Sehne von dem herabfallenden 
kugelffirmigen Ende des Hebelarmes getroffen. Es zeigte sich dabei, dass die Reiz- 
fibertragung nach dem Muskel zu nicht von alien Theilen der Sehne gleich exact 
stattfand; an den wenigen empfindlichen Stellen war nicht nur das Phanomen schwficher, 
sondern auch die Latenz grosser. Bei Wahl der vorzugsweise empfindlichen Stellen 


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war die Latenzdauer umgekehrt proportional der Starke des Schlages 
(wenn die fibrigen Bedingungon gleich waren). Bei wiederholter Priifung an derselben 
Stelle machte sich ein allmahliches Steigen der Latenz bemerklich propor¬ 
tional der Anzahl der Einzelschlage. Es wurde also offenbar durch die Daner 
des Versnches die Empf&nglichkeit der getroffenen Stelle berabgesetzt. — Bei der 
grossen Breite der an demselben Individunm vorkommenden Schwankangen der Latenz- 
daner liege es nahe, dass dieselbe unter verschiedenen pathologischen Verbaltnissen 
nicbt8 wesentlich Cbarakteristiscbes zeigt. Nie sab K. die Latenz des ecbten Knie- 
phanomens unter 0,025 Secunden sinken; diese Zeitdaner ist aber mit einer 
reflectoriscben Entstebung des Pbanomens nocb wobl vereinbar. 

Beim Kanincben fand E. in der Regel einen Betrag von 0,03—0,035 (selten 
bis 0,02 abw&rts; 0,05—0,06 aufwarts). — 

Scbliesslicb bericbtet B. fiber einen Fall, in welcbem das Kniepbanomen mittelst 
magnetelektriscber Strdme eines Saxton-Stohrer’schen Eotationsapparates producirt 
warden konnte; dasselbe ist bier als Summationserscbeinung der auf einmal 
folgenden Einzelreize (Schlage) bei Drebung des Apparats zu betracbten. Volta- 
elektrische, primare und secundare Indnctionsstrome batten keine ahnliche Wirkung. 

A. Eulenburg. 


Pathologisohe Anatomie. 

4) Chorea and its possible cause by Max Bicbter, San Francisco. (Tbe Western 
Lancet, a journal of medicine and surgery. Vol. XU. Nr. 12. p. 529.) 

E. tbeilt einen Fall von v6llig entwickelter Cborea bei einer 25jahrigen Patientin 
mit, die das Leiden seit ibrem 15. Jabre batte, alle tiblichen Mittel erfolglos braucbte 
und durcb zunebmende EmahrungsstGrung sehr heruntergekommen war; die in diesem 
Zustande vorgenommene Untersucbung des Blutes ergab eine „fast schwarze" Farbe 
desselben; Verlust der Neigung zur Adbarenz der rothen Blutk6rperchen, Gestalt- 
veranderungen derselben (Stecbapfelform), Vermebrung der weissen Blutzellen; reicb- 
liche Pigmentkomcben und einige EiterkOrachen nebst sebr zablreicben Mikrokokken. 
— Der Tod erfolgte; die von Ferrer und Dupuy mit „ausserster Sorgfalt" vor¬ 
genommene Section ergab angeblicb nicbt die geringste (makroskopiscbe) Veranderung 
der Nervencentra. — R. sucbt diesen Fall als Beweis dafQr zu verwertben, dass 
Cborea obne jede antomische Lasion im Nervensystem vorkommen konne, und betont 
die Wicbtigkeit einer mikroskopiscben Blutuntersucbung bei Cboreatiscben. 

A. Eulenburg. 


Pathologie des Nervensystems. 

6) Om den epileptoide sinnes jukdomen af Ernst Hjertstrom. (Nord. med. 

Arkiv. 1883. XV. 2. Nr. 10. S. 1—48.) 

Die epileptoide Geisteskrankbeit (das psycbiscb-epileptiscbe Aequivalent) definirt 
Verf. als acute, recidivirende oder durcb Recidive protrabirte Form von Geistesstflrung, 
mit epileptiscbem Cbarakter, aber obne die Convulsionen, und die desbalb, kliniscb auf- 
gefasst, als vicarirend f&r den epileptiscben Anfall oder wenigstens fbr die convulsive 
Phase desselben betracbtet werden muss. Von den 8 zum Theil sebr ausfthrlich 
mitgetbeilten und die typischen Symptome zeigenden Fallen bat Verf. 5 zum Theil 
oder ganz selbst beobacbtet, die bbrigen sind ibm zur Verdffentlichung ftberlassen 
worden. — Als Ursache der psycbiscben Krankheitserscbeinungen nimmt Verf., wie 
es f&r die Bewusstlosigkeit beim epileptiscben Anfalle wabrscbeinlicb ist, einen Gef&ss- 
krampf an, der zwar nicbt dieselbe Intensitat erreicbe, wie beim epileptischen Anfalle, 
aber docb binreicbend sei, um durcb Gefasscontraction Rindendyspnoe zu erzeugen. 


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Nach Verf.’s Annahme wird nun das regellose Spiel der subcorticalen Centra, welches, 
unbehindert von der im normalen Zustande vorhandenen hemmenden Wirkung der 
corticalen Centra, je nach den verschiedenen in Thatigkeit gesetzten Sinnesnervenkemen 
yerschiedene sensorielle Phanomene hervorbringt, zu der dypnoischen Rinde fortgeleitet 
und nimmt hier die Form von Hallucinationen an. Dies erscheint nach Verf. nicht 
weniger erklarlich, wie die Thatsache, dass bei der gewOhnlichen Melancholic alle 
Eindrficke aus der Aussenwelt ohne Ausnahme eine fCLr den Kranken unangenehme 
Beschaffenheit annehmen. Verf. ist geneigt, zu glauben, dass die Hallucinationen nur 
zu Anfang des Anfalls vorkommen Oder vielmehr appercipirt werden, so lange der 
Gefasskrampf noch keinen hOheren Grad erreicht hat, und dann wieder, wenn der 
Gefasskrampf abnimmt, weil ein gewisses Maximum der Gefasscontraction in den 
Grosshirnhemispharen oder der Reizung des vasomotorischen Centrums die Mdglichkeit 
der Apperception, das Bewusstsein des Geschehenden, vemichtet, wie dies bei dem 
convulsiven Anfalle geschieht. Zweifellos findet ein gleiches Verhalten wahrend des 
Anfalles auch bei der epileptoiden GeistesstCrung statt, was daraus hervorgeht, dass 
nach schweren Anfallen die Kranken fbrmliche Lucken im Bewusstein angeben. 
Manchmal kann indessen das Apperceptionsvermftgen nur berabgesetzt und das Be* 
wusstsein nur getrfibt sein und eine dunkle Erinnerung besteht nach dem Anfalle. 
Bei solchen Kranken ist oft ein Angstgeffthl die aberwiegende Empfindung, die alle 
andem Yorstellungen absorbirt; dieses Angstgeffihl ist h&chst wahrscheinlich das 
Resultat der durch den Gefasskrampf bedingten CirculationsstOrung in der Hirnrinde, 
durch welche die normale Molecularthatigkeit der Himzellen herabgesetzt wird, der 
Rindendyspnoe, zu betrachten. Die Uebereinstimmung der Symptome in jedem einzelnen 
Anfalle bei demselben Individuum entspricht ebenfalls der Annahme eines Gefass- 
krampfs als Ursache; die Reizung, welche diese Phanomene hervorruft, muss bei 
derselben Reizbarkeit im Angriffspunkte und bei denselben Reizungsbahnen auch jedes- 
mal im Einzelnen denselben Effect haben. Die Abwechselung zwischen GeistesstCrung 
und epileptischen Convulsionen lasst sich nach Nothnagel’s Hypothese von der 
coordinirten, aber unabhangigen Stellung des vasomotorischen und des Krampfcentrums 
einander gegentlber erklaren, wenn man annimmt, dass die Reizschwelle des Krampf¬ 
centrums niedriger liegt als die des vasomotorischen Centrums. 

Walter Berger. 


6) Epilepsie partielle par Planat. (Annal. mdd.-psychol. 1884. Janv. p. 59.) 

Ein 50jahr. scrophuloser und unter erblicher Belastung zur Epilepsie stehender 
Mann war gezwungen, die gewohnte Beschaftigung zu wechseln, was Kummer und 
geistige Ueberanstrengung mit sich brachte; dabei litt er an chronischen, zu Ent- 
zflndungen und Geschwursbildung neigenden Yaricositaten der unteren Extremit&ten. 
Gelegentlich einer erneuten Entzffndung der Yaricen empfand er heftigen Kopfschmerz 
und ein wffstes Gerausch, wie von einer rasch fahrenden Locomotive im Kopf, denen 
sofort epileptische Zuckungen erst im linken Arm, dann im linken Bein folgten; 
Dauer der Anfalle war 2—3 Minuten. Kein Yerlust des Bewusstseins. TagsHber 
traten die Anfalle 4—5mal auf, urn schliesslich seltener zu werden und um nach 
12 Tagen zu verschwinden. Erst nach Jahren wiederholten sich die Anfalle in mil- 
derer Weise. Planat halt die Sprung far partielle Epilepsie, hebt aber das Eigen- 
thamliche hervor, dass eine corticale Lasion, auf welche die partielle Epilepsie be- 
zogen werden muss, Jahre lang ohne Erscheinungen bleiben kann, um dann wieder 
plotzlich hervorzutreten. Auffallig ist femer das Fehlen schmerzhafter Sensationen, 
motorischer und sensorieller Stdrungen und die Abwesenheit von Schwindelanf&llen. 

John. 


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7) Bin seltener Fall von Epilepsie (Epilepsia rotatoria) von Dr. Schreiber 
in Budapest. (Wien, medic. Blatter. 1883. Nr. 40. 41. 42.) 

Aus der mit grosser Ausfiihrlichkeit behandelten Krankengeschichte einer 46jah- 
rigen Frau, die, ohne hereditar belastet zu sein, in ihrem 34. Lebensjahre und zwar 
im Verlaufe ihrer neunten Scbwangerschaft zum ersten Male einen epileptischen 
Scbwindel bekam, dem im Yerlaufe der nachsten Schwangerscbaften bald scbwerere 
Anfalle folgten, bis sicb vor 7 Jabren etwa das klassische Bild der Epilepsie ent- 
wickelte, 1st besonders das eine Symptom der „Drebbewegung“ bervorzubeben, welches 
den Yerf. veranlasst bat, dem Krankheitsbilde den neuen Namen: „Epilepsia rotatoria" 
beizulegen. 

Sowobl die leicbteren, als die scbwereren Anfalle werden n&mlich, ohne dass eine 
Aura vorausgegangen, durcb Drebbewegungen eingeleitet, welcbe zuerst den Eopf, 
dann den Rumpf, zuletzt die unteren Extremitaten ergreifen, sodass scbliesslicb der 
ganze KSrper um seine Langsaxse und zwar von recbts nach links gedreht war. 

Trifffc ein leicbter Anfall die Eranke im Steben oder Geben, so f&brt sie die 
Drehungen aus ohne umzufallen; nachdem die Bewegung zu Ende, steht die Eranke 
plCtzlicb still, ohne zu taumeln. Eommt ein Anfall im Sitzen, so wird sie zuerst 
von ibrem Sitze in die stehende Lage aufgerissen, und f&ngt dann erst an, sicb um 
ihre senkrecbte Axe zu drehen. — Im Liegen tritt „Rollbewegung" ein. — Bei 
schwereren Anfallen erliscbt das Bewusstsein und es treten noch w&hrend der 
Dauer der Drehungen allgemeine clonische, zuletzt tonische Erampfe auf, die scbliesslicb 
mit einem Coma endigen. Durcb Behandlung mit Bromkali wird eine Yerminderung 
der Intensitat und der Frequenz der Anfalle erzielt. 

Bemerkenswerth ist nocb, dass die Eranke, sobald ihr der Drebscbwindel recht- 
zeitig zum Bewusstsein kommt, im Stande ist, durch tiefe Atbemzbge einen Anfall 
zu coupiren, dass ferner, so oft die Pat. ihre Heimatb verlassen, die Epilepsie wahrend 
der ganzen Dauer der Abwesenbeit von Haus, die Anfalle ausgeblieben sein sollen. 
Die Eranke leidet an einer Hemianaestbesia dextra, einer leicbten Lahmung 
des recbten Facialis und einer motoriscben Schwache der linken oberen 
Extremitat (!?); ihre geistigen Fahigkeiten haben trotz der nunmehr 12 Jahre 
bestehenden Epilepsie nicbt gelitten; sonstige cerebrale oder andere somat. Symptome 
sind nicbt verzeicbnet. 

Der Yerf. vergleicht den bescbriebenen Fall mit denen Berger’s und Semola’s, 
welcbe aucb bei Epilepsie einige Male Rotationsbewegungen geseben haben. Er glaubt, 
dass es sich im vorliegenden Falle um eine sog. „unregelmassige Form" (Nothnagel) 
der echten Epilepsie (corticaler Tumor? D. Ref.), nicht um eine Hystero-Epilepsie 
handle. Er bait es far mdglich, dass sich wahrend der Schwangerschaftsperioden 
ausgebreitetere Osteopbytenbildungen an der Innenfl&che der Schadelkapsel entwickelt 
und sich moglicher Weise im Rayon des verlangerten Markes massenhafter angebauft 
haben, die von dort aus „Drehbewegungen" und auf reflect. Wege aucb epileptische 
Anfalle auslOsten.. Laquer. 


8) Ein Fall von acuter aufsteigender Paralyse von Dr. J. Hoffmann. Aus 
der medicinischen Elinik zu Heidelberg.^ (Arch, fflr Psychiatrie etc. Bd. XV. 
H. 1. 1884.) 

Yerf. berichtet folgenden, nocb zu Lebzeiten Friedreich’s auf dessen Elinik 
beobachteten Fall. 

Eine 36jabrige Frau empfand nach 8tagigen geringffigigen Prodromen und nach¬ 
dem sie 2 Tage angestrengt gearbeitet batte, am 17. Juli ungewdbnliche Mfldigkeit 
in den Beinen, in der Nacht vom 17—18 „Wimmeln" in den Oberschenkeln; vom 
19. musste sie zu Bett bleiben, da ihr das Geben unmOglicb geworden, zugleicb stellte 


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sich auch Schwache in den Armen ein. Am 21. brach sie beim Versuch aufzustehen, 
vor dem Bett zusammen, am 25. del ibr das Kauen scbwer, die Stimme nahm an 
Deatlichkeit ab, am 29. kamen Deglntitionsbeschwerden hinzu, gleichzeitig mangel- 
haftes Heben des oberen Lides und Thranen des rechten Auges; drtickender Schmerz 
in der Schlafengegend. 

Am 1. August bei der Aufnahme bestand hocbgradige Labmung der unteren, 
Parese der oberen Extremitaten bei vollkommen scblaffer, nicht atropbischer Musculatur. 
Keine Anomalie der Sensibilitat in ibren verscbiedenen Qualitaten. Plantarreflexe 
erbalten, Patellarreflexe erloscben. Doppelseitige complete Facialislahmung und 
Labmung der Kiefermuskeln. Erhebliche Deglntitionsbeschwerden, Unmoglicbkeit, 
feste Bissen zu scblucken. Reicblicbes Ausfliessen von Speicbel. Bewegungen der 
Zunge nicht ganz frei, Articulation unrein, Bewegungen des Gaumensegels gut. Keine 
Aphonie. Leicbte Beeintrachtigung der Function des rechten M. levator palpebrae 
superioris, sonst alle Augenbewegungen frei. Trigeminus, Geruch, Gescbmack, Pupillen, 
Sebvermogen, Geb6r normal; recbts etwas Ohrensausen. Respiration, Urinexcretion 
bis dabin in Ordnung. Kein Fieber. Puls 82. 

Am 2. August batten sicb die Deglntitionsbeschwerden erheblich gesteigert, es 
musste wegen Retentio urinae catbeterisirt werden, die den Kopf fixirendeu Muskeln 
waren paretiscb. Nacbmittags trat Dyspnoe, Zwerchfelllahmung unter Steigerung der 
Korpertemperatur ein. Die elektrische Untersuchung ergab ftir den faradiscben 
Strom an oberen und unteren Extremitaten, dem linken Facialis normale Reaction, 
dagegen eine Beeintrachtigung, Herabsetzung im rechten Facialisgebiet. Gegen den 
galvanischen Strom normales Verhalten. Am folgenden Morgen erfolgte unter Steigerung 
der Dyspnoe der Tod asphyktisch. 

Bei der Section zeigten sich scbon makroskopiscb graue Flecke in den 
Hinter- und Seitenstrangen des Ruckenmarks. Bei der mikroskopischen 
Untersuchung (Schultze) fand sicb sowohl im Bereicb der Medulla oblongata 
als des Rbckenmarks eine ausgesprochene Infiltration der Gefasswande 
der Pia und Arachnoidea, auch einzelner Gefasse der Nervensubstanz selbst, mit 
grosskdmigen Zellen. Ausserdem in den Corp. restiformia, den Pyramiden vereinzelte 
colossal gequollene Axencylinder, zum Theil mit Vacuolen. Im Rhcken- 
mark, und zwar im Hals- und Dorsaltbeil, besonders in den Seitenstrangen, 
sowohl in der Peripherie als central gelegen, kleine Gruppen und vereinzelte ge¬ 
quollene Axencylinder. Auch in den Vorderstrangen und den intramedullaren vorderen 
Wurzeln iiberall einzelne enorm gequollene Axencylinder; die hinteren Wurzeln frei. 
Die Bindegewebszfige nur massig aufgequollen. Die Ganglienzellen zum grdssten 
Theil eigenthftmlich glanzend und aufgedunsen, mit undeutlicbem Kern; keine Vacuolen. 
Kleinere Hamorrbagien in der Medulla oblongata, an zahlreichen Stellen der grauen 
Substanz des Hals- und Brusttbeils zerstreut. In der Lendenanscbwellung auch 
mikroskopiscb nicbts Abnormes. Einzelne Muskeln (Crurales, Zygomatici) boten bei 
der Untersuchung keine Veranderung. Ebenso wenig Nv. crurales und der Facialis 
sinistr. in einzelnen Fasern des rechten Facialis partiell dunkle Farbung des Markes. 
An den grossen Unterleibsdrusen nur Hyperamie, keine parenchymatose Trubung. 
Die Untersuchung des Blutes fiel negativ aus. 

Es handelte sich also urn eine Myelomeningitis und Bulbomeningitis, 
die zwar nicht sehr ausgebreitete und intensive aber doch deutliche Veranderungen 
gesetzt hatte. Aus dem klinischen Verlauf geht hervor, dass der Fall ein iypisches 
Beispiel der acuten aufsteigenden Paralyse Landry’s darstellt und er reiht 
sich der nunmehr nicht unbetrachtlichen Zahl von Beobachtungen dieser Krankheitsform 
mit positivem anatomischen Befund, speciell den Fallen von Leyden — von 
den Velden und Schulz — Schultze an. Eisenlohr. 


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135 


9) De la mydlite aigud oentrale survenant ohes les syphilitiques A une 
dpoque rapprochee du debut de P affection par le Dr. Dejerine. 
Travail du laboratoire du professeur V u 1 p i a n. (Revue de mddecine. 
1884. Janvier, p. 60.) 

Erste Beobacbtung: 51jahriger Mann. September 1878 indurirter Scbanker, 
mehrere Monate lang mit Quecksilber bebandelt. Keine Secundarerscheinungen. Im 
Februar 1879 leichte, bald vorUbergehende Harnbeschwerden und Schwachezustande 
in den Beinen. Im October 1879 nach einer Erkaltung rascher Eintritt von Schmerzen 
in den Beinen und Lahmung derselben. Bald vollstandige motoriscbe Paraplegic und 
totale Anasthesie, Incontinentia urinae, spater Retentio. Hautreflexe erloschen. 
Decubitus am Kreuzbein und an den Hacken. Gangranbildung an der vorderen Bauch- 
baut, im Anschluss an die Application eines Cataplasma entstanden. Tod am 
21. November 1879 an Respirationslahmung. — Section (und genaue mikroskopische 
Untersuchung): diffuse acute Myelitis, welche das ganze Dorsalmark und einen grossen 
Tbeil des Lumbalmarks einnimmt, im mittleren Dorsalmark ihre grOsste Intensitat 
zeigt. Beginnende secundare Degenerationen. Starke Veranderungen der vorderen 
Wurzeln und der Hautnerven, welche zu dem brandig gewordenen Bezirk der vorderen 
Bauchwand gehoren. Hintere Wurzeln normal. Die Gefasse im myelitischen Herd 
sehr stark erweitert, ihre Wande verdickt und mit „embryonalen Elementen“ infiltrirt. 

Zweite Beobachtung: 38jahriger Mann. Friihjahr 1880 Initialskleroso mit 
darauf folgendem Exanthem und Schleimhautaffection. Heilung dieser Symptome ohne 
specifische Behandlung. Am 8. Mai 1881 plOtzlich Schmerzen langs der Wirbelsaule, 
am 15. Mai rasch eintretende Lahmung der unteren Extremitaten. Vollstandige 
motorische und sensible Paraplegic, aufgehobene Reflexe, Blasen- und Rectumlahmung. 
Am 21. Mai beginnender Decubitus, mangelhafte Respiration. Am 23. Mai Tod. 
— Die Section (ebenfalls genaue mikroskopische Untersuchung des Rtickenmarks) 
ergab eine acute Myelitis in der Lendenanschwellung, vorzugsweise in der grauen 
Substanz derselben. Nach oben hin nehmen die Yeranderungen allmahlich ab, ob- 
gleich selbst noch im Cervicalmark leichte Andeutungen der Entzundung vorhanden 
sind. Gefassveranderungen im Lendenmark wie im ersten Falle. 

Verf. macht speciell darauf aufmerksam, dass weder der klinische Yerlauf der 
Falle, noch auch der anatomische Befund irgend etwas fur die Syphilis speciell 
Cbarakteristisches darbietet. Der Zusammenhang der Spinal - Erkrankung mit der 
Syphilis kann einstweilen, so lange wir das syphilitische Virus nicht kennen und 
nicht direct nachweisen konnen, nur aus der Anamnese erschlossen werden. Eine 
specifische antiluetische Behandlung wnrde in keinem der Falle versucht. 

StriimpelL 


10) De quelques accidents spinaux determines par la presence dans la 
modlle d’un ancien foyer et myeiite infantile par G. Ballet et 
A. Dutil. (Revue de mddecine. 1884. Janvier, p. 18.) 

Die Verff. machen darauf aufmerksam, dass ein alter poliomyelitischer Herd im 
Ruckenmarke nicht in alien Fallen als ein vollstandig abgelaufener, far weitere 
Folgeerscheinungen bedeutungsloser Process zu betrachten sei. Die Erfahrung scheint 
vielmehr darauf hinzuweisen, dass Individuen, welche eine alte spinale Kinderlahmung 
haben, in der Folgezeit zu neuen Erkrankungen des Ruckenmarks mehr disponirt 
sind, als vollkommen gesunde Personen. Nach einigen eigenen und nach den aus 
der Literatur gesammelten Fallen erwahnen die Yerff. folgende vier Erkrankungen, 
welche bei Personen mit einer alten, aus ihrer Kindheit stammenden Poliomyelitis, 
spater auftreten kOnnen. 

1) Pl5tzlich kommende, aber rasch (nach einigen Tagen) wieder vorubergehende 
Paresen und Lahmungen in den Beinen. 


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136 


2) Eine neue acute Poliomyelitis (,,Poliomyelitis acuta der Erwachsenen“)- 

3) Eine subacute Spinallahmung in der Form der bekannten „paralysie generate 
spinale anterieure subaigue“ (subacute, meist aufsteigende Poliomyelitis). 

4) Eine progressive Muskelatrophie d. h. eine durchaus chronisch verlaufende 
Poliomyelitis. 

Alle diese Folgezustande beziehen sich, was sehr bemerkenswerth erscbeint, auf 
dasselbe anatomische Gebiet (die grauen Vordersaulen), welches schon bei der spinalen 
Kinderlahmung selbst der Hauptsitz der Erkrankung war. Ueber den naheren Zu- 
sammenhang der frfiheren mit der neuen Erkrankung sprechen sich die Verff. nur 
vorsichtig aus. Bei den Personen mit alter Kinderlahmung sei das Rfickenmark 
gewissermaassen ein „locus minoris resistentiae", die Kranken waxen „meduUaires“ 
(nach Analogic der „cdr6braux“. Dem Ref. scheint in Hinsicht auf die immer wahr- 
scheinlicher werdende infectifise Natur der acuten Poliomyelitis die Vermuthung 
naheliegend, ob nicht die sp&teren Erkrankungen als echte Recidive aufzufassen sind, 
etwa ebenso, wie von einem alten tuberculOsen Herde aus mit einem Mai eine neue 
tubercul6se Erkrankung sich entwickeln kann. Auch die Verff. scheinen Aehnliches 
im Sinne gehabt zu haben, wenn sie sagen: „il semble, que l’incendie ne se soit 
eteint qu’en apparence; le feu couve sous la cendre.“) Strfimpell. 


11) On posterior spinal sclerosis, consecutive to disease of bloodvessels 

by Thomas Buzzard. Microscopical examination of the cord by M. Bevan 
Lewis. (Brain. 1884. January, p. 461—486.) 

Ein 39jahriger Stubenmaler, welcher niemals Bleivergiftungserscheinungen gezeigt 
hatte und nicht syphilitisch war, litt nach Erkaltung seit 22 Monaten an Unsicher- 
heit und Taubheit der Beine, seit 18 Monaten an durchschiessenden Schmerzen, seit 
2 Monaten an Doppelsehen und spater Blindheit des linken Auges. Es bestand Un- 
fahigkeit zu gehen und zu stehen, Ataxie, Verlust des Kniephanomens, Stfirung der 
Berfihrungsempfindung, Verlangsamung der Schmerzempfindung in den Unterextremi- 
taten, Verlangsamung der Plantarreflexe, ophthalmoskopisch vorgeschrittene Opticus- 
atrophie links, reflectorische Pupillenstarre. Nach 6 Monaten trat nach Zunahme 
der Schmerzen bald nach dem Auftreten gastrischer Krisen in Folge der Retraction 
nach einer acuten Tonsillitis der Tod ein. 

Die mikroskopische Untersuchung des schon frisch den Befund der grauen Hinter- 
strangsdegeneration darbietenden Rfickenmarks durch Lewis bestatigte die ausgedehnte 
Erkrankung der Hinterstrange in ihrer ganzen Lange, zeigt aber, wie dies durch 
specielle Angaben fiber die Cervical-, Dorsal-, Lumbarregion ausgeffihrt wird, theil- 
weise Erkrankung der hinteren Wurzelzonen, der Kleinhirnseitenstrange, der Pyramiden- 
seitenstrange, der Vorderh6mer in einzelnen ihrer Ganglienzellengruppen, der Clarke’- 
schen Saulen. In der Medulla oblongata waxen die Funculi cuneati und graciles, die 
Kleinhirnbahnen der Corpora restiformia, der aussere Theil des Vaguskems, die 
Solitarbfindel erkrankt. Besonders auffallig war in den erkrankten Partien der 
hohe Grad der Vascularisation, indem die BlutgefUsse ausserst zahlreich und erweitert 
bei Verdickung ihrer Wandungen auf dem Querschnitte oft mit klaffendem Lumen 
sich darstellten und offenbar das Centrum der sklerotischen Veranderungen bildeten. 

Obgleich Verf. sich dagegen verwahrt, dass die Tabes dorsalis allemal das 
Resultat von Arterienveranderungen ist, so glaubt er doch ffir vorliegenden Fall unter 
Berufung auf die Befunde von Adamkiewicz einen von den Geffissen auf die Neu¬ 
roglia fibergehenden und die Nervensubstanz erst secundar zum Schwunde bringenden 
sklerosirenden Prozess annehmen zu sollen. Die erst 3 Wochen vor dem Tode auf- 
getretenen gastrischen Krisen werden auf frische Betheiligung des Vaguskernes zurfick- 
geffihrt. E. Remak. 


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137 


12) Bin Beitrag zur Lehre vom Kopftetanus (Tetanus hydrophobieus, Rose) 
von Prof. Dr. M. Bernhardt. (Zeitschrift fftr klinische Medicin. Bd. VII, 
S. 410.) 

Am 17. October 1883 wurde einem 32jahrigen Manne eine Dermoidgeschwulst 
am linken Arcus supraorbitalis exstirpirt. Normale Wundheilung. Am 22. October 
Schwierigkeit beim Oeffnen des Mundes, bald darauf Eintritt einer links- 
seitigen Facialislahmung und Schlingkrampfe bei jedem Versuch zu schlucken. 
Zunehmender Trismus, Kreuzschmerzen und beengendes Geftihl auf der Brust. Sen- 
sorium vollstandig frei. Die elektrische Untersuchung ergab im linken M. frontalis 
eine etwas erhOhte galvanische Erregbarkeit und trage Zuckungen, im Uebrigen ganz 
normale Yerhaltnisse. Die Facialislahmung, die Eieferklemme und die Schlingkrampfe 
hielten bis zum Tode des Patienten, am 2. November, an, w&hrend die Beweglichkeit 
der Extremitaten frei blieb. Die Section ergab am Gehim und Ruckenmark keinen 
nennenswerthen abnormen Befund. 

Hiemach handelte es sich um diejenige Form des Tetanus, welche von E. Rose 
als „Kopftetanus Oder Tetanus hydrophobieus" bezeichnet ist. B. hat im 
Anschluss an seine eigene Beobachtung auch die hbrigen in der Literatur bis jetzt 
vorhandenen Falle (im Ganzen 10) zusammengestellt. Er hebt als ein besonders 
charakteristisches und in fast alien Fallen beobachtetes Zeichen die mit demSitz der 
Wunde gleichseitige Facialislahmung hervor. Dieselbe gehSrt, wie die elek¬ 
trische Untersuchung und zuweilen auch der weitere Yerlauf zeigt, jedenfalls nicht zu 
den schweren Formen. Zuweilen k5nnen auch in den gelahmten Gesichtsmuskeln 
Contracturen auftreten, wodurch die eigenthfimliche Starrheit des ganzen Gesichts der 
Tetanischen zu Stande kommt. Die Schlundkrampfe werden zwar haufig beobachtet, 
konnen aber auch fehlen, so dass der Name „Tetanus hydrophobieus" nicht far alle 
Falle passt. Die Prognose des Kopftetanus ist zwar sehr emst, doch sind auch 
mehrere sichere Heilungsfalle vorgekommen. Strampell. 


Psychiatrie. 

13) Der Sftuferwahnsinn in St. Petersburg von Bary. (Wratsch. 1884. Nr. 5. 
Russisch). 

Im Laufe von 30 Jahren (1852—1881) wurden in’s Maria-Magdalena-Hospital 
im Ganzen gegen 90,000 Kranke aufgenommen. Darunter waren 1652 (ungefahr 
1,8 %), die am Delirium tremens litten. Die vom Autor vorgenommene statistische 
Zusammenstellung der Aufnahmezahlen fur die einzelnen Monate lehrt, dass die Haufig- 
keit der Erkrankung an Delirium tremens regelmassig in den Sommermonaten zunimmt 
und im August am grSssten ist. Verf. erklart diesen Umstand dadurch, dass die 
Arbeiterklasse, die die meisten Falle von Sauferwahnsinn liefert, im Sommer mehr 
Geld verdient und sich deshalb in hOherem Grade dem Trunk ergiebt. 

P. Rosenbach. 


14) Ueber den Einfluss der Trunksucht auf die Entstehung der Idiotie 

von Dr. Kind. (Allg. Ztschr. f. Psych. 1883. Bd. 40. H. 4.) 

W&hrend man den Einfluss der Trunksucht auf die Entstehung der Idiotie bei 
den Descendenten allgemein anerkennt, ergaben bisher die positiven zahlenmassigen 
Angaben verschiedene Werthe, und zwar meist geringe Procentsatze. K. fand bei 
923 Idioten 105 mal Trunksucht bei den Yorfahren, also ll,38°/ 0 . Doch ist, wie 
K. ausfflhrt, zu bemerken, dass auch andere belastende Momente dabei concurriren, 
sodass die Zahlen mit Yorsicht zu verwerthen sind. Siemens. 


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138 


16) Eatatonie von Dr. Jensen, Director d. ostpreuss. Irrenanstalt Allenberg. (Ersch 
u. Gruber, Allg. Encyclop. d. Wissensch. u. Kunste. 2. Serie. XXXIV. Bd. S. 259.) 

Die Grundlage einer jeden Therapie ist die Kenntniss dessen, was sie bekampfen 
soil. Es darf daher nicht gen&gen, dass man bei Besprechung einer Krankbeit ihre 
Symptome constatirt, sondern man muss hauptsachlich zu erforschen sucben, auf 
welcben pathologischen Veranderungen jene basiren. In der Psychiatrie ist nun leider 
dieses Streben 6fters bei Seite gelassen worden, obschon die Untersucbung erkrankter 
Geliirne ausserst fruchtbar gewesen ist. Man war oft damit zufrieden, aus den psy- 
cbischen Abnormitaten, die ein Eranker bot, eine Melancbolie, eine Manie etc. zu 
construiren, und dbersah dabei, dass auf diese Weise keine „Erankheiten“, sondern 
nur Symptomencomplexe gewonnen wurden, die auf den allerverscbiedensten patho¬ 
logischen Zustanden trotz der klinischen Aebnlicheit beruhen konnten, und daher die 
differentesten Eingriffe der Tberapeutik verlangten. Es schien daber wunscbenswertb, 
feinere klinische Unterschiede aufzusucben und nach der Beobachtung gegebener 
Erankheitsfalle, wabrend ihres ganzen Verlaufes durch die Section ihre eigentlichen 
pathologischen Alterationen zu ergriinden. So gelang es zuerst aus den unzahligen 
Fallen von Manie mit spaterem Uebergang in Blodsinn eine Kategorie von Fallen 
auszumustern, in denen die tobsdcbtige Erregung von dementen GrSssenwabn- 
vorstellungen und allgemeinen paretischen Symptomen begleitet war, und bei der 
Untersucbung des autoptischen Materials stellte es sich beraus, dass regelmassig eine 
Periencephalitis vorlag. So wurde ein einheitliches Erankheitsbild geschaffen, in 
welchem constante klinische Erscbeinungen bestimmten pathologischen Veranderungen 
entsprachen, und es ist nun wenigstens die M5glichkeit gegeben, den therapeutischen 
Hebei an der richtigen Stelle anzusetzen, wenn auch bisher noch kein wesentlicher 
Erfolg damit erzielt ist. Die Paralyse wird jedenfalls allgemein anerkannt. Eine 
ahnliche neue „Krankheit“ im Sinne der internen Medicin an Stelle der fruher einzig 
diagnosticirten Symptome soil nun die Eatatonie (und auch die Hebephrenie) dar- 
stellen; beide von Eahlbaum, der beilaufig bemerkt viele Jahre hindurch der Allen- 
berger Irrenanstalt zur Zierde gereichte, aufgefunden. Die Eatatonie ist nach ihm 
eine Gehimerkrankung, deren psychische Symptome regelmassig, wenn auch nur 
vorubergehend, von einer tonischen Starre der gesammten Musculatur begleitet werden, 
und der stets eine specifische Anamie des Hims und seiner Haute, sowie ein auf- 
falliges Intactbleiben der motorischen Stimlappen gegenhber der secundaren Atrophie 
der hbrigen Rindenbezirke zu Grunde liegt. Sie entwickelt sich immer in den jugend- 
lichen Jahren, hat gewohnlich sexuelle Verirrungen als Gelegenheitsursache und bietet 
eine verhaltnissmaig nicht ungiinstige Prognose. Dies ist besonders fdr die „kata- 
tonische VerrQcktheit“ auffallend: wahrend sonst fast jede HofEnung auf Genesung 
ausgeschlossen ist, so kOnnen sich bei Patienten, die neben Verfolgungswahn- 
vorstellungen der bekannten Art Anfalle katatonischer Starre darbieten, oft ganz 
unerwartete und schnelle Heilungen einstellen. Auch die periodischen und circularen 
Erregungs- oder Depressionszustande gewahren unter gewohnlichen Verhaltnissen be- 
kanntlich eine sehr unghnstige Aussicht; auf katatoner Grundlage entstanden gestatten 
sie aber eine wohlberechtigte Hoffnung, dass nach mehren Anfallen doch noch eine 
dauemde Genesung eintritt. 

Die Einzelheiten mussen nathrlich in der Schilderung des Verf. nachgelesen 
werden. Hoffentlich wird sich die Eatatonie dadurch allgemeinere Anerkennung er- 
werben, als es bisher in Deutschland geschehen ist. Es scheint hbhgens diese Rrank- 
heit in den baltischen Edstenlandern thats&chlich haufiger zur Beobachtung zu kommen, 
als im sddlichen und westlichen Deutschland, ahnlich wie ja auch fur die Paralyse, 
die hberhaupt der Eatatonie in vielen Beziehungen nahe steht, bedeutende Unterschiede 
in der regionaren Frequenz in verschiedenen Landem nachgewiesen sind* die wohl 
nicht allein auf die Unsicherheit der Diagnose zurtickgefuhrt werden kOnnen. 

Sommer. 


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Therapie. 

16) Zur Behandlung der Nahrungsverweigerung bei Irren von F. Siemens. 

(Arch. f. Psych, u. Nerv. XIY. H. 3 und XV. H. 1.) 

S. fordert die ganzliche Abschaffung der Sondenffitterung bei der freiwilligen 
Nahrungsenthaltung der Geisteskranken; die Unterlassung der Zwangsffitterung ist 
fflr ihn ein Postulat der No-restraint-Behandlung. Nach seinen Ausfflhrungen sind 
die aus der Abstinenz hervorgehenden Gefahren fur den Kranken nicht so gross, als 
die Meisten annehmen. Die Abstinenz ist in den aUermeisten Fallen begrfindet durch 
Stfirungen der Innervation und des Stoffwechsels dieser Patienten; sie ist daher nichts 
als ein Symptom krankhafter kOrperlicher Zustande. In solchen Znstanden wird dem 
geistig Gesunden keine Nahrung mit Gewalt aufgedrangt, ebenso wenig ist ein der- 
artiges Yerfahren bei dem Irren berechtigt. Bei Letzterem kommt hinzu, dass der 
meist retardirte Stoffwechsel dem KOrper die Fahigkeit gewahrt, mit sehr Wenigem 
auszukommen. 

Die gewaltsame Ffitterung ist daher bei diesen Kranken unphysiologisch und 
sch&dlich. Gef&hrlich ist sie dnrch die Mflglichkeit, dass innere Yerletznngen mit 
der Sonde erzeugt werden und Schluckpneumonien auftreten. 

Was das freiwillige Hungern aus rein psychischer Ursache (in Folge von Wahn- 
ideen) betrifft, so ist hier — das Fehlen kOrperlicher Krankheit vorausgesetzt — 
die Prognose nicht schlecht, so lange das Fasten nicht fiber 14 Tage ohne Wasser 
und fiber 50 Tage mit Wassergenuss ausgedehnt wird und so lange nicht fiber 40 % 
des KOrpergewichts geschwunden sind. Die filteren und neueren Beobachtungen fiber 
Inanition unterstfitzen diese Grundsatze durchaus. — Aus der Symptomatology des 
Hungerzustandes ist bemerkenswerth der eigenthfimliche Foetor ex ore der Hungern- 
den; diesen selben Geruch zeigt auch der Ham, welcher die in neuerer 
Zeit so viel besprochene Reaction (Rothfar bung durchEisenchlorid) giebt. 

Die beste Therapie besteht, wie S. ausffihrt, darin, die Kranken unausgesetzt 
auf die freiwillige Nahrungsaufnahme hinzulenken und ihnen jederzeit die Mittel nahe- 
zurficken, ihr Nahrungsbedfirfniss, sobald es sich regt, zu befriedigen. Die Sonde ist 
reservirt ansschliesslich ffir Lahnmngs- und Bewusstlosigkeits-Zustande von langerer 
Daner; sie ist auch da meist entbehrlich, da derartige Anfalle (bei Paralytischen, 
Epileptischen, Hysterischen etc.) nicht von langer Dauer zu sein pflegen. 

Eine Reihe von Krankengeschichten soil das Gesagte illustriren. Es sind nicht 
nur Ffille von ohne Schaden ertragener langerer Abstinenz (33 Tage und mehr), 
sondern auch solche, durch welche das herabgesetzte Nahrungsbedflrfniss gewisser 
Kranker bewiesen wird, endlich auch solche, in denen trotz aller Ernahrungskfinste 
die Kranken zu Grande gingen, weil ihre Organe die Fahigkeit, zu assimiliren und 
sich zu regeneriren, verloren hatten. M. 


17) Verlauf eines Falles von Tetanus traumatious unter Curare-Ein- 
spritzungen von Gontermann. (Berl. klin. W. 1883. Nr. 44.) 

Bei einem schweren Fall von Trismus und Tetanus, der sich 15 Tage nach 
einer Kopfverletzung bei einem 4 1 / 2 jahrigen Knaben eingestellt hatte, war Chloral 
erfolglos geblieben. Es wurde Curare in frischer, an Thieren erprobter Losung in 
Einzeldosen von 0,25—0,75 einer 2 °/ 0 Solution subcutan angewandt. Nach der 
ersten Injection trat heftiger Opisthotonus mit den bedenklichsten Respirations- 
stfirangen auf; diese Anfalle liessen bei den spateren Einspritzungen nach und nahm 
der Tetanus rasch ab. Es trat vbllige Genesung ein. Tuczek. 


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140 


18) Cas de gudrison d’haUucinations unilat^rales d’oule de cause exteme 

par Mabille. (Annales mddico-psychologiques. 1883. Novembre. p. 412.) 

Eine Frau erkrankte nacb drei anstrengenden und in kurzen Intervallen erfol- 
genden Geburten an hypochondrischer Melancbolie mit Apathie, in deren Yerlauf der 
Eintritt der Menstruation Selbstmorddrang mit sich bracbte. Im rechten Ohre werden 
best&ndige Hallucinationen, welcbe seit 15 Monaten totale Schlaflosigkeit hervorriefen, 
verspiirt. Nach dem Eintritt in das Asyl von Lafond werden lane Ausspritzungen 
des rechten Ohres verordnet, welche schon am zweiten Tage der Cur einen barten 
Cerumenpfropf, in dessen Innerem ein Getreidekom eingebettet war, loslosten. Nach 
Entfemung des Fremdkorpers blieben die Hallucinationen sofort aus, die Kranke konnte 
von diesem Moment an schlafen und genas nach Betheiligung der leichten katarrha- 
lischen Affection, welche Gehorgang und Trommelfell darboten. Jehn. 


10) Mittheilungen aus der Praxis von Dr. Ktipper in Elberfeld. (Archiv far 
Ohrenheilkunde. XX. 3. S. 167.) 

Verf. theilt 2 sehr interessante Beobachtungen mit, welche die Beziehungen 
zwischen Erkrankungen des Gehororgans und nerv5sen Symptomen illustriren. In 
dem ersten FaUe handelte es sich um ein 18jahriges Madchen mit acuter eitriger 
Paukenh5hlenentzandung, welches sich wegen Zahnschmerzen ein Stdckchen von einer 
Wurzel in das kranke Ohr gesteckt hatte. Seitdem bestanden epileptische Krampfe, 
und zwar waren dieselben ausserst heftig und traten oft taglich, auch mehrere Mai 
an einem Tage, Oder in Zwischenraumen von mehrem Tagen auf. Die Untersuchung 
zeigte den FremdkOrper von polypOsen Granulationen umwuchert. Durch Entfemung 
des Wurzelsthckchens und eine rationelle Behandlung des Ohrenleidens gelang es, auch 
die Krampfe dauemd zu beseitigen, wie eine Nachbeobachtung von l 1 /, Jahren ergab. 

Der zweite Fall betraf eine 76jahrige Dame, welche pl5tzlich ohne bekannte 
Yeranlassung mit Gehimerscheinungen erkrankte. Heftiger Kopfschmerz und Schwindel 
treten auf, femer Erbrechen und Krampfe, die letzteren namentlich an den Muskeln 
des Gesichts und der Extremitaten. Temperatur und Pulsfrequenz waren normal. 
Bei der Untersuchung erwiesen sich alle Organe als gesund, nur in dem schmerzenden 
rechten Ohre stak ein obstruirender Epidermispfropf. Der Yersuch, denselben sogleich 
durch Ausspritzungen zu entferaen, gelang nicht; im Gegentheil entstand dabei starker 
Schwindel, Erbrechen und ein heftiger Krampfanfall und diese StOrungen dauerten 
auch noch bis zum folgenden Morgen an, so dass die Kranke nicht im Stande war, 
die geringste Nahrung bei sich zu behalten. Es wurden daher zunachst erweichende 
Eintraufelungen gemacht, alsdann ausgespritzt und der Pfropf nun mit Leichtigkeit 
entfernt. Damit waren auch alle die bedrohlichen Krankheitserscheinungen verschwun- 
den; die Untersuchung des Ohres ergab eine Yerwaclisung des Trommelfells mit der 
inneren PaukenhOhlenwand. Blau. 


Forensische Psychiatric. 

20) The simulation of insanity by the insane by C. H. Hughes. (The Alienist 
and Neurologist. 1883. Juli. p. 355.) 

Eine recht ausfahrliche Arbeit, die aber fdr den Psychiater von Fach nichts 
wesentlich Neues enthalt Dass ein Geisteskranker oft genug logisch redet und han- 
delt, und daher fur langere Oder kftrzere Zeit den Glauben erwecken kann, er sei 
geistesgesund, ist allgemein bekannt; sein Thun wird haufig ebenso wie das des 
normalen Menschen, durch den Gedanken an seinen personlichen Yortheil oder Nach- 
theil beeinflusst. Die Motive eines Irren k6nnen vdllig dbereinstimmen mit denen 
eines Gesunden. Irre sind daher wohl im Stande, ihr ganzes Auftreten so einzurichten, 
wie es ihnen fQr ihren personlichen Yortheil empfehlenswerth zu sein scheint, und 


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141 


es wird daher auch nicht auffallen dftrfen, wenn gelegentlich ein Irrer specielle Zu- 
6tande geistiger Alienation simulirt, sobald er sich einen besonderen Nutzen davon 
yerepricht. So wird wohl jede Anstalt leider einen Oder mehrere „Narren“ bewahren, 
der sich durch absichtliche Production mOglichst barocker Reden und Thaten auf- 
drangt, wenn er die Bemerkung gemacht hat, dass er dadurch von zufalligen Be- 
suchem Oder gar yon unerfahrenen Anstaltsbeamten besondere Berucksichtigung oder 
Bevorzugung erlangt. Auch ist es durchaus nicht so selten, dass Irre, die wegen 
ihrer erwiesenen Harmlosigkeit oder Unheilbarkeit entlassen, und damit (leider haufig 
genug) den trostlosen Yerhaltnissen ihrer Heimath zurhckgegeben werden sollen, 
ktinstliche Erregung^ustande simuliren, um ihren Aufenthalt in dem geordneten Leben 
der Anstalt zu verlangera, oder was noch haufiger, um schnell dahin zurflckgebracht 
zu werden. Endlich sind Falle constatirt, in denen Geisteskranke, die irgend eine 
strafbare Handlung begangen haben, es versuchen, sich ebenso wie geistig gesunde 
Verbrecher, durch Simulation einer speciellen Form von Geistesstdrung Straflosigkeit 
zu sichern, da sie ja ihre de facto bereits bestehende Unzurechnungsfahigkeit (in 
Folge ihrer wirklichen Psychose) nicht anerkennen kdnnen. 

Ftir die forense Medicin sind mehrere der im Original mitgetheilten Beobach- 
tungen von Interesse und mflgen daselbst nachgelesen werden. Sommer. 


III. Aub den Gesellsehaften. 

Aus der Berliner physiologischen Gesellschaft. Sitzung vom 1. Febr. 1883. 

Moeli: TTeber Degeneration in der Himrinde nach Zerstorung der 
Faserang der Capsula interna. 

Yortr. hat ausgewachsenen Meerschweinchen die der Capsula interna der hOheren 
Thiere entsprechende Faserung an der Aussenseite des Thalamus opticus (unter Mit- 
verletzung des letzteren) zerstflrt. Er sah darnach kSmigen Zerfall eines Theiles der 
von der Markleiste dieser Hemisphare in die Rinde aufsteigenden Fasern bis weit in 
das Stirnhim hinein. Der untere Theil der Markleiste, die Balkenfaserung, zeigte 
nicht diesen kOrnigen Zerfall, ebenso war ein Theil des feinen Nervenfasernetzes der 
Rinde erhalten. Es lassen sich so in die Himrinde aufsteigende Fasern direct zur 
Anschauung bringen, wie dies M. schon vor einiger Zeit nach Durchschneidung am 
Fosse des Stabkranzes (Jahrgang 1883, S. 334) bei Meerschweinchen sah. 

Yon den Ganglienzellen der Rinde bleiben die rundlichen und schwanzfftrmigen, 
deren K6rper sich nur ganz blass farbt, auf der operirten Seite ganz intact. Da- 
gegen verschwinden von den sich mit Carmin und Nigrosin im Ganzen und intensiv 
farbenden Zellen einmal die den Pyramidenzellen der hSheren Thiere ahnlichen, in 
der mittleren Schicht der Rinde liegenden, zum grOssten Theile. Abgenommen haben 
weiterhin die kleineren, nahe der Markleiste sich hinziehenden Zellen. Eine einfache 
traumatische Degeneration dieser KOrper anzunehmen liegt kein Grand vor. Es sind 
nur Zellen von bestimmter Form und Eigenschaft auf eine grdssere Entfemung 
von der Emgriffestelle hin ver&ndert, wahrend die sehr grosse Mehrzahl der Gang¬ 
lienzellen der Rinde, sowie die viel naher an der EingnfEsstelle gelegenen Zellen des 
Thalamus opticus ganz unverandert bleiben. Dieselbe Anschauung gilt filr den Theil 
der Faserung der Grosshirnrinde, welcher eine kfrnige Degeneration erfahren hat. 

Es erscheint vielmehr der Schluss zulassig, dass diese bestimmten Zellarten in 
naherer Beziehung zu den durchschnittenen Fasern stehen, also, da die Pyramiden- 
bahn des Meerschweinchens von nur geringem Umfange ist, wohl hauptsachlich zu der 
Faserung des Thalamus. Ob die zu Grande gegangenen grOsseren Zellen den Pyra¬ 
midenzellen der hbheren Thiere mit welchen sie die grOsste Aehnlichkeit haben, gleich 
zu achten Bind, l&sst Yortr. dahingestellt. M, 


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142 


Socidtd de Thdrapeutique zu Paris. Sd&nce 12. Fdv. 1884. (Progrds med. 

16. Fta. 1884.) 

Dnjardin Beaumetz macht auf den Antagonismos zwischen Paraldehyd and 
Strychnin aufmerksam. Bei Kaninchen konnte er 25mal die tbdtliche Dosis von 
Strychnin geben, wenn er vorher Paraldehyd gegeben hatte: es entstanden nor einige 
wenig intensive Convulsionen. Es entspricht dies dem Antagonismos zwischen Strychnin 
und Alcohol (Luton, vorher Morroy), und der von Cl. Bernard hervorgehobenen 
Thatsache, dass ein atherisirtes Thier ohne Gefahr starke Dosen von Strychnin 
vertrug, und erst Intoxicationserscheinungen zeigte, wenn der Schlaf aufhOrte. Blon- 
deau wamt davor, die Erf ah rung bei Kaninchen direct auf ddh Menschen zu fiber- 
tragen. 

Den Antagonismus zwischen Paraldehyd und Strychnin hat bereits Cervello in 
den Arch. ital. de Biologie. 1883. IV. 39—45 in ausffihrlicher Weise und mit ahn- 
lichen Besultaten, wie Dujardin Beaumetz behandelt. M. 


Pathological and clinical Society. Sitaung vom 21. Jan. 1884. Vorsitzender 
M’Call Anderson. (Glasgow med. Journal. 1884. Febr. p. 139.) 

Wm. Gibb Dun demonstnrt eine Enoephalooele oeeipitalis bei einem 
F5tus im 7. oder 8. Monat (ob lebend geboren, ist zweifelhaft); der Tumor hat die 
doppelte Grfisse des fbtalen Kopfes; sein Contentum bildet der grfissere Theil der 
Himmasse, von den Himhauten und der verdfinnten und ausgedehnten Schadelhant 
tiberdeckt. Der Ffltus im Ganzen klein, jedoch im Uebrigen vfillig normal gebildet 

Mace wen stellt eine Patientin vor, bei welcher wegen einer Hemiplegia sinistra 
zur Trepanation geschritten und durch die Operation eine gr&ssere Freiheit in den 
Bewegungen herbeigeffihrt wurde. — Die Lahmung, wahrscheinlich syphilitischen 
Ursprungs, war in Zeit von 6 Wochen allmahlich entstanden; ausser den linksseitigen 
Extremitaten war auch die linke Gesichtshalfte paretisch, daneben bestanden geistige 
Schwache und Gedachtnissverlust Antisyphilitische Behandlung ohne Erfolg. Die 
Trepanation wurde „uber der Mitte der vorderen und hinteren Centralwindung" aos- 
geffihrt, die Lamina interna fand sich dabei etwas verdickt, mit kleinen Bauhigkeiten 
an ihrer inneren Flache. Eine zweite Oeffhung wurde „hber der Occipitalgegend" 
gemacht und auch hier die gleiche Beschaffenheit der Lamina interna, so wie ausser- 
dem etwas Verdickung der Dura und eine gelbliche Pseudomembran von 1 / l6 Zoll 
Dicke constatirt Bei einem Einschnitt in's Gehim „in der Richtung des Lobulus 
paracentralis (< entleerten sich ungefahr 2 Drachmen einer rothgefaxbten grumSsen 
Flhssigkeit, nach deren Austritt die vorher nicht sichtbare Himpulsation erst, obwohl 
sehr schwach, erschienen. — Am 3. Tage nach der Operation konnte Patientin die 
Zehen bewegen, nach einer Woche das Bein erheben und sich im Bette herumdrehen, 
auch die Finger bewegen; psychische Functionen, Gedachtniss etc. erfuhren ebenfalls 
eine merkliche Besserung. Bei der Yorstellung vermochte Pat frei zu gehen and 
den Arm bis zur Horizontalen zu erheben, sowie auch kraftig zu greifen. 

_ A. Eulenburg. 


IV. Bibliogr&phie. 

Insanity, its classifloation, diagnosis and treatement. A manual for students 
and practitioners of medicine by E. C. Spitzka. (New-York 1883. 415 S.) 

Die Menge der Lehr- und Handbtlcher der Psychiatric, welche uns die deutsche 
Literatur in den letzten Jahren geschenkt und deren FQlle, wie es scheint, audi 
jetzt noch nicht erschtipft ist, wird es gewiss rechtfertigen, wenn in der Besprechung 
dieser und der gleichfalls zahlreichen fremdlandischen Lehrbdcher eine gewisse Be- 


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143 


schiinkung eingehalten wird; denn wenn es auch in gewisser Richtung von Vortheil 
sein mag (wie dies von anderer Seite betont worden), zn sehen, wie sich das ge- 
sammte thatsachliche Material in verschiedenen KOpfen wiederspiegelt, so muss sich 
doch jetzt Jedem die Ueberzeugung aufdrangen, dass auch die Originalit&t der An- 
schauungen allmahlich erschOpft wird und es sich fflrderhin nur um mehr Oder weniger 
geechickte Detailanordnung des Stoffes handeln kann; womit nathrlich die MOglichkeit 
und das Wtaschenswerthe, die klinischen Anschauungen einer Oder der anderen 
bisher nicht vertretenen Schulen in geschlossener Form zu vermehren, nicht aus- 
geschlossen sein sollen. 

Auch das vorliegende Lehrbuch k6nnte fUr fremdlandische Verhaltnisse un- 
beruckfiichtigt bleiben, wenn es nicht ein gewisses Interesse darbQte um desswillen, 
dass es das erste amerikanische Work ist, das seit Rush also seit etwa einem Jahr- 
bnndert die Psychiatric zusammenfassend behandelt. 

Spitzka hat aber europaische Schule genossen und speciell die deutsche Literatur 
in bervorragendem Maasse benutzt (freilich nicht immer in ihrem Besten, sodass 
mancbe der Dunkelheiten derselben auch auf ihn ubergegangen sind); von dieser 
Basis bekampft er zahlreiche specifisch-amerikanische Anschauungen, was dem Buche 
f&r denjenigen, der nicht die zahlreichen offenen und vereteckten Polemiken der ver¬ 
schiedenen amerikanischen Fachjoumale kennt, einen unangenehmen Beigeschmack 
verleiht, und gewiss nicht im didactischen Interesse gelegen ist. 

Das Ziel, das sich Sp. gesetzt, ist ein bescheidenes, er will sein Buch nur als 
Einleitung zu eingehenderen psychiatrischen Studien angesehen wissen; nach unseren 
dentschen Begriffen dftrften 400 Seiten Theorie fftr den Nicht-Fachmann hberhaupt 
den dnrchschnittlichen Ansprfichen genilgen. 

Der erwahnte Umstand, sowie die von Sp. selbst hervorgehobene Thatsache, 
dass er einzelne Kapitel in frhheren Aufsatzen selbststandig behandelt hat, haben es 
wohl verechuldet, dass einzelne Abschnitte mehr den Charakter des Joumalaufsatzes 
tragen, wozu noch der oben erwahnte polemisirende Ton das Seinige beitragt; den- 
selben Grfinden, sowie dem Umstande, dass, wie Sp. mittheilt, er an einem grbsseren 
systematischen Werke fiber denselben Gegenstand arbeitet, ist es auch zuzuschreiben, 
dass die Citate Unwesentliches anfhhren, wahrend die grundlegenden Arbeiten nicht 
genauer dtirt sind, was bei aller Beschr&nkung vom didactischen Standpunkte aus 
entschieden nothwendig erscheint. 

Gehen wir nun auf den eigentlichen Inhalt des Werkes ein, so finden wir das- 
selbe in 3 Abschnitte getheilt; der 1. befasst sich mit der allgemeinen Pathologie 
und Eintheilung der Psychosen; der 2. behandelt die specielle Pathologie; im 3. fin¬ 
den sich eine Anzahl von Fragen der psychiatrischen Praxis zum Theil sehr ein- 
gehend behandelt 

In eine detaillirte Kritik kann hier nicht eingegangen werden, es muss vielmehr 
gendgen, wenn wir Einzelnes herausheben. 

In der Classification lehnt sich Sp. an v. Krafft-Ebing, ohne dass jedoch 
dessen Eintheilung durch die Yerbesserungen Spitzka’s etwas gewonnen hatte; so 
werden Eatatonie und Mania transitoria als gleichwerthige Genera neben Melancholie 
und Manie hingestellt 

In den klinischen Schilderungen des speciellen Theiles schliesst sich Sp. an die 
bekannten Darstellungen an; wir haben schon Mher erwahnt, dass ihm vielfach 
deutsche Arbeiten zur Vorlage gedient, deshalb halten wir uns ftlr verpflichtet, her- 
vorznheben, dass dabei manches MissverstAndniss unterl&uft; so spricht er von der 
,,primiren Verrilcktheit mit Wahnideen" der Deutschen, fQr welche er die Bezeich- 
nung Mono mania, vorschl&gt; und in demselben Gedankengange will er die Manie 
raisonnante der Franzosen Monomania sine delirio nennen, da diese Form zur Mono¬ 
mania (Verrilcktheit) in demselben Verh&ltniss stehe, wie die Melancholia sine delirio 
zur Melancholie mit Wahnideen. Dieses und noch manches Andere, so die Kritik 


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144 


von Westphal’s acuter hallucinatorischer Verrficktheit, wie Darstellungen der Be- 
ziehungen der sogenannten abortiven Yerrticktheit zur Verrficktheit muss gegen Sp. 
als Interpreten deutscher Psychiatrie voreicbtig machen. 

Am besten gelungen sind wohl die Kapitel, in welcben die pathologische Ana- 
tomie in Frage kommt, also z. B. die Paralyse; ein gewisses Verdienst liegt anch in 
der Bekampfung zahlreicher speciell in Amerika verbreiteter pathologisch-anatomischer 
Anscbauungen, die auf der Deutung mikroskopischer, durch schlechte Hfirtungs- 
metboden erzeugter Kunstproducte beruben. 

Der 3. Abscbnitt bebandelt eine Beibe praktiscber Fragen; so das Examen 
Geisteskranker, die Simulation, die BebaAdlung etc. Dieselben sind ziemlicb ungleicb 
ausgefallen; eigenthfiralicher Weise findet sicb aucb die Aetiologie bier und nicbt im 

1. Abschnitte abgehandelt 

Ueberblicken wir das gauze Bucb und seben wir von den oben erwabnten Emzel- 
beiten ab, so muss man, wenn man dasselbe gegen die Anscbauungen bait, wie sie 
sicb vielfacb in den amerikaniscben Facbjoumalen linden, gesteben, dass sicb in dem- 
selben ein wesentlicber Fortscbritt ausprftgt; nacb einer gewissen Abklarung der An¬ 
scbauungen dfirfen wir von dem versprocbenen neuen Werke weiteren Fortscbritt 
erwarten. A. Pick. 


V. Vennischtes. 

Eine eigenthfimliche Erklarung fur die Entstehung der Puerperalpsychosen h&ben stch 
nacb E. Metzger (Globus. 1883. Bd. XLIV. S. 301) die Javaneeen gebildet. „Frauen, die 
mit schwerer Sfinde auf dem Herzen wahrend der Graviditat oder bei der Entbindung ge- 
storben sind, konnen nacb dem Tode nicht zur Bube kommen und sucben, da sie von Natur 
bose sind, auf Kosten Anderer sich das Mutterglfick zu verschaffen, das Bie selbst nicht 
geniessen sollten. Hire spukende Seele (Kuntianak genannt) sncbt daher in eine kreisende 
zu fahren, am an ihrer Stelle die Mutterfreuden zu empfinden, und die beteasene Frau wird 
in Folge dessen wabnsinnig. Ein Haus, in dem eine Entbindung bevorstebt, wird daher 
sorgfaltigst bewacbt, am jeden Eindringling fern zu halten." YieUeicht scbUtzt diese Auf- 
sicbt thatsachbch ofters vor einer plotzbchen GemUthserschbtterung, die sonst zum Ausbruch 
einer Psychoee hatte Veranlassung werden konnen. Sommer. 


Die ffir das Irrengesetz eingesetzte Commission des franzbsischen Senate bat beschlosseu, 
dass der Gerichtshof, der einen Angescbuldigten wegen Unzureohnungsfahigkeit freisprieht, 
befugt ist, unverzugbcb fiber die Aufnahme desselben in ein Irrenbaus zu entscbeiden. In 
Deutschland ist es dem Ermessen der Pobzei bisber uberlassen; ja in manchen Fallen er- 
^hrt dieselbe tiberbaupt nichts von der Entlassung des gemeingefahrlichen Kranken aus der 
Haft nach Beiner Freispreehung. Eine Besolution des Beichstages bei Beschlussfassung uber 
den § 51 des norddeutscben, spater deutsehen Stra&esetzbucbes, die nacb denelben Ri<mtung 
bin sich bewegte, ist von dem Bundesrath nicht berttcksiohtigt worden. Laehr macbt in 
der Versammlung der deutsehen Irrenarzte zu Eisenach 1882 auf die mdglichen Inconvenienzen 
des bisherigen Yerfahrens aufmerksam, und obwohl er seinen Antrag zuruckzog, wird man 
doch wohl wieder darauf zuriickkommen mtissen. M. 


Der III. Congress ffir innere Medicin, der vom 21.—24. April in Berlin abgebalten 
werden soil, wird von neurologischen Gegenstanden bebandeln: 

1. Poliomyelitis und Neuritis. Beferent: Herr Leyden. Correferent*. Herr Sohultze, 
Heidelberg. 

2. Nervose Dyspepsie. Beferent: Herr Leube. Correferent: Herr Ewald. 

3. Ueber die Keflexe: Herr Bosenthal, Erlangen. 

4. Ueber die LokaUsation der Functionen des Grosshirns: Herr Goltz. 


Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen ffir die Redaction sind zu richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzgeb & Wittio in Tjeipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologic, Pathologic 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Dritter 


Herausgegeben von 

Dr. E. Mendel, 

Priratdocent an der Unlrersit&t Berlin. 


Jahrgang. 


Monatlioh erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deatschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1884. 


1. April. 


mi. 


Inhalt. I. Originalmittheilungen. Ueber progressive atrophische Lahmungen, ibre 
centrale oder periphere Natnr von C. Elsenlohr. 

II. Referate. Anatomie. 1. Varieta delle circonvolnzioni cerebrali nei pazzi del Poggl. 
2. Sella fina anatomia degli organi centrali del sistema nervoso del Golgi. S. Farbungs- 
methoden des Centrainervensystems von Weigert, Adamkiewicz and Sahll. — Experimen- 
telle Physiologie. 4. Experimente an den Ohren von Fischen mit Riicksicht anf den 
Gleichgewichtssinn von Sewall. 5. Function der Gehbrschnecke von Baglnsky. — Patho- 
logische Anatomie. 6. Recent and old case of infantile palsy by Money. 7. D peso del 
cervello negli alienati von Amadel. — Pathologic des Nervensystems. 8. Zur Casuistik 
der Kleinhirnsklerose von Sommer. 9. Recherches anatomo-cliniqaes sar les scMroses bi late rales 
de la mobile dpini&re consecutives a des lesions unilaterales da cerveau par Pitres. 10. Ueber 
sog. spastische Spinalparalyse mit anatomischem Befund etc. von Westphal. 11. Etude d’un 
cas de fausse sclerose systematique combinde de la mobile par Baliet et Minor. 12. Herd- 
fdrmige Sklerose nach Diphterie von Stadthagen. 13. Zur Pathologie and pathologischen 
Anatomie der Neuritis ana des Herpes Zoster von Curschmann u. Eisenlohr. 14. Zur Lehre 
der sensoriscben Anasthesien von Oppenheim. — Psychiatric. 15. L’alcoolisme en Pologne 
par Rothe. 16. La folie, Falcoolisme et le suicide dans Tarmac francaise par Marvaud. 17. Der 
Alcoholismus in St. Petersburg von Nicoiajeff. 18. Der Einfluss des Alcoholmissbrauchs auf 
psychische Storungen von Pilkowsky. 19. Ein Fall von periodischem Wechsel der Haarfarbe 
von Reinhard. — Therapie. 20. Die Dehnung des Riickenmarks von Hegar. 21. On nerve- 
stretching for the relief or cure of pain by Marshall. 22. Chorea minor, Arsenbehandlung, 
Herpes Zoster von B6ckal. 

III. Aus den Gesellschaften. 

IV. Personation. 

V. Vermischtes. 


I. Originalmittlieiluiigen. 

Ueber progressive atrophische Lahmungen, ihre centrale 
oder periphere Natur. 

Von Dr. C. Eisenlohr in Hamburg. 

Die Frage nach der anatomischen Localisation gewisser Formen acuter resp. 
subacuter, uber zahlreiche Nervengebiete sich ausbreitender und mit Muskel- 
atrophie einhergehender Lahmungen ist in ein Stadium emeuter lebhafter Dis¬ 
cussion getreten, seit man durch die mikroskopischen Befunde gezwungen den 
peripheren Yeranderungen ein mehr als secundares Interesse eingeraumt hat 


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^ 146 


Die Krankheitsgruppe der multiple)! degenerativen Neuritis hat sich bereite 
Selbststandigkeit in der Pathologie erobert und die Unbefangenheit, mit der 
man vor Kurzem noch fast bei jeder verbreiteten atrophischen Lahmung das 
deckende diagnostische Schlagwort Poliomyelitis anterior aussprach, hat 
einer Skepsis in Bezug auf die Schuld der vorderen grauen Substanz des 
Ruckenmarks im Einzelfall Platz gemacht, uber die wir selbst nur erfreut sein 
konnen, da wir unter den Ersten die AUgemeingultigkeit des Glaubens an die 
Poliomyelitis anterior zu erschuttem yersucht haben. 

Heutzutage ist sogar eine Mahnung in entgegengesetzter Richtung nicht 
uberflussig, da man bereits geneigt ist, das Kind mit dem Bade auszuschutten. 
Wir haben die scharfsinnigen Betrachtungen Ebb’s in Nr. 21 (1883) dieses 
Centralblattes daher in ihrer vollen Bedeutung gewurdigt. An der logischen 
Folgerichtigkeit der von Ebb ausgesprochenen Zweifel und Moglichkeiten andem 
naturlich noch so viele neue zu Gunsten der peripheren Natur der betreffenden 
Afifectionen in’s Feld gefuhrte anatomische Nachweise nicht das Geringste, so 
auch nicht die beiden kurzlich erschienenen Publicationen von MCtlleb 1 und 
Viebobdt . 2 

Obgleich ja nun auch die EsB’schen Schlussfolgerungen eine directe ana¬ 
tomische Bestatigung ihrer Natur nach nicht erfordem noch zulassen, finde 
ich doch fur bestimmte Punkte seiner Ausfuhrungen einen anatomischen Beweis 
in dem Resultat der Untersuchung eines Falles, der mich in der letzten Zeit 
beschaftigte. Als einen solchen Punkt betrachte ich Ebb’s Muthmaassung, dass 
ausser volliger Zerstorung oder Lostrennung der „trophischen“ Centren von ihrer 
Wirkungssphare noch andere Formen der Erkrankung vorkommen, verschieden 
an Intensitat und Qualitat Dass femer eine Herabsetzung der vitalen Energie 
der trophischen Centren sich zunachst und in den ersten Stadien allein bemerk- 
lich machen kann an den entfemtesten Punkten des von ihnen beherrschten 
Gebietes, dass also aus centraler Ursache Muskelnerven und Muskeln intensiT 
erkranken konnen, wahrend an vorderen Wurzeln und grossen Nervenstammen 
Nichts von Degeneration nachweisbar zu sein braucht. Indem ich mich in 
dieser Richtung Ebb vollkommen anschliesse und durch den folgenden Befund 
eine gewisse Stutze seiner Beweisfuhrung beizubringen hoffe, kann ich doch 
einige Einwendungen nicht unterdrucken, die auf die Falle sich beziehen, wo 
man eben anatomisch in den Centralorganen Nichts findet. 

Zunachst scheint mir der rein degenerative Charakter der Ver- 
anderungen in den peripheren Nerven und Muskeln, der in einer Reihe von 
Fallen constatirt ist und der Ebb veranlasst, eine principielle Trennung solcher 
Falle „neurotischer Atrophie“ von den Fallen echter Neuritis mit entzundlichen 
Veranderungen im Bindegewebe etc. vorzunehmen, doch nicht so stringent gegen 
die primare Natur dieser Veranderungen zu sprechen. Ich halte die Mog- 
lichkeit solcher primar degenerativer Erkrankungen am peripheren 

1 MOlleb, Ein Fall von multipler Neuritis. 

* Viebobdt, Beitrag zum Studium der roultiplen degenerativen Neuritis. Archiv fUr 
Psych, etc. 1883. Bd. XIV. H. 3. 


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147 


Nervenapparat fur keineswegs fernliegend und nicht schwerer begreiflich, 
als das Yorkommen degenerativer Strangerkrankungen des Ruckenmarks. 

Femer sehe ich nicht ein, warum eine aussere oder im Blutstrom kreisende 
Noxe nicht ebensogut auf die peripheren nervosen Organe wirken soli, als 
anf die centralen. Analogien bezuglioh Einwirkung toxischer Substanzen sind 
doch in diesem Sinne ebensogut vorhanden, als in jenem. 

Nach diesen Einwendungen, die in vollem Bewusstsein der EnB’schen 
Schlussbemerkung gemacht sind, „dass er keineswegs die centrale Natur der 
jetzt nnter dem Namen der degenerativen Neuritis cursirenden Krankheitsformen 
bewiesen haben wolle“, gehe ich zur Mittheilung meiner Beobachtung uber. Ich 
verdanke die Eenntniss des Falles und das Untersuchungsmaterial der Gute des 
Herrn Dr. Glaseb, Oberarztes am allgemeinen Krankenhause, auf dessen Ab- 
theilung der betreffende Kranke sich befand. 

Es handelte sich um einen 23jahrigen Handlungsreisenden, der wenige 
Wochen vor seiner Aufnahme (9. Mai 1883) mit Appetitmangel, Husten mit 
sparlichem Auswurf erkrankt, seit wenigen Tagen erst bettlagerig war. Doch 
bestand bereits eine grosse Hinfalligkeit und eine Anschwellung der Fusse bei 
im Allgemeinen noch guter Ernahrung. 

BVO am Thorax ergab die physikalische Untersuchung geringe Schall- 
dampfung, L die Zeiohen eines pleuritischen Exsudats, das bis zur haiben Hohe 
der Scapula reichte. Das Herz leicht nach rechts verschoben, sonst normal. 
Kein Ascites nachweisbar. Urin eiweissfreL 

Die erste Zeit des Krankheitsverlaufs war gekennzeichnet durch ein con- 
tiiiuirliche8, in Bezug auf die Hohe der Temperaturen aber sehr massiges Fieber 
(selten uber 38,5), geringe subjective Beschwerden, wenig Husten, sehr geringen 
Auswurf; aber auf der andem Seite durch eine auffallend rasche Krafteabnahme 
und Mattigkeit. 

Am 18. Mai trat plotzlich eine Incontinentia alvi ein, die aber nur 
2 Tage bestand und dann wieder normalem Verhalten Platz machte. Dagegen 
begann vom 20. Mai ab eine rasch zunehmende Lahmung der unteren 
Extremitaten sich einzustellen, die schon am 26. nahezu vollstandig geworden 
war und mit einer ebenfalls rapid fortschreitenden Abmagerung der Muskeln 
sich verband. Subjective Sensibilitatsstorungen, Schmerzen fehlten vollkommen, 
die objective Prufung der Sensibilitat ergab (am 26.) nur eine leichte Herab- 
setzung des Localisationsvermogens; Druck- und Temperatursinn normal. Die 
Patellarreflexe erloschen, Plantarreflexe (auf Kitzeln) erhalten. 

In den ersten Tagen des Juni gab Pat Parasthesien (Kribbeln) in den 
Fingerspitzen und Schwache in den oberen Extremitaten an. 

Schon am 8. Juni zeigt sich, dass die rohe Kraft der oberen Extremitaten 
wesentlich beeintrachtigt ist, ja einzelne Muskelgruppen sind schon gelahmt, so 
die Strecker des linken Handgelenks. Ferner constatirt man eine S to rung der 
Respiration, indem das Zwerchfell bei der Inspiration sich nicht contrahirt, 
das Epigastrium eingezogen wird. 

Am 14. Juni notirte ich folgenden Status. 


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Ausgesprochene Atrophie zahlreicher Muskeln der Extremitaten; 
an den oberen Extremitaten besonders abgemagert: Brachialis intern., Supinator 
longus, Extensor digitor nnd carpi, lange Mnskeln des Daumens; massig ab- 
gemagert: Triceps, Deltoideus, in geringem Grade Biceps und Muskeln der Beuge- 
seite des Yorderarms; gar nicht: kleine Handmuskeln rechts; links geringe Ab- 
magerung des Thenar und einzelner Interossei. 

An den unteren Extremitaten beiderseits in nahezu gleichem Yerhaltniss 
sehr stark abgemagert: Quadriceps femoris, Adductoren, sammtliche Muskeln 
des Unterachenkels, sowohl im Tibialis-, als im Peroneus-Gebiet, weniger, aber 
doch deutlich die Flexor, cruris. Der Glutaeus max. dext. wesentlich mehr 
atrophisch als der linke. 

Ruckenmuskeln in geringem Grade abgemagert. 

Die Motilitat der oberen Extremitaten wesentlich beeintrachtigt; 
einzelne Muskeln ziemlich complet functionsunfahig, so der Brachialis intern, und 
Supinator longus beiderseits, die Strecker der Hande und Finger, die Pronatoren 
und Supinatoren links. Andere in ihrer Bo-aft mehr oder weniger stark beein¬ 
trachtigt, so die Schultermuskeln, der Triceps brachii, der Abductor long, pollic. 
Der Biceps contrahirt sich beiderseits relativ gut. Sammtliche Muskeln schlaff 
und welk, keine Spur von Spasmen oder Contracturen. Keine fibrillaren 
Zuckungen. Druck auf die Muskeln ruft nirgends Schmerz, sondern nur ein 
eigenthumliches abnormes Gefuhl hervor. 

Die Motilitat der unteren Extremitaten beschrankt sich auf einige 
schwache Bewegungen im Knie- und Huftgelenk, dagegen ist die Bewegung in 
den Fussgelenken = 0, das Heben der Beine nicht moglich, auch die Streckung 
der Unterschenkel ausserst schwach. Auch hier alle Gelenke schlaff, keine Spur 
von Contracturen. Auch die Musculatur der unteren Extremitaten nicht druck- 
empfindlich. 

Die Bauchmusculatur ebenfalls schwach. — Zwerchfelislahmung. 

Die faradische Erregbarkeit ist in nahezu sammtlichen Muskeln der 
unteren Extremitaten vollkommen erloschen — sowohl vom Nerven als vom 
Muskel aus; nur in den Glutaeis beiderseits erhaltene, aber herabgesetzte fara¬ 
dische Reaction. Die galvanische Erregbarkeit vom Nerven aus eben¬ 
falls beiderseits in alien Nervengebieten aufgehoben. 

Dagegen in sammtlichen Muskeln bei directer Reizung exquisite 
Aenderung der Zuckungsformel, AnSZ trage, = oder > EaSZ, herabgesetzt 
ist die directe Erregbarkeit im M. tibialis anticus, extens. digitor. und Mm. pero- 
neis, sowie in den Wadenmuskeln beiderseits, ebenso im Quadriceps femoris, 
nicht wesentlich vermindert in den Flexores cruris. Qualitativ normale (rasche) 
Z nur in den Glutaeis. 

In den oberen Extremitaten bot die elektrische Erregbarkeit grosser© 
Variationen. 

Die ausgesprochenste Veranderung im Radialis-Gebiet: vom Nerven aus 
faradisch und galvanisch rechts noch erregbar der Extens. indie, proprius 
und die langen Daumenmuskeln, links nur der Extensor earpi ulnaris. 


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149 


Bei directer galvanischer Reizung qualitative Aenderung derZuckungs- 
form (tetanische Z) in den Extensoren der Hand and Finger beiderseits. Ge- 
ringe quantitative Herabsetzang far beide Stromesarten in beiden Ulnarisgebieten, 
starkere Herabsetzang im Medianasgebiete beiderseits. Fast normale faradische 
Erregbarkeit in den kleinen Handmuskeln beiderseits bei indirecter and directer 
Beizung. Bei directer galvanischer Prdfdng verbalten sich die recbtsseitigen 
kleinen Handmuskeln ebenfalls normal; links dentliche qualitative Aenderung im 
Abduct und Flexor brevis pollicis und im Abductor digit HI und IV, wabrend 
im Thenar und Inteross. I und H normale Reaction. In den Mm. deltoidei, 
tricipit. und bicipites nur geringe quantitative Reactionsanomalien. 

Die Sensibilitat an den unteren Extremitaten und am Abdomen fur 
schwache Tastempfindungen (Beruhrungen mit der Fingerkuppe) leicht herab- 
gesetzt Dagegen wird starkerer Druck, Eneipen stets geftthlt und richtig 
localisirt Spitze der Nadel fast immer als solche empfunden; die schmerzhafte 
Qualitat des Reizes richtig percipirt Keine Verspatung der Schmerzeindrucke; 
dagegen otter an den Fussen leichte schmerzhafte Nachempfindung. Temperatur- 
empfindung an den unteren Extremitaten normal. Eeine Herabsetzung der 
faradocutanen Sensibilitat; Pat. ist gegen starkere faradische Strome an Extremi¬ 
taten und Rumpf sogar erheblich empfindlich. Die oberen Extremitaten bieten 
absolut keine objectiv nachweisbare Stoning* der Sensibilitat dar. 

Die Reflexe von der Haut der unteren Extremitaten bei faradischer und 
galvanischer Hautreizung sehr lebhaft und zahlreich, besonders in der Ober- 
schenkelmusculatur. 

Die Patellarreflexe fehlen beiderseits. 

Eein Fussphanomen. 

Nervenstamme der unteren und oberen Extremitaten nirgends 
anf Druck schmerzhaft; nirgends Anschwellungen. 

Blase und Mastdarm functioniren jetzt ganz normal. 

Wirbelsaule nirgends druckempfindlich. 

Eeine Storung im Gebiet der Hirnnerven. (Ein geringer Strabismus 
converg. oculi sin. ohne Diplopie ist alten Datums und hat mit der gegen- 
wartigen Affection nichts zu than.) 

22. Juni. Parese der Hande hat noch zugenommen. An den Fussen 
starkeres, an Unter- und Obersohenkeln geringeres Oedem; leichtes Oedem 
der Hande. Eein Druckschmerz an Muskeln und Nerven; nur eigenthum- 
liches Gefuhl bei Druck. Expectoration wesentlich abgeschwacht, die dabei 
wirkenden Bauchmuskeln contrahiren sich zwar, aber mit erheblich verringerter 
Energie. Trotzdem und trotz der unveranderten Diaphragmalahmung und der 
fortschreitenden Lungenaffection hat Pat bis jetzt auffallenderweise keine DyspnoA 
Einen Tag (18. Juni) wieder vorubergehend unwillkurlicher Urin- und Stuhl- 
abgang. 

15. Juli. Zunehmende Erschopfung. Puls zwischen 100 und 120. Re- 
spirationsfirequenz 40—50. Temperatur stets massig erhoht, — Abends zwischen 
38,0 und 39,0. Seit dem 12. Juli treten zeitweilig Abends und in der Nacht 


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Erstickungsanfalle ein. Die Expectoration ausserst schwierig and mangel- 
haft. Die Paralyse der oberen Extremitaten hatte im Allgemeinen noch etwas 
zugenommen, ohne aber complet zu werden. 

23. Juli. Die dyspnoischen Attacken haufiger, alle therapeutischen Maass- 
nahmen ohne Erfolg. 

Am 24. Juli fruh erfolgte der Exitas letalis. 

(Schluse folgt.) 


H. Referate. 

Anatomie. 

1) Varieta delle circonvolumoni oerebrali nei parai del Poggi. (Ri vista 
sperimentale di freniatria. 1883. IX. 4. p. 403.) 

Yerf. stellt die an 50 Gehimen (25 M., 25 W.) von Geisteskranken gefundenen 
Windungsvarietaten zusammen and vergleicht die statistische Haufigkeit der einzelnen 
Abweichungen mit den von Giacomini Mr normale Individuen angegebenen Zahlen. 
Es ergaben sich dabei eine Anzahl von Differenzpunkten, die Verf. nun als charak- 
teristisch Mr „Geisteskranke“ betrachtei Daliin gehCrt unter Anderem die geringere 
Entwickelung und absteigende Richtung des vorderen Schenkels der Fossa Sylvii, 
grOssere Seltenheit von Anastomosen dieser letzteren mit der Fissura prae- and post- 
rolandica, Yerdoppelung der Fissura "calcarina, starkere Ausbildung der Fissura oc- 
cipito-parietalis externa, grOssere Seltenheit der Anastomosen zwischen Centralfurche 
und den Frontalfurchen u. 8. f. Bei der grossen Yariabilitat dieser Verhaltnisse 
dtlrfte die geringe Zahl dieser mtihseligen Untersuchungen wohl kaum genflgen, um 
derartigen statistischen Ergebnissen schon den Charakter von Thatsachen zu ver- 
leihen. E. Kr&pelin. 


2) Sella flna anatomia degli organi centrali del sistema nervoso del Golgi. 

(Rivista sperimentale di freniatria. 1883. IX. 2 e 3. p. 161; 4. p. 385.) 

Diese mit Tafeln sehr reich ausgestatteten Arbeiten des bekannten Histologen 
behandeln das Ammonshom, die sog. Nervi Lancisii und den Bulbus olfactorius. Die 
untersuchten Objecte waren ausser vom Menschen von mehreren Thiergattungen ent- 
nommen und nach verschiedenen Methoden, meist aber mit Argentum nitricum, be- 
handelt worden. Das Ammonshorn setzt sich nach Golgi aus zwei Windungen zu¬ 
sammen, der directen umgerollten Fortsetzung des Gyrus Hippocampi (strato grigio 
circonvoluto) und der den freien Rand derselben umfassenden Fascia dentata, die er 
aus den grauen Massen der Nervi Lancisii entstehen lasst. Die erstere Windung 
wird an der Ventrikeloberflache von dem Alveus Oberkleidet, der eine Fortsetzung 
der Markmasse des Gyrus Hippocampi darstellt und in die Fimbria auslauft. Nach 
aussen dagegen schiebt sich als Grenzschicht das Stratum circumvolutum die oberflach- 
liche Marklamelle der Substantia reticularis unter dem Namen der „Lamina midollare 
circonvoluta“ ein. Die Pyramiden der Rinde ordnen sich im Stratum convolution in 
eine oder wenige Reihen und senden nach innen wie nach aussen zahlreiche verastelte 
Protoplasmafortsatze. Die Axencylinderfortsatze gehen, nachdem sie einige Aestchen 
nach aussen gesandt haben, in das Mark des Alveus tiber. Aus dem Netzwerk dieser 
letzteren Aestchen geht die umgerollte Marklamelle hervor. Eine ahnliche, aus kleineren 
Zellen bestehende und umgekehrt angeordnete Schicht findet sich in der Fascia den¬ 
tata. Die Protoplasmafortsatze laufen hier alle nach der Oberflache zu, um sich mit 
den strahlenformigen Zellen der Neuroglia zu verbinden, wahrend die nach innen 


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gericbteten Axencylinderforts&tze schliesslicb in den Alveus fibergeben. Einen eigenen 
Marktbelag der Fascia dentata erkennt G. nicbt an. Anf Grand allgemeiner Erwagungen 
kommt Yerf. zu der Vennuthung, dass die aus einem nervOsen Netzwerk hervorge- 
gangenen Fasern der Lamina midollare circonvolnta wohl als sensorische, diejenige 
des Alveus und der Fimbria dagegen wegen ibres directen Ursprunges aus Zellen als 
motoriscbe aufzufassen seien. 

Die zweite Arbeit weist in den Nervi Lancisii ausser den in die Substantia 
reticularis fibergehenden Markstreifen aucb die Existenz grauer Masse nach, welcbe 
sicb in die Fascia dentata fortsetzt. Beim Menscben, Hund und Cynocepbalus Bu- 
buin sind diese Tbeile sebr gering, beim Pferde, Bind, Macacus cynomolgus sind sie 
relativ stark entwickelt. G. vermutbet einen Zusammenbang mit dem Olfactorius. 

Die bistologiscbe Untersucbung des Bulbus olfactorius lebrte den Yerf. bier 
2 verscbiedene Zellengattungen kennen, deren eine mit zwar ver&steltem, aber scbliess¬ 
lich in eine gewfibnlicbe Nervenfaser ausgebenden Axencylinderfortsatze versehen war, 
wabrend derselbe bei der anderen sicb ganzlicb in ein feines Netzwerk aufldste. Aus 
diesem letzteren sollen nacb G. die Fasern des Tractus olfactorius, sowie diejenigen 
der vorderen Commissar bervorgeben, wfibrend sicb aus den Axencylinderfortsatzen 
der ersteren Ztlge zum Stabkranze entwickeln. Ob es wirklicb mOglich ist, derartige 
verwickelte Details durcb die rein anatomiscbe Untersucbung festzustellen ? Sebr zu 
bedauern ist es, dass G. von Ganser’s eingebenden Forscbungen fiber viele der 
besprocbenen Fragen keine Kenntniss gebabt zu baben scbeint. E. Krapelin. 


3) F&rbungsmethoden des Centralnervensystems. 

Prof. Weigert beschreibt (Fortscbr. der Medicin. 1884. 15. Mfirz) ausffibrlicb 
die neue Farbungsmetbode, auf die bereits in Nr. 5 d. Bl. S. 106 aufmerksam ge- 
macht wurde. Die Beschreibung muss im Original nachgeseben werden. 

Prof. Adamkiewicz (Anzeiger der k. Akad. der Wissensch. 1884. 6. Marz) 
ffirbt das Rfickenmark mit Safranin und Metbylenblau. Die weisse Substanz wird 
durcb Safranin orangegelb und durcb Methylenblau blau, das Piagewebe, die Septa 
der weissen Substanz und die graue Substanz dagegen werden durcb Safranin rotb 
bis violett, durch Metbylenblau grfin gefarbt. Bestimmte Partien einzelner Rflcken- 
marksstr&nge haben eine besondere Affinitat zum Farbstoff (cbromoleptische). Der 
Trager des Farbstoffes ist nicbt der Axencylinder, sondem eine Substanz, welcbe 
meist dem Axencylinder anliegt und auf Querscbnitten gewohnlich balbmondformige 
Gestalt bat. A. glaubt, dass durcb diese Farbung die Kenntnisse des normalen ana- 
tomiscben Baues, wie gewisser patbologiscb-anatomiscber Veranderungen des Rficken- 
marks geffirdert werden werden. 

Dr. Sahli (Correspondenzbl. ffir Schweizer Aerzte. 1884. 15. Marz) demonstrirt 
in dem med.-pbarm. Verein zu Bern eine neue Doppelfarbung des centralen Nerven- 
systems mit Metbylenblau und Saurefucbsin. Die Axencylinder werden rotb, die 
Markscbeiden sind sebr mannigfacb, z. Tb. blau, z. Th. rotb gefarbt (erythrophile Sub¬ 
stanz Weigert’s und cyanopbile Sahli’s). Es lasst sicb nocb bei den feinsten 
Fasern des Gerlacb’scben Netzes eine Markscbeide in Form eines blauen Saumes 
nacbweisen. S. glaubt, dass durcb diese Methode wird nachgewiesen werden kfinnen, 
dass unsere Yorstellungen fiber die Function der Markscheide vOllig haltlos sind, 
dass ferner unsere Eintbeilung in sensible und motoriscbe Nerven nicbt in jeder Be- 
ziebung, zunacbst nicbt in cbemiscber Beziebung den Tbatsacben entspricbt. So 
sind z. B. die aus den ausseren Keilstrangen in die Hinterbfirner eintretenden Faser- 
bfindel einerseits und die Pyramidenkreuzung andererseits reicb an cyanopbiler Substanz. 

M. 


** 


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Experimentelle Physiologic. 

4) Experiment© an den Ohren von Fischen mit Buoksioht aof den Qleieh- 
gewichtssinn von Henry Sewall, Prof, der Physiologie an der Universitat 
von Michigan, Amerika. (Journal of Physiology. 1884. Febr. Vol. IV. Nr. 6.) 

In der vorliegenden Arbeit berichtet Verf. fiber Versnche, die er am Haifisch 
und Rochen, bezw. an deren Bogengangen ausgeffihrt hat. Nachdem er in der Ein- 
leitung den gegenwartigen Standpnnkt der vorliegenden Frage knrz klargestellt und 
besonders der Arbeit des Referenten und der von Hogyes Erw&hnung gethan, be- 
schreibt er seine eigenen Versnche; denen er eine kurze Mittheilung fiber die ana- 
tomischen Verhaltnisse des Ohres des Haifisches voransschickt. Die operirten Thiere 
wurden 1—6 Stunden lang nach der Operation beobachtet. Die Versnche beziehen 
sich auf die Durchschneidnng der halbzirkelfdrmigen Kanale, anf die Zerreissnng der 
vestibularen Sacke mit gleichzeitiger Entfemnng der Otolithen nnd auf Operationen 
an den Ampnllen der vorderen verticalen und horizontalen Kanale: 

Die Durchschneidnng eines Oder aller halbzirkelfdrmigen Kanale auf einer Seite 
ergaben negative Resultate, in gleicher Weise die Durchschneidung der vertikalen 
Kanale auf beiden Seiten oder die Durchtrennung jeder der 6 Kanale auf beiden Seiten. 

Die Eroffnung der Utriculus ist von den verschiedensten Folgen begleitet, bald 
zeigten sich Stdrungen des Gleichgewichts, bald nicht; ersteres besonders dann, wenn 
beim Rochen nach weiterer ErOflfhung des Utriculus die Otolithen entfernt wurden. 
Starker waren die Storungen nach der gleichen Operation beim Haifisch ausgesprochen 
und ganz besonders, wenn auf beiden Seiten die Otolithen entfernt wurden. Aber 
auch ohne diese Entfernung folgten schon der einfachen Zerreissnng des Utriculus 
Storungen des Gleichgewichts nach, namentlich wenn die Thiere erregt Oder plOtzlich 
in’s Wasser geworfen wurden. Noch starker wurden die Storungen bei ErOffnung 
des Sacculus sowohl nach ein- wie doppelseitiger Operation, mit dem Unterschiede, 
dass sie im ersteren Falle geringfflgig waren. Im Allgemeinen waren die Storungen 
bei vorsichtiger Operation geringer. Die Operationen an den Ampullen ergaben, wenn 
sie mit Vorsicht ausgeffihrt wurden, keine Gleichgewichtsstfirungen, gleichgfiltig, ob 
die ampullaren Nerven durchschnitten Oder mittelst quetschender Instrumente entfernt 
wurden. 

Schliesslich erwahnt Verf., dass er auch an Fischen nach Reizung der ampullaren 
Nerven Nystagmus und haufig Erbrechen beobachtet hat, dass dagegen nach Durch¬ 
schneidung der Kanale allein derartige Erscheinungen niemals auftraten. Ist Verf. 
geneigt, den Nystagmus als einen reflectorischen Vorgang zu betrachten und eine 
gewisse Beziehung zwischen Ohr und dem Gleichgewichtssinn zu statuiren, so halt 
er die Annahme, dass man es hier mit einem peripheren Sinn des Gleichgewichts 
zu thun hat, ffir ungerechtfertigt und kann desshalb den Anschauungen von Goltz, 
Mach u. A. nicht das Wort reden. B. Baginsky. 


5) Die Function der Gehorschneeke von Dr. Benno Baginsky in Berlin. 

(Arch. f. path. Anat. Bd. 94. H. 1.) 

Um experimentell die Helmholtz’sche Theorie fiber das H6ren der T6ne (— 
Mitschwingen bestimmter Theile der Membrana basilaris der Schnecke bei Zuleitung 
von Schallschwingungen, und zwar so, dass die Theile der Membrana basilaris an der 
Schneckenbasis fur die hohen, diejenigen an der Schneckenspitze ffir die tiefen 
Tone abgestimmt seien —) zu erproben, unternahm B. in H. Munk’s Laboratorium 
eine grOssere Reihe von Versuchen an Hunden. 

B. zerstorte zuerst auf der einen Seite die Schnecke so vollstandig wie moglich, 
auf der anderen Seite verletzte er die Schnecke nur an der Spitze. Es ergab sich 
danach, dass die Thiere, etwa am Ende der ersten Woche, zuerst nur das 5 und 


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153 


4mal gestricheDe C, spater auch das 3 und 2mal gestrichene hOrten, die tieferen 
T6ne dagegen nicht. 

Die andere Yersuchsreihe, wobei B. nach ZerstCrung der einen Schnecke die 
andere nor an der Basis zu verletzen suchte, gelang moistens nicht nach Wunsch, 
doch hatte immerhin eine Anzahl von Experimenten das Resultat, dass die Hondo 
einige Zeit nach der Operation nor die tiefen TOne hftrten. 

In alien Fallen worde schliesslich die genaoeste anatomisch-histologische Unter- 
sochong des Gehflrorgans vorgenommen ond gefunden, dass bei den Thieren, welche 
nor noch die hohen TSne hOrten, das Corti’sche Organ an der Schneckenbasis intact, 
an der Spitze narbig degenerirt war. 

Wenn demnach die Yersoche wenigstens in Bezog aof die Schneckenbasis nicht 
ganz nach Wonsch gelangen, so darf Yerf. immerhin aos ihnen den Schloss ziehen, 
„dass die Spitze der Schnecke andere Fonctionen hat, als die Basis, ond dass diese 
die dem H5ren hoher T5ne dienenden, jene die dem H6ren tiefer Tone dienenden 
Theile enth&lt.“ Hadlich. 


Pathologische Anatomie. 

6) Recent and old case of infantile palsy by Dr. Angel Money. (British 
med. Jonm. 1884. Febr. 23. p. 361.) 

Yerf. hatte Gelegenheit, das Rfickenmark in 2 Fallen essentieller Kinderlahmong 
zo ontersochen ond zwar bei einem 2jahrigen Madchen, 16 Tage nach dem Beginn 
der beiderseitigen Lfihmung, ond bei einem 7jahrigen Knaben, 5 Jahre nach dem 
Ausbrnch der rechtsseitigen Erankheit. In dem frischen Falle fand sich eine enorme 
Hyper&mie im Centrum der Lendenanschwellong ond eine so bedeutende Infiltration 
beider VorderhOmer (und ihrer nachsten Umgebung) mit weissen BlotkOrperchen, dass 
die Ganglienzellen nicht mehr zo erkennen waren. In dem alten Falle war das rechte 
Vorderhorn atrophisch ond sklerotisch, die Ganglienzellen fehlten vOllig. Verf. halt 
beide Befonde f&r verschiedene Stadien ein ond desselben Prozesses; als das Primare 
sieht er eine Erkrankong der Gefassw&nde an. Eventoelle Hamorrhagien ond Myeli- 
tiden wfirde er nor als Folgezustande betrachten. Sommer. 


7) n peso del oervello negli alienati. Vortrag des Dr. Amadei aof dem 
IY. Congress der „Societ& freniatrica Italiana“ zo Voghera. (La psichiatria. 
1884. p. 88.) 


Verf. besprach die Resoltate von 500 Gehimw&gungen, die sich aof die ver- 
schiedensten Formen geistiger StOrong vertheilen; das Material zo dieser aosserordent- 
lich grossen Untersuchungsreihe stammt aos der Irrenanstalt zu Reggio. Von all- 
gemeinem Interesse wird folgende Zosammenstellung der ermittelten Dorchschnitts- 
werthe for Manner ond Frauen sein. Himgewicht 


Krankheitsform 

Manner 

Frauen 

Imbecillitat. 

. 1297 

1114 

Epilepsie. 

. 1296 

1185 

Hysterie. 

— 

1223 

Paranoia. 

. 1352 

1336 

Period. Irresein . . . 

. 1418 

1254 

Manie. 

. 1404 

1226 

Melancholic. 

. 1395 

1213 

Terminalblftdsinn . . . 

. 1333 

1114 

Alcoholismos .... 

. 1348 

1165 

Progr. Paralyse . . . 

. 1300 

1075 

Gesonde nach Tenchini 

. 1356 

1235 S 


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Sommer. 













154 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Zur Caauistik der Kleinhimsklerose von W. Sommer. (Arch. f. Psychiatrie. 

Bd. 15. H. 1.) 

Bei der Section eines 30jahr. Idioten, der nnr in den letzten Monaten semes 
Lebens Symptome psychischer Agitation nnd einen eigenthtimlich nach vorw&rts 
drangenden nnd schwankenden Gang dargeboten hatte, fand sich neben chronischem 
Hydrocephalus ein infantiles Cerebellum mit Sklerose des Lobns posterior sup. nnd 
inf. beiderseits. Wahrend nach Meynert das Kleinhirn der Irren 110,7 °/ 00 des 
Gesammthirngewichts betragt, wog es im vorliegeuden Falle nur 114 Gramm, was 
einem Promille von 73,1 entspricht. Die sklerotischen Stellen zeigten makro- wie 
mikroskopisch das bekannte Verhalten. 

Bemerkenswerth ist der plfitzliche Tod, auf dessen hanfiges Eintreten bei der- 
artigen Kleinhirnaffectionen fibrigens Bernhardt bereits aufmerksam gemacht hat, 
und das Fehlen aller auffalligen Functionsstfirungen, abgesehen yon den letzten Mo¬ 
naten, obschon die Entwickelung der Sklerose mit gr5sster Wahrscheinlichkeit in's 
3. Lebensjahr des Patienten zurfick datirt werden kann. M. 


0) Beeherehes anatomo-eliniques sur les scleroses bilatArales de la moelle 
ApiniAre consAcutives A des lAsions unilatArales du cerveau par 

Pitres. (Arch, de physiol. Bd. 30. H. 2.) 

P. hat 10 Beobachtungen secundarer Degeneration beider Pyramidenseitenstrang- 
bahnen nach einseitigen Hirnherden gesammeli Bis zur Pyramidenkreuzung war die 
Veranderung strong einseitig. Im ,Rfickenmarke waren 6mal die beiden Pyramiden- 
seitenstrangbahnen gleich intensiv und in gleicher Ausdehnung befallen, 4mal war die 
gekreuzte Seitenstrangbahn starker degenerirt. In den ersten 6 Fallen schien die 
Veranderung beiderseits etwas fiber den Rayon der Pyramidenbahnen nach vorn sich 
auszudehnen und die Sklerose weniger dicht zu sein, als bei der gewfihnlichen ein¬ 
seitigen Veranderung. 

Die Pyramidenvorderstrangbahn war in 2 von den 6 Fallen der gleichmassigen 
doppelseitigen Degeneration ganz frei, 2mal gleichmassig doppelseitig, lmal ungleich- 
massig doppelseitig und lmal einseitig degenerirt. Von den 4 Fallen mit vorwiegender 
Degeneration der gegenfiberliegenden Pyramidenseitenstrangbahn hatten 2 kerne Ver¬ 
anderung im Pyramidenyorderstrang, 1 eine doppelseitige ungleichmassige und 1 eine 
einseitige Degeneration dieser Region, der letztere auf der Seite der starker befallenen 
(gekreuzten) Pyramidenseitenstrangbahn. 

Die Hypothese Charcot’s, dass die Fasern der gleichnamigen Pyramidenseiten¬ 
strangbahn durch eine Ereuzung in der yorderen Commissur auf diese Seite gelangt 
seien, yerwirft P., weil er niemals in der yorderen Commissur degenerirte Fasern 
sehen konnte und weil die Veranderung im Halsmarke direct unter der Pyramiden¬ 
kreuzung st&rker ausgesprochen war, als im Brusttheile, also nicht successiv fiber 
die Mittellinie hinfibertretende Fasern befallen haben konnte. 

Ebensowenig ist die Annahme gerechtfertigt, dass bei der Durchfiechtung der 
Fasern in der Pyramidenkreuzung, wo die Fasern einer Seite mit den in Folge des 
Himherdes degenerirten der anderen Seite sich berfihren per contiguitatem die bis 
dahin intacten erkrankten (Hallopeau). Die Degeneration ist zu genau auf die Pyr.- 
Seitenstrangbahnen beschrfinkt, um eine solche Uebertragung eines Krankheitsprozesses 
auf die benachbarten Fasern mfiglich erscheinen zu lassen. 

Es ist also wahrscheinlich, dass bei einer gewissen Anzahl von Menschen noch 
eine andere Vertheilung der cortico-muscularen Leitung stattfindet, als die durch 
Flechsig bekannt gewordenen, dass namlich die Pyramidenbahn auf beide Seiten- 
str&nge (und manchmal auch noch auf einen oder beide Vorderstrange) sich vertheilt. 


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155 


Eine constants Beziehung der doppelseitigen Degeneration za den klinischen 
Symptomen, welche im Leben auf beiden Kbrperhalften wahrgenommen werden, be- 
steht nicht. Die Abnabme der groben Kraft auf der „nicht gelahmten" Seite findet 
sich stets (Friedlander, 1883. Nr. 11 d. CentralbL), also auch bei einseitiger De¬ 
generation. Die Steigerung des Kniephanomens und der Wadenklonus kann auf beiden 
Seiten auftreten (Westpbal). Die „secundare Contractur" tritt ebenfalls bisweilen 
in beiden Beinen auf, auch von dieser lasst sich nicht sagen, dass sie die nothwendige 
Folge einer doppelseitigen Degeneration der Pyramidenstrange sei, da unter den 
10 Fallen P.’s mit diesem anatomischen Befunde die Gontractur 8mal auf die ge- 
kreuzten Extremitaten beschrankt war. Nur fur eine Abnahme der Gehf&higkeit 
und der Mbglichkeit, das Gleichgewicht des Rumpfes zu bewahren, ist es wahr- 
scheinlich, dass sie in den Fallen starker hervortritt, in welchen die secundare De¬ 
generation auf beide Pyramidenseitenstrangbahnen vertheilt ist. MoelL 


10) Ueber einen Fall von sogenannter spastisoher Spinalparalyse mit 
anatomischem Befunde, nebst einigen Bemerkungen fiber die pri- 
mhre Erkrankung der Pyramidenseitenstrangbahnen von Prof. C. West- 
phal. (Arch. f. Psychiatrie etc. 1884. Bd. XV. H. 1.) 

Ein bei der Aufnahme (1876) 38jahr. Kutscher, ohne hereditare Predisposition, 
hatte im Jahre 1873 ein Ulcus syphilitic, aquinrt 1876 Beginn der Erkrankung 
mit Steifheit und spastischen Erscheinungen in den unteren Extremitaten, zuerst beim 
Uriniren hervortretend. Allmahlich zunehmende Schwache der Beine mit spontanen 
Zuckungen, spastischer Gang, Widerstand bei passiven Bewegungen in den Kniegelenken, 
der aber nur bei brisker Ausfflhrung der Bewegung bemerkbar war. Sehnenphano- 
mene gesteigert, — Fussclonus, Clonus im linken Quadriceps. Steigerung der directen 
mechanischen Erregbarkeit in einzelnen Muskeln. Steigerung der Hautreflexe. Er- 
hebliche Herabsetzung der Temperaturempfindung an den unteren Extremitaten ohne 
wesentliche Alteration der flbrigen Sensibilitltsqualitaten. Muskelgeftihl erhalten, 
faradische und galvanische Erregbarkeit normal. Obere Extremitaten intact. Haufiger 
Urindrang. Intercurrente und rasch voribergehende Zunahme der Muskelsteifigkeit. 
Mehrere Jahre ziemlich stationarer Zustand, langsame Zunahme der Muskelrigiditat 
der unteren Extremitaten, geringe Sensibilitatsabnahme am rechten Fuss und Unter- 
schenkeL Blasencatarrh. Sommer 1880 plbtzlich Lahmung des rechten Arms, Him- 
erscheinungen, psychische Yeranderung, Kopfschmerz, Erbrechen, Tod unter Auftreten 
von Sopor und Parotitis. 

Bei der Autopsie ausgedehnte Erweichung in der Marksubstanz des Grosshirns 
links, in der rechten Hemisphere nur die Ausstrahlung des Balkens in den Hinter- 
hauptslappen erweicht. Im Rhckenmark bei der mikroskopischen Untersuchung 
eine doppelseitige symmetrische Degeneration der Pyramid enseitenstrang- und Klein- 
himseitenstrangbahnen und zwar so, dass die Degeneration der Pyramidenseitenstrange 
gegen den unteren Theil der Halsanschwellung bin schwach beginnt, weiter nach oben 
nicht mehr sicher zu constatiren ist, am Uebergang vom Hals- in den Brusttheil 
intensiver wird und sich in ziemlich derselben Intensitat nach abwarts bis zum 
Sacraltheil erstreckt. Die Kleinhimseitenstrangbahnen sind in ihrem ganzen Verlauf 
betroffen. Ausserdem noch eine geringe Affection gewisser Theile der Goll’schen 
Stringe im Hals- und oberen Brustmark. Ausser vollstandigem Schwund der Gang- 
lienzellen der Clark’schen Saulen keine Yeranderung in der grauen Substanz. 

Die Diagnose war bei Lebzeiten auf eine multiple Degeneration des Rfickenmarks 
oder auf eine der Formen combinirter Erkrankung einzelner Strange gestellt worden 
— vorbehaltlioh der Mbglichkeit einer isolirten Degeneration der Seitenstrange, resp. 
der Pyramidenbahnen. Spater nahm man Uebergang der multiplen Degeneration auf 
das Gehirn an. 


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156 


Es handelte sich nach der anatomischen Untersuchung am eine prim&re Seiten- 
strangdegeneration (Pyramiden- and Kleinhirnseitenstrangbahnen amfassend) + einer 
geringen eigentMmlichen Degeneration der Goll’schen Strange. 

Das Krankheitsbild entsprach im Wesentlichen demjenigen der spastischen 
Spinalparalyse and bestatigte den frtiher von Westphal aosgesprochenen Satz, 
dass das genannte Bild entstehen kann bei Erkrankong der Seitenstr&nge in ver- 
scbiedener Ausdehnung, in Verbindong mit Erkrankang der Hinterstrange, wenn 
letztere nicht bis in den Lendentheil (oder nnteren Brusttheil?) herabreicht. 

Welche Genese and Bedeutung dem complicirenden encephaloraalacischen Prozess 
zu vindiciren ist, entscheidet W. nicht, da eine genaae anatomische Untersuchung 
(auch der Gefasse) aus ausseren Grtinden unterblieb; keinenfalls ist die Erkrankang 
der Pyramidenseitenstrangbahnen als secondare, durch den Hirnherd bedingte auf- 
zufassen. 

W. f&gt nun einige wichtige Bemerkungen bei fiber die isolirte primare 
Degeneration der Pyramidenseitenstrangbahnen. Zunachst betont er, dass 
immer noch kein vollkommen sicher die Existenz einer solchen beweisender Pall vor- 
liege, denn auch in dem Falle von Morgan and Dreschfeld ergab sich bei sp&terer 
genauer Untersuchung eine Mitbetheiligung gewisser Partien der Vorderhbmer (Atrophie 
der Ganglienzellen). W. ist daher eher geneigt den Fall wenigstens anatomisch als 
Anfangs8tadiom einer amyotrophischen Lateralsklerose zu betrachten. Einzig sicher- 
gestellt erscheint W. das Vorkommen einer primaren Erkrankang der Pyramiden¬ 
seitenstrangbahnen bei der allgemeinen Paralyse der Irren, bei welcher ersie 
zuerst beschrieben hat Als ungerechtfertigt weist W. die Yermuthung Flechsig’s 
und Anderer, dass man es auch hier mit einer secundaren, vom Gehirn her absteigenden 
Degeneration zu than haben kdnne, zorhck. 

Der Gesichtspunkt, yon dem aus diese and die Formen combinirter Strang- 
erkrankungen bei den paralytischen Irren aufgefasst werden kOnnen, ist nach W. der, 
dass diejenigen Systems, die bei der Entwickelung des Rflckenmarks den Schloss 
bilden, in denen am spatesten die Bildung der Markscheiden auftritt (Py.-B., sodann 
H.-B. und El.-S.-B.), unter gewissen Umstanden am ersten einem Involutionspro- 
zesse anheimfallen, welcher mit einem Zugrundegehen der Markscheiden beginnt. 

W. hebt schliesslich noch einen Unterschied in den klinischen Erscheinungen 
hervor, welche die combinirte Erkrankang der Hinter- and Seitenstr&nge bei paralytisch 
Geisteskranken einerseits, bei psychisch Gesunden andererseits bedingt Bei den letz- 
teren verlauft die Erkrankang unter dem Bilde der „spastischen Spinalparalyse", falls 
die Erkrankang der Seitenstrange bis nach abwarts sich erstreckt and die Hinter- 
str&nge vom anteren Brast- resp. Lendentheil ab frei sind; sind diese fiber die ge- 
nannten Partien hinaus nach abwarts in gr&sserer Ausdehnung oder im ausseren Ab- 
schnitt erkrankt, so entwickeln sich die spastischen Erscheinungen nicht. Bei paralytisch 
Geisteskranken dagegen findet man auch bei gegebenen anatomischen Bedingungen 
selten das Bild der spastischen Spinalparalyse, sondern meist paralytische Schw&che 
in Verbindong mit Tremor, erhOhtem Kniephanomen. Der Grand dieser Verschieden- 
heit mag, wie Westphal ausfdhrt, darin liegen, dass die Erkrankang der Rflcken- 
marksstrange and namentlich der Seitenstrange bei den paralytisch Geisteskranken 
selten den Grad der Entwickelung erreicht, wie bei Nicht-Paralytikern and zwar weil 
das Leben derselben durch manche Complicationen abgekflrzt wird. Es kommt daher 
nicht zu der fast vollstandigen Atrophie, zu dem Verlust fast aller markhaltigen 
Nervenrdhren; and gerade davon sind vermuthlich die Muskelrigidit&t und die spas¬ 
tischen Erscheinungen abh&ngig. Eisenlohr. 

11) Etude d’un oas de flausse sclerose systdmatique oombinde de la mobile 
(scleroses syst&natiques ou p^ritubulaires et scleroses peri-vascu- 
laires) par Ballet et Minor. (Arch, de Neurol. No. 19. p.44— 84. PL I— in.) 


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Die Verfasser kntipfen ihre Betrachtungen fiber combinirte Strangaffectionen im 
Rfickenmark an einen Fall, der eine Systemerkranknng vortauschte, bei naherer Be- 
trachtnng aber als diffuse Sklerose sicb darstellte. Afficirt waren beiderseits sym- 
metrisch die Hinter- and Hinterseitenstr&nge; erstere nur im Hals- und Brusttheil, 
letztere im ganzen Yerlauf. Im unteren Hals- und oberen Brustabschnitt war die 
Affection am intensivsten und auf den ganzen Querscbnitt ausgedehnt, nacb oben und 
unten nabm sie an Ausdehnung ab, betraf aber sowobl die Burdach’schen als die 
Goirschen Strange, im oberen Halstheil allerdings vorzugsweise die letzteren. — 
Die Seitenstrangaffection umfasste die Pyramidenseitenstrang- und die Kleinhimseiten- 
strangbahn, ging aber sowohl innerhalb des einzelnen Querschnitts fiber die Grenzen 
dieser System© hinaus, als aucb reichte sie in Begionen des Rfickenmarks hinab, in 
denen dieselben langst erschfipft sind. Die Sklerose erreicbte das Hinterhorn, bezog 
dasselbe sogar vielfacb ein, so dass Seiten- und Hinterstrang ein continuirliches De- 
generationsfeld bildeten. Gegen die Systemnatur dieser Affection sprechen nacb den 
Verff. ausser der bescbriebenen Topographic noch folgende Moment©: Die Pyramiden- 
vorderstrangbahnen waren intact, ebenso die YorderhOmer; das histologische Bild war 
nicht das der Systemerkranknng („peritubulare“ Sklerose), wie z. B. bei der secun- 
daren Degeneration, sondern das der „perivascularen Sklerose" indem die Axencylinder 
Yaricositaten und Unterbrechungen zeigten, zablreicbe erweiterte Gefasse mit geffiUten 
perivascularen Raumen und viele abnorm grosse Spinnenzellen anzutreffen waren. 
Aetiologisch wird — auf Grund der histologischen Diagnose — die anamnestisch 
fibrigens nicht sichergestellte Syphilis angeschuldigt, wiewohl die Yerff. sonst Gegner 
der syphilitischen Tabes sind. — Das Leiden hatte mit lancinirenden Schmerzen be- 
gonnen; es folgte Sehnervenatrophie mit vollstandiger Amaurose, Kopfschmerzen; dann 
erst Extremitatenlahmung mit zunehmenden Gontracturen, Hyperasthesie, erhfihten 
Sehnenreflexen. Es bestatigt sich also auch hier der von Westphal aufgestellte 
Satz, dass bei combinirter Hinter- und Seitenstrangaffection die grOssere Ausdehnung 
der einen Oder anderen ffir die Symptomenreihe, speciell auch ffir das Verhalten der 
Sehnenreflexe entscheidend ist. — Eine Analyse der bisher verfiffentlichten combinirten 
Strangaffectionen im Rfickenmark ergiebt den Yerff. folgende 5 Gruppen: 

1) diffuse Sklerose; hierzu gehfirt der von ihnen beschriebene Fall; 

2) combinirte Systemerkranknng der Bandelettes latdrales, Goll'schen Strfinge und 
Kleinhirnseitenstrangbahnen; 

S) prim&re Systemerkranknng der Burdach’schen Strange; von hier aus auf dem 
Wege einer Leptomeningitis Myelitis der periphersten Theile der Hinterseitenstrange, 
die eine Systernerkrankung der Kleinhirnseitenstrangbahnen vortauscht; 

4) primare diffuse Myelitis mit aufsteigender (Kleinhirnseitenstrangbahnen und Goll’sche 
Strange) und absteigender (Pyramidenbahnen) secundarer Degeneration; 

5) echte combinirte Systemerkrankung der Hinterstrfinge und Pyramidenbahnen. Diese 
sei bisher erst aus 2 Fallen bekannt: dem von Kahler und Pick (Arch. f. Psych. 
VHl. 2), der zudem wegen gleichzeitiger Erkrankung der Kleinhirnseitenstrang¬ 
bahnen nicht rein sei; und dem von Damaschino (Comptes rendus. 1882). 

Tuczek. 


12) Herdf5rmige Sklerose nach Diphterie von Stadthagen. (Arch. f. Kinder- 
heilkunde. Bd. V. H. 1 u. 2.) 

lljahr. Knabe fiberstand in seinem 4. Lebensjahre eine Angina diphtheritica, 
im Anschluss an welche sich die bekannte Lahmung des Gaumensegels einstellte. 
Wahrend aber die Fahigkeit, ordentlich zu schlucken, nach einiger Zeit vollkommen 
wiederkehrte, behielt die Sprache ihren nfiselnden Gharakter; ob auch andere Lah- 
mungen, z. B. Schielen, vorhanden waren, ist heute nicht mehr festzustellen. Der 
Gang war anfangs unbeholfen, einige Monate spater schleppte der Knabe das rechte 


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158 


Bein nach, und die Gebrauchsf&higkeit desselben verschlechterte sicb im Lanfe des 
Jabres noch mebr. Seit etwa 2 Jabren ist auch der recbte Arm schwacher geworden 
und zittert bei Bewegungen; in alleijtingster Zeit sind ancb der linke Arm nnd das 
linke Bein bei Bewegnngen etwas genirt. Das Ged&chtniss nnd die Intelligenz des 
Knaben baben in keiner Weise gelitten, nnr ist seine Stimmnng in letzter Zeit etwas 
weinerlicb geworden; aucb der Gesichtsausdruck ist in Folge Labmung der Muskein 
im nnteren Facialisgebiete, speciell aber der Lippenmuskeln, ein weinerlicber. Pfeifen 
ist nicbt mbglich, grosse Bissen mdssen mit den Fingern bis in den Racben geschoben 
werden, werden dann aber gut gescbluckt. Mundwinkel in Folge der vermebrten 
Speicbelsecretion nnd des mangelnden Lippenverschlusses, excoriirt. Lippen nnd Znnge 
nicbt atropbiscb; Gescbmack nnd Sensibilitat der Znnge wobl erhalten, faradiscbe nnd 
elektriscbe Erregbarkeit der Lippen- und Zungenmusculatur nicbt herabgesetzt, Reflex- 
erregbarkeit des Gaumens merkUch berabgesetzt. — Sprache scbleppend und monoton, 
alle Zungen- nnd Gaumenlaute werden nndeutlich gesprocben. 

An den Extremit&ten findet sicb bei genauerer Untersucbnng im Wesentlicben 
eine Combination von Lahmungen nnd Mnskelspannnngen, daneben tbeils mebr, tbeils 
weniger deutlicbe Znnabme der Sehnenreflexe, dagegen feeine wesentliche Betbeilignng 
der Sensibilitat, keine bemerkenswerthe Atropbie, normale Oder wenig veranderte elek- 
trische Erregbarkeit — ein Symptomencomplex, der in seiner Gesammtbeit anf das 
System der Pyramidenseitenstrangbahnen hinweist. Die Art und Entwickelung dor 
Erankbeitserscbeinungen macbt es wabrscbeinlich, dass disseminirte Heerde besteben, 
nnd dass der Prozess von unten nacb oben in die H6be gestiegen sei. 

Die Combination von Labmnngen nnd Erampfzustanden der Muskein weist daranf 
bin, dass wabrscbeinlicb die als disseminirte Oder Herdsklerose bekannte Form der 
cbronischen Myelitis der Erkranknng zu Grunde liegt. HierfQr spricht ancb der 
Anschluss an eine acute Infectionskrankbeit, der allm&blicbe Beginn, der eminent 
cbronische Verlauf nnd die jahrelangen Stillstande. 

Der vorstebend skizzirte Fall ist wohl der erste sichere Fall einer im Eindes- 
alter vorgekommenen Bulbarparalyse. M. Co bn, Hamburg. 


13) Zur Pathologie und pathologisohen Anatomie der Neuritis und des 
Herpes Zoster. Aus dem allg. Erankenbanse in Hamburg von Dr. H. Cnrscb- 
mann und Dr. C. Eisenlobr. (D. Arch. f. klin. Med. Bd. XXXIV. S. 409.) 

Die pathologische Anatomie des Herpes Zoster wird durch mehrere in dem vor- 
liegenden Anfsatze mitgetheilte wicbtige nnd interessante Beobacbtnngen bereicheri. 

1. Ein 70 Jabre alter Empbysematiker bekam im April 1880 unter lebhaften 
nenralgiscben Scbmerzen eine Starke Zoster-Eruption im Verbreitnngsbezirk des recbten 
N. axillaris, cntanens medialis und medins, sowie des cutaneus lateralis. Dabei be- 
stand Fieber bis 39° C. nnd eine bedeutende schmerzhafte Schwellnng der Achsel- 
lymphdrfisen. Die Abheilung erfolgte unter Narbenbildung und die Neuralgia be- 
stand danacb nocb fort. Im Lanfe des Mai entstanden an den oben genannten Nerven 
zablreicbe kleine EnGtchen, birsekomgross, auf Drnck ziemlicb stark empfind- 
licb. Motilit&t und Sensibilit&t am recbten Arm ganz normal. Am 17. Juni wurden 
einige EnCtcben excidirt und mit den anhaftenden kleinen Nervenzweigen genan 
mikroskopiscb untersucbt. Hierbei ergab sicb, dass die Nervenfasern selbst 
vflllig normal geblieben waren. Sehr starke Veranderungen zeigte dagegen das Binde- 
gewebe des Epineuriums und das in der weiteren Umgebung der NervenbOndel be- 
findlicbe Bindegewebe und zwar fanden sicb bier zablreicbe Hamorrhagien, Bund- 
zelleninfiltration urn die Capillaren bemm, die Capillaren selbst erweitert nnd mit 
weissen Blutzellen vollgepfropft, die Zellen des Bindegewebes vergrOssert nnd ge- 
spannt. — Nach der Operation liessen die Scbmerzen allm&hlicb nacb nnd im Ver¬ 
lauf der nachsten Wochen gingen auch die noch vorhandenen perinenritiscben EnOtcben 
zurflck. Als Pat. im Januar 1882 seinem Lnngenleiden erlag, war bei der Section 


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159 


von den neuritischen Yerfinderungen Nichts mehr zn finden. Auch die betreffenden 
Spinalganglien und Nervenwurzeln warden mikroskopisch vollstandig normal 
befunden. 

Somit ist der Fall als eine evidente Perineuritis acuta nodosa aufzufassen. 
£r zeigt, dass man bisher die Veranderungen in den Spinalganglien beim Herpes 
Zoster zu sebr in den Yordergrund gestellt bat und dass die periphere Neuritis 
hierbei kfinftig mehr zu beachten ist. Sie ist gewiss haufig einer etwaigen gleich- 
zeitigen Erkrankung der Spinalganglien coordinirt. 

2. Bei einem 58jfihr. Mann trat Ende Mai 1882 eine Zoster-Eruption in der 
rechten Glutaalgegend auf. Etwa 14 Tage spater waren die Efflorescenzen abgeheilt, 
die heftigen neuralgiscben Scbmerzen bielten aber an und im Yerlauf der befallenen 
Nerven entwickelten sicb nun eine Anzabl (scbliesslicb 10) kleiner sebr schmerzhafter 
KnOtcben. Nacb einigen weiteren Wochen beilte die Affection vdllig ab. — Also 
aucb bier bandelte es sicb sicber urn circumscripte perineuritiscbe Anscbwellungen. 

3. Bei einem 48jahr., an Herzinsuffidenz und allgemeinem Hydrops leidenden 

Pat. trat 3 Tage vor dem Tode ein geringer Zoster intercostalis in der Gegend der 
letzten beiden linken Eippen auf. Bei der Section zeigte es sicb, dass links in 
den tiefen Rflckenmuskeln eine blutige Infiltration entstanden war, durcb welcbe die 
lateralen Hautaste der Nn. intercostales X und XI bindurcbtraten und wabrscbeinlicb 
bier einer Compression ausgesetzt waren. An den Nerven selbst, speciell aber aucb 
an den entsprecbenden binteren Wurzeln und Spinalganglien war trotz genauer mikro- 
skopiscber Untersuchung nichts Abnormes zu finden. Strfimpell. 

14) Zur Lehre der sensorisehen Anftsthesien von H. Oppenbeim. (Centralbl. 

f. d. med. Wissensch. 1884. Nr. 6.) 

0. bestatigt die von Thomson beobacbtete Einschrankung des Gesicbtsfeldes 
bei Epileptikern (cf. Nr. 2 dies. Centralbl. 1884). Er fand ferner betrachtliche Ein- 
schr&nkung des Gesicbtsfeldes neben anderen Stdrungen der Sensibilitat; gleicbzeitig 
mit gewissen psycbiscben Anomalien (Aengstlicbkeit, Scbreckbarkeit, Beizbarkeit und 
Gemfitbsdepression) bei 5 Mannern, von denen 3 Kopfverletzung mit Scbadelfractur, 
2 Railway-spine betrafen, dasselbe bei „Neurasthenien“, endlich in einem Falle von 
multipier Sklerose und in einem Falle cerebraler Erkrankung mit Hemiplegie. 

_ M. 

Psy chiatrie. 

15) L’&lcooli8me en Pologne par Rotbe, Warscbau. Der Socidtd med.-psycbolog. 

referirt von Lubelski, Warscbau. (Annal. mdd.-psycb. 1884. Janvier p. 121.) 

Dem Referat fiber genannte Arbeit Rothe’s entnebmen wir mit Uebergebung 
der scbon aus Baer’s und Nasse’s Arbeiten bekannten Daten und Zahlen fiber den 
Consum und die Schaden des Alcohols Folgendes. 

Rotbe versucbt in dem das Efinigreicb Polen betreffenden Theil der Arbeit 
nachzuweisen, dass das Spricbwort: „Trinken wie ein Pole", wenigstens nacb den 
statistiscben Zahlen fiber den Alcobolconsum unberecbtigt ist. 

Der Verbraucb von Branntwein ist 8,76 Liter pro Kopf der Bevfilkerung per 
Jabr. Im Yergleich mit andem Staaten (Holland 50,22 Liter, Frankreicb [in ein- 
zelnen Departements] 16—23 Liter, Preussen 14,9 + 97 Liter Bier pro Kopf und 
Jabr) ware dieser Consum ja gewiss nicht gross. Leider liegen aber die Yerhalt- 
nisse derart, dass Rotbe seinen eigenen Zahlen nur geringen Worth beimessen kann. 
Dieselben ffir die statistische Erbebung ungfinstigen Verhaltnisse, welcbe in Russland 
den wabren Yerbraucb des Alcohols verscbleiern (die statistiscb festgesetzte Zahl ffir 
Bussland ist 14 Liter pro Kopf und Jabr), gelten aucb ffir Polen, zumal ein aus~ 
gedehnter, nicht zu scbatzender Scbmuggel von Branntwein. 


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Charakteristischer Weise ist gerade in den an Preossen grenzenden Bezirken 
Polens der Alcoholverbrauch ein ausnehmend geringer, wahrend in einem benach- 
barten preussischen Districte (Posen) der hochste Branntweinverbrauch im preussischen 
KCnigreich statt hat: 31,9 Liter pro Kopf und Jahr, sodass man sich von dem Grad 
des Schmuggels eine Vorstellung machen kann. Neben den Districten, welche einen 
sehr erheblichen Alcoholverbrauch aufweisen, giebt es in Polen andere mit sehr nfich- 
temer Bev6lkerung; es sind dies vorwiegend eingesprengte Stamme fremder Bev&l- 
kerung: Lithauer, Samojeden und Tartaren; ferner orthodoxe Secten. 

Der Consum von Bier ist in Polen ziemlich lebhaft, zumal in den grossen Stadten 
und industriellen Bezirken; die Brauereien sind von Deutschen gegrlmdet und noch 
in deren Handen. Den Verschleiss des Bieres betreiben wie den des Branntweins 
die Juden. 

Der Einfluss des Alcoholverbrauchs auf Zahl und Art der Verbrechen wird in 
dem Lubelski’schen Bericht nur gestreift, ohne nahere Angaben. Die in Polen 
gllltige Gesetzgebung fasst den zum Zweck der Ausffihrung eines Verbrechens er- 
worbenen Rausch als erschwerenden, den Rausch jedoch, bei ohne Vorbedacht im 
Zustande der Trunkenheit begangenen Delicten, als mildernden Umstand auf. 

Die Irrenanstalten enthalten 11,2 °/ 0 mannliche und 8,2 °/ 0 weibliche durch 
Alcoholmissbrauch Erkrankte. 

Auf die letzten, rein pathologischen Kapitel der Rothe’schen Arbeit geht der 
Referent nicht naher ein. Es wird nur noch die Einffthrung von Theehausem zur 
Concurrenz mit den Schenken hervorgehoben, welche jedoch fflr Warschau bislang 
keinerlei Erfolg aufweisen sollen. Jehn. 


16) La folio, r&looolisme et le suicide dans l’armde frano&ise, Auszug aus 
den Annales d’hygidne publique et de mddecine legale, Ddc. 1883, par Mar- 
vaud. (Annales mddico-psychologiques. 1884. Janvier.) 

Geisteskranke AngehCrige der Armee wurden den Spitalern zugeffihrt: 

1875 ... 215 

1876 ... 178 

1877 ... 160 

1878 ... 159 

1879 ... 173 

also 177 im jahrlichen Durchschnitt, was einem Satz von 0,44 auf 1000 des Effectiv- 
standes der Armee entspricht. 

Unter den Aufnahmen in die Irrenanstalten waren im Zeitraum von 1872—79 
1,5 auf 1000 militarische. 

Die vorwiegende Form der geistigen Stdrung in der Armee ist die Paralyse. 

Die Bedingungen ftir die Entwickelung der Geistesstdrungen m6gen in der Armee 
grosser sein, als in der hbrigen BevOlkerung, trotzdem die Zahlen der geistigen Er- 
krankung eher ab-, als zuzunehmen scheinen. Die h5heren Chargen sind starker 
heimgesucht, als die niederen. 

Der Officiersstand weist die moisten paralytischen Erkrankungen auf: die Halffce ! 
bis drei Viertel der sammtlichen Falle (Ldon, Colin); ArtiUerie, Genie und Sanit&ts- 
corps weisen die gr5ssten Zahlen auf. Bei den gewOhnlichen Soldaten begegnet man | 
meist gutartigeren Psychosen (Manie, Melancholie), welche jedoch vom 30. Jahre an 
sich meist mit Alcoholismus vereinigen: die Gefahr geistiger Erkrankung steigert sich j 
mit dem Dienstalter und scheint sich zu vervierfachen nach 14jahrigem Dienst unter 
der Fahne. | 

Alcoholismus in der Armee. 

Acuter Alcoholismus ist bei den jungen Soldaten selten; chronischer bei den 
alten Soldaten mn so haufiger, zumal den Unterofficieren, die an der Grenze der I 


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161 


Mfiglichkeit weiteren Avancements stehen. Der Grand des Alcoholismus wird ffir die 
Soldaten in der Entfemang von der Familie, im Mfissiggang and in der gegenseitigen 
Anregung gesucht. 

Spital-Aufnahmen in Folge von schwerem Alcoholismus sind relativ selten: 
1875 fanden 111 Aufnahmen statt and 22 Todesfalle, 


1876 

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87 

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„ „ -22 

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1877 


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1878 

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1879 

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84 

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„ „ 12 

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was einer Proportion von 1:25 000 ffir die alcoholischen Todesfalle entspricht. 

Suicidium. In der Periode von 1862 69 reprasentirte der Selbstmord die 

Zahl von 1 anf 2000 Soldaten. 

In der Periode von 1872—79 beziffert sich der Selbstmord auf 3,3 °/ 0 der 
Gesammttodesfalle, oder auf 0,35 auf 1000 Mann Effectivbestand der Armee, eine 
immerhin sehr betrachtliche Zahl, verglichen mit denen des Selbstmords in der Civil- 
bevolkerung Frankreichs: 

fur 1000 Menschen landlicher Bevtflkerung im Alter von 20—30 Jahren 0,13 
ffir 1000 Stadter in Orten von fiber 2000 Seelen.0,23 

Die haufigsten Selbstmord© in der Armee finden durch Feuerwaffen statt, seltener 
sind Erhangen und Ertrinken, noch seltener der Tod durch blanke Waffen oder Gift. 

_ Jehn. 

17) Der Alcoholismus in St. Petersburg von Nicolajeff. (Wratsch. 1884. Nr. 1. 

Russisch). 

Die Zahl der an Alcoholismus (apwohl acuten, als chronischen Formen) Leidenden 
betrug im Laufe von 6 Jahren (1877—1882) in 5 Civilhospitalern 5396. Die 
meisten Aufnahmen fanden regelmassig im August statt (gegen 12,2 °/ 0 ), dann folgen 
Mai, Juni und Juli (durchschnittlich fiber 10°/ 0 ), die geringsten in den kalten Winter- 
monaten. Yerf. macht auf die Uebereinstimmung seiner statistischen Ergebnisse mit 
den von Robertson ffir England festgestellten aufmerksam, wo ebenfalls die meisten 
Erkrankungen an Alkoholismus auf die Sommermonate fallen. Seiner Ansicht nach 
machen sich auf die Haufigkeit der betreffenden Erkrankungen ausser Oconomischen 
Verhaltnissen auch Temperatureinflfisse gel tend. P. Rosen bach. 


18) Der Einfluss des Aleoholmissbrauehs auf psychische Storungen von 
Dr. Adalbert Pilkowsky. (Wiener Klinik. 1883. XI. November.) 

Die Statistik der niederfisterreichischen Landesirrenanstalt in Wien ergiebt ffir 
die letzten 12 Jahre, dass von den Mannern 25,3 °/ 0 , von den Frauen 2,7% durch 
Alcoholmissbrauch psychisch erkrankten. Yerf. pladirt ffir Trinkerasyle. M. 


10) Ein Fall von periodisohem Wechsel der Haarfarbe von Reinhard. 

(Virchow’s Arch. Bd. 95. H. 2. p. 337—351.) 

Eine in der Dalldorfer Anstalt beobachtete 13jahr. mikrocephale und epileptische 
Idiotin, deren Haar frfiher von stets gleicher Farbe gewesen war, zeigte einen ziem- 
lich regelmassigen Wechsel von etwa einwfichentlichen Phasen von Erregung und 
Rohe und isochron mit dieser Periodicitat des psychischen Yerhaltens einen hfichst 
auffallenden Wechsel der Haarfarbe, so zwar, dass im Stadium der Erregung dieselbe 
goldr5thlich, im Stadium der Apathie und des Stupors gelbblond war. Dieser Wechsel 
vollzog sich innerhalb 48—60 Stunden, jede der beiden Phasen hielt 7—8 Tage an. 
Krankheiten der Haare und der Kopfhaut fehlten. Dagegen sonderte wahrend des 
Stupors die Kopfhaut wenig Fett ab, conform mit der allgemeinen grfisseren Trocken- 
heit und Kfihle der Haut m diesem Stadium. 


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162 


Das Besultat der mikroskopischen Untersuchung war, dass die hellen Haare 
sehr viel Luft enthielten, nicht nur in der Marksubstanz, in der die Loft an manchen 
Strecken eine zusammenhangende Blase von spindelfdrmiger Gestalt bildete, sondera 
auch in zahlreichen kleinen Spaltraumen in der Bindensubstanz; wie es scbien, anch 
zwischen letzterer und der Caticnla. Diesen abnormen Luftgehalt der hellen Haare 
ziebt Verf. neben der grOsseren Trockenheit derselben und der Rauhigkeit ihrer Ober- 
flache zur Erklarung des Phanomens heran, das er in Parallels mit den anderweitigen 
trophischen Storungen stellt. Die Luft sei, wie man annehmen mfisse, in Folge einer 
Abnabme der Turgescenz des Haarschafts theils von aussen (in die Rinde), theils aus 
den Blutgasen (in das Mark) in den Haarschaft gelangt. 

Die Section (Tod an Pneumonie) bot bier keine Aufklarung. Progressive Ex- 
tremitatenlahmung mit Atrophie und Contracturon erhielten ibre anatomische Erkla¬ 
rung durcb den Befund der Seitenstrangaffection mit Atrophie der YorderbOrner. 

Tuczek. 


Therapie. 

20) Die Dehnung des Biickenmarks von Alfred Hegar in Freiburg. (Wiener 
med. Blatter. 1884. Jan. Nr. 3 u. 4.) 

Hegar wurde durcb gynakologische Erfahrungen dazu gefQhrt, fiber die directe 
Rdckenmarksdebnung Versucbe anzustellen und dieselbe auf Grund der gefundenen 
anatomischen Thatsachen als Ersatz fOr die N ervendehnung bei spinalen Erkran- 
kungen vorzuscblagen. Jedenfalls glaubte Verf. durcb Verbesserung der „Dehnungs- 
Methoden" die bereits in etwas in Miskredit gerathene Operation wieder zu Ehren 
bringen zu kOnnen. 

Ein von H. Ofters beobacbteter Symptomencomplex, den er in das Lendenmark 
verlegt, wird baufig mit Sexualleiden in einen causalen Zusammenbang gebracht, ohne 
dass es in vielen Fallen gelingt, die anatomische Grundlage f&r solcbe Erkrankungen 
nacbzuweisen. — Dagegen ist es ein nicht seltenes Vorkommniss, dass gewisse 
mecbaniscbe Veranlassungen, besonders eine starke Beugung des Rflckgrats nacb vom, 
den eraten Erscbeinungen jener Lendenmarksafifection fast unmittelbar vorausgehen. 
„Das, was Scbaden verursacht, kann in anderer Weise und unter anderen Bedingungen 
gebraucht, aucb Nutzen bringen“, meint der Verf., und von diesem Gesicbtspunkte 
geleitet bat er die von Schultze, Mayer, Kaltenbacb, sowie von ibm selber fiber 
die Mechanik der knOcbernen Wirbelsaule scbon frtiher gemachten Angaben dahin zu 
erweitern gesucbt, dass er Ermittlungen daruber anstellte, in welcbem Maasse das 
Rfickenmark und seine Hullen an der Dehnung ihrer knOcbernen Umgebung theil- 
nebmen und in wie weit ferner die Yersucbe Langenbucb’s, Gussenbauer’s, 
Braun's u. A. dber die Betheiligung der Substanz des Biickenmarks an der Deh¬ 
nung von den grossen Nervenstammen aus bestatigt werden konnten. Die Besultate 
seiner in Gemeinschaft mit Strasser an der Leiche ausgefQbrten Experimente sind 
etwa folgende: Durch Vorwartsbeugung der Wirbelsaule gelingt es, einen bedeutenden 
mecbaniscben Effect auf das Rflckenmark, seine Hiillen und wobl aucb auf das Gebim 
auszuiiben. Das Rllckenmark und dessen Hiillen werden dabei wie fiber eine Bolle 
gespannt. Der Sack der Dura wird in die L&nge gezogen, abgeplattet und in seinem 
Lumen verkleinert; es erfolgt dabei Abfluss des Aracbnoidalwassers nacb dem Gehirn, 
Compression und geringe Entleerung der Piagefasse, st&rkere Fillliing der Yenen des 
Wirbelkanals, gleicbzeitig aber auch Zug an den grossen Nervenstammen, welcber in 
der Bicbtung nacb dem Wirbelkanal zu gebt. Eine solche Dehnung wird wesentlich 
unterst&tzt durcb die Manipulationen der unblutigen Dehnung, resp. durcb eine Hal- 
tung der Extremitaten, welcbe die Contraextension sicbert. 

Die vom Verf. vorgeschlagene „Tecbnik der Bfickenmarksdebnung am Lebenden" 
stQtzt sicb auf die eben erwahnten anatomischen Thatsachen. — Der Kranke sitzt 


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163 


auf einem fasten Tisch, seine Kniee werden gestreckt gehalten, Kopf und Brnst warden 
nach den unteren Extremitaten zn gebeugt! Soli die Dehnung des Rflckenmarks noch 
waiter gehen, so werden die ansgestreckten Schenkel so gehobro, „als wenn man sie 
neben dem Kopfe nach oben ffihren wollte". — Die Kraft kann ubrigens anch am 
nnteren Ende der Wirbelsanle angreifen, — es sollen dann die in den Knieen gestreckt 
gehaltenen beiden Extremitaten des mit dem Rficken flach auf dem Tische liegenden 
Fatienten ohne Fixation des Beckens gehoben and die Wirbelsanle gewissermaassen 
gegen den Kopf zusammengerollt werden. Der Verf. warnt vor forcirten Eingriffen, 
r&th ohne Chloroformnarcose zu dehnen. 

In einem Nachtrage theilt er noch die genanen Maasse mit, die er bei spateren 
Dehnnngsversuchen an der Leiche erhalten hat: Der Durasack hatte sich bei massiger 
Flexion der Wirbelsanle auf eine Strecke von 12,5 cm gedehnt, bei starkerer Flexion 
betrug die Zunahme 7 mm. Die Substanz des Markes selbst nimmt vollstandigen 
Antheil an der Dehnung der Hfillen, die Verlangerung des Rfickenmarks betragt etwa 
4—8 %. — Die durch Flexion bedingte Verlangerung des Markes wird durch hinzu- 
tretenden Zug der Nerven nur um ein Geringes verstarkt, daher glaubt der Verf., 
dass der Zug an den Nerven fflr die praktische Verwendnng meist zu entbehren sein 
dfirfte, hfichstens sollten die Extremitaten etwas gespannt gehalten werden. Zum 
Schluss bespricht H. die Dehnungen, welche mOglicher Weise unter physiologischer 
Breite statthnden und Stoffwechsel sowie Circulation im Centralnervensyetem gfinstig 
zu beeinflussen im Stande seien, — und andererseits betont er, dass die Klage fiber 
„Spannungsgeffihle“ tiber Empfindungen, • „als ob am Korper etwas zu kurz sei“, auf 
moleculare Veranderungen zurfickzuffihren seien, welche die Dehnungsffihigkeit der 
nervosen Substanz im Rfickenmark und vielleicht auch in den peripheren Nerven 
herabgesetzt hatten. L a q u e r. 


21) On nerve-stretching for the relief or cure of pain by J. Marshall. 

(British med. Joum. 1883. Dec. 15.) 

In dieser dem Andenken Bradshaw’s gewidmeten Rede giebt Verfasser ein 
Referat fiber die bisherigen Erfahrungen fiber die Nervendehnung mit specieller Rfick- 
sicht auf die erzielten Erfolge bei Neuralgien. Den schmerzstillenden Effect dieser 
modernsten Operation, der in nicht wenigen Fallen zu beachten ist, glaubt Verf. in 
etwas doctrinarer Weise auf eine Zerreissung der „Nervi nervorum" zurfickffihren zu 
kfinnen; eine allerdings ganz schematische Zeichnung dient zur Unterstutzung dieser 
Hypothese. Beachtenswerth sind im Uebrigen die tabellarischen Zusammenstellungen 
fiber die Elasticitat und die Zugfestigkeit lebender wie todter Nerven: eine Zugkraft 
von 30 Pfund wird selbst auf einen pathologisch alterirten Ischiadicus ohne Bedenken 
angewendet werden kfinnen, wahrend unter normalen Verhaltnissen eine Zerreissung 
erst bei einer Belastung von fiber 180 Pfund zu erwarten ist. Die Literatur der 
Nervendehnung ist sorgfaltig benutzt: wesentlich Neues ist sonst freilich nicht zu 
finden, in einer Festrede aber auch nicht zu suchen. Sommer. 


22) Chorea minor, Arsenbehandlung, Herpes Zoster von Dr. Johann B6ckai. 
(Orvosi Hetilap. 1883. Nr. 20. Durch Pester med.-chir. Presse und Deutsche 
Med. Zeitg. S. 585.) 

Bei 3 mit Fowler’scher Lfisung behandelten Choreakranken trat Herpes zoster 
auf, und zwar, nachdem die erstere bereits bedeutend gebessert oder ganz gehoben 
war. B. bringt den Herpes mit Arsenintoxication zusammen und erwahnt, dass auch 
Hutchinson bei Arsenbehandlung 17mal (darunter einmal bei Chorea) Herpes zoster 
beobachtet hat. M. 


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m. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft fUr Psychialrie und Nervenkrankheiten. Sitzung 
den 10. Mai%1884. 

Oppenheim: Der Patient, der sich Ihnen hier vorstellt, ist 32 Jahre alt, 
stammt aus gesunder Familie and war gesund bis vor 2 l / 2 Jahren. Damals empfand 
er plOtzlich ein Gef&hl von Tanbsein und Kribbeln auf der ganzen recbten K6rper- 
halfte, das auch in der Folgezeit bestehen blieb, aber sich dann im Wesentlichen 
auf den rechten Arm und die rechte Rumpfhalfte beschr&nkte. Er wnrde ferner 
gewahr, dass die rechte wie linke Oberextremitat nnempfindlich gegen schmerzhafke 
Eingriffe wurden, dass auch das Gefhhl in den unteren Partien des Gesichtes (beim 
Rasiren bemerkt) abgestumpft sei, dass er kein rechtes Gefdhl davon hatte, wenn 
er mit den Handen Eissthcke berfihrte oder die Hande an den warmen Ofen brachte. 
1 / 2 Jahr nach Beginn des Leidens wurde eine Atrophie der kleinen Handmuskeln 
der linken Hand beobachtet, die allmahlich zunahm. Endlich fiel es dem Patienten 
auf, dass sich von Zeit zu Zeit Blaschen von Kirschkemgrdsse auf den beiden End- 
phalangen des 2. und 3. Fingers rechts entwickelten, welche platzten und schlecht 
heilende Geschwhre hinterliessen. 

Die wesentlichen Beschwerden des Pat. sind gegenwartig das „kalte Brennen" 
in beiden oberen Extremitaten, besonders in der rechten, sowie die Schwache in der 
linken Hand. Keinerlei Schmerzen. Die objective Untersuchung ergiebt: 

1. Abstnmpfung der Sensibilitat in alien Qualitaten an beiden oberen Extremi¬ 
taten, dem Rumpf, dem Hals, der Unterkiefergegend des Gesichts, den Ohren, der 
Hinterkopf und Scheitelgegend. Diese Stdrung ist in der rechten Kdrperh&lfte inten- 
siver ausgesprochen, als in der linken. Tastsinn, Drucksinn, Kraftsinn, Ortssinn sind 
deutlich stark herabgesetzt, am meisten hat Schmerzgeftlhl und Temperatursinn ge- 
litten. Intact ist das Muskelgefdhl. Am starksten ist die Anasthesie an den Handen 
ausgepragt. Der faradische Pinsel erzeugt bei vollstandig geschlossenen Rollen hier 
keine Schmerzempfindung. 

2. Beide Hande, sowie der untere Theil der Unterarme sind blauroth verfarbt 
und fdhlen sich khhl an. 

3. Das Spatium inteross. I, der Daumenballen, der Kleinfingerballen, weniger 
deutlich die ftbrigen Spatia interossea der linken Hand sind abgeflacht (Entartungs- 
reaction der betreffenden Muskeln). Stellung der Finger entspricht der Atrophie und 
Lahmung der Interossei. Druck der linken Hand schwach. Die Finger kdnnen nicht 
gespreizt werden etc. 

4. An den Endphalangen des 2. und 3. Fingers der rechten Hand kleine rund- 
liche Narben (Reste der abgeheilten Geschwdre). 

Es besteht keine Ataxie. Gesicht, Geruch, Geschmack und Geh5r zeigen keine 
Abweichungen von der Norm. 

Psychisch nichts besonderes. 

Allgemeinbehnden gut. 

Die Unterextremitaten bieten hinsichtlich Mobilitat und Sensibilitat normale 
Yerh&ltnisse. 

Die Kniephanomene sind gesteigert. 

Stuhl retardirt. 

Urinentleerung ungest6rt. 

Es handelt sich urn eine durchaus chronisch verlaufende Erkrankung des Rilcken- 
marks im Cervical und Dorsaltheil, welche die den sensibeln, trophischen und vaso- 
motorischen Functionen vorstehenden Bahnen betrifft. 

Es ist anzunehmen, dass wesentlich die graue Substanz von dem krankhaften 
Prozesse ergriffen ist und zwar rechts besonders die hinteren Partien, links sind die 
grauen Vordersaulen in Mitleidenschaft gezogen. Ein Mitergriffensein der Vorder- 
seitenstrangbahnen ist auszuschliessen. 


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165 


Ueber die Natur des Prozesses lassen sich nur Vermuthungen anfstellen. Redner 
erinnert an die grosse Aehnlichkeit dieses Krankheitsbildes mit einigen anderen in 
der Literatur enthaltenen, in denen sicb p. m. Syringomyelie fand. 

A. Richter, Dalldorf: Ueber Anomalien der Bolando’sehen Furohe.— 
Bei Dolichocephalen verliefen die Furchen und Windungen mehr sagittal, bei Brachy- 
cephalen mehr coronar; an Idioten findet man dieses Verhaltniss haufig sehr aus- 
gesprochen. Bei vorliegender Windungsatypie hdheren Grades ist auch an abnorme 
Functionimng des Gehirns zu denken. Das Interesse, welches man von jeher der 
Roland o’schen Furche zuwandte, ist rein ausserlich durch ihre Lage und ihre Con- 
stanz bedingt. Ueberbriickungen derselben galten als grosse Seltenheiten. Der erste, 
welcher eine solche beschrieb, ist R. Wagner (Ueber die typischen Verschieden- 
heiten der Windungen der Hemispharen. 1860); nach ihm ist sie 6fter beobachtet. 
Der Vortr. demonstrirt nun 5 HemispMren mit derartigen Ueberbriickungen: die erste, 
von einem Paralytiker, zeigt sie tief unten; die zweite, von einem Geistesgesunden, 
zeigt sie hoch oben; die dritte, von einem Paralytiker, zeigt sie in der Mitte ihres 
Verlaufes, dabei communicirt zu Folge einer Einkerbung der vorderen Centralwindung 
die untere Halfte der Rolando’schen Furche mit der obersten Stirnfurche; die vierte, 
von einer Idiotin, zeigt sie im oberen Viertel, dabei communicirt ebenfalls zu Folge 
einer Einkerbung der vorderen Centralwindung der obere abgeschnittene Theil der 
Rolando’schen Furche gleichfalls mit der obersten Stirnfurche; die fhnfte zeigt sogar 
zwei Ueberbriickungen der Roland o’schen Furche; eine derartige Beobachtung wurde 
noch nicht beschrieben; die Hemisphere entstammt einem idiotischen Kinde. Femer 
besitzt der Vortr. die Hemisphere eines Epileptikers, welche eine Ueberbruckung tief 
unten zeigt. Bifurcationen der Roland o’schen Furche, sei es oben, sei es unten, 
bezeichnet der Vortr. als heufige Vorkommnisse, Annahme von drei Centralwindungen 
und zwei Centralfurchen an einzelnen windungsreicheren Hemispharen, wie es Gia- 
comini in seinem Buche thut, bezeichnet er als eine gesuchte Deutung einfacher 
aufzufassender Verhaltnisse; er besesse eine Anzahl solcher Hemispharen, in die man, 
wenn man wolle, recht gut drei Centralwindungen und zwei Centralfurchen hinein- 
deuten k5nne; der Vortr. demonstrirt auch ein solches Praparat. Bei fehlender 
marginaler Endigung des Sulc. call. marg. bestimme man die Rolando’sche Furche 
besser vom Operculum aus, indem man von diesem die unterste Stirnwindung und 
den Gyr. supramargin. abziehe, was fkbrig bleibe seien zu allermeist die Centralwin¬ 
dungen mit der Centralfurche. Eine wirkliche Communication der Rolando’schen 
Furche mit der Sylvi’schen, bei der man doch aus der Rolando’schen Furche in 
die Tasche, welche Operculum und Insel mit einander bilden, fallen mflsse, sah der 
Vortr. nie. Communicationen der Rolando’schen Furche mit Stirn- oder Scheitel- 
furchen zu Folge Einkerbungen der Centralwindungen bezeichnet der Vortr. als 
durchaus nicht selten. Endlich demonstrirte der Vortr. noch das ganze Gehirn einer 
verbrecherischen Epileptischen, dessen beide Centralfurchen sich durch auffallige Aus- 
buchtungen, namentlich nach vorn hin, auszeichneten. 

Oppenheim: Aetiologie der Tabes. Die atiologische Beziehung der Syphilis 
znr Tabes ist in jhngster Zeit von Erb mit grOsster Entschiedenheit betont worden. 
Redner hat 86 Falle der Tabes dorsalis zusammengestellt, davon sind 56 Manner, 
30 Frauen. Syphilitische Infection jedweder Art wird geleugnet und es fehlt anam- 
neetisch wie diagnostisch an jedem darauf hinweisenden Moment in 51 Fallen. 9mal 
hat ein Ulcus molle langere oder kftrzere Zeit vor Ausbruch der Tabes bestanden, 
in 11 Beobachtungen ein Ulc. dur. ohne Secundarerscheinungen. In 6 Fallen wird 
specifische Infection geleugnet, aber Aborte, Frtthgeburten, Frhhtod der Kinder etc. 
machen eine syphilitische Erkrankung wahrscheinlich. Nur in 9 Beobachtungen folgten 
der Prim&rinfection secund&re Erscheinungen und zwar fast immer solche der leichtesten 
Art; in einer derselben hat Reissen in den unteren Extremitaten 2 Jahre vor der 


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Infection schon bestanden. Nur in einem von den 86 Fallen sind gegenwartig Zeichen 
constitutioneller Syphilis vorhanden. 

O.’s Statistik spricht nicht zn Gnnsten einer Entstehung der Tabes aus geschlecht- 
lichen Excessen. 

Nachforschung bezfiglich der Hereditat warden in 50 Fallen angestellt and nor 
5mal konnte ein hereditares Moment (in weitestem Sinne des Wortes) constatirt werden. 

Erkaltung spielt in der Aetiologie der Tabes dorsalis eine grosse Bolle; weit 
seltener ein einmaliger intensiver Erkaltungseinfluss als die dauernde Einwirkung 
von Kalte und Nasse and der Witterungsunbilden tiberhaupt. Daaernde and inten¬ 
sive Erkaltungseinflusse warden in 30 Fallen nachgewiesen. Meistens verbindet sicb 
diese Schadlichkeit mit kSrperlichen Strapazen and letztere werden ausserdem noch 
als alleinige Ursache vielfach angeschuldigt. 

Einmal schloss sicb an ein Trauma eine Erkrankung des Nervensystems an, die 
im Wesentlichen unter dem Bilde der Tabes dorsalis verlief, die Autopsie lehrte, dass 
es jedenfalls sich nicht urn einen reinen Fall von grauer Degeneration der Hinter- 
strange handelt. 

Endlich wird ein Fall erwahnt, in welchem sich unmittelbar an eine Leuchtgas- 
vergiftang typische gastrische Krisen anreihten, spater trat der ausgepragte tabische 
Symptomencomplex hinzu. 

Unter 70 Patienten der Syphilis-Abtheilung der Charitd, deren Primarinfection 
mindestens 5 Jahre zurdckliegt, fehlten nur bei einem einzigen die Patellarphanomene 
ohne sonstige tabische Zeichen. 

Mitergriffensein der Hirnnerven, vor Allem der Augenmuskelnerven, Schwindel- 
Ohnmacht apoplectiforme Anfaile etc. werden ebenso haufig bei nicht specifisch, wie 
bei specifisch inficirten Tabeskranken beobachtet. Bei dieser wie jener Gruppe kdnnen 
sie vorhanden sein oder fehlen, nor angedeutet oder sehr intensiv ausgepragt sein. 

Halten wir die statistischen Besoltate der verschiedenen Autoren zusammen, so 
mfissen wir uns zu der Ansicht verstehen, dass eine Reihe verschiedener Ursachen: 
Erkaltung, kOrperliche Strapazen, vielleicht die Syphilis and uns noch nicht bekannte 
Moment© zur Tabes dorsalis fuhren kflnnen, dass wir es aber dem Krankheitsbilde 
absolut nicht ansehen kSnnen, aus welcher der Ursachen die Tabes hervorgegangen. 

Discussion: Herr Bernhardt hat seit October 1883 12 neue Falle von 
Tabes beobachtet und muss Herrn 0. zustimmen, wenn derselbe sagt, dass dieser 
Krankheit sicher viele atiologische Moment© zukommen; aber B. findet doch fiber- 
raschend haufig die Thatsache, dass Tabische syphilitisch gewesen sind. Unter seinen 
12 neuen Fallen waren 7 Privatkranke: diese waren alle syphilitisch gewesen; von 
den 5 poliklinischen Eranken 3 bestimmt auch, und 2 zweifelhaft. 

Herr G. Lewin findet es auffallend, dass Fournier so viele Tabiker unter 
seinen Kranken gehabt hat, denn auf L.’s Klinik kommt nur sehr selten einer vor. 
— Auch bekommt man von den Eranken oft falschlicher Weise die Angabe, dass 
sie syphilitisch gewesen sind, und selbst der Umstand, dass ein Eranker Hg gebraucht 
hat, ist noch kein Beweis. Femer liegen sicher bei solchen, die syphilitisch gewesen 
sind und Tabiker warden, oft andere atiologische Momenta vor, die schwer in’s Ge- 
wicht fallen, besonders Erkaltungen. — L. hat in alien Fallen — mit Ausnahme 
eines einzigen — von dem Gebrauohe specifischer Mittel keinen gunstigen Einflnss 
auf den Verlauf von Tabes gesehen; und jene einzige Ausnahme betraf einen Eranken 
(im Sommer 1883), der anscheinend die Initialsymptome der Tabes hatte. — Dass 
aber bei sicherem Ausschluss von Syphilis Tabes aus anderen Grflnden vorkommt, 
bewiesen 2 Falle von Romberg, Stubenbohner betreffend, welche vielfach bei grosser 
kbrperlicher Anstrengung sich starke Erkaltungen zugezogen hatten. — Auch hat L. 
einmal einen Eranken gehabt, der, noch syphilitisch, an beginnender Tabes litt. Dieser 
wohnte aber in einem Zimmer mit stark arsenikhaltiger Tapete. Hier trat Heilung 
ein; aber vielleicht ist hier an einen Zusammenhang von Arsen und Tabes zu deaken. 


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Herr Westphal: Wenn die Herren Oppenheim und Bernhardt auf Grand 
ihrer Statistik zn dem Resultate kommen, dass es sehr verschiedene Ursachen der 
Tabes giebt, so mOchte W. gerade daraus den Schluss ziehen, dass vielleicht keine 
von alien den angeblichen vielen Ursachen die richtige sei. Herrn Bernhardt's 
Zahlen sind wohl zn einer Schlussfolgerang zn klein. Nicht recht verstandlich ist 
es Westphal, wie Erb aus dem Bestehen von Augenmuskellahmnngen eine Stutze 
fftr die Syphihs-Aetiologie entnehmen kann. Denn die wirklich syphilitischen Augen- 
muskellahmungen beruhen in der Kegel auf ganz anderen anatomischen Veranderangen 
(Gummata) nnd gehen bei entsprechender Behandlnng znrhck; bei Tabes aber stellen 
sie etwas ganz Anderes dar. Sie kommen ja auch in ganz analoger Weise bei mul¬ 
tipier Sklerose vor und zwar in Fallen, wo Syphilis als fctiologisches Moment nicht 
in Ansprach genommen wird. In Betreff der Statistik ist abrigens doch auch darauf 
aufmerksam zu machen, dass es doch nicht angeht, aus vorgekommenen Aborten ohne 
Wei teres den Btickschluss auf Syphilis zu machen. Ein vielleicht einziger Fall, in 
welchem ein Gumma im Gehirn zusammen mit einer Degeneration eines Theiles der 
HinterhOrner vorkam, ist von W. selbst beobachtet worden, also in der That Hinter- 
strangsdegeneration bei einem Syphilitischen; hier aber war die Natur der Erkrankung 
der Hinterstrange eine ganz andere als bei der Tabes und so spricht dieser Fall eher 
gegen als fftr die Erb’sche Annahme. Jedenfalls scheint W. so viel unzweifelhaft, 
dass die pathologische Anatomie bis jetzt keinen Zusammenhang zwischen Tabes und 
Syphilis erkennen l&sst. Denn bei der so grossen Zahl von Sectionen Tabischer 
mOsste doch wohl Cfter neben dem Rflckenmarksbefunde ein anatomisches Zeichen 
von Syphilis gefunden werden; das ist aber nur ganz ausnahmsweise der Fall. Die 
Anamnese allein ist zu unzuverl&ssig. Zudem ist der Erfolg einer specifischen Therapie 
immer negativ. 

Herr Remak: Nach Erb sind in London doch bei 8 Autopsien von Tabikem 
3mal andere syphilitische Erscheinungen gefunden. — Seine Statistik will R. spater 
mittheilen; er will nur bemerken, dass es ihm das Beste scheint, bei derselben die 
Frauen ganz wegzulassen, weil bei ihnen die Anamnese zu unzuverlassig ist. — 
Whnschenswerth ware es, wenn die Syphilidologen zusammenstellen wollten, wie viele 
ihrer Kranken denn tabisch werden, wie es z. B. Reumont in Aachen gethan (dessen 
Diagnosen R. allerdings nicht immer zustimmen kann). Nach Reumont bekamen 
von 3600 Syphilitischen etwa 290, d. h. 8,5 °/ 0 , Affectionen des Nervensystems; 
darunter litten 69 an anderen Rhckenmarkskrankheiten, nur 40 an Tabes, also nur 
1,6 °/ 0 aller Syphilitischen. Das ist doch sehr wenig, denn danach wtlrde ja die 
Syphilis bei anderen Rhckenmarkskrankheiten eine bedeutendere Rolle spielen, als bei 
Tabes. — Der Zusammenhang, wie Erb ihn annimmt, dfirfte doch wohl nicht vor- 
handen sein. 

Herr G. Lewin: Ich habe seit 1865 etwa 800 meiner syphilitischen Kranken 
genau verfolgt, aber ich habe nur 5 von ihnen auf der Nervenabtheilung wieder- 
gefunden und von diesen litt keiner an Tabes. 

Die weitere Discussion wird vertagt. Hadlich. 


IV. Personalien. 

Unser Mitarbeiter Herr Dr. Moeli wurde zum Oberarzt der stadtischen Irren- 
anstalt in Dalldorf gewahlt 


V. Vermischtes. 

Alcohol im Gehirn von Leichen von Kuijper. (Ztschr. f. analyt. Ghem. XXII, 347 
durch Arch. d. Pharm.) 

Die Ansichten in Betreff des Vorhandenseins nnd der Menge des Alcohols in dem 
menschlichen Gehirn nach dem Gennsse von alcoholischen Getranken gehen bekanntlich noch 


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sehr auseinander; wenn es sich aber bei Auffindung einer Leiche tun die Beartbeilong han- 
delt, ob ein Verbrechen oder ein Ungliicksfall vorliegt, wird es oft von Wichtigkeit sein, 
feststellen zn konnen, ob die betreffende Person vomer alcoholische Getranke zn sich ge- 
nommen event, im Znstande der Trnnkenheit sich befunden hat. Knijper hat wiederholt 
den ersteren Nachweis geliefert and in einem Falle anch aus der Menge des gefundenen 
Alcohols die Moglichkeit, sogar Wahrscheinlichkeit abgeleitet, dass der Genuss der Alcoholica 
in solchem Maasse stattgefonden habe, dass Trnnkenheit die Folge davon gewesen ist. Er 
fuhrte diesen Nachweis nnter Benntznng des Magen-Inhaltes nicht nor, sondern anch, wie 
schon angedentet, nnter Verwendung des Gehims. Die der Leiche entnommenen Unter- 
snchnngsobjecte warden mit ein wenig kohlensanrem Natron nentralisirt and bei sorgfaltigst 
geleiteter Abkhhlnng der Destination aus einem Oelbade unterworfen. Es konnten so das 
eine Mai 3,4 cc and ein anderes Mai 1.04 cc Alcohol im Gehirn nachgewiesen werden; im 
ersteren Falle war die Leiche allerdings nnr wenig fiber einen Tag alt. 

_ (D. Med. Zeitg. 1884. Nr. 4.) 


Die Gebriider Labitte, welche die bekannte grosse Privatirrenanstalt in Clermont 
(Oise) besassen, haben dieselbe fiir 4 Millionen Fr. verkauft. M. 


Todesf&Ue duroh An&sthetica. Nach einer tabellarischen Zusammenstellung Ton 
Dr. Jacob im „British med. Journ.“ vom 23. Febrnar 1884 sind im Jahre 1883 in Grose- 
britanien 13 Todesfalle durch den Gebranch von Anastheticis bei Operationen bekannt ge- 
worden. Nicht weniger als 11 gehoren dem Chloroform allein an; je einmal war StickstofF* 
oxydul and eine Combination von Chloroform mit Aether benntzt worden. Aether allein hat 
keinen Todesfall bedingt, obschon er in England bekanntlich wait haufiger als das Chloro¬ 
form, angewendet wird. Sommer. 


Die Commission der franzosischen Legislative, die sich mit der Reform der Irrengesetz- 
gebnng beschaftigt, hat in einer Snbcommission die Frage, betreffend die Verwaltnng der 
Irrenanstalten, berathen lassen. Der Bericht liegt vor. Referent ist der Abg. Bonrneville. 

Wir ersehen aus demselben, dass von 46 oifentlichen Irrenanstalten 32 nnter Direction 
eines Arztes, 12 nnter Direction eines Verwaltnngsbeamten, 2 nnter der von Aerzten, die Ton 
arztlichen Pfiichten entbnnden sind. Es wird mit vollem Recht ausgefBhrt, dass in Zukunft 
nnr Aerzte Directoren von Irrenanstalten sein sollen. Doch sollen da, wo nnr ein Chefarzt 
ist, administrative nnd arztliche Fnnctionen in ihm vereinigt sein; wo mehrere Chefarzte 
sind, sollen die Fnnctionen des Chefarztes nnd des Administrators getrennt sein. 

Zn der zweiten Klasse sollen die grossen Irrenanstalten des Seinedepartements gehdren. 

Die anch in Dentschland erhobene, wohl nnr znm Theil berechtigte Klage, dass die 
Aerzte, die Directoren von Irrenanstalten sind, entweder ihre arztliche nnd wissenschaftliche 
Anfgabe hintenanstellen, oder sich administrativ insufficient zeigen, kehrt anch in dem Be¬ 
richt wieder. Es soli, nm der Ueberladnng mit administrativen Geschaften vorzubengen, ein 
tQ<^htiger Directi onssecretair den Aerzten da beigegeben werden, wo sie gleichzeitig adminis¬ 
trative Directoren sind. Um dem Streite in den Anstalten vorzubengen, wo mehrere Chef¬ 
arzte sind, soli ein Administrationsrath aus diesen gebildet werden. 

Der „Administrator*‘ verwaltet unter der Autoritat des Prafecten nnd nnter der Con- 
trole jenes Administrationsraths die Anstalt. Der Administrator muss 30 Jahr sein, das 
jnristische Examen gemacht haben, 5 Jahr bereits in einer Prafectnr 1. Klasse thatig ge¬ 
wesen sein etc. M. 


Preisanfgaben. Die Rivista di discipline carcerarie hat for das Jahr 1884 (Zusen- 
dnng an das Ministerium des Innern bis 31. Deo. 1884) 3 Preisanfgaben ausgeschrieben, von 
denen die erste znm internationalen Concurs gestellt ist. Die erste Arbeit soli die Fort- 
schritte der criminellen Anthropologie in diesem Jahrhnndert, ihre Theorien, die Thatsachen 
and Statistik derselben darstellen (Preis: 2000 Fr.); die zweite nnd dritte, nnr ffir Italiener 
gestellt, soil die rhckfalligcn Verbrechen, resp. das Alter, in dem der freie Wille beim Men- 
schen sich ansbildet, die Bedingungen desselben nnd seine eventuelle Kraftignng behandeln. 

M. 


Um Einsendung von Separatabdrucken an den Heransgeber wird gebeten. 

Einsendnngen fur die Redaction sind zn richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Dritter 


Herausgegeben von 

Dr. E. Mendel, 

Priratdocent an der Univenttit Berlin. 


Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Anslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Yerlagsbuchhandlung. 


1884. 


15. April. 


MS. 


In halt I. Originalmittheilungen. Ueber progressive atrophische Lahmungen, ihre 
centrale oder periphere Nat nr von C. Eisenlohr (Schluss). 

II. Referate. Anatomie. 1. Sulla fina anatomia dei corpi striati del March!. 2. Ueber 
den Axencylinder markhaltiger Nervenfasern von Kupffer. — Experimentelle Physio¬ 
logie. 3. Das Wesen der elektr. Oeffnungserregung von Grlltzner. 4. Beziehung der sog. 
peripheren Gleichgewichtsorgane zu dem Kleinhirn von Bechterew. — Pathologische 
Anatomie. 5. Zum Studium der Porencephalic von Lambl. — Pathologie des Nerven- 
systems. 6. Du role de Therdditd nerveuse dans la gen&se de Tataxie locomotrice progressive 
par Landouzy et Ballet. 7. Multiple degenerative Neuritis von Vierordt. 8 . Etude sur le 
nervo-tabes p4riph4rique par D6j6rine. 9. Zur patholog. Anatomie und Histologie der Beri- 
Beri von Scheube. 10. Lathyrisme et Beriberi par Marie. 11. Primare Seitenstrangsklerose 
nach Lues von Minkowsky. 12. Amyotrophic lateral sclerosis by Coxwell. 13. On the relation 
of the „Aura" giddiness to epileptic seizures by Beevor. — Psychiatrie. 14. Yom Bewusst- 
sein in Zustanden sog. Bewusstlosigkeit von Pick. 15. Contnbuzione alia casuistica della 
inversione dell’istinto sessuale del Cantavano. 16. Contrare Sexualempfindung von Krafft-Ebing. 
17. A case of general Paralysis in a Woman by Cowan. 18. Paretic Dementia in Females, 
with report of a case, by Clavenger. — Therapie. 19. Nervendehnung bei Tabes dorsalis 
von Rosenstein. 20. Fractura cranii comminuta et complicata cum depressione. Operation- 
helsa af Bolling. 21. Hyoscyamine in the treatment of insanity by Brower. — Forensische 
Psychiatrie. 22. The case of Diedrich Mahnken, the insane murderer of D. Steffens by 
Gray. — Anstaltswesen. 23. Thirty-second Report of Inspectors of Irish Asylums 1883. 
24. Twenty-fifth annual Report of the General Board of Commissioners in Lunacy for Scot¬ 
land 1883. 25. Thirty seventh Report of the Commissioners in Lunacy; March 31. 1883. 

III. Aus den Gesellschaften. 

IV. Vermischtes. 


I. Originalmittheilungen. 


Ueber progressive atrophische Lahmungen, ihre centrale 
oder periphere Natur. 

Von Dr. C. Eisenlohr in Hamburg. 

(Schluss.) 

Die Diagnose war intra vitam auf eine Affection der vorderen grauen 
Substanz des Ruckenmarks gestellt worden, ohne eine leichte Mitbetheiligung 
der weissen Strange auszuschliessen. Eine selbststandige multiple degenerative 


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Neuritis war sehr eingehend erwogen, aber in Anbetracht des vollstandigen 
Fehlens jeder Druckempfindlichkeit der Nerven und Muskeln, der sehr zuruck- 
tretenden Sensibilitatsstorungen zuruckgewiesen worden. 

Section 16 Stunden post mortem. 

Hydrops anasarca der Extremitaten. Partielle Obliteration beider Plenra- 
hohlen, pleuritisches Exsudat links. Ausgedehnte peribronchitische, theilweise 
verkaste und zerfallene Herde in beiden Lungen. Miliartuberkel in beiden 
Lungen, Pleuren und Bronchialdrusen. Trtibung des Herzfleisches. Massige 
frische Milzschwellung, Fettleber; trube Schwellung der Nieren. Nichts Ab- 
normes im Darmtractus. 

Die Zwerchfellmusculatur blassroth, sehr schlaff. Die Muskeln der 
Extremitaten odematos und ebenfalls blass. 

Him und Hirnhaute ohne Yeranderujig. Pia spinalis zart, im unteren 
Abschnitte auf der hinteren Flache mit einzelnen kleinen Knorpelplattchem 
Arachnoidalflussigkeit etwas yermehrt. 

Das Ruckenmark durchweg schlaff anzufuhlen, mit Ausnahme des untersten 
Abschnitts; am weichsten ist der obere Brusttheil, yon hier nach oben und unten 
zunehmend bessere Consistenz. 

Auf dem Querschnitt ist die Zeichnung der grauen Substanz zwar 
uberall noch deutlich erkennbar, doch verwaschen. In den Hinterstrangen 
macht sich eine durchaus nicht scharf begrenzte und den Ort verschiedentlich 
wechselnde graubraune Yerfarbung bemerklich. 

Die Section wurde wahrend meiner Abwesenheit yorgenommen; die Herren 
Dr. Glaser und Hermann hatten die Gute, mir Ruckenmark und Medulla 
oblongata, die Nervenstamme der rechten oberen Extremitat mit 
zahlreichen Muskeln und den rechten Ischiadicusstamm mit semen 
Ursprungen aus dem Sacralplexus vom Austritt aus dem Wirbelkanal an, mit 
seinen Muskelverzweigungen am Unterschenkel und den betreffenden 
Muskeln selbst aufzubewahren. Ich konnte an den in MuLLER’scher Flussig- 
keit conservirten Praparaten von Nerven und Muskeln nach ca. 3 Wochen die 
Untersuchung vomehmen. Musste ich so allerdings darauf verzichten, das feinere 
anatomische Geschehen an den einzelnen Elementen zu verfolgen, so will ich 
doch bemerken, dass die Constatirung der gleich zu beschreibenden Verande- 
rungen an Deutlichkeit nichts zu wtinschen ubrig liess. 

Es ergab sich, um das Resultat gleich vorweg zu nehmen, in dem seiner 
Lange nach successive von unten nach oben untersuchten Ischiadicusgebiet 
eine je mehr peripher, desto intensivere Degeneration > wahrend die 
centraleren Partien des Nervenstammes mehr und mehr, je weiter nach oben, 
normale Beschaffenheit annahmen. So zeigten verschiedene intramuscular© 
Zweige des N. tibialis fast nur schollig und kornig zerfallene, fettig degene- 
rirte und total atrophische Nervenfasem, im Stamme des N. peroneus und 
tibialis uberwog die Menge der degenerirten Fasern ebenfalls noch ausser- 
ordentlich. Im untersten Abschnitt des compacten Ischiadicusstammes 
fand man ebenfalls in beliebigen Bundeln noch massenhaft kornig zerfallene 


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— 171 — 

Nervenfasem. Hier waren auch einzelne kleine Gefasse des Endoneurium mit 
Komchenzellen bedeckt. Wenige Centimeter oberhalb der eben genannten Stelle 
macht sich schon eine auflfallende Abnahme der Degeneration geltend, obwohi 
noch immer ohne Muhe degenerirte Fasem nachzuweisen waren. In hoher 
gelegenen Abschnitten des Ischiadicusstammes konnte man nur noch ver- 
einzelte degenerirte Fasern auffinden. In den Stammen des Plex. sacralis 
war von Degeneration nichts mehr zu sehen. In den intramuscularen 
Aestchen der Nerven der rechten oberen Extremitat fand sich eine im 
Allgemeinen viel weniger verbreitete Degeneration; einzelne Aestchen verhielten 
sich uberwiegend normal, andere waren wieder so stark degenerirt, wie die 
Zweige des N. tibialis. 

An den grossen Nervenstammen des rechten Arms fand sich keine 
Degeneration vor. Die vorderen Wurzeln in Hals- und Lendenanschwellung 
verhielten sich normal. 

Was die Mu skein betrifft, so fand sich in denjenigen der oberen Extremitat 
eine nnr wenig verbreitete Veranderung; die Hauptmasse der Musculatur von 
Schulter und Oberarm, wie von der Beugeseite des Yorderarms verhielt sich 
auch histologisch normal. Doch zeigten sich auch uberall verschmalerte und 
atrophische Fasern. Ganz anders verhielten sich die Muskeln des rechten 
Unterschenkels. Hier hatten tiefe histologische Yeranderungen Platz gegriffen, 
zahlreiche Muskelfasem waren in schollige Bruchstucke zerfallen, die Querstreifung 
verschwunden, die Muskelkorperchen vermehrt, viele Fasem enthielten kornige 
Zerfallsproducte, andere waren extrem verschmalert Das Perimysium internum 
vielfach der Sitz von Zellwucherung. An einzelnen Stellen zeigt sich ein sehr 
stark gefulltes intramusculares Capillaraetz. 

Ini Ruckenmark, das sorgfaltig in allmahlich concentrirteren Losungen 
von Chromsalzen gehartet wurde, liess sich zunachst und durchgehend eine voll- 
kommen normale Beschaffenheit der weissen Strange sicher stellen. Ebenso er- 
wiesen sich die intramedullaren vorderen Wurzeln in alien Hohen speciell im Hals- 
und Lendentheil vollkommen intact. Und auch vom grossten Theil der grauen 
Substanz, speciell der Vorderhorner, gilt dasselbe. Die mit den ublichen Farbungs- 
methoden und speciell auch der WEiGEET’schen Saurefuchsinfarbung behandelten 
Schnitte verhielten sich, was Aussehen der Grundsubstanz, Zahl und Deutlichkeit 
der durchziehenden starkeren und Klarheit des Netzes der feineren Nervenfasern 
betrifft, in alien Querschnittshohen ganz wie ein normales Ruckenmark. Von 
irgend welcher Gefassveranderung, Komchenzellenbildung oder Kernvermehrung 
keine Spur. Dagegen boten die grossen multipolaren Ganglienzellen der Vorder- 
homer oder wenigstens eine grossere Zahl derselben im Sacral- und Lendentheil 
nicht zu verkennende Alterationen. Die aufiallendste derselben war eine auf 
jedem Schnitt in den genannten Hohen an mehreren Exemplaren zu constatirende 
Vacuolenbildung und Vacuolendegeneration. Dieselbe prasentirte sich 
in verschiedenen Formen, von dem bekannten Auftreten einzelner, meist runder 
Vacuolen im Protoplasma der Ganglienzelle bis zu vollkommener Ausfullung 
des Leibes derselben mit 6—10 glashellen blaschenformigen Gebilden. Oder 


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es zeigte sich der Leib der Ganglienzelle blasig aufgetrieben, zu abenteuerlichen 
Formen verzerrt, wasserhell und das gefarbte Protoplasma zu dunnen contou- 
rirenden Linien verschmalert oder in blassen pracipitirten Resten eingesprengt. 
In diesen Ganglienzellen fehlte auch meist der Kem, wahrend dieser in den 
auch reichlich mit Yacuolen durchsetzten meist noch unverandert zu erkennen 
war. Ebenso mangelten diesen Zellen otter, aber durchaus nicht immer die 
Fortsatze. Exemplare dieser markirten Veranderung fanden sich in alien Regionen 
der Yorderhomer zerstreut, 4, 6 und mehr in jeder Querschnittshalfte. Aber 
auch viele der ubrigen Vorderhornzellen ohne Yacuolenbildung boten bei genauer 
mikroskopischer Prufung unverkennbare Anomalien. Zunachst war das ganz 
ungleiche Farbungsvermogen auflallend, das sowohl die verschiedenen Zellen, 
als die einzelnen Segmente derselben Zelle fur die Tinctionsflttssigkeiten hatten 
und das unzweifelhaft uber die normalen Unterschiedsgrenzen hinausging. Be- 
sonders aber muss, bei tadelloser Hartung, ein eigenthumliches Yerwaschenwerden 
der Contour des Zellenleibes, oft nur an einem Pol oder einer Seite mit Yer- 
schwinden der entsprechenden Fortsatze als anomal bezeichnet werden. Eine 
auffallende Verkleinerung fand sich an nur wenigen Zellen, Pigmentablagerung 
und Pigmentatrophie gar nicht. Die Nuclei und Nucleoli meist sehr gut erhalten; 
nirgends Spuren von Theilung. 

Wie erwahnt, fand sich die genannte Veranderung in voller Deutlichkeit 
im ganzen Sacral- und LumbaltheU, vom obersten Lumbalmark an nahm die 
Yeranderung nach oben sehr schnell ab und es fanden sich in der Hohe des 
12. Dorsalnerven nur ganz vereinzelte Zellen mit Yacuolenbildung. Durch den 
ganzen Dorsaltheil konnte in der vorderen grauen Substanz eine Anomalie nicht 
festgestellt werden. Dagegen tauchten in der Gegend des untersten Halsnerven 
wieder vereinzelte Ganglienzellen mit Yacuolenbildung in verschiedenen Regionen 
der Vorderhomer auf. Und dieses Vorkommen wiederholte sich in den zwischen 
dem 8. und 4. Cervicalnerven liegenden Abschnitt des Halsmarks, aber in einer 
viel weniger auffallenden Weise als im Lumbalmark. Wenn auch kaum ein 
Querschnitt aus der genannten Region ohne wenigstens eine Zelle mit Vacuolen 
(auch hier bis zu 10 in einer Zelle) war, so blieb diese eine auch oft die einzige, 
wahrend die ubrigen eben nichts besonderes in ihrem Aussehen darboten. Es 
sei wiederholt, dass die zwischenliegende graue Substanz und das nervdse Faser- 
netz derselben, wie die einstrahlenden vorderen Wurzelfasem hier wie im Lumbal¬ 
mark intact erschienen. Im oberen Halstheil, sowie in der Medulla oblongata, 
— Schnitte aus der Hohe des Calamus scriptorius und der Abducenskeme — 
fand sich absolut nichts Abnormes. Die Untersuchung einiger Querschnitte 
aus Sacral- und Lumbalmark auf Tuberkelbacillen ergab ein negatives Resultat. 

Ich mochte die vorstehende Schilderung nur mit wenigen Bemerkungen be- 
gleiten. Das Krankheitsbild war das einer rapid progressiven aufsteigenden 
atrophischen Lahmung, die Extremitaten, die Rumpftnuskeln und sehr bald das 
Zwerchfell ergriff, mit sehr geringen Sensibilitatsstorungen, ganz ohne Schmerzen, 
mit vorubergehenden Lahmungserscheinungen der Sphincteren einherging und 
schliesslich zum Tode durch Respirationslahmung fuhrte. 


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178 


Dass die anatomische Ursache in’s Ruckenmark zu verlegen and auf die 
gefdndenen Veranderungen der Ganglienzellen der Vorderhomer zu beziehen ist, 
bedarf allerdings noch einer speciellen Argumentation. Wir mtoen vor Allem 
auf die Frage eingehen, ob die beschiiebenen Yeranderungen der Ganglienzellen 
pathologisch praformirt waren, um so mehr, ala eine der vornehmsten Alterationen, 
die Yacuolisation in ihrer Bedeutung noch nicht zweifellos klargestellt und 
erst kdrzlich von Schulz in diesem Gentralblatt (1888 Nr. 23) als Artefact, 
bedingt durch ungleiche HSrtung, erklart ist, — allerdings unter promptem 
Widerspruch verschiedener anderer Untersucher. Ich selbst habe friiher (D. Arch, 
f. klin. Med. 1879) erwahnt, dass sich Vacuolenbildung auoh in sonst gesunden 
Ruckenmarken findet. Doch muss festgehalten werden, dass eine reichlichere 
Yacuolisation nur in erkrankten, und besonders myelitisoh erkrankten 
Rftckenmarken vorkommt; es kann femer naoh neueren Untersuchungen nicht 
in Zweifel gezogen werden, dass der Prozess der Yacuolisation eine Form der 
degenerativen Atrophie der Ganglienzelle im gesammten Centralnervensystem 
darstellt, mit oder ohne entzundliche concomitirende Vorgange. So ist die Ya- 
cuolenbildung beschrieben bei toxischen experimentellen Myelitiden; auch in 
Formen parenchymatoser Encephalitis an den grossen Pyramiden der motorischen 
Zone neben anderen unzweifelhaft pathologischen Alterationen der Zelle. 1 

Die Yacuolenbildung weist also auf einen pathologischen Zustand des Zellen- 
protoplasma hin und in Yerbindung mit den tibrigen oben beschriebenen Yer¬ 
anderungen, Yerkleinerung des Zellenbildes, ungleichmassiger Tinction, Verlust 
der Fortsatze mochte ich sie als zweifelloses Zeichen der Erkrankung betraohten. 
Es kommt hinzu, dass eine mangelhafte Hartung durch das schone Ausgepragt- 
sein des feinen Nervenfasemetzes der grauen Substanz unwahrscheinlioh, dass 
die weisse Substanz in unmittelbarer Nahe der grauen von tadellosem Aussehen 
war. Es wire nun auch ein hochst merkwhrdiger Zufall, wenn gerade in den 
Partien des Ruckenmarks, auf die die klinischen Symptome hinweisen, sich 
Spuren mangelhafter Hartung in so weiter Ausdehnung hatten zeigen sollen, 
w&hrend das ubrige Rflckenmark durchaus gut gehartet erschien. 

Es scheint freilich der geringe Grad der Yeranderung in der Halsanschwellung 
mit den ziemlich ausgepragten Lahmungssymptomen der oberen Extremitaten 
nicht ganz in richtigem Yerh&ltniss zu stehen; hier mOssen wir in der That auf 
die Moglichkeit einer mikroskopischen weniger gut charakterisirten Alteration 
einer weiteren Anzahl von Ganglienzellen hinweisen und dabei erinnern, dass 
auch die Nerrenstamme und Muskeln der untersuchten rechten Oberextremitat 
in ganz ungleich geringerem Grade erkrankt gefunden warden, als die der ent- 
sprechenden unteren. 

Als gewichtige Stutze der Auflassung unseres Falles und der im Rucken¬ 
mark gefundenen Yeranderungen betrachten wir die Thatsache, dass Kahlbr 
und Pick 2 bereits vor mehreren Jahren eine der unserigen ausserst ahnliche 

1 Enc^phalite parenchymateuse limitee de la substance grise etc. par Danii-lo. Arch, 
de Neurologie. 1888. No. 17. 

2 Kahlkr und Pick, Beitrage zur Pathologic und pathologischen Anatomic des Central- 


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174 — 


Beobachtung gemacht und ganz analogen Befand im Buckenmark erhoben 
haben. 

Es bandelt sich tun einen Fall yon subacut im Laufe mehrerer Wochen 
sich entwickelnder, von unten nach oben fortschreitender, dooh nicht absoluter 
Lahmung der Extremitaten mit Alterationen der elektrischen Erregbarkeit, Be- 
theiligung der Respirationsmuskeln, geringen Storungen der Sensibilitat, Oedemen- 
Muskelatrophie war nicht deutlich nachweisbar, schon nach den Ergebnissen der 
elektrischen Exploration indessen hochst wahrscheinlich. Das Erankheitsbild 
war complicirt durch chronischen Alcoholismus, eine parenchymatdse Nephritis, 
intercurrente Delirien. Der Tod erfolgte an Pneumonie. 

Bei der anatomischen Untersuchung fand sich als wesentliche Veranderung 
Yacuolenbildung in denGanglienzellen derVorderhorner des Rucken- 
marks, am ausgesprochensten in der Lendengegend. Die peripheren Nerven 
und Muskeln kamen nicht zur Untersuchung. K. und P. trennen ihren Fall 
mit Becht scharf von dem gewohnlichen Typus der Poliomyelitis anterior acuta 
und schliessen ihn an die von Duchenne aufgestellte Form der Paralysie gene¬ 
rate spinale antdrieure subaigue an. 

Als einzig analoge Beobachtung citiren sie den Fall yon DkrfcnmE, 1 der von 
diesem Autor als Mittelding zwischen progressiver Muskelatrophie und Tephro- 
myelitis aufgefasst wird, mit ahnlichem Befand im Buckenmark und sehr genau 
studirten degenerativen Vorgangen an Nerven und Muskeln. 

D&rfeniNE’s Fall ist durch Leyden 2 in eine andere Beleuchtung geruckt und 
zu der Polyneuritis in Beziehung gebracht. 

Leyden spricht es speciell mit Rucksicht auf den Fall DferfcRiNE aus, dass 
die hochgradigen peripheren Yeranderungen von der „geringfugigen Alteration" 
der grauen Ruckenmarkssubstanz nicht abhangig gemacht werden konnten und 
betrachtet die Neuritis als den Ausgangspunkt der Erkrankung, die Betheiligung 
des Ruckenmarks als spatere Complication. Wir konnen uns weder fur den 
Fall DftrfauNE, noch fur den von Kahleb und Pick und unseren eigenen 
oben geschilderten einer solchen Auffassung anschliessen, sind vielmehr der festen 
Ueberzeugung, dass Yeranderungen, wie sie ubereinstimmend ip diesen Fallen 
zu Tage traten, der Charakter primarer und die Bedeutung einer genugen- 
den Ursache fur sehr ausgesprochene und ausgebreitete periphere Nerven- und 
Muskeldegeneration vindicirt werden muss. Als Anhaltspunkt fur eine Trennung 
specifisch motorischer und trophischer Elemente unter den Ganglienzellen der 
Yorderhdmer konnen wir, abweichend von Kahleb und Pick, unsere Befande 
nicht betrachten. 

Seit K. und P.’s Publication sind Faile in nicht geringer Zahl mitgetheilt, 
die das Bild der subacuten progressiven atrophischen Spinalparalyse in ahnlicher 
Form reprasentiren. 


nervensystems. VI. Ueber Vacuolenbildung in den Ganglienzellen des Rbckenmarks. Prager 
Vierteljahrsschrift. 1879. 

1 Arch, de physiologie. 1876. 

3 Ueber Poliomyelitis und Neuritis. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. I. H. S. 


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175 


Erst kurzlich haben Landouzy und DfcrfcRiNE 1 auf eine heilbare Form 
dieses Typus aufmerksam gemacht; andere Autoren hatten Gelegenheit, die Be- 
ziehungen und Uebergange der progressiven atrophischen Spinallahmung zu der 
acuten aufsteigenden Paralyse Landry’s zu studiren. 

v Ob die anatomischen Yeranderungen der vorderen grauen Substanz, die von 
Aufrecht in seinem Fall von subacuter Spinalparalyse, von Landouzy und 
DfcrfcamE in einem ihrer Falle, von Schultze und Schulz in ihrem Fall von 
acuter aufeteigender Paralyse gefunden wurden, ihrer Natur nach dieselben sind, 
wie in den oben zusammengestellten 3 Fallen, ist nicht ohne Weiteres zu sagen; 
Vacuolenbildung in zahlreichen Ganglienzellen wird von Schultze hervorgehoben, 
indess bildeten gerade in seinem Fall die Alterationen der weissen Substanz des 
Ruckenmarks die Hauptsache. — 

Die peripheren degenerativen Veranderungen, die in unserm Fall in ex- 
quisiter Weise von der Peripherie nach aufwarts hin abnehmen, derart, dass die 
intramuscularen Nerven am intensivsten, der Stamm des Ischiadicus in seinen 
oberen Abschnitteu wenig, die vordern Wurzeln gar nicht erkrankt erschienen 
(— auch in D&j£eine’s Fall zeigten die vorderen Wurzeln verhaltnissmassig 
geringe Alterationen —), sind demgemass unserer Meinung nach nicht anders, 
denn als secundare trophische St5rungen aufzufassen. 

Wir halten es von Interesse, zu bemerken, dass dieses Yerhaltniss der Ab- 
nahme der Degeneration centralwarts auch in Fallen von primarer degenerativer 
Neuritis beobachtet ist, so in dem Fall von Muller. 

TJnser Befund weist, wie wir oben schon hervorgehoben, direct darauf hin, 
dass lange Strecken der motorischen Bahn — intra- und extramedullare Wurzel- 
fasem, grosse Nervenstamme — intact bleiben konnen bei Erkrankung der 
centralen motorisch-trophischen Elemente und consecutiver Degeneration der 
entfemten peripheren Apparate, Muskelnerven und Muskeln. 

Dass fur die Form und Ausdehnung dieser peripheren Degeneration die 
Qualitat der Veranderung an den centralen motorisch-trophischen Apparaten 
bestmunend sein wird, ist eine Hypothese Erb’s, mit der wir uns schon durch- 
aus einverstanden erklart haben, die auch im Einklang ist mit den Eigenthum- 
lichkeiten unseres Befundes. Sie macht den Unterschied verstandlich, der be* 
zuglich der Degeneration der einzelnen Strecken der motorischen Bahn besteht 
in FMlen, wie der von uns beschriebene und solchen von intensiver Zerstorung 
bestimmter Partien der vorderen grauen Substanz, wie sie in Fallen eigentlicher 
Poliomyelitis anterior acuta, Typus spinale Kinderlahmung, stattfindet 

Eines kurzen Hinweises werth ist die genaue Coineidenz der Entwickelung 
der subacuten atrophischen Lahmung mit der Entwickelung einer rasch ver- 
laufenden Tuberculose, eine Thatsache, die kaum zufallig ist, sondem auf einen 
atiologischen Zusammenhang, m5glicherweise die infectiose Natur der Lah¬ 
mung zu beziehen ist. Die hohe Wahrscheinlichkeit einer infectiosen Grundlage 


1 Des paralyBies generales spinales a marche rapide et curable. Revue de medecine. 
1882. No. 8 et 12. 

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176 


ist aber auch fur viele Falle multipler Neuritis soeben noch von Yierobdt 1 
hervorgehoben worden. Auch bei der Beriberi handelt es sich nach den Unter- 
suchungen von Baelz and Scheube* um eine primare degenerative Atrophie 
zahlreicher peripherer Nerven mit wahrscheinlich infectioser Aetiologie. Der von 
Yieeordt ausgesprochene Gedanke, dass vielleicht gerade bei infectioser Ursache 
(wir mochten hinzusetzen auch toxischer Ursache) eine mehr oder weniger 
gleichzeitige Erkrankung im gesammten Yorderhom — Nerv-Muskeltractus primar 
auftreten, oder aber dass diese Erkrankung von alien Punkten dieses Tractus 
ausgehen kann — dieser Gedanke scheint uns vorlaufig in seiner weiteren Fassung 
dem Stand der Thatsachen am meisten gerecht zu werden. Fur das Studium 
der Modalitaten der einschlagigen Erankheitsformen ist aber gerade durch diesen 
Gesichtspunkt der Yariabilitat der Angriflspunkte eine sehr ausgedehnte Per¬ 
spective eroffhet. 


n. Beferate. 


Anatomie. 

1) Sulla flna anatomia del corpi striati del MarcbL (Bivista sperimentale di 
freniatria etc. 1883. IX. p. 331.) 

Yerf. beschreibt in den Streifenhugeln (Kalb, Kaninchen, Katze, Hand) zwei 
verschiedene Fonnen von Zellen, von denen die eine gat charakterisirte Axencylinder- 
forts&tze aufweist, wahrend bei den anderen diese Fortsatze sich sehr bald wieder in 
ein feines Fasernetz auflftsen. Im Hinblick auf die Befonde an den Ganglienzellen 
des Bfickenmarks schliesst Yerf. aos diesem Verhalten, dass dem Streifenhfigel eine 
gemischte Function zukomme, da die erste Form der Zellen den motorischen, die 
letztere den sensorischen Elementen des Bdckenmarkes analog seL Die beschriebenen 
Bilder warden an Schnitten gewonnen, nach Behandlang mit Chromosmiamsaure und 
Argentum nitricom. Das Ganze ist vorlaufige Mittheilong. E. Er&pelin. 


2) Ueber den Azeneylinder markhaltiger Nervenfasem von Prof. C.Kupffer. 

(Sitzgsb. d. math. phys. Elasse d. k. bayr. Akad. d. Wissensch. 1883. H. 3.) 

E. farbte Ischiadicos von Frdschen and kleinen Saagethieren mit gesattigter, 
wfissriger LOsung von Saurefuchsin, nachdem er denselben 2 Stunden in 0,5 °/ 0 Os- 
miumsaarelSsung und ebensolange in Aqaa ausgewaschen; entfarbte dann 6—12 St. 
in abs. Alcohol, hellte mit NelkenSl auf und schlagt in Paraffin ein. Er fand fiber 
100 gleich grosse Pfinktchen im Axenraume des Querschnitts, die longitudinal ver- 
laufenden Fibrillen entsprachen. Die Fibrillen sind in eine Substanz eingebettet, die 
eiweisshaltig, gerinnungsfahig ist und von E. als „Nervenserum“ bezeichnet wird. 

Der Axencylinder ist demnach geronnenes Nervenserum, das mit Nervenfibrillen 
zu compactem Strange verdichtet ist. M. 


1 A. a. 0. 

3 Siehe besonders dessen letzte Arbeit iiher Beriberi. Vibch. Arch. 1884. Bd. 95.1. 


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Experimentelle Physiologic. 

3) Ueber das Wesen der elektrischen Oeffinungserregung von Grfitzner. 
(Pflfiger’s Archiv. Bd. XXXII. H. 7 u. 8.) 

Yerf. hat die frfiheren Resultate, dass eine Beihe von Reizerscheinungen am 
Nerven bei der Oeffnung des Stromes nnr scheinbare Oeffnungserregungen 
darstellen, in Wirklichkeit aber dem Entstehen eines Stromes ihren Ursprung 
verdanken, einer ernenten und erweiterten Untersnchnng nnterworfen nnd ist dabei 
zu dem Besultat gekommen, dass es fiberhaupt Oeffnungserregungen nicht giebt. 

Gestfitzt auf die Thatsache, dass ein reizender Strom, urn erregend auf bestimmte 
Nervenfasern zu wirken, auch in dem Nerven selbst sich ausgleichen kann und keines 
ausseren Bogens zur Ableitung bedarf, verfolgte er das Verbalten der Oeffnungs- 
erregungen und prfifte, ob in eben diesen F&llen ein Polarisationsstrom entstehen und 
sich durch das Organ abgleichen kann. 

Auf Grand dieser Prfifung formulirt Yerf. das Gesetz, nach welchem elektrische 
StrOme Nerven und Muskeln erregen, folgendermaassen: 

1. Erregt wird ein Nerv oder Muskel durch das Entstehen des elektrischen 
Stromes in den genannten Organon. 

2. Erregt werden ferner Muskel und Nerv, wenn auch in geringerem Grade, durch 
den Strom selbst, wenn er sie in constanter HOhe durchsetzt. 

3. Erregt werden dagegen die Nerven und Muskeln nicht dadurch, dass ein Strom 
in ihnen verschwindet. 

4. Die Bichtung des Beizstromes, falls sie nur der Axe der stromlosen Nerven und 
Muskeln parallel verl&uft, hat keinen nachweisbaren Einfluss auf die Starke 
der Erregung genanntor Organe selbst. 

Zum Schluss bespricht Grfitzner noch eine Beihe von gemachten und m6g- 
lichen Einwendungen, auf die einzugehen zu weit ffihren dfirfte. Ffir die Elektro- 
diagnostik bedarf jedoch noch eine Beobachtung am lebenden Menschen aus der Arbeit 
Erwahnung, die sicher schon h&ufiger gemacht, aber bis jetzt meines Wissens nicht 
verOffentlicht ist, dass bei Schliessung und Oeffnung des Stromes durch einen 
grfisseren Nervenstamm verschiedene Muskelgruppen mit einer Zuckung ant- 
worten. Da wir indessen bei jedem Einffihren des Stromes innerhalb des mensch- 
lichen Kfirpers mit vier in verschiedener Bichtung die Nerven durchsetzenden Strfimen 
zu rechnen haben, so dfirfte eine Verwerthung der Beobachtung ffir physiologische 
Anschauungen noch erschwert sein, wenn sie auch ein weiteres Verfolgen sicher 
lohnen wird. Bumpf. 


4) Ueber die Beziehung der sog. peripheren Gleichgewichtsorgane zu dem 
Kleinhirn. Versuohe mit Durohsohneidung der Kleinhimstiele von 
W. Bechterew. (Russkaja Medidna. 1884. Nr. 3. 4. u. 5. Russisch.) 

Die auff&Uige Aehnlichkeit der Erscheinungen, die bei Zersttirang der verschie- 
denen peripheren Gleichgewichtsorgane, namlich der halbzirkelfOrmigen Ohrbogeng&nge, 
der centralen grauen Substanz des 3. Ventrikels und der OlivenkOrper, zur Beobach¬ 
tung gelangen, wird vom Autor dadurch erkl&rt, dass die benannten Organe in hunger 
Beziehung zum Kleinhirn stehen, dessen Lasionen von ahnlichen Erscheinungen be- 
gleitet werden, wie Yerletzungen der peripheren Gleichgewichtsorgane. Letztere sind 
in der That nur Ursprungsort oder Ausgangspunkt der centripetalen Leitungsbahnen 
das Kleinhirns, auf welchen diejenigen Impulse sich verbreiten, die im Kleinhirn 
reflectorisch an die zur Kdrpermusculatur verlaufenden centrifugalen Bahnen tiber- 
mittelt werden. Die bestehenden anatomischen Angaben fiber die Yerbindung be- 
zeichneter Organe mit dem Kleinhirn, die von B. in ausffihrlicher Weise besprochen 


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178 


werden, geben nicht genfigenden Aufschluss iiber dieselbe, und Yerf. sucbt die Frage 
durch das physiologiscbe Experiment zu entscbeiden, indem er isolirte Durclischnei- 
dnngen der Kleinhirnstiele in verschiedener H5he ausffihrt und aus den daraus resul- 
tirenden Erscbeinungen die anatomische Bedeutung der in ibnen enthaltenen Faserzfige 
bestimmt. Dieses Yerfaliren zur Ermittelung des Yerlaufs intracerebraler Leitungs- 
bahnen, von B. „Methode physiologischer Dissection" benannt, hat ihm schon bezfig- 
lich verschiedener Fasersysteme (vgL seine Arbeiten fiber den intracerebralen Yerlauf 
der Sehnervenfasern, der die Pupille verengenden Fasem etc.) h6chst schatzenswerthe 
Resultate ergeben. 

Die wesentlichen Thatsachen, die er in seinen Versuchen mit Durchschneidung 
der Kleinhimstiele an Hunden erbeutete, bestehen in Folgendem: Bei Durchtrennung 
des hinteren und mittleren Kleinhirnstiels stellen sich an den Thieren Bollbewegungen 
um die Langsaxe des KSrpers ein, doch 1st die Richtung derselben verschieden: 
Durchschneidung des hinteren Stiels bringt Rollung zur operirten Seite hervor, Durch¬ 
trennung des mittleren — zur entgegengesetzten. Unilaterale Durchschneidung der 
Faserzfige der oberen Etage der Grosshimschenkel unmittelbar unter dem Aquaeductus 
Sylvii, langs des ganzen Yerlaufs desselben, hat Rollung des Thieres zur gesunden 
Seite hin zur Folge. Bei unilateraler Durchschneidung der vorderen Kleinhirnstiele 
dagegen werden weder Rollung noch fiberhaupt deutliche Gleichgewichtsstdrungen 
beobachtet, sondern nur Kreisbewegungen. 

Durch Zasammenstellung beschriebener Yersuchsergebnisse mit den nach isolirter 
Zerstflrung der verschiedenen peripheren Gleichgewichtsorgane zu beobachtenden Er- 
scheinungen und in Berficksichtigung der Richtung der Rollbewegungen in jedem ein- 
zelnen Fall, gelangt Yerf. zu dem Schluss, dass die von den Oliven und halbzirkel- 
fOrmigen Bogengangen entspringenden Faserzfige zum Kleinhirn im entsprechenden 
hinteren Kleinhirnstiel verlaufen, wahrend diejenigen, die die centrale graue Substanz 
mit dem Kleinhirn verbinden, in der oberen Etage der Hirnschenkel unter dem Aquae¬ 
ductus Sylvii ziehen. Bezfiglich der mittleren Kleinhirnstiele nimmt B. in Beruck- 
sichtigung. ihrer anatomischen Beziehungen an, dass sie die centrifugalen Bahnen 
enthalten, auf denen die aus den peripheren Gleichgewichtsorganen dem Kleinhirn 
zafliessenden Impulse den zu den Muskeln verlaufenden motorischen Bahnen fibermittelt 
werden. Die vorderen Kleinhirnstiele endlich dienen nach B.’s Ansicht als centri- 
petale Leitungsbahn, die die Hemispharen des'Kleinhirns mit den Grosshimhemispharen 
verbindet. 

Bilaterale Durchschneidung der Kleinhirnstiele brachte hOchst deutliche Gleich- 
gewichtsstSrungen hervor, in Folge deren die operirten Thiere weder stehen, noch 
gehen konnten. Durch diese Versuche wird die Ansicht Flouren’s widerlegt, welcher 
annahm, dass Durchtrennung beider vorderen Kleinhimstiele Laufbewegungen nach 
vorn, Durchtrennung beider hinteren Stiele Ruckwartsbewegungen imd Neigung zur 
Rollung nach hinten zur Folge habe. F. Rosenbach. 


Pathologische Anatomie. 

5) G-eschiohte einer Hellseherin, als Beitrag zum Studium der Foren- 
cephalie, von Prof. D. Lambl. (Arch. f. Psychiatrie. 1884. XY. S. 45.) 

Ein kleines Madchen wurde Jahre hindurch von ihrer Mutter gezwungen, als 
Hellseherin im Lande umherzuziehen und den sich ihr anvertrauenden Personen 
Arzneimittel und Rathschlage ffir alle mSglichen Yorkommnisse gegen Entgelt zu er- 
theilen. Das Madchen fand sich bald mit auffallender Geschicklichkeit und Beobach- 
tungsgabe in die eigenthfimliche Rolle hinein und erwarb sich um so grosseren Zulauf, 
als ihr intelligentes Wesen keineswegs ihrem Aensseren entsprach. Sie schielte n&m- 
lich, litt an Nystagmus und ihre rechte K5rperhalfte war paretisch; der rechte Arm 


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besonders war activ nur wenig beweglich nnd dabei deutlicb atropbisch. Als endlicb 
jenes Treiben Offentlichen Anstoss erregte, wnrde das Madchen einem Waisenhause 
flbergeben und starb dann etwa 2 Jahre spater, 14 Jahre alt. 

Die Section ergab einen porencephalischen Defect der linken Hemisphere, indem 
eine trichterfbrmige Communication zwischen dem Subarachnoidealraum mit dem Seiten- 
yentrikel quer durch die mittlere Partie beider Centralwindungen und durch die an- 
grenzenden Bander des Stirn-, Scheitel- und Schlafenlappens bestand. Das Gesammt- 
hirngewicht betrug nur 846,8 Gramm, die Differenz beider Hirnhalften 33 Gramm. 
Die motorischen Functionsst5rungen werden durch den Defect befriedigend erklart; 
weniger ist dies in Bezug auf die Integritat der Sprache der Fall (vgl. die Abbil- 
dungen), und auffallend ist die hohe Intelligenz, obschon zweifellos eine congenitale 
Erkrankung vorliegt. Sommer. 

Pathologie des Nervensy stems. 

6) Du role de l’hdrdditd nerveuse dans la gendse de l’ataxie locomotrioe 
progressive par Landouzy et Ballet. (Annales medico - psychologies. 
1884. Janvier p. 29.) 

Die Yerff. wenden sich gegen die in neuerer Zeit besonders von Fournier ver- 
tretene Auffassung, wonach fttr die enorme Majoritat der Falle die Aetiologie der 
Ataxie locomotrice in der Syphilis gesucht werden mhsse, behaupten vielmehr, dass 
die hberwiegend haufigere Ursache, wie bei den Geistesstbrungen, in erblicher ner- 
vbser Belastung beruht. 

Urn die in der Statistik schon aufgefflhrten und fhr Oder gegen die Wirksamkeit 
der Syphilis schon in’s Feld gefhhrten Falle zu vermeiden, entschlossen die Yerff. 
sich, eine ganz neue Statistik von nicht verbffentlichten Fallen zusammenzustellen. 
Das Ergebniss dieser in zwei Serien zerfallenden Controllstatistik, welche im Ganzen 
138 Falle auffhhrt, ist Folgendes: 

(Keine bekannte Ursache Oder andere als Syphilis und Hereditat 52 1 


Erste Sene Constatirte Syphilis..14 

101 Falle ^ ra ^ rsc ^ ie i n ^ c ^ e8 °der mbgliches Yorhandensein der Syphilis . 11 

Zweifellose nervbse Hereditat.17 

Wahrscheinliche Hereditat.7 

Summa 101 

Eeine bekannte Ursache.9 

Zweite Serie Syphilis.10 

37 Falle. Hereditat.12 

Hereditat und Syphilis combinirt.6 

Summa 37 

Das ergiebt: 

(Keine sichere Ursache der Tabes.. 61 

Total von Constatirte Syphilis als alleinige Ursache.21 

138 Fallen 2, als alleinige Ursache.28 

Syphilis und Hereditat combinirt.7 

Syphilis sicher, Hereditat wahrscheinlich.3 

_ Summa 120 


1 Wohl ein Druckfehler giebt im Original diese Zahl als 25 an. 

* Man sieht sogleicb, dass die Zahlen der Totalstatistik nicht stimmen. Wie die Yerff. 
zu den Zahlen gekommen sind oder ob Druckfehler vorliegen, muss noch anfgeklart werden. 


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Schliesslich rechnen die Yerfassser unter Berficksichtigung der wahrscheinlichen 
Falle von Syphilis und Hereditat: 

Einfluss der Hereditat: 35 Falle. 

Einfloss der Syphilis: 32 Falle. 

Die Verff. betonen noch, dass wenn ihre Zahlen nicht richtig sind, dieselben zn 
Gunsten der Syphilis und zu Ungunsten der Hereditat unrichtig sein wfirden, da die 
erstere bei der Unvollkommenheit der Anamnese leichter angenommen werden kdnne 
als die letztere, die nur da gesetzt sei, wo sie unzweifelhaft nachgewiesen worden 
ware. Zudem hinterlasse die Syphilis Spuren, die Hereditat sei ohne aussere Zeichen 
und falle daher weniger auf. 

Zu Gunsten der Hereditat wird dann noch angeffihrt, dass die Literatur Falle 
aufweise, welche ausserst pragnant und doch nicht in die Statistik aufgenommen seien. 

So wird an den Trousseau’schen Fall erinnert, in welchem ein an Tabes leidender 
Yater zwei tabische SOhne zeugte. 

Carrd berichtet fiber eine Familie, aus welcher durch drei Generationen 18 ta¬ 
bische Mitglieder entsprossen. 

Ferner werden die Coincidenzen mit anderen pathologischen Yorgangen angefuhrt: 
Nervositat, Hysterie und den verschiedenen GeistesstCrungen. Die allgemeine fort- 
schreitende Paralyse wird der Kategorie der hier in Betracht kommenden Krankheiten 
jedoch nicht zugetheilt, da ihre pathologischen Ursachen dieselben seien, wie die der 
Tabes und beide Formen als dieselbe, verschieden localisirte Krankheit aufzufassen 
seien. John. 


7) Beitrag zum Stadium der multiplen degenerativen Neuritis von Dr. 0. 

.Vierordt, Assistent der medic. Klinik in Leipzig. (Arch. f. Psych. 1883. 

Bd. XIY. H. 3.) 

23jahrige Puella; 1880 Lues, mit Schmierkur behandeli 3. Oct. 1882 starke 
Erkaltung, vom Abend desselben Tages an Schwache und Geffihllosigkeit in den unteren 
Extremitaten, Am 24. Sensibilitat an den Ffissen symmetrisch bis fiber die KnOchel 
herauf deutlich herabgesetzt; Plantar- und Patellarreflexe fehlend, Gehen nur mit 
Unterstfitzung mCglich. Am 26. dusgesprochene diffuse Parese beider Unter extremi¬ 
taten; obere Extremitaten frei. Schmerzen in den Fussgelenken. Yon Anfang No¬ 
vember an rapide Atrophie der Musculatur beider unteren Extremitaten, Schlaffheit 
und Herabsetzung der rohen Kraft in den Muskeln der oberen. Hochgradige Hyper- 
algesie der Haut und Muskeln an den oberen Extremitaten ohne objective Sensibili- 
tatsstorung. An beiden Unterschenkeln deutliche Mittelform der Entartungsreaction 
mit bedeutender Herabsetzung der Erregbarkeit. 

Die Atrophie der unteren Extremitaten machte noch weitere Fortschritte, ebenso 
die Lahmung der oberen Extremitaten, die sich ebenfalls mit Muskelabmagerung ver- 
band. Auch in der Musculatur der oberen Extremitaten, speciell im Badialisgebiet 
stellte sich Entartungsreaction ein; die galvanische Erregbarkeit der Nn. peronei er- 
losch vollkommen, wahrend die Muskeln der Peroneusgebiete qualitativ veranderte 
Zuckung zeigten. Die faradocutane Sensibilitatsprfifung ergab an den Ffissen hoch¬ 
gradige Herabsetzung, die sich nach aufwarts beiderseits ganz allmahlich verlor und 
sich durchaus nicht an die Gebiete peripherer Nerven hielt, eine geringe Herabsetzung 
der faradocutanen Sensibilitat liess sich auch an den Handen und Yorderarmen 
nachweisen. 

Ende November: Zwerchfelllahmung, steigende Pulsfrequenz. Benommenes Sen- 
sorium. 

11. December. Nystagmus beider Augen. Fast complete Lahmung der oberen 
Extremitaten, beginnende Flexionscontractur an den Handen; leichtes Oedem der 


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letzteren, ebenso an den unteren Extremitaten. Incontinenz; beginnender Decubitus; 
abendliches Fieber. 

19. December: Tod an Ersch6pfung. 

Die Section ergab: Beginnende Lungenpbtbise and folliculare Darmgeschwflre. 
Die Nerven makroskopisch von normalem Aussehen, die Muskeln von stark vermin- 
dertem Yolum, aber normaler Farbe und Consistenz. Die mikroskopiscbe Untersucbung 
dee Rtickenmarks liess keine patbologische Veranderung erkennen. Nur in ein- 
zelnen Yorderbomzellen des Halsmarks fiel ein klumpiges Aussehen und eine braun- 
liche schollige Masse, die den Kern after verdeckte, auf. Doch waren dies immer 
tmr einzelne Zellen, die fibrigen vollstandig normal. Ebenso die nervdsen FaserzfLge 
der grauen Yordersaulen durch’s ganze Bdckenmark durchaus intact. Die vorderen 
Wurzeln in der Hauptsache ebenfalls unverandert. 

In den peripheren Nerven fand sich dagegen bei der frischen mikroskopischen 
Untersuchung eine gleichartige, obwohl verschieden intensive Degeneration. Complet 
war diese Degeneration in einem Gastrocnemiuszweig, relativ stark im N. phrenicus 
und Ischiadic, dexter; sie bestand wesentlich in kflmigem und fettigem Zerfall des 
Marks ohne entzfindliche Erscheinungen oder Kemvermehrung der Schwann’schen 
Scheiden. 

An Querschnitten des Flex, brachial, dext., Vagus d., Ischiadic, dext. und sinister 
fand sich eine betrachtliche Yerminderung der Zahl der normalen Faserquerschnitte, 
als Ersatz ein mfrchtig kernreiches zartes Bindegewebe. Die Gefasse hatten deutlich 
verdickte Wandungen. 

Die Muskeln (Extension) des Yorderarms zeigten keine besonders ausgesprochenen, 
aber doch deutlich degenerative Ver&nderungen; Yerschmalerung, Trfibung, leichte Ver- 
mehrung der Muskelkeme, aber erhaltene Querstreifung. In den Gastrocnemiis und 
im Zwerchfell erschien die Trtibung sehr intensiv. Auf Querschnitten war einfacher 
Schwnnd des Muskelgewebes zu constatiren. 

Hervorgehoben wird in dem klinischen Bilde des referirten Falles die successive 
Entwickelung von motorischer Schw&che und Atrophie, die diffuse Localisation beider, 
das Uebergreifen auf Zwerchfell und Herz, die geringe Heftigkeit spontaner Schmerzen, 
die Localisation derselben auf die Gelenke, die diffuse Hyperasthesie der Haut und 
der Muskeln, die eigenthdmliche Localisation der objectiven SensibiHt&tsstflrung, die 
durchaus nicht den Gebieten peripherer Nerven entsprach, sondern an den End- 
abschnitten der Glieder am starksten ganz allmahlich nach oben abnahm, ohne 
scharfe Grenze. Grosser Werth wird darauf gelegt, dass niemals eine Yerdickung 
peripherer Nerven nachzuweisen war. Die spontane Druckempfindlichkeit der letzteren 
war zweifelhaft. 

Die Diagnose lautete intra vitam mit gr6sster Wahrscheinlichkeit multiple 
Neuritis. 

Vom mikroskopischen Befund wird die Veranderung in den VorderhCrnern als 
irrelevant bezeichnet. 

Die Yeranderung an den peripheren Nerven haben mit EntztLhdung absolut 
nichts zu thun, gleichen vielmehr ganz dem Bilde „absteigender“ Degeneration eines 
peripheren Nerven nach dessen Lasion. Die Frage, ob die peripheren Abschnitte 
starker erkrankt waren als die centraleren, kann mit Bestimmtheit nicht beantwortet 
werden. Die centralsten Theile, die vorderen Wurzeln, waren allerdings (im Wesent- 
lichen) normal und einzelne Muskelzweige andererseits bis auf die letzte Faser 
degenerirt. 

Der Muskelbefund in seinem Fall und die Thatsache, dass initiale Lungen- 
tuberculose vorhanden war, bringen Verf. in Erinnerung an die von E. Frank el 
erhobenen Muskelbefunde bei Phthisikem zu der Yermuthung, dass es sich auch in 
F.’s Fallen um eine den seinigen ahnliche Affection gehandelt habe. Zwei Beispiele 
von Muskelparesen bei Phthisikern, in einem Fall mit ausgesprochenen Sensibilitats- 


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stdrungen, Verlangsamung der Scbmerzleitung, in denen Yerf. post mortem typische 
Degeneration der Nervenfasem in den Gastrocnemiuszweigen fand, scheinen ffir das 
Oftere Vorkommen soicber Nervendegeneration im Yerlauf der Phthise zu sprecben. 

Es folgen noch einige Bemerkungen fiber das differentialdiagnostiscbe Moment 
der lancinirenden Scbmerzen bei Neuritis, fiber den Wertb der objectiven Herabsetzung 
der Sensibilitat gegenfiber deren ausnahmslos normalem Verhalten bei Poliomyelitis 
and progressiver Muskelatrophie, fiber die Betheiligung von Hiranerven an dem En¬ 
semble der multiplen Neuritis. 

Die Yerschiedenheiten des anatomischen Befundes bei den einzelnen bis jetzt 
bekannt gegebenen Fallen multipier Neuritis, die Form der reinen degeneratived 
Atropbie in den einen, ecbter interstitieller Entzfindung, event, palpable Yerdickung 
der Nerven in anderen Fallen, mfissen in voller Scbarfe getrennt gebalten werden; 
eine Erklarung dieses differenten Verbaltens lfist sicb nicbt geben; moglicherweise 
1st die infectiOae Natur der Erkrankung Oder eine Fortleitung der Entzfindung von 
den Gelenken ffir die Form reeller Entzfindung von Bedeutung. Eisenlobr. 


8) Etude sur le nervo-tabes pdriphdrique par Ddjerine. (Arch, de physiol, 
norm etc. 1884. No. 2. p. 231.) 

D. beschreibt 2 Falle, bei welcben ausser Anastbesie und Analgesia der Beine 
mit Empfindungsverlangsamung, Feblen der Eniepbanomene und eine massige Ataxie 
bestand. Im ersten Falle fand sicb eine leichte Scbwacbe und Abnabme des Yolums 
der Musculatur, im zweiten waren Parese und Atropbie ausgesprochener. Die Affection 
entwickelte sicb im ersten Falle im Verlaufe von etwa 5 Monaten, ebenso lang war 
die Dauer im zweiten Falle bis zu dem ebenfalls an einer Erkrankung innerer Or¬ 
gans erfolgendem Tode. Yon Seiten der Gebimnerven keine Erscbeinungen vorhanden. 

Das Rfickenmark und die Wurzeln waren ganz intact, es bestand dagegen eine 
deutlicbe Veranderung der peripberen Nerven, welcbe im ersten Falle vorwiegend in 
den sensiblen Hautnerven, im zweiten aucb in den Muskelasten als parencbymatose 
Neuritis sich cbarakterisirte. 

Das Auftreten der Erscbeinungen von Ataxie etc. erinnert an das Krankbeitsbild 
der Tabes. Eine sebr erbebliche Abweicbung stellen jedocb, abgeseben von der 
Rapiditat der Entwickelung, die, namentlicb im zweiten Falle deutlichen, Symptome 
der Parese und der Atropbie der Muskeln (mit Abnabme der faradiscben Erregbar- 
keit? Untersuchung unvollstandig) dar. Pupillarerscheinungen und andere Symptome 
von Seiten des Sebapparats warden nicbt beobachtet. 

Allein aus Rficksicbt auf das Yorbandensein von Ataxie im Krankbeitsbilde fur 
eine Neuritis den Namen Nervo-tabes peripheriques zu wahlen, erscbeint uns unter 
diesen Umstanden als kein glficklicber Griff Ddjerine’s. 

Was die Aetiologie betrifft, so waren beide Personen Alkobolisten und mdcbte 
Ref. mit Bezugnabme auf einen von ibm in den Cbaritd-Annalen 1884 mitgetbeilten 
Fall, in dem bei einem Saufer als Ursacbe der im Gebiete der Motilitat und Sensi¬ 
bilitat aufgetretenen Erscbeinungen eine Erkrankung peripberer Nerven anatomiscb 
sicb nachweisen liess, diesem Umstande mebr Gewicbt beilegen, als Ddjerine zu 
tbun geneigt ist. Moeli. 


9) Weitere Beitr&ge zur pathologisohen Anatomie und Histologie der 
Beri-Beri (Kak-ke) von Scheube. (Virchow’s Arcb. 95. 1. S. 146—176.) 

Yerf. konnte seine frfiher auf Grand von 3 Sectionen ausgesprocbene Ansicht 
(Deutscb. Arcb. f. klin. Med. XXXI u. XXXII), dass das Wesen der Beri-Beri in einer 
infectiOsen multiplen Neuritis zu sucben sei, durcb 17 weitere Sectionen, fiber deren 


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Ergebniss er ausfflhrlich berichtet, best&tigen. In alien Fallen boten die untersuchten 
Nerven die verscbiedenen Stadien der Degeneration und degenerativen Atropbie dar 
bis zu vollst&ndiger Resorption der Markscheide nnd des Axencylinders, daneben mehr 
Oder weniger bedeutende Zunabme des Endoneuriums. Die Degeneration ist stets am 
hochgradigsten in den Muskelasten (bes. auch des Fhrenicus), findet sich aber auch 
in rein sensiblen Hantnerven. Hand in Hand mit der Degeneration der Nerven geht 
eine solche der Muskeln, Atropbie und fettige Degeneration der Muskelfasem mit 
Zunabme der Kerne und des Bindegewebes. Die Herzaste der Vagi zeigten stets 
leicbte Grade der Degeneration; die fettige Degeneration der Herzmusculatur mit 
Dilatation besonders des recbten Ventrikels, sowie die regelmassigen Herzerscbeinungen 
ftibrt S. auf diese Vagusdegeneration zuruck, ebenso wie er fbr die after beobacbtete 
acute Lungenl&bmung nacb Analogie der vom Ref. und von Danger bescbriebenen 
F&lle Degeneration der LungenSste des Vagus annimmt und in einem Fall tbatsacb- 
licb nacbwies. Die Untersucbungen des Rbckenmarks und der Spinalnervenwurzeln 
fielen stets negativ aus. KQmige Trubung und Verfettung der Leber und Nieren, 
sowie afters gefundene kleine Herde in Leber, Herz und Muskeln bestarken den Verf. 
in seiner Ansicbt von der infectiOsen Natur der Beri-Beri, wenn ibm der Nacbweis 
cbarakteristiscber Mikroorganismen bisber aucb nicbt gelang. Tuczek. 


10) Lathyrisme et B6rib6ri par Marie. (Progr. mdd. 1883. No. 43.) 

Es wird fiber eine von Boucbard in Algier beobacbtete Epidemic von Latbyris- 
mus berichtet. Retentio und Incontinentia urinae und Impotenz gebbrten zu den 
ersten Symptomen; im Uebrigen wurde in alien Fallen — in Uebereinstimmung mit 
frfiheren Beobacbtungen — Labmung der Unterextremitaten mit Muskelrigiditat und 
Contracturen, Verstarkung der Sehnenreflexe, Fusspbanomen constatirt. Verf. ziebt 
dann eine Parallele zwiscben dem Latbyrismus und der Beri-Beri an der Hand der 
Mittbeilungen von Scbeube. Tuczek. 


11) Prim&re Seitenstrangsklerose nach Lues. Aus der mediciniscben Klinik 
des Prof. Naunyn zu KCnigsberg mitgetheilt von Dr. Minkowski. (Deutscb. 
Arcb. f. klin. Med. Bd. XXXIV. S. 433.) 

Die sebr interessante Beobacbtung betrifft eine 19jabrige, frfiber stets gesunde 
und von gesunden Eltern abstammende Arbeiterin. Im Mai 1881 breite Condylome 
(4wficbentlicbe Scbmierkur), im August 1881 luetisches Exantbem, Welches nacb einer 
abermaligen Scbmierkur in 3 Wocben verscbwand. Bald -darauf Scbwache und Zittern 
in den Beinen. Mitte Januar 1882 folgender Status: Geben nur nocb mit Unter- 
stfitzung mfiglicb, dabei die Fussspitzen kaum vom Boden erboben, starkes Zittern 
der unteren Extremitaten. Robe Kraft berabgesetzt. Vollstandig normale Sensibilitat. 
Erbeblicbe Steigerung der Sebnenreflexe. Hautreflexe feblen. Blase und Mastdarm 
normal. Obere Extremitaten etwas paretiscb, sonst ohne StOrung. Keine Veranderung 
im Bereicbe der Gebimnerven. Ausserdem ausgesprochene Lungenphtbise. — 
Unter dem Gebraucb einer Scbmierkur trat eine auffallende Besserung der 
spinalen Symptome ein. Die Sebnenreflexe wurden scbwacber, der Gang viel 
sicberer und nicbt mebr zitternd. Die Lungentuberculose scbritt indessen immer 
weiter fort und fflbrte scbliesslicb am 18. Juli 1882 zum Tode der Patientin. 

Die Section ergab ausgedebnte tuberculOse Veranderungen in den Limgen; im 
Rflckenmark makroskopiscb zunacbst nicbts sicber Abnormes. Nacb der Hartung des 
Rflckenmarks in Mflller’scber L5sung trat aber die bellere Farbung der hinteren 
Seitenstrange sebr deutlicb bervor. Die mikroskopiscbe Untersucbung ergab: 
im Dorsalmark eine starke Degeneration der Kleinbirnseitenstrangbabnen und eine 


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deutliche, aber weit geringere Affection der Pyramidenbahnen (meist erbaltene Fasem, 
einzelne atropbiscbe Fasem, Lficken mit FettkSrnchenzellen, massige Vermehrung der 
Neuroglia). Deutliche Atropine eines Theils der Zellen in den Clarke’schen Saulen. 

1m Gervicalmark ist die Erkrankung in derselben Ausbreitung vorhanden; 
oberhalb der Pyramidenkreuzung h5rt aber die Degeneration auf. Die Goll’schen 
Strange nicht sicher erkrankt. In der H6he des 6.—7. Cervicalnerven an der Grenze 
zwischen grauem Vorder- und Hinterhom eine kleine Blutung. 

Im Lendenmark ebenfalls die gleichen Verhaltnisse, nur in entsprechend ge- 
ringerer Ausdehnung. 

Der Fall beweist also wiederum das Yorkommen prim&rer systematischer De- 
generationen in den Seitenstrangen des Rflckenmarks, und zwar anscheinend unter dem 
Einflusse des syphilitischen Giftes. Bemerkenswerth ist die anatomische Lasion 
im Yerein mit dem Umstande, dass die spinalen Symptome durch den Gebrauch der 
Schmierkur schliesslich so gut wie ganz geschwunden waren. Strflmpell. 


12) Amyotrophio lateral sclerosis by Dr. Cox well. (British med. Journ. 1884. 

Febr. 23. p. 362.) 

Sehr kurz mitgetheilte Beobachtung bei einer 47jahr. intelligenten Frau. Es 
bestand Atrophie, Semiflexion und Pronation beider Arme, theilweise Lahmung beider 
unterer Extremitaten ohne Atrophie und Atrophie der Zunge. Der Tod erfolgte durch 
Pharyngealparalyse. Im Riickenmark fand sich Atrophie der Seiten- und der Turck*- 
schen Strange, so wie Sklerose der gekreuzten Pyramidenbahnen. Die multipolaren 
Ganglienzellen der YorderhOrner waren im Hals- undBrustmark atrophisch; imUebrigen 
erschien die ganze graue Substanz auffallend vascularisirt. Im Gehim war keine 
Abnormitat nachzuweisen, abgesehen von einer Degeneration der Hypoglossuskeme. 

Sommer. 


18) On the relation of the „Aura“ giddiness to epileptic seizures by Charles 
E. Beevor. (Brain. 1884. Jan. p. 481—496.) 

Yerfasser hat sich bemflht, in den F&llen von Epilepsie, wo den Anfallen ein 
Schwindelgefflhl nach einer bestimmten Bichtung vorausgeht, eine Beziehung der 
letzteren zu deijenigen der Scheinbewegungen der Gesichtsobjecte und der objectiven 
Botationsbewegungen der Augen und des Eopfes, sowie der zuerst von den Krampfen 
ergriffenen KQrperseite aufzufinden. Niemals sind zunachst die Scheinbewegungen und 
die objectiven Bewegungen entgegengesetzi Unter 17 einschlagigen Fallen gaben 
acht an, dass sie sich selbst und ebenso die ausseren Gegenstande von rechts nach 
links herumdrehen, und neun fflhlen sich und die Objects in entgegengesetzter Bich¬ 
tung von links nach rechts gedreht. Von den Fallen, wo der Schwindel von links 
nach rechts ablief, begannen in fiinf die Krampfe an der rechten Seite, wie dies 
besonders in einem Falle vom Verf. genauer constatirt werden konnte, dass Kopf 
und Augen nach rechts gedreht wurden. Dann traten beiderseitige Krampfe ein, und 
unmittelbar nachher war das Knieph&nomen rechts starker und dass Fussphanomen 
rechts vorhanden (vgl. dieses Centralbl. 1882. S. 323). In einem anderen Falle mit 
gleicher Schwindelaura wurde der Eopf nach rechts, dann der rechte Arm in die H&he 
gezogen und blieben rechts die Krampfe starker. 

Dagegen begannen in alien Fallen, wo Schwindel und Scheinbewegungen der 
Umgebungen von rechts nach links gingen, die Anfalle an der linken Seite. Haufig 
zuckte zuerst der linke Mundwinkel. 

Wahrend also in 12 Fallen die Krampfanfalle an der Seite einsetzten, nach 
welcher subjective und objective GleichgewichtsstOrungen abliefen, zeigten 4 Falle 
mit Schwindelbewegungen von links nach rechts ein abweichendes Verhalten, indem 


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mit im Original nachznlesenden Variet&ten trotzdem der Eopf nach links gezogen 
wurde nnd die link© KCrperh&lfte zuerst oder allein von den Kr&mpfen ergriffen wurde. 

Obgleich sick Verf. die Schwierigkeit derartiger Erhebungen vonSeiten der Fat. 
nicht verhehlt, glanbt er dennoch als Resultat seiner Arbeit daran festbalten zu dtlrfen, 
dass die subjectiven nnd objectiven Schwindelbewegungen regelmfissig in gleicher 
Bichtung erfolgen, nnd meistens wenigstens die tonischen Kr&mpfe an der Seite ein- 
setzen, nach welcher der Schwindel abl&uft. 

Beilaufig bemerkt er, dass der Schwindel niemals von Tanbheit nnd snbjectiven 
Ohrger&uschen begleitet war (vgl. dieses Centralbl. 1883. S. 323). In Betreff der 
vom Verf. versnchten Erkl&rung des gleichseitigen Ablanfs der Scheinbewegnngen der 
Gesichtsobjecte mit den Rotationsbewegungen der Angen sei anf das Original ver- 
wieeen. E. Bemak. 


Psychiatric. 

14) Vom Bewusstsein in Zust&nden sog. Bewusstlosigkeit von A. Pick. 

(Arch. f. Psych. XV. 201.) 

Anfalle von gestOrter Bewusstseinsthfitigkeit wurden studirt bei einem Epileptiker 
mit psychischen Aeqnivalenten. Den Bewusstseinszustand in diesen Anfallen bezeichnet 
P. (mit Gnauck n. A.) als traumhaft, keineswegs ist das Bewnsstsein ganz auf- 
gehoben. Was die Erinnerungsfahigkeit an die Erlebnisse im Anfall betrifft, so zeigte 
sich verschiedenes Verhalten: Es giebt, wie P. zeigt, bei den Bewusstseinsstbmngen 
Uebergange, nach der einen Seite znr vOlligen Bewuastlosigkeit im epileptischen Krampf- 
anfall,' nach der anderen Seite zn den verschiedenen Bewusstseinszust&nden der 
Psychosen. 

P. vermeidet es, sich in Speculationen einznlassen fiber’ ein Gebiet, welches nns 
nach dn Bois-Reymond durch das „Ignorabimus“ verschlossen ist: er bleibt anf 
dem Boden der klinischen Medicin nnd verfolgt einige Symptome seines Falles weiter, 
welche nach mehreren Richtnngen bin fiber den Mechanism us psychischen Geschehens 
Aufklarung geben k5nnen. Es ist das die Beobachtnng, dass der Kranke im Anfall 
ihm vorgelegte Schrift als falsch bezeichnet, seinen ihm vorgeschriebenen Namen nicht 
wieder erkennt, die Beobachtnng, dass er anf der H5he des Anfalls gar nicht mehr, 
beim Abklingen desselben nnr eben erkennbar zn schreiben vermag. Ebenso konnte 
Patient im Anfall die Taschennhr nicht richtig ablesen, er war ganz nnorientirt, Ort 
nnd Personen wurden ihm fremd. 

Hier fand also eine Stfirung in den Endstationen der optischen Erinnemngs- 
bilder statt, dnrch welche das Bewusstsein geffilscht, dass heisst die Beziehnngen des 
Ich znr Anssenwelt in krankhafter, dem Individuum fremder Weise verandert wurden. 

Was die Erinnerungsfahigkeit anlangt, so nimmt auch Pick (wie Andere) ein 
erinnerbares nnd nicht erinnerbares Bewusstsein an, zwischen beiden bestehen Ueber¬ 
gange, and die mangelhafte oder fehlende Erinnemng ist der Gradmesser ffir das 
vorhanden gewesene Bewnsstsein. 

Der Zustand des Bewusstseins im Tranm giebt wichtige Anhaltspunkte znr 
Vergleichnng mit dem gestOrten Bewusstsein der Psychosen, nnd die Wichtigkeit der 
Traumereien bei Entstehung der Wahnideen ist noch immer nicht fiberall hinreichend 
berficksichtigt worden. 

Auch in Anfallen von anderweiten Nerven- nnd Gehimkrankheiten kommt die 
krankhafte Veranderung des Bewusstseins vor; ein diesbezfiglicher Fall wird anhangs- 
weise mitgetheilt. Siemens. 


15) Contribuzione alia oasoistioa della inversione dell , istinto sessuale del 

Cantavano. (La Psichiatria. 1883. 3. p. 201.) 


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W., 20 Jahr. Keine Hereditat, ein Bruder sehr ausschweifender Mensch, 
Mutter und eine Schwester an Phthise gestorben, ausserdem 4 gesunde Geschwister. 
Launenhafter, reizbarer Charakter, gross© Neigung zum Yagabondiren, geringe Fort- 
schritte in der Schule. Aufnahme in ein Rettungsinstitut, wo mit 15 Jahren die 
Menses auftraten, die spaterhin sparlich und mit haufigen Unregelmassigkeiten wieder- 
kebrten. In diesem Institute schloss die Patientin bald innige Freundscbaft mit ihren 
Kameradinnen, die bis zu gewohnheitsmfissiger ffirmlicher Cohabitation ging; einzelne 
derselben wurden besonders bevorzugt. Nach einem Jahre entfloh Pat. nach Hause, 
legte ohne Yeranlassung dort Feuer an und verdachtigte ihren Bruder deswegen. Ein 
Yersuch, sie wieder in das Institut zurfickzubringen, misslang. Nunmehr zu einer 
Tante gebracht, entfloh sie alsbald in Mannerkleidung und suchte so eine ihrer 
Mheren Geliebten im Bordell auf, wurde aber von jener zurfickgewiesen und alsbald 
von der Polizei aufgegriffen. Es ergab sich, dass sie noch Jjmgfrau war. Nach 
einer weiteren fihnlichen Flucht in Mannerkleidem, die zu Conflicten mit der Polizei 
ffihrte, wurde die Kranke endlich der Irrenanstalt fibergeben, wo sie bald mit einer 
Patientin und dann wiederholt mit Warterinnen Liebesverhaltnisse von stark sinn- 
lichem Charakter anknfipfte. Gegen Manner zeigte sie sich absolut unempfindlich 
und hatte auch ein klares Bewusstsein ihrer abnormen Anlage, beklagte bitter, nicht 
als Mann geboren zu sein. KOrperliche Anomalien konnten nicht aufgefunden werden, 
insonderheit keine Entwickelungshemmungen der Genitalien oder der Brustdrusen. 

Yerf. spricht die Ansicht aus, dass die contrare Sexualempfindung bei Weibern 
meist einen mehr sinnlichen Charakter habe, als bei Mannera, bei denen ein Zug 
idealistischer Schwarmerei hervorzutreten pflege. Er plaidirt fur die forensische Un- 
zurechnungsfahigkeit derartiger Individuen. E. Krapelin. 


16) Zur Lehre von der contr&ren Sexualempfindung von Prof. v. Krafft- 
Ebing. (Irrenfreund. 1884. Nr. 1.) 

6 neue und interessante Falle von perversem Geschlechtstrieb, die Yerf. selbst 
zu sammeln die seltene Gelegenheit hatte. Fast alle Falle betrafen Individuen mit 
gleichzeitigen Symptomen schwerer spinaler und cerebraler Asthenie; bei 2 Patienten, 
einem mannlichen und einem weiblichen, scheint die Umwandlung der Sexualempfin¬ 
dung erst in den spateren Lebensjahren erfolgt zu sein; einmal zweifellos erst im 
Anschluss an eine sich allmahlich entwickelnde Neurasthenic, da der betr. Patient 
bis zum 27. Jahre in sexueller Hinsicht ganz normal und sogar glticklich verheirathet 
war, und im zweiten Fall soli ein Sturz auf den Rftcken im 29. Jahre neurasthenisch- 
hysterische Beschwerden und die Geschlechtsperversitat veranlasst haben. Bei 5 Pat 
war eine schwere neuropsychopathische Belastung nachzuweisen. 

Bemerkenswerth ist die Angabe ernes Pat. fiber die Haufigkeit der contraren 
Sexualempfindung bei Mannern: in einer Stadt von 13000 Einwohnem kannte er 
perafinlich 14 und in einer Stadt von 60000 Einw. wenigstens 80 derartig abnorme 
Personen. Es kame demnach mindestens 1 auf 450 Manner. Sommer. 


17) A case of general Paralysis in a Woman by F. M. Cowan. (Journ. of 
ment. science. 1884. Jan. p. 530.) 

Die Section (60 Stunden post m.) der 36jahr., im Stadium der Paralyse auf- 
genommenen, keine Zeichen von Syphilis zeigenden Frau ergab: Die weichen Haute 
verdickt, an den Centralwindungen und den Lob. paracentral, adharent, Atrophie des 
Stirnhirns, starke Atrophie entsprechend dem rechten Lob. paracentral.; Hydroceph. 
int.; chronische Ependymitis; Hirngewicht 1170. 

Mikroskopisch fand sich im Gegensatz zur Regel die Neuroglia normal, nur in 


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6 Scbnitten unter 40 zeigte sie leichte Kemvermehrung; die einzigen Yeranderungen 
zeigten die Ganglienzellen und die Gefasse; die kleinen Arterien zeigten Endarteritis 
mit consecutiver Yerengemng des Lumens; in Edge dessen Stase und Transsudation 
in die pericellularen Raume, welcbe ihrerseits Atropine und Zerfall der Nervenzellen 
bedingen. Die Kfirze der patbologiscb-anatomischen Angaben macht es unmoglich, 
zu einem eigenen Urtheile zu kommen, ob thatsachlicb, wie Yerf. annimmt, sein Re¬ 
fund identisch mit dem bekannten Mendel’s ist. A. Pick. 


18) Paretic Dementia in Females, with report of a case, by S. Y. Clavenger. 

(The Alienist and Neurologist. 1884. V. p. 79.) 

Yerf. giebt in dieser Arbeit eine Zusammenstellung der bekannten Ansichten 
neuerer Autoren fiber gewisse Eigenthiimlichkeiten der allgemeinen Paralyse bei Weibem. 
Sehr vollstandig sind die Angaben fiber die relative H&ufigkeit ibres Vorkommens im 
Verbaltuiss zu dem bei Mannera: 39 verscbiedene Citate sind mitgetbeilt. Im Durcb- 
scbnitt wird biemach 1 paralytische Frau auf 8 paralytiscbe Manner berecbnet. Die 
Extreme sind allerdings sebr gross. Spitzka scb&tzt das Yerbaltniss auf 1:58, 
Seppilli und Verga dagegen auf 1:3. Die apatbiscbe Form des Verlaufs soli bei 
Frauen etwa 3mal hiufiger sein, als die klassiscbe Paralyse. Frauen vom Lande 
erkranken seltener als Stadtfrauen, bei denen wobl ihre Betbeiligung an dem leb- 
bafteren Kampf urn’s Dasein ungflnstig einwirkt. Zweifelbafter scheint der Einfluss 
der Menopause zu sein. 

Der ausfubrlicber mitgetheilte Fall betrifft eine 37jabrige verbeirathete Frau, 
Potatrix, nie menstruirt und kinderlos, mit infantilem Uterus und Atresia uteri. 

Sommer. 


Therapie. 

19) Ein Fall von Nervendehnung bei Tabes dorsalis aus der Poliklinik des 
Prof. Berger in Breslau von Dr. Moritz Rosenstein. (Arcb. f. Psycb. etc. 
Bd. XY. H. 1.) 

Ein mit grosser Ausftibrlichkeit mitgetheilter Fall von Tabes, bei dem die Deb- 
nung beider Nervi ischiadici zum Tode (in Folge progredienter Pblegmone am recbten 
Bein) in wenig Wochen gefubrt batte. Vor und nacb der Operation vorgenommene 
genaue Untersucbungen liessen nur insofem eine Aenderung im Erankbeitsbilde wabr- 
nebmen, als das Scbmerzgefflbl und das Muskelgefflbl an den unteren Extremitaten 
etwas gebessert erscbien. Die Patellarreflexe nach- wie vorber erloschen. Unmittelbar 
folgten der Operation mebrere Tage persistirende heftige Scbmerzen in den Beinen. 

Die mikroskopiscbe Untersucbung des Rflckenmarks ergab den Befund der grauen 
Degeneration der Hinterstrange, aber keine mit der Debnung in Zusammenhang zu 
bringende Yeranderung. In den Iscbiadicis wurden dem Wundverlauf entsprecbende 
Veranderungen gefunden, dagegen aucb Nicbts, was als directe Folge der Debnung 
angesehen werden konnte. 

Das Resultat, zu dem Yerf. in der Epikrise bezugUcb des tberapeutiscben Werthes 
der Nervendebnung bei Tabes kommt: „dass die Heilmetbode wobl so gut wie de- 
finitiv abgescbafft sein dflrfte", wird keinen Widersprucb erfabren. — Scbliesslicb 
spricbt Verf. sicb mit Rflcksicbt auf den mikroskopiscben Befund und dessen Ueber- 
einstimmung mit den von Strdmpell gegebenen Einzelbeiten fdr die Stellung der 
Tabes als „Systemerkrankung“ aus. Eisenlobr. 


20) Fraotora oranii comminuta et oomplioata cum depressione. Operation- 
helsa af Dr. Bolling. (Hygiea. 1883. Dec. XLY. 12. S. 740.) 


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Ein 10ja.hr. Mfidchen hatte einen Hufschlag an die rechte Seite der Stim be- 
kommen nnd die Wonde war einfach gen&ht worden. Bald stellte sich Fieber ein, 
das Kind wurde sonderbar, wie geisteskrank. Sie schwatzte unaufhfirlich, sprang 
vorwarts nnd rfickw&rts, fragte unaufhfirlich dieselbe Sache, schwatzte alle mfiglichen 
Worte auf r und zeigte eine grosse Yorliebe ffir diesen Bnchstaben, den sie scharf 
anssprach nnd best&ndig widerholte. Das Gesicht war glfihend roth, die Pupillen 
waren weit, die Angen glanzend, der Fnls hart nnd rasch. Die Kranke wollte be¬ 
st&ndig essen nnd hfirte nicht freiwillig damit anf. Die Wnnde begann an der Haar- 
grenze mitten oberhalb der rechten Angenbrane, 6 cm vom Orbitalrande entfernt, sie 
yerlief schrag nach abwarts, ihre Lange maass 5 cm nnd der nntere Wnndwinkel 
war 6 cm vom Ohr entfernt; ans der Wnnde floss stinkender Eiter ab. Nach Reinigung 
nnd Desinfection des Operationsfeldes konnte man eine tiefe Depression der Wund- 
gegend sehen. Nach einem T-fbrmigen Schnitt wnrden zwei Knochensplitterchen mit 
dazwischen geklemmten Haaren entfernt nnd so viel vom Knochen ausgemeisselt, dass 
man mit einem Elevatorium eingehen nnd den deprimirten Knochen heben konnte. 
Dabei sah man die Dura mater, pnlsirend nnd mit einer Eiterschicht bedeckt, daliegen. 
Der Eiter wurde vorsichtig entfernt, die Wunde mit Carbols&urel&sung gereinigt, ge- 
naht, drainirt nnd nach Lister’scher Vorschrift verbunden. Am Tage nach der 
Operation war noch Bet&ubung in Folge derselben und der Chloroformirung vorhanden, 
allmahlich aber trat normales psychisches Verhalten ein. Die Wnnde heilte aus- 
gezeichnet und Fatientin konnte vollst&ndig geheilt entlassen werden. 

Walter Berger. 


21) Hyosoyamine in the treatment of insanity by D. B. Brower. (The american 
Joum. of Neurol, and Psych. 1883. Nov. Vol. n. Nr. 4. p. 602.) 

Im Anschluss an ausffihrliche Literaturangaben berichtet B. fiber 3 Falle von 
puerperaler Geistess tuning, in welchen das Hyoscyamin (kryst.) sich als sehr gfinstig 
erwies. A. Pick. 


Forensische Psychiatrie. 

22) The ease of Diedrioh Mahnken, the insane murderer of D. Steffens 

by Dr. L. C. Gray.* (Americ. Joum. of Neurol, and Psych. 1883. p. 505.) 

Der betreffende Fall scheint seiner Zeit bedeutendes Aufsehen gemacht zu haben. 
Ein gewisser Mahnken tfidtete auf offener Strasse in Brooklyn einen harmlosen Bier- 
fahrer durch 7 Revolverschfisse und zwar ans Eifersucht, die lediglich auf den charak- 
teristischen Hallucinationen und Verfolgungsvorstellungen der geistesgestfirten Trinker 
bernhte. Die arztlichen Sachverst&ndigen sowohl, als auch die Juristen waren ein- 
stimmig der Ansicht, dass der Mfirder geisteskrank sei, aber die formelle Erklarung 
seiner Unznrechnnngsfahigkeit machte eigenthflmliche Schwierigkeiten, die durch den 
Wortlaut der betreffenden Gesetzesparagraphen bedingt waren. Nach dem neuen Codex 
ftlr den Staat New-York von 1882 genflgt n&mlich die Anerkennung bestehender Idiotie 
Oder Geisteskrankheit etc. durchaus nicht zur Aberkennung der Znrechnungsfahigkeit; 
es muss vielmehr in jedem einzelnen Fall noch besonders nachgewiesen werden, dass 
der Provocat nicht gewusst habe, was er gethan,- oder dass er seine That nicht ffir 
schlecht erkannt habe. Mahnken gab aber, wie so viele Yerbrecher, ganz richtig an, 
dass er seinen Nebenbuhler erschossen habe, und dass dies eine strafbare Handlung 
sei. Wahrend der Yerhandlungen fiber diese Frage gelang es fibrigens doch den 
Sachverstandigen, die thatsachliche Unzurechnungsfahigkeit des Mfirders plausibel zu 
machen, und so wurde er denn einer Irrenanstalt fibergeben. Sommer. 


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189 


Anstaltswesen. 

23) Thirty-second Report of Inspectors of Irish Asylums 1883. (Journ. 
of mental Science. 1884. Jan.) 

Die Zahl der Geisteskranken in Irland betrug Anfangs 1883: 13821, um 377 
rnehr als im Voijahre, was jedoch nach den Anscbauungen der Inspectoren wegen 
der starken Aoswandernng keine Zunahme des Verbaltnisses zu den Geslinden be- 
deutet. Die Mortalitat in den Sffentlichen Anstalten betrug 6°/ 0 gegea 6 8 / 4 °/ 0 im 
Voijahre; das Verhaltniss der Heilungen zum Durchscbnitt der Bebandelten betrug 
wie im letzten Quinquennium 11 x / 4 °/ 0 ; die Anstalten batten keinen Todesfall durcb 
Selbstmord oder Zufall zu verzeichnen. 

Bezbglich weiterer Details siebe das Original; bemerkenswerth ist es, dass die 
irischen Inspectoren den tbatsacblicben Fortscbritt der psycbiatriscben Wissenscbaft 
nach der tberapeutiscben Seite bin leugnen. A. Pick. 


24) Twenty-fifth Annual Report of the General Board of Commissioners 
in Lunacy for Scotland for 1883. (Journ. of ment. Science. 1884. Jan.) 

Am 1. Januar 1883 fanden sicb in Scbottland 10 510 Geisteskranke, davon 
8793 Paupers und 63 geisteskranke Yerbrecber (in Perth Prison); die Steigerung 
gegen das Vorjahr betrug 149, davon 135 Paupers, von denen jedocb nur 10 auf 
die Anstalten entfallen. Dieser zablenmassige Ausdruck fbr den befriedigenden Zu- 
stand des scbottiscben Irrenwesens giebt der Redaction des Journals Anlass zu ver- 
schiedenen Englands Irrenwesen betreffenden Bemerkungen, aus denen wir nur mit 
Eflcksicbt auf einen bekannten s. Z. in Deutschland ausgefochtenen Streit den Wunsch 
herausheben, es mbcbte bei Gelegenbeit neuer Irrengesetze darauf Bedacbt genommen 
werden, dass in den grossen Stadten entweder selbststandig oder als Abtheilungen 
der Spitaler oder Grafschaftsirrenhauser kleine Heilanstalten speciell fbr acute Psy¬ 
chosen von kurzer Dauer errichtet wbrden, wodurcb aucb der scbwindende Zusammen- 
hang der allgemeinen Medicin mit dem Specialfacbe hergestellt wurde. Ein specielle 
Untersucbung ist der Frage nach den Beziebungen der Yolksdicbtigkeit zur Zahl der 
Geisteskranken gewidmet. A. Pick. 


26) Thirty seventh Report of the Commissioners in Lunacy. March 31. 

1883. (Journ. of ment. science. 1884. Jan.) 

Der Bericht constatirt eine neuerlicbe Steigerung der Geisteskranken in England 
und Wales, und zwar auf 77196 (1. Jan. 1883), sodass jetzt 1 Eranker auf 346 der 
gescbatzten Bevdlkerung kommt; docb erklaren die Commissioners die Steigerung der 
Pauper Lunatics als bedingt durch die um 1 °/ 0 gesunkene Sterblicbkeit derselben 
und durch die Haufung der chronischen Falle. 

Yon den neu Aufgenommenen des Jabres 1882 waren 9,2 °/ 0 Epileptische, 
8,5 °/ 0 Paralytiscbe; unter den Kranken der Privatanstalten waren 4 °/ 0 Epileptische 
und 6,3 °/o Paralytiscbe; unter den Paupers 10,2 °/ 0 Epileptische und 8,9 °/ 0 Para- 
lytische. — 

Ausser statistischen Tabellen folgen verscbiedene Bemerkungen tlber Nacbtwacben 
namentlicb bei den Epileptiscben. A. Pick. 


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III. Aus den Gesellschaften. 

IV. Congresso della societk freniatrica italiana inVoghera, 16.—22.Sett 
1883. (Rivista sperimentale di freniatria. 1883. XL 4. p. 206.) 

Amadei bespricht an der Hand yon fiber 400 Messungen das Verhaltniss 
zwiscben Korpergrosse und Sch&delcapacitat. Es findet sich im Allgemeinen eine 
gewisse Proportionality; weibliche Schadel besitzen bei gleicher KGrpergrfisse geringere 
Capacitate als mannliche. 

Raggi bericbtet fiber abnorme Furcbenbildung am Occipitalhim und die Rolle, 
welche dabei mfiglicherweise den Druck- und Circulationsverhaltnissen zukommt. 

Rezzonico bescbreibt die feinere Structur der Hornscheiden centraler mark- 
baltiger Nervenfasern. 

Fusari zahlt die Bestandtbeile auf, aus denen sicb die Fibrae arcuatae an der 
Grenze zwiscben Kfirnerschicht und Rindenscbicbt des Kleinhims zusammensetzen, 
namlich: 1) Aestcben von den Axencylinderfortsatzen der Purkinje’schen Zellen, 
2) Fortsatze der „Kfimer“, 3) Fasern aus der Markleiste. 

Golgi begrfindet den Typus der motorischen Zelle, welchem er einen direct in 
eine Nervenfaser fibergehenden Axencylinderfortsatz zuscbreibt. 

Luciani bat in der Tiefe des Sulcus cruciatus bei Hunden mechanische Erreg- 
barkeit der Hirnrinde gefunden und scbreibt den gewohnlichen Mangel derselben den 
Einflfissen der Operation zu. 

Derselbe Forscber fand experimentell als Folge von Fortnabme des Kleinbirns 
nacb einer anfanglichen Storung der Coordination eine besondere Form von Ataxie, 
die sicb durcb die Herabsetzung des Muskeltonus und der Bewegungsenergie aus- 
zeicbnet (Astenia cerebellare), endlicb auch eine allgemeine Abnahme der Ernahrung 
(Distrofia generale). 

Becbterew bezeicbnet auf Grund von Versucben als Centrum ffir den Tastsinn 
bei Hunden die Gegend hinter dem Gyrus sigmoideus, als solcbes ffir den Muskel- 
sinn und die Scbmerzempfindlickeit Tbeile der 3. und 4. Bogenwindung. 

Barreggi scbreibt den Spinalganglien nur einen modificirenden Einfluss auf den 
Gefasstonus (abbangig vom fibrigen Centralnervensystem) zu und verwirft die Idee 
direct tropbischer Einwirkungen. 

Amadei konnte von 318 Scbadeln nachweisen, dass namentlich bei psychiscben 
Entartungen das Gewicbt derselben die Norm zu fibersteigen pflegt. Derselbe fand 
die grossten Hirngewicbte bei Manie und Melancbolie, die geringsten beim angeborenen 
und erworbenen Schwachsinn, sowie bei der Paralyse, besonders den spateren Stadien. 
Analogs Ergebnisse stellten sicb beraus in Bezug auf das Verhaltniss zwiscben Hirn- 
gewicht und Schadelcapacitat. Dasselbe war am grtfssten in der Manie und Melan¬ 
cbolie, am geringsten bei dem secundaren Schwachsinn und der Paralyse. Bei diesen 
Schwachezustanden batten die Manner verhaltnissmassig mebr an Himgewicht verloren, 
als die Weiber. 

Verga giebt an der Hand von 136 Autopsien statistische Notizen fiber das 
Vorkommen der Trabecula cinerea. Dieselbe soli bei Weibern baufiger sein, als bei 
Mannern, bei Gesunden baufiger als bei Geisteskranken, besonders Epileptikern. 

Funnioli bat einen Melancholiker mit linksseitiger atrophischer Lahmung be- 
obachtet, bei dem beide bintere Centralwindungen durcb eine zur Fissura Rolando 
parallels Spalte verdoppelt und sehr stark entwickelt waren. 

Bianchi ffibrt einen Fall von doppelseitiger Porencepbalie in der Gegend der 
Centralwindungen bei einem 73jahrigen, recbtsseitig bemiplegiscben, aber weder apha- 
siscben nocb idiotiscben Manne an. Links war der Ausfall grosser, die betreffende 
Pyramids atrophirt. 

Tamburini und Riva wiesen unter 60 paralytiscben Gebirnen 56mal Lasionen 
der Stirnlappen, 44mal solcbe der Scbeitellappen, 27mal der Sphenoidalpartien, 19mal 


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der Schlafenlappen, 9mal der Hinterhauptslappen, 3mal der Insel und 30mal der 
Centralwindungen nach. Die Befunde entsprachen im Allgemeinen nach den hens 
schenden Anschauungen den klinischen Symptomen. Die Abnahme der Tast- und 
Schmerzempfindlichkeit mit motorischen Stbrungen wurde auf Veranderungen in der 
als „sensorisch“ aufgefassten Gegend der Centralwindungen bezogen. 

Marchi sah in 9 Fallen yon Paralyse keine Affection der corticalen Zellen, nur 
einmal diffuse, sonst stets localisirte Sklerose, besonders in der Stirn- und motorischen 
Region, mit Gefasswucherung. Im Ruckenmark fiel ihm .ausser vereinzelten Atrophien 
der Vorderhornzellen keine Yeranderung auf. 

Algeri und Cividalli zahlen an 47 Fallen von Epileptikem eine Reihe sehr 
mannigfaltiger und vieldeutiger Sectionsbefunde, zumeist an der Himrinde, auf. Die 
Ammonshbrner waren nicht in auffallender H&ufigkeit betheiligt. E. Krapelin. 


Socidtb de Biologie in Paris. Sitzung den 23. Febr. 1884. 

Malassez theilt eine Arbeit von Dr. Nicati fiber gewisse weniger bekannte 
Begleiterscheinungen der Migr&ne mit. Es sind das Stbrungen sensibler Natur — 
Hauthyperasthesien, Formicationen — oder sensorieller und zwar in alien Sinnen: 
eigenthfimlicke Lichterscheinungen und Scotome; sausende und brummende Gerausche; 
perverse Geruchs- und Geschmacksempfindungen. 

Andererseits treten motorische Storungen auf, wie Pupillendilatation, Paralyse des 
Mfiller’schen Ringmuskels im Auge; endlich auch psychische Alterationen mit Schlaf- 
losigkeit, Verlust des Gedachtnisses, aphasischen Erscheinungen etc. — Es konnen 
also alle cerebralen Centren in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn auch im ein- 
zelnen Falle nicht alle genannte Symptome aufzutreten brauchen. 

Dastre hat im Verein mit Morat „Untersuchungen fiber den Einfluss asphyo- 
tischen Blutes auf die Nerven des Circulationssystems" angestellt und con- 
statirt, dass das asphyctische Blut ausschliesslich Reizerscheinungen hervorruft. Denn 
1. sei am Herzen die eintretende Verlangsamung die Folge einer fiberwiegenden 
Reizung der Vagus-Kerne; und was 2. die Gefasse betreffe, so sei der Eintritt der 
Rbthung der Ohren resp. der Haut fiberhaupt auf Erregung der Vasodilatatoren zurfick- 
zuffthren, wfihrend andererseits an den blass werdenden Eingeweiden die Gefass- 
constrictoren fiberwiegen. 

Sitzung den 1. Marz 1884. 

Gilles de la Tourette theilt einen Fall von nervbsem Speichelfluss mit, 
der ein entschieden neuropathisches Individuum betraf. Es trat bei diesem eines 
Tages plbtzlich ein heftiger neuralgischer Schmerz in der Gegend der Backe (auf 
einer Seite?) mit Anschwellung und starker Rothung daselbst ein und gleichzeitig ein 
reichlicher Speichelfluss, 1200 Gramm (in welcher Zeit?). Der Speichel hatte durch- 
aus die Eigenschaft des Parotidenspeichels, es fanden sich in demselben nur Epithel- 
zellen der Drfisenausffihrungsgange, keine eig^ntlichen (kelchformigen) Drfisenzellen. 

Magnan hielt einen interessanten Vortrag fiber „eine besondere Form von 
Delirium mit einer maasslosen Neigung fiir die Thiere (( , wobei er Gelegenheit 
hatte, eine gewisse Anzahl derjenigen, welche sich besonders lebhaft an der anti- 
vivisectionistischen Agitation betheiligen, als geisteskrank nachzuweisen. Eine von 
diesen Kranken befindet sich zur Zeit in M.’s Behandlung im Asyl Sainte Anne. 

_ Hadlich. 


Socibte anatomique. Sdance du 11. Mai 1883. (Progr. m4d. 1884. No. 4.) 

Ballet berichtet fiber einseitige Sklerose des Burdach’schen Stranges bei einer 
Ischias. Da die peripheren Nerven nicht untersucht worden waren, konnte nicht fest- 


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gestellt werden, ob es sich nm eine zum Ruckenmark fortgescbrittene Neuritis ascen- 
dens bandelte. Tuczek. 


Geehrter Herr Redacteur! 

Die Erwiderung des Herrn Richard Schulz auf meinen Aufsatz „Ueber die 
Bedeutung der Vacuolenbildung in den Nervenzellen" (vgl. Nr. 3 u. 4 d. Bl. 1884) 
veranlasst mich zu folgenden Bemerkungen: 

Nachdem ich die Irrthumlichkeit der von Herrn Schulz aufgestellten Behaup- 
tung, dass die Yacuolen in den Rhckenmarkszellen ein durch Hartung bedingtes Kunst- 
product seien (vgl. d. Bl. 1883, S. 533—534), unwiderleglich dadurch bewiesen habe, 
dass vacuolisirte Zellen auch aus nicht erharteten Praparaten pathologischef Rlicken- 
marke sich isoliren lassen, bei gesunden Thieren jedoch auch in erharteten nicht 
gefunden werden (vgl. d. Bl. 1884, Nr. 3, S. 56), modificirt Herr Schulz seine Auf- 
fassung in dem Sinn, dass unter Anderem auch Druck mit dem Deckglaschen Vacuoli- 
sation hervorbringen kOnne. Zugleich schliesst er seine Erwiderung mit der Wider- 
holung seiner fruheren Ansicht, dass der Yacuolenbildung eine pathologische Bedeutung 
nicht zukommt (vgl. d. Bl. 1884, Nr. 6, S. 124). Aus der Art der Beweisfahrung in 
der in Rede stehenden Erwiderung ist meines Erachtens zu ersehen, dass Herr Schulz 
hberhaupt an der UnumstSsslichkeit dieser Ansicht in einer Weise festhalt, die eine 
Fortsetzung der Polemik nutz- und fruchtlos erscheinen lasst. 

Die in der Erwiderung des Herrn Schulz enthaltenen AusfQhrungen, dass ein 
Riickenmark als nicht krankhaft verandert angesehen werden muss, wenn es 
makroskopisch einen gesunden Eindruck macht (sic!), dass das Verhungem doch 
keine eigentliche Krankheit ist und die sich bei der Section findenden Yeranderungen 
nur die einer allgemeinen Atrophie sammtlicher sonst normaler Organe seien etc., 
konnen keine specielle Widerlegung erfordern. 

Genehmigen Sie etc. 

St. Petersburg, den ^ Marz 1884. P. Rosenbach, Dr. med. 


IV. Vermischtes. 

Aus dem Bericht der franz. Commission fur die Irrengesetzgebung (s. vorige Nummer 
S. 168) sei noch erwahnt, dass in demselben die Gehalter der Aerzte folgendermaassen fest- 
gestellt sind: 1. Aerztliche Directoren 5—8000 fr. (bisher 3—8000 fr.). 2. Chefarzte 5—8000 fir. 
(bisher 3—8000 fr.). 3. Assistenzarzte 3—4000 fr. (bisher 2—4000 fr.). Die Aufruckung in 
eine hbhere Gehaltsklasse erfolgt bei 2 und 3 nach mindestens 2jahriger, bei 1 nach min- 
destens 3jahriger Dienstzeit. 

Nach Art. 68 des bestehenden Irrengesetzes diirfen sich die Chefarzte offentlicher 
Irrenanstalten in keiner Weise, auch nicht als consultirende Aerzte, an einer Privat-Irren- 
anstalt betheiligen. Dies soil auch fur die Zukunft gelten, wenigstcns fur die Aerzte an 
offentlichen Anstalten, die in der Pensionsabtheilung Oder in dem Aufnahmebureau thatig 
sind; ob fur die iibrigen eine Erlaubniss <zu solcher privater Thatigkeit gegeben werden kann, 
blieb unentschieden (Ball und Bourneville dafiir, Herold und Lunier dagegen, Pilon 
enthielt sich der Abstimmung). Die Privatpraxis bleibt im Uebrigen frei, sie ist im Uebrigen 
sehr beschrankt, selbst in Paris, wo sie nach Lunier's Angaben kaum 50000 fr. betragL 

M. 


Berichtigung: Nr. 7 S. 149 Zeile 9 v. o. lies „Hypothenar“ statt „Thenar“. 


Um Einsendung von Separatabdriicken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen fur die Redaction sind zu richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzgeb & Wittig in Leipzig. 


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NeurologischesCentralblatt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Drittep 


Heransgegeben von 

Dr. E. Mendel, 

Privatdocent an der Unirersitit Berlin. 


Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Dentschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchbandlung. 


1884. 1. Mai M 9. 


Inhalt. I. Origlnalmitthellungen. 1. Ueber dasYorkommen geqnollener Axencylinder 
im Rfickenmarke yon Friedrich Schultze. 2. Ueber das Verhalten der Axencylinder bei der 
mnltiplen Sklerose von Friedrich Schultze. 

II. Referate. Anatomie. 1. Experimentelle Beitrage zur Kenntniss der Pyramiden- n. 
Schleifenbahn. — Experimentelle Physiologie. 2. Ueber secnndar-elektromotorische Er- 
scheinongen an Mnskeln n. Nerven yon Hermann. — Pathologische Anatomie. 3. Fall 
von Arhinencephalia unilateral?? bei einem erwachsenen Manne yon Seienkoff. — Pathologie 
des Neryensystems. 4. Ueber die juyenile Form der progressiyen Muskelatrophie u. mre 
Beziehungen zur Pseudohypertrophie der Muskeln yon Erb. 5. A contribution to the morbid 
anatomy and symptomatology of pons lesions by Spitzka. 6 . De Fh6mipl4gie homonyme de 
la face et des membres dans les ldsions en foyer de la protuberance annmaire par Rondot. 
7. Tumour of left side of pons Yarolii with Hyperpyrexia by Smith. 8. Zur Casuistik der 
Hirntumoren yon Beck. 9. Hdroorrhagie et ramollissement de la couche optique; anesthesies 
Bensorielles par Rousseau. 10. Zur Casuistik der Localisation der Grosshirnfunctaonen von Claus. 

11. Paresis et contracturae extremitatum ex imaginatione von Tschfrjew. — Psychiatrie. 

12. Observation et autopsie d’une aphasique devenue successivement ali4n6e et monopldgique 
par Rousseau. 13. The influence of hereditary syphilis in the production of idiocy or dementia 
dj Bury. 14. Othaematoma by Madigan. 15. Einfluss stumpfer Gewalten auf das aussere 
Ohr, mit bes. Berficksichtigung der Othamatombildung, von Fr&nkel. 16. Una famiglia di 
snicidi pel Maccabrunl. 17. Lypdmanie chronique avec d41ire des negations par Slzaret. — 
Therapie. 18. Ungleicharti^e therapeutische Wirkungsweise der zwei elektnschen Stromes- 
arten und die elektrodiagnostische Gesichtsfelduntersuchung von EngelskjOn. 19. Prompt and 
complete cure of some paralyses caused by cerebral haemorrhage by de Renzl. 20. Osmium- 
behandlung der peripheren Neuralgien von Eulenburg. 21. Ueber die Beziehungen zwischen 
Idiotie und Epilepsie von Wildermuth. — Anstaltswesen. 22. Bericht fiber die Verwaltung 
der We8tpreuss. rrovinzial-Irren-Heil- und Pflegeanstalt zu Schwetz 1882—1883 von Wendt. 
28. Congregate and segregate buildings for the insane by Dewey. 24. Projet de loi portent 
revision de la loi du 80. Juin 1883 but les ali4n£s. Bericht der Commission an den Pr&sidenten 
der Republik. 

III. Aus den 6esellschaften. — IV. Bibliographic. — V. Personallen. — VI. Vermlschtes. 


I. Originalmittheilungen. 

1. Ueber das Yorkommen geqnollener Axencylinder im 

Riickenmarke. 

Yon Prof. Dr. Friedrich Schultze in Heidelberg. 

In einem Anfsatze fiber die pathologische Anatomie der Chorea, des Tetanus 
and der Lyssa (Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1877. S. 383 ff.) erwahnte ich knrz 
des Befundes von Quellungserscheinungen an Axencylindem im Rfickenmarke 
eines Mannes, welcher an Oranularatrophie der Nieren zu Grunde gegaugen war 


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und bei Lebzeiten keinerlei Symptome einer Meningitis oder Myelitis dargeboten 
hatte. In Anbetracht des Umstandes, dass an der Retina von Nephritischen 
nicht selten sogenannte hypertrophische Axencylinder sich finden, vie seit 
Heinbich MClleb bekannt ist, durchforschte ich bei einer Reihe von Individuen, 
die an chronisch-parenchymatoser und cbronisch-interstitieller Nephritis gestorben 
waren, die Medulla spinalis in systematiscber Weise. In 3 Fallen von 6 fanden 
sich nun in Wirklichkeit derartige Axencylinderquellungen vor, besonders im 
Dorsaltheil und in der Gegend des unteren Theiles der Halsanschwellung und 
zwar meistens in der Peripherie der Seitenstrange. Gewohnlich aind nur ein- 
zelne Axencylinder ergriffen, vobei ich nur solche Volumsvergrosserungen als 
unzveifelhafte bezeichne, die veit fiber das starkste Normalmaass des Durch- 
messers eines Axencylinders hinausgehen. Bei zwei Rfickenmarken waren grossere 
Gruppen Nervenfasem erkrankt, bis zu etva 20 in einer einzelnen Gruppe, so 
dass neben den unformlichen Quellungserscbeinungen auch Zerfall einzelner vor- 
handen war. Yon Wucherungen der Glia Oder yon Zellinfiltrationen in der Um- 
gebung war keine Spur vorhanden. An einem der Rfickenmarke waren auch 
besonders die Ganglienzellen mebr hyalin und gedunsen, nicht von dem gewohn- 
lichen Aussehen. In mehreren andem waren die stemformigen Figuren, welche 
das Bindegewebe zwischen den Nervenfasern an dem Orte des Zusammenfliessens 
mehrerer Fasem bildete, sehr schon und aussergewohndch stark ausgepragt; be¬ 
sonders auffallend waren in einem Falle ziemlich reichliche DmrEBS’sche Zellen 
in der grauen Substanz, welche also selbst in gr5sseren Quantitaten nocb keines- 
wegs als pathologisch in dem Sinne zu bezeichnen sind, dass klinisch nachweis- 
bare Functionsstorungen durch sie bedingt werden. 

Wenn man sich die Frage nach der Entstehung dieser eigenthfimlichen 
Quellungen vorlegt, so kdnnte man zunachst daran denken, dass eine Meningitis 
vorgelegen hatte. Dieselbe fehlte aber vollig; und in dem einen Falle, in wel- 
chem wirklich eine solche vorhanden war in Begleitung einer Basilarmeningitis, 
welche als solche diagnostioirt worden war und vergesedsohaftet mit einer Blu- 
tung in dem Trabs cerebri, fehlten die Axencylinderquellungen. Die Meningitis 
war fibrigens in diesem Fade nur schwach und mehr auf den Arachnoidealraum 
beschrankt 

Angesichts der bekannten Untersuchungen von Rumpf fiber den Einflnaa 
der Lymphe auf Nervenfasem, die von ihren trophischen Apparaten getrennt 
sind, kdnnte man dann ferner an die Wirkung eines vorhandenen Oedems 
denken. Aderdings sind die in den oben erwahnten Fallen von Nephritis er- 
krankten Nervenfasem keineswegs nachweisbar von ihren zugehorigen Ganglien- 
zeden vor der Quellung abgeschnitten gewesen; aber es bleibt die Annahme 
einer starkeren odematosen Durchtrankung doch naheliegend. Indessen waren 
bei manchen der untersuchten Nephritiker nur geringfugige Oedeme vorhanden 
gewesen, und in einem besonders deswegen untersuchten Fade eines Mannpg ) 
der unter erheblichen adgemeinen hydropischen Erscheinungen veratorben war, 
konnte ich keine Spur der erwahnten Qaellungserscheinungen finden. 

Dass die Oedeme und der Bydrops gar keine Rode bei den erwfihnten 


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Vorgangen zu spielen brauchen, lehrte auch der nachfolgende eigenthfimliche 
Fall. Bei einem Leukamischen namlich, der keine Oedeme dargeboten hatte, 
fanden sich die Quellungserscheinungen an den Azencylindem im ganzen R&cken- 
marke verbreitet in aussergewohnlich starkem Maasse. Eine spinale Erkrankung 
diagnosticirbarer Art hatte nicht bestanden; eine Meningitis fehlte anch ana- 
tomisch vollkommen. Sowohl in der ganzen Halsanschwellnng, als im Dorsal- 
theile waren in alien Strangen, am starksten in den Seitenstrangen, einzelne 
oder ganze Grnppen von Azencylindem erheblich gequollen und zum Theile 
zerfallen. Fast anf jedem Quersohnitte erblickte man entweder einzelne solcher 
Gruppen von 3—20 veranderter Azencylinder Oder wenigstens an verschiedenen 
Orten zerstreut einzelne enorm gequollene Axenfasem. Yon entzundliohen Er- 
scheinungen oder dentlicher gesprochen, von partiellen Anhaufungen weisser Blufc- 
korper oder ahnlicher Zellen keine Spur; ebensowenig Blutungen. 

In diesem Falle kann ein Oedem als Ursache nicht angenommen werden, 
und es erscheint mir nnr moglich, hier von einer Eraahrungsstbrung der Azen¬ 
cylinder im Allgemeinen zu sprechen, die sich in letzter Instanz auf die un- 
zweifelhaft veranderte Blutbesohaflenheit zur&ckbeziehen liesse, ahnlich vie auch 
bei den Nephritischen eine allgemeine Dyscrasie in Folge der Retention des Ham- 
toffes der Nervenfaserveranderung zu Grunde liegen mag. 

Es erhellt von selbst, welche Bedeutung ein derartiger Behind ffir solche 
Falle hat, in denen keine acute oder chronische Entzundung der Medulla spinalis 
und ihrer Meningen zu Grunde liegt, d. h. in denen nicht die Erscheinungen 
der Eztravasation von rothen und weissen Blutkorpem und. entschiedener 
Wucherungsvorgange an den Gliazellen vorliegen. Ein etwa zufallig vorhandener 
Tetanus oder eine Tetanie, eine Chorea oder Lyssa, selbst eine aufsteigende aoute 
Paralyse ware nicht so ohne Weiteres mit diesem Befunde in atiologischen Zu- 
sammenhang zu bringen. 

2. Ueber das Yerhalten der Axencylinder bei der 
multiplen Sklerose. 

Von Prof. Dr. Friedrleh Sehnltze in Heidelberg. 

Dass sich bei multipler Sklerose, auch wenn sie die ganzen Pyramiden- 
bahnen oder die Hinterstrange quer durchsetzt, keine oder eine unverhaltniss- 
massig geringe secundare Degeneration zeigt, ist hochst auffallend. 

Bei genauerer Untersuchung fand ich in Mher mitgetheilten Fallen dieser 
Art wenigstens eine geringfugige mikroskopisch nachweisbare secundare De¬ 
generation an den gesetzmassig vorgeschfiebenen Stellen. Immer von Nenem 
muss es aber an vielen Abbildungen der verschiedensten Autoren bei intensiver 
und ausgebreiteter multipler Sklerose dberraschen, wie trotz der durch die 
Zeichnung markirten Vemichtung des ganzen Quersohnittes der langen Bahnen 
keine secundare Degeneration sich aufgezeichnet findet. 

In einem Falle derartiger multipler Sklerose des Ruckenmarks oder aus¬ 
gebreiteter unregelmassig vertheilter chronischer Myelitis, wie man das nennen 


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mag, fand ich vor Kurzem die Pyramidenbahnen des Halstheiles nebst dem 
grossten Theile der Vor der- und Seitenstrange von dem abnormen Prozesse er- 
griffen, und ebenso fast das ganze Hinterstranggebiet im unteren HalstheiL 
Es waren nach der Hartung in MtrLLEB’scber Flussigkeit die bekannten Ver- 
farbungen an den genannten Abschnitten in intensiver Weise aufgetreten und 
bei der Carminfarbung eine dunkle und diffuse Canninfarbung derselben erfolgt 
Von einer secundaren Degeneration dagegen in den Seitenstrangen des Dorsal- 
theiles und in den Hinterstrangen des obersten Halstheiles war weder makro- 
skopisch noch mikroskopisch irgend etwas zu sehen. An manohen Partien 
des Dorsaltheiles zeigten sich allerdings dem Bilde der gewohnlichen multiplen 
Sklerose entsprechend ganz unregelmassig zerstreute kleinere Plaques und im 
Lendentheile war eine theilweise Degeneration der Pyramidenbahnen zu sehen, 
die .mit einer fleckweisen Entartung der ubrigen Partien der Seitenstrange sich 
verband. Die graue Substanz der Vordersaulen war im Halstheile partiell ent- 
schieden erkrankt. 

Die klinischen Symptome waren diejenigen einer fortschreitenden (mitsen- 
siblen Storungen complicirte?) spastischen Paralyse gewe&n, die erst kurz vor 
dem Tode zu Unmoglichkeit zu gehen, aber nicht zu volliger Paralyse der Berne 
gefuhrt hatte. Eine deutliche partielle Muskelatrophie an den Oberextremitaten 
war nicht zu linden gewesen. 

Was hat nun ein derartiger anatomischer Befnnd zu bedeuten? 

1st das WALLEB’sche Gesetz der secundaren Degeneration doch kein Gesetz? 
Kann trotz volliger Yernichtung irgend welcher Nervenbahnen die sonst regular 
nach bestimmter vorgeschriebener Richtung hin eintretende secundare Degenera¬ 
tion ausbleiben? 

Oder handelte es sich nur um eine anscheinend complete Degeneration 
der betroflfenen Partien, womit die klinischen Erscheinungen gut ubereinstunmen 
wurden, da eine complete Paralyse fehlte? 

Bekanntlich hat Chabcot behauptet, dass bei sklerotischen Vorgangen auch 
in der centralen Region sklerotischer Herde noch die Axencylinder als letzte 
Spuren der Nervenfasern „in gewisser Anzahl“ persistiren. Diese Thatsache ist 
richtig; es gelingt aber nicht bei der Carminfarbungsmethode fiber die Zahl der 
etwa vorhandenen nackten Axencylinder etwas Bestimmtes zu erfahren; und in 
dem vorliegenden Falle war an Querschnitten uberhaupt von Axencylindern in 
der sklerotischen und sicher marklosen Substanz nichts zu erblicken. Um daraber 
in’s Klare zu kommen, sind andere Methoden erforderlich. 

In uberraschender Weise gelingt dies mit Hulfe der vor Kurzem im Ctrlbl. 
d. med. Wissensch. mitgetheilten FnEun’schen Goldchloridmethode. Durch die- 
selbe wird an gelungenen Praparaten das Nervenmark blaulich-schwarz, und 
zwar nicht minder scharf als bei der neuesten WBiGEBT’schen Hamatoxylin- 
Blutlaugensalzfarbung gefarbt; die Axencylinder und Ganglienzellen werden 
dunkelroth resp. braun und die Glia erhalt einen schwach rothlichen oder 
blaulichen Farbenschimmer; ihre einzelnen Fasern werden nicht distinct hervor- 
gehoben. Es gelang mir an den betreffenden Querschnitten, auf das DeuUichste 


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— m — 

eine gross© Menge yon Axencylindem innerhalb des destruirten Gewebes zu 
sehen. Dieselben waren vdllig ohne Nervenmark, zum Theil etwas gequollen, 
zum Theil wohl anch kleiner und durchsefczten in ungewohnt grosser Anzahl 
das „sklerotische“ Gewebe. In den Vorderstrangen und an manchen Stellen 
waren aie allerdings vollig verschwunden. 

Sehr eigenthumlich verhielt sich ein grosser Theil der grauen Substanz, die 
sowohl an einfachen Glycerin- als auch an Carminpraparaten partiell afficirt er- 
schien. In den normal gebliebenen Theilen derselben erschien das Nervenmark 
sehr schon gefarbt — ganz so wie bei der ebenfalls ausgefuhrten WEiGEET’scheii 
genannten Methode —, in den sklerosirten Partien lagen die Ganglienzellen mifc 
ihren Axencylinderfortsatzen zum grossen Theil intact in dem gewucherten 
Gliagewebe, zum kleinen Theil atrophirt; aber jede Spur von Nervenmark war 
verschwunden, so dass die Grenze zwischen dem marklosen und markhaltigen 
Theile der Vorderhdrner sehr scharf sich markirte. 

Im Dorsaltheile waren die Pyramidenbahnen ganz intact; es war weder das 
Mark noch die Axenfaser geschwunden. 

Durch diesen Befund wird das Ausbleiben der secundaren Degeneration 
leicht verstandlich; es ergiebt sich die, wie ich glaube, nicht unwichtige That- 
sache, dass selbst der vbllige Verlust der Markscheide in einer cir- 
cumscripten Hohenausdehnung keine secundare Degeneration be- 
dingt, auch nicht in der Markscheide selbst, sondern dass dieselbe nur 
durch eine erhebliche Alteration des Axencylinders herbeigefuhrt wird. 

Der sklerotische Prozess vernichtet offenbar in erster Linie die Markscheide 
und lasst die Axencylinder ausserordentlich lange intact. Da eine genauere 
Krankengeschichte des betreffenden Falles mir leider nicht zu Gebote steht, ver- 
mag ich uber das genauere Alter des Krankheitsprozesses nichts anzugeben; 
jedenfalls bestand es aber schon mehrere Jahre. 

Ausffthrlichere Mittheilung soil bei einer spateren Gelegenheit erfolgen. 


IX. Referate. 

Anatomie. 

1) Experimentelle Beitr&ge zur Kenntniss der Pyramiden- und Schleifen- 
bahn von v. Monakow. (Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte. 1884. Nr. 6 u. 7.) 

v. M. theilt seine Untersuchnngen Aber den Yerlanf der Pyramidenbahn und 
der Bindenschleife bei Katze und Kaninchen mit; er gelangte zu seinen Besultaten 
durch das Studium der Ausfallsatrophien nach Exstirpationen am neugeborenen Thier 
und zwar: bei der Katze nach Abtragung einerseits des gesammten Gyrus sigmoideus, 
andererseits der Parietalwindungen einer Seite; beim Kaninchen einerseits nach Ab¬ 
tragung des Stimhirns einer Seite, andererseits nach Durchschneidung einer Rftcken- 
markshAlfte dicht unter der Pyramidenkreuzung. Er kommt zu folgenden SchlAssen: 

1) Pyramidenbahn. Bei der Katze stammen sehr viele, aber nicht alle 
Pyramidenfasem aus dem G. sigmoideus; sowohl bei der Katze als beim Kaninchen 
ist die Wegnahme des vordersten Prontalendes nothwendig, um eine to tale Pyramiden- 
atrophie zu erzeugen. Bei Durchschneidung der der Pyramidenbahn entstammenden 


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Projectionsbtindel degeneriren die Pyramidenfasern von der Operationsstelle an aufwarts 
bis in die nnteren Eindenschichten. Im Hirnschenkelfuss sind den Pyramidenfasern 
Bundel a us dem Streifenhtlgel und Lob. olfactorius beigemengt, die bei Ausfallsatropbie 
der Pyramide erhalten bleiben und bis in die Ebenen des Corpus trapezoideum 
reicben. Mit der Pyramidenbahn verlauft und atrophirt ein anderes Rindenbundel, das 
mit der ebenfalls atropbirenden Subst. nigra in Verbindung steht. Ein nicbt un- 
bedeutender Tbeil der Pyramidenbahn findet in den Processus reticulares der grauen 
Saulen, wenigstens des Halsmarks, ein vorl&ufiges Ende (Atrophie der Ganglienkorper 
in denselben), wabrend eine Verbindung mit den GanglienkOrpem des Vorderhorns 
nicbt nacbweisbar ist. 

2) Rindenscbleife, d. i. derjenige Tbeil der Schleife, der durcb Lasion des 
Grosshims in seiner Entwickelung beeinflusst wird. Sie stammt aus der Einde des 
Parietalhirns, ziebt hOcbst wahrscheinlich durcb Vermittlung der Zellen des ausseren 
und des binteren Sehhfigelkerns in das dorsale Mark der Eeg. subthalamica und Ton 
bier aus in die „Scbleifenschicht“; bier laufen die Fasern in derselben Eicbtung bis in 
die Ebenen des Corp. trapezoid., wo sicb ibre Biindel zu kreuzen anfangen. Nach der 
Hauptkreuzung, die in den unteren Ebenen der unteren Olive gescbieht, verlaufen 
die Rindenscbleifenfasern als circul&re Fasern in den Kern der zarten Strange (der 
bei Ausfallsatrophie der Eindenscbleife in auffallender Weise atrophiscb wird). H6chst 
wabrscbeinlicb bandelt es sicb bei der Eindenscbleifenbabn urn eine centripetale 
„psycbosensorische“ Babn. Tuczek. 


Experimentelle Physiologie. 

2) Ueber sogenannte secundftr-elektromotorische Erscheinungen an Mus- 
keln und Nerven von Hermann. (Pflflger’s Arcbiv. Bd. XXXIII. H. 3 u. 4.) 

Die neueren Mittbeilungen duBois-Reymond’s fiber secundar-elektromotoriscbe 
Erscheinungen und die von diesem ausgesprochene Ansicht, dass die Erforscbung des 
Elektrotonus von neuem zu beginnen habe, veranlassen den Verf., die Angaben und 
Bemerkungen du Bois-Eeymond’s einer erneuten Prftfung zu unterwerfen. 

Die erste Abtbeilung bildet die experimentelle Untersuchung der Frage nacb 
dem Entstehen und Verbalten der verschiedenen Nacbstrome, unter welcben du Bois- 
Eeymond bekanntlicb ausser dem galvanisirenden, also dem primaren Strom ent- 
gegengesetzten, aucb einem gleicbsinnigen Oder einem doppelsinnigen zuerst 
entgegengesetzten, dann gleicbsinnigen beschrieben batte. 

Als Resultat von H.’s Untersuchung am Muskel ergiebt sich nun, dass die Ab- 
leitung unmittelbar an der Anode die gttnstigste, die Ableitung unmittelbar an 
der Kathode die ungiinstigste Bedingung zur Erhaltung des gleicbsinnigen 
intrapolaren Nachstroms ist und dass diese gleicbsinnige Phase des Nachstroms am 
Muskel lediglicb von der Anodenstrecke henUhrt. Diese gleicbsinnige Nach- 
wirkung fiibrt H. auf die mit der Oeffnungserregung des Stroms an der Anode 
entstehende Modification zurtick, innerbalb deren sicb jeder der Anode n&here 
Punkt negativ gegen jeden entfernteren verh&lt. Am Nerven konnte H. ent- 
sprecbend dieser Erwagung constatiren, dass die gleicbsinnige Nacbstrompbase regel- 
massig ausbleibt, wenn die pbysiologiscbe Anode am k&nstlichen Querscbnitt liegt 
und von diesem aucb abgeleitet wird. 

Fiir die extrapolare Strecke ergab sicb fftr den Nerven ein doppelsinniger 
anodiscber Nacbstrom, zuerst gleicbsinnig, dann gegensinnig und ein dnrch* 
weg gleichsinniger kathodiscber Nacbstrom; fiir den Muskel formulirt H. das 
Gesetz in folgender Weise: Auf beiden Seiten des polarisirenden Stromes zeigt sich 
nacb der Oeffhung zuerst ein demselben gleichsinniger Nacbstrom; diesem folgt 
aber auf der Anodenseite eine gegensinnige lang anhaltende Ablenkung, w&hrend 


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der gleichsinnige kathodische Nachstrom sein Vorzeichen nicht umkehrt, sondem 
eine sehr bedeutende GrOsse erreicbt und dann vollstandig verschwindet. 

Es folgen dann allgemeine Yersuche iiber Polarisation und die Erklarung der 
secundar-elektromotorischen Erscbeinungen. 

Als Schlussresnltat dieser und frtiher gegen die Moleculartheorie du Bois- 
Reymond’s gerichteten Arbeiten schlagt H. 4 Satze vor, um sammtlicbe galvanische 
Erscbeinungen zu erkl&ren: 

1) Das Protoplasma wird durch partielles Absterben in der Continuitat, sei 
es durcb Yerletzung oder Metamorphose negativ elektrisch gegen den unver- 
anderten Theil. 

2) Das Protoplasma wird durch partielle Erregung in der Continuitat 
negativ elektrisch gegen den unver&nderten Theil. 

3) Das Protoplasma wird durch partielle Erwarmung in der Continuitat 
positiv, durch Abkilhlung negativ gegen den unveranderten Theil. 

4) Das Protoplasma ist an seiner Grenzfiache stark polarisirbar; die Polari- 
sationsconstante nimmt durch Erregung und durch Absterben ab. 

Zu erwahnen dtirfte aus der Arbeit femer noch sein, dass der Verf. der von 
Grfitzner aufgestellten Theorie der Oeffhungserregung auch nach den neuen Unter- 
suchungen nicht beizutreten vermag. Rumpf. 


Pathologische Anatomie. 

3) Ein Fall von Arhinenoephalia unilateralis bei einem erwaohsenen 
Manne von Dr. Selenkoff, Petersburg. (Virchow’s Archiv. Bd. 95. H. 1.) 

Ein 34jabriger Mann zeigte folgende angeborene Missbildung: Die rechte Nasen- 
halfte fehlte und war durch ein vom inneren oberen Rande der Orbita herabbangendes 
weiches rftsself6rmiges Gebilde ersetzt, das ftir eine Sonde bis zum Grunde durch- 
gangig und durcb einen fast 1 cm langen knorpeligen Fortsatz im Innem gostiitzt 
war. — Lidscbluss rechts nicbt mOglich, rechte Cornea pannOs. Am unteren recbten 
Lide keine Thr&nenpunkte; die rechte Augenbraue am inneren Ende l&nger und tiefer 
reichend als die linke. Linke Nasenh&lfte gew5bnlich. 

An der Oberlippe kein Filtrum, kein Lig. labii int. 

Der Gaumen zeigte auf seiner rechten Halfte eine tiefe LJingsfurche, aber keine 
Spalte. — Rechts nur ein Schneidezahn (kein Zwischenkiefer). — Wie nur eine 
vordere (linke) NasenSffnung, so auch nur eine (linke) Oeffnung nach den Choanen. 
— Kein Vomer. — Keine Spur eines Os nasale dextrum. 

Das Os ethmoid, und Lamina cribrosa fehlten rechts vollstandig, wie auch die 
rechte StirahOhle. — Sonst sei noch erw&hnt, dass die rechte OrbitalOffnung weiter 
war, als die linke und dass das Antrum Highmori rechts fehlte. 

Die Dura cerebri stark verdickt (potator); Hyper&mie und Oedem der Meningen. 
Himsubstanz blutarm, weich. Seitenventrikel wenig dilatirt. — Die Grosshirn- 
hemispharen vollst&ndig getrennt, rechter Bulbus (lobus?) olfact. nur rudi- 
mentar entwickelt, ungefahr 1 cm langer Fortsatz an der entsprechenden Stelle. 
Chi asm a gut ausgebildet. 

(Dieser h5chst interessante Fall dtirfte — seiner Halbseitigkeit wegen — die 
Annahme einer Bildungshemmung, d. h. eines Stehenbleibens auf einer bestimmten 
Entwickelungsstufe (wie Kundrat will, s. d. Centralbl. 1883 Nr. 11), als Erklarung 
der Arhinencephalie ausschliessen; vielmehr bleibt wohl nur die Annahme eines durch 
einen pathologischen Vorgang — Hydrops? — gesetzten Defectes dbrig, der, wenn 
er beiderseits auftritt, die gewOhnlichen Faile von sog. Arhinencephalie bedingt. Ref.) 

Hadlich. 


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Pathologie des Nervensystems. 

4) Ueber die .Juvenile Form" der progressiven Muskelatrophie und ihre 
Beziehungen zur sogenannten Pseudohypertrophie der MuBkeln von 
Prof. Dr. W. Erb in Heidelberg. (Deutscb. Arch. f. klin. Med. Bd. 34. S. 467.) 

Um in die Lehre von der ..progressiven Muskelatrophie" die in mancher Be* 
ziehung noch sehr wfinschenswerthe Klarheit zu bringen, halt E. es ftir die Haupt- 
aufgabe. in der grossen Masse der Erankheitsformen, die mit einer mehr oder weniger 
rasch fortschreitenden Atrophie der Musculatur einhergehen. einzelne bestimmte Formen 
klinisch mdglichst scharf und in reinen Typen zu erkennen und von einander zu 
sondem. Ausser der jetzt mit Sicherheit abzugrenzenden spinalen Form der pro¬ 
gressiven Muskelatrophie (..Typus Duchenne-Aran") glaubt E. nun noch eine weitere 
charakteristische Form abscheiden zu kbnnen, welche er schon frfiher mit dem Namen 
der ..juvenilen Form der progressiven Muskelatrophie" bezeichnet hat. 

Die wesentlichsten Merkmale dieser Erankheit sind folgende: Beginn des 
Lei dens im Eindes* oder Jfinglingsalter vor dem 20. Lebensjahr. und zwar 
stets allmahlich und schleichend. Gewdhnlich fangt die Erankheit in den Schulter- 
und Armmuskeln an. oft aber auch in den Beinen und am Rflcken. Hat die Affec¬ 
tion einen gewissen Grad erreicht. so sind fast constant folgende Muskeln 
befallen: Pectoralis major und minor, Cucullaris, Latissimus dorsi, Serratus anticus 
major, Rhomboidei, Sacrolumbalis und Longissimus dorsi; femer als sehr charakteristisch 
Biceps, Brachialis internus und Supinator longus, spater auch der Triceps. Dagegen 
bleiben constant frei: der Sternocleidomastoideus, Levator anguli scapulae, Coraco- 
brachialis, die Teretes, der Deltoideus, Supra- und Infraspinatus und vor Allem die 
kleinen Handmuskein. Auch die Vorderarmmuskeln mit Ausnahme des Supinator 
longus bleiben ganz oder mindestens sehr lange Zeit von der Atrophie verschont. 

An den unteren Extremitfiten sind die Glutaei, der Quadriceps, das Peroneus- 
gebiet, speciell der Tibialis anticus vorzugsweise befallen, wahrend der Sartorius und 
die Wadenmusculatur meist auffiallend lange frei bleiben. — Yon den Bauchmuskeln 
sind die Obliqui und Transversi zuweilen deutlich atrophisch, vielleicht in einigen 
Fallen auch das Zwerchfell. Dagegen finden sich im Gebiete der Bulb&r- und 
Gehirnnerven niemals Yeranderungen. 

Untersucht man die atrophischen Muskeln, so fiililt sich ein Theil derselben 
auffallend fest und derb, ja zuweilen sogar prall und hart an, wfihrend andere Mus¬ 
keln weich und schlaff sind. Niemals sieht man fi brill are Zuck ungen. Die 
mechanische Muskelerregbarkeit ist meist erloschen. In keinem einzigen 
Falle ist es E. gelungen, deutliche Entartungsreaction nachzuweisen. Die Sehnen- 
reflexe an den Beinen waren meist erhalten. 

Der Verlauf der Erankheit ist ein sehr chronischer. E. hat unter seinen Be- 
obachtungen 5 Falle, bei denen das Leiden 23—38 Jahre bestanden hat Schliesslich 
scheint sogar zuweilen ein vollkommener Stillstand des Leidens einzutreten und dorch 
Elektricitat, Massage u. dgl. kann sogar eine nennenswerthe Besserung des Zustandes 
erzielt werden. Die Prognose ist also nicht so schlimm, wie bei der spinalen Muskel¬ 
atrophie. 

In Bezug auf die pathologische Anatomie der Erankheit recapitulirt E. 
das aus den Untersuchungen fiber die hereditare Muskelatrophie und die Pseudo¬ 
hypertrophie Bekannte. Auch er halt es ffir das Wahrscheinlichste, dass im Rficken- 
mark und speciell in den grauen Yordersaulen desselben keine nachweisliche Yer- 
anderung vorhanden ist und dass die Hauptveranderung in den Muskeln selbst ihren 
Sitz hat. 

In ausffihrlicher Weise erOrtert und begrfindet E. schliesslich die Ansicht, dass 
seine ..juvenile Form der Muskelatrophie" mit der bisher sogenannten Pseudohyper¬ 
trophie der Muskeln und mit der ..heredit&ren" oder besser ..familiaren 


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Muskelatrophie" identisch sei. Alle diese Zustande sind auf’s engste mit 
einander verwandt and zwischen den einzelnen Formen lassen sich alle nur mbglichen 
Ueberg&nge nachweisen. Die Falle, welche mit einfacher Atrophie beginnen, sind 
nicbt principiell verscbieden von denen mit einer anfenglichen Pseudohypertropbie 
and Lipomatose. Ebenso ist das familiare Auftreten der Krankheit zwar sehr haufig, 
aber nicbt constant vorbanden. Tritt also das Leiden in Form einer progressiven 
Moskelatropbie mit der oben naber gescbilderten typiscben Localisation bei Kindern 
Oder Jftnglingen anf, so baben wir die „juvenile Muskelatrophie". Kommt die Lipo¬ 
matose binza, so resultirt die „Pseudohypertrophie“, werden mebrere Mitglieder der- 
selben Familie befallen, so kann man von „hereditarer Muskelatrophie" sprecben. 
Aber alle diese Formen sind unter einander identiscb and stellen nor verscbiedene 
Verlaafsweisen einer and derselben Krankbeit dar. 

Yon der spinalen progressiven Muskelatropbie ist die] myopatbiscbe leicbt zu 
unterscbeiden: die verscbiedene Localisation (Freibleiben der kleinen Handmuskeln etc.), 
die Combination mit Psendobypertropbie, das Entsteben der Krankbeit in frbber Jugend, 
das Feblen fibrillarer Zuckungen and das Feblen von Entartungsreaction, der bereditare 
Cbarakter a. a. sind die wichtigsten diagnostiscben Merkmale. Urn einen passenden 
Namen far die Krankbeit zu haben, schlagt Erb die Bezeichnang „Dystrophia 
muscularis progressiva" vor. 

ZaHlreicbe ausfahrlich mitgetbeilte Krankengescbicbten dienen als Beleg far die 
Ansicbt Erb’s, mit welcber aucb Bef. vollstandig bbereinstimmt. 

Strfimpell. 


6) A contribution to the morbid anatomy and symptomatology of pons 
lesions by E. C. Spitzka. (Tbe americ. Journ. of Neurology and Psycb. 
1883. Nov. Yol. II. Nr. 4. p. 617.) 

58jabr. lediger Bandagist, vor 2 Jabren bei der Defecation leicbte Apoplexie 
obne starkeren Bewusstseinsverlust, darnacb Gefahl von Taubbeit im recbten Arm 
und von Eingescblafensein im recbten Bein, Ungescbicklicbkeit des recbten Arms, 
Beweglicbkeit des Beines nicht wesentlicb gestort; nach einigen Monaten verscbwand 
das eigentbflmlicbe „singende" Gefahl in der recbten KOrperbalfte, das dumpfe, taube 
Gefahl persistirte bis zum Tode des Pat.; einige Zeit nach dem Anfalle SehstOrung; 
einige Tage vor der Aufnahme beim Erwacben Yerscblimmerung der Symptome, 
Wiederkehr des „singenden“ Gefahls bei Greifbewegungen der Hand; die Zunge, 
welche frtther etwas „dick" gewesen, versagt fftr einige Stunden; Arbeitsunfehigkeit. 
Status August 1879: Gut genahrtes Individuum, Gehstdrung zeigt weder atactischen 
nocb paretiscben Cbarakter, sondern scheint durcb Scbwindelgefflhl bedingt; das rechte 
Bein wird etwas gescbleudert; Pat. reibt den recbten Arm; ausser dem stumpfen 
Gefuhl in der rechten Halfte noch andere Parastbesien daselbst; keine Contractur 
oder Lahmung recbts; die Bewegungen daselbst kraftvoller als links, gescbeben mebr 
stossweise, Musculatur gut entwickelt; keine sonstige tropbiscbe Storung; subjectives 
Scbwacbegefflbl in der recbten Seite; Patellarreflex recbts verstarkt, recbter Plantar- 
reflex fehlt; bei Augenscbluss oder im Dunkeln ausgesprocbene Ataxie der recbten 
oberen Extremist; Zittem der Lippen beim Oeffnen des Mundes oder beim Sprecben, 
Zunge etwas nach recbts abweicbend; recbter Mundfacialis etwas schwacher; leicbte 
mecbanische Articulationsstdrung seit dem Anfalle; elektrische Erregbarkeit normal; 
Abnahme der Tastempfindlicbkeit an den recbten Extremitaten, von den Fingern nach 
aufwarts abnebmend; Scbmerzempfindlicbkeit ungest5rt; Temperaturempfindlichkeit 
durchaus verscblecbtert; die Beurtbeilung von Gewichtsdifferenzen recbts bocbgradig 
gescbwacht; Innervationsempfindung recbts betracbtlicb gestOrt. Bei starkem Winde 
Steigerung der subjectiven Erscbeinungen. Psyche frei; Kopf frei bis auf leicbten 
Scbwindel und leicbte An&ethesie an recbter Wange und Mundwinkel. 


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202 


Bis Juli 1881 wechselndes Verhalten der subjectiven Erscheinungen, objectiv 
nicbt nachweisbares, yom Kr. behauptetes Uebergreifen derselben auf das linke Bern. 
Sept. 1881: Nach Darmkatarrh Steigerung der Ataxie des Armes, Angabe von Stei¬ 
gerung des dumpfen recbtsseitigen Geffihls, wenn der Strom von 7 Leclanches durch den 
Eopf geffihrt wird; schmerzhafte Parasthesien in beiden Ffissen, links objectiv nicbts 
constatirbar; subjectiv Schlingbeschwerden; spater nacb grosser Anstrengnng kurz- 
dauernde Zungenlahmung; linkes Kniephanomen verstarkt. Febr. 1882 abnlicher An- 
fall, Spracbstorung lfinger dauernd, Apbasie(?), Amnesie, Dyspbagie; apoplectischer 
Anfall obne volligen Bewusstseinsverlust, Yerworrenbeit, linke Pupille enger, Aphasie. 
Juni 1882: Bettlage, Apatbie, Somnolenz. August: Incontinent, urinae, recbts Hemi- 
parese und Paraparese, Scbwellung der recbten Hand; Parasthesien aucb in den linken 
Extremitaten; links Ptosis; genauere Untersucbung spater nicbt mOglich, Delirien, 
recbts Ptosis, Neigung zu Mandge-Bewegung nach recbts, Sehstbrung (bekannte 
Gegenstande werden nicbt erkannt). Tod 3. Sept. 1882. 

Section: Hirnhaute normal, Basalgefasse atheromatfis, Hydroceph. int., stecknadel- 
kopfgrosse Extravasate unter dem Ependym der Nuclei caudati; linke Grossbimhem.: 
Ein 1 cm im Durchmesser haltender Herd im Stirnlappen vor und fiber dem NucL 
lent.; zwei hirsekorngrosse Herde in der weissen Substanz am hinteren End© des 
Nucl. lent, und zwiscbon ibm und dem hinteren Ende der Insula Reilii; die hintere 
Partie der inneren Kapsel erweicht, zum Theil zerfliesslich; 5 cm vom Hinterhorn 
entfernt zwei kleine Herde, der eine an der Ober-, der andere an der Aussenseite 
des Ventrikels; in der Nake der tiefsten Stelle der Parallelfurche eine kleine Er- 
weichung; leichte blaugraue Entfarbungen in der weissen Substanz des Sulc. occipit 
intern, perpendicularis und des Gyrus occip. primus; eine bohnengrosse subcorticale 
Erweichung l / 2 Zoll von der Spitze des Lob. occipit. Recbte Hemisphere: Alte Narbe 
am Kopfe des Nucl. caud., hirsekorngrosse Erweichung in der Mitte des ausseren 
Drittels des Thai. opt. Die weisse Substanz des Lob. occip. von mehr als 100 kleinen 
Erweichungsberden durchsetzt; in der Mitte der Capsul. int. nicht scharf begrenzte 
Erweichung; eine kleine Hamorrhagie im fiusseren Glied des Linsenkerns (nach der 
Hartung zablreicbe hirsekorngrosse Rindenhamorrhagien); zahlreiche, niemals fiber 
bohnengrosse Erweicbungen im Thai. opt. Im Kleinbirn mehrere perivasculare Hamor- 
rbagien im Nucl. dentat. der rechten Seite, zwei miliare Erweicbungsherde in dem 
der linken Seite, mehrfacbe miliare Aneurysmen in beiden; beim Einschnitt in das 
vordere Drittel des Pons fand sick links eine HOhlung mit zum Theil graulich ver- 
farbter, zum Theil rSthlicb erweichter Umgebung; der ganze Isthmus wurde gehartet 

Mikroskopische Untersucbung: Die Herde in den Hemispharen erwiesen sicb als 
jfingsten Daturas, nur der Herd im rechten Stirnlappen zeigte Erscheinungen von 
Organisation in der Umgebung; die HOhlung im Pons zeigte weit vorgeschrittene 
Organisation ihrer Umrandung. Bezfiglicb ihrer Lage und Ausdehnung ergab sich 
Folgendes: In Querscbnitten entsprecbend den motorischen Quintuswurzeln stellt sie 
einen 3 mm breiten in der Schleife liegenden Scblitz vor, der das mittlere Drittel 
zwischen Raphe und motoriscber Wurzel umfasst; die verandorte Randzone umfasst 
nabezu die ganze Schleife. Nacb abwarts verbreitert sicb der Scblitz; unterhalb der 
motorischen V. Wurzel betragt sein querer Durchmesser 8 mm, wovon 2 mm fiber die 
Medianlinie reicben; er liegt bier dicbt unter der Schleife, die umgebende Veranderang 
betrifift aber aucb die innerste Partie der Schleife; recbts sind davon betroffen die 
queren Ponsfasem, die Schleife ist frei. 

Schnitt in der H5be des Facialisknies oberbalb des Facialisaustrittes: Die H5hle 
stellt ein recktwinkliges Dreieck dar, dessen kurze Seite vertical steht; entsprecbend 
dieser ist die Raphe zerstOrt; die Hbble liegt in den queren Ponsfasem und der 
Raphe; die Yeranderungen in der Umgebung bescblagen in einer scbmalen Zone aucb 
die Schleife. 

In Schnitten entsprecbend dem unteren Facialiskern fand sicb in der der Hfihlung 


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203 


entsprechenden Lage und in der Breite von 4 mm das Gewebe zerreiblich und heraus- 
gefallen. Die histologische Untersuchnng des Ganzen ergab, dass es sicb urn eine 
Cyste nach Hamorrhagie bandelt. 

Nach oben und onten von derselben fanden sicb secundare Degenerationen von 
denen jedocb die absteigende deutlicher und vollstandiger war. Dieselbe zeigie fol- 
gendes Yerbalten: Auf einem Scbnitte durcb den austretenden Abducens bescblagt 
die Degeneration alle vertical die queren Bandel des Corpus trapezoides durcbsetzenden 
Fasern; das Corp. trapez. erscbeint in Folge von Scbrumpfung jener verkleinert; die 
Partio zwiscben diesem, der Bapbe und Abducenswurzel zeigt etwas Degeneration; 
die degenerirte Partie reicbt l ] / 2 mm nacb aussen von der Abducenswurzel. Etwas 
hdher, in der Ebene des Ursprunges der Abducenswurzel ist die Degeneration scharfer 
begrenzt und zeigt sicb als beschrankt auf das Corp. trapez., welcbes gegen das 
normale recbte urn ein Drittel kleiner erscbeint; nocb b6ber oben, in der Hohe der 
Hdhlung, zeigt sich dasselbe Areale nur verkleinert durcb die primare Lasion, de- 
generirt. In den tiefsten BiUckenquerscbnitten ist die Form der degenerirten Partie 
eine dreieckige, begrenzt durcb die Bapbe, die dorsale Seite der Pyramide und eine 
Linie, welche von der Mitte der Raphe zur seitlicben dorsalen Ecke der Pyramide 
zieht; einige kurze Degenerationsztlge dringen in die Pyramide ein. Nacb abwarts 
zu wird iie degenerirte Area durcb das obere Ende der normalen Olive von aussen 
einggfruchtet und wird vorwiegend von dem Stratum intermedium gebildet; auf einem 
Querschnitte durch die Mitte der Oliven zeigt sich die dreieckige degenerirte Partie 
des mittleren Feldes der Format, reticul. von den normalen Fibrae arcuatae durch- 
setzt, die vor und seitlich von den Oliven liegende Degenerationszone ist auf'einen 
schmalen Streifen reducirt, aucb bier zieben Degenerationszilge in die Pyramide. Nach 
abwarts nimmt die degenerirte Partie ab und macht in der sog. Scbleifenkreuzung 
eine vdllige Kreuzung durcb, der Rest der degenerirten Zone findet sich von da ab 
nacb abwarts rechts und lasst sicb zu den Kernen der Hinterstrange verfolgen. Der 
recbte Kern des Keilstranges zeigt deutlicbe Degeneration mit Verminderung seiner 
Zellen; die Fasern zum Respirationsbtlndel (Krause) sind zum Theil atrophisch. — 
(Genauere Details siebe im Original. Ref.) 

Nacb aufwarts von der Cyste fand sich Degeneration des mittleren Drittels der 
Scbl&fe, doch liess sie sicb erst fiber Ebenen ober dem hinteren Zweihugelpaar ver¬ 
folgen; hier lag sie mehr seitlich. 

In der Besprechung seines Falles zieht Sp. die Falle von Meyer ilnd Homen 
zum Yergleicbe beran (der % Kahler’s und des Ref., bekanntlich der erste genauer 
untersuclite, scbeint ibm entgangen zu sein). Die wicbtigsten seiner Schlflsse sind 
folgende: Der Stratum intermedium zu benennende, in der sog. sensiblen Kreuzung 
(Meynert) sicb kreuzende mittlere Antheil der Schleife, besorgt die Coordination; 
die Storung dieser in Fallen von Zerstorung des Bbndels ist nicht bedingt durcb den 
Ausfall der Tastempfindung, weil deren Grad dem Grade der letzteren nicht entspricht. 
Das Stratum interned, ist nicht bios centripetal leitend und degenerirt centrifugal, 
im Gegensatz zu den spinalen Fortsetzungen desselben; obwobl Flecbsig mit Recbt 
eine grObere Verbindung zwiscben Pyramiden und oberer Pyramidenkreuzung (Meynert) 
leugnet, bestebt docb eine innige, wenn aucb schwachere Verbindung zwiscben Strat. 
intermed. und Pyramide derselben Seite in der H5he zwiscben der Kreuzung und dem 
unteren BrUckenende; das Strat. intermed. scbeint vorzhglich den Muskelsinn zu 
leiten; die Oliven und deren Fasern stehen in keiner Beziehung zum Strat. intermed.; 
die verticalen Fasern des Corp. trapez. dagegen gebdren dazu. 

In einem Anbange macht Sp. einige vergleicbend-anatomiscbe Mittbeilungen. Im 
Gebim des Elephanten feblen die Pyramidenbabnen in der Brdcke, dagegen ist das 
Strat. intermed. sebr gross; in der unteren Halfte der Oblongata liegen an Stelle der 
Pyramiden die Biindel des Strat. interned., die dann sicb kreuzend in die Kerne der 
Hinterstrange Bbergeben. Die Oblongata eines Tflmmlers zeigt keine Pyramiden, die 


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beiden medialen Wfilste entsprechen den Oliven. Bei der Lbwin constatirte Sp., dass 
das Strat. interned, und die verticalen Fasern der Brftcke (incl. der Pyramidenbahn) 
zu einer gemeinschaftlichen Masse verbunden, direct mit dem Crus zusammenhangen; 
das Strat. intermed. behalt seine Lage neben der Medianlinie bis znm oberen Ende 
der Brtlcke, von da ab ist es mebr seitlich und ventralwarts von der Subst. nigra 
gelagert. (Weitere Angaben siehe im Original. Bef.) A. Pick. 


6) De l’hdmipldgie homonym© de la face et des membres dans les lesions 
en foyer de la protuberance annulaire par Bondoi Paris 1883. 

R. studirt die Frage der Symptomatology der Ponserkrankungen an der Hand 
neuerer fremder und einer eigenen Beobachtung. Sitzt der Herd in der mittleren 
Etage, selten in der oberen Etage der Pons, so wird zuweilen nur der Pyramideu- 
strang getroffen und es entstekt dann Hemiplegie (Gesicbt und Extremitaten; in 
ersterem weniger intensiv) auf der entgegengesetzten Seite; es kann dann aucb 
secundare Degeneration folgen. Contracturen und epileptiforme Krampfe kommen 
dabei nur selten vor. M. 


7) Tumour of left side of pons Varolii with Hyperpyrexia by Hugh Smith. 

(British med. Joum. 1883. 27. Oct. p. 821.) 

-®n tuberculOser Tumor der linken Halfte des Pons Varolii hatte bei einem 
Bjahrigen Knaben eine Lahmung und Contractur der rechten Extremitaten, rechts- 
seitige Anasthesie und ausserdem eine Herabsetzung der Motilitat und Sensibilitat auf 
der linken Seite verursucht, wohl durch Uebergreifen auf die andere Halfte des Pons. 
Auffallend war die in den letzten drei Lebenstagen beobachtete Temperatursteigerung 
bis zu 42,2 0 (108 0 F.) ohne nachweisbare Erkrankung eines anderen Organs. 

Sommer. 


8) Zur Casuistik der Himtumoren von Beck. (Virchow’s Arch. Bd. 94. H. 3. 

S. 369—392.) 

1) Myxogliom im Bereiche des Pons und Gliom des rechten Seh- 
hilgels. Ein Rekrut erkrankte unter Bulbarsymptomen: leichter StCrung beim 
Sprechen und Schlingen, Abnahme der Sehscharfe, Unsicherheit im Gang. Nach 
einem Jahr entwickelte sich rasch zunehmende Coordinationsstdrung bei Bewegungen 
der linken Extremitaten, Abnahme der Sensibilitat und Schmerzempfindlichkeit, sowie 
des Temperatursinns auf der ganzen linken Seite, bei Herabsetzung der Temperatur 
in der linken AchselhOhle urn 3—7 Zehntel Grad; Abnahme der motorischen Kraft 
linkerseits; wechselnde Lahmungen der Zunge, Uvula, des Gaumens; Lahmung des 
rechten Abducens mit Verengerung nnd Herabsetzung der reflectorischen Reaction der 
rechten Pupille. Zunahme der Sprachstflrung, der Schlingbeschwerden, der Amblyopie 
ohne Stauungspapille Oder Sehnervenatrophie; heftiger Kopfschmerz in Stim und Hinter- 
hauptgegend, haufiges Erbrechen, hin und wieder auftretendes Errdthen mit nach- 
folgendem Erblassen des Gesichts. Sub finem Schmerzen in den linken ExtremitAten, 
Herabsetzung der motorischen Kraft und der Sensibilitat auch im rechten Arm; Puls- 
verlangsamung, plbtzliche Temperatursteigerungen bis auf 40°, Retentio urinae, Ob- 
structio alvi, Apathie, Somnolenz. Die Obduction ergab ein Myxogliom, welches den 
Pons und die Oblongata bis an die Spitze des Calamus scriptorius einnahm, nach 
vom bis an die Himschenkel reichte und die Vierhfigel, sowie die vorderen Klein- 
himstiele in die H6he gedrangt hatte; femer war der rechte Sehhfigel durch eine 
rein gliomatose Wucherung vergr5ssert. — Die Diagnose war auf einen Tumor im 
Bereiche des Pons gestellt worden. 


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2) Hartes Rundzellensarcom im linken GrosshirnschenkeL Ein 
Ffisilier erkrankt unter eigentbfimlicben Scbwindelanfallen, Kopfschmerzen und Doppel- 
sehen; der Bescbreibung nacb L&hmung des linken Rectos int. und linksseitige reflec- 
torische Popillenstarre. Im weiteren Yerlanf Himdruckerscheinungen und zunehmende 
motoriscbe Schwache der recbten Kfirperb&lfte mit Steigerung der gleicbseitigen 
Sebnenreflexe; aucb massige recbtsseitige Facialisparese. Scbliesslicb totale Lahmung 
aller vom linken Oculomotorius mnervirten Augenmuskeln mit Ptosis, die in geringerem 
Grade aucb recbts sicb einstellt; spater Storungen der Spracbe und Intelligenz, In¬ 
continentia, Temperaturerhbbungen obne sonstige Organerkrankungen; mebrfaches 
Scbwanken in der Intensitat aller Erscheinungen. Sub finem Dyspnoe, soporfiser 
Zustand bis zu vOlliger Reactionslosigkeit; Tod 1 / a Jabr nacb Beginn des Leidens. 
— Eine genaue Topograpbie des Tumors im linken Grossbimschenkel fehlt; es wird 
nur angegeben, dass er bis auf die Basis reicbte, die Fasem des Hirnstiels nur be- 
trachtlicb auseinander gescboben und den linken Oculomotorius platt gedrfickt batte; 
anderweitige Hiranerven fanden sich nicbt verandert. Die Diagnose war richtig ge- 
stellt worden; aus der Epikrise sei bervorgehoben, dass aucb in diesem Falle Stauungs- 
papille wabrend des ganzen Yerlaufs fehlte. 

3) Haematoma durae Matris luetiscben Ursprungs. Der letztere gilt 
dem Verf. ausser durcb die Anamnese durch die Entwickelung von Knochenwucherungen 
an der Innenflacbe des Scbadeldacbes fUr erwiesen. Die Erscbeinungen waren die 
gewfihnlichen, nur traten die Geruchsstfirungen, die Kopfschmerzen, die intellectuellen 
Stfirungen (Demenz mit Erregungszustanden) besonders in den Yordergrund, die letz- 
teren vielleicbt desbalb, weil die voluminfisesten Blutsacke fiber dem Stirnhirn lagen. 

Tuczek. 


9) Hdmorrhagie et ramollissement de la oouohe optique; anesthesias sen- 
sorielles par Rousseau. (L*Encdphale. 1884. No. 1.) 

Ein Potator wurde von einem apoplectischen Insult betroffen, der recbtsseitige 
Hemiplegie und Hemianastbesie, sowie Abnabme der Intelligenz zur Folge batte. Im 
weiteren Yerlaufe wurde rechteseitige Erblindung und Yerlust des Geruchs auf beiden 
Seiten (wenn letztere Anomalie nicht vielleicbt scbon frfiher bestanden batte!) be- 
merkt. Es fand sicli hamorrbagiscbe Erweicbung im vorderen Abschnitt des linken 
Sebhfigels. Yerf. macbt dieselben streng nacb dem Luys’sclien Schema ffir die 
sensoriellen Stfirungen ausschliesslich verantwortlicb, obgleich der Herd in den Hirn- 
scbenkelfuss binab reichte, inselfCrmige Sklerosen „hie und da u im Mark der linken 
Hemispbare, Erweicbung im recbten Hinterhauptslappen und „Sklerose des verlangerten 
Marks in seiner ganzen Dicke“, welch* letztere gewiss scbwer verstandlicb ist, notirt 
werden, gar nicbt zu reden davon, dass histologische Untersucbungen und Angaben 
fiber die etwaige Betbeiligung der inneren Kapsel vollstandig feblen und nicbt er- 
wabnt ist, ob die ansebnlicbe Yerdickung der weicben Haute vielleicbt aucb die Basis, 
speciell die Gegend der Olfactorii betraf. Tuczek. 


10) Zur Casuistik der Localisation der Grosshimfunotionen von Claus. 

(Irrenfreund. 1883. Nr. 6.) 

1) Nacb einem apoplectischen Insult stellten sicb bei einer alten Frau Schluck- 
bescbwerden, recbtsseitige Hemiplegie, Apbasie und progressiver Blfidsinn mit Er- 
regungszust&nden ein. Die Scbluckbescbwerden und die balbseitigen Labmungs- 
erscbeinungen scbwanden, letztere bis auf ganz leichte Bevorzugung der linksseitigen 
Extremitaten bei zweckmassigen Bewegungen. Dagegen bildeten sicb anhaltendo 
Spracbstfirungen aus in Form von sensorieller Apbasie und von Paraphasie, daneben 
paragrapbiscbe und motoriscbe Scbreibstfirungen. Die Broca*scbe Windung, Insol, 


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die beiden ersten Schlafenwindungen, zeigten sich beiderseits intact Dagegen fand 
sich ein alter Erweichungsherd im linken Sehbflgel, ein friscberer in der hinteren 
Halfte dor Basalflache des Schlafenhinterhauptlappens. Yerf. ventilirt die Zulassig- 
keit der Annalime fiberdauemder Fernwirkungen von dem Herd im Sehhugel aus. 

2) Im Anschluss an einen apoplectischen Insult entwickelte sich bei einem alten 
Mann eine als BlOdsinn mit Erregungszustanden charakterisirte Psychose und rein 
sensorielle Aphasie. Befund: Atherom der Hirnarterien, mehrere Miliaraneurysmen. 
Ausser einigen anderen Erweichungsherden, deren unifangreichste in der vorderen 
Halfte der beiden Stimlappen sassen, fand sich ein bedeutender Erweichungsherd im 
Bereich der Einde und Marksubstanz der linken 1. und zum Theil 2. Schlafenwindung. 

3) Sprachstorungen — sensorielle Aphasie, Paraphasie, Paragraphie — die bei 
einem Paralytiker nach apoplectiformen Anfallen zuriickblieben, glaubt Yerf. durch 
den Befund eines starken Schwundes der Schlafenlappen localisiren zu kOnnen. 

_ Tuczek. 

11) Paresis et contracturae extremitatum ex imaginatione von S. Tschirjew. 

(Medicinski Wjestnik. 1884. Nr. 1 u. 2. Russisch.) 

Ein casuistischer Beitrag zu der von Russel Reynolds zuerst beschriebenen 
Kategorie „Paralysis etc. dependent on idea" (British med. Journ. 1869. 6. Nov.). 

Der Fall betrifft einen 37jahrigen Officier, der durch beinahe vollstandige Lah- 
mung aller Extremitaten in einen unbehiilflichen Zustand versetzt war. Die Arme 
waren im Ellbogengelenk flectirt, die Hande zur Faust geballt, die Beine adducirt 
Patellarsehnenreflexe bedeutend erhbht (Epilepsia spinalis). SensibilitatsstOrungen 
fehlten. An beiden Augen ophthalmoskopisch atrophia papillae n. optici. Die Lah- 
mungserscheinungen hatten sich allmahlich entwickelt, hielten mehrere Monate an 
und schwanden vollstandig ohne therapeutische Behandlung bei der Anwendung ge- 
eigneter psycliischer Einflfisse. Patient stammte aus einer neuropathisch veranlagten 
Familie und neigte stark zur Hypochondrie. P. Rosen bach. 


Psychiatrie. 

12) Observation et autopsie d’une aphasique devenue sucoessivement alidnee 
et monoplegique par Rousseau. (Annales mddico-psychologiques. 1884. 
Janvier p. 52.) 

Nach einer Apoplexie, welche bei einer Frau rechtsseitige Hemiplegie und Aphasie 
zuriickliess, entwickelte sich nach einem Jahre unter theilweisem Nachlass der para- 
lytischen Erscheinungen eine acute Melancholie, hervorgerufen durch Kummer und 
Gemuthsbewegungen. 

Nach Yerlassen der acuten Erregung blieb Patientin traurig und dement; die 
Aphasie dauerte. — 

Dann erfolgte eine erneute Apoplexie mit Lahmung des linken Beins und 
Anasthesie der ganzen linken Seite; spater Contractur des linken Vorderarms und der 
unteren Extremitaten, Ablenkung des Kopfes und der Bulbi nach links, schraerzbafte 
Hyperasthesie der Extremitaten. 

Die Section ergab: Linke Hemisphare: Alter Erweichungsherd von der Grdsse 
eines Zweifranc-Stdckes am Fuss der 3. Frontalwindung und im unteren Yiertel des 
Gyr. frontal, ascendens. Rechte Hemisphare: Erweichungsherd in der Mitte der bin- 
teren und der oberen Halfte der vorderen Centralwindung, in der GrOsse eines Ein- 
franc-Stflckes. Auf dem Oberwurm des Eleinhims befand sich ein dritter kleinerer 
Erweichungsherd. Das Gesammtgewicht des Hirns war 1070 Gramm; die rechte 
Hemisphare wog 465, die linke 470, das Kleinhirn mit Pons und Bulbus med. 
135 Gramm. Jehn. 


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13) The influence of hereditary syphiliB in the production of idiocy or 
dementia by Judson S. Bury. (Brain. 1883. April p. 44—66.) 

Nach einer Recapitulation der bereits vorliegonden einschlagigen Casuistik ver- 
mebrt Yerf. dieselbe um 6 eigene Beobachtungen, von denen 2 mit Obductionsbefund. 

Der erste Fall betrifft ein ll 1 / 2 jahriges Madchen, das einzig tlberlebende von 
14 Geschwistern, Welches gesund bis zum 3. Jahre damals einen Anfall ohne Be- 
wusstseinsverlust hatte, in welchem nur die recbte Seite arbeitete. Solcbe lediglicb 
rechtsseitige Krampfanfalle mit nachfolgender, sich allmahlich steigernder Lahmung, 
zunebmenden Unfahigkeit zu sprecben und scbliesslicber Demenz wiederbolten sick 
vielfack bis zum Tode. Die Obduction ergab beiderseits pacbymeningitische Pseudo- 
membranen, milcbige Trkbungen der verdickten Pia mater, Vertiefung der Sulci boi 
Yerschmalerung sammtlicher Windungen mit Ausnahme der beiden ersten Stirnwin- 
dungen, Atrophie der Nn. optici, Wandverdickung der vorderen und mittleren Cerebral- 
arterie, Hyperostose des Keilbeins und der Felsenbeine, besonders links, so dass der 
Hohlraum der mittleren Schadelgrube kior stark reducirt war. Aus dem dbrigen 
Obductionsbefund sind noch gummose Knoten in den Lnngenspitzen hervorzukeben. 
Die mikroskopiscke Untersuckung der Cerebralarterien ergab die von Heubner be- 
sckriebenen Alterationen. 

Der zweite Fall setzte ebenfalls mit einem convulsivischen Anfall bei einem 
12jahrigen Madchen ein, welches nach der Impfung an braunem Fleckenausscklag 
und Scknupfen erkrankt war. Yor dem Anfall war das Gedachtniss gut gewesen 
und hatte das Kind Hymnen singen kOnnen. Nackker bestand Hemiparesis dextra. 
Nach zwei weiteren Anf&llen verlor sie die Spracke und wurde vflllig dement. 6 Ge- 
sckwister waren sammtlick jung gestorben und katten an ahnlichen Ausschlagen ge- 
litten. Die Obduction ergab Yerdickung und Opacitat der Pia mater, Verschmalerung 
der Cerebralwindungen, Wandverdickung der Hirnarterien, vermekrte Resistenz der 
Hirnsubstanz, keine Herderkrankungen. Die mikroskopiscke Untersuckung zahlreicher 
Scknitte aus dem oberen Ende der vorderen Centralwindung und den Sckeitelwindungen 
ergab als auffalligsten Befund die Abwesenkeit von Nervenzellen; in einzelnen Scknitten 
konnte auch nickt eine Ganglienzelle gefunden werden, in andern nur sekr wenige; 
nirgends waren sie so zahlreich und so ausgebildet wie in der Norm. An der vor¬ 
deren und mittleren Cerebralarterie bestanden die charakteristischen Heubner’schen 
Alterationen, im Rkckenmark (nur im obersten Tkeil untersuckt) secundare Degene¬ 
ration der Seitenstrange und inneren Biindel der Yorderstrange. 

Aus den 4 ubrigen Krankkeitsgesckichten sei kervorgekoben, dass die hereditare 
Syphilis durck die Anamnese, die Hutch inson’scken Zahne etc. gesickert war und 
die Demenz erst spater sick entwickelte, in einem Fall erst im 16. Lebensjahre, nach- 
dem 5 Jahr zuvor plotzlich Taubkeit aufgetreten war. In einem andern Fall bestand 
neben Taubkeit disseminirte Chorioiditis. 

Yerf. glaubt, dass die congenitale Idiotie auf sypkilitiscker Basis sekr viel sel- 
tener ist, als die nach einer gewissen Latenz der hereditaren Syphilis durckscknittlich 
im 5. bis 9. Lebensjakr erworbene Demenz, welche auf Verdickung der Schadelknochen, 
chronische Meningitis, Arteriensypkilis mit consecutiver Hirnatrophie und Sckwund 
der Ganglienzellen zuriickzufukren sei. Die Tkerapie ist ohnmachtig. 

E. Remak. 


14) Othaematoma by M. J. Madigan. (The Alienist and Neurologist. 1883. 
IY. p. 687.) 

Nach einer ausf&hrlichen Besprechung der auf das Othamatom bezdglicken 
Literatur kommt Verf. zu der Folgerung, dass man es hierbei mit einem central be- 
dingten Prozess zu tkun babe; dass immer ein traumatischer Ursprung angenommen 
werden mtisse, sei durckaus unerwiesen. Man fSndo das Othamatom vorzugsweise 


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bei denjenigen Geisteskranken, die bedeutenderen vasomotoriscben Stbrungen unter- 
worfen gewesen seien, und es babe daber eine wenn aucb nicbt absolut hoffhungslose, 
so docb immer eine ung&nstige Bedeutnng. 

Die Beweise fur diese etwas doctrinaren Behauptungen scbeinen dem Bef. nicbt 
uberzeugend zu sein; er bait den traumatiscben Ursprung fbr den einzig wahr- 
scheinlicben. Sommer. 


15) Ueber den EinflusB stumpfer Gtewalten auf das ftussere Ohr, mit be- 
sonderer Berueksiehtigung der Oth&matombildung, von Frank el 
(Virchow’s Archiv. Bd. 95. H: 1. S. 102—121 und Taf. VI.) 

Wenn aucb der traumatische Ursprung des Othamatoms ftir die meisten Psy¬ 
chiater so sehr ausser Zweifel ist, dass sie mit Bezug auf dasselbe von der „Hau- 
seite“ und von der „Fallseite“ reden, ist docb der von F. an Kaninchenohren ex- 
perimentell erbrachte Beweis von Interesse, dass stumpfe auf das Obr wirkende 
Gewalten im Stande sind, an vorber durchaus gesunden Obren Otbamatome zu er- 
zeugen, die kliniscb und anatomisch mit den menscblicben im Wesentlichen identiscb 
sind. Die Blutextravasation findet tbeils zwischen Haut und Perichondrium, theils 
zwiscben letzterem und Knorpel statt. Die Othamatome toilten am besten bei ex- 
spectativer Behandlung. T u cz ek. 


10) Una ffemiglia di suioidi pel Dott. Ugo Maccabruni. (Archivio di psicbiatria, 
scienze penali ed antropolog. criminal. 1883. IV. p. 429.) 

Die interessante Arbeit lasst sicb am einfachsten durcb die kurze Wiedergabe 
des Stammbaums jener Familie illustriren. 

Vater IV (nicht belastet) f 62 Jahr alt durch Suicid. 

-- ■ - —- . . .. . _ 

Sohn I Tochter II Sohn Sohn Sohn III 

t 22 J. f 26 J. lebt noch, f ermordet t 23 J. 

suicid. suicid. bat aber ausgesprochene Neigung | suicid. 

zuin Suicid, sodass er desswogen dessen Sohn V 
Irrenarzte consultirt. f 17 J. 

suicid. 

Besonders zu erwahnen ist noch, dass die cbronologiscbe Reihenfolge der ein- 
zelnen Selbstmorde durcb die romiscben Zablen gekennzeichnet ist, und dass (als 
Beweis der „Imitation“) die Selbstmorde I, III und IV durcb ein und dieselbe Pi¬ 
stole verubt sind. In dem Fall V konnte der Schadel wie das Gebirn genauer unter- 
sucht werden und es ergab sicb bei einer Capacitat von 1470 kcm und bei einem 
Hirngewicht von 1395 Gramm der extreme Langenbreitenindex von 87,3, und der 
minimale Index cephalo spinalis 15,7 (normal 19,65); ferner fand sich frbbzeitige 
Synostose des Keil- und Grundbeins; 27 Schaltknocben von 3 mm bis 3 cm Durch- 
messer lagen in den Nahten. Die 3 Stirnwindungen waren in ibren vorderen Ab- 
scbnitten auffallig scbmal und complicirt; die bintere Centralwindung war beiderseits 
der Lange nacb durcb eine mit der Fossa Sylvii communicirende Furcbe gespalten 
und der ganze Hinterhauptslappen scbien atropbiscb. Sommer. 


17) Lypdmanie ohronique aveo ddlire des negations par Sizarei (AnnaL 
mdd.-psychol. 1884. Janvier p. 63.) 

Eine 67jahrige Dame erkrankte psychisch unter dem Einfluss eines Erysipelas 
faciei, welches zu einer scrophulSsen Otorrhoe hinzutrat. Nacb Verblassen des acuten, 
durcb Selbstmorddrang ausgezeicbneten, melancbolischen Stadiums blieb ein apatbischer 


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gleichgfiltiger Zustand zurfick, in welchem die Kranke Alles, zumal anf Fragestellungen 
hin, zu vemeinen strebte. Sie babe nie Selbstmordideen gebabt; denn es gebe ja 
keine Brunnen oder Feuer, in welches sie sich hatte stfirzen kfinnen. Was man ihr 
zeige, das nenne man einen Schlfissel; es gebe aber keine Schlfissel, keine Hfiuser, 
keine Thfiren etc. Das Auftreten dieser Form verneinender Wahnideen sei gemeiniglich 
mit geistiger Schwaclie gepaart. Jehn. 


Therapie. 

18) Die ungleiohartige therapeutische Wirkungsweise der zwei elektrisehen 
Stromesarten und die elektrodiagnostische Gesichtsfelduntersuchung. 

Eine schematische Uebersicht. Von C. Engelskjfln in Christiania. (Arch, 
f. Psych. Bd. XV. H. 1.) 

Eine Anzahl von Thesen fiber den im Titel genannten Gegenstand, die ihre aus- 
f&hrlichere Begrfindnng in spateren Artikeln finden sollen. Wir stehen von einer 
eingehenden Mittheilung dieser Thesen vor der angekfindigten Begrfindnng am so 
mehr ab, als die Mehrzahl derselben einen recht hypothetischen Charakter tragen. 
Schon die principielle Aiifstellung einer gegensatzlichen Wirkung beider Stromes¬ 
arten anf die verschiedenen centralen Neurosen vertragt sich kaum mit der Realitak 
Satze ferner wie Nr. 13: Das kalte Wasser wirkt (bei allgemeiner Einwirkung anf 
das Hautorgan) ahnlich wie der Galvanismus (i. c. der galvanische Strom), das warme 
Wasser wie der Inductionsstrom — mfissen gegrfindete Zweifel an der Objectivitat 
der Aufiassnng wach rufen. Deshalb erscheint auch eine interessante Angabe des 
Verf. der Bestatigung bedfirftig; die Angabe namlich, dass im gegebenen Fall die 
positive" (d. h. gfinstig wirkende) Stromesart das Gesichtsfeld erweitere, die negative 
dasselbe beschranke, dass diese Eigenschaft der Elektricitat als Nachweis der im 
speciellen Krankheitsfall zu gebrauchende Stromesart zu benutzen sei. 

Eisenlohr. 


19) Prompt and eomplete cure of some paralyses caused by cerebral 
haemorrhage by Prof, de Renzi. (Rivista Clinica et Terapeutica. 1884. 
Jan. aus The London medical Record.) 

R. rath entgegen den bisherigen aUgemein herrschenden Anschauungen die Elek¬ 
tricitat mfiglichst frfih bei Lahmungen in Folge cerebraler Hamorrhagie anzuwendeu. 
Nut empfiehlt er gewisse Vorsichtsmaassregeln daneben zu beachten: fortgesetzte 
Application der Kalte auf den Kopf, innerlicher Gebrauch von Kalium bromatum und 
strenge Yermeidung von Obstipation. Er wendet nur schwache, kaum ffihlbare Strome 
an, die er eine bis mehrere Minuten auf die Muskeln und Intermuscularnerven wirken 
lasst. Er publicirt einen Fall mit linksseitiger Lahmung des Beines nach cerebraler 
Hamorrhagie; am 4. Tage war die Lahmung eine vollkommene und bildete sich in 
einigen Tagen bei der oben angegebenen elektrisehen Behandlung zurfick. 

Rosenheim. 


20) Die Osmiums&urebehandlung der peripheren Neuralgien von Eulen- 
burg. (Berl. klin. Wochenschr. 1884. Nr. 7.) 

Verf. fand bei peripheren Neuralgien die parenckymatSsen Injectionen von Acid, 
osmicum (0,5—1,0 einer 1 % LOsung pro dosi) in die Nahe des afficirten Nerven 
nicht unwirksam. Heilungen erzielte er nur in 7 von 29 Fallen; darunter 4 (meist 
frische) Falle von Ischias. Tuczek. 


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21) Ueber die Beziehungen zwisohen Idiotie und Epilepsie. Vortrag Ton 

Dr. Wildermuth auf der IV. Conferenz ftlr Idioten-Heilpflege zu Hamburg. 

(4.-6. Sept. 1883.) 

Yerf. (bekanntUch arztlicher Yorstand der Anstalt Stetten) verffigt fiber das 
stattlicbe Material von 216 Fallen mit genauer Anamnese. Er unterscbeidet Idioten, 
die spater und zwar moistens im 5.—7. Lebensjabre an Epilepsie erkrankt sind, und 
Epileptiker, die durcb den sehr frfihen Ausbrucb der Krampfe geistig auf einer in- 
fantilen Stufe steben geblieben sind, und stellt diesen beiden Gruppen diejenigen 
Epileptiker gegenfiber, bei denen die Epilepsie erst in spfiteren Jahren, frfihestens 
nacb bereits erworbenem Sprachvermfigen, eingetreten ist und nocb keine starkere 
Beeintrachtigung der Psycbe bedingt bat. 

Die beiden ersten Gruppen konnen obne jeden Nacbtbeil in ein und derselben 
Anstalt untergebracbt werden. Der Haupteinwand dagegen, die bildungsfabigen 
Idioten konnten durch den Anblick der epileptiscben Krampfe psychisch gescbadigt 
werden, wird vom Verf. wobl mit Recbt zurfickgewiesen. Geistig besser situirte 
Epileptiker mfissen aber von jenen getrennt werden. Sie kOnnen zwar in derselben 
Anstalt verpflegt und beschaftigt werden, mfissen aber in einem besonderen Gebaude 
ffir sich leben; sehr wfinschenswerth sei sogar die raumliche Scbeidung erwacbsener 
und jugendlicber Epileptiker dieser Kategorie. Der Vortjieil ffir die Yereinigung 
auch dieser Patienten mit den Idioten in derselben Anstalt — natfirlich unter der 
obigen Voraussetzung der lokalen Scbeidung — hegt in dem Umstande, dass Scbul- 
und Beschaftigungseinrichtungen ohne Scbaden gemeinscbaftlicb benutzt werden kfinnen, 
da bier immer Gruppen gebildet werden mfissen, deren einzelne Glieder annahernd 
psychisch aequivalent sind. Thatsachlich werden daber die besser situirten Epileptiker 
nur mit sebr wenigen, aber auffallend bildungsfabigen Idioten in derselben Klasse 
sitzen, und auch ffir die Erwachsenen wird sicb bei der landwirthschaftlichen, wie 
bei der gewerblichen Arbeit gewissermaassen von selbst eine Trennung ausbilden, da 
bestimmte Yorrichtungen ffir Idioten absolut zu schwierig sind und daber nur von 
den noch begabten Epileptikem erlemt werden kfinnen. Mit Recbt hebt Yerf. zum 
Scbluss bervor, dass bei der Erzieliung der Epileptiker wie der Idioten nicht der 
Schulunterricht, sondern eine psychiatriscbe padagogische Regelung des ganzen Ent- 
wickelungsganges in den Yordergrund gestellt werden muss, wie dies nur in Anstalten 
mfiglich ist. Parallelklassen ffir Epileptiker an einzelnen 5ffentlicben Schulen, wie es 
vorgescblagen worden ist, zu errichten, finden daber nicht die Billigung des Verf. 
(Vgl. fibrigens auch dieses Centralbl. 1883. S. 499.) Sommer. 


Anstaltswesen. 

22) Bericht fiber die Verwaltung der Westpreuss. Provinzial-Irren-Heil- 
und Pflegeanstalt zu Sehwetz im Etatsjahr vom 1. April 1882 bis 
31. M&rz 1883, erstattet von dem Director Dr. Wendt. 1 
Aufgenomraen wurden 31 M., 17 Fr.; ausschieden 29 M., 14 Fr.; Bestand am 
31. Marz 1883 185 M., 189 Fr. Raummangel beeintrachtigte die Krankenbewegung. 
Auf der Exspectantenliste sind 76, davon 24 ffir die Heil-Abtheilung notirt. Bei 6 M. 
und 1 Fr. unter den Aufgenommenen hatte die Krankheit bereits fiber 10 Jahre ge- 
dauert. Ein aus der Untersucbungsbaft zur Begutachtung in die Anstalt aufgenommener 
42jahriger Arbeiter wurde bier als an Melancbolie und Hallucinationen leidend er- 
kannt, nacbdem er von dem Gefangnissarzt als Simulant erklart worden war. Von 
den 43 abgegangenen Kranken waren 10 genesen, von denen einer fiber 2 Jahre 
krank gewesen war. Die Kosten ffir einen Kranken berecbnen sicb auf 1,48 Mark 
ffir den Verpflegungstag. M. 

i Of. d. Centralbl. 1883. S. 188. 


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211 


23) Congregate and segregate buildings for the insane by R. S. Dewey. 

(The Alienist and Neurologist 1884. V. p. 33.) 

Wahrend die alteren Irrenanstalten vorwiegend mit Rficksicht auf den Schutz 
der Gesellschaft vor den Irren erbaut worden sind und demnach einen geschlossenen, 
mebr oder weniger gefangnissartigen Cbarakter besitzen, ist erst in neuerer Zeit das 
Bestreben aufgetaucht, dem einzelnen Irren je nacb seiner Individuality so viel Frei- 
heit zu gestatten, als er zu vertragen vermag; man fing daber bald an, auch die 
Irrenanstalten vieler ibrer Eigenthfimliclikeiten zu entkleiden und ihre wohnlicken 
Einricbtungen denen des hauslicben Lebens zu nahern. Da aber die einzelnen Irren 
einen sehr verschiedenen Grad von Freiheit vertragen, so musste nun eine Anstalt, die 
ja im Allgemeinen ffir alle Kranken eines gewissen Bezirks bestimmt ist, aus einer 
Anzahl verschieden eingerichteter Complexe besteben und so entwickelte sicb aus dem 
„Corridorsystem“ mit den differentesten Kranken unter einem Dach, das „Block“ resp. 
„Cottage“-System mit Patienten von je einer bestimmten Klasse in jedem einzelnen 
Gebaude. 

Verf. empfiehlt das letztere System mit grosser Warme und macbt besonders 
auch auf den Kostenunterschied aufmerksam. Die Bausumrae geschlossener Anstalten 
betrage in den Vereinigten Staaten etwa 1000 Dollars, ffir Anstalten mit einzelnen 
detachirten Gebauden aber nur 200—500, im Durchschnitt ca. 330 Dollars pro Kopf 
der programmassigen BevSlkerung. Sommer. 


24) Projet de loi portant revision de la loi du 30. Juin 1838 sur les alidnds. 

Bericbt der Commission an den Prasidenten der Republik erstattet den 25. Nov. 

1882. (Annales mddico-psychologiques. 1883. Mars.) 

Die Commission ffir eine Revision des Irrengesetzes von 1838 hat sich folgende 
Gesichtspunkte zur Erledigung ihrer Aufgabe zur Richtscbnur genommen. 

Sie will die Sicherung gleichmassiger Ffirsorge aller Irren in Anstalten, welche 
unter der Autoritat der Regierung stehen und von Aerzten specieller Competenz ge- 
leitet sind; die MOglichkeit, welche das frtthere Irrengesetz den conseils gdndraux 
liess, die Kranken in Privatasyle zu schicken soil wegfallen. Ferner wird wirksamere 
Controle und die Schaffung von Aufsicbtscommissionen, welche den Generalrathen bei- 
zugeben sind, angestrebt. 

Die sammtlichen Aerzte und Yerwaltungsbeamten sollen der Centralverwaltung 
genannt werden, urn ein „personnel hidrarchisd“ zu erhalten, welches mdglichst grosse 
Garantien ffir seine Competenz biete. 

Durch das obligatorische Einschreiten der Behfirden soil willkfirlichen Sequestra- 
tionen vorgebeugt werden, ohne die Schnelligkeit der Unterbringung von Kranken zu 
schadigen. Im Interesse des Offentlichen Wohls wird weiterhin die Schaffung eigener 
Anstalten ffir verbrecherische Irre vorgeschlagen. 

Urn das Nebeneinanderstehen zweier, auf das gleiche Ziel gerichteter Gesetze zu 
verhfiten, hat die Commission die ganze Form und Eintheilnng des Gesetzes vom 
30. Juni 1838 beibehalten, sodass nach Annahme der vorgeschlagenen Veranderungen 
das frfihere Gesetz zu Gunsten der Novelle vollstfindig fallen kann. 

Yon den Einzelheiten der angestrebten Yerbesserungen kann an diesem Orte 
nur das Wichtigste wiedergegeben werden. 

Die gesetzliche Ueberwachung soli nicht nur auf die Anstalten, sondern fiber- 
haupt auf jedes Haus ausgedehnt werden, in welchem sich ein Geisteskranker be- 
findet Der neue Gesetzentwurf wendet sicb scharf gegen die Unterbringung der auf 
Kosten des Departements untergebrachten Kranken in Privatanstalten. Die officiell 
verbfirgten Zahlen ergeben, dass am 1. Jan. 1882 von 24 Departements nicht weniger 
als 8 925 Kranke in Privatanstalten untergebracht waren (gegen 39 180 fiberhaupt 
in Anstalten untergebrachte Pfleglinge). Der Commissionsbericht ffihrt aus, dass die 


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Unterbringung von Kronken anf 5ffentliche Kosten keine genfigende Garantie ffir die 
sachgemasse Behandlung biete and fordert, dass diese Eranken der genannten Fur- 
sorge entzogen werden. 

Bezfiglich der placements volontaires" wird durch den neuen Entwurf die Vor- 
lage eines von zwei Aerzten ausgestellten Zeugnisses verlangt. 

Die wichtigste Aenderong liegt aber in dem Yerlangen nacb einer Einrichtung, 
welcber den definitiven (oder verlangerten) Anfentbalt eines Eranken in einer Anstalt 
unter alien Umstanden von einer richterlichen Entsclieidung abhangig macht. Eine 
YerzSgerung der Unterbringung soli jedocb vermieden werden. Jeder der Aufnahme 
in eine Irrenanstalt bedfirftige Eranke soli zuerst and nor eine bestimmte knrze Zeit 
provisorisch untergebracbt werden. Yon der Aufnahme bat der Director innerbalb 
24 Stunden den BebOrden Anzeige zn macben. 

Die Staatsanwaltscbaft bat, begleitet von einem Arzte ibrer Wahl, den Eranken 
innerbalb dreier Tage nacb dem Empfang der Aufnahmeanzeige zn untersuchen. Erst 
dann erfolgt anf einen Bescbluss der Batbskammer die definitive Aufnabme. Nacb 
einem Monat ist dem Prafecten ein arztlicher Bericbt fiber den Znstand des Eranken 
vorzulegen, von welchem die Entscbeidung fiber sein weiteres Verbleiben in der An¬ 
stalt abhangig gemacbt werden kann. Unter Wahrang des Becbtes, dass der Prefect 
eine Entlassung verffigen kann, wird diesem die Yerpflichtung auferlegt, vorber das 
Urtbeil des Anstaltsarztes einzubolen. 

Dem Paragraphen, welcber die bebfirdliche Unterbringung von Eranken „im 
Interesse des flffentlichen Wobles oder des Wohles Einzelner" bestimmt, soli zngesetzt 
werden „oder die eigene Sicberbeit des Eranken*'. 

Anordnungen derartiger Unterbringungen sind sofort ausznffihren. Ihre Gfiltig- 
keit erliscbt aber, wenn innerbalb 15 Tagen die Ausffihrung nicbt stattfand. Der 
gleicbe Zeitraum soli als Maximum des Aufenthalts eines Geisteskranken in einer 
nicbt speciell irrenarztlicben Zwecken dienenden Anstalt festgesetzt werden. 

Die in diesem Commissionsberichte verlangten speciellen Anstalten sollen nicht 
nnr irre Yerbrecher, sondem aucb verbrecherische Irre und solcbe, welcbe wahrend 
der Verbfissung ibrer Strafen geisteskrank warden, zugewiesen werden. Derartige 
Personen sollen nnr anf das die Genes ling bestatigende Urtbeil des Anstaltsarztee 
entlassen werden dfirfen. 

Weitere Yorschlage betreffen die Legalisirnng der probeweisen Entlassungen, 
fiber welcbe Register geffihrt und dem Staatsprocurator, wie den Gemeinden Bericbt 
gegeben werden soli, ferner Bestimmungen fiber das Yerfahren bei der Rfickffihrung 
entwichener Eranken in die Asyle, und Vorschl&ge fiber die Yerwaltung des Ver- 
mOgens Geisteskranker, deren Revenuen zu keinem anderen Zweck, als dem, das Loos 
des Eranken zu verbessern, verwendet werden sollen. 

Den Departements, welcbe augenblicklich nocb „tributaires" der Privatanstalten 
sind, soil ein Zeitraum von 6 Jabren gelassen werden, um die Frage sacbgemasser 
Unterbringung ibrer Geisteskranken in Gffentlichen Anstalten zu regeln. Jebn. 


KL Aus den Gesellschaften. 

Sitzung der Pathological Society of London vom 18. Mfirz 1884. (Brit med. 
Joum. 1884. 22. Marz p. 559.) 

Yon neurologischem Interesse dfirften die Demonstrationen und Yortrage sein, 
deren Inbalt durcb die folgenden kurzen Referate bezeichnet wird. 

Ilott zeigte ein Gliom des rechten Stimlappens, das sicb fiber die Mittellinie 
binaus bis in den linken Lappen ausgedehnt zu baben scbeint; es sass central und 
hatte die Yentrikelwand vorgewOlbt, sowie die Rinde z. Th. atropbirt Die Symptome 
intra vitam waren nicbt zur Stellung der Diagnose geeignet gewesen. Bei dem 
25jahr. Pat., einem Maler, bestanden die cbarakteristiscben Erscbeinungen einer Blei- 


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vergiftung seit 6 Wochen; daneben war oine motorische Sprachstbrung und eine gross© 
Gedachtnissschw&che zu constatiren, sowie ©in Tremor der Gesichts- und Armmusculatur 
auf beiden Seiten, der wesentlich verstarkt word©, sobald durcb ©in Gesprach die 
Aufmerksamkeit des Patienten in Anspruch genommen wurde. Kurz vor dem Tod© 
stellten sich convulsive Anfalle ©in, denen ©in letales Coma mit Rigiditat der rechten 
oberen Extremitat folgte. 

Morrison demonstrirt© darauf das porencephalische Gehim eines 8monatlicb©n 
Kindes, das in keiner Weis© hereditar belastet anfanglich gesund erscbien, bald aber 
von Krampfen ergriffen wurde. Trotzdem dies© wieder schwanden, verfiel das Kind 
8©itdem immer mehr und starb endlich unter erneuerten Convulsionen. Neben Hydro- 
rbachis und Hydrocephalus ©xt. war ©in© bedeutende Yerkleinerung beider Grosshirn- 
hemispharen zu beobacliten und zwar war die rechte noch kleiner als die link©. In 
der rechten Hemisphere fanden sich zwei Cysten, ©in© einfache in der Spitz© des 
Schlafenlappens und eine gross© facherige im Stirnlappen, ohne gegenseitige Communi¬ 
cation.. Die Entstehung aller dieser Cysten wurde auf Entzhndungsherde mit spaterer 
Erweichung und Resorption zurflckgefhhrt. Ein© Missbildung oder ©in© traumatische 
Entstehung, durch Resorption von Blutungen, ©twa in Folg© des Partus, anzunehmen, 
schien nicht angangig. 

Pye-Smith zeigt© darauf ©inen verkasten Tuberkel, der den ganzen rechten 
Thalamus opticus destruirt und auch auf das Crus cerebri abergegriffen hatte, wahrend 
das Corpus striatum, die Corp. quadrigemina und die Capsula interna intact geblieben 
waren. Der 12jahrige Patient hatte zuerst fiber heftigen Stirnkopfschmerz, spater 
auch fiber Erbrechen und Sehschwache geklagt; bei der Aufnahme bestand Parese 
des linken Arms, Ptosis des rechten Augenlides und doppelseitige Neuritis opt. Con¬ 
vulsionen und Sensibilit&tsstbrungen hatten stets gefehlt. Leider ist der Fall com- 
plicirt durch eine wenn auch anscheinond ganz frische tuberculOse Meningitis von 
geringer Ausdehnung. 

Ormerod zeigte ein wallnussgrosses Sarcom aus der Gegend der rechten mitt- 
leren und unteren Schlafenwindung. Der 41jahrige Patient litt seit 18 Monaten an 
momentanen Anfallen von Bewusstlosigkeit und an allgemeinem Tremor. Nach einem 
ungewOhnlich schweren Anfall, der durch subjective GehOrsempfindungen eingeleitet 
wurde und mit Krampfen der linken Kbrperhalfte endete, blieb Taubheit zurflck; 
freilich war schon seit Jahren eine Abschwachung der Hbrfahigkeit vorhanden, die 
indess auf eine frfihere Ohrerkrankung bezogen werden konnte. 

Endlich demonstrirte Goodhart ein verkalktes Angiom von TaubeneigrOsse aus 
dem Centrum ovale (sic), das bisher wohl ein Unicum ist und das aus dem Him 
einer 61jahr. melancholiscken Frau mit Gehbrs- und Gesichtehallucinationen stammte. 

_ Sommer. 


Socibtb mbdic. des hOpitaux de Paris. Sitzung den 22. Febr. 1884. 

Martineau, der bekanntlich seit November 1882 einen Affen secundar syphi- 
litisch (Ulcera am Gaumen, papul6ses Syphilid) gemacht haben will, berichtet, dass 
dieser Affe im October 1883 einen epileptiformen Anfall gehabt habe, „wie solche 
Anfalle, die auf blosser Compression des Gehirns beruhen, ja so haufig in den fruheren 
Perioden der Syphilis vorkommen". — Yon verschiedenen Seiten (Guyot, Fdr6ol, 
Legroux u. A.) wird entschieden dagegen opponirt, dass in.dem mitgetheilten An¬ 
falle fiberhaupt ein Symptom von Syphilis vorliege; es seien derartige Anfalle durch- 
aus nicht als „haufiges“ Frhhsymptom der Syphilis bekannt. 

Apostoli hat im vorigen Jahre die Method© der faradisation utdrine 
double" mittelst eines neuen Instrumentes angegeben, nach welcher beide Elec- 
troden an den Uterus (anstatt dass die eine an die Bauchdecken applicirt wird) an- 
gesetzt werden. Die Yorzfige dieses Yerfahrens sollen sein, dass es leichter auszu- 
fQhren, weniger schmerzhaft und dabei wirksamer ist. Hadlich. 


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Soci 6 td de Biologie de Paris. Sitzung den 15. M&rz 1884. 

„De la production & volontd de paralysies psychiques et de suggestion 
a rdtat de veille" hat Bottet Experiment© angestellt an 14 Personen, nerves 
disponirten, z. Th. Hysterischen. Ohne sie zu hypnotisiren rief er durch einfaches 
Commando Lahmungen, Contracturen, Anasthesion, auch Hallucinationen hervor: Alles 
bei v 5 llig wachem Zustande. — In England habe Reynolds bereits Mittbeilangen 
fiber diese Dinge gemacbt. 

Hdnocque macbte Versucbe fiber die „effets physiologiques de la paral¬ 
dehyde" und sab nacb subcutaner Anwendung (welcbe Dosis?) bei Meerscbweincben 
und Eanincben einen starken Temperatnrabfall — bei jenen urn 5, bei diesen urn 
8 Grad — 5 —6 Stunden lang eintreten. Die Dosis war in einigen F&llen tOdtlicb. 

— Was den Antagonismus von Paraldebyd und Strychnin betrifft, so glaubt H. nicht, 
dass ein solcber wirklicb bestebt; das Ausbleiben der Symptom© des verabreichten 
Strycbnins, nacbdem vorber P. gegeben, erklare sicb vielmebr wobl so, dass letzterer 
eine allgemeine Inactivitat der Gewebe erzeuge und deshalb keine Resorption des 
Strycbnins stattfinde. 

Rabuteau scbliesst sicb dieser Ansicht an. 

Quinquaud bat in gewissen Fallen aucb einen ausgesprochenen Temperatur- 
abfall nacb Paraldebyd (Dosis nicbt angegeben) geseben, ausserdom eine rasch ein- 
tretende Verlangsamung der Respiration, dagegen nur sebr selten und erst spat eine 
Yerlangsamung der Herzaction. 

Bocbefontaine sab — bei FrSscben und Hunden — eine bemerkenswerthe 
Yerlangsamung der Herzscblage. 

Sitzung den 29. M&rz 1884. 

Cb. Ricbet theilt die Resultate seiner Versucbe fiber den Einfiuss der 
Glehimverletzungen auf die Temperatur mit. Er bat bei Hunden eine kaum 
merklicbe, bei Kaninchen eine starke ErbObung der Temperatur — bis auf 42,5 0 

— gefunden; docb waren die Ergebnisse keine ganz constanten. 

Ollivier fragt, unter Hinweis auf den beim Menschen unmittelbar nacb einer 
Himh&morrhagie eintretenden Temperaturabfall, ob R. vielleicht auch bei seinen Ex- 
perimenten eine solcbe anfangliche Erniedrigung der Temperatur beobachtet babe? — 
R. bejaht dies fflr einige F&II 9 . 

Caraotdres eliniques des paralysies psychiques expdrimentales. Als 
solche fflbren Gilles de la Tourette und P. Richer nacb Experimenten an ver- 
scbiedenartigen Personen, hypnotisirbaren oder nicht, und im hypnotisirten oder 
wacben Zustande, bei welcben sie durch einfachen Befehl L&bmungen hervorriefen, 
folgende an: 

1. VGllige Schlaffheit des Gliedes, totaler Yerlust der Motilit&t und Sensibilitat; 

2. betrachtlicbe Steigerung der Sehnenreflexe; 

3. spinales Zittem; 

4. Verlust des Muskelsinnes; 

5. wesentliche Veranderung der Zuckungscurve des elektrisirten Muskels; 

6 . vasomotoriscbe Storungen: subjectives und objectives Kaltegeffthl; bei leichten 
Sticben der Haut lebbafte Rothung der Umgebung. 

Die Verff. heben die Wicbtigkeit dieser Beobachtungen bervor, und P. Bert 
schliesst sicb dem an, indem er betont, dass eine Simulation derartiger Alterationen 
gar nicbt mftglich ist. Hadlicb. 


Socidtd de Cbirurgie de Paris. Sitzung den 5. Marz 1884. 

Ovario-hystdrotomie ohez une hyst5rique; gudrison des accidents ner- 
veux von Pozzi. P. bat bei einer 45jahrigen Frau eine Ovarialcyste und ein 


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gestieltes Uterusfibrom operativ entfernt. Die Kranke, welche bis dabin an scbweren 
Metrorrhagien und scbwerer Hysterie (vollst&ndige Hemianasthesie, Hemiparese und 
Amaurose) litt, ist nacb der Operation sofort und vollstandig von den nervOsen St6- 
rungen befreit geblieben. P. glaubt in diesem Falle den Einfluss der utero-ovarialen 
— bier einseitigen — Eeflexe fQr erwiesen erklaren zu dtirfen, wenn nicht auf die 
Entstehung, so docb auf die Unterbaltung der scbweren nervGsen Leiden. Er glaube 
deshalb, dass unter Upastanden aucb die Castration (Operation de Battey) ein beil- 
samer Eingriff sei. 

In der Discussion spracb man sich im Sinne Pozzi's aus. Reclus fflbrte 
einen neuen Fall aus seiner Praxis an, wo die Castration Heilung der Hysterie berbei- 
fahrte. — Gillette wamt davor, von der Entfemung gesunder Ovarien Nutzen zu 
erwarten. — Terrier meint, die Ovarien seien in den betreffenden Fallen selten 
gesund; die Entscbeidung hierdber bleibe ubrigens sogar bei der anatomiscben Unter- 
sucbung bisweilen unsicber. Ein entscbeidendes Urtbeil fiber den Nutzen der Castration 
kbnne allerdings nocb nicht abgegeben werden. 


Acaddmie de Mddecine de Paris. Sitzung vom 1. April 1884. 

Decbambre beobachtete einen Fall von Chromidrosis. Eine Frau von 27 bis 
28 Jabren bekam 4 Tage nach ihrer Entbindung Flecken an Hals, Brust, Rdcken, 
spater aucb an Baucb und Gesicbt, Flecken, die nacb 4 Monaten theils blau, theils 
grtin und gelb waren, von denen sich die Wasche stark farbte und die mit warmem 
Wasser abgewaschen werden konnten. — Auf Grund cbemiscber Untersuchungen er- 
klarte Pearson die Substanz fftr Gallenfarbstoff, Schiitzenberger fttr Uroxantbin. 
— H^nocque constatirte bei der mikroskopischen Untersucbung Epitbelzellen, ge- 
farbte FettkOrncbenzellen, pigmentirte KCrnchenzellen, Krystalle und blaue Plattcben. 

Leroy de M^ricourt kommt bei dieser Gelegenbeit auf den frtlher von ibm 
vorgestellten Fall von farbiger Hautausschwitzung an den Augenlidem und sucht zu 
beweisen, dass bestimmt Betrug und Simulation dabei ausgescblossen gewesen sei. 

Hadlicb. 


IV. Bibllographie. 

A practical introduction to medioal electricity by A. de Watteville. (2. edit. 
London 1884. H. K. Lewis. — VIII u. 203 S. Mit 98 Abbild. u. mit Tafeln 
d. motor. Punkte.) 

Das kleine Bucb von de W. liegt jetzt in 2. Auflage als ein neues und recbt 
werthvolles Werkcben vor uns. Was dasselbe besonders auszeichnet, ist der strong 
physikalische Standpunkt, welchen der Verf. einnimmt und von welcbem das ganze 
Buch in alien seinen Theilen durchdrungen ist; die vollkommne Beberrscbung der 
elektropbysiologischen und elektrodiagnostischen Untersucbungsmethoden am lebenden 
Menscben; die nbcbterne und kritiscbe Beurtbeilung der therapeutischen Maassnabmen 
und Erfolge. Es ist unzweifelhaft die wertbvollste Bereicberung, welche der elektro- 
tberapeutiscben Literatur bisber auf englischem Boden erwacbsen ist. 

Das Buch will nichts weiter sein, als eine Einleitung und Anleitung zur wissen- 
scbaftlichen und praktiscben Verwerthung der Elektricitat und erfullt diesen seinen 
Zweck in gedrangter Kbrze, in trefflicber Methode und Darstellung. Die Halfte des- 
selben ist der pbysikalischen Einleitung gewidmet, welche an der Hand einfacher 
Versucbe die Grundztige der dem Elektrotherapeuten notbwendigen Elektropbysik 
darstellt und dann die einzelnen Elemente, Apparate und Nebenapparate bescbreibt; 
der zweite Theil enthalt eine gedrangte Darstellung der Elektrophysiologie am lebenden 
Menscben, an deren Ausarbeitung (Elektrotonuslehre) Verf. selbst sich in Gemeinscbaft 


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mit A. Waller in ergiebiger Weise betheiligt hat. — In dem folgenden Abschnitt 
fiber Elektrodiagnostik werden sowohl die Untersuchungsmethoden und ihre Fehler- 
quellen, wie die pathologischen Verhaltnisse der elektrischen Reactionen in eingehender 
Weise abgehandelt, natfirlich ohne dass Yerf. genauer auf manche noch schwebende 
Controversen eingeht. — In dem letzten Abschnitt fiber Elektrotherapie werden die 
Indicationen und Methoden der elektrischen Behandlung bei verschiedenen Krankheits- 
zustanden abgehandelt, nur kurz zwar, aber in hinreichend vollstfindiger und klarer 
Weise, um dem Anfanger einen Anhaltspunkt bei seinen eigenen Yersuchen in der 
Praxis zu geben. 

Zahlreiche Abbildungen, z. Th. den grOsseren elektrotherapeutischen Werken ent- 
lehnt, erhOhen die Brauchbarkeit des Buches. Dasselbe, auch ffir deutsche Elektro- 
therapeuten von hervorragendem Interesse, wird zweifellos dem Vordringen und der 
Entwickelung der Elektrotherapie in England zum grOssten Vortheil gereichen. 

— E. — 


V. Personation. 

Dr. W. Sander, dirigirender Arzt der Siechen-Abtheilung in Dalldorf, wurde 
zum Medicinalrath und Mitglied des Medicinalcollegiums der Provinz Brandenburg 
ernannt. 


VI. Vermischtes. 

Die englische Gesetzgebung in Bezug auf die Bekampfung der Trunksucht beschaftigte 
die ..Academic of medicine in Ireland" in ihrer Sitzung vom 14. Febr. 1884. Dr. Tweedy 
referirte fiber die Erfolge der ..Habitual Drunkards Act" von 1879 und fand dieselben sehr 
gering. Es sind in den Jabren 1880—1882 im Ganzen nur 3 Trinkerasyle erfiffnet worden 
und eins davon ist schon wieder gescblossen, da in den 3 Jabren demselben nur 52 Personen 
zugeffihrt worden sind. Ffir diesen Misserfolp machte Bedner dann wobl mit Recht die 
Gesetzgebung verantwortlich; besonders schadhch sei die Beschrankung der far die Grfindung 
eines Trinkerasyle nothwendigen Concession auf die Dauer von 10 Jahren gewesen, ferner 
das doctrinare Verbot, lrre und Dipsomanen in ein und derselben Anstalt unterzubringen, 
und das Fehlen einer jeden Bestimmung, durch die ein Saufer eventuell gegen seinen Wiilen 
der wfinschenswerthen Behandlung unterworfen werden kfinnte. Er schlug daher eine Ab¬ 
andoning des jetzt zu Recht bestehenden Gesetzes vor: eine Commission, aus den nachsten 
Angehorigen des Betreffenden. aus zwei Aerzten und einem Yerwaltungsbeamten zusammen- 
gesetzt, solle das Recht haben, nothigenfalls zwangsweise die Ueberflihrung eines Saufers 
in ein Asyl bis zur Heilung, oder wenigstens auf 12 Monate zu bewirken. Wegen der Ver- 
schleppung des Heilversuches sei der Vorschlag Dairympie's, den Eintritt der Zwangs- 
behanalung von einer dreimaligen Bestrafung wegen argernisserregender Trunkenheit inner- 
balb eines balben Jab res abhangig zu macnen, nicht ganz empfeblenswerth. In der sich 
anschliessenden Discussion wurden im Allgemeinen die Ansichten des Redners unterstntzt. 
Die Beschrankung der Existenzberechtigung der Trinkerasvle auf nur 10 Jabre, also nur 
bis 1889, und die bisherige Unmfiglicbkeit einer Zwangsfiberweisung mfissten unter alien 
Umstanden abgeandert werden, wenn ein wesentlicher Nutzen des Gesetzes von 1879 erhofit 
werden sollte. Unter Anderem tbeilte fibrigens der Prasident der Akademie, Dr. Grimshaw, 
mit, dass er bei einer seiner Inspectionsreisen in einem Gefangniss eine Frau getroffen habe, 
die zum 250. Male wegen Trunkenheit gerichtlich verurtbeilt worden war', und die sich 
wahrend der Haft und der so erzwungenen Abstinenz stets fleissig und arbeitsfahig zeigte 
und daher fiberhaupt nicht mehr entlassen zu werden wfinschte. Sommer. 


Am 14. und 15. Juni wird in Baden-Baden die IX. Wanderversammlung der sfidwest- 
deutschen Neurologen und Irrenarzte stattfinden. Anmeldungen von Yortragen sind an die 
Geschaftsffihrer Prof. Erb in Heidelberg und Dr. Franz Fischer in Pforzheim zu richten. 


Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen ffir die Redaction sind zu richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Ybit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgeb & Wittio iti Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Dritter 


Herausgegeben yon 

Dr. E. Mendel, 

Priratdoeent an der Unlrenitit Berlin. 


Jahrg&ng. 


Monatlich erscheinen zwei Nnmmern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Bucbhandlungen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbnchhandlnng. 


1884. 15. Mai. m 10. 


In bait I. Originalmittheilungen. 1. Ueber die Bedentnng der Intervertebralganglien, 
experimentell-histologische Untersnchnng von Bechterew n. Rosenbach. 2. Einiges liber com¬ 
bi oirte Psjchosen von Siemens. 

II. Referate. Anatomie. 1. Ein Beitrag zur Anatomie nnd Physiologie der Spinal- 
ganglion von Vejas. 2. Sur Texistence de cellules ganglionaires dans les racines posterieures 
des nerfs racbidiens de l’homme par Rattone. — Ex peri men telle Physiologie. 3. Halb- 
seitige Dnrchschneidnng des Riickenmarks von Ferrier. 4. Die Lebre vom Hirndrnck nnd 
die Pathologie der Hirncompression von Adamkiewicz. 5. Ueber paralytischen Blddsinn bei 
Hnnden von Mendel. — Pathologische Anatomie. 6. On the pathological changes of 
the nervons elements of the spinal cord as observed in two cases of acute traumatic myelitis 
by Schmidt. — Pathologie des Nervensystems. 7. Case illustrating cerebral localisation 
by Wlglesworth. 8. Di un caso di afasia pel Bruggia. 9. Ueber Rhckenmarksabscess von* 
Nothnagel. 10. Tabes dorsalis im Kindesalter von Jakubowitsch. 11. Ueber Erb’s „Mittel- 
form der chronischen Poliomyelitis anterior** von Ltfwenfeid. 12. Des paralysies chez les 
chordiques par Oliive. 13. On enteric paraplegia by Bartholow. — Psychiatrie. 14. Sur 
le ddveloppement des hallucinations par de Jong. 15. Des hallucinations bilat£rales de carac- 
t&re different suivant le cdtd affects par Magnan. 16. De l’hallucination par Hallopeau. 
17. La paranoia e le sue forme dei Amadei e Tonnini. — Therapie. 18. Des effets de 
Pergotine dans les troubles congestifs de la paralysie generate par Girma. 19. Clinical Lec¬ 
ture on the treatment of partial Epilepsy by encircling blisters with Transfer of the aura 
by Buzzard. 

III. Aus den Gesellschaften. 

IV. Personation. 

V. Vermischtes. 


I. Originalmittheilungen. 


Ueber die Bedeutung der Intervertebralganglien . 1 

Experimentell-histologische Untersuchung. 

Von Docent Dr. W. Bechterew nnd Dr. med. P. Rosenbach, Ordinatoren der Klinik von 
Prof. Mierzejewsky zn St. Petersburg. 

Die Intervertebralganglien bilden ein Gebiet des Nervensystems, uber dessen 
physiologische Bedentung bisher selir wenige Forschungen vorliegen. Den Aus- 

1 Von den Antoren mit Demonstration mikroskopischer Praparate mitgetheilt in der 
Sitzung der St. Petersburger psyohiatrischen QeseUschaft im Januar 1884. 


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gangspunkt unserer Kenntniss uber dieselbe bildet die Entdeckuug Waller’s , 1 
die auch von andem Forschern, namentlich Schiff, bestatigt wurde, dass nach 
Durchschneidung der hinteren Ruckenmarkswnrzeln (zwischen Ruckenmark und 
Spinalganglien) das centrale, vom Ganglion abgetrennte Stuck derselben degenerirt, 
wahrend das periphere, mit dem Ganglion in Verbindung gelassene Stuck seine 
normale Structur beibehalt; in der motorischen Wurzel hingegen findet nach ihrer 
Durchschneidung centralwarts keine Degeneration statt. Dadurch wurde die 
Bedeutung der Spinalganglien als trophischer Centren fur die sensiblen Fasem 
der Ruckenmarksnerven und hinteren Wurzeln festgestellt. Da es nahe lag, auf 
Grund dieser Thatsache eine Beeinflussung auch der intramedullaren Fortsetzungen 
der sensiblen Wurzeln durch die Spinalganglien vorauszusetzen, untemahmen wir 
es zu untersuchen, ob nicht im Ruckenmark selbst nach Abtrennung der Spinal¬ 
ganglien von demselben sich Yeranderungen constatiren lassen. Die in der 
Literatur uber diesen Gegenstand vorliegenden experimentellen Untersuchungen 
von Buffalini und Rossi 2 und von Singer* konnen nicht als genugend er- 
achtet werden . 4 

Anfanglich wollten wir unsere Aufgabe vermittelst Durchschneidung der 
hinteren Wurzeln nach Eroffhung des Wirbelkanals losen; doch ist es schwer 
die Thiere nach einer solchen Operation lange am Leben zu erhalten, und des- 
halb schlugen wir ein anderes Operationsverfahren ein, das in folgendem bestand: 

Narcotisirten Thieren (Hunden) wurde ein zweischneidiges Messer in den 
Zwischenraum zwischen Kreuzbein und letztem Lendenwirbel (Spatium rhom- 
boidale) eingesenkt, und die Gesammtmasse der Wurzeln, die unter der Lenden- 
anschwellung vom Ruckenmark abgehen und die Cauda equina bilden, durch- 
schnitten. In einigen Fallen fuhrten wir die Durchschneidung hoher aus, zwischen 
letztem und vorletztem Lendenwirbel, urn eine grossere Wurzelanzahl zu treffen. 
Es wurden dabei selbstverstandlich, sowohl hintere als vordere Wurzeln zwischen 
unterem Ende des Ruckenmarks und Spinalganglien durchschnitten; ausserdem 
traf das Messer einige Ganglien und einige Nervenstamme hinter denselben. 

An den Thieren wurden nach der Operation gewohnlich folgende Erschei- 
nungen wahrgenommen: vollstandige Lahmung des Schweifes und deutliche 
Storung der Bewegungen seitens der Hinterextremitaten; vollkommene Anasthesie 
des Schweifes, des Perineums und der hinteren inneren Flachen der Schenkel; 

1 Waller. Miller's Archiv. 1852. S. 392—401. 

* Arch, de physiolog. norm, et patholog. 1876. p. 829. 

8 SitzuDgsber. d. Wiener Akad. 1881. Bd. 84. Abtb. III. 

4 Die Yerandemngen des Ruckenmarks, die nach Ausreissung oder Durchschneidung 
eines Ischiadicns oder nach Amputation einer Extremitat sich einstellen (Hatem, Mayser, 
Erlitzky) konnen hier nicht in Betracht kommen, da es sich in diesen Arbeiten nicht um 
die Frage handelt, in welcher Weise das Ruckenmark durch Ausschaltung der Spinalganglien 
beeinflusst wird. Die erwahnten Untersuchungen sind an neugeborenen Thieren angestellt, 
und ihr gemeinsames Resultat besteht darin, dass an solchen Ausschluss einer Extremitat 
durch Amputation oder Nervenabtrennung eine locale, auf die entsprechende Seite und H5he 
des Ruckenmarks beschrankte Entwickelungshemmung nach sich zieht. Hayrm constatirte 
an Kaninchen nach Ausreissung eines Ischiadicns ausser dem soeben bezeichneten locales 
Befunde aufstcigende Degeneration und Atrophie der Nervenzellen des Rhckenmarks. 


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Lahmung beider Sphincteren. In den Fallen, wo die Wurzeln zwischen den 
zwei letzten Lendenwirbeln durchschnitten waren, stellte sich an den Thieren 
ausserdem eine ausgepragte Bewegungsstorung beider Hinterextremitaten ein, so 
dass der Hintertheil des Korpers beim (Mien von Seite zu Seite schwankte. 
Zngleich ersfcreckte sich die Anasthesie fast auf die ganze hintere innere Flache 
beider Hinterextremitaten. Schon nach kurzer Zeit boten die gelahmten Muskeln 
vollkommene Entartnngsreaction: ihre faradische Erregbarkeit schwand vollstandig, 
die galvanische war verkehrt (AnSZ>KaSZ). 

Alle Thiere begannen nach der Operation ohne sichtbare Ursache abzumagern 
and die meisten gingen nach 10—30 Tagen zu Grunde, trotz genugender Nahrungs- 
aufnahme; einige erholten sich nach einer gewissen Abmagerungsperiode voU- 
kommen und warden nach Verlauf von 2—3 Monaten getodtet 

Die Untersuchung des Ruckenmarks unserer Thiere ergab Folgendes: 

An der Stelle der Durchschneidnng fanden wir in alien Fallen Verwachsung 
der Cauda equina mit den Ruckenmarkshauten. Die hinteren Wurzeln, die von 
der durchschnittenen Stelle centralwarts verlaufen, erschienen schon makroskopisch 
atrophirt Sonst bot sich dem unbewaflheten Auge weder im Wirbelkanal, noch 
in den Ruckenmarkshauten, noch im Ruckenmark selbst etwas Abnormes dar. 
inch das die Ruckenmarkshaute bedeckende Fettgewebe war in genugender 
Menge erhalten. 

Die mikroskopische Untersuchung der centralen Stucke der durchschnittenen 
hinteren Wurzeln (an geharteten Praparaten) ergab das Bild klassischer De¬ 
generation: Die Axency Under waren in vielen Nervenfasern vollstandig ver- 
schwunden, in anderen erschienen sie atrophisch, die Myelinscheiden hatten ein 
anormales gelbUches Aussehen; an vielen Stellen fand sich in ihnen komiger 
Zerfall, und ihre Contouren waren undeutlich, verquollen. Die die Nervenbundel 
durchsetzenden bindegewebigen Balkchen boten mehr weniger bedeutende Ver- 
diekung, die Blutgefasse UeberfuUung mit Blutkorperchen. In den peripberen 
Slacken der durchschnittenen hinteren Wurzeln sowohl, als in den centralen der 
vorderen und in den nicht durchschnittenen Wurzeln der hoherUegenden Gang- 
lien Uess sich nichts Pathologisches erkennen. 

Das Ruckenmark wurde behufe mikroskopischer Untersuchung nach ge¬ 
nugender Erhartung in KaU bichromicum in feine Schnitte zerlegt und letztere 
nach der gewohnUchen CLABKE’schen Methode behandelt. 

Die bestandigsten und ausgepragtesten Yeranderungen betrafen die Nerven- 
zellen der grauen Substanz im untersten Abschnitt des Ruckenmarks mit Ein- 
schluss der Lendenanschwellung. In einigen Fallen, vorzughch in denen, wo 
die Durchschneidnng der Cauda equina zwischen letztem und vorletztem Lenden- 
wirbel ausgefuhrt war, fand sich fast vollkommener Schwund der Nervenzellen, 
sowohl in den Vorder- als Hinterhomern; nur die kleineren ZeUen letzterer 
blieben mehr erhalten. Die graue Substanz wies hier an SteUe der Nerven¬ 
zellen zahlreiche Lucken auf, die stellenweise kornigen Zerfall und Ueberreste 
des ZeUenprotoplasma enthielten. In anderen Fallen schritt die Zerstdrung 
der Nervenzellen nicht bis zu vollkommenem Schwund vor, doch erreichte sie 


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in der Lendenanschwellung und den unteren Ruckenmarksabschnitten immer 
einen hochst intensiven Grad. In alien Rfickenmarken ohne Ausnahme waren 
die grossen Zellen der Vorder- und Hinterhomer, wie auch der CLABKn’achen 
Saulen von Vacuolen (Substanzverlusten) durchsetzfc, ihrer Fortsatze und ihres 
Kerns beraubt; viele Zellen waren ganz zu Grunde gegangen, mit Hinfcerlassung 
fettig-kdrnigen Zerfalls. Nur eine geringe Menge der Zellenelemente blieb ver- 
haltnissmassig besser erhalten, doch aucb sie boten deutliche Zeichen beginnen- 
der, mehr weniger fortgeschrittener Degeneration: die Zahl der Fortsatze war 
verringert, die Configuration der Zelle verandert, der Zellenleib geschrumpft, die 
streifige Structur des Protoplasma verschw unden. 

An einigen wenigen Zellenelementen ging der Destructionsprozess in anderer, 
eigentbfimlicher Weise vor sich: Das Protoplasma derselben erschien gequolkn, 
structurlos und wurde durch Carmin nur sehr blass tingirt, wahrend der Kern 
sich durch seine rothe Farbung deuthch abhob; der Zellenleib nahm eine ge- 
rundete Form an und war gewohnlich seiner Fortsatze beraubt, zuweilen auch 
vacuolisirt. In einem weiter vorgerfickten Stadium dieser Degeneration atrophirte 
und verschwand auch der Kern, das Protoplasma schrumpfte wie durch Schmel- 
zung mehr und mehr zusammen, und zuletzt fand sich an Stelle der Nerven- 
zelle eine structurlose blasse Scholle, deren Bildung augenscheinlich dem voll- 
standigen Schwund der Zelle unmittelbar vorausging. 

Dank der topographischen Anordnung der Zellen im Ruokenmarksdurch- 
schnitt waren die beschriebenen destructiven Vorgange am auffallendsten in den 
Vorderhornern ausgepragt, wo bald die eine oder die andere der wohlbekannten | 
Zellengruppen zum vollkommenen Schwund gebracht war, und die pathologische | 
Yeranderung der charakteristischen multipolaren Zellen schon bei oberflachlicher 
Betrachtung frappirte. Doch aufmerksamere Untersuchung der Praparate lehrte, 
dass der namliche pathologische Prozess auch die anderen Zellen der Vorder- und 
Hinterhomer befiel, ohne dass eine bestimmte Zellengruppe von demselben ver- 
schont bliebe. 

In alien Rfickenmarken erreichte die Affection der Zellen, wie schon er- 
wahnt, ihre grosste Intensitat in den unteren Abschnitten und der Lenden¬ 
anschwellung. Hierbei liessen sich in den Fallen, wo die Thiere sich von der 
Operation erholten, in den fiber der Lendenanschwellung gelegenen Theilen an 
den Zellen keine deutlichen Yeranderungen mehr erkennen; doch an den Thieren, 
die nach langerer oder kfirzerer Zeit in Folge der Operation zu Grunde gingen, 
war der pathologische Prozess auch auf hdhere Rfickenmarksabschnitte ausge- 
breitet Im Dorsaltheil war die Degeneration bedeutend weniger ausgepragt und 
nahm in der Richtung nach oben ab; in einigen Fallen erreichte sie noch im 
Halsmark eine sehr hohe Intensitat, doch weiter aufwarts wurde sie bedeutend 
schwacher und in den Kemen der Medulla oblongata stiess man nur hin und 
wieder auf vacuolisirte oder atrophische Zellen, wahrend die meisten derselben 
keine pathologische Yeranderung aufwiesen. 

In den unteren Abschnitten des Ruckenmarks erschien auch die Grund- 
substanz der grauen Homer verandert: sie war verquollen, trfibe, so dass es 


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schwer oder unmoglich wurde, ihre einzelnen Faserchen zu entwirren. Die Ge- 
fasse der grauen Substanz erschienen hier zuweilen uberfullt, und in einigen 
Fallen fanden wir in der Nahe derselben geringe Anhaufungen plastischen (col- 
loiden) Exsndats. An den Gefasswanden waren keine Veranderungen nachweisbar. 

Die gelatindse Substanz der HinterhSmer und des Gentralkanals liess nichts 
Abnormes erkennen. 

Was die Veranderungen der weissen Substanz anbetrifft, so waren dieselben 
in unseren Versucben hauptsachlich auf die unteren Abschnitte des Euckenmarks 
beschrankt. 

Es fand sich hier Degeneration vieler Fasern der intramedullaren Fort- 
setzungen der hinteren Wurzeln: die Axencylinder hatten ihre gradlinigen Con- 
touren verloren, die Myelinscheiden ebenfalls, und die Myelinsubstanz selbst 
erschien verandert, gequollen, zuweilen komig zerfallen. Auch die aufsteigenden 
Bundel der hinteren Wurzelfasem, die vor der Substantia gelatinosa Rolandi 
ziehen, waren hier deutlich degenerirt. In einigen Ruckenmarken, wo die De¬ 
struction der NervenzeUen einen ausserst intensiven Grad erreicht hatte, fand 
sich auch Degeneration der intramedullaren Fortsetzungen der vorderen Wurzeln. 

Die Veranderung der weissen Ruckenmarksstrange bestand in unseren Ver- 
suchen in Folgendem: Unter der Lendenanschwellung, also in der nachsten 
Nachbarschaft der durchtrennten Wurzeln fanden wir das Bild frischer De¬ 
generation der Nervenfasern im ganzen Durchschnitt der Hinterstrange. Weiter 
aufwarts, in der Lendenanschwellung und den unteren Abschnitten des Dorsal- 
marks beschrankte sich die Degeneration nur auf die Gbu/schen Strange und 
zwar auf die innerste, der Mittellinie anliegende Partie derselben; in der Form 
eines dunnen, allmahlich sich veijungenden Streifens setzte sie sich auch noch 
bis zum Halsmark fort. An Querschnitten druckte sich diese Degeneration 
deutlich durch Schwund der Axencylinder und Verquollensein und komigen 
Zerfall der Myelinscheiden aus. 

Es ist ubrigens zu bemerken, dass die GoLL’schen Strange nicht in alien 
yon uns untersuchten Ruckenmarken afficirt waren; in einigen Fallen, wo die 
Thiere nur kurze Zeit nach der Operation am Leben geblieben waren, fehlte die 
Degeneration der GoLL’schen Strange ganz oder war sehr schwach angedeutet, 
wahrend die graue Substanz in hochst ausgepragter Weise afficirt war. 

In den anderen Ruckenmarksstrangen beobachteten wir keine systematische 
D^eneration. Doch fand sich zuweilen in der unteren Halfte des Euckenmarks, 
besonders in den Fallen, wo die Zellendegeneration der grauen Substanz sich 
hoch aufwarts erstreckte, Entartung einzelner Fasern in der Kleinhirnseitenstrang- 
bahn, wie auch in den BunDAOH’schen Strangen in der Nahe der hinteren 
Commissur. In den boheren Ruckenmarksdurchschnitten boten solche Befunde 
noch geringere Bestandigkeit Die Pyramidenbahnen blieben in alien Fallen 
von jeglicher Affection verschont; in den Seitenstrangsresten hingegen waren 
einzelne degenerirte Fasern zerstreut, vorzuglich in den unteren Partien des 
Ruckenmarks. 

Aus vorstehender Beschreibung ist ersichtlich, dass in der grauen Substanz 


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des Ruckenmarks der operirten Thiere mit Bestandigkeit ein Degenerationsprozess 
sich einstellt, der die Nervenzellen der Vorder- und Hinterhorner ergreift Sogar 
in der unmittelbaren Nachbarschaft der durchsehnittenen Wurzeln war in 
unseren Yersnchen nichts zu bemerken, was auf eine traumatische Einwirkung 
konnte schliessen lassen, und es ist offenbar, dass die pathologische Veranderung 
der grauen Substanz des Ruckenmarks in unseren Versuchen nur als EfiFect der 
Abtrennung der Spinalganglien, die mit den durchsehnittenen hinteren Wurzeln 
in Verbindung standen, aufzufassen ist Da wir nach dieser Operation mit Bestan¬ 
digkeit Degeneration, Atrophie und Zerfall der Nervenzellen fanden, ohne jegliche 
entzundlichen Vorgange, so mdssen wir diese Veranderung als das Resultat einer 
trophischen Ernahrungsstorung betrachten, die sich nach Abtrennung der Gang- 
lien langs der durchsehnittenen hinteren Wurzeln centralwarts auf das Rucken- 
mark fortsetzt 1 

Hieraus folgt, dass die Intervertebralganglien nicht nur den sensiblen Fasern 
und Wurzeln der Ruckenmarksnerven, sondern auch den Ganglienelementen des 
Ruckenmarks selbst als trophische Centren dienen. 

Es ist hier noch ein Umstand zu berucksichtigen: Wir haben gesehen, 
dass an den Thieren, die in Folge der Operation zu Grunde gingen, die tro¬ 
phische Stoning der Ruckenmarkszellen sich nicht auf das den abgetrennten 
Ganglien zunachst gelegene Gebiet des Ruckenmarks beschrankt, sondern sich 
langs der ganzen Saule der grauen Substanz aufwarts fortpflanzt Obgleich 
die Ganglien unzweifelhaft vermittelst aufsteigender Bundel der hinteren Wor- 
zeln mit weit hoher gelegenen Abschnitten des Ruckenmarks in Verbindung 
stehen, als das makroskopische Verhalten der Eintrittsstellen der hinteren Wur¬ 
zeln in dasselbe konnte glauben lassen, so ist doch in diesen Fallen die auf- 
steigende Verbreitung der Zellendegeneration nicht als directer Einflnss der 
Ganglienabtrennung aufzufassen, sondern als ein per contiguitatem fortschreiten- 
der Prozess zu erklaren. Es ist hier die ausgiebige und vielseitige Verbindung 
der Nervenzellen untereinander vermittelst ihrer Fortsatze und des Nervennetzes 
der grauen Substanz zu berucksichtigen, wie auch die in der Pathologie des 
Menschen sich geltend machende Neigung der RuckenmarksafFectionen zu auf¬ 
steigender Verbreitung. 

Da die Degeneration der GoLL’schen und anderer weisser Strange des 
Ruckenmarks in unseren Versuchen keine bestandige Erscheinung war, und in 
den Fallen, wo die Thiere fruh zu Grunde gingen und die Veranderungen der 
grauen Substanz keine hohe Intensitat erreichten, fast vollstandig fehlten, so 
stehen wir nicht an, dieselbe zum grossten Theil als eine consecutive Affection 

1 Obgleich bei unserem Operationsverfehren gleichzeitig mit den hinteren Wurzeln auch 
die vorderen in der Cauda equina durchschnitten warden, so kann doch letzterem Umstand 
bczQglich der im Ruckenmark vorgefundenen Veranderungen keine Bedeutung beigemessen 
warden, da die motorische Wurzel nach ihrer Durchtrennung centralwarts keine Degeneration 
aufweist. Die bei der bistologischen Beschreibung unsercr Befunde erwahnte zuweilen an- 
zutreflfende Degeneration der intramedullaren Fortsetzangen der vorderen Wurzelfasem muss 
als eine Folgeerscheinung betrachtet werden, bedingt durch die Destruction der Nervenzellen 
der Vorderhbraer. 


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anzusprechen, die nicht unmittelbar durch Abtrennung der Spinalganglien be- 
dingt wird, sondem als Folge der Destruction der Nervenzellen entsteht, welche 
aller Wahrscheinlichkeit nach den Fasern dieser Bud del als Ursprungsort dienen. 


Einiges iiber combinirte Psychosen. 

Von Director Dr. F. Siemens in Ueckermflnde. 

Die Debatten fiber unitare oder dualistische Natur der Dementia paralytica 
haben mich in lebhaftester Weise erinnert an die Nothwendigkeit einer erneuten 
Besprechung der Lehre von den combinirten Psychosen. Dieser Gegenstand war 
bisher noch nicht genfigend durchgearbeitet und klar dargestellt, obwohl das 
Stadium der Mischformen in letzter Zeit von mancher Seite gefordert worden 
ist Dass es solche Mischformen giebt, erkennen Alle an, aber ein klares System 
bineinzubringen, hat bisher noch nicht gelingen wollen. Seit meinem ersten 
Artikel (Arch. f. Psych. X. H. 1) hat die Sache nicht aufgehort, mich zu be- 
schaftigen, und ich erlaube mir jetzt die nachstehenden kurzen Ausffihrungen, 
iudem ich mir die eingehende Motiviruug der Einzelheiten, ifir welche eine zahl - 
reiche Casuistik vorliegt, noch vorbehalte. 

Zunachst einige Yorbemerknngen. Langst ist es den Klinikem bekannt 
und oftere ist es ausgesprocben, dass wir in den Erankheitsbildern Manie, 
Melancholie, Verrficktheit (Paranoia) eto. nur mehr oder weniger bestimmt ab- 
gegrenzte Symptomencomplexe haben, dass wir aber dadurch der eigentlichen 
Grundkrankheit um Nichts naher gekommen sind. Wir wissen fiber diese 
Symptomencomplexe ja auch nur, dass sie aus dieser oder jener Ursache — 
oder auch ohne nachweisbare Ursache — bei einem Individuum entstehen, dass 
sie den oder den Verlauf und den oder jenen Ausgkng haben und dass, falls 
ein solches Individuum stirbt, im Gehim mit unsern jetzigen Hfilfsmitteln Nichts 
gefunden wird, was man als anatomisches Substrat des speciellen psychopathischen 
Zustandes ansprechen konnte. Es ist das dieselbe Sache wie bei gewissen Formen 
der Epilepsie. Auch der epileptische Anfall ist ja an und fur sich keine Krank- 

beitseinheit, sondem er kann als Accidens in Folge irgend einer _ bekannten 

oder unbekannten — Ursache bei irgeDd Jemand (Krankem oder bisher Ge- 
snndem) auftreton. Der Anfall kann solitar bleiben, es konnen auch mehrere 
auftreten, es kann langere Zeit die Neigung zu Krampfanfallen, die sog. Epilepsie, 
bestehen, sie kann wieder heilen, man findet unter Umstanden bei der Section 
im Gehim Nichts. Diese Symptomencomplexe konnen eben lediglich als func- 
tionelle Erkrankungen der Gehimrinde langere oder kfirzere Zeit andauem, und 
wenn man lhre Ursache nicht kennt, oder wenn man,* anders gesagt, von keinem 
andem Leiden, welches gleichzeitig das Gehim beherrscht, etwas weiss, so bleibt 
uns eben nichts fibrig, als diese Neurosen an und fur sich Manie, Melancholie, 
Paranoia, Epilepsie etc. zu nennen und sie einstweilen als selbststandige Krank- 
heitsformen zu betrachten. 

Fassen wir beispielsweise einen solchen an Manie massigen Grades leidenden 
Kranken in’s Ange. Keinerlei Symptome eiues schwereren organischen KSrper- 


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oder Gehimleidens ist zu finden; was der junge Mann Krankhaftes zeigt, ist: 
die Beschleunignng des Vorstellungs-Ablaufs, das gehobene Selbstgefahl, der 
gesteigerte Trieb nacli motorischer Aeusserung. In massigsten Graden bietet 
sogar dieser Symptomencomplex nur eine Steigerung psychischer Leistungsfabig- 
keit dar, welche z. B. aus einem mittelmassigen Arbeiter einen solchen mit 
Leistungen ersten Ranges macht. — Das Umgekehrte findet bei der Melancholie 
statt: hier ist der Ablauf der Yorstellungen verlangsamt, gehemmt, das Selbst- 
gefQhl herabgesetzt, das Bedurfniss nach motorischer Aeusserung verringert, er- 
loschen, oder doch in einseitiger Weise modificirt. Aechte Hallucinationen fehlen 
bei Beiden. Die Paranoia charakterisirt sich bekanntlich durch das primare 
Auftreten dominirender Wahnideen mit oder ohne Hallucinationen und so fort 

Diese rein functionellen Neurosen des psychischen Organs (der Gehirnrinde) 
beim Menschen konnen, wie bekannt, gleichsam experimentell hervorgerufen 
werden, z. B. durch den Alcohol. Es ist sehr lehrreich, bei einem prolongirten 
Gelage zu sehen, wie von den Versammelten der Eine maniakalisch, der Andere 
melancholisch wird und der Dritte Verfolgungswahnideen bekommt Wieder 
Andere werden primar dement, bei Manchen entstehen Augenmuskellahmungen, 
Ataxie, Sprachstorungen, ja das complete Bild der Dementia paralytica kann sich 
entwickeln. Dass durch den Alcohol auch epileptische Anfalle ausgelost werden 
konnen, ist ebenfalls bekannt. — Am andem Tage ist Alles verschwunden, der 
Alcohol ist verraucht, die Gehirnrinde hat sich von dem Insult erholt. — 

Dieselben Formen, welche dort quasi experimentell hervorgebracht werden, 
kennen wir auch sonst in der Psychiatrie als Grundformen: Manie, Melancholie, 
Paranoia, die primare einfache Dementia, endlich die Dementia paralytica. Um 
fiber die Letzteren noch einige Worte zu sagen, so zeichnet sich der einfache 
primare Blodsinn aus durch Abnahme der Intelligenz ohne primare krankhafte 
Gemfithsstorung und ohne Wahnideen, bei dem paralytischen Blodsinn besteht 
gleichfalls Ausfall der Yorstellungen, Abnahme der psychischen Leistungsfahig- 
keit, des Gedachtnisses etc., es kommen jedoch als charakteristische Merkmale 
hinzu die bekannten Lahmungssymptome. Krankhafte Gemfithsstfirungen fehlen 
in den reinen Fallen durchaus, desgleichen Wahnideen. Diese ganz reinen Falle 
der Dementia paralytica kommen nicht immer in die Irrenanstalten: es sind die 
harmlosen, stets zufriedenen, leicht gerfihrten, leichtglaubigen, gedachtnissschwachen 
Kranken, welche in Sprache und Bewegungen immer unbeholfener, schliesslich 
hinfallig und gelahmt werden und im Marasmus oder in einem paralytischen 
Anfall zu Grunde gehen. 1 Dieser selbststandige und eigenartige reine Symptomen- 
complex der Dementia paralytica kann von selbst (oder durch diese und jene 
Schadlichkeit) entstehen. Er kann auch, gewissermaassen experimentell, durch 
Intoxication hervorgerufen werden. Den Alcohol habe ich oben bereits envahnt. 
Dass auch durch Bromkali in fortgesetzten hoheren Dosen ein Krankheitszustand 
herbeigefuhrt werden kann, welcher mit einer ausgebildeten Dementia paralytica 


1 Ein derartiger Fall lag z. B. bei dem jungst verstorbenen Lasker vor. 


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zum Verwechseln ahnlich ist, isfc ebenfalls bekannt; 1 Blei und audere Gifte ge- 
horen hierher. Diese Zustande sind heilbar, und zwar konnen sie ohne Intelligenz- 
defect heilen; auch bei der nicht toxischen, gewohnlichen Dementia paralytica 
sind einige wenige Heilungen beobachtet. Daraus folgt, dass die paralytische 
Dementia eine eigene Krankheitsform ist, deren Wesen eben nur fortschreitende 
geistige Schwache mit Lahmung ist. In sofern haben also Baillarger und 
Andere Recht Weiter folgt, dass dieser Symptomencomplex nicht von vorn 
herein mit einer organischen Destruction der Gehimrinde einherzugehen braucht: 
die (gewiss vorhandenen) pathologischen Zustande der Elemente der Rinde konnen 
wieder vollig verschwinden. Sie gehen aber, falls keine Heilung eintritt, 
verhaltnissmassig rasch in wirkliche organische Destruction der 
Rinde uber. — Auch bei reiner Melancholie und Manie tritt bekanntlich, 
wenn der Prozess (den wir nicht kennen) nicht heilt, schliesslich ein Zustand 
geistiger Schwache ein, aber das dauert viele Jahre und nie finden sich dabei 
paralytische Nebensymptome. 

Bei der paralytischen Demenz findet man post mortem die bekannten Ver- 
anderungen: eine Frage fur sich bleibt die Yerschiedenheit der Ausdehnung des 
Prozesses, sowie der Umstand, auf welchen Arndt in der voijahrigen Sitzung 
des Irrenarzte-Vereins aufmerksam machte (welche Yerf. bestatigen kann), dass 
bei paralytischen Weibern zuweilen jeder erkennbare grobere Befund post mortem 
vermisst wird. 

Das klinische Bild der Dementia paralytica ist nun aber selten so einfach: 
dies kommt daher, dass auf dem durch den paralytischen Prozess ge- 
schwachtem und praparirtem Boden sich jede andere Form der 
functionellen Psychose mit Vorliebe entwickelt. Melancholie, Manie, 
Paranoia (simplex und hallucinatoria) gesellen sich der Dementia paralytica 
hinzu, oft in wechselnder Weise, oft unter einander combinirt. So entstehen 
die bekannten Bilder, durch welche sich — als rother Faden — Demenz und 
Paralyse hindurchziehen. Auch epileptische Anfalle stellen sich ein — wie sich 
die Epilepsie ja gern zu organischer Himstorung hinzugesellt. 

Und damit sind wir in mediis rebus: hier liegt der Kernpunkt der Frage 
nach den combinirten Psychosen. 

Melancholie, Manie und Verriicktheit sind Symptomencomplexe, welche 
A- als selbststandige functionelle Neurosen des Centralorgans entstehen und fur 
sich weiter bestehen konnen, welche 

B. im Verlaufe eines anderen, uns bekannten Krankheitsvorganges im Gehirn, 
also auf pathologisch verandertem, praparirtem Boden sich entwickeln und 
diesem Leiden sich zugesellen konnen. 

Von den reinen Formen (A) konnen nur Melancholie und Manie in ein¬ 
ander ubergehen (mit einander wechseln), beide gehen jedoch niemals in Para¬ 
noia uber, ebenso wenig wie umgekehrt. Heilt die Melancholie oder Manie 

1 Ueber einen sehr pragnanten Fall der Art habe ich im Jahre 1878 im Marburger 
AerztL Verein vorgetragen (Ref. in Berl. klin. Woch. 1879, Nr. 46). Auch in Folge von Ergo- 
tismua epidemicos habe ich solche Zustande beobachtet. 


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nicht, so tritt allmahlich geistige Schwache ein, unter Fortbestehen der irank- 
haften Gemuthserregung. 

Gesellen sich aber (B) diese fnnctionellen Psychosen einer be- 
stehenden organischen Gehirnstorung zu, oder entstehen sie auf 
dem Boden einer auf irgend welcher sonstigen Edrperkrankheit 
beruhenden krankhaften Disposition des Gehirns, so bleibt die Form 
der Psychosen selten rein, es stellen sich vielmehr sehr haufig Com- 
binationen and abnorme Uebergange heraus. 

Es ist nicht sohwer, dies im Einzelnen zu beweisen and mit zahlreichen 
Beobachtnngen zu belegen. Ich beschranke mich jedoch an dieser Stelle auf 
die folgenden kurzen Ausfuhrungen. 

Von den organischen Storungen des Gehirns erwahne ich 

L die Entwickelungsstorungen des nerrosen Centralorgans. Diese Stoning 
kann bekanntlich eintreten im Fotalleben, in der Eindheit und in der Zeit der 
Pubertatsentwickelung. DasGehirn wachst ja (entwickelt sich) bis zum 21.Lebens- 
jahre. Weitaus am interessantesten sind die in der Zeit der Pubertatsentwicke¬ 
lung auftretenden Seelenstorungen. Sie sind selten rein, meist sind es Misch- 
formen (Combinationen), oft findet ein proteusartiger Weohsel statt, epileptische 
Anfalle kommen dazwischen vor und so fort. Als rother Fadeu ziehen sich hier 
die partiellen Defecte, die psychische Entartung, die fortschreitende allgemeine 
geistige Schwache durch alle Phasen des Verlaufes. Dieses Grundsymptom 
sichert — neben der anamnestischen Erhebung des Beginnes der Erankheit — 
die Diagnose. 

n. Von den organischen Storungen des normal und voll entwickelten Ge¬ 
hirns nenne ich als Beispiel das Trauma des Gehirns. Die traumatischen Psy¬ 
chosen sind oft wahre Muster von Combinationen. — Combinirte Psycho6en 
finden sich weiter bei Gehimembolien, Blutungen, Parasiten, Tumoren, Sklerosen, 
Abscessen etc. 

III. Eorperkrankheiten, welche das Gehira afiiciren und den Boden fur 
einfache und combinirte Psychosen ebnen, sind die meisten acuten und chronischen 
Infectionskrankheiten, die Herzkrankheiten, die Nierenkrankheiten etc.; auch die 
Intoxicationen des Gehirns zeigen oft Combinationen und abnorme Uebergange 
zwischen den auftretenden Psychosen. 

IV. Eine weitere, sehr wichtige Gruppe der die Combination der Symptomen- 
complexe begunstigenden Gehimaffectionen ist die Gruppe der sog. schweren 
Neurosen: Epilepsie, Hysterie etc. Auf dem Boden dieser Erankheiten wachsen 
bekanntlich die mannigfachsten Formen der Seelenstorung, sie konnen rein sein, 
oft sind sie oombinirt 

V. Gewisse, das psychische Organ stark afficirende Eorperzustande der 
Frauen geben Anlass zum Auftreten combinirter Psychosen: Menstruation, Gra- 
viditat, Puerperium, besonders aber das Elimacterium. Die um die letztgenannte 
kritische Zeit auftretenden Seelenstdrungen sind sehr haufig combinirter Art und 
gerade hier findet man so oft Falle, in denen zur Melancholic Sinnee- 


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tauschungen und darauf bezugliche Wahnideen treten oder in denen Melan¬ 
cholia in Paranoia ubergeht. 

VL Endlich erwahne ich noch die gestorte Involution des Gehims, die 
senile Seelenstorung, als eine solche, bei welcher oft Mischformen beobachtet 
werden, um dann — zur Dementia paralytica zuruckzukehren, von der meine 
Ausfuhrungen ausgingen. Man bat sie als Senectus praecox aufgefasst, neuer- 
dings will man sie vorwiegend auf Syphilis zuruckfuhren 1 , sie hat auch noch 
sonstige Ursachen, das jedoch kommt hier erst in zweiter Linie in Betracht. 

Die im Vorstehenden angedeuteten Verhaltnisse haben nicht nur theoretischen 
Werth, sondem sie sind fur die Diagnose und Prognose der Psychosen von der 
grossten Bedeutung. Denn finden wir in einem anamnestisch oder 
sonstwie dunkeln Falle eine combinirte Psychose oder einen ab- 
normen Uebergang, so muss sich uns sogleich der Verdacht auf- 
drangen, dass irgend einer der — oben angedeuteten — patho- 
logischen Grundzustande im Gehirn vorwaltet. 


II. Refer at e. 


Anatomie. 

1) Bin Beitrag zur Anatomie und Physiologie der Spinalganglien. Inaug.- 
Dissertation von Pericles Vejas. MQnchen 1883. 

Die experimenteU-anatomischen Untersuchungen des Yerf. erstrecken sich beson- 
ders auf die Frage der Unipolaritat oder Bipolaritat der ganglio-spinalen Zellen. 
V. erklart dieselben ftir unipolar, weil a) nach ganzlichem Mangel der centralen 
Fasem die von den Ganglien ausgehenden Fasem an Zahl weit zuriicktreten, b) nach 
ZerstOrung der centralen Fasem kein wahraehmbarer Unterschied in den Zellen zu 
finden ist. — Auf die Annahme der Unipolaritat der Ganglienzelle gesttitzt bekampft 
V. die Waller’sche Ansicht, wonach (im Gegensatz zu der Axmann’schen) die 
Spinalganglienzellen eine trophische Einwirkung nicht auf die peripheren Gebilde 
(Haut etc.), sondem auf die sensiblen Nervenfasern selbst, sowohl cenral- 
wie peripheriewarts, vermitteln. Gegen diese Annahme ffihrt V. auch noch Folgendes 
an: Das Erhaltenbleiben des aus den Spinalganglien austretenden Stammes selbst zu 
einer Zeit, wo die entsprechenden motorischen, mit dem angeblich im Bfickeumark 
gelegenen Nahrcentrum in Yerbindung stehenden Fasem schon zu Grunde gegangen 
sind; feraer das Zugmndegehen der Ganglien nach Durchschneidung des peripheren 
Stammes; auch die pathologischen Beobachtungen bei Tabes-Fallen, in welchen die 
Degeneration bis dicht an das Ganglion herantrat. Etwas Positives an Stelle der 
bekampften Waller’scben Lehre zu setzen, ist Y. nicht im Stande, sondem meint 
schliesslich nur, dass „von den Spinalganglienzellen unabhangige Fasem ent- 
springen, die mit einer bisher unbekannten Function betraut sind." 

_ A. Eulenburg. 


1 In der hiesigen Anstalt befanden sich im vergangenen Jahre 7 paralytische Frauen: 
5 waren sicher syphilitisch gewesen, die anderen beiden hochst wahrscheinlich. Ein anderer 
seltener Fall meiner Beobachtung (Paralyse bei einer Dame der h&heren Stande) beruhte 
gleicbfalls sicber auf Syphilis. 


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228 


2) Sur Fexifltenoe de cellules ganglionaires dans les racines posterieures 
des nerfs rachidiens de l’homme par le docteur George Kattone, 
Turin. (Internationale Monatsscbr. f. Anatomie u. Histologie, berausgegeben 
von Krause in Gottingen. Bd. I. H. 1.) 

Nachdem zuerst Hyrtl an Cervicalnerven, neuerdings Giacomini und Davida 
an Lumbamerven in seltenen Fallen die Spinalganglien doppelt und selbst dreifach 
vorbanden gefunden batten; nacbdem femer scbon von alteren Forscbem und in 
neuerer Zeit von Freud das Yorkommen von Ganglienzellen an den hinteren Spinal- 
nervenwurzeln bei Fiscben constatirt war, gelang es B. festzustellen, dass beim Menscben 
ausnabmslos an alien binteren Wurzeln der Spinalnerven isolirte Ganglienzellen vor¬ 
banden sind. B. fand sie an den einzelnen Wurzeln in wecbselnder Zabl und zwar 
die wenigsten an den Dorsalnerven (3—12), zablreicher an den Cervicalnerven (3—34), 
am meisten an den Lumbal- resp. Sacralnerven (6—65 resp. 26—81). Die Gang¬ 
lienzellen sind so an der Wurzel vertheilt, dass sie zablreicber und dicbter nacb dem 
Spinalganglion bin liegen, als nacb dem Buckenmark hin. Sie sind 8—300 ju gross, 
also z. Tb. colossal und baben einen Kern — selten zwei — mit KernkOrpercben. 
Sie zeigen einen oder zwei Fortsatze, in sebr seltenen Fallen aucb drei, und zwar 
liegen in der Begel die unipolaren Zellen an der Peripberie, die bi- und multipolaren 
im Innern der Wurzelb&ndel. Die Zellenfortsatze scbliessen sicb entweder den Wurzel- 
fasern an, oder sie dienen zur Verbindung von Zelle zu Zelle. 

Jede Zelle liegt eingescblossen in einer bindegewebigen Kapsel, die mit einer 
moistens einfacben Lage von Endotbelzellen ausgekleidet ist; das Endotbel bedeckt 
aucb nocb eine Strecke weit die Zellenfortsatze. 

Niemals fand B. beim Menscben an einer vorderen Wurzel Ganglienzellen, und 
er kommt deshalb auf die alte Frage zurfick, ob denn wirklich das Vorkommen bi- 
polarer Ganglienzellen in Verbindung mit Nervenfasern als anatomiscbes Merkmal fib- 
die sensible Natur dieser Fasern (B. Wagner) aufgefasst werden konne. B. neigt 
zu dieser Auffassung, will aber erst nocb weitere Untersucbungen abwarten, daScbafer 
in London kiirzlicb bei der Katze Ganglienzellen an den vorderen Bflckenmarkswurzeln 
gefunden baben will. * Hadlicb. 


Experimentelle Physiologie. 

3) Halbseitige Durchschneidung des Biickenmarks von David Ferrier. 

(Brain. 1884. April.) 

Zur genaueren Aufklarung der sensibeln Leitungsbahnen im Btickenmark unter- 
nahra F. einen diesbezuglicben Versuch an einem Affen, dem er die linke Halfte des 
Biickenmarks in der H6he des 7. und 8. Nerven durcbscbnitt. Die genaue Beobacb- 
tung des Operationstbieres ergab complete motoriscbe Paralyse auf der verletzten 
Seite mit Erbaltung der Sensibilitat und vollkommene Anastbesie und Analgesic auf 
der entgegengesetzten Seite mit Erbaltung der Motilitat daselbst. Es ergiebt sicb 
auf diese Weise eine Uebereinstimmung mit den Untersucbungen von Ludwig und 
Woroscbiloff, wabrend sicb die Versucbe von Scbiff als irrtbdmlicb herausstellen. 
Beim Vergleicb dieser Versucbsresultate F.’s mit den Erfabrungen am Menscben er- 
geben sicb manche Uebereinstimmungen, aber aucb mancbe Differenzen, namentlich 
zeigt sicb, dass die Anscbauung Brown-Sdquard’s, wonacb der Muskelsinn auf der 
verletzten Seite zerstOrt sei, iniMmlicb ist, dass vielmebr nacb balbseitiger Durch- 
scbneidung des Biickenmarks der Muskelsinn auf der Seite der Verletzung erhalten, 
auf der anderen unverletzten Seite dagegen in gleicber Weise, wie die dbrige Sensi¬ 
bilitat zerstOrt sei. B. Baginsky. 


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4) Die Lehr© vom Hirndruck und die Fathologie der Hirncompression 

von Prof. Dr. Albert Adamkiewicz in Krakau. (Sitzungsberichte der kais. 

Akademie der Wissenscbaften. 1883. October.) 

Gegenfiber der, wie es scbien, sicher begrfindeten Lehre, dass der sogenannie 
Hirndruck bei der Incompressibilitat der Gehirnsubstanz in Folge einer Spannungs- 
zunahme des Liquor cerebrospinalis entstebt, versucht A. in dem ersten Theile seiner 
Arbeit auf Grund von Versuchen den Nachweis zu erbringen, dass die bisberigen 
Anscbauungen dem wabren Sachverbalt nicbt entsprecben. Die Quelle der Cerebro¬ 
spinalflfissigkeit ist der capillare Blutdruck des Centralnervensystems und derselbe 
beherrscbt zugleich die Spannung dieser Flfissigkeit. Da nun die Cerebrospinal- 
flti88igkeit den fiber den Piagefassen vorhandenen und von der Dura eingescblossenen 
Raum a us ffillt, so wird die Menge der Flfissigkeit von der Grosse des Raumes ab- 
hangen, den die Dura umscbliesst und eine Beengung des Aracbnoidalraumes wird 
die Transudation beschranken, eine Erweiterung desselben sie beffirdem. Unter diesen 
Verbaltnissen kann bei einer scbnellen oder plotzlicben Beschrankung der Druck in 
der Cerebrospinalflfissigkeit wohl vorfibergebend zunebmen, fflr die Dauer ist dies 
jedoch nicbt moglich. Es ergiebt sicb bieraus, dass Strfime der Cerebrospinalflfissig¬ 
keit von der Scbadelhfible nacb dem Ruckgratskanal und umgekehrt nicht existiren 
konnen und dass, da die Flfissigkeitsmenge eine variable ist, eine Beengung des 
Arachnoidealraums nie eine vergrOsserte Spannung des Liquor bervorbringen kann. 
Da nun aucb die Erscbeinungen, die man bisber als Hirndrucksymptome gedeutet bat, 
nach A/s Yersucben als Wirkungen von Hirnreizungen sicb darstellen, so erfibrigt 
nicbts weiter, als die Lebre vom Hirndruck „durch erbObte Spannung des Liquor 
cerebrospinalis" fallen zu lassen. Da nun aber die MOglicbkeit einer intracraniellen 
Raumbeschrankung pbysiologiscb wie kliniscb nachweisbar vorbanden ist, diese Raum¬ 
beschrankung weder durcb Dislocation des Blutes nocb der Cerebrospinalflfissigkeit 
ermOglicht wird, so kann sie nur auf Kosten der Nervensubstanz selbst erfolgen und 
in der That bebauptet A., dass die Gehirnsubstanz compressibel ist. Es wird nun 
in dem zweiten Tbeile seiner Arbeit der Einfluss der Compression auf die Anatomie, 
Histologie und die Functionen des Gebirns des Weiteren auseinandergesetzt. Durcb 
langsam wacbsende Herde kann die Hirnsubstanz eine grosse Compression erfabren, 
welche bis zu einer gewissen Grenze nur anatomiscbe Veranderungen (Hyperamie, 
Hypertrophie, die von A. sogenannte Condensationsbypertrophie) erzeugt. Wird indess 
die Compression darflber binaus gesteigert, so fangen dann aucb die Functionen des 
Gebirns zu leiden an. Es zeigen sicb Stfirungen in den Organen des vegetativen 
Lebens, im Gebiete der Sinnesorgane und scbliesslicb im Gebiete der motoriscben 
Spbare, Storungen, welcbe, so lange es sicb nur urn einfacbe Compression bandelt, 
mit Aufhebung des Druckes wieder verscbwinden konnen. B. B agin sky. 


5) Ueber paralytisohen Blddsinn bei Hunden von Dr. E. Mendel. (Aus den 
Sitzungsberichten der Kgl. Preuss. Akad. der Wissenscb. XX. 17. April 1884.) 

Die Untersuchungen fiber die progressive Paralyse der Irren fubrten Verf. zu 
dem Scbluss, dass zur Hervorbringung der Krankheit zweierlei notbwendig sei: ein- 
mal eine gewisse krankbafte Veranderung der Gefasswande, die den Durchtritt der 
weissen BlutkOrpercben, wie des Blutplasma erleicbtert, zweitens eine active Hyper- 
amie in den Gefassen der Hirnrinde, welcbe jenen Durchtritt in die Hirnsubstanz 
veranlasst. Die in grfisserer Menge ausgetretenen Blutbestandtbeile bilden sodann 
den Ausgangspunkt fflr die weiteren in der Hirnrinde sich vollziehenden Verande¬ 
rungen: Wucherung der Gliazellen, Bindegewebneubildung, scbliesslicb Atropbie der 
nervfisen Elements. 

Wenn diese Auffassung eine richtige war, scbien kein Grund vorzuliegen, warum 


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man nicht auch bei Tbieren nach Herstellung jener Bedingungen progressive Paralyse 
mit jenen patbologisch-anatomiscben Veranderungen in der Hirnrinde sollte erzeugen 
konnen. Ja, es liess sicb annehmen, dass auch obne vorbergegangene Erkrankung 
der Gefasswande dasselbe Resultat erzielt werden wtirde, wenn nur eine starkere 
treibende Kraft fftr die Hyperamie angewandt wurde, um den grosseren Widerstand 
normaler Gefasswande aufzuwiegen. 

Diese Erwagungen bildeten den Ausgangspunkt von Versuchen, die in dem 
physiologischen Laboratorium der Kgl. Thierarzneischule an Hunden angestellt wurden. 
Zur Hervorrufung der activen Hyperamie wurde die Centrifugalkraft benutzt, in ahn- 
licher Weise, wie dies Salathd (Traveaux du Laboratoire de M. Marey, Annee 
1877, p. 251) zu anderem Zweck gethan bat. 

Hunde, die auf einer Tischplatte so befestigt waren, dass ihr Kopf an der 
Peripherie des Tisches sich befand, gingen, wenn die Tischplatte in genugend schnelle 
und lange genug fortgesetzte Rotation versetzt wurde, wahrend der Drehung zu 
Grunde (in 25—30 Minuten bei 120—130 Umdrehungen in der Minute). Die Sec¬ 
tion zeigte hochgradige Hyperamie der Schadelknochen, der Himhaute und der grauen 
Hirnrinde, Blutleere und Oedem der weissen Substanz. Ausserdem fanden sich in 
den Hauten, wie in der Hirnrinde zahlreiche punktf5rmige Blutungen, die besonders 
in der Gegend des Sulcus cruciatus ausgepragt waren. 

Wenn man aber die Hunde bei geringerer Geschwindigkeit (100—llOmal in 
der Minute) nur wenige (4—6) Minuten drehte, so sah man bei Aufhdren des 
Drehens nur die oft beobachteten und beschriebenen Schwindelerscheinungen. Wieder- 
holte man diese Drehungen taglich, und zwar 3—4mal mit kurzen Pausen, dann 
sah man gegen den 12.—14. Tag zuerst Verlust des Muskelgefuhls einer hinteren 
Extremitat, dem bald dann derselbe Zustand in der anderen folgte. Waren diese 
Erscheinungen deutlich ausgepragt, so wurden die Drehungen nicht mehr wiederholt 
und die Thiere bei guter Fattening sich selbst ftberlassen. Im Laufe der nachsten 
Wochen stellten sich nun ein: Zunahme der Erscheinungen an den hinteren Extremi- 
taten, erschwertes Gehen (Hahnentritt, Lahmsein), schliesslich vollstandige Unfahigkeit 
sich zu bewegen, Facialisparesen, Paresen der Rumpfmusculatur, der Nackenmusculatur, 
Veranderungen des Bellens, erschwertes Urinlassen. Gleichzeitig nahm die meist 
schon in der zweiten Woche deutliche Apathie stetig zu und wurde allmahlich zum 
theilnahmlosen Blodsinn. Das Korpergewicht pflegte dabei sehr rasch zu sinken, 
wahrend der Appetit ungestfirt erschien. Der Tod erfolgte unter den Erscheinungen 
allgemeiner Lahmung. 

Vergleicht man das geschilderte Krankheitsbild, das bei Hunden sonst nicht 
beobachtet wird, mit den beim Menschen vorkommenden Krankheiten, so kann nur 
die progressive Paralyse der Irren in Frage kommen, mit der es sowohl in Bezug 
auf den progredienten Verlauf, wie in Bezug auf die Yerbindung des Blodsinns mit 
den allgemein verbreiteten paralytischen Symptomen dbereinstimmt. 

Diese Uebereinstimmung wird aber ausserdem gestutzt durch die Sections- 
resultate. 

Dieselben ergaben bisher regelmassig: Verwachsung des Schadels mit der Dura, 
dieser mit der Pia und der Hirnrinde im Bereiche des Sulcus cruciatus, Tr&bung der 
Pia, besonders langs der Gefassfurchen, Eingesunkensein der den Sulcus cruciatus 
umgebenden Windungen, wie des Lobus anterior, Hydrocephalus internus. Mikro- 
skopisch zeigten sich partielle Yerwachsungen der Hirnrinde mit der Pia, Kemver- 
mehrung, Wucherung der Gliazellen mit Neubildung von Gefassen, stellenweise Ver¬ 
anderungen der Ganglienzellen. Die hochgradigsten Veranderungen fanden sich in 
den den Sulcus cruciatus und die Fissura Sylvii umgebenden Windungen, in ahnlicher 
Weise wie beim Menschen und entsprechend der Localisation der Symptome. Die 
ftbrigen Organe, auch das Ruckenmark, boten nichts wesentlich Abnormes. 

Dass in der That die active Hyperamie die wesentliche Bedingung ftir die 


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Erzeugung der Krankheit ist, geht daraus hervor, dass ganz in dorselben Weise an- 
gestellte Experiment©, bei denen aber der Kopf des Hundes in der Mitte der Tisch- 
platte fixirt war, wodurch Hirnanamie beim Drehen hervorgerufen wnrde, ohne jedes 
Resultat blieben. 


PathologischeAnatomie. 

6) On the pathological changes of the nervous elements of the spinal 
cord as observed in two cases of acute traumatic myelitis by H. 
D. Schmidt. (The Journ. of nerv. and ment. disease. 1884. Vol. XI. p. 53.) 

Verf. untersnchte 2 Falle von traumatischer Rfickenmarkscompression; der eine 
kam 6 Tage nach dem Falle, 11 St. post mort. zur Section; Hartung in Mfiller’- 
scher Flfissigkeit und Alcohol; Die Untersuchung der Abschnitte ober- und unter- 
halb der Compressionsstelle ergab; Die feineren und feinsten Gefasse des Rficken- 
marks sind mit BlutkOrperchen geffillt, die Zellen ihrer Wand ungen zeigen Yermehrung 
des Protoplasmas mit nachfolgender massenhafter Verfettnng; an ihrer Aussenflache 
stellenweise fein granulirtes Exsudat und capillftre Hamorrhagien; bezfiglich der 
Ganglienzellen nimmt S. wegen ihrer intensiven Farbung mit Carmin an, dass sie 
parenchymatos entzundet waren; einzelne, welche eine vorwiegende Einwirkung der 
Picrinsaure zeigten, sollfen den Beginn einer Degeneration zeigen. Die weissen Nerven- 
fasem zeigten die bekannten Anschwellungen; die geschwollenen AxencyUnder waren 
meist gut mit Carmin gefarbt, die ungefarbten zeigten fettigo Entartung. 

In dem 2. Falle, der noch vor Ablauf von 24 St. verstarb, beschrankten sich 
die Veranderungen vorwiegend auf die Yaricositaten der Nervenfasem. 

A. Pick. 


Pathologic des Nervensystems. 

7) Case illustrating cerebral localisation by Joseph Wiglesworth. (Brain. 

1884. Jan. p. 506—508.) 

Bei einer 71jahr. Hospitalitin ergab die Gehirnobduction wesentlich Erweicliung 
der hinteren zwei Drittel des rechten Gyrus fornicatus und der unteren Halfte des 
rechten Paracentrallappens, femer eine Cyste in der Mitte des Schlafelappens, welche 
das mittlere Drittel der „oberen“ Schlafenwindung einschloss. Bei Lebzeiten hatte 
linksseitige Hemiparese von gewOhnlichera Charakter (der Arm starker betheiligt) und 
niemals amnestische Aphasie, unverstandUcher Jargon bei sehr bedeutender Demenz 
bestanden. E. Remak. 


8) Di un caso di afesia; contribuzione ’ alio studio della patologia del 
linguagio, per il dott. R. Bruggia. (Arch. ital. par le malat. nervos. 1884. 
XXI. p. 92.) 

Der sehr ausffihrBchen Arbeit Uegt ein sehr interessanter Fall von Sprach- 
stdrung zu Grunde, der hier indess nur eine kurze Wiedergabe gestattet. Ein 35jahr. 
Feuerwerker wnrde in Folge einer Explosion durch die Spitze einer Holzstange so 
getroffen, dass eine rundUche Depression, tief genug, um eben eine Fingerspitze hinein 
zu legen, in der linken Schlafe etwa 2—3 cm fiber der ausseren Ohr6ffhung entstand. 
Nach einer Bewnsstlosigkeit von nur wenigen Minuten Dauer konnte er sich auf- 
richten, doch zeigte sich sofort eine Unfahigkeit, verstandUch zu sprechen. Spfiter, 
auf dem Weg nach Haus begriffen, sank er noch einmal bewusstlos zusammen und 
blieb nun in einem an Intenait&t etwas schwankenden Zustande von Sopor 14 Tage 


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hindurch. Dann trat allmahliche Aufklarung ein und ebenso schwanden gewisse 
paralytische Symptome, die sich auf der recbten Korperhalfte angedeutet hatten. 
Nach 2 Monaten war ausser der nocb zu erwahnenden SprachstOrung nur eine ganz 
unbedeutende Parese der rechtsseitigen mimischen Gesichtsmusculatur bei volliger 
Freiheit aller Zungen- und Lippenbewegungen, sowie eine geringe Abstumpfung der 
Sensibilitat auf der recbten und des Geh5rs auf der linken Seite vorhanden. Die 
SprachstCrung war als eine atactiscbe zu bezeicbnen. Pat. yerstand Alles, was man 
ibm sagte, docb konnte er sicb selbst nicbt verstandlich macben; die ersten Silben 
eines Satzes konnte er nocb ziemlicb geordnet aussprecben, dann aber traten andere 
Buchstaben an die Stelle der intendirten, die in immer wachsender Unordnung durcb- 
einander geworfen wurden, bis der Pat. endlicb den Yersucb aufgab, den betreffenden 
Satz zu yollenden. Wabrend die einfacben Yocale im Allgemeinen ricbtig ausgesprocben 
wurden, macbten scbon Diphthonge bedeutende Schwierigkeiten und einzelne Conso- 
nanten konnten fiberhaupt nicbt wiedergegeben werden. Dabei war es bemerkens- 
werth, dass Pat. im Zorn — er war sehr reizbar, wenn er sicb nicbt gleicb ver- 
standen sab — einzelne Scbimpfworte ganz fliessend ausstossen konnte, die er im 
nicbt aufgeregten Zustande nur theilweise zu articuliren vermocbte. Melodien konnte 
er feblerfrei reproduciren; seine Wfinsche aufzuscbreiben war er ebensowenig im Stande, 
wie sie auszusprecben, dagegen konnte er Schriftstficke obne Anstoss copiren. Die 
Diagnose wurde auf eine durcb die Enocbenimpression bedingte kleine Yerletzung 
des Fusses der 3. Stirnwindung und der ersten Temporalwindung gestellt; der Sopor 
und die ubrigen Symptome wurden auf eine im Anschluss an die Yerletzung all- 
mablich entstandene Blutung mit Compression des Hirns bezogen, die spater wieder 
resorbirt worden ist. Ob die beabsichtigte Trepanation nacbtraglicb ausgefQhrt ist, 
ist nicbt zu erseben. Sommer. 


9) Ueber Rfickenmarksabscess yon Prof. H. Nothnagel. (Wiener med. Blatter. 

1884. Nr. 10.) 

In der Sitzung der k. k. Gesellschaft der Aerzte vom 22. Febr. 1884 berichtete 
N. fiber einen bei einem an Broncbiectasie erkrankten Manne auf der Wiener 
Klinik beobacbteten Rfickenmarksabscess, dessen Diagnose scbon intra vitam 
moglicb war. Die Section bestatigte die Annahme einer solcben Affection. 

Binnen weniger Tage waren bei dem Kranken von Seiten des Rfickenmarks 
folgende Erscbeinungen zu Tage getreten: Heftig scbneidender Gfirtelscbmerz, Blasen- 
lahmung, Parasthesien und Scbwere in den unteren Extremit&ten — scbliesslicb vfillige 
Paraplegic derselben. Letztere, sowie das Erloscbensein der Sehnen- und Hautreflexe, 
die complete Anastbesie der unteren Extremitaten, welcbe bis zur oberen Baucbbalfte 
hinaufreichte, Alles dies gab bei Mangel jeglicber abnormen Gebirnerscbeinung N. 
Yeranlassung, anzunebmen, dass es sicb urn eine Myelitis acutissima handle in der 
Hohe des 5., 6. und 7. Brustwirbels, in welche Gegend Pat. seinen Gfirtelscbmerz 
vorzfiglicb localisirte. 

Die weitergebende Diagnose lautete auf: „eitrige Zerstfirung der Rfickenmarks- 
substanz". 

Scbon nacb Ablauf einiger Tage wurde der Kranke comatfis und starb. Prof. 
K und rat fand bei der Section eine Meningitis cerebralis, ffir welcbe wabrend des 
Lebens bis auf geringen Kopfscbmerz und eine nicbt sehr deutliche Pupillendifferenz 
kein Symptom gesprocben hatte, femer einige Hirnabscesse, welcbe sicb im Centrum 
semiovale etablirt und Ausfallserscbeinungen nicbt bervorgerufen batten. Im Rficken- 
mark fand sicb eine Meningitis suppurativa spinalis und scbliesslicb der eigentliche 
Rfickenmarksabscess, den N. folgendermaassen scbildert: 

„Als das Rfickenmark berausgenommen wurde, zeigte es sicb, dass die unteren 
Partien des Brustmarkes sowie das Lendenmark rosenkranzffirmig geschwellt waren 


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mit einzelnen Auftreibungen und Einschnurungen versehen. Sobald man aaf letztere 
einschnitt, entleerte sich graugrtiner, stinkender Eiter; die Eiterong erstreckte sich 
nach oben bis zur Halsanschwellung. In den oberen Abscbnitten betraf die Suppu¬ 
ration ansschliesslicb die centralen Partien; das weisse Marklager sab feucbt, etwas 
injicirt a us, war aber in seiner Structur nocb vorbanden. Aucb unten umgab die 
weisse Substanz wie ein dfinner Mantel die EiterhQhle." 

N. erOrtert zum Scbluss die Frage, worin die eigenthbmlicbe Beziebung zwiscben 
putrider Lungenerkrankung und eitriger Entzdndung der nervQsen Centralorgane und 
ibrer Hftllen liege. Es bandelt sicb nach N.’s Meinung um eine Verschleppung 
particularer Elemente auf dem Wege der Pulmonalvenen und des linken Herzens: 
wabrend es aber sonst bei derartigen Embolien zu Infarcten in der Milz und Niere 
komme, scbeint das Gift, welches bei putriden Lungenprozessen vorbanden sei, eine 
specifische Affinitat zum Centralnervensystem zu besitzen. Denn abgerecbnet von der 
geschilderten seltenen Abscessirung in der Med. spinalis bat N. zur Beobacbtung von 
Hirnabscessen bei Broncbiectatiscben scbon mebrmals Gelegenheit gebabt. 

Der Versucb, durcb Injection des putriden Sputums bei Kaninchen diese Affinitat 
experimentell naclizuweisen, ist N. nicbt gelungen. Laquer. 


10 ) Tabes dorsalis im Kindesalter von Jakubowitscb. (Arch. f. Kinderheilk. 

Bd. Y. H. 5/6.) 

lOjahriger Knabe litt im Winter 1881 an Pachymeningitis, welche eine voile 
„centrale“ Taubbeit binterliess. Im Juli 1882 erscbienen neuralgiscbe Scbmerzen in 
der Stirn, dem Hinterbaupte, zwiscben den Schultem und in den Kniegelenken. 
Gleicbzeitig entwickelte sich eine scbnell progrediente Scbwache in den Beinen und 
eine Yeranderung des Ganges, der vollkommen atactiscb wurde. 

Gr68se des Pat. 120 cm, Schadelumfang 51 cm; vorderer Querdiameter 12, bin- 
terer 11, grader 17. — Gesicbts-, Geruchs- und Gescbmackssinn intact; dagegen 
wurden Dysphasie, Dyslexie und paraphasische Erscbeinungen beobacbtet. — Auf der 
Haut tritt zuweilen Erythema nodosum auf. — Muskelkraft der Oberoxtremitaten 
bedeutend vermindert; untere Extremitaten wenig atropbiscb. Gang atactiscb und 
ohne Unterstiitzung weder mit offenen, nocb mit gescblossenen Augen mCglicb. 

Die Untersuchung des Tastgeffibls mit dem Weber’scben Zirkel ergiebt tiberall 
eine bemerkliche Erweiterung der Weber’scben Kreise. 

Gfirtelgeffibl und abnorme Empfindungen unter den Fusssohlen werden nicbt 
beobacbtet. 

Kniephanomen recbts in geringem Grade erhalten; links nicbt hervorzurufen. — 
Muskelempfindlichkeit gestort. — Elektromuscularsensibilitat vermindert. 

.Darmfunction trage. — Urin entbalt Niederschlage aus Hamsaure und oxal- 
saurem Ealk. 

Die Therapie (Argent, nitric., Kali bromat., Nux vomica, Elektricitat) blieb 
erfolglos. M. Cohn, Hamburg. 


11) Ueber Erb’s „Mittelform der chronisohen Poliomyelitis anterior** von 

Lbwenfeld. (Deutsche med. Wocbenschr. 1884. Nr. 4 u. 5.) 

L. beschreibt 2 Falle, die er der von Erb aufgestellten Mittelform der cbroniscben 
Poliomyelitis ant. zuweist, obne sie, bei dem bisherigen Mangel einer anatomiscben 
Diagnose wegen der relativ gfinstigen Prognose dieses Symptomencomplexes, von den 
ahnlicben Krankbeitsbildem der multiplen Neuritis und der Polymyositis differentiell- 
diagnostiscb streng scheiden zu k5nnen. 

I. Bei einem kraftigen Manne tritt unmittelbar nacb einem anstrengenden Ritt 


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eine langsam zur Parese sich steigemde Schw&che im rechten Bein auf, zu welcher 
sich allmiihlich auch Atrophie der Musculatur gesellt, wahrend das Kniephanomen 
schwindet; spater entwickelt sich im linken Bein, unter anfanglicher Steigerung, dann 
Abschwachung des Kniephan omens ein maasigerer Schwiichezustand des linken Beins 
mit nebenhergehender Atrophie, keine wesentliche Storung des Allgemeinbefindens; 
galvanische und faradische Erregbarkeit der Nerven erhalten, in den Muskeln z. Th. 
deutliche partielle EAR, z. Th. nur geringe Erregbarkeitsveranderungen. 8ensibilitat 
intact, keine Druckempfindlichkeit der Nervenstamme und Muskeln, keine Beschr&n- 
kung der motorischen und trophischen Stfirungen auf das Gebiet bestimmter Nerven; 
vorfibergehende Blasenscliwache. Ausgang in wesentliche Besserung. Erwahnt sei 
noch die undulirende Contractionsform, spater die tragen Zuckungen der paretischen 
Muskeln auf faradische Reizung (faradische EAR). 

II. Es handelt sich hier um die Producte zweier durch einen Zeitraum von 
15 Jahren getrennter Krankheitsprozesse. Die erste Erkrankung trat — in Folge 
Erkaltung — plbtzlich ein mit schnell zunehmenden Lahmungserscheinungen an 
Ober- und Unterextremitaten, denen Atrophie folgte und die mit Druckempfindlich¬ 
keit der Musculatur verbundeu waren. Dieses Leiden — ob es Poliomyelitis anti 
Oder multiple Neuritis war, lasst Verf. unentschieden — liess Residuen atrophischer 
Lahmung an den Oberextremitaten dauernd zurfick. Die zweite Affection schloss sich 
an eine Ueberanstrengung an und bestand in allmahlich zunehmender, trotz des langen 
Bestandes aber nicht bis zur Paralyse sich steigemder, motorischer Schwache und 
nachfolgender Atrophie besonders der Lenden- und Gesassmusculatur mit partieller 
EAR, bei intacter Sensibilitat, Mangel fibrillarer Zuckungen und erhohter Druck¬ 
empfindlichkeit in den afficirten Muskeln. — Der Symptomencomplex nahert sich 
durch das Hinzutreten anderer Erscheinungen motorischer Schwache — Neigung des 
Kopfes zum Vornfibersinken — der progressiven Muskelatrophie; doch ist bei letzterer 
im Gegensatz zur Mittelform der Poliomyelitis ant. die Schwache parallel der Atro¬ 
phie und von dieser erst abhangig, wahrend sie hier das Primare war. 

Tuczek. 


12 ) Des paralysies chez les chor5iques par G. 01 live. Thdse de Paris 1883. 

(Arch, de Neurol. 1884. Mars.) 

Paralyse bei Chorea kann im Anfang, im Verlauf oder gegen Ende derselben 
erscheinen. Tritt sie im Beginn auf, so kann sie wahrend des ganzen Yerlaufs be- 
stehen bleiben (chorde molle West). Den psychischen St6rungen, den gewohnlichen 
Prodromen der Chorea, sieht man eine Schwache des Muskelsystems folgen, es ent¬ 
wickelt sich dann nach und nach eine schlaffe Lfihmung, die mit leichten choreifonnen 
Bewegungen verbunden ist. Haufiger sind die Lahmungon, die im Verlauf und gegen 
das Ende der Chorea eintreten, hemiplegischer, paraplegischer, oft raonoplegischer 
Natur, vorzugsweise in den Muskeln, die besonders von den Convnlsionen betroffen 
werden. Die Prognose ist gut. 0. empfiehlt Arsenik und Tonica. M. 


13) On enteric paraplegia by Bartholow. (Boston med. and surgical Journal. 

1883. Dec. 13.) 

B. berichtet fiber 3 Falle von hartnackiger Enteritis begleitet von Erscheinungen 
motorischer und sensibler Paraplegic, die nach dem Aufhoren der Darmaffection ver- 
schwanden; er erkl&rt die Paraplegie in diesen Fallen als Reflexlahmung, bedingt 
durch functionelle Storung des Darmes, andere Falle erklart er als bedingt durch 
eine von den Nervenendigungen im Darme aufsteigendeu Neuritis; zur Erklarung der 
ersteren Form nimmt er einen vasomotorischen Mechanismus an; fftr die reflectorische 
Form spricht plotzlicher Beginn und rasche Entwickelung zu voller HOhe, paralleler 


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235 


Gang mit der Grundkrankheit, gfinstiger Ausgang. Zur atiologischen Differencirung 
der beiden Formen zieht er heran die Scbwere der peripberen Affection und Dis¬ 
position zn degenerativen Vorgangen im Nervensystem. (Nacb Tbe Joum. of nerv. 
and meni disease.) A. Pick. 


Psy chiatrie. 

14) Sur le developpement des hallucinations par Dr. A. de Jong, Amsterdam. 

(Bulletin de la Soci&e de Medec. mentale de Belgique. 1883. Fasc. 2.) 

. Yerf. wendet sicb gegen die Tbeorie Strieker’s, der annimmt, dass bei Hallu- 
cinationen der centrale erregende Beiz bis zu den peripberen Enden der Sinnesnerven 
verlauft und eben bierdurcb sebeinbar objective Sinnererregungen zur Folge bat. 

De J. bebauptet, dass dieser Verlauf des Reizes bis in die peripheren Enden 
niebt nOthig sei, denn er babe zwei seit 15 Jahren Blinde gekannt, welcbe Gesichts- 
ballucinationen batten, und deren Optici docb gewiss atropbiscb gewesen seien (ftber- 
zeugt babe er sicb biervon allerdings niebt). 

Yerf. meint, dass man bei den Hallucinationen (und ganz ebenso bei den Illu- 
sionen) centrale Erregungen annebmen mbsse, welcbe bis zu den subcorticalen Centren 
der betreffenden Sinnesorgane verlaufen. Hadlicb. 


15) Des hallucinations bilatdrales de caractdre different suivant le cotd 
affect© par Magnan. (Arch, de Neurol. 1883. No. 18. Vol. VI.) 

M. versuebt in das interessante, aber leider nocb vielfacb dunkle Gebiet der 
Hallucinationen tiefer einzudringen, indem er die durch die bilateral versebiedenen 
Sinnestauscbungen erzeugten Streiflicliter benutzt. Die Beobacbtung orgiebt bekannt- 
licb, dass es einseitige Hallucinationen giebt; in gewissen Fallen kommt es vor, dass 
gleicbzeitige Tauscbungen der Sinne auf beiden Seiten, aber von versebiedenem 
Cbarakter und Inbalt, auftreten. Der Kranke bort z. B. mit dem reebten Ohr An- 
genehmes, auf der linken Seite Schimpfworte. — Von den 4 angefbbrten Beobacb- 
tungen betriffk die erste einen geisteskranken Epileptiker, die 3 anderen Alcoboliker. 
Beim Alcohol konnte man nach M. annebmen, dass, so lange die voile Wirkung des 
Giftes auf das ganze Gebim nocb bestebt, die Hallucinationen beiderseits gleicb sind, 
dass aber beim Abklingen der toxischen Wirkung sich diese localisirt und so ein- 
einseitig veranderte Erscbeinungen bervorbringt. 

Aucb bei der „grande hysterie" bat man bilateral versebiedene Sinnestauschungen, 
sie lassen sicb (nacb Cbarcot) in der Hypnose sogar beliebig provociren. Alles 
dies deutet M. ebenfalls im Sinne der Unabbangigkeit und der Tbeilbarkeit der 
Functionen der Hirnlialften. Sind mit den einseitigen Hallucinationen nocb andere 
lialbseitige Symptome verbunden (Apbasie, Hemiplegie etc.), so stfttzt dies die Hypo- 
these. Sie weist dann mit grosser Bestimmtbeit auf die Gehirnrinde als Sitz der 
Hallucinationen bin. 

(M. bebandelte dieses Tbema auf dem Congress zu Rouen.) Siemens. 


16) De rhaUucin&tion par Hallopeau. (L’Encdpbale. 1884. No. 2. p. 151.) 

Der kurze Artikel soil auf ein unter der Presse befindliches Werk des Yerf. 
(Traits dldment. de patbol. gdn^rale, Paris, Bailli&re) aufmerksam machen. Ueber 
die im Anfang gegebene Definition der Hallucinationen lasst sich streiten. — Sie 
konnen auftreten bei geistig Gesunden, welcbe sie als solcbe erkennen, ibr physio- 
logiscbes Analogon ist der Traum, in der Zeit zwiseben Schlaf und Wachen fallt 


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236 


seine Entstehung. Klinisch unterscheidet H. mit Baillarger psycho-sensorielle and 
psychische Hallacinationen. Letztere sind die „inneren Stimmen", ohne den deutlichen 
Charakter der Sinnesempfindung, welche die an Geh6rshallucinationen leidenden Eranken 
streng von diesen unterscheiden. 

Bei der physiologischen Betrachtung der Hallucinationen werden die bekannten 
verschiedenen Theorien kurz erOrtert. Schliesslich kommt H. wieder auf die Analogic 
mit den Traumen zurfick, sowie auf die ahnlichen Zustande bei toxischen und fieber- 
haften Delirien. Das Bindeglied ist bei alien das nicht ganz aufgehobene, aber dock 
verdunkelte Bewusstsein. (Las&gue mit seiner bekannten Arbeit: „Le d41ire alcoolique 
est un reve“ ist nifcht erwahnt.) Siemens. 


17) La paranoia e le sue forme dei dott. G. Amadei e S. Tonnini. (Arch, 
ital. per le mal. nervos. 1883. XX. p. 409—461 und 1884. XXL 3—92.) 

Diese interessante und sehr ausffihrliche Arbeit ist in diesem Centralblatt be- 
reits in der ersten Nummer des laufenden Jahrganges (S. 18) angekfindigt; durch 
einen Setzfehler ist fibrigens dabei der Name des einen Verfassers, Amadei, aus- 
gefallen und er sei hiermit corrigirt. 

Die Arbeit selbst enthalt zunachst eine klare Darstellung der Ansichten fiber 
das Wesen der sog. Yerrficktheit, wie sie besonders in der deutschen Psychiatrie durch 
Westphal, Schfile, v. Krafft-Ebing und Mendel in neuester Zeit niedergelegt 
sind. Die Yerff. selbst trennen mit grosser Entschiedenlieit die Krankheitsfalle, die 
auf einer angeborenen abnormen Hirnorganisation beruhen („paranoia degenerativa"), 
von denen, die wie die primaren Psyckosen Melancholie und Manie, auf Grund eiuer 
erst spater ausgebrochenen Hirnerkrankung entstanden sind („paranoia psiconeurotica“)* 
In der ersten Gruppe trennen sie je nack der Zeit, die bis zum evidenten Ausbruch 
der Geistesstfirung verlkuft, eine originare und eine tardive Form; in der zweiten 
Gruppe wird natfirlich eine solbststfindige, primare Erkrankung von einer secundaren 
unterschieden, die nur den Folgezustand einer nicht gekeilten primaren Tobsucht Oder 
Melancholie darstellt. Die primare „psyclioneurotische“ Form kommt am haufigsten 
zur Beobachtung; sie entsprickt ziemlich genau dem deutschen Begriffe „primare 
Yerrftcktkeit“. Im Gegensatz zu den Befunden bei der degenerativen Form fehlen 
diesen Patienten gewfihnlich die somatischen Degenerationszeicken; hereditare Belas- 
tung ist nicht haufiger als bei primarer Melancholie Oder Manie nachweisbar und 
dafflr ist meistens eine bestimmte Gelegenheitsursacke ftir den Ausbruch der Er¬ 
krankung zu eruiren. Der Ausgang derselben ist entweder Heilung oder, was Mufiger 
vorkommt, secundarer Schwachsinn, der sckneller und besonders auch intensiver als 
bei der Degenerationsverrttcktheit eintritt. Bei der letzteren sind iibrigens die so¬ 
matischen Kennzeichen der hereditaren Entartung ebenfalls nicht so deutlich, wie bei 
anderen hereditaren Psychopathien. Die Schadelabnormitaten sind beispielsweise 
weniger „massig“ und auffallend; Windungsanomalien sind hingegen recht haufig bei 
der Section zu erwarten. 

Die Haufigkeit der „Verrficktheit u wird sehr verschieden geschatzt; ffir italienische 
Anstalten wird etwa 1 / ]0 der Insassen diesem diagnostischem Begriffe subsumirt werden 
mhssen. Bei Frauen kommt sie entschieden haufiger als bei Mannem zur Beobachtung. 

Das klinische Bild der Paranoia ist natfirlich sehr wechselnd; das Auftreten von 
Hallucinationen und die specifische Farbung der Wahnvorstellungen bedingen die 
weitere Eintheilung, zu der die Verf. gelangt sind. Ffir ihre Auffassung der Krank- 
heitsbilder ist das folgende Schema bezeichnend. Sie unterscheiden also: 

I. Paranoia degenerativa. 

A. Originaria. 

a. simplex mit den Unterarten der P. persecutoria, superba, religiosa 
und erotica. 


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b. hallucinatoria mit den Unterarten P. persecutoria, superba, 
religiosa, erotica und hypochondriacs. 

B. Tardiva. 

a. simplex wieder mit den Unterarten der P. persecutoria, superba, 
religiosa, erotica und mit dem Querulantenwahnsinn. 

b. hallucinatoria mit den obigen Unterarten und mit einer hypo- 
chondrischen Form. 

II. Paranoia psychoneurotica. 

A. Primaria. 

a. acuta (heilbare Formen). 

® il0 P l0X l beide mit den obigen Unterarten. 

b. hallucinatoria J 

(?. chronica (unheilbare Formen) mit derselben Eintheilung in ein- 
fache und hallucinatorische Erkrankungen und mit denselben Unter¬ 
arten des Deliriums; nur zur ballucinatorischen Form tritt noch 
die Unterart P. hypochondrica hinzu. 

B. Secundaria. 

a. post melancholics. 

b. post maniatica. 

Nach diesem Schema lassen sich die klinischen Bilder annahernd construiren; 
die Einzelheiten mdssen nathrlich im Original nachgelesen werden. 

9 interessante Krankengeschichten schliessen sich der lesenswerthen Arbeit an. 

Sommer. 


Therapie. 

18) Des effete de l’ergotine dans les troubles congeetift de la paralysie 
gdndrale par Girma. (L’Encdphale. 1884. No. 2. p. 160.) 

Gegen die Congestion bei der progressiven Paralyse wird das methodisch an- 
gewendete Ergotin wieder gerfQimt. Es soil die Circulation verlangsamen, den Puls 
reguliren und ihm seine YOlle und Harte nehmen. Ausserdem soli es direct das 
erweiterte Capillarnetz zur Contraction anregen, insbesondere im Gehirn und Rttcken- 
mark. G.’s Falle von Paralyse, bei welchen das Ergotin (in Dosen von 0,5 bis 6,0 
pro die) langere Zeit angewendet wurde, zeigten angeblich alle diese giinstigen Wir- 
kungen; geheilt wurde zwar nur einer, und von dem ist es wahrscheinlich, dass es 
eine alcoholische Pseudoparalyse war. Die andern aber zeigten nach G. ein deut- 
liches Nachlassen der Congestion, eine Begelung der digestiven Functioned insbesondere 
Hebung der Obstipation. Auch die epileptischen und apoplectiformen Anfalle sollen 
ausbleiben. 

Als Nebenerscheinungen wurde beobachtet bei einem Patienten Sensibilitats- 
stdrungen und stossweise Muskelzuckungen, auch eine unhberwindliche Neigung zum 
Kratzen (vielleicht auf Kriebeln zurttckzuffihren?); bei einem andern ein zwingender 
Trieb zum Lachen („active hilariante de l’ergotine“), vielleicht durch komische Ge- 
sichtsbilder gewecki Bei einer paralytischen Frau wurde das Aufhdren der Men¬ 
struation auf die Schuld des Ergotins geschoben, doch kommt dies ja bei Paralyse 
der Frauen sehr haufig vor. 

Die Anwendung des Ergotins m&sste im Anfang der Paralyse geschehen, wenn 
die Sttrungen des Centralorgans noch nicht organisch und stationar, sondem nur erst 
functioneller Art sind. Aber auch in spaterer Periods soil das Ergotin noch bedeu- 
tende sedative Wirkungen haben. 

(Wenn Yerf. meint, dass die Ergotinbehandlung wenig bekannt zu sein scheme, 
da er sie in den Lehrbtlchem nicht finde, so gilt dies fQr die deutsche Literatur 


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nicht. Zum Beispiel in Sell file's Handbuch ist die methodisebe Ergotinbehandlung, 
besonders bei der initialen Congestion, wohl erwahnt, desgleicheu in anderen Ar- 
beiten. Ref.) Siemens. 


19) Clinical Lecture on the treatment of partial Epilepsy by encircling 
blisters with Transfer of the aura by Thomas Buzzard. (Lancet 
1884. I. p. 373.) 

Verf. hat in einem Falle von partieller Epilepsie ringf&rmige Blasenpflaster um 
das Bein, in dem die Aura geffihlt wurde, gelegt, und damit Seltnerwerden der An- 
falle erzielt. (Cf. die Mittheilungen von Hirt in d. Ctrlbl. 1884. Nr. 1. Ref. hat in 
3 Fallen von Jackson’scher Epilepsie diese Methods ohne jeden Erfolg ausgeffihrt) 

M. 


HI. Aus den Gesellschaften. 

Aus dem Congress ffir innere Medicin in Berlin. 

Rosenthal, Erlangen: Ueber Reflexe. Den Ausgangspunkt der Untersuchung 
bildete die 1854 von Helmholtz gefundene Thatsache, dass die Zeit zwischen Rei- 
zung und Auftreten des Reflexes 12—15mal grosser sei, als die Zeit, die zur Fort- 
leitung im peripheren Nerven von gleicher L3nge nOthig sein wfirde. Helmholtz 
hat die Fortpflanzungsgeschwindigkeit auf 27 m in der Secunde berechnet; allein es 
ist durchaus nicht bewiesen, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit eine constants 
ist, vielmehr sprechen manche Thatsachen daffir, dass dieselbe fortwahrend abnimmt, 
in langeren Nerven somit geringer ist. Und selbst nach dieser Correctur weist der 
Reflexvorgang eine auffallende VerzOgerung im Rfickenmark auf, sodass in diesem ein 
grosseres Hinderniss vorhanden sein muss, als in den peripheren Bahnen. 

Es fand sich nun, dass die Zeit vom Moment der Reizung bis zur reflectorischen 
Muskelzuckung wechselt, je nach der Starke und dem Ort der Reizung. Wahrend 
ein Reiz, der einen motorischen Nerven trifft, bei einer gewissen Intensitat, eine 
minimale Zuckung auslOst, die bei wechselndem Reiz ebenfalls an Stfirke zunimmt, 
bringt wechselnde Reizung eines sensiblen Nerven nicht starkere reflectorische Muskel¬ 
zuckung, sondem Abnahme der Reflexzeit hervor; ja, bei ausserordentlicher Zunahme 
des Reizes wird diese Reflexzeit so klein, dass von dem Helmholtz'schen Phanomen 
nichts mehr fibrig bleibt. Da er nun aber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den 
peripheren Bahnen von der Reizstarke unabhangig gefunden hat, so kann die Yer- 
zOgerung nur im Rfickenmark ihren Sitz haben. 

Wird ein Frosch, um dessen willkfirliche Bewegung auszuschalten, nach Ex- 
stirpation seines Grosshims aufgehangt und an der Pfote gereizt, so hebt er das 
Bein, es tritt ein Beugereflex auf; ein strychnin-vergifteter Frosch zeigt so ge¬ 
reizt eine Contractor aller Muskeln und, da die Extensoren fiberwiegen, einen St reek- 
reflex. Bei sehr kleinen Strychnindosen (1 cmgr bis 1 demgr) ist das Strychnin 
zwar nicht im Stande diesen hervorzurufen, immerhin aber tritt dessen Einflnss in 
dem sicheren und prompten Auftreten der Reflexe hervor; und so kann man von den 
kleinsten Dosen ansteigend eruiren, welche Wege zuerst bei dem Uebergang vom 
Reflex einzelner Muskeln bis zu dem der gesammten Musculatur zuerst eingeschlagen 
werden. Schon Pflfiger ist dabei zu dem Resultat gekommen, dass bei langsam 
verstarkter Reizung der rechten Pfote eines strychninisirten Frosches der Reflex 
successive zuerst auf die Beuger des rechten Beines, die Beuger des rechten Vorder- 
arms, die Beuger des linken Vorderarms, die Beuger des linken Beines fibergeht; 
um Streckreflex zu erzielen, sind bei weitem starkere Reize nothwendig. Es existiren 
sonach Unterschiede in der Abstufung der Reflexe, die auf eine anatomische Grund- 
lage auf die engere und nahere Verbindung der sensiblen und motorischen Fasern 
mit den vermittelnden Zellen und Netzen zurfickzuffihren sein dfirfte. 


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Sind die Theile des Biickenmarks gleicLwerthig, so sollte man annehmen, dass 
die Reflexflbertragung ira Buckenmark im Niveau der ieitenden Fasern vor sick gehi 
Zu seinem Erstaunen fand er jedoch, dass ein L&ngsschnitt in der Mittellinie des 
Biickenmarks, der diesen Theil halbirte, auf die Beflexzeit keinen Einfluss hatte, der 
Beflex somit gleich gut auf Umwegen sich ubertragt, dass aber ein Scbnitt im oberen 
Theil den Beflex aufhebt und ein weit starkerer als der eben ausreichende Beiz er- 
forderlich ist, urn ihn hervorzurufen. Die wichtigste Stelle fflr die Ueber- 
tragung der Beflexe liegt somit im oberen Theil des Halsmarks und 
im unteren der Medulla oblongata. Damit conform ist auch die alte Beobach- 
tung, dass die vom Halsmark innervirten Muskeln zuerst in Tetanus gerathen. 

Jetzt erklaren sich auch mit Leichtigkeit die vorher gefundenen Thatsachen. 
Der eben ausreichende Beiz wird erst nach oben und von da weiter geleitet, sodass 
ein von unten gefuhrter Schnitt ohne Einfluss bleibt; ein oben gefflhrter Schnitt den 
Beflex aufhebt, bei starkeren Beizen hingegen findet eine Uebertragung in dem 
schwerer reflectorisch erregbaren unteren Theil des Biickenmarks statt, der somit 
als Uebertragungsort nicht verletzt wird, wenn auch der obere Theil durch den 
Schnitt undurchgangig geworden ist. 

' Legt man im Bflckenmark Querschnitte an, so kann der Beiz bei geniigender 
Starke sich auch in beliebigen Windungen seinen Weg bahnen; je mehr Schnitte 
vorhanden sind, desto starker muss der Beiz sein, um noch Beflexe hervorzurufen. 

Filr die pathologisch auftretenden Beflexe hat sich eine Verwerthung dieser 
Thatsachen noch nicht finden lassen, da dieselben eher mit den allgemeinen Beflexen, 
die bei Strychninvergiftung auftreten, Aehnlichkeit haben. Die normalen Beflexe aber 
gehen unmerkbar in die willkilrlichen Bewegungen fiber; auch diese schlagen gewisse 
Bahnen lieber ein, als andere, so dass auf einen bestimmten Beiz eine bestimmte 
Bewegung ausgeffihrt wird. Am Neugeborenen, dessen Bewegungen, obwohl schon 
studiert, doch noch ein weites und fruchtbares Feld fur dahin gehende Untersuchungen 
darbieten, diirfte ein sensibler Beiz einen Beflex auslGsen, der bei h&ufiger Wieder- 
holung den Charakter der willkilrlichen Bewegung annimmt. Dass ein derartiges 
„Ausschleifen der Reflexbahnen" stattfindet, ergiebt sich auch daraus, dass bei h&u- 
figer Wiederholung schon schwachere Beize denselben Reflex ausl6sen; wie dieses 
Ausschleifen jedoch zu denken ist, lasst sich allerdings nicht erkennen. — Filr die 
Sehnenreflexe geben die von R. gefundenen Thatsachen vielleicht einen Anhaltspunkt, 
wenn man annimmt, die sensible sowohl wie die motorische Bahn liegen im Central- 
organ an nahe benachbarten Stellen. 

Discussion: 

Bemak, Berlin, glaubt ein Analogon filr die Reflexverlangsamung bei Abnahme 
der Reizstarke in der Abnahme der Sensibilitat bei Erkrankungen des Nervensystems 
besonders bei Tabes zu flnden. 

Weber, Halle, erwahnt eines Falles von Epilepsie, wo durch schwachen Druck 
auf eine Narbe am Finger ein allm&hlich auftretender Anfall entstand, der 
jedoch plotzlich und schnell eintrat, wenn die Narbe stark gedrflckt wurde. Auch 
dies beweise, dass bei starkerem Beiz die Beflexzeit geringer sei. 

Goltz, Strassburg, macht gegenftber Rosenthal’s Ausfilhrungen geltend, dass 
die Reflexhemmung dem Einfluss der Ruckenmarksverletzung zuzuschreiben sein diirfte. 
So habe er auch bei Hunden nach einer partiellen Durchschneidung des Biickenmarks 
auch bei starksten Beizen keine Beflexbewegung auslOsen kOnnen, wahrend einige 
Wochen nach Heilung der Wunde die reflectorische Th&tigkeit auch der Blase und 
des Afters wieder hergestellt war. Dass der Reflexvorgang auch Schlangenwindungen 
einschlage, habe er ebenfalls bei Hunden bestatigen k&nnen, ja er habe sogar gefunden, 
dass rein willkilrliche Bewegungen so fortgeleitet warden. Der Hand, dem auf einer 
Seite das Bilckenmark durchschnitten war, lemte nach der Heilung wieder gehen, 


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stehen und laufen, derselbe wiederholte sich bei einer zweiten gleichartigen Verlotzung, 
w&brend beim dritten Male zwar die Lahmung sich zurfickbildete, eine Sensibllitats- 
stflrung fhr immer zurflckblieb. Die Erregung benutzte somit die stehen gebliebenen 
unverletzten Brticken, um zur Peripherie zu gelangen. 

Rosenthal, Erlangen, bemerkt Herrn Remak, dass es sich bei pathologischen 
Veranderungen des Rfkckenmarks nm weit lftngere Zeitr&ume der Yerlangsamung — 
(2—4 Secunden) — handele, wfchrend bei seinen Versuchen Zehntel Secunden in Prage 
kommen. Gegentlber dem Einwande von Goltz entgegnet er, dass er an eine solche 
hemmende Einwirkung der Yerletzung wohl gedacht nnd deshalb erst l&ngere Zeit 
nach der Yerletzung die Yersuche angestellt habe. Dann aber h&tte auch beii star- 
keren Reizen nach der Schnittftthrung eine Yerlangsamung sich einstellen mfissen. 
Endlich hat auch Gad nachgewiesen, dass bei der Einwirkung des Strychnins auf 
das blossgelegte Halsmark eine Steigerung der Reflexe hervorgerufen werde. 

(Fortsetzung folgt.) 


IV. Personalien. 

1) Dr. Stfihlinger, bisher Assistenzarzt an der Anstalt zu Marburg, als 
I. Hfilfsarzt an die psychiatrische Klinik nach Heidelberg. 

2) Dr. Eckelmann, bisher Assistenzarzt in N.-Eberswalde, die durch ersteren 
vacante Assistenzarztstelle in Marburg. 


V. Vermisohtes. 

Sehr geehrter Herr Redacteur! 

Nach den letzten Auslassungen des Herrn Rosenbach in Nr. 8 d. Bl., die 
Vacuolenbildung betreffend, verzichte auch ich gem darauf eine Discussion fortzusetzen, 
die anscheinend zu Nichts ffthren whrde. 

Die Art und Weise, wie Herr Rosenbach im letzten Satze seines Briefes eine 
Behauptung von mir aus dem Zusammenhang gerissen wiedergiebt, lasst flberhaupt 
eine wissenschaftliche, sachliche Discussion unmOglich erscheinen. 

Gegentlber der Unfehlbarkeit des Herm Rosenbach trOstet mich das Bewusst- 
sein mit meiner Auffassungsweise hber die Yacuolenbildung durchaus nicht allein zu 
stehen, dieselbe vielmehr, wie aus erhaltenen Zuschriften hervorgeht, von anerkannt 
maassgebender Seite getheilt zu wissen. 

Hochachtungsvoll 

Ihr sehr ergebener 
Braunschweig, d. 25. April 1884. 

Dr. Richard Schulz, 

Yorstand der medic. Abtheilung des herzogl. Krankenhauses. 


In der Sitzung der Acad4mie des sciences vom 5. Mai erhielten Preise*. 

Den Preis Cnaussier: Legrand du Saulle fikr 4 Werke aus dem Gebiete der 
forensischen Psychiatrie. 

Den Preis Lallemant: Ball (Lemons sur les maladies mental es) und Voisin (Lemons 
cliniques sur les maladies mentales et nerveuses) je zur Halfte. 


Um Einsendung von SeparatabdrUcken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen fftr die Redaction sind zu richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Vrit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wittio in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Dritter 


Herausgegeben yon 

Dr. E. Mendel, 

PrlTatdooent an der Univendtitt Berlin. 


Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- and Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reich s, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1884 . 


1. Juni. 


m li. 


Inhalt I. Originalmittheilungen. Ueber das Verhaltniss der mnltiplen Neuritis zur 
Poliomyelitis von StrOmpell. 

II. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Influence du Ramus lingualis Tri¬ 
gemini sur la formation de la lymphe dans la langue, par Marcacci. 2. La Fisiologia del 
sonno, per il Bordoni-Uffreduzzi. 3. On the Centre of Epileptic Attacks by Balogh. — Pa- 
thologische Anatomie. 4. Case of exophthalmic goitre with mania by Johnttone. — 
Pathologie des Nervensystems. 5. Sur quelques symptomes qui peuvent se montrer 
chez les hlmiplegiques du cot4 oppose a l’h^miptegie par DIgnat. 6. Note sur un cas de 
la protuberance par Hallopeau et Giraudeau. 7. Sur la reaction eiectrique des nerfs sensitifs 
de la peau chez les ataxiques par Mendelssohn. 8 . A case of Charcot’s joint-disease by Raven. 
9. Ueber Thermoneurosen von Scherschewsky. 10. Distribution of Anaesthesia in cases of 
disease of the bronches and of the roots of the brachial plexus by Ross. 11. Cas insolite 
de n^vrose convulsive par du Saulle. 12. Paralysis glosso-labio-pharyngea cerebralis von 
Berger. — Psychiatric. 13. Ueber GeistesstSrungen nach Augenoperationen von Schnabel. 
14. Des vertiges chez les alidn& par Millet. 15. Une fainille de nlvropathes par Chambard. 
16. Crise d’hysterie chez un homme atteint de paralysie gdndrale par Camuset. 17. Frenosi 
alcoolica e frenosi paralitica pel Frlgerfo. — Therapie. 18. Galvanic batteries in medicine 
with description of a nerv selector by Rudlsch and Jakoby. 19. Nachweis einer Nadel von 
Kocher. 20. Ein Fall von Neuralgic etc. von Moos. 21. The opium psychoneurosis; chronic 
meconism or papaverism, by Hughes. 22. Einige Falle von therapeuthischer Anwendung des 
Hypnotismus von Wiebe. 23. Two cases of stretching of facial nerve by Gray. — Foren- 
sische Psychiatric. 24. Simulirte Amnesie von Sommer. 

III. Aus den Gesellschaften. — IV. Bibliographic. — V. Vermischtes. 


I. Originalmittheilungen. 

Ueber das Verhaltniss der mnltiplen Neuritis zur 

Poliomyelitis. 

Von Prof. Dr. Adolf Strttmpell in Leipzig. 

Die vor Kurzem in diesem Blatte erfolgten Veroffentlichungen von Ebb 1 
and Eisenlohe 2 veranlassen mich zu den folgenden Bemerkungen, welche 

1 Bemerkungen fiber gewisse Formen der neurotischen Atrophie. Neurol. Centralblatt. 
1883. Nr. 21. 

* Ueber progressive atrophische Lahmungen, ihre ccntrale oder periphere Natur. Neurol. 
Centralblatt. 1884. Nr. 7 u. 8. 


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vielleicht geeignet sind, zur Klarung der gegenwartig lebhafl gefuhrten Discussion 
uber die Poliomyelitis und die multiple Neuritis beizutragen. 

Dass es primar entstandene atrophische Lahmungen giebt, bei welchen die 
mit den gegenwartigen Hulfsmitteln angestellte anatomische Untersuchung des 
Nervensystems ausschliesslich in den peripheren Nerven Veranderungen nachweist, 
wahrend das Ruckenmark, speciell die grauen Vordersaulen desselben, sich voll¬ 
standig oder fast vollstandig normal verhalten, kann nicht bezweifelt werden. 
Die nachstliegende Deutung dieser anatomiscben Thatsache ist jedenfalls die, 
dass es sich hierbei urn ein durch irgendwelche Erankheitserreger in den peri¬ 
pheren Nerven (vielleicht sogar auch in den Muskeln) selbst entstandenes Leiden 
handelt. Ebb warnt dagegen ausdrucklich vor einer derartigen allzuraschen 
Auffassung und stellt es als moglich, ja sogar als wahrscheinlich hin, dass auch 
in solchen Fallen eine primare „rein functionelle, mikroskopisch nicht erkenn- 
bare Stoning in den Centralorganen gleichwohl in den motorischen Nerven und 
Muskeln mikroskopisch erkennbare histologische Veranderungen herbeifuhre." 
Hiemach waren also die in den Fallen von sogenannter primarer multipler 
Neuritis gefundenen degenerativen Veranderungen der Nerven doch secundarer 
Natur, bedingt, wie jede secundare absteigende Degeneration, von einer bis jetzt 
zwar nicht nachweisbaren, aber doch vorhandenen Storung in den Vorder- 
hornem. 

Zunachst scheint mir in Uebereinstimmung mit Eisenlohb fur eine der- 
artige Hypothese gar kein Bedurfhiss vorzuliegen. Waren die anatomischen 
Befunde bei der multiplen Neuritis ausserhalb aller Analogic oder sogar im 
Gegensatz zu unseren sonstigen pathologischen Erfahrungen, so ware sie gerecht- 
fertigt. Nun kann ich aber a priori keinen principiellen Grand dagegen finden, 
dass nicht auch die peripheren Nerven ebensogut primar erkranken konnen, 
wie die Muskeln, wie manche Fasersysteme des Ruokenmarks, kurz wie jedes 
beliebige andere Gewebe. Mehrere anatomische Befunde bei der Bleilahmung 
weisen ja ebenso, wie die Befunde bei der multiplen Neuritis, direct auf ein 
derartiges Vorkommen hin. Die obige B[ypothese beseitigt also keine Schwierig- 
keiten der Auffassung, welche uberhaupt nicht vorhanden sind, sondem schafit 
selbst erst welche, indem sie zu ihrer Begrundung wiederam neuer Voraus- 
setzungen bedarf, welche der Natur der Sache nach gar keines directen Beweises 
fahig sind. Wurde man die Berechtigung der Hypothese anerkennen, so mffsste 
man z. B. auch jede primare Erkrankung der Pyramidenbahnen anzweifeln, da 
sie ja vielleicht doch nur eine secundare Degeneration im Anschluss an eine 
,functionelle Erkrankung" der motorischen Himrinde sein konnte. 

Die in Rede stehende Ansicht scheint mir aber auch mit den klinischen 
und anatomischen Thatsachen in Widersprach zu stehen. Ein anatomischer 
Einwand liegt darin, dass bei der multiplen Neuritis die vorderen Ruckenmarks- 
wurzeln trotz starkster Degeneration in den peripheren Nerven in fast alien 
Fallen vollstandig normal gefunden sind. Ware die Degeneration der Nerven 
eine secundare, so bliebe dieses Intactsein der vorderen Wurzeln vollstandig un- 
erklart. Ebb muss daher die neue Hulfshypothese aufstellen, dass sich die 


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Verhaltnisse der secundaren Degeneration bei der von ihm angenommenen lang- 
samen functionellen Abschwachung der Ganglienzellen wesentlich anders gestalten, 
als gewohnlich. 1st es aber nach Allem, was wir sonst uber die secundaren 
Degenerationen wissen, wirklioh wahrscheinlich, daes eine irgendwie beschaffene 
Yeranderung der Yorderhomzellen, wie in dem von mir untersuchten Falle, 1 
nach einer Krankheitsdauer von einem Jahr in den peripheren motorischen 
Nerven und in den Muskeln eine sehr intensive, in kleinen Endasten fast totale 
Degeneration hervorrufen konne, wahrend die vorderen Wurzeln noch vollstandig 
normal bleiben? 

Ein zweiter wichtiger Einwand lasst sich dem Yerhalten dee klinisohen 
Erankbeitsbildes entnehmen. In fast alien Fallen von multipler Neuritis bestehen 
gerade vorzugsweise im Anfange der Krankheit Sensibilitatsstdrungen, 
vor Allem lebhafte Schmerzen. Spaterhin ist eine, wenn auoh leichte, so doch 
sichere Anasthesie, sehr hau% beobachtet worden. Beide Symptome, Schmerzen 
und Abschwachung der Sensibilitat, bestanden auch in meinem Falle, an welchen 
speciell Ebb seine Bemerkungen angeknupft hat Wie soil man aber diese Sensi- 
bilitatsstorungen, namentlich die oft so heftigen initialen Schmerzen erklaren, 
wenn die Nervenaffection eine secundare absteigende, sich streng auf die mo- 
torisohen Nervenfasem beschrankende Degeneration ist? Gerade diese Symptome 
weisen am bestimmtesten auf den primaren Sitz der Affection in den Nerven hin. 

Der dritte Einwand, der sich mir aufgedrangt hat, ist ein mehr theoretischer. 
Ich fuhre denselben vorzugsweise im Hinblick auf gewisse allgemein-patho- 
logische Verhaltnisse an, welche bier einmal kurz hervorzuheben vielleicht nicht 
ohne Bedeutung sein durfte. Ebb betont, dass man in den chronischen Fallen 
von multipler Neuritis in den Nerven und Muskeln nur eine einfache degenerative 
Atrophie, welche mit den Veranderungen bei der secundaren Degeneration ana- 
tomisch vollstandig ubereinstimmt, dagegen keine „entzundlichen“ Yeranderungen 
gefunden hat und dass diese Falle daher von den „echten multiplen Neuritiden 
mit deutlich entzundlichen Yeranderungen principiell zu trennen sind.“ Nach 
den fur mich maassgebenden allgemein-pathologischen Anschauungen kann ich 
eine derartige principielle Scheidung von „degenerativen“ und „entzundJichen“ 
Yorgangen nicht unbedingt zugeben. Dieselben Entzundungserreger wirken 
sowohl auf die parenchymatosen Gewebstheile, als auch auf die Gefasswandungen 
ein. Bei den „acuten“ Entzundungen Bind gewohnlich beide Einwirkungen sehr 
intensiv vorhanden und man sieht daher neben der parenchymatdsen Degeneration 
die Hyperamie der Gefasse, die reichliche entzundliche Exsudation, die Aus- 
wanderung zahlreicher weisser Blutzellen etc. Bei der „chronischen Entzundung“ 
d. h. bei der langsamen, allmahlichen Einwirkung der Entzundungserreger tritt 
dagegen fast immer die parenchymatose Atrophie in den Yordergrund dee ana- 
tomischen Prozesses, wahrend die entzundlichen Yeranderungen an den Gefassen 
zurucktreten und oft schwer von den Yorgangen der Regeneration, der secun- 
d&ren Bindegewebsentwickelung etc. zu trennen sind. An keinem Organ kann 
man diese Vorgange so genau studiren, wie an den Nieren, wo man die ganze 

1 Archiv ffir Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Bd. XIV. S. 389. 


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continuirliche Reihe von der acuten hamorrhagischen Nephritis an bis zur 
chronischen genuinen Schmmpfniere im Einzelnen nachweisen kann. 

Dieselbe Reihe von Verlaufsarten begegnet uns auch bei der multiplen 
Neuritis. Schon frfiher (a. a. 0.) habe ich darauf hingewiesen, dass die mul¬ 
tiple Neuritis in alien moglichen Formen auftreten kann, von den acut todt- 
bchen Fallen mit „echt entzfindlichen" Veranderungen der Nerven. an bis zu 
den obronischen Fallen mit einer fast rein degenerativen Atrophie der Nerven- 
fasem. Gerade dieser Zusammenhang der Falle scheint mir aber dafur zu 
sprechen, dass auch bei den chronischen Formen der primare Sitz des Leidens 
in den peripheren Nerven selbst gelegen ist 

Eine thatsachliche Stfitze fur die EBB’sche Yermuthung findet Eisenlohb 
in der von ihm veroffentlichten Beobachtung. Hier ergab die anatomische 
Untersuchung starke degenerative Yeranderungen in den peripheren Nerven und 
Muskeln, die vorderen Wurzeln normal, dagegen in den Yorderhomzellen des 
Hals- und Lendenmarks deutbche leichte pathologische Veranderungen. Eisen¬ 
lohb fasst die letzteren als die primare Erkrankung auf und halt die periphere 
Affection fur „nichts anderes, denn eine secundare trophische Storung.“ Ich er- 
blicke dagegen in dem Befunde Eisenlohb’s eine weitere erwunschte Bestatdgung 
deijenigen Anschauung, welche zuerst von mir am Scblusse meiner Arbeit fiber 
multiple Neuritis und spater noch wiederholt 1 ausgesprochen ist, dass namlich 
eine principielle Scheidung der Yeranderungen im Rfickenmark (Pobomyebtis) 
und in den peripheren Nerven (multiple Neuritis) fiberhaupt gar nicht unter alien 
Umstanden gerechtfertigt ist. Bei der Berficksichtigung des klinischen Verlaufs und 
aller Uebergange des anatomischen Befundes drangt sicb uns immer mehr und mehr 
die Yermuthung auf, dass die in Rede stehenden Affectionen unter einem ein- 
heitlichen atiologischen Gesicbtspunkte aufzufassen sind. Nehmen wir ffir 
die multiple Neuritis eine infectiose Krankheitsursache an, wie dies schon jetzt 
fast allgemein geschieht, so unterliegt die Yermuthung nicht dem geringsten 
principiellen Bedenken, dass dieselben Krankheitserreger gleichzeitig und nehen 
einander sowohl in den peripheren Nerven, als auch im Rfickenmark anatomische 
Yeranderungen hervorrufen konnen und dass andererseits die Erankheit sich 
vorwiegend Oder sogar aussohliesslich bald in dem Rfickenmark, bald in den 
peripheren Nerven localisirt. Eine gewisse Einheitlichkeit der Localisation ist 
doch darin gegeben, dass es sich stets vorherrschend um Abschnitte des mo- 
torischen Systems handelt. Hiemach wfirde sich Poliomyehtis und Neuritis 
wenigstens in vielen Fallen — denn selbstverstandlioh ist ja die Moglichkeit 
verschiedener Krankheitsgifte nicht ausgeschlossen — so zu einander verhalten, 
wie die Rachendiphtherie und der Kehlkopfcroup, welche man in ausschliesslicher 
Berficksichtigung der anatomischen Verhaltnisse fruber auch fur zwei verschiedene 
Krankheiten hielt, wahrend ihre atiologische Identitat jetzt allgemein anerkannt ist 

Ich verkenne keineswegs, dass auch ich der EnB’schen Hypothese vielfadi 
ebenfalls hypothetische Anschauungen gegenfibergestellt habe. Der Yoraug der 

1 Cf. „Ueber die Ursachen der Erkrankangen des Nervensystems." DeutscheB Archir 
fiir kUnische Medicin. Bd. XXXV. H. I. 


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yon mir vertretenen Ansicht scheint mir aber darin zu liegen, dass sie mit 
unseren aUgemein-pathologischen Yorstellungen conform ist, dass sie mit den 
empirischen Thatsachen nicht in Widersprach steht, sondem im Gegentheil das 
Yerstandniss derselben erleichtert nnd zum Theil uberhaupt erst moglich macht, 
dass sie eine einbeitliche Anffassung verscbiedener sonst unyermittelter patho- 
logischer Prozesse gewahrt und hierdnrch an innerer Wahrscheinlichkeit gewinnt 
nnd dass sie endlich der weiteren Forschung einen ganz bestimmten, hoffentlich 
nicht aassichtslosen Weg zeigt 


n. Referate. 


Experimentelle Physiologie. 

1) Influence du Ramus lingualis Trigemini sur la formation de la lymphe 
dans la langue, par Dr. Arturo Marcacci. (Arch, italiennes de Biologie. 
1883. Tom. IV. Fasc. n.) 

In Bestfitigung und weiterer Ausbildung des Experimentes von Ostroumoff 
weist M. in exactor Weise nach, dass nach l&ngere Zeit fortgesetzter elektrischer 
Reizung des Lingualis durch vermehrte Bildung von Lymphe eine erhebliche Ver- 
grfisserung der betreffenden Zungenh&lfte eintritt, welche auch bestehen bleibt, wenn 
man das Versuchsthier durch Yerbluten tfldtet. Hadlich. 


2) La Fisiologia del sonno, per il dott. G. Bordoni-Uffreduzzi. (Rivista di 
Filosofia scientif. 1884. HI. 52 pag.) 

Ausffihrliche Wiedergabe der zahlreichen Theorien fiber die Veranderungen, denen 
der Organismus und besonders das Him wahrend des Schlafes ausgesetzt ist, und 
die Ursache des Schlafes fiberhaupt. Da die Arbeit indess eigentlich selbst nur ein 
Auszug aus der mit anerkennenswerthem Fleisse gesammelten Litteratur fiber jenen 
Gegenstand ist, so ist ein Referat an dieser Stelle nicht erforderlich. 

Sommer. 


3) On the Centre of Epileptic Attacks by Balogh. (Giom. Inter, delle Sci. med. 

1883. Fasc. 8 aus The London Medical Record.) 

Durch Reizung der grauen Rindensubstanz erhielt B. Contractionen einzelner 
Muskelgruppen und auch allgemeine Convulsionen. . Bei Reizung der grauen Sub- 
stanz mit dem inducirten Strom wurde ein Anfall hervorgerufen, der kurze Zeit 
dauerte und dann langsam abnahm, wahrend auf keine Weise allgemeine Convulsionen 
von der weissen Medullarsubstanz ausgelSst werden konnten, ebensowenig von dem 
Corpus striatum, Thalamus opticus, Corpora quadrigemina, Pons Yaroli oder Medulla 
oblongata. Die Ursache der epileptischen Anfalle ist die Schwankung der grauen 
Substanz, welche B. fftr die schweren Attacken verantwortlich macht, wfihrend die 
leichten in Beziehung* stehen zu den Corpora striata. Die Molecfile im Protoplasma 
der Nervenzellen der Hirnwindungen werden in ihrem Gleichgewicht gestCrt und be- 
wirken einerseits Yerlust des Bewusstseins, andererseits entstehen durch grOssere 
Entfaltung freier Kraft die convulsivischen Paroxysmen. Andere epileptische Anf&lle 
nehmen ihren Ursprung von der Peripherie des Nervensystems, und diese rief B. bei 
Kfilbern und Kaninchen experimental! hervor. Rosenheim. 


* 


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246 


Pathologische Anatomie. 

4) Case of exophthalmic goitre with mania by J. C. Johnstone. (Joura. of 
ment. science. 1884. Jan. p. 521.) 

Der Fall ist insofern nicht rein, als im spateren zur Besserung neigenden Ver- 
laufe die Erscheinnngen einer Grosshirnrindenaffection auftraten. Die Section ergab 
rothe Erweichung. Erw&hnenswerth aus der mikroskopischen Untersachnng ist noch, 
dass die oberen Cervicalganglien neben zahlreichen normalen Zellen eine grOssere 
Zahl mehr oder weniger pigmentirt und atrophisch and leichte Vermehrung der 
Glia zeigten. A. Pick. 


Pathologie des Nervensystems. 

6) Bur quelques symptomes qui peuvent se montrer ohez lee hemi- 
pldgiques du cotd opposd 4 l’bAmipldgie par Dignat. (Progr. med. 
1883. No. 39. 40. 41.) 

Yerf. verbreitet sich fiber diejenigen Stdrungen, welche bei einseitigen Hirn- 
lasionen die Hemiplegie zur Folge haben, die „gesunde“ Seite zeigt und liefert 
casuistische Beitrage zu den einzelnen Symptomen. Wahrend an der Oberextremitat 
der gesunden Seite ausser einer fast regelmassigen Abnabme der motorischen Kraft 
Sttfrungen nicht beobachtet werden, 3tellen sich an der Unterextremitat gelegentlich 
alle jene Zustande ein, die primar die gelahmte befielen. Am haufigsten ist auch 
hier Abnahme der motorischen Kraft; femer kommt eine eigenthiimliche Coordinations- 
st6rung vor, die, ohne wesentliche Muskelschw&che, die Erhaltung des Gleichgewichts 
beim Stehen und Gehen erschwert oder unmOglich macht. — Rapides Auftreten eines 
doppelseitigen Decubitus bei Hemiplegischen, Verstarkung des Kniephanomens nicht 
nur auf der gelahmten, sondem auch auf der andern Seite, Auftreten des Fuss- 
phanomens auf der Seite der Himlasion (Westphal), nicht selten sehr bald nach 
dem Insult, Eintritt secund&rer Contractur in beiden Beinen, sind weitere hierher- 
gehOrige Erscheinungen, zu deren Erkl&rung Verf. die Varietaten im Verlauf der 
Pyramidenbahnen heranzieht. T u c z e k. 


6) Note sur un oas de compression de la protuberance par Hallopeau et 
Giraudeau. (Union mM. 1883. No. 175 nach Ctrlbl. f. klin. Med. 1884. Nr. 19.) 

40 Jahr alter Mann mit Paralyse aller 4 Extremitaten, links starker; kurz vor 
dem Tode im Coma spastische Erscheinungen im Orbic. und Front, dext.; zeitweise 
Deviation conjugu£e nach rechts. 

Section: Aneurysma des Trunc. basilaris, das den Pons in seiner Mitte auf der 
rechten Seite comprimirte. 

Richtete man den Kranken im Bette auf, so sank der Kopf nach vom und in 
diesem Augenblick h5rte die bisher dahin gerauschvolle, aber regelmassige Athmung 
auf; einige Minuten spater begann der Puls langsamer zu werden, wurde der Kopf 
zurftckgebogen, so traten sofort die frhheren Yerhaltnisse wieder ein, der Stillstand 
der Athmung erfolgte jedes Mai in forcirter Exspirationsstellung; er wird auf die 
bei Neigung des Kopfes starkere Compression des Bulbus und indirect des Yagus- 
kems zurdckgeffthrt. M. 


7) Sur la reaction dleotrique des nerfs sensitifh de la peau chea lea 
ataxiques par M. Mendelssohn, Paris. (Acad, des sciences. Sep.-Abdr.) 


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M. hat zun&chst zu bestatigen, dass, wie schon andere Forscher constatirt haben, 
bei gesunden Menschen das Gesetz der Starke der elektrischen Empfindung (E) ganz 
analog dem Zuckungsgesetze ist, d. h. also, dass KaSE>AnSE; AnSE<AnOE und 
EaOE; AnOE=KaOE. 

M. hat sodann 32 Tabiker, alle in vorgeschrittenen Stadien, untersucht. Bei 
21 dieser Tabiker zeigten sich erhebliche Sensibilitatsstdrungen, and bei 9 von ihnen 
fand M., dass AnSE < EaSE war. Bei 2 von diesen 9 trat auch bei starksten 
StrQmen weder bei AnO noch bei EaO eine Empfindung auf, und 3 von denselben 
empfanden fiberhaupt nur AnS. — Starkere StrOme waren in alien Fallen nOthig. 

Auch die Qualitat der Empfindung war bei diesen Kranken mit fiberwiegender 
AnSE abnorm. So verursachte z. B. bei einem Kranken AnS das Gef&hl von Brennen, 
EaS dagegen Stechen; und verschiedeue Stdrungen, wie Verlangsamung der Empfin¬ 
dung, abnorm lange Dauer derselben etc. war deutlicher und aufiallender bei AnS 
als bei EaS. 

M. stellt diese Befunde der Erb’schen Entartungsreaction an die Seite und hofft, 
dass man noch nahere Beziehungen zwischen ihnen und den Alterationen sensibler 
Nerven, wie sie neuerdings Westphal und Dejerine beschrieben haben, feststellen 
werde. Hadlich. 


8) A ease of Charcot’s joint-disease by Th. F. Raven. (British med. Journ. 

1884. 23. Febr. p. 351.) 

Ein 50jahrger Seemann leidet seit 21 Jahren an Tabes. Er war nie luetisch 
und die ersten Symptom© seines Leidens zeigten sich wenige Tage nach einer feuchten 
Durchkllhlung des Rfickens, die er sich in seinem Berufe zugezogen. Die Ataxie 
hat bereits die oberen Extremitaten ergriffen, die Sensibilitat ist nur noch im Gesicht 
intact; beide Augen sind erblindet. Beide Eniegelenke, besonders aber das rechte, 
sind difformirt und abnorm beweglich, aber ohne Andeutung einer entzundlichen 
Schwellung oder Rdthung. Jede Bewegung wird von einem rauhen Enarren begleitet, 
das wohl auf einen Defect der Gelenkknorpel zurfickgefflhrt werden kann. Aehnliche 
Veranderungen sind in dem rechten Schulter- und in beiden HOftgelenken anzunehmen’ 
In den letzteren sind die Ligamente in Folge der Atrophie der Gelenkflachen so schlaff 
und schlotternd geworden, dass Fat. ohne Mfihe die Fersen an den Hinterkopf legen 
kann. Der Beginn der Enochenerkrankung zeigte sich im 6. Jahre der Tabes: bei 
einer Rotation des Fusses brach spontan der Malleolus extemus und seitdem traten 
auch die Functionssttirungen in den Gelenken ein. 

Buzzard’s Behauptung, in alien Fallen tabischer Gelenkaffection seien auch 
gastrische Erisen und Innervationsstdrungen der Laryngealmuskeln zu beobachten, 
fand hier nur ffir den zweiten Punkt eine Bestatigung (cf. Brit. med. Journ. 5. Marz 
1881). Erwahnenswerth dfirfte auch die Thatsache sein, dass Pat. nach 17j&hriger 
Dauer der Tabes noch ein gesundes Kind gezeugt hat. Sommer. 


9) TJeber Thermoneurosen von Scherschewsky. (Virchow’s Arch. Bd. 96. H. 1.) 

S. beschreibt und analysirt genau 4 Erankheitsfalle, die bei manchen Verschieden- 
heiten im Einzelnen, mit ihren wesentlichen und alien gemeinsamen Symptomen zur 
Ann&hme einer Affection des vasomotorischen Centrums drangen, speciell -r- da das 
Erankheitsbild mit einer pldtzlicben Temperatursteigerung beginnt, welche die Starke 
und Dauer des ganzen Anfalls bedingt — zur Annahme einer therm is chen Neu- 
rose des vasomotorischen Centrums. Die F&lle betreffen junge Madchen von 8, 9, 
12 und 24 Jahren, bei denen aber die ersten Anf&lle zum Theil in die frfiheste 
Kindheit zurfickreichen; in der Aetiologie figuriren Diphtherie, erbliche Belastung ffir 


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Neurosen, Nervosit&t, Chlorose. — Die in Bede stehenden Anf&lle setzen mit einer 
plfitzlichen Steigerung der Temperatur ein, fftr die sich ein Grand nicht auffinden 
lftsst; die Temperatur erreicht schnell 40° und darfiber, bleibt auf dieser H6he, mit 
morgendlichen Bemissionen mehrere Tage, urn mit dem Ende des Anfalls unter die 
Norm zu sinken. Die Haut ffihlt sich dabei kalt an, zuweilen wird Schfittelfrost 
beobacbtet, die Herzaction ist beschleunigt. Nur bei der einen Kranken mit diph- 
tberitischer Lahmung bleibt es bei einem Anfall; in den andern Fallen kebren fiber 
einen Zeitraum von mebreren Jahren verbreitet die Anfalle mehrmals im Jahre mit 
fast photograpbiscber Treue wieder. Ffir die rein nervfise Natur derselben und ffir 
den centralen Sitz der Affection (im vasomotoriscben Centrum) sprecben folgende 
Umstande: Die gewfihnlichen Antifebriiia baben auf die Temperatur gar keinen Ein- 
fluss, wfihrend Bromkali und Einatbmung von Sauerstoff ein Sinken derselben zur 
Folge bat; der Anfall wird ganz gewfihnlich durcb nervfise, speciell psycbiscbe Ein- 
flfisse ausgelfist; gleicbzeitig mit der Temperaturerbfihung Oder im unmittelbaren Ge- 
folge derselben wird eine Beibe yon nervfisen oder anerkanntermaassen vasomotoriscben 
Symptomen beobacbtet: Scbmerzbaftigkeit des 2. linken Intercostalraums (Neurose 
des Herznervengeflechts), Scbmerzbaftigkeit des linken Armnervengeflechts, Labilitat 
und Veranderlichkeit der Pupillen, gesteigerte Muskel- und Sehnenreflexe; Herzklopfen 
und Arbytbmie des Herzens bei psycbiscben Einflfissen, Magen- und Darmneurosen, 
Salivation, Scbweisse, nervSser Husten. — Die sebr sorgfaltige Entwickelung der 
Differentialdiagnose ffir die einzelnen F&lle ist im Original einzuseben; die Statuirung 
rein nervOser Ursacben ffir plStzliche Temperaturerbfibung ist ffir die Beurtbeilung 
auffallender Temperaturverhaltnisse bei Geisteskranken jedenfalls von Wertb. 

_ Tuczek. 


10) Distribution of Anaesthesia in oases of disease of the branches and 
of the roots of the brachial plexus by James Boss. (Brain. 1884. 
April p. 51—76.) 

Diese wesentlich compilatorische Arbeit giebt unter Zurflckweisung der in den 
engliscben Handbftcbem der Anatomie nocb gangbaren ungenauen Angaben fiber die 
Hautinnervationsverbaltnisse der Finger von Seiten der verscbiedenen Armnerven, 
unter Hinweis auf die bessere Darstellung von Krause und Henle eine Beproduction 
der einschlagigen Angaben und scbraffirten Abbildungen fiber die Verbreitung der 
Anasthesie bei den Lasionen der einzelnen Nerven nacb Ldtidvant, W. Mitcbell 
und M. Bernhardt, welcbe Verf. in einem Falle von Durcbscbneidung des Medianus 
und Ulnaris fiber dem Handgelenk bestatigen konnte. Fftr den Badialis weist er 
durcb die Vergleicbung der Angaben der genannten Autoren nacb, dass der Bezirk 
der Sensibilitatsstfirung der Ausdehnung nacb verscbieden sein kann. Die Arbeiten 
Arloing und Tripier werden ebenfalls berficksicbtigt. 

Zur Bestimmung der Ausdebnung und Localisation der Anastbesie bei Verletzung 
der Wurzeln des Plexus brachialis verwendet Yerf. einige Falle eigener Beobacbtuug 
obne Obductionsbefund, von denen der eine als Pachymeningitis cervicalis im Bereich 
der Yerbindung der Cervical- und Dorsalregion gedeutet wird (charakteristische 
Klauenhand, spastiscbe Paraplegie und Anastbesie der Unterextremitaten, ferner 
Anastbesie an der Innenseite des Oberarms und Vorderarms und des Ulnarrandes 
der Hand), ein anderer als balbseitige Hamatomyelie derselben Begion, ein dritter 
traumatiscber Fall als Zerreissung der Wurzeln des Plexus brachialis von der 4. Cer- 
vicalwurzel abwfirts nacb der Verbreitung der atrophiscben Lahmung diagnosticirt 
werden konnte. Im letzteren Falle bestand, wie durcb schraffirte Abbildungen ebenfalls 
erlautert wird, Anfistbesie der Hand und des Vorderarms, welche an der Volarseite 
fiber den Ellenbogen hinauf reicbte, wahrend sie an der Dorsalseite unter demselben 
abscbnitt. 

Verf. zieht folgende allgemeine (nicht neue! Bef.) Besultate aus seiner Arbeit: 


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1) dass einer der Hautnerven des Brachialplexus vollstandig getrennt sein kann, 
ohne dass complete Anasthesie irgendwo in seinem Verbreitungsbezirk veranlasst 
wird, und dass die gelegentlich auftretende complete Anasthesie immer verhaltniss- 
massig beschrankt ist; 

2) dass der Bezirk der Anasthesie sich im weiteren Yerlauf einschrankt und be- 
sonders im Radialis verschieden gross sein kann; 

3) dass. die Aasdehnung der SensibiHt&tsstflrungen in anscheinend gleich schweren 
Fallen sehr verschieden sein kann; 

4) dass die Beschreibnngen von Krause und Henle fiber die Vertheilung der 
Digitalnerven den Resultaten der pathologischen Beobachtung gut entsprechen. 

£. Eemak. 


11) Cas insolite de ndvroae convulsive par Legrand du Saulle. (Annales 
mdd.-psychol. 1884. Janvier p. 132. Mittheilung aus einer Sitzung der Societe 
mddico-psychol.) 

Es handelt sich urn einen Krankheitsfall, welcher eine ganz ungewdhnliche Zahl 
von epileptoiden Anfallen (in 26 Tagen fiber 21000 Anf&lle) zur Beobachtung brachte. 

Eine 17jahrige Kranke, bei welcher Erblichkeit unconstatirbar war (ausserehe- 
liche Geburt) und seit dem 13. Jahre unter convulsiven Attacken litt, wurde im 
Juni 1881 in die Salpetri&re aufgenommen. Bis zum Januar 1883 wurde dort 
keine convulsive Attaque bemerkt, nur lebhaftes, reizbares Wesen und grosse Coquetterie. 
Am 22. Jan. 1883 Beginn einer Serie von Anffillen, deren innerhalb 20 Tagen von 
der ununterbrochenen Wartung 8000 gezahlt wurden. 

Die Convulsionen betrafen vorwiegend die rechte Seite, ohne Auftreten von 
Temperatursteigerung. Dauer des Anfalls 8—18 Secunden; kein Bewusstseinsverlust, 
hfichstens Abschwachung desselben. 

Nach Ablauf dieser Serie von Attacken trat relative Ruhe ein und wurden nur 
80—100 Anfalle im Monat bemerkt. Verordnung von 7,5 Gramm Kal. bromat. pro 
die. Hysterische Reizpunkte waren nicht festzustellen. 

Am 3. October 1883, nachdem die Anfalle 15 Tage lang ganz ausgeblieben, 
emeute Serie von klonischen Convulsionen der rechten Seite mit Starrheit der Mus- 
culatur und zwischendurch auftretendem Zucken. Undulirende Bewegungen der Bauch- 
decken, zuweilen ein leichter Schrei und Schaum vor dem Munde. Kopf nach rechts 
gedreht, Gesicht gerOthet, die Bulbi divergirend und nach oben gerollt, Lider stehen 
offen wie der Mund. Rechter Arm ist adducirt und nach aussen gerollt, rechte Hand 
flectirt, die Faust geschlossen. Rechtes Bein extendirt, etwas nach aussen gedreht; 
Equinusstellung. Nicht immer Bewusstseinsverlust. Postepileptische Paralyse und 
TemperaturerhOhung fehlen. Im Yerlauf dieser Serie wird auch die linke Seite er- 
griffen. Yorfibergehend traten aUgemeine Contorsionen und schreckhafte Hallucinationen 
auf. Der allgemeine Charakter der Anfalle blieb trotz Erhebung der Bromkalium- 
dosis auf 15, spater 18—22 Gramm pro die unverandert. Vom 3.—28. October 
1883 wurden 21700 Anfalle dieser Art gezahlt; dann trat Nachlass ein. - Le¬ 
grand wird fiber den weiteren Yerlauf berichten. 

Er halt die Anfalle ffir epileptoide. Yon den gewfihnlichen hystero-epileptischen 
unterscheiden sie sich durch die formidable Zahl und die Maske der Jacks on’schen 
Epilepsie. 

Yon der letztgenannten Form sind sie durch den Mangel der Temperaturerhebung 
and der postepileptischen Paralyse unterschieden. 

Die an den Yortrag anschliessende interessante Discussion war im Ganzen der 
Ansicht Legrand’s. Jehn. 


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12) Paralysis glosso-labio-pharyngea oerebralis (Pseudobulbarparalyse) von 

Prof. 0. Berger. (Bresl. arztl. Ztschr. 1884. Nr. 3 u. f.) 

Neben der bulbaren Form der Paralysis labio-glosso-pharyngea hatte bereits 1872 
Joffroy eine cerebrale Form unterschieden. Es sind bisber 9 solcbe Falle veroffent- 
licht worden, denen B. ausser einem bereits in der Dissertation von Hahn verOffent- 
lichten 3 neue, von denen nur einer der anatomischen Begrflndung entbehrt, mittheilh 

Im Vordergrund des klinischen Bildes dieser Falle stehen, wie bei der Bulbar- 
paralyse: Lahmung der Zunge, der Lippen und der Schlingmuskeln; der anatomische 
Befund zeigt aber die Kerne des Bulbus frei, dagegen kleine Erweichungsherde im 
Kopf des linken Streifenhflgel und in der Marksubstanz des rechten oberen Scheitel- 
lappchen (Fall 1, Hahn), doppelseitige Erweichung der Basalganglien (Fall 2), Herd 
im linken Stimlappen, Erweichungsherd im rechten Linsenkern (Fall 3). 

In Bezug auf die Unterscheidung der cerebralen Paralysis glosso-labio-pharyngea 
von der echten Duchenne’schen macht B. auf folgende Punkte aufinerksam: 

1) Bei ersterer brisker, apoplectiformer Eintritt der charakteristischen Symptoms, 
keine Progression, bei letzterer allmahlicher Beginn, successiver Verlauf nach be- 
stimmten Typus. 

2) Mehr oder weniger ausgepragte Hemiplegia und anderweitige cerebrale Sto- 
rungen sprechen ftir erstere. 

3) Bei der cerebralen Lahmung selbst nach l&ngster Dauer keine 
Atrophie, bei der bulbaren regelmassig und friihzeitig. Eine Besich- 
tigung der Zunge wird allein schon fflr die Diagnose geniigen. Dem 
entsprechend hier Entartungsreaction, die bei der cerebralen Form immer fehlt. 

4) Reflexerregbarkeit im gelfihmten Muskelgebiet bei der Bulbarparalyse auf- 
gehoben, bei der cerebralen Form vollstandig erhalten. 

5) Die bei der wahren Bulbarparalyse haufige Combination mit progressiver 
Muskelatrophie fehlt bei der Pseudobulbarparalyse. 

Die Unterscheidung der Pseudobulbarparalyse von den apoplectiformen Bulbar- 
lahmungen, wie von der acuten Bulbarmyelitis (Leyden) unterliegt keinen Schwierig- 
keiten. M. 


Psychiatric. 

13) TJeber Geistesstorungen naoh Augenoperationen von Prof. Schnabel, 
Innsbruck. (Berichte des naturwiss.-medic. Yereins in Innsbruck. 1882/83. 
XHI. Jahrgang.) 

Verf. hat in Innsbruck von 1877—1882 nach 183 Altersstaar - Extractionen 
12mal GroistesstSrungen auftreten gesehen. Die so Erkrankten waren im Alter 
zwischen 66 und 83 Jahren, es waren 10 Manner und 2 Frauen, und zwar kam 
bei Mannern schon auf 9 Operirte eine psychische Erkrankung, bei Frauen erst auf 36. 
Bei mehreren der Kranken trat bei wiederholten Operationen (wenn z. B. das rechte 
und linke Auge zu verschiedenen Zeiten operirt wurde) die Psychose wiederholt auf. 
Sie begann 2mal im Verlaufe des 1. Tages, 4mal wahrend des 2., 4mal w&hrend 
des 3., 2mal wahrend des 4., 2mal wahrend des 7. Tages nach der Operation; sie 
dauerte 1—4 Tage und trat Nachts starker auf als am Tage. 

Die Symptome bestanden in den leichteren Fallen in Unruhe und leichter Er- 
regung, Drangen auf Entlassung etc. In schwereren Fallen trat Verwirrtheit ein, 
die Kranken wussten nicht, an welchem Orte sie waren, gingen Nachts umher, legten 
sich in fremde Betten, waren widerspenstig und heftig, sogar tobshchtig. Dabei waren 
Gesichts- und GehOrshallucinationen vorhanden. 

Die StCrung bildete sich immer rasch zurhck. In einem Falle aber (der betr. 
Kranke hatte sich im Delirium aus dem Fenster gestfLrzt) konnte bei der Section 


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261 


Pachymeningitis int. hamorrhagica neben Atrophia cerebri und Hydrocephalus chron. 
constatirt werden. 

Indem Sch. die vollkommene Analogic der Symptome bei den von ihm beobach- 
teten Psychosen mit den vorflbergehenden Geistesst6rungen bei Greisen, wie sie 
Durand-Fardel geschildert hat, hervorhebt, begrflndet er seine Ansicht, dass die 
merkwfirdigen Geistesstfirungen nach Staarextraction nichts Anderes als derartige 
Greisen-Psychosen seien, wobei die Operation nur die Gelegenheitsursache gebe. 

Geist habe angegeben, dass die Altersatrophie des Gehirns beim Marine erst 
im Alter yon 75—85 Jahren, bei Frauen erst von 85—95 Jahren eintrete. Das 
Durchschnittsalter seiner Eranken sei 71 Jahre gewesen; die daraus zu folgemde 
etwas vorzeitige Gehirnatrophie weise demnach auf eine bestehende Disposition zu 
psychischen Erkrankungen hin; die spater eintretende Atrophie bei Frauen erklare 
das yiel seltener vorkommende Erkranken derselben nach der Extraction. Die Operation, 
die damit yerbundene Aufregung der alten Leute etc. wirke begttnstigend. — Die 
Falle yon Schmidt-Bimpler (Arch. f. Psych. IX) gehOren in eine andere Kategorie. 

Hadlich. 


14) Des vertiges chez lea alienee; Millet’s gekr5nte Preisschrift (Prix Esquirol). 

(Annales mdd.-psycholg. 1884. Jan. Mars.) 

Die Untersuchung dehnt sich fiber 610 Krankheitsfalle aus (550 Manner und 
60 Frauen), von welchen bei 46 Schwindelanfaile constatirt wurden. Bei der ein- 
fachen GeistesstOrung sind dieselben selten, am ehesten noch den Angstzustanden 
zugesellt. Bei reiner Manie fehlen sie. Yiel haufiger werden Schwindelanfaile bei 
der allgemeinen Paralyse bemerkt, und zwar sowohl im Verlauf der hypochondrischen 
wie der expansiven Formen. Vielfacli sind die Anfaile leicht und rasch vorttber- 
gehend, aber auch schwerere kommen vor, das Bewusstsein ist vielfach erhalten, so 
dass der Zustand von den Eranken selbst beschrieben werden kann. Verkehrte Oder 
gefahrliche Handlungen sind wahrend der Schwindelanfaile Paralytischer selten, kommen 
aber um so haufiger bei den Epileptikem vor. Die im Stadium der Demenz angelangten 
Paralytischen scheinen nicht mehr zu Schwindelanfailen zu neigen. 

Unter den alcoholischen Formen, acuten wie chronischen, ist das Auftreten von 
Schwindel sehr gewdhnlich. In manchen Fallen hangt derselbe mit der jedesmaligen 
fibermassigen Alcoholzufuhr direct zusammen, so dass die Eranken selbst den Zu- 
sammenhang kennen. In anderen Fallen scheinen die Schwindelanfaile mehr eine 
Contrasterscheinung zu sein, z. B. Morgens, wenn das Individuum noch ntichtem ist, 
aufzutreten. Diese Falle sind relativ gutartig und der Schwindel verschwindet in 
Folge der Sequestration bald. 

Wo jedoch durch wiederholte Bfickfalle eine dauemde geistige Abschwachung 
der geistigen Fahigkeiten eintrat und die Structur der nervosen Centralorgane eine 
Veranderung erfahren hat, verschwinden diese Anfaile weit schwerer und treten noch 
monatelang nach der Sequestration auf. 

Zuweilen gehen dieselben jahrelang dem Erscheinen von Yerfolgungsideen und 
schreckenden Hallucinationen vorauf. Sind die letztgenannten Symptome erschienen, 
so erfahren dieselben zuweilen unter gleichzeitigen Schwindelanfailen eine jedesmalige 
nach Epochen wie Tagen zu merkende Yerschlimmerung. 

Im Allgemeinen haben die Alcoholiker Bewusstsein wahrend der Schwindelanfaile 
und Erinnerung fur das wahrend derselben Begangene. 

Die Schwindelanfaile im Yerlauf der Epilepsie sind genugend bekannt. Alle 
Grade vom leichtesten, vorlibergehenden, bis zum schwersten Coma mit Convulsionen 
kommen vor. Vielfach stellen die Schwindelanfaile unvollkommene Attacken vor. Eine 
stncte Grenze zwischen beiden ist schwer zu ziehen. 

Gewisse Einfiusse, z. B. alcoholische Excesse, vermehren auch die epileptischen 


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Schwindelanf&lle nach Zahl and Grad des Auftretens. Manche derartige Kranke be- 
kommen diese Anfelle nnr nach Alcoholgenuss. 

Bemerkenswerth sind vielfache inteliectuelle Stflrungen, welche mit den epilep- 
tiachen Schwindelanf&llen einhergehen: Hallucinationen, oft stets dieselbe, vorfiber- 
gehende Oder langere Verwirrtheit, geistige Abwesenheit, in welcher bizarre and ex- 
centrische Handlangen vorgenommen werden, oder der Patient fftr sich oder seine 
Umgebnng gefahrlich wird, ohne dass ffir das Geschehene spater eine Erinnerong 
bestande. 

Im Gegensatz zu der Dementia paralytica beobachtet man im Yerlaufe einfacher 
Demenz ziemlich haufig kurze and vorfibergehende Schwindelanfalle, ohne dass bei 
Mufigen jahrelang wiederholten Anftreten der Znstand dadorch erheblich verandert 
wnrde. Die Erscheinungsweise scheint vielfach an das Anftreten alcoholischer Schwindel¬ 
anfalle zn erinnem. Wenn Yerfolgungsideen and Hallucinationen noch dazu kommen, 
ist es oftmals schwer zu entscheiden, ob diese Anfalle nicht vielmehr altem Alcoholis- 
mus, als der Demenz zukommen. 

Auch nach voraufgegangener Apoplexie, welche die Eranken als Demente zurttck- 
liess, kdnnen sich noch Schwindelanfalle wiederholen. 

Heryorgehoben wird noch das tiberwiegende Anftreten auf Seite des mannlichen 
Geschlechts (45 auf 550, gegen 1 auf 60 Frauen). Auch diese Erscheinung ist Yerf. 
auf Rechnung des Alcoholismus zu setzen geneigt. 

Die pathologische Natur der Schwindelanfalle wird als ein Zustand yon partieller 
oder allgemeiner Congestion angesehen, sei sie direct oder auf reflectorischem Wege 
entstanden. 

Bromkalium passe mehr fhr convulsiye als einfache Schwindelanfalle, wird daher 
nur f&r solche epileptischer Art empfohlen, im Uebrigen Ndchternheit, Salina and 
Revulsiva. 

Im Allgemeinen sind die im Zustande eines Schwindelanfalls begangenen Hand- 
lungen als nicht verantwortliche zu betrachten; doch muss jeder Fall gesondert be- 
urtheilt werden. Jehn. 


16) Une famille de ndvropathes par Chambard. (Annal. med.-psycholog. 1884. 
Mars p. 220.) 


Der Inhalt wird am besten durch folgenden Stammbaum wiedergegeben : 


Vateraeite 

Grossonkel Grossmatter Grosavater 

Egoist n. aaffallen- ? Anffallend; 

der Charakter Maniacus 

Ookel Tante Vater 

Melancholiker Hysterica anffallend 

Franlein X. 
Hysterica 

Cousin and Gatte Somnambule 

Geistesschwach und Tlinker „Erregtes Delirium" 

Knabe Tochter 

Irritation cer4brale Epileptiea. 

chronischer Prurigo. 


_ Muttereeite _ 

Grossmutter Grosavater 

? ? 


Matter 

Somnambule 

Bruder Bruder 
morahscher EpileptUeh. 
Irrsinn. 



Verf. ist geneigt, die bei dem jftngsten Mitglied dieser neuropathischen FamBie 
bemerkte Dermatose als ein Zeichen nervdser Degeneration aufzufassen. 

Jehn. 


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2S3 


16) Crifle d’hystdrie ohes un homme atteint de paralysle gAnArale par 

Camu8et. (Annal. m6d.-psycholog. 1884. Mars. Arch, cliniques. p. 229.) 

Im Verlauf einer sonst (lurch nichts Wesentliches ausgezeichneten Paralyse traten 
bei einem 39jahrigen Mann plOtzlich hysterische Anfalle auf. Der Kranke lasst sich 
in denselben zu Boden sinken, schreit laut mit weitgeOffnetem Munde und streckt 
die Zunge vor. Die Augen sind convulsivisch nach oben gerichtet; Thranenfluss; 
erschwerte Respiration; convulsivisches Greifen nach der Kehle, wie'wenn dort ein 
Hinderniss sitze. Allerhand ansgiebige Bewegungen, Drehungen der Glieder, Opistho¬ 
tonus, Aufwartskrtlmmen des Rumpfes, so dass der KOrper nur auf Hinterkopf und 
den Fersen ruhi 

Die Dauer solcher Krisen war verschieden, bis zu 8 / 4 Stunden. Im Laufe des 
Tages traten 8—10—14 auf. Nach lltagiger Dauer dieses Zustandes starb der 
Kranke plOtzlich. Als Todesursache wurde eine Lungencongestion angesehen. Die 
Hirnsection bot ffir die Erklarung der Anfalle keinen Anhaltspunkt. Jehn. 


17) Frenosi alooolioa e frenosi paralitica pel dott. L. Frigerio. (Arch, italian. 
per le malatie nerv. 1883. I.) 

Verf. gelangt auf Grund seiner ausfflhrlichen Untersuchung fiber die Form der 
Geistesstbrungen, die sich auf alcoholischer Basis entwickeln, zu dem Schluss, alco- 
holisches und paralytisches Irresein seien zwei vOllig getrennte Krankheitsbilder, und 
es sei auch nicht gestattet, ein vermittelndes Zwischenglied aufzustellen, wie es durch 
die Construction der sogenannten Pseudoparalysis alcoh. versucht worden sei. Im 
AUgemeinen herrsche bei dem chronischen Alcoholismus der Yerfolgungswahn mit 
den charakteristischen Hallucinationen und impulsiven An fallen vor; in den seltenen 
Fallen mit ausgesprochenem Grbssenwahn seien die Gr5ssenideen nicht so monoton 
(? Ref.) und lange andauemd wie bei der Paralyse. Ffir die Differentialdiagnose 
seien besonders die schriftlichen Aufzeichnungen zu verwerthen, da die Alcoholiker 
an sich viel weniger schreibselig seien und sich im AUgemeinen von den Auslassungen 
einzelner Silben etc. freihielten. Die Coordinationsstflrungen der Paralytiker fingen 
zunachst bei den Bewegungen der Zunge und der Lippen, also beim Sprechen, dann 
bei den feineren Verrichtungen der Hande, wie beim Schreiben etc. an, wahrend sie 
bei den Alcoholikem von den unteren Extremitaten ausgingen und aUmahlich zu den 
oberen Regionen aufstiegen. Die PupiUen der Paralytiker seien moistens sehr eng 
oder abnorm weit,. die der Alcoholiker dagegen seien durch ihre Ungleichheit in der 
Weite charakterisirt. Femer fehlten den Paralytikern die bekannten Verdauungs- 
beschwerden; ebenso die Fettleber, das Atherom der Gefasse (?) und andere Folge- 
znstande des chronischen Alcoholconsums, wahrend sie ihrerseits so haufig Degenerationen 
des Rdckenmarks aufwiesen. 

Ref. kann sich diesen freilich hier nur skizzirten Ausffthrungen des Verf. nicht 
vbllig anschliessen, obschon auch er keine selbstst&ndige Pseudoparalysis potat. an- 
nehmen mbchte. Wahrscheinlich wird sich die von Baillarger vorgeschlagene 
Trennung der „FoUe“ von der „D6mence paralytique^ ffir die richtige Auffassung 
der so differenten Krankheitsbilder der sogenannten Paralyse als, werthvoU erweisen. 
VieUeicht hangt auch der Unterschied zwischen den Symptomen des italienischen und 
des deutschen Potatoriums wesentiich von den verschiedenen Wirkungen des vor- 
wiegend consumirten Weins resp. des Branntweins ab, und nicht ohne Einfluss auf 
die specieUe Farbung der Wahnideen und auf das pathologische Yerhalten der Psyche 
Uberhaupt scheinen wie beim einzelnen Irren der individueUe Entwickelungsgang und 
die BUdung, so bei den Symptomencomplexen, welche die arztliche Beobachtung von 
verschiedenen Racen ffir dieselben pathologischen Vorgange abstrahirt hat, der National- 
charakter und die localen Lebensverhaltnisse des betreffenden Yolkes zu sein. 

_ Sommer. 


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Therapie. 

18) Galvanic batteries in medicine with description of a nerv selector by 
J. Rudisch and G. W. Jakoby. (Jonm. of nerv. and meni disease. 1884. 
Jan. Yol. XI. p. 25.) 

Die Verff. besprechen zuerst die verschiedenen Elemente, von denen sie nor die 
von Daniell und Leclanchd als brauchbar ftLr constante Batterien anerkennen; 
die Ursache, dass die aus Leclanche’s bestehenden Batterien eine nngleicbm&ssige 
Abnfltzang der Elemente zeigen, finden sie in dem Elementenzahler und bescbreiben 
einen von ibnen construirten, der eine Combination der bisher dblichen sein soli nnd 
sicb an StOhrer’s Construction anlebnt. Die Yortheile, die sie demselben nacb etwa 
ein Jahr langem Gebrauche vindiciren, sind vor Allem die MCglichkeit der successiven 
Einschaltung je eines Elementes, die gleichmassige Abndtzung der Elements, die 
Leichtigkeit des Nacbweises einer Stromunterbrecbung. A. Pick. 


19) Nachweis einer Nadel von Kocber. (Corresp.-BL f. Scbweizer Aerzte. 1884. 9.) 

Bemerkenswertb wegen der von G. Burckbardt (Prdfargier) gestellten Diagnose 
auf einen FremdkOrper und wegen der Einstellung der Nadel und Bestimmung ibrer 
L&nge mit Hdlfe eines empfindlicben Galvanometers. Nach langen vergeblicben 
cbirurgischen Kuren hatte B. eine peripher gelegene Ursacbe der Scbmerzen im 
Daumenballen, Oberarm und fiber der Clavicula diagnosticirt, weil sie durcb be- 
stiramte Bewegungen bervorgerufen wurden, weder periodischen noch neuralgischen 
Cbarakter batten, von Menses etc nicbt beeinflusst wurden, und Symptome, wie sie 
lange bestebende und central bedingte Neuralgien zu baben pflegen: allgemeine 
Nervositat, Scblaflosigkeit, Abmagerung, Tremor, psycbiscbe Verstimmung — voll- 
kommen feblten. Auf eine local noch bestehende reizende Ursache wies die durcb 
Pulscurven illustrirte Verscbiedenartigkeit der recbten und linken A. radialis hin. 

Tuczek. 


20) Ein Fall von Neuralgic, haupts&ohlioh im Bereich des sweiten 
Trigeminusastes, duroh Exostosenbildung im ftusseren Gehorgang 
bedingt, von Moos. (Berl. klin. Wocbenschr. 1884. 8.) 

Die Kranke, welcbe frfther vielfach an Otorrboe gelitten, bekam, nacbdem sich 
wieder Schwellung und Schmerzhaftigkeit des rechten ausseren GehSrganges, aber 
obne Ausfiuss, eingestellt batten, bald darauf beftige Schmerzanf&lle im Gebiete des 
zweiten und dritten Trigeminusastes derselben Seite. Namentlich war der recbte 
Oberkiefer beim Rauen so empfindlich, dass in den letzten Monaten nur noch links 
gekaut werden konnte. Diese Paroxysmen erscbienen bald Morgens, bald Abends, 
obne bestimmten Typus, und wurden im weiteren Yerlaufe immer baufiger, intensive 
und von l&ngerer Dauer, bis zu 6—8 Stunden. Die Untersucbung des Obres ergab 
drei etwa erbsengrosse Exostosen im Gebdrgang, je eine an dessen binterer, oberer 
und vorderer Wand, die das Lumen bis auf eine kleine Oeffhung aufgehoben batten. 
Beim Sondiren verlegte die Patientin mit aller Bestimmtbeit den Sitz und den Aus- 
gangspunkt der Scbmerzanf&lle in die bintere Exostose. Es wurde daher die letztere 
in der Chloroformnarkose mit dem Meissel entfemt, was sebr leicht gelang; unmittel- 
bar danacb blieben die Scbmerzen und zwar f&r immer aus und es war sofort der 
Kranken seit Monaten zum ersten Male mdglich, auf der recbten Seite zu kauen. 

Blau. 


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21) The opium psychoneurosis; chronic meoonism or papaverism, by 

C. H. Hughes. (The Alienist and Neurologist. 1884. Y. p. 123.) 

Yerf. spricbt sicb sehr energiscb gegen die pl6tzliche Entziebung des gewohnten 
Narooticums aus, selbst wenn nur kleine Dosen regelmassig consumirt worden waren. 
Er empfiehlt daher eine modificirte Entziehungskur, die durcb die Ersetzung der 
jedesmal entzogenen Menge Morphium (oder Opium) durch das doppelte (oder das- 
selbe) Quantum Cbinin charakterisirt ist. Anfanglich verringere man die tagliche 
Dosis um je 2 / 6 oder nocb weniger. Ist man bis auf etwa 0,6 pro die herab- 
gekommen, so bleibe man hier einige Tage stehen, und entziebe in der Folge nur 
nocb ca. 3 Centigramm taglich. Dabei soil der Patient fiber das entzogene Quantum 
in Unklarheit bleiben, und besonders soil er nicht wissen, von welchem Zeitpunkt an 
er gar kein Morphium mebr erbalt. Kann man ihn spater auf die Thatsache bin- 
weisen, dass er scbon mebrere Tage ganz ohne Morphium ausgehalten bat, so soli 
der moralische Einfluss ffir die Yerhfitung eines Becidivs sebr gfinstig sein. 

Die ganze Kur erfordert natfirlich eine grosse Aufmerksamkeit des Arztes, doch 
glaubt Yerf., dass man sie bei energischen Patienten sogar im Hause derselben er- 
folgreich zu Ende ffibren kfinne. Yon besonderer Wicbtigkeit sei es, den gesammten 
Arzneischatz zur Yerffigung zu haben, um entsprecbend den vielgestaltigen Abstinenz- 
symptomen sofortige Hfilfe leisten zu kfinnen. Im Beginne der Kur solle man frei- 
lich mit Medicamenten so sparsam als mSglich umgehen, um im sp&teren Yerlauf 
noch immer wirksam eingreifen zu konnen. Tinct. Cannabis in grossen Dosen, event. 
Bromkalium und Galvanisation des Kopfes und des Rfickenmarks, sei gegen die 
nervOsen Symptome, Chloral gegen die qualende Schlaflosigkeit zu verordnen. Be- 
sonderes Gewicht sei aucb auf protrahirte warme Bader, auf weite Spaziergfinge in 
frischer Luft, und auf sebr kraftige und phospborreicbe Kost zu legen. Collaps- 
erscbeinungen seien durcb grosse Dosen Tinct. Valerian, und durcb Alcoholica, spec, 
durcb starkes Malzextract zu bekampfen; gegen die Nausea helfe moistens Eis in 
Yerbindung mit Exdtantien. 

Erwfihnenswerth sind nocb die Beobacbtungen des Verf., nach denen die Nach- 
kommen von Morpbinisten von einer auffallend kleinen Statur sein und bleiben sollen. 

Sommer. 


22) Einige Fftlle von therapeuthischer Anwendung des Hypnotismus von 

Wiebe. Aus der medicin. Klinik zu Freiburg. (Berl. klin. Wochenscbr. 

1884. Nr. 3.) 

Verf. wandte bei 4 Fallen von functioneller StOrung mit Erfolg den hypnotischen 
Yersucb an. Alle betrafen junge Madchen, darunter 3 Hystericae, 1 mit multiplen 
Neuralgien. In dreien dieser Falls bewirkte die Hypnose eine rasch eintretende und 
andauemde Besserung, im 4. envies sie sicb weniger wirksam; sie milderte resp. 
sistirte klonische Krampfe, bob Anastbesien, beseitigte Neuralgien. In einem Fall (I) 
wirkte sie offenbar nur psycbisch; in Fall IV hinterliess sie eine betrachtliche 
psychische Alteration. In 3 weiteren Fallen (darunter 2 von bysteriscbem Erbrecben) 
gelang die Hypnose nicht. Tuczek. 


23) Two oases of stretching of facial nerve by Laudon Carter Gray. (The 
americ. Journ. of Neurol, and Psych. 1883. Yol. I. p. 515.) 

L 36jfihr. Mann, seit 16 Jabren Tic douloureux im 2. Ast des rechten Tri¬ 
geminus ; gleicb zu Beginn der Neuralgie und auch den spateren Anfailen voran- 
gehend jedesmal Zuckungen in der Gegend des Unterkiefers; Operation; nacb 4tagiger 


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Remission verstarkte Wiederkehr der Neuralgie, Yerminderung der Zuckungen, Facialis- 
lahmung mit Entartuugsreaction. 

II. 22jahr. Mann, seit 10 Jahren choreiforme Bewegungen in beiden Gesichts- 
haiften und beiden Handen; in Folge linksseitiger Facialisdehnnng 2monatliche Pause; 
damacb Wiederkehr. A. Pick.- 


Forensische Psychiatrie. 

24) Simulirte Amnesie von W. Sommer. (Vierteljabrsschr. f. gerichtl. Med. N. F. 

XL. 2. S. 252.) 

Ein Brandstifter wird 10 Tage nach der That verhaftet, legt ein sehr ausftthr- 
liches und den Thatsachen entsprechendes Gestandniss ab und erkrankt dann wenige 
Stunden nach dem Verb Or unter den Symptomen einer alcoholistischen Tobsucht, die 
spater in einigen Wochen abheilt. Seitdem behauptet er vOllig unschuldig zu sein 
und weder von dem Yerbrechen noch von dem Gestandniss etwas zu wissen. Da- 
gegen behauptet er — im stricten Widerspruch gegen alle Angaben sammtlicher 
Yerwandter und Bekannter — und obschon er Dachdecker von Beruf ist, an seltenen 
epileptischen Exampfen zu leiden und wird wahrend der 6w6chentlichen Beobachtung 
in der Allenberger Irrenanstalt von einem mindestens verdachtigen Krampfanfall er- 
griffen. Da wahrend der Beobachtung in der Anstalt keine Spur einer psychischen 
Abnormitat nachgewiesen war, und da der Zeitraum, far den der Angeschuldigte 
keinerlei Erinnerung haben wollte, fast 14 Tage betrug, obschon er seinen AngehGrigen 
wahrend dieser Zeit durchaus normal erschienen war, wurde an Simulation gedacht 
und ein dementsprechendes Gutachten abgegeben. Einige Monate spater starb indess 
der Angeschuldigte noch in der Untersuchungshaft, nachdem in der letzten Zeit wieder 
mehrfache und zweifellose Krampfanfall© eingetreten waren. Wahrscheinlich war daher 
der Krampfanfall wahrend des Aufenthaltes in der Irrenanstalt ebenfalls ein echter, 
womit die Annahme der simulirten Amnesie wesentlich an Berechtigung verliert. Die 
Section ist leider nicht gemacht worden, sodass der Fall unentschieden bleiben muss. 
Jedenfalls mahnt er zu ausserordentlicher Vorsicht bei der Annahme einer Simulation 
und gerade wenn es sich urn einen schweren Verbrecher handeli M. 


HL Aus den GtosellBohaften. 

Aus dem Congress ffir innere Medicin in Berlin. 

(Fortsetzung.) 

Ueber Poliomyelitis und Neuritis. 

Leyden (Referent) giebt zuerst einen historischen Ueberblick der Entwickelung 
dieser Krankheitsbegriffe. Nachdem zuerst Ch. Bell eine Unterscheidung der Atro- 
phie und Lahmungen aufgestellt, waren es Aran und Duchenne und in Deutsch¬ 
land Heine, die durch ihre Arbeiten den Grund zu unseren Kenntnissen uber die 
progressive Muskel-Atrophie und die spinale Kinderiahmung gelegt haben. Die Frage 
nach der anatomischen Grundlage dieser Affectionen wurde zuerst von Waller be- 
rfihrt, der entdeckte, dass die von einem Nerven versorgten Muskeln atrophiren, so- 
bald der Nerv vom Rtlckenmark getrennt wurde; in diesem und zwar in den grossen 
motorischen Ganglienzellen der Yorderstrange in der Nahe des spinalen Ursprungs 
dieser Nerven musste also deren trophisches Centrum gesucht werden. Allein dies 
Factum kam wieder in Yergessenheit und die pathologische Anatomie suchte die Ur- 
sache der Erkrankung in den Muskeln selbst, die degenerirt gefunden wurden, so 


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bildete sich die Theorie yon der myopathischen Natur dieser L&hmung. Als dann 
der Sympathicus als ein die GefSsse beherrscbender trophischer Nerv erkannt wurde, 
gait dieser als die Veranlassnng der Muskelatrophie. Anf dieser Theorie basirte such 
die von Remak eingefQhrte Therapie der Galvanisation des Sympathicus. In der 
Mitte der 60er Jahre fanden mehrere Forscher (Luys, Clarke etc.) bei der Unter- 
* suchung des Rhckenmarks einen Schwund der grossen motorischen Ganglienzellen. Allein 
diese Beobachtungen fanden noch wenig Beachtung, bis Charcot und seine Schuler 
eine Eeihe von Arbeiten bekannt machten, aus denen sich dieselbe Thatsache ergab, 
n&mlich dass diesen Lahmungen eine Atrophie der grossen Ganglienzellen der Vorder- 
hOrner zu Grunde liege, wodurch die Waller’sche Hypothese eine neue Bestatigung 
fand. Auch fftr andere Formen, z. B. die der diphtheritischen L&hmungen sind solche 
Beweise gesucht, jedoch nicht mit Sicherheit gefunden worden. Duchenne und 
Joffroy untemahmen es jetzt, sammtliche atrophische L&hmungserscheinungen zu- 
sammenzufassen und in acute und chronische zu scheiden; zu jenen z&hlten sie die 
atrophische Kinderl&hmung und den analogen Prozess bei Erwachsenen, zu diesen 
die progressive Muskelatrophie, die progressive Bulbarparalyse und die acute und 
subacute Spinalparalyse. Allen diesen Formen sollte eine parenchymatdse Entztndung 
der grauen Substanz des Rhckenmarks zu Grunde liegen, der Kussmaul den Namen 
Poliomyelitis gab. 

Diese Lehre, die lange geherrscht hat, birgt jedoch einen gewissen Schematism us 
in sich, da man nicht berficksichtigte, dass auch von anderen Theilen als dem Rucken- 
mark, von den peripheren Nerven, vom Muskel selbst aus eine Atrophie zu Stande 
kommen kdnne. Friedreich gebdhrt das Verdienst, zuerst darauf hingewiesen zu 
haben, wenn er auch in das entgegengesetzte Extrem verfiel und diese progressiven 
Atrophien auf Myositiden zurftckffthrte. Mehrfach zeigte sich vollkommene In¬ 
tegrity des Ehckenmarks bei diesen Prozessen. Nach einiger Zeit warden noch 
weitere Einschrankungen in Bezug auf die Natur derselben gemacht; es zeigte sich, 
dass es sich urn verschiedene Affectionen handele und dass nicht immer eine Polio¬ 
myelitis denselben zu Grunde liegt. 

Die Lehre von der atrophischen Einderlahmung wurde am wenigsten modificiri 
Hier fanden sich in der That kleine myelitische Herde mit Eflmchenzellen, nach- 
folgender Schrumpfung und fibrOser Degeneration entsprechend dem Austritt der 
Wurzeln. Ffir die progressive Muskelatrophie stellte es sich heraus, dass von der 
spinalen Form andere zu trennen sind, die ohne Poliomyelitis verlaufen. Jene, 
fQr deren Eijtstehung sicher ein Prozess im Euckenmark mit auffallender Atrophie 
der Ganglienzellen verantwortlich gemacht werden kann, steht noch heute im Mittel- 
punkt der Discussion. Ausser der von Charcot und anderen gefundenen Atrophie 
der Ganglienzellen fand sich femer in anderen Fallen eine Degeneration der weissen 
Strange im Verlaufe der Pyramidenseitenstrangbahnen. Bald darauf publicirte Leyden 
seine Untersuchungen fiber die progressive Bulbarparalyse, fllr die er ebenfalls Atro¬ 
phie der Ganglienzellen und der Pyramidenseitenstrange constatirte. Charcot hat, 
ausgehend von dem Symptom der Muskelrigiditat, zu der sich spater Atrophie hinzu- 
gesellt, ein ihnliches, aber dennoch verschiedenes Krankheitsbild aufgestellt, fdr das L. 
frliher eine andere anatomische Grundlage als die Degeneration, die Sklerose, vermuthete, 
wo von er jedoch jetzt zurfickgekommen ist; denn wenn auch eine Einheitlichkeit der 
Krankenbilder sich vor der Hand nicht erreichen lisst, so ist dennoch die Differenz 
keine fundamentals. Das Wesentliche des Prozess es liegt in dem Auftreten und der 
typischen Ausbreitung der Muskelatrophie. Allerdings wird es noch mancher Arbeit 
beddrfen, urn eine Vermittelung der Beobachtungen herzustellen. Auszuschliessen 
sind jedoch alle Formen, wo es sich urn combinirte System-Erkrankungen handelt. 
Auch die Auffassung des poliomyelitischen Prozesses bei dieser Erankheit hat heute 
eine Aenderung erfahren, insofem als die meisten Autoren in demselben keine Ent- 
zOndung, sondem eine Degeneration, eine Systemerkrankung sehen. 


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258 


In die Lehre von der Poliomyelitis war noch eine andere von Duchenne beschrie- 
bene Form von Muskellahmung bineingezogen worden, die nach dem Typns spinaler 
Erkranknngen h&ufig zur Atropbie ffthrt, jedoch einen gfinstigeren Ausgang zu 
nehmen pflegt; allein eine anatomische BeweisfQbrong hierfllr liess anf sich warten. 
Yielmehr warden, zuerst von Eisenlobr und von Lichtheim, Falle publicirt, 
in denen Muskelatrophien ohne Betheiligung des Rftckenmarks bestanden; es fand 
sicb, dass man es mit peripberen, von den Nerven ausgebenden Muskellahmungen zu 
than batte. Anf die kliniscben Arbeiten Remak’s, die experimentellen Untersncbnngen 
Leyden’s und seiner Schiller, folgte eine wicbtige Beobacbtung von Eicbhorst, 
der in einem scbnell zum Tode ffthrenden Falle das Bilckenmark intact, die Nerven 
makroskopiscb und mikroskopiscb verandert fand; der bamorrbagiscb aussebende Nerv 
war degenerirt und entziindet. In den Jahren 1878/79 verGffentlichte Leyden selbst 
zwei Falle von disseminirter Neuritis, die unter dem Bilde der Ducbenne’schen 
vorderen Spinalparalyse verlaufen waren. Die Veranderungen, abnlich wie in den Eich- 
borst’scben Fallen, waren ganz besonders eclatant in der Gegend des Ellenbogen- 
gelenks; das Rflckenmark war auch hier nicbt afficirt. Eine Reihe spater ver5ffent- 
licbter Falle baben diese Beobacbtungen bestatigt. 

Das klinische Krankheitsbild 1st dadurcb cbarakterisirt, dass sicb eine symmetrische, 
nacb der Peripherie bin zunehmende scblaffe Lahmung der Extremitaten mit ErlGschen 
der Sebnenreflexe und nacbfolgender Atrophie einstellt. Aehnlich wie bei der Facialis- 
lahmung lassen sie je nach dem elektrischen Verbalten der Muskeln eine schwere, eine 
leichte und eine Mittelform aufstellen. Mit den motorischen Stflrungen verbinden sicb 
sensible Symptome, reissende Scbmerzen, Kriebeln, Druckempfindlicbkeit besonders der 
Muskeln, die ebenfalls nacb der Peripherie hin zunebmen. Der Nervenstamm ist an 
der entztindeten Stelle besonders empfindlich. Hinzu kommen nocb Affectionen anderer 
Nerven (Opticus, Vagus) und tropbiscbe Symptome, wie Oedeme in der Nahe des 
entzflndeten Nerven. Der Verlauf ist entweder acut, oder aucb scbleppend und 
cbronisch. Die Prognose ist ziemlich gbnstig, wenn aucb im ersten Stadium quoad 
vitam nicbt ungefahrlich. Was die Aetiologie anlangt, so sind es einmal Erkal- 
tungen und andere Krankbeiten, in deren Folge die Neuritis sicb entwickelt. Unter 
letzteren ist ausser Dipbtberitis, Typhus, Recurrens, Erysipel ganz besonders der acute 
Gelenkrbeumatismus hervorzubeben; ein Zusammenbang mit Tuberculose und Syphilis 
wird angegeben. Ein besonderes atiologiscbes Moment ist endlicb der Alcoholismus. 
Die Tberapie richtet sicb in erster Linie gegen die rheumatischen und infectiOsen 
Scbadlicbkeiten, wobei L. das salicylsaure Natron mebrmals bew&hrt gefunden bat. 
Bleibt dieses unwirksam, so ist eine exspectative Bebandlung einzuscblagen, Rube ist 
in diesem Stadium die Hauptsache. Erst wenn die Regeneration beginnt, darf man 
vorsicbtig mit Muskeltlbungen und elektriscber Behandlung anfangen, die jedoch h&ufig 
wegen Hyperasthesie der Pat. nicht vertragen werden. Fttr die Nacbkur empfieblt 
sicb ausserdem ein toniscb-medicamentdses Yerfabren. 

Scbultze, Heidelberg: Wahrend Friedreich die progressive Muskelatropbie 
auf eine Entzbndung der Muskeln bezieht, die sicb eventuell aucb auf die Nerven 
fortsetzen kann, obne Betbeiligung des Rdckenmarks, glaubt S. besonders zwei von 
dessen 6 Sectionsbefunden, als keineswegs beweisend binstellen zu kOnnen, da es sicb 
bier sicber urn Erkrankung der Pyramidenbabnen und der vorderen grauen Substanz 
gebandelt babe. 

Die Differenz bei gleicbem anatomischen Befund in Bezug auf die Rigiditat und 
die Sebnenreflexe dtlrften sicb dadurcb erklaren, dass in dem einen Falle die Seiten- 
strange, in dem anderen zuerst die vordere graue Substanz afficirt wurde. Die Gang- 
lienatropbie reicbt jedoch nicbt in alien Fallen fflr die Erklarung der starken peri¬ 
pberen Degenerationen aus; trotzdem aber ist der Vorgang im Wesentlichen als central 
zu betrachten. S. mScbte statt des Namens der amyotropbiscben Lateralsklerose einen 


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anderen gew&hlt wissen, da es sicli weniger am eine Sklerose, als am eine Erweichung 
handelt and halt den Namen: motorische Tabes fhr bezeichnender, weil beide Er- 
krankongen sowohl im klinischen Yerlanf wie in dem anatomischen Prozess auffallende 
Aehnlichkeiten darbieten. 

Die zweite Erkrankang, die aas dem Bilde der progressiven Muskelatrophie aus- 
geschieden worde, ist diejenige Form, bei der es sich nor am eine alleinige Affection 
der vorderen graaen Sabstanz handelt and die den schlecht gewahlten Namen der 
typischen Muskelatrophie erhalten hat. Diese Yor derhOrn eratr op hie charakterisirt sich 
dorch die Entartungsreaction der Hand-, der Scholtermoskeln ohne spastische Erschei- 
nongen. Allein die anatomische Begrfindung dieser Form ist keineswegs gesichert, 
da ein so hochgradiger Schwond der VorderhOrner, dass er die secundaren Degene- 
rationen erklaren kOnnte, nor in wenigen Fallen nachgewiesen ist; so ist der Fall 
yon Pick dorchaos zweifelhafk Es mfissen schon erhebliche Degenerationen der 
Ganglien vorhanden sein, am secundAre Degenerationserscheinungen hervorzurufen. 
Und noch mehr, in manchen Fallen fanden sich die vorderen Worzeln der St&mme 
in der N&he des Rflckenmarks sogar vollkommen intact. So kann man anch die Er¬ 
krankang als peripher aaffassen, wahrend die Ganglien erst sp&ter mit afficirt warden. 

Ftir die Pseadohypertrophie der Maskeln gilt es als sicher, dass bei derselben 
eine Affection des Rfickenmarks nicht zn finden ist; der Ein wand, es handle sich 
hier am eine symmetrische Erkrankang, halte er nicht ffir stichhaltig. Auch der 
Ansicht Erb’s, es sei nicht immer nOthig, die degenerativen Prozesse in den Gang¬ 
lien nachzuweisen, k5nne er sich nicht anschliessen. Ebenso liegen die Verh&lt- 
nisse bei anderen Erkrankungen der Maskeln, die als Atrophie auftreten und die 
Erb als reine Myopathien auffasst; wenigstens ergab die Section in einer Beihe 
von Fallen das Intactsein der grOberen Nervenfasern und des Rfickenmarks. Diese 
Form als juvenile zu bezeichnen, ist nicht richtig, da sie auch bei Erwachsenen 
sich findet; auch die Localisation auf bestimmte Muskeln mit Yerschonung der 
Handmusculatur ist nach seinen Erfahrungen nicht zutreffend. 

Ein Fall Friedreich’s von primarer Myopathie ist wiederom als spinale 
Kinderlahmung zu betrachten. Diese Form der Poliomyelitis beruht auf wirklicher 
Entzfindung, die jedoch auch ausser der vorderen die hintere graue Sabstanz and 
die Seitenstrange befallen kann. Allerdings kommen auch Falle von traumatischer 
Entzfindung vor, bei denen man darfiber zweifelhaft sein kann, ob sie central oder 
peripher sind; der Sectionsbefund weist eine secundfire Degeneration auf. Die 
Aetiologie der Erkrankang ist allerdings noch in Dunkel gehfillt, so dass man, da 
oft nichts anderes nachzuweisen ist, an das Mitwirken einer Infection denken muss. 

Bei der subacuten Poliomyelitis, deren anatomische Grundlage noch keines¬ 
wegs ganz sichergestellt ist, ist in einzelnen Fallen ein diffuser Prozess im Rficken- 
mark, in anderen eine verbreitete Neuritis peripherer Nerven vorhanden; letztere 
ist jedoch nicht constant. Auch hier mfichte S. deshalb annehmen, dass ein un- 
bekanntes Agens, das den ganzen Kfirper betrifft, zuerst die peripheren Nerven und 
sp&ter das Rfickenmark befallt. 

Die Therapie ist im Allgemeinen gegenfiber diesen Affectionen ohnmachtig; die 
Anwendung des salicylsauren Natrons ist zwar zu empfehlen, wenn man auch fiber 
die Natur des KranWieitserregers nicht im Klaren ist. Die Wirkung des elektrischen 
Stroms ffir die chronischen Formen wird sicher noch flbersch&tzt, da ebensowenig 
wie bei der Facialislahmung seine Wirkung auf die anatomische Regeneration der 
Nerven gesichert ist. 

Discussion: 

S. Gut.tmann, Berlin, theilt einen von ihm beobachteten Fall von multipler 
Neuritis mit, die ziemlich acut einsetzte und im Yerlauf von ca. 3 Monaten unter 
Jodkali in grossen Dosen und spaterer Faradisation der gelahmten Muskeln in voll- 
kommene Heilung fiberging. 


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Bernhardt, Berlin, bespricht einen fihnlichen von ihm und Leyden beobach- 
teten Fall von multipier Neuritis mit Betheiligung des N. vagus. Vom Beginn der 
Krankheit an zeigte die Kranke ausser Motilitat- und Sensibilitatsstdrungen in den 
Extremitaten eine scheinbar nicht motorischer Pulsfrequenz von fiber 100 in der Mi¬ 
nute. Das Krankheitsbild glich dem der japanischen Beri-Beri. Auch hier trat 
unter diatetischen Maassnahmen und elektrischer Behandlung mit starken constanten 
Strdmen Heilung ein. 

Als differential - diagnostisches Merkmal zwischen Poliomyelitis und Neuritis 
multiplex* ohne Sensibilitatsstfirungen dfirfte eine deutliche Herabsetzung der elek- 
trischen Erregbarkeit der Muskeln neben kaum zu constatirender Lahmung dienen. 
Dieses Symptom kommt bei der Poliomyelitis im Beginn, bei der Neuritis hSchstens 
nach Monaten zur Beobachtung. 

Rumpf, Bonn, hat einen Fall der juvenilen Form der Muskelatrophie beobachtet, 
der das ffir diese Gruppe charakteristische Fehlen der Entartungsreaction nicht 
zeigte. Die Veranderung habe hier in den grauen Vordersaulen des Rttckenmarks 
ihren Sitz. 

Moeli, Berlin, bespricht die in Folge des Alcoholismus auftretenden Ver- 
anderungen der peripheren Nerven, die seit lange bekannt, auf Affection des Rficken- 
marks und seiner Hfiute zurfickgefuhrt wurden, wahrend jetzt constatirt ist, dass 
letzteres ganz intact sei. Besonders hebt er die Veranderung des N. opticus hervor, 
die sich bei Delirium tremens in 15 % aller Ffille findet und ein brauchbares 
diagnostisches Merkmal bildet. 

Althaus, London, warnt vor zu grossem Dogmatismus in dieser Frage, da 
z. B. die Kinderlahmung in verschiedenen Fallen verschiedene klinische Bilder lieferi 
Eine bestimmt ausgesprochene Entartungsreaction hat A. in seinen Fallen nicht be¬ 
obachtet, wohl aber eine Herabsetzung der faradischen bei normaler galvanischer 
Erregbarkeit. Die Aetiologie der acuten spinalen Lahmung sieht A. in Erkfiltung 
und Ueberanstrengung. Therapeutisch hat er von grossen Vesicatoren auf den Rficken 
in den ersten Tagen der Erkrankung vorzfigliches gesehen. 

Remak, Berlin, hebt als differentiell-diagnostisches Moment zwischen Neuritis 
und Poliomyelitis die eigenthfimliche Localisation der Affection in bestimmten Nerven- 
gebieten bei der letzteren Krankheit hervor, wahrend dieselbe bei peripheren Ver- 
anderungen nicht so pragnant ausgesprochen sei. 

(Fortsetzung folgt.) 


Berliner Gesellschaft ffir Psychiatrie und Nervenkrankheitei*. Sitzung 
den 12. Mai 1884. 

Fortsetzung der Discussion fiber Oppenheim’s Vortrag: Zur Aetiologie der 
Tabes (s. d. Ctrlbl. Nr. 9). 

Oppenheim: Gestatten Sie, dass ich zu den in der vorigen Sitzung gegebenen 
Mittheilungen heute einen kurzen Nacbsatz mache. Mein Material hat inzwischen 
die Zahl von 100 Fallen fiberschritten. Unter 100 Tabeskranken fanden sich 59, 
bei denen jeder Anhaltspunkt ffir die Annahme einer specifischen Infection fehlt. 
11 batten an Ulcus molle gelitten, 13 an Ulcus durum ohne Folgeerscheinungen. 
11 sind sicher syphilitisch gewesen, in 6 weiteren Fallen wird zWar jede Infection 
geleugnet, aber durch die in der vorigen Sitzung angeffihrten Momente wahrscheinlich 
gemacht. Auf jenem anderen Wege, den ich betreten habe, urn die etwaigen Be- 
ziehungen zwischen Syphilis und Tabes zu erforschen, bin ich zu keinem verwerth- 
baren Resultate gelangt. Unter einer sehr grossen Zahl jener Kranken, welche wegen 
bestehender Syphilis die Syphilis - Abtheilung der Charity aufsuchen und die ihre 
Primaraffection mindestens 5 Jahre zurfickdatiren, fand sich nur ein Individuum, 
das Zeichen bot, die man etwa auf eine beginnende Tabes beziehen konnte. Ich 


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werde flbrigens diese Untersuchungen nicht fortsetzen, denn die Anh&nger der spe- 
cifischen Tabes werden immer den Einwand in Bereitschaft haben, dass unter jenen 
Kranken, die an schwereren Formen der Syphilis leiden, die Tabes-Aspiranten nicht 
zu linden seien. 

Ich will hbrigens heute noch einmal betonen, dass ich mit der vorliegenden 
Statistik die Frage nicht fhr abgeschlossen halte; es ist das gar nicht mOglich an- 
gesichts der auffallenden Ergebnisse der Erb’schen Statistik. Dasjenige freilicli, was 
man ansser der Statistik als Beweismaterial fhr den Zusammenhang der Tabes mit 
der Syphilis beigebracht hat, steht nur anf schwachen Fhssen; umgekehrt ist aber 
anch manches der Argnmente, das man gegen diesen Zusammenhang angefhhrt hat, 
nicht unanfechtbar. So dhrfte man sich nicht so sehr verwundem, wenn eventuell 
gerade anf die leichten Formen syphilitischer Infection die Tabes dorsalis folgte, ist 
es doch von einigen der acuten Infectionskrankheiten bekannt, dass auf leichte Formen 
derselben schwere Erkrankungen des Nervensystems folgen kCnnen. 

Die Frage, ob es eine Beziehnng zwischen Syphilis und Tabes giebt, ist als 
cine noch offene zu betrachten. 

Remak: Wenn er frhher 25% Syphilitische unter seinen Tabikern gefunden 
habe, so mftsse er jetzt diese Zahl etwas modificiren. Er babe nur ganz sichere 
F&lle von Tabes in Rechnung gezogen und demgemass seit dem 20. Jan. 1880 uber 
64 F&lle Untersuchungen, 15 weibliche und 49 m&nnliche. R. will bei der Berech- 
nung die Frauen fortlassen wegen der grossen Schwierigkeit sicherer anamnestischer 
Erhebungen. Uebrigens war bei keiner von den 15 Frauen Syphilis zu constatiren, 
sie waren alle verheirathet oder Wittwen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit liess sich 
dagegen bei 5 von ihnen Erk&ltung, bei 1 ein Trauma (Fractura cruris), bei 2 plOtz- 
liche heftige Gemuthsbewegung als Ursache der Tabes ermitteln. — Was die Augen- 
und AugenmuskelstOrungen (R. hat auch die vorfibergehenden mit in Rechnung ge¬ 
zogen) anbetrifft, so fanden sich bei den 15 Frauen 7mal AugenmuskelstOrungen, 2mal 
Opticus-Atrophie. 

Die 49 Manner bringt R. in 3 Kategorien: 

1) solche, die sicher ein Ulcus durum und secund&re Erscheinungen gehabt haben 
(14 F&lle); 

2) solche, die ein Ulcus durum, aber niemals secundare Erscheinungen gehabt haben 
(14 F&lle); 

3) solche, bei denen keine Syphilis zu ermitteln ist (21 F&lle). 

ad 1. Hier traten die ersten Symptome von Tabes nach 1—23 Jahren (Durch- 
schnitt 8 Jahren) auf, nach stattgehabter Infection. — Ansser der Syphilis war aber 
hier mit grosser Wahrscheinlichkeit in 6 Fallen Erk&ltung als &tiologisches Moment 
nachzuweisen. — 4mal waren Augenmuskelstorungen vorhanden, 3mal Opticus-Atrophie. 

ad 2. Unter diesen 14 F&llen ist in 6 oder doch in 5 Syphilis ziemlich sicher 
auszuschliessen; von anderen urs&chlichen Momenten ist anzuffthren: 7mal Erk&ltung, 
lmal Trauma (Fractura ossis ilei). — In 3 F&llen fanden sich Augenmuskelstorungen. 

ad 3. Hier sind von den 21 Kranken 7 Privatpatienten, bei denen die Anam- 
nese aufs Genaueste erhoben werden konnte. — Yon 10 Kranken waren gesunde 
Kinder vorhanden, niemals war bei den Frauen Abortus vorgekommen. — Bei 3 Kranken 
bestand jedoch ein gewisser Verdacht auf Syphilis (lmal Tibia-Exostosen, lmal Taub- 
heit der 9j&hrigen Tochter). 

Hier waren im Uebrigen 9mal Erk&ltungen als Ursache anzugeben. — 8mal 
fanden sich Augenmuskell&hmungen, lmal Opticus-Atrophie. 

Zieht R. nun das Gesammtresultat, so kommt es darauf an, ob man sich in 
Bezug auf die Lehre von der Syphilis auf den Standpunkt der Unitarier stellt oder 
nicht. Im ersten Falle wtirde R. unter seinen 49 M&nnern 31 Syphilitiker = 63,5 % 
z&hlen m&ssen. R. halt dies aber nicht f&r richtig, denn nur ein vorangegangenes 
Ulcus, ohne Folgeerscheinungen, bei Yorhandensein gesunder Kinder etc. beweise nichts. 


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1st man demnach nicht Unitarier, so sind unter R.’s Fallen nur 36,7 °/ 0 , und ganz 
sicher sogar nur 28,5 % Syphilitische, Oder als mittlere Zahl hieraus 33,3%. 

Yon sonstigen atiologischen Momenten waren bei den 49 Mannern nachzuweisen: 
Erkaltung in 45%, Trauma 2%. 

AugenmuskelstOrungen fanden sich bei den Tabikem, die syphilitisch geweeen, 
eben so oft, wie bei den nicht syphilitischen; Opticus-Atrophie dagegen scbeint bei 
syphilitischer Yergangenheit Ofter vorzukommen. 

Bernhardt: Ich verffige fiber 125 Ffille yon Tabes, bei denen die Vergangen- 
heit in Bezug auf Syphilis genan erforscht ist. Ich habe zwei Berechnungen auf- 
gestellt, je nachdem alle Falle syphilitischer Infection im weitesten Sinne, also auch 
blosses Ulcus molle, mitgerechnet wurden, oder nur F&lle von Syphilis mit Secundar- 
erscheinungen, also mit Ausschluss der Falle von blossem Ulcus molle. Ich habe 
vier zeitlich aufeinanderfolgende Zusammenstellungen gemacht: 

1) 67 Falle von Tabes, darunter 40 % syphilitisch resp. 21 % (°hne Ulcus molle-Falle). 

2) 20 „ „ „ „ 60% „ „ 45% „ „ „ „ 

3) 26 „ „ „ „ 57,6% „ „ 38,4% „ „ „ „ 

12 „ „ „ „ 83 % „ „ 83 % ,, „ „ „ 

Im Durchschnitt also auf 125 Falle 60 % resp. 46,8 %. 

Ich habe nun auch einmal bei 100 anderen Kranken ohne Tabes (Tuberculosen) 
— mit Hfilfe des Hrn. Dr. Perl — den Procentsatz der Syphilitischen ermittelt; 
er betrug, mit Ausschluss der Falle von Ulcus molle, 26%; femer bei 25 Nerven- 
kranken, die nicht Tabiker waren: hier betrug er 38,6% resp. 23,6 (ohne Ulcus 
molle-Falle). 

Bemak bemerkt noch, dass er niemals floride Erscheinungen von Syphilis bei 
Tabikem gesehen hat, was doch bei anderen Nervenkranken nicht selten vorkommt, 
z. B. bei Hemiplegikern. Im Ganzen scheme Hr. B. annahernd dieselben Resultate 
gehabt zn haben, wie er, besonders bei Weglassen der Falle vor dem 20. Jan. 1880. 

Bernhardt hat auch nur einmal floride Syphilis bei Tabes gesehen, Tibia- 
Exostosen, die sich nach Jodkalium verloren. 

Westphal kann nicht nmhin, auf einen Aufsatz von Hm. MObius im „Central- 
blatt ffir Nervenheilkunde“ etc. hinzuweisen, in welchem derselbe 5 Frauen aufffchrt, 
die Tabes hatten und vorher syphilitisch gewesen waren: damit wolle Hr. MObius 
die Erb’sche Auffassung stfitzen. In der That werde doch aber hiermit ganz und 
gar nichts bewiesen, denn W. konne mit Leichtigkeit 5 und sehr viel mehr Falle 
von Tabes bei Frauen anffihren, bei denen keine Syphilis vorherging. Ebensowenig 
sei eine so einseitige Zusammenstellung der einschlagigen Literatur, wie sie Hr. MO bins 
loco cit. gebe, bei relativ so geringer eigener Erfahrung, sachlich von irgend welchem 
Nutzen, vielmehr mfisse man sich gegen solche Arbeiten entschieden verwahren. Auch 
bei multipler Sklerose (und anderen Nervenleiden) komme sehr haufig Syphilis vor, 
aber man dfirfe doch nicht, weil wir sonst nicht viel von der Aetiologie wissen, nun 
allgemein Syphilis als Ursache dieser Leiden annehmen. 

Was fibrigens die multiple Sklerose betrifft, so mOchte W. ffir diese wohl ein- 
mal eine umfassende fitiologisch-statistische Untersuchung anregen, denn er habe den 
Eindruck, dass hier die Syphilis wirklich oft eine atiologifiche Rolle spiele. 

Mendel spricht fiber paralytischen Blddsinn bei Hunden (cf. d. CtrlbL 
1884. S. 229). Er demonstrirt die Organe zweier Hunde, von denen der eine vor 
wenigen Stunden mit centrifugal befindlichem Kopf, der andere mit in der Mitte 
des Tisches befindlichem Kopf gedreht worden war. In dem ersten Fall Tod nach 
circa 17 Minuten, hochgradige Hyperamie des Schadels, der Haute des Gehirns, 
der Kopf- und Nackenmusculatur, Anamie der Musculatur am unteren Theil des 
Bumpfs und der Beine. In dem zweiten Fall Tod nach 2 Minuten, exquisite Anamie 
all jener Organe, die sich an der Axe des Tisches befanden, Hyperamie der Mus¬ 
culatur am unteren Theile des Rumpfes und der Beine. 


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Sodann demonstrirt derselbe zwei Hunde, von denen der eine in einem weniger 
vorgeruckten Stadium geistiger Schwache mit paretischen Symptomen in den Hinter- 
beinen, der andere in einem vorgerdckten Stadium des Blddsinns mit Paresen resp. 
Yerlust des Lagegeffthls der vorderen und hinteren Extremitaten, am Bumpf (Katzen- 
buckel), Nacken, Facialis sich befand. 

Endlich zeigt er die pathologisch - anatomischen Befunde (durchgehende Ver- 
wachsung zwischen Sch&del, Dura, Pia und Himrinde, chronische Arachnitis diffusa, 
Spinnenzellen und Kementwickelung etc.). Hadlich. 


IV. Bibliographie. 

Sinnessjukdomar ooh abnorma sinnestillstand, betraktade hufvudsakligen 
tr&n r&ttsmedicinsk synpunkt af Prof. dr. Fredrik Job. BjOrnstrom. 
Stockholm 1883. Konradsberg’s boktryckeri. 8°. 96 och 106 S. 

Das vorliegende Buch, das eine gedrangte, kurzgefasste, aber dabei doch ein- 
gehende und umfassende Darstellung der Geisteskrankheiten und abnormen Geistes- 
zustande, hauptsachlich in Bezug auf ihre forensische Beurtheilung und Bedeutung 
giebt, gewinnt noch dadurch besonderes Interesse, dass es in der Stockholmer Irren- 
anstalt, deren Oberarzt Yerf. ist, von Geisteskranken gesetzt und gedruckt ist in 
einer Druckerei, die Yerf. zum Nutzen und zur Zerstreuung der Patienten angelegt 
bat und die schon wohlthatigen Einfluss auf den Gesundheitszustand verschiedener 
darin bescMftigter Pat. ausgefibt hat. 

Nach einer historischen Uebersicht unterwirft Verf. die verschiedenen Kriterien 
der Zurechnungsfahigkeit einer eingehenden Kritik und stellt allgemeine Regeln ffir 
die Untersuchung der Geistesbeschaffenheit auf, ffir die Beurtheilung derselben genaue 
Individualisirung des gegebenen Falles betonend. Ferner bespricht er die verschie¬ 
denen kfirperlichen Oder psychischen Zustande, welche eine Ausnahmestellung dem 
Gesetz und Becht gegenfiber mit sich bringen; er theilt sie ein in solche, die auf 
mangelhafter Entwickelung (physiologisch oder normal: Minderjahrigkeit, Alter — 
pathologisch Oder abnorm: Idiotie und Kretinismus, Taubstummheit) beruhen, Oder 
auf Geisteskrankheiten, Hirn-, Nerven- und anderen Krankheiten, Schlaf und Somnam- 
bulismus, Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett oder auf pathologischem Affect. 
Ffir die Eintheilung der Geisteskrankheiten erscheint Yerf. am zweckmassigsten ein 
auf die normale Anatomie und Physiologic gegrffndetes System, da die pathologische 
Anatomie zur Zeit noch nicht entwickelt genug und auch nicht geeignet zu diesem 
Zwecke sei. Dem System, das Verf. vorschlagt, liegt die Annahme der 3 anatomisch 
getrennten Begionen: Himrinde, centrale Hiraganglien an der Hirnbasis und centraler 
Theil des Bffckenmarks mit ihren physiologischen Functionen zu Grunde. Danach 
entstehen folgende 3 Hauptordnungen: 1) die rein psychischen Functionen der Hirn- 
rinde, Verstand und freier Wille; 2) die Functionen der Himganglien (?), Sensationen 
und Triebe, ein Mittelglied zwischen der 1. und 3. Ordnung und das Verbindungs- 
glied zwischen beiden; 3) die Functionen des Btlckenmarks, Gefuhl und Bewegung 
(unbewusste), rein somaiische Functionen mit treibenden Impulsen innerhalb der 
eigenen Sphare (Beflexbewegungen) oder von den beiden hOheren Spharen aus. Da¬ 
nach ergiebt sich folgende specielle Eintheilung der Geistesstdrungen: A. Formen 
von allgemeiner Stdrung. a) Angeborene oder in friiher Kindheit entstandene 
(Idiotie und Kretinismus). b) Erworbene: 1) mit Exaltation (typische Manie); 2) mit 
Depression (typische Melancholic); 3) wechselnde (Insania altemans, Folie circulaire); 
4) mit Stumpfheit (Apathie) und zwar primare acute (Dementia acuta), secundare 
chronische (Dementia chronica), hierher gehort auch die Paranoia universalis secun¬ 
daria; 5) mit Lahmung (Dementia paralytica). — B. Formen von partieller 


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StSrung. a) In der Hirnrinde, partielle Storungen des Yerstandes (Paranoia par¬ 
tialis, Ecnoia); primare Verrficktheit (Paranoia, Ecnoia primaria), mit Exaltation 
(Paran., Ecn. maniaca), mit Depression (P., E. melancholica); secundare partielle 
Verriicktheit (Paran. part. sec.), b) In den Himganglien, Storungen der Gefuhle und 
Triebe: «) im Allgemeinen, mit Exaltation (Mania simplex, maniakaHsche Exaltation), 
mit Depression (Melancholia simplex, melancholische Verstimmung); (9) krankhafte 
Affection besonderer Triebe und Geffihle: gesteigerte korperliche (viscerale) Empfin- 
dungen (Hypochondria simplex), gesteigerte religiose Geffihle (Melancholia Oder Mono¬ 
mania religiosa, Ekstase), gesteigerte moralische Gefuhle (ethische Hyperasthesie, 
Zweifelsucht im 1. Stadium), herabgesetzte (abgestumpfte) moralische Triebe und 
Gefuhle (ethische VeriUcktheit, ethische Anasthesie, Insania moralis); f) krankhafte 
Steigerung besonderer Triebe (soweit man sie von der Insania moralis und anderen 
Formen trennen will), impulsive Verrucktheit (hierher gehOren Pyromanie, Klepto- 
manie, Mordmanie etc.). — Ausserdem noch Geisteskrankheiten als Complication so- 
matischer Krankheiten (Syphilis, Apoplexie, Epilepsie, Hysterie, Alcoholismus und 
andere toxische Psychosen, Schwangerschaft, Wochenbett, Klimakterium, Typhus und 
andere fieberhafte Krankheiten etc., auch Dementia senilis). In einem ersten Anhange 
theilt Verf. eine Auswahl meist kurz skizzirter F&lle als Beispiele ffir die verschie- 
denen Formen von GeistesstOrung mit, in einem zweiten, besonders paginirten die 
denselben entsprechenden Gutachten. Walter Berger. 


V. Vermischtes. 

Am 14. u. 15. Juni findet in Baden-Baden die IX. Wanderversammlung der sudwest- 
deutschen Neurologen und Aerzte statt. Bis jetzt sind folgende Vortrage angemeldet: 
1. Prof. Dr. Lichtheim (Bern): Ueber Degeneration des Herzmuskels bei Erkrankung des 
Nervus vagus. — 2. Geh. Hofrath Dr. Schule (Jllenau): Ein Fall von nervoser DyBpepsie. 
— 3. Prof. Dr. Jolly (Strassburg): Ueber Pseudobulbarparalyse. — 4. Prof. Dr. Manx 
(Freiburg): Ueber angeborne Anomalien des Auges in Beziehung auf psychische Abnormi* 
taten. — 5. Prof. Dr. Hitzig (Balle a. S.): Ueber subnormals Temperaturen der Paralitiker. 
-- 6. Prof. Dr. Ffirstner (Heidelberg): Ueber Gliose der Hirnrinae. — 7. Prof. Dr. Bins- 
wanger (Jena): Beitrage zur patholog. Histologie der Dementia paralytica. — 8. Privat- 
docent Dr. Rumpf (Bonn): Thema vorbehalten. — 9. Prof. Dr. Moos (Heidelberg): Be- 
merkenswerthes Verhalten der Gehdrfunction in einem Faile von Kleinhirntumor. — 
10. Privatdocent Dr. M obi us (Leipzig): Ueber periodisch wiederkehrende Oculomotorius- 
lahmung. — 11. Prof. Dr. Wiedersheim (Freiburg): Besitzen die Fische einen Hiramantel 
(Pallium) im Sinne der ubrigen Wirbelthiere und des Menschen? — 12. Dr. Tuczek (Mar¬ 
burg): Mittheilung von Stoffwechseluntersuchungen bei abstinirenden Geisteskranken. — 

13. Privatdocent Dr. Mommsen (Heidelberg): Experimentelles fiber Sehnenreflexe. — 

14. Prof. Dr. Schultze (Heidelberg): Kleinere Mittheilungen: a) fiber traumatische Myelitis; 
b) fiber Deformitaten der Medulla spinalis. — 15. Dr. Rich. Schulz (Braunschweig): Neo¬ 
plasma der Medulla spinalis mit Demonstration. — 16. Dr. Hfihnerfauth (Bad Homburg): 
Ueber zwei Faile von Halssympathicusaffection. — 17. Privatdocent Dr. East (Freiburg): 
Zur Pathologie der nervSsen Gastrointestinalcrisen. — 18. Prof. Dr. Thomas (Freiburg): 
Ueber einen geheilten Fall von acut. Polyneuritis. — 19. Privatdocent Dr. Engesser (Frei¬ 
burg): Ueber hysterische Jschurie. — 20. Privatdocent Dr. Kraepelin (Munchen): Ueber 
Erinnerungstauschungen. — 21. Privatdocent Dr. Witkowski (Strassburg): Ueber epilep- 
tische Anfalle. — 22. Prof. Dr. Erb (Heidelberg): Ueber einen Fall von Blutung in das 
Corpus callosum. — 23. Prof. Dr. Wille (Basel): Ueber das Verhaltniss der TaW zum 
Alcoholismus. 


Im New York medical Journal wird von einer Morphiumsfichtigen berichtet, die taglicb 
5,5 Gramm Morphium sich iniicirte. Symptome: Ausfallen der Haare, hartnackige Obstipation, 
Anorexie, unregelmassiger Scnlaf, Charakterveranderung und ein ziemlich erhebliches Sinken 
der Korpertemperatur. 

Einsendungen fur die Redaction sind zu richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Veriag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Dritter 


Herausgegeben von 

Dr. E. Mendel, 

Priratdocent an der Unlyenit&t Berlin. 


Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhan diungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1884. 


15. Juni. N*12. 


In halt. I. Originalmlttheilungen. 1 . Einige Bemerkungen zu der Mittheilung von 
Dr. Bechterew und Rosenbach „iiber die Bedeutang der Intervertebralganglien" von Schultze. 
2. Kurze Mittheilung fiber die bisherigen Versuche mit Paraldehyd in Stephansfeld von Benda. 

II. Referate. Anatomie. 1. Zur Histiogenese des Rfickenmarkes der Forelle von Rohon. 

— Experimentelle Physiologie. 2. Die centralen Organe fur das Sehen und Horen bei 
den Wirbelthieren von Munk. 3. Ausschaltung des Lendenmarkweiss von Ehrlich u. Brleger. 

4. Specrfische Energie der Hautnerven von Blix. — Pathologie des Nervensystems. 

5. Destruction of occipital lobe accompanied by blindness by Hamilton. 6. Obstruction de 
Tartere Bylvienne gauche dans le cours de la fievre typhoide: hemipldgie du cotd droit, aphasie, 
par Vulplan. 7. Transitorische Aphasie bei Typhus abdominalis von KUhn. 8 . 6tude sur la 
sclerose en plaques cdrebrospinale a forme de sclerose latdrale amyotrophique par Dejerine. 
9. A fatal case of concussion of the spinal cord by Sharkey. 10. Case of concussion and 
infiammaation of spinal cord from gunshotwound of back by Edmunds. 11. Des accidents 
vertigineux et apoplectiformes dans le cours des maladies de la moelle dpiniere par 
Gfraudeau. 12. Note sur un cas de paralysie radiculaire du plexus brachial par Giraudeau. 
13. Des ndvralgies diabdtiques par Cornillon. 14. Beitrage zur Epilepsie von Ruhemann. 
15. Pseudohypertrophie und progressive Muskelatrophie bei Kindern von Jakubowiftsch. — 
Psychiatrie. 16. Alienation mentale consecutive a Tintoxication par le sulfure de carbone 
par Voisln. 17. Miryachit: a newly described disease of the nervous system and its analogues, 
by Hammond. 18. Di una forma speciale di nevrosi psicomotoria pel Venturi. 19. Contribu- 
zione alio studio della cosi detta asfissia locale negli alienati del Algeri. 20. Le variazioni 
del diametro pupillare negli epilettici del Musso. 21. Un cas de dystrophie et de chute 
spontanee des ongles dans la paralysie generale progressive par Rdgis. — Therapie. 
22. Constant watching of suicidal cases by Savage. 23. Rectal feeding and medication by 
Mickle. 24. De l’emploi de l’acide sclerotinique dans Tepilepsie par Bourneville et Bricon. 

— Porensische Psychiatrie. 25. Imbecillitat, religiose Melancholie, versuchter Qiftmord 
des Kindes und versuchter Selbstmord von v. Krafft-Ebing. 

III. Aus den Gesellschaften. 

IV. Bibliographle. 

V. Vermischtes. 


I. Originalxaittheilungen. 

1. Einige Bemerkungen zu der Mittheilung von 
Dr. Bechterew und Rosenbach „uber die Bedeutung der 
Intervertebralganglien" in Nr. 10 dieses Blattes. 

Von Prof. Schultze in Heidelberg. 

Die Herren Dr. Bechtehew und Rosenbach haben in jtogster Zeit mehreren 
Hunden die Cauda equina durchschnitten. 


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Au 8 den entstandenen Folgen dieses Eingriffe schliessen sie, dass die Gang- 
lienzellen des Ruckenmarkes ihre trophischen Centren in den Intervertebral- 
gauglien haben, wahrend man bis jetzt geglaubt hatte, dass dieselben in ihrer 
Emahrung auf sich selbst angewiesen waren. Dieses Untersuchungsresultat der ge- 
nannten Experimentatoren ist so einschneidender Natur, widerspricht so sehr den 
sonst bekannten Thatsachen, dass eine nahere Erorterung der betreffenden Yer- 
suche wohl verzeihlich erscheint. 

Weswegen machten die Herren Bechterew and Rosenbach ihre merk- 
wfirdigen Experimente? 

Es lag uahe, sagen sie, anzunehmen, dass nach den ihnen bekannten 
WALLER’schen Untersuchungen nnd den gleichartigen anderer Antoren, auch die 
intramedullaren Fortsetzungen der sensiblen Wurzeln nach der Durchschneidung 
der hinteren Wurzeln beeinflusst werden wurden. 

Es lag dies in der That nahe anzunehmen, ausserst nahe. Es war sogar 
schon festgestellt. 

Zwar halten Bechterew und Rosenbach die Experimente von Singer 
z. B. nicht fur geniigend. Aber warum in aller Welt nicht? Sie behalten ihre 
Griinde fur sich. Durchschnitt nicht auch Singer die hinteren Wurzeln und 
zwar in sehr zweckmassig variirter Weise und erhielt regelmassig die schonste 
aufsteigende Degeneration in den zugehorigen intramedullaren sensiblen Nerven- 
fasern? 

Es genugt aber eben nicht, nur einzelne Wurzeln zu durchschneiden; man 
muss die ganze Cauda equina durchschneiden. Sie enthalt zwar auch nicht alle 
hinteren Wurzeln des Ruckenmarkes; aber doch einen grossen Theil. Und je 
mehr man durchtrennt, desto besser. So wollen es die Herren Bechterew und 
Rosenbach. 

Aber selbst die ausschliessliche Richtigkeit der B. und R.’schen Yersuchs- 
anordnung zugegeben, sind denn noch keine Falle von completer und partieller 
Laesion der Cauda equina beim Menschen bekannt? Weiss man gar nichts uber 
die Folgen dieses pathologischen Zustandes? Hat man nicht bereits die Projici- 
rung der einzelnen sensiblen Wurzelfaserbundel, besonders diejenigen fur die 
TJnterextremitaten, auf den Querschnitt des Halsmarkes untersucht und studirt? 

Und hat sich die Thatsache der bis zu den Clavae hinaufreichenden secun- 
daren Degeneration der GoLL’schen Strange nach Cauda-equina-Lasion auch fur 
den Menschen nicht schon als ein ganz gesetzmassiges Ereigniss herausgestellt? 

Aber es mussen Hunde sein, an welchen mit einem Messer eine ausgiebige 
Yerwundung angelegt wird; dann handelt es sich um ein sogenanntes physio- 
logisches Experiment. Wenn dagegen bei einem Menschen ein ganz analoges 
Trauma vorliegt, oder die Natur das noch viel einwurfsfreiere, wenn auch gran- 
samere Experiment der Compression durch einen circumscripten Tumor anstellt, 
welcher die Fasern der Cauda equina allmahlich vollig zur Vernichtung bringt, 
dann handelt es sich um werthlose Beobachtungen. 

Das eine Resultat, welches die Herren Dr. Bechterew und Rosenbach 
bei ihren Yersuchen erhielten, war gerade so neu, wie etwa die sonderbare That- 


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sache, dass gelegentlich weisse Blutkorper durch die Gefasswand schlupfen. Sie 
fanden namlich die bekannte aufsteigende Degeneration in den Hinterstrangen. 
AUerdings nicht ausnahmslos. Bei einigen Fallen, wo die Thiere nur kurze Zeit 
nach der Operation am Leben geblieben waren, fehlte die Degeneration der 
GoLL’schen Strange ganz oder war nur schwach angedeutet. 

Die Herren Experimentatoren konnen versiehert sein, sie ware auch in diesen 
Fallen gekommen, wenn sie nur etwas longer gewartet hatten; ihre ersten, schwer 
sichtbaren Anfange waren auch yielleicht schon da. 

Das andere Result at ist wirklich neu. In der Lendenanschwellung auch 
der sehr fruh verstorbeneu Hunde fand sich ein diffuser degeneiUtiver Process, 
Yacuolisirungen der Ganglienzellen; selbst ganze Ganglienzellengruppen waren 
yemichtet. 

Aus diesem Befunde ziehen die genannten Autoren den oben erwahnten 
Schluss. Es musste also auch bei jeder Querlaesion des Ruckenmarkes, z. B. bei 
Compression, oberhalb der primaer afficirten Stelle, eine secundare Degeneration 
der Ganglienzellen stattfinden, denn auch sie sind von den von unterhalb 
hinaufziehenden sensiblen Wurzelfasern und ihren Intervertebralganglien getrennt. 
Aber fur gewohnlich lasst sich beim Menschen nichts davon erblicken — Hunde 
untersuchte ich leider noch nicht darauf —; und ebensowenig ist kliniscb etwas 
von einer degenerativen Muskelatrophie im Gefolge eines oberhalb der ladirten 
Partien stattfindenden Ganglienzellenschwundes zu bemerken. 

Sonderbarerweise fand ich gelegentlich bei einem Falle von Compression des 
Dorsaltheiles durch ein Wirbelcarcinom in den weit entfernt liegenden Ganglien¬ 
zellen des Lendenmarks ebenfalls Degenerationszustande, namlich erhebliche 
Yacuolisirungen, ohne dass ich daraus zu schliessen wage, dass nun irgend 
welche Intervertebralganglien aufgehort hatten, diese Zellen zu emahren, oder 
auch nur, dass durch die secundare Degeneration der Pyramidenbahnen diese 
Veranderung bedingt ware. 

Die Herren Bechterew und Rosenbach haben vergessen, den Beweis zu 
fuhren, dass sie nicht direct durch das eingreifende Trauma die genannten Ver- 
anderungen hervorgerufen haben. Dieser strict gefuhrte Beweis musste jeder 
weiteren Schlussfolgerung vorangehen. So ist aber nicht einmal von der mikro- 
skopischen Beschaffenheit der Meningen irgendwo die Rede. Die angegebenen 
Yeranderungen in der grauen Substanz machen im ubrigen durchaus den Ein- 
druck von Folgezustanden traumatischer Einwirkungen in der Nahe der ur- 
sprunglichen Laesion. 

Indessen ging den beiden Experimentatoren die sekundare Yeranderung in 
der grauen Substanz und sogar in den Seitenstrangen doch in manchen Fallen 
etwas zu weit hinauf. Sie mussen sich deswegen zu der Einschrankung ver- 
stehen, es handle sich hier nicht um einen directen Einfluss der Ganglienab- 
trennung, sondern um einen „per contiguitatem fortschreitenden Process". Wo 
£ingt denn nun aber dieser im ubrigen dem primaeren durchaus gleichende 
Process an, sich per contiguitatem fortzusetzen oder durch Ganglienabtrennung 
zu entstehen? Sollte nicht am Ende auch schon der Degenerationsprocess in den 


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Ganglienzellen der Lendenanschwellong „per contiguitatem“ entstanden sein? 
Ein Unterscheidnngsmerkmal zwischen den beiden angeblich verschiedenartigen 
Processen geben die Autoren nicht Sollten sde keins gefonden haben? 

Ich mochte es beinah glauben. 

Inzwiscben aber bleibt die alte Thatsache, dass die Ganglienzellen der grauen 
Substanz, wenigstens diejenigen der Vorderhomer, trophisch von den Interver- 
tebralganglien unabhangig Bind, durchaus bestehen. 


Kurze Mittheilung iiber die bisherigen Versuche mit 
Paraldehyd in Stephansfeld. 

Von Dr. Th. Benda* 

In Stephansfeld wnrde der Paraldehyd vom September v. J. his zum Marz d. J. 
in 34 Fallen gegen Schlaflosigkeit in Anwendung gezogen. Die Falle rekrutirten 
sich aus den verschiedensten Irreseinsformen. Die Manner waxen bisher nur in 
sehr kleiner Anzahl vertreten, nur bei 12 haben wir den Paraldehyd versuchfc. 
Die niedrigste Dosis war 2,0; die hochste, zu der wir aufstiegen, war 8,0. 

Von den 12 Mannern hatten 11 fruher schon Narcotica erhalten und zwar 
theils Morphiuminjectionen, theils Opium bis zu 0,5 pro die, theils Chloral, 
theils Bromkali. Bei den Wenigsten war uberhaupt von einem Erfolg die Rede 
gewesen, bei Einigen konnte ein vorubergehender oder wechselnder constatirt 
werden. Bei der Anwendung des Paraldehyd beobachteten wir Folgendes: Bei 
4 Kranken wurde durch 4,0 ein ruhiger Schlaf erzeugt Es waren dies 2 Maniaci 
(der eine litt an periodischer Manie), 1 chronisch Verruckter und einer hatte 
circulares Irresein. Bemerkenswerth war, dass bei letzterem sehr bald die De¬ 
pression eintrat, dass der Maniacus entscbieden ruhiger und dass der periodische 
Kranke sogar Reconvalescent unter der Kur wurde. Dieser hatte nie zuvor 
Narcotica erhalten. In einem anderen Fall, bei einem sehr unruhigen Verruckten, 
wurde durch 6,0 ein ruhiger Schlaf erzielt, ohne dass indessen auf die Psychose 
selbst irgend welcher Einfluss ausgeubt wurde. 

Bei den ubrigen 7 Kranken (darunter 2 Paralytiker), bei denen theilweise 
bis auf 8,0 gestiegen wurde, war die Wirkung entweder hochst unsicher und 
wechselnd, oder = 0; in einem Falle war der Schlaf durch Traume noch mehr 
gestort, als fruher. In 2 Fallen rief das hinsichtlich des Schlafes vollig wirkungs- 
lose Mittel auch noch eine starkere Unruhe bei Tage hervor. 

Bei den Frauen wurde das Paraldehyd in 22 Fallen in Anwendung ge¬ 
zogen. Hier waren die Falle meist nicht so rein als bei den Mannern, uber 
die Halfte betraf secundare Zustande. Bei 12 waren vorher schon Narcotica 
versucht worden und zwar vorzugsweise in Gestalt von subcutanen Morphium- 
injectionen entweder mit sehr massigem oder, und dies zumeist, mit gar keinem 
Erfolge. Bei einer Pat war auch eine Opiumkur, jedoch ganz ohne Erfolg, vor- 
genommen worden. — Auch hier war, wie bei den Mannern, die niedrigste 
Dosis 2,0 und die hdchste 8,0. 


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Das Besultat war Folgendes: In 12 Fallen wurde wahrend der ganzen 
Dauer der Anwendnng ein ruhiger Schlaf erzielt Und zwar hatte man in den 
meisten Fallen nicht nothig, 4,0 zu uberschreiten. In einem besonders be- 
merkenswerthen Falle musste man sogar von 4,0 anf 2,0 zuruckgehen, am einen 
danernden Erfolg verzeiehnen zu konnen. — In 7 anderen Fallen wurde zwar 
auch ein ruhiger Schlaf mit Sicherheit constatirt, indessen war die Wirkung 
eine sehr wechselnde Oder schnell vorubergehende, und man musste sehr bald 
erfolglos zu immer hoheren Dosen ubergehen. In einem Falle, einer ganz 
frischen Manie, fehlte die Beurtheilung der Wirkung, da Pat dem Einnehmen 
solche Schwierigkeiten entgegensetzte, dass das Meiste verschuttet wurde. In 
2 Fallen endlieh wurde absolut keine Wirkung erzielt 

Die Wirkung auf das psychische Yerhalten wahrend des Tages war eine 
ausserst beschrankte. In 14 Fallen konnte von gar keiner Wirkung gesprochen 
werden. In 2 Fallen waren die Pat, welche sich Nachts eines ruhigen Schlafes 
erfreuten, bei Tage viel unruhiger, als vor der Anwendung des Mittels. In den 
ubrigen Fallen schien es, als wenn die Pat gehaltener waren; und in einem 
Falle wurde sogar durch 2,0 schon der psychische Zustand entschieden gunstig 
beeinflusst Pat, welche sich vorher in sehr gereizter Stimmung befunden hatte, 
verhielt sich den ganzen Tag uber ruhig. 

In alien Fallen wurde die Medicin '/ a —l 1 /* Stunden nach dem Nachtessen 
verabreicht Wir gaben den Paraldehyd anfangs in Oel, sehr bald aber, da den 
Eranken und namentlich den Frauen das Oel zu wider war, in Wein gelost 
Es wurde zuerst dazu Bordeaux genommen, spater aus okonomischen Rucksichten 
der gewohnliche weisse Landwein. — In der Mehrzahl der Falle wurde die 
Medicin nicht ungem, in vielen Fallen sogar gem von den Eranken genommen. 
Der Schlaf trat meist nach sehr kurzer Zeit ein, meist schon nach spatestens 
V* Stnnde. 

Unangenehme Nebenwirkungen beobachteten wir bei den Mannero gar 
nicht, dagegen einige Male bei den Frauen. Bei einer Pat trat nach dem Ein¬ 
nehmen ein leichter Brechreiz auf, bei einer anderen wurde stets Husten und 
Beklemmung beobachtet, und aus diesem Grande musste die Medicin auch aus- 
gesetzt werden; bei einer dritten Pat — dieselbe hatte einen Himtumor — 
wurde die Schwere und die Benommenheit des Eopfes, welche den Gegenstand 
ihrer Hauptklagen bildeten, noch mehr gesteigert Eine andere Pat behauptete> 
dass sie ein starkes Schwindelgefuhl verspurte, eine andere klagte daruber, dass 
ihr sehr heiss wurde, und eine Pat endlieh nasste seit dem Gebrauch der Me¬ 
dicin regelmassig in’s Bett Die Tiefe des Schlafes war eben eine derartige, 
dans das Gefuhl der gefhllten Blase unter der Schwelle des Bewusstseins blieb. 

Dass ein grosser Theil des Paraldehyds durch die Lungen ausgeschieden 
wird, ist wohl mit Sicherheit anzunehmen. Fast bei alien Eranken hatte und 
zwar nodi am anderen Morgen die Respirationsluft einen intensiven Geruch 
nach Paraldehyd. In einigen Fallen und zwar bei Pat, welche die Nacht in 
der Zelle, also in einem relativ kleinen Raume zugebracht hatten, war die 
Zellenluft vollkommen mit Paraldehyd geschwangert Manchmal wurde auch 


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von den Schwestern der Abtheilung — ich konnte mich personlich nie davon 
mit Sicherheit uberzeugen — im Urin ein Paraldehydgeruch wahrgenommen. 
Wird der Paraldehyd duich die Nieren ausgeschieden, so geschieht dies jeden- 
falls in sehr geringen Mengen. Wahrend es mir sonst gelang, den Paraldehyd 
nach Analogie der Aldehyde dnrch Argentum nitricum und das Auftreten des 
Silberspiegels sogar in einer Yerdunnung nachzuweisen, die nur noch Vio % 
Paraldehyd enthielt, gelang mir dies kein Mai im Urin der Pat, welche am 
Abend vorher Paraldehyd genommen hatten. Selbstverstandlich wurde zur 
Untersuchung der erste Urin genommen. Dass die Pat am Abend und in 
der Nacht so wenig als moglich zu trinken erhielten, brauche ich wohl nicht 
zu erwahnen. Einige Male wurde der Urin destillirt und das Destillat unter- 
sucht. Der Erfolg war gleichfalls ein negativer. 

Ich behalte mir vor, spater daruber noch genauere Untersuchungen anzu- 
stellen, auch die anderen Reagentien der Aldehyde in Anwendung zu ziehen, 
was ich bisher zu thun keine Gelegenheit genommen habe. 

Der Appetit blieb in der grossen Mehrzahl der Falle vollig unbeeinflusst. 
In einigen Fallen hob er sich entschieden, niemals wurde er verringert Beilaufig 
will ich erwahnen, dass die bei den Mannern vorgenommenen Gewichts- 
bestimmungen im Yerlauf von 3 Monaten eine Zunahme des Korpergewichtes 
um 2—3 Kilo durchscbnittlich ergaben. Daraus aber zu schliessen, dass das 
Paraldehyd die Ursache dieser Zunahme sei, wurde voreilig sein. 

Schliesslich bleibt mir noch mitzutheilen, dass wir in zwei Fallen den 
Paraldehyd, freilich ohne jeden Erfolg, auch subcutan injicirt haben und zwar 
theils rein, theils mit Olivendl zu gleichen Theilen gemischt Die injicirte Menge 
betrug 1,0. Zu Abscedirungen kam es nicht, indessen war an der Injections- 
stelle die Haut und deren Umgebung langere Zeit ziemlich schmerzhaft Auch 
bei der Einspritzung wurde und sogar von einem vollig verblodeten Paralytiker, 
der lange Zeit schon kein Wort mehr gesprochen hatte, uber ein lebhaftes 
Brennen geklagt Wir nahmen von weiteren Versuchen Abstand, weil wir bei 
der zweiten Injection einen heftigen Collaps unmittelbar nach der Einspritzung 
beobachteten. 

Aus dem Mitgetheilten ergiebt sich, "dass der Paraldehyd in vielen Fallen 
gewiss mit Erfolg angewandt werden kann. Freilich ist andererseits die Ge- 
wohnung an das Mittel eine ziemlich starke, und man muss zu immer hoheren 
Dosen aufsteigen, um einen Erfolg zu erzielen, bis auch ein solcher schliesslich 
illusorisch wird. Dasselbe beobachten wir indess bei alien Mitteln. Der Paralde¬ 
hyd hat aber vor den bisher angewandten Narcoticis, in erster Linie vor dem 
Chloral und dem Morphium das voraus, dass er viel unschadlicher ist Selbst 
bei 8,0 haben wir, abgesehen von den bei den Frauen angefuhrten, mehr un- 
angenehmen als wirklicb nachtheiligen Nebenwirkungen, nie etwas gesehen, was 
un8 hatte auffordern konnen, bei dem Mittel mit der Vorsicht zu verfahren, wie 
sie bei Chloral oder Morphium angebracht ist Chloral und Morphium sind un- 
berechenbar in ihrer Wirkung, schon kleine Dosen konnen unter Umstanden, 
die aber ausserhalb nnserer Berechnung liegen, wie ja bekannt ist, hochst 


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gefahrliche Nebenwirkungen erzeugen. Ich bin uberzeugt, man wird noch viel 
hohere Dosen versuchen konnen; freilich wird der Organismus sich auch an 
diese gewohnen. Ein Hauptvortheil des Paraldehyd ist aber der, dass er den 
Appetit nicht herabsetzt; in manchen Fallen ihn sogar erhoht. — Die Einwir- 
kung auf den psychischen Zustand ist hochst problematiscb. In der grossen 
Mehrzahl der Falle haben wir gar nichts gesehen, einige Male wurde die Un- 
ruhe gesteigert. Soli man es nun dem Paraldehyd zuschreiben, dass unter den 
Mannern in einem circularen Falle sehr bald die Depression eintrat, oder dass 
ein Maniacus ruhiger and ein periodischer Maniacus Reconvalescent wurde? Es 
ist mdglich, dass die grossere Nachtruhe, welche durch Paraldehyd in diesen 
Fallen erzielt wurde, mit dazu beigetragen hat, die Erregung der Patienten 
herabzusetzen. In einem Falle wurde bei den Frauen sicherlich der psychische 
Zustand gunstig beeinflusst 

Indem ich zum Schluss Herm Director Stark fur die freundliche Ueber- 
lassung des Materials meinen Dank abstatte, hoffe ich, dass in Zukunft der 
Paraldehyd weiterer Yersuche fur wurdig befiinden wird. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Zur Histiogenese des Buokenmarkes der Forelle von Victor Rohon. 

(Sitzungsberichte der k. bayer. Akad. d. Wissensch. 1884. H. I.) 

An Objecten einer wohl conservirten Entwickelnngsreihe von Forellen-Eiern und 
Embryonen aos der Sammlung des MUncbener histologiscben Laboratoriums machte 
Yerf. seine Untersuchungen. Er fand am 60. Tage der Entwickelung das RUcken- 
mark als runden, nur ventralwarts leicht concaven Strang. Um den etwas mehr 
nach der Bauchseite zu gelegenen Centralkanal gruppirte sich auf dem Querscbnitte 
die zellenreiche Anlage der grauen Substanz, umgeben von der Markschichi Diese 
letztere umgiebt jedoch auf der Dorsalseite die graue Substanz nicht vollstandig, 
sondem l&sst sie hier an die Oberflache treten. 

An dieser Stelle nun beobachtete R. rechts und links von der Mittellinie auf- 
fallend grosse Ganglienzellen, welche — das Rttckenmark als Ganzes betrachtet — 
jederseits eine von Eopf zum Schwanzende laufende Langsreihe bilden. Die einzelnen 
Zellen sind flbrigens nicht regelmassig symmetrisch, sondem meistens altemirend 
angeordnet. 

Zwischen Epithel des Contralkanals und der Marksubstanz liegen kleine Ganglien¬ 
zellen, ventralwarts jederseits ein Vorderhom bildend; dorsalwarts ist die graue Sub¬ 
stanz nicht in H5mer geschieden und zeigt zwischen Centralkanal und Oberflache 
in der Mitte eine Schicht quergerichteter Zellen und Fasern: die Commissura posterior. 

R. richtet nun seine Aufmerksamkeit besonders auf die grossen Ganglienzellen, 
die er als „ReissneFsche Zellen" bezeichnet wissen will, da Reissner die analogen 
Bildungen bei Petromyzon zuerst genau beschrieben hat, wahrend Eutschin, Freud, 
Ahlborn sie sp&ter wiederholt untersuchten, Stieda aber sie bei Amphioxus auf- 
gefunden hat. 

Yerf. beschreibt, dass er sie auch am Rflckenmark der ausgewachsenen Forelle 
gefunden zu haben glaubt. 

Im Forellen-Ei treten die Reissner’schen Zellen schon am 40. Entwickelungstage 


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auf, frfiher als irgend welche andere Ganglienzellen am Rfickenmark and Gehirn. 
Es linden sich also die ersten erkennbaren Nervenzellen im sensiblen Gebiet. — 
Ihre lateralen Fortsatze hangen wahrscheinlicb mit den dorsalen Euckenmarkswnrzeln 
zusammen; doch nehmen an der Bildung der dorsalen Wurzeln aucb Fortsatze der 
kleinen Zellen der granen Substanz Theil. Hadlich. 


ExperimentellePhysiologie. 

2) Ueber die eentralen Organ© fCLr das Sehen und Horen bei den Wirbel- 
thieren von Hermann Mnnk. (Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Berlin. 
1884. XXIV.) 

Verf. setzt in der vorliegenden Arbeit seine Mittheilung vom 12. Juli 1883 fort, 1 
and zwar fiber Experiment®, die er, mit Rficksicht auf abweichende nenere Beobach- 
tungen an den betreffenden Thieren, an Kaninchen, Meerschweinchen und Batten aus- 
geffihrt bat. Da bei diesen niederen Saugethieren aber die Intelligenz sebr gering 
ist, so konnte es sicb bei ibnen nur urn Totalexstirpationen des ganzen Grosshirns 
bandeln, d. b. der Hemispbfiren mil den Corpora striata; Tbalam. optic, und Corp. 
quadrigem. warden sorgf&ltig gescbont. 

M. giebt zanacbst fiber seine Operationsmetbode und fiber die bei derselben 
auftretenden Stfirungen — in Folge deren er nur bei 20—30% aUm* Operirten 
ganz gelungene Besultate erzielte — genaue Auskunft. 

In solcben gelungenen Fallen, wo Nacbblutungen etc. ausblieben, erbielt Yerf. 
die Kaninchen 50 Stunden, die Meerschweinchen und Ratten bis 90 Standen am 
Leben; langer fiberlebte keins der Tbiere die Operation. Nicht etwa dass sie, wie 
man wobl gesagt bat, verhungerten, denn der Magen enthielt oft nocb bei der Section 
Speisereste; sondern sie starben, abgeseben von den Nacbblutungen, in Folge der 
secundaren Gebirnerscbeinungen, Entzfindung, Erweichung etc. 

In den gelungenen Fallen nun beobachtete M. vom Ende der Operation an bis 
zum Tode 3 auf einander folgende Stadien in dem Verhalten der grossbirnlosen Tbiere: 

1) Erscbfipfungsstadium: unbewegliches Liegen in jeder beliebigen Lage, 1 bis 
1% Stunden lang. 

2) Rubestadium: das Tbier nimmt eine rubige hockende Stellung ein, macbt 
selten eine geringe Bewegung mit einem Beine, dem Kopfe, den Obren, Oder blinzelt 
mit den Augen, bewegt sich auch bin und wieder etwas von der Stelle (Reflex- 
bewegungen). 

So einige Stunden lang. Dann kommen stossende, rasche Exspirationen mit 
einem Niesegerauscb oder einem kurzen hohen Tone, und nacbdem diese Exspirationen 
haufiger und heftiger geworden sind, tritt 

3) das Laufstadium ein. Selten gerade aus, meist in Kreisen oder Spiralen 
lauft das Tbier anfangs einige Schritte, und hockt dann wieder still. Nach und nach 
werden dann die Pausen kfirzer, die Laufbewegungen andauemder und heftiger, kaum 
noch von Pausen unterbrochen. Dann nimmt die Bewegung an Dauer und Starke 
wieder ab, die Pausen nebmen wieder zu, endlich fallt das Tbier plfitzlich am, 
ricbtet sicb aber, und aucb mehrmals nacb wioderholtem Umfallen wieder auf, bis 
es unter heftiger Dyspnoe, zuletzt nur nocb beftigster Kopfdyspnoe, stirbt. 

Die abweicbenden Angaben Anderer (Schiff und Cbristiani) fiber das Yer- 
halten dieser niederen Sfiugetbiere nach ihrer Entbirnung erkl&rt M. daraus, dass 
diese Forscher entweder nur einzelne Stadien, z. B. nur das Erschfipftmgs- oder nor 
das Rubestadium, beobachteten, wie ja dann der frfiher oder spater eintretende Tod 
das Gesammtbild modificirt; oder dass sie die Beobachtungen nicht richtig deuteten. 

1 Cf. dieses Centralbl. 1883. S. 483. 


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Nach M.’s Auflassung entspricbt nur der Zustand dieser niederen Saugethiere 
im Buhestadium dem dauernden Zustande anderer Thiere, z. B. der Tauben, nach der 
Abtragung des Grossbirns, wie er allgemein beschrieben wird. Bei dieser Aulfassung 
haben wir bier wie dort die gleicben Erscheinungen, die gleicben Folgen der Operation. 
— W&hrend aber dieser Znstand bei der Taube constant bleibt, treten bei den nie¬ 
deren Saugethieren sehr bald Beizzustande von der Wnnde aus ein, welche anfangs 
die heftigen Exspirationen (nach Schiff Beiznng einer zwiscben dem Corp. striat. and 
Thalam. optic, gelegenen Stelle), dann die Laafbewegangen etc. bervorrafen. In manchen 
F&llen beobachtet man ja aacb bei Y6geln Aebnlicbes. 

Benzi and zam Theil aacb Scbiff batten diese Verhaltnisse im Allgemeinen 
scbon richtig gedeutet, and die auffcretenden Laufbewegangen etc. wie M. aufgefasst, 
namlich als von den Wandreizen bedingte Zwangs- and Beflexbewegungen. — Wenn 
dem gegenbber Cbristiani die Tbiere nacb der Operation im Allgemeinen ebenso 
fand, wie nicbt enthirnte, so erkl&rt M. dessen Auffassungen fbr irrtbttmlich and er- 
laatert dies in eingehender Weise. 

Die genaae Erdrterang des Gesammtverhaltens der operirten Thiere hielt M. fbr 
die richtige Beurtheilung ibres SehvermOgens fbr notbwendig. 

Was nun dieses letztere betrifffc, so sind nacb M. die des Grossbirns beraubten 
niederen Saugethiere ganz bestimmt vollkommen blind: sie stossen an alle Hinder- 
nisse auf ibrem Wege an, fallen vom Tische, zeigen ausser der Pupillenreaction nicht 
die geringste Beeinflassong durch schroffen Wecbsel von grellem Licht und Finsterniss. 

Aacb bier seien Christianas gegentbeilige Bebauptungen irrtbftmlicbe und 
beruhten auf nngenauen Beobacbtnngen. Und die von Strassburg aas angekbndigte 
Arbeit, durch welche Christianas Angaben best&tigt werden sollten, lasse nun 
scbon seit 3 Jabren auf sich warten. 

M. hat ftbrigens zur Controle den entbirnten Thieren nachtraglich noch die 
Augen zerstdrt, and hiernach das Verbalten derselben in nichts vor&ndert gefunden. 

Da die operirten Kaninchen, Meerscbweincben und Batten stets nach 2—4 Tagen 
sterben, so lbsst sich aber den dauernden Erfolg der Abtragung des Grosshims direct 
nichts ermitteln. Es darf jedoch wobl angenommen werden, dass die Blindheit eine 
bleibende ist: „wie bei den hflheren Saugethieren und den V6geln, so sind auch bei 
den niederen Saugethieren alle centralen Vorgange des Gesichtssinnes an das Gross- 
him gekntlpft." 

Moeli’s, von Monakow’s und von Gudden’s Arbeiten, sowie Beobachtungen 
von M. nacb halbseitigen und partiellen Exstirpationen lassen erkennen, dass beim 
Kaninchen aacb die Lage der SebspbSren und ihre Verbindung mit beiden Betinae 
deijenigen beim Hande analog ist. Hadlicb. 


3) Ueber die Ausschaltung des Lendenmarkweiss. (Aus dem Laboratorium 
der I. med. Universitatsklinik des Qm. Geb.-Bath Prof. Dr. v. Frericbs.) Von 
Prof. Ehrlich und Prof. Brieger. Erste Mittbeilung. (Ztschr. f. klin. Med. 
1884. Bd. Vn. Suppl.-H.) 

Verf. suchten experimentell za prhfen, welche Veranderungen das Absterben der 
motoriscben Ganglienzellen des Bbckenmarks in den von ihnen versorgten Gebieten 
hervorrufe. Sie scblugen zu diesem Zweck den Weg ein, durch den Stenson’scben 
Versuch, Umstecbung der Aorta, eine anaimische Necrose der grauen Substanz 
eines bestimmten Bftckenmarkabschnittes zu erzeagen, was durch Liegenlassen der 
Ligatur durch genilgend lange Zeit gelang. Die Annabme, dass es m5glich sein 
wiirde, auf dem Wege der ktinstlicben Anamie die functionsauslosenden Tbeile — 
graue Substanz — zu ertOdten, die Leitungsbahnen intact zu erbalten, bestatigte sich 
in diesen Versucben. Lag die Ligatur kurzer als l j 2 — 3 / 4 Stunden, so erlangten die 
Versacbsthiere die Grebraucbs^bigkeit der hinteren Extremitaten wieder, dauernde 


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Lahmung resultirte dagegen, wenn die Unterbrechung der Circulation iiber 1 Stunde 
gedauert batte. In den Genesungsfallen traten nach Lahmung der Ligatur heftige 
Reizerscheinungen, cloniscb-tonische Zuckungen der Hinterextremitaten ein, die offen- 
bar von Reizung der Zellen des Lendenmarks abhangig waren. Bei gelungener 
Operation und bleibender motoriscber und sensibler Lahmung der Hinterextremitaten, 
der Blase und des Mastdarms bemerkte man nur stundenlang andauemde flimmemde 
Bewegung der Lumbarmusculatur. Die Tbiere warden bei genugender Sorgf&lt bis 
zu 6V 2 Wocben am Leben erbalten und boten zunacbst das Bild der acuten 
diffusen Myelitis. Die Blase war stets dilatirt und bot scbon am 4. Tage 
deutlicbe Hypertropbie der Wandungen dar, die nicbt anders denn als Folge 
der andauemden und excessiven Ueberdebnung aufgefasst werden kann. 

Die Lahmung der Hinterextremitaten, die in der ersten Zeit eine scblaffe 
ist, beginnt sicb nacb 12 Tagen mit Beugecontractur zu compliciren, die zur 
totalen Fixation der Gelenke fflhrt. Mit der Contractur tritt deutlicbe Atropbie 
der Muskeln ein, die nacb 6V 2 Wocben mit bindegewebiger Entartung verbunden 
war. Den Charakter der Flexionscontractur erklaren Verf. durch das „Uebergewicbt 
der Beugemuskeln." 

Verff. baben aucb zu verscbiedenen Zeiten die elektriscke 1 Erregbarkeit der 
Nerven und Muskeln gepruft. W&brend des Liegens der Ligatur und 24—36 Stunden 
nacb der Labmung fanden sie den Nerven vflllig erregbar. 3 bis sp&testens 4 Tage 
nacb LOsen der Ligatur wurde der Nerv fHr immer unerregbar, wabrend der Muskel, 
so lange die scblaffe Labmung bestand, nocb immer elektriscb und mechanisch er¬ 
regbar blieb. Verff. bringen diese Verhaltnisse in Parallele mit dem Verbalten des 
Nerven nach Durchschneidung des Stammes. 

Die mikroskopische Untersucbung liess schon in den ersten Tagen tief- 
gebende Destruction der grauen Substanz des betreffenden Rflckenmarksabschnitts 
erkennen; in der 2. Wocbe war sie bis auf kleine Reste von einem zellenreicben 
Bindegewebe substituirt, die Ganglienzellen vollkommen untergegangen. Aucb in 
der weissen Substanz zeigten sicb in der 2. Woche degenerative Vorgange, die im 
weiteren Verlauf an Intensitat und Verbreitung zunabmen. Ausgedehnte Degeneration 
im Vorderseitenstranggebiet fand sicb bei dem nacb 6 l j 2 Wochen getodteten Thier, 
wabrend die Hinterstrange mit Ausnabme ibrer Kuppe woblerhalten waren. Die 
vorderen Wurzelbtindel vollstandig entartet, die hinteren Wurzeln ganz intact, ebenso 
die Spinalganglien. 

Verff. betrachten die Veranderungen der weissen Substanz als sec und a re 
Degenerationen hauptsachlich der kurzen Faserbabnen; eine genauere topo- 
grapbiscbe Angabe wird in Aussicht gestellt. Das Unversebrtbleiben der Hinter¬ 
strange bringen sie in Zusammenhang mit der Integritat der Spinalganglien, als des 
Emahrungscentrums sensibler Fasern. Nach ihren Ergebnissen, deduciren Verff., sei 
es nicbt mehr gestattet, Degenerationsprozesse sensibler Nerven auf Lasionen der 
grauen Rffckenmarkssubstanz zur&ckzuf&hren; ferner kOnnten die supponirten „tro- 
pbiscben Centren" nicbt im Lendenmarkgrau ihren Sitz haben. Eisenlohr. 


4) Experimentelle Beitr&ge zur Losung der Frage fiber die speciflsohe 
Energie der Hautnerven von Magnus Blix. Aus dem physiolog. Inst 
zu Upsala. Erste Abhandlung. (Ztscbr. f. Biologie. Bd. XX. S. 141.) 

Wenn das Job. Mftller’sche Gesetz der specifiscben Sinnesenergien richtig ist, 
d. b. wenn ein erregter Sinnesnerv, unabbangig von der Beschaffenheit des Reizmittels, 
nur eine einzige Art von Empfindungen bervorruft, so ist es klar, dass nicbt ein 

1 Es handelt sicb wobl immer urn die faradische Erregbarkeit, was die Verff. nicht 
speciell hervorheben. 


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und derselbe Nerv die beiden verschiedenen Temperaturempfindungen vermitteln, seine 
Erregung nicht das eine Mai die Empfindong des Kalien, das andere Mai die des 
Warmen hervorrafen kann. Es mfissen vielmehr fur Warme- und Kalteempfindung 
gesonderte Nerven und Nervenendorgane existiren. Dass dies in der That wahr- 
scheinlich der Fall ist, hat Yerf. auf doppeltem Wege nachgewiesen. Er findet 
namlich, dass elektrische Reizung mit einem schwachen faradischen Strom nicht an 
alien Hautstellen die gleiche Empfindung bewirkt, sondern dass vielmehr an der 
einen Stelle Schmerz, an der andern Kalteempfindung, an einer dritten 
Warmeempfindung, an einer vierten moglicherweise Druckempfindung entsteht. 

Es ist ihm ferner mittelst eines einfachen, aber sinnreichen Apparats (einos 
hohlen Neusilberstiftes, durch den nach Belieben kaltes Oder warmes Wasser geleitet 
werden kann), der Nachweis gelungen, dass sowohl die Kalto- als auch die Warme¬ 
empfindung nur von gewissen, verhaltnissmassig zerstreuten scharf, begrenzten Punkten 
der Haut ausgelCst wird, w&hrend die zwischenliegenden Theile der Haut ffir diese 
Keizmittel unempfindlich sind. 

Es sind ferner diejenigen Punkte, an denen Warme empfunden wird, ganz andere, 
als diejenigen, welche die Kalteempfindung vermitteln. 

Nur ausnahmsweise liegen Kalt- und Warmpunkte so nahe aneinander, 
dass die beiden entgegengesetzten Temperaturempfindungen von derselben Hautstelle 
ausgelfist werden konnen. Irgend eine Regelmassigkeit in der lokalen Anordnung 
der verschiedenen Nervenapparate scheint nicht zu bestehen. A. Blasehko. 


Pathologie des Nervensystems. 

5) Destruction of occipital lobe accompanied by blindness by D. J. Hamilton. 

(Brain. 1884. April p. 89—98.) 

Die durch den Titel erweekte Erwartung, in dem ausffihrlich beschriebenen Falle 
von Epithelialcamnom (von der GrOsse einer Billardkugel) des linken Hinterhaupt- 
lappens eine Bestatigung der Localisation des Sehvermogens zu finden, wird dadurch 
vollig getauscht, dass sowohl intra vitam von Argyll Robertson beiderseitige 
Neuritis optica bei auf das ausserste erweiterten Pupillen als post mortem makro- 
skopisch Atrophie der Papillen und mikroskopisch starke Yerdickung und Kem- 
wucherung der Bindegewebsscheiden der Sehnerven bei theilweiser Atrophie der Nerven- 
fasem constatirt wurde. 

Eine 36jahr. Frau war 6 Monate vor dem Tode an Uebelkeit, Erbrechen erkrankt, 
spater Kopfschmerzen, Anfalle von Bewusstlosigkeit, dann Verlust des Sehvermogens; 
nebenher Lungenerscheinungen (Dampfung der Spitzen und Bronchialathmen). Keine 
Lahmungserscheinungen und SensibilitatsstOrungen. Die Kranke war mit angezogenen 
Beinen bettlagerig. 

Die Obduction ergab Cavernen der Lungen mit carcinomatfisen Wandungen und 
dem bereits erwahnten wahrscheinlich metastatischen Tumor des linken Hinterlappens 
des Gehims, welcher denselben ersetzte, ohne den Schlafelappen zu betheiligen. Auch 
die mikroskopische Untersuchung bestatigte die vollige Zerst5rung der grauen und 
weissen Substanz des linken Hinterlappens. Verf. hat mit besonderer Sorgfalt auf 
etwaige secundare Degenerationen der Sehstrahlungen vigilirt und in der That in 
der Mitte der gemeinsamen a us den aufgezahlten Bundeln sich sammelnden Endseh- 
strahlung in der Ausdelinung von etwa l 1 /, Zoll unmittelbar vor dem vorderen Rande 
des Tumors schon mit blossem Auge Degeneration gefunden, welche er aber als rein 
entziindliche in der Continuitat fortgepflanzte und nicht als secundare im engeren Sinne 
auffasst, da sie weiter nach vorn sich nicht verfolgen liess. Verf. onthalt sich jeg- 
licher Epikrise des Falles. E. Remak. 


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6) Obstruction de l’artere sylvienne gauche dans le oours de la fldvre 
typhoid©: h6mipl6gie du oot£ droit, aphasie, par M. Vulpian. (Revue 
de mddecine. 1884. Fdvrier p. 162.) 

Ein 17jahr. Ofensetzer wurde am 23. Tage eines mittelschweren Typhus plStzlich 
von rechtsseitiger Hemiplegie und totaler Aphasie befallen, so dass er nor noch ein- 
zelne Silben, wie „oui“, „non“, „ka“ hervorbringen konnte. Ein Jahr. spater war 
noch kaum eine nennenswerthe Besserung der Sprache und der Lahmung des rechten 
Arms eingetreten, wahrend die Beweglichkeit des Beins wieder so weit hergestellt 
war, dass Patient mit Mtihe allein gehen konnte. Yon Einzelnheiten ist zu erwahnen, 
dass festgestellt wurde, wie das Nagelwachsthum an der gelahmten Hand viel lang- 
samer vor sich ging, als an der gesunden. — V. betont die Seltenheit der Hemi¬ 
plegie im Verlaufe des Typhus und nimmt als Ursache derselben eine Embolie der 
Art. fossae Sylvii an. StrtimpelL 


7) Ueber transitorisohe Aphasie bei Typhus abdominalis. Freiburger Inaug.- 
Dissertation von Dr. R. Ktihn. (Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XXXIV. S.66.) 

Ein 8jahr., vorher korperlich und geistig gesunder Knabe, wird am Ende der 
ersten Woche eines sehr schweren Typhus von totaler amnestischer Aphasie be¬ 
fallen. Gleichzeitig schwerer geistiger Verfall. Nach 4 Wochen Wiederkehr des 
vollen Verstandnisses fftr Gesehenes und GehOrtes, aber noch andauemde vOllige 
Sprachlosigkeit, welche erst nach weiteren 3 Wochen ziemlich plStzlich verschwindet 
Zu derselben Zeit auch eine vorflbergehende deutlicho Ataxie der Beine. Schliess- 
lich vollige Heilung. — Die Abhandlung enthalt eine ausfdhrlicbe Zusammenstellung 
aus der Litteratur fiber das Yorkommen transitorischer Aphasie bei acuten Krankheiten. 

StrtimpelL 


8) Etude sur la sclerose en plaques o^rdbrospinale A forme de solArose 
lateral© amyotrophique par J. Dejerine. (Revue de mddecine. 1884. 
Mars p. 193.) 

Die multiple Sklerose zeigt bekanntlich nicht selten in ihrem klinischen Yer- 
laufe Abweichungen von dem klassischen, durch Charcot allgemein bekannt gewor- 
denen Krankheitsbilde. Zu diesen aussergewShnlichen Yerlaufsarten (formes frustes) 
lugt D. eine neue hinzu, indem er einen Fall mittheilt, welcher kliniscb dem Bilde 
einer amyotrophischen Lateralsklerose entsprach, wahrend die Section eine multiple 
Sklerose des Rfickenmarks, des verlangerten Marks und des Gehirns ergab. 

Die betreffende Kranke war eine 46jahr. Frau, deren Leiden mit einer allmahlich 
zunehmenden Lahmung der Beine begann. Bei der Untersuchung ergab sich eine 
fast vollstandige Lahmung aller vier Extremitaten mit sehr starken Contracturen 
und hochgradiger Atrophie der gelahmten Muskeln. Die Sehnenreflexe waren sehr 
gesteigert; die Sensibilitat verhielt sich vSllig normal, ebenso die Sphincteren. Etwa 
4 Jahre nach Beginn der Krankheit Auftreten bulbarer Symptome: erschwerte 
Sprache und Risus sardonicus. Einige Monate darauf Decubitus und Tod. Statt der 
rewarteten Pyramiden-Yorderhorn-Affection fand sich, wie erwahnt, eine multiple 
Sklerose. Die vorderen Wurzeln und die intramuscularen Nerven normal, in den 
Muskeln keine degenerative, sondem eine einfache Atrophie der Fasem. D. glaubt, 
dass die Diagnose einer amyotrophischen Lateralsklerose intra vitam die einzig gerecht- 
fertigte war. Nur die starke permanente Contractur der Muskeln halt er fur ein 
Symptom, welches in ahnlichen Fallen auf die richtige Vermuthung fflhren konnte. 
Von einer elektrischen Untersuchung und deren Bedeutung ist gar nicht die Rede. 

Zu bemerken ist noch, dass auch D. den Ausgangspunkt der anatomischen 


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Affection bei der multiplen Sklerose in die Gef&sse verlegt. Ferner bestatigt 
er das Erhaltenbleiben der Axencylinder in den sklerotischen Harden. 

_ Strfimpell. 

9) A fetal case of concussion of the spinal cord by Seymour J. Sharkey. 

(Brain. 1884. April p. 99—103.) 

.Ein 25jahr. Madchen war bei dem Einsturz eines Hauses in der Art verschfittet 
worden, dass sie mit dem Rfickgrat aufschlug. Danach heftige Schmerzen in der 
Kreuzbeingegend, Erstarrung (numbness) fiber der linken Hinterbacke, Retentio urinae. 
Von Geburt an bestand partielle Lahmung, leichte Atrophie und Contractur der rechten 
Extremitaten bei hier gesteigertem Patellarphanomen und Plantarreflexen. Weder 
. grObere Verletzungen, noch Paraplegie Oder Anasthesie soil vorhanden gewesen sein. 
Als nach einigen Wochen an die Stelle der Retentio urinae Incontinenz von Urin und 
Faeces trat, bildeten sich im unteren Theil der Hinterbacken jederseits am Damm 
symmmetrisch Decubitusblasen, eine Woche spfiter auch Decubitus sacralis; Fieber: 
Tod an ErschOpfung. 

Die Obduction ergab Atrophie der rechtsseitigen Extremitaten en masse, Decubitus, 
Cystitis und Pyelonephritis suppurativa, keine Lasion der Wirbelsaule, Ligamente etc., 
keine Blutung in die Meningen, oder in das Rfickenmark. Die Untersuchung des 
Rfickenmarks ergab makroskopisch in der HOhe von 2—3 Zoll im oberen Theil der 
Lendengegend weiche Consistenz ohne abnormen mikroskopischen Befund. Eine Sklerose 
des rechten Seitenstranges wird mit der Atrophie des linken Schlafelappens and Gyrus 
angularis in Zusammenhang gebracht. 

Da der anatomische Befund des Rfickenmarks somit wesentlich negativ war, 
glaubt Verf. den Fall als Erschfitterung des Rfickenmarks mit besonderer Alteration 
der Wurzelregion der Perinealnerven auffassen zu sollen, woraus sich der Decubitus 
erklaren sollte, wahrend die suppurative Cystitis eta zum Tode ffihrte. 

_ E. Remak. 


10) Case of concussion and inflammation of spinal cord from gunshot- 
wound of back by Walter Edmunds. (Brain. 1884. April p. 103—105.) 

Ein 19jahr. Mann war in Folge eines Flintenschusses in der Gegend des unteren 
Winkels der rechten Scapula in der HOhe des 5. Rfickenwirbels unmittelbar para- 
plegisch geworden bei vollstandiger Anfisthesie vom Niveau der Schusswunde abwarts, 
Blasenlabmung etc. Tod 4}j 2 Monate nach der Verwundung. 

Die Obduction ergab gate Heilung der Wunde, keinerlei Fractur oder Reste 
des Projectils. Integritat des Wirbelkanals. Dabei bestand Atrophie und Erweichung 
des Rfickenmarks in der H6he der Wunde; nach der Erhfirtung hier universelle 
Myelitis in der Ausdehnung von 2 Zoll mit absteigender secundarer Degeneration 
der Seiten- und vorderen Pyramidenstrange und aufsteigender Sklerose der Hinterstrange 
in ihren mittleren Abschnitten. 

Verf. urgirt den verhfiltnissmassig sehr langen Verlauf bis zum lethalen Ende. 
Da die gefundene Myelitis nicht ffir die unmittelbare Paraplegie verantwortlich gemacht 
werden kOnne, so sei letztere auf die Erschfitterung des Rfickenmarks zurfick- 
zofuhren. E. Remak. 


11) Des accidents vertigineux et apopleotiformes dans le oours des 
maladies de la moelle dpinidre par Dr. Giraudeau. These de Paris 
1884. (Gaz. med. 1884. Mai 3.) 

Bei den versehiedensten Rfickenmarkserkrankungen, auch bei solchen, die auf die 
Cervicalregion beschrankt sind, findet man die in der Ueberschrift bezeichneten Anfalle. 


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Bei Erkrankungen, die auf die Pars dorsolumbaria beschrankt sind, fehlen sie. Nicht 
selten sind sie begleitet von vortlbergehenden Delirien, Gedachtnissverlust, cerebraler 
oder bulbarer Hemiplegie, Sprachstdrung; Augenmuskellahmung etc. 

Ein Theil dieser Anfalle hangt von Complicationen: Hamorrhagien, Erweicbnng 
ab und sind nor als coincidirend zu betrachten, ein anderer Theil — accidents con- 
gestifs — lasst nicht in alien Fallen Congestion des Hirns nachweisen. Wo der Tod 
rasch erfolgt, fehlt die Congestion oder ist nur wenig ausgesprochen. 

Bei alien Individuen, die in Folge einer apoplectischen Attacke zu Grande ge- 
gangen sind, findet man Alterationen in den Hemispharen oder im Mittelhirn, die im 
Allgemeinen in sklerotisclion Herden bestehen. Dieselben konnen apoplectiforme 
Attackon erzeugen, ohne dass eine Congestion im Him zu bestehen braucht 

M. 


12) Note sur un oas de paralysie radionlaire du plexus braehial par 

C. Giraudeau. (Revue de mdd. 1884. Fdvrier p. 186.) 

Der Fall betrifffc eine nach Erkaltung entstandene neuritische (heftige initiale 
Schmerzen) Lahmung des Supra- und Infraspinatus, Deltoideus, Biceps, Coraco- 
Brachialis und Supinator longus mit nachfolgender Atrophie und Entartungsreaction. 
Die Vertheilung der gelahmten Muskeln entspricht dem Bilde der Erb’schen „com- 
binirten Schulterarmlalimung"; besonders bemerkenswerth ist die gleichzeitige Affection 
des M. supra- und infraspinatus, aus welcher man auf eine Lasion des Wurzel- 
gebiets des 5. und 6. Cervicalnerven schliessen kann. Strftmpell. 


13) Des ndvralgies diabetique? par le Dr. Cornillon. (Revue de med. 1884. 

Mars p. 213.) 

Auf Grund zweier eigener Beobachtungen und der in der Literatur mitgetheilten 
Falle bespricht C. die diabetischen Neuralgien. Dieselben treten gowOhnlich erst in 
einer vorgeriickteren Krankheitsperiode auf und beginnen meist plotzlich, unerwartet, 
ohne alle nachweisbare Ursache. Die Schmerzanfalle sind sehr heftig, kommen mehr- 
mals am Tage und in noch grOsserer Intensitat gewdhnlich des Nachts. Sehr 
charakteristisch ist die Symmetrie der Neuralgien, ihr symmetrisches Auftreten an 
beiden Korperhalften. Am haufigsten betreffen sie die Ischiadici, zuweilen jedoch 
auch andere Nerven. Ihr Verlauf ist sehr hartnackig und geht zuweilen dem Ver- 
halten der flbrigen diabetischen Symptome parallel. Die gewfihnlichen antineural- 
gischen Mittel haben keinen Erfolg, wahrend die Behandlung des Diabetes (speciell 
die richtige Diat) von entschieden gfinstigem Einflusse ist. — Ueber die eigentliche 
Ursache der diabetischen Neuralgien ist nichts bekannt (Einfluss des Zuckers auf die 
Nerven?). Eine gewisse Aehnlichkeit haben sie mit den satuminen Neuralgien. 

_ Strftmpell. 

14) Beitrftge but Epilepsie, Inaug.-Dissertation von J. H. Ruhemann. Berlin 1884. 

Die unter Benutzung des Materials der Mendel’schen Poliklinik mit grossem 
Fleisse gearbeitete Dissertation bemuht sich, in der Percussion des Sch&dels ein 
brauchbares diagnostisches Hhlfsmittel auch bei der Epilepsie nachzuweisen, und Sitz 
und Wesen dieser Krankheit zu erOrtern. 

Zunachst bringt Verf. eine Anzahl Falle der verschiedensten Gehimkrankheiten 
bei, in welchen die Percussion des Schadels einen wesentlichen Anhalt f&r die Fest- 
stellung des Sitzes des Leidens abgab; femer theilt er in gleichem Sinne 3 FaUe 
von Jackson’scher Epilepsie mit, denen allerdings 2 Falle gegenhbergestellt werden, 
wo die Stelle des Schmerzes bei der Percussion sich in keine Beziehung zum hbrigen 
Krankheitsbilde bringen lasst. 


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Verf. ermittelte im Allgemeinen keinen percussorischen Befund bei Idiotie, 
Hypochondria, Melancholia, Paranoia, ferner bei Neurasthenia, Chorea, Morbus Meniere, 
Morbus Basedowii; bei Hysterie und Hemicranie nur 3 resp. 2mal einen zweifelhaften 
Befund. Dagegen waren unter 17 Fallen von Tumor cerebri und cerebelli 6 (resp. 8?), 
bei Apoplexia sanguinea */ 4 aller Falle, bei Pachymeningitis chron. unter 14 Fallen 12, 
endlich bei Epilepsie unter 60 Fallen 29, in denen die Percussion in bestimmter 
Weise eine locale Schmerzhaftigkeit nachwies. Ein negatives Besultat ergaben also 
im Allgemeinen die functionellen, ein positives dagegen die organischen Gehirn- 
krankheiten. 

Was nun die genuine Epilepsie anbetrifft, so fand sich hier unter 29 Fallen 
20mal circumscripter Percussionsschmerz auf dem Os parietale, und dieser Umstand 
giebt die Begrflndung zu einer ausf&hrlich entwickelten Theorie von dem Sitze und 
der Entstehung des epileptischen Anfalls, die sich an Hughlings Jackson anschliesst. 

Die supponirte Reizbarkeit (Schw&che) einer Stelle der Rinde, besonders ihrer 
p8ychomotorischen Centren, ist Yeranlassung zu einer Accumulation von Reizen, welche 
erregend auf das vasomotorische Centrum der Medulla oblongata einwirken; dadurch 
entsteht arterielle Anamie und so Bewusstlosigkeit und Erampfe. 

Es handelt sich also urn eine Verbindung der vasomotorischen (Nothnagel) 
und corticalen Theorie. Freilich verkennt Verf. nicht, dass diese Theorie nicht 
schlechthin auf alle Falle verallgemeinert werden kann. Denn, abgesehen von der 
Jacks on’schen Epilepsie, so raumt er ein, dass der epileptische Anfall auch primar 
von der Medulla oblongata resp. Pons aus entstehen kann; dass auch von der sen- 
sorischen Peripherie her, dass ferner bei der Reflex-Epilepsie vom Thalamus opticus 
und von den Corp. quadrigem. aus (S. 27), dass hberhaupt von anderen Centren aus 
(S. 28) der die Med. obi. erregende Reiz ausgehen k6nne. — Jedenfalls deuten aber 
in einer gewissen Anzahl von Fallen die Erscheinungen der Aura, also des Beginnes 
des Anfalls, auf die Hirnrinde hin, so namentlich einseitige sensible Oder motorische 
Stdrungen in den Extremitaten, dem Gesicht, der Zunge, wobei sogar bisweilen die 
Aufeinanderfolge der einzelnen Erscheinungen der Lage der Rindencentren entspricht. 
— Auf die primare Affection der Hirnrinde deutet ferner das Auftreten einer psy- 
chischen Aura hin, endlich die Ffille von Epilepsie nach Hirnverletzung. 

Fiir die Formen der Anfalle, in welchen Bewusstlosigkeit ohne Erampfe eintritt, 
vertheilt Verf. die Rollen so, „dass entweder die Anamie nicht so hochgradig Oder 
der Gehimwiderstand nicht so geschwacht ist, um Erampfe entstehen zu lassen, wohl 
aber ausreichend, um das Bewusstsein zum Schwinden zu bringen.“ 

Dass zu der „reflectorischen Gefasstheorie" gehSrige Wesen der abnormen Be- 
schaffenheit des Gehirns bleibt vorlaufig dunkel, und Yerf. kann sich charakteristischer 
Weise „in Bezug auf die eigenartige Reizbarkeit des Gehim nicht anders helfen, als 
eine eigenartige — Irritation desselben anzunehmen." 

Therapeutisch erwiesen sich tagliche grosse Einzelgaben von Bromkalium (4 bis 
6 bis 13 Gramm) am wirksamsten. Hadlich. 


15) Pseudohypertrophie und progressive Muskelatrophie bei Kindem von 

Jakubowitsch. (Dissertation. St. Petersburg 1884. Russisch.) 

Die Arbeit beruht auf genauer klinischer Beobachtung zweier Falle der benannten 
Affection an kleinen Eindern (von 2 1 / 2 und 4 Jahren). Den Eranken wurden aus 
verschiedenen Muskeln Partikel zur mikroskopischen Untersuchung exstirpirt. Letztere 
zeigten, dass an dem namlichen Subject zu gleicher Zeit einige Muskeln von fettiger 
Entartung (Pseudohypertrophie), andere von bindegewebiger Degeneration resp. Sklerose 
(progressive Muskelatrophie) befallen werden k6nnen. Yerf. schliesst hier aus, dass 
beide Formen als Modificationen des namlichen pathologischen Prozesses aufzu- 
fassen sind. 


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Sorgfaltige Untersuchung des Haros der Patienten in Zusammenstellung mit 
Controluntersuchungen des Hams gesunder Kinder entsprechenden Altos ergab for 
die in Rede stehende Krankbeit folgende Resultate: Der Gehalt an Harnstoff, Ham- 
saure, Kreatinin and Chlornatrium ist verringert, an Schwefels&ure dagegen ver- 
mebrt; Yerf. folgert bieraus eine Herabsetzung des Stoffwechsels, im Besonderen des 
Umsatzes von Eiweissstoffen. Aucb die von ihm constatirte Herabsetznng der peri- 
pheren Temperatar an den afficirten Muskelgebieten ffthrt er auf verringerte Warme- 
production im Moskelgewebe zurfick. 

Im Anschluss an berichtete Untersuchungen enthalt die Arbeit eine ausffihrliche 
Literaturfibersicht nebst tabellariscber Zusammenstellung der betreffenden Casuistik, 
und Bemerkungen fiber Diagnose, Prognose and Therapie der Krankheit. Im theo- 
retischen Theil spricht sich Yerf. daffir aus, dass die wesentliche Ursacbe derselben 
in einer aUgemeinen Stfirung des Stoffwechsels zu suchen sei und nicht in prhnarer 
Affection des Nerven-Muskelapparats. P. Rosenbach. 


Psychiatrie. 

16) Alienation mentale consecutive A l’intoxioation par le sulfure do car- 
bone par Auguste Voisin. (Annal. mdd. - psychol. 1884. Mai. Sitzungs- 
berichte.) 

Yoisin bericbtet fiber 2 Fall© von Tobsucht, welche bei Kautscbuk-Arbeitern 
durcb Intoxication mit Scbwefelkoblenstoff auftraten. Bekanntlich wird der Schwefel- 
koblenstoff in der Kautscbuk - Fabrikation gebraucht, urn diesen Stoff zu losen resp. 
gescbmeidig zu macben. Beide Patienten, ein 21jahr. Madchen und ein 17jahr. Mann, 
waren in einer Fabrik beschaftigt, in welcher sogenannte „Praeservativs“ und die 
Ballons souffles angefertigt werden. Das Verfahren besteht darin, dass der Kaut- 
schuk in Schwefelkohlenstoff, der sich in grossen Bassins vor den Arbeitern befindet, 
eingetaucbt wird, urn dann aufgeblasen zu werden. Dauemdes Einathmen von Dampfen 
des Schwefelkohlenstoffs und wohl directs Aufnahme desselben durch den Mund ist 
dabei unvermeidlich. Die Symptome der Intoxication waren bei beiden Patienten 
annahemd dieselben: Schmerz und Klopfen im Kopf, Taubheit, Schwindel, Hallucinationen 
des Gesichts und GebSrs, Kribbeln und Stechen in den untern und obem Extremitaten. 
Das psychische Initialstadium scheint in beiden Fallen ein melancholisches gewesen 
zu sein, das spater in floride Manie mit Schlaflosigkeit und allgemeiner psychischer 
Hyperasthesie fiberging. Der eine der Falle scheint grosse Aehnlichkeit mit einem 
Delirium acutum gehabt zu haben. — Beide Male erfolgte nach 3—3 1 / 2 Monat 
Genesung. 

Eine anderweitige Aetiologie, zumal Erblichkeit, lag nicht vor. Es wird noch 
an einen Fall von Delpech erinnert, welcher die Erscheinungen durch Sdiwefel- 
kohlenstoff naher studirt hat, welcher den hier erwahnten conform verlief. 

Eine weitere Verbreitung schien die Intoxication nach den Ermittelungen V.’s 
in jenen Fabriken jedoch nicht zu haben. Jehn. 


17) Miryaohit: a newly described disease of the nervous system and its 
analogues, by W. A. Hammond in New-York. (Brit. med. Joum. 1884. 
April 19 p. 758.) 

Der hervorragende amerikanische Neurologe Hammond entnimmt dem Reise- 
bericht einiger Seeofficiere die Schildemng eines eigenthfimlichen nervfisen Zustandes, 
der in einzelnen Districten Ostsibiriens und speciell bei Jacuten nicht allzu selten 
beobachtet werden kann. Der betreffende Patient verfallt namlich zeitweise in einen 


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der absichtlicb hervorgerufenen Hjpnose ausserordentlich fibnlichen Znstand und muss 
dann Alles, was man ibm vennacht Oder vorsagt, nacbmachen oder nachsprecben. So 
gelang es beispielsweise, den von den Beisenden beobachteten Fatienten ohne jeden 
Anstoss Satze in englischer und sogar Hexameter in griecbiscber Spracbe reproduciren 
zn lassen, die ibm nur einmal vorgesagt worden waren. Der Kranke ist im Uebrigen 
such wahrend dieses „Nachahmungszwanges“, dem er unterworfen ist, vfillig bei Be- 
smmmg und empfindet diesen Krankbeitsanfall sebr scbmerzlicb und beklagt sicb 
bitter fiber die Neckereien, die ibm, wie leicbt erklarlicb, bei solcben Gelegenbeiten 
?on seinen Genossen zugeffigt werden. Wie lange ein solcher Anfall dauert, wie er 
skb entwickelt, und ob eine bestimmte Yeranlassung den Ausbrucb bedingt, ist leider 
nicht angegeben. Weiber warden haufiger ergriffen; der extremen Kalte scbeint ein 
Einfluss auf die Entstebung dieser merkwfirdigen Zustande zugescbrieben zu werden. 
Verf. vergleicbt dies widerwiUig erzwungene Nachahmen beliebiger Bewegungen etc. 
mit den ahnlicben Zustanden, in denen sicb die von Beard 1 1880 bescbriebenen, 
sog. „Jumper“ in einzelnen Staaten Nordamerikas (New-Hampshire und Maine) be- 
finden, und glaubt aucb, dass manche Falle von Schlaftrunkenbeit hierber zu 
rechnen seien. 

Ref. mOcbte seinerseits darauf aufmerksam macben, dass der ganze abnorme 
Znstand der Hypnose sebr nabe zu steben scbeint; aucb bat Ref. selbst eine vfillig 
analogs „Krankheit“ unter dem Namen „Copirkrankheit“ (Sakit latah) nacb Mit- 
theilimgen E. Metzger’s (Globus. 1882. Nr. 24) in diesem Ctrlbl. (1883. S. 288) 
bescbrieben. Interessant ist es, dass die Heimatb der „Sakit latah“ im Gegensatz 
zn der der „Miryachit“ der beisseste Sfiden, namlicb die Insel Java ist. Weiber 
werden fibrigens auch bier baufiger ergriffen, als Manner. 

Jedenfalls werden weitere Berichte von Forsebungsreisenden dankbar zu er- 
warten sein. Sommer. 


18) Di una forma speoiale di nevrosi psioomotoria pel Prof. L. Venturi. 

(La Fsicbiatria. 1884. p. 39.) 

Verf. theilt 5 Krankengescbicbten aus seiner Beobacbtung mit, die dadurcb 
charakterisirt sind, dass sicb bei den betreffenden Fatienten baufig und obne be- 
stiinmte Veranlassung kurzdauernde Anfalle schwerer Hypocbondrie mit gleicbzeitigem 
Auftreten unbedeutender aber unangenebm empfundener StOrung der Motibtat und 
Sensibilitat bei sonst sehr gutem objectiven wie subjectiven Woblbefinden einstellen. 
Moistens ist es ein Unterscbenkel, in dem pl5tzlicb leichte Parastbesien und eine 
thatsachlicbe Bebinderung und Scbwerfalligkeit aller Bewegungen auftreten, um nacb 
einer oder mebreren Stunden wie der zu scbwinden. In einem Fall e treten aucb 
eigentbfimlicbe Zwangsbewegungen auf, in dem der Fat. unter gleicbzeitigem Aus- 
stossen eines unarticulirten Scbreies gezwungen wird, den Fuss in die H6he zu 
werfen. Die Zwischenzeiten sind vfillig frei; sobald aber der Anfall einsetzt, be- 
machtigt sicb ein scbweres Krankbeitsgefflbl und eine sebr reizbare Unrulie des Pat., 
die mit seinem sonstigen Wesen lebbaft contrastirt. Eine materielle Erkrankung des 
Rfickenmarks ist ganz auszuscbliessen, aber es liegt meistens eine bereditfire Belastung 
vor. Wahrscbeinlich gehfiren jene Krankbeitserscbeinungen zu dem vielgestaltigen 
Bilde der Neurastbenie. Es werden fibrigens beide Gesch lech ter ergriffen. 

Sommer. 


10) Contribuzione alio studio della oosi detta asfissia locale negli alienati 

del doti Algeri. (Riv. sperim. di freniatr. 1884. X. p. 126.) 

Nacb einem bistologiscben Ueberblick fiber die zuerst von Raynaud aufgestellte 
Lebre von der sogenannten localen Aspbyxie der Extremitaten theilt Verf. eine eigene 

1 VgL Journ. of nervous Mid mental Disease. 1880. Vol. VII. p. 487. 


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Beobachtung mit. Sie betrifft eine 33jabr. Dame mit hysterischen Erregungszustanden 
und eigenthflmlichen Zwangsvorstellungen, die fast den Charakter der „maladie da 
toucher" tragen. Seit einiger Zeit wird nun die Pat. Ton bilateralen and symmetrisch 
begrenzten Ischamien einzelner Finger and manchmal auch einzelner Zehen ergriffeiL 
Unter dem Geftihl des Abgestorbenseins und der Formication erblassen ganz pldtzlicb 

— oft hbrigens reflectoriscb auf irgend einen ausseren Beiz — die- betreffenden 
Phalangen, wefden schnell wachsbleicb und gef&hllos; nach einiger Zeit (wie lange?) 
macht sich dann ein leichtes Hautkriebeln wieder bemerkbar und es entwickelt sick 
eine sehr intensive ven6se Stauungshyperamie, die die betroffenen Hautpartien dunkel- 
blauroth farbt. Allmahlich stellt sich dann das normals Yerhalten wieder her. Es 
handelt sich also wahrscheinlich urn eme vasomotorische St6rung, die alle kleinen 
Arterien der Fingerhaut zu einer tetanischen Contraction bringt und der sich spater 

— ahnlich wie beim Infarct — eine enorme Hyper&mie der kleinen Venen und 

Capillaren anschliesst. Sommer. 


20) IjO variazioni del diametro pupillare negli epilettiei. Ricerche del dott 
G. Musso. (Rivist. sperim. di freniatr. etc. 1884. X. p. 73.) 

Verf. hatte sich vorgenommen, verschiedene Angaben aus der Literatur uber das 
Yerhalten der Pupillen bei Epileptikern zu prflfen und kam bei der Untersuchung 
von 70 Kranken (30 Manner mit schwerer Epilepsie, aber ohne auffallende Stflrungen 
der Psyche, und 30 Manner sowie 10 Frauen mit Epilepsie und GeistesstOrung) zu 
folgenden Resultaten. 

Im Gegensatz zu den Angaben Carter Gray’s sind die Pupillen der Epilep- 
tiker im Allgemeinen nicht weiter, als die normaler Personen unter denselben Yer- 
haitnissen. 

In Uebereinstimmung mit Marie finden sich oft (im Mittel bei 22,8 °/ 0 ) Un- 
gleichheiten in der Weite der Pupillen, und wie es scheint, bei psychisch gestorten 
Epileptischen haufiger als bei den anderen (25 % gegen 20 % der untersuchten 
FaUe). — 

Ferner fand Verl bei vielen Epileptikern (bei ca. 60 °/o) ziemlich regelmassig 
eine anffallige Pupillen differenz im Prodomalstadium der Krampfe, die sich nachher 
meistens (bei 79%) schnell wieder ausglich. Dagegen konnte er sich nicht aber- 
zeugen, dass das manchmal zu beobachtende auffallende Schwanken der Pupillenweite 
innerhalb sehr kurzer Zeitraume bei Epileptikern sehr haufig und daher fQr die 
Diagnose der Epilepsie in zweifelhaften Fallen zu verwerthen sei. Sommer. 


21) Un oas de dystrophie et do chute spontande des ongles dans la para- 
lysie gdnerale progressive par le Dr. Rdgis. (Gaz. med. de Paris. 
1884. No. 11.) 

Unter Bezugnahme auf die analogen Beobachtungen bei Tabes (Pitres) be- 
richtet R. von einem Paralytiker, bei dem die vorher veranderten — austemschalen* 
artig veranderten — Nagel beider grossen Zehen unter einem ganz unbedeutenden 
Eiterungsprozesse abfielen, und ebenso der Nagel des Mittelfingers der rechten Hand. 

Hadlich. 


Therapie. 

22) Constant watching of suioidal oases by G. H. Savage. (Journ. of ment 
science. 1884. April p. 17.) 

Auf Grand der Thatsache, dass einzelne selbstmordsGchtige Kranke durch per- 
manente Bewachung gereizt werden, spricht sich S. gegen diese letztere aus; er giebt 


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solchen Patienten far die ersten Nachte feste Kleider und festes Bettzeug und isolirt 
sie; das Examen, oft auch das Versprechen des Kranken, sich zusammenzunehmen, 
bestimmen das fernere Yerhalten. 

In der anschliessenden Debatte der Medico-psych. Association stimmt Bayner 
S. zu; ruhige Falle legt er in Zimmer mit wenig Betten, die, wenn auch nicht per- 
manente, so doch h&ufige Aufsicht haben. 

Ley wfinscht Yermehrung der Nachtwachen fiberhaupt, betont jedoch die Ab- 
neignng besonders der mannlichen Pat. gegen gemeinschaftliche Schlafraume. 

Orange legt selbstmordshchtige Pat. in die Krankenstuben, welche permanente 
Wache haben; die fibrigen Schlafraume werden zeitweise controllirt. A. Pick. 


23) Beotal feeding and medication by W. J. Mickle. (Journ. of ment. science. 

1884. April p. 20.) 

Empfiehlt die Fattening per rectum in Fallen, wo die gewfihnliche Sondenfatterung 
aus den bekannten Ursachen nicht durchfahrbar oder gefahrlich erscheint, speciell in 
Fallen mit Status epilepticus, apoplectiformen Anfallen. Bezftglich der verschiedenen 
mitgetheilten Formeln fflr Nahrklystiere kann auf die Handbhcher der Pathologie 
verwiesen werden. Die Medication per rectum empfiehlt M. bei den verschiedenen 
Formen von Krampfanfallen in Form von Chloralklystieren, ferner Klysmata von Brandy 
bei Schw&chezustanden, wenn das Schlucken erschwert 1st. 

Beide Abschnitte der Arbeit werden durch zahlreiche Casuistik illustrirt. 

A. Pick. 


24) De l’emploi do Paoide soldrotinique dans l'epilepsie par Bourneville 
et Bricon. (Progr. mM. 1884. Mai 24.) 

Bei 5 Kranken von 12 trat etwas Besserung ein, nachdem das Mittel hypo- 
dermatisch oder innerlich gegeben. Die Besultate sind wenig aufmuntemde. Uebrigens 
hat Gowers auch bereits die Nutzlosigkeit des Mittels constatirt M. 


Forensische Psychiatric. 

26) Imbeoillitat, religidse Melancholic, versuohter Giftmord des Sondes 
und versuohter Selbstmord von Prof. v. Krafft-Ebing. (Friedreich’s 
BL f. ger. Med. 1884. Mai-Juni.) 

28 Jahr alte in der Himentwickelung verkfimmerte Frau, die gelegentlich einer 
Missionsbeichte eine Gemtithsbewegung durch Vorwflrfe seitens des Geistlichen erfahrt, 
darauf an Melancholie erkrankt (Wahnvorstellung, dass sie die ewige Seligkeit ver- 
loren, dem Teufel verfallen sei, Sinnestauschungen, Angstanfalle) und etwa 5 Monat 
nach Beginn der Erkrankung sich und ihre 7j&hr. Tochter durch Arsenik vergiftet, 
„um nicht vom Teufel abgeholt zu werden**. Beide genasen. M. 


HL Aus den GeseHschafteiL 

Aus dem Congress ffir innere Medicin in Berlin. 

(Fortsetzung.) 

Ueber nervdse Dyspepsie. 

Referent Leu be, Erlangen: An der Hand der Geschichte weist Bedner nach, 
dass schon seit Ende des 17. Jahrhunderts eine Scheidung zwischen materieller und 


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spirituoser Dyspepsie gemacht wurde, die bis zu Anfang dieses Jakrkunderts die 
Anschauungen der Kliniker beherrsehte* Aber selbst nachdem die patbologiscbe 
Anatomie den Erankheitsbegriffen zu Grande gelegt wurde, drangte die klinische 
Beobachtung dazu, an dem nervOsen Charakter gewisser Dyspepsien festzubalten, die 
ohne jede erkennbare Yerandenmg des Magens verliefen. Maas entwarf 1841 ein 
Bild von der nervfisen Dyspepsie, die er von der organischen unterschied; Virchow 
Bielite das Verhaltniss der Dyspepsie zur Hypochondrie und Melancholie fest, Bedner 
weist auf den Uteras als Ursache derselben bin, in nenesier Zeit endlicb sind &is 
Autoren fiber nervfise Dyspepsie Pollack, Beard und Rockwell zn nennen; dieser 
ffihrte ibre elektrische Bebandbang ein. 

Allein um ein Erankbeitsbild aufzustellen, scbien es ibm vor Allem wicbtig, 
einen diagnostiscben Anbaltspunkt zu gewinnen, und diesen glaubt er durcb die 
Anwendung der Magenpumpe erreicbt zu baben. 

L. bat scbon 1869 seine kliniscben Beobacbtungen in einer grtjsseren Arbeit 
niedergelegt. Das Erankbeitsbild der nervfisen Dyspepsie ist folgendes: Die Eranken 
sind durcbweg mager, von zarter Constitution, bisweilen anamiscb, eine andere 
Erankbeit ist oft vorausgegangen. Sie klagen fiber nervQse Verdauungsbeschwerden, 
Congestionen zum Eopf, Scbwindel, Mfidigkeit, Herzklopfen, Aufstossen von geruch- 
losen Gasen, Uebelkeit und bisweilen Erbrecben; dabei Vfille und Druck im Magen, 
der sicb bis zu Magenscbmerz steigem kann, endlicb Globusgeffibl und Sodbrennen, 
bisweilen aucb abnorme Geruchs- und Geschmacksempfindungen. Bisweilen findet 
man alle diese Symptome, in anderen Fallen nur eins oder das andere. L. hat 
100 Falle von nervfiser Dyspepsie seiner Betrachtung zu Grunde gelegt und Auf¬ 
stossen in 73 %, VSlle und Druck in 60% seiner Falle beobachtet. In den Ructus 
siebt er rudimentare Brechbewegungen, die auf starkere Reizbarkeit der Nerven des 
normal verdauenden Magens zurfickzuffihren sind, ebenso wie das zweitbaufigste 
Symptom der Magendruck auf Nervenwirkung beruht. In 16 °/ 0 fand sicb Sodbrennen 
obne abnorm vermehrte Oder sogar bei verminderter Sauresecretion, in 17 % Heiss- 
hunger und Globus. Weisen diese Erscheinungen auf Betheiligung der Magennerven 
bin, so gebort ein anderer Symptomencomplex dem Gesammt-Nervensysteni an, so der 
Eopfscbmerz bisweilen mit Congestionen (33 %), unruhiger Schlaf (25 %), Mfidigkeit 
(11 %), Herzklopfen (20%) e ^* Ganz besonders bemerkenswertb sind zwei Symp¬ 
tome, der Stuhlgang und der Scbwindel. Was den ersien anlangt, so fand sich Ob¬ 
stipation in 43 %, Diarrhoe in 9 % der Falle, in 12 % fanden sich Hamorrhoiden. 
Der Schwindel, der schon seit dem Alterthum in Beziehung zum Magen gebracbt 
und als Magenscbwindel vom Eopfschwindel unterscbieden wurde, war, sei es als 
Haupt-, sei es als Nebensymptom, in jedem 6. Fall vorhanden. Trfibe Stimmung sab 
L. nur in 10 % der Falle, sodass man also nervfise Dyspepsie nut Hypochondrie und 
Melancholie nicht identificiren darf. 

Um jedocb auf Grand dieser Symptome, die alle zugleich aucb anderen Erank- 
beiten des Magens angebfiren, die Diagnose zu sicbern, ist es nothwendig, 6—7 Standee 
nach dem Essen eine Probeausspfilung des Magens zu machen, um festzustellen, ob 
der Magen leer ist oder nicht Kommt das Wasser klar beraus, so ist die Ver- 
dauung als normal zu betrachten, was bei der Gastritis nicht der Fall ist. Fur 
Carcinom und andere Erankbeiten ist die Differentialdiagnose durcb andere Momente 
gegeben; bei zweifelbaftem Ulcus ventriculi muss man nach diesem behandeln und 
ex juvantibus scbliessen; ist in 8 Tagen kerne Besserung eingetreten, so bat man 
es mit nervfiser Dyspepsie zu thun. 

Per Charakter der nervfisen Dyspepsie ist somit als eine perverse Reaction der 
Magennerven auf die normale Verdauung zu betrachten, wie sie in geringerem Maasse 
aucb pbysiologiscb auftritt und die Wir durcb Reizmittel nach dem Essen zu cou- 
piren sucben. Die Natur der patbologiscben Verfinderuqgen ist bm jetzt unbekannt; 
allerdings konnen cmitrale sowie peripbere Ursacben diese abnorme Erregbarkeit 


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veranlassen, doch ist sicher der Anstoss peripher zu suchen, and so sieht man die 
Dyspepsia nervosa im Gefolge von Neuralgien, Intoxication, auch nach Infectionen, 
auf syphilitischer Basis, bei Uraemie etc. auftreten. Eine andere Reihe erscheint 
als Reflex-Dyspepsie von den Geschlechtsorganen her and zwar bei Frauen in 1 / 3 der 
Falle. Allein in der Mehrzahl der Falle ist eine bestimmte Ursache nicht nachzu- 
weisen, doch ddrfte in dem Yerdauungsact selbst diese zu suchen sein, denn die 
Krankheit beginnt in 3 / 4 aller Falle mit Magenerscheinungen, die Kranken waren 
meist vor dem Eintritt der Dyspepsie nicht nervbs, so dass Neurasthenie wohl als 
eine seltene, nicht aber alleinige Ursache der Krankheit aufzufassen ist. Die nervflse 
Dyspepsie gehdrt dem mittleren Alter an, die Prognose ist zwar quoad vitam gflnstig, 
Heilung aber ist sehr selten. Therapie: Kaltwasserkur, Seebader, Gebirgsaufenthalt, 
vorsichtige Diat. Ergotin ist unwirksam. 

Correferent Ewald, Berlin: Wenngleich mit der Differenzirung der nervbsen 
Dyspepsie als eines besonderen Krankheitsbildes einverstanden, glaubt E. die Betrach- 
tung der Frage nicht auf den Magen allein beschranken zu ddrfen. Auch der Darm, 
dessen Symptome in einer grossen Anzahl von Fallen sogar in den Yordergrund 
treten, ist nicht ausser Acht zu lassen. Hauptsachlich sind es Beschwerden, wie 
unregelm&ssige Schmerzen im Abdomen, Meteorismus, reichlicher Abgang von Gasen, 
die als Yisceralneuralgien zu bezeichnen sind. Dieser innige Oonnex der Magen- und 
Darmsymptome erklart sich aus dem nahen Zusammenhang der Intestinalfasem des 
Vagus und des Sympathicus und mtjchte E. deshalb far diese Affection den Namen: 
Neurasthenia dyspeptica oder vago-sympatliica vorschlagen. Ebenso wie die Burkhart’- 
schen Druckpunkte in der Gegend des Plexus coeliacus, mesentericus und aorticus 
sind alle Symptome nicht direct ftir die nervdse Dyspepsie charakteristisch, sie kbnnen 
fehlen und kOnnen auch bei anderen Krankheiten des Intestinaltractes vorkommen. 
Diese localisirten Symptome bilden den Uebergang zu den Allgemein-Symptomen, wie 
sie in allgemeiner Nervositat, Hysteric, Psychosen sich aussem und die man bei 
langerer Beobachtung stets wird constatiren kfmnen. Sind diese Affectionen peripher 
oder auf centrale Stflrungen zurtickzufuhren ? Wenn auch periphere Erkrankungen 
vom Magen und Darm aus die ganze Reihe der Erscheinungen hervorrufen konnen, 
so halt E. die nervSse Dyspepsie, bei der haufig weder schadliche Einwirkungen auf 
den Verdauungstractus, noch krankhafte Prozesse der Schleimhaut nachweisbar sind, 
ftir ein Symptom, far eine Folge von StOrungen des Centralnervensystems, die auf 
die Magennerven zurfickreflectirt sind. 

Bei dem Fehlen von charakteristischen Symptomen ist eine Diagnose erst nach 
langerer Beobachtung mOglich, die Aetiologie, der Krankheitsverlauf und der sichere 
Ausschluss 'jeder anderen genuinen Magenerkrankung sichert die Diagnose. Die 
Magenausspulung ist nicht ftir alle Falle als sicheres diagnostisches Mittel zu be- 
nutzen, da E. wiederholt bei Frauen mit normaler Verdauung nach 6— 7 l / % Stunden 
nach der Mahlzeit noch Reste von derselben gefunden hat, ebenso in einzelnen Fallen 
von chronischem Magencatarrh, Ulcus und Carcinom, andererseits Leube selbst zwei 
Falle von norvdser Dyspepsie anfahrt, wo nach der angegebenen Zeit noch Speise- 
reste vorhanden waren. Bei Verdacht auf Ulcus ist die Magensonde, mit der man 
leicht direct oder indirect eine Perforation herbeifQhren kann, ganz fortzulassen. Die 
Prognose ist abhangig von der centralen Affection; anscheinend schwere Falle heilen 
oft schnell und umgekehrt. Einzelne Patienten magem ab, andere zeigen das blflhendste 
Aussehen. Die Therapie ist nur auf Kraftigung des Nervensystems zu richten durch 
Bromkali, Verbot jeder anstrengenden Thatigkeit, gymnastische Uebungen, Hydro- 
therapie, Gebirgs-, Seeluft, blande Diat. Chinin, Eisen, Arsen sind als Tonica, Bella¬ 
donna bei hartnackiger Obstipation, Chloral bei der Herabsetzung der Hyperasthesie 
der Magennerven mit Erfolg anzuwenden. Von der Elektricitat hat Redner keine 
bemerkenswerthen Erfolge gesehen. 


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Discussion: 

Finkler, Bonn, halt ebenfalls die Ausspfilung ftir kein die Diagnose sichern- 
des Mittel. 

Senator, Berlin, sah einen Fall von nerv6ser Dyspepsie, der nach Auf- 
wendung des ganzen therapeutischen Arsenals ungeheilt entlassen, durch eine 
Bandwurmkur geheilt wurde. In diesem Falle war somit der Magen Yollkommen 
gesund, und eine grobere Schadlichkeit die Ursache der nervfisen Dyspepsie. Ebenso 
sah er die Wanderniere als Ursache nervfiser Dyspepsie. In der Aufstellung dieser 
sehe er eine Gefahr ftir die Diagnose, da man Alles, was man nicht diagnosticiren 
kSnne, einfach als nervfis bezeicline. Zuerst sei festzustellen, ob die Ursache im 
Magen selbst oder ausserhalb desselben liege, im letzten Falle kfinne die Diagnose 
unter Umstanden sehr schwer, ja unmOglich sein. 

Jurgens, Berlin, beschaftigt sich seit 5 Jahren mit diesem Gegenstand und 
ist auf Grund seiner Beobachtungen der Ansicht, dass in der That die gastrischen 
Erscheinungen nicht allein auf den Magen zurfickzuffihren sind, sondern ausser Magen 
und Darm seien die Nerven des Mesenteriums, sowie die Splanchnici zu untersnchen. 
So habe er in einem Falle von Retroflexio uteri gravidi im 1. Monat, bei dem heftige 
gastrische Erscheinungen eintraten und unter Anamie und grosser Schwache der 
Tod eintrat, die Section gemacht. Es zeigte sich der ganze Auerbach’sche und 
Meissner’sche Plexus und die Musculatur des Darms bis zur Mitte des Deum und 
der Bauhin’schen Klappe entartet. Und seitdem hat J. im Ganzen 41 derartige 
Falle beobachtet, bei denen unter den klinischen Symptomen immer die Magen- 
erscheinungen in den Vordergrund getreten waren. Wie wichtig eine derartige Ver- 
anderung des motorischen Apparats ist, betont schon Nothnagel. Ein Fall, den 
J. in den letzten 5 Jahren zur Section bekam, war ganz besonders bemerkens- 
werth; der Krankheitsverlauf hatte sich fiber 6—7 Jahre erstreckt. Der Magen war 
makroskopisch intact, der Darm dfinnwandig, weit, von normaler Farbe; die mikro- 
skopische Untersuchung ergab Degeneration der Muscularis mucosae des Magens und 
Darms; ausserdem fand sich in der Darm wand starke Yaricenbildung, ein Zeichen 
schwerer Circulationsstfirungen, und in der That waren auch die Venenmusculatur, 
in der Umgebung der Gefasse die sensiblen Nerven und der Meissner’sche Plexus, 
auch ein betrachtlicher Theil der Ganglienzellen degenerirt. Endlich fand sich auch 
eine schwere Atrophie des Pankreas, das auf l / 9 reducirt nur sparliche, atrophische 
Lappen zeigte. 

Rossbach, Jena, halt die Aufstellung der nervfisen Dyspepsie ffir einen Rfick- 
schritt und glaubt, dass ein nichts prajudicirender Name, wie „digestive Reflexneurose", 
den Symptomencomplex besser bezeichne. 

Rfihle, Bonn, betont, dass die Furcht etwas zu geniessen, die sich in Folge 
des Magendrucks einstelle, zu directer Nahrungsverweigerung und zum Tode ffihre, 
so dass es unter Umstanden nothwendig wurde, die Kranken in Anstalten unter- 
zubringen. 

Me inert, Dresden, ist ebenfalls nicht geneigt, die nervfise Dyspepsie als Krank- 
heit anzuerkennen und diagnosticirt deshalb ebenfalls ex juvantibus, so denkt er 
zunachst an Entozoen, besonders Ascaris lumbricoides, ferner an Ulcus ventriculi, das 
in Dresden bei 23 °/ 0 aller weiblichen Leichen sich finde, auch das vernarbte Ulcus 
kfinne noch die Dyspepsie hervorrufen, endlich an Reflexneurosen vom Genitalapparat 
(Retroflexio, Endometritis), ja er glaubt, dass auch durch Gallensteine das Symptomen- 
bild hervorgerufen werden kfinne. 

Leube, Erlangen, constatirt, dass nicht sowohl die Existenz der Krankheits- 
erscheinungen, als deren Name und die zur Yerffigung stehenden diagnostischen 
Hfilfsmittel in die Discussion gezogen seien. Dass bei der Probeausspfilung der Magen 
noch mit Speise nach 8 Stunden geffillt gefunden sei, gehfire zu den Ausnahmen. 
Der Name, den die Krankheit erhalte, sei gleichgfiltig. 


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Ewald, Berlin, betont die Annaherung, die sich in den Anschauungen Leube’s 
nnd der seinigen geltend gemacht und exemplificirt noch einmal auf die Unzulang- 
lichkeit unserer diagnostischen Hulfsmittel. 

(Schluss folgt.) 


IV. Bibliographic. 

Kateohismus der geriohtliohen Psychiatrie in Fragen und Antworten. Mit 
einem Anhang von Mustergutachten von Dr. H. Neumann, Professor an der 
Universitat Breslau. (Breslau 1884. Preuss & Jflnger. 70 Seiten.) 

Yon der kleinen Scbrift sind 50 Seiten der Beantwortung einer Anzahl aus- 
gewahlter Fragen aus dem Gebiete der Psychiatrie sowohl vor dem Civil- wie vor 
dem Criminalforum gewidmet, 20 dem Wiederabdruck von 2 Mustergutachten des 
Verfassers. Eine erschGpfende Behandlung der forensischen Psychiatrie wollte Verf. 
wohl nicht liefem, da dazu der Baum bei weitem zu knapp bemessen. 

Abgesehen von einzelnen untergeordneten Fragen finden wir uns in einer Cardinal- 
frage mit dem Verf. nicht in Uebereinstimmung. Er sagt S. 35: „Denn so weit 
darf die gerichtliche Psychologie nicht gehen, zu behaupten, dass jede nachgewiesene 
Seelenstbrung gleichbedeutend sei mit Zurechnungsunfahigkeit." Die bestehende 
Gesetzgebung in Deutschland (§ 51 des St.G.B/s) verlangt allerdings zur Feststellung 
der Zurechnungsunfahigkeit, dass die nachgewiesene krankhafte StCrung der Geistes- 
th&tigkeit der Art sei, dass durch dieselbe die freie Willensbestimmung ausgeschlossen 
war. Dieser letztere beschrankende Zusatz ist gegen den Willen hervorragender 
Psychiater, wie gegen den der preussischen wissenschaftlichen Deputation in das Gesetz 
hineingekommen und handelte es sich um die Emanation eines neuen Strafgesetz- 
buches, so wfirde unzweifelhaft bei weitem die grosse Mehrzabl der Psychiater auf dem 
Standpunkt steben, dass der Zusatz wegzulassen, d. h. dass nachgewiesene krank¬ 
hafte Stfirung der Geistesthatigkeit und Unzurechnungsfahigkeit sich decke. — 

In voller Uebereinstimmung finden wir uns dagegen mit dem Verf. in der Klage 
daruber, dass die Psychiatrie nicht Prfifungsgegenstand im Staatsexamen ist (S. 14), 
wie in der Zuriickweisung des in der letzten Zeit mit so viel Ostentation hervor- 
getretenen Verlangens nach Specialasylen fur verbrecherische Irre (S. 49). Die sitt- 
liche Entriistung, mit der von mancher Seite gegen das Zusammenscin von Geistes- 
kranken, die ein Verbrechen begangen und „juristisch unbefleckten" gekampft wird, 
ist, wie Verf. mit Recht hervorliebt, sicher nicht aus der Beobachtung der thatsach- 
lichen Verhaltnisse hervorgegangen: mit demselben Rechte konnte man auch Special- 
asyle ffir die geisteskrankcn Prostituirten etc. etc. verlangen. 

Es braucht schliesslich bei dem Namen des Verfassers kaum hervorgehoben zu 
werden, dass der Stoff in anziehender, geistreicher Weise bearbeitet und die Sprache 
klar und pracis ist, und dass schon aus diesen Grilnden die Lectfire der Schrift zu 
empfehlen ist. M. 


XTeber die Ursaehen der Erkrankungen des Nervensystems, Antrittsvorlesung 
von Prof. Dr. Strfimpell. (Leipzig 1884. Vogel. 22 Seiten.) 

In klarer und fibersichtlicher Weise entwickelt S. die atiologischen Momente der 
Krankheiten des Nervensystems und zwar vorzugsweise der sogenannten nervbsen 
Systeinerkrankungen. Diese Momente sind 1. tibermassige Anstrengung (Beispiel: die 
Beschaftigungsneurosen, die als functionelle Systemerkrankungen bezeichnet werden 
kfinnen); 2. fehlerhafte embryonale Anlage (hereditare Form der Ataxie, hereditare 
Muskelatrophie, Thomsen’sche Krankheit); 3. Giftwirkungen; hierher gehOrt das Blei, 
die Lues, deren atiologischen Zusammenhang mit der Tabes Verf. mindestens in einer 


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grossen Zahl von Fallen als sicher betrachtet, endlich die Mikroorganismen, denen die 
acute multiple Neuritis, die acute Poliomyelitis, acute Encephalitis bei Kindem ihre 
Entstehung verdanken dflrften, ebenso wie hier die nervOsen Nacbkrankheiten nach 
acuten Infectionskrankheiten, vielleicht auch die Chorea (nach Gelenkrheumatismus), 
der Tetanus u. a. zu nennen sind; endlich werden 4. die Einwirkungen psychischer 
Erregungen, des psychischen Trauma besprochen. 

Diese kurze Analyse zeigt, welche reiche Ftllle von Gesichtspunkten und, wie 
wir nicht zweifeln, von fruchtbaren Anregungen auf wenigen Seiten hier enthalten sind. 

M. 


V. Vermischtes. 

Fur die Section far Psychiatrie und Nervenkrankheiten des internationalen medicinischen 

Congresses zu Kopenhagen (10.—16. August 1884) sind folgcnde Mittheilungen vorbereitet: 

1. Statktische Uebersicht der Geisteskrankheiten und der psychiatrischen Institutionen der 
nordischen Lander. Prof. Steen berg, St. Hans Hospital, Danemark. 

2. Vorschlag zu einer gemeinschaftlichen internationalen Form der Jahresberichte der Irren- 
anstalten. Dr. O. v. Schwartzer, Buda-Pesth. 

8. Die Bedeutung der Arbeitscolonien fiir die Behandlung der Geisteskrankheiten. Director 
Dr. Paetz, Alt-Scherbitz. 

4. Der Einfluss der Schulen auf die geistige Gesundheit der Kinder. Prof. Kj el lb erg, 
Upsala. 

5. Die Rolle der Syphilis bei der allgemeinen fortschreitenden Parese. Dr. Rohm ell, 
St. Hans Hospital, Danemark. 

6. Dio Bedeutung der Korperbewegungen in der psychiatrischen Therapie. Prof. Kjellberg, 
Upsala. 

7. Die Morphiumsucht und ihre Behandlung. Prof. Obersteiner, Wien. 

8. Das sogenannte psychisch-epileptische Aequivalent. Dr. Hallager, Viborg, Danemark. 

9. Die secundaren Degenerationen des Ruckenmarks. Prof. Pitres, Bordeaux; Dr. Hom4n, 
Helsingfors. 

10. Die vasomotorischen und trophischen Neurosen. Prof. A. Eulenburg, Berlin. 

11. Die Heilbarkeit der Tabes dorsalis. Prof. A. Eulenburg, Berlin. 

12. Die anatomischen Veranderungen bei der ,,Sclerose lat4rale amyotrophique". Prof. Char¬ 
cot, Paris; Dr. Friedenreich, Kopenhagen. 

13. Die psychische Analyse als Grundlage der psychiatrischen Diagnostic Director Dr. 
Ramaer, Haag. 

14. Die dyscrasischen Momente, welche bei der Genese der Psychosen und Neurosen eine 
Rolle spielen. Dr. Muller, Blankenburg. 

15. Ueber den Cretinismus. Dr. Allara, Moscazzano. 

16. Die Theorie von den cerebralen Localisationen. Dr. Shuttle worth, Lancaster. 

17. Ueber die atactischen Sprachstorungen ohne Gehirnsymptoine. Dr. Chervin, Paris. 

18. Die Vascularisation der Medulla oblongata. Prof. Adamkiewicz, Wien. 

19. Hirnreizung, Hirndruck, Hirnlabmung. Prof. Adamkiewicz, Wien. 

20. Beitrage zur Lehre von den Neurosen: Hysterie, Hypnotism us etc. Dr. Zambaco, 
Constantinopel. 


Die belgische Akademie der Medicin stellt neben 3 andern Prcisfragen folgende: Der 
Einfluss des Nervensystems auf die Urinsecretion, besonders durch eigene Untersuchung zu 
begriiuden. 

Preis 800 fr. Termin vor dem 15. Februar 1885. Sprache: lateinisch, franzosisch oder 
flamisch. 

Die Akademie der Medicin zu Turin stellt fur den Preis Bonacossa (600 Lire) fol- 
gendes Thema: Welchen Zweck miissen die offentlichen Irrenhauser bei den gesitteten Volkern 
erfiillen und welche Aemter konnen den Aerzten bei der Direction derselben zukommen? 

Sprache: italieniscb, lateinisch oder franzosisch. Termin 31. December 1884. 


Um Einsendung von Separatabdrucken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen fur die Redaction sind zu rich ten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufei; 7. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgbr & Wittio in Leipzig. 


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Neurologisches Centr alblatt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Dritter 


Herausgegeben von 

Dr. E. Mendel, 

PriTajdoeent an der Unirereitit Berlin. 


Jahrg&ng. 


Monatlich erscheinen zwei Nnmmern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu bezieken durcb 
alle Bnchhandlnngen des In- and Aaslandes, die Postanstalten des Deutschcn Reich s, sowie 
direct von der Verlagsbuclihandlung. 


1884. 1. Juli. M 13. 


Inhalt.' I. Referate. Experimentellc Physiologie. 1. Ueber den Einfluss von 
Verletzungen des nnteren Riickenmarkgebietes ant' den Stoffwechsel im Thierkorper von 
Kosijurin. 2. Contribnzione alio stndio della ciroolazione cerebrale pei Borgesio e Musso. — 
Pathologie des Nervensystems. 3. Beitrag zur Lehre von der Localisation der Gehirn- 
krankheitcn, von der secnndaren Degeneration and dem Faserverlauf in den Ccntralorganen 
des Nervensystems von Mannkopf. 4. Observation d^pilepsie transmise de Rauimal a l’homme 
par Planat. 5. Ein Fall von selir tiefer Erniedrigung der Korpertemperatnr nach primarer 
Hamorrhagie in der Med. obi. von Lemcke. 6. Sur la paralysie par irritation p^ripheiique 
par Bidon. 7. Note sur on cas de snenrs localisees dans le conrs d’un tabes dorsal par Ray¬ 
mond et Artaud. 8 . Arthropathie tibio-p4roneo-tarsienne gauche labetique par Gaucher et 
Duflocq. 9. Spondylolisthese bei einem Tabikcr von Krffnlq. 10. Knee-phenomenon in loco¬ 
motor ataxia by Zenner. —* Psychiatrie. 11. Insanity from lead-poisoning by Clevenger. 
12. Business worry as a case of paretic dementia by Hurd. 13. On morbid drowsiness and 
somnolence by Dana. 14. Inebriety associated with imbecillity by Crothers. — Therapie. 
15. Ett typiskt fall af primar forryckthet af BiOrnstrOm. 16. Essai sur la pathogenic du 
Cretdnisme par Verdan. 17. Paraldehyd als Schlafmittel von v. Noorden. 18. Ueber das 
Coniinum bromatum von Olderugge. 19. Conium in acute mania by Thymmler. 20. The 
use of Hyoscyamine in thfc treatment of mental diseases by Metcalf. 21. Treatment of 
melancholia by Tuttle. 22. Snakepoison as a remedy for tetanus by Ameden. 23. Oophorec¬ 
tomy and insanity by Lee. 

II. Aus den Gesellschaften. — III. Blbllographle. — IV. Vermischtes. 


L Referate. 


Experimentelle Physiologie. 

1) Ueber den Einfluss von Verletzungen des unteren Buokenmarkgebietes 
auf den StofFweohsel im Thierkdrper von S. Kostjurin. (Inaug.-Dissert. 
St. Petersburg 1884. Russisch.) 

Trotz der grossen Menge von Untersuchungen, die seit geraumer Zeit fiber die 
sog. thermischen Centren angestellt warden, ist es bisher nicht gelungen, in dieser 
Hinsicht. sichere Resoltate zn erzielen, nnd die betreffende Literatur ist voll von 
widerepreebender Angaben. Yerf., der dieselben einer eingehenden Besprechung unter- 
zieht, erkl&rt diesen Umstand hauptsachlich dadurch, dass einerseits die meisten 
Antoren bei ihren Yersuchen keine methodischen Stoffwechselbestimmungen vornahmen, 
andererseits die meisten Arbeiten fiber die thermischen Centren den oberen Abschnitt 


1 Um den Bericht fiber die 9. Wandcrversammlnng in Baden-Baden sebon jetzt voll- 
standig zn bringen, fallt die Originalmittheilung in dieser Nummer aus. M. 


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290 


dee Eflckennarks und das Grosshim betreffen — Gebiete, in denen die Anordnang 
der Leitungsbahnen und Centren hSchst compMcirt und verworren isi Er halt es 
fdr geeigneter, das Studium der Beeinflussung des Stoffwechsels durch das Nerven- 
system von dem unteren Ruekenmarks gebie t zu begmnen, und berichtet fiber seme 
Yersuche mit Durchschneidung des Lendenmarks zwischen dem 2. und 3. Lenden- 
wirbel an Hunden. 

Die Thiere tiberlebten die Operation gew6hnlich um 3—14 Tage, und die 
Lasion des Rtickenmarks beschrankte sich auf die nachste Umgebung der Durch- 
schneidungsstelle. Zur Untersuchung des Stoffwechsels wurden die Thiere in einen 
complicirten calorimetrischen Apparat gesetzt, der im Allgemeinen dem zuerst von 
Dulong beschriebenen ahnlich, doch in vielen Details von Prof. Paschutin modi- 
ficirt ist. Dieser Apparat erm&glicht die genaue Ermittelung der Warmemengen und 
der Kohlensaure, die vom untersuchten Thier in bestimmten Zeitperioden producirt 
werden. Die Einwirkung der Operation ergab sich aus Vergleichung der Zahlen, die 
von den Hunden vor und nach der Durchschneidung geliefert wurden. Selbstver- 
atindlich wurde strong darauf gesehen, dass alle Versuchsbedingungen in beiden 
Fallen die namlichen blieben. 

Das Ergebniss der Arbeit besteht wesentlich in Folgendem: Durchschneidung des 
Rtickenmarks zwischen dem 2. und 3. Lendenwirbel bewirkt eine Steigerung der 
vom Thier producirten Warmemenge, die sich sowohl in der absoluten Calorienzahl, 
als in der Quantitat der vom Thier exspirirten Kohlensaure kundgiebt. Doch scheint 
die Steigerung des Stoffwechsels auch von qualitativer Veranderung desselben begleitet 
zu werden, da es sich heransstellt, dass die Kohlensaureausscheidung in gr&sserem 
Verhaltniss zunimmt, als die Vermehrung der producirten Calorien. Yerf. verzichtet 
vorlaufig auf eine Erklarung des Zustandekommens der von ihm constatirten That- 
sachen, da fftr eine solche seines Erachtens weitere Untersuchungen erforderlich sind. 

Die Arbeit ist von einer tabellarischen Zusammenstellung der Versuchsresultate 
und von einer Zeichnung des benutzten calorimetrischen Apparats begleitet. 

P. Rosenbach. 


2) Contribuzione alio studio della eircol&zione cerebral© pei dott. Bergesio 
e Musso. (Giornal. dell. R. Accadem. di Medicina di Torino. 1884. Marzo.) 

Die Verff. hatten Gelegenheit, die Himpulsationen bei einem lebenden Manne 
von 56 Jahren, dem bei Exstirpation eines Sarcoms der linken Schlafengrube ein 
etwa 4 cm im Durchmesser messendes Stftck des Schadels und der Dura hatte ent- 
fernt werden mtissen, sphygmographisch zu untersuchen, wie es Mosso, Burckhardt 
und Mays bereits frfiher gethan hatten. Auf Grund ihrer mit dem Mosso’schen 
Apparat erhaltenen Pulskurven kommen die Verff. nun zu folgenden Schlussen. 

Der normale Hirnpuls stellt eine anacrote Welle dar, d. h. im allmahlich auf- 
steigenden Ast finden sich 2 kleine Erhebungen. Im normalen Schlaf bleibt die Kurve 
unverandert, nur die absolute H5he jeder Welle ist verkleinert, was auf ein geringeres 
Volumen des schlafenden Gehims zu deuten ist. Im Morphiumschlaf ffillt anfanglich 
das Himvolumen, um spater, unter gleichzeitiger Abnahme des Gefasstonus, wieder 
zuzunehmen, ohne dass ubrigens die Dauer des Schlafes in causalem Zusammenhange 
mit diesen Veranderungen stande. Der Alcoholschlaf scheint stets von einer Ver- 
grosserung des Hirnvolumens begleitet zu werden, wahrend die Himpulskurve des 
Paraldehydschlafes genau der des normalen Schlafes entspricht. 

(Chloralhydrat ist lei der nicht berhcksichtigt worden; gerade bei diesem mancher- 
seits so schwer angegriffenen Hypnoticum w4re eine diesbezugliche Untersuchung sehr 
wtinschenswerth.) 

Als Endresultat ergiebt sich, dass der Schlaf weder an eine bestimmte Blutfulle, 
noch an einen bestimmten Blutdruck im Gehirn gebunden ist. Die Verff folgern 


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daraus, dass der Schlaf tiberhaupt durch eine lediglicb chemiaehe Einwirkung des 
betr. Narcoticums auf die Ganglienzellen der Hirnrinde bedingt sei. Die Schwan- 
kungen der Blutmenge und des Blutdrucks im wachenden resp. schlafenden Gehim 
seien unabhangig vom Eintritt des Sdilafes, sondem gewissermaassen nur Neben- 
erscbeinungen. 

Wenn diese Angaben sich bestatigen, so werden allerdings bestimmtere Indicationen 
fur die Anwendang des einen oder des anderen Narcoticums in den einzelnen Krank- 
heitsfallen ermoglicht werden. So wtirde man bei anamischen Zustanden des Hirns 
biernacb dem Alcohol, sonst dem Paraldehyd (oder vielleicht dem Chloral) den Yor- 
zug geben, wenn es sich um kunstliche Herbeif&hrung von Schlaf handelt. Auf an- 
derem Wege ist man ja hbrigens auch zu einem ahnlichen Besultate gelangt. 

Sommer. 


Pathologie des Ner vensystems. 

3) Beitrag zur Lehre von der Localisation der Gehirnkrankheiten, von 
der secund&ren Degeneration und dem Faserverlauf in den Central- 
organen des Kervensystems von Prof. Mannkopf, Marburg. (Ztschr. f. 
klin. Med. 1884. Bd. YU. Supplem.-H.) 

M. berichtet in ausserordentlich eingehender Weise uber klinische Geschichte 
und anatomischen Befund einer exact zu begrenzenden Herderkrankung in der mo- 
torischen Zone des Grosshirns. Ein 19jahriges Madchen, das an Insuff. valv. mitral, 
litt, wurde wahrend der Arbeit auf dem Felde von einem apoplectischen Insult be- 
troffen, nachdem linksseitige complete Hemiplegie mit Einschluss des Gesichts und 
der Zunge, sowie Dysarthrie constatirt wurde. Letztere, die Sprachstoning, verlor 
sich schon nach wenigen Tagen; nach 2 Wochen begann die Motilitat der Extremi- 
taten wiederzukehren. Zu dieser Zeit wurde an der linken Oberextremitat eine 
geringe, aber deutliche Herabsetzung der Sensibilitat gefunden. Nach 11 Wochen 
hatte sich (unter Jodkali und centraler galvanischer Behandlung) die Beweglichkeit 
des Beines vollstandig, die des Armes grOsstentheils wieder hergestellt, nur die Be- 
wegungen der Hand waren mangelhaft geblieben. 

Als die Patientin nach 3 Monaten wieder aufgenommen wurde, war ausser der 
noch bestehenden leichten Parese des untern Facialisgebiets auch eine Schwache der 
Innervation in den oberen Aesten (Frontalis und Orbicul. palpebr.) deutlich; es 
bestand noch wesentliche Herabsetzung und Unsicherbeit der Motilitat des linken 
Arms, eine geringe Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit an den Yorderarm- 
muskeln, eine geringe Herabsetzung der Sensibilitat an der linken Stira- und Hals- 
halfte wie am linken Arm. Die linke untere Extremitat verhielt sich normal. Der 
linke Arm etwas kuhler und von geringerem Umfang als der rechte; bei passiven 
Bewegungen geringer Muskelwiderstand. Spater entwickelte sich Oedem an den 
unteren Extremitaten, im Gesicht und an der linken oberen Extremitat. Die Pat. 
starb unter Zunahme der Compensationsstorungen von Seiten des Herzfehlers etwas 
fiber 7 Monat nach dem apoplectischen Insult, obne dass sich an den Innervations- 
stdrungen noch etwas geandert hatte. 

Die Section ergab in der rechten Grosshimhemisphare eine cystiscbe Hdhle, 
die wesentlich den unteren zwei Dritteln der hinteren Centralwindung und 
dem entsprechenden Abschnitt des Centrums semiovale angeh6rt, wenig 
auf die benachbarten Partien der vorderen Centralwindung und beider 
Scheitell&ppchen hbergriff. Genauer umfasste der zerstdrte Bezirk: die Rinde 
der hinteren Centralwindung in ihrem 2.—5. Achtel, die weisse Substanz in der 
Markleiste der hinteren Centralwindung, entsprechend den oberen Theilen des unteren 
Parietalbflndels und dem ganzen mittleren Parietalbfindel (Pitres); ferner die weisse 


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der vorderen Centralwindung entsprechende Markmasse, in einem dem oberen ausseren 
Theil des unteren Frontalbundels zugehOrigen Abschnitt; ferner die Uebergangspartie 
der hinteren Centralwindung in das obere Scheitellappchen, ebenfalls nur in der weissen 
Substanz, dem oberen vordersten Theil des oberen Pediculoparietalbiindels (Pitres) 
entsprechend. 

Die mikroskopische Untersuchung der Umgebung der Erweichungscyste ergab 
noch secundar entzfindliche Veranderungen, an denen folgende Partien betheiligt 
waren: ein kleiner Bezirk der Rinde der vorderen Centralwindung an der Grenze des 
mittleren und unteren Drittels, deren Marksubstanz (obere Partie des unteren Frontal- 
biindels); im Lobulus supramarginalis Rinde und Markmasse im unteren vorderen 
Theil (unteres Pediculoparietalbfindel). 

Der primare Herd betraf also einen Theil der rechtsseitigen motorischen Region 
der Rinde und des Centrum semiovale. Derselbe hatte secundare Degeneration 
zur Folge gehabt, die in ihrem Yerlauf ebenfalls auf’s minutiSseste festgestellt wurde. 
Das vom unteren, inneren und vorderen Ende der primaren Lasion abtretende Bfindel 
degenerirter Stabkranzfasem spaltete sich bei seinem Eintritt in die innere Kapsel 
in 2 Zweige, deren einer sich eine kurze Strecke zwischen Aussenwand des III. Linsen- 
kemgliedes und Vormauer nach vom und unten in der Capsul. externa erstreckte 
und hier verlor. Die 2. Abzweigung liess eine betrachtliche Anzahl degenerirter 
Fasem zur inneren Wand des Sehhiigels und in dessen Substanz hineinstrahlen (Ver- 
bindungsfasera der Hirnrinde mit dem Thalamus). Der Hauptstamm der degenerirten 
Partie, der Pyramidenbahn angehorig, nahm iiberall die aussere Halfte der inneren 
Kapsel ein, im obersten Theil in ihrem hinteren Ffinftel, etwas tiefer in ihrem hinteren 
Drittel; er rhckte dann immer mehr in ihr mittleres Drittel hinein und fand sich 
schliesslich im unteren Abschnitt der inneren Kapsel in der hinteren grdsseren Halfte 
ihres mittleren Drittels. 

Diese Lage der degenerirten Bahn entspricht nicht ganz der seit Charcot und 
Flechsig angenommenen Situation der Fasem in der inneren Kapsel, in M.’s Fall 
schien ein Theil der Pyramidenbahn liinter dem von Ch. und F. letzterer zugewiesenen 
Abschnitt der Capsul. int. in einem Gebiet, das sonst der Leitung der sensiblen 
Bahn zugewiesen wird, zu liegen (doch steht, wie M. bemerkt, sein Fall in dieser 
Beziehung nicht isolirt da). Entweder handelt es sich um eine individuelle Ver- 
schiedenheit in der Lage der Pyramidenbahn, oder ein Theil der letzteren 
gehort constant dem hinteren Drittel des hinteren Kapselschenkels an. 

Im Hirnschenkelfuss lag an seinem Uebergang aus der inneren Kapsel im 
Niveau des Tractus opticus die degenerirte Partie von unten-innen an gerechnet im 
5. Sechstel des Querschnitts, weiter abwarts im 3. und 4. Fftnftel. In der Brflcke 
nahm die degenerirte Partie eine mittlere Gruppe von Langsbdndeln — aber nicht 
vollstandig — ein; in der rechten Pyramide lagen die degenerirten Fasem fiberall 
durch den Querschnitt zerstreut. Im Rflckenmark (Halstheil) hatte die secundare 
Degeneration die gewohnliche Lage und Ausdehnung im linken Seitenstrang, aber 
nicht die Dichtigkeit wie bei ausgedehnter Zerstflrung der inneren Kapsel. Im rechten 
Vorder- und rechten Seitenstrang nichts von secundarer Degeneration. 

Wir haben ein ziemlich ausfahrliches Resume des objectiven Befundes gegeben; 
betreffs zahlreicher vergleichender Beziehungen und die Localisationsfrage beruhrender 
Ausfdhrungen verweisen wir auf das Original. Eisenlohr. 


4) Observation d’epilepsie transmise de 1'animal A l'homme par Plana i 
(Annales mdd.-psychol. 1884. Mai p. 383.) 

Ein in landlichen Yerhaltnissen lebender Schmied besass eine Katze, welche mit 
dem (kinderlosen) Ehepaar aus einer Schhssel zu essen pflegte. Dieses Thier litt 


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an epileptischen Krampfen und biss eines Tages seinen Herrn. In nicht naher be- 
stiinmbarer Zeit traten dann heftige epileptische Anfalle ein. 

Nach unbestimmter Zeit ist dann die Fran des Schmieds ebenfalls an Epilepsie 
erkrankt. 

Naheres fiber den Verlauf der Krankheit zu geben ist Verf. nicht im Stande, 
ausser dass die Anfalle frequenter geworden und die beiden Unglflcklichen bald den 
ausseret heftdgen Attacken erlegen seien. 

P. lasst die Frage, ob hier eine Uebertragung von epileptischem Virus von der 
Katze anf das Ehepaar stattgefunden hat, offen, zumal auch nicht fest steht, ob eine 
solche Uebertragung durch Biss Oder durch Aufnahme von Speichel der Katze, in 
Folge des intimen Zusammenessens aus einer Schilssel, statthatte. Dass die Frau 
gebissen worden ist, wurde Uberhaupt nicht angegeben. 

Es wird ftbrigens noch erwahnt, dass andere Forscher (Plaque, Gdlineau) 
die Uebertragbarkeit der Epilepsie durch Secrete von Thieren auf den Menschen be- 
hauptet haben. 

Das Zustandekommen der Epilepsie durch „Impression“ wird angesichts des 
Alters des Ehepaars und des geringen Eindrucks, den eine Katzenepilepsie machen 
konnte, vemeint Uebrigens lag bei beiden Erkrankten keine erbliche Disposition 
zur Epilepsie vor. Jehn. 


5) Ein Fall von sehr tiefer Eraiedrigung der Korpertemperatur nacli 
prim&rer H&morrhagie in der Medulla oblongata; zugleieh ein 
Beitrag zur Lehre vom Sitz des thermlschen Centrums. Von Dr. 

C. Lemcke. (Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XXXIV. S. 84.) 

In die medicinische Klinik zu Rostock wurde am 26. October ein 38jahr. sehr 
verwahrloster Potator aufgenommen, welcher kurz zuvor vOllig bewusstlos geworden 
war. Der ganze KOrper ffthlte sich auffallend kalt an und die im Rectum vor- 
genommene Temperaturmessung ergab 23 0 C. Der Puls anfangs 32, hob sich spater 
auf 40 Schlage in der Minute. Abends Tod unter den Erscheinungeu des Lungen- 
Gdems. — Die genaue anatomische Untersuchung der Oblongata ergab einen frischen 
hamorrhagischen Herd, welcher 3 mm nach links von der Medianlinie und etwa 
1V 2 mm ti®ter dem Boden des 4. Ventrikels lag, dessen Hohe etwa 4 mm betrug 
und von der Mitte der Olive bis zur Spitze der Ala cinerea reichte. Bezflglich der 
BnJbarkeme hatte er seinen Sitz hart lateralwarts und nach oben vom Kern des 
N. vagus und medianw&rts und etwas nach unten vom medialen oberen Kern des 
N. acusticus. In der rechten Brtickenhalfte, in der Nahe des Abducenskerns, eine 
kleine Erweichung. Strhmpell. 


6) Sur la paralysie par irritation peripherique par le Dr. H. Bid on. (Revue 
de m&l. 1884. Avril p. 334.) 

Die Arbeit enthalt ausser einigen aus der Literatur gesammelten Fallen zwei 
eigene Beobachtungen, welche vom Verf. als Reflexlahmungen aufgefasst werden. 
Der-erate mitgetheilte Fall betrifft einen 34jahrigen Soldaten, welcher in Algier 
einen Schuss in der Gegend des rechten Knies erhielt. Nach Heilung der Wunde 
blieb eine vollstandige Gelenksteifigkeit nach. Einen Monat spater trat Lahmung 
und Anasthesie des reohten Arms ein, welche Erscheinungen allmahlich wieder voll- 
standig verschwanden. — Die zweite Beobachtung betrifft einen nervCs beanlagten 
40jahrigen Journalisten, welcher sich durch einen Fall mehrere blutige Verletzungen 
in der Gegend des Kreuzbeins und des Afters zuzog. Etwa 2 x / 2 Monate spater trat 
ziemlich rasch eine sehr starke Parese und Anasthesie aller 4 Extremitaten ein. 


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'welch© Symptome nach zweimonatlicher Behandlung mit Strychninpr&paraten u. a. sich 
wieder vollstandig zuruckbildeten. 

Die epikritischen Bemerkungen des Yerf. enthalten eine Erflrterung der bekannten, 
liber das Wesen der „Reflexlahmung“ aufgestellten Theorien. StriimpelL 


7) Note sur un cas de sueurs looalisees dans le oours d’un tabes dorsal 
par M. F. Raymond et M. G. Artaud. (Revue de med. 1884. Mai p. 414.) 

In einem Falle von typischer Tabes traten nach den sehr starken Schmerz- 
anfallen in den Beinen jedesmal heftige Schweisse auf; zuweilen auch Bildung von 
Sudamina und an den Unterschenkeln kleine Ekchymosen. Ausserdem konnte man 
nach jeder Mahlzeit ein sehr intensives Schwitzen der rechten Gesichts- und Kopf- 
halfte beobachten. — Von den bestehenden trophischen Stflrungen verdient noch der 
Verlust der Nagel an den Zehen Erwahming. Strtimpell. 


8) Arthropathie tibio- pdroneo-tarsienne gauche tabdtique par E. Gaucher 
et P. Duflocq. (Revue de m6d. 1884. Mai p. 419.) 

Fall von alter, seit 30 Jahren bestehender Tabes, bei welchem sich die in der 
Ueberschrift erwahnte Affection entwickelt hatte. Sehr starke Knochenauftreibung 
(durch Osteophytbildung?). Keine anatomische Untersuchung. Strtimpell. 


9) Spondylolisthese bei einem Tabiker von Dr. G. KrCnig. (Ztschr. f. klin. 

Med. 1884. Bd. VII. Supplem.-H.) 

Ein seit 10 Jahren an Tabes leidender 35jahriger Backer, der niemals schwerer 
kSrperlicher Arbeit sich zu unterziehen gehabt, glitt im Jahre 1882 mit dem linken 
Bein einige Treppenstufen hinab und ffthlte dabei deutlich ein Knacken in der Lenden- 
wirbelsaule, doch konnte er unmittelbar darauf ohne Beschwerde weiter gehen. Nach 
einem Vierteljahr gesellte sich zu dem schleudernden Gang noch eine auf mangeln- 
dem Halt der Wirbelsaule beruhende Unsicherheit beim Stehen und Gehen. Die 
objective Untersuchung ergab eine auffallige relative Verkilrzung des Bauches, eine 
tiefe, vom Domfortsatz des 5. Lendenwirbels bis zum 8. Brustwirbel sich erstreckende 
Lumbodorsalrinne, eine Lordose der Regio lumbalis, gesteigerte Concavitat der fron- 
talen Kreuzbeinflacbe, einen prolabirten und etwas herabgeglittenen 5. Lendenwirbel- 
k6rper, abnorme Beweglichkeit der Lendenwirbelsaule wesentlich in sagittaler Rich* 
tung. Dabei mangelte Schmerzhaftigkeit vollstandig, fast bei jeder Yerschiebung 
aber trat mehr oder minder starkes Krachen auf. Die Beckenneigung war kaum 
verandert. 

Der Gang war erstens ausgesprochen atactisch und zweitens watschelnd, wie bei 
Paralyse der Lendenstrecker. Durch einen zugleich von vom und hinten auf die 
Lendenwirbelsaule ausgellbten Drack wurde der Gang bedeutend erleichtert 

Yerf. zieht in eingehende Erwagung, welche von den beiden mbglichen Ursachen, 
congenitaler Bildungsdefect oder tabische Wirbelarthritis das Herabsinken 
des 5. Lendenwirbels bedingt haben k5nnte. 

Obwohl die Annahme einer tabischen Erkrankung des Sacrolumbalgelenks, be- 
stehend in einer Arthritis sicca, die durch Osteoporose leicht zu einer Infraction oder 
Fractur des Wirbelbogens ffihren konnte, sehr plausibel erscheint, so verkennt doch 
Yerf. nicht, dass dieser supponirten Arthropathie auch gewichtige Bedenken entgegen 
stehen, dass erstens bis jetzt eine tabische Wirbelarthropathie noch nicht bekannt 
ist und dass zweitens die in seinem Fall vorhandene Arthritis nicht den Charakter 
der tabischen hat, durchaus keine Wucherungsvorgange an der Knochensubstanz 
darbietet. Eisenlohr. 


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10) Knee-phenomenon in locomotor ataxia by Dr. Zenner. (Journ. of nervous 
and mental disease. 1884. XI. p. 242.) 

Verf. theilt die Krankengeschichte eines 40jahrigen Bahnbeamten mit, der vor 
20 Jabren mit einem Ulcus ohne secundare Symptome inficirt, seit l&ngerer Zeit fiber 
lancinirende Schmerzen und seit etwa 6 Monaten fiber CoordinationsstOrungen und 
Urinbescbwerden klagte. Es wurde Tabes diagnosticirt, dock glaubt Verf., dass es 
sicb wobl um eine „Myelitis“ handele, da die Kniereflexe gesteigert sind; aucb bat 
sicb in ziemlicb rapider Weise eine Paralyse und Atrophie der linksseitigen Arm- 
musculatur ausgebildet und die Sensibilit&tsstdnmgen sind in den oberen Extremi- 
t&ten starker, als in den unteren. 

Verf. h&lt das Westphal’sche Zeicben fUr durcbaus zuverlassig und verwirft 
die Diagnose Tabes, sobald die Kniereflexe vorbanden sind. Sommer. 


Psy chiatrie. 

11) Insanity from lead-poisoning by Dr. Clevenger. (Chicago medical Journ. 
and Examiner. 1884. Febr.) 

Ein 50j&briger alleinstebender Arbeiter wurde obne genauere Anamnese in eine 
Irrenanstalt aufgenommen und bot das Bild des melancholiscben Stupors mit inter- 
currenten epileptiformen Anfallen. Gelegentlich eines zufalligen Besucbes durch einen 
alten Freund wurde ermittelt, dass der Pat. vor der Erkrankung in einem Bleiwerk 
gearbeitet batte. Nun wurden aucb die Zabnfleiscbverfarbung und andere Symptome 
chroniscber Bleiintoxication gefunden und eine entsprecbende Bebandlung mit Jod- 
kalium, Badern etc. eingeleitet. 

VOllige Genesung nacb etwa 7 Wocben. Sommer. 


12) Business worry as a oase of paretic dementia by Dr. Hurd. (Journ. 
of nervous and. ment. disease. 1884. XI. p. 307.) 

Verf. glaubt, in den letzten Jabren, etwa seit 1881, eine auffallige Abnahme 
der Erkrankungen an progressiver Paralyse beobacbtet zu baben. Jedenfalls sind 
die Paralytikeraufnahmen in die von ibm geleitete Anstalt (Pontiac in Michigan, 
Vereinigte Staaten) seit jener Zeit erheblich seltener geworden. Er scbiebt diese 
Erscbeinung auf die inzwischen eingetretene Besserung aller finanziellen Verhaltnisse. 
Frflher babe unter dem Druck ungiinstiger Handelskrisen der aufreibende Kampf um 
die materiellen Bedingungen des Lebens besonders bei Kaufleuten haufig den Aus- 
bruch der Paralyse veranlasst, wabrend sicb jetzt nur weniger gewagte Speculationen 
notbig macben. 

Wenn nun aucb in vielen Fallen zweifelbafte Unternebmungen oder gar ein 
Concurs nicht erst die Ursache, sondern scbon die Folge des paralytiscben GrOssen- 
wabns sein durften, so glaubt Bef. docb jener Annabme beistimmen zu konnen, da 
er zufallig mit einer analogen Untersucbung bescbaftigt, zu einem ahnlicben Besultat 
gekommen ist. Freilicb baben in Deutschland wobl aucb die Invaliden des Feld- 
zuges 1870/71 ein grOsseres Contingent zu den Paralytikem der Jabre 1870—1880 
gestellt, das jetzt in Wegfall gekommen ist. Jedenfalls sind aucb in Allenberg die 
Paralytikeraufnahmen seit 1881 auf etwa 13% aller ersten Manneraufnabmen ge- 
sunken, wabrend sie in den Jabren 1873—1880 incl. fast 20 % betragen baben. 

Sommer. 


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#*• 



296 


13) On morbid drowsiness and somnolence by Dr. Dana. (Joura. of nervous 
and mental disease. 1884. XL p. 153.) 

In dieser Arbeit, der ein Yortrag in der „Neurological society'* zu New-York 
zu Grande liegt, theilt Yerf. eine grosser© Zabl eigener und fremder Beobacbtungen 
mit, die durcb das anfallsweise Yorkommen von protrahirten Schlafzustanden charak- 
terisirt sind. Derartige Attacken, die gelegentlicb wegen der erschwerten Nahrungs- 
aufnahme seitens des Patienten bedenklich werden kOnnen, entsteben vorwiegend auf 
epileptiscber, bysteriscber oder hypnotiscb-kataleptischer Basis. Andererseits kOnnen 
sie die Folge von gewissen ErschCpfungszust&nden darstellen oder durch Intoxicationen, 
wie Malaria, Diabetes, oder durcb reale Hirnerkrankungen, die in einzelnen Formen 
von Geistesstflrung (Eatatonie und in dem Prodromal©tadium der allgemeinen Para¬ 
lyse) oder bei Tumoren, nacb Insolation etc. bedingt sein. 

Je nacb der Intensitat der Symptome unterscbeidet Verf. (mit Briquet) Letbargie 
mit aufgebobenen Beflexen, Somnolenz (tiefer protrabirter Scblaf) und Schlafhgkeit 
(Benommenbeit mit grosser Neigung, zeitweilig einzuscblafen) die sicb zu den ver- 
scbiedensten Combinationen, aucb in Bezug auf ihre Dauer, vereinigen kSnnen. Bei 
Frauen kommen — abgeseben von einfacber Hypnose — protrabirte Schlafzustande 
etwa 3mal so b&ufig vor, als bei Minnem (28:9). Was die Bebandlung betrifft, so 
wird natllrlich zun&chst die Ursache der Scblafanfklle berbcksichtigt werden mtlssen. 
Symptomatiscb wird man etwaige Hyperamie oder Anamie des Hirns bekampfen, durch 
starke Haut- und Sinnesreize, Week vers ucbe anstellen und ausserdem die Emabrung, 
eventuell durcb Scblundsonde, unterstbtzen. Laycock’s Scbnupfpulver aus China- 
rinde und weisser Niesswurz bestehend wird speciell als Weckmittel empfoblen. 

Sommer. 


14) Inebriety associated with imbeoillity by T. D. Crotbers. (Alienist and 
Neurol. 1884. April.) 

Yerf. macht in dieser Arbeit auf eine specifische und in Bezug auf ihre Heil- 
barkeit sehr unghnstige Form des chronischen Potatoriums aufmerksam. Es bandelt 
sicb in den betreffenden Fallen fast aussebliesslieb urn Individuen, die in der Kind- 
beit wenig begabt erschienen sind, dann aber von abnormem Ebrgeiz beseelt pl5tzlicb 
anfingen ausserordentiicb fleissig zu arbeiten, wenn aucb nur in sehr einseitiger 
Weise, und oft genug in auffallend kurzer Zeit glanzende Kenntnisse erwarben. So- 
bald sie aber in eine verantwortliche Stellung kamen und ihre Kenntnisse verwerthen 
sollten, fielen sie ab, da zu selbstst&ndiger Arbeit ihre mittelmassige Himorganisation 
niebt genbgen konnte, und sie bedurften nun einen Stimulus, der sie eine gewisse 
Zeit lang nocb im Kampfe urn's Dasein durcb half, namlich den Alcohol. Sehr 
bald entwickelte sich dann aber das schwerste Potatorim und liess diese Unglbck- 
licben vbllig verkommen. Eine Heilung dieser Form des Alcobolismus geh&rt zu den 
grossen Seltenbeiten und Verf. warnt daher in propbylactiscber Hinsicbt vor der 
Ueberanstrengung leicht imbeciller Personen. In drobenden Fallen maebt sicb ge- 
wdhnlicb schon zur Zeit der Pubertat ein reizbares und excentriscbes Wesen be- 
merkbar mit einem ebarakteristiseben Mangel an Ueberlegung und Selbstbeberrscbung. 
Eine versiAndige Erziebung und ein guter Hausarzt werden bier von weit grosserem 
Nutzen sein, als alle Klagen fiber die UeberbCirdung der Schiller. In einer fruberen 
Arbeit maebt tlbrigens der Yerf. darauf aufmerksam, dass niebt allzu selten ein ein- 
ziger zufUlliger Excess, z. B. bei Gelegenheit irgend eines Festes, in abnlicben Fallen 
unmittelbar aus einem bis dahin nbebternen Individuum einen chronischen Saufer 
gemaebt babe und es dbrfte aucb in dieser Hinsicbt eine sachgemasse Propbylaxe 
zu empfeblen sein. Sommer. 


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15) Ett typiskt fall af primfir forryokthet, meddeladt af med.-r&d. F. Bjfirn- 
str5m. (Hygiea. 1883. XLV. 10. S. 601.) 

Der vom Verf. mitgetlieilte Fall betrifft einen zur Zeit der Aufnahme im Stock¬ 
holmer Hospitale (28. Dec. 1881) 39 J. alten Telegraphenassistenten, der den Ent- 
wickelungsgang seiner Krankheit selbst mit ausserster Genauigkeit and Ausffihrlich- 
keit niedergeschrieben hat. Pat. war vorher ganz gesund gewesen and in alien seinen 
Arbeiten ausserst genan and gewissenhaft, keines seiner Eltern war geisteskrank. 
Seine Gewissenhaftigkeit war fibertrieben und ging zur ScrupalosiiAt, und hieraas 
entwickelten sich pedantische Grfibeleien fiber mbgliche Fehler und Yersaumnisse im 
Dienste, Verfolgungsideen, erst unter der gelinden Form, dass er Gegenstand der 
Nachforschung and Spionirung von Seiten seiner Kameraden and Yorgesetzten sei, 
spater fibergehend in den Yerdacht, dass Andere sich ungehbriger Weise in seine 
Gedanken oder in seine privatesten Angelegenheiten mischten. Auf der andem Seite 
zog diese Scrupolositat ein immer mehr vermindertes Selbstvertrauen nach sich, Un- 
sicherheit and Aengstlichkeit, nichts recht za machen and nicht recht zu handeln, 
qualenden Zweifel fiber eigene Kraft, Tauglichkeit and Ordentlichkeit, der in wirk- 
liche Zweifelsucht ausartete. Erst nach 3 Jahren stellten sich Gehdrshallucinationen 
ein, das erste Mai in Folge davon, dass er wahrend eines Selbstgesprfichs seine eigene 
Antwort objectivirte and sie von einer Frauenstimme im Nebenzimmer aossprechen 
horte. Seit der Aufnahme vermehrten sich die Hallucinationen und nahmen die Form 
von Kinderstimmen an, die ihn bestandig verfolgen, sich in seine Gedanken mischen 
and ihn verwirrt machen und oft in Angstzustande versetzen. Diese Stimmen haben 
ffir ihn voile Realitat; weit entfernt davon, auf die Erklarung des Arztes, dass sie 
subjectiver Natur seien, einzugehen, benutzt sie Pat. als Aosgangspunkt einer ganz 
sinnreichen spiritistischen Theorie fiber das Dasein von Geistem und ihr YermSgen 
sich auf Entfemungen zu versetzen. Seine Stimmung ist dabei so freundlich and gut- 
mfithig, dass alle diese Leiden, die er von den Wesen, von denen nach seiner Meinung 
die Stimmen ausgehen, herleitet, nicht vermocht haben, ihm Bitterkeit gegen diese 
Wesen beizubringen, er betrachtet diese Wesen nicht als Feinde, sondern als Freunde. 
Gesichtshallucinationen hat Pat. bis zur Zeit der Mittheilung noch nicht gehabt, ob- 
wohl er deren MCglichkeit nach seiner spiritistischen Theorie deducirt, dagegen be- 
schreibt er eine Geffihlshallucination, die er einmal in einer grossen Zehe gehabt hat. 
Das merkwfirdigste und interessanteste psychopathologische Phanomen bei dem Pat. 
sind seine intensiven Zwangsgedanken, die er selber als solche auffasst and gegen 
die er anablassig ankfimpft. Eine besondere Art von Zwangsvorstellungen treten bei 
dem Pat. in Form von „Gegengedanken“ auf; es drangen sich ihm die Gedanken auf, 
dass etwas mOglicher Weise das Entgegengesetzte von dem sein kann, woffir er es 
wirklich halt. Eine andere Art von Gegengedanken leitet ihn auf die Unrichtigkeit 
seiner Zwangsvorstellungen. Trotz alledem sind die intellectuellen Krafte des Pat. 
noch ungewbhnlich gut; er besorgt alle Auftrage mit der grSssten Ordnung and 
Pfinktlichkeit und versieht verschiedene Dienste im Hospital, in seinen Mussestunden 
arbeitet er noch, meist Reformvorschlage behandelnde Aufsfitze aus den verschiedensten 
Fachem in Masse aus. Im Allgemeinen ist sonst seine Stimmung gut, nor mitunter 
bereiten ihm seine Gehbrshallucinationen Kummer, und die Furcht, jemandem mit 
ungerechten Worten zu nahe zu treten, hat ihn etwas menschenscheu gemacht. — 
Es handelt sich also in diesem Falle urn primfire Yerrficktheit mit Zwangsvorstellungen 
und Hallucinationen und zwar ist die Yerrficktheit deutlich primarer oder originarer 
Natur. _ Walter Berger. 


16) Essai sur la pathogdnie du Crdtinisme par Dr. Yerdan. (Paris 1883.) 

Yerf. sucht zu zeigen, dass bei dem Cretinismus nicht bios die Schilddrfise, 
sondern auch die Thymusdrfise geschwollen sei, und dass gerade diese letztere An- 


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schwellung einen Einfluss auf die Entwickelung des Cretinismus habe (yielleicht durcb 
StGrung im Rtickfluss des Blutes, wodurch Hydrocephalus hervorgebracht werden 
kOnnte). Abgesehen von einigen seltenen Autopsien von jungen Cretins, die von 
Virchow berichtet werden, fehlt es jedoch an dem Nachweis dieser Betheiligung der 
Thymus. Verf. meint jedoch, dass die Ausdehnung der subcutanen thoracico-abdomi- 
nalen Venen, der retro-sternale Schmerz und die asthmatischen Anfalle bei einer ge- 
wissen Zahl von Cretins als Zeichen der Hypertrophie der Thymus gedeutet werden 
k6nnen, da man dieselben Zeichen auch beim Sarcom der Thymus findet. Far die 
Behandlung schlagt Verf. das Jod vor, selbst vor der Geburt d. h. der Mutter wah- 
rend der Schwangerschaft dargereicht. (Revue de med. 1883. Juin.) 


Therapie. 

17) Paraldehyd als Sohlaftnittel von v. Noorden. (Ctrlbl. far klinische Medicin. 

1884. Nr. 12.) 

Die ersten ausfahrlichen Mittheilungen aber Darreichung von Paraldehyd bei 
somatischen Erkrankungen; die dargereichten Dosen schwanken zwischen 3,0 und 
6,0 Gramm. Nach jeder Dosis trat Schlaf nach ca. 1 / a Stunde ein. Die Patienten 
schliefen 5—6 Stunden lang ruhig und fest. — Paraldehyd wurde in mehr als 
50 Einzeldosen bei Emphysem und Bronchitis verabreicht mit gutem, pracisem Er- 
folg; ferner bei Phthisis, bei Rackenmarks- und Nervenkrankheiten, bei Herzkrank- 
heiten, bei ikterischem Hautjucken, chronischera Gelenkrheumatismus, Schlaflosigkeit 
aus unbekannten Granden, bei Schmerzen verschiedener Art. Als Cointraindicationen 
werden schwere Magenleiden betrachtet. 

Sphygmographische Untersuchung ergab, dass die Druckherabsetzung im Gefass- 
system nur ganz gering ist; bekanntlich ist das Gegentheil — starke Verminderung 
des arteriellen Drucks — ein Nachtheil des Chloralhydrats. 

Der Paraldehyd verdient somit einen hervorragenden Platz unter der kleinen 
Menge reichlich brauchbarer Narcotica. M. Cohn, Hamburg. 


18) Ueber das Coniinum bromatum von W. Olderogge. (Inaug.-Dissertation. 

St. Petersburg 1884. Russisch.) 

Eine umfassende pharmakologische Untersuchung, ausgefahrt im Laboratorium 
des Prof. Ssuschtschinski. Da die verkauflichen Coniinpraparate unrein sind und 
verschiedene Beimischungen enthalten, die Nebenwirkungen bedingen, benutzte Verf. 
hanptsachlich das von ihm selbst hergestellte Bromsalz. Von den mannigfaltigen, an 
Fischen, FrOschen Kaninchen, Hunden etc. angestellten Versuchen sind hier nur einige 
der Hauptergebnisse zu referiren. 

An FrOschen bewirken schon geringe Dosen des Praparats Herabsetzung der 
Reflexthatigkeit, was Verf. auf Grund seiner Versuche hauptsachlich einer Functions- 
hemmung des centralen Nervensystems zuschreibt, zum Theil einer Beeintrachtigung 
der Hautsensibilitat. 

, Die Intoxicationserscheinungen an Warmbliitern bestehen wesentlich in allgemeiner 
Schwache, Athmungsstorungen und Parese der willkMichen Muskeln, die von den 
Hinterextremit§,ten allmahlich nach vom fortschreitet. Toxische Dosen bewirken Tod 
durch Lahmung des Athmungscentrums. Die elektrische Erregbarkeit der motorischen 
Rindencentren erleidet durch kleine Dosen fast keine merkbare Veranderung; bei 
grdsseren wird sie anfanglich etwas gesteigert, doch in einer zweiten Wirkungsperiode 
sinkt sie merkbar herab. Jedenfalls ist die Beeinflussung der Rindenerregbarkeit 
durch Con. brom. unbedeutend, und die durch Absinth-Essenz hervorgebrachte Er- 
hdhung derselben lasst sich durch gleichzeitige Injection von Con. brom. nicht 
herabsetzen. 


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Die mikroskopische Untersuchung des Rfickenmarks einiger Hunde, die mit 
Coil brom. vergiftet waren, ergab nichts Pathologisches ausser vereinzelten degene- 
rirten Nervenzellen in der grauen Substanz. 

Zum Schluss theilt Verf. einige Versuche mit fiber die Behandlung der Epilepsie 
mit Coniin. Er verabreichte 1 / 2 Gran pro dosi 6—8mal taglich, konnte jedoch keinen 
Erfolg constatiren; ebenso resnltatlos blieb die Behandlung bei einigen anderen ner- 
vbsen Leiden. P. Rosen bach. 


19) Conium in acute mania by Dr. F. Thfimmler. (Medical Journ. and Examiner. 

1884. Febr.) 

Ein 24jahriger Mann wurde in unregelmassigen Zwischenraumen und ohne Vor- 
boten von ausserordentlich heftigen impulsiven Anfallen ergriffen. Extract, conii, in 
der (hohen) Dosis von 0,6 3mal taglich, bewirkte ein Ausbleiben der Anffille und 
nach 6 Monaten vfillige Genesung. Die Wirksamkeit des Coniums wurde dadurch 
bewiesen, dass jedes Aussetzen der Ordination im Beginn der Behandlung die An- 
Me in ihrer frfiheren Heftigkeit wiederkehren liess. Sommer. 


20) The use of Hyoscyamine in the treatment of mental diseases by 

Dr. Metcalf. (The Journ. of nervous and mental disease. 1884. XI. p; 321.) 

Verf. empfiehlt dringend die Anwendung des Hyoscyamins in Fallen von frischer 
Tobsucht; nach 20 Minuten ist schon eine Besserung zu bemerken. In den seltenen 
Fallen, in denen der Erregungsanfall nicht abgekfirzt wird, wird wenigstens eine 
ruhige Nacht erzielt. Die Dosis betragt fur Manner 6, ffir Frauen 5 Milligramm. 

_ Sommer. 


21) Treatment of melancholia by Dr. Tuttle. (Boston medical and surgical 
Journ. 1884. 24. Jan.) 

8 Falle von Melancholic wurden mit Brompraparaten in Yerbindung mit Cannabis 
indica behandelt, aber ohne besonderen Erfolg, da nur eine Heilung und zwei Besse- 
rungen auf den gleichzeitigen Gebrauch beider Mittel zurfickgeffihrt werden konnten. 

_ Sommer. 


22) Snake-poison as a remedy for tetanus by Dr. Ameden. (Med. News. 1883. 

29. Sept., referirt in Journ. of nerv. and mental disease. 1884. April, p. 316.) 

In einem verzweifelten Fall von traumatischem Tetanus entschloss sich Verf., 
dem die antagonistischen Wirkungen des Klapperschlangengiftes aufgefallen waren, 
eine Impfung mit einem Tropfen des einer frisch getfidteten Schlange entnommenen 
Giftes zu versuchen. 10 Stunden spater waren alle Symptome des Tetanus ge- 
schwunden und Pat. schlief 6 Stunden lang. Nach weiteren 30 Stunden trat ein 
Ruckfall ein, doch wurde derselbe durch eine neue Impfung schnell coupirt und es 
schloss sich nun v5llige Genesung an. Die Impfung machte fibrigens keine beson¬ 
deren localen Symptome, wohl aber war der Collaps so bedeutend, dass der Zustand 
des Pat. nicht unbedenklich schien. Sommer. 


23) Oophorectomy and insanity by Dr. Lee. (New-York medical Journ. 1883. 
14. Juni.) 

Verf. machte in einem Fall von schwerer Hysterie die beiderseitige Castration 
(bei anscheinend normalen Ovarien) in der Hoffhung, mit den localen Beschwerden 
auch die psychischen Abnormitaten der betreffenden Patientin gfinstig zu beeinflussen. 


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Der Ausgang entsprach indess seinen Erwartungen durchaus nicht, indem die Kranke 
nach der Operation zunehmend schlechter wurde und bald einer Irrenanstalt fiber- 
wiesen werden musste. Sommer. 


n. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft ffir Psychiatric und Nervenkrankheiten. Sitzung 
den 9. Juni 1884. 

Jastrowitz: Ueber einen Fall von Zwangsvorstellung in foro, nebst 
einigen Bemerkungen fiber Zwangsvorstellungen. 

Der forensische Fall betrifft einen Mann, der im Pferdebahnwagen einer Frau 
das Portemonnaie entwendet hatte. Nach der That wendete er sich in grosser Er- 
regung an den Yortr., und versicherte, er sei durch einen krankhaften Zustand zu 
der strafbaren Handlung gekommen, weil schon seit langer Zeit, wenn er Dinge, die 
zum weiblichen Gebrauch dienen, sehe, er unter sexueller Erregung den unwider- 
stehlichen Drang verspiire, diese Dinge sich anzueignen. So habe er auch bei der 
incriminirten Handlung bei der Berfihrung mit jener Frau ein eigenthfimliches zu- 
sammenschnfirendes Geffihl gehabt, das von den Hypochondrien nach dem Halse auf- 
stieg, und sich dann nicht enthalten kSnnen, das Portemonnaie zu nehmen. 

Anamnestisch und hereditar lag wenig vor; nur sollen im Alter von 9—11 Jahren 
Ohnmachtsanfalle aufgetreten sein. Starker — aber nie perverser — Geschlechts- 
trieb. Der Angeklagte ist verheirathet, Vater von 5 gesunden Kindern. 

J. konnte nicht recht mit sich zur Entscheidung kommen. Epileptische Kriterien 
fehlten, es blieb eigentlich nur die Zwangsvorstellung mit sexueller Farbung, wobei 
jedoch ausgesprochene wolliistige Erregung in Abrede gestellt wird. — Nun haben 
allerdings Passow, Zippel und neuerdings Charcot und Magnan analoge Fall© 
gesammelt. Aber in diesen liegt die Sache doch in mancherlei Beziehung anders, 
als hier; es handelt sich dort stets urn schwere nerv&se und psychische Erkrankungen. 

Schliesslich liess J. sich durch den ffir den Angeklagten ausserordentlich gfinstigen 
Yerlauf der Yerhandlung bestimmen, einen unfreien Geisteszustand bei der That an- 
zunehmen, indem namlich, abgesehen von dem vollkommen guten Leumund des An¬ 
geklagten, die Zeugen der That im Pferdebahnwagen bekundeten, dass der Thater 
ihnen sehr aufgeregt und wie abwesend vorgekommen sei. Auch der betreffende 
Criminalbeamte gab seiner Ueberzeugung von der Nichtschuld des Angeklagten Ausdruck. 

Hierzu kam noch, dass der Angeklagte Stimmer in einer Pianofortefabrik ist; 
und es ist schon frfiher (1877) von dem Yortragenden und auch von Prof. Lucae 
darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine sehr angestrengte Thatigkeit des 
GehOrasinnes zur Gehirnstorung disponiri So habe wohl auch im vorliegenden Falle 
diese Ursache eine Impressionabilitat des Gehirns erzeugt, und auf einem solchen 
Boden sei dann wohl die Zwangsvorstellung entstanden. 

Ein derartiger impressionabler Zustand des Gehirns, glaubt Yortr., mtisse immer 
angenommen werden, wo Zwangsvorstellungen auftreten. So kfinne anstrengender 
Musikunterricht, Schlaflosigkeit, Hysterie, Epilepsie etc. die Disposition zu Zwangs¬ 
vorstellungen bilden. 

Man habe in der neueren Literatur den Zwangsvorstellungen ihren Platz im 
System bei der Yerrficktheit (Paranoia) angewiesen, nach des Yortr. Ansicht sei dies 
nicht richtig. Auch der Definition Westphal’s, der sie als abortive Yerrficktheit 
bezeichnet, k5nne er nicht beistimmen. Sie seien entweder ein elementares Symptom 
bei den verschiedensten Psychosen, besonders haufig bei erblich disponirten Kranken. 
Oder sie treten ganz occasionell bei nicht disponirten, nicht degenerirten auf, z. B. 
durch ein Trauma. Niemals entwickeln sie sich bei einem bis zu ihrem Erschemen 
vollig gesunden Menschen. — Ein Gegensatz zur Yerrficktheit sei auch darin zu 


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finden, dass auch nach sehr langem Bestehen von Zwangsvorstellungen keino geistige 
Schwache sich einstellt, wie es bei der Yerrficktheit der Fall ist, wenngleich man 
dies neuerdings oft zu tibersehen scheme. 

In der Discussion betont Westphal, dass er entschieden bestreiten mfisse, dass 
Zwangsvorstellungen nicht ganz unvermittelt bei bis dahin vdllig gesunden Personen 
anftreten kbnnten; er habe sogar bei seiner Definition der Zwangsvorstellungen sensu 
strictiori auf solche Falle sich bezogon, wo sie spontan oder in Folge von Gelegen- 
heits-Ursachen sich zeigten, und diejenigen dabei ausgeschlossen, wo sie bei Kranken, 
Melancholischen etc., vorkommen, wo sie also ein einzelnes Symptom der Krankheit 
sind. Es scheme ihm auch der Ausdruck „Impressionabilitat“ einen etwas vagen 
Begriff decken zu sollen, ebenso wie der Ausdruck Regeneration", wobei sich eine 
Definition wohl schwer geben lassi Ffir W. bestehen deshalb diese unklaren Be- 
gnffe nicht, er wendet die betreffenden Ausdrficke nicht an. 

Sodann mOchte W. es fur wichtig halten, die Falle von reinen Zwangsvor- 
stellnngen von denjenigen zu unterscheiden, wo sie mit Trieben, mit einem moto- 
rischen Drange verbunden sind. Sicher treten in manchen Fallen Zwangsvorstellungen 
auf in Yerbindnng mit sexueller Erregung. W. erinnert sich z. B. an einen Fall, 
wo ein junger Mann oft Nachts die Vorstellung hatte, er mtisse sich fesseln oder 
gefesselt werden (was er dann auch that) und wo dann dabei Erectionen und Pollu- 
tionen eintraten. Analog kommen in der Melancholie Angstvorstellungen verbunden 
mit gleichzeitigem Drang zur Onanie vor. — Gewiss sei es oft schwer, im concreten 
Falle zu sagen, ob man es z. B. mit einer Melancholie mit Zwangsvorstellungen oder 
mit reinen Zwangsvorstellnngen im engeren Sinne zu thun hat; aber theoretisch 
mfisse man das bestimmt trennen. 

Hierauf demonsthrt Otto einen Fall von Porenoephalie. 

Das betreffende Gehim entstammt einem 15j&hrigen Idioten, bei dem sich weder 
hereditare Anlage, noch constitutionelle Krankheiten der Eltem nachweisen lassen; 
doch war die ausserehelich geschwangerte Mutter in der Schwangerschaft sehr blut- 
arm und emahrte sich sehr kfimmerlich. Bei der Geburt zeigte der Kopf des Kindes 
keine Fontanellen und der KSrper sofort eine eigenthilmliche Steifigkeit der Glieder; 
niemals hat es einen Versuch zu gehen oder zu sprechen gemacht. 

Im Januar 1884 wog der Idiot 9 kgr und war 82 cm lang. Der flbrigens 
regelmassige Kopf hatte 41 cm Umfang und die flbrigen Maasse waren dem ent- 
sprechend, d. h. etwa wie die eines Kindes von 10 Monaten. — Er lag meist ganz 
apathisch da, kannte Niemand, auch die Speiseschtlssel nicht, wurde geffittert, ver- 
unreinigte sich stets, schrie ab und zu, hatte bisweilen Nystagmus nach rechts und 
auch nach links. Die Pupillen waren mittelweit, gleich. Bei grellem Lichteinfall, 
wie auch bei dunkler Beschattung schrie der Knabe. Fixirung mit den Augen ge- 
schah nicht. Leichte Berfihrungen der Haut wurden empfunden, die Befiexbewegungen 
erfolgten, aber sehr langsam. Das Kniephanomen war deutlich. Eigenthfimlich war 
die Steifigkeit der Musculatur: bei activen Bewegungen wurde jedes bewegte Glied 
vollkommen steif und hart. Nahm man den Knaben vom Bette auf und hielt ihn 
frei auf der flachen Hand, so blieb er in seiner gewShnlichen Haltung (all© Glieder 
gebeugt, der Kopf hintenfiber) starr liegen; stellte man ihn dann auf die Ffisse und 
liess ihn umfallen, so blieb er in jeder beliebigen Lage, in welche er beim Umfallen 
gerathen war, liegen. 

Bei passiven Bewegungen zeigte sich nur geringer Widerstand. 

Die elektrische Untersuchung ergab keine bemerkenswerthe Abnormitat. — Der 
Tod erfolgte an Bronchitis. 

Die Section ergab, dass Dura mater mit dem Schadel fest verwachsen und 
ebenso an verschiedenen Stellen mit der Pia; auch die Pia-Blatter beider Hemi- 
spharen waren im grossen Langsspalt verwachsen. Yom Gehim war die Pia leicht 
abziehbar, nur an den beiden Scheitellappen nicht. 


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Das gauze Gehirn mit seinem Gehalt an Flfissigkeit wog 470 gr; die rechte 
Hemisphere 130 gr, die linke 180 gr. — An Cerebellum, Med. oblong., Rflckenmark 
makroskopi8ch nicbts Abnormes. Mikroskopiscb untersucht zeigte das Ruckenmark 
intacte Strange, die Ganglienzellen der Yorderhdrner gut entwickelt. 

In bohem Grade abnorm waren die Grosshirnhemispharen, beide sehr klein, be- 
sonders die rechte. — Die Windungen sind zum Theil relativ gut entwickelt, 
namentlich am Stimhirn, auf der hinteren Halfte der Hemispharen dagegen feblen 
sie an manchen Stellen ganz, und die Oberflache hat da nur eine feinhockrige Be- 
schaffenheit. Die rechte Centralfurche ist 2, die linke 3 cm lang. Ein Sthck des 
Hinterhauptlappens ist vom Ganzen abgesprengt. 

Beiderseits zeigt sich femer ein tiefer sichelfbrmiger, nach vorn concaver Defect 
in Gestalt einer Furche, welche vom Schlafenlappen her nach aufwarts sich zwischen 
Scheitel- und Hinterhauptslappen erstreckt und bis in die Yentrikel dringt, so zwar, 
dass die HinterhOrner ganz in den Defect aufgegangen sind. — Ein dritter Defect, 
der aber nicht bis in den Yentrikel eindringt, liegt linkerseits zwischen vorderer 
Centralwindung und Stimwindungen. 

Die Insel liegt rechts ganz frei, ist auch links nur etwas flberdeckt vom Stirn- 
lappen. 

Die Muskeln erschienen bei mikroskopischer Untersuchung normal. Der Yortr. 
meint bei der Genese 2 Momente unterscheiden zu mhssen, namlich den Destructions- 
prozess und die dadurch bedingten Entwickelungshemmungen. — Kundrat’s An- 
sicht, dass die Defecte durch eine anamische Nekrose entstanden, findet bier durch 
die Blutarmuth der Mutter und ihre dttrftige Ern&hrung wahrend der Schwanger- 
schaft eine Stutze. 

In betreff der eigenthtlmlichen Gliederstarre sucht der Vortr. die Thomsen’sche 
Krankheit zum Vergleich heranzuziehen. 

Westphal halt diesen Yergleich doch kaum ftir statthaft. 

Remak meint, dass die congenitale spastische Gliederstarre, die ja Ofters bei 
Idiotie, d. h. als cerebrale StOrung, vorkomme, eine n&her liegende Analogic bietet. 

Bernhardt weist auf die spastischen Hemiplegien bei hydrocephalischen Kin- 
dern hin. Hadlich. 


9. Wanderversammlung siidwestdeutscher Neurologen und Irrenarzte 
in Baden-Baden am 14. und 15. Juni 1884. 

I. Sitzung am 14. Juni Nacbm. 2—6 Uhr. Anwesend 52 Mitglieder. Yor- 
sitzender: Prof. Kussmaul, Strassburg. 

1. Prof. Lichtheim, Bern: Ueber Aphasie. 

L. entwirft ein Bild yon dem Reflexbogen, auf dem wir sprechen, lesen, schreiben 
lernen und geht an der Hand dieses Schemas die verschiedenen theoretischen Mog- 
lichkeiten durch, wie Unterbrechungen der einzelnen Bahnen zu aphasischen resp. agra- 
phischen und alektischen Stbrungen fflhren kSnnen; er schildert dann, welche von diesen 
Combinationen bisher wirklich zur klinischen Beobachtung kamen. 

Dieser sprachliche Reflexbogen geht einerseits von der Peripherie (acustischer 
Reiz) zum Klangbild; von hier 1. direct, 2. indirect durch das Begriffsbild zum Be- 
wegungsbild, von da centrifugal zur Peripherie (Sprachmusculatur); andererseits geht 
ein Reflexbogen von der Peripherie durch das Klangbild zum optischen Bild, von da 
entweder wieder an die Bahn zwischen Bewegungsbild und Sprachmusculatur oder an 
ein supponirtes Schreibcentrum und von hier zur Peripherie; ein weiterer Weg fuhrt 
vom Begriffsbild durch das Bewegungsbild zum Schreibcentrum. 

Die verschiedenen Mbglichkeiten der Stdrungen durch Unterbrechung der Bahnen 
sind folgende: 


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1. Unterbrechung in der Gegend des Bewegungsbildes: ein solcher Kranker kann 
nicht sprechen, nicht nachsprechen, nicht lant vorlesen, nicbt willkflrlich schreiben, 
nicbt auf Dictat schreiben; erhalten ist das Verstandniss der Sprache, der Schrift 
and das Nachschreiben. 

II. Unterbrechung in der Gegend des Klangbildes: hat Worttaubheit znr Polge; 
ferner Yerlust des Verstandnisses fftr die Schrift und der F&higkeit, nachznsprechen 
and auf Dictat zu schreiben. Dagegen kann ein solcher Kranker sprechen, aller- 
dings mit paraphasischen StOrungen, die nur schwer zu erklaren sind, und er kann 
schreiben (mit paragraphischen StCrungen) und nachschreiben. 

in. Unterbrechung zwischen Klangbild und Bewegungsbild macht isolirte Para- 
phasie und Paragraphic. Das Nachschreiben ist ermOglicht indirect auf dem Wege 
durch das Begriffsbild. 

IY. Unterbrechung zwischen Peripherie und Klangbild hat Yerlust der Sprache 
zur Folge. Erhalten ist: das Nachschreiben, das Lesen, das Lautlesen. 

V. Unterbrechung zwischen Bewegungsbild und Peripherie macht der F&higkeit 
yerlustig, zu sprechen, nachzusprechen, laut zu lesen; dagegen kann der Kranke vom 
Begriff aus die Schrift in Bewegung setzen, sich schriftlich verstandigen. 

VI. Unterbrechung zwischen Klangbild und Begriffsbild hat isolirte Worttaubheit 
zur Folge; daneben Paraphasie und Paragraphs; ein solcher Kranker kann correct 
nachsprechen und hat Verstandniss f&r das, was er liest und spricht. 

YTI. Bei Unterbrechung in der Gegend des Begriffsbilds besteht Worttaubheit, 
wahrend die Sprache erhalten und frei yon paraphasischen Stdrungen ist; ebenso ist 
die Fahigkeit zu schreiben und zu lesen erhalten, und kann der Kranke sich durch 
die Schrift verstandigen. 

Die Form I ist die sog. Broca’sche (motorische, atactische) Aphasie, II die sog. 
sensorische; auch die Form Y ist nicht selten, ebenso existirt die Form IV; fdr die 
Formen VI und VII berichtet der Vortragende fiber je eine eigene Beobachtung, so- 
dass das Yorkommen einer isolirten Worttaubheit sicher gestellt ist. 

Alle diese Formen zerfallen in 2 grosse Gruppen: centripetale (sensorische) und 
centrifugale (motorische) Aphasie, die man wieder in je 2 Unterklassen: Yoll-Aphasie 
und Theil- (oder Leitungs-) Aphasie trennen kann. 

Was die Localisation anbetrifft, so wissen wir nur, dass der Sitz des Bewegungs¬ 
bildes die Broca’sche Windung ist; der des Klangbildes wird im G. temporalis I 
gesucht; die Bahn zwischen Klang- und Bewegungsbild verlegt Wernicke in die Insel. 
Der Sitz des Begriffsbilds umfasst wohl das Gebiet sammtlicber acustischer und op- 
tischer Sinnescentren. Isolirte Schriftblindheit mit der Localisation im L. parietalis 
(G. angularis) ist noch nicht verburgt. 

L. betont schliesslich, dass man von Aphasie nur bei verbalen SprachstCrungen 
reden sollte; nur solche verbalen StGrungen haben ihren Sitz in der Binde; wir lemen 
viel frQher die Worte, ehe wir ihre Zusammensetzung aus Sylben und Buchstaben 
kennen. 

In der Discussion, an der sich Prof. Kussmaul, Jolly und der Vortragende 
betheiligen, drffckt Ersterer besonders seine Befriedigung aus, dass durch die Be¬ 
obachtung des Vortr.* ein Fall von reiner Worttaubheit nachgewiesen ist. 

2. Geh. Hofrath Schhle, Illenau: Ein Fall von nervoser Dyspepsie. 

Der Fall betraf eine 28j&hrige, erblich fftr Neurosen leicht belastete Pat., die 
an Melancholie mit hypochondrischen Wahnideen litt, und welche die Erscheinungen 
intensivsten und bedrohlichen Lufthungers mit Orthopnoe und tiefster Inspirations- 
stellung des Thorax zeigte. Dieser Lufthunger verhinderte die Kranke zu schlucken 
und bei vergeblichen Versuchen deutete sie auf den Kehlkopf. Sie magerte ab, der 
Puls wurde klein, flattemd, nicht arhythmisch. Die Einftlhrung der Sonde half 
momentan: unmittelbar darnach athmete die Kranke leichter. Es wurde nun — in 


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Verbindung mit einer psycbiscben Therapie, die darauf bedacht war, der Kranken jede 
Willensintention abzunehmen — wocbenlang taglich mehrere Male die Sonde ein- 
gefdhrt bis zur Genesung. 

In der Discussion fcussert Fdrstner Bedenken, den mitgetheilten Fall als 
nervGse Dyspepsia zu deufcen; er m5chte ihn vielmehr den Fallen von hysteriscber 
Verrhcktheit anreihen, wo dnrcli Wahnvorstellungen und Parasthesien eine Schen vor 
Nahrung besteht; eine Dyspepsie sei nicht nachgewiesen. 

Schfile erwidert, dass Par&sthesien bei der Eranken zwar vorher, aber nicht 
zur Zeit des Lufthungers bestanden batten, und betont, dass die Kranke zu essen 
versucht, die Nahrung aber wegen Lufthungers nicht hinuntergebracht hatte. 

Eussmaul bespricht die Schwierigkeiten der Diagnose: „nerv6se Dyspepsia" und 
geht auf einen Befund bei nervdser Dyspepsie ein, der im v. Recklinghausen'schen 
Institut erhoben wurde und in bedeutenden nutritiven StOrungen — atrophische, 
kornige, fettige Degeneration im Darmgeflecht besteht. 

3. Prof. Jolly, Strassburg: TTeber Pseudobulb&rparalyse. 

J. schildert Falle, die klinisch genau der Bulbarparalyse glichen, ohne den 
anatomischen Befund derselben zu geben, und zwar: 

1) Falle von chronischem Yerlauf. Hier fanden sich statt der erwarteten 
multiplen Herde einmal eine Atrophie des ganzen Grosshims, das andere Mai Herde 
in den Basalganglien des Gehims beiderseits. Es batten alle Symptoms der Bulbar* 
kernparalyse, besonders Sprachstdrungen bis zum vollstandigen Yerschwinden der 
Consonanten bestanden; nur die Atrophie der Zunge und Lippen hatte gefehlt, und 
war die elektrische Reaction dieser Theile normal geblieben. 

2) Falle von acutem Yerlauf. In dem beschriebenen Fall handelte es sich 
um acute Erkrankung mit Schwache der unteren und oberen Extremitaten, Dysarthrie 
der Sprache, Schluckbeschwerden und Wackelkopf; Druck auf die Austrittsstellen des 
Trigeminus war sehr schmerzhaft. Nach 10 Tagen, ohne anfallsartige Erscheinungen, 
Uebergang in einen comatosen Zustand, der zum Tode fQhrte. Auch hier bestand 
keine Yeranderung in der Oblongata; es fand sich in der Mitte des Balkens ein 
blutiger Erweichungsherd; ferner erstreckten sich mehrere streifige Herde im Centrum 
semiovale in die Grosshimganglien hinein; in den Himschenkeln sehr starke vendse 
GefEssfOllung; ebenso in der Gegend des einen Facialiskems; hier auch kleine Blut- 
austritte, die aber der allerletzten Zeit angehflrt haben mfissen, denn es fand sich 
keine Spur von Blutpigment. Jedenfalls war in der Gegend des Hypoglossus, Acces¬ 
sorius, Vagus, Glossopharyngeus nicht die geringste Yeranderung nachzuweisen. 

4. Prof. Steiner, Heidelberg: Ueber ein Centrum fur den Rttokwftrtsgang 

beim Froseh. 

Nachdem St. bemerkt, dass es gelinge, einen vollstandig intacten Froseh zum 
Riickwartsgehen zu bringen, wenn man ihn auf einer Platte langsam in vertical® 
Richtung gebracht hat, demonstrirt er einen operirten Froseh, bei dem Drnck auf 
eine bestimmte Stelle des Hinterschenkels Rtlckwartsgang zur Folge hat. Im Ver- 
laufe zahlreicher Versuche ist er dazu gekommen, das hier wirkende Centrum im 
hinteren Abschnitt des Lob. opticus aufzufinden. Nur bei sehr starkem Druck auf 
den Vorderschenkel tritt bei FrOschen, denen das Vorderhim bis auf das hintere 
Dnttel des Lob. opticus weggenommen ist, auch Yorwartsbewegung ein. St. betont, 
dass es sich hier in der That um Rhckwartsbewegung im Gegensatz zur Yorwarts¬ 
bewegung handele, und nicht um eine Zwangsbewegung. In Ermangelung gemein- 
samer Merkmale fdr die Zwangsbewegungen mochte er diese Bezeichnung nur fCLt 
diejenigen Bewegungen reserviren, die entstehen durch einseitige oder asymmetrische 
Verletzungen des Gehims. Nach St. gehen sammtliche Bewegungen fhr die Statik 
und Dynamik beim Froseh vom Lob. opticus aus; das Centrum fdr die Bewegungen 


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des Kopfes und aller 4 Extremit&ten seien sicher dort nachweisbar, das fQr die 
Eumpfmusculatur mit grosser Wahrscheinlichkeit daselbst vorhanden. 

Discussion. Hitzig fasst die Zwangsbewegungen als willkfirliche Intentionen 
auf, die zu einem nicht gewollten Besultate ffihren, weil einige Theile des Mechanis- 
mus falsch functioniren. 

5. Prof. Hitzig, Halle: 

1) H. zeigt ein mit Carbolglycerin prfiparirtes trocken conservirtes Hunde- 
gehim vor, dasselbe, welches er in der vorjahrigen Sitzung demonstrirt hatte. Es 
hatte Gr6sse, Form und Farbe vallig bewahrt. 

2) Ueber subnormale Temperaturen der Paralytiker. 

H. berichtet fiber eine Eeihe von Fallen, in denen subnormale Temperaturen 
bis zu 25° bei Paralytikem, theils in Yerbindung mit paralytischen Anfallen, theils 
unabhangig davon zur Beobachtung kamen. Der Gang der Temperaturen wurde 
durch Curven illustrirt. H. ordnet die Falle nach 3 Gruppen: 

I. Grosse Schwankungen mit subnormalen Temperaturen ohne Anfall. 

2. Mehr Oder weniger bedeutender Temperaturabfall, darauf Anfall ohne nach- 
folgende Temperatursteigerung. 

3. Temperaturabfall, dann Anfall, danach Steigerung, welche entweder erhalten 
bleibt oder wieder von Abfall gefolgt ist, der bis zum Tode anhalten kann. 

Ob die begleitende Herzschwfiche, welche durch niedrige Pulswellen und herab- 
gesetzte Pulsfrequenz (40—50 in der Minute) sich offenbart, in alien Fallen Ursache 
und nicht vielmehr Wirkung der niedrigen Temperaturen sei, will H. nicht entscheiden. 
H. bespricht sodann die beiden Theorien fiber das Zustandekommen der niedrigen 
Temperaturen: vermehrte Wfirmeabgabe einerseits, verminderte Wfirmeproduction durch 
Lahmung des „excitocalorischen Centrums" andererseits. 

6* Prof. Ffirstner, Heidelberg: Ueber Gfrliose der Hlmrinde. 

F. hat 2 Fftlle beobachtet (und demonstrirt die betreffenden Praparate) von 
gliftser Verfinderung der Hirnrinde, besonders der sehr verbreiterten I. Schicht, beide 
Male in Insel und Klappdeckel. Dieselbe hatte zur Bildung von Tubera und Granula 
geffihrt, welche die Hirnoberfl&che fiberragten, und in denen es zur HOhlenbildung 
gekommen war. Er konnte verschiedene Stadien dieser glifisen Verfinderung fest- 
stellen. Im I. Stadium fand sich — auch im Verlaufe der Geffisse — abnorm viel 
Glia; daneben massenhafte Corpp. amylacea. Im n. Stadium verschwinden letztere, 
und es tritt ein Netzwerk zu Tage, das immer enger wird; daneben treten eigen- 
thfimliche Gebilde auf: Kerne, urn die ein eigenthfimlicher Protoplasmahaufen mit 
Ausl&ufem liegt; colossale Spinnenzellen, lange spindel- und bimfBrmige Elemente. 
Das Netzwerk wird dicker und es bilden sich Hfihlen mit einer fibrOsen Hfille, fihn- 
lich wie bei der Syringomyelie; durch die HShlen ziehen Geffisse. Die starke Be- 
theiligung der Einde, das Nichtbetheiligtsein der Geffisse, die Erweichung mit Hfihlen- 
bildung unterscheiden diese Affection von der gew5hnlichen Sklerose. 

7. Dr. Tuczek, Marburg, demonstrirt Originalprfiparate von Prof. Weigert 
in Leipzig (mit dessen Ermftchtignng), die nach W.’s neuester, noch nicht verOffent- 
lichter Methods hergestellt sind und zwar: 1) Schnitte durch normale Grosshimrinde, 
welche die markhaltigen Nervenfasem in alien Schichten derselben mit grosser Yoll- 
st&ndigkeit zeigen; 2) Schnitte durch Grosshimrinde eines Paralytikers und zwar: 
a) vom Hinterhauptslappen, in dem die Fasem in alien Schichten sehr reichlich vor¬ 
handen sind; b) vom Stimhim, wo die Fasem in alien Schichten der Einde fast 
vollkommen fehlen. Erst in der Schicht der grossen GanglienkSrper treten ver- 
einzelte Nervenfasem auf, und auch die Sammelbfindel sind deutlich verechmfilert. 

. T. betont — den von Mendel in der neurologischen Section der voijfihrigen 
Naturforecherversammlung gemachten Angaben gegenfiber — die Untauglichkeit der 


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S&urefuchsin - Kalialcohol - Methode zum Nachweis des von ihm gefundenen Faser- 
schwundes in bestimmten Abschnitten der Grosshirnrinde bei der Dementia paralytica, 
welcher Befund durch Weigert nunmebr eine vollstandige Bestatigung gefunden babe. 

Im Anschluss hieran theilt Krapelin, Mftnchen, mit, dass auch er nacb eigenen 
Untersucbungen die von Tuczek und nunmebr aucb von Weigert erhobenen Be- 
funde bei Paralytikem bestatigen konne. 

II. Sitzung am 15. Juni, Morgens 9 Ubr. Vorsitzender: Prof. Hitzig. 

8. Bef. Manz, Freiburg: Ueber angeborene Anomalien des Auges in Be- 

ziehung auf psychisohe Abnormit&ten. 

M. berdbrt fldchtig die verschiedenen angeborenen Anomalien des Auges und 
seiner Umgebung als: Stellung der Augenlider, Weite der Lidspalte, Alterationen der 
Orbita in Verbindung mit Schadeldeformitaten, Lage des Auges: Exophthalmus und 
Enopbtbalmus, Vergrflsserung und Verkleinerung des Bulbus, Strabismus, Veranderung 
der Krdmmung und der GrOsse der Cornea, Missstaltungen der Iris, Yeranderungen 
ihrer Farbe, Pigmentanomalien der Cborioidea — um dann auf die wichtigeren Yer¬ 
anderungen der Retina und des Opticus einzugehen. Er erwahnt bier das Yorkommen 
markhaltiger Nervenfasern in der Netzhaut, abnorme Excavation und andere Varietaten 
in der Form und Umgrenzung der Papille, Unregelmassigkeiten im Verlauf und in 
der Weite der Gefasse, die Residuen fotaler Iridochorioiditis, Retinitis und Neuritis. 
Um die Beziebungen dieser Affectionen zu den Geisteskrankbeiten kennen zu lernen, 
milsse man unterscbeiden das Yorkommen derselben bei den angeborenen Geistes¬ 
krankbeiten (Idiotie, Rhachitis, Cretinismus) und ihr Vorkommen bei Individuen, die 
zu Geisteskrankheiten pradisponirt sind. Es mQsste dann, um einen Zusammenbang 
zwischen Geisteskrankheit und Missbildung am Auge zu statuiren — entweder durch 
die Statistik nacbgewiesen werden, dass das Vorkommen beider Anomalien ein auf- 
fallend baufiges ist — und bier gehen die verschiedenen Angaben nocb ausserordent- 
licb weit auseinander; oder es mfissten die anatomisch-physiologischen Beziebungen 
zwischen Gebirnkrankbeit und Anomalie des Auges aufgefunden werden. Dies sei 
ftlr einige Falle mOglicb: beim Albinismus bestfinde stets eine gewisse Kranklichkeit; 
der Einfluss der Syphilis und anderer Kachexien wirke sowohl auf das Gehim, als 
auf das Auge; die Anlage des Gefasssystems berube fflr das Gebim und das Auge 
auf gemeinscbaftlicber Grundlage, ebenso die Anlage des Centralorgans selbsi 

Das Vorkommen solcber Anomalien in der Bildung des Auges und seiner Um¬ 
gebung ist — so resumirt der Vortragende — an und fCLr sicb kein fdr Geistes- 
brankbeiten patbognostiscbes Symptom; im Verein mit anderen Symptomen kann es 
einen gewissen Worth gewinnen. 

9. Privatdocent Dr. Rumpf, Bonn: 1) Demonstration eines Apparates zur 

Fruiting des Tastsinns. 

Der Apparat bestebt aus einer kreisrunden Platte, auf deren Rande Metallstabe 
steben, von denen einer glatt ist, die andern von Drabt in verschiedenen Abstufungen 
von Feinbeit umsponnen sind. Wird der Apparat auf 28—34° erw&rmt, so dass 
die Warmeabgabe an das Metall wegfallt, so ist er sebr geeignet zur PrAfung des 
Tastsinns (Glatt- und Rauhsein der Gegenstande). Man kann mittelst desselben die 
normalen Erhebungen der Feinbeit des Tastsinns bei 10 0 und 40 0 zeigen, ferner 
den physiologischen Transfert und die Beziebungen der Tastempfindung zu verscbie- 
denen Reizen. Man findet bei Anwendung des galvaniscben Stromes an der Anode 
die Sensibilitat betrachtlicb herabgesetzt, an der Kathode verstarkt; dagegen um die 
Anode einen Hof von erbCbter, um die Kathode einen Hof von verminderter Sensi¬ 
bilitat (im Wasserbad gemessen). Dasselbe ist auf der andern Seite nachwei$bar, 
wo der physiologiscbe Transfert mit Sicherbeit auftritt. 


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2) Demonstration von Gehira-Bfickenmarkssyphilis. 

Die Praparate entstammen einem Kranken, der ein Jahr nach constatirter Lues 
yon rechtsseitiger Hemiplegie und yon spastischer L&hmung des linken Beines be¬ 
fallen worden war. Es fand sich Erweicbung des linken Linsenkernes, Verschmalerung 
der linken inneren Kapsel, secundare Degeneration der linken Pyramide und recbten 
Pyramidenseitenstrangbahn bis in’s Lendenmark; ferner Degeneration im linken Seiten- 
strang mit machtiger Entwickelung von Gefassen einerseits bis fiber die Pyramiden- 
kreuzung hinaus, andererseits bis in’s Lendenmark; endlicb Degeneration im Hinter- 
strang mit aufsteigender Degeneration der Goll’scben Strange. Die Yeranderungen 
in den massenbaft entwickelten Gefassen bestanden in Verdickung der Wand, Ver- 
mehrung der Kerne, partieller Yenenthrombose. 

B. betont, dass diese Gefassveranderungen ftir Syphilis an und fQr sich nichts 
Charakteristisches haben, sondern sich von denen nicht unterscheiden, wie sie auoh 
sonst an Arteriitis und Periarteriitis sich anschliessen. Der Nachweis der specifischen 
Natur der erkrankten Partien sei nur durch Aufflndung von Mikroben zu erbringen, 
nach denen bisher bei der Syphilis — in diesem Fall auch von ihm — vergeblich 
gesucht worden sei. — 

lO. Privatdocent Dr. Mdbius, Leipzig: Ueber periodiseh wiederkehrende 

Ooulomotoriufll&hmung. 

Ein 7jahr. M&dchen aus der Beobachtung des Vortr., bei dem im 11. Lebens- 
monat zuerst 3 Tage lang eine Schiefstellung des rechten Auges beobachtet worden 
war, wurde im 4. Jahre von totaler rechtsseitiger Oculomotoriusl&hmung betroffen, 
die sich seitdem anfallweise jedes Jahr im August, das letzte Mai im Marz wieder- 
holte. Der einzelne Anfall, der mit Erbrechen und heftigem Schmerz im Auge ver- 
bunden war, dauerte etwa 14 Tage lang, wahrend die Ptosis und Iridoplegie noch 
nach 6—8 Wochen zu beobachten war. Hasner hat einen ahnlichen Fall be- 
schrieben. Sprechen schon die Yollstandigkeit und Flhchtigkeit der Lahmung, die 
Hemiplegie, far eine centrale Ursache, so weisen direct auf eine solche hin die zeit- 
liche Entwickelung der Lahmung, welche die brtliche Gruppirung der Kemregionen 
wiederspiegelt; ferner die isolirten Blicklahmungen und das Einsetzen der Lahmung 
mit Schmerz und Erbrechen. Man mfisse einen dauemden Prozess in der Nahe des 
Oculomotoriuskems annehmen, der sich in Schfiben entwickele; der Schmerz und das 
Erbrechen waren reflectorisch von der dem Kern benachbarten absteigenden Trigeminus- 
wurzel aus zu erklaren. 

11. Dr. Tuczek, Marburg: Mittheilung von Stoffweohseluntersuohungen bei 
abstinirenden Geisteskranken. 

T. berichtet fiber 2 Falle von langer dauernder Nahruugsverweigerung (bei 
Yerriicktheit), in denen es ihm mSglich war, fortlaufende Beihen von StoflPwechsel- 
untersuchungen anzustellen und mehrere Wochen fiber die Carenzzeit hinaus bis zur 
Erreichung des normalen Stickstoffgleichgewichts auszudehnen. Es wurde die t&gliche 
Hammenge, das specifische Gewicht, die Reaction, die tagliche Ausscheidung von 
Harnstoff, Schwefelsaure, Phosphorsaure und Chlor bestimrat, daneben tftgliche Unter- 
suchungen iiber Eiweiss-, Zucker-, Indican- und Acetongehalt des Hams ausgeffihrt. 
In dem 1. Fall handelte es sich urn eine 23tagige vollkommene Carenz (nur alle 
paar Tage wurde ein Glas Wasser [175 ccm] Wasser genommen); in dem 2. um eine 
theilweise vollkommene, theilweise unvollkommene Carenz von 28 Tagen. In beiden 
Fallen wurde durch genaueste Bestimmung des Wasser- und Eiweissgehalts der 
Nahrung vor und nach, resp. (im 2. Fall) wahrend der Carenzzeit die Bilanz des 
KOrpers mit Bezug auf Wasser und Eiweiss festgestellt. Die Hauptergebnisse der 
Untersuchung, deren Details aus den vorgelegten Curven und Tabellen zu entnehmen 
waren, sind folgende: 


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1) Im Anfang der Carrenzzeit steigt mit smkender Hammenge das specifiscbe 
Gewicht, um dann in dem Maasse, als die festen Bestandtbeile des Hams abnebmen, 
zu sinken; bei volliger Carrenz ohne Wasseraufnabme betragt die tagliche Ham¬ 
menge durchschnittlich 159—200 ccm. In den ersten Tagen nach beendigter Carenz- 
zeit wird, auch bei reichlicher Aufnahme von Flussigkeit in der Nabrung, eine ver- 
kaltnissmassig geringe Menge sehr concentrirten Hams (1030 sp. (lew. und daruber) 
ausgeschieden: der KOrper deckt seinen Wasserverlust. 

2) Bei diesen abstinirenden, in Bettlage befindlicben Geisteskranken betrug die 
Ausscbeidnng von Hamstoff in der letzten Carrenzwocbe im Mittel 9 Gramm tagiich, 
entsprecbend einem Veriest des E5rpers von 125 Gramm Muskelfleisch. In der, der 
Carenz folgenden, Periode reichlicber Nabrungsaufnabme steigt die Hamstoff-Aus- 
scheidung nur allmahlich bis zur Norm. Die Phosphorsaure- und Scbwefelsaure- 
Ausscbeidung gebt in der Carenzzeit vollkommen parallel der Harnstoff-Ausscbeidung, 
demnacb der Zersetzung von Organeiweiss; die taglicbe Menge betragt in der letzten 
Carenzwoche 0,22 Scbwefelsaure, 0,7 Phosphorsaure; auch spater, wenn wieder 
Nahrung aufgenommen wird, folgen die Phospborsaure- und Schwefelsaure-Kurven 
genau der Hamstoff-Eurve. Die Ausscbeidnng des Cblors r&ckt wahrend der Ab- 
stinenz nabe an die Nulllinie, betragt etwa 0,2 Gramm im Tag; vom Beginn der 
Nabrungsaufnahme an geht die Cblorkurve rapide und unabhangig von den anderen 
Eurven in die H5he, um rascb die Norm zu erreichen: die grflsste Menge des auf- 
genommenen Cblors ist nur Genussmittel und passirt rascb den EOrper. 

3) Die Abnabme des EOrpergewicbts bei diesen nabrungsverweigemden Geistes¬ 
kranken ist weit mebr auf Wasserverlust, denn auf Eiweissverlust zu setzen: bei 
reicblicber Wasseraufnabme und bedeutendem Wasserverlust kann das Eorpergewicbt 
steigen; bei mangelbafter Wasseraufnabme und bedeutendem Eiweissansatz kann es 
fallen. 

4) Eiweiss und Zucker wurde nie im Ham der Abstinirenden gefunden; Indican 
nur, sobald Eiweiss in der Nabrung, wenn aucb in geringer Menge aufgenommen 
wurde. Aceton wurde stete, etwa vom 5. Tage der Abstinenz an, wahrend der 
ganzen Dauer der Carenz, im Ham nacbgewiesen; es verscbwand daraus am 
2.—3. Tage nacb Beendigung der Carenzperiode. Der Nacbweis des Acetons ge- 
schab durcb die Legal’scbe (Nitroprussidnatrium-) und die Penzoldt’sche (Ortho- 
Nitro-Benzaldehyd-)Reaction. 

In der Discussion ricbtet Hitzig an den Vortr. die von diesem vemeinte Frage, 
ob er im Verlauf der Abstinenz nie Pneumonien, die auf die Enthaltung von Nahrung 
zu beziehen gewesen seien, beobachtet babe. Infolge einer Interpellation seitens des 
Prof. Fdrstner verwahrt sicb der Vortr. dagegen, die Sondenfdtterung prmdpiell 
zu verwerfen; docb sei er der Ansicht, dass in den meisten Fallen die Nachtheile 
derselben ibre Vortheile dberwiegen. 

12. Privatdocent Dr. Mommsen: Experimentelles ilber Sehnenrefleze. 

M. bespricbt die zablreicben Umstande, die fur die Refiexnatur der Sebnen- 
pbanomene sprechen: Die Experimente von Ftlrbringer und Tscbirjew, die Wir- 
kung der Durcbscbneidung des Nerven und der hinteren Wurzeln, des Curare, des 
Chloroform, wodurcb die Sebnenpbanomene aufgeboben werden, wabrend sie beiEnt- 
hauptung besteben bleiben und durcb Strychnin wieder herstellbar sind. Die Unab- 
bangigkeit derselben von der Muskelspannung lasst sicb beweisen, wenn man die 
Sebne vom Enochen trennt; Elopfen der Sebne I5st aucb dann nocb (bei Froschen 
und Eanincben) die Muskelcontraction aus. Den Einwand Cohnstein’s, es bandele 
sicb um Apparate in der Haut, bat M. dadurcb widerlegt, dass er bei Frdscben, 
denen er die Haut der unteren Korperhalfte abgezogen, durcb Beklopfen der Sehne 
nocb ebcnso wie vorber Muskelzuckung hervorbringen konnte. Er bat dann die 
Brontegaste’schen Versucbe nacbgemacbt und bestatigt, die beweisen, dass der 


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sog. Muskeltonus ein Reflextonus ist. Fasst man so den Muskeltonus auf, ala Wir- 
kung bestandiger die Muskelnerven treffender (und wohl in den Spannungsverhalt- 
nissen liegender) Reize, so sollte man nicht von normalem Muskeltonus, sondern nur 
von Erhaltensein der Reflexbahn ffir den Muskeltonus sprechen. — Es ergeben sich 
dann fur die Beziehungen desselben zu den Sehnenreflexen 3 MOglichkeiten: 1) bei 
gesteigertem Tonus sind die Sehnenreflexe gesteigert; ist der Muskeltonus ad maxi¬ 
mum gesteigert, wie beim Strychnin-Tetanus, so sind dieselben nicht sichtbar zu machen. 

2) Die Reflexbahn fur den Muskeltonus ist erhalten; dann ist entweder der 
Muskeltonus vorhanden und der Sehnenreflex normal Oder selbst (bei sonst Gesunden) 
gesteigert — oder der Muskeltonus fehlt und hierher gehort das seltene Fehlen der 
Sehnenreflexe bei Gesunden. 

3) Durch Unterbrechung des Reflexbogens fehlt der Sehnenreflex. 

13. Prof. Schultze, Heidelberg: Kleinere Mittheilungen. 

1) Ueber traumatisohe Myelitis. 

Die traumatische Natur des von S. beschriebenen Befundes war durch den 
Nachweis von Blutfarbstoff in dem rOthlichen orweichten Herd sicher gestellt. Die 
Meningen waron wenig betheiligt; Nervenmark und Axencylinder, sowie die Getasse 
waren sehr verandert; es fanden sich Exsudate und Fibrinmassen; die Nervenfasern 
waren durch grosse Mengen von Zellen, rothe und weisse BlutkSrper auseiuander- 
gedrangt. Eine Communication mit der Luft bestand nicht; auch kein Abscess; in- 
dessen ware immerhin der Name „eitrige Myelitis'* zulassig. 

* 2) Deformit&tes der Medulla spinalis (mit Demonstrationen). 

a) Medulla bifida in Zusammenhang mit Spina bifida, eigenthumlich dadurch, 
dass der Spalt an der hinteren Grenzo durch neugebildete Substanz von noch zweifel- 
hafter Zusaramensetzung tiberbrCtckt war. 

b) Abnorme Lagerungsverbaltnisso der weissen und grauen Substanz. Die Ober- 
flache des Ruckenmarks war dadurch von eigeuthiimlich hockeriger Beschaffenheit; 
die Querschnittsfigur vollig irregular, graue und weisse Substanz durcheinander- 
gewiirfelt. Dieser Befund wurde zufallig bei einem ganz gesunden, durch Eisenbahn- 
ungluck umgekommenen Individuum erhoben. 

Tuczek. 


HI. Bibliographie. 

Die krankhaften Ver&nderungen der Haut und ihrer Anhangsgebilde mit 
ihren Beziehungen zu den Krankheiten des Gesammtorganismus, 
dargestellt von X. H. v. Hebra, Docent an der Universitat Wien. Braun¬ 
schweig 1884. Fr. Wreden. (546 Seiten). 

Wenn in diesen Blattern ein neues Lehrbuch der Hautkrankheiten zur Anzeige 
gelangt, so kann dies selbstverstandlich nur mit Rticksicht auf den neurologisch inter- 
essanten und wichtigen Inhalt des Buches, resp. einzelner hierhergehbriger Abschnitte 
desselben geschehen. Jedem unbefangenen Beobachter drangt sich nun unwillkflrlich 
die Ueberzeugung auf, dass seit einer eben nicht grossen Reihe von Jahren das 
neurologische Element — um diesen allgemeinen Ausdruck zunachst festzuhalten — 
in den betreffenden Hand- und Lehrbflchem einen immer breiteren Raum einzunehmen 
anfangt. Man kCnnte sich fast versucht fiihlen zu glauben (und je nach dem Stand- 
punkte, entweder zu hoffen oder zu furchten), dass demnachst die ganze Dermatologie 
„mit Haut und Haar“ zu Neuropathologie werden, in Neuropathologie aufgehen 
mbchte. Quae mutatio rerum! wenn man sich der noch vor einem Decennium etwa 
allgewaltig herrschenden Anschauungen der alt-Hebra’schen Schule oder vielmehr 


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ihrer volligen Anschauungslosigkeit in dieser Hinsiclit erinnert. Denn fur diese Schule, 
deren anderweitige Verdienste ja ubrigens klar am Tage liegen und keiner Aner- 
kennung bedurfen, war in der That das „Hautorgan“ Anfang und Ende und ausscbliess- 
licher Inhalt ihrer Specialwissenschaft, und sie verschmahte es fast grundsatzlich oder 
verstand es nicht, dasselbe mit dem Gesammtorganismus und seinen wichtigeren Einzel- 
systemon, vor AUem also mit dem Nervensystem, in die so unerlassliche physiologisch- 
pathologische Beziehung zu setzen. Die Nachtheile dieser Einseitigkeit waren gross 
und folgenschwer nach verschiedenen Seiten hin; einmal far die Dermatopathologie 
selbst, die so zu einer selbstgendgsamen Isolirung verurtheilt, in ihrer wissenschaft- 
lichen Entwickelung gehemmt und zurhckgehalten werden musste — sodann auch fur 
die Nachbardisciplinen, welche fruchtbarer Anregungen und Erganzungen von dieser 
Seite beraubt und vielfach gezwungen wurden, ihrerseits die Initiative zu ergreifen, 
wo sie mit weit grosserem Recht eine solche von dermatologischer Seite erwarten und 
beanspruchen konnten. Ich darf mich hier auf eigene Erfahrung berufen; denn als 
ich in Geraeinschaft mit Landois vor nunmehr 17 Jahren zum ersten Male den 
Yersuch unternahm, eine zusammenliangende Darstellung der „vasomotorischen Neu¬ 
rosen der Haut (cutane Angioneurosen)“ zu geben 1 , fand ich zu diesem Behufe in der 
damaligen dermatologischen Literatur auch nicht das mindeste vorbereitende und vor- 
bereitete Material vor. Baerensprung’s bahnbrechendo Arbeit aber Herpes Zoster 

— in der abrigens nur auf fcrophische Nerven Racksicht genommen wurde — hatte 
gerade unter den Fachgenossen des Autors auffallend geringe Beachtung gefunden! 

— Damit verglichen ist also der Umschwung ein enormer, vielleicht hier und da 
selbst ein zu rascher und zu starmischer. Es scheint, als wolle man in zu kurzer Zeit 
das Versaumniss vieler Jahre nachholen und das angestrebte Ziel, ohne doch. uber 
dieses selbst und die Wege dahin voile Klarheit zu haben, mit Riesenschritten er- 
reichen. Doch dies sind Interna der Dermatologie, in die wir uns, um nicht mangeln- 
der Competenz beschuldigt zu werden, nicht weiter einmischen. Fur uns als Neuro- 
logen mag es geniigen, dass der Bann gebrochen, dass eine far beide Theile werjh voile 
und erspriessliche Communication endlich hergestellt ist. Soil man dies Verdienst an 
den Namen eines bestimmten Autors knupfen, so ist von dermatologischer Seite wohl 
Auspitz zu nennen als derjenige, welcher durch sein geistreich erdachtes, mehr und 
mehr zur Anerkennung gelangendes nathrliches System 2 diese erfreuliche Wendung 
angebahnt und machtig gefOrdert hat. Im Anschlusse daran sei auch auf Schwim- 
mer’s (im Jahrgang J882, Nr. 19 d. Centralbl. besprochenes) Werk uber die neuro- 
pathischen Dermatosen verwiesen. 

He bra, der Sohn, hat in dem vorliegenden Lehrbuch das Auspitz’sche System 
zu Grunde gelegt. Die Hautkrankheiten zerfallen demnach in neun „ Classen": 1) ein- 
fach entzandlicheDermatosen, 2) angioneurotische Dermatosen, 3) neuritische 
Dermatosen (Trophoneurosen der Haut), 4) Stauungsdermatosen, 5) hamor- 
rhagische Dermatosen, 6) Idioneurosen der Haut, 7) Wachsthumsanomalien der 
Haut und ihrer Anbangsgebilde (Epidermidosen), 8) Wachsthumsanomalien der Leder- 
haut und des subcutanen Bindegewebes (Corioblastosen), 9) Pilzkrankheiten der Haut 
und ihrer Anhange (Dermatomykosen). 

Fhr uns wftrden demnach die Classen drei, vier und sechs ganz besondere Be- 
deutung besitzen, obgleich ja eine vollkommene scharfe Abgrenzung und Differenzirung 
hier selbstverstandlich unmoglich und auch a us anderen Classen Manches hervorzu- 
ziehen ist; so beispielsweise die Anomalien der Schweisssecretion, welche als „Idrosen" 


1 In: „Die vasomotorischen Neurosen (Angioneurosen)** von A. Eulenburg und 
L. Landois. Wiener medicinische Wochenschrift 1867 und 1868. — Vgl. auch A. Eulen¬ 
burg uber cutane Angionneurosen, Berl. klin. Wochenschrift 1867 Nr. 17ff. 

* Auspitz, System der Hautkrankheiten, Wien 1881. — Vgl. auch den Artikel 
„Hautkrankheiten im Allgemeinen** von Auspitz in Real-Encyclopadie der ges. Heil- 
kunde, Bd. VI, p. 360—375. 


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eine besondere — ffinfte Beihe der siebenten Classe ausmachen, sowie auch manche 
in der sechsten Beihe derselben Classe yorkommende Pigmentanomalien der Haut 
(„Chromatosen"). 

Gegen die Anfstellung jener Classen liesse sich Manches einwenden, nament- 
Kch gegen die Classe seeks: „Idioneurosen der Haut" — worunter namlich zum 
Unterschiede von den „angioneurotischen" und von den „neuritischen" Dermatosen 
diejenigen „Krankheiten" der Hant verstanden sein sollen, bei denen „primar keine 
trophischen Stdrungen vorhanden sind", und welche daher im Wesent- 
lichen erst dann erkannt warden kOnnen, „wenn gewisse Beflexbewegungen der Haut 
Insnlte zuffigen, aus deren Gegenwart wir auch auf die Gegenwart der Nerven- 
alteration schliessen k6nnen“. Als hierhergehorig beschreibt H. Sensibilitatsneu- 
rosen (1. Neurosen des Tastsinns; 2. Neurosen des cutanen Gemeinffihls: Neuralgien 
der Haut, Pruritus cutaneus, Prurigo) und Motilitfitsneurosen; letztere Gruppe 
ist aber nur durch den Dermatospasmus (Cutis anserina) vertreten. Es ist H. selbst 
gewiss nicht entgangen, wieviel gegen eine derartige Classification zu erinnern ware 
und wie bedenklich es insbesondere erscheint, neuropathische Einzelsymptome, wie 
Hyperasthesie, Anasthesie und Parasthesie, Cutis anserina u. s. w. in einem speciellen 
Theile der Hautkrankheiten unterzubringen, Ganz davon abgesehen mfissen 
wir aber auch dagegen protestiren, dass man, wie H. es gethan, Hyper¬ 
asthesie, Anasthesie und Parasthesie als „Neurosen des Tastsinns" im 
Gegensatze zu den „Neurosen des cutanen Gemeingeffthls (Dermatal- 
gien“) bezeichne. Fflr die seltenen Falle, in denen reine Tastsinnsstfirungen 
nachgewiesen werden kftnnen, sind von mir die Bezeichnungen „Hyperpselaphesie, 
Hypo- und Apselaphesie" in Vorschlag gebracht worden. H.’s Bezeichnungen und die 
davon (pag. 317) gegebenen Definitionen konnen aber nur zu Irrungen ffihren; sie 
sind auch mit innerem Widerspruch behaftet, denn wenn ffir die Hyperasthesie z. B. 
„unangehme Empfindung eine unerlassliche Bedingung <f ist, so ist damit nicht 
eine „Tastsmnsneurose“, sondern eine Anomalie des cutanen Gemeingefiihls (allem oder 
gleichzeitig) gegeben. 

Die Classe zwei („angioneurotische Dermatosen") zerfallt indrei„Familien": 

1) InfectiOse Angioneurosen der Haut" (Eruptionsfieber, acute Exanthome); 

2) toxische Angioneurosen; 3) essentielle Angioneurosen. — In der 
zweiten Familie werden von H. auch die sammtlichen Arzneiexantheme unter- 
gebracht. Zwar unterscheidet er mit G. B eh rend Exantheme (Erythantheme) durch 
specifische Arzneiwirkung, solche durch Ausscheidung von Arzneistoffen, und endlich 
solche durch dynamische Wirkung der Arzneimittel; es wird aber von dieser Differen- 
cirung insofern weiterhin kein Gebrauch gemacht, als alle drei Gruppen unterschied- 
los in den grossen Topf der „toxischen Angioneurosen" hineinfallen, was doch z. B. 
ffir die Jod- und Bromacne ausserst zweifelhaft sein durfte. Ausser den Arznei- 
exanthemen rechnet H. noch. zu den toxischen Angioneurosen die (von mir zuerst 
als cutane Angioneurose beschriebene) Urticaria, dann Pellagra, Akrodynie und 
Ergotismus. Unter den „essentiellen Angioneurosen" ist auffanderweise der einfache 
Rubor (der von mir als „essentieller Oder angioneurotischer Bubor" bezeichnete Zu- 
stand) vergessen; dagegen beschreibt H. hier als „Angioneurosen mit vorwaltend 
entzfindlichen Erscheinungen" die von seinem Vater als polymorphes Erythem und 
Herpes Iris beschriebenen Zustande, sowie Erythema nodosum, Peliosis rheuma¬ 
tics und Pemphigus vulgaris; ferner die (auch zuerst von Landois und mir als 
Angioneurosen charakterisirte) Acne rosacea, und die locale Asphyxie mit symme- 
trischer Gangrane. — Es ware vielleicht am Orte gewesen, hier etwas fiber die 
nicht mehr so ganz seltenen, auf einen Krampfzustand der Venen bezogenen 
Hautaffectionen und die Unterscheidung dieser Zustande vom cutanen Arterio- 
spasmus zu sagen. Ueberhaupt musste doch eine Darstellung cutaner Angioneu¬ 
rosen mit einer, wenn auch noch so kurzen Charakteristik der Krampf- und Lahmungs- 


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312 


zustande an den Hautgefassen und der davon unmittelbar abhangigen Phanomene 
beginnon. 

Gegen die Gesammtbezeichnung der dritten Classe als „neuritiscbe Der ma¬ 
il os en (Trophoneurosen der Haut“) lasst sich wieder Einspruch erheben — um so 
mehr, als wir darin anch eine Unterabtheilung: „nichtentzfindliche Trophoneurosen” 
finden, die H. allerdings in Klammer als „neuritische Wachsthumsanomalien” bezeichnet 
Es kOnnen aber die hier untergebrachten neuritischen Atrophien der Haut und ihrer 
Adnexe, der Pigmentmangel (Vitiligo), das Ergrauen der Haare u. dgl. nicht als Folgen 
neuritischer Reizung aufgefasst werden; die Reizung trophischer Nerven erzeugt viel- 
mehr nur gewisse eigenthumliche Formen neuritischer Dystrophie (namentlich Ent- 
ziindungsprocesse) — im Gegensatze zu den Hypertrophien und Atrophien — wie dies 
besonders Samuel in sehr fiberzeugender Weise dargethan hat. Die Arbeiten des 
Letzteren scheinen H. wenig bekannt gewesen zu sein oder er scheint doch wenig 
Notiz von ihnen genommen zu haben; citirt hat er Samuel, so weit ich habe sehen 
k5nnen, in dem ganzen Capitel der Trophoneurosen niemals, obgleich sich doch sogar 
ffir die zweimalige Erwahnung eines grundverkehrten Ausspruches des Plinius fiber 
Zoster Zeit und Raum darbot (p. 255 und 258). — Die Literaturbenutzung scheint 
fiberhaupt eine sehr ungleiche zu sein, so dass es vielleicht besser gewesen ware, 
von Citaten ganzlich Abstand zu nehmen. 

Im Ganzen ist die Tendenz des Buches, dem Auspitz’schen System grfissere 
Beachtung und Durchffihrung zu verschaffen, ja durchaus zu loben; ob das Buch dem 
Dermatologen von Fach Neues, Selbstandiges bringt, mag dahingestellt bleiben; dem 
Neurologen oder dem far neurotische Dermatosen sich interessirenden Arzte mochten 
wir aber empfehlen, sich lieber an das oben erwahnte Schwimmer'sche Buch zu 
halten, woselbst ihm der Gegenstand voller, reichhaltiger und in weit grosserer Ver- 
tiefung entgegentreten wird. Ffir das als Compendium angelegte und somit dem 
Bedurfhiss anderer Leserkreise angepasste Hebra’sche Werk liegt hierin selbstver- 
standlich kein Vorwurf — wenn es uns auch gefreut haben wfirde, in der neuesten 
lehrbuchmassigen Darstellung der Hautkrankheiten die neurotischen Dermopathien nicht 
bloss ausserlich in weiterem Umfange recipirt, sondern auch in ihren physiopatho- 
logischen Grundlagen sicher erfasst und mit vollem Vers tan dnisse gewfirdigt zu 
finden. A. Eulenburg. 


IV. Vermischtes. 

Der soeben erschicnene neunte Bericht der Verwaltung der Unterstfltzungskasse for 
bedtirftige Pfleglinge der Grossherzoglichen Landes-Irrenanstalt zu Heppenheim (1882/83 u. 
1883/84) legt in erfreulicher Weise die Entwickelung und gfinstigen Erfolge jener segens- 
reichen Einrichtung dar. 143 Vertrauensmanner aus alien Schichten der Gesellschaft fordeni 
die Zwccke. Die Einnakme betrug 19796 Mark, die Ausgabe 18 598 Mark, der Vermogens- 
stand 26927 Mark. Die Beitrage, und das muss als nachahmungswerthes Beispiel hervor- 
gehobcn werden, fliessen aus d m kleinsten Dorfe und zum grossen Theil von weniger be- 
mittelten Lcuten; man hat es also verstanden, auch hier das Interesse ffir die Saehe zu 
wecken. M. 


In der Medical Times and Gazette (1884. J&n. p. 40) berichtet Hutchinson uber einen 
Arzt, der in Folge von excessivem Rauchen an Amaurosis litt. Grosse Dosen Opium stellten 
die Schkrafo fast vollstandig wieder her. H. meint, dass vielleicht das Opium den durch 
den Tabak hcrvorgebraehten Krampf der Gefasse beseitigte. M. 


Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen fur die Redaction sind zu richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

VerTag von Vkit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobr & Wittig in Leipzig- 


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NeurologischesCentralblatt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Dritter 


Herausgegeben yon 

Dr. E. Mendel, 

PrlTatdoeent an der Universitit Berlin. 


Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern, Preis des Jalirganges 15 Mark. Zn beziehen dnrch 
alle Bnchhandlungen des In- und Anslandes, die Postanstalten des Dentschen Beichs, sowie 
direct yon der Verlagsbuchhandlung. 


1884. 


15. Juli. 


14. 


In halt. I. Origlnalmittheilongen. 1. Ueber Angenstdrongen bei multipier Sklerose von 
Gnauck. 2. Nachtrag zu der Mittheilung „Uebcr die Bedeutung der Inter vertebralganglien" 

yon Bechterew und Rosenbach. 

II. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Ueber den Einfluss der Yer^iftung 
mit Kohlenoxydnlgas auf die Nervencentren des Hundes von Chardin. — Pathologie des 
Nervensystems. 2. Mittheilungen auf dem Gebiete der Nervenpathologie von Henoch. 
3. Contribution a l’6tude de l’aphasie par Baizer. 4. Zwei Falle choreatischer Zwangs- 
bewegungen mit ausgesprochener Hereditat von Ewald. 5. Sur un cas de mv41ite chronique 
diffuse avcc predominance des ldsions dans les comes ant4rieures de la moelle par Bablnsky. 
6. Concussion of the spine in railway injuries by Johnson. 7. Statistisches und Elinisches 
fiber Alcoholismus von Mooli. 8. Ein Fall von Vitiligo nervosen Ursprungs von Kisseljow. 
9. Zwei Falle von neuroparalytischer Hornhautentzlindung von Nieden. 10. Studien fiber 
die bei halbseitigen Atropnien und Hypertrophies namenthch des Gesichtes, vorkommenden 
Erscheinungen, mit besonderer Berucksichtigung der Pigmentation, von Lewin. — Psychia¬ 
tric. 11. Delire ai^u; Eruption de furoncles au vingtieme jour; Gudrison par Baillargor. 
12. Sulle irregolarita dell 5 orifizio pupillare negli alienati, Bicerche del Musso. 13. Ueber 
die sogenannte photographische Gleichheit aller lrreseinsanfalle bei demselben Epileptiker von 
Flschor. 14. Ueber echte Sitophobie von Sperlingk. 15. II delirio uremico maniaco nelle 
affezioni renali del Peirono. — Therapie. 16. Ein Beitrag zur Therapie der Diabetes in¬ 
sipidus von Lunin. 17. Paraldehyd als Schlafmittel von Renz. — Forensische Psychiatrie. 
18. Medico-legal relations of epilepsy by Kiernan. 

III. Aus den Gosellschaften. — IV. Bibllographie. — V. Personaiien. 


I. Originalmittheilungen. 

1. Ueber Augenstorungen bei multipler Sklerose. 

Nach einem Yortrag in der medicinischen Geaellschaft zu Berlin. 

Von Dr. Rudolf Gnanek. 

Meine Herren! Die multiple Sklerose — oder vie man vohl richtiger 
sagt, die fieckweise graue Degeneration des Gehims und Ruckenmarks — ist 
bekanntlich eine Erankheit erst der letzten Jahrzehnte nnd es ist vorwiegend 
das Verdienst Chabcot’s, dieselbe genaner erforscht nnd pracisirt und sie unter 
die feststehenden klinischen Erankheitsbilder eingereiht zn baben. 

Die Di^nose der mnltiplen grauen Degeneration war immer eine schvierige 
und ist es noch hente; ja die Schwierigkeiten derselben haben in neuester Zeit 


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314 


eher noch zugenommen. Wer eine Anzahl solcher Kranken gesehen hat, weias, 
(lass das Krankheitsbild, welches Chabcot so meisterhaft gezeichnet hat, trotz 
seiner Vorzhge doch zu schematisch ist, und dass ihm die wenigsten Falle ganz 
entsprechen. — Dieses Krankheitsbild ist wohl zu bekannt, als dass ich es hier 
noch einmal zu skizziren hrauchte. 

Besonders sind es ja die Anfange der Krankheit, welche in Folge des 
Lfickenhaften und der haufig gerjngen Intensitat der Erscheinungen eine sichere 
Diagnose kaum gestatten und die Yerwechselung besonders mit Neurosen haufig 
machen. Aber auch die ausgebildete Krankheit kann zu Irrthfimem ffihren, 
da bekanntlich verschiedene andere Bfickenmarkserkrankungen unter dem Bilde 
der fleckweisen grauen Degeneration verlaufen konnen — and umgekehrt Femer 
giebt es Falle, bei denen es wahrend der ganzen Krankheitsdauer zweifelhaft 
bleibt, ob sie als Neurosen, besonders als Hysteric oder als multiple Sklerosen 
oder als eine Verbindung beider Affectionen aufzufassen sind. Bis jelzt erachtete 
man allerdings die Diagnose als gesichert, wenn zu den Stdrungen von Seiten 
des Buckenmarks auch solche von Seiten der Gehirnnerven hinzutraten. Allein 
auch dies ist nicht mehr absolut stichhaltig; denn neuerdings hat Westphal 
Falle mitgetheilt, welche klinisch vollstandig das Bild der multiplen grauen 
Degeneration des Gchirns und Buckenmarks darboten (dabei Doppelsehen, skan- 
dirende Sprache, Yerlangsamung der Augenmuskelbewegungen etc.), deren Sec- 
tionsbefund, resp. mikroskopischer Befund aber durchaus negativ ausfiel. 

Aus diesem Grunde ware es naturlich sehr erwunscht, ein relativ sicheres 
Unterscheidungsmerkmal zwischen wirklicher multipier Sklerose und, so zu sagen, 
Pseudoformen derselben zu finden. Und in der That, wie Westphal schon 
hervorgehoben hat, giebt es ein solches, welches, wenn es vorhanden ist, eine 
ziemliche Sicherheit der Diagnose ermoglicht Dies ist die Atrophie des Nervus 
opticus. 

Wenn ich in meinem Thema ganz im Allgemeinen von Augenstdrungen 
gesprochen habe, so mochte ich dies heute etwas beschranken. Ich beabsichtige 
nicht fiber die Storungen der Augenmuskeln, Doppelsehen, Nystagmus etc., welche 
sich ja bei multipler Sklerose haufig finden, zu sprechen und ich werde sie nur 
nebenbei statistisch erwahnen. Ich habe heute besonders die Affectionen des 
Nervus opticus im Sinne und mochte auf Falle dieser Art einige Augenblicke 
Ihre Aufinerksamkeit lenken. 

Meine Herren, es ist eine bekannte Thatsache, dass Storungen im Bereiche 
des Nervus opticus, besonders auch Atrophie desselben bei multipler Sklerose 
ein nicht zu seltenes Yorkommniss abgeben. Die meisten von Ihnen werden 
solche Falle beobachtet haben und den Ophthalmologen ist. es vielleicht etwas 
Gewohnliches. Allein es ist doch bemerkenswerth, dass genauere Befunde darfiber 
sehr wenig vorliegen. Es ist erwahnt, dass Herabsetzung der Sehscharfe haufig, 
ungefahr in der Halfte der Falle, vorkommt, dass wieder die Halfte dieser letztea 
Falle ausserdem Atrophie des Opticus aufweiae; femer werden Geeiohtsfeld- 
beschrankungen verschiedener Art erwahnt, in seltenen Fallen auch Neuritis 
mit folgender Sehnervenatrophie. 


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Ich moch'te Ilmen non an der Hand meines Materials eine Reihe von 
Storungen am Sehnerven vorfuhren, welche auf der einen Seite das Bekannte 
bestatigen, auf der anderen Seite vielleicht einige neue Gpsicbtspunkte darbieten. 

Um nun durchans sichere Befunde zu gewinnen, war eine specialistiscbe 
Augenuntersuchung eine Nothwendigkeit. Ich habe daher das Material gemein- 
sam mit Hm. TJthoft bearbeitet und wir haben alle Kranken eingebend und 
wiederholt untersucht. 

Es liegen mir 50 Falle von multipier grauer Degeneration des Gehirns und 
Ruckenmarks vor, welche ich Gelegenheit hatte, auf der Nervenklinik und Poli- 
klinik der Charitd zu beobachten. Diejenigen Kranken, welche das Bild der 
spastischen Spinalparalyse darboten, habe ich nicht mit dazu gerechnet, da unter 
diesem Bilde die multiple Sklerose verlaufen kann, dies aber bekanntlich durch- 
aus nicht nothwendig ist Es waren deren 5 Falle. Uebrigens fanden sich bei 
diesen Kranken niemals Augenstdrungen. 

Von diesen 50 Kranken batten Storangen an den Augenmuskeln 13, Sto¬ 
rangen an den Pupillen 19 (darunter 4mal Pupillenstarre). Ich erwahne dies 
Letztere bier besonders, wed man vielleicht auch die Pupillenstarre als diagnostisches 
Fnterscheidungsmerkmal von Pseudoformen der multiplen Sklerose herbeiziehen 
konnte; allein es kommt eben sehr selten vor. 

Von den 50 Kranken batten 22 keine Sehstorungen; die ubrigen 28 hatten 
solehe. 8 davon zeigten nichts als Herabsetzung der Sehscharfe verschiedenen 
Grades, 5 zeigten Herabsetzung der Sehsobarfe und Gesichtsfeldbeschrankungen, 
die amdern 15 zeigten zum Thed auch die erwahnten Storungen, vor Allem aber 
durchgangig Veranderangen des Augenhintergrandes. Die Letzteren bestanden 
einmal in totaler Sebnervenatrophie mit Erblindung, dann in partieller Sehnerven- 
atrophie, Verfarbung der Papdlen und zwar hauptsachlich der temporalen Halften, 
ferner in Hyperamie der Papdlen und Neuritis optica. 

Indem ieh nun auf die einzelnen Fade etwas naher eingehe, werde ich aus 
der Fulle des Materials nur das Wichtigste herausnehmen und, indem ich im 
Ganzen mehr resumire, nur diesen und jenen Fad, welcher ein besonderes Inter- 
esse darbietet, eingehender bespreohen. 

Die 8 Fade mit amblyopischen Erscheinungen bieten niehts Besonderes dar, 
und ich beginne sogleich mit den Faden, welche Gesichtsfeldbeschrankungen 
und Herabsetzung der Sebscharfe zeigten, welche letztere zum Thed ziemlich 
bedeutend war. Bei den moisten handelte es sich tun eine concentrische Gesichts- 
feldbeschrankung von 10—30 Grad. Eine solehe war auch fur Faarben, und 
zwar bisweden in bohem Grade vorbanden; dabei bestand eine sonderbare per¬ 
verse Farbenpereeption, indem z. B. blau als grfln bezeichnet wurde und um- 
gekehrt 

Ich wdl auf diese eigenthdmdchen Stonmgen, welche meist auch mit Sto¬ 
rangen anderer Sinnesnerven und mit psychischen Storangen verbunden sind, 
und welche man auch als sensorische Anasthesien bezeichnen kann, nicht 
naher eingehen. Die Herren Oppenhedh und Thomsen bearbeiten gerade das 
Thema der sensorischen Anasthesien und werden diese Fade mit verwerthen. 


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316 


Ich will nur erwahnen, dass dies© concentrischen Gesichtsfeldbeschrankungen 
einem grossen Wechsel unterworfen sind, und die heute erhobenen Befunde 
konnen kurze Zeit darauf ganz verandert sein, ja, die Storung kann eimnal 
auch vollstandig wieder verschwinden. Uebrigens sind 2 der Falle zur Section 
gelangt und diese hat die Diagnose der multiplen grauen Degeneration bestatigt 

Einen Fall mochte ich besonders hervorheben. Im Yerlaufe der Krankheit 
namlich, unter Vorangang eines Schuttelfrostes, traten plotzlich auf- und ab- 
gehendes Flimmem vor den Augen, Donnern im rechten Ohre und stechende 
Schmerzen auf der rechten Seite des Gesichts auf. Nach einigen Tagen fand 
ich die Sensibilitat der rechten Gesichtshalfte abgeschwacht und auf dem rechten 
Auge nach aussen einen kleinen Gesichtsfelddefect. Nach 10 Wochen war die 
Storung wieder vollstandig verschwunden. Das Interesse dieses Falles liegt so- 
wohl in der Kleinheit des Gesichtsfelddefectes und in der kurzen Dauer seines 
Bestehens, als auch in dem directen Zusammenhange dieser Storung mit Er- 
scheinungen von Seiten anderer Gehimnerven, welche letzteren eben so schnell 
wieder verschwanden. 

Ich komme zu den Fallen mit ophthalmoskopischem Befunde und bringe 
zuerst 2 Falle von totaler Sehnervenatrophie mit Erblindung. 

Bei dem ersten Falle, einem Manne von 42 Jahren, bildete die Sehstorung 
den Beginn der multiplen Sklerose. Im Februar 1883 bemerkte der Kranke 
Nebligsein vor den Augen, was schnell zunahm; Ende Mai war er schon ganz 
blind. Anfang Mai erst zeigten sich andere Krankheitserscheinungen von Seiten 
des Nervensystems. Im Juni fonden sich beide Papillen vollstandig atrophisch. 

Hier verdient zweierlei hervorgehoben zu werden, zuerst der Beginn der 
Erkrankung nur mit der Sehstorung und dann die ungemein schnelle, binnen 
4 Monaten erfolgte vollstandige Erblindung. 

Beim zweiten Falle, einem Madchen von 25 Jahren, begann die Krankheit 
mit rechtseitiger totaler Ptosis. • Als sich dieselbe nach einigen Monaten besserte, 
konnte Patientin auf dem rechten Auge fast nichts mehr sehen. Erst nach 
2 Jahren begannen sonstige Krankheitserscheinungen. Nach 3 Jahren trat Ver- 
schlechterung des Sehvermogens auf dem linken Auge ein. Im 5. Jahre wurden 
beide Papillen vollstandig atrophisch gefunden. 

Ich habe diese Falle besonders hervorgehoben, weil, wie schon Chabcot, 
Ebb, Fobsteb und Andere hervorheben, totale Sehnervenatrophie mit Erblindung 
bei multipler Sklerose sehr seiten vorkommt und in der Literatur sehr wenige 
solcher Falle beschrieben sind. Chabcot verweist auf einen solchen Fall von 
Magnan. Allein ob derselbe hierher gehdrt, ist doch sehr fraglich. Die Er¬ 
blindung entstand daselbst 19 Jahre vor dem Beginne der multiplen Sklerose, 
und zwar im Anschluss an einen Typhus. 

Die zweite Gruppe von Fallen ist diejenige mi t partieller Atrophie des 
Opticus. Solcher Falle giebt es in der Literatur eine ziemliche Anzahl, bald 
mit, bald ohne Abschwachung des Sehvermogens. 

Diese partielle Opticusatrophie stellt sich in 4 von meinen Fallen als scharf 
begrenzte Verforbung der temporalen Halften der Papillen dar. In 6 Fallen 


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sind auch die inneren Halften der Papillen etwas befallen, aber um vieles 
weniger als die ausseren, so dass die deutliche Markirung der letzteren immer 
auffallen muss. 

2 Falle hebe ich ans dieser Gruppe besonders hervor. 

Bei dem ersten Falle, einer Frau mit Namen Dorenburg, ergab sich fol- 
gender Befund: auf dem linken Auge atrophische Verfarbung der temporalen 
Papillenhalfte und leichte concentrische Einengung des Gesichtsfeldes fur roth 
und gran. Auf dem rechten Auge fand sich deutliche atrophische Verfarbung 
der ganzen Papille, hauptsachlich in der temporalen Halfte. Das Gesichtsfeld 
war peripher frei, auch fur blau; dagegen existirte fur blau ein grosseres cen¬ 
trales Scotom; grun und roth wurden uberhaupt nicht erkannt. 

Wenn man diesen Befund, besonders auf dem rechten Auge, betrachtet, 
so macht er den Eindruck eines neuritischen Prozesses, zumal die Stoning im 
Laufe von Monaten vollstandig stationar blieb; eines neuritischen Prozesses, der 
abgelaufen ist und sich auf dem rechten Auge weiter ausgedehnt bat, als auf 
dem linken. 

Bei dem zweiten Falle handelte es sich um einen 28jahrigen Mann mit 
Namen Haymann. Bei ihm begann die Krankheit im Fruhjahr 1883 mit Ver- 
schlechterung des Sehens, welche immer zunahm. Nach 4 Monaten erst zeigten 
sich andere Storungen von Seiten des Nervensystems. Nach 6 Monaten fand 
sich eip centrales Scotom fur roth und grun bei freiem peripherem Gesichtsfeld. 
Es war dies also ganz das Bild einer Intoxicatiousamblyopie. Bei der zweiten 
Prufung nach 2 Monaten zeigte sich ein weiterer Verfall des centralen Sehens, 
so dass auch ein ausgesprochenes Scotom fur blau vorhanden war, wahrend grun 
und roth theilweise gar nicht mehr erkannt wurden. 

Obgleich der sonstige Befund negativ war, konnte man doch vermuthen, 
es mit einem progressiven Prozesse zu thun zu haben. Indessen nach weiteren 
2 Monaten hatte sich das Seheu erheblich gebessert, die Scotome fur blau waren 
verschwunden, fur roth nur noch in geringem Maasse vorhanden; grun wurde 
fast ganz richtig erkannt. Ausserdem aber machte sich eine atrophische Ver¬ 
farbung der temporalen Papillenhalften bemerkbar. Nach weiteren 2 Monaten 
war das Gesichtsfeld vollstandig frei, die Yerfarbung der temporalen Papillen¬ 
halften aber im Gleichen. 

Da von einer Intoxication durch Tabak, Alcohol etc. nichts zu eruiren war, 
so musste die Sehstorung mit der Allgemeinerkrankung, der multiplen Sklerose 
in Zusammenhang gebracht werden. 

Ehe ich jedoch darauf weiter eingehe, wende ich mich zum Schlusse noch 
zu 3 Fallen von multipier Sklerose, bei denen sich tiefe Hyperamie der Papillen 
resp. Neuritis optica fanden. Auch hier erwahue ich einen Fall als den wich- 
tigsten ausfuhrlicher. 

Im Verlaufe der multiplen Sklerose stellte sich ganz plotzlich eine Seh¬ 
storung auf dem linken Auge ein (Pat. sah Alles nebelig und undeutlich). Am 
4. Tage darauf ergab sich folgender Befund: auf dem rechten Auge partielle 
Neuritis optica mit freiem Gesichtsfeld und normaler Sehscharfe; auf dem linken 


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Auge ausgesprochene Neuritis optica der ganzen Papille. Das Gesichtsfeld war 
peripher frei, zeigte aber ein absolutes grosses centrales Scotom. Nach 9 Mo- 
naten, wahrend dessen die multiple Sklerose deutliche Fortschritte gemacht 
hatte, war der Prozess zuruckgegangen, und auf dem rechten Auge ergab sich 
ein normaler Befund. Auf dem linken Auge zeigte sich eine atrophische Ver¬ 
farbung der temporalen Papillenhalfte und massige Gesichtsfeldbeschrankung 
fur Farben und weiss nach innen. Das centrale Sehen hatte sich vollstandig 
restituirt. 

Meine Herren, dieser letzte Fall ist gerade dadurch interessant, dass man 
die Sehstorung bei einem Falle von multipier Sklerose von ihren ersten An- 
fangen an beobachten kann. Bei der ersten ophthalmoskopischen Untersuchung 
war die Sehstorung erst 4 Tage alt und es fand sich eine ausgesprochene Neu¬ 
ritis optica auf dem linken Auge. Nach 9 Monaten ist der Prozess fast voll¬ 
standig zuruckgegangen und es sind eine atrophische Verfarbung der temporalen 
Papillenhalfte und eine partielle Gesichtsfeldbeschrankung zuruckgeblieben. Die 
erstere ist also hier thatsachlicti bei einem Falle von multipier Sklerose aus 
einem neuritischen Prozesse hervorgegangen. 

Gehen wir nun noch einmal auf die schon erwahnten Falle von Atrophie 
der temporalen Papillenhalften zuruck, so schliesst sich an den letzt erwahoten 
Fall zunachst der Fall Haymann an. Bei diesem konnte man gleichfalls die 
Entwickelung der Atrophie der temporalen Papillenhalften, verfolgen und zwar 
unter dem Bilde einer Intoxicationsamblyopie, das heisst unter einem Symptomen- 
complexe, als dessen Grundlage man eine retrobulbare Neuritis gewohnlich 
annimmt 

Daran schliesst sich der Fall Dorenburg. Bei diesem konnte man zwar 
die Entstehung der Sehnervenatrophie nicht verfolgen, allein der ganze Befund 
sprach durchaus fur einen neuritischen Ursprung: die vorwiegend temporale 
Veriarbung der Papille, das centrale Scotom, die freie Gesichtsperipherie und 
das Stationare des Prozesses. 

Diese Thatsache, meine Herren, erscheint bemerkenswerth, denn sie beweist, 
dass die Atrophie des Nervus opticus bei multipler Sklerose neuritischen Ur- 
sprungs sein kann. Ob sie es immer ist, das ist freilich eine andere Frage. 
Allein es ist doch zu vermuthen, dass besonders diejenigen Falle, bei welchen 
gerade die atrophische Verfarbung der temporalen Papillenhalften so ausgesprochen 
ist, einen ahnlichen Entstehungsmodus haben. Das lasst sich allerdings nicht 
beweisen und dem ophthalmoskopischen Bilde nach konnte eben so gut eine 
primare Atrophie als eine secundare vorliegen. Bei der primaren Atrophie 
(z. B. bei Tabes) kommen ja auch ahnliche ophthalmoskopische Bilder yor; 
allein dies ist doch nur ausnahmsweise der Fall und gewohnlich mehr voruber- 
gehend im Laufe dieses mehr progressiven Prozesses, wahrend es bei den Fallen 
von multipler Sklerose sehr haufig ist. Bei der multiplen Sklerose bleibt eben 
die Atrophie der temporalen Papillenhalften gewohnlich stationar und macht 
mehr den Eindruck eines abgelaufenen Prozesses; und greift sie auf die innere 
Halfte der Papille uber, so markirt sich die temporale Halite als die bedeutend 


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starker befallene. Dass es davon Ausnahmen giebt, beweisen die beiden von 
mir erwahnten Falle von totaler Sehnervenatrophie mit Erblindung; allein dies 
andert doch die Regel nicht. 

Naturlich prajudicirt das Gesagte nichts fur die Entstehung der fleckweisen 
grauen Degeneration des Gehirns und Ruckenmarks uberhaupt und es ware 
inig, wollte man an den gefundenen Thatsachen eine Stiitze fur die Ansicht 
suchen, dass die multiple Sklerose entzundlichen Ursprungs sei. Man konnte ja 
das Auftreten einer Neuritis optica bei multipier Sklerose eben so gut fur zu~ 
fallig erklaren, ohne dass dieser Einwand zu entkraften ware — obgleich ein 
solcher Zufall nicht eben das Wahrscheinlichste sein durfte. 

Ich fuge hier kurz den Sectionsbefund eines der Falle an, bei welchem 
wahrend des Lebens eine jahrelang gleichbleibende, sehr scharf begrenzte Atro- 
phie der temporalen Papillenhalften vorhanden war. Es fanden sich im Gehim 
und Ruckenmark zahlreiche graue Degenerationsherde. Die Sehnerven zeigten 
makroskopisch auf dem Querschnitte kaum eine graue Verfarbung. Mikroskopisch 
fond sich partielle Atrophie und Schwund der Nervenfasern, interstitielle Wucher- 
ung des Bindegewebes und starke Kernvermehrung. 

Diese Veranderung, welche links starker ausgepragt war, als rechts, be- 
schrankte sich auf den vordersten Theil der Sehnerven, dicht hinter dem Bulbus, 
wahrend weiter nach hinten im Orbitaltheile sich normales Gewebe vorfand. 
Ob man diese Veranderungen als neuritische Atrophie bezeichnen konnte, ist 
zweifelhaft; immerhin ist es bemerkenswerth, dass dieselben sich gerade nur 
direct hinter dem Bulbus localisirt batten. 

Meine Herren, ich komme zum Schlusse noch einmal auf den Anfang 
meines Yortrages zuruck, auf den Werth der Atrophie des Nervus opticus fur 
die Diagnose der fleckweise grauen Degeneration, und es schweben mir besonders 
zwei der mitgetheilten Falle vor, bei welchen der ophthalmoskopische Befund in 
dieser Hinsicht von der grossten Bedeutung war. Der eine ist der Fall Hay- 
mann. Bei ihm begann die Krankheit allein mit der Sehstdrung; erst nach 
einigen Monaten folgten andere Erscheinungen von Seiten des Nervensystems, 
und noch nach einem halben Jahre waren dieselben so gering, dass man sie als 
vage hatte bezeichnen konnen. Der Kranke klagte nur uber grosse Mattigkeit 
und Schwachegefuhl in den Beinen und leichte Erschwerung des Gehens. Ob- 
jectiv war sehr wenig vorhanden: leichte Unsicherheit des Ganges, Herabsetzung 
der xnotorischen Kraft, gesteigertes Kniephanomen, eine Andeutung von Patellar- 
clonus und Fusszittem bei Dorsajflexion — Dinge, welche eben so gut einer 
Neurose angehdren konnten. 

Nur die Sehstorung war eigenthumlich und auf diese hin vermuthete ich 
beginnende multiple Sklerose. Als nun sehr bald die Sehstorung zunahm, die 
Verfarbung der temporalen Papillenhalfte begann, wurde fur mich die Diagnose 
sicher, obgleich die anderen Erscheinungen noch nicht zugenommen hatten. 
Diese Ansicht hat sich in der That bestatigt, der Kranke zeigt jetzt, wo die 
Sehstdrung zuruckgegangen, die temporale Verfarbung der Papillen aber noch 
vorhanden ist, das ausgesprochene Bild der multiplen grauen Degeneration. 


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Der zweite ist der Fall DOrenburg. Derselbe war dadurch interessant, dass, 
so zu sagen, fiber Nacht bald am rechten, bald am linken Arme und Beine 
Paresen auftraten, welche in kurzer Zeit wieder vollstandig verschwanden. Ob- 
gleich nun bei multipier Sklerose Symptome nicht selten vollstandig zuruck- 
gehen, so war doch solch ein schneller Wechsel immer eigenthumlich und be- 
denklich, zumal die erwahnten Symptome zu den Haupterscheinungen gehdrten; 
wenigstens war ein hysterisches Leiden eben so gut denkbar. Allein der Befund 
an den Augen: Atrophie der Papillen, besonders der temporalen Halfte derselben, 
mit centralem Scotome, musste auf die Diagnose der multiplen Sklerose zuruck- 
lenken. Die Richtigkeit dieser Ansicht hat auch der weitere Verlauf der Kran- 
heit bestatigt. 

In solchen Fallen durfte also in der That die Atrophie des Nervus opticus 
das entscheidende Merkmal fur die Diagnose der fleckweisen grauen Degeneration 
des Gehims und Ruckenmarks bilden. 


2. Nachtrag zu der Mittheilung „Ueber die Bedeutung der 
Intervertebralganglien u in Nr. 10 dieses Blattes. 

Von Dr. W. Becliterew und P. Rosenbach in St. Petersburg. 

Hr. Prof. ScHuiiTZE hat in Nr. 12 dieses Blattes einige Bemerkungen ver- 
offentlicht, mit denen er unsere Anschauung fiber die Bedeutung der Interverte- 
bralganglien widerlegt zu haben meint Obgleich wir nicht die Absicht haben konnen, 
in eine Polemik fiber die von uns festgestellten Thatsachen vor der demnachst 
in Aussicht stehenden ausfuhrlichen Yeroffentlichung unserer Arbeit einzugehen, 
wollen wir es doch nicht unterlassen, einige Worte auf die bezeichneten Be¬ 
merkungen zu erwidern, sowohl aus dem Grunde, weil Hr. Schultze irrthum- 
lich die Unzulassigkeit unserer aus den Thatsachen gezogenen Schlusse bewiesen 
zu haben glaubt, als auch deshalb, weil er letzteren solche von ihm selbst ge- 
folgerten Schlusse entgegenstellt, die sich aus ihnen durchaus nicht ergeben. 

Zuvorderat macht uns Hr. Schultze den Vorwurf, dass wir die bekannten 
Experimente von Singes nicht fur genugend halten, ohne die Grunde fur diese 
unsere Meinung mitzutheilen. Hierbei bemerkt er: „Durchschnitt nicht auch 
Singeb die hinteren Wurzeln, und zwar in sehr zweckmassig variirter Weise, 
und erhielt regelmassig die schonste aufsteigende Degeneration in den zugehorigen 
intramedullaren sensiblen Nervenfasem?“ Da wir diese Thatsachen in unserer 
Arbeit nicht in Abrede stellen, so erscheint uns diese Frage zum mindesten 
uberflussig; wenn Hr. Schultze die Experimente von Singeb fur genugend halt 
zur Aufklarung der Function der Spinalganglien, so ist das eben seine Meinung. 
Wir glauben, dass es den Lesem unseres Artikels klar sein muss, weshalb wir 
Singeb’s Experimente fur imgenugend ansahen: in seiner Arbeit ist von dem 
Verhalten der grauen Substanz des Ruckenmarks bei den operirten Thieren keine 
Rede, wahrend wir eben in letzterer constants Veranderungen fanden. 


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Ebenso uberflussig ist unseres Erachtens die Bemerkung des Hrn, Schultze, 
dass die aufsteigende Degeneration in den Hinterstrangen kein neues Versuchs- 
resultat sei (S. 267), da wir es in unserer Arbeit gar nicht als neu bezeichnen 
and selbst auf die Autoren yerweisen, die es vor uns constatirt haben. 

Was das andere Ergebniss unserer Untersuchung anbelangt, dass namlich 
nach Durchschneidung der Cauda equina die Nervenzellen der grauen Substanz 
des untersten Ruckenmarksabschnittes degeneriren, so findet Hr. Schultze, dass 
wir es irrthumlich erklaren. Er meint, wir haben vergessen den Beweis zu 
ffihren, dass wir nicht direct durch das eingreifende Trauma die genannten 
Veranderungen hervorgerufen haben, und dass dieselben „im Uebrigen durchaus 
den Eindruck von Folgezustanden traumatischer Einwirkungen in der Nahe der 
ursprunglichen Lasion“ machen. Dieser Einwand wird durch folgende Erwagungen 
beseitigt: 

Wie wir in unserer kurzen Mittheilung erwahnen, fanden wir in alien Fallen 
Verwachsung der Cauda equina mit ihren Hullen; wir kdnnen hier hinzufugen, 
dass diese Verwachsung die Ausdehnung von ungefahr 2—4 mm nicht uber- 
schritt, und das war die einzige Folge traumatischer Einwirkung unserer Operation, 
da die von uns im Ruckenmark gefundenen Veranderungen ihrem Charakter nach 
mit dem Bilde einer traumatdschen Gewebsentzundung nichts gemein haben. Auch 
an den das Ruckenmark selbst umgebenden Hauten, der Dura sowohl als Pia, 
war keine Spur von entzundlichen oder uberhaupt pathologischen Vorgangen zu 
entdecken. Wenn femer die von uns ausgefuhrte Durchschneidung der Cauda 
eqnina aufsteigende Veranderungen in Folge traumatischer Einwirkung hervor- 
gebracht hatte, so ware es unerklarlich, warum die vorderen Wurzeln, die ja 
anch in der Cauda equina durchtrennt warden, keine aufsteigende Degeneration 
zeigen, und warum die uberwiegende Mehrzahl der weissen Strange im unteren 
Ruckenmarks vollkommen unverandert bleibt. Alles dieses in Verbindung mit der 
constanten Fortsetzung der Degeneration von den durcbschnittenen hinteren 
Wurzeln auf die Nervenzellen der grauen Substanz des untersten Ruckenmark- 
ge bietes und auf die innere Abtheilung der GoLi/schen Strange (Letzteres mit 
nicht so voller Bestandigkeit), liefert unseres Erachtens den unumstosslichen 
Beweis dafur, dass die von uns gefundenen Veranderungen des Ruckenmarks 
nicht als Folgen traumatischer Einwirkung aufzufassen sind, sondern als eine 
Ernahrungsstorung, bediugt durch das Ausschalten der Intervertebralganglien. 

Unsere Meinung, dass die Degeneration der GoLL’sehen und einzelner 
Faseru anderer weisser Strange in imseren Versuchen nicht unmittelbai* durch 
Abtrennung der Ganglien bedingt ist, grundet sich darauf, dass sie in einigen 
Fallen fast vollkommen fehlte. wakrend die centralen Stucke der hinteren Wurzeln 
und die graue Substanz des unteren Ruckenmarksgebietes schon in ausgepragter 
Weise verandert waren. Es darf nicht vergessen werden, dass der anatomische 
Nachweis eines directen Uebergangs der hinteren Wurzelfasern in die Hinter- 
strange bisher nicht geliefert, und dass derselbe von einigen Forschem auf 
Grand anatomischer Untersuchungen entschieden bestritten wird. Wenn ein 
solcher unmittelbarer Uebergang in der That vorlage, so hatten wir in jedem 


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Versuch bei der vorgeschrittenen Entartung der hinteren Wurzeln mit Bestandig- 
keit wenig8tens in den Anfangen der GoLL’schen Strange Degeneration finden 
mussen, was aber nicht der Fall war. 1 

Der von Hm. Schultze hervorgehobene Umstand, dass nicht bei jeder 
Querlasion des Ruckenmarks oberhalb der primar afficirten Stelle eine secundare 
Degeneration der Nervenzellen stattfindet, ist nicht nur kein Einwand gegen 
unsere Auffassung uber die Bedeutung der Intervertebralganglien, sondera stimmt 
mit ihr vollkommen uberein. Da man unseren Versuchen zufolge annehmen 
muss, dass jedes Ganglienpaar auf das entsprechende Ruckenmarkssegment 
Einfluss hat, so kann naturlicher Weise gar keine Rede davon sein, dass — 
wie Hr. Schultze sich die Sache anscheinend vorstellt — unsere Versuchs- 
ergebnisse in einem solchen Fall aufsteigende Degeneration der grauen Sub- 
stanz erwarten lassen. Wie wir in unserer Mittheilung erwahnten, fanden 
wir bei einer gewissen Anzahl unserer Thiere keine Yeranderung in der grauen 
Substanz uber dem Lendenmark, wenn sogar die Thiere viele Wochen am Leben 
blieben, wahrend die Degeneration der Nervenzellen im unteren Ruckenmarks- 
gebiet stets in deutlichster Weise ausgepragt war. In Folge dessen mussen 
wir die aufsteigende Degeneration der Nervenzellen, die wir bei einigen Thieren 
fanden, als eine Complication betrachten, die sich eben nicht anders erklaren 
lasst, als durch Annahme eines per contiguitatem fortschreitenden Prozesses. 
Die Neigung localer Erkrankungen der grauen Ruckenmarkssubstanz sich auf- 
warts fortzupflanzen, ist ja auch aus pathologischen Fallen gut bekannt. 

Es steht also unseres Erachtens fest, dass die Intervertebralganglien tro- 
phische Centren nicht nur fur die hinteren Wurzeln und erwahnten aufsteigenden 
weissen Strange des Ruckenmarks, sondern auch fur die Nervenzellen der grauen 
Substanz desselben enthalten. 

In Fallen pathologischer Lasionen der Cauda equina am Menschen wird 
bekannterweise aufsteigende Degeneration der GoLL’schen Strange beobachtet, 
und in dieser Hinsicht stehen unsere Yersuchsresultate mit denen der Natur 
vollkommen in Einklang. Dass in solchen Fallen gewdhnlich nicht Degeneration 
der Nervenzellen der grauen Substanz beschrieben wurde, kann vielleicht daraus 
erklart werden, dass in den betreffenden Beobachtungen den Veranderungen der 
grauen Substanz in den untersten Ruckenmarksabschnitten nicht genugende 
Aufinerksamkeit geschenkt wurde. Auch in dem letzten von Schultze ver- 
ofFentlichten Fall einer Affection der Cauda equina 2 wird des Verhaltens der 
grauen Substanz im Sacraltheil des Ruckenmarks mit keinem Worte erwahnt. 


1 Wir nntersuchten unsere Thiere nicht vor 13—14 Tagen nach der Operation — ein 
Zeitraum, in welchem Degeneration der GoLi/schen Strange unbedingt hatte auftreten mussen, 
wenn letztere eine directe Fortsetznng der hinteren Wurzeln waren. 

* Schultze, Arch. f. Psych. Bd. XIV. 


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II. Referate. 


Experimentelle Physiologic. 

1) Ueber den Einfluss der Vergiffcung mit Kohlenoxydulgas auf die Kerven- 
centren des Hundes von Chardin. (Mitgetheilt in der Mai-Sitzung der 
St. Petersburger psychiatrischen Gesellschaft. Russisch.) 

Die experimentellen Untersnchnngen des Verf. ergaben folgende Resultate: An- 
fanglich wird die Erregbarkeit der Himrinde (der motorischen Zone) durch Ein- 
athmnng von CO gesteigert, was sich darin aussert, dass die Curven der Muskel- 
contractionen bei gleicher Stromstarke ansteigen; in einem spateren Stadium der In¬ 
toxication sinkt die Erregbarkeit und schwindet zuletzt vollkommen, so dass sogar 
bei Application der starksten Inductionsstrome an die Hirnrinde keine Muskelcontrac¬ 
tion mehr erzielt wird. Die Erregbarkeit der Marksubstanz der Hemispharen ver- 
schwindet etwas spater als diejenige der Rinde. Die Reizbarkeit der peripheren 
Nerven wird durch CO-Vergiftung anscheinend nicht beeintrachtigt. Die Erregbarkeit 
des R&ckemnarks sinkt bei den vergifteten Thieren erst kurz vor dem Tode. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung findet man in Fallen acuter Vergiftung 
nur intensive Hyperamie des centralen Nervensystems und stellenweise Hamorrhagien. 
Dagegen nehmen die Veranderungen in chronischen Fallen einen entzfindlichen Charakter 
an: man findet Emigration weisser BlutkOrperchen, Yacuolisation und Zerfall der 
Nervenzellen, Schwellung des interstitiellen Bindegewebes und kOrnig-fettige Entartung 
einzelner Axencylinder. Die bezeichneten pathologisch-anatomischen Veranderungen 
sind im Rfickenmark und Gehirn die namlichen. P. Rosenbach. 


Pathologie des Nervensystems. 

2) Mittheilungen auf dem Gebiete der Nervenpathologie von Henoch. 

(CharityAnnalen. 1884, S. 591.) 

Aus der bemerkenswerthen Casuistik ist hervorzuheben ein Fall von ausgebrei- 
teter Meningitis mit eitriger Infiltration und Hamorrhagien der Rinde des linken 
Vorderhirns naeh Seharlaoh. Bis zum Eintritte der Convulsionen war der Uriii 
frei, alsdann trat starker Gehalt an Albumen und Cylindern und rasches Ansteigen 
der Temperatur ein. H. ist geneigt, die Veranderung des Gehirns, deren Symptoms 
leicht als einfach uramischer Natnr hatten gedeutet werden kfarnen, nicht von der 
Uramie, sondem von der Nephritis direct herzuleiten, so wie haufig Plenritis, Peri¬ 
tonitis, Pneumonie zu derselben hinzutritt. 

Bei einem S l / 2 ]&hr. Kinds trat nach heftigen Krfimpfen linksseitige Lahmung, 
hochgradige Demenz, Storung der Sprache, Unreinlichkeit, Unrnhe, Zerreissen ein. 
Der Tod erfolgte nach einigen Monaten an Diphtheritis. Yerbreitete ehronische 
Meningitis mit Adharenz, Hydrops der Ventrikel. H. macht auf die Analogic mit 
dem Befunde bei Paralytikern aufmerksam. (Ein Cysticercus im Hinterhanptslappen 
kann zur Erklarung der Lahmung nicht herangezogen werden.) 

In einem zweiten Falls hatte sich seit 3 Jahren BlOdsinn, Sprachlosigkeit, rechts- 
seitige Lahmung eingestellt. Tod durch eine intercurrente Pneumonie bei Scharlach. 
Die Section ergab Yerwachsungen der Gehimhalfte, hochgradige Verdiokungen 
der Pia, mit Adhasionen an vielen Stellen. Die Gehimsnbstanz namentlich links 
am Schlafenlappen atrophisch, z. Th. rSthlich grau sklerosirt. Starke Dilatation 
der Ventrikel mit erheblicher Verdickung des Ependyms. 

„Hysterisohe“ Affectionen sah H. bei einem 8jahrigen Madchen als Globus, 
Haliudnationen, Lebhaftigkeit und Unruhe, erotisches Benehmen. Er erwahnt ferner, 


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bei einem 12jahrigen Madchen nach Gerafithsbewegungen auftretende aufallsweise 
Verwirrtheitszustande mit religiOsen Delirien und Verkennung der Umgebung, welche 
spater Anfallen von Zuckungen des Gesichts und der Arme bei ganz erhaltenem Be- 
wusstsein Flatz machten. Ein anderes Madchen von 12 Jahren zeigte nach einem 
Schrecken ebenfalls anfallsweise psychische Storungen, heftiges Schreien und Toben 
mit Bewusstseinstrfibung, Lach- und Weinkrampfen. Aehnlicli bei einem Kinde nach 
Zuckungen der Arme bei erhaltenem Bewusstsein heftige Delirien und nach 10 Tagen 
inspiratorische Krampfe mit Parese der Unterextremitaten, die plotzlich schwand wie 
sie gekommen war. Als Wichtigstes hebt Henoch den Wechsel der Zustande hervor, 
das Sprungweise der Erscheinungen und fQgt als Gegensatz, als wahrscheinlich epi- 
leptischer Natur, eine Beobachtung von anfallsweiser, aber stets mehr gleichartiger 
Geistesstorung mit eigenthfimlichen Bewegungen des Arms und der Augenlider hinzu, 
bei welcher der Pat. dammerhaft sich herumbewegte oder in einer Art von Stupor 
verharrte. Moeli. 


3) Contribution a Delude de Paphasie par F. Balzer. (Gazette med. de Paris. 

1884. No. 9.) 

B. bringt zwei neue Beobachtungen von Aphasie, von denen allerdings nur die 
erste einigermaassen fur die Lehre von den Localisationen der Hirarinde verwerthbar 
ist, wiihrend man von der zweiten hOchstens sagen kann, dass sie der jetzigen Lehre 
nicht widerspricht. 

Fall I. Ein 62jahriger Mann hatte seit etwa 6 Jahren Schwindelanf&lle gehabt 
Im Marz 1882 trat plotzlich ein Anfall ein, in welchem der Kranke auf nichts 
reagirte, und wonach eine rechtsseitige Hemiparese zurQckblieb nebst Aphasie, sodass 
Pat. nur noch wenige Worte sprechen konnte. Wahrend nun in der folgenden Zeit 
die Hemiparese sich verlor, blieb die Aphasie bestehen; zugleich nahm die Intelligenz 
ab. Pat. konnte die Namen der Dinge, die man ihm zeigte, nicht nennen, und wenn 
er nach langerem Ueben das betreffende Wort wirklich einmal behalten hatte, so 
vergass er es doch fast sofort wieder. — Dabei Agraphie, ferner Glosso-Ataxie (bei 
intendirten Bewegungen), aber intacte Mastication und Deglutition. — Keine Facialis- 
Parese, keine Stdrungen der Sensibilitat; Sehnenphanomene vorlianden. — Allgemeine 
bestandige Unruhe, zunehmende melancholische Stimmung. — Korperlicher VerfalL 
— Tod am 2. Juli 1883. 

Section: Rechte Hirnhiilfte gesund. Links: Ein grosser grau-gelber Erweichungs- 
herd, der — mit Ausnahme der Spitze — fast den ganzen Gyrus temporal. I und 
den oberen Rand des Gyr. temp. II einnahm; nach hinten sich verbreiternd reicht© 
er bis zum Lob. occipitalis, und nach liinten — oben fiber den Gyr. angularis hinaus 
bis in den Lobus parietalis hinein. 

Ausserdem nur noch 2 ganz kleine punktformige gelbe Fleckchen am hinteren- 
oberen Ende des Gyr. front, inf., wohl ganz ohne Beziehung zu den Symptomen. 

Der betreffende Ast (Ram. IV) der Art. foss. Sylvii ist verkalkfc und vollstandig 
obliterirt. 

A us der grossen Ausdehnung des Herdes erklart Verf. den verwickelten Symp- 
tomencomplex: es habe hier offenbar unvollstandige Wortblindheit und Worttaubheit 
bestanden, motorische Aphasie und Agraphie, und neben Glosso-Ataxie ein betracht- 
licher Grad von allgemeiner Amnesie und Intelligenzdefect. — Wenn nun, trotzdem 
die Erscheinungen der motorischen Aphasie ausgesprochen waren, doch die untere 
linke Stirnwindung frei war (oder doch so gut wie frei), so erklare sich das dadurch, 
dass durch die Grosse des Schlafenlappenherdes eine Unterbrechung der betreffenden 
Leitungsfasorn bedingt war. 

Fall II. Ein 31jahriger tuberkuloser Drucker, bisher ohne Gehirnerscheinungen, 
beklagt sich am 25. Marz 1883 darfiber, dass er eine gewisse Schwierigkeit beim 


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Sprechen empfinde; er unterbricht sich 6ft.er, bleibt starr, vollendet nur mit An- 
strengung, was er sagen will. — Am 27. Marz wird plotzlich diese Schwierigkeit 
der Rede viol starker, Pat. bringt nur einige ruckweise kerausgestossene Worte hervor. 
Am 28. Marz eine rechtsseitige Hemiparese obne Facialis-Affection, ohne StOrungen 
der Sensibilitat etc. Pupillen von wechselndem Yerbalten. Grosse Indifferenz. 

Wahrend bis zu dem am 7. April erfolgten Tode die Starke der rechtsseitigen 
Lahmung eine wechselnde war, blieb der Kranke vollig stumm, verstand nichts, was 
man ibm sagte, aber ganz gut das, was man ihm durch Zeicben andeutete; er wusste 
aucb seinerseits ganz gut durch Zeichen seinen Wiinschen und Bedtirfnissen Ausdruck 
zu geben. 

Die Section ergab eine ziemlich circumscripte Meningitis tuberculosa auf der 
linken Hirnhemisphare, welche einnahm: 

1. den hinteren Theil des Gyr. front, inf. und die ganze Fossa Sylvii; 

2. den Sulcus Rolandi; 

3. den Sulcus temporal. I; 

4. den Sulcus calloso-marginalis. 

Die Himrinde war nur in ihren obersten Schichten afficirt. 

Als Analogon dieses Falles citirt B. noch einen in der „Italia medica“ 1883 
Nr. 10 beschriebenen. Hadlich. 


4) Zwei Fftlle choreatisoher Zwangsbewegungen mit auagesprochener 
Hereditftt von C. A. Ewald. (Ztschr. f. klin. Med. 1884. Bd. VII. Suppl.-H.) 

E. schildert zwei in alien Einzelbeiten des Symptomenbildes fibereinstimmende 
Falle, Frauen von 50, reap. 37 Jahren betreffend, die klinisch eine der Chorea am 
nachsten stehende Affection reprasentirten, besonders aber sich auszeichneten durch 
die Zeit der Entwickelung und ausgesprochene Hereditat. Das Wesentliche 
des Krankheitsbildes bildet eine continuirliche Muskelunruhe, bestandige Zuckungen 
in der Musculatur des Kopfes, Gesichts, der Extremit&ten, auch auf Zunge und 
Augenmuskeln iibergreifend, wahrend Rumpf und Abdomen frei blieb. Die Zuckungen 
hatten — abweichend von dem gewGhnlichen Verhalten bei Chorea — die Eigen- 
thumlichkeit, dass sie durch intendirte Bewegungen unterdriickt werden konnten. 
Sonst bestanden keinerlei Anomalien des Nervensystems. 

Aus der Anamnese ergab sich, dass bei der ersten 50jahr. Pat. das Leiden sich 
ohne nachwoisbare Ursache im 35. Jahre allmahlich entwickelt hatte; ferner dass 
die Mutter der Pat. von demselben Leiden in noch starkerem Grade ebenfalls seit 
der Mitte der dreissiger Jahre ihres Alters befallen war. Eine Schwester der Pat., 
52 Jahre alt, leidet seit dem 37 Jahre an derselben Affection. 

In der Familien-Krankheitsgeschichte der 2. Pat. figuriren die Grossmutter, die 
Mutter und deren 5 Bruder (sammtlich todt) als mit „Veitstanz“ behaftet. Eine 
50jahr. Schwester ist befallen, 2 noch lebende Geschwister frei. Bei alien erkrankten 
Personen entwickelte sich das Leiden im Anfang der dreissiger Jahre; bei der Pat. 
selbst im 30. Jahre. 

Es besteht also in beiden Fallen eine zweifellose Erblichkeit, wie sie auch 
in anderen — seltenen — Fallen oder Formen von Chorea (Huntington) beobachtet 
ist. In E.’s beiden Fallen war der Ursprung von mutterlicher Seite nachgewiesen. 

Es unterliegt nach Verf. keinem Zweifel, dass es sich in solchen Fallen um 
ein Leiden des Centralnervensystems, allerdings anatomisch durch aus undefinirbarer 
Natur, und nicht um eine Erkrankung der Muskeln oder peripheren Nerven handelt. 

Eisenlohr. 


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5) Sup un oas de mydlite ohronique diffuse aveo predominance des lesions 
dans les comes anterieures de la moelle par M. Babinsky. (Revue 
de m&L 1884. Mars p. 239.) 

Klinisch und anatomiscb ausreichend untersuchter Fall von diffuser chroniscber 
Myelitis bei einem 30jahr. Manne. Keine Syphilis. Beginn mit Rfickenschmerzen 
und einer sehr rasch eintretenden Lahmung beider Arme. Bald darauf starke Parese 
der Beine. Nach einigen Monaten so bedeutende Besserung aller Erscheinungen, 
dass Pat. wieder arbeitsfahig wird, obgleich eine merkliche Schwache nachbleibt. 
3 Jahre vollkommen stationarer Zustand. Dann von Neuem allmahliche Verschlimme- 
rung der Parese in den Armen mit starker Muskelatrophie. 2 Monate spater starke 
Parese der Beine ohne erhebliche Atrophie. Sensibilitat und Sphincteren normal. 
Keine Contracturen. „Normale Sehnenreflexe." Schliesslich unter den Erscheinungen 
einer Zwerchfellslahmung Tod. 

Im Rfickenmark ergab die mikroskopische Untersuchung ausgedehnten Zell- 
schwund in den Vorderhomem des Cervicalmarks. Doch auch die benachbarten 
Partien der weissen Substanz nicht ganz normal (vermehrte Neuroglia, Spinnen- 
zellen etc.). Im Brustmark und Lendenmark ist die Affection ebenfalls nachweisbar, 
aber geringer. Nur in den Clarke’schen Saulen findet sich eine starke Atrophie 
der Zellen (von einer secundaren Degeneration der Kleinhimseitenstrange ist auf- 
fallender Weise nichts erwahnt). An den vorderen Wurzeln des Cervicalmarks, so- 
wie an den Nerven und Muskeln der Arme wurden sehr ausgesprochene degenerative 
Yeranderungen gefunden. 

In der Epikriso bespricht B. die Eigenthfimlichkeiten des Falls und erwahnt 
die bis zu einem gewissen Grade vorhandene Aehnlichkeit desselben mit der acuten 
und chronischen Poliomyelitis. Strftmpell. 


6) Concussion of the spine in railway injuries by John S. Johnson. (The 
medico-legal Joum. 1884. March.) 

Energischer Angriff auf die Existenz der sog. „Railway spine", d. h. der durch 
Eisonbahnunfalle hervorgerufenen Rfickenmarkserschfitterung, und besonders scharf 
gegen Erichsen’s bekanntes Werk gerichtet. Vorf., selbst Eisenbahnarzt, scheint 
den gr5sseren Theil aller wegen erhobener Entsch&digungsansprfiche zur gerichtlichen 
Cognition kommenden Falle von Rfickenmarkserschfitterung ffir simulirt zu halten und 
weist besonders darauf hin, dass die Patienten nach erkampfter Geldentschadigung 
gewohnlich schnell gesund werden; sehr verdachtig mfisse es auch sein, wenn die 
beschwerlichen Symptome erst wochenlang nach dem betr. Unfalle empfunden werden 
und wenn objectiv nichts nachzuweisen ist, wenn man sich also lediglich auf die 
subjectiv gefarbten Angaben des Pat. verlassen muss. Ein ausfuhrlicheres Referat 
fiber den etwas popular gehaltenen Vortrag ist an dieser Stelle nicht erforderlich; 
doch glaubt Ref. darauf hinweisen zu dfirfen, dass Putnam in neuester Zeit zwar 
ebenfalls eine „Rfickenmarkserschfitterung" im gewobnlichen Sinne des Wortes als nicht 
existirend verwirft, daffir aber die auf sie bezogenen Symptome als Erscheinungen 
einer durch den erlittenen Schreck etc. entstandenen Hysterie auffiasst. VgL auch 
dieses Ctrlbl. 1884. S. 106. Sommer. 


7) Statistisches und Klinisohes fiber Alcoholismus von Moeli. (Charite- 
Annalen. 1884. S. 524.) 

Die statistischen Ausffibrungen M.’s (ausschliesslich Manner betreffend) ergeben, 
dass in einem etwa 4 Jahre umfassenden Beobachtungszeitraume die Zahl der in 
die Charite aufgenommenen Kxanken mit Delirium alcoholicum eine sehr erhebliche 


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Zun&hme erfahren bat, welche auch beim Vergleiche mit waiter zurfickliegenden Jabren 
besteben bleibt. Gegenfiber dieser Steigerung urn etwa 60% Jahr® 1883/84 
gegen das Jahr 1880/81 erfubr die Aufnahmezabl der Geisteskranken nur geringe 
Scbwankangen um etwa 12°/ 0 . 

Yon der Gesammtaufnahme auf die Irren-, Deliranten- und Krampfabtbeilung 
liess sicb bei fast 40% der Ursprung der Erkrankung im Alcobolismus annebmen. 
Die sebr grosse Mebrzabl betraf Falle, in denen Delirium tremens von verscbiedener 
Dauer und Intensitat oder Krampfe mit Oder obne Delirien ala ausscbliesslicbe Oder 
docb bei weitem wichtigste Erscheinung vorbanden war. Als Geisteskranke im 
engeren Sinne (abgeseben von der bei Saufern so haufig eintretenden massigeren 
Umwandlung des intellectuellen und Gemfithslebens) liessen sicb jedocb nur etwa der 
neunte Theil der Kranken, bei denen Alcobolmissbraucb als Ursacbe der Erkrankung 
angenommen werden musste, bezeicbnen. 

Was das Verhaltniss der alcobolistischen Geisteskranken zur Gesammtzabl der 
Geisteskranken betrifft, so fand M. unter sorgfaltiger Berficksichtigung der Momente, 
welcbe die normale Widerstandsfahigkeit gegen die Scbadlicbkeit des Alcohols zu 
andern im Stande sind, dass bei 12,5 % der geisteskranken Manner der Charite der 
Alcobolmissbraucb als Ursacbe der Geisteskrankbeit sicber festgestellt werden 
konnte. Das kliniscbe Bild der Psychose, die korperlichen Erscbeinungen und die 
einwurfsfreien Angaben fiber abnorm boben Alcobolmissbraucb waren maassgebend. 

Der babituelle Genuss von Alcohol in mittleren Mengen ist bei den Yolksklassen 
Berlins, aus welchen die aufgenommenen Kranken stammen, weit verbreitet, so dass 
der Frocentsatz der fiberhaupt regelmassig Alcobolmengen mittleren Grades Geniessen- 
den unter den Aufgenommenen ein melir als doppelt so holier ist. Da jedocb der 
Alcoholgenuss solcben Grades an sicb nicbt genfigend eracbtet werden kann, oine bei 
dem Individ uum ausbrechende Geistesstfirung atiologisch ausschliesslich zu begrfinden, 
so muss dahin gestellt bleiben, in wie weit bei dem Theile der an Spirituosen Ge- 
wohnten, welcber nicbt unter die zu 12,5 % der Aufnabme berecbneten „alcoholistischen 
Geisteskranken" fallt, der Alcoholgenuss etwa zur Erkrankung mit beigetragen bat. 

Unter den geisteskranken Mannern aus den weniger bemittelten Bevol- 
kerungsklassen Berlins tritt der Alcobolismus als atiologiscbes Moment nicbt mehr 
in den Vordergrund, als bei den Geisteskranken anderer Orte, ob aber das Delirium 
tremens in Berlin haufiger ist, als anderswo, lasst sicb nicht entscheidon. 

Epileptische Anfalle sab M. in 36—40% der Alcohol - Deliranten plus 
Alcohol-Krampfkranken. Bei den alcoholischen Geisteskranken ist die Epilepsie weit 
seltener, in etwa 10% vorhanden. Die Epilepsie trfibt die Frognose, unter don 
Gestorbenen ergab sicb ein Procentsatz von 58 ffir die an Krampfen Leidenden. Bei 
einem Theile der Sectionen konnten Befunde am Centralnervensystem Oder grobe Ver- 
anderungen innerer Organe nicbt festgestellt werden. 

Die bei Alcoholisten im Augenhintergrunde vorkommenden Yeranderungen: 
Abblassung des temporalen Papillenabscbnittes in 16%, Trfibung des Augenhinter- 
grundes in etwa 20% gefunden, sind bei den Epileptischen nur wenig haufiger als 
bei den einfachen Deliranten. Bei den Geisteskranken sind dieselben seltener. Aucb 
die Amblyopie kommt bei Krampf- und Nicbtkrampfkranken vor. Dagegen ist die 
von Thomsen hervorgehobene concentrische Gesicbtsfeldbescbrankung nur bei krampf- 
kranken Alcoholisten und bisber immer zugleicb mit Sensibilitfitsstfirungen beobacbtet 
worden. Gesichtsfeldeinengung und Hemianalgesie sab M. bei einem Nichtalcoholisten 
aucb nacb einem Strangulationsversuche obne vorausgehenden Krampfanfall 
auftreten. 

Im Anscblusse an einen frfiher von ibm beobachteten Fall von atropbischer 
Labmung der Unterscbenkelstrecker (cf. Jabrg. 1883 S. 332) theilt M. eine Beobacb- 
tung mit, in welcber ein scbwerer Potator nach fifteren Deliriumanfallen, sensiblen 
Beizerscheinungen in den Beinen und Amblyopie mit Abblassung der temporalen 


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328 


Papillenhalften von einer zunehmenden Lahmung, naraentlioh der Streckmusculatur 
am Oberschenkel mit Yolumsabnahme und EaR der Muskeln befallen wurde. 
Unter zunehmenden Schwacheerscheinungen starb der Kranke nach mehreren Monaten 
an doppelseitiger Pneumonia. Die Section ergab ausser hamorrhagischer Pachymeningitis 
Yeranderungen an der Musculatur der Beine, mikroskopisch waren in den Extensoren 
deutliche Degenerationsvorgange nachzuweisen. Wahrend das Rfickenmark nichts Ab- 
normes wahrnehmen liess, waren im Stamme des N. cruralis und einem Muskelaste 
desselben eine Anzahl von Nervenfasem degenerirt. Mit RUcksicht auf die im Leben 
beobachtete EaR ist die Erkrankung der Nerven als das Primare anzusehen. In 
diesem Falle von atrophischer Lahmung und sensiblen Stdrungen bei Alcoholismus 
war die nachweisbare Lasion also vollstandig auf das periphere Nervensystem 
beschrankt. Mogliclierweise sind auch die nur im Gebiete der Sensibilitat an den 
Unterextremitaten auftretenden Symptome bei Alcoholisten auf eine Erkrankung der 
peripheren Nerven zuruckzufuhren, die so haufige Affection eines Nerven, des Opticus, 
resp. der temporalen Fasern desselben, ist in dieser Beziehung erwahnenswerth. 

_ M. 


8) Em Fall von Vitiligo nervosen Ursprungs von Kisseljow. (Wratsch. 

1884. Nr. 23. Russisch.) 

Die Krankheit ausserte sich in weissen Flecken auf der Dorsalflache der Hande; 
an der rechten waren vier, an der linken drei. Die Flecken batten eine unregel- 
massige, annahernd ovale Gestalt, einige Centimeter Lange, dunkeipigmentirte Bander. 
Die Haut war selbst im Gebiet der Flecken vollkommen unverandert, ihre Sensibilitat 
erhalten. Auch war Patient im Allgemeinen durchaus gesund. 

Die Flecken entstanden vor zwei Jahren unter folgenden Umstanden: In einem 
Eisenbahnwaggon sah Patient einen Passagier, der an den namlichen Stellen des 
Handrhckens solche Flecken hatte, wie die oben bezeichneten. Dieser Anblick flosste 
dem Patienten zuerst Abscheu ein, und dann Furcht, dass er in dieser Weise er- 
kranken k5nne. Den ganzen Tag, und auch in der Nacht — im Traum verfolgte 
ihn der Gedanke an diese Flecken, die ihm fortwahrend lebhaft vor Augen standen. 
Als er am nachsten Morgen erwachte, entdeckte er zu seinem Entsetzen eben solche 
Flecken an seinen Handen, und seitdem bestehen sie unverandert fort. 

P. Rosenbach. 

9) Zwei F&lle von neuroparalytischer Hornhautentzundung von A. Nieden, 

Bochum. (Arch. f. Augenheilk. XIII.) 

Fall I. Stichverletzung der Gegend des linken Scheitellappens mit rechtsseitiger 
Extremitatenlahmung und sensorischer Aphasie; ausserdem linke Abducens-Lahmung: 
nur letztere blieb bestehen, die anderen Symptome schwanden. — Als etwa 9 Monate 
darauf die Schieloperation gemacht wurde, die ganz normal verlief, entstand vom 
6. Tage an eine schwere Keratitis von neuroparalytischem Charakter; und nun erst 
fand man bei genauer Untersuchung eine Unksseitige Trigeminus-Lahmung. Alle 
Mittel gegen die Keratitis liessen im Stich, bis N. Strychnin-Injectionen anwendete. 
(Strych. nitric. 0,002 taglich.) Schon nach der zweiten Injection Besserung, nach 
dem 12. Tage Entlassung des Pat. zu seiner Arbeit. Die Cornea und Conjunctiva, 
fruher vollkommen anasthetisch, zeigten sich bei der Entlassung des Pat fur grSbere 
Berflhrungen empfindlich. 

Dass in diesem Falle eine Trigeminus-Paralyse 9 Monate bestand ohne Kera¬ 
titis, und dass letztere erst nach der Schieloperation auftrat, erklart N. daraus, dass 
die Cornea bei der excessiven Einwartsstellung vor Insulten besser geschfitzt war, 
als nach der Geradeausstellung, und dass die nun erst einwirkenden Schadlichkeiten 
zur Entzundung ftihrten. Wenn allein eine Lahmung trophischer Nerven des ersten 


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329 


Astes des Trigeminus, der hier sicher vollkommen functionslos war, genfigen sollte 
zur Erklarung einer Keratitis neuroparalytica, so sei nicht einzusehen, weshalb hier 
die Keratitis nicht sofort nach der Yerletzung eingetreten sei. 

Fall II. Fractur der Schadelbasis durch linksseitige Gewalteinwirkung. Nach 
einigen Wochen Heilung der Verletzungen mit Zurfickbleiben einer linksseitigen Ab- 
ducens- und Facialis-Lahmung (und rechtsseitiger Taubheit); auch war Pat. traumerisch 
and weinerlich geworden. Etwa 2*/ 2 Monate nach der Yerletzung begann links eine 
neuroparalytische Keratitis. Jetzt constatirte man Anasthesie im Gebiete des 1. und 
2. Astes des Trigeminus. Auch hier schritt N. — 3 Wochen nach Beginn der 
Keratitis — zu Injectionen von Strychn. nitric. (0,001 taglich) und erzielte auch 
hier Heilung, obwohl in den ersten 8 Tagen das Geschwfir der Homhaut 3mal per- 
forirte, und nach dem 10. Tage ein Erysipelas faciei et capitis auftrat. Auch hier 
wurde in dem anasthetischen Bezirke der Gesichtshaut Buckkehr schwacher Empfin- 
dirng ffir grfibere tactile Beize bemerkt. 

N. weist auf die charakteristische Combination hin von Lahmung des Trigeminus 
und Abducens, resp. von Trigeminus, Abducens und Facialis, wie sie, ausser in den 
beiden obigen Fallen von Hirnverletzung, auch noch in 2 ganz analogen Fallen von 
Snellen und Haase vorliegt. Ihre anatomische Grundlage ist freilich nicht ganz klar. 

_ Hadlich. 


10) Studien iiber die bei halbseitigen Atrophien und Hypertrophien, 
namentlioh des Gesichtes, vorkommenden Ersoheinungen, mit be- 
sonderer Benieksichtigung der Pigmentation, von Lew in. (Charite- 
Annalen. 1884. S. 619.) 

Die Abhandlung wird mit einer Zusammenstellung der aus der Literatur be- 
kannt gewordenen Falle halbseitiger Gesichtsatrophie und Hypertrophic, so wie ein- 
seitiger KOrperhypertrophie unter Hinzuffigung eigener Beobachtungen eingeleitet. Die 
Gesichtsatrophie (41 M., 27 W.) ist ungefahr gleich haufig rechts wie links, ebenso 
die Hyporfropliie des Gesichts (5 M., 5 W.). Die einseitige Kfirperhypertrophie ist 
haufiger bei Mannem (15 M. gegen 4 W.) und haufiger auf der rechten Seite ge- 
funden. Von atiologischen Momenten kommt ffir die Atrophia facialis lateralis in 
erster Linie das Trauma in Betracht, wahrend bei der Hypertrophic einer Gesichts- 
oder K5rperhalfte, namentlich bei letzterer Affection ganz tiberwiegend eine congenitale 
Entstehung in den Vordergrund tritt. Die Ausffihrungen L.’s iiber die Pigmentation, 
welche mit einer Besprechung des Morbus Addisonii eingeleitet werden, sind noch 
nicht zum Abscliluss gelangt. Moeli. 


Psychiatrie. 

11) Delire aigu; Eruption de furonoles au vingtidme jour; Gudrison par 
Baillarger. (Annales mdd.-psycholg. 1884. I. p. 385.) 

Ein 20jahr. Madchen erkrankte an Delirium acutum, in dessen Verlauf ausser 
den bekannten Symptomen halbseitige choreatische (rechts) Bewegungen bemerkt 
wurden. 

Am 20. Tage des Leidens trat eine heftige Eruption von Furunkeln ein, nach- 
dem mit dem Erbrechen galliger Massen sich schon vorher eine leichte Besserung 
augebahnt hatte. Der Krankheitsfall verlief gunstig; Heilung nach einigen Monaten. 

Verf. fasst das Erbrechen bilioser Massen mit dem nachfolgenden Ausbruch von 
Furunkeln als Krise auf. — Schliesslich sei noch bemerkt, dass B. den vorliegenden 
Fall als ein Paradigma der „vesanischen“ Form des Delirium acutum bezeichnet, im 
Gegensatz zu der paralytischen Form, fiber welche in dem nachsten Heft der Annales 
ein Beispiel verfiffentlicht werden soli. Jehn. 


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330 


12) Salle irregolarit& dell* oriflzio pupillare negli alienati, Ricerche del 
dott. G. Musso. (Lo Sperimentale. 1883. Dec.) 

Yerf. macht darauf aufmerksam, dass die kleinere Circumferenz der Iris nicht 
allzu selten keine kreisfijrmige Contour zeigt, sondem elliptisch Oder auch ganz un- 
regelmassig begrenzt ist. Besonders bei Geisteskranken ist eine derartige Abnormitat 
haufiger zu beobacbten. So fand Yerf. bei 300 Irren nor 182mal = 63,3 °/ 0 vollig 
runde Pupillen, wahrend von 100 normalen Individuen 89 dieselben darboten. 
Elliptiscbe Pupillen wurden bei Gesunden gar nicht, bei Irren in 7,3 °/ 0 beobachtei 
Die ganz unregelmassig gestaltete Pupille ist oft nur auf einem Auge zu finden und 
man kann sie wahrscheinlich als Initialstadium einer erst spater sich ausbildenden 
Ungleichheit in der Weite beider Pupillen betrachten. 

Zu erwahnen dtirfte noch sein, dass epileptische Anfalle ofters durch das Un- 
regelmassigwerden der PupillarOffnung einige Stunden vor dem Ausbruch der Krampfe 
angezeigt werden. Sommer. 


13) Ueber die sogenannte photographisohe Gleiohheit aller Irreseinsanf&lle 
bei demselben Epileptiker von Franz Fischer. (Berl. klin. Wochenschr. 
1884. Nr. 4.) 

Verf. kommt auf Grund eigener Beobachtungen — ein Fall wird ausftihrlich 
geschildert — zu dem Schlusse, dass die photographische Gleicliheit der Irreseins- 
anfalle bei Epileptischen nur fflr die postepileptischen die Regel bilde. Sie habe 
ihr Analogon in Fallen von psychischer Aura, bei welchen jeder Anfall durch die¬ 
selben Vorstellungen eingeleitet wird (hier ffihrt er einen Fall an, der an Fried¬ 
reich’s „Erinnerungskrampfe“ erinnert), sowie in der Aehnlichkeit im Verlauf der 
einzelnen Krampfanfalle bei demselben Epileptiker. Tuczek. 


14) Ueber echte Sitophobie von A. Sperlingk. (Inaug.-Dissert. Dorpat 1883.) 

Die bei Geisteskranken so haufige Abstinenz, bei der eine Furcht vofr der Ein- 
fuhrung der Speisen, wie bei der Hydrophobie vor der Wasseraufnahme gar nicht 
vorhanden ist, will S. nicht als Sitophobie bezeichnen entgogen der Gewohnheit vieler 
Psychiater. Er bespricht alsdann einen Fall von Dementia, bei dem schreckhafte 
Nahrungsverweigerung als Aeusserung allgemeiner Schreckhaftigkeit aufzufassen war 
und 2 weitere Falle, wo Nahrungsverweigerung abhangig war von einer Neigung zu 
spasmodischen Contractionen des Oesophagus, die bei Einfdhrung der Schlundsonde, 
wie beim Schlingen von Speisen hervorgerufen warden. Filr derartige Erscheinungen 
glaubt Verf. den Wortbegriff „Sitophobie“ mit einigem Recht geltend machen zu 
konnen. Als echte und wahre Sitophobie sieht er aber einen Symptomencomplex an, 
wobei „nicht instinctive Abneigung gegen Speisen, nicht Absicht sich zu casteien, 
nicht Furcht vor Gift, nicht Ekel vor Unsauberkeit — sondem ein bei dem Be- 
wusstwerden des Bevorstehens des Deglutitionsactes sich einstellender Krampf im 
Schlingapparate selbst die klinische Elementarerscheinung ausmacht, auf welche Alles 
ankommt." Diese der Hydrophobie analoge Erkrankung hat Verf. in einem Falle 
beobachtet. Die Krankengeschichte zeigt, dass mit dem Ausbruch der Psychose 
Oesophagismus spasticus auftrat und seine hochste Intensitat zur Zeit des HOhe- 
stadiums der Geisteskrankheit hatte. Mit der Besserung der Geisteskrankheit trat 
auch ein Nachlassen des Krampfes ein und das Verschwinden und Wiederauftreten 
der Psychose ging mit Verschwinden und Wioderkehr des Krampfes einher. Der 
Zusammenhang der Grosshimerkrankung mit dem Oesophagismus ist also in diesem 
Falle evident; die Annahme einer Abhangigkeit der Oesophagusmusculatur von den 
Centralorganen ist wohl im Hinblick auf die Untersuchungen von Goltz physiologisch 
ohne weiteres berechtigt. _ Rosenheim. 


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831 


15) H delirio uremico maniaco nolle affesrioni renali del Fetrone. (Rivista 
sperimentale di freniatria. 1883. 1Y.) 

Im Anschluss an die Mittheilung der gesammten Literatur fiber das uramische 
Delirium vermittelst skizzirter Krankengeschichten wird ein neuer Fall verOffentlicht, 
in welchem der Grad albuminOser Ausscheidang der erkrankten Nieren mit dem Grade 
der psychischen Krankheits&usserangen des Delirium nicht harmonirte, wie dies in 
anderen Fallen bemerkt worden ist. 

Den Grand der Bright’schen Encephalopathie sucht Petr one allerdings in 
uramischer Intoxication, erklart aber, dass fiber die specifisch wirksamen Bestandtheile 
des Urins ffir jetzt nur Yermuthungen geaussert werden kSnnten. Jehn. 


Therapie. 

16) Ein Beitrag zur Therapie der Diabetes insipidus von Lunin. (Jahrbuch 

f. Kinderheilk. Bd. 21. H. 4.) 

Ein lljahr. Mfidchen, aus gesunder Familie, zeigte, ohne vorausgegangene Krank- 
heit oder Verletzung, seit dem 2. Lebensjahre eine erhebliche Steigerang der Harn- 
menge und des Durstes. Beim Eintritt in das Petersburger Kinderhospital ist das 
Kind kraftig entwickelt; Temperatur subnormal; es trinkt taglich 9—10 Liter Wasser; 
Harnmenge 7—8 Liter pro Tag. Der Harn kaum gelblich gef&rbt, frei von Zucker 
und Eiweiss, specifisches Gewicht 1001. — Unter dem mehrwftchentlichen Gebrauch 
von Natr. salicyl. (3—4mal taglich 0,5 gr) fiel die Harnmenge auf 5000,0, blieb aber 
hier stabil. Darauf wurde Infus. sad. Valerian. 5,0:100 pro die verordnet und nach 
dreiwGchentlichem Gebrauche betrag die Harnmenge noch 2500,0 gr. — Nun kam ein 
Infus. Secale comut. 2,0:100 pro die zur Anwendung, und die Harnmenge sank 
allmahlich auf 1100,0—1200,0 gr. Der Harn wurde dunkler, das spec. Gewicht 
stieg auf 1010. Das Kind trank taglich noch ca. 1 / 2 Liter Wasser und das K5rper- 
gewicht und Temperatur hatten die normale H5he erreicht. 

_ M. Cohn, Hamburg. 

17) Paraldehydals Schlafmittel von Dr. E. Renz. (Ctrlbl. f. klin. Med. 1884. Nr. 18.) 

Verf. verabreichte 3—4 gr, meist in wassriger LOsung in einer Dosis; pro 
refracta dosi schien die Wirkung weniger sicher zu sein. Die 24 mitgetheilten 
Falle sind den verschiedensten Krankheitsgebieten entnommen; mangelhaft oder 
negativ war die Wirkung des Paraldehyde nur 4mal. Fast immer trat der Schlaf 
innerhalb einer halben Stunde ein und dauerte 5—7 Stunden an, ohne eine Steigerang 
des Traumleben8. Bei negativer oder mangelhafter hypnotischer Wirkung trat Be- 
ruhigung ein, was im Gegensatz zu anderen Hypnoticis Hervorhebung verdient. 
Unangenehme Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Verf. rechnet daher den 
Paraldehyd zu den besten Schlafmittekr, wenn es sich darum handelt, Schlaflosigkeit 
zu bekampfen. die nicht durch Schmerzen oder mechanische StOrangen, wie Husten, 
Athemnoth, hervorgerafen wird. Die Hauptindication ffir den Paraldehyd ist also 
dieselbe, wie sie bisher ffir das Chloralhydrat bestand. M. Cohn, Hamburg. 


Forensische Psychiatrie. 

18) Medico-legal relations of epilepsy by J. G. Kiernan. (The Alienist and 
Neurologist 1884. V. p. 12.) 

Nach einem langeren Referat fiber die neuere Literatur der forensen Beurtheilung 
epileptischer Verbrecher, theilt Verf. die Einzelheiten eines Mordes mit, den ein 


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332 


Strafling an einem Zellengenossen, mit dem er bis dahin in Frieden gelebt batte, 
verfibt bat. Zu dem Morde — innerbalb eines Gefangnisses and vor vielen Zeugen 
— lag kein anderes Motiv vor, als dass der Thater spater die summariscbe Er- 
innerung hatte, sein Opfer habe ibn unmittelbar vor dem Morde bescbimpft. Gleich 
nacb der That stand er extrem bleicb und tief benommen rnbig da, um dann nach 
etwa einer Minute in heftige Tobsucbt und Agitation, und spater in tiefen Stupor 
zu verfallen. Bei der genaueren Exploration ergab sicb nun, dass der Morder friiher 
haufige Krampfanfalle erlitten hatte, dass er, obschon aus achtbarer Familie, Gewohn- 
heitsverbrecher und Potator maximus geworden war, und dass er bei einem Flucht- 
versucbe eine schwere Kopferschiltterung durcb einen Sturz aus einer Hobe von circa 
30 Fuss davongetragen batte. Ausserdem deuteten eine permanent sebr niedrige 
Hauttemperatur (34—35° C.) und zablreiche Analgesien auf eine nocb jetzt bestebende 
Stfirung des Centralnervensystems. Trotzdem wurde die Annahme mehrerer Sach- 
verstandigen, er habe den Mord auf Grund einer initialen GehOrshallucination im 
epileptischen Aequivalent begangen, vom Gericbtsbof nicbt acceptirt und der Unglflck- 
licbe gehangt. Die Section ergab u. A. zablreiche Windungsanomalien, von denen 
besonders eine Communication der Fissura calcarina mit der Fiss. hippocampi zu 
erwahnen ist. 

Beilaufig tbeilt Yerf. nocb einen anderen Fall von prodromalen Hallucinationen 
bei einem Epileptiker mit. Der Pat, friiher nur leicbten ohnmachtsartigen Anfallen 
unterworfen, erlitt als 19jahr. Soldat den ersten scbweren Krampfanfall in Folge von 
Insolation. Er sab plotzlicb ein schunes Weib in lasciven Stellungen vor sicb, es 
erfolgte eine Ejaculation und unmittelbar darauf der Krampfanfall. Jahrelang waren 
diese Prodromalballucinationen constant vor jeder Attacke; als aber einige Zeit Brom- 
kali genommen worden war, zeigte sicb nun regelmassig eine Teufelsgestalt, die mit 
einem Dreizack die Stim des Pat. in dem Augenblick berQhrte, in dem die Bewusst- 
losigkeit ausbrach. 

(Ref. bat einen Fall veroffentlicht, in dem den Krampfen die Gesichtsballucination 
einer bestimmten Landscbaft mit einem Hugel und einer Windmtible vorausging. 
Sobald die Mbhlenfliigel sicb zu drehen anfingen, brack der Anfall aus. VgL Arcbiv 
f. Psych. XI. S. 590.) Sommer. 


HE. Aus den Gesellschaften. 

Aus dem Congress ftlr innere Medicin in Berlin. 

(Schluss.) 

Ueber die Loealisationeii der Funotionen des Grosshims. 

Goltz, Strassburg: Das Dunkel, das lange fiber der Physiologic des Grosshirns 
lag, schien plfitzlich erhellt zu werden, als Fritscb und Hitzig durch elektrische 
Roizung einzelner Abscbnitte der Grossbirnrinde Zuckungen in bestimmten Muskeln 
der entgegengesetzten Korperhalfte erbielten. Waren dies die Centren der Bewegung, 
so musste Exstirpation dieser Tbeile Lahmung der betreffenden Muskeln ergeben, wie 
Ferrier dies behauptet. Fritscb und Hitzig dagegen fanden, dass die Thiere 
nicbt gelahmt wurden, sondern nur das Interesse an der Lagerung der Gliedmsassen 
verlieren, Tast- und Schmerzempfindung seien nicbt verandert. Scbiff fand, dass 
die Tastempfindung leidet, nicbt aber die Schmerzempfindung und die Bewegungs- 
fahigkeit. Nacb Munk gebe sowohl Schmerz- wie Tastempfindung verloren, das 
betreffende Glied sei empfindungslos, desbalb aucb gelahmt. 

Den Widerspruch in diesen Angaben muss G. nocb um einen vermebren, was 
die iibrigen Autoren gefunden, sind Bruchstficke der Wahrbeit: nicbt Lahmung tritt 


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333 


ein, sondem es werden zu gewissen Handlungen gewisse Mnskeln nicht gebraucht, 
nicht Empfindungslosigkeit fcritt ein, sondem nur eine Stumpfheit der Empfindung. 

Gegen seine Untersnchungen ist eingewendet worden, er babe die Centren niebt 
vollstandig entfernt, sondem er sei durcb gewisse zur&ckgebliebene Rest© getauscbt 
worden. Um diesen Einwand zu begegnen, sei er jetzt 10 nun tief gegangen und 
babe ganze Lappen mit Einscbluss der Basis exstirpirt, so dass von zuruckgebliebenen 
Resten keine Rede sein kSnne. Nichtsdestoweniger ist ein so operirter Hand weder 
gelabmt, noch empfindungslos. Der Hand bewegt sicb in alien Gangarten, nimmt 
freiwillig Nahrung zu sicb, kurz fdbrt willkurliche Bewegungen aus, bei denen der 
Einwand, sie seien Reflexbewegungen, keineswegs zulassig ist. Eben so wenig ist 
derselbe empfindungslos, nur kommt es darauf an, dass seine Aufmerksamkeit, wie 
dies z. B. beim Fressen der Fall ist, gesteigert wird. Stdrt man einen Hund beim 
Fressen, indem man ibn leise von binten an der Pfote berflbrt, so reagirt er darauf 
in deutlicbster Weise. Angenommen, dass Munk’s Beobachtung richtig ist, dass die 
Empfindung verloren geben kann, beweist diese Beobacbtung, dass die Empfindung 
nicht verloren geben muss. Denn bat aucb nur ein richtig (!) operirtes Thier seine 
Empfindung bebalten, so mfissen nocb andere Stellen der Rinde — und diese sind 
ja ffir andere Localisationen reservirt — die Empfindung vermitteln, somit ware also 
der Grundgedanke der Localisationstheorie unricbtig. 

Den fibrigen Forschera sind vielmebr eine Reibe von Beobachtungen entgangen. 
Die operirten Thiere sind erstens ungescbickt zu gewissen Handlungen. Ein nor- 
maler Hund bait einen ihm vorgeworfenen Knocben mit den Beinen fest und nagt 
ibn ab, ein operirter Hund dagegen versucht ihn zwar festzuhalten, bebt ihn mit 
dem Maule auf, sucbt ibn wieder zu erfassen etc. Dem Hunde feblt die feine Inner- 
virung, die Combination gewisser Muskeln, er bat eine Einbusse an Handlungen, 
nicht an Muskeln erlitten. G. glaubt hierin ein entfemtes Analogon mit der Apbasie 
beim Menschen zu sehen. Einen Streifen Fleiscb, der ihm vorgebalten wird, erfasst 
er nicht mit dem Maule direct, sondem er macht zuerst eine Reibe unzweckmassiger 
Bewegungen, ebe er ihn zu ergreifen im Stande ist. 

Das zweite Merkmal, das G. gefunden bat, ist eine Steigerung gewisser Reflexe. 
Ein solches Tbier am Rficken in der Gegend der Schwanzwurzel gekratzt, streckt die 
Zunge heraus und macht knuspemde Bewegungen, wie man sie haufig bei jungen 
Hunden findet. Streicht man ibn den Kopf, so legt er denselben in die Hand, ja 
er thut dies oft so stfirmisch, dass er Rollbewegungen um die Langsaxe macht. 
Endlicb straubt er bei Berfihrung der Nackenbaare diese so, als ware er mit Wasser 
begossen. All dies findet man bei jungen Hunden, wahrend altere die Unzweck- 
massigkeit dieser Bewegungen einsehen gelerat haben. 

Endlich zeigt sicb bei Tbieren mit grosser tiefer ZerstSrung des Yorderbims 
merkwfirdige Charakterveranderung. Dass dies nicht auf blosser Hyperasthesie berabt, 
gebt daraus hervor, dass sie selbst auf entfernt stebende Thiere zustiirzen und diese 
beissen. Femer laufen sie aufgeregt und unmbig im Zimmer umher. 

Die Thiere hingegen, bei denen auf beiden Seiten Hinterbauptslappen exstirpirt 
sind, werden, selbst wenn sie vorher ungemein bOsartig waren, barmlos und gut- 
mfithig und selbst bei Angriffen nicht leidenschaftlich. Sie zeigen ausserdem eine 
gewisse Sinnenstumpfheit, d. b. sie werden nicht taub, blind, verlieren nicht ganz 
Geruch und Gescbmack, sondem zeigen eine allgemeine Wabmehmungsscbwacbe. 

In diesen Tbatsachen glaubt G. die ersten Grundlagen zu einer Localisation der 
Functionen der Himlappen zu seben. Yom exstirpirt zeigen die Thiere Aufgeregtheit, 
Ueberempfindlicbkeit, Handlungsunfahigkeit, gesteigerte Reflexerregbarkeit, nirgends 
sind sie gelabmt, nirgends empfindungslos, binten exstirpirt sind sie nicht aufgeregt, 
sondern gutmfithig, bedachtig, ausserdem aber wabraehmungsscbwacb. 

G. verwahrt sicb davor, dass er damit eine Fortffibrung der Gall’schen Theorie 
beabsichtige. Aucb wamt er vor einer voreiligen Beziebung dieser experimentellen 


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334 


Befunde auf die menschlicbe Pathologic, wenn auch die Literatar (Ferrier, Noth- 
nagel) einzelne seinen Beobachtungen analoge Falle aufweise. 

An dem demonstrirten Hnnde ist der Gyrus sigmoideus bis auf das Niveau des 
Corpus callosum auf der einen Seite am 10. Oct. 1883, auf der auderen am 28. Nov. 
1883 exstirpirt worden. Der Hund, dessen genaue Beobacbtung in der zablreicben 
Versammlung natfirlich unmdglich war, zeigte auffallige Ataxie, keine voile L&hmnng 
der Extremitaten. 

Im Anschluss hieran bringt Gunther, Berlin, klinische Beitrage zur Localisation 
der Functionen des Grosshims, gestdtzt auf 35 Falle von Gehirnl&sion, in denen 
ausser dem klinischen Yerlauf auch der Sectionsbefund zu verwerthen war. Yon den 
39 Fallen, die die motorische Region betrafen, gvngen 25 ohne Lahmung, 14 mit 
Lahmung einher, 14 trafen die nicht motorische Region. Durch genaue Localisation 
sucht G. festzustellen, ob es sich bei den begleitenden Erscheinungen urn Folgen der 
Herderkrankungen handelte, oder urn Fernwirkungen. 

Rosenthal, Erlangen: Was die Pathologie schon lange gefunden, das bemfthe 
sich in diesem Falle die Physiologie experimentell festzustellen. Allein ebenso wie 
dort sei es auch in dem Experiment scbwer, festzustellen, was Primer-, was Secundar- 
wirkung ware und das w&re eine der Schwierigkeiten, die zu so manrtigfachen Differenzen 
zwischen den einzelnen Forschern ffthrten. Auch in dem demonstrirten Hund kftnne 
es eine Sensibilitatsstbrung sein, die dessen atactische Erscheinungen bewirke. Femer 
kamen bei diesen Experimenten sensorielie und psychische Stdrungen in Betracht und 
endhch mflsse man annehmen, dass die Zellen der einzelnen Rindenfelder nicht in 
einem cireumscripten Bezirk sich finden, sondern vielfach in einander greifen. 

Nothnagel, Wien, sieht die Ursache der Differenzen zwischen klinischer Be- 
obachtung und Experiment in der abweichenden Organisation der Hirnrinde des Men- 
schen und des Thieres, wahrend hier grosse Eingriffe keine Effects hervorrufe, ist 
beim Menschen eine geringe H&morrhagie im Stande, vollkommene Lahmung hervor- 
znrufen. Die Innervationsverhaitnisse des Thieres schoinen ehor mit denen der unteren 
Extremitaten des Menschen Aehnlichkeit zu haben; denn wahrend die Arme Mutig 
noch lange Zeit gebrauchsunf&hig bleiben, smd die Beine bei leichteren Pamplegien 
entweder ganz verschont oder doch nur fftr ktlrzere Zeit und in geringerem Maasse 
gelahmt. 

Goltz, Strassbnrg, bemerkt auf eine Anfrage, dass der auf einer Seite operirte 
Hund die vorher besessene Ffthigkeit, die Pfote zu geben, wiedererlange, nicht aber, 
wenn die symmetrische Seite exstirpirt sei. 

Am folgenden Tage wird das Gehim des Hundes demonstrirt; Goltz bemerkt, 
dass der Sulcus cruciatus und dessen unmittelbare Umgebung vollstandig entfemt 
wurde. Wftrde auch in diesem Falle eingewendet, dass hier Rests stehen geblieben 
wiren, so sei dieser Einwand nichtig, da der grdsste Theil auf beiden Seiten zerstdrt 
sei; im Sinne der LocalisationBtheorie musste aus dieser Yerletzung eine totals Lah¬ 
mung einzelner Muskeln, nicht eine allgemeine Unbeholfenheit sammtlicher Mnskeln 
resultiren. 1 

TXeber das Knieph&nomen. 

Schreiber, K5nigsberg: Wahrend Erb das Kniephanomen als Reflexphanomeo 
betracktet, sieht Westphal dasselbe als directes Muskelphanomen an. Durch ver- 


1 Deber das betreffende Hundegehirn hat naclitr&glich eine Polemik zwischen Fritsch 
und Goltz (cf. Klin. Woch. 1884. 19 u. 20) und eine Discussion in dem Verein fur innere 
Medici® (cf. D. medv Woch. 1884. 5. Juni) stattgefundenw Als Gesammtergebniss beider ist zu 
constatiren, dass in dem Gehirn nicht, wie Goltz behauptet, der Sulcus cruciatus und desses 
unmittelbare Umgebung vollstandig oder auch nur nahezu vollstandig entfernt seien. Mit 
dieser Thatsache fallen alle Schlussfolgerungen Goltz's gegen die BegrOndung der Loc&li- 
eationstheorien. • 


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335 


schieden angeordnete Versuche am Thier (Ersatz der Patella durch eine Gummi- 
membran, Percussion eines die Sehne vertretenden Fadens etc.) und an Tabikern 
(graphiscbe Aufzeichnung der Percussionscurven) ist S. zu der Ueberzengung ge- 
kommen, dass das Kniephanomen an die Existenz der Sebne geknbpft sei, dass zwar 
eine physikalisch Erschutterungswelle Westphal’s vorhanden, das Kniephanomen 
aber als ein Reflexph&nomen, nicbt als directes Muskelphanomen anzusprechen sei. 

Sandmann. 


Socidtd mddic. des bOpitaux de Paris. Sitzung vom 11. April 1884. 

Debove stellt als Beispiel der Hysterie beim Manne einen Kranken vor, 
der, frflher immer gesund, im Jahre 1881 nach vorangegangenem Kopfschmerz pldtz- 
licb unter Bewusstseinsverlust eine linksseitige Hemiplegic bekam, ohne Anasthesie. 
Antisyphilitische Behandlnng. Nach 6 Monaten vollstandige Heilung. — Spater ein 
zweiter Anfall mit Hemianastbesie und Contractor derselben Seite. Jetzt ist die 
Hemiplegic verscbwunden, die Hemianastbesie persistirt und mit ibr der Verlust der 
Corneal-, Nasal-, Palpebral-Beflexe etc. Ausserdem bestebt sog. Ovarialscbmerz, den 
D. vorscblagt, lieber Iliacalscbmerz zu nennen. — Die vollstandige Heilung nacb 
dem ersten Anfall und das plOtzlicbe Auftreten und Wiederverscbwinden (nacb 6 Wochen) 
einer Contractor bestimmen D. zur Annabme der Hysterie. 

Joffroy hat aucb einen Hystericus mit Ovarie beobachtet. J. bait docb das 
Ovarium fdr betheiligt bei dem sog. Ovarialscbmerz, weil dieser bei Schwangerschaft 
mit dem Ovarium seinen Ort verandert. Docb kfinnen es mebr die betreffenden 
Nervenplexus sein, die sich mutatis mutandis ja aucb beim Manne finden. 

Den Einwand der Simulation, den Lacombe macht, weist D. zurflck, gestbtzt 
auf das Feblen der Reflexe. 

Du Castel erw&hnt, dass kbrzlich in Berlin mehrere Falle von Hysterie beim 
Manne mit Ovarial- resp. Hiacalschmerz verCffentlicht seien (vom Herausgeber dieser 
Zeitschrift). 

Sitzung vom 25. April 1884. 

Du Castel berichtet fiber einen Fall von Simulation erhohter Temper&tur 
seitens Hysterischer. Ein wegen Angina in’s Hospital aufgenommenes junges 
Madchen bekam, nacbdem die Angina beseitigt, allerlei bysterische Symptome, inter- 
mittirende Anfalle von Delirium, Coma, Paraplegie, Apbasie, vollstandige Stumpfheit etc. 
Als sie dabei eines Tages 39 0 und 39,5 0 Temperatur zeigte, glaubte man ein Local- 
leiden fiberseben zu haben. Als aber an den nachsten Tagen die Temperatur auf 
43° und selbst 48° stieg, war der Betrug offenbar und es gelang endlich, nach- 
zuweisen, dass die Pat. durcb fortgesetztes Klopfen auf das freie Ende des Thermo¬ 
meters das obere Stfickcben der Quecksilbersaule in die H5he trieb. 

Hadlicb. 


Manchester medical society. Sitzung vom 16. April 1884. (Brit. med. Joum. 

1884. Mai 10. p. 906.) 

Dr. Ross besprach u. A. die Krankengeschichte eines 15jahr. Knaben, der neben 
einer beiderseitigen Neuritis optica bauptsacblich eine Neigung nach links bberzufallen, 
Taubbeit auf dem linken Ohr, tbeilweise AnSsthesie der linken Gesichtsh&lfte und 
Labmung des linken Abducens und Facialis aufgewiesen hatte. Die Section ergab 
die Ricbtigkeit der im Leben gestellten Diagnose auf einen Tumor in der linken 
Ponsbalfte und im linken Crus cerebeili ad pontem; nur zeigte sicb statt des er- 
warteten Tuberkelberdes ein Gliom an der betreffenden Stelle. 

Sebr scbwierig war die Diagnose in einem ebenfalls von Ross besprocbenen 
Falle bei einer 25j&hr. Frau. Es bestand Paralyse der linken Hand und des linken 


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330 


Oculomotorius, anscheinend also eine nicht gekreuzte L&hmung in Folge einer Herd- 
erkrankung in der linken Hirnhalfte; ausserdem war aber der linke Unterschenkel 
nnmittelbar unter dem Knie ampntirt nnd recbts waren Ellbogen- und Kniegelenk 
seit Jahren ankylotisch, sodass die Untersnchnng fiber die FunctionsfAhigkeit der 
einzelnen Extremitaten sebr difficil war. Da sicb indess bei genauerer Beobachtung 
ergab, dass neben der Lahmung der Hand and Fingermusculatur, besonders auf der 
Beugeseite, nocb eine Atropbie mit Entartungsreaction, and Anastbesie der ent- 
sprecbenden Hautpartien bestand, warde eine Neubildung diagnosticirt, darch welche 
die vorderen and hinteren Warzeln des linken Cervicalnerven VH und Yin, sowie 
des Dorsalis I, hindurcb gingen, und ausserdem noch ein Tumor an der Austritts- 
stelle des 1. Oculomotorius, urn die Augenmuskellabmung zu erklaren. Wie die 
Section ergab, waren diese Annabmen ricbtig. Sommer. 


IV. Bibliographic 

Lehrbuch der Gtewebelehre mit vorzugsweiser Beriicksichtignng des 
menschlichen Korpers bearbeitet von Prof. Dr. C. Toldt. 1884. 2. Aufl. 

Die nacbfolgenden Zeilen bezwecken nicht eine Anzeige des ganzen in der Auf- 
schrift genannten Bucbes, dessen Inhalt ja zum grossen Theile den speciellen Inter- 
essenten dieses Blattes etwas ferner liegt, sondem sind vielmebr bestimmt, die Auf- 
merksamkeit der Faclikreise auf den sie speciell interessirenden Abscbnitt, vom 
Gehirn und Rfickenmark, zu lenken, der, weil nur im Text© als selbststandige 
Bearbeitung kenntlich gemacht, Mancbem entgehen konnte. 

Derselbe ist in der vor Kurzem erscliienenen Neuauflage von Kahler vollstandig 
neu bearbeitet und umfasst jetzt 133 Seiten des ganzen Bucbes. Aus naheliegenden 
Grfinden muss es sicb der Kef. versagen, der Arbeit Kabler’s eine ihrem vollen 
Wert he gerecbt werdende Wiirdigung zu Theil werden zu lassen; die Thatsache, dass 
sicb in der Arbeit, was bisher in dieser Vollstandigkeit besonders fur das Gehirn 
nocb nicht gescheben, das Gesammtresultat aller auf die Anatomie des Centralnerven- 
systems angewandten Methoden zu einem Ganzen verarbeitet findet, die Form der 
DarsteUung lassen den Ref. nicht zweifeln, dass die Arbeit bald den ibr gebfihrenden 
Platz in der Werthschatzung der Facbkreise finden wird. 

Am Schlusse seiner kurzen „Nachricht“, der nocb angeffigt sei, dass der Arbeit 
zahlreiche, zum grflssten Theile nach eigenen Praparaten angefertigte Zeichnungen 
beigegeben sind, mbcbte Ref. dem Yerleger, mit Rficksicbt auf den Umstand, dass 
die GrSsse der Interessenten an dem ganzen Bucbe und an dem von Kahler be- 
arbeiteten Abscbnitte durchaus nicht identisch sind, den Wunsch aussprechen, einen 
Separat-Abdruck des genannten Abscbnittes veranstaltet zu sehen, der auch vom rein 
geschaftlichen Standpunkte aus sicb als vollauf gerechtfertigt erweisen dfirfte. 

_ A. Pick. 


V. Personalien. 

Dr. Grashey, Director der niederbayrischen Kreisirrenanstalt, wurde zum 
ordentlicben Professor der Psychiatric und Director der psychiatrischen Klinik zu 
Wfirzburg eraannt 

Unser Mitarbeiter, der ausserordentlicbe Professor und Director der psychiatrischen 
Klinik in Leipzig, Paul Flecbsig, wurde zum ordentlicben Professor ernannt 
Zum Director der Irrenanstalt Leubus i. Schl. wurde Dr. Alter, Brieg, gewahlt 
Am 26. Juni d. J. starb im Alter von 81 Jahren ein hervorragender Psychiater 
Frankreichs: Moreau de Tours. Ausser einer grossen Reibe psycbiatriscber Ar- 
beiten, die sich meist in den Annal. mdd. - psycbol. finden, ist besonders seine 
Psychologie pathologique bekannt. Moreau war Arzt an der SalpStri&re. 

Yerlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wittio in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologic, Pathologic 
und Xherapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Dritter 


Herausgegeben yon 

Dr. E. Mendel, 

Privatdooent an der Unirersit&t Berlin. 


Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchbandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1884. 1. August 15. 


In halt I. Originalmittheilungen. 1. Ueber die gelegentliche Betheiligung der Gesichts- 
musculatur bei der juvenilen Form der progressiven Muskelatrophie yon E. Remak. 2. Zur 
Kenntniss des Faserverlaufs im Corpus striatum von Ludwig Edlnger. 

IL Referate. Experimentelie Physiologic. 1. Zur Kenntniss der Functionen des 
Grosshirus beim Kaninchen yon Christian! und Munk. 2. Warmeregulation in der Narcose 
und im Schlaf yon Rumpf. 3. Verlangsamung der Leitung von Sohmerzempfindung bei An- 
wendung von thermischen Reizen von 0. Rosenbach. 4. Die Entstehung unserer Kaumvor- 
stellungen von Bechterew. — Pathologische Anatomie. 5. Veranderungen in den nervosen 
Apparaten der Darmwand bei pernicidser Anamie und bei allgemeiner Atrophie von Sasaki. 
6. Zur histologischen Pathologic der Dementia paralytica von Binswanger. — Pathologic 
des Nervensystems. 7. Contribution a l’dtude des localisations cerdbrales par Raymond 
et Artaud. 8. Zur Localisation der Hemichorea von Qreiff. 9. Chorea posthemiplegia af 
v. Kaurln. 10. Hdmichoree sans hemiandsthdsie etc. par Morin. 11. Scldrose en plaque et 
Maladies infectieuses par Marie. 12. Zur Symptomatology der Tabes dorsalis von Berger. 
13. Die epileptogene Zone beim Menschen von v. Landesen. — Psychiatric. 14. Visceral 
and other syphilitic lesions in insane persons without cerebral syphilitic lesions by Mickle. 
15. Perte de la vision mentale dans la mdlancholie anxieuse par Cotard. 16. Ueber eigen- 
thftmliche Anfaile perverser Sexualerregung von Anjel. 17. Histoire du mdrycisme par Bourne- 
ville et SAglas. — Therapie. 18. Grossesse et dpileDsie par Bdrand. 19. Massenunterricht 
stammelnder und stotternder armer Schulkinder behufs Beseitigung ihres Uebels von Berkhan. 
20. Traitement de la migraine ophthalmique par F6r6. 21. De behandelingsmethode van 
Rumpf door Niermeijer. — Forensische Psychiatric. 22. Melancholia sine delirio von 
KraM-Ebing. 

III. Aus den Gesellschaften. — IV. Bibliographic. — V. Vermischtes. 


I. Originalmittheilungen. 

1. Ueber die gelegentliche Betheiligung der Gesichts- 
mnsculatur bei der juvenilen Form der progressiven 

Muskelatrophie. 

Von Dr. Ernst Remak, Privatdocent in Berlin. 

Nachdem neuerdings Ebb 1 von der gewohnlichen Aban - DucHBNNB’schen 
oft mit amyotrophi8oher Bulbarparalyse einhergehenden progressiven 

1 Ebb, Ueber die ^juvenile Form" der progressiven Muskelatrophie und die Beziehungen 
zur Pseudohypertrophie der Muskeln. Deutsches Arch. f. klin. Med. 1884. Bd. 39. S. 467 ff. 


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Muskelatrophie spinaler Pathogenese auf Grand bestimmter klinischer 
Charaktere (eigenthumliche Localisation in den Muskeln des Sclmltergurtels und 
der Oberarme, an den Yorderarmen nur im Supinator longus, Fehlen von 
fibrillaren Zuckungen und Entartungsreaction, frahzeitige Entwickelung zuweilen 
in familiaren Gruppen, Combination mit Pseudohypertrophie) die „juvenile“ 
Form abgegrenzt hat, deren myopathische oder neuropathische Geneseer 
offen lasst, glaube ich trotz ihrer Luckenhaftigkeit — ich habe den Patienten 
nur einmal untersuchen konnen — folgende einschlagige, vor langerer Zeit 
gemachte Beobachtung nicht zuruckhalten zu sollen. 

Kaufmann B.1 aus Hammerstein, 32 Jahre alt, consultirte mich am 

4. Juli 1881 auf den Rath des Collegen Baumeipteb, dessen Hfdfe er wegen einer 
durch seine Krankheit veranlassten irritativen Conjunctivitis gesucht hatte. Seine 
Grosseltern und sein Vater hatten keine Muskelabmagerung, dagegen litten seine, 
64 Jahre alt, verstorbene Mutter, eine einer Brustkrankheit erlegene Schwester, 
sowie ein 34jahriger noch lebender Bruder seit ihrer Jugend an derselben 
fortschreitenden Affection, wahrend ein anderer Bruder gesund sein soli. Sein 
Leiden hat sich seit seiner Kindheit ganz schleichend und stets schmerzlos ent- 
wickelt, ohne dass er genaue Angaben fiber die Reihenfolge der erkrankten Muskeln 
machen kann, in welch er immer Abmagerung und Schwache gleichzeitig aufgetreten 
sein sollen. In den Schulter- und Armmuskeln soil die Krankheit begonnen haben, 
dann allmahlich das Antlitz betheiligt sein, so dass er seit 3 Jahren die Augen 
nicht mehr schliessen kann, wahrend die Abmagerung im linken Oberschenkel erst 
kfirzero Zeit bestehen soil. Er ist von der Unheilbarkeit seines Leidens fiberzeugt 
und ffirchtet nur, dass sein Kind demselben ebenfalls anheimfalle. 

Patient war kleiner Statur, recht leidendem Aussehen, gutem Allgemeinbefinden, 
fUllt sofort durch den Mangel des Lidschlages bei Lagophthalmos duplex mit 
leichtem paralytischen Ectropium und einem maskenartigen Gesichtsausdruck bei 
fibrigens intacter Sprache auf. Es besteht in der That eine nahezu absolute 
doppelseitige Facialislahmung. Die auffallend glatte Stirn kann weder quer 
noch langs gerunzelt werden. Beira Versuch, die Augen zu schliessen, werden die 
Bulbi nach innen und oben gerollt, und blieben die Sclerae in der Breite von 
ca. 1 cm von den Lidem unbedeckt. Die Nase kann nicht gerftmpft werden, wahrend 
beim Schnfiffeln die Nasenlocher sich erweitern (Mm. dilatatores alae narium). Die 
Nasolabialfalten fehlen; die Schlaffheit der unteren Gesichtshalfte wird durch reich- 
lichen Bartwuchs etwas verdeckt. Der Mund kann nicht gespitzt werden. Dabei 
ist das Gesicht nur glatt, nirgends eingefallen; die Gesichtsknochen und der Unter- 
kiefer haben ihr normales Yolumen. Es bestehen keine Augenmuskellahmungen. 
Dr. Baumesteb hatte leichte Accoramodationsschwache, sonst normalen ophthalmo- 
skopischen und functionellen Befund constatirt. Patient h6rt gut und hat niemals 
Ausfluss aus den Ohren gehabt. Die Zunge ist nicht atrophisch, wird normal hervor- 
gestreckt und nach alien Seiten bewegt. Ebenso sind Stellung und Beweglichkeit 
des Gaumensegels normal. Keine Geschmacksstorung. Die Sprache ist, wie bereits 
erwahnt, nicht beeintrachtigt, selbst nicht einmal auffallend ffir die Lippen- 
buchstaben. Niemals haben StOrungen der Mastication und Deglutition 
bestanden. 

Die nur oberflachliche Untersuchung des entkleideten Korpers ergiebt hoeh- 
gradige Atropliie der Schulter- und Oberarmmuskeln. Die Scapulae stehen 
flfigelffirmig vom Thorax ab, und vermehrt sich diese Deformitat bei Yersuchen, die 
Arme zu erheben (Atrophie des Serratus und unteren Cucullaris-Abschnittes). 
Die Deltoidei sind abgeflacht, die Oberarmmuskeln, und zwar ebensowohl der 
Triceps als der Biceps und Brachialis internus sehr geschwunden und ffihlen 


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339 


sich, soweit sie vorhanden, wie Fettgewebe an. An den Vorderarmen fehlt der 
Supinator longus. Ausserdem besteht bier Abmagerung der Streckmuskeln bei 
guter Emahrung der Beuger nnd der Hande. Der linke Oberschenkel ist stark 
atropbiscb. Die Unterscbenkel warden nicbt nntersucbt. Nirgends sind fibrillare 
Znckungen sicbtbar. 

Die Function der Oberextremitaten ist sehr beeintrachtigt. Pat. kann die 
Ellenbogen nnr nacb passiver Beugung mittelst starken Scbleuderns der Arme durch 
Anflegen der Yorderarme gebeugt erhalten und in dieser Weise nocb allein essen. 

Der Handed ruck ist ausserst kraftig, die Fingerbewegungen ungestOrt. Die 
Baucbpresse ist leidlicb kraftig. Aus der Rflckenlage kann er sich nicbt ohne Hfllfe 
der Arme aufrichten, sondem muss die Ellenbogen aufstdtzen und b Clift sich dann 
mit den Handen in sich selbst in die Hdhe. 

Die nur unvollstandige elektrische Untersuchung ergiebt, dass der Nerv. 
facialis beiderseits nur in den Aesten fur die Mm. retrahens und attolens auriculae, 
sowie der M. buccinatorius (Dilatatores alae narium nicbt gepriift) fhr beide Stroraes- 
arten erregbar ist, wahrend in alien flbrigen von ihm versorgten Muskeln die 
directe und indirecte Erregbarkeit vOllig erloschen ist. Auch mit den 
starksten ertraglichen galvanischen StrOmen ist in den gelahmten Gesichtsmuskeln 
keine Spur von irgend welcher, also auch keine Entartungsreaction zu erzielen. 

Am Halse sind der Sternocleidomastoideus und Levator scapulae leid- 
lich, der Cucullarisast des Accessorius sehr wenig erregbar, die Reaction der 
Deltoidei fiir beide Stromesarten sehr herabgesetzt, fehlt am Triceps, Biceps, 
Brachialis internus, Supinator longus vOllig. Die Reaction des rechten 
Cruralis ist ziemlich gut, die des linken Cruralisgebietes entsprechend der Atrophie 
herabgesetzt, relativ gut erhalten im Sartorius. 

Ueberall besteht vollstandiger Parallelismus der faradischen und galvanischen 
Erregbarkeit, nirgends Entartungsreaction. 

Auch exactere Untereuchungsbefunde und Aufzeichnungen wurden kaum 
uber die unverkennbaren diagnostischen Schwierigkeiten hinweggeholfen haben, 
welche in diesem entschieden hereditaren Falle von progressiver Muskel- 
atrophie die Complication mit einer fast absoluten Diplegia facialis bietet. 
Nach der eingehenden Wurdigung, welche ich 1 zuerst der soeben beschriebenen, 
von mir als „Oberarmtypus“ der atrophischen Lahmung resp. Muskelatrophie 
bezeichneten eigenthumlichen Localisation der Atrophie an den Oberarmen und 
im Supinator longus nicht bios fur die atrophischen Spinallahmungen, sondem 
auch ausfuhrlich fur die progressiwe Muskelatrophie 2 habe zu Theil werden 
lassen, spricht dieselbe ihrerseits bei einer Abwagung aller in Betracht kommen- 
den Momente eher fur eine spinale Basis. Mit dieser Localisation der Muskel¬ 
atrophie ist nun aber nicht der gewohnliche Symptomencomplex der amyo- 
trophischen Bulbarparalyse verbunden, sondem bei volliger Integritat der Zungen- 
und Gaumenmusculatur und dem entsprechend ungestorter Deglutition und 
Articulation eine von alien Cerebralnerven allein die Gebiete beider Nn. faciales 
und zwar ebenso sehr in den oberen Aesten betheiligende, nach der Versicherung 
des Patienten schleichend entstandene, wahrscheinlich fettige Gesichtsmuskel- 


1 E. Rbmak, Ueber die Localisation atrophischer Spinallahmungen und spinaler Muskel- 
atrophien. Arch. f. Psych, u. Nervenkrankh. Bd. XIV. S. 510 ff. und Berlin Hirschwald 1879. 
126 Seiten. 

2 a. a. O. S. 595—602 oder S. 86—93 des Sep.-Abdr. 


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840 


atrophie, als deren functioneller Endaffect die nahezu totale Diplegia facialis 
aufzufassen ist. Dabei ist die zum Theil durch die functionelle, znin Theil durch 
die elektrische Exploration nachgewiesene Immunitat einzelner dem Willen and 
der Mimik weniger unterworfener Muskeln, der Mm. attollens nnd retrahens 
auriculae, dilatatores alae narium, bucoinatorius auffallig. Es versteht sich von 
selbst, dass diese totale doppelseitige Gesichtsmuskelatrophie auf eine Bulbar- 
Kemerkrankung nicht zuruckgefuhrt werden kann und in jedem Fall© fur eine 
periphere Basis ebenso in’s Gewicht fallt, wie in einem yon Pierson 1 be- 
8chriebenen Falle von generalisirter acuter atrophischer Lahmung der Diplegia 
facialis die anatomische Diagnose der multiplen Neuritis erhartete. 

Beilaufig sei bemerkt, dass in dem vorliegenden Falle bei dem Fehlen aller 
SensibiUtatsstorangen, bei dem Mangel aller elektrischen Degenerationszeichen, 
wohl auch bei der unzweifelhaft hereditaren hierfur unbekannten Aetiologie 
ebenso wenig etwa an eine multiple cbronische Neuritis, wie bei der 
Nichtbetheiligung der Gesichtsknochen und der Haut, bei der gleichmassigen 
glatten Atrophie und meist inselformigem Defect der Gesichtsmuskeln an eine 
von Virchow 2 sogenannte neurotische Atrophie gedacht werden kann. 
Vielmehr ist als einzig statthaft die allerdings zunachst nur symptomatische 
Diagnose auf progressive Muskelatrophie festzuhalten, und die speciellere 
Classification unter die EBB’sche juvenile Form (Dystrophia muscularis 
progressiva), abgesehen von der allerdings fehlenden (vielleicht schon ab- 
gelaufenen?) Combination mit Pseudohypertrophie vollstandig durch die frah- 
zeitige progressive Erkrankung in familiaren Gruppen, die eigenthumliche 
Muskellocalisation, das Fehlen der Entartungsreaction und der fibrillaren 
Zuckungen berechtigt 

Wenn nun Erb ausdracklich bemerkt, dass bei der juvenilen Form der 
progressiven Muskelatrophie progressive Bulbarparalyse noch niemals 
beobachtet worden ist, und er selbst in den Gesichts- und Kaumuskeln bisher 
uberhaupt noch keine Veranderung wahrgehommen habe, so ist es vielleicht am 
Platze, an die von Duchenne 3 aufgestellte infantile Form der progressiven 
Muskelatrophie zu erinnem. Diesen meist hereditaren Fallen vindicirt Duchenne 
auf Grand von etwa 15 eigenen Beobachtungen die Eigenthumlichkeit, mehrere 
Jahre vor der Erkrankung der oberen Extremitaten und des Kumpfes mit einer 
Atrophie des Orbicularis oris einzusetzen, wodurch eine charakteristische 
Dicke der Lippen und durch das dann allein vom Buccinatorius abhangige 
Lachen ein Risus sardonicus veranlasst wurde. Allerdings ist, wie schon Seelig- 
MtrLLER 4 bemerkt, seitdem nichts Aehnliches wieder beschrieben worden und ist 
diese Angabe auch nicht einmal in die Handbucher ubergegangen. Auch scheint 


1 Piebson, Ueber Polyneuritis acuta (multiple Neuritis). Volkmann’sche Sammlung. 
1882. Nr. 229. . 

* R. Virchow, Ueber neurotisohe Atrophie. Berl. klin. Wochenschr. 1880. Nr. 29. 

1 Duchbnnk, De rfilectrisation localisee. Troisieme Edition. 1872. p. 518—520. 

4 SebliqmOllbb, Ueber initiate Localisation der progressiven Muskelatrophie. Deutsche 
med. Wochenschr. 1881. Nr. 48. 


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341 


Duchenne selbst eine so hocbgradige Betheilignng der Gesichtsmaskeln, wie im 
vorliegenden Falle, bei dem weiteren Fortschreiten der Erankheit nicht beobachtet 
zu haben. 

Wenn somit der mitgetheilte Fall von juveniler Moskelatrophie mit hoch- 
gradiger Betheiligung der Gesicbtsmusculatar immerhin vereinzelt dasteht, so 
dfirfte derselbe nichtsdestoweniger gunstig fur den neuerdings von Ebb, ubrigens 
schon beilaufig von mir 1 ohne speciellere Classification ventilirte Ansicht sprechen, 
dass das Yorkommen einer rein myopathischen Form der progres- 
siven Muskelatrophie nnabweisbar ist 


2. Zur Kenntniss des Faserverlaufes im Corpus striatum. 

Von Dr. Ludwig Edinger in Frankfurt a. M. 

Seit langerer Zeit mit Untersuchungen fiber die Faserung im Grosshim be- 
schaftigt, bin ich bezfiglich der im Titel genannten Faserverhaltnisse zu folgenden 
Resultaten gekommen. 

Die Zfige, welche an der Basis und Spitze des Linsenkems austreten, 
gehoren mindestens zwei verschiedenen Systemen an. Diese sind: 

1) System der Haubenstrahlung (Flechsig). 

2) System des Nucleus caudatus und des Futamen. 

Daa System der Haubenstrahlung wird zuerst markhaltig; yiel spater (nach 
der Gebuit?) das des Nucleus caudatus und des Putamen. 

In der Capsula interna erhalten zuerst Markweiss die im letzten Drittel 
des hinteren Schenkels liegenden Fasem. Diese treten, wie Flechsig schon 
zeigte, znm Theil in den rothen Kern und in den Lurs’schen Korper. Zum 
Theil aber gehen sie direct aus der inneren Kapsel am oberen und 
inneren Rand des Linsenkems in dessen graue Masse hinein. Diese 
in den Linsenkem tretenden Fasem nehmen nun eine zweifache Yerlaufsrichtung. 
Ein Theil biegt nach innen um und gelangt an der innern Linsenkernkante, 
die innere Kapsel in zahlreichen Bundeln durchflechtend, zu den Ganglien der 
Begio subthalamica, ein zweiter Theil zieht, ohne in Beziehung zum Linsen- 
kern zu treten, zwischen dessen Gliedem direct zur Hirabasis, wo er nach 
innen umbiegend die Linsenkernschlinge constituirt. Die Linsenkemschlinge 
tritt dann fast ganz fiber dem Hiraschenkelfuss in der Haube nach abwarts; 
ein Theil von ihr scheint jedoch nach innen oben zum rothen Kem zu gelangen. 

Diese Yerhaltnisse lassen sich an Frfichten des letzten Schwangerschafts- 
monates leicht nachweisen, weil da das zweite obengenannte System und die 

1 a. a. 0. S. 601: „Da aber auch sowohl in mit Pseudohypertrophie der Muskeln com- 
plicirten Fallen, wo spinalc Befunde unwahrscheinlioh sind, als in dem LicHTHBiM’schen 
Falle mit negatiyem Befunde des Rftckenmarks entsprechende typische Localisationen der 
progreesiven Muskelatrophie beobachtet werden, so entzieht sich fhr den deni augenblick- 
lichen Stande der anatomischen Erkenntniss entsprechende Fall, dass die progressive Muskel¬ 
atrophie in der That eine ganz brtliche primare Myositis sein kann, die relative Gesetz- 
massigkeit ihrer Localisation zunachst jeder plausiblen Erkiamng.“ 


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ganze Faserung der Kapsel, welche in den Fuss gelangt, noch marklos ist 
(Im Fuss entbalt zu dieser Zeit nur die Opticuswurzel markhaltige Fasern.) 

Schwieriger sind die Verbal tnisse der Fasern aus dem Putamen und aus 
dem Nucleus caudatus zu erforschen, weil zu der Zeit, wo sie ihr Markweiss 
bekommen, in der Regio subthalamica schon zahlreiche andere Zuge mark- 
haltig sind. 

Das Folgende konnte ich mit einiger Sicherheit ermitteln. Die betreffenden 
Fasern aus dem Putamen treten erstens durcb die beiden Innenglieder zur 
inneren Linsenkemkante und von da mit der oben gescbilderten Fasern zu den 
Ganglien der Regio subthalamica, zweitens biegen sie zwischen dem ersten und 
zweiten Gliede des Linsenkerns abwarts zur Schlinge. Die Faserung aus dem 
Schwanzkem scheint sich, aber hier fehlen mir ganz unzweideutige Befunde, 
ebenso zu verhalten. 

Die Ansicht von Henle, Wernicke, FiiEChsig u. A., dass Putamen und 
Schwanzkem der Rinde analoge Gebilde seien, eigene Fasern aussenden, konnte 
ich somit bestatigen. Ebenso die von diesen Autoren z. Th. geausserte Ansicht, 
dass fur diese Fasern die Innenglieder des Linsenkerns Durchgangspunkte 
(Scbaltstellen?) bilden. Diese Glieder stehen aber auch, wie ich nachweisen 
kann, zu Fasern der inneren Kapsel im Verhaltniss von Durchgangsstationen. 

Somit treten, wie Meynert immer behauptete, in der That Fasern aus der 
Rinde in das Corpus striatum. Sie sind aber nicht, wie er annimmt, Stabkranz- 
fasern zum Nucleus caudatus und Corpus striatum, sondern stehen nur mit 
den Innengliedem des Linsenkerns in Zusammenhang. Ich habe unter zahl- 
reichen Praparaten vom menschlichen Gehim nicht eines gefunden, welches 
den Zusammenhang von Stabkranzfasern mit diesen Ganglien im Sinne von 
Meynert zeigt. 

In einer spater erscheinenden grosseren Arbeit werde ich diese Angaben 
durch Abbildungen von Praparaten belegen. 


II. Referate. 


Experimentelle Physiologie. 

1) Zur Kenntniss der Functioneh des Grosshirns beim Kaninchen von 

Prof. Christiani. 

Zur Kenntniss der Functionen des Grosshirns beim Kaninchen von 
Hermann Munk. 

(Sitzungsberichte der Kgl. Pr. Akademie der Wissenschaften vom 29. Mai und 
19. Juni 1884 und Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft in Berlin 
vom 20. Juni und 4. Juli 1884.) 

Bekanntlich hatte Christiani in einer 1881 an die Akademie der Wissen¬ 
schaften eingereichten vorlaufigen Mittheilung auf Grand von Yersuchen an Kaninchen 
die Existenz eines am Boden des 9. Ventrikels gelegenen willkurlichen In- und Kx- 
8pirationscentrums und eines Coordinationscontrums erweisen zu konnen geglaubt. 


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In dieser n&mlichen Mittheilung (Abschnitt II) theilte aucb Christiani seine 
Beobachtungen fiber das Verhalten des Grosshirns beraubter KaDinchen mit, dahin- 
gehend, dass solcbe grossbirnlose Thiere sich fast in Nichts von normalen Tbieren 
unterscbieden, sogleich nacli der Operation spontane Bewegungen machen, laufen, 
springen etc. und Hindernissen aus dem Wege gingen. 

Wie ersichtlich, widersprachen diese letzteren Beobachtungen den bisher fest- 
gestellten Thatsachen und ganz besonders der durch H. Munk mit Sicherheit nach- 
gewiosenen und.jetzt wohl von fast alien exacten Forschern bestatigten Erblindung 
der Saugethiere und Y6gel nach Entfernung des Grosshirns. H. Munk ftihlte sich 
deshalb genotliigt, obwohl nicht recht einzusehen war, dass das Kaninchen ein 
auderes Verhalten nach Exstirpation seines Grosshirns zeigen sollte, als Hund und 
Affe, das Verhalten des Grosshirns beraubter Kaninchen zu priifen und die Resul- 
tate dieser Versuche (vgl. das Referat in diesem Blatte S. 272 dieses Jahrg.) waren 
1) dass in den reinen, gut gelungenen Versuchen 3 Stadien (Erschopfungs-, Ruhe- 
und Laufstadium) zu beobachten sind, 2) dass die Bewegungen grosshirnloser Kaninchen 
keine spontan wdlkflrlichen, sondern in der ersten Zeit nach der Operation reflectorische, 
und spater in Folge des Weitergreifens der Entzfindung und in Folge von Blutungen 
Zwangsbewegungen sind und 3) dass die grosshimlosen Kaninchen in die ihnen ent- 
gegengestellten Hindemisse hineinlaufen und demnach blind sind. 

Stimmen demnach schon die Beobachtungen von Munk mit denen Christianas 
nicht fiberein, da Christiani ein Erschdpfungsstadium an seinen Thieren niomals 
beobachten konnte, so erbringen die Munk’schen Untersuchungen ausserdem eine 
directe Widerlegung der von Christiani publicirten Thatsachen. 

In einer kurzen Erwiderung in den Verhandlungen der Akademie, die thatsaclilich 
Neues nicht enthalt, ffihrt Christiani an, dass er an einem anderen Orte eine 
Widerlegung der von Munk angefflhrten Beobachtungen erbringen wtfrde. Christiani 
gab nun in der vorletzten Sitzung der physiologischen Gesellschaft eine weitere 
Detaillirung seiner vorlaufigen Mittheilung, entwickelte hierbei gewisse Theorien, wie 
man sich das Grosshirn des Kaninchens als einen Innervationsspeicher denken konne 
und berfihrte nebenbei auch die Munk’schen Beobachtungen, um sich schliesslicli 
unter Aufrechterhaltung aller mitgetheilten Thatsachen als Gegner der Localisations- 
lehre, welche ffir ihn nur eine Hypothese sei, zu bekennen. 

H. Munk setzte deshalb in der letzten Sitzung sein Operationsverfahren genauer 
auseinander und verglich es mit dem Christianas. Als Bedingungen einer richtigen 
Versuchsanordnung stellte Munk folgende Punkte hin: 1) muss die Schadelhbhle 
nach Entfernung des Grosshirns frei von Blut sein, 2) m&ssen die benachbarten 
Gehimpartien unverletzt sein. Whrde so operirt, dass diese Bedingungen erfullt 
sind, so lassen sich in alien Fallen die von Munk beschriebenen 3 Stadien am 
Versuchsthiere beobachten und das sind die wirklich gelungenen Versuche. In den 
schlechten und misslungenen Versuchen, zu denen diejenigen Christiani’s seiner 
Ansicht nach gehdren,* laufen die Thiere sogleich nach der Operation, hier fehlt 
das ErschOpfungsstadium. Wahrend die Thiere bei den gut gelungenen Versuchen 
bis 50 Stunden leben, gehen die andern meist schnell innerhalb 12 Stunden zu Grunde 
und die Obduction ergiebt eine Blutansammlung unter dem Thalamus, welche nach 
Munk in alien Fallen die Ursache des Misslingens der Versuche sei. Auf diese 
Weise erkl&rte Munk die Differenz der Beobachtungen mit Bezug auf das Erschopfungs- 
stadium. Im Uebrigen sind die Bewegungen des grosshimlosen Kaninchens keine 
spontanen, auch kann es nicht sehen, sondern ist und bleibt blind. 

In der darauf folgenden Discussion erklarte Christiani, trotz der Munk’schen 
Auseinandersetzungen seinen Standpunkt nicht verlassen zu konnen. B. 


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344 


2) Untersuchungen fiber die W&rmeregulation in der Narcose und im 
Sehlaf von Th. Rumpf. (Pflfiger’s Archiy. Bd. XXXIII. S. 538.) 

Die ausffihrliche Arbeit bringt zunachst die Mittbeilung, dass die Temperatur- 
herabsetzung unter der Einwirkung der Narcotica bei entsprechender Yersuchs- 
anordnung eine wesentlicb intensivere ist, als es nacb den seitberigen Yersucben 
scbien. Es gelang R. an Meerschweincben, deren feines Regulationsvermogen gegen- 
tiber Schwankungen der Umgebungstemperatur bekannt ist, in der Narcose von 
Cbloralbydrat und bei gleicbzeitiger Kalteeinwirkung eine Herabsetzung der KCrper- 
temperatur bis auf 16° zu erzielen, also bis zu jener Grenze, bei welcber das Leben 
der Warmblftter meist erliscbt. 

Die betracbtlicbste Emiedrigung der Eigenwarme wurde durcb Cbloralhydrat und 
seine Combination mit Morpbium hervorgerufen, geringere durcb Morpbium, Cbloro- 
form, Alcohol und Aetber. Doch betrug aucb hier der Abfall etwa 10°. Dieser 
Abfall trat vor allem in der mit Sehlaf verbundenen Narcose ein, wahrend Er- 
wachen des Thieres durcb Hautreize, insbesondere durch kalte Luft meist 
wieder mit einem Ansteigen der Temperatur verbunden war. 

Es trat nun die Frage beran, ob diese Herabsetzung der Eigenwarme im wesent- 
lichen bedingt ist durch eine Herabsetzung der W&rmeproduction bei gleicb- 
bleibender W&rmeabgabe oder durcb eine betr&chtlich gesteigerte W&rme- 
abgabe bei gleicb bleibender Production. Yersucbe am Respirationsapparat ergaben 
gegenftber dem normalen Tbiere eine Herabsetzung der Sauerstoffproduction, die auf 
die ganze Dauer der Yersucbe bereebnet bei der Narcose von Cbloralbydrat 37,9 °/ 0 
und 38,7% der Norm, bei den tlbrigen Praparaten zwischen 56,1% und 73,2% 
betrug. Dem entsprechend sank aucb die Abgabe der Kohlensaure. Die genauere 
Vertbeilung des Sauerstoffverbrauchs auf die einzelnen Zeitraume der Narcose ergab 
ein progressives Absinken desselben mit dem progressiven Temperatur- 
abfall parallel gehend, so zwar, dass z. B. bei einer Eigenwarme des Thieres von 
22° in der Narcose der Verbrauch von Sauerstoff auf weniger als den ffinften 
Tbeil des normalen herabgesetzt war. Es ist dieser stetige fortsebreitende Abfall 
natMich zum grossen Tbeil auf die Abnahme der KOrpertemperatur zurflckzufQbren. 

Es folgt sodann die weitere Frage, ob diese Herabsetzung des Stoffwechsels 
einer directen Wirkung der Mittel auf die Zellen ihre Entstehung verdankt. Diese 
Moglicbkeit konnte der Verf. durcb weitere Experimente aussebliessen. Bei Yersuchen, 
ob verkleinerte flberliegende Muskeln in ihrem VermOgen das Blut zu reduciren durcb 
die Narcotica gehemmt werden, zeigte sich keine Differenz zwischen Muskeln mit 
und obne Zusatz der Medicamente. Da nacb weiteren Yersucben auch ein etwa 
vorhandener Sauerstoffmangel niebt fOr die Herabsetzung der Verbrennungsprozesse 
berangezogen werden kann, sebliesst R., dass diese Wirkung der Narcotica nur durch 
das Centralnervensystem verraittelt sei. Auf die Rube des Nervensystems, auf 
den Wegfall der Reize und eine dadurcb bedingte Herabsetzung der Warmeproduction 
ist nacb dem Yerf. aucb der Temperaturabfall im Sehlaf zurdckzufbbreu und ebenso 
die bei maneben psychischen Erkrankungen insbesondere der progressiven Paralyse 
in neuerer Zeit mehrfach studirten Verminderung der Eigenwarme. 

Aus einigen Scblussbemerkungen ddrfte vor allem die Warnung des Yerf. vor 
der planlosen Anwendung innerer temperaturherabsetzender Mittel beberzigenswerth 
sein. Es muss bei alien diesen zunachst die Frage aufgeworfen werden, ob mit der 
Herabsetzung der Temperatur niebt eine Herabsetzung der Thatigkeit 
des Centralnervensystems verknQpft ist, deren Eintreten oder deren Folgen 
auf den Yerlauf einer langeren Erkrankung von ungftnstigem Einflusse sein kOnnte. 

M. 


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345 


3) Ueber die unfcer physiologischen Verhaltnissen zu beobachtende Ver- 
langsamuDg der Leitung von Schmerzempfindung bei Anwendung 
von thermischen Beizen von Prof. 0. Rosenbach in Breslau. (Deutsche 
Med. Wochenschr. 1884. 29. Mai.) 

Gegenfiber der bekannten Thatsache, dass bei gewissen spinalen Erkrankuugen 
haufig eine Yerlangsamung der Schmerzempfindung statt hat, hebt R. hervor, dass 
bereits unter physiologischen Verhaltnissen bei einer gewissen Qualit&t des sen- 
siblen Reizes eine nicht unbedeutende Differenz in der Zeit der Per- 
zeption der blossen Tast- und der Schmerzempfindung als ein normaler 
Vorgang zu constatiren ist. Diese Thatsache lasst sich mittelst thermischer Reize 
leicht nachweisen. Berfihrt man z. B. die Volarfl&che des Zeigefingers mit einem 
mit kochendem Wasser geffillten Reagensglas, so erhalt man bei sehr kurzer Be- 
rfihrungsdauer bios eine Tast- und keine Schmerzempfindung, bei langer Berfihrungs- 
dauer und grosser Berfihrungsstarke eine momentane, die Tastempfindung vdllig ttber- 
deckende Schmerzempfindung. Bei mittleren Graden der Berfihrung ffihlt man nach 
einander erst die blose Berfihrung, dann die Warme und schliesslich das schmerzhafte 
Brennen. Die Ursache dieser zeitlichen Differenz liegt nicht etwa in dem Yorhanden- 
sein mehrerer physiologisch differenter Leitungswege, dieselbe beruht vielmehr auf 
den rein physikalischen Widerst&nden, welche der thermische Reiz auf seinem 
Wege zu den Nervenenden vorfindet. Dies geht schon daraus hervor, dass man die 
Differenz in der Perceptionszeit beliebig verringem oder verlangem kann, wenn man 
Stellen wahlt, an denen die Leitung durch die Hautschicht beschleunigt oder ver- 
langsamt wird, eine Modification des Versuches, welche man durch die Auswahl bald 
mit zarter, bald mit dicker Epidermisschicht versehener oder noch mit Leinewand 
umwickelter Hautpartien auf’s Einfacliste sich jederzeit hinstellen kann. Das hierbei 
haufig zn beobachtende An- und Abschwellen der schmerzhaften Sensation beruht 
nach R. darauf, dass die an die Haut abgegebenen Warmemengen sich durch die 
Epidermisschicht hindurch gewissermaassen mehrfach hintereinander entladen. 

A. Blaschko. 


4) Die Entstehung unserer Baumvorstellungen von W. Bechterew. (Mit- 
getheilt in der Sitzung der St. Petersburger psychiatrischen Gesellschaft am 
5./17. Mai 1884. Russisch.) 

Auf Grund seiner experimentellen Untersuchungen fiber die sogenannten Gleich- 
gewichtsorgane — die halbzirkelformigen Ohrbogengange, die centrale graue Sub- 
stanz des 3. Hirnventrikels und die mit den Oliven verbundenen Hautorgane — ge- 
langt Yerf. zu der Auffassung, dass diese Organe nicht nur zur Erhaltung des 
Kbrpergleichgewichts dienen, sondem ausserdem dem Bewusstsein eine Reihe von 
specifischen Empfindungen zuffihren, deren Bedeutung den Gegenstand der in der 
Ueberschrift benannten Mittheilung bildet. 

Die Analyse der Schwindelerscheinungen, die an Kranken mit Affection des 
Kleinhirns oder der peripheren Zuleitungsapparate desselben sowohl als an Gesunden 
in Versuchen mit Galvanisation der Kleinhirngegend oder mit Drehung urn die K5rper- 
axe beobachtet werden, ffihrt B. zu dem Schluss, dass die Gleichgewichtsorgane 
Empfindungen vermitteln, die dem Geffihl der KOrperlage im Raum zu Grunde liegen. 
Da ferner jedes der peripheren Gleichgewichtsorgane mit einem der ausseren Sinnes- 
organe (des Gehors, Gesichts und Getastes) in inniger Verbindung steht, so sind 
Bedingungen geschaffen ffir eine Erregung der Gleichgewichtsorgane durch aussere 
(Schall-, Licht- und Tast-) Reize. Bei Einwirkung letzterer nehmen die durch die 
Gleichgewichtsorgane vermittelten Empfindungen eine specielle Form an, indem sie 
sich zu Empfindungen der rauinlichen KOrperlage in Bezug auf die Gegenstande der 
Aussenwelt gestalten, die als Reizquelle ffir die ausseren Sinnesorgane (Ohr, Auge, 


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346 


Haut) dienen. Es entstehen demgemfiss bei Einwirknng ausserer Reize auf inhere 
Sinnesorgane jedesmal zweierlei Empfindungen: eine durch Erregung des Sinnesorgans 
selbst bedingte, also Schall-, Licbt- oder Tastempfindung, die andere — durch Er¬ 
regung des entsprechenden Gleichgewichtsorgans vermittelte — Empfindung der 
raumlichen Korperlage; eben die Yereinigung dieser zwei Empfindungen ist es, was 
eine raumliche Localisation unserer Schall-, Licht- und Tastempfindungen ermoglicht. 
Gemass dieser Auffassung werden sowohl angeborene Localisationsvermogen unseres 
Sehorgans, als unbewusstes Schlussverfahren unseres Geistes fur die Entstehung der 
Raumanschauung fiberflfissig. 

Bekannterweise werden einige unserer Empfindungen, wie die des Geh5rs, nur 
in bestimmter Richtung nach aussen projicirt; andere, wie die Lichtempfiudungen, 
versetzen wir an bestimmte Orte des ausseren Raumes und sind zugleich befahigt, 
die Gestalt und Entfemung der die Quelle derselben bildenden Objecte zu erkennen; 
die Tastempfindungen endlich localisiren wir nur an unserer Kfirperoberflache. Allc 
diese Unterschiede sind B.’s Meinung zufolge durch die Structurverhaltnisse der ver- 
schiedenen Gleichgewichtsorgane und durch die Art der Verbindung letzterer mit den 
entsprechenden Sinnesorganen bedingt. 

Die Bedeutung des Muskelsinns, der Innervations- und Tastempfindungen fur 
die Entstehung unserer Raumvorstellungen wird von B. nicht abgestritten, doch ist 
dieselbe seiner Meinung nach wesentlich darauf beschrankt, dass wir Dank diesen 
Momenten jeden Augenblick mit Genauigkeit fiber Lage und Zustand des empfindenden 
Sinnesorgans unterrichtet werden. Der abstracts Raumbegriff bildet also das Resultat 
einer complicirten Reihe von Empfindungen: 1) solcher, die durch die Gleichgewichts¬ 
organe vermittelt werden, welchen Impulse seitens der entsprechenden Sinnesorgane 
zufliessen und 2) Muskel-, Innervations- und Tastempfindungen. 

Yerf. stellt seine Hypothese fiber die Entstehung der Raumvorstellungen den 
gegenwartig herrschenden Theorien — bauptsachlich der nativistischen und empi* 
ristischen gegenfiber und weist durch kritische Auseinandersetzungen die Unzulanglich- 
keit beider nach. P. Rosenbach. 


Pathologische Anatomie. 

5) Ueber Veranderungen in den nervosen Apparaten der Darmwand bei 
pemicidser An&mie und bei allgemeiner Atrophie von Sasaki. 
(Yirchow’s Archiv. Bd. 96. S. 287—301 und Taf. XIII. Fig. 1—3.) 

Die beschriebenen Untersuchungen wurden in v. Recklinghausen’s Institut 
vorgenommen. S. untersuchte etwa 50 Darme und fand in 2 Fallen, die der gastro* 
intestinalen Form der pemicifisen Anamie angehorten und deren Krankengeschichte 
und Sectionsbefund er beiffigt, bestimmte Veranderungen in den Gangliengeflechten 
der Darmwand, ahnlich den von Jfirgens und von Blaschko geschilderten. In den 
Meissner’schen und Auerbach’schen Plexus waren die Ganglienzellen sklerosirt, 
atrophisch und geschwunden; die Nervenfasern verschmalert und chemisch (in ihrem 
Verhalten Farbstoffen gegenfiber) verandert; ferner fanden sich reichlich KCrpercben 
vom Charakter des Hyalins, die Verf. von den Neurilemmzellen herleiten und mit 
den Corpp. amylacea in Analogic setzen mfichte. Die Muskelschichten des Darms 
waren verschmfilert, die einzelnen Muskelfasem dfinn und kOrnig getrfibt. Einer der 
Falle zeigte intensive Fettdegeneration der Zellen und Fasern. 

Da nach den Untersuchungen des Yerf. allgemeine Atrophie — in Folge von 
Krebscachexie, Phthisis pulmon., Altersveranderungen — keine derartige Degeneration 
des Darmnervenapparates veranlasst, ist er geneigt, die Veranderungen in den Darm* 
ganglien bei diesen Fallen als das Primare und als die Ursache der Anamie anzusehen. 
Da ferner der ganze Darmtractus betheiligt war und die Nervenapparate mehr als 


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347 


die ubrigen Gewebe dor Darin wandung, plaidirt Verf. fOr die ueurotiaclie Natur dieser 
Veranderungen. Tuczek. 


6) Zur histologischen Fathologie der Dementia paralytica von Prof. Bins¬ 
wan gor. (Sep.-Abdr. aus den Sitzungsbericbten der Jenaischen Gesellschaft 
fur Medicin und Naturwissenscliaft. Jalirg. 1884. Sitzung vom 11. Januar 
und 13. Juni.) 

B. fand in 2 vorgeschrittenen Fallen von Paralyse circumscripte Zelllierde, die 
durch eine fibrdse Bandzone vom fibrigen Hirngewebe abgesetzt waren, und deren 
Elemente nicht ausschliesslich den Charakter von Lymphelementen trugen. Die Herde 
sind nicht zahlreich nnd stehen in Zusammenhang mit der Veranderung der GefUss- 
wande: verdickte Lymphscheide, die streckenweise fest an die inneren GefassMute 
adMrirte. Es liegt nahe, jene Herde als Kemanh&ufungen zu betrachten, die zum 
Theil aus den Lymphscheiden oder dera anliegenden Gliagewebe, zum Theil aus den 
durch den gehinderten Lymphstrom aufgestapelten weissen BlutkGrperchen stammen. 
Die Herde zeigen grosse Yerwandtschaft mit jenen endothelialen Herden, welche 
Manz in der Opticusscheide nachgewiesen hat. 

Ferner beschreibt B. Veranderungen an den Riesenpyramidenzellen (Betz) des 
Paracentraliappchens (5 Faile von Paralyse), die in Zerkluftung des Kemkorperchens, 
Aufblahung oder Yerschwinden des Kerns, unregelmassiger Gestalt, Pigmentirung otc. 
des Zellkdrpers bestehen. M. 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Contribution a l’dtude des localisations cdrebrales (trajet intra-cerebral 
d© Phypoglos8e) par Raymond et Artaud. (Arch, de Neurol. Vol. VII. 
No. 20 et 21.) 

Die Arbeit beschaftigt sich damit, auf Grund eigener und fremder klinischer 
und anatomischer Beobachtungen, den Verlauf der Hypoglossusbahn von der Gross- 
himrinde bis zum Hypoglossuskem in der Oblongata festzustellen. Die Verff. kommen 
dabei zu folgendem Resultat. Das (bilaterale) Rindencentrum des Hypoglossus be- 
findet sich im unteren Drittel der vorderen Centralwindung; in demselben Gebiet 
befinden sich ausserdera noch die Centren ffir den unteren Facialis und den moto- 
rischen Trigeminus. Die vom unteren Abschnitt der vorderen Centralwindung ent- 
springenden Markbilndel enthalten die centralen Bahnen derselben 3 Nervengebiete. 
Hierffir steht den Verff. eine reiche Casuistik zu Gebote; sie nehmen zugleich die 
Gelegenheit wahr, zwischen der Pseudo-Bulbarparalyse aus cerebraler Ursache, wie 
sie bei Lasionen dieser Gegend des Centrum semiovale und der Cap. externa zur 
Beobachtung kommt, und der echten Bulbarparalyse eine scharfe differentielle Diagnose 
zu ziehen; das Hauptgewicht legen sie dabei (wie auch Jolly khrzlich; vgl. den 
Bericht fiber die 9. Wanderversammlung sfidwestdeutscher Neurologen in Nr. 13 dieses 
Blattes) auf das Fehlen der Muskelatrophie und von Veranderungen der elektrischen 
Reaction bei der Pseudo-Bulbarparalyse. Einseitige Herde in der betr. Markregion 
setzen zuweilen doppelseitige Labio-glosso-pharyngeal-Paralyse. 

In der inneren Kapsel ist als Passage der Hypoglossusbahn langst das Knie 
sichergestellt. Vieles spricht dafur, dass zwischen Hypoglossusbahn und den Bfindeln 
des vorderen Schenkels der inneren Kapsel, deren Zerstorung mit Intelligenzstorungen 
verbunden ist, *ein gesondertes Bfindel („Aphasie-Bilnder 4 ), von der Broca’schen 
Windung herstammend, existirt. In der Brficke endlich gehbren die hinteren inneren 
Pyramidenbfindel der Hypoglossusbahn an. Tuczek. 


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8) Zur Localisation der Hemichorea von F. G re iff. (Arch. f. Psych. XIV. S.598.) 

I. 74j&hr. Frau, 1878 Apoplexie mit kurzdauemder linksseitiger Hemiplegie, 
seither 3 Anfalle ohne andauernde Lahmung, aber mit Rdckgang der Intelligenz; 
1882 angstliche Verwirrtheit, senile Demenz, kQrperliche Schwache ohne wesentlich 
halbseitige Differenz, linker Facialis paretisch, Zunge nach links, Hautreflexe nicht 
verstarkt, Sehnenreflexe etwas gesteigert; geringe Schwerhdrigkeit, Atherom, Herz- 
hypertrophie; spater leickte Kraftabnahme der linken Extremitaten; pl6tzlich schmerz- 
hafte Sensationen und grosse Unruhe im linken Arm, der in den verschiedenen 
Gelenken fortwahrend bewegt wird; die Haut desselben gerSthet, heisser als rechts, 
zeigt mehrere spontane subcutane Himorrhagien, das linke Bein zeigt nur leickte 
Adduction und Abduction * sowie Streckung und Beugung im Eniegelenk, Reflexe 
unverandert; links Arm und Bein betrachtlich hyperasthetisch, links Parese etwas 
starker ausgepragt, rechte KGrperhalfte frei. Die linksseitigen Bewegungen dauem fort 
und stehen nur im Schlafe, die linke Parese nimmt zu, die Hyperasthesie ab; spater 
zeigt sich, dass auch die linke Halsmusculatur an den choreiformen Bewegungen 
theilnimmt, die des linken Beines sind nur spurweise vorhanden. Exitus 1882. 
Section: Pachymeningitis haem, int., links 1 mm dick, Gehirnatrophie; im rechten 
Sehhdgel ein kleiner hamorrhagischer Herd an seinem inneren Umfange, ein eben- 
solcher an seiner unteren Begrenzung; an der Basis des rechten Occipitallappens 
5 cm grosse oberflachliche Erweichung; im Centrum des linken Cerebellum alter 
hamorrhagischer Herd. Pons und Med. spin, makroskopisch frei. Bezuglich der 
mikroskopischen Untersuchung der Herde muss auf das Original verwiesen werden. 
Dieselbe ergab ferner im Pons links zwischen Austritt des Trigeminus und oberem 
Ponsende einen linsengrossen Herd, im Rtlckenmark zeigten sich beide Hinterstrange 
(soil wohl heissen Hinterseitenstrange? Ref.) in massigem Grade, der linke mehr, 
degenerirt, entsprechend einer starkeren Degeneration der rechten Pyramidenbahn im 
unteren Pons und Medulla obi.; im unteren Dorsaltheil frische Myelitis, besonders 
die Hinterstrange betreffend mit secundar aufsteigender Degeneration der GolTschen 
Strange. 

Aus der Besprechung des Falles ist hervorzuheben die MOglichkeit des Zu- 
sammenhanges zwischen der Hyperasthesie und den vasomotorischen. Erscheinungen, 
sowie die grosse Wahrscheinlichkeit, dass der untere Tlialamusherd, von dem 2 Aus- 
laufer bis in den Hirnschenkelfuss sich erstreckten, entsprechend der von Kahler 
und Ref. vertretenen Anschauung, durch die Reizung der Pyramidenfaserung die 
Hemichorea erzeugt. 

II. 52jahr. Frau, seit mehreren Jahren nach Affect Abnahme der Intelligenz, seit 
2 Monaten verwirrt, vor 14 Tagen Schlaganfall mit rechtsseitiger vorubergehender 
Hemiplegie; kein GrOssenwahn. Status: Vorgeschrittene senile Demenz, rechts 
Facialisparese; 2 Monate spater links epileptiformer Anfall mit vorubergehender 
Hemiparese links; in den folgenden Monaten mehrfache ahnliche Anfalle zuweilen 
mit Articulationsstbrung und amnestischer Aphasie; im Anschluss an einen solchen 
Anfall mit Hemianasthesie und Hemianopsie links choreatische Bewegungen des linken 
Arms, die wahrend mehrtagiger Dauer schwacher werden und sich auf die linke 
Hand beschranken und dann ganz aufhOren; Parese der linken Extremit&ten, Temp, 
links etwas h5her als rechts. Section: Leichte Pachymeningitis haem, int., Gehirn- 
oberflache in Fleischroth spielend, granulirt, in der Hirnrinde stellenweise Ecchymosen, 
am oberen Ende der linken hinteren Centralwindung eine gerOthete, von zahlreichen 
Blutungen durchsetzte Stelle. Mikroskopisch: Sehhugel, innere Kapsel, Hirnschenkel 
beiderseits frei; Grosshimrinde rechts: Gefasse erweitert, prall gefQllt, von massen- 
hafter Zellinfiltration umgeben; in ihrer Nahe zahlreiche stark geschwollene Spinnen- 
zellen, theils mit ihnen, theils untereinander verbunden; stellenweise kleine Herde 
von granulirten Rundzellen, immer an der Grenze zwischen Mark und Rinde und ein 


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849 


Gefass einschliessend; in ihrer Nahe die Ganglienzellen getrfibt, geblaht, ohne deut- 
lichen Kern; dort auch yiel Blutpigment. Diese Yeranderungen zeigen regionar ver- 
scbiedenes Verhalten, in der linken Hemisphare fanden sich die gleichen Veranderungen 
jedocb in wesentlich geringerem Grade. Im Pons fand sich im oberen Theile der 
rechten Halfte ein beginnender Erweichungsiierd, die rechte Pyramidenfaserung zum 
Theil nmfassend und gegen das Crus cerebeUi ad pont. verlaufend; nach abwarts 
recbts secundare Degeneration; im Rfickenmark Degeneration beider Hinterseitenstrange, 
links starker, und in der rechten Pyramidenvorderstrangbabn, massige Degeneration der 
Goll’scben Strange, scbmaler Degenerationsstreifen zwiscben Goll’scbem und Keil- 
strang beiderseits. 

In der Epikrise ist G. geneigt, den Fall als Paralyse zu betracbten; aus den 
weiteren Ausfuhrungen ist hervorzuheben die Annahme einer central en Ursacbe fur 
die Temperaturdifferenz; bezuglich der Hemicborea versucbt G. den Nacbweis, dass 
wahrscheinlich nicht der Ponsberd, sondern die Rindenlasion fur dieselbe verant- 
wortlich zu macben ist, und schliesst sich auch fur diesen Fall der Annahme der 
Pyramidenfaserreizung an. A. Pick. 


9) Chorea posthemiplegica af Edv. Kaurin. (Tidsskr. f.prakt. Med. 1884. IY. 10.) 

Ein 78jahr., vorber ganz gesunder Mann war ohno vorbergegangenes Unwohl- 
sein nacb einem guten Mittagsscblaf benommen und betaubt im Kopfe, mit Schwache 
nnd Schlaffheit in den linken Gliedern, undeutlicher Sprache und Schwierigkeit beim 
Essen und Trinken wegen Schlaffheit der Musculatur des Mundes und des Schlundes. 
Nacb 2 Tagen besserten sich diese Erscheinungen, am 4. Tage aber erscbienen 
Zucknngen und unwillkfirliche choreatiscbe Muskelbewegungen in den linken Gliedern, 
diese Bewegungen warden allmahlich haufiger und waren bald immer vorhanden 
ansser im Scblafe. Nacb vorfibergehender Besserung wurden die Bewegungen wieder 
starker und ergriffen auch das Gesicbt und schliesslicb die ganze linke KOrperhalfte. 
Ausserdem war keine StOrung vorbanden. — Alle Muskeln der linken KOrperbalfte, 
namentlich die des Armes und des Beines, waren in unablassiger choreatischer 
atactiscber Bewegung, Anne und Beine nabmen die verschiedensten Stellungen ein, 
im Gesicbt wechselten die verschiedenartigsten Ausdrficke in der scbroffsten Weise. 
Bei Bewegungsintentionen steigerten sich die unwillkfirlichen Bewegungen. Die Sprache 
war durcb die Bewegungen in bohem Grade gestOrt, die Zunge wurde gerade heraus- 
gestreckt, die Pupillen waren gleicb weit und reagirten gut. Der Druck der linken 
Hand war nocb ziemlich kraftig, aber schwacher als der der recbten. Die Sensibilitat 
scbien in der linken KOrperhalfte etwas, aber nur wenig geringer, als in der rechten, 
die Temperatur war in den linken Gliedern deutlich erhObt; wenn die kranken Glieder 
festgebalten wurden, empfand der Kranke in denselben eine unablassige zitternde 
Bewegung in denselben. Die Reflexthatigkeit war in der linken KOrperbalfte ge- 
scbwacbt, die elektromusculare Sensibilitat in den Gliedern unverandert, aucb die 
faradiscbe Erregbarkeit der Muskeln ungeschwacht, an den Proc. spinosi bestand 
keine Empfindlichkeit gegen Druck, aucb keine vermehrte Empfindlicbkeit gegen 
elektrische Berfihrung. Der Herzschlag war schlaflj der Dampfungsbezirk vergrOssert, 
namentlich in der Breite, ein starkes blasendes Nebengerausch beim ersten Ton ver- 
deckte diesen vollstandig und war fiber dem ganzen Herzen hOrbar, aber zu unter- 
scbeiden vom ersten Tone links an der Basis, wo der zweite Ton ebenfalls blasend 
gebOrt wurde. Ausserdem fand sich keine bemerkenswertbe Abnormitat. Nacb An- 
wendung von Morphium, Infusum flor. arnicae mit Jodkalium und Aether liessen die 
Krampfbewegungen etwas nacb, aber nur vorfibergehend, bald wurden sie starker als 
vorber. Spater liessen sie wieder nacb und borten fast ganz auf, stellten sich aber 
kurz vor dem Tode wieder ein. 


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350 


Bei der Section fand man ausgedelmte Verwacksung der rechten Lunge mit 
der Pleura costalis, Bronchitis, Lungenodem, massige Hypertropliie und Dilatation 
des Herzens, atheromatose Entartung der Bicuspidalis und der Aortenklappen mit 
zahlreichen Kalkablagerungen in den Klappen selbst und um die Ostien, Milz und 
Leber hyperamisch, die Hirnmasse blass, atheromatose Entartung der Hirnarterien, 
uirgends einen apoplectischen Herd, aber zahlreiche altere capillare Embolien im 
rechten Corpus striatum. Walter Berger. 


LO) Hemichoree sans hemianesthesie; Hemorrhagie de la partie posterieure 
dans la oouche optique sans lesion de la substance blanche par 
Morin. (Soc. anat.; Progr. mod. 1884. No. 2.) 

Plotzliches Auftreten von linksseitiger Hemichorea; wenig umfangreicher hamor- 
rbagischcr Herd im rechten Sehhugel ohno Verletzung der Caps, int., einige altere 
kleine Herde in beiden Linsenkornen. Tuczek. 


11) Scldrose en plaque et Maladies infectieuses par Marie. (Progr. med. 

1884. No. 15. 16. 18. 19.) 

M. resumirt die in der Literatur niedorgelegten Falle von disseminirter Sklerose 
im Verlauf verschiedener Infectionskranklieiten — Typhus, Pocken, Erysipel, Pneumonic, 
Maseru, Scharlach, Keuchhusten, Intormittens, Dysenterie, Diphtherie, Cholera, 
Puerperalfiober —, denen er zwei Falle eigener klinisclier Beobachtung, einen nach 
Typhus, den andern nach' Pneumonio liinzufugt. Indem er dann auf die Beobach- 
tungon iiber disseminirte Arteriitis und Periarteriitis — wahrscheinlich in Folge von 
Bacterienembolien — eingeht und deren Zusammenhang mit den disseminirten Herden 
im Gehirn und Rhckenmark bespricht, definirt er die infectiose disseminirte Sklerose 
als cerebrospinale Localisation der infectiosen Gefassaffection. Tuczek. 


12) Zur Symptomatologie der Tabes dorsalis von Prof. 0. Berger. (Sitzung 
der med. Section der schles. Gesellschaft fUr vaterlandische Heilkunde vom 
21. M&rz 1884.) 

Die lancinirenden Schmerzen im Yerlauf von Tabes fehlen nur sehr selten; in 
380 Fallen nur in 14,5%. Sie haben zuweilen ihren Sitz am Kopf: Occipital- 
neuralgie Oder — was bisker noch nicht beschrieben — als Mi gran e. Zu der 
letzteren gesellte sick 5fter Atrophia nerv. optici. 

Blasenst5rungen kSnnon nicht bios das erste, sondern auch fOr lange Zeit das 
einzige Glied der tabischen Symptomenkctte bilden (Tabes dysurica). Die Latenz- 
periode betrug zwischen 8 Monat und 7 Jahren. Das WestphaUsche Zeichen sichert 
hier die Diagnose (und der ebenso regelmassig fehlende Achillessehnenreflex). B. theilt 
einen Fall mit, in dem 2 Jahre lang Blasenbescliwerden (Ischurie, Enuresis nocturna) 
ohne jede andere subjective Beschwerde bestanden und dann erst die anderweitigen 
tabischen Symptome sich entwickelten. M. 


13) Ueber die epileptogene Zone beim Mensohen, Inaugural-Dissertation von 
0. v. Landesen. (Dorpat 1884.) 

Ein in der psychiatriscken Klinik zu Dorpat beobachteter Fall von Epilepsie 
liegt der Arbeit zu Grunde. Ein 26jahr., hereditar belasteter Kaufmann von sehr 
reizbarem Temperament bekam in seinem 16. Lebensjahre nach einem etwas forcirt 


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ausgeftbten Druck der rechten Hand einen epileptischen Anfall, dem eino blitzschnell 
von dort aus anfsteigende Empfindung vorausging. Seitdem bemerkte P. jedesraal 
diese praemonitorische Erscheinung, wenn er mit der rechten Hand einen Gegenstand 
fest fasste. Bei einem gelegentlichen Druck auf die verhangniss voile Handflache 
wurde wieder ein epileptischer Anfall ausgelSst. Die epileptogene Stelle zwischen 
Daumen- und Kleinfingerballen der rechten Palma zeigt keine trophischen Storungen, 
sonst nur geringe Erhohung der Sensibilitat im Yergleich zu der andem Hand. 
Reizung mit dem faradischen und constanten Strom ergiebt nur auraartige Symptome: 
Erweiterung der Pupillen, Palor faciei, Schwindel, Zittern, tonische Contraction und 
sensible Erscheinungen der rechtsseitigen Extremitaten. Dagegen bringt Kitzeln der 
rechten Hand vollkommene epileptische Anf&lle hervor, denen eine von der epilepto- 
genen Stelle ausstrahlende Aura vorangeht. An diesen Fall anknhpfend meint Verf., 
dass im Allgemeinen der epileptogenen Zone ein im weitesten Sinne genommenes 
Trauma, eine oft nur moleculare Veranderung der Nervenenden, zu Grunde liego, die 
das Gleichgewicht der Krafto in den Ganglien stSrt; andererseits kann eine Alteration 
der Hirnrinde durch Projection ihres Zustandes an der Peripherie einen Locus minoris 
resistentiae, einen epileptogenen Bezirk, zu Wege bringen. 

Das Circumscripte solcher Stelle als cliarakteristisch dafftr hervorhebend belian- 
delt Verf. sodann den Unterscliied der epileptogenen Zone bei Menschen und Thieren 
und deutet in Bezug auf das therapeutische Verfahren die praktische Wichtigkeit 
des Auffindens epileptogener Zonen an. Ruhmann. 


Psychiatric. 

14) Visceral and other syphilitic lesions in insane persons without cere¬ 
bral syphilitic lesions by W. J. Mickle. (Journ. of mental science. 1884. 
Jan. p. 492.) 

Bei der Aufnahme 26jahriger Mann, im Anschluss an mehrfache Erscheinungen 
constitutioneller Syphilis seit 8 Monaten geisteskrank; in der ersten Zeit ruhelos, 
aufgeregt, verkehrt im Handeln, Gespr&ch unzusammenhangend; spater die Erschei- 
nungen secundaren Blfldsinns, tertiare Syphilis. 

Section (8 Jahre nach der Aufnahme); Scbadel diinn, Dura normal, die weichen 
Meningen leicht verdickt, Pia leicht odematSs, an verschiedenen Stellen leichte Atro- 
phie der Gyri; sonst nichts Wesentliches am Gehirn. Gummata der Leber und 
Nieren, syphilitische Affectionen der Knochen, eine das Scheitelbein ganz oberflachlich 
betreffend. 

M. deutet den Fall so, dass die Geistesstorung auf dem Wege der syphilitischen 
Tox&mie oder auf dem der Anamie und syphilitischen Kachexie in Verbindung mit 
den schmerzhaften Knochenaffectionen entstanden ist. 

Ein zweiter ahnlicher Fall wird nebst Sectionsbefund kurz berichtet. 

A. Pick. 


15) Perte de la vision mentale dans la mdlancolie anxieuse par Cotard. 

(Arch, de Neurol. 1884. No. 21.) 

Nach dem Charcot (publ. im Progr^s m4d.) einen derartigen Fall beschrieben, 
bringt C. zwei weitere Beobachtungen von Melancholischen zur Sprache, bei weichen 
als qualendStes Symptom neben der Beangstigung der Verlust aller Gesichtserinnerungs- 
bilder auftrat. C. ist geneigt, mit diesem Symptom das Delire des negations, sowie 
die totale Gemdthsstumpfheit dieser Melancholischen in Verbindung zu bringen; sie 
verlieren das Interesse fur Alles, was ihnen fruher lieb und theuer war. 

[Sollte nicht dabei auch die von Westphal’s Scliulern gefundene Gesichtsfeld- 
Einengung eine Rolle spielen? Ref.] Siemens. 


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16) Ueber eigenthdmliohe Anf&lle perverser Sexualerregung von Dr. Anjel. 

(Arch. f. Psych. XV. H. 2.) 

Als ^perverse Sexualerregung" glaubt A. die beiden interessanten Beobachtungen 
bezeichnen zu mdssen, weil sie in den Bahmen der von Westphal aufgestellten 
„contraren Sexualerregung" nicht passen. 

Der eine Fall betrifffc einen gebildeten, erblich nicht belasteten Herrn, welch er 
fruher allem Lasciven fremd stets ganz normale sexuale Neigungen besass, yerheirathet 
ist und Kinder hat. Jetzt treten von Zeit zu Zeit „Anfalle" bei ihm auf, in denen 
sein Wesen total verandert ist; er wird gereizt, unruhig, heftig bis zur Wuth und 
hat dabei den unbezwinglichen Trieb, sich kleinen Madchen in unzdchtiger Weise 
zu nahem. Die Anfalle" dauern 8—14 Tage; nach und nach ist dem Pat. das 
Krankhafte dieser Anwandlung bewusst geworden. Er selbst fdhrt sie auf einen vor 
ca. 8 Jahren ftberstandenen heftigen Schreck zurftck. In Folge dessen babe eine 
Zeit lang Pracordialangst bestanden, spater hatten die Anfalle den oben beschriebenen 
Charakter angenommen. Der Verf. erklart die AnfUlle als psychisch - epileptische 
Aequivalente, doch fuhrt er far die epileptische Natur sonst Nichts an. Einfacber 
erscheint die Auffassung des Falles als periodische Psychose (Ref.). 

In dem zweiten Fall ist die epileptische Grundlage klarer. Er betrifft eine 
hochgebildete Dame nahe dem Klimacterium, erblich belastet, welche schon fruher 
an Petit mal gelitten und spater ausgesprochene hystero-epileptische Anfalle gehabt 
hat, auch solche mit geistiger Stoning. Als Nachsymptom bestand eine Zeit lang 
Schlaflosigkeit, welche endlich wich und sich dann nur auf die Zeit der Menses 
beschrankte. Zu dieser selben Zeit tritt nun bei ihr der perverse Trieb auf, Knaben 
unter 10 Jahren sich in unztich tiger Weise zu nahem. Siemens. 


17) Histoire du mdryoisme par Bourneville et Sdglas. (Arch, de Neurol 
1883. No. 16. 17. 18. Appendice No. 31.) 

Eingehende Abhandlung fiber das bei gewissen Kranken vorkommende Wieder- 
kauen und diesem verwandte Erscheinungen, mit sorgfaltig gesammelter Casuistik und 
Literatur. Eignet sich nicht ffir ein kurzes Referat. Siemens. 


Therapie. 

18) Gros8esse et dpilepsie par Bdrand. (L’Encdphale. 1884. No. 3. p. 320.) 

Eine epileptische junge Frau, welcher der Arzt nach vergeblicher Behandlung 
das Heirathen als letztes Mittel angerathen hatte, bekommt in der Ehe zu den sich 
verschlimmernden Krampfanfallen noch psychische Stfirung hinzu. Mit dem Eintritt 
der Schwangerschaft erfahrt der Zustand eine weitere Yerschlimmerung. Doch findet 
die Entbindung zur rechten Zeit statt. Die Mutter stillt einige Tage und verliert 
nach einem epileptischen Anfall die Milch. Das Kind stirbt nach einigen Wochen 
an Meningitis. 

In den folgenden Monaten leichte Besserung des Zustandes. Dann neue Graviditat 
mit denselben bedauerlichen Folgen. Trotzdem wieder normale Geburt eines gesunden 
Madchens, welches einige Monate gestillt wird. 

Wahrend dieser Zeit keine Brombehandlung. Diese wird vorfibergehend im 
Hospital angewendet, als der Zustand sich wieder verschlimmerte. Eine 3. Graviditat 
machte den Zustand unertraglich, es litten auch Gedachtniss und Intelligenz in hohem 
Maasse. Prof. Ball leitete sofort nach der Aufnahme in St. Anne trotz der Gra¬ 
viditat die Brombehandlung ein (Ammonii brom. und Natr. bromati aa 5,0 pro die. 


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dazu 1—2 Pillen zu 0,02 je zur H&lfte aus Extr. Belladonn. and Zinci oxydat. be- 
stebend). Erbeblicbe Besserung der ©pileptischen Symptom©, normal© Geburt eines 
ausgetragenen Kindes, welcbes nacb 14 Tagen an allgemeinen Convulsionen starb. 
In der Folge Besserung des Befindens der Mutter, nur die Gedachtnissschwache blieb. 

Siemens. 


19) Bericht fiber den Massenunterricht stammelnder und stottemder 
armer Schulkinder behufs Beseitigung ihres Uebels von Dr. Berkban. 
(Arch. f. Psych. XV. H. 2.) 

Mittheilung der Resultate eines methodisch geQbteu speciellen Unterricbts bei 
einer Reihe von Kindern mit Sprachstdrungen: Stotterer und Stammler. Der urn 
diese Sacbe sehr verdiente Yerf. hatte die Freude, gute Resultate zu seben. 

Der Lebrer der Stammelnden hatte die Aufgabe, die diesen Kindern feblenden 
oder von ihnen mangelbaft gebildeten Laute festzustellen und wo mQglicb bis zur 
Gelaufigkeit einzubben. Der Unterricbt der Stotternden begann regelmassig mit 
gymna8tiscben Uebungen des Oberk5rpers und des Kopfes. Boim Stottem hapert 
bekanntlich das Yerbinden der Laute mit einander (nacb Kussmaul die Vocalisation 
der Consonanten. Ref.). 

Der Unterricbt, welcber mOglicbst von besonderen Lehrern in besonderen Klassen 
zu erthoilen ist, dauerte 10—15 Wocben. Die gewonnenen Resultate fordern zur 
Nacbeiferung auf. Siemens. 


20) Traitement do la migraine ophthalmique par Fere. (Progr. mdd. 1884. 
No. 23.) 

Bei jener Form von Migr&ne, die durch Supraorbitalscbmerz, Nausea und Er- 
brecben, Flimmerscotom oder Hemianopsie cbarakterisirt ist und sicb zuweilen mit 
Apbasie combinirt, empfiehlt F. nacb Charcot’s Vorgang Bromkali in derselben 
Dosirnng, wie bei der Epilepsie. Tuczek. 


21) De behandelingsmethode van Bumpf. Door Dr. J. H. A. Niermeijer. 

(Weekbl. van het Nederl. Tijdschr. voor Geneesk. 1884. Nr. 14. S. 256.) 

N. hat die Rumpf’scbe Method© kraftiger faradischer Pinselung eines grossen 
Theiles der Hautoberflache in einer Reihe von Fallen in Anwendung gebracbt, in 
denen die Krankbeitserscbeinungen grosstentbeils von Circulations ttfrungen im Gebirn 
abbangig oder damit verbunden waren, so wie in einigen Fallen von Tabes. In den 
ersteren Fallen waren die Resultate sebr g&nstig, in den letzteren ermutbigend; 
sie zeigten sebr gross© Uebereinstimmung mit denjenigen, die mittelst der allgemeinen 
Faradisation nacb Beard und Rockwell erzielt werden, docb verfeblt die Rumpf’scbe 
Metbode bei einigermaassen sorgfaltiger Auswabl der Falle fast nie, bedeutende 
Besserung oder Genesung bervorzubringen, die Krankbeitserscbeinungen weicben fast 
mit absoluter Sicberbeit nacb einer l&ngeren oder kUrzeren Dauer der Bebandlung. 
Namentlicb werden in den meisten Fallen rasch die von byperamiscben Zustanden 
des Gehirns und seiner H&ute abhangigen Kopfscbmerzen und die psycbiscben De- 
pressionszustUnde beseitigt, aucb feblt nur selten ein Einfluss auf die allgemeine Er- 
nahrung. Die Rumpf’scbe Metbode wirkt demnacb nicbt nur durch reflectoriscben 
Einfluss auf ein gewisses Gefassgebiet beilend, sondern kann aucb durcb allgemeine 
Modification verbessernd auf die Ernahrungsverhaltnisse des ganzen KOrpers einwirken. 

Walter Berger. 


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Forensische Psychiatrie. 

22) Melancholia sine delirio, gerichtsarztliclies Gutachten von Prof. v. Krafft- 
Ebing. (Irrenfreund. 1883. Nr. 3.) 

Ein 60j£hr., korperlich sehr verfallener Arbeiter zfindete in der Absicht, sich 
das Leben zu nehmen oder in’s Zuchthaus zu kommen, eines Tages eine schon seit 
langerer Zeit ausser Betrieb gestellte Pulvermfihle an, in der aber noch einige 
Pulvervorrathe lagen, und wurde durcb die Explosion verbranntund in einen nahe 
gelegenen Bach geschleudert. Er gab sich selbst als Thater an und gestand spater, 
er habe die Brandstiftung verfibt, um dabei umzukommen, da fur ihn als nicht rnehr 
arbeitsfahigen Menschen das Leben zu elend sei. Bei der gerichtsarztlichen Unter- 
suchung seines Geisteszustandes ergab sich nun, dass der Thater seit seinem 10. Jahre 
(in Folge eines Traumas) schwachsinnig sei und dass er in den letzten Monaten unter 
den kfimmerlichsten ausseren Yerhaltnisson und unter tiefer Empfindung seiner rapid 
abnehmenden Leistungsfahigkeit in eine melancholische Yerstimmung gerathen sei, 
die ihm bei gleichzeitigen korperlichen Beschwerden den Tod oder das Zuchthaus 
begehrenswertlier habe erscheinen lassen, als das bisherige Leben. Die Motive zur 
That wurden dementsprechend aus der melancholischen Verstimmung ohne specifische 
Wahnvorstellungen abgeleitet und der Provocat daher fUr unzurechnungsfahig erklart. 

_ _ Sommer. 


IQ. Aus den Gesellschaften. 

Acaddmie de Mddecine, Paris. 

Die Akademie hat kfirzlich in 4 Sitzungen etwas wunderbare Debatton fubren 
mfissen fiber einen Yortrag, fiber welchen sie sonst vielleicht lachelnd hinweggegangen 
sein wfirde, wenn er nicht gerade von Luys gehalten worden ware.— Luys hatte 
namlich in der Sitzung vom 25. Marz fiber seine Experimente vorgetragen, die 
er zur Feststellung der Bewegungen des menschlichen Gehims in der SchadelhOhle 
gemacht hatte. Er behauptet, das Gehirn des lebenden Menschen bewege sich der 
Schwere nach bei jeder Veranderung der Lage des Kfirpers resp. Kopfes, weiche bei 
Rfickenlage von der vorderen, bei Bauchlage von der hinteren Innenflache des Schadels 
ab und gleite in die entgegengesetzte Schadelseite. In Folge dessen werden seine 
eigenen Gefasse, wie die Gefasse und Nerven der Schadelbasis wechselnd beeinflusst, 
und Luys erklart so die verschiedensten physiologischen und pathologischen Zu- 
stande, wie die Symptome von Gehirnanamie bei Reconvalescenten, die Ermfidung 
des Abends nach langer aufrechter Haltung den Tag fiber, die Seekrankheit, den 
Hitzschlag etc. 

In der Discussion am 4. April giebt Colin (d’Alfort) im Allgemeinen eine 
derartige Beweglichkeit des Gehirns zu, meint aber, dies sei eine langst bekannte 
Sache, soweit es sich um Erscheinungen an der Leiche handele, an welcher Luys 
experimentirt habe. Er selbst habe Versuche am lebenden Thier (Pferd) gemacht 
und gefunden, dass bei Lageveranderungen des Kfirpers eine Bewegung des ganzen 
Gehirns vor sich gehe, allerdings nur eine kaum bemerkbare an den Stimlappen, 
aber eine ganz erhebliche an den Hinterhauptslappen, namlich um 2—4 mm. Die 
Angabe von Luys, es handele sich um 6—7 mm, sei entschieden fibertrieben, und 
daraus erklarlich, dass Luys an Leichen und nach Entfemung der Dura mater be- 
obachtet habe. 

Luys wendet ein, er habe ja die Arterien mit einer coagulirenden Flfissigkeit 
injidrt, giebt aber zu, dass am Lebenden wohl die Beweglichkeit des Gehirns geringer 
sein dfirfte, als bei der Leiche. 

In der Sitzung vom 8. April weist Bdclard die Ansichten von Luys 
zurfick. Zunaclist sei festzustellen, dass die Zu- und Abnahme des Gehirnvolums. 


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wie sie von der Respiration and Circulation bedingt werde, eine allgemein anerkannte 
Thatsache sei. Aber nach Luys handele es sich um Bewegungen der ganzen Masse 
des Gehirns in Folge seiner Schwere bei Lageveranderungen des Korpers, wobei das 
Gehirn sich von der Innenflache des Schadels entferne, and einen erheblichen Raum 
zwischen sich and der Schadelinnenflache entstehen lasse. Ein solcher leerer Raum 
besteht doch aber nicht, sondern Gehirn, Liquor cerebro-spinalis, die Yenenplexus etc. 
fallen die Schadelkapsel vollstandig aus. Es kann sich also nur um ein Hin- und 
Hergleiten zweier Oberflachen an einander, nicht um Bildung eines Abstandes zwischen 
den beiden Oberflachen handeln. Dergleichen komme nicht vor, sei noch von Nie- 
mand demonstrirt und flberhaupt nicht demonstrirbar. 

Luys bestreitet dies; und Colin (d’Alfort) vertheidigt entschieden dessen An- 
sichten. Es bestehe sicher ein leerer Raum zwischen Dura und Gehirn, resp. im 
Arachnoidalsack; diesen Raum erffllle ein gasfbrmiger Stoff (Yapeur), der sich aus- 
dehne, wenn sich das Gehirn mit dem visceralen Blatte der Arachnoidea von deren 
parietalem Blatte zu entfernen strebe. (!) Auch anderswo, z. B. im Pleura-Sack, habe 
man ja gleiche Verhaltnisse. (!) 

No6l Gueneau de Mussy fragt Colin, von was fftr einem gasformigen Stoffe 
er denn spreche, und wie er denselben wahrgenommen habe. 

Colin sagt, er habe beim Oeffnen serOser Haute Gas entweichen gesehen (sic!). 
Wie sollten auch zwei serose Blatter sich an einander bewegen kbnnen, wenn nicht 
ein gasfftrmiger Stoff zwischen ihnen sich befinde? 

Gariel sucht ihm dies klar zu machen. 

Noch einmal kommt Luys in der Sitzung vom 29. April auf seine wunder- 
lichen Behauptungen zurflck. Bei aufrechter Haltung platte sich das Gehirn ab und 
lasse einen betr&chtlichen Raum zwischen seiner Scheitelwblbung und der Schadel¬ 
kapsel. Dass dieser Raum existire, ergebe sich daraus, dass man nach Durch- 
bohrung des Knochens und nachdem Liquor cerebro-spinalis ausgeflossen sei (sic!), 
Flussigkeit ohne erheblichen Druck injiciren kflnne. Ihre Menge erlaube einen Rflck- 
schluss auf die Grbsse des „periencephalen“ Raumes. 

Trdlat fertigt hierauf in langerer Rede die Ansichten von Luys ab. Es gebe nur 
minimale Gehirnbewegungen, die lediglich auf Yeranderung des Druckes und der 
Spannung seiner Substanz und seiner Mute beruhen. Es sei ganz unzulassig, von 
Leichenbeobachtungen Schlflsse auf derartige physiologische Yerhaltnisse beim Lebenden 
zn machen. Wenn Luys nun gar mit seinen Hypothesen pathologische Zustande wie 
die Seekrankheit und den Hitzschlag deuten wolle, so mflsse er sagen, diese Dinge 
liegen doch in der That auf einem ganz anderen Gebiete; und Anderes, was Luys 
erwahnt habe, erklare sich ganz einfach aus Circulationsverhaltnissen. 

Schliesslich setzt Sappey, unter Hinweis auf das hohere specifische Gewicht 
des Gehirns gegenflber dem Liquor cerebro-spinalis, auseinander, dass der letztere wohl 
bei Aenderung der KOrperhaltung sich bald hier, bald da in der Umgebung des Gehirns 
starker ansammle. Luys habe aber Unrecht, die von ihm geschilderten Bewegungen 
der Masse des Gehirns beim lebenden Menschen und bei unversehrten knocliemen 
und hautigen Hflllen anzunehmen. Hadlich. 


Berliner Gesellschaft ftir Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung 
den 14. Juli 1884. 

Westphal: Ueber einen Fall von allgemeiner Paralyse mit spinaler 
Erkranknng und Erblindung. Ein Gymnasiallehrer P. kam im April 1878 zu 
W. mit allerlei subjectiven Klagen und psychischer Erregtheit hypochondrischen 
Charakters. Es konnte objectiv nur constatirt werden, dass die Knieph&nomene 
fehlten. Ein leichter Anfall wurde als 14 Tage vorher eingetreten angegeben, bei 
welchem Pat vorttbergehend auf einer Seite nichts sah und die Namen der Seinigen 
nicht nennen konnte. 


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Bei den nachfolgenden Vorstellungen klagte Pat. im December 1878 Qber tanbes 
Geffthl in den Handflachen; im August 1879 fiber eine Art Gurtelgefflhl und Blitzen 
vor den Augen, aucb jetzt kein objectiver Befund mit Ausnabme des Fehlens des 
Kniephanomens; im October 1880 Sehscharfe berabgesetzt, Optici heller als normal; 
im December 1881 Sehscharfe stark herabgesetzt, Optici weiss; im Juli 1882 vSllige 
Blindheit. 

Der Gang war stets gut, niemals erhebliche Schmerzen in den Beinen, jedoch 
die Blasenentleerung etwas erschwert. Die Kniephanomene fehlten immer. 

Pat., bei dem hereditare Anlage zu Nervenkrankheiten nicht nachweisbar war, 
verheirathet nnd Vater yon 2 gesunden Kindem ist, musste im December 1883, 
nachdem 4—5 Tage vorher eine heftige Manie mit Grdssenwahn ausgebrochen war, 
in die Charitd aufgenommen werden. Die Sprache war leicht zittemd, beide Optid 
ganz atrophisch, der Gang nicht tabisch. GewChnlich steht auch Pat. ruhig und 
fest; setzt er jodoch die Ffisse zusammen und schliesst die Augen, so tritt Schwanken 
ein. Motorische Kraft gut, Sensibilitat nicht zu untersuchen. — Nach etwa 14 Tagen 
Collaps und Tod. • 

Die Section ergab chronische Entzflndungserscheinungen in den Himhauten. Die 
Gehimsubstanz, besonders die graue, starker injicirt, als normal. Keine Herderkrankung. 
Arterien z. Th. sklerosirt. Optici atrophisch. — Im Ruckenmark graue Degeneration 
der Hinterstrange vom Hals- bis Lendentheil, und zwar so, dass die Degeneration im 
Dorsaltheil fast die ganzen Hinterstrange betraf, im Hals- und Lendentheil einen 
ungefahr den Hinterhdrnern parallelen Streifen bildete, welcher die hintere Peripherie 
nicht erreichte (die Abbildungen wurden vorgelegt). — Die hinteren Wurzeln grOssten- 
theils grau-durchscheinend. 

W. hebt hervor, dass der Fall besonders dadurch interessant ist, dass er von 
den ersten Anfangen an 5 Jahre lang beobachtet wurde. Zuerst anscheinend nur 
Hypochondrie, aber von Anfang an Fehlen des Kniephanomens, 2—3 Jahre yor Be- 
ginn der Manie die Opticus -Atrophie, 17 2 Jahre yor Ansbruch der Manie vSllige 
Blindheit. Niemals bestand Ataxie, niemals waren deutliche Sensibilitatsstdrungen zu 
constatiren. 

Die Reihenfolge der Symptoms ist in analogen Fallen oft eine and ere, so in 
einem von W. im Jahre 1881 beschriebenen Falle, wo die Opticus-Atrophie zuerst 
auftrat, dann die Manie, und wo die bei Aufnahme in’s Krankenhaus noch vorhan- 
denen Kniephanomene erst hier allmahlich verschwanden. — In einem anderen von 
Uhthoff erwabnten Falle trat zuerst 1876 Erblindung auf, dann erloschen die Knie¬ 
phanomene, sp&ter stellten sich tabische Erscheinungen ein, nnd fast 8 Jahre nach 
der Erblindung Depression, auf welche Manie folgte. In andern Fallen bestand zuerst 
Hypochondrie bei erhaltenem Kniephanomen, welches nachher erlosch, woran sich 
sp&ter Tabes und Dementia paral. schloss ohne Manie. 

Die Untersuchung peripherischer Nerven wird yielleicht Aufschluss daruber geben, 
ob die heftigen Schmerzen, da wo sie vorhanden sind, durch die Erkrankung dieser 
und nicht des Rftckenmarks bedingt sind. 

Was den Zusammenhang yon Tabes und Syphilis betrifft, so hat in diesem Falle 
Syphilis — 1874 — bestanden; objective Zeichen davon konnten weder im Leben, 
noch bei der Section gefunden werden. 

Wichtiger fQr die Aetiologie des centralen Nervenleidens erscheint W. der Um- 
stand, dass Pat., der keine hereditare Anlage hatte, von jeher stark excentrisch war. 

Interessant ist ferner die Thatsache, dass bei dem ganz blinden Kranken bei 
Augenschluss Schwanken eintrat; vielleicht ist diese schon ofter beobachtete That¬ 
sache dadurch zu erklaren, dass die Aufmerksamkeit durch den intendirten Lidschluss 
von der Innervation der Beine abgelenkt wird. 

Auf die Frage Mendel’s, ob die Himrinde specieller untersucht sei, da er sie 
gerade in solchen Fallen von ascendirender Paralyse oft erkrankt gefunden babe, 


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erwidert W., dass grflbere Ver&nderangen, wie erw&hnt, fehlten, und dass er eine 
speciellere IJntersuchung nicht angestellt babe. 

Bosenbacb (als Gast): Ueber das Verhalten des Nervensystems im 
Hungeraustande. Man glaubte bisber im Allgemeinen, dass das Nervensystem vom 
Einfluss des Hungems wenig berahrt wflrde. B. stellte desbalb mikroskopiscbe 
Untersucbungen an Hunden an, die nacb 10—31 Tagen Hungerns gestorben waren 
und l j 4 — 1 / 3 ihres Gewicbtes dabei verloren batten. Die Hirnsubstanz war 5demat6s, 
die Ventrikel etwas erweitert; das Fett im Wirbelkanal ganz gescbwunden. 

Die mikroskopiscben Yeranderungen bezogen sicb am moisten auf die Ganglion- 
zellen, besonders die grossen Zellen im Vorderhorn des Rtickenmarks. Die ersten 
Yeranderungen bestanden in einer Art trflber Scbwellung, dann atropbirten die Fort- 
satze, es traten gezackte Bander und Yacuolen auf, zuletzt vOlliger Scbwund, wobei 
es zum Auftreten von blassen, structurlosen Gebilden obne Kern kommt, die sicb 
nicbt mebr farben. 

Die Gefasse zeigten sich wenig verandert, die Capillaren tiberfftllt; nur hier und 
da trat sog. colloides Exsudat auf. Entzdndlicbe Ver&nderungen fehlten. — An der 
weissen Substanz des Bdckenmarks konnte B. kaum eine geringe Atropbie constatiren. 

Am Gehim fand sicb an den Zellen aller Grflssen dieselbe Art der Yeranderang. 
— Aethylather veranderte die Nervenzellen etwas, lOste sie aber nicbt auf. 

An den Zellen des Sympathicus trat ein eigentbdmlicbes Blasserwerden auf. 

Was die Natur des Prozesses betrifft, so kann rhn B. wegen des Feblens der 
entzftndlicben Erscbeinungen nicbt far Myelitis Oder Poliomyelitis halten, sondern fur 
eine prim&re parenchymat6se Yeranderung. 

Um dem Einwurf, dass es sicb um postmortale Dinge handele, zu begegnen, 
hat B. Versuche aber die elektrische Erregbarkeit der Binde gemacbt und gefunden, 
dass ceteris paribus nacb 9tagigem und langerem Hungern zur Erzeugung minimaler 
Zuckungen der Bollenabstand etwa um 30 mm verringert werden musste. 

Auf die Bemerkung Westpbal’s, dass er sich nicht recbt vorstellen k5nne, 
wie der Yortragende an den feink5rnigen Ganglienzellen eine „trabe Scbwellung" 
sicher wabrnebmen kOnne; er halte das far sehr scbwierig — antwortet B., dass 
er mit dem Worte „trabe Schwellung" nur babe ausdrttcken wollen, dass die Zellen 
etwas getrabt und undeutlicher erkennbar geworden seien. Hadlicb. 


IV. Bibliographie. 

Untersuohungen tiber den elektrisohen Leitungswiderstand des mensch- 
liohen Korpers von Fr. Jolly. Festschrift, dargebracbt zur Feier des 
50jahrigen Doctor- und Docenten-Jubilaums seines Vaters. (Strassburg 1884. 
Karl J. Trabner.) 

Jolly bat bei Gesunden und Kranken Widerstandsbestimmungen vorgenommen 
auf Grand des scbon fraher von Gartner und Anderen 1 angewandten Wheatstone’- 
scben Metbode, jedoch mit einer etwas modificirten Anordnung der Bracke. Dem 
Tableau einer stationaren Hirscbmann’scben Batterie wurden zwei Leitungen ein- 
gefagt; der eine Stromzweig ging durcb den Kurbelrheostat der Batterie (mit 4110 S.E.) 
and den eingeschalteten menscblicben K5rper; der zweite bestand aus 2 durcb 
Stopselung einscbaltbaren Abtbeilungen von variablem Widerstand (einerseits 10—500, 
andererseits 200—2000 S. E.), durcb deren Benutzung das Yerbaltniss zwiscben 
Rheostat- und KOrperwiderstand im ersten Stromzweige beliebig ab- 
geandert werden konnte. In der Begel wurden die Widerst&nde 20:2000 im 

1 Auch vom Ref., dessen vor ca. 2 Jabren gemaobte Yersuobe (cf. „Die hydroelek- 
triscben Bader.“ 1883. S. 8 ff.) Jolly nicbt bekannt gewesen zu sein scheinen. 


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zweiten Stromzweige benutzt, was ein Vorhaltniss von 1:100 ergab, somit bei Ein- 
schaltang des ganzen Eheostatwiderstandes etwas fiber 400 0000 S. E. im 
Kfirper anzeigte; in einzelnen Fallen auch 10:2000 = 1:200, wodurch Messnngen 
bis fiber 800 000 S. E. moglich gemacht wurden. Als Galvanometer diente das grosse 
Edelmann’scheHorizontalgalvanometer; Elektroden tbeils nach Art der Gartner’schen 
(unpolarisirbaren), tbeils die gewfihnlichen Messingplatten, mit Scbwamm fiberzogen 
und mit Hfilfe von Gummibandern befestigt. 

In einer ersten Tabelle giebt nun J. den Leitungswiderstand verschie- 
dener Hautstellen bei 10 mannlicben — in einer zweiten Tabelle bei 10 weib- 
licben Personen. Es ergiebt sich daraus u. A. das fiberraschende Besultat, dass 
sicb diejenigen zwei Hautstellen, denen man bisher allgemein den grossten Wider- 
stand zugescbrieben bat, im Gegentbeil durcb einen besonders kleinen Widerstand 
auszeichnen (innere Handflachen nnd Fusssohlen). Der Gesammtmittelwerth 
betragt beispielsweise an den Fusssohlen 25100, an den Handtellem 36100, steigt 
dagegen am Fussrficken anf 202300, am Handrficken auf 240000, an der Volar- 
flacbe des Vorderarms bis auf 337900; er betragt an den Wangen noch immerbin 
60150, an den Schlafen 100,750. Weiber zeigten merkwfirdigerweise an Scblafen 
und Wangen grOssere, sonst fiberall geringere Leitungswiderstande als Manner. 
Cbarakteristiscbe Altersdifferenzen liessen sich dagegen nicbt wabrnebmen; bei beiden 
Geschlechtern wurden die bficbsten Widerstande in der Schlafengegend bei den altesten 
Individuen gefunden. — Die Thatsache, dass trotz des relativ geringen Leitungs- 
widerstandes an Handen und Fusssohlen der Galvanometerausschlag bei Durchleitung 
durcb diese Tbeile bekanntlicb geringer ist, als an anderen Hautstellen, kann nacb 
J. nur dadurcb erklart werden, dass der durcbgeleitete Strom den Widerstand 
an verscbiedenen Hautstellen in verscbiedener Weise beeinflusst, und 
dass die Nadelablenkung ein Bild dieses ungleichartig geanderten, nicbt aber des 
ursprfinglichen Widerstandes darbietet. Hoblbandflachen und Fusssohlen er- 
fabren nun eine viel geringere Herabsetzung ibres Widerstandes als 
andere Hautstellen (vielleicht wegen der grfisseren Neigung zur Scbweisssecretion 
und dadurcb bedingten standigen Durchfeuchtung). — Weiterhin bestimmte J. durcb 
Controlversucbe an von Epidermis entblfissten Hautstellen das Verhaltniss des 
Epidermis-Widerstandes zum Widerstande der fibrigen eingeschalteten 
Kfirperstrecke; dasselbe betragt ffir jede Epidermisscbicht ungef&hr 150:1, der 
Gesammtwiderstand der Epidermis an Ein- und Austrittsstelle ist also ungefahr 300mal 
grosser als der des zwiscbengescbalteten Kfirpers. — Endlicb erfirtert J. auch die 
Frage, wovon die durcb den constanten Strom herbeigeffihrte Wider- 
standsverminderung bedingt werde? Offenbar kommen bier ausser den phy- 
siologischen Stromwirkungen (Erweiterung der Blutgefasse, Secretionszunahme etc.) 
aucb die pbysikaliscben (kataphorischen) Wirkungen wesentlich in Betracbt. Dass 
der Sitz der Widerstandsabnabme nicht — wie Gartner bebauptet — ausscbliess- 
licb die Epidermis sei, konnte J. durcb Versucbe an epidermisfreien Hautstellen am 
Lebenden nacbweisen. Hautrfitbende Mittel (Senfpapier) und nocb mehr scbweiss- 
treibende (Pilocarpin) setzen den Widerstand herab; der Inductionsstrom bewirkt 
ebenfalls Abnabme und zwar im Allgemeinen eine viel geringere, als der constante 
Strom, an Handteller und Fusssoble aber merkwfirdigerweise eine grossere. 

Die J olly’schen Beobacbtungen und Angaben dfirften wolil dazu berufen sein, 
den Ausgangspunkt ffir weitere Untersucbungen auf diesem Gebiete, namentlich aucb 
nacb der patbologischen Seite hin, zu bilden. Sie seien daber der Aufmerksamkeit 
der Elektrotherapeuten und Neuropathologen bestens empfoblen. 

A. Eulenburg. 


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359 


Unterraohungen fiber die Semiologie des Harris, ein Beitrag zar klinischen 

Diagnostik und zur Lehre vom Stoffwechsel von W. Zfilzer. Berlin 1884. 

(G. Hempel.) 

Z. fasst in diesem Werke die Resultate seiner frfiheren Untersuchungen fiber 
die semiotische Bedeutung der Harnbeschaffenheit und ihre Beziehungen zum Stoff- 
wechsel, sowie auch die inzwischen von anderer Seite verSffentlichten Arbeiten auf 
diesem Gebiete in fibersichtlicher Weise zusammen. Es bandelt sich dabei bekannt- 
lich am die Bestimmungen des Gesammtstickstoffes einerseits, der Mineralbestand- 
theile andererseits, und deren relatives Yerhaltniss; diese Bestimmungen bilden nach 
des Yerf. eigenem Ausdruck „gewi8sennaassen das Gerfist, durcb dessen Darstellung 
die Zusammensetzung des Harns mit hinreichender Deutlichkeit skizzirt werden kann.“ 
Eine sebr anscbauliche Probe davon liefert die dem Werke beigegebene Farbentafel; 
dieselbe zeigt auf der einen Seite die charakteristische Gruppirung des Stickstoffes 
und der Aschenbestandtheile in den wichtigsten Geweben (Muskelfleisch, Blut, Gebirn) 
— anf der anderen die Gruppirung eben derselben Bestandtheile im Ham bei 
Ffitterungen mit den entsprechenden Geweben. 

Yon besonderem Interesse ffir die Nerven-Physiologie und Patbologie ist der 
vierte Abschnitt des Bucbes: „Die Harnqualitat bei Zustfinden mit St©i- 
gerung oder Herabsetzung des Stoffumsatzes im Nervengewebe" (S. 57 
bis 89). Z. weist nach, dass vom Nervengewebe a us im Zustande der gesteigerten 
Erregbarkeit (Excitation) die Stoffabgabe vermindert, und dass sie dagegen bei ab- 
nehmender nervfiser Erregbarkeit (Depressionszustanden) erhdbt wird. Als die fflr 
den Stoffum8atz im Nervengewebe charakteristischen Harnbestandtheile gelten vorzugs- 
weise die Pbosphorsaure, resp. Glycerinphosphorsaure, die Kali- und Kalksalze; 
enter Berficksichtigung der relativen Mengenverhaltnisse lasst sich 
daher derjenige Theil dieser Harnbestandtheile, welcher aus dom 
Nervengewebe oder aus dem zu seiner Ernahrung unmittelbar vor- 
bereiteten Material herzuleiten ist, von dem sondern, der aus anderen 
Kdrpergeweben herstammt. 

„Ausnahmslos“ zeigt sich nun bei Excitationszustanden die relative Menge der 
specifischen Producte des Stoffwechsels, namentlich P 2 0 6 , vermindert, bei Depressions- 
zustfinden dagegen erhGht. Das Nervengewebe verhalt sich in dieser Beziehung ver- 
schieden von anderen Weichtheilen (Drfisen, Muskeln), in denen wahrend der Ruhe 
die Stoffiabgabe vermindert, wahrend der Thatigkeit dagegen vermehrt ist. 

Yon den der obigen Anschauung zur Stfitze dienenden Versuchen seien nur 
folgende hervorgehoben: a) Lasionen des Gehirns veranlassen eine relative Yermehrung 
der P 2 0 6 und des K im Ham (Zfilzer). b) Unter Einwirkung der Nervina de- 
pressoria, wie Chloroform, Aether, Morphin, Chloral etc. wird die relative Menge der 
P 2 0 5 im Ganzen, sowie der gebundenen (Glycerin-) Phosphorsaure bedeutend vermehrt 
(Zfilzer; Eulenburg und Strfibing) — wahrend dagegen nach Application von 
Excitantien namentlich die relative Menge der P 2 0 6 weit unter die normale Hflhe 
sinkt (Zfilzer, Eulenburg und Strfibing, Storch und Panum, Cazeneuve). 
Auch der constants Strom bewirkt bei sehr langer Application eine bedeutende Er- 
hfihrmg der relativen Phosphorsauremenge im Ham, bei Sinken der Stickstoffmenge 
und der gesammten Fixa (Versuche an Hunden von Bokai); dies ist wenigstens das 
Verhalten beim normalen Thiere, selbst unter verschiedener Ffitterung, wahrend es 
beim Hungerthiere gerade entgegengesetzt ist. — Die fortgesetzte Beobachtung einer 
Kataleptischen (Strfibing) zeigte, dass dem kataleptischen Anfalle jedesmal eine 
Abnahme der relativen Menge der P 2 0 6 entsprach — urn so bedeutender, je starker 
der Anfall — und dass sie nach Ablauf jedes Anfalls sich wieder vermehrte. Fast 
genau dasselbe Yerhalten zeigt der Ham unter dem Einfluss hypnotischer Zu- 
stande, artificiell herbeigeffihrter Katalepsie (Brock). — Die erregende Wirkung 
der Warme und die herabsetzende der Kalte spiegelt sich auf entsprechende Weise 


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3Q0 


in der Harnqualitat (Ziilzer). Auch die Veranderungen wahrend der Entbindung 
(Winckel) sind mit der gemachten Yoranssetzung fibereinstimmend; n&mlich Ab- 
nahme der relativen P 2 0 6 in dem Maasse, wie die vorschreitende Geburt eine grdssere 
Anstrengnng erheischt — erst nach Beendigung der eigentlichen Geburtsarbeit wieder 
eine Zunahme. 

Von Wichtigkeit sind ferner die Untersuchnngen, welche Ldpine specieil bei 
einigen schweren Gebirnerkrankungen (Epilepsia ans verschiedenen Ursacben; 
progressive Paralyse auf sypbilitiscber Basis; Hirntumor) und Ziilzer selbet 
in 2 Fallen von Tabes dorsalis angestellt baben. Die sicb ans diesen Beobach- 
tungen ergebenden Schlfisse werden von Z. folgendermaassen znsammengefasst: 1) Bei 
gewissen Fallen von Epilepsie wird in der Zwischenzeit zwiscben den Anfallen der 
relative Wertb der P 2 0 6 niedriger als in der Norm. 2) Er steigt unmittelbar nach 
einem Anfalle sebr bedeutend. 3) Zuweilen tritt ancb eine Steigerung der relativen 
P 2 O s (im 24stbndigen Ham) ein, obne dass ©in Anfall nacbfolgt, aber nnr dann, 
wenn die Anzeicben eines solcben vorbanden sind. 4) Bei den mitgetbeilten Fallen 
von Hirntumoren erscbeint die relative P 2 0 6 im Ganzen und gleichzeitig aucb die 
an Erden gebnndene vermebrt; letzteres deutet wabrscbeinlicb auf gesteigerte Aus- 
scbeidung der Knocbensalze. 5) In dem Ldpine’scben Falle mit paralytiscben 
Erscbeinungen nach Syphilis ist der relative Wertb der P 2 0 6 vermindert und steigt 
nacb der Behandlung mit Jodkalium. 6) Bei Tabes dorsalis ist im Nacht- und 
Vormittagsharn, also in denjenigen Harnportionen, die am wenigsten von der ein- 
gefbhrten Nabrung beeinflusst werden, der relative Wertb der P 2 0 5 und des K, 
ebenso wie die Menge der gebundenen (Glycerin-) Pbospborsaure im Ham vermebrt 
Aucb der Kalk erscbeint relativ vermebrt, jedocb ist diese Vermehrung nicbt excessiv, 
wie in Fallen, wo das Knocbengewebe selbst viel Kalk verliert, sondern lediglicb dem 
Verhalten bei Fbtterungen mit grOsseren Quantitaten von Nervensubstanz entsprecbend. 

Es ware zu wQnschen, dass die von Z. angebahnten Untersuchnngen, die sich 
somit bereits als verwertbbar fbr die Semiotik einzelner neuropatbologiscber Zustande 
(Epilepsie, Katalepsie) berausgestellt baben, recbt bald eine ausgedehntere Verwen- 
dung namentlicb bei Erkrankungen des Gebirns und Biickenmarks finden mOcbten; 
ebenso* aucb bei der medicamentdsen Darreicbung von Arzneimitteln, welcbe excitirend 
oder deprimirend auf das Nervensystem wirken, und bei den verschiedenen elektro- 
therapeutiscben Applicationen. Hier bieten sicb offenbar Aufgaben, fQr deren An- 
regung und metbodologiscb-techniscbe Grundlegung wir den fleissigen, wobl nodi 
nicbt fiberall nacb ibrem vollen Wertbe geschatzten Arbeiten Z.’s zu grossem Danke 
verpflicbtet sein mflssen. A. Eulenburg. 


V. Vermischtes. 

Zu dem Kapitel fiber Kunstproducte, die als pathologischeVeranderungenangesehen 
werden, .giebt Tschiscb im letzten Heft von Virchow^ Archiv (Bd. 97. H. 1. S. 173) einen 
interessanten Beitrag. Danillo, Erlitzky u. A. batten im Hirn und Bfickenmark bei 
Paralytikem, bei Thieren, die mit Arsen, Quecksilber etc. vergiftet waren, Pigmentanhaufungen 
beschrieben, aucb Tschiscb in seiner Dissertation (cf. Neurol. Ctrlbl. 1883. S. 343). 

Nach den weiteren Versuchen des Letzteren zeigt sicb nun, dass diese Pigmentanhau- 
fungen Kunstproducte sind, die durch die Erlitzky-Hartungsflfissigkeit (l 1 /*—2°/o Kalium 
bichrom., 1 j t °/ 0 Cupr. sulf.) entstanden sind. M. 


Urn Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen ffir die Redaction sind zu richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Y*it & Comp, in Leipzig. — Druck von Mxtzgsr & Wimo in Leipzig* 


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Neurologisches Centr alblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben yon 

Professor Dr. E. Mendel 

Dritter 10 B * rUn - Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Bachhandlangen des In- nnd Anslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbnchhandlung. 


1884. 15. August. 16. 


Inhalt. I. Origlnalmittheilungen. Ueber die nenropathischen Symptoms der Lepra yon 

P. Rosenbich. 

II. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Znr Kenntniss der motorischen 
Punctionen des Lendenmarkes der Taube von 8inger. 2. Sulla sensibilita delle parti private 
della pelle, nota del Lussana. — Pathologische Anatomie. 3. Difetto porencefalico in 
individuo emiplegico dalPinfanza e con arresto di svilnppo degli arti del lato emiplegieo pel 
Bianchi. 4. Ueber Nemitis bei Herpes Zoster von Dubler. 5. Gangrene seche et nerfs pdri- 
pheriques par Vaillard. — Pathologic des Nervensystems. 6. Sur Torigine corticale du 
Facial inferieur par Raymond. 7. Ein Pall von Hirnhamorrhagie in das Corp. callosum von 
Erb. 8. Case of nodular tumor of the corpus callosum by Guire. 9. Ueber einen Fall von 
combinirten posthemiplegischen, motorischen Reizungstrschcinungen von Nothnagel. 10. Ueber 
den sog. Kopftetanus von GQterbock. 11. Ueber die progressiven spinalen Amyotrophien von 
Kahler. 12. Pachymeningitis interna hypertropbica by Munson. 13. Ein Fall von „spastischer“ 
amyotrophischer Bulbarparalyse complieirt mit amyotrophischer Ijateralsklerose von Blumen- 
thal. 14. Ueber doppelseitig fortschreitende Gesichtsatrophie von Wolff. 15. Note sur un 
nouveau cas de pied tabdtique par Fdrd. 16. Ataxie locomotrice etc. par Boyer. 17. Nogle 
ord om den glatte form af spedalskhed fra et nevropatologisk standpunkt af Leegaard. — 
Psychiatrie. 18. Ueber die Erscheinungen des partiellen Bewusstseins von Ssikorsky. 
19. Ueber den sog. „spastischen Symptomencomplex 4 ' bei der progressiven Paralyse von 
Zacher. 20. On cases of general paralysis with lateral sclerosis of the spinal cord by Savage. 
21. Clinical illustrations of puerperal insanity by Clark. — Therapie. 22. Heilung einer 
langanhaltenden Neuralgie des N. ulnaris durch Einspritzungen von Osmiumsaure von Turner. 

23. On the treatment of epileptiform neuralgia or the so-called incurable facial tic by Walsham. 

24. Gerbsaures Cannabin als Hypnotieum von Pusinelli. 25. Notiz liber Anwendung der 
Osmiumsaure gegen Epilepsie von Wildermuth. 26. Case of Insanity of seven years duration: 
treatement by electricity by Robertson. 

III. Aus den Gesellschaften. — IV. Personaiien. — V. Vermlschtes. 


I. Originalmittheilungen. 

Ueber die neuropatliischen Symptome dei - Lepra. 

Von Dr. med. P. Rosenbach in St. Petersburg. 

Obgleich der Aussatz gewohnlich den Hautkrankheituu zugezahlt wird, so 
spielt doch nicht selten die Hantaffection im Krankheitsbilde eine ganz untcr- 
geordnete Rolle, und die Patienten suchen haufig arztliche Hulfe wegen anderor 
Erscheinungen, die vorzuglich neuropatliisclier Natur sind. Ein solcher Fall 
gelangte unlangst zu meiner Beobachtung: 


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362 


Frau K., 25 Jahre alt, klagt hauptsachlich ub$r Verlust der Empfindupg 
und Motilitat an den Handen, wodurch sie der Arbeitsfajrigkeit beraqbt wkd. 
Die Untersuchung ergab folgenden Status praesens. 1 

Patientin ist mittleren Wuchses, regelmassig gebaut, anamisch und ab- 
gemagert. Die Ruckenhaut ist mit einer Menge von Flecken besaet, die ver- 
schiedene Farbennuancen aufweisen — weiss, gelb, braunlich und roth. An 
den meisten Flecken sind die Rander intensiver verfarbt, und in der Richtung 
zur Mitte nimmt die Farbung ab, indem sie hier zuweilen ganz fehlt Einige 
Flecken sind mehr oder weniger regelmassiger, ovaler oder runder Gestalt, von 
Groschen- bis Thalergrosse; andere dagegen sind von unregelmassigen, gezackten 
Linien begrenzt. Auch am Schultergurtel und am Gesass ziehen gelb-braunlich 
verfarbte Streifen, deren Enden allmahlich die gesunde Hautfarbe annehmen. 
An anderen Korperstellen ist keine pathologische Pigmentbildung wahrzunehmen, 
mit Ausnahme der Brustdrusen, deren Hautbedeckung auch vereinzelte Flecken 
mit gelbbraunen gezackten Randern aufweist. In morphologischer Hinaoht ist 
die Haut in der Ausdehnung der meisten Flecken unverandert, nur an einigen 
derselben erscheint sie anormal trocken und sklerosirt, an anderen hinwieder 
merklich dunn, atrophisch. Im Bereiche der Flecken ist die Schmerzempfind- 
lichkeit bedeutend herabgesetzt: Patientin fuhlt hier keinen Schmerz bei Nadel- 
stichen und den heftigsten Inductionsstromen, wahrend sogar schwachere Seize 
unmittelbar ausserhalb des Fleckenrandes Schmerz und reflectorische Bewegungen 
hervorrufen. Auch thermischen Reizen gegenuber ist die Sensibilitat im Bereiche 
der Flecken herabgesetzt, das Tastgefuhl jedoch vollkommen erhaJten, und Tast- 
empfindungen werden daselbst genau localisirt 

Im Gesicht ist die Hautfarbe normal, doch am Kinn, den Wangen und 
Ohren ist die Sensibilitat bedeutend abgestumpft, im Yergleich zu deijeiigen 
der Stirn, des Halses und der Brust. Seitens der Augen besteht geringer Star 
bismus und frequentes krampfhaftes Blinzeln, besonders am rechten Auge. 

An den Oberextremitaten fesselt die Aufmerksamkeit zuvorderet eine Dif- 
formitat beider Hande, die mit dem Bilde der progressiven Muskelatrophie 
grosse Aehnlichkeit bietet: Thenar und Hypothenar sind abgeflacht, zwischen 
den Metacarpalknochen tiefe Furchen, die Finger klauenartig verbogen (mam en 
griffe). Die Atrophie der Interossei und anderen kleinen Handmuskeln ist linker- 
seits bedeutend starker entwickelt, als rechts. Am Antibrachium, ebenfalls vor- 
zuglich dem linken, ist die Atrophie geringer und hat die ganze Musculatur 
mehr gleichmassig befallen. Die Motilitat der Finger ist ausserst erschwert, und 
Pat. kann sie activ weder vollstandig ausstrecken, noch beugen. Die elektrische 
Erregbarkeit der'Handmuskeln, sowohl dem faradischen als gahranischen Strom 
gegenuber ist merkbar herabgesetzt, aber Entartungsreaction lasst sich nicht nach- 
weisen, und KaSZ>AnSZ. Percussion der Bicepssehne ergiebt eine kraftige 
Contraction des Muskels. Die Fingergelenke sind angeschwollen, die sie be- 
deckende Haut, wie an der Volarflache uberhaupt, sklerosirt und trocken, ibre 

1 Patientin wurde von mir in der Marz-SitzuDg der St. Petersburger psychiatrischen 
Gesellschaft demonstrirt. 


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363 


Teihperatur merkbar herabgeeetet. Es fiiiden sich hier zahlreiche Narben — 
die Folge traumatischer Lfisionen, die Patientin sich wegen ihrer Analgesic oft 
zuzieht Nadelatiche sind im Gebiet der Hand und des Antibrachium ganz 
sohmerzlos; auoh faradische Strome verursachen hier nur bei hoher Intebsitat 
8chmerz; bei Application von Strohien mittlerer Starke an die Hande empfindet 
Patientin nor ein Hitoegeffihl, wahrend dieselben an anderen Hautstellen heftigen 
Schmerz bewirken. Die Analgesie nimmt in der Richtung zur Schulter allmahlich 
ab, doch die normale Sensibilit&t stellt sich erst ausserhalb der oben erw&hnten 
pigmentirten Streifen wieder ein. Das Geffihl fur therniische und Taetreize ist 
an den Fingern und der Vola mauus ebenfalls merkbar herabgesetzt^ aber in 
der Anttregion werden tactile Reize genau localisirt. 

Ah den Unterextremitaten, deren Halit, wie erwahnt, nichts Pathologisches 
erkehneh laSst, ist das Bchmerzgefuhl vollstfindig verloren. Man kantt eine Nadel 
tief in did Musculatur hineihsenken, man kann die stilrksten, funkengebendeh 
Inductionsstrome applicireh, ohne dass Patientin Sch m erz empfindet. Sie bemerkt 
selbst, dass man ihr die Ftlsse abschneiden konhte, ohne ihr Schmerz zu ver- 
ursachen, und an den Schenkeln flnden sich einige von Brandwunden her- 
stamittende Narben, die von Patientin unbeachtet geblleben waren. Tastgefuhl 
und Raumslnn dagegen weichen an den Unterextremitaten nicht von der Norm 
ab. Die Analgesie erstreckt sich gleichmassig auf die gauze Oberflache der 
Unterextremitaten, vortt bis an die Bauchgegend, hinten bis an das Gesass. Die 
Hantbedeckilng selbst bietet kelhe Veranderungeh, an den Muskeln ist keine 
Atrophie wahfzunehmen, nnd das Verbalten letzterer gegen elektrische Reizung 
ist normal, abgesehen von einer geringfugigen Herabsetzung ihrer ErregbaTkeit. 
Am libken Fuss besteht bn Gebiet der zwei inneren Zehen eine Phlegmone mit 
AUsgdhg in GangTfin: an einigeh Stellen ist die Haut durchbrochen und aus 
den dadurch entstaudeneh Geschwuren entleert sich ichorrhdser Eiter. Die Knie- 
phhnomene sind beiderseits in bedeutendem Maasse gesteigert, doch Clontis lhsst 
sich nicht erzeugen. Der Gang bietet nichts Abnormes; Patientin klagt nur 
fiber leichte Ermfidbarkeit. Schluss der Augen hat keine Gleichgewichtsstorung 
zur Folge. 

Seitefis der inneren Organe der Brust- find Bauchhohle liegen keihe pa- 
thologischen Yeranderungen vor. Patientin giebt an, sehr selten und wenig zu 
schwitzen und ein bestfindiges Kfiltegefuhl im ganzen Korper zu haben; andere 
subjective Sytttptothe sind nicht vorhanden. Psvchischerseits nichts Abhormes. 

Die Afiamnese ergab Folgendes: Die Krankheit hatte vor mehr als 5 Jaliren 
angefangen sich allmahlich zu enttvickelu, ohne jegliche acute Erscheinubgen. 
ZavordeTst bildeten Sich an def Hautbedeckung der Unterextremitaten Flecken 
von der Art, trie sie gegenwartig auf dem Rucken bestehen. Diese Flecken 
nahmen mit der Zeit an Ausdehnung zu, und je mehr sie sich zur Peripherie 
ausbreiteten, um so mehr schwand die pathologische Fiirbung im Centrum, in¬ 
dent Ztlgleich im bntsprechenden Gebiete Analgesie sich eihstellte. Im Laufe 
einiger Jahre hatten sich die Rander der Flecken bis an den Rumpf verschoben, 
wahrend die Hautbedeckung der Unterextremitaten ihr normales Aussehen wieder 


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364 


gewann, doch vollstandig unempfindlich fur Schmerzreize geworden war. Yor 
3 Jahren gesellte sich zu diesen Erscheinungen aUmahliche Abmagerung und 
Difformitat der Oberextremitaten hinzu, begleitet von Beeintrachtigung ihrer 
Sensibilitat; zu gleicher Zeit begann auch die Fleckenbildung am Rucken. In 
der Ascendenz der Patientin war angeblich keine ahnliche Erkrankung vorge- 
kommen; ihre Eltern sind an zufalligen acuten Krankheiten verstorben, ihre 
Gescbwister gesund. Patientin selbst will auch fruher niemals krank gewesen sein. 

Die wesentlichsten Krankheitserscheinungen kurz resumirend linden wir: 
vollstandige Analgesie an den Unterextremitaten bei erhaltenem Tastgefuhl, 
Herabsetzung des Schmerz- und Tastgefuhls an den Oberextremitaten, am 
Rucken im Gebiet der Flecken und an der unveranderten Gesichtshaut; Afcro- 
phie der kleinen Muskeln an beiden Handen nebst Emahrungsstorungen der 
Haut und der Fingergelenke; eigenthumliche, von Ernahrungsstorung der Haut 
begleitete Pigmentanomalien, die gegenwartig am Rucken zerstreut sind, jedoch 
zuerst im Anfang der Krankheit an den Unterextremitaten aufgetreten waren; 
Steigerung der Kniephanomene; gangranose Affection zweier Fusszehen; schliess- 
lich Fehlen jeglicher Lahmungserscheinungen und Gleichgewichtsstorungen. 

Die Gesammtheit der geschilderten Krankheitssymptome in Yerbindung mit 
der Geschichte des Krankheitsverlaufs lasst nicht daran zweifeln, dass wir einen 
Fall von Lepra vor uns haben. Bekanntlich unterscheiden die Dermatologen 
von der sogenannten Lepra tuberosa (tuberculosa 8. cutanea), welche vorzuglich 
durch die Entstehung eigenthumlicher Knotchen an der Korperoberflache cha- 
rakterisirt ist, eine andere Form des Aussatzes, in welcher gar keine morpho- 
logischen Yeranderungen der Hautbedeckung vorkommen, sondern die Haut- 
affection auf das Auftreten von Flecken (Morphaea rubra, alba, nigra, lardacea etc.) 
sich beschrankt, in deren Gebiet das Schmerzgefulil schwindet. Diese Krank- 
heitsform wird als Lepra maculosa bezeichnet (Hansen, Hebra, Kaposi u. A.); 
doch da zuweilen gar keine Fleckenbildung auftritt, sondern die Erscheinungen 
seitens der Haut ausschliesslich in Analgesien bestehen, — eine Form, die von den 
erwahnten Autoren als dritte (Lepra anaesthetica) unterschieden wird — sprechen 
die meisten Dermatologen nur von zwei Formen, indem sie der erstgenannten 
(L. tuberosa s. cutanea) eine Lepra anaesthetica s. nervorum (s. mutilans) gegen- 
uberstellen. 

In unserem Fall sind alle charakteristischen Symptome letzterer vorhanden, 
weshalb ich eine ausfuhrlichere Begrundung der Diagnose fur iiberflussig halte. 
Es fehlt nur eine Prodromalerscheinung — die Bildung von Pemphigusblasen, 
die zuweilen dem Auftreten der Flecken und der Anasthesie vorangeht; ubrigens 
zeichnet sich dieses Symptom keinesfalls durch Bestandigkeit aus. In atiologischer 
Hinsicht genugt der Umstand, dass Patientin aus Livland (russische Ostsee- 
provinz) stammt, wo der Aussatz bekannterweise endemisch herrscht. Jeden- 
falls darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass auch sporadische Lepra- 
erkrankungen vorkommen, wobei die Krankheit meistens als L. maculosa auftritL 1 

Ln klinischen Bilde unseres Falles verdienen einige Momente besondere 

1 Hebra and Kaposi, Handbuch der Haatkrankheiten. 1881. Bd. H. 


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365 


Beachtung in neuropathologischer Hinsicht, — zuvorderst die Atrophie der Hand- 
muskeln. 

Es erwahnen zwar schon arabische Autoren Muskeiatrophie der Ober- 
extremitaten beim Aussatz, nnd anch Danjellsen und Boeck bescbreiben in 
ihrer Monograpbie als Symptom der anasthetischen Lepra Abflachung der Hande 
nebst eigenthumlicher Contractur der Finger; 1 doch Duchenne (de Boulogne) 
hat zuerst auf die Aehnlichkeit der in Bede stehenden Erscbeinung mit der 
progression Muskeiatrophie aufmerksam gemacht. Dieser Autor theilt 3 Falle 
anasthetischer Lepra mit, in denen die Hande Veranderungen aufwiesen, welche 
benannter Erankheit sehr ahnlich waren. 2 Indessen bemerkt er, dass die ein 
Symptom der Lepra ausmachende Atrophie der Handmuskeln stets von der 
echten progressiven Muskeiatrophie unterschieden werden konne, indem erstere 
durch eine eigenthumliche Contractur der Fingerbeuger charakterisirt sei. In¬ 
dem er die Abbildung einer leprosen Handatrophie mit deijenigen einer echten 
progressiven Muskeiatrophie vergleicht, findet er, dass in ersterem Falle die zwei 
letzten Fhalangen ausserst stark flectirt und dem Daumen zugewendet, im an- 
deren dagegen halbgebeugt (demiflexion) seien. 3 Andere Autoren, die Atrophie 
der Handmuskeln bei Leprosen beobachteten (Steudeneb, Rosenthal, Yallin, 
Lamblen), lassen die von Duchenne angeregte Frage unerortert. Was unsere 
Patientin anbetrifft, so entspricht allerdings die Stellung ihrer Finger der von 
Duchenne gegebenen Beschreibung; doch scheint uns trotzdem kein Grand 
vorhanden, diese Muskelaffection als wesentlich verschieden von der progressiven 
Muskeiatrophie zu betrachten. In der That, die Atrophie der Handmuskeln 
beim Aussatz ist gewohnlich, wie auch in unserem Fall, von trophischen Sto- 
rungen der Haut und Gelenke begleitet, woven die Stellung der Finger beein- 
flnsst wird. Bei unserer Patientin ist die Haut an den Fingem und am Hand- 
rficken sklerosirt, durch Narbengewebe verunstaltet, die Fingergelenke sind an- 
geschwollen. Andererseits werden auch im Verlauf der progressiven Muskei¬ 
atrophie Varietaten der Fingerstellung bedingt durch das Stadium der Erankheit 
und durch individuelle Sonderheiten der Falle; es ist auch von Bedeutung, dass 
in der progressiven Muskeiatrophie, als deren anatomisches Substrat bekannter- 
weise eine Erkrankung der grauen Substanz des Ruckenmarks gilt, trophische 
Storungen nicht selten die Muskelaffection begleiten. In Anbetracht dieser Er- 
wagungen glauben wir zu der Annahme berechtigt zu sein, dass deijenige 
pathologische Prozess, der die charkteristische Atrophie der Handmuskeln bei 
Leprosen herbeifuhrt, mit dem der progressiven Muskeiatrophie zu Grande 
liegenden identisch ist. 

Bezuglich des Yerhaltens der Eniephanomene bei Leprosen liegen in der 
Literatur sehr wenig Angaben vor. Es ware indessen von grossem Interesse zu 
ermitteln, ob Steigerung derselben, wie wir sie in unserem Falle gefunden, ein 

1 Daniellsbn et Bobck, Traits de la Spedalskhed on Elephantiasis des Grees. Paris 
1848. p. 272—273. 

1 Dvchxmnc (de Boulogne), De l’Electrisation localisee. Paris 1872. 3-iEme Edition. p.546sq. 

’ Ibidem p. 551. 


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366 


bestandiges Symptom der Krankheit bildet, da dieses Symptom auf Affection 
des Ruckenmarks bezogen werden konnte. Uebrigens durfte es in dieser Hin- 
sicht ron Bedeutung sein, dass diejenigen Antoren, die das Yerbalten der 
Kniephanomene pruften, beim Aossatz stets Steigerung derselben constatirten 
(Beeueb , 1 Rosenthal , 2 Yallin 3 ). 

Schliessiich verdient in unserem Fall noch der TJmstand Beachtong, dass 
an den Unterextremitaten vollkommene Analgesie besteht, bei vollstandiger 
Intactheit des Tastgefuhls und des Vermogens Tastreize genan zu localisiren. 
Es wird uberhaupt nicht bezweifelt, dass das Schmerzgefuhl durch eigenthum- 
liche Erregnng bestimmter Nervencentren in Folge gewisser Intensitat eines 
ausseren Reizes bedingt ist; und aus dem vollstandigen Yerlnst dieses Gefuhls 
bei Erhaltung des Tastgefuhls ist zu schliessen, dass der pathologische Prozess. 
der eine solche Sensibilitatsstorung herbeifuhrt, die centralen Apparate des 
Nervensystems afficirt. Zu Gunsten dieser Annahme spricht auch der TJmstand, 
dass die Hautbedeckung an den Unterextremitaten unserer Patientin keine wahr- 
nehmbaren Veranderungen aufweist, wahrend im Gebiete der Fiecken am Rucken 
sowohl, als an den Oberextremitaten, wo trophische Storungen der Haut zu con- 
statiren sind, nebst dem Schmerzgefuhl auch die Sensibilitat fur Tastreize be- 
eintrachtigt ist. 

Also fuhrt uns die Analyse der von unserer Patientin gebotenen Symptome 
zu der Annahme, dass hier eine Affection des centralen Nervensystems und zwar 
des Ruckenmarks vorliegt Es fehlen im Krankheitsbilde jegliche Erscheinungen, 
die auf eine Erkrankung der weissen Ruckenmarksstrange zu beziehen waren, 
imd die Affection ist in der grauen Substanz zu suchen, welche bekannter Weise 
trophische Centren fur die bei unserer Patientin befollenen Gewebe enthalt Es 
ist hier zu bemerken, dass in der Pathologie der Rfickenmarksleiden uberhaupt 
Ernahrungsstorungen der Haut, der Muskeln und Gelenke keine Seltenheit bilden. 
Die progressive Muskelatrophie wird, wie schon erwahnt, nicht selten von tro- 
phischer Stoning der Haut und auch Beeintrachtigung der Sensibilitat begleitet; 
im Verlaufe der Ataxia locomotrix werden die verschiedensten Emahrungs- 
storungen beobachtet; doch besonders mannigfaltig und haufig sind derartige 
Erscheinungen bei chronischen, diflusen Affectionen der grauen Ruckenmarks- 
8ubstanz, die zur Hohlenbildung, zur sogenannten Syringomyelie fuhren. In der 
Krankengeschichte solcher Falle trifft man als bestandige Symptome Emahrungs- 
storung, Blasenbildung, Yerschwarung oder Sklerose der Haut, Atrophie der 
Musculatur, ungleichmassige Beeintrachtigung verschiedener Sensibilitatsarten in 
den verschiedenen Krankheitsperioden etc. (vgL die Falle von Spath-SghOfpel, 
Sohultze, Westphal, Fcestnee und Zacheb u. A.). Die letztgenannten Au- 
toren machen besonders darauf aufmerksam, dass noch im Laufe vieler Monate 
nach Verlust des Schmerzgefuhls das Tastgefuhl ihres Patienten unbeeintrachtigt 

1 Beeukb, Ein Fall von Lepra. Vierteljahrsschrift {fir Dermatologic und Syphilis. 
1880. S. 532. 

* Rosenthal, Zur klinischen Charakteristik der Lepra anaesthetica. Ibid. 1881. S. 27. 

* Vallin, Un cas de lfcpre hyperesth&ique. L'Union m4dicale. 1880. Vol. 30. p. 893. 


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war. 1 Es ist dabei selbstverstandlicb, dass man das Erankheitsbild der Syringo¬ 
myelic dnrchans nicht mit dem Symptomencomplex der Lepra identifioiren darf. 
Einerseits sind im ersteren Fall die bezeichneten tropbonenrotischen Storungen 
von verschiedenen anderen spinalen Symptomen begleitet — Lahmung der Ex- 
tremitaten, Ataxie, Contracturen, vasomotorischen Storungen etc.; andererseits 
kann fur die Syringomyelic uberhaupt keine bestimmte Symptomengruppe auf- 
gestellt werden, da das Erankheitsbild in seinen Details von der topographischen 
Yerbreitung und Ausdehnnng der Hohlen, nnd auch von den durcb die Hdhlen- 
bildnng bedingten secundaren Degenerationen abhangt; es ist dies auch der 
Grand, weshalb die intravitale Diagnose der Syringomyelic auf so grosse Schwierig- 
keiten stosst Trotzdem lasst es sich nicht verkennen, dass die nenropathischen 
Symptome der Lepra im Allgemeinen einer ausgebreiteten Affection der grauen 
Rfickenmarkssubstanz, wie die bei Syringomyelie vorkommende, entsprechen. 

Die Sectionsergebnisse Leproser haben die verschiedenen Autoren zu ganz 
entgegengesetzten Angaben fiber die Beziehung des centralen Nervensysterns zum 
Erankheitsprozess veranlasst Wahrend die Affection der Nervenstamme beim 
Aussatz als allgemein anerkannt und sichergestellt gelten kann, wnrde das 
Rfickenmark haufig intact gefunden, und in Folge dessen eine Affection des- 
selben auch. in den Fallen, wo sie vorlag, als seoundar und unwesentlich be- 
trachtet Die Erhellung dieser Frage wird bedeutend erleiohtert, wenn man die 
Angaben fur die tuberose und anasthetische Form der Lepra gesondert analysirt. 
Schon bei Daniellsen und Bobs liegt in der Beschreibung des centralen 
Nervensystems zwisohen beiden genannten Formen ein bedeutender Unterschied. 
Im ersteren Falle fanden die Autoren Oedem (exsudation g61atineuse) der Arach- 
noidea und serose Ergfisse in den HirnTentrikeln; ausserdem TJeberffillung der 
Yenen — „Sachen, die bei vielen anderen Erankheiten vorkommen und bei der 
tuberosen Lepra einen nur zufalligen Befund ausmaohen." Im Wirbelkanal war 
Alles normal, abgesehen von Venenfiberfullung.* Bei der anasthetischen Lepra 
beschrfinkten sich die Erscheinungen seitens des Gehirns ebenfalls auf Oedem, 
obgleich zwar in hoherem Maasse; im Bfickenmark jedooh wurden mit Bestandig- 
keit deutliche Veranderungen angetroffen, und zwar: Verwachsung der Arach- 
noidea und Pia an der hinteren Flache des Rfickenmarks, wobei die genannten 
Haute vejdickt, getrfibt und von gelblichem Exsudat erffillt waren. Das Gewebe 
des Rfickenmarks selbst erschien hart und atrophisch, die graue Substanz hatte 
ein schmutzig-gelbliches Aussehen. 8 Angaben fiber histologisohe Yeranderungen 
sind in der 1848 erschienenen Arbeit von Daniellsem und Boece nicht enthalten. 

Spater bestatigte sich das Fehlen pathologischer Yeranderungen im Rficken- 
mark bei der tuberosen Lepra, und diejenigen Autoren, die eine wesentliche 
Betheiligung des centralen Nervensystems an der leprosen Affection fiberhaupt 
bestreiten, stfitzen sich hauptsachlioh auf diesen Umstand, indem sie die bei der 

1 FCbstnkb und Zaohbb, Zur Pathologie und Dingnoatik der spinalen HOhlenbildung. 
Arch. f. Psychiatric. 1888. Bd. XIV. S. 449. 

* Dactellsbn et Bobok, 1. o. p. 228 

s Ibidem p. 288—285. 


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anasthetischen Lepra beschriebenen Yeranderungen des Ruckenmarks als neben- 
sachlich betrachten. 1 * Diese Anschauung erfreute sich fruher einer solchen Yer- 
breitung, dass Steudexeb, der in einem Fall anasthetischer Lepra ansser aus- 
gebreiteter Neuritis eine spaltformige Hohlenbildung im Ruckenmark vorfand, 
welche fast in der ganzen Langenausdehnung desselben vorzuglich das Gebiet 
der Hinterhorner einnahm, diesen Befund bei seiner Patientin als eine zufallige 
Complication bezeichnet, die symptomlos verlaufen sei. 3 Indessen wurde Er- 
weichung der grauen Substanz im Gebiet der Hinterhorner bei anasthetischer 
Lepra auch yon Langhans gefiinden, der bereits die wesentliche Bedeutung der 
spinalen Affection in dieser Krankheitsform hervorhebt. 3 Teems jew hat eben- 
falls im Ruckenmark eines leprosen Subjects Yerringerung der Anzahl und 
Yeranderung der Gestalt der Nervenzellen in den Hinterhdmem beschrieben. 4 * 
Prof. Rosenthal, der die erwahnten pathologisch-anatomischen Befunde zn- 
sammenstellt, hat sogar eine besondere Benennung — „Poliomyelitis posterior 
chronica^ — fur diejenige AfFection des Ruckenmarks vorgeschlagen, die der 
anasthetischen Form der Lepra zu Grunde liegt. 6 Wir glauben, dass die bisher 
vorhandenen Angaben nicht genugend sind, um die Aufetellung einer solchen 
anatomischen Erkrankungsform zu rechtfertigen, obgleich sie unzweifelhaft im 
Allgemeinen mit dem klinischen Bilde der anasthetischen Lepra in Einklang 
steht; im Besonderen ware es dann leicht, die haufige Complication letzterer 
mit den Erscheinungen progressiver Muskelatrophie durch TJebergreifen der Er- 
krankung auf die Yorderhomer der grauen Substanz zu erklaren. 

Es ist jedoch zu berucksichtigen, dass die Seetionen Leproser ausser den 
bezeichneten Befunden auch pathologische Yeranderungen der MmssNEB’schen 
und PACiNi’schen Hautkorperchen, der PACiNi’schen Korperchen im Mesenterium, 
des Gangl. Gassebi etc. ergeben haben. Andererseits ist das klinische Bild der 
anasthetischen Lepra durchaus nicht durch solche Symptome erschopft, die auf 
eine Affection der Hinterhorner des Ruckenmarks allein bezogen werden konnen. 
So wird nicht selten an Leprosen Lahmung des N. facialis beobachtet; die 
Casuistik der in Rede stehenden Krankheit bietet Beispiele, wo der Entwickelung 
des charakteristischen klinischen Bildes Hyperasthesien, Paraplegien, Coordinations- 
storungen etc. vorangingen; in unserem Fall bestanden auch krankhafte Er¬ 
scheinungen seitens der Augen und Herabsetzung der Sensibilitat am Gesicht. 
In Folge dessen scheint uns die Annahme der Wirklichkeit mehr zu entsprechen, 
dass der anasthetischen Lepra eine verbreitete Affection verschiedener Gebiete 
des centralen Nervensystems zu Grunde liegt, wobei der Erkrankung der grauen 
Ruckenmarkssubstanz eine hervorragende Bedeutung zukommt. 

1 Neisskb, Die chron. Infectionskrankh. der Haut. Zikmssbn*s Hdb. der spec. Pathol, 
u. Therapie. 1883. Bd. XIV. S. 638. 

1 Stbudbneb, Beitrage znr Pathologic der Lepra mutilans. Erlangen 1867. S. 87. 

8 La'nghans , Zur Casuistik der RUckenmarksaffectionen. Vibchow's Archiy. 1875. 
Bd. 64. S. 178. 

4 Tbchibjew, Lesions de la moelle 4pini^re et de la peau dang un cas de lepre anes* 

th4sique. Arch, de physiol. 1879. t. VI. p. 614—622. 

8 Rosenthal, 1. o. S. 32. 


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II. Refer ate. 


Experimentelle Physiologie. 

1) Zur Kenntniss der motorischen Functionen des Lendenmarkes der 
Taube von Dr. J. Singer in Prag. (Sitzungsberichte d. Akad. d. Wissensch. 
zu Wien. 1884. Miirz.) 

Bezugnehmend auf die Yorarbeiten yon Goltz, Freusberg und Luebsinger 
8tudirte Verf. an der Taube nacb Durchschneidung des Rflckenmarks zwiscben Dorsal- 
und Lumbaltheil die verbleibenden Functionen des letzteren resp. seine Selbststandigkeit. 

Die Erscheinungen an den Beinen zeigten eine ziemlich vollstandige Analogic 
mit den beim Hunde von Freusberg gefundenen. Abgesehen von den sehr starken 
Reflexen aller Art, welche von den verschiedensten leichten Reizen — Bewegungen etc. 
— ausgel&st werden, beobachtete S. besonders Folgendes: Die in die H5he gehobenen 
Thiere balten die Beine meist leicht flectirt; drfickt man nun die Zehen des einen 
Beines, so wird dieses flectirt, das andere gleichzeitig gestreckt. Fflhrt man vor- 
sichtig die passive Beugung und Streckung eines Beines aus, so macht das andere 
gleichzeitig umgekebrt activ Streckung und Beugung, so oft man will. 

Bei im Laufe der Zeit eintretender Zunahme der Reflexerregbarkeit erfolgen 
schon durcb das blose Aufheben der operirten Thiere die altemirenden Bewegungen 
der Beine und zwar bis 120mal in der Minute. 

Hemmung der Reflexe durch starke faradische StrGme — wie Goltz und Freus¬ 
berg bei Hunden fanden — konnte S. bei den Tauben nicht erzielen. 

S. scbildert sodann eigenthilmliche Reflexbewegungen der Steuerfedern des 
Scbwanzes, welcbe eintraten bei gewissen Veranderungen der Kflrperhaltung der 
Tauben, z. B. aucb beim Hin- und Herscbwingen derselben auf einem schwingenden 
Seile. S. betont aucb nocb besonders, dass tiberhaupt die Beine der Taube nacb 
vollstandiger Rflckenmarksdurcbscbneidung nicbt schlaff gelahmt, sondern fast stets 
mehr Oder weniger stark innervirt sind, entweder beide flectirt, Oder das eine flectirt, 
das andere gestreckt: selbststandige Innervation vom abgetrennten Lendenmarke aus. 

Die rbytmiscben Bewegungen der Beine erklart S. im Anschluss an Freusberg 
als verursacht durcb centripetale, nacb dem Contractionszustande der Muskeln der 
betreffenden Extremitat wechselnde, von den sensiblen Nerven der Haut, der Gelenke 
und der Fascien dem Centralorgane zugebende Erregungen. Er fflhrt bierbei an, 
dass Schrflder van der Kolk scbon 1847 darauf aufmerksam gemacbt bat, dass, 
wenn ein Rflckenmarknerv Bewegungsaste an Muskeln abgiebt, seine Gefflhlsaste nach 
jenem Theile der Haut verlaufen, welcber durcb die namlichen Muskeln bewegt wird. 
Werden nun z. B. durcb eine passive Beugung eines Beines gewisse sensible Er¬ 
regungen dem Rflckenmark zugesendet, so lSsen diese eine active Beugung des Beines 
aus, und letztere wieder vermittelst eines Reflexmecbanismus eine gleichzeitige 
Streckung des anderen Beines. Dieser betreffende Mechanismus muss als eigen- 
thumlich fflr die Tauben mit scbreitendem Gange angeseben werden, wahrend er 
z. B. fiir biipfende Vflgel ein anderer sein muss (Versucbe hiertiber steben noch aus). 

Es sei aucb der Umstand bervorzubeben, dass es immer scbwacbe Reize sind, 
welcbe bei den operirten Tbieren die fraglichen Bewegungen ausl5sen, wahrend starke 
Beize nur die sog. „pathischen“ Reflexe hervorrufen. — Luebsinger bat das Gleicbe 
auch scbon fflr den von ihm gefundenen Trabreflex hervorgehoben. 

Unzweifelbaft erhellt aus Allem die grosse Selbststandigkeit des Rflckenmarks, 
und die Ricbtigkeit der Ansicht von Volkmann und Schr5der v. d. Kolk, dass 
die Coordination der Bewegungen im Rflckenmark gesebiebt, und nicbt im kleinen 
Gehirn. Hadlicb. 


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2) Sulla sensibilita delle parti private della pelle, nota del Prof. F. Lussana. 

(Archiv. italiano per le mal. nervose ecc. 1884. XXI. p. 271.) 

Yerf. hat•einige Versuche Weber’s, welche dieser 1856 fiber das Empfindungs- 
vermOgen an KCrperstellen, welche der normalen Rant beraubt sind, angestellt hat, 
zu wiederholen Gelegenheit gehabt, und zwar bei einer 45jahrigen Fran, die vor 
etwa 35 Jahren einen enormen Substanzverlust der Haut auf der Aussenseite des 
rechten Unterschenkels erlitten hatte. 

Abgesehen von einer Zone, in der absolute Anfisthesie fflr alle Qualitaten der 
Empfindung herrschte und die dem Yerbreitungsbezirk der an der Yerletzungsstelle 
im subcutanen Gewebe verlaufenden Hautnervenaste entsprach, wurden Berfihrungen 
fiberaU empfunden; die Empfindungskreise waren indess abnorm gross, indem selbst 
auf 10 cm Distanz zwei Berfihrungen stets nur fflr eine erklart wurden. In dem- 
selben Bezirke war die Empfindung thermischer Differenzen ganz aufgehoben. Ex¬ 
treme in der Temperatur riefen einfache Schmerzempfindungen ohne jedes Warme- 
oder Kaltegeffihl hervor. Yerf. glaubt daraus schliessen zu dfirfen, dass zur allgememen 
Empfindung einer Berfihrung und zur Schmerzperception keine normal© Haut mit 
ihrem PapillarkOrper und den specifischen Nervenendigungen vorhanden sein mflsse, 
Muskeln und Fascien kOnnten daher, auch wenn sie blossgelegt seien, Schmerz und 
Berfihrung empfinden. Ferner dass das Muskelgeffihl durch Zerstflrung der Haut 
und ihrer Nerven in keiner Weise modificirt werde, und dass das Schmerzgeffihl 
nicht eine einfache Steigerung der Berfihrungsempfindung, sondern eine ganz unab- 
hangige Perception sei, die auch dem tieferen Gewebe zukomme. Sommer. 


Pathologische Anatomie. 

3) Difetto porencefalioo in individuo emiplegioo dall’infanza e con arresto 
di sviluppo degU arti del lato emiplegico pel Prof. L. Bianchi. (La 
Psichiatria. 1884. II. p. 97.) 

Ein neuer Fall von angeborener „Porencephalie“ ohne hydrocephale Residuen 
bei einem 73jahrigen Greise. YOllige Lahmung der rechtsseitigen Extremitaten mit 
Atrophie und Contractur des rechten Arms seit der frfihesten Kindheit. Die Psyche 
scheint intact gewesen zu sein, da der geringe Grad von Schwachsinn, der bei der 
firztlichen Untersuchung l l / 2 Jahr vor dem Tode des Pat. beobachtet wurde, wahr- 
scheinlich als senil anzusehen war. Sinnesorgane und Sprache vOllig normal; in der 
Gesichtsmusculatur fibrigens keine Spur einer L&hmung. Tod an Marasmus. 

Sch&del symmetrisch. Dura etwas verdickt, Pia leicht 5demat5s. Himgewicht 
ohne Hfiute 960, linke Hemisphere 380, rechte 435, Klein- und Mittelhim 145 Gramm. 
Auf der linken Convexitfit — abgesehen von zahlreichen kleineren Windungsanomalien, 
derentwegen auf die dem Original beigegebenen Zeichnungen verwiesen werden muss 
— ein spaltenartiger Defect, der die beiden oberen Drittheile der beiden Central* 
windungen fast in ihrer ganzen Ausdehnung betrifft; auf der rechten Convexitat ein 
fihnlicher Defect, der aber nur das obere Drittel beider Centralwindungen einnimmi 
Beide stehen durch einen rundlichen Kanal mit dem Seitenventrikel in weiter Ver- 
bindung. Hochgradige Kleinheit der rechtsseitigen Pyramide. Es besteht also ein 
mfichtiger Defect des linken motorischen Rindenfeldes und der entsprechenden Pyra- 
midenbfindel; der kleinere Defect auf der rechten Hemisphere scheint keine specifischen 
Symptome hervorgerufen zu haben. 

Als Ursache dieser Anomalien ist eine intrauterine Entwickelungshemmung an- 
zunehmen; die Oberflfiche des Defectes gleicht der normalen Himrinde im embryonalen 
Zustande — die grossen Pyramidenganglienzellen sind gar nicht zur Ausbildung 
gelangt. Hirgends ist eine Spur von Narbengewebe, Sklerose Oder Pigmentirung, 


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wie sie doch bei entzundlichen oder hamorrhagischen Frocessen zu erwarten ware; 
auch fehlen alle Hydrocephalusresiduen. 

Bemerkenswerth ist in symptomatologischer Hinsicht die anscheinend unbeein- 
trachtigt gebliebene Intelligenz, das Fehlen linksseitiger Paralysen, und die normale 
Sprache: freilich ist die 3. Stimwindung und der Fuss beider Centralwindungen 
ziemlich intact. Auch das hohe Alter, das Pat. erreicht hat und die Duplicitat des 
Defectes ist ungewChnlich. 

Die beigegebenen Abbildungen sind recht ffbersichtlich. Sommer. 


4) Ueber Neuritis bei Herpes Zoster von Dubler. (Virchow’s Archiv. Bd. 96. 

S. 195—234 und Taf. XI u. XH.) 

In 2 vom Verf. untersuchten Fallen ergab sich als Grundlage des Herpes Zoster 
eine verbreitete, bis in die subcutanen Zweigelchen verfolgbare Neuritis parenchymatosa 
et interstitialis der Intercostalnerven, deren Ausdehnung genau der Hautaffection 
entsprach. Diese Neuritis war im ersten Fall von einer kasigen Periostitis der 
Rippen fortgeleitet, im zweiten spontan entstanden. Befallen waren sowohl die 
Stamme der Intercostalnerven als auch die perforirenden und (weniger intensiv) die 
hinteren Aeste; sowohl die sensiblen als die motorischen Endaste. Die Spinalganglien 
waren intact bis auf Eines, in welchem im Bereich gewisser das Ganglion durch- 
setzender Nervenbiindel entziindliche Veranderungen angetroffen wurden; solche fanden 
sich hier auch in der zugehflrigen sensiblen und motorischen Wurzel. Die neuritischen 
Veranderungen — Degeneration der Nervenfasem in den verschiedensten Stadien von 
der einfachen Zerkldftung des Marks bis zu totalem Schwund der Faser mit Hinter- 
lassung der leeren Schwann’schen Scheide — betraf llberall nur einen Theil des 
Querschnitts der Nerven&ste. 

Eine eingehende Kritik der in der Literatur niedergelegten anatomischen Be- 
funde bei Herpes Zoster fuhrt den Verf. zu dem Schluss, dass die so wichtige 
Untersuchung der peripheren Nervenverastelungen bisher sehr vernachlassigt sei. 
Und doch schienen dieselben beim Zustandekommen des Herpes Zoster eine bedeu- 
tendere Rolle zu spielen, als die Spinalganglien, die vielleicht erst secundar erkrankten. 
Von demselben Gesichtspunkt aus kommen nach seiner Ansicht beim Herpes Zoster 
atiologisch all’ die Momente in Betracht, welche zu einer Neuritis ftthren, die bis 
in die Hautendigungen der Nerven hinuntersteigt und von da auf das Rete Malpighi 
selbst hbergreift. Tuczek. 


5) Gangrene sdche et nerfs pdriphdriques par Vaillard. (Soci^td de Biologie. 

Stance du 26. Juillet 1884. Compt. rendu gdn&ral. No. 31.) 

Ein 24 Jahr altes Madchen bekommt eine trockene Gangran an beiden Ffissen 
von den Zehen bis zur Articulatio tibio-tarsalis. Die Section ergiebt reichlichen Er- 
gnss in die Ventrikel, Adharenz der Pia an den Cortex; im Uebrigen weder im Him, 
noch in den flbrigen Organen irgend eine Veranderung. 

Im Rftckenmark diffuse Sklerose, die die graue Substanz intact lasst und be- 
sonders einen Theil der Hinterstrange einnimmt. 

Spinalganglien normal. Makroskopisch erscheinen die Nerven der ergriffenen 
Olieder gesund. Mikroskopisch sind alle Nervenaste, die vom Fuss nach aufwarts 
verlaufen, stark verandert; diese Veranderung nimmt weiter nach oben mehr und 
mehr ab; Stamm des Ischiadicus und Cruralis sind normal. 

Im Verlauf einer diffusen Erkrankung des Nervensystems war also, 
unabhangig von jeder Stdrung in den Gef&ssen, eine symmetrische 


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trockene Gangran ohne Alteration der trophischen Centren, lediglich 
durch eine Lasion der peripheren Nerven entstanden. 

In der Discussion bemerkt DOjerine, dass der Fall wieder beweise, dass bei 
Krankbeiten des Centralnervensystems Lasionen der peripheren Nerven auftreten 
konnen, die absolut unabhangig von den ersteren sind und parallel mit jenen ver- 
laufen kOnnen, ohne unter ihrem Einfluss zu stehen. M. 


Pathologie des Nervensystems. 

6) Sup l’origine cortical© du Facial infdrieur par le Dr. Raymond, Paris. 

(Gaz. mOd. de Paris. 1884. No. 21 et 22.) 

R. stellt aus der Literatur 7 Falle von ausschliesslichen Facialis-Lahmungen 
— meistens nur der unteren Gesichtshalfte — zusammen, d. h. Falle, in welchen, 
ausser einige Male Aphasie, keinerlei andere Lahmungen vorhanden waren, nament- 
lich nicht solche der Extremitaten. In alien 7 Fallen fand sich eine contralaterale 
Affection des unteren Theiles der vorderen Centralwindung. 

Dazu bringt R. folgende eigene neue Beobachtung. Eine 78j&hrige Frau war 
plOtzlich, ohne Bewusstseinsverlust, aphasisch geworden und an der rechten Gesichts¬ 
halfte gelahmt, doch blieb der M. orbicul. oculi intact. Die Extremitaten frei be* 
weglich, die Zunge wird gerade herausgestreckt, die Kau- und Schluckbewegungen 
unbehindert. Die Aphasie ist so vollstandig, dass Pat., welche Alles versteht, nur 
ah! ah! zu sagen vermag. 

Tod nach 9 Wochen. Die Autopsie ergab lediglich in der linken Hemisphare 
einen gelben eingesunkenen Erweichungsherd, welcher den hinteren Theil der unteren 
Stirnwindung nebst dem dazugehorigen Marklager (Fascicul. pediculo-frontal, inf.) 
und das untere Drittlieil der vorderen Centralwindung einnahm, an letzterer jedoch 
das Mark (Fascicul. frontal, inf.) nur wenig zerstOrt hatte. 

Hieran schliesst R. noch das Citat einer Beobachtung von Berkley an, der 
ein auf dem unteren Ende der vorderen Centralwindung aufliegendes KalkknOtchen 
bei der Section eines Individuums fand, welches vor dem Tode 2 1 / i Jahre lang an 
einseitigem Facialis-Krampf gelitten hatte. 

Mit diesen Ergebnissen der Pathologie findet der Verf. diejenigen der expert* 
mentellen physiologischen Forschung im besten Einklang. Denn diese kommt gleich* 
falls (Fritsch und Hitzig, Ferrier) zu dem Resultate, dass im unteren Drittel 
der vorderen Centralwindung — resp. bei den niederen Thieren im hinteren-unteren 
Theile des Frontalhirns — das Centrum fdr die Gesichtsbew'egungen liegt. 

_ Hadlich. 


7) Ein Fall von HimMmorrhagie in das Corpus callosum von Prof. Dr. W. 

Erb. (Virchow’s Archiv. *Bd. 97. S. 329.) 

Ein 61jahriger Schlosser erkrankt mit Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, 
Nackenstarre, Schmerzen im Nacken, im Kreuze und in den Beinen. 

Im weiteren Verlauf Somnolenz, Erschwerung der Sprache, Herabsetzung der. 
Kraft der Extremitaten ohne ausgesprochene Lahmung und Sensibilit&ts* 
storung und ohne Ataxie, Steifigkeit des Nackens und der Wirbelsaule, dann 
Zuckungen in beiden Armen und beiden Gesichtshalften, wiederholtes Erbrechen und 
Delirien. Tod am 17. Tage der Krankheit, 

Die Section ergiebt ausser einer Meningitis cerebro-spinalis mit zahlreichen 
Blutungen eine Hamorrhagie in das Corpus callosum, die dasselbe bis auf das Genu 
und den nach abwarts gegen die Commissura anterior hin verlaufenden absteigenden 
Theil zerstOrt hatte. 


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373 


Yerf. zieht aus diesem Fall den Schluss, dass bei einem erwachsenen, vorher 
nicht gehirnkranken Menschen fast das ganze Corpus callosum zerstbrt 
werden kann, ohne dass irgend eine Stflrung der Motilit&t, der Coor¬ 
dination, der Sensibilitat, der Reflexe, der Sinne, der Sprache und 
ohne dass eine erhebliche Stdrung der Intelligenz einzutreten braucht. 

M. 


8) Case of nodular tumor of the corpus callosum by Francis A. Mac Guire. 

(American Journal of Neurol, and Psychiatry. 1884. III. p. 56.) 

Festes knolliges Syphilom von ca. 3,5 cm Lange und x 2 cm Breite, mit dem 
vorderen Ende der oberen Flache des Corpus callosum innig verwachsen; die Rinde 
der Medianflachen beider Hemispharen, besonders aber links, ist an den Ber&hrungs- 
stellen mit dem Tumor erweicht und resorbirt. Starke Ependymatitis des vierten 
Ventrikels, die zu einer Verschmelzung der rechten Halfte des Velum medullare mit 
der Eminentia facialis auf dem Boden des vierten Ventrikels geffihrt hat. Elfen- 
beinerne Hyperostose des Schadeldachs. 

Im Leben hatte der 31jahrige Patient seit 8 Jahren luetisch, liber initiale 
Convulsionen mit epileptischem Charakter, uber heftigste Kopfschmerzen und links- 
seitige Facialisparalyse geklagt. In den letzten Monaten hatten sich zahlreiche 
Schwindelanfalle mit Brechneigung und schwerem Collaps und dann psychische De¬ 
pression mit zunehmendem Stumpfsinn gezeigt. Der Tod erfolgte im Anschluss an 
einen apoplectiformen Anfall. 

Verf. scheint den Zusammenhang des Tumors mit den geschilderten Symptomen 
zu bezweifeln und erwartet von der mikroskopischen Untersuchung des Hims weitere 
AufschlOsse liber die prasumirte Himlues. Sommer. 


9) Ueber einen Pall von oombinirten posthemiplegisohen, motorisohen 
Reizungsersoheinungen. Vortrag in der Gesellschaft der Aerzte zu Wien 
von Prof. H. Nothnagel. (Wien. med. Bl. 1884. Nr. 19.) 

Der von N. vorgestellte Kranke bot gleichzeitig 5 verschiedene Formen von 
motorischer Reizungserscheinung an der rechten hemiparetischen KOrperhalfte: Spon- 
tanes Zittem mit dem rechten Fusse, klonische Zuckungen in den Schultermuskeln; 
dauernde Contractur in denselben. — Athetose: die Finger werden gespreizt, hyper- 
extendirt, flectirt, der Daumen eingebogen. Frliher choreaartige Bewegungen an der 
Hand. Ferner war interessant eine krampfhafte Erscheinung im Bereiche des M. rect. 
sup.: Wenn der Pat. in die H5he sieht, bringt er die Augen nicht wieder herunter, 
die Augen bleiben vielmehr contracturirt nach oben gerichtet. — N. glaubt, dass 
alle diese Erscheinungen von einem einzigen Herde ausgehen, der im hinteren Theile 
der innern Kapsel zwischen Linsenkem und Streifenhiigel gelegen ist und mCglicher 
Weise den Thalamus opticus in Mitleidenschaft gezogen hat. Da sich die Erschei¬ 
nungen nach einem Sturz im Laufe von 6 Jahren entwickelten, so nimmt N. an, dass 
es sich urn einen Gehirnabscess handle. Laquer. 


10) Ueber den sogenannten Kopftetanus (Tetanus hydrophobicus, Ed. Rose) 
von Dr. P. Guterbock, Berlin. (Arch. f. Chirurgie. Bd. XXX. H. 4.) 

Kfirzlich hat M. Bernhardt (Ztschr. f. klin. Med. VII. H. 4) fiber den Rose’- 
schen „Kopftetanu8 mit gleichzeitiger, dem Sitze der Wunde entsprechender Facialis- 
l&hmung“ eine Arbeit verOffentlicht, in welcher er ausser einem eigenen noch 10 Falle 
(incl. 1 nachtraglicher) aus der Literatur zusammenstellte. 


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374 


G. liefert dazu eine neue Beobachtung und 3 weitere Falle aus der Literatur. 
— In G.’s eigenem Falle handelte es sich um einen Narbentetanus, der etwa 10 Tage 
nach einer kleinen Yerwundung rechts an der Stirn — welcbe prima intentione ge- 
heilt war — begann nnd in 9—10 Tagen zum Tode fahrte. Der gelahmte rechte 
Facialis zeigte normale faradiscbe und galvanische Reaction. — Das Sectionsresultat 
war negativ. 

Von alien 16 Fallen endeten 11 tfldtlich. Hadlich. 


11) Ueber die progressiven spinalen Amyotrophien von K abler. (Ztschr.f&r 
Heilkunde. 1884. Y. S. 109.) 

Im Anschluss an allgemeine Erw&gungen yersucht E. den Nachweis, dass pro¬ 
gressive Muskelatrophie, progressive Bulbarparalyse und amyotrophische Lateralsklerose 
nicht der Ausdruck von selbststandigen Erankheitsspecies, sondem bios die Folge 
von Verschiedenheiten der Localisation, Ausbreitung und Intensitat und Verlanfsweise 
eines und desselben Degenerationsprocesses sind, der die relativ directen motorischeii 
Leitungen beschlagt. 

Er gruppirt zu diesem Zwecke alle genauer, klinisch und anatomisch gleichzeitig, 
untersuchten Falle in folgende Abtheilungen: I. Falle mit vorherrschender spastischer 
Paralyse; II. solche mit neben der Muskelatrophie deutlich ausgesprochener spastischer 
Paralyse; m. solche mit ausgesprochenen Lahmungserscheinungen, jedoch geringen 
spastischenPhanomenen (gesteigerte Sehnenreflexe neben der Muskelatrophie); IV.Falle 
ohne spastische Phanomene. 

In der anschliessenden Discussion zeigt nun E., dass weder vom klinischen 
Standpunkte Einblick in die Ursachen der klinischen Differenzen zu gewinnen ist, 
noch auch der Sectionsbefund einen solchen gestattet, dass vielmehr, wie er und Kef. 
schon frdher ausgesprochen, Befund und ursprtingliche Localisation des Processes in 
Betracht zu ziehen sind. Yon diesem Gesichtspunkt zeigt es sich, dass spastische 
Symptome bei Beginn der Degeneration in den weissen Faserabschnitten der genannten 
Bahnen auftreten, dass sie gering sind oder fehlen bei jeweils gleichzeitiger Er- 
krankung der weissen und grauen Substanz oder vorangehender Erkrankung der 
letzteren. 

Zur Sthtze dieser Anschauung bringt K. einen neuen ausfiihrlich beschriebenen 
Fall bei, der nach 5monatlicher Dauer mit Tod endete, und der sich klinisch der 
IV. Gruppe anschliesst. 

Anatomisch zeigte derselbe, am starksten im Halstheile, weitgehende Atrophie 
der Ganglien und Markfasern der Yorderhorner, vollige Intactheit der Hinterstrange, 
der Clarke’schen Saulen, der aus den hinteren Wurzeln entstehenden markhaltigen 
Fasernetze und relative Verschonung der Zellen des Tractus intermedio-lateralis. Die 
weisse Substanz zeigte zerstreut in den Yorderstrangen, bei Intactheit der Kleinhirn- 
seitenstrangbahn, Degeneration von Nervenfasern am dichtesten in den Pyramiden- 
bahnen. 

Bezhglich der vorgefundenen leichten interstitiellen Veranderungen muss auf das 
Original verwiesen werden. 

Der vorgefahrte Fall zeigt aber, ausser dem Fehlen spastischer Symptome bei 
vorwiegendem Beginne der Erkrankung in der grauen Substanz, im Gegensatz zu 
der Annahme der franzOsischen Schule, dass in gewissen Fallen wenigstens die De¬ 
generation der nervOsen Yorderhornelemente sowohl far die Atrophie als fhr die 
Lahmung verantwortlich zu machen ist. — 

Den bisher besprochenen Fallen von ausgebreiteter Degeneration der motorischen 
Leitungen stehen gegenhber die auf die grauen YorderhOrner oder die diesen homo- 
logen Oblongataabschnitte beschrankten Degenerationen. E. fhgt diesen einen neuen 


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Fall bei, der sich durch einen im 13. Lebensjahre beginnenden, nacb 17 Jabren in 
Folge zufalliger Complication endenden Yerlauf, Beginn in der Musculatnr des 
Schnltergftrtels und ausgesprocbene Yorderhornerkrankung cbarakterisirt. (Die aus- 
fllhrliche, namentlich histologische Untersucbung siehe im Original.) 

Eliniscb scheidet sich diese Gruppe von Fallen in solcbe mit langem Yerlanfe 
und fehlender oder sehr spat auftretender Bulbarparalyse und in solche mit kurzer 
Daner und Mbzeitigem, ja sofortigem Eintritt der Bulbarsymptome; die ersteren 
zeigen ferner in der Kegel ein Fehlen eigentlicber Lahmung neben der Muskelatro- 
pbie im Gegensatze zu der zweiten Kategorie von Fallen; diese letztere Differenz 
erklart K. aus Differenzen des Degenerationsvorganges in der grauen Substanz, von 
denen eine die Schnelligkeit des Degenerationsvorganges sein dOrfte. 

Durch diese Kriterien, Lahmung, Bulbarparalyse und raschen Yerlauf reihen 
sich diese Falle den erstgenannten Gruppen unmittelbar an, fhr eine weitere An- 
reihung der langsam verlaufenden Falle an jene spricht, dass auch bei jenen das 
Auftreten eigentlicher Lahmung und die Entwickelung von Bulbarparalyse nicht 
immer vorhanden sind; dass ferner die individuelle Localisation im Ruckenmark und 
in der Musculatur auch in jenen Fallen, jedoch grOssere Abschnitte beschlagend 
vorkommt. 

(Das vorstehende Referat giebt Ref. erwilnschte Yeranlassung zu reclamiren. 
Uebereinstimmenden Referaten nach sprach Schultze, Heidelberg, auf dem dies- 
jahrigen Congresse fftr innere Medicin von einem von mir untersuchten Falle, den 
er als durchaus zweifelhaft bezeichnet. Ohne in eine Discussion dieser auch von 
Kahler in der referirten Arbeit nicht getheilten Ansicht einzugehen, glaube ich 
doch zur Yermeidung von Irrthilmern erwahnen zu sollen, dass ich zwei Befunde 
von progressiver Muskelatrophie verOffentlicht habe und dass gerade der zweite eine 
aussergewOhnlich pragnante Yorderhornerkrankung zeigte; dass diesem letzteren keine 
Krankengeschichte beigegeben werden konnte, lag an rein localen Yerhaltnissen.) 

A. Pick. 


12) Pachymeningitis interna hypertrophioa by J. D. Munson. (The Detroit 
Lancet. 1884. June.) 

Fall .von Pachymeningitis hypertrophies cervicalis, der einen 53jahrigen Arzt, 
ohne hereditare Disposition und ohne vorausgegangene Lues betraf. Beginn des 
Leidens mit rheumatoiden Nackenschmerzen und Steifigkeit des Halses, etwa 5 Jahre 
vor dem Tode. Dann Parese und nach 4—5 Monaten Atrophie der rechtsseitigen 
Fingermusculatur, sowie Anasthesie und Hautdegeneration der rechten Hand. Ausser- 
dem blitzahnliche Schmerzen im Nacken, in der Schulter und in den Oberarmen. 
Erst nach 3 Jahren, wahrend welcher Zeit die Atrophie und Paralyse den ganzen 
rechten Arm ergriffen hatte, begann die linke Hand in analoger Weise zu erkranken; 
bald zeigte sich auch Atrophie der rechten unteren Extremitat. Im letzten Jahr 
haufige fibrillare Zuckungen und Contractionen in der Rumpfmusculatur und besonders 
in den Intercostalmuskeln. Zuletzt geistige Abstumpfung, GesichtsiUusionen und ver- 
wirrte Wahnvorstellungen. Endlich traten SprachstCrungen hinzu und der Tod wurde 
durch Lahmung der Athemmuskeln herbeigefhhrt. 

Die Section, die sich freilich auf das Cervicalmark beschrankte, ergab die Richtig- 
keit der von Neftel, New York, bereits im Beginn der Krankheit gestellten Diagnose: 
spinale Muskelatrophie in Folge von Pachymeningitis cervicalis. Die Dura* war stark 
verdickt und sklerotisirt, mit den Wirbeln, aber nicht mit den Rhckenmarkshauten 
verwachsen. Pia ebenfalls verdickt. Ruckenmark atrophisch durch Schwund der 
Seitenmassen, sodass der Querschnitt desselben rund, nicht quer oval erschien. Im 
rechten Seitenstrang absteigende Degeneration. Das rechte Yorder- und Hinterhom 
um die Halfte geschwunden, fast ohne jede Andeutung der bekannten Zellengruppen; 


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links war nur das Vorderhorn und in geringerem Grade atrophisch. Alle Nerven- 
wurzeln, besonders aber wieder rechts, waren schmal und degenerirt. (Die Unter- 
suchung des Ruckenmarks ist tibrigens am geharteten und gefarbten Praparat vor- 
genommen.) 

Ungewflhnlich ist in dem vorliegenden Falle die Einseitigkeit der Erkrankung: 
der linke Arm ist weit schwacher ergriffen als der rechte, und das linke Bein ist 
ganz frei geblieben. Aucb bestand eine Contractur einzig im rechten Ellbogen, in der 
Hand und in den Fingergelenken; Bulbarsymptome und GeistesstOrung gehOren eben- 
falls zu den Ausnahmen. Der Ausgangspunkt des Leidens lag wabrscheinlich in der 
grauen Substanz der rechten Halfte des Cervicalmarks und hat sich von dort all- 
mahlich nach der anderen Seite, nach oben und unten ausgebreitet, wodurch die 
speciellen Symptome sich ganz befriedigend warden erklaren lassen. Sommer. 


13) Ein Fall von „spastischer“ amyotrophischer Bulb&rparalyse complicirt 
mit amyotrophischer Lateralsklerose. Inaug.-Dissert. von H. Blumen- 
thal. (Dorpat 1884.) 

Bei einem 12jahrigen Bauernm&dchen traten wenige Tage nach einer psychi- 
schen Aufregung (Schulstrafe) Sprach- und SchlingstOrung, Veranderung des Ge- 
sichtsausdrucks und einige Wochen spater Schwache, Ungeschicklichkeit, Steifigkeit 
in den oberen, sodann in den unteren Extremitaten ein. Innerhalb weniger Monate 
folgender Status: Bulbare Symptome, wobei ganz besonders betont wird, dass neben 
der gewdhnlichen Atrophie und Paralyse der Gesichts- und Zungenmuskeln spastiscbe 
Erscheinungen an ihnen hervortreten, ferner verbreitete Atrophie der Kdrpermusculatur, 
Rigiditat fast im gesammton motorischen Apparat, spastischer Gang, gesteigerte Re- 
flexe, Veranderungen der elektrischen Erregbarkeit. „Da sich dieser Fall weder dem 
Paradigma ,Sclerose latdrale amyotrophique' Charcot’s, noch dem der ,amyotrophischen 
Bulbarparalyse' Leyden’s vollkommen anschliesst, ein gleicher aber bis jetzt nicbt 
in der Literatur bekannt ist,“ so glaubt Yerf. denselben als einen Fall von „spastischer 
amyotrophischer Bulbarparalyse" bezeichnen zu dhrfen. Ruhemann. 


14) Ueber doppelseitig fortsohreitende Qesiohtsatrophie von Wolff. (Vir¬ 
chow’s Archiv. Bd. 94. H. 3. S. 393—405 und Taf. X.) 

Dem einzigen bisher beschriebenen Falle von „Atrophia facialis progressiva bi- 
lateralis 44 (von Eulenburg) reiht Verf. einen weiteren an, der besonders auch durch 
seine Aetiologie von Interesse ist, indem eine Anzahl von Infectionskrankheiten: 
Scharlach mit Angina und consecutiver chronischer Tonsillitis, Tuberculose, 2 schwere 
Typhen an der Entstehung und weiteren Gestaltung des Gesichtsschwundes theil- 
nahmen. Die Annahme einer infectiosen chronischen, dann acuter gewordenen Neu¬ 
ritis des Trigeminus und Facialis hat daher hohe Wahrscheinlichkeit. Die rechts- 
seitige (hochgradigere, bereits abgeschlossene) Atrophie hatte sich h5chstwahrscbein- 
lich im Anschluss an Scharlach mit Diphtherie entwickelt, an dem die 24jahr. Pat. 
als 6jahriges Kind erkrankte; unter dem Einfluss einer chronischen, zeitweilig exa- 
cerbirenden Tonsillitis, die schliesslich die Exstirpation der Tonsillen nOthig machte, 
nahm sie im Verlauf der nachsten 17 Jahre langsam zu, urn dann durch einen 
Typhus abdominalis wesentlich beschleunigt zu werden. Nachdem sie rechte bereits 
einen sehr hohen Grad erreicht hatte, entstand unter dem Einfluss eines 2. Typhus 
die linksseitige Atrophie in der Weise, dass im Gebiete des I. Astes des Trigeminus 
Pigmentirungen, Furchenbildung, Haarschwund und ein geringer Schwund auf der 
ganzen linken Gesichtshalfte sich entwickelte. Schliesslich traten noch epiloptische 


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Kr&mpfe auf. Die Details fiber die Atrophie, den Haarschwund, die Bildung pig- 
mentirter Furchen, die verschiedenen Neuralgien, die im Allgemeinen auf der rechten 
Gesichtshalfte gesteigerte Sensibilitat, das Ergebniss der elektrischen Untersuchung etc. 
sind in dem durch die Abbildungen wesentlich untersttitzten Original nachzusehen. 
Wie ftlr die Gesichtsatrophie, so sucbt Yerf. auch fflr die Sklerodermie und die 
Hemihypertrophie des Gesicbts, die haufig von chronischer Tonsillitis begleitet sind, 
die anatomische Basis in einer infectiosen Neuritis des Trigeminus. Zwischen Hemi- 
atropbie und Hemihypertrophie nimmt er ein ahnliches Verhaltniss an, wie es Fried¬ 
reich zwischen der typischen progressiven Muskelatrophie und der Pseudohypertrophie 
that; danach hatten wir es bei der Hemihypertrophie „mit einer durch gesteigerte 
Intensit&t der Krankheitsanlage und gewisse Besonderheiten des kindlichen Alters 
modificirten Form der Hemiatrophie" zu thun. Tuczek. 


15) Note sur un nouveau cas de pied tabdtique par Ch. FdrA (Revue de 
M6decine. 1884. Juin p. 473.) 

Bekanntlich haben Charcot und F6re an den Fussknochen von Tabikern ahn- 
liche Veranderungen beschrieben, wie sie am Knie- und Hfiftgelenk schon frtiber 
wiederholt beobachtet waren. Der vorliegende Aufsatz enth&lt die Beschreibung eines 
neuen Falles von einem derartigen „pied tabetique". 

Die Krankheit des 52jahrigen Patienten (frflher luetisch!) begann 1872 nach 
Fall auf die Fersen mit lancinirenden Schmerzen in beiden Beinen, worauf sich all- 
mahlich das typische Symptomenbild einer Tabes entwickelte. Bei der objectiven 
Untersuchung im Februar 1884 fand sich, ausser Ataxie, BlasenstOrung, Pupillen- 
starre, fehlenden Patellarreflexen u. a., am rechten Fuss folgende, seit etwa 2 Jahren 
aufgetretene Ver&nderung: der innere Fussrand ist verdickt, so dass fast die ganze 
Fusssohle, wie beim Plattfuss, auf den Boden auftritt. Auch auf dem Fussrdcken 
in der Tarso-Metatarsalgegend deutliche Schwellung. Schmerzen und Crepitation bei 
passiven Bewegungen sind nicht vorhanden. Das Metatarso-Phalangeal-Gelenk der 
grossen Zehe ist gleichfalls geschwollen,* die Beweglichkeit der letzteren vermindert. 
Dagegen ist die Gesammtbreite der Fusssohle auf der kranken Seite etwas geringer, 
als auf der gesunden. 

Auch die meisten dbrigen tabischen Symptome waren am rechten Bein starker 
ausgepr&gt, als am linken. Strumpell. 


16) Ataxie locomotrice. — Pied tabdtique. Luxation coxo-fdmorale, 
arthropathies et ldsions osseuses prdcoces, atrophiques et hyper- 
trophiques. Par le Dr. Boyer. (Revue de M&lecine. 1884. Juin p. 487.) 

Die tabischen Symptome traten bei dem 45jahrigen Patienten zuerst im Jahre 
1870 auf (keine vorhergehende Syphilis). Schon 1871 begannen die Gelenkerschei- 
nungen: spontane rechtsseitige Hfiftluxation, allmahlich zunehmende Anschwellung 
des linken Knies und beider Fusse. Patient starb im August 1879, und bei der 
Section fanden sich sehr hochgradige Knochen- und Gelenkveranderungen, in Betreff 
deren Details auf die ausfuhrliche Beschreibung im Original verwiesen werden muss. 
Hervorzuheben ist der relativ frdhe Beginn der Knochenaffection, welche, wie gew6hn- 
lich, vorzugsweise theils in atrophischen Processen, theils in reichlicher Osteophyt- 
bildung bestand. Str Urn pell. 


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17) Nogle ord om den glatte form af spedalskhed fra et nevropatologiak 
standpunkt af Chr. Leegaard. (Nord. med. ark. 1883. XY. 3. Nr. 19.) 

Yerf. glaubt nicht, dass man eine Rfickenmarksaffection annehmen musse, am 
die Symptome der glatten Form der Lepra zu erklaren, sondem meint, dass diese 
am einfachsten und natfirlichsten als eine Folge der Ablagerung in Haut and Nerven- 
scheiden aufzufassen seien. Das zuerst ergriffene Organ ist nacb ihm die Haut; in 
welchem speciellen Theile derselben die Ablagerung geschieht, ist bisher noch nicht 
mit Gewissheit bekannt, die Wahrscheinlicbkeit spricht aber daffir, dass der patho- 
logische Process aucb in diesem Organ an das Nervensystem gebunden ist. Die 
Flecke sind stets mehr Oder weniger anasthetisch, eigenthfimlich aber ist es dabei, 
dass diese Herabsetzung des Gefiihls nur in der Haut localisirt zu sein scheint, 
nicht in tiefer gelegenen Theilen; Druck wild empfunden, weil die unter der Haut 
liegenden Gewebselemente, die unzweifelhaft Antheil an der Druckempfindung haben, 
noch gesund sind. Wenn die anasthetischen Flecke durch ein Leiden der grSsseren 
Nervenstamme oder der Centralorgane bedingt waren, wtirde die Anasthesie nicht 
so genau an die Ausbreitung der Flecke gebunden und nicht allein auf die Haut 
beschrankt sein. Dass die gr5ssern Nervenstamme eine Yeranderung erleiden konnten, 
ehe ein entsprechender Hauttheil afficirt ist, erscheint Yerf. zweifelhaft, als Hegel 
muss nach ihm vielmehr die Fortpflanzung der pathologischen Producte von der Haut 
aus in centripetaler Richtung langs der kleineren Nervenzweige nach den grossen 
Nervenstammen angenommen werden. Wenn die grossen Nervenstamme erreicht sind, 
werden sie verdickt, und in giinstigen Fallen lasst sich diese Yerdickung so weit in 
centripetaler Richtung verfolgen, als der Nerv fttr die Palpation zugangig ist. Wenn 
die Yerdickung im Laufe der Erkrankung abnimmt, ist dies wahrscheinlich als in 
prognostischer Beziehung unganstig, als bedeutendere ZerstOrung der Nervenfasem, 
zu betrachten. Klonische Krampfe, neuralgische Schmerzen und Hyperasthesie kdnnen 
noch vor der Verdickung der Nervenstamme auftreten. Wenn ein Nervenstamm ver¬ 
dickt ist und ein Theil der Fasern zu Grunde gegangen ist, nimmt die elektrische 
Reizbarkeit ab und ist am Nerven manchmal weit geringer als am entsprechenden 
Muskel. Die Reizbarkeit ftlr beide Stromarten nimmt gleichmassig ab im Yerhaltniss 
zu den zu Grunde gegangenen Fasern; der entsprechende Muskel atrophirt dabei 
allmahlich ganz wie bei peripheren Lahmungen; die Entartungsreaction lasst sich 
dabei nicht immer leicht, aber doch bei genauer Untersuchung nachweisen. Dabei 
entstehen trophische, wohl auch vasomotorische und sekretorische StSrungen. Lah- 
mungen k5nnen entstehen, ehe noch Atrophie sich entwickelt hat, im spateren Ver- 
aufe entwickeln sich auch Contracturen. Die Anasthesie, die von der Degeneration 
der Nervenstamme abhangt, unterscheidet sich von der an die Flecke gebundenen 
lzadurch, dass sie tiefer geht, Haut und tiefer liegende Theile umfasst. Dass auf 
diese Weise auch noch das Rfickenmark ergriffen werden kann, ist natfirlich nicht 
du bezweifeln, aber mit der allgemeinen Entwickelung der Symptome hat es nichts 
zu thun; fiber seinen Antheil an den spateren Symptomen mfissen erst weitere 
Forschungen entscheiden. Walter Berger. 


Psychiatrie. 

18) Ueber die Erscheinungen des partieUen Bewusstseins von Ssikorsky. 
(Wjestnik psychiatrii i nevropatologii. 1884. I. Russisch.) 

Als Grundlage der psychologischen Betrachtungen des Autors dienen einige Be- 
obachtungen epileptischer Bewusstseinsst5rung. In einer derselben handelt es sich 
um kurzandauemde schwindelahnliche An^lle (vertigo), wahrend welcher Patientin 
den Sinn der Worte nicht begriflf, die man an sie richtete, obgleich sie wusste, dass 


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man mit ihr spricht, und sicb auch selbst richtig ausdrflcken konnte; Gesichtsein- 
driicke nahm sie wahrend der Anf&lle in normaler Weise wahr. Frfiher hatte sie 
an epileptischen Krampfen and znweilen an Gesichtshallucinationen gelitten. 

Eine andere epileptische Patientin bekam Schwindelanfalle, wenn sie anf Gegen- 
stande blickte, die in scbneller Bewegung begriffen waren; die Anf&lle selbst waren 
dadurcb charakterisirt, dass dem Bewusstseinsverlust bestimmte Gesicbtsballucinationen 
vorangingen: Patientin sab Wolken anf sie niederziehen, W&nde gegen sie zusammen- 
stttrzen etc. 

In einem dritten Falle pflegte Patientin w&hrend der AnfSlle zn vergessen, wo 
sie sicb befindet, and erkannte nicbt die Lente, die sie amgaben. Sie war Wascberin, 
and oft kam es vor, dass der Anfall sie bei der Arbeit ttberraschte. „Mein Gott“, 
sagte sie dann haufig, „icb babe wieder vergessen, wo icb bente wasche"; dabei 
setzte sie jedocb ihre Arbeit rnhig and angestdrt fort. Diese Patientin batte dorcb 
einen Gehirnabscess einen Defect im Schadeldacb erlitten, welcber der Region der 
Central- and zam Tbeil Prontalwindungen der linken Hemisphere entspracb. Durcb 
Drnck an dieser Stelle warden epileptiscbe Anfalle ausgelSst. 

Yerf. siebt in der Beeintracbtignng einzelner psychischer Punctionen, dorcb 
welch e die geschilderten Anfalle epileptischer Bewusstseinssttfrung charakterisirt sind, 
eine Best&tigung der Anschauung, dass verschiedene psycbische Vorg&nge isolirt ans 
dem allgemeinen Bewasstseinsinhalt aosfallen kOnnen, wahrend andere in nngestOrter 
Weise weiter verlaufen. Dieses Verbalten l&sst seines Eracbtens auf eine raumlicbe 
Localisation der einzelnen psychiscben Functionen in umschriebenen Centren der 
Hirarinde scbliessen. Dem entsprechend glaubt er ancb die Erscheinungen des Traum- 
lebens und die Sinnest&oschungen bauptsachlicb aaf Erregung einzelner corticaler 
Centren zurflckffihren zu miissen. P. Rosenbacb. 


19) Ueber den sogenannten „spastischen Symptomenoomplex" bei der 
progressiven Paralyse. Beitrage zur Patbologie und patbologiscben Ana- 
tomie der progressiven Paralyse von Dr. Zacher. (Arch. f. Psych. Bd. XY. 
S. 359.) 

In Anschluss an eine frflhere Arbeit nimmt Z. neuerdings die Frage auf, in 
welchen Fallen von Paralyse der genannte Symptomencomplex aoftritt, wie er sicb 
entwickelt und welcher patbologiscbe Befund ibm entspricbt. Bezttglich der zu Grande 
gelegten sehr aasfQbrlicben kliniscben and pathologisch-anatomiscben Beobachtungen 
muss sicb Ref. auf das eigene Resume des Yerf. beschr&nken. 

1) Ende 1878 apoplectiformer Anfall, bald darauf motoriscbe Erregung, Ver- 
worrenbeit, GrOssenwabn, Abnabme der Intelligenz. Nach der Aufnabme rascbe Zu- 
nahme der Demenz, meist heitere Stimmung mit Production massenbafter GrOssen- 
ideen, sehr starke SprachstCrung, baufige paralytische Anfalle mit vorwiegend rechts- 
seitigen StOrungen. Spater Ungescbicklicbkeit bei Hantirungen, Tremor der Hande, 
Plumpheit and Steifheit des Ganges, Abnahme der grob motorischen Kraft bis zum 
Unverm6gen des Stehens, Steigerung der Sebnenreflexe, Auftreten von Muskelrigidi- 
taten, Contracturen in alien Extremit&ten, Feblen aller Sensibilit&tsstCrungen, Blase 
and Mastdarm frei, keine Atropbien, Decubitus, Tod 1882. Autopsie: Frische Pachy¬ 
meningitis haemorrhagica massigen Grades, TrUbung der Pia, hocbgradige Atropbie 
and Sklerose des ganzen Gehims, RGckenmark makroskopisch auffallend klein, obne 
grdbere VeiAnderung, mikroskopisch Degeneration beider Pyramidenseitenstrangbahnen, 
so wie der rechten Pyramidenvorderstrangbahn. 

2) Januar 1881 apoplectiforme Anfalle, Februar Schmerzen im ganzen KCrper, 
Scblaflosigkeit, Geb- und Spracbstdrung; Besserung; Juni Schlafsucbt, Yergesslicb- 
keit, starkere Sprachstdrung; spater rasch zunehmende Demenz, heitere Stimmung, 
Grftssenwahn, Pupillendifferenz, Unregelmassigkeiten des Pulses, Ungescbicklichkeit 


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und Plumpheit des Ganges und der Hantirungen, geringer Tremor der Hande, apo- 
plectiforme Anfalle mit rechtsseitigen motorischen und dysphasischen St6rungen. De¬ 
cember 1882 starker Anfall mit beiderseitigen Stbrungen; Abnahme der groben Kraft, 
Steigerung der Sehnenreflexe, Auftreten von Muskelspannungen und Starre, sowie von 
Beugecontracturen in alien Extremitaten; Tremor und gesteigerte Muskelirritabilitat 
besonders rechts; wechselndes Yerhalten der spastiscben Symptome; Sensibilitat, Blase, 
Mastdarm frei; keine Atrophie, Decubitus. Autopsie Februar 1883: TrQbung und 
Oedem der Pia, feste Verwachsungen derselben mit der Rinde, starke Atrophic und 
Sklerose des ganzen Gehirns, Ruckenmark schmal, makroskopisch frei, mikroskopisch 
Degeneration der Pyramidenstrange. 

3) 1880 Kopfschmerzen, spater Abnabme der Intelligenz und des Gediichtnisses, 
1881 apoplectiforme Anfalle, Sprachstdrung, zeitweilige Erregung, 1882 rasche Zu- 
nahme der Demenz und der Sprachstorung, Tremor der Hande, starres ausseres Yer¬ 
halten. Gang steif und h6lzern, Sehnenreflexe gesteigert, spater paralytische Anfalle, 
tonisch krampfhafter Charakter der Willkurbewegungen, vollstandige Aphasie, Muskel¬ 
spannungen und Starre, Rigiditat der Adductoren, Pectorales und der Nackenmusculatur, 
Beugecontracturstellung aller Extremitaten, rechts starker, convulsiver Tremor bei 
Bewegungen; mechanische Muskelerregbarkeit an den oberen Extremitaten leicht ge¬ 
steigert, Patellar- und Dorsalclonus. Sensibilitat, Blase und Mastdarm anscheinend 
frei. Autopsie 1883: Starke Triibung und Adharenzen der Pia, hochgradige Atrophie 
und Sklerose des Gehirns, die Windungen speciell der Insel auffallend hoch und 
schmal, Pia spinalis zum Theil stark verdickt, am Rttckenmark makroskopisch grau- 
rothe Yerfarbung des rechten Seitenstranges, mikroskopisch diffuse Sklerose der 
Seitenstrange mit herdweise starkeren sklerotischen Veranderungen daselbst. 

In der Discussion der vorstehend skizzirten Falle betont Z. die Aehnlichkeit der 
spastischen Symptome mit denen der spastischen Spinalparalyse, sowie die Verschieden- 
heiten zwischen beiden, die sich sowohl hinsichtlich des Yerlaufes wie des Yerhaltens 
ergeben; unter den letzteren hebt er hervor im Gegensatze zu der gleichmassigen 
und progressiven Steigerung der Sehnenphanomene in Erb’s Fallen die erheblichen 
Schwankungen derselben in seinen Fallen, ferner das Yorhandensein und gleichzeitige 
Auftreten von Beugecontracturen an alien Extremitaten gegenuber den anders ge- 
arteten Yerhalten in der spastischen Spinalparalyse, sowie auch hier das ungleiche 
und sehr schwankende Yerhalten der Contracturen. Die Thatsacho, dass dieses 
wechselnde Yerhalten immer anderen cerebral bedingten Stbrungen coordinirt war, 
fuhrt zu der Frage nach dem Yerhaltniss zu den pathologischen Befunden im 
Rtickenmark. 

Diese selbst spricht Z. als prim&re Systemerkrankungen an, wobei er jedoch die 
MSglichkeit eines Connexes zwischen Hirn- und Ruckenmarksaflection offen lasst. 
Mit Riicksicht auf den frflher publicirten Fall, ferner im Hinblick auf das frflher 
hervorgehobene Yerhalten der spastischen Erscheinungen und auf deren Incongruenz 
mit der Intensitat der jeweiligen Spinalerkrankung, sowie mit Riicksicht auf die 
pathologische Anatomie der spastischen Spinalparalyse glaubt Z. die Frage nach der 
Ursache der spastischen Erscheinungen als offene betrachten zu mfissen, halt sich 
jedoch fflr berechtigt, die oben erwahnten Schwankungen der Erscheinungen als durch 
die Yeranderungen der motorischen Rindenzonen bedingt ansehen zu dflrfen. — 

An der Hand zweier weiteren Falle, beztiglich welcher auf das Original ver- 
wiesen werden muss, bespricht Z. die Modificationen der spastischen Spinalparalyse 
bei Combination von Seiten- und Hinterstrangaffection. Beide Falle stellen sich ana- 
tomisch als combinirte Systemerkrankungen dar und ffihren mit Riicksicht auf die 
Localisation in den Hinterstrangen zu nachstehender Modification des bekannten 
WestphaTschen Satzes: Bei einer combinirten Erkrankung der Pyramidenbahn und 
der Hinterstrange kommen die spastischen Erscheinungen an den oberen resp. unteren 
Extremitaten nicht zur Entwickelung, wenn die Erkrankung der Hinterstrange in 


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den zugehflrigen Abschnitten des Rfickenmarks die als Wurzelgebiete bezeichneten 
Partien betroffen bat. 

Zur Erklarung dieses bemmenden Einflusses der Hinterstrangaffection auf die 
spastiscben Symptom© nimmt Z. an, dass diese auf patbologiscber Steigerung nor- 
maler Reflexvorgange beruben, welcbe letztere an bestimmte Babnen im Mckenmark, 
wozu die Wurzelgebiete der Hinterstrange gehfiren, gebunden sind, und welche von 
bestimmten Himcentren aus durcb in den Pyramiden verlaufende Babnen oder von 
diesen Babnen selbst aus Steigerung oder Abschwachung erfabren. Weitere Details 
siebe im Original. A. Pick. 


20) On oases of general paralysis with lateral sclerosis of the spinal cord 

by G. H. Savage. (Joum. of. ment. science. 1884. April p. 57.) 

S. bericbtet kurz fiber 5 Falle (mit 4 Sectionsbefunden), die alle Degeneration 
der Seitenstrange, einer auch des Tfirk’schen Yorderstranges zeigten, und die er, 
wenn aucb nicbt als eigene Klasse, so docb durcb verschiedene alien gemeinschaft- 
licben Symptom© cbarakterisirt findet. Es bandelt sich urn jfingere Personen, bis 
35 Jahre), aucb Frauen, obne bekannte Excess© in der Anamnese, einzelne frfiber 
sypbilitiscb. Der Yerlauf scbeint etwas rascber zu sein als in der Regol, der bald 
betheiligte Gang bekommt einen bfipfenden Cbarakter, die Sprache wird dick, star- 
kerer Tremor der Zunge und Lippen als sonst; das Gesicbt wird fett und ausdrucks- 
los, die Stimme verandert; Rubelosigkeit, starkerer Muskelscbwund als in sonstigen 
FfiUen, hochgradige Steigerung der Reflexe, Contracturen der Beino, verbunden zu- 
weilen mit jedocli leichtem paralytischen Anfall, starkes Zahneknirschen, Decubitus; 
in einzelnen Fallen deutlicbe Atrophie des Sebnerven. Sectionsbefund: Hirnatropbie, 
bedeutender Hydrocephalus, wenige Adharenzen. S. glaubt, dass die Centralwindungen 
starker atropbisch sind als die anderen; die Seitenstrangaffection bait er in einzelnen 
Fallen ffir primar, in anderen fur secundar bedingt durch die Rindenatropliie. 

A. Pick. 


21) Clinical illustrations of puerperal insanity by A. Campbell Clark. 

(Glasgow 1884. Maclure and Son.) 

Beschreibung von 20 Fallen von puerperalen Psychosen, die in das Glasgow 
District Asylum aufgenommen wurden. Yon den zum ersten Mai erkrankten waren 
7 Primiparae, 9 Multiparae. In 13 Fallen begann die Psychose in der ersten Woche 
nach der Entbindung, in 4 Fallen innerhalb 14 Tagen. In 6 Fallen war Albuminurie 
vorbanden, Neigung zu Gewaltthatigkeiten, Suicidium, zura Feueranlegen war baufig. 
Hallucinationen, besonders des Gesicbts und Gehfirs, wobl in alien Fallen. Mit der 
„Pyromanie“ verbanden sicb sebr haufig Geschmackshallucinationen. Yon 16 Fallen, 
die bis zu Ende behandelt wurden, genasen 12, 3 starben, 1 ging in Dementia fiber. 
Von den gebeilt Entlassenen war der Aufentbalt in der Anstalt im Mittel 167 Tage, 
Maximum 359, Minimum 52 Tage. M. 


T h e r a p i e. 

22) Heilung einer langanhaltenden Neuralgie des N. ulnaris durch Ein- 
spritzungen von Osmiums&ure, von Turner. (Wratscb. 1884. Nr. 24. 
Russiscb.) 

' Patientin batte sicb mit dem linken Ellenbogen an eine Thfirklinke gestossen 
und wurde bald darauf von beftigen Scbmerzen im Verbreitungsgebiet des N. ulnaris 
befallen. Die Neuralgie bestand trotz ailer moglicben Heilversuche gegen 5 l / t Jabre; 


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382 


im Laufe der Zeit war der linke Arm etwas atrophisch geworden, and der afficirW 
Nerv erschien verdickt (Neuritis?). Zuletzt entschloss sich Verf., Einspritzungen von 
Osmiumsaure zu versuchen. Er nahm pro dosi 2—3 Tropfien einer 1 °/ 0 Lftsung. 
Im Lanfe von 2 Monaten wurden 20 Injectionen gemacht, und die Schmerzen Ter- 
schwanden danach vollstandig. P. Rosenbach. 


23) On the treatment of epileptiform neuralgia or the so-called incurable 

facial tic, by W. J. Walsh am. (The Practitioner. 1884. XXXIII. p. 14.) 

In einer vorlanfigen Mittheilung macht Verf. auf die auffallend gfinstigen Er- 
folge aufmerksam, die er in 6 Fallen von „Tic douloureux 4 * im Gebiet eines Tri¬ 
geminus beobachtet hat. Es batte sich stets urn ausgeeprochene Falle mit inter* 
mittirendem oder wenigstens remittirendem Charakter gehandelt. Die Schmerc- 
paroxysmen hielten, wie bekannt, nur Secunden bis halbe Minuten an, um auf die 
geringste aussere Veranlassung und auch ohne eine solche, in unregelmassigen, aber 
ziemlich kurzen Zwischenraumen wiedorzukehren. Ihre Schmerzhaftigkeit war eine 
enorme und entsprach genau den charakteristischen Schilderungen Trousseau’s in 
seinem bekannten Aufsatz fiber epileptiformo Neuralgien. 

Bei der meistens schon langeren Dauer des betreffenden Leidens waren die 
Heilmittel der Pharmacopoe gewohnlich schon erschopft; auch chirurgische Eingriffe: 
Discision oder Resection des ergriffenen Nerven, das Cauterium actual© etc. waren 
schon vorgenommen, aber ohne Erfolg. Dagegen zeigte sich die Nervendehnung dem 
Verf. einmal wieder ausserordentlich hulfreich, und es ware sehr wunschenswerth, 
wenn noch in der ausffihrlicheren Beschreibung, die Verf. in einiger Zeit geben will, 
die dauernde Besserung constatirt werden kfinnte. In einem Falle sind fiberhaupt 
bis zur Zeit diesor vorlaufigen Mittheilung bereits 3 Jahro verstrichen, ohne dass 
ein Ruckfall eingetreten ware. In Bezug auf die Technik der Operation und beson- 
ders auch der manchmal nothwendigen Entfemung des Ganglion Meckelii muss auf 
die zu erwartende Publication des Verf. verwiesen werden. Sommer. 

24) Gerbsaures Cannabin als Hypnotioum von Pusinelli. (Berl. klin. Wochen- 

schrift. 1884. Nr. 1.) 

Nach Prflfung des Cannabin. tannic, in einer grosseti Reihe von Fallen kann 
Verf. dasselbe in einer Dosis von 0,3—1,5 besonders bei rein nervfiser habitueller 
und „neurasthenisch er“ Schlaflosigkeit, sowie gegen Schlaflosigkeit bei chronischen 
schmerzlosen Krankheiten mit langdauemder Bettruhe empfehlen. In 64 °/ 0 war der 
Erfolg ein befriedigender; Storungen des Allgemeinbefindens traten selten ein: in 
6 von 63 Fallen Eingenommensein des Kopfes, am andern Morgen mit leichten 
Schwindelgeffihlen beim Erwachen; in 4 Fallen ein Zustand von Aufregung, nervfisw 
Unruhe und erhfihter Schlaflosigkeit; in 6 Fallen Erbrechen; in 2 Fallen Trocken- 
heit im Halse am nachsten Morgen. Eine schwere Intoxication wurde nie beobachtet; 
auch fehlten die Rauschzustande mit heiteren Delirien. Gewfihnung an das Mittel 
findet erst nach wochenlangem Gebrauch statt. Der Preis pro Gramm betragt jetzt 
0,30 Mark. Tuczek. 


26) Notin iiber Anwemdung dor Osmiumsaure gegen Epilepaie von Wilder- 

muth. (Berl. klin. Wochenschr. 1884. Nr. 23.) 

Bei innerlicher Darreichung von Kali osmic. in Pillenform (0,002—0,016 pro die) 
mit oder ohne kleine Bromkaligaben 3ah W. in einigen Fallen sehr ermunternde 
Erfolge. Die Anfalle wurden seltener, verschwanden sogar ganz, das psychische Be- 
hnden besserte sich. Tuczek. 


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988 


26) Case of Insanity of seven yean duration: treatement by electricity 

(Psychose von 7jahr. Dauer, mittelst Elektricitat bohandelt) by A. Robertson. 

(Journ. of ment. science. 1884. April, p. 54.) 

Ea handelt sich run einen Fall von Yerriioktheit — in Form von Yerfolgungs- 
wahn mit Hallucinationen bei einer 50jahr. Fran, bei der es scbliesslich zur Abstinenz 
kam; es wurde der constants Strom einer Batterie von 40 Ldclanchds in der Weise 
benfitzt, class der positive Pol uber dem oberen Halsganglion des Sympathicus an- 
gesetzt, der negative langsam auf derselben Kopfeeite von der Augenbraue zum Hinter- 
haupt und znnick zur Mittellinie des Kopfes bewegt wurde. Nach 7 Minuten wurde 
ebenso die andere Kopfhalfte behandelt. Die ganze Procedur wurde jeden 2. Tag 
vollfQhrt. Nach etwa 1 / 4 jahriger Behandlung wurde Pat. geheilt entlassen. R. deutet 
den gfinstigen Erfolg aus einer directen Einwirkung auf das Gehirn. A. Pick. 


m. Aus den Gesellschaftem 

Acaddmie de M6decine, Paris. (Sitzung den 10. Juni 1884.) 

Dumesnil und Petel, Rouen, theilen einen Fall von „commotio medullae 
spinalis 44 mit. Ein 60jahr. Mann war 1,5 m hocb auf den Kopf gefallen, sofort 
bewnsatlos geworden, an beiden Beinen ganzlich, an beiden Armen unvollstandig ge- 
lahmt; Anftsthesie vom Nabel abwarts, Incontinenz des Urins und des Stuhlgangs. 
Sonst nur Druck auf den 6. Halswirbel empfindlich. 

Es trat fast vollstandige Besserung bis zum 46. Tage ein. Dann neuerdings 
Yerschlechterung, Schmerzen und Krampfe in den Beinen, TemperaturerhOhungen bis 
39° und 40°. Spater Contracturen in alien Gliedem, neue Incontinenz, vielfacher 
Drockbrand, Tod 7 Monate nach dem Fall. 

Bei der Autopsie fand man Wirbelsaulo und Haute intact. Geringe Congestion 
im Cervical- und Dorsalmark. Sklerose der Seitenstrange, granulflse Degeneration der 
Ganglienzellen der Yorderhorner: Alles am starksten ausgesprochen im Dorsal- und 
Cervicaltheile. 

(Auffallenderweise wird vom Gehirn garnichts angegeben. Ref.) Hadlich. 


Reunion des mddecins ali^nistes suisses. Den 24. u. 25. September 1883. 

(Revue mdd. de la Suisse romande. 1884. 6.) 

In der von 13 Theilnehmem besuchten Versammlung machte Prof. S6guin, 
New-York, Mittheilung fiber eine Farbemothode von Gehirnabschnitten mit Anilinblau. 

Sodann leitete Challand, Bois de Cery, die Discussion iiber kimstliche 
SrnAhjmng durch ein Referat ein. Er ist nicht ffir die absolute Verwerfmig der 
Schlund8onde, will sie aber mit Auswahl und Yorsicht angewendet wissen; er habe 
Kranke bei der Ernahrung durch die Sonde urn 20—70 Pfund an Gewicht zunehmen 
gesehen. Andererseits gebe es Kranke, welche die Nahrungsverweigerung 8—14, 
selbst 18 Tage ohne Schadeu durchsetzten, bis sie zuletzt wieder anfingen zu essen. 

Prof. Olivet, Genf, wendet seit 27 Jahren keine Sonde mehr an, sondern die 
kalte Douche als „persuasion intense" (!). 

Die fibrigen Redner sprechen mit mehr oder weniger Einschrankung f&r die 
Anwendung der Sonden, besonders der weichen englischen. 

Chatelain, St. Blaise, theilt hierauf einen Fall von „folie a deux" mit. 
Zwei Zwillingsschwestern hatten 74 Jahre zusammen gelebt. Als 1872 der Ehemann 
der einen Schwester starb, erkrankten beide an Melancholia von derselben Form und 
genasen wieder zu derselben Zeit. Anfang 1883 starb der andere Ehegatte, und 
wieder erkrankten die beiden Schwestern in derselben Weise. Hadlich. 


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384 


IV. Personation. 

Der Herausgeber dieser Zeitschrift wurde zum ausserordentlichen Professor in 
der medicinischen Facultat der Friedrich-Wilhelms-Univei*sitat in Berlin ernannt. 

Unser Mitarbeiter, Herr Dr. Tnczek, hat sich als Privatdocent in der medi¬ 
cinischen Facultat der Universitat Marburg habilitirt. 

Yacanz. In der Provinzialirrenanstalt Eberswalde bei Berlin ist die Stelle dee 
2. Hulfsarztes (1200 Mark; freie Station) zu besetzen. Meldungen sind sofort an 
den Director Herrn Geheimen Sanitatsrath Dr. Zinn zu richten. 


V. Vermischtes. 

In No. 3 des Encephale von 1884 sendet Prof. B. Ball eine Philippics gegen das 
Protectionswesen bei der Besetznng der Arztstellen in den franzosischen, besonders den 
Pariser Irrenanstalten. Ball verlangt allgemeine Concurrenz nnd Besetznng nach der 
Ttichtigkeit, darait es nicht statt des Napoleonischen: „la carriere est onverte am talents" 
beisse: „la carriere est onverte am protections!" Siemens. 


In dem Asyl Leyme des Bezirks Figeac wnrde eine Warterin von einer anfgeregten 
Kranken, zu welcher sie allein in die Zelle gegangen war, fiber waltigt und mit Fanst- 
schlagen anf den Kopf getfidtet. Wie es moglich war, dass die Kranke die Zelle von innen 
schliessen und den Scblussel an sicb nehmen konnte, sodass Niemand rechtzeitig znr Hulfe 
eindringen konnte, ist nicht recht verstandlich; es mfissen dort hochst nnpraktische Ein- 
richtungen bestehen. Siemens. 


Der Progres medical bringt in seiner No. 31 (2. August 1884) eine heftige Strafpredigt 
des Dr. M. Boudet in Paris gegen seine Landsleute, weil sie in der Elektrotherapie zu 
sehr den deutschen Forschern folgen und fordert diejenigen, die „noch nicht wissenschaft- 
lich genugend germanisirt sind", auf, die mit deutschcm Stempel veraehenen Doktrinen nicht 
nach Frankreich hineinzulassen. Die duBois’sche Lehre von den „peripolaren Molekulen", 
die negative Sehwankung, der Elektrotonus scien unrichtige Theorien; die Entartungsreaction 
mit dem „Enthusiasmu8 der Bewunderer Erb’s" habe eine unerhebliche Bedeutnug, sowohl 
in Bezug auf die Diagnose, wie auf die Prognose. 

„Die Medicin besitzt glficklicher Weise andere Mittel (zur Diagnose), welche mindestens 
ebenso pr&cis sind, als die Entartungsreaction." 

In Bezug auf die prognostiscbe Bedeutung „glauben wir. dass, wenn eine entsprecbende 
Behandlung genugend lange ohne Erfolg fortgesetzt wird, dadurch die Prognose hinreichend 
aufgeklart ist." 

Diese Satzc dfirften den wissenschaftlicben Geist, der Herrn Boudet beseelt, genugend 
charakterisiren, und wir dtirfen wohl annehmen, dass er auf seine wissensebaftlieh ge- 
bildeten Landsleute nicht allzuviel Eindrnck maehen wird. Wir konnen ihra tibrigens ver- 
sicbern, dass wir seine beantragte Grenzsperre nicht mit gleichem Mittel bekampfen werden. 

Wir frenen uns in Deutschland nicht bios fiber die eigenen Erfolge, sondern anch fiber 
jeden Fortsohritt, den die wissenschaftliche Medicin anderwarts anbahnt — spociell in Frank¬ 
reich auf unserem Gebiete fiber die Arbeiten CharcoFs und seiner Schfiler —, wir prfifen 
nnd banen weiter. Daiuit glanben wir der Wissenschaft und unserem Wissen forderlich zn 
sein. Der wissenschaftliche Chanvinismus des Herrn Boudet konnte fur seine Landsleute 
nnr von den nachtheiligsten Folgen sein. M. 


Der Prix Aubanel der Societe m6d. psych, zn Paris (2400 fr.) ist ffir folgendes Them a 
bestimmt: 

Ueber die Coexistenz von Delirien verschiedenen Ursprungs (alcohol., epilept., paralyt., 
paranoisches etc.) bei demselben Kranken in Bezug auf Diagnose, Prognose, Behandlung und 
forensische Bedeutung. Termin 31. Dec. 1885. M. 


Druckfehlerberichtigung: 

In Nr. 13 S. 306 lies „Prof. Manz" statt „Ref. Manz". 

In Nr. 15 S. 338 Z. 25 v. o. lies „nicht" statt „recht" und 
S. 340 Z. 15 v. o. lies „nicht" statt „meist". 


Verlag von Vrit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mrtzgrb & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisohes Centr alblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomic, Physiologic, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heransgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Dritter " B * rBn - Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nnmmern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zn beziehen dureh 
all© Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Yerlagsbuchhandlung. 


1884. 1. September. Ns 17. 


Inhalt. I. Orlgfnalmftthellungen. Ein Fall von Hypertonia musculorum pseudohyper- 
trophica von A. Eulenburg. 

II. Referate. Experimentelle Physiologie. I. Uebcr ein neues Galvanometer und 
einige damit angcstellte Versuche von Eulenburg. 2. Zur Physiologie der gefasserweiternden 
und gefissverengernden Nerven von v. Anrep und Cybulski. 3. II tempo del processo psichico 
neirestesiometria' tattile del Buccola. — Pathologie des Nervensystems. 4. Ueber ein 
wenig bekanntes Symptom der Meningitis von Kernlg. 5. Tumeur sarcomateuse occupant 
les deux couches optiques par Rlchardldre. 6. A case with tumor in the optic thalamus by 
Bride. 7. Tuberculose de Tencdphale par Ayrofles. 8 . itamollissement du lobe droit du 
cervelet eto. par Ldvdque. 9. Meningite aigug; fcyste du oervelet par Daudlez. 10. Tumores 
cerebri von Gf&ser. 11. A statistical inquiry into the nature ana treatment of epilepsy by 
Bennet. 12. Accidents cons&utifs a la compression habituelle du cubital chez un ouvrier 
employer a ouvrager le verre par Ballet. 18. Troubles nerveux complexes des extremes 
consdcutifs a une blessure du nerf cubital par C6na$. 14. Die locale Verbreitung der 
Trophoneurosen von LiebeschQtz. 15. Neuropathologische Mittheilungen von LSwenfeld. 
16. Fall einer Sympathicusaffection im Gebiete des Auges von Nieden. 17. Hysterical or 
nervous breathing by Coates. — Psychiatric. 18. Psychose nach Rheumatismus articulor. 
acut. und nach Pneumonia crouposa von Eidam. 19. On some mental symptoms of ordinary 
brain-disease by Gasquet. 20. Insanity of twins; twins suffering from melancholia by Mlekle. 
21. Moral insanity by Workmann. 22. Caso tipico di follia morale pei Musso e Stura. 23. Zur 
Symptoraatologie der primaren Paranoia von Greldenberg. — Therapie. 24. Natrum sali- 
cylicum bei Hemicrame von Finkensteln. 25. Epilepsy treated with hydrobromate of conia 
by Wolffender. — Forensische Psychiatrie. 26. Examen m4dico-16gal de Paffaire T... 
par Legrand du Saulle. 27. Des ddlires instantan6s f transitoires consecutifs a des crises 4pi- 
leptiques au point de vue m4dico-14gal par Motet. 28. A lecture on the relation of madness 
to crime by Bucknill. 

III. Aus den Gesellschaften. 

IV. Bibliographic. 

V. Vormischtes. 


I. Originalmittheilungen. 

Ein Fall von Hypertonia musculorum pseudohypertrophica. 

Von A. Eulenburg. 

Der folgende, von mir kurzlich poliklinisch beobachtete Fall liefert einen 
Beitrag zu der noch ziemlich sparlichen Casnistik deijenigen Bewegungsano- 
malien, bei denen Muskelrigiditat, in Verbindnng mit Erschwerung der 


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386 


activen Bewegungen und gleichzeitigem Hypervolumen der betheiligteii 
Muskeln, das cardinale Symptom bildet. Er ist aber zugleich durch mehrere 
aufiSllige ErscheinuDgen von den bisher beschriebenen Fallen nicht unwesent- 
lich verschieden, so dass der Yerdacht gerechtfertigt wird, dass man es hier 
mit einem eigenthumlichen, einstweilen noch nicht genauer definirbaren und 
localisirbaren chronisch progressiven spinalen Krankheitsprozesse zu thun habe. 

J. T., 27 Jahr alt, jndischer Lehrer von der rassisch-ostpreussischen Grenze 
(Gouvernement Kowno). Keine hereditare Belastung, angeblich auch keine Neu¬ 
rosen in der Familie; doch wurde ein Vetter des Pat. vor Kurzem wegen hypo- 
chondrischer Melancholie in meiner Poliklinik behandelt. In seiner Jugend ist Pat. 
angeblich gesund gewesen und war namentlich in der Locomotion, sowie in alien 
sonstigen Bewegungen stets ungestort, bis seit 6—7 Jahren ohne bekannte Ver- 
anlassung Beschwerden beim Stehen, Gehen und Laufen sich einstellten, die 
sehr allmahlich zunahmen. Dazu gesellten sich auch Blasenbeschwerden in 
Form von Retention und Tenesmus vesicae sowie zeitweiser Incontinenz, und 
eine gewisse Steifigkeit beim Gebrauche der oberen Extremitaten. Das ander- 
weitige Befinden des Pat. blieb die ganze Zeit uber unverandert, doch empfand 
Pat. in zunehmendem Maasse eine lustlose und melancholische Stimmung, uber 
welche er sich selbst nicht Rechenschaft zu geben wusste (genauere Erhebung 
der Anamnese durch das mangelhafte Verstandniss der deutschen Sprache seitens 
des Pat sehr erschwert). 

Status praes. Der Gang des Patienten ist ein eigenthumlich unge- 
schickter; zogernd vorsichtig schiebt sich Patient gewissermaassen vorwarts, 
indem er die Beine in den Kniegelenken niemals ganz vollstandig streckt, 
sondem schwach flectirt im stumpfen Winkel belasst, und die Fusse zuerst 
mit dem Fersentheil auf den Fussboden aufsetzt; mit einiger Ueberwindung 
vermag er sich dabei ziemlich schnell und mit grossen Schritten fortzu- 
bewegen. Auf eine Erhohung (Stuhl) zu steigen ist ihm dagegen ganz 
unmoglich; er stutzt sich beim Yersuche mit der Hand auf das Knie des 
voraufgestellten, rechtwinklig flectirten Beines, und strebt durch den ange- 
wandten Druck und durch Yornubemeigen des Rumpfes und Kopfes das 
andere fest am Boden gewurzelte Bein zu losen und abzuschwingen, was 
ihm aber gar nicht oder hochst unvollkommen gelingt. Hinsetzen und Auf- 
stehen sind ebenfalls fur ihn ziemlich schwierige Acte, besonders das letztere, 
wobei Patient auch wiederum sich durch festes Anstemmen der Hande auf 
beide Oberschenkel und durch Vornuberbeugen des OberkSrpers zu erheben 
und in Schwung zu bringen bemuht ist. Betrachtet man nun den Patienten 
im Stehen bei entblossten Unterextremitaten, so wird die Ursache dieser er- 
schwerten Locomotionen sofort klar; sie besteht namlich in einer auf beiden Seiten 
symmetrisch wahmehmbaren colossalen Rigiditat einzelner Muskeln und 
Muskelgruppen der Ober- und Unterschenkel, vor Allem des Quadriceps 
und der Wadenmuskeln. Die Contouren des Quadriceps schwellen dabei in 
ganz erataunlichem Maasse reliefartig hervor und gewahren das Bild einer wahr- 
haft atlileti8chen Muskelentwickelung, wiewohl Patient im Allgemeinen mager, 


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387 


ziemlich unkraftig und offenbar sehlecht genahrt ist. Dieser mit Harte ver- 
bundene Rigor ist aber nicht etwa das Resultat einer entsprechend 
energischen activen Contraction des Quadriceps, da das Bein vielmehr 
auch im Steben, gerade so wie beim Gehen, fast immer in schwach stumpf- 
winkliger Flexion im Kniegelenke verbleibt Auch nimmt bei langerem 
Stehen, ohne dass die Stellung sich andert, der Rigor ganz all- 
mahlich an Intensitat ab und kann schliesslich vollig verschwinden, 
kehrt aber bei jeder activen oder passiven Stellungsveranderung 
mit grosser Leichtigkeit wieder. Ganz ebenso verhalt es sich mit den 
Wadenmuskeln; auch diese sind offenbar hyper voluminos; ihre Harte ist etwas 
geringer als die des Quadriceps, und sie ruhrt ebensowenig wie bei diesem von 
energischer activer Contraction her, da der Fuss vielmehr platt mit ganzer 
Sohleuflache auf dem Fussboden aufruht. Ausser Quadriceps und Wadenmuskeln 
zeigen besonders noch die Muskeln an der ausseren Seite des Oberschenkels 
(tensor fasciae latae) und der Huftgegend beim Stehen die namliche rigide Be- 
schaflfenheit und Harte, nicht dagegen die Adductorengruppe und die (im Gegen- 
theil ziemlich schlaflfen, atonischen) Flexores cruris, sowie auch die Glutaei. 
Lasst man in sitzender Stellung das herabhangende Bein im Knie beugen oder 
strecken, so hat Pat. jedesmal im ersten Augenblick eine grosse Schwierigkeit, 
und die Bewegung wird langsam und unbehulflich vollzogen; und Gleiches gilt 
auch von der Plantar- und Dorsalhexion des Fusses, bei welcher letzteren 
namentlich auch die Gruppe der Fussextensoren und des Tibialis anticus deut- 
lich hervorschwillt und eine rigide Beschaffenbeit darbietet — Die mechanische 
Contractilitat der im Rigor befindlichen Muskeln ist nicht gesteigert, 
im Gegentheil eher herabgesetzt; dieselben ziehen sich beim Beklopfen 
nur undeutlich und langsam zusammen; gleiches gilt auch von den schlaffen 
atonischen Muskeln an der Ruckseite der Hufte und des Oberschenkels. Das 
Knieph&nomen fehlt auf beiden Seiten vollst&ndig. Die Hautreflexe sind 
vorhanden; Plantarreflex (Beugung der Zehen) sehr deutlich. Kein Fuss- 
clonus; dagegen ist das von Westphal beschriebene Phanomen paradoxer 
Contraction (Contrahirtbleiben des Tibialis anticus und Prominenz seiner Sehne 
bei passiver Dorsalflexion des Fusses) meist deutlich zu erhalten. Cremaster- 
reflex sehr ausgesprochen, Bauchreflex schwacher, wahrend dagegen directe 
Percussion der Bauchmuskeln leicht ortliche Contractionen hervorrufk 

Ob ere Extremitaten. Bei herabhangenden Armen zeigt sich die Mus- 
culatur ahnlich wie an den Beinen reliefartig hervorschwellend und in theil- 
weise hypervoluminoser Entwickelung. Namentlich treten die Contouren des 
Deltoides, des Triceps und der Extensorengruppe am Yorderarm stark hervor, 
und diese Muskeln zeigen eine bedeutende Harte, die auch keineswegs dem 
Grade activer Zusammenziehung entspricht und die bei langerem Innehalten 
der gleichen Armstellung allmahlich nachlasst. Giebt man dem Patienten auf, 
den Yorderarm im Ellbogen gegen den Oberarm zu beugen, so vermag er dies 
nicht unmittelbar, sondern fixirt den Arm zuerst durch eine Senkung der 
Schulter und Auswartsdrehung im Schultergelenk, und vollzieht alsdann lang- 


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388 


sam die Beugung, wobei nun der Muskelbauch des Biceps ansehnlich hervor- 
schwillt. Oanz derselbe Yorgang wiederholt sich bei intendirter Contraction des 
Triceps (Streckung des gebeugten Yorderanns im Ellbogengelenke). Keine dent- 
lichen Sehnenphanomene am Triceps und Biceps; auch directes Beklopfen dieser 
Muskeln hat nnr schwache Contractionen zur Folge. — Aehnliche Yerhaltnisse 
am Yorderarm. Bei Streckung der Hand im Carpalgelenk Rigor der Streck- 
mnskeln; bei Beugung geringerer Rigor der Beugemuskeln; mechanische Con- 
tractilitat auch hier nicht gesteigert 

Die Musculatur der ubrigen Theile (Rumpf und Eopf) zeigt keine auSalligen 
Abnormitaten. Die Sprachbewegungen zwar ein wenig langsam, doch ungestort; 
beim Versuche zu pfeifen vermag Pat. allerdings nur die Lippen in eine vibrirende 
Bewegung zu versetzen ohne den Ton zu erzeugen; Zunge etwas dick und beim 
Herausstrecken zittemd. An den Augen keine Anomalien. Pupillenreaction 
bei directer und indireoter Lichtreizung deutlich vorhanden, bei ersterer jedoch 
etwas trage. 

Die Hautsensibilitat (Schmerzgefuhl, Ort-, Druck- und Temperatursinn), 
das Gefuhl fur Stellung und Bewegung der Gliedmaassen etc. liessen an 
den oberen und unteren Extremitaten keine deuthchen Veranderungen erkennen. 
Spontane Schmerzen, Druckpunkte etc. nirgends vorhanden. Auch die ubrigen, 
hier nicht ausdrucklich erwahnten Functionen ganz ohne Stoning. 

ElektrischerUntersuchungsbefund. Derselbe, in wiederholtenSitzungen 
genau aufgenommen, ergab eine sehr betrachtliche Herabsetzung der 
faradischen und galvanischen Nervenreizbarkeit, sowie der farado- 
muscularen und galvanomuscularen Contractilitat; sowohl an den 
oberen wie an den unteren Extremitaten. 

Ich lasse einige der erhaltenen Resultate — rechte Korperseite — hier 
folgen. (Beim faradischen Strom Zuckungsminimum nach Rollenabstand in 
Millimetern; beim galvanischen minimale KaSZ in M.-Amp. mit Hibschmakn’s 
absolutem Einheits-Galvanometer gemessen.) 

Obere Extremitat. 

Farad. Galvan. 


Plexus brachialis am Halse . . . 

. 59 

3,0 

N. accessorius. 

. 70 

2,0 

N. radialis. 

. 45 

4,4 

N. medianus. 

. 77 

2,8 

N. ulnaris. 

. 84 

2,0 

M. biceps (direct). 

. 56 

6,4 

M. triceps (direct). 

. 65 

6,0 

Exsensoren des Yorderarms, direct 

. 65 

8,4 

Flexoren, ebenso. 

. 60 

6,0 

Interoesei. 

. 65' 

5,6 


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389 


Untere Extremit&t. 



Farad. 

Galvan. 

N. cruralis. 

. 35 

10,0 

N. obturatorius. 

. 42 

6,0 

N. pro M. sartorio . . 

. 35 

6,2 

N. pro M. vasto int. 

. 38 

8,8 

N. pro M. vasto ext. 

. 28 

12,0 

N. peroneus. 

. 73 

3,8 

N. tibialis. 

. 49 

8,0 

M. rectus femoris (direct) . . 

. 28 

10,4 

M. tibialis ant. (direct) ... 

. 42 

12,0 

M. peroneus longus (direct) . . 

. 42 

14,0 

M. biceps femoris (direct) . . 

. 48 

14,0 

M. gastrocnemius (direct) . . 

. 28 

12,0 

M. glutaeus magnus (direct) . 

. 49 

9,4 

Nirgends eine Andeutung von EaR (KaSZ 

uberall > AnSZ; kein veranderter 

Zuckungscharakter). — 



Was den Verlauf des Falles betrifft, so 

kann ich hieruber nur bemerken, 

dass Elektricitat und warme Soolbader, seit 

circa acht 

Wochen angewandt, 


eine anscheinend gunstige Einwirkung auf den Krankheitszustand ausftbten. 
Patient entzog sich spater einer regelmassigen Behandlung. 

Die im Vorstehenden geschilderte eigenthumliche Motilitatsstorung erinnert 
offenbar in wesentlichen Zugen an die von Leyden (Klinik der Ruckenmarks- 
krankheiten. I. S. 128) als „Rigiditat der Muskeln, Muskelsteifigkeit“, von Bene¬ 
dict als „spastische Form von Muskelhypertrophie“, sodann unter verschiedenen 
Bezeichnungen von Thomsen, Bernhardt. SeeligmOller, StrOmpell be- 
schriebenen Zustande, welclie neuerdings Westphal 1 unter dem Namen der 
„THOM8EN’schen Krankheit“ zusammenzufassen gesucht hat. Von jenen Fallen 
aber, in denen es sich um eine angeborene Anomalie des Muskeltonus 
in Verbindung mit ungewohnlichem Volumen der Muskeln (Westphal) 
zu handeln scheint, unterscheidet sich der meinige hauptsachlich durch folgende 
Differenzpunkte: 

1) nicht congenitale, sondem acquirirte (ungefahr um das 20. Lebensjahr, ohne 
bekannte Aetiologie beginnende) Entwickelung des Leidens; 

2) Mitbetheiligung der Blasenmusculatur; 

3) volliges, beiderseitiges Fehlen des Kniephanomens; und endlich 

4) bedeutende Herabsetzung der faradischen und galvanischen Nervenreizbar- 
keit, der faradomuscularen und galvanomuscularen Contractilitat (auch wohl 
der directen mechanischen Excitabilitat) in oberen und unteren Extremitaten. 
Dass das Krankheitsbild durch Hinzutreten dieser Momente den Charakter 

einer sohwereren, centralen (intramedullar bedingten) Neuropathie annimmt, be- 
darf wohl keiner weiteren Begrundung. 

1 Berliner kliniBche Wochenschrift. 1883. ^r. 11. 


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390 


II. Refer ate. 


Experimentelle Phy siologie. 

1) Ueber ein neues Galvanometer und einige damit angestellte Versuohe 

von A. Eulenburg. (Deutsche med. Wochenschr. 1884. Nr. 8. Mit Abbildung.) 

Das von E. empfohlene Galvanometer ist von Hirscbmann in Berlin angefertigt. 
Dasselbe gestattet, noch Stromstarken bis zu l / l0 M.A. berunter zu differenziren und 
besitzt eine abstufbare Empfindlichkeit ffir die Benutzung bei schwachen, mittel- 
starken und sehr starken StrOmen, obne dass die Stromstarke dadurch verandert 
wfirde Oder beim Uebergang von grOsserer zu geringerer Empfindlichkeit oder um- 
gekehrt eine Stromunterbrechung statt fande. E. benutzte dies Galvanometer u. A. 
zur Bestimmung der elektromotoriscben Kraft der Batterie resp. einzelner Elemente, 
und zur Feststellung des galvanischen Zuckungsminimums. Dabei fand er an ober- 
flachlich gelegenen Nervenstammen KSZ schon bei 0,5—2,5 M.A., AnSZ (meist vor 
AnOZ) bei 1,2—3,5 und AnOZ bei 1,5—4,0 M.A. Im Allgemeinen fand er ffir die 
verschiedenen grCsseren motorischen Nervenstamme weder fiberhaupt, noch auch bei 
einem und demselben Individuum erhebliche Unterschiede. An den Muskeln wares 
durchschnittlich etwas hOhere Stromintensitaten erforderlich: minimale KSZ an Ge- 
sichts-, Hand- und Fussmuskeln bei 0,8—2,7; AnSZ bei 1,4—4,0; AnOZ bei 2,0—5,5 
und darfiber. Bei gesteigerter galvanomuscularer Contractilit&t, in Fallen von EaR 
im Gebiet des Facialis, Peroneus etc. fand er dagegen an den betreffenden Muskeln 
KSZ und AnSZ vielfach schon bei 0,1—0,2 M.A.; in einem Falle sogar KOZ schon 
bei 0,5—0,6 M.A., verbunden mit den gewOhnlichen Erscheinungen contracturartig 
tragen Ablaufs der Zuckung. Tuczek. 


2) Zur Physiologie der gef&sserweiternden und gef&ssverengemden Nerven 

von B. von Anrep und N. Cybulski. (St. Petersburger med. Wochenschr. 

1884. Nr. 20.) 

Nach einer Uebersicht fiber den gegenwartigen Stand der Ansichten von den 
vasodilatirenden und vasoconstringirenden Nerven, wobei die Grfinde, welche ffir die 
von den meisten Physiologen acceptirten Ansicht von Rouget, Goltz u. A. sprechen 
(— dass namlich die gefasserweiternden Nerven als dem Hemmungsnervenapparate 
des Herzens analog wirkend aufzufassen seien —), dann aber auch die Gegengrfinde 
angeffihrt werden, theilen die Yerff. ihre eigenen Yersuche mit. Sie bedienten sich 
vorzugsweise der plethysmographischen Methode (cf. Original), durch welche die 
durch die wechselnde Gefassffillung bedingten Yolumveranderungen gewisser Organe, 
des Penis und besonders der Zunge, in Curven dargestellt werden. 

Die Resultate der Verff. sprechen gegen die Annahme, dass sich die gef&ss- 
erweitemden Nerven dem Yagus analog verhalten. Sie fanden 1) keine Analogie in 
Bezug auf das Verhalten nach Atropin-Vergiftung: selbst grosse Atropin - Dosen be- 
einflus8ten die Wirkung der elektrischen Reizung nicht, wie schon Heidenhain und 
Ostroumow gegen Nikoljski gefunden hatten; 2) keine Analogie in Bezng auf 
den unter alien Umstanden fibermachtigen Effect der Yagus-Reizung, da die Reizung 
gefasserregender Nerven den Effect der Reizung der Vasodilatatoren aufhebi — Sie 
fanden dagegen, dass eine bestimmte Hfihe des Blutdrucks eine unerlass- 
liche Bedingung zum Zustandekommen einer bemerklichen Erweiterung 
der Gefasse ist. — Sie fanden ferner, dass keine wesentliche Yerschiedenheit 
beider Arten von Gefassnerven, der Dilatatoren und der Constrictoren, besteht, indem 
sowohl die latente Reizperiode gleich, als auch die Stfirke der Erweiterung resp. 


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391 


Yerengerung bei gleicher Zahl der Inductionsschlage, oder mit anderen Worten die 
HChe wie Ausdehnung der Wellenh&he der gezeichneten Curven, die gleiche ist. 

Die Verff. glauben also zwei voilkommen selbstst&ndige neuromusculare Apparate 
in den Gef&sswanden annebmen zu sollen, und sie schliessen sich Exner’s Erklarung 
ton dem Znstandekommen der Gefassdilatation an, wonach dieselbe durch die Con¬ 
traction der Langsfasem erfolgt, welche das durch den Blutdruck in der Lange nnd 
Quere gedehnte elastische Gefass verkhrzte und dadnrch nach pbysikalischen Gesetzen 
eine starkere Wirkung des Blutdrucks in querer Richtung bedingte. 

Hadlich. 


3) II tempo del prooesso psichico nelPestesiometria tattile del Buccola. 

(Bivista sperimentale di freniatria. 1883. XI. 2 e 3. p. 253.) 

Unter ausfhhrlicher Berflcksichtigung der frflheren Yersuche fiber den Tastsinn 
berichtet Verf. liber Zeitmessungen, die er angestellt hat hinsichtlich der Unter- 
scheidungszeit ftlr eine oder zwei Berhhrungen an der Fingerspitze und am Hand- 
rftcken (transversal). Er bediente sich dabei des Hippschen Chronoskops und eines 
eigens construirten Tasters, der im Momente der Beruhrung einen Contact schloss. 
Die f&r ein Individuum vollstandig, ftlr ein anderes bruchsttickweise vorliegenden, 
mit Vexirversuchen nach der Methode der richtigen und falschen F&lle gewonnenen 
Resultate ergaben mit zunehmender Uebung und VergrOsserung der Tastdistanz Ab- 
nahme des Procentsatzes der Fehler, sowie der Unterscheidungsdauer, ferner kleinere 
Unterscheidungszeiten ftlr die Fingerspitze, als ftlr den Handrhcken, wie Yerf. schon 
fr&her gefunden hatte. Doppelberfihrungen wurden meist etwas rascher unterschieden, 
als einfache, nach Ansicht des Ref. wohl wegen der mehr auf sie eingestellten Auf- 
merksamkeit. Die absolute Grfisse der Unterscheidungsreactionen kommt derjenigen 
einfacher Reactionen sehr nahe (z. B. Fingerspitze „3 mm Abstand: 0,154*0; leider 
sind fflr letztere keine gesonderten Bestimmungen angegeben. E. Kr&pelin. 


Pathologie des N ervensy stems. 

4) Ueber ein wenig bekanntes Symptom der Meningitis von Kernig. (Wratsch. 

1884. Nr. 26—27. Russisch.) 

So wohl bei der epidemischen cerebro-spinalen, als auch bei der gewChnlichen 
oder tuberculOsen Meningitis sind Contracturen der Nacken- und Rhckenmuskeln eine 
haufige Erscheinung; an den Extremitaten jedoch werden gewohnlich keine Contrac¬ 
turen beobachtet, wenn man die Patienten in gestreckter Bettlage untersucht. In- 
dessen fand Yerf. ein anderes Yerhalten, wenn man die Kranken sich setzen l&sst, 
so dass die Beine herabhangen. In diesem Fall nimmt einerseits die Contractor der 
Nacken- und Rflckenmuskeln zu, andererseits kommt dann eine Contractor der 
Beuger des Kniegelenks zum Yorschein: die Extremitaten lassen sich im Knie- 
gelenk nicht gerade ausstrecken, sondern nur bis zu einem stumpfen Winkel von 
ungefahr 135°, in manchen Fallen sogar nur bis zu einem geraden Winkel. Diese 
Erscheinung bietet nach K.’s Behauptung bei der Meningitis eine solche Bestandig- 
keit, dass sie in diagnostischer Hinsicht eine wichtige, zuweilen sogar entscheidende 
Bedeutung besitzt. 

Yerf. hatte Gelegenheit im Laufe der letzteren Jahre im St. Petersburger 
Obuchow - Hospital 15 Falle von acuter Meningitis zu beobachten; da von waren 
13 epidemische Cerebrospinalmeningitis, 1 tuberculOse und 1 eitrige Leptomeningitis. 
8 dieser Falle kamen zur Section, und letztere bestatigte die Diagnose; in den an¬ 
deren war sie durch genaue Beobachtung des Krankheitsverlaufs gesichert. In alien 
wurde Contractur der Beuger des Kniegelenks constatirt, wenn man die Untersuchung 


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392 


in sitzender Stellung vornahm. Letztere hat nach K.’s Meinung nor die Bedeatung, 
dass dabei die Oberschenkel sich in starker Flexion befinden, denn die Contractor 
lasst sich nicht mehr constatiren, sobald die Beine gestreckt sind, wie beim Liegen, 
Stehen Oder Gehen. 

Verf. beobachtete das in Bede stehende Symptom aoch in 6 anderen Erankheits* 
fallen, in denen keine eigentliche Leptomeningitis bestand, wo jedoch — wie die 
Section erwies — die Pia mater in anderer Weise alficirt war, durch Oedem, 
Hamorrhagien etc. In einem protrahirten Fall cerebrospinaler Meningitis, der sich 
2 l / 2 Monate lang hinzog, verschwand das bezeichnete Symptom wahrend der Re- 
missionen, stellte sich aber wieder ein, sobald die Intensitat der Erankheitserschei- 
nungen zunahm. P. Rosenbach. 


6) Tumour saroomateuse occupant lea deux couches optiques par Richar- 

didre. (Soc. anat.; Progr. m&L 1884. No. 20.) 

Beide Sehhhgel waren vollig in der Neubildung aufgegangen; linkerseits fand 
sich eine frische Hamorrhagie in dem benachbarten Hemispharenmark. Auf letztere 
ist eine 3 Wochen vor dem Tode aufgetretene rechtsseitige Parese zu beziehen. — 
Die Affection der Sehhugol war offenbar lange Zeit latent geblieben; erst 6 Wochen 
vor dem Tode traten Gedachtnissschwache und Apathie als einzige Erscheinungen 
auf, wahrend Sensibilitat, Seh- und Hdrvermogen vOllig intact blieben bis 
zum Tode, den eine Blutung in den linken Seitenventrikel herbeifahrte. 

_ Tuczek. 


6) A case with tumor in the optic thalamus by T. A. Mac Bride. (American 
Joum. of Neurol, and Psychiatr. 1884. III. p. 63.) 

Wallnussgrosser Tumor (Gumma?) von der Grenze des mittleren und hinteren 
Drittels des rechten Thalamus opt. ausgehend, das Corpus callosum in seiner ganzen 
Dicke durchsetzend und daher auf der freien Flache desselben in der Medianspalte 
des Grosshirns sichtbar. Der mittlere und die Seitenventrikel sind dilatirt, sonst 
keine wesentliche Abnormitat im Hirn. 

48jahr. Mann, seit 3 Jahren an sehr heftigem Eopfweh besonders in der linken 
Hinterhauptshalfte leidend, bemerkte seit einigen Monaten eine Steigerung der Schmerzen 
und eine gewisse Schwerfalligkeit beim Gehen und Verrichten seiner gewohnlichen 
Arbeiten. Schnelle Abnahme des GehOrs und des Gedachtnisses. 2 heftige Krampf- 
anfallo, der erstere 2 Monate, der andere 2 Tage vor der Aufnahme in das Kranken- 
haus, mit linksseitiger Hemiplegie. Bei der Aufnahme war indess neben linker 
Facialparalyse nur noch eine motorische Parese der linken Extremitaten und eine 
Ablenkung der Zunge nach links nachzuweisen. Percussion des Schadels war nur 
liber dem linken Proc. mastoideus schmerzhaft. In rasch zunehmendem Stupor starb 
Patient nach wenigen Tagen. Die Augen hatten nicht ophthalmoskopisch untersucht 
werden konnen. Sommer. 


7) Tuberculosedel’encdphale par Ayrolles. (Soc. anat.; Progr. mdd. 1884. No. 9.) 

2 fast eigrosse Tuberkel; der eine im oberen Wurm des Eleinhims, der andere 
im vorderen Abschnitt des rechten Sehhugels, die innere Kapsel, den Linsenkern, 
Yormauer und aussere Eapsel zum Theil einbegreifend. Von Herdsymptomen hatte 
nur linksseitige Lahmung des Abducens und unteren Facialisgebiets und Parese der 
linken Ober- und Unterextremitat bestanden. Massige Amblyopie. Tod an Broncho- 
pneumonie. In den Organen der Brust- und Bauchhbhle keine Tuberkel. 

_ Tuczek. 


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893 


8) Ramollissement da lobe droit du oervelet. — Tendance au reeul pen¬ 
dant la demi&re ann4e de la vie. Mort par hdmorrhagie dans le 
corps stri6 par LdvSque. (Soc. anat.; Progr. mdd. 1884. No. 25.) 

Der Titel besagt das NOthige; die blutige Apoplexie, auf welche die Erweichung 
der Kleinhirnhemisphare zurttckzuffihren war, hatte 5 Jahre vor dem Tode statt- 
gefunden und nur vorflbergehende Hirndruck- und Lahmungserscheinungen zur Folge 
gehabt. Tuczek. 


0) M&ningite aiguS; — kyste du oervelet par Dauchez. (Soc. anat.; Progr. 
mdd. 1884. No. 25.) 

Die linke Kleinhirnhemisphare war in eine Cyste umgewandelt; die meningitischen 
Befunde beschriinken sich auf Adhasionen mit der Binde. Lange Zeit war die Klein- 
birnaffection latent geblieben; 3 Wochen vor dem Tode begann der 17jahrige Kranke 
fiber Kopfweb zu klagen; 3 Tage vor dem Tode trat Nackenstarre, dann Anasthesie 
und Analgesie der linken KOrperhalfte ein. Tuczek. 


10) Tumores cerebri von Glaser. Aus der I. Abtb. d. med. Station des Hamburger 
Allg. Krankenb. (Berl. ilin. Wocbenscbr. 1883. Nr. 52.) 

Summarischer, kliniscber und anatomischer Bericht fiber 5 Falle von Hirntumor, 
1 in der Hypopbyse, 3 in Balken, 1 im Hinterbauptslappen. Tuczek. 


11) A statistical inquiry into the nature and treatment of epilepsy by 
A. Hughes Bennet. (London 1884.) 

In der vorliegenden Brochure hat Verf. einige seiner alteren Aufsatze fiber 
Epilepsie, die in verschiedenen Zeitscbriften erscbienen waren, vereinigt und es wtirde 
daber ein Referat an dieser Stelle nicbt nothwendig sein, wenn nicbt einzelne 
interessante Notizen ihre Wiedergabe recbtfertigten. 

So seien zunachst einige statistische Angaben erwahnt. 100 Falle klassiscbe, 
Epilepsie vertheilen sich nacb Yerf. auf 47 Manner und 53 Frauen. Der Beginn 
des Leidens datirt meistens — bei 57 °/ 0 — aus den beiden ersten Jabrzehnteln 
docb erkranken besonders Manner nocb baufig genug in spaterer Zeit, wie die forr 
gende Tabelle beweist. Yon 100 Epileptikem (47 M. + 53 Fr.) erkrankten im Alte- 


von 

0—10 

Jahren 

9 

Manner 

+ 

14 Frauen 

= 

23°/ 0 

n 

10—20 

it 

11 

tt 

+ 

23 

tt 

= 

34°/ 0 

tt 

20—30 

tt 

14 

tt 

+ 

9 

tt 

= 

23% 

a 

30—40 

tt 

10 

tt 

+ 

6 

tt 

= 

16% 

tt 

40—50 

tt 

1 

tt 

•+ 

0 

tt 

= 

1 % 

a 

50—60 

tt 

2 

tt 

+ 

1 

it 

= 

3% 


Hereditat (bei sorgfaltiger Anamnese) ist nur bei 41 °/ 0 nachweisbar und dabei 
sind ausser den neuropsychopathischen Leiden nocb Phthisis und Asthma als belastend 
einbegriffen. Dagegen ist die Haufigkeit auffallend, mit der epileptische AngebCrige 
in der betreffenden Familie vertreten sind: 63,4°/ 0 aller Hereditarier hatten einen 
Oder mebrere Epileptiker und 12,1 °/ 0 Irre unter ihren Yerwandten. 

Erwabnenswerth dtirfte es aucb nocb sein, dass 15°/o aller Epileptiker und 
43,7 °/ 0 a^ er derjenigen, deren Anamnese Angaben uber Mbere Erkrankungen der 
Betreffenden mittbeilt, wabrend der Dentition an „Zahnkrampfen“ gelitten baben. 
Eine specielle Ursache zum Ausbrucb der Epilepsie ist bei 57 °/ 0 nachzuweisen; 
Kopfverletzungen werden am baufigsten in dieser Hinsicht angeklagt, Schreck eigen- 
tbffmlicber Weise nur bei 5 °/ 0 der positiven Falle. 


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394 


Was die Symptomatology betrifft, so ist „Epilepsia gravior" bei 62, E. initio* 
bei 10 und eine Combination beider Formen bei 28°/ 0 zu beobacbten. Bei der 
scbwereren Form finden sich praparoxysmelle Symptome in 65,5 °/ 0 ; sie bestehen in 
nicht weniger als 72,8% der letzteren in dem Auftreten bestimmter Auraerechei- 
nnngen auf sensiblem Oder motorischem Gebiet. In 41 % aller Falle ist stunden- 
langer Kopfschmerz ein regelmassiger Folgezustand eines Anfalles. In den Intervallen 
macht sich eine Abschwachung der Intelligenz bei etwa 25% bemerklich. 

Sehr ausfdbrlich sind die Angaben des Verf. fiber die Erfolge seiner Therapie. 
Seine Verordnung bestand in Brompraparaten in Dosis von 30 Gran = 1,8, 3mal 
pro die; gewbhnlich gab er Bromkalium nnd Bromammonium zu gleichen Theilen. 
Wenn nach 14 Tagen keine wesentliche Besserung zu sehen war, so wurde jede 
Dosis um 10 Gran erhSht; mehr als 60—80 Gran 3mal pro die — ca. 15,0 — 
waren fast niemals erforderlich. In dieser Weise wurde dann die Behandlung lange 
Zeit hindurch, mit aUmahlicher Verkleinerung der t&glichen Dosis fortgesetzti Von 
117 Fallen, in denen die Brombehandlung mindestens 6 Monate, z. Th. aber sogar 
3—4 Jahre gedauert hatte, wurde ein vOlliges Fortbleiben der Anfalle 14mal (2mal 
auf die Dauer von 4 Jahren) constatirt. In 83,3 % trat eine bedeutende Abnahme 
in der Zahl der Anfalle ein, in 2,3 % war keine Besserung und in ebenfalls 2,3 % 
sogar eine Verscklechterung nachzuweisen. 

Nach Verf. Erfahrungen wird Ep. gravior und Ep. diurna gtinstiger beeinflusat, 
als E. mitior und E. noctuma; hereditare Belastung an sich giebt indess keine 
schlechtere Prognose, und merkwHrdiger Weise auch nicht das hOhere Alter der 
Patienten oder das langere Bestehen der Krankheit vor dem Beginn der Behandlung. 

Verf. empfiehlt daher die Bromtherapie in alien Fallen von Epilepsie; er macht 
noch besonders darauf aufmerksam, dass er in seiner sehr grossen Praxis keinmal 
ernstliche Nachtheile selbst von lange Zeit hindurch fortgesetzter Verordnung grosser 
Dosen gesehen hat. Die Arbeit ist fiberzeugend geschrieben und besonders die 
therapeutischen Abschnitte werden jedem Neuropathologen interessante Einzelheiten 
bieten. Sommer. 


12) Accidents consdoutife A la compression habituelle du cubital ches un 
ouvrier employer a ouvrager le verre par Gilbert Ballet. (Revue 
de mddecine. 1884. Juin p. 484.) 

Bei einem Glasarbeiter, der sich bei seiner Arbeit bestandig auf die Ellenbogen 
aufstdtzen musste, entwickelte sich allmahlich: taubes Gefhhl in den beiden letzten 
Fingern der rechten Hand, Schmerzen langs des inneren Randes des Vorderarmee 
bei Druck auf den Ulnaris, Erschwerung beim Spreizen und Wiedemahem der Finger, 
leichte Atrophie des Adductor pollicis. 

B. macht darauf aufmerksam, dass Shnliche StOrungen schon frhher wiederholt 
bei Arbeitern beobachtet sind, deren Beschaftigung eine anhaltende Compression des 
Ulnamerven bedingt (cf. Leudet, ndvrite cubitale provoqude par des contusions 
repdtdes dans certaines professions. Progr. mdd. 1883. p. 697). Strflmpell. 


13) Troubles nerveux complexes des extrdmites consdoutifs a une blessure 
du nerf cubital par L. Cenas. (Revue de Mddecine. 1884. Juin p. 479.) 

Ein Soldat erlitt 1870 eine Schussverletzung des rechten N. ulnaris am Ellen¬ 
bogen. Wenige Tage darauf stellte sich eine Beugecontractur der 3 letzten 
Finger der rechten Hand ein, welche seitdem constant blieb. 6 Jahre sp&ter stellten 
sich Schmerzen in der Gegend des Schulterblattes ein, und allmahlich entwickelten 


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395 


sich in der Palmarfascie der 1 in ken Hand jene allm&hliche narbenahnliche Schrum- 
pfung, welche nnter dem Namen der „Dupuytren’schen Fingercontractur" bekannt 
1st. Die Musculatur des linken Daumenballens wnrde deutlicb etwas atrophisch; 
anch die Sensibilitat der Hand zeigte eine deutliche StGrung. 

Eine sicbere Erklarung des Znstandekommens dieser Erscheinungen kann nicbt 
gegeben werden. „Reflexst5rungen“, „ascendirende Neuritis" and dgl. sind die Schlag- 
worte, welche das mangelnde Yerstandniss verdecken sollen. Strdmpell. 


14) Die locale Verbreitung der Trophoneurosen von Julius Liebeschfttz 
aus Memel. (Inaugural-Dissertation. Strassburg 1883.) 

Fall aus der Ldcke’schen Klinik: lOjahriges Madchen, hat im 3. Lebensjahre 
Scharlach hberstanden. Ein halbes Jahr nachher Atrophie und Behinderung der 
Beweglichkeit im linken Beine, ein halbes Jahr spater am ausseren Band des linken 
Fusses homartige Kruste, die abscedirte, und eine Fistel zuruckliess. Spater horn- 
artige Erhebung an der Innenseite des linken Fusses. Im Alter von 10 Jahren: 
Linke untere Extremitat in alien Dimensionen verkhrzt; braune Pigmentirung be- 
sonders an der Hinterseite des Ober- und Unterschenkels. Contracturen an Adduc- 
toren des Femur, wie Flexoren des Unterschenkels. Fuss in Hyperextension und 
etwas in Vagusstellung. Muskeln des Fusses fast ganz geschwunden; Haut dort mit 
unregelm&ssig zerstreuten Pigmentflecken und asbestartigen Schuppen bedeckt. Glu- 
taeen stark atrophirt, ebenso linke grosse Labia. Temperatur am rechten Oberschenkel 
um 0,3—0,8, am Unterschenkel und Fussrllcken urn beinahe 3°, links niedriger, als 
rechts. Fast der ganze linke Fuss fdhlt sich steinhart an. Keine erheblichen 
Differenzen der Sensibilitat. 

Linke Arteria cruralis viel kleiner, als rechte. Oberschenkel rechts 28,5, links 
26 cm, Unterschenkel rechts 26, links 20 1 / 2 cm. 

Umfang um die Mitte des Oberschenkels rechts 33,5, links 22,5 cm, des Unter¬ 
schenkels 22,5, resp. 10,5, des Fusses 16, resp. 12. 

Keine Entartungsreaction. Gegen die Annahme einer spinalen Kinderlahmung 
spricht nach Yerf., dass 1. niemals eine Lahmung stattgefunden, 2. die Pigmentirung 
der Haut, 3. der Yerlust des Extens. digitor longus und brevis, in denen keine elek- 
trische Reaction, war durch Eiterung entstanden, im Gegensatz zu dem Schwund 
durch Herde in den spinalen Centren. Er halt den Fall fdr eine Hemiatrophia 
neurotica progressiva, wie sie als Hemiatrophia facialis haufig beobachtet M. 


16) Neuropathologische Mittheilungen von Dr. L. LSwenfeld in Mfinchen. 
I. Ein weiterer Fall von Paramyoclonus multiplex (Friedreich), 
Myoclonus spinalis multiplex (LCwenfeld). 

L. hat einen dem von Friedreich als Paramyoclonus multiplex beschriebenen 
&hnlichen Fall beobachtet. Bei einem lOjahrigen anamischen Knaben entwickelte 
sich ohne nachweisbare Yeranlassung, zuerst am rechten, dann am linken Arm, spater 
an den Beinen auftretend, die eigenthumliche krampfhafte Affection bestimmter Mus¬ 
keln. Dieselbe bestand in rasch auf einanderfolgenden kurzen Contractionen, die oft 
sehr deutlich fflhlbar, aber doch nicht so erheblich waren, um einen Bewegungseffect 
zu erzeugen. An den oberen Extremitaten waren Biceps, Supinator longus, Brachialis 
intemus, Deltoideus, Triceps (zuweilen auch links der Pectoral, major), an den unteren 
Extremitaten die Mm. rect. femor., vastus intern., gracilis, semitendinosus, semimem¬ 
branosus besonders betheiligt. Bei activen Bewegungen, speciell der betreffenden 
Muskeln, verschwanden die Contractionen. Die Betheiligung der verschiedenen Mus¬ 
keln war durchaus keine constants und gleichmassige; nahezu bestandig war nur der 


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Supinator long, in Bewegung, wenigstens auf einer Seite. Die Zahl der participirenden 
Muskein stand stets in gewisser Beziehung zur Intensitat des Krampfes. Es bestand 
wie in Friedreich’s Fall erhOhte Reflexerregbarkeit der afficirten Muskein. Die 
Einwirkung ktihler Luft, Kneipen einer Hautfalte, Druck auf die Musculatur steigerte 
Intensitat und Ausbreitung der Krampfe. Die Zuckungsfrequenz der einzelnen Mus¬ 
kein war nicht nur zu verschiedenen Zeiten, sondem auch in einem und demselben 
Zeitraum sehr wechselnd. Die faradische und galvanische Erregbarkeit der Muskein, 
wie der Nervenstamme war normal. 

Abgesehen von ganz vorhbergehenden Parasthesien in den Handen und per- 
manentem Mfldigkeitsgefuhl bestanden keine Sttirungen der Sensibilit&t. 

6w6chentliche Galvanisation langs der Wirbelsaule und „Rtickenmarksplexus- 
str5me“ besserten nur wenig, eclatanter Fortschritt wurde durch Aenderung der Me- 
thode — Einschaltung des Ganglion symp. suprem. in den Stromkreis, neben Gebrauch 
von Zinc, valerianic., erreicht, das Leiden in der Hauptsache gehoben. 

Verf. macht darauf aufmerksam, dass in seinem Fall uberwiegend dieselben 
Muskein wie in dem Friedreich’schen ergriffen waren. Die Verstarkung der Krampfe 
durch Druck fuhrt er nicht auf die Hautreizung zurilck, wie F., sondem betrachtet 
dieselbe als von den sensiblen Muskelnerven ausgelftste Reflexaction. 

Den Ausgangspunkt des Leidens sucht L. in den grauen VorderhSrnem des 
Rflckenmarks und glaubt sogar aus der Betheiligung bestimmter Muskelgruppen auf 
die Localisation in speciellen Kernregionen, wenigstens fur die oberen Extremitaten, 
schliessen zu ddrfen. Die Auffassung des Leidens als Schreckneurose, die Fried¬ 
reich nach der Aetiologie seines Falles ausgesprochen hatte, scheint L. mit der 
Geschichte seines Falles unvertraglich. Yoraussetzung scheint ihm neuropathische 
Disposition, die auslOsende Ursache kann verschieden sein. 

Im Hinblick darauf, dass die Affection in seinem Fall einige Zeit hindurch ein- 
seitig war und dass es sich urn Muskelkrampfe im Bereich spinaler Nerven (oder 
vom Rilckenmark ausgehend) handelt, schlagt L. anstatt der Friedreich’schen Be- 
zeichnung den Namen Myoclonus spinalis multiplex vor. Eisenlohr. 


16) Fall einer Sympathiousaffection im Gebiete des Auges von Dr. A. Nieden. 

(Ctrlbl. f. prakt. Augenheilk. 1884. Juniheft.) 

In Folge eines Flussbades zog sich der 51jahrige Br. eine Erkaltung zu, welche 
folgende Erscheinungen, die plOtzlich und nur auf der rechten Kopfhalfte auftraten, 
machte: Lidspaltverengerung, Pupillarcontraction, leichtes Zuriickgezogensein des Bulbus, 
Gefassparalyse, die mit Htilfe eines Sphygmographen von Dudgen nachgewiesen 
wurde, und Anhidrosis der Stim- und oberen Augenlidhaut. Weder der M. orbicularis, 
noch Levator palp. sup. waren gelahmt, das Augeninnere war normal, nur schien das 
intraoculare Gefasssystem der Chorioidea und Retina rechts eine st&rkere Fflllung zu 
haben, als links. 

Es liegt also hier eine Lahmung der Sympathicusaste vor, die die Oculopupillar- 
und Mfiller’8chen Muskein, sowie die Art. temporalis, frontalis und supraorbitalis 
versorgen. Das Schadlichkeitsmoment wirkte wahrscheinlich auf einen Theil des die 
obere Carotis umspinnenden Geflechtes des Sympathicus stOrend ein, ohne eine tiefere 
Lasion des Halsstranges, der auf Druck unempfindlich war, zu setzen. Allgemeine 
Diaphorese, ebenso Jodkalium und Galvanisation waren ohne Einfluss, doch besserten 
sich die Symptome im Laufe von 9 Monaten spontan. Rosenheim. 


17) Hysterical or nervous breathing by W. Martin Coates. (British med. 
Journal. 1884. 5. July.) 

Verf. glaubt eine bisher nicht genauer beschriebene Affection hysterischer Natur 
mehrfach beobachtet zu haben und theilt die beztlglichen Krankengeschichten mil 


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397 


Eb handelt sich moistens am nicht sehr robaste Individuen, die an Lungenschwind- 
sucht zu leiden glauben and an objectiven Symptomen einen sehr hartnackigen 
eigenthumlichen Husten, ausserordentlicb schnelle und oberflachlicbe Inspirationen 
and vielfach leicht blutige Sputa darbieten, die aber venOsen Charakters sind and 
nachweisbar aus mehr oder weniger absichtlichen Verletzongen des Zahnfleiscbes etc. 
herstammen. Die physikalische Untersnchung ergiebt in Uebereinstimmung mit dem 
relativen Woblbefinden der Patientinnen keine Spar einer Langenerkrankung. In 
vielen Fallen wird die Auscultation schwierig, weil die Kranken auf keine Weise zu 
bewegen sind, eine tiefere Inspiration zu machen, der sie nicht fahig zu sein glauben. 
Verf. empfiehlt dann schnell und laut zahlen zu lassen ohne Athem zu holen, weil 
sich dann endlich einmal eine tiefe Athembewegung nothwendig machen muss, die 
fiber der ganzen Lunge das normale vesiculare Athmen herstellt. In alien Fallen 
trat Heilung ein, sobald unter Hinweis auf das Nichtbestehen eines Lungenleidens 
eine moralische Behandlung und Verbringung in hygienisch geordnete Yerhaltnisse 
angeordnet wurde. Sommer. 


Psychiatrie. 

18) Psychose naoh Bheumatismus articulor. aout. und naoh Pneumonia 
orouposa von Eidam. (Berl. klin. Wochenschr. 1884. Nr. 12.) 

Aus der 1. Krankengeschichte — Psychose von 7 Monate langer Dauer nach 
Polyarthritis rheum. — lasst sich eine bestimmte Form von SeelenstOrung nicht er- 
kennen. Yerf. spricht von „Melancholie mit Stupor und maniacalischer Erregung" 
Es scheint sich urn Erregungszustande angstlicher Art bei auf traumhafte Stufe ge- 
sunkenem Bewusstsein gehandelt zu haben. 

Der 2. Fall ist offenbar nichts anderes als Delirium potatorum. 

_ Tuczek. 


19) On some mental symptoms of ordinary brain-disease by Dr. Gasquet. 

(Journ. of meni science. 1884. April p. 74.) 

Berichtet kurz fiber 4 Falle von grober Himaffection mit psychischen Erschei- 
nungen. 

1) Fall von multipler Sklerose; etwa 14 Tage nach dem Auftreten der soma- 
tischen Erscheinungen GrOssenwahnideen paralytischen Charakters, welche bis zu dem 
2 Jahre spater eintretenden Tode andauern; dabei Erankheitseinsicht nach der so- 
matischen Seite bin. 

2) Syphilis; im Anschluss an 2 Anfalle acute Manie, damach paralytischer 
Gr&ssenwahn, Anfalle von Rindenepilepsie, Tod. 

3) Chronische multiple Hirnerweichung, paralytischer GrOssenwahn, unterbrochen 
von kurzdauernden angstlichen Zustanden. 

4) Apoplectischer Anfall mit nachfolgender r. Hemiplegie, paralytischer Grfissen- 
wahn, spater Demenz, Yerworrenheit. 

Als vielleicht differentialdiagnostisch verwerthbar gegenfiber der Paralyse hebt 
G. hervor das Fehlen von auf Muskelkraft Oder sezuelle Potenz bezfiglicher Wahn- 
ideen. A. Pick. 


20) Insanity of twins. — Twins suffering from melancholia by A. F. Mickle. 
(Journ. of ment. science. 1884. April.) 

Geiste88t$rung bei Zwillingen, bemerkenswerth wegen der Aehnlichkeit der psy¬ 
chischen Erscheinungen der physisch einander sehr ahnlichen, von einander getrennt 
lebenden Geschwister. A. Pick. 


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21) Moral insanity by J. Workmann. (The Canadian practitioner. 1883. p. 10.) 

Energische und berechtigte Zurtickweisung der Krankheitsform „moral insanity", 
sobald man nnter dieser von Pritchard eingefQhrten Bezeichnung moralische Ver- 
derbtheit bei gleichzeitiger Integritat der Intelligenz versteht. In alien Fallen, in 
denen Yerf. zu jener Diagnose hatte gelangen kCnnen, hat sich entweder ein bereits 
seit langerer Zeit bestehender psychischer Defect herausgestellt oder eine evidente 
GeistesstGrung (spec. Paralyse) trat nach langerer oder kiirzerer Beobachtnng ein. 
Interessant ist folgender Fall: 2 Schwestern erkrankten in langerem Zwischenranm 
nach einander unter den schwersten Erscheinungen der moralischen Depravation. Die 
erstere wnrde sofort einer Irrenanstalt zugefflhrt, wo sie sich sittsam benahm und 
nicht die geringsten Andeutungen einer psychischen Schwache oder einer specifischen 
Geistesstbrung zeigte, und nach einem verunglflckten Yersuch spater doch als vOllig 
normal entlassen werden konnte. 

Die zweite aber in ganz identischer Weise, moralisch verderbend, kam erst nach 
Jahren und zwar in vSllig vorbl&detem Zustande in die Anstalt; sie hatte nicht das 
Gluck gehabt, im Beginn ihrer Erkrankung in sachverstandige Behandlung zu kommen 
und zeigte an sich, was aus ihrer Schwester voraussichtlich geworden ware, wenn 
ihre Geistesstbrung, obschon sie selbst fur den erfahrenen Irrenarzt nicht diagnosticirbar 
war, unbehandelt geblieben w&re. Jedenfalls war dieser Fall,' obschon er von vielen 
Aerzten als Beweis fur die Existenz einer „moral insanity" im Pritchard’schen 
Sinne angeffihrt wurde, kein solcher; die Krankengeschichte der jtingeren Schwester 
bewies, dass die Depravation der alteren nur als Prodrom einer zweifellosen Geistes- 
stflrung aufgefasst werden durfte. Sommer. 


22) Caso tipioo di follia morale pei dott. Musso e Stura. (Archiv. di psichiatr. 
science penali etc. 1884. in. p. 182.) 

Allerdings ein typischer Fall von „moralischem Irresein" mit einem angeborenen 
— mindestens schon im 7. Lebensjahr evidenten — Defect eines jeden ethischen 
Geffihls. Der jetzt 16jahrige Junge, 11. Sohn eines luetischen und vagabondirenden 
Potators und einer von ihrem Mann inficirten Mutter, selbst mit congenitaler Lues 
behaftet, w&hrend sammtliche Bruder gesund und sittlich intact sind, ergab sich seit 
dem 7. Jahre der Trunksucht und der Vagabondage, zertrtlmmerte bei dem geringsten 
Widerspruch Mobiliar, sowie Fenster und Thtiren, schlug und biss rlicksichtslos auf 
seine Umgebung ein, unterschlug und stahl, was er nur erlangen konnte, ergab sich 
der Masturbation und der leidenschaftlichen Thierqualerei. Im 10. Jahre ging er 
mit einer Seiltanzergesellschaft durch und wurde nun taglichen Chloroforminhalationen 
unterworfen, urn die Yorflbungen fhr die Gelenkigkeit eines Jongleurs schmerzlos xu 
machen! Schon im nachsten Jahre musste er indess wegen seiner unsinnigen 
Rhcksichtslosigkeit der Zwangserziehung ubergeben werden und wurde nach mehr- 
maligen Brandstiftungen zu 3 Jahren Gefangniss verurtheilt. Hier tiberstand er 
einen schweren Typhus mit hervorragenden Hirnsymptomen und litt seitdem an epi- 
leptischen Krampfen und Dammerzustanden. Endlich erfolgte seine Ueberfhhrung in 
eine Irrenanstalt, in der er sich noch jetzt als gemeingefahrlicher Irrer befindet. 

Sein KOrper- und Schadelbau entspricht ganz dem Bilde, das Lombroso von 
dem „Delinquente-nato“ entwirft; besonders das Gesicht zeigt die deutlichen Kenn- 
zeichen der atavistischen Degeneration: schiefe Augen, asymmetrische Nase, machtige 
Kiefer, alveolare Prognathie, massige Eckzahne etc. Ein derartiges Individuum mit 
seiner angeborenen Unfahigkeit, sich den bestehenden Sitten und Gesetzen unterzu- 
ordnen, ist eben nicht ein Product des modemen Lebens, sondern ein unseligor 
Mensch, der psychisch und somatisch eine inferiore Race reproducirt, die langst aus- 
gestorben ist und die nur durch atavistischen Rhckschlag gelegentliche Beweise ihrer 


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frfiheren Existenz giebt. Bei der erfahrungsmassigen Incorrigibilitat derartiger Indi- 
viduen ist ibre Ausrottung, was die Humanitat natfirlich nie gestatten kann, oder 
ihre dauernde Unschadlichmachung — am besten in einer Anstalt ffir irre Yerbrecher 
— im Interesse der menschlichen Gesellschaft dringend geboten. Sommer. 


23) ZriT Symptomatologie der primfiren Paranoia von Greidenberg. (Wjestnik 
psychiatrii i nevropatologii. 1884. I. Russiscb.) 

Verf. bericbtet fiber 3 Ffille der genannten Krankheitsform, die in der Klinik 
des Prof. Mierzejewsky beobachtet wurden. Es handelt sicb in alien dreien am 
primar aufgetretene Wahnideen, die zu ausgebildetem Yerfolgungswahn Yeranlassung 
gaben, mit entsprecbenden Zwangsyorstellungen und Sinnestauscbungen. Yon be- 
sonderem Interesse ist ein Fall, in welchem Patient lange Zeit die Wahnidee hatte, 
dass er in zwei Halften getheilt sei, eine gute und eine bfise; zugleich bestand ein 
Dualismus zwischen den Gehorshallucinationen an beiden Seiten. So z. B. sprach 
man ihm in’s linke Ohr, er solle sicb das Leben nehmen, wahrend er rechterseits 
Stimmen hfirte, die ibn yon dieser That zurfickbielten. Yerf. lasst die Frage un- 
entschieden, in welcber Beziehung diese Erscbeinungen zu einander standen, d. h. ob 
die Wahnidee der Kfirpertheilung die Differenz der Sinnestauscbungen an beiden 
Seiten bedingte, oder umgekehrt. P. Rosenbach. 


T h e r a p i e. 

24) Natrum salicylioum bei Hemioranie yon Finkenstein. (Wratsch. 1884. 
Nr. 29. Russiscb.) 

Nacb den Erfabrungen des Yerfassers, die auf 14 Beobachtungen beruhen, ist 
Natr. salicyl. ein sicberes Mittel um Anffille von Migrane, wenn dieselbe nicht neuro- 
paralytischer, sondem sympathico-tonischer Natur sind, zu lindern und sogar zu 
coupiren. Er verabreichte gewfibnlicb 2 Gramm und wiederholte diese Dosis nacb 
einer balben Stunde. In vielen Fallen verscbwand der Kopfscbmerz in 5—10 Minuten 
nacb der zweiten Dosis. P. Rosenbach. 


25) Epilepsy treated with hydrobromate of oonia by R. Norris Wolfender. 

(The Practitioner. XXXII. Nr. 6. p. 431.) 

Gestfitzt auf 7 Falle von Epilepsie, welcbe fibrigens durch die angewatidte 
Medication gar nicbt einmal so sehr gfinstig beeinflusst worden waren, empfiehlt Yerf. 
ein neues Praparat, Coniinum hydrobromicum. 1—2 Decigramm pro die wflrde die 
Maximaldosis ffir einen Erwacbsenen sein, docb haben scbon wesentlich kleinere 
Gaben heftige Kopfschmerzen, Scbwindel und Congestionserscheinungen der Conjunc¬ 
tiva gelegentlich bervorgerufen. Ein Yersuch mit dem neuen Mittel wird immerhin 
gestattet sein, wenn man sicb aucb keinen grossen Illusionen fiber seine Wirksamkeit 
binzugeben braucht. Sommer. 


Forensische Psychiatrie. 

26) Examen medico-ldgal de Pafifaire T ... par Legrand du Saulle. (L’Encd- 
phale. 1884. No. 3. p. 299.) 

Geistreiches Expose fiber einen interessanten Recbtsfall, in welchem die liebenden 
Yerwandten und mutbmaasslicben Erben eines landlicben Gutsbesitzers sicb dessen 


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wiederholten Wftnschen nach Yerehelichung jedesmal widersetzten und die Inter- 
dictionsklage anstrengten. Herr T... war von Matters Seite erblich mit Seelen- 
stGrung belastet and hatte selbst drei, wenn aucb nor knrze, Anfalle von Seelen- 
stdrung. L. nimmt energiscb die Partei des Exploranden, indem er seine vollkommene 
Dispositionsfahigkeit nachzuweisen sncht. (Auffallend bleibt doch der Umstand, dass 
T... die Heirathsprojecte jedesmal kurz nach der vorgekommenen Geistesstdrung 
machte. Ref.) Siemens. 


27) Des ddlires instantands, transitoires consdcutife a des crises dpileptiques 
au point de vue mddico-ldgal par Motet. (L’Encdphale. 1884. No. 1. p. 19.) 

M. theilt einige interessante gerichtliche Falle mit, bei denen im Gefolge von 
Kopfverletzungen neben and nach Anfallen von Krampfen und von pldtzlicher Be- 
wusstlosigkeit auch solche von impnlsivem Irresein auftraten. Er sagt, dass diese 
Falle sich von der gewdhnlichen Epilepsie durch den Umstand unterschieden, dass 
das „pathogene Gesetz“ der Epilepsie bei ihm nicht zutreffe. Dieses „pathog8ne 
Gesetz" lautet nach Las&gue: „Die wahre Epilepsie lasst als Ursache eine Miss- 
bildong des Schadels erkennen. Diese Missbildung ruhrt nicht aus der Kindheit her, 
sondern aus der Periode der Consolidation der Schadelknochen, sie entwickelt sich 
zwischen dem 12. und 20. Jahre; die Asymetrie des Gesichts ist ihr Symptom, 
letztere entspricht der Basis cranii, welche ihrerseits eine unregelmassige auf die 
Basis des Gehirns ausilbt." Die oben bezeichneten Anfalle der „Cerebralen“ werden 
ausgeldst durch Alcohol, durch Gemtithsbewegungen etc. 

Der eine der Kranken hatte in einem solchen impnlsivem Anfall u. A. auf eine 
scheussliche Weise zwei Pferde misshandelt, indem er seinen Arm tief in das Rectum 
dieser Thiere einfiihrte und ihnen mit der Hand die Eingeweide zerriss. Hinterher 
verfiel er in tiefeu Schlaf. — Der zweite Kranke irrte unter Mitnahme einer grdsseren 
ihm zur Besorgung anvertrauten Geldsumme ohne Ziel und Zweck eine Zeit lang in 
dem Lande umher. Siemens. 


28) A lecture on the relation of madness to crime by J. C. Bucknill 
(Brit. med. Joum. 1884. 15. and 22. March.) 

Eine nur auf die englischen Rechtsverhaltnisse bezfigliche Arbeit, die aus guten 
Grflnden die Verwerfung der bisher in Grossbritannien zu Rechts bestehenden Defini- 
tionen des Irreseins in besonderer Riicksicht auf die forense Praxis und eine Um- 
gestaltung der Strafprocessordnung fordert. So wird nach den jetzigen Gesetzen die 
Zurechnungsfahigkeit durch Geisteskrankheit an sich durchaus nicht ausgeschlossen, 
sondern es muss noch nachgewiesen werden, dass der Thater entweder gar nicht 
gewusst hat, was er that, oder dass er wenigstens nicht sich bewusst war, eine 
strafbare Handlung zu begehen; eine Bestimmung, die sich leider noch in manchem 
anderen Strafcodex findet und schon oft die Bestrafung von Individuen erzwungen 
hat, deren Geistesst5rung auch dem Richter evident war. Die vom Yerf. vorgeschlagenen 
Reformen entsprechen ziemlich genau den Yorschriften des deutschen Strafgesetzbuches. 

Sommer. 


in. Aus den Gesellschaften. 

Aus der Section (10) fhr Psychiatrie und Neurologie des 8. intemationalen 
Aerztecongresses zu Kopenhagen, 10.—16. August 1884. 

Das Organisationscomite der Section fftr Psychiatrie und Neurologie bestand aus: 
Steenberg (Pr&sident), Friedenreich (Schriftfdhrer), Gaedeken, Holm und 


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Lange &ls Mitgliedem. Dasselbe hatte eine Anzahl psychiatrischer and neurologischer 
Themata aufgestellt und fflr die moisten derselben (12) Beferenten berangezogen; 
jedocb blieb ein Theil der Letzteren aus, Andere batten vorber keine Resumes ein- 
gesandt; aucb die wirklich eingegangenen „resum6s et conclusions" aber konnten fur 
die Discussion nicbt recht fruchtbar werden, tbeils weil sie zu spat (erst am dritten 
Tage des Congresses) im Druck erscbienen, theils weil man verabsaumt hatte, sie, 
wie dies in London mit so gutem Erfolge gescbeben war, in die yerscbiedenen 
Congressspracben, deutsch, franzOsisch und engliscb, zu fibertragen. 

So discutirten denn Franzosen fast nor mit Franzosen, Deutsche fast nur mit 
Deutschen, da die Skandinavier sich als hOfliche Wirtbe des Streitens dberbaupt 
zumeist enthielten; Englander und andere Nationalitaten waren in der Section far 
Psych, und Neur. nur sehr sparlich vertreten. 

Die erste Sitzung am 11. August fand unter dem Vorsitz von Steenberg in 
einem Auditorium des Universitatsgebaudes statt; dieselbe begann mit Constituirung 
der Section und Verkflndigung der Ebrenprasidenten: Magnan, Ball und Lunier 
aus Paris, Bamaer aus Haag, Eulenburg und Lahr aus Berlin, Obersteiner 
aus Wien, Adamkiewicz aus Krakau, Gaedeken aus Kopenbagen und Kjellberg 
aus Upsala. — Die Zabl der Sectionsmitglieder betrug im weiteren Yerlaufe un- 
gefahr 80. 

Den Reigen der Vortrage eroffnete der Vorsitzende selbst mit einem „Aper 9 U 
statistique stir lea maladies mentales et les institutions psyehiatriques des 
pays du nord‘\ Dasselbe scbloss sich nach Form und Inhalt dem Exposd an, 
womit Lockhart Robertson 1881 die psycbiatrische Section des Londoner Con¬ 
gresses erOffnet hatte; es stellte in flbersichtlicher Weise das wesentliche Material 
uber Zahl, Unterkunft und Behandlung der Irren far ganz „Skandinavien" zusammen, 
unter welchem letzteren Namen die 4 nordischen Lander — Schweden, Norwegen, 
Finnland und Danemark — in getrennten Gruppen aufgefiihrt wurden. 

Die GesammtbevOlkerung dieser 4 nordischen Lander betrug 10 308 465; die 
Gesammtzahl der Geisteskranken 17942 = 17,4 :10 000. 

Dieselben vertheilen sich auf die einzelnen Lander in folgender Weise: 



i 

Zahlnngsjahr 1 

Gesammt- 

bevdlkerung 

1 Gesammtzahl 
i der Geistes- i 

| kranken | 

Auf 1000 
kommen 
Geisteskranke 

Schweden 

1880 

4 565 668 

i 7118 

15,6 

Norwegen 

1865 

t 

1 701756 

| 3156 

18,5 

Finnland 

1880 

1 2 060 782 

4380 

21,2 

Danemark 

1880 

1980 259 

; 3288 : 

16,6 

Insgesammt: 

10308 465 

| 17942 | 

17,4 


In Schweden befanden sich (Gesammtzahl 7118) in Offentlichen Anstalten 1727, 
Privatanstalten 7, gewOhnlichen Hospitalern 145, in hauslicher Pflege 5239 (=73,6°/ 0 ). 

In Norwegen (Gesammtzahl 3156) in Offentlichen Anstalten 1041, in haus¬ 
licher Pflege 2215 ( = 67,2%). 

In Finnland (Gesammtzahl 4380) in Offentlichen Anstalten 443, gewOhnlichen 
Hospitalern 91, in hauslicher Pflege 3486 (=87,6%). 

In Danemark (Gesammtzahl 3288) in Offentlichen Anstalten 1845, gewOhn¬ 
lichen Hospitalern 254, in hauslicher Pflege 1189 (=36,2%). 

Im Ganzen demnach in den Offentlichen Irrenanstalten 5056, in Privatanstalten 7, 
in gewOhnlichen Hospitalern 490 und in hauslicher Pflege 12389. 

Diese einigermaassen auffalligen Yerhaltnisse sind das Ergebniss des Umstandes, 
dass die skandinavischen Lander bisher eine viel zu kleine Anzahl von Irrenanstalten 


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besitzen; die letzteren sind kaum im Stande, den dritten Tbeil aller Geisteskranken 
aufzunehmen — selbst in dem bestversehenen Danemark nur wenig fiber die Haifte 
(dagegen nach Robertson in England 61,5°/ 0 , in Schottland sogar 75,6°/ 0 ). 

Was die einzelnen Lander betrifft, so besitzt Schweden gegenw&rtig 10 An- 
stalten ffir znsammen 2248 Eranke; in denselben befanden sich am 31. December 
1882 im Ganzen 1974, worunter 363 Privatkranke, 1482 Communalkranke und 
129 nmsonst verpflegte; die Durchscbnittskosten betrugen auf das Jahr 650 oder 
auf den Tag 1,80 Francs. 

Norwegen batte 1880 nach dem officiellen Bencht 10 Anstalten mit zusammen 
1041 Kranken; darunter 891 Arme (471 Manner, 420 Frauen) 150 Z&hlende 
(82 Mfinner, 68 Frauen). Dazu kam im Jabre 1881 nocb die Staatsanstalt in Eg, 
ffir 230 Eranke eingerichtet. 

Finnland besitzt in diesem Augenblick 8 Anstalten zur Aufnahme Geistes- 
kranker. Unter Letzteren waren 1882 im Ganzen 34,35 °/ 0 zahlende, 50,36 anf 
Gffentliche Eosten und 15,28 °/ 0 umsonst verpflegte. 

Danemark besitzt gegenwartig 4 eigentlicbe Irrenanstalten: das St. Hans Hos¬ 
pital mit (am 1. Januar 1884) 795, das Asyl in Aarhus mit 415, in Vordingborg 
mit 435, in Yiborg mit 314 Eranken; ausserdem nocb eine nicht zu den Staats- 
anstalten gebOrige Anstalt ffir Aufnahme Geisteskranker in Moen. 

Was die Idiotenpflege betrifffc, so ist dieselbe in Schweden nicbt Sache 
des Staats, sondem der Communen. Es giebt 11 Anstalten ffir 291 Idioten. Die 
Gesammtzahl der Letzteren betrug 1882 in Schweden 4227, oder 9,25 auf 10000 Be- 
wobner. In Norwegen (am 31. Dec. 1865) 2039 (2051 mannliche, 938 weibliche) 
oder 11,98 auf 10 000 Bewobner. Aus Finnland ist die Gesammtzahl nicht be- 
kannt, man kennt nur die Idioten im schulpflicbtigen Alter, d. b. unter 17 Jahren, 
deren Zahl sicb am 31. Dec. 1882 auf 1268 belief (738 mannliche, 530 weibliche) 
= 6,35 auf 10 000 Bewohner, oder 13,70 auf 10 000 der entsprecbenden Alters- 
klasse. — In Danemark gab es am 1. Februac 1880 zusammen 2602 Idioten 
(1415 mannliche, 1187 weibliche) oder 13,2 auf 10 000 Bewohner; Danemark be¬ 
sitzt zwei vom Staate subventionirte und seiner Controle unterliegende Idiotenanstalten, 
die bei „Rahbeks Alld“ und die Keller’schen Institute (eine Unterricbtsanstalt und 
das Asyl bei Earens Minde). 

Adamkiewicz spracb fiber die anatomischen Ver&nderungen bei der 
Tabes. Er wies nach, dass es zwei Arten von Tabes giebt. Die eine ist eine 
interstitielle Degeneration, die primar aus den Bindegewebslagen durch Wucberung 
derselben bervorgebt, welche die die Hinterstrfinge durchsetzenden Arterien begleiten. 
Die zweite Art von Tabes gebt von den Nerven aus und ist also parencbymatfiser 
Natur. Charakteristisch ffir dieselbe ist, dass diese Nervendegeneration meist an 
zwei Orten gleichzeitig beginnt und ablauft: in den GolTscben Str&ngen und in 
oigenthfimlichen F-ffirmigen Feldern der Eeilstrange. Yon diesen F-ffirmigen Feldern 
pflegt die Degeneration sicb nach zwei Richtungen bin auszubreiten: 1) nach der 
Wurzelzone und den grauen Hinterhdrnern und 2) nach dem hintem Rfickenmarks- 
rand und den hintern Wurzeln. Die Tendenz der Ausbreitung der Degeneration nacb 
vom, d. b. zur hinteren Commissur, ist sebr gering. Daber kommt es, dass in den 
moisten Fallen das Gebiet der Degeneration von der hintem Commissur durch ein 
sicbelffirmiges Feld getrennt isi Charakteristisch ffir die parenchymatfise Natur der 
zuletzt genannten Tabesform ist die primare Erkrankung der Nervenfasern, die durch 
Safranintinction besonders schdn darstellbar ist. Man erkennt mit Hfilfe derselben, 
dass zun&chst zu Grunde gebt eine eigenthfimliche in den Markscbeiden des Nerven 
in Gestalt von Ringen enthaltene Substanz, die chromoleptiscbe Substanz, an welcbe 
sicb spfiter der Untergang der ganzen Faser anschliesst Es bleiben dann Lficken 
im Degenerationsgebiet zurfick. — In der Neuroglia selbst findet in solcben Fallen 


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keine andere Veranderung statt als eine Schmmpfung und dadurch Verdickung der 
Maschen. Die Kerne nehmen dagegen an Zahl nicht zn, was umgekehrt dort statt* 
findet, wo die Tabes auf prim&rer interstitieller Bindegewebswucberung bernht. Es 
sind diese Yerhaltnisse mit Hfilfe des Safranin besonders schfin und scharf darstellbar, 
da Safranin die Bindegewebs- nnd Neurogliakeme im Unterschied gegen die chromo- 
leptische Substanz violet bis blan farbt. — Was die Bedeutung der F-fCrmigen 
Felder in den Keilstr&ngen betriflft, so sind sie identisch mit den vom Yortragenden 
gefundenen hinteren cbromoleptischen Partien, d. b. Gruppen von Nervenfasern, die 
znr cbromoleptischen Substanz in besonderer Beziebung steben und scbon im normalen 
Rfickenmark mittelst Safranintinctionen darstellbar sind. 

Obersteiner spracb fiber die Morphiumsueht und ihre Behandlung. 
Scbon sehr geringe Dosen von Morphin (wenige Milligramm) taglich langere Zeit 
bindurch fortgebraucht, genfigen mitunter, urn nacb plOtzlicher Entziehung des Mit- 
tels die bekannten Abstinenzerscheinungen zu erzeugen. 

Eine Maximaldosis von 3,5 pro die scbeint nur ganz ausnabmsweise fiberschritten 
zu werden. 

Der fortgesetzte Gebrauch aucb ziemlich bober Tagesdosen von Morphin kann 
ohne directs Lebensgefabr eine lange Reihe von Jabren bindurch ertragen werden. 

Weder die Methods der plOtzlichen Entziehung, nocb die der langsamen Ent- 
wfihnung Oder eine modificirte, zwiscben beiden in der Mitte stebende Metbode sind 
in alien Fallen bei der Behandlung des Morphinisms verwendbar; es miissen eben 
immer die individuellen Yerhaltnisse berQcksichtigt werden. 

Das Cocainum unoriaticum (0,05—0,1 pro dosi in Wasser gelfist, innerlicb mebr- 
mals des Tages, so oft sicb das Bedttrfniss nacb Morphin lebhaft einstellt) ist im 
Stands, die unangenebmen Erscbeinungen der Morpbiumabstinenz wesentlich abzu- 
scbwacben und verdient versucbt zu werden. 

In nicht wenigen Fallen kann man von vomherein eine EntwOhnungskur als 
derart aussicbtslos betracbten, Jass es geboten erscbeint, solcbe Personen gar nicht 
den Qualen der Kur auszusetzen; dies gilt immer dann, wenn die Grundursache, 
welche zum Morphinismus geffihrt bat (z. B. Scbmerzen — pbysiscbe Oder psychiscbe) 
nicht beboben ist, ferner bei alteren Individuen (fiber 60 Jabre), bei solcben, welche 
kOrperlicb zu sehr berabgekommen sind, Oder im boben Grade nervfis erregbar sind; 
auch bei Personen mit starken Herzfeblern ist grosse Yorsicht geboten. 

Der Collaps ist das einzige wirklicb lebensgefahrliche Symptom im Yerlaufe der 
Morpbiumabstinenz; er kann aucb nocb in einer spaten Periode der Abstinenz auf- 
treten, wenn die meisten fibrigen lastigen Erscbeinungen bereits geschwunden sind. 

Nach vollstandig durcbgeffibrter, anscheinend erfolgreicber Entziebungskur bleiben 
mitunter nocb einige Folgeerscbeinungen des cbroniscben Morphinismus zurfick; diese 
aussern sich vorzfiglich auf psycbischem Gebiete; sie kOnnen gelegentlich zu aus- 
gesprochener Geistesstfirung oder zu Selbstmord ffibren. 

Sebr hfiufig ist es nicht mfiglicb, die Entziebungskur in der Privatpflege durch- 
zuffihren, andererseits bietet das Gesetz — wenigstens in Oesterreicb — keine Hand- 
babe, einen Morpbinisten gegen seinen Wiilen in einer Anstalt zurfickzubalten. 

Es kann gelegentlich an den Arzt die Frage herantreten, ob ein Morphinist sicb 
im Gebraucbe seiner vollen Zurecbnungsfahigkeit befinde. 

In der Sitzung vom 12. August bielt zun&chst Patz, Alt-Scberbitz, einen sebr 
interessanten und eingebenden Yortrag fiber die Arbeitsoolonien als Glied der 
Behandlung von Geisteskranken — ein Yortrag, der leider seinem Inbalte nacb 
eine auszugsweise Wiedergabe nicht zul&sst. An der animirten Discussion fiber 
den Gegenstand betheiligten sicb Lahr, Kfihler, Lindboe (Christiania), Ramaer 
(Haag), sowie aucb Lunier, der fiber fibnliche in Frankreich angesteUte und im 
Ganzen recbt gfinstig ausgefallene Versucbe berichtete. 


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Hierauf sprach Kj ell berg (franzGsisch) „iiber den Binfluss der Schnle 
auf die Entstehnng von Geisteskrankheiten**. E. berief sich hierbei auf seine 
schon frflher erschienene Publication „ influence dn regime scolaire et des methodes 
de l’enseignement actnel sur la santd de la jeunesse", Paris 1880. Die bestehenden 
Schuleinrichtungen zwingen die Schuler, den grOsseren Theii des Tages bei geistiger 
Beschaftigung zuzubringen und die Arbeit haufig bis tief in die Nacbt hinein zn 
verlangern. Nach physiologischen Gesicbtspunkten dflrfte eine so andauornde geistige 
Arbeit selbst Personen von reifem Alter nur unter Cantelen zugemuthet werden und 
muss als hOchst gefahrlich for die normals Entwickelung der Schnljugend geltem 
Dazu kommen die Gefahren der Scblaflosigkeit in Folge der forcirten Schularbeit, 
und die Nachtheile der sitzenden Lebensweise auf die gesammte physische Entwicke¬ 
lung der Schfiler. Ihre ganze Lebensenergie bleibt unter der Norm zurftck, die 
Symptome der allgemeinen Schwache treten fruhzeitig hervor und werden in gleicher 
Weise auf die Nachkommenschaft tlbertragen. 

Nacb diesen allgemeinen einleitenden Bemerkungen theilt K. eine Anzahl Falle 
mit, welcbe seiner Behauptung einer (directen) Entstehung von Geisteskrankheit durch 
Ueberarbeitung der Schtiler zur Stfltze dienen sollen. Alle diese Falle zeigen in 
ihrem Yerlaufe gewisse bemerkenswerthe Analogien. Das erste Symptom ist Kopf- 
schmerz, mit einem Gefubl von Schwere und Hitze; dann Schlaflosigkeit, wo- 
bei der Kranke trotz qualvoller Ermudung von den ibn beschaftigenden Ideen fort- 
wahrend wacb erhalten wird; Unfahigkeit der Kranken irgend etwas zu versteben 
und im Gedacbtnisse zu behalten; endlicb allgemeine Unlust, Opprcssions- 
und Angstgefflhle der verscbiedensten Art. Wechselnde Launen; an die Stelle 
jugendlicben Frobsinns tritt Ermfldung und Entmuthigung. — Dies die primaren 
und constanten Folgen der geistigen Ueberarbeitung, bedingt, wie K. meint, durcb 
einen vermehrten Afflux zu gewissen Abschnitten der Grossbirnrinde, eine „chronische 
partielle Congestion der grauen Substanz". Die excessiv angespannte Aufmerksamkeit 
und die Insomnie wirken dabei in gleicher Richtung;- dazu gesellt sich als begleitende 
Ursache nocb der Mangel ausreichender Muskelflbung. — Als „secundare Symptome*' 
betrachtet K. eine plotzlich eintretende Muskelschwache, spastische Bewegungserschei- 
nungen, Hallucinationen des Gefuhls, Gesicbts und Gebors, impulsive Instincte und 
Anfalle von Bowusstlosigkeit. — Die in den schwedischen Scbulen vorgenommenen 
Sebprflfungen ergaben im Allgemeinen sehr beunrubigende Resultate; von 3—10°/ 0 
Myopie in den unteren Klassen stieg der Procentsatz in den oberen bis auf 51. 
Ebenso traurige Ergebnisse hatte die vorgenommene Untersuchung des allgemeinen 
Gesundheitszustandes der Schuler. 

„Grosse Gefahren bedrohen," so scbliesst K., „nicht bios die Jugend, sondern 
durcb sie auch die Gesammtheit der Nationen. Die moderne Erziebung ist in ver- 
kebrte Babnen eingelenkt, die zu wusten Einoden fflbren; die arztlicbe Wissenscbaft 
bat die Gefabr gekennzeichnet, und Sache ihrer jungsten Tochter, der Psycbiatrie, 
wird es sein, auf den ricbtigen Pfad zurflckzuleiten." 

In der Nacbmittagssitzung vom 12. August sprach Eulenburg „iiber Heil- 
barkeit der Tabes dorsalis**. Einzelne Heilungen der Tabes im kliniscben Sinne, 
d. b. andauemdes und vollstandiges Yerscbwinden aller fflr die Krankbeit cbarak- 
teristiscben Symptome, sind allerdings von guten Beobachtern constatirt worden. 
Immerbin sind jedoch Heilungen in diesem Sinne nur als ein verschwindend seltener, 
als ein ganz exceptioneller Ausgang der Tabes zu betracbten. E. selbst hatte im 
Yerlaufe einer 18jahrigen Thatigkeit unter nabezu 500 diagnostiscb sicheren Tabes- 
Fallen nur 5, welcbe den Namen einer Heilung im kliniscben Sinne recbtfertigen 
konnten; also nur etwa einer auf hundert. Indessen ist dabei zu berflcksicbtigen, 
dass unter gflnstigeren Aussenverhaltnissen und wobl aucb bier und da bei grosserer 
Behandlungsausdauer vielleicht nocb mancber Fall gerettet werden kbnnte, bei dem 


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405 


wir uns jetzt mit blossen Stillstanden oder kfirzeren und langeren Remissionen be- 
gndgen. — Dass gerade eine bestimmte Behandlungsweise die M5glichkeit der Hei- 
lung in hoherem Grade involvirt als andere, gebt aus den bisherigen Thatsachen 
wenigstens nicht bervor. Unter den yon E. selbst beobachteten 5 Heilungen war 
eine durch Argentum nitricum (innerlich), eine unter Kaltwasserkur, zwei unter Gal- 
yanisation und Tbermalkuren, eine unter energiscb gedbter Antiluese und nachberiger 
Tbermalkur. — Aucb giebt es kein ausreichendes Kriterium, um die Tabes-Falle mit 
besserer von denen mit schlecbterer Oder absoluter ungfinstiger Prognose a priori zu 
differenziren. Es lasst sicb jedocb annebmen, und wird aucb durcb die Erfahrung 
einigermaassen bestatigt, dass bei mangelnder congenitaler Belastung, bei guter 
Gesammtconstitution, Freisein von anderweitigen Complicationen, bei gelinder und 
allmahlicher Entwickelung der Tabes-Symptome, insbesondere bei geiinger Intensitat 
der neuralgiscben Erscbeinungen, der Sensibilitatsdefecte, Sinnesstdrungen etc. die 
Cbancen aucb in Beziebung auf Heilung sicb vergleichsweise etwas gfinstiger ge- 
stalten, als bei entgegengesetztem Verbalten. 

Im patbologisch-anatomiscben Sinne darf man von einer Heilung der Tabes 
wohl uberbaupt nicht reden; es konnen vielmehr, wie Einzelfalle lebren, sebr 
diffuse Degenerationen der Hinterstrange aucb da angetroflfen werden. wo intra vitam 
die Erscbeinungen der Tabes vollst&ndig oder docb nabezu vollstandig geschwuuden 
waren. Immerhin liegt es am nachsten, die „heilbaren“ Falle unter solchen zu 
suchen, bei denen entweder der Process mit neuritiscben Yeranderungen an dor 
Peripherie, in den sensibeln Haut- und Muskelverzweigungen etc. begann, oder im 
RQckenmark selbst den von Adamkiewicz geschilderten Cbarakter rein interstitieller, 
langs der Gefasse fortkriechender, berdweiser Yeranderung in den Hinterstrangen, im 
Gegensatz zu der parenchymatSsen Form der Tabes-Degeneration, darbot. 

In derselben Sitzung sprach nocb Ball, Paris, „sur l’hdredit6 dans la para- 
lysie gdndrale des alidads". B. ist auf Grund seiner Untersucbungen zu tlieil- 
weise eigentbfimlicben und von den herkOmmlicben Anscbauungen abweicbenden 
Resultaten gekommen. Directe Vererbung ist ihm zufolge bei der allgemeinen pro- 
gressiven Paralyse ein ziemlich seltenes Yorkommniss; dagegen bieten die Familien 
der Paralytiker im Allgemeinen gewisse cbarakteristische Zfige dar und zwar sind 
dies vor Allem die Longavitat bei den Ascendenten, der grosse Kinder- 
reichtbum, eine verbaltnissmassig geringe Frequenz an eigentlichen Geisteskrank- 
heiten, aber eine sebr betrachtliche Frequenz an Gehimkrankheiten; bedeutende 
Mortalitatsziffer der im niederen Kindesalter befindlichen Mitglieder. Die Paralytiker 
erben demnacb eine specielle Tendenz zu Gebirnafifectionen, und diese Tendenz dis- 
ponirt sie zu der Krankheit, von welcber sie sp&ter beimgesucht werden; ibre Fa- 
milien unterscbeiden sicb, in ibrer Totalitat betracbtet, in mebrfacber Beziebung von 
der ftbrigen Bevolkerung, unter welcber sie leben. 

Es entspann sicb fiber die bier skizzirten Anscbauungen eine Discussion zwischen 
dem Yortragenden und Lunier, welcher Letztere die von Ball hervorgehobenen 
Eigentbftmlicbkeiten der Familien von Paralytikern als specifiscb nicht anzuerkennen 
vermochte. 

Am 13. August fielen die Sectionssitzungen, der gemeinscbaftlichen Festfahrt 
nach HelsingOr halber, aus. — In der Sitzung vom 14. August sprach zunachst 
Rohmell, Dane mark, franzdsisch: ,4© role de la syphilis dans la paralysie 
gendrale des alidnds 41 . Er meinte, die Syphilis komme in der Anamnese bei 
paralytiscber Demenz so haufig vor, dass sie notbwendiger Weise eine sebr grosse 
Rolle in der Aetiologie dieser Krankheit spielen mtisse. Immer sei die Syphilis in 
solchen Fallen um mehrere Jahre zuriickliegend, durcb benignen Yerlauf ausgezeicbnet, 
and sie figurire als solcbe bei den verschiedenen Formen der Krankheit. Unter den 


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Autopsien, welche Erkrankungen (Atherose) der Gehirnarterien ergeben haben, ruhre 
dor grosste Tbeil von an paralytischer Demenz Yerstorbenen her; bei diesen find© 
man auch als „wesentlichen Befund 44 meningo-cerebrale Adhasionen — zwei That- 
sachen, welche die Einwirkung der Syphilis auf der Entstehung allgemeiner Para¬ 
lyse deutlich in's Licht stellen. Immerhin mfisse jedoch angenommen werden, dass 
es sich dabei um eine speciell modificirte Form der Syphilis handle, da die gewohn- 
liche antiluetische Behandlung hOchstens eine Retardation der Krankheit, aber keine 
Heilung derselben bewirke. 

Weiterhin sprachen in derselben Sitzung noch Eulenbarg „uber vasomo- 
torische und trophische Neurosen 44 (ein Yortrag, welcher eine auszugsweise 
Wiedergabe nicht gestattet, da es sich dabei mehr um eine generalisirende und zu- 
sammenfassende Betrachtung des vom Comitd aufgestellten weitlaufigen Themas han- 
delte) und Baraduc, franzOsisch, „du traitement des congestions et des 
exsudations ohroniques de la mobile par les ventouses vdsicantes 44 . Der 
letztgenannte, inhaltlich sehr unergiebige Yortrag verlief unter minimaler Theilnahme 
der Anwesenden. 

In der Nachmittagssitzung vom selben Tage entwickelten Roth, Moskau, und 
Friedenreich, Kopenhagen, in franzosischer Sprache ihre Ansichten ilber „sclerose 
lateral© amyotrophique 44 . Roth ausserte sich fiber die verschiedenen zum 
CoUectivbegriff der progressiven Muskelatrophie gehSrigen Gruppen vom pathogene- 
tischen, klinischen und anatomischen Gesichtspunkte aus; speciell fiber die chronischen 
Formen, von denen ein grosser Theil dem Gebiete der amyotrophischen Lateralsklerose 
angehfirt. Letztere sei eine autonome Erkrankung, ein wohldefinirtes Kranklieits-ens, 
dessen pathologisches Substrat in einer progressiven Atrophie der Pyramidenbfindel 
und der grossen motorischen Zellen der Yorderhfirner und der Bulbarkeme bestehe. 
Eine zweite natfirliche Gruppe bilden die Falle von heredit&rer Muskelatrophie, mit 
oder ohne Pseudohypertrophie; diese Formen sind nach R. auf eine primare Muskel- 
erkrankung zurfickzuffihren. Ihnen reihen sich gewisse Falle von Muskelatrophie 
an, welche zwar das gleiche klinische Bild, aber nicht denselben atiologischen 
Charakter darbieten, wie die hereditare Muskelatrophie. Pathologische Veranderungen 
seitens des Nervensystems fehlen hier (nach den Untersuchungsergebnissen eines 
Falles von R.) ganzlich, und man muss daher diese Form als essentielle, protopathische, 
progressive Muskelatrophie von der chronischen Poliomyelitis anterior sondern. — 
Die von Erb vorgeschlagene Bezeichnung ,juvenile Form der progressiven Muskel¬ 
atrophie 44 betrachtet R. als mit den Thatsachen im Widerspruch stehend. Die auf 
chronischer Poliomyelitis anterior beruhende Form progressiver Muskelatrophie wird 
von ihm zwar nicht geleugnet, gilt ihm aber nicht als wohl charakterisirt und jeden- 
falls nicht durch Sectionsresultate genfigend erwiesen. Ihr reihen sich die seltneren, 
von einer periependymaren Erkrankung, Hydromyelie, Syringomyelie abhangigen Falle 
und die fibrigen „deuteropathischen 44 Formen Charcot’s an, sowie endlich noch ge¬ 
wisse andere Formen mit unbestimmter Pathogenese, z. B. die an der Peripherie mit 
circumscripter Localaffection eines Muskels, einer Sehne etc. beginnenden, sich pro- 
pagirenden Process©, welche R. als sympathische Formen zu bezeichnen vorschlagt 

Friedenreich unterscheidet dagegen im Wesentlichen 4 Formen, ffir welche 
er das historische Beweismaterial gesichtet und tabellarisch zusammengestellt hat, 
namlich 1) die Atrophie musculaire herdditaire, 2) die Skldrose latdrale amyotro- 
phique, 3) die Atrophie m. progr. sans alienation de la moelle dpinidre, und 4) die 
Amyotrophie spinale protopathique sans altdrations de la substance blanche. Letztere 
Form, welche nach F. die seltenste zu sein scheint, wfirde also mit der chronischen 
Poliomyelitis anterior, der sogenannten protopathischen Form Charcot’s, fiberein- 
stimmen. 


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407 


An der Sectionssitzung vom 15. August (Schlusssitzung) war Ihr Referent leider 
durch frfihzeitige Abreise theilzunehmen verhindert. Es standen bier noch Yortrage 
von Adamkiewicz fiber Hirareizung, Hirnverletzung und Hirncompression; von 
Gillez de Tourette de la salivation dans les maladies nerveuses; von Mfiller, 
Blankenburg, fiber die dyscrasiscben Moraente, welche bei der Genese der Psychosen 
und Neurosen eine Rolle spielen; und von Hallager, Danemark, les troubles psy- 
cbiques dites Equivalents d’un accEs d’Epilepsie, in Aussicbt. 


Sitzung der Glasgow Pathological and Clinical Society vom 8. April 1884. 

Dr. A. Robertson stellte eine 59jahrige Frau vor, die seit fast einem Jabre 
an evident einseitigen Hallucinationen des Gebfirs und des Gesicbts litt. Wabr- 
scbeinlicb im Anschluss an einen leicbten apoplectiformen Anfall, der eine scbnell 
vorfibergehende Parese der linken Extremitaten verursacht hatte, stellten sicb links- 
seitige Hallucinationen ein: vor dem linken Auge der Patientin erscbienen Personen, 
besonders Frauen, mit normaler Farbung und Tracht, und gleichzeitig liessen sicb in 
dem linken Obre Stimmen vernehmen, die aber nicht von den Gesicbtspbantasmen 
herzurfibren scbienen. Anfanglich batte Patientin diese Erscbeinungen ffir real ge- 
halten, seit einiger Zeit wollte sie sicb indess fiberzeugt haben, dass dieselben patho- 
logisch seien. In der ersten Zeit sei mit dem Auftreten der Hallucinationen aucb 
haufig eine eigenthfimliche Gerucb- und Geschmacksempfindung gekommen, wahrend 
die Stimmen stets nur im linken Obr zu h5ren gewesen wfiren; jetzt seien sie so 
streng auf die linke Seite bescbrankt, dass sie nur das linke Auge zu schliessen 
braucbe, urn von den Erscbeinungen momentan befreit zu sein. Eine geringe Herab- 
setzung der Seh- und HGrscharfe auf der linken Seite ist fibrigens objectiv nach- 
zuweisen; aucb scbeint eine leicbte Parese der linken Hand noch zu bestehen. 

In der weiteren Discussion bemerkte der Vortr., dass er streng einseitigo Hallu¬ 
cinationen gar nicht ffir seiten halte. Besonders in alcoboliscben Psycbosen sei dio 
Unilateralitat der GehErshallucinationen haufig genug nachzuweisen; einseitige Phan- 
tasmen seien allerdings ungewolmlicb. Bemerkenswertb sei noch, dass fast regel- 
massig die linke Seite die ergriffene sei. 

Yon anderen Mitgliedem der Gesellscbaft wurden einige abnlicbe Beobachtungen 
mitgetheilt, die zufallig (?) sammtlicb Greise betrafen. In einem Fall wurde die 
vollige Integritat der Psycbose ausdrficklicb constatirt. Sommer. 


IV. Bibliographic. 

Diagnostik und Therapie der Ruokenmarkskrankheiten in 12 Yorlesungen 
von M. Rosenthal. Zweite, neu bearbeitete und vermehrte Auflage. (Wien 
und Leipzig 1884. Urban & Schwarzenberg. 192 Seiten.) 

Die erste Auflage dieser Schrift des bekannten Wiener Neuropathologen erechien 
1878 als Doppelbeft der „Wiener Klinik" (Heft 1 und 2, Januar und Februar; 
68 Seiten). Der Umfang ist also in der neuen Auflage beinabe verdreifacbt, und 
letztere ist dadurch zu einem kurzgefassten kliniscben Compendium der 
Rfickenmarkskrankheiten geworden. — Das Ganze zerfallt in 12 Yorlesungen. 
Der Gang ist im Allgemeinen folgender: Zuerst eine allgemeine Charakteristik der 
Rfickenmarkskrankheiten; dann die Erkrankungen der Rfickenmarksbaute, Neurastbenie, 
acute und chronische Myelitis-Formen, rasche und langsame Rfickenmarkscompression, 
Syphilis (Yorlesungen 1—4); Hinterstrangsklerose (5); spinale Halbseitenlasion, 
primfire und amyotropbische Lateralsklerose (6); progressive Muskelatrophie und 
fettige Muskelhypertrophie (7); Bulbarparalyse (8); Poliomyelitisformen (9); secundare 


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408 


Degeneration, Spinallahmungen nach acuten und chronischen Krankheiten etc. (10); 
endlicb „Untersuchungen und Beobachtungen fiber neuere Arzneimittel bei spinalen 
Beizungs- und Lahmungsformen" (11 und 12). Dar Zusammenbang dieses letzten, 
ausffihrlicb gebaltenen Abscbnittes mit dem Yoraufgebenden ist zwar nur ein ziemlich 
loser, docb bat der Verf. gerade auf diesem Gebiete wertbvolle eigene Untersucbungen 
aufzuweisen; icb erinnere nur an seine scbon vor Jabren erfolgten Mittbeilungen fiber 
subcutanen Gebrauch der Eisenpraparate, denen sicb neuerdings aucb eine 
Empfeblung des essigsauren Silberoxydes in der Form subcutaner Injection 
anreiht. 

Bei einem Kenner der Rfickenmarkskrankbeiten, wie Rosenthal es ist, dfirfen 
wir als selbstverstandlich voraussetzen, dass die von ihm ausgesprochenen Ansicbten 
aus einer reicbbaltigen eigenen Erfahrang geschOpft sind und dass dieselben uns den 
Gegenstand vielfach in einer von den Yorgangem abweicbenden, neuen Beleuchtung 
vorffihren. Als eigene, der letzten Zeit entstammende Beobachtungsresultate des Yerf. 
seien namentlich hervorgehoben seine Mittheilungen fiber das Yorkommen spinaler 
Halbseitenlfision bei Hysteria und Spondylitis (S. 72 ff.), fiber Verminderung des 
Kreatiningehalts im Harn bei progressiver Muskelatropbie (S. 88) und fettiger Muskel- 
bypertropbie, sowie fiber sog. Spatformen der letzteren (S. 92); fiber die nach dem 
ersten Lebenslustrum auftretende, prognostiscb gfinstigere Form der Poliomyelitis 
anterior acuta (S. 120 ff.); fiber Falle diphtheritischer Ataxie mit Anastbesie (S. 142) 
und Lfibmung nach Beri-Beri (S. 145). — Yieles wird natftrlich aucb anderen Fach- 
genossen bestreitbar erscheinen; ich erwahne u. A. die von R. beliebte Unterschei- 
dung „hyperasthetischer“ und „depressi-ver“ Formen der Neurastbenie; die Fournier 
und Erb gegenfiber etwas absprechende Anscbauung fiber Syphilis-Tabes (S. 54 ff.), 
sowie endlicb die mit der Leyden’schen im Widersprucb stebende Auffassnng der 
amyotrophiscben Seitenstrangsklerose (S. 76 ff). — Citato batten fibrigens, da sie 
docb unvollstandig und ungleichmassig sind, dem compendiOsen Cbarakter des Werkes 
entsprecbend lieber ganz fortbleiben sollen. A. Eulenburg. 


V. Vermischtes. 

Tabak und verbrecherisches Leben. Nicht mit Unrecht wird unter besonderen 
Umstanden dem Tabakconsum ein ahnlich schadlicher Einfluss auf die Entwickelung eines 
vcrbrecberischen Lebenswandels zugeschrieben, wie dem Alcohol. Auf Grand sehr aus- 
gedehnter Untersuchungen, die in mehreren der grossten Strafanstalten Frankreichs angesteDt 
sinl, konnte H. Marambat (von der bekannten mit einer Abtheilung f&r irre Verbrecher ver- 
bundenen Strafanstalt Gaillon) in einer Sitzung der Gesellschaft wider den Tabakmissbraucb 
darlegen, wie das Tabakrauchen die erste Leidenscbaft zu sein pflegt, der die heranw&chsenden 
Knaben zu frohnen liebes, und wie sie nun durch den scbnell wacbsenden Consum zu be- 
deutenden Ausgaben, zu Unterschlagungen und Diebstahlen etc. getrieben werden. So hatten 
sich von 603 jugendlichen Verbrechern zwischen 8—15 Jahren nicht weniger als 51 % leiden- 
schaftlich dem Tabak ergeben, ebe sie nocb mit dem Strafgesetz in Conflict gerathen waxen. 
Ferner bat es sich berausgestellt, dass von rauchenden Verbrechern 57% und von nicht- 
rauchenden 17% scbon vor deni 20. Jabre das Gefangniss zum ersten Male betreten baben. 
Auf 100 raucbende Verbrecher fallen 79 ruckfallige, auf 100 nichtraucbende aber nur 55, 
und wenn man nocb alle Potatoren aus diesen beiden Gruppen ausscbeidet, so ergiebt sich, 
dass von 100 rauchenden und nicht trinkenden Straflingen 62, von 100 Verbrechern aber, 
die aucb nicht trinken, aber aucb nicht raucben, nur 18 ruckfallig sind. Da bei dieser 
Untersuchung nocb gar nicht die pbysiologiscben Scbadlicbkeiten des Tabakconsums beruck- 
sicbtigt sind, so ergiebt sicb leicbt, dass fur die forense Medicin das Studium des Tabak- 
missbraucbs von abnlicber Bedeutung, wie das des Potatoriums werden kann. (Archiv. di 
psichiatria, scienze pen. etc. 1884. V. p. 378.) Sommer. 


Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen ffir die Redaction sind zu richten an Privatdocent Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Veriag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mstzobb ft Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Centr alblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Dritter m B * rlIn - Jahrgang. 

Monatlich erscbeinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Bnchhandlnngen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1884. 15. September. 18. 


I n h a 1 1 . I. Originalmittheilungen. Absolute Carenz eines Paranoischen von Siemens. 

II. Referate. Anatomie. 1. Sur la fossette vermienne du crane des mammiferes par 

Albrecht. 2. II cervello del boa, e considerazioni di nevrofisiologia comparata, del Lussana. 
Experimentelle Physiologie. 3. Ueber Modificationen der Tastempfindnng von Schmey. 
— Fathologische Anatomie. 4. Ueber einen Fall von Tabes dorsalis mit Degeneration 
der peripherischen Nerven von Sakaky. 5. Secondary degeneration of nerve tracts following 
removal of the cortex of the cerebrum by Langley and Sherrington. 6 . Ueber die Verande- 
rungen des Augenhintergrundes in Folge von Alcoholismus, sowie fiber die pathologisch-ana- 
tomischen Veranderungen bei der Alcoholamblyopie von Uhthoff. — Pathologie des 
Nervensystems. 7. Contribution a l'etude de rhemiplegie cerebrale infantile par Gaudard. 
8. Tobacco amblyopia by Shears. 9. Analysis of seventy-five consecutive cases of posterior 
spinal sclerosis, with special reference to a syphilitic origin by Seguin. 10. Eclampsie ct 
fipilepsie par FArA. 11. Clinical remarks on cases illustrating tne essential identity of pro¬ 
gressive muscular atrophy and progressive bulbar paralysis by Finny. 12. Een geval van 
poliomyelitis anterior acuta bij eene volwassene door Stephan. 13. Multiple Neuritis by 

Webber. 14. Ein Fall von vollstandiger, vorubergehender Taubheit von Magnus. 15. Die im 

Verlauf der Mumps auftretenden Erkrankungen des Oh res von Roost. 16. Ein Fall von 
partieller Labyrintnaffection nach Mumps von Moos. — Psychiatrie. 17. Pachymeningite 
simulant une paralysie generate; coloration ardoisee du cerveau etc. par Mabille. 18. D6- 
mence simple d^origine syphilitique probable par Bigot. 19. Note sur un cas de Melancolie 
anxieuse par Seglas. 20 Jumping, Latah, Myriachit par de la Tourette. 21. Incurabilite of 
gue neons tardives en alienation mentale par de Montyel. 22. Insanity and cardiac disease 
by Kiernan. 23. Communicated insanity by Montgomery. 24. Observations on Cannabis in- 
dica and syphilis as causes of mental alienation in Turkey, Asia minor and Marocco by 
Davidsohn. — Therapie. 25. The rational treatment of chorea by van Bjbber. 26. On 

escapes, liberty, happiness and ..unlocked doors'* as they affect patients in asylums by 

Campbell. 27. The curability of locomotor ataxia and the simulations of posterior spinal 
sclerosis by Hughes. 28. An Inquiry into the value to be attached to the different recovery 
rates of different asylums as tests of efficiency by Chapman. — Forensische Psychiatrie. 
29. Zwei Falle von vieljahriger Yerkennung geistiger Krankheit bei Straflingen von v. Kraflt- 
Ebing. 30. Gerichtsarztliches Gutachten von Fritsch. 31. D41ire d’obsession par Lentz et Schrevens. 

III. Aus den Gesellschaften. — IV. Bibliographie. — V. Vermlschtes. 


I. Originalmittheilungen. 

Absolute Carenz eines Paranoischen. 

Von Director Dr. F. Siemens in Ueckermfinde. 

Die nachfolgende Beobachtung betrifft einen nabrungsverweigernden Irren 
und ist nicht nur psychologisch und klinisch von grossem Interesse, sondern 
giebt auch weitere Aufschlusse uber die Korperveranderungen im Inanitions- 
zustande des Menschen. 


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410 


Carl S., 43 Jahre, fruher Wachtmeister beim Train, dann Canzlei-Diatar. 
Erbliche Belastung fehlt. Leicht erregbarer, heftiger Charakter, dabei ehrenhaffc, 
sehr strebsam, religids. — Sommer 1882 Schlaflosigkeit, korperliches Uebelbefin- 
den, Pracordialangst, Reizbarkeit, misstrauisches, hochfahrendes Wesen. Hallucinar 
tionen des Gehors, abnorme Sensationen im Korper, Wahn elektrischer Beein- 
flussung. Sehr lebhafte Traume, deren Inhalt, nach dem Erwachen durch die 
Stimmen bestatigt, als Wahnvorstellungen persistirt Beim Erwachen haufig 
auch Gesichtsbilder, welche z. Th. schattenhaft durchsichtig, z. Th. greifbar 
deutlich sind und eine Zeit im wachen Zustand fortbestehen. Verfolgnngs- nnd 
Grossenideen. 

Der Kranke ist sehr schwer zu behandeln. Er ist ausserst krittlig bei 
Allem; die Wasche, die Bedienung, das Essen, Alles ist ihm nicht sauber 
genug, oft riecht es verdachtig, Stimmen bestatigen, dass es ekelhaft ist 
Gewaltthatige Ausbruche sind jederzeit zu erwarten, Patient ist mit grossen 
Korperkraften ausgestattet. Er fuhrt sehr genau Tagebuch uber Alles, was mit 
ihm vorgeht. — 

Am Samstag den 7. Juni cr. meint er Mittags im Milchreis „Nasenpopel“ 
gefunden zu haben. Er wirft dies den Wartern, den Aerzten, dem Director in 
der heftigsten Weise vor. Die Erklarangen, welche er erhalt, genugen ihm 
nicht. Durch die Elektricitat vermittelte Stimmen bestarken ihn in seinen 
Wahnideen, und so beschliesst er in der Verzweiflung, Hungers zu sterbeu. Er 
schreibt: „... Hieraus ergeben sich nunmehr noch 2 Wege, welche, wenn meine 
Internirung nicht sofort beendet wird, beide uber kurz oder lang mich in den 
Tod fuhren, und zwar: 1) wenn ich hier in der Anstalt Speise und Getranke 
geniesse, so sehe ich mich durch Ekel und Erbrechen in den Tod getrieben, 
und 2) wenn ich nicht esse, so muss ich verhungern. Darum so wahle ich den 
Hungertod, um in Ehren zu sterben. Carl S.“ 

Im Folgenden gebe ich zunachst die eigenen Aufzeichnungen des Kranken 
und lasse dann die arztlichen objectiven Beobachtungen folgen. 

(Tagebuch.) 8. Juni. „In der vergangenen Nacht bin ich wieder als Ver- 
suchsopfer, oder dass man mir etwas hat abgewinnen wollen, benutzt worden, 
denn ich musste traumen: ich lag im Bette und die mir aus meiner Jugend- 
zeit bekannte Friederike Wolfif aus Elisenau kam an mein Bett heran (etc. etc. 
Es erfolgte Emissio seminis.) . . Hieraus erhellt, wie ich in diesem Buche oft- 
mals schrieb, dass man mich ermorden will, denn ich habe seit gestem Mittag 
in Folge des im gestrigen Texte Gesagten nichts gegessen. Carl S. 

Aus dem Grunde, dass man mir das Wasch- pp Wasser so oft verunreinigt 
hat, wies ich dasselbe heute zuruck. Carl S. 

Die Dreck-Doctoren sind, wie ich mich nunmehr uberzeugt habe, die 

Schinderknechte, welche mich hier so martern.der Text des Buches giebt 

mir auf Grand der grenzenlosen und das Leben bedrohenden Misshandlungen 
das Recht, fur mich, meine Frau und meine Kinder, da ich oft meine Ent- 
lassung verlangte, solche mir aber bis jetzt nicht gegeben wurde, Genugthuung 
zu fordern. C. S. 


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411 


Ebensowohl, wie man die Elektricitat so anfertigen kann, dass diese alle 
aromatischen Dufte, pestilentialischen Ldfte, ansteckende Seuchenluft, Schall, 
Gift, Nicotin und was diesen Korpern zugerechnet werden kann, 1) normal 
weiter befordert, also unverandert forttragt, 2) dieselben desinficirt, d. h. ihnen 
die Ansteckungskraft nimmt, und 3) dass diese chemische Luft direct schadigend, 
sogar todtend auf Menschen, Thier und Pflanze wirken muss, — so ist es auch 
mdglich, die chemische Atmosphare so auf den Menschen wirken zu lassen, 
dass der Korper desselben, ohne Speisen und Getranke zu geniessen, 1 anger 
wie dies sonst der Fall ist, vor dem Hungertode geschutzt wird, — oder aber 
auch so wirken kann, dass man me hr Speisen und Getranke zu sich nehmen 
muss und dabei doeh krank sein kann, auch, dass die Elektricitat den Hunger- 
tod schneller herbeifuhrt: — so weise ich schon jetzt darauf hin, damit das 
Gericht im Stande ist, meine ev. Morder und Peiniger zur Verantwortung zu 
ziehen. Da ich in diesem Buche dariiber schrieb, dass man mich vorsatzlich 
dem langsamen Tode hingiebt, um den Mord zu verdecken, denn gleichfalls ist 
es im wahren Sinne eine Vergiftung des Menschen, wenn man ihm Speisen 
und Getranke verunreinigt und verekelt, wie man mir gethan hat .... so fordere 
ich Genugthuung fur mich, meine Frau und meine Kinder. Carl S.“ 

9. Juni. Folgt ein langerer Absatz uber die Fahigkeit einzelner Personen, 
Andem, „mit denen sie in Elektricitat zusammen liegen“, durch die chemische 
Luft Giftstoffe zuzufuhren, z. B. Nicotin dadurch, dass sie Tabak kauen. — 
Ruft dann „seinen gerechten Ite“ zur Hulfe an. Ite ist der Name fur Gott, 
von ihm selbst dadurch gebildet, dass er die 24 Buchstaben des Alphabets ein- 
zeln auf Zettel schrieb und von ihnen drei ausloste. Er bekam I, T, E und 
bildete „Ite“ fur Gott. 

10. Juni. „In der vergangenen Nacht bin ich mit verschiedenen Traumen 
beschaftigt worden, wie Heuen, Grasmahen; dann sah ich in einer herrschaft- 
lichen Kuche das mannliche Kuchenpersonal beschaftigt. Sodann Pferdeputzen, 
ein braunes Pferd war lahm; ich marschierte in einem Tmpp als Avancirter. 
Bei Tagesanbruch erwachte ich, weil ich husten musste zufolge dicken Schleimes 
(Qualster) im Halse, welchen ich hinuntergeschluckt hatte. Am Morgen hatte 
ich Magenkrampf. Carl S. 

11. Juni. Carl S. 

12. Juni. In den fruhen Vormittagsstunden horte ich von meinem Bette 
aus bei offenem Fenster den Gesang der so beliebten heimischen Lerche, und 
war es mir, als wenn sie ihre herrlichen Tone heute besonders fur mich er- 
schallen hess, denn lange sang sie schmetternd ihre Weise durch die Lufte und 
obgleich fern von mir und meinen Augen verborgen, so sah ich sie doch im 
Geiste hoch oben in der Luft schweben, wie ich in meiner Jugendzeit so geme 
mich von ihr fesseln liess. .. Was sind aber die mir in Erinnerung gebliebenen 
Jugendklange gegen den heute gehorten Lerchengesang? — Von Neuem rufen 
sie mich in’s Leben zuruck, von Neuem beleben sie Seele und Leib; — ab- 
geschieden von Allem, was mir das Liebste ist, abgeschlossen mit Allem, was 
noch zu berucksichtigen war, und in Erwartung des Augenblickes, in welchem 


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412 


es meinem getreueu Ite gefallt, rnich heimzufuhren in die Freiheit, welche er 
denen vorbereitet hat, die auf Hm ihre Hoffnung und ihre letzte Zukunft ge- 
griindet baben, sendet er mir unter den Trummern meinea Erdengluckes seinen 
Engel.... 

Etwa 10 Minuten, nachdem ich vorstehenden Inhalt niedergeschrieben, rief 
eine durch den Hof fliegende Krahe in mein Zimmer hineinschallend: „schwarz!“ 
Dazu sage ich: Weiss ist das Papier, worauf ich diese Worte schreibe! und so 
sind meine Lieblingsfarben zusammen gefugt. Carl S. 

13. Juni. Carl S. 

14. Juni. Am 8., 9., 10. und 11. dieses war ich durch Latrinengeruch 
und Dampf von unreinen Pfeifen, sowie mit Schmerzen im rechten Hoden mehr- 
fach gemartert. Den 11. stellte sich bei mir eine gewisse Unruhe ein, sodass 
ich Hitze an den Fussen hatte und dieselben nicht unter dem Deckbett be- 
halten konnte. Den 12. hatte ich viel mit Magenbeschwerden zu thun, wie 
Aufstossen und Brullen, krampfartig, und viele Hitze auf dem Leibe und am 
Kopf abwechselnd, sodass ich in der Nacht zum 13. fast mit dem Tode rang, 
in meiner Angst den auf dem vor meinem Bett befindlichen Tisch stehenden 
Becher mit Wasser hinunterwarf und den Tisch umstiess. Die Warter kamen 
und brachten eine Lampe und boten mir auch wieder Wasser zum Trinken an, 
ich lehnte dasselbe aber ab, auf Grund des unterm 7. und 8. des Geschriebenen- 
Die ganze Nacht habe ich nicht schlafen konnen und musste mich im Bette 
viel herumdrehen, sogar aufsitzen, mit den Fussen aus dem Bette und auf dem 
Deckbett, denn die Entzundung im ganzen Korper war hochgradig. Der Urin ist 
seit dem 8. roth gefarbt und entstehen nach jedem Uriniren Magenkrampfe mit 
Aufstossen und Schmerzen. Ich werde auch seit dem 11. taglich einmal gebadet. 
Gegen Morgen wurdeu die Symptome beruhigender, sodass ich fiber Tag bedeckt 
liegen konnte. Abends und in der Nacht zum 14. wurden die angsterregenden 
Entzundungen, namentlich im Leibe, welche immer auf dem Wege der Elek- 
trioitat durch Herzklopfen (etwa 140 oder daruber Herzschlage in der Minute) 
hervorgerufen werden, wie dies seit dem 7. taglich geschieht, so hoch gesteigert, 
dass ich mich auf die Stubendielen legen musste, um mich abzukuhlen, was 
etwa eine Stunde dauerte. Um Mittemacht etwa begab ich mich dann wiederum 
in mein Bett und schlief nach einer wiederkehrenden Unruhe und Hitze ein, 
erwachte bei Tagesanbruch, worauf ich alsbald wieder grosse Hitze des Korpers 
bemerkte, und noch ein innerlicher Schuttelfrost dazukam, mit Zahneklappem, 
welcher etwa eine halbe Stunde hochste Bewegimgen des ganzen Korpers bei 
mir hervorrief, nach dem aber Ruhe eintrat, sodass ich dieses schreiben konnte. 
Auch das Niesen stellte sich seit gestem wieder ein, sowie heute fruh. Speisen 
und Getranke habe ich seit dem 7. ds. zufolge des daselbst notirten Falles bis 
heute weder gegessen noch getrunken, bemerke aber, dass angefeuchtete Elek- 
tricitat chemische Luft, Feuchtigkeit in meinen Korper durch die Schweissporen 
einfuhrt, woraus sich auch erklart, dass ich taglich 4—6mal Urin lassen kann, 
welcher einen widerlichen Geruch hat. Stuhlgang mit Erfolg hatte ich seit 
dem 9. nicht mehr. Carl S. 


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Heute fruh am 4 x / 2 Uhr hatte ich Stuhlgang mit Erfolg, wobei ich auch 
ein dem Verhaltniss entsprechendes Quantum Urin absondern konnte, welcher 
ebenfall8 die Zeichen innerlicher Entzundung mit sich fuhrte; auch hatte ich 
dabei wieder den Magenkrampf mit Aufbrullen und als ich eine Weile zu Bette 
gelegen hatte, trat Ruhe ein. Carl S. 

Die schon heute erwahnten Herzschlage wechseln sich ab mit Herzzittern 
und stellt sich auch ofter seit 2 Tagen schwacher Husten ein. Die Nasenhohlen 
sind schmerzhaft in Folge der innern Entzundung. Heute Vormittag wurde ich 
wieder gebadet. Carl S. 

Gegen Mittag hatte ich starkes Herzklopfen und Nachmittags wiederholte 
sich dies mit Herzzittern dabei und Herzstichen. Carl S. 

Nachmittags hatte ich ein klopfendes und zitterndes Gefuhl im After, als 
ob ein grosses Maschinenrad in Bewegung gesetzt ist, welches ein Gewerk treibt 
und als ob ich auf das Gerust oder Gestell mich gesetzt hatte, um welches die 
Trieberei sich bewegt, und ich so die Wirkung vernahme. Carl S. 

15. Juni. Da ich den heutigen Tag erlebte, so will ich wieder vermerken, 
dass ich gestem bis in die Nacht hinein mit vieler korperlicher IJnruhe zufolge 
innerlicher Entzundung und Hitze zu kampfen hatte, ich schlief jedoch spater 
ein und erwachte heute vor Tages Anbruch. Bald danach bemerkte ich elek- 
trische Wirkung, welche sich uber den ganzen Unterleib und den Magen er- 
streckte. Dem zufolge gerieth ich im ganzen Korper in eine Entzundungshitze 
und konnte mich zuletzt nicht im Bette aufhalten, sondern ich musste wiederum 
auf dem Fussboden liegend nackend diese Hitze zu bewaltigen suchen, welches 
auch wie gestem Erfolg hatte. Gestem Abend wurde mir wieder Wein an- 
geboten, welchen man vor meinen Mund zu bringen suchte.... Carl S. 

Die Entzundung im Kopf und Gesicht, besonders den Augen und der Nase 
und die Hitze in den Fussen beherrschte ich dadurch, dass ich die Stimflache 
und die Fusssohlen abwechselnd mit der massiven Wand neben meinem Bette 
in zeitweilige Beruhrung durch Gegendrucken brachte. Die Hitze in meinen 
Handen bekampfte ich dadurch, dass ich die Eisentheile meines Bettes mit den 
Handen umfasste. Ebenso kuhlte ich auch Magengegend und Schadeldecke, 
Stdra, Augen und die Achselhohle mit meinen Handen, die ich auf dem Fuss¬ 
boden und an der Wand noch vorher abkuhlte. Carl S. 

Seit dem 7. ds. habe ich wahrgenommen, dass mein Schleim im Munde 
gelb gefarbt ist, auch bitter und fauligen Geschmack hat; anscheinend entehrt 
man mich nun noch, weil ich die verunreinigten Speisen und Getranke nicht 
essen will, dadurch dass man durch die Elektricitat mir solchen Dreck ein- 
pumpt; denn es ist auflallend, dass ich nur kurze Pausen schlafe und nachher 
immer so fauligen Geschmack habe. — Heute hatte ich viele Anfalle, bohrend 
und drehend, besonders in der Gegend, wo die Blase liegt, und grosse Angst- 
schmerzen nach jedem Urin absondern, sodass ich fast zu Boden sinke. Urin 
oft, aber jedesmal nur wenig und dick rothgelb heute. Heute Abend gebadet. 
Carl S. 


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Heute Nachmittag kam ich darauf, dass man mich in diesen Tagen auch 
mit Ruckenmarkentzundung gemartert bat. Carl S. 

16. Juni. Von gestern Nachmittag ab wnrde ich unausgesetzt mit ent- 
zundlicher Korperhitze gemartert und habe ich in der vergangenen Nacht gar 
nicht schlafen konnen. Gestern Abend brachte ich diese durch den ganzen 
Korper sich erstreckende Hitze durch Liegen auf den Fussbodendielen weg; als 
ich mich in das Bett begeben hatte, bemerkte ich sofort die Wirkung der 
Elektricitat, durch welche ein Feuer im Korper einer Person in wenig Minuten 
entzundet werden kann, und habe die gauze Nacht schwer gelitten. Gegen 
Morgen kuhlte ich durch alle erdenklichen Mittel, welche mir zu Gebote standem 
Ich bin korperlich sehr schwach geworden. Carl S. 

Heute wurde ich wieder gebadet und sollte gewaltsam dabei Milch trinken, 
welchem ich widerstand. Heute hatte ich zwei Ohnmachtsanfalle. Carl S. 

Seit mehreren Tagen lauft meine Harnrohre noch nach dem Uriniren und 
soeben, Abends, ging mir in meiner Schwache der Urin in’s Hemde. Wenn 
die Entzundungen nachgelassen haben, dann sind mir die Fusse und Hiinde, 
auch Arme und Beine und zuweilen der Unterleib bis zur Brust aufwarts und 
abwarts kalt. Carl S. 

17. 6. Gestern Abend wurde ich durch elektrische Maschinenkraft lange 
in der Ruckenlage festgehalten und hierbei anscheinend Leibesfeuchtigkeit in 
den Magen und die Unterleibsorgane eingeleitet. Vermuthlich wurde diese 
Feuchtigkeit von einer andern, mit mir in Elektricitat liegenden Person ent- 
nommen. Ich musste wiederum lange Zeit auf den Stubendielen liegen und 
kuhlen. Fine Mundsperre habe ich, dieselbe besteht im Kopfgelenk, ist schmerz- 
haft beim Hin- und Herbewegen des Unterkiefers. Carl S. 

18. Juni. Heute fruh trat so brennender Durst ein, dass mein ganzer 
Korper gluhend heiss war; so ging ich in die Badestube, setzte mich im Hemde 
in eine leere Badewanne und drehte den Hahn der Brause auf und liess mir 
die staTke Wasserkraft auf Ivopf und Leib einstromen, dies dauerte einige Mi¬ 
nuten und hatte ich, abgesehen davon, als wenn das Wasser direct durch den 
ganzen Korper rieselbe, im Ganzen ein behaglicbes Gefuhl. 

Bald darauf gaben mir die Aerzte mittelst Instrumenten einen sauerlichen 
Milchtrank ein.“ 

Soweit das Tagebuch. 

Aus der arztlichen Krankengeschichte fuge ich Folgendes an, indem ich 
Wiederholungen des Vorhergesagten weglasse. 

8. Juni. Seit dem gestrigen Mittagessen, welches er nur zum kleinsten 
Theil genossen, abstinirt der Kranke vollstandig, er nimmt weder Speise noch 
Trank — auch keinen Tropfen Wasser. 

Sehr kraftiger, gut genahrter Mann, ohne Storungen an Lunge, Herz und 
Unterleibsorganen. Gewicht 82 Kilo. 

10. Juli. Absolute Abstinenz, auch kein Tropfen Wasser. Wurdigt die 
Aerzte keines Wortes, ist aber mild gegen die Warter, denen er beim Baden, 


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Waschewechseln etc. keinen Widerstand leistet Nur die Versuche, ihm Speise 
und Trank aufeudringen, weist er energisch zuruck. 

12. Juni. Status idem. Abmagerung deutlich. Foetor der Abstinirenden vom 
2. Tage an (Aceton). Ders. Geruch am Harn, welchen der Kranke aber nur 
ins Closet entleert (Untersuchung daher unmoglich). — Auf energisches Zureden 
richtet er sich auf und schreit mich an: „Sie konnen mich todten, aber Sie 
konnen einen S. nicht entehren !“ 

13. Juni. Gewichtsabnahme bis heute 11 Kilo. 

15. Juni. Alle Versuche mit Loffel, Tasse, Becher, ihm Speise oder Trank 
beizubringen, sind erfolglos. Eine Demonstration des Sondenapparats macht 
keinen Eindruck auf den Kranken. 

18. Juni. Weist den Anstaltsgeistlichen aus dem Zimmer: „er m5ge ihm 
seinen Tod nicht noch verbittera.“ Die Schwache ist sehr gross. Die Augen 
tief zuruckgesunken, die Nase spitz, alle sichtbaren Schleimhaute trocken und 
gerothet. Sprache heiser. Puls kaum noch zu fuhlen. 

Endlich ist es gelungen, ein wenig Urin von dem eigensinnigen Kranken 
zu erhalten. Derselbe ist hochgestellt, trube, mit dicken weisslichen Sedimenten. 
Enthalt eine betrachtliche Menge Eiweiss (starker flockiger Niederschlag). Aceton- 
reaction nicht deutlich, wie auch der charakteristische Geruch des Athems in 
den letzten Tagen nicht mehr wahrzunehmen war und einem gewohn- 
lichen Foetor ex ore Platz gemacht hatte. Gewichtsabnahme 14 Kilo. 

Alles dies bestimmte uns, ex indicatione vitali die Schlundsonde anzu- 
wenden, und zwar am Nachmittage des 18. Juni, also am 12. Tage der abso- 
luten Abstinenz. Der Kranke leistete bei der Operation in Folge seiner grossen 
Schwache nur wenig Widerstand. Es wurde frische Milch, etwa 3 / 4 Liter mit 
3 Eiern hineingequirlt, eingeflosst. Ein Theil der Masse (welche in dem con- 
trahirten Magen nicht Platz fand) wurde mit Brechbewegungen wieder ent¬ 
leert — 

Der Effekt der Operation war ein vollkommener. Der Kranke gab am 
anderen Tage an, dass ihn mit der eingeflossten Flussigkeit neues Leben durch- 
stromt habe; er ass und trank jetzt willig, jedoch nahm er Anfangs nur wenig 
feste Substanz, sondem trank hauptsachlich ausserordentlich viel Wasser. 

Das im Harn nachgewiesene Eiweiss fand sich am folgenden Morgen nur 
noch in Spuren darin vor, trotzdem dass sich noch ein betrachtlicher weisser 
(mikroskopisch aus weissen Blutzellen und Epithelien der Blase und Harnrohre 
bestehender) Bodensatz zeigte. Am 3. Tage nach der Futterung war das 
Eiweiss im Harn vollstandig verschwunden und der Urin verlor in der 
Folge auch seinen Bodensatz. 

Die Schleimhaute regenerirten sich, die RSthung ging zuruck, der zahe 
Schleim ward entfemt, die Heiserkeit verschwand. Die Haut wurde wieder 
turgescent; ein lastiges Jucken der Haut bestand noch einige Zeit, nach 8 Tagen 
trat sogar etwas Anschwellung der Haut an den Vorderarmen imd Unterschenkeln 
auf. — Auch dieses Symptom verschwand wiedeT. Der Kranke gewann all- 
mahlich seine alte Kraft und Korperfulle wieder. 


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Auf das psychische Verhalten war die Carenz ohne jeden Einfluss: Der 
Kranke gab an, class die Stimmen und die Elektricitat wahrend der 12 Tage 
nicht im Geringsten nachgelassen hatten. Jetzt ist das Verhalten ganz wie 
vorher, doch isst der Kranke bisher regelmassig. 

Die vorstehende Beobachtung beweist, dass ein korperlich gesunder Er- 
wachsener sehr wohl eine absolute Carenz (bei welcher also auch kein Tropfen 
Wasser genommen wird) wahrend 12 Tagen aushalten kann, ohne dass es ihm 
dauemden Nachtheil an Korper oder Geist zufugt Die Gewichtsabnahme war 
in diesem Falle betrachtlieh, sie betrug 14 Kilo, also rund l l / e Kilo pro Tag, 
wahrend bei langerer Carenz mit Wassergenuss der tagliche Gewichtsverlust etwa 
Va Kilo betragt. 

Weiter zeigt die Beobachtung, dass in den letzten Stadien der absoluten 
Carenz Eiweiss im Harn auftritt, und zwar in grosserer Quantitat, als die Bei- 
mischungen Seitens der harnausfuhrenden Organe bedingen; also Eiweiss aus 
der Niere. Dieses Eiweiss verschwindet sehr bald nach reichlicher Wasserzufuhr. 
In den ubrigen inneren Organen waren die Storungen verhaltnissmassig gering 
und ebenfalls rasch vorubergehend. Insbesondere trat Pneumonie oder irgend 
eine dauernde Lungenaffection nicht auf, ebenso wenig wie eine dauemde Stoning 
am Herzen. Die Schleimhaute litten allerdings in Folge des Wassermangels 
sehr Noth, auch einzelne Gelenke, z. B. das Kiefergelenk, wurden trocken und 
schmerzhaft. 1 

Endlich beweist dieser Fall, wie auch die Abstinenz aus rein psychischen 
Ursachen von einem entschlossenen und thatkraftigen Irren bis zu einem Puncte 
fortgesetzt werden kann, dass das Leben durch Inanition schwer bedroht ist 
Diese Falle sind ausserordentlich selten. In unserm Falle glaubte ich zur Er- 
haltung des Lebens die Schlundsonde anwenden zu mussen. Denn wir verwerfen 
ja nicht prinzipiell die Sonde, sondern wir beschranken ihre Anwendung nur 
auf die Falle, in denen wir ganz sicher sind, dass wir durch die Sonde dem 
Kranken nicht mehr Schaden zufugen, als die Enthaltung der Speise es thut 
Ware der Widerstand des Kranken ein irgend nennenswerther gewesen, so 
hatten wir weiter zugewartet 


n. Referate. 

Anatomie. 

1) Sur la fossette vermienne du crane des mammifdres par le Prof. P. Albrecht, 
Bruxelles. (Sep.-Abdr.) 

Lombroso hatte 1871 auf eine mittlere Grube der Hinterhauptsscliuppe (Foss, 
occipitalis med.), die er bei einem Hingerichteten gefunden hatte, aufmerksam ge- 
maclit, und os hat sich seitdem bereits eine kleine Literatur — A. fflhrt 16 italienische 
Arbeiten an — fiber diese Grube gebildet. Sie ist relativ haufig vorhanden bei 

1 Gegen P. Rosenbach bemerke ich wiederum, dass diese Beobachtung durchaus gegen 
die Annahme spricht, dass in Folge der Inanition im Gehirn intra vitam anatomische Ver- 
andemngen Statt finden. 


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Verbrechern, bei Irren und bei niederen Ra 9 en, z. B. in 40% aller Falle bei den 
Aymara in Amerika. 

Von Seiten des Gehirns entspricht dieser mittleren Hinterhauptsgrube der Wurm 
des Cerebellum, und A. nennt sie desbalb „Fossette vermienne“. Er findet sie mehr 
oder weniger ausgesprocben vorhanden bei alien Saugethierklassen, auch bei den 
Affen,. jedocb mit Ausnahme der 3 Anthropoiden Orang, Schimpanse und Gorilla, 
wogegen der Hylobates sie gut entwickelt besitzt. 

Nicht immer bleibt sie auf die Hinterhauptsschuppe begrenzt, sondern greift 
bei mancben Saugethieren auf die Ossa interparietalia fiber; sie ist ferner bisweilen 
durcb eine quere Leiste in einen oberen und unteren Theil getrennt, welchen Theilen 
dann bestimmte Lappchen des Wurms entsprecben. 

A. beschreibt auch einen ausgezeichneten Fall vom Menschen (aus der Samm- 
lung der Universitat Halle) mit gleichzeitiger Kieferspalte der linken Beite; ferner 
einen Fall bei einem Kinde. 

A. tritt der Meinung Lombroso’s bei, dass beim Menschen die Fossa occipit. 
med. ein atavistisches Zeichen sei. Hadlich. 


2) II eervello del boa, e consideration! di nevroflsiologia comparata, del 
Prof. Lussana. (Archiy. ital. per le malat. nervose etc. 1884. XXI. p. 274.) 

Verf. liatto die Gelegenheit, das Neryensystem einer afrikanischen Riesenschlange 
(Boa Python) anatomisch zu untersuchen. Das Gehirn allein wog nur 8 Gramm bei 
einem Gewicht des ganzen Reptile yon 24 Kilo. Die yerhaltnissmassig sehr grossen 
Riechkolben verbinden sich jederseits mit einem Ramus olfactorius des N. trigeminus, 
um sich zusammen in der Schneider’schen Membran zu yerbreiten. Die beiden 
Grosshirnhemispharen bestehen aus je einem Corpus striatum und einem daruber 
liegenden Hirnmantel: der flache Raum zwischen diosen beiden Gebildon entspricht 
dem Seitenventrikel. Die Thalami optici sind vorhanden, wahrend die Pfeiler des 
Fornix, die Tela choroidea und der mittlere Ventrikel kaum angedeutet sind. Die 
Iiobi optici — den Corp. quadrig. der Saugethiere entsprechend — sind stark ent¬ 
wickelt und haben eine partiello Langsfurche und eine tiefe Querfurche, so dass die 
Zerlegung in 4 Lappen, wie bei den Saugethieren, angedeutet ist; alien fibrigen 
eierlegenden Wirbelthieren fehlt aber diese Querfurche, so dass nur die Boa und 
merkwfirdiger Weise unter den Fischen allein der Aal die saugethier-ahnliche Quadru- 
plicitat der Corp. quadrig. aufweisen. Das Kleinhirn ist ebenso wie die Zirbeldrfise 
yerhaltnissmassig stark ausgebildet 

Das Gehirn im Ganzen ist also im Yergleich mit dem KOrper der Riesenschlange 
ausserordentlich klein; es wiegt nur 1 / sooo der Letzteren, gegen 1 l l3t0 bei anderen 
Reptilien, 1 / 2Vi bei Yogeln, l / l86 bei Saugethieren und endlich gegen % 5 beim 
Menschen. Sommer. 


Experimentelle Physiologie. 

3) Ueber Modiflcationen der Tastempflndung von H. Schmey. (E. du Bois- 
Reymond's Arcliiv f. Physiol. 1884. S. 309.) 

Sch. experimentirte an sich selbst mit Sieveking’s Aesthesiometer und nach 
der Methods der Messung desjenigen Abstandes zweier Spitzen, bei welchem sie oben 
noch al8 getrennt empfunden werden. Er constatirte 1) dass bei vorhergehender 
Muskelanstrengung die fiber der betreffenden Musculatur gelegene Haut eine 
Herabsetzung der Feinheit des Raumsinnes zeigt. Der viel gebrauchte reclite Arm 
zeigte demgemass eine geringere Hautsensibilitat als der links; ferner trat diese 


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Differenz am Abend starker hervor als am Morgen. An den Beinen fand sich die 
Sensibilitat gleich. — 2) Ein kurze Zeit aufgelegtes Senfpflaster verfeinert 
anfangs den Raumsinn der betreffendenden Stelle fur kurze Zeit, urn ihn jedoch hier- 
nach auf oder sogar unter die Norm sinken zu machen (cf. die zwei Stadien der 
Entzfindung nacb Cohnheim’s Lehre). — 3) Inhalation von Amylnitrit verfeinert 
betrachtlich den Raumsinn der Haut der Wangen, anscheinend aber auch an anderen 
Korperstellen. — 4) Nervencompression verschlechtert den Raumsinn der Haut- 
stelle, wo der Nerv peripher endet; geringe Dehnung der Haut verfeinert, starke 
verschlechtert den Raumsinn.-— 5) Kalteeinwirkung auf die Haut verschlechtert 
den Raumsinn. Hadlich. 


Pathologische Anatomie. 

4) Ueber einen Fall von Tabes dorsalis mit Degeneration der peripherisohen 
Nerven von Igakushi Hasime Sakaky aus Tokio, Japan. (Arch. f. Psych. 
XV. S. 584.) 

Der klinisch ausffilirlick mitgetheilte Fall ergab bei der Section nahezu voll- 
standige Degeneration der Hinterstrange, und starke Atrophie der hinteren Wurzeln; 
von den lierauspraparirten peripherischen Nerven erwiesen sich schon makroskopisch 
die Nn. sapheni als diinn und grau; die Untersuchung erfolgte an verschiedenen 
Abschnitten der geharteten Nerven unter steter Vergleichung mit normalen. 

Die Veranderung erwies sich als Atrophie der Nervenrohren ohne deutliche Ver- 
melirung des Endoneurium; die Verbreitung derselben war eine sehr wechselnde, in- 
dem z. B. die peripherischen Zweige des Saphenus major nur vereinzelte marklialtige 
NervenrOhren zeigen, wahrend sein centraler Abschnitt viel leichtere Veranderung 
aufweist; der N. cutaneus femoris int. ist in alien Abschnitten nahezu gleichmassig 
stark atrophisch; die Rami muscul. fiir den M. extensor quadriceps und der N. mus- 
culo-cutaneus brachii scheinen fast normal. 

Mittelst vergleichenden Zahlungon und Borechnungen gewinnt S. folgende Tabelle: 

Zahl der markhaltigen Nervenrohren in 1 Quadratmillimeter: 

Normal Tabes 




central 

peripher 

central 

peripher 

N. 

saph. major. 

3200 

2944 

2432 

896 

N. 

cut. fem. int. 

3392 

3200 

1920 

2176 

Rami muscul. 

3136 

2944 

2880 

3428 

N. 

musculo-cutaneus 

3072 

3584 

3712 

2944 


Auf Grund der Thatsache, dass den starksten Atrophien die bedeutendsten Sen- 
sibilitatsstorungen entsprachen, wahrend die motorischen und gemischten Nerven frei 
blieben, diirfte geschlossen werden, dass die Anasthesie durch die Atrophie der sen- 
siblen Nerven bedingt war. A. Pick. 


5) Secondary degeneration of nerve tracts following removal of the cortex 
of the cerebrum by Langley and Sherrington. (Dog. Joum. of physiol. 
Vol. 5. Nr. 2.) 

In Nr. 4 d. J. S. 80 ist fiber den Befund berichtet, welchen die genaue Unter¬ 
suchung des Gehirns von dem von Goltz in London vorgeffihrten Hunde ergeben 
hatte. L. und S. liaben die secundare Degeneration durch die Medulla oblongata 
hindurch verfolgt. Unterhalb des Pons und der Pyramidenkreuzung fanden sich die 
Anzahl der degenerirten Fasern wesentlich geringer als dicht oberhalb dieser Sfcellea 
(Nur* die rechte Halfte der Medulla oblongata des an beiden Hemispharen verletzten 


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Hundes stand zu Gebote.) Mit Rucksicht darauf, dass die Exstirpationen verschieden 
lange Zeit vor dem Tode des Thieres vorgenommen waren (beispielsweise am recbten 
Gehirn hinten 9 Monate, vorne 5— 2 l / 2 Monate), suchen die Verff. aus der Deut- 
lichkeit der Degeneration ira Ruckenmarke einen Rdckschluss zu ziehen auf die Zu- 
gehOrigkeit der einzelnen Tbeile des R&ckenmarksquerschnittes zu den zu verschiedeneu 
Zeiten weggenommenen Grosshirnparthien. Sie fanden in den Hinterstrangen beider- 
seits, jedocb nicbt ganz gleich gelegen, die Degeneration bis zum zweiten Lumbar- 
nerven. Sie halten es nicbt ftir unwabrscbeinlich, dass der dorsale Theil der Pyra- 
midenseitenstrangbahn mit der binter dem Gyrus sigmoideus gelegenen Grosshirnrinde 
zasammenh&ngt. 

Einzelne uber den ganzen Ruckenmarksquerschnitt zerstreute, aber namentlicb 
in der Mitte des Yorderstranges gelegene Fasern zeigten friibere Stadien eines De- 
generationsprocesses. Die Yerf. bezeicbnen dieselbe als „tertiare“ Degeneration. Sie 
glauben, dass dieselben durcb den Wegfall tropbischer Centren im Gehirn bedingt 
sein konne. Moeli. 


6) Ueber die Ver&nderungen des Augenhintergrundes in Folge von Alcoho- 
lismus, sowie iiber die pathologisch-anatomischen Ver&nderungen 
bei der Alcoholamblyopie von Dr. W. Ubthoff. (Berl. klin. Wochenscbr. 
1884. Nr. 25.) 

U. fand bei 360 Alcoholisten in 14 % der Falle eine leichte, aber deutlich zu 
constatirende Trubung der Netzbaut, am deutlicbsten an der Papille markirt, nacli 
der Peripherie des Augenhintergrundes deutlich abkliugend. Diese Veranderung ist 
dnrcbaus nicbt an das Auftreten einer Intoxicationsamblyopie gebunden, sondem 
kommt obne Sehstorung vor und ist ffir den Alcobolismus in keiner Weise charak- 
teristiscb. In 1 °/ 0 der Alcoholisten fanden sicb dann ein Oder mebrere Retinal- 
hamorrhagien. Endlicb wurde in 17 °/ 0 der Falle eine partielle atropbiscbe Yer- 
farbung des ausseren Papillentheils constatirt. Gewohnlich batte die Veranderung 
die Form eines keilfOrmigen Sectors. Dieser Befund war durcbaus nicbt immer mit 
einer Sehstorung complicirt. Wenn aucb andere Noxen, wie Tabak, Diabetes, Blei 
dieselbe Veranderung berbeifflbren k6nnen, so beeintrachtigt das die Yerwertbbarkeit 
dieses Befundes ftir die Diagnose des Alcobolismus nicht, da die betreffenden Schad- 
lichkeiten durch Anamnese und Untersuchung leicht zu eruiren sind. 

Yerf. fttgt dann noch 2 Sectionsbefunde von Alcoholisten mit atropbiscber Ab- 
blassung der temporalen Papillenbalfte hinzu. Die Sehstorung war bei beiden Pa- 
tienten eine verscbiedene gewesen, der eine batte eine hochgradige Sehstorung mit 
centralen Gesicbtsfelddefecten, dor andere batte eine typiscbe Alcoholamblyopie gebabt, 
die sicb aber zum grOssten Tbeile zur Zeit des Todes restituirt hatte. Die ana- 
tomischen Yeranderungen der Sehnerven boten die grOssten Analogien und unter- 
scbeiden sicb nur durch die Intensitat. Es fand sicb starke Wucherung des inter- 
stitiellen Bindegewebes mit erbeblicber Kern wucherung, Neubildung von Gefassen 
mit z. Tb. stark verdickten Wandungen und Atropbie der Nervenfasern. Die de- 
generirten Partien liegen nacb aussen von den Centralgefassen bis zur Peripherie. 
In dem einen Falle konnte aucb das Chiasma und beide Tractus untersucbt werden. 
Es zeigte sicb, dass der degenerirte Herd allmahlich die aussere Oberflache verliess 
und im CanaUs opticus fast in der Mitte in kreisrunder Gestalt lag. Im Chiasma 
ist auf jeder Halfte ein Herd nacbweisbar, der im inneren Tbeile des Tractus sicb 
nacb oben innen zur Peripherie erstreckt. Rosenheim. 


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Pathologie des Nervensy stems. 

7) Contribution a l’etude de l’hemiplegie cerdbrale infantile par E. Gaudard. 

' (Thdse de Geneve. 1884.) 

14 Beobachtungen, zumeist aus der Clientel von Prof. d’Espine, und 80 aus 
der Litteratur gesammelte Falle bilden die Grundlage fdr die Arbeit. Verf. schliesst 
bei der Betrachtung aus die vorubergehenden cerebralen Hemiplegien und diejenigen, 
die Symptome einer bestehenden Hirnkrankheit (Meningitis, Tumor etc.) sind, und 
bandelt nur von den dauernden Hemiplegien, die nach einer Hamorrhagie, einer 
Encephalitis etc. zuriickbleiben. 

Aus seinen Sclilusssatzen wollen wir folgende hervorheben: 

1) Die infantile cerebrale Lahmung ist ein wenig haufiger, als die spinale Kinder- 
lahmuug. Sie tritt, wie diese, im Allgemeinen in den 3 ersten Lebensjahren auf, 
bald plotzlich rait Oder ohne Yerlust des Bewusstseins, oder nach einem Anfall 
halbseitiger Epilepsie, bald, seltener, allmahlich. 

2) Sie unterscheidet sich von den ahnlichon cerebralen Lahmungen der Erwachsenen 
durch ihre Einwirkung auf das Knochenwachsthum; vorzugsweise wird die obere 
Extremitat, seltener die untere, und ausnahmsweise die entsprechende Halfte des 
Kopfes im Wachstlium aufgehalten. 

3) Die urspriingliche Affection ist gewohnlich eine Meningo-Encephalitis der motorischen 
Rindenzone, zuweilen Erweichung durch Embolie, seltener eine Hamorrhagie. 

4) Die Hemiplegie tritt oft auf bei Kindern in der Reconvalescenz von acuten Er- 
krankungen. 

5) Sie lusst die geistigen Fahigkeiten meist unversehrt (12 in 14 Fallen). 

8) Eine consequente Behandlung (Elektricitat, Orthopadie) hat einen unbestrcitbaren 
Einfluss, urn der Hemmung der Entwickelung, der secundaron Contractor und den 
Deformitiiten entgegenzutreten. 

(Revue medicale de la Suisse Romande, 15 aoftt 1884.) 


8) Tobacco amblyopia by Ch. Shears. (Brit. med. Joum. 1884. 21. vi. p. 1199.) 

Yerf. hat Gelegenheit gehabt, in der Augenklinik zu Liverpool in einem Zeit- 
rauin von 10 Monaten nicht weniger als 40 F&lle von Tabaksamblyopie zu beobachten. 
Die Diagnose wurde nur dann gestellt, wenn der betreffende Patient ein excessiver 
Raucher war, wenn ferner die Abnahme der Selikraft eine rapide und hochgradige 
war und wenn bei sonst normalen Augen oplithalmoskopisch koine Veranderung oder 
nur eine Yerfarbung der Papille in’s Woissliche oder Rothliche vorlag; ausgesprochene 
Atrophie war keinmal zu constatiren. Um etwaige Amaurosen in Folge von Tabes 
auszuschliesseu, wurde jedesmal auf das Kniephanomen geachtet: keinmal fehlte das- 
selbe. Die genaueren Angaben uber die Anamnese, den Status, die Therapie und 
den Verlauf eines jeden Falles sind tabellarisoh vom Yerf. zusammengestellt und 
musson im Original nachgesehen werdon. Im Allgemeinen war ubrigens der Verlauf 
ein ausserordentlich gdnstiger, indem fast alio Patienten, die das Rauchen aufgaben 
oder wenigstens sehr einschrankten, und langere Zeit in Behandlung blieben, als 
gonesen eutlassen werden konnten. 14 wurden vollig geheilt, 14 sehr gebessert und 
von den ffbrigen 12 Patienten batten sich 8 nur ein- oder zweimal in der Klinik 
vorgestellt, der 9. war auch bald ausgeblieben, und von den restirenden 3 Patienten 
konnten 2 auf keine Weise bewogen werden, das Rauchen einzuschranken, und der 
letzte Ungeheilte war nebenbei ein derartiger Potator, dass er wahrend der Kur von 
postalcoholiscker Paraplegie befallen wurde. 

Um Galozowski’s Angabe, dass auch Tabakarbeiter allein durch ihr Gewerbe 
in Gefahr der Erblindung geriethen, zu prufen, hat Yerf. eine grosse Zahl von 


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Tabaksarbeitem untersuclit und bei keinem Amblyopie, ja nicht einmal die Keimtniss 
von einer derartigen Gewerbekrankheit gefunden. • Sommer. 


9) Analysis of seventy-five consecutive cases of posterior spinal sclerosis, 
with special reference to a syphilitic origin by E. C. Soguin. (Archives 
of Medicine. Yol. XII. p. 71.) 

In dieser kurzen Mittheilung theilt der rfihmlichst bekannte Neurologe Seguin 
seine Erfahrungen mit fiber die Beziehungen der Syphilis zur Tabes. Er beruft sich 
dabei auf 75 Falle — eine immerhin ansehnliche Anzahl — aus seiner Pri vat-Praxis, 
die er seit dem Jahre 1866 Gelegenheit zu beobachten hatte. Seine Statistik lautet: 
Syphilis gar nicht erwahnt . . 21 Falle = 28 %, 

Syphilis erwahnt.54 Falle = 72%. 

Nur die letzteren kfinnen hier in Betracht kommen. Hiervon fand S.: 

Keine Syphilis Oder Schanker . 15 Falle = 27,78%, 

Schanker oder Syphilis .... 39 Falle = 72,22%. 

In Bezug auf die Natur der syphilitischen Infection ergiebt sich folgende Tabelle: 

Schanker allein.23 Falle = 42,59%, 

Schanker und secundare Syphilis 16 Falle = 29,63 %, 

Keine Syphilis.15 Falle = 27,18%. 

S. meint, dass seine Statistik die Ansicht Erb’s bestatige. Kef. glaubt, dass 
nur die Unitarier damit einverstanden sein werden. Sachs, New York. 


10) Eclampsie et Epilepsie par Ch. Fdrd. (Arch, de Neurol. 1884. No. 22. 
p. 37—56.) 

Seitdem bei den scarlatinosen und puerperalen Eclampsien das haufige Vor- 
komraen der Albuminurio bekannt ist, nimmt man fflr das Zustandokommon der 
Eclampsie eine specifischo Einwirkung des veranderten Blutos auf das Centralnerven- 
system an, indessen wird man doch zu der Annahme gedrangt, dass, wenn nicht alle 
Individuen auf dieselbe Weise unter der Veranderung des Blutes reagiren, hier eine 
specielle Pradisposition mitspielen muss. Daher betont Verf. in dieser Arbeit die 
neuropathische Pradisposition der von Eclampsie betroffenen Individuen und den zwischen 
Eclampsie und Epilepsie nicht nur klinisch, sondern auch pathogenetisch bestehenden 
Zusammenhang. Ffir die Eclampsia infantum war schon von alteren Autoren auf das 
haufige Vorkommen derselben bei Kindern, die aus neuropathischen Familien stammen, 
aufinerksam gemacht worden. 

Verf. theilt 8 Krankengeschichten mit, in denen sich trotz des Verschwindens 
der Albuminurie bei neuropathischer Beanlagung theils an Scarlatina Eclampsie, theils 
an puerperale Eclampsie die Epilepsie anschloss. Auf Grund dieser Beobachtungen 
kommt er zu dem Schlusse, dass in einer Anzahl von Fallen ffir das Auftreten der 
Eclampsie die neuropathische Pradisposition eine grosse Rolle spiele und dass die 
Dentition, Intestinalcatarrhe der Kinder, Scarlatina, Schwangerschaft und Entbindung 
nur deteriorirende Momenta darstellen. In einer anderen Reihe von Fallen stellen 
sich im Gefolge einer Scarlatina etc. eclamptische Anfalle ein, dann geht diese acute 
Epilepsie sozusagen in einen chronischen Zustand fiber und manifestirt sich nun 
durch die isolirten Attacken einer gewohnlichen Epilepsie. 

Den Einwand, dass es Epileptischo gebe, die niemals bei Gelegenheit der Den¬ 
tition, Scarlatina oder Schwangerschaft Convulsionen gehabt haben, sucht Verf. da- 
durch zu beseitigen, dass er bei gewissen Individuen die Existenz opileptogener 
Zonen (gastrische, uterine, periphere etc.) annimmt, bei deren Reizung die Neurose 
zum Ausbruch kommt. Joseph. 


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11) Clinical remarks on cases illustrating the essential identity of pro¬ 
gressive muscular atrophy and progressive bulbar paralysis by J. 

Magee Finny. (Brit. raed. Journ. 1884. p. 1132 ff. and p. 1196 ff.) 

Wahrend frtther progressive Muskelatropliie und Bulbarparalyse als zwei distincte 
Erkrankungen betracbtet wurden, die gar nichts mit einander gemein batten, bricht 
sicb allmahlicli die entgegengesetzte Ansicht Babn. Den Anstoss zum Sturz der 
1)uchenne’sclien Theorie, fur jene erstere Erkrankung sei die Atropbie ohne Para¬ 
lyse und fbr die andere Paralyse ohne Atrophie cbarakteristiscb, hat wohl die pa- 
tbologische Anatomie geliefert, als sie die Degeneration der multipolaren Ganglien- 
zellen der VorderbCrner des Ruckenmarks als Substrat der Muskelatrophie und die 
der Ganglienzellen in den Nervenkemen auf dem Boden des vierten Yentrikels als 
das Substrat der Bulbarparalyse erkannte. Da nun beide Zellengruppen anatomisch 
wie pbysiologisch als gleichwerthig zu betracbten sind, so musste es wahrscheinlich 
werden, dass Erkrankungen der einen Gruppe auf die andere abergehen konnten. 
So bescbrieb dann auch Charcot bald den ersten Fall, in dem jener Uebergang 
klinisch nachzuweisen war und seitdem sind mehrere ahnliche Beobachtungen ver- 
offentlicht worden. Verf. ist nun in der Lage, zwei neue Falle mitzutheilen. Die 
ausfahrlichen Einzelheiten massen natarlich im Original nachgelesen werden; bier sei 
erwahnt, dass beide Falle Manner von 50 resp. 39 Jahren betrafen, die weder here- 
ditar belastet waren, noch Jemals an Lues gelitton hatten. Zuerst waren die Bulbar- 
symptome aufgefallen; erst nach 8 resp. 4 Monaten machten sich Storungen in den 
Extremitatenmuskeln bemerkbar, wobei freilich berficksichtigt werden muss, dass die 
Muskelatrophie, die anfanglicli nur einzelne Faserbandel der betroffenen Muskeln zu 
orgreifen pflegt, schon weit langere Zeit hindurch latent bestanden haben mag. Im 
ersten Fall war von Bulbarsymptomon die Storung der vom Hypoglossus versorgten 
Muskeln besonders auffallig, wahrend im zweiten das Facialisgebiet in hOherem Grade 
erkrankt war. Auch der Verlauf des Leidens war ein verschiedener: nach kaum 
9monatlicher Dauer war der erste Patient schon dem Tode nahe und entzog sich, 
bereits an haufigen Erstickungsanfallen leidend, dor weiteren Beobachtung, und in 
dem anderen trat nach lOmonatlicher Dauer eine bedeutende Besserung ein, liber 
deren Bestand freilich nichts angegeben ist. Sommer. 


12) Een geval van poliomyelitis anterior acuta bij eene volwassene door 
B. H. Stephan. (Meekbl. van hetNederl.Tijdschr. voor geneesk. 1884. Nr. 24.) 

Die Kranke, eine 30 Jahre alte Arbeiterin, litt seit dem 14. Lebensjahre, be¬ 
sonders Abends, an Schmerz im Rttcken und im Kreuz, ausserdem war sie stets ge- 
sund gewesen; deprimirende psychische Einflttsse hatten nicht auf sie eingewirkt 
Patientin hatte 3 Kinder gehabt, von denen das eine todt geboren wurde, das 2^ 
1 Monat zu frtth geborne, nach 12 Tagen, das 3., ausgetragene, im 1. Jahre start). 
Am 4. October 1882 bekam sie nach Durchnassung und Erkaltung heftigen Schmerz 
in den Gliedem und im Rttcken und Steifheit in den Gliedem. Am 5. October war 
das linke Bein gelahmt, am 6. waren beide Arme gelahmt, der rechte am meisten. 
Dabei bestand Fieber und der Schmerz in Gliedem und Rttcken war ausserst heftig. 
Auch das rechte Bein wurde gelahmt, doch nicht so vollstandig wie die ttbrigen 
• Glieder. Sonst bestand nichts Abnormes, namentlich keine Stttrung in der Function 
der Blase und des Rectum. Allmahlich nahm die Lahmung wieder etwas ab, zuerst 
im rechten, dann im linken Arme, aber Schwaclie blieb in den gelahmt gewesenen 
Gliedem zurttck, im linken Beine trat nur wenig Besserung ein. Mit der Lahmung 
war rasche Abmagerung der Glieder eingetreten, die ebenfalls wieder nachliess. Von 
Zeit zu Zeit traten in den Gliedem, namentlich im linken Beine, fibrillare Zuckungen 
auf. — Am 15. Januar 1884 fand St. nicht Abnormes in den Bewegungen des Ge- 


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sichts und der Augen, gleichweite und gut reagirende Pupillen. Passive Bewegungen 
waren in alien Gelenken der obem Extremitaten unbehindert und schmerzlos, auch 
die aktiven; die Coordination war nicht gestort. Die Kraft der H&nde war auf beideu 
Seiten vermindert, aber gleich. Bei ausgestreckter Haltung der Hande oder der Armo 
trat rasch Tremor ein. An beiden Handen, besonders an der linken, waren die 
Muskeln atrophisch, der linke Vorderarm war schwacher als der rechte, an den Ober- 
armen waren die Deltoides, Supra- und Infraspiuati, Bhomboides und Levatores sca¬ 
pulae atrophisch. Alle Muskeln waren schlaff. Die elektrische Contractilitat der 
Muskeln zeigte sich vermindert im Yerhaltniss zur Atrophie derselben. Sensibilitat, 
Schnelligkeit der Perception, Raumsinn, Drucksinn, Temperatur- und Schmerzgefuhl 
zeigten keine Abweichung. Periostreflex vom Radius war nicht vorhanden, der 
Sehnenreflex vom Triceps beiderseits sehr schwach. — Auch am rechten Bein waren 
active Bewegungen in alien Gelenken m5glich, die Coordination gut, aber schon bei 
geringem Widerstand waren Flexion und Extension unmoglich. Die Kranke ver- 
mochte das rechte Bein nur kurze Zeit ausgestreckt zu halten, Tremor trat dabei 
aber nicht auf. — Am linken Bein waren fast alle Muskeln vollstandig gelahmt, nur 
die Zehen und das Hftftgelenk konnten etwas gebeugt werden und im Fussgelenk 
schien eine geringe Bewegung mOglich; der Fuss befandsich beim Liegen in ge- 
ringer Equino-Yarus-Stellung, Unterschenkel und Fuss waren kalter als rechts. Das 
linke Bein war in hohem Grade atrophisch, die Muskeln waren sehr schlaff. Am 
rechten Bein war die faradische Contractilitat ungescliwacht, am linken ganz ver- 
schwunden, durch den galvanischen Strom wurdon beim Wechsel am linken Bein im 
Quadriceps cruris, in den Flexoren und Adductoren, am Unterschenkel nur in ein- 
zelnen Muskeln Contractionen ausgelCst, aber viel schwacher und trager als am 
rechten Bein. Schliessungs- und Oeffhungsstrdme riefen am rechten Beine nur bei 
einer grOssem Anzahl von Elementen Contractionen hervor, am linken gar nicht. 
Die Sensibilitat war an den Beinen ungestort, die Hautreflexe waren rechts erhalten, 
links aufgehoben, der Patellarreflex war rechts normal, links fehlte er ganz, Dorsal- 
klonus bestand weder rechts, noch links. Mit Unteret&tzung konnte die Kranke eine 
Strecke lang gehen, das linke Bein nachschleppend, bald aber begann das rechte Bein 
zu zittern und Schweiss brach aus. Walter Berger. 


13) Multiple Neuritis by S. G/Webber, Boston. (Arch, of Med. Vol. XII. p. 33.) 

Auch diesseits des Oceans erregt die multiple Neuritis das Interesse der Neuro- 
logen in hohem Maasse. Auf der Versammlung der American Neurological Association 
im vergangenen Juni verlas W. die Arbeit, die jetzt an obiger Stelle veroffentlicht 
ist. Webber’s Erfahrungen erstrecken sich im Ganzen auf 18 Falle; es werden 
aber bios vier mitgetheilt; und darunter nur ein einziger mit Sectionsbefund. Dieser 
Befund wurde allerdings sorgfaltig erhoben. Die Erkrankung betraf hauptsachlich 
die peripheren Enden der Nn. medianus, ulnaris, radialis beiderseits; ausserdem die 
untersten Antheile der Nn. ischiadici, den rechten N. phrenicus, den rechten Vagus 
(oberer Theil) und den rechten Recurrens laryngis. Die Erscheinungen intra vitam 
entsprachen diesem Befunde. Die Veranderung an den Nerven halt W. fur identisch 
mit der secundaren Degeneration, die nach Durchschneidung eines Nerven Platz greift. 

Nach Webber unterscheidet sich die multiple Neuritis von der Poliomyelitis 
anterior durch Schmerz und Hyperasthesie, durch excessive Empfindlichkeit fiber den 
Nervenstamraen, Verringerung der Sensibilitat und frequenten Puls. Durch den 
schleichenden Beginn soli sie sich von der acuten Form der Poliomyelitis trennen 
lassen; letztere befallt auch nur seiten alle vier Extremitaten. Progressive Muskel- 
atrophie whrde sich durch mangelnde SensibilitatsstOrungen und durch das verschiedene 
Verhalten der elektrischen Reactionen kennzeichnen (elektrische Reactionen bei mul- 


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tipler Neuritis durch das Stadium der Degeneration bestimmt). Bei Bleilahmung 
wurde der Yerlauf ein langsamerer sein; Sensibilitatsstorungen wurden fehlen. 

Tlierapeutiscli berichtet W. wenig Gunstiges. Acid, salicyl. schien in einigen 
Fallen die Krankheitsdauer abzukurzen. Carbolumschlage (4 °/ 0 —5 °/ 0 ) schienen bei 
grosser Sclimerzbaftigkeit von Nutzen zu sein. Sachs, New York. 


14) Ein Pall von vollst&ndiger, vorubergehender Taubheit von Dr. A. Magnus 
in Konigsberg. (Arcli. f. Ohrenheilk. XX. 3. S. 171.) 

Patient, ein 9jaliriger, von hysterischen Eltern stammender Knabe, verier obne 
unmittelbar vorhergegangene Veranlassung binnen wenigen Tagen beiderseits das 
Gehor und zwar so vollstandig, dass die lautesten Gerausche nicht mehr percipirt 
wurden und auch die Kopfknochenleitung aufgehoben war. Die Untersuchung des 
Ohres ergab ein negatives Resultat. Lahmungen sonstiger Hiranerven waren nicht 
zu entdecken und ebensowenig zeigten sich bei der Untersuchung des Augenhinter- 
grundes irgendwelche Yeranderungen (etwa Tuberkel.) Schon zu Anfang der Krank- 
heit hatte sich ein heftiger Schwindelanfall eingestellt, spater treten mehrmals intensive 
Krampfanfalle auf, welche von Schwindel eingeleitet wurden, bei denen aber das Be- 
wusstsein erhalten war. In der Zwischenzeit wurden ebenfalls Schwindel, starkes 
Gahnen, kalter Schweiss und blauliche Nagel bemerkt, das Kind war launisch, reizbar 
und widerspenstig und zeigte hberhaupt in seinem Wesen etwas unmotivirt Abspringendes 
und Ungleiches. Nachdem sich die Kankheit in dieser Weise durch uugefahr 3 Wochen 
liingezogen hatte, schrie der Pat. bei einem Zartlichkeitsakte, wahrend die Mutter ikm 
einen Kuss auf die linke Wange gab und mit der Hand das rechte Ohr beruhrte, 
plotzlich fiber einen starken Schmerz und sagte, es ware ihm etwas im rechten Ohre 
zerrisseu. Einige Zeit darauf horte er das Fahren der Wagen auf dor Strasse, am 
nachsten Tage wurde auch das linke Ohr frei* und nachdem noch mehrmals der 
Katlieter applicirt worden war, konnte Pat. mit beiderseits vollkommen normalem 
Gehor entlassen werden. Die Behandlung war durchweg eino einfach roborirende 
gewesen. In der Folge zeigten sich zwar noch wiederliolt Herzklopfen und Schwindel, 
wobei dann gewohnlich das cine odor das andero Ohr fur einige Stunden ertaubte; 
auch bestand noch melirero Wochen lang eine Empfindlichkoit gegen starko Gerausche, 
im Uebrigeu aber war das Kind munter, bei Appetit und horte gut. — Was die 
Deutung des Kranklieitsfalles botrifft, so glaubt Verf. eine auf liysterischer Basis 
beruhende acute und schnell wieder vortibergeheiide Erkrankung des iimeren Ohres 
annehmen zu mussen. Blau. 


15) Die im Verlauf der Mumps auftretenden Erkrankungen des Ohres 

von D. B. St. John Roosa in New-York. (Zeitschr. fur Ohrenheilk. XII. 4. 
S. 240.) 

10) Ein Pall von partieller Labyrinthaffection nach Mumps von Prof. Dr. 
M oos in Heidelberg. (Berl. klin. Wochenschr. 1884. No. 3.) 

Roosa theilt einige Beobachtungen mit, aus welchen hervorgeht, dass mitunter 
die im Gefolge von Mumps auftretende Schwerhorigkeit ihre Ursafche in entzdndlichen 
Affectionen des Mittelohres hat und dann der Behandlung sehr wohl zuganglicli isi 
Moos berichtet fiber folgenden Fall. Ein 13jahriger Knabe, der schon von 
frfiherher beiderseits eine Sklerose der Paukenhohlenschleimhaut und ausserdem links 
eino Atrophie des Labyrinths hatte, bekam eine doppelseitige Parotitis und zeigte 
gleich im Beginne dieses Leidens eine bedeutende Zunahme seiner Schwer¬ 
horigkeit. Nach 4—5 Tagen hatte sich eine vollkommene und unheilbare Taubheit 


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ausgebildei Die nahere Untersuchung ergab ubrigens, dass bier nicht das ganze 
innere Ohr in gleicber Weise ergriffen war: der Utriculus z. B. war gar nicht afficirt, 
wie daraus hervorging, dass das Ticken der Ubr durch die Kopfknochen gehort wurde; 
femer wurden auf dem gleicben Wege noch die tieferen Stimmgabeltone vemommen, 
dagegen hohe nicht mehr, ein Bewois, dass die in der Nahe des runden Fensters 
befindlichen Nervenfasem der Schnecke durch den Druck des Exudates oder schon in 
Folge von Atrophie ausser Function gesetzt waren, wahrend die Fasern in den hOher 
gelegenen Schneckenwindungen, wenigstens in der Knochenleitung, noch functionirten. 
— Ferner referirt Moos hber eine Beobachtung von Lemoine und L anno is, wo 
bei einem 23 Jahre alten Soldaten SGhon 4 Tage vor dem Auftreten der 
Parotitis sich Ohrensausen und heftige Schmerzen im ganzen Kopfe, besonders aber 
in der Tiefe der Ohren einstellten und zugleich eine bedeutende SchwerhOrigkeit er- 
schien, die im weiteren Yerlaufe bis zur volligen Yernichtung des GehOrs auf beiden 
Seiten zunahm. Schwindel, Taumeln Oder Uebelkeit wurde nicht bemerkt. — Diese 
Falle scheinen darauf hinzuweisen, dass man die bei Mumps vorkommenden Labyrinth- 
leiden nicht, wie es auch Moos friiher gethan, als Metastasen auffassen darf, sondem 
dass sie vielmebr eine lokale Affection des infectiosen Prozesses darstellen. 

Blau. 


Psy chiatrie. 

17) Pachymdningite simulant une paralysie gdndrale; coloration ardoisd© 
du cerveau etc. par Mabille. (Annales mdd.-psych. — Arch, cliniques 
1884. Juillet p. 51.) 

Der Krankheitsfall liefert einen Beitrag, wie schwer oft die klinische Unter- 
schoidung der allgemeinen Paralyse von dem Bild der Pachymeningitis sein kann. 
Die betreffende Kranke — Alter und nahere porsonliche Verhaltnisse sind nicht an- 
gegeben — wurde unter der Diagnose der Paralyse aufgenommen, fiir welclie 
psychische und ausgesprochcne korperlicho Symptome sprachen: Gang war unsicher 
und zitternd, die Sprache behindert, die Zunge zitterte; die Muskelkraft war ab- 
geschwacht, die Yorstellungen verlangsamt, <fazu bestand GrSssenwahn, Pupillen- 
ungleichheit, Gedacbtnissschwache. — Im Verlauf der Krankheit trat voriibergehond 
melancholische Yerstimmung und rechtsseitige Hemiplegie auf; Tod erfolgte maran- 
tisch unter Auftreten von Decubitus am Kreuzbein. Bei der Section fand sich die 
Dura mater rechts aus einer Beihe von dicken alteren Schicliten zusammengesetzt; 
links bestand ein mandelgrosses Hamatoma, welches zwischen zwei j&ngera Pseudo- 
membranen, welche aber bereits organisirt waren, ergossen war; Bhckenmark wurde 
nicht erOffinet. Ferner fand sich die Schieferverfarbung der Himrinde, auf welche 
Baillarger in demselben Hefte der Annalen aufmerksam macht. Im Uebrigen 
keinerlei Zeichen von paralytischer Erkrankung des Hirns. Jehn. 


18) Ddmence simple d’origine syphilitique probable par Bigot. (Annales mdd.- 
psych. — Arch, cliniques. 1884. Juillet p. 59.) 

Der Krankheitsfall betrifft einen 37jahrigen Mann, welcher vor einigen Jahren 
an einer syphilitischen Affection gelitten hatte. Das psychische Leiden zeigte sich 
als einfache Demenz, ohne jede Andeutung paralytischer Erkrankung. Erst nach 
einem Jahre trat rasche doppelseitige Oculomotoriuslahmung auf, die den Gedanken 
an einen syphilitischen Tumor nahe legte, jedoch voruberging. — Tod durch Marasmus 
und ofine Zeichen allgemoiner paralytischer Erkrankung. 

Die Section ergab keinen Tumor, sondem nur basale Leptomeningitis; keine 
Adharenz der Hirnrinde an den weichen Hauten. 


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Verf. halt an der syphilitischen Grundlage des Leidens fest, trotzdem auch die 
mikroskopische Untersuchung keine spezifische Gewebserkrankung im Gehirn feststellen 
konnte. J e h n. 


19) Note but un cas de Mdlancolie anxieuse par le Dr. J. Seglas. (Arch, de 
Neurol. 1884. Nr. 22.) 

Eine 38jahrige Frau, erblich belastet, erkrankte an Melancholie, welche nach 
einigen Monaten in Heilung hberging, nach 10 Jahren wird sie wiederum zu jeder 
Arbeit unlustig und geht mit dem Gedanken urn, sich und ihr Kind zu todteu, nm 
sich vor dem Elende des Lebens zu retten. Auf Grand von Hallucinationen ent- 
wickelt sich ein Wahnsystem, von dessen Realitat Pat. vollkommen dberzeugt ist, es 
pradominiren Yerdammniss-, Unsterblichkeits- und hypochondrische Ideen. Es besteht 
eine unregelmassig vertheilte Anasthesie, von der besonders die linke Seite bevorzugt 
ist, zugleich ist hier der Tastsinn alterirt; andrerseits finden sich wieder an gewissen 
Partieen des Korpers auffallende Hyperasthesien und vasomotorische Storangen. 

Man kann bei der Diagnose nur schwanken zwischen chronischem Delirium und 
Melancholie mit Angstzustanden; verschiedene im Original naher nachzulesende diffe- 
rential-diagnostische Momente bestimmen den Yerf. dazu, diesen Fall, sowie die von 
Cotard mit dem Namen des ddlire des negations (Arch, de Neurol. Sept 1882) 
bezeichneten, unter die Melancholie mit Angstzustanden zu rubriciren. Joseph. 


20) Jumping, Latah, Myriachit per G. Gilles de la Tourette. (Arch, de Neurol. 

1884. Nr. 22.) 

Drei Synonyma fur eine Erscheinung, die dadurch charakterisirt ist, dass bei 
sonst ganz gesund erscheinenden Individuen sich eine ausserordentliche Erregbarkeit 
entwickelt, in Folge deren die Person bei der geringsten Yeranlassung einen Sprung 
thut (jumping), mit lauter Stimme den soeben gegebenen Befehl wiederholt und ihn 
unverzuglich ausffihrt. Was in den Vereinigten Staaten von Beard zuerst als Jum¬ 
ping beschrieben wurde, findet sich bei den Malayen haufig als Latah, in Sibirien 
als Myriachit bezeichnet und ist wohl identisch mit den in Deutschland als Schlaf- 
trunkenheit beschriebenen Erscheinungen. 

Yerf. weiss zu berichten, dass in der nachsten Zeit aus Charcot’s Klinik 
mehrere hierhin gehorige Beobachtungen veroffentlicht werden sollen. Joseph. 


21) Incurability et guerisons tardives en alienation mentale par le Dr. 

E. Marandon de Montyel. (Arch, de Neurol. 1884. Nr. 22.) 

Die Verschiedenheit der Meinungen, welche in der Academie de Medecine zwischen 
Blanche und Buys bei Gelegenheit der Ehescheidungsdebatte zum Ausbruche kam, 
hat die Frage nach dem Werthe der spaten Heilungen und der Prognose der Un- 
heilbarkeit primarer Geisteskrankheiten in den Vordergrund gerfickt. Verf. theilt 
4 Falle primarer Irreseinszustande mit, in denen noch nach 7- bis 12jahngem 
Aufenthalte in der Anstalt dauernde Heilung erfolgte, und kommt darnach zu dem 
Schlusse, dass bei dem heutigen Stande der Wissenschaft weder die Predisposition, 
noch das Krankheitsdelirium, noch die Dauer der Erkrankung dem Arzte gentigende 
Kriterien dafhr bieten, eine Erklarung tiber die Unheilbarkeit dieser Krankheits- 
zustande abzugeben, zumal es sich urn eine Sache von so weittragender Bedeutung 
wie die Ehescheidung handelt. Joseph. 


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22) Insanity and cardiac disease by Dr. Kiernan. (Americ. Joum. of Neurolog. 
and Psychiatr. 1884. May p. 32.) 

Zusammenstellung der neueren Ansichten uber den gegenseitigen Zusammenhang 
zwischen Psycbosen und Herzfehlem. Als allgemeines Resultat lasst sicb angeben, 
dass Herzfehler, die zu Psychosen hinzutreten, haufig eine melancholische Verstim- 
mung hervorrufen und sich in gelegentlichen Angstanfallen Luft macben. Verf. theilt 
noch einen selbst beobachteten Fall mit, in welchem nach einem Gelenkrheumatismus, 
als dio Temperatur schon bis auf 37.2 gcsunken war, pldtzlich Symptome von Endo¬ 
carditis und gleichzeitig ein angstliches Delirium mit Yergiftungs- und anderen Ver- 
folgungswahnvorstellungen ausbrachen; Patient war freilich Potator und die Auffassung 
des Deliriums als Abstinenzerscheinung durfte dahor nicht ganz unberechtigt sein. 

Sommer. 


23) Communicated insanity by Dr. Montgomery. (American Joum. of Neuro¬ 
logy and Psychiatry, 1884. Mai p. 17.) 

Ycrf. giebt ein Referat uber die neueren Arbeiten, welche die sogen. „Folie h 
deux“ oder das inducirte Irresein behandeln. Er beschreibt alsdann einige Falle, die 
er selbst zu beobachten Gelegenheit gehabt hat. Immer hatten die beiden Individuen, 
die gleichzeitig Gegenstand der psychiatrisclien Untersuchung geworden waren, lange 
Zeit unter denselbon Verhaltnissen und in engem gegenseitigen Verkehr gelebt, und 
• immer war der „active Theil“, der seine eigenen Wahnvorstellungen auf den „pas- 
siven Tlieil“ ubertragen hatte, von jeher dem Letzteren gegenuber beherrschend 
aufgetreten, wahrend bei diesem immer eine bedeutende geistige Schwache und Ge- 
fftgigkeit zu erkennen gewesen war. Die Macht der gewohnten „Domination“ auf der 
einen und die der „Imitation“ auf der anderen Seite sei daher immer eine Vorbe- 
dingung ftir die Entstelmng der Folie a deux. Bemerkenswerth sei noch, dass in 
einigen Fallen der Schwachsinn dos passiven Patienten ein erst kurzlich erworbener 
gewesen sei, sich z. B. erst in Folge von Paralysis progressiva entwickelt habe. 

Zum Schluss erwahnt Verf. noch die Mogliclikeit, dass die Motive zu manchen 
Verbrechen und besonders zu politischen oder religiosen Complotten auf inducirten 
Wahnvorstellungen beruhen konnten, die von einem geisteskranken Schwarmer auf 
wenig widerstandsfahige Schwachsinnige ftbertragen worden waren. Sommer. 


24) Observations on Cannabis indica and syphilis as causes of mental 
alienation in Turkey, Asia minor and Marocco by John H. Davidson. 
(Joum. of ment. science. 1883. Jan.) 

Yerf. giebt in diesem Aufsatze, dem andere folgen sollen, hauptsachlich eine 
Besehreibung der Gewinnung und Gebrauchsweise des Haschisch. Es sei daraus 
hervorgehoben, dass mit Haschisch nur in Syrien und Egypten das Hanfpraparat 
bezeichnet wird. In der Turkei heisst dasselbe Esvar, wahrend man mit Haschisch 
dort den Papaver somniferum bezeichnete. In Marocco heisst Haschisch „Rif(-Ruhe)“. 
Meist wird es mit Tabak vermischt geraucht, femer auch als susse Pasta (Madjun) 
gegessen, oder urn den rapidesten Effect zu erzielen pulverisirt in Wasser getrunken. 
Das beste Haschisch bestelit aus den pulverisirten Bliittern der wohlgepflegten Cannabis 
indica, eine weit gerlngere Sorte wird aus den Rippcn und Stengeln gewonnen. Das 
beliebteste „Esvar u in der Turkei wird in Syrupform unter Zusatz von aromatischen 
und besonders geschlechtlich erregenden Substanzen genommen, letztere besonders, urn 
den Traumen einen erotischen Charakter zu geben. Smidt. 


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Therapie. 

25) The rational treatment of chorea by Dr. J. van Bibber. (American Joum. 
of Neurology and Psychiatry. 1884. May p. 41 ff.) 

Auf Grund von 86 Fallen von Chorea in jeder Intensitat, die er in den letzten 
Jahren erfolgreich behandelt hat, empfiehlt Verf. sehr lebhaft Isolirimg, dauemde 
Bettlago und regelmassige passive Gymnastik. Er lasst den Patienten in einem 
ruhigen matterleuchteten Einzelzimmer im Bett liegen; ein Warter ist stets in der 
Nahe, um jede convulsive Bewegung durch Massage der betreffenden Extremitaten 
zu beschwichtigen und ausserdem hat er dreimal am Tage den Patienten mit passiver 
Gymnastik zu behandeln. Immer wird hierdurGh der Appetit gehoben und moistens 
auch Schlaf erzeugt; gelegentlich darf indess ein Hypnoticum gegeben werden, wenn 
sonst keine Nachtruhe zu erzielen ist. Die verminderte Intensitat der choreatischen 
Bewegungen soil schon nach den ersten Tagen dieser Behandlung sehr auffallig sein, 
und die gewdhnliche Dauer der Krankheit soil ausserordentlich abgekfirzt werden. 

_ Sommer. 


26) On escapes, liberty, happiness and „unlocked doors" as they affect 
patients in asylums by J. A. Campbell. (Joum. of men! science. 1884. Juli.) 
Eine zum Theil scharfe Polemik gegen das sog. Opendoor-System, die in den be- 
rechtigten Schluss auslauft, dass die Thatsachen, sowie die Erfolge noch nicht soweit 
klargelegt sind, um dieses System mit Recht als Fortschritt zu bezeichnen. 

_ A. Pick. 


27) The curability of locomotor ataxia and the simulations of posterior spinal 
sclerosis by C. H. Hughes. (The Alienist and Neurologirt. 1884. p. 520.) 

Verf. bestatigt den verderblichen Einfluss, den frfihere Lues auf die Entstehong 
von Sklorosen im Him und Rilckenmark ausflbt, und halt die luetische Tabes fiir 
wesentlich gflnstiger als die idiopathische oder die hereditare Form derselben. 

Was nun die Heilbarkeit der Tabes betrifft, so erinnert er mit Recht an die 
Schwierigkeit der Diagnose: es sind ja einzelne Falle bekannt geworden, in denen 
intra vitam zweifellose Symptome, die auf graue Degeneration der Hinterstrange 
bezogen werden, bestanden batten und in denen die Section doch keinen Aufschluss 
gab. Aus seiner gewohnlichen Erfahrung theilt Verf. nun mit, dass er mehrere Falle 
mit volligem Verlust des Kniephaenomens, mit charakteristisch atactischem Gange, 
mit Blitzschmerzen, Anaestliesie der Unterextremitaten und mit Paraesthesien der 
Fusssohlen, sowie mit dem cliarakteristischen Schwanken bei geschlossenen Augen, hat 
heilen sehen. Andererseits hat er in keinem Falle in dem neben den gewohnlichen 
Tabessymptomen Bulbarerscheinungen, bes. halbseitige Zungenatrophie, Oder laryngo- 
pharyngeale oder gastrisclie Krisen oder auch nur Pupillarsymptome vorhanden waren, 
eine Heilung, nur sehr selten eine Remission beobachtet. Sommer. 


28) An Inquiry into the value to be attached to the different recovery rates 
of different asylums as tests of efficiency by T. A. Chapman. (Joum. 
of ment. science. 1884. Juli.) 

Ch. untersucht die verschiedenen Ziffera der Heilresultate bezfiglich ihrer Be- 
weiskraft fiir die Wirksamkeit der Anstalten und kommt zu dem Schlusse, dass die 
rohen °/o Zahlcn keine Beweiskraft nach dieser Richtung haben, dass die Wahr- 
scheinlichkeit gegen die grossere Wirksamkeit grosser Anstalten spricht, und dass, 
wenn keine absolute Gleichformigkeit der Resultato mit Rfcksicht auf die verschie¬ 
denen Krankenklassen erzielt wird, die Resultate dieser Gleichformigkeit viel naher 
stehen, als die gewohnlichen Heilungsprocente annehmen lassen. A. Pick. 


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Forensische Psychiatrie. 

29) Zwei F&lle von vielj&hriger Verkennung geistiger Krankheit (Verfol- 
gungsquerulantenirrsinn) bei Str&flingen. Von v. Krafft-Ebing. 
(Jahrb. f. Psych. V. S. 242.) 

Zwei interessante, ausftihrlich mitgetbeilte Falle, bezfiglich welcher, da die zur 
Beurtheilung derselben wichtigen Details einem kurzen Referate nicht zuganglich sind, 
auf das Original verwiesen werden muss. A. Pick. 


30) Gerichts&rztliches Gutaohten; Origin&rer Sohwachsinn, Betrug, Unzu- 
rechnungsf&higkeit. Yon J. Fritsch. (Jahrb. f. Psych. Y. S. 264.) 

Sehr interessanter Fall von auf abnormer Schadel- und Gehimbildung basirtem 
Schwachsinn, der in ausfdhrlicher Weise dargelegt wird. (Ref. der mit dem Falle 
gleichfalls amtlich befasst ist, kann noch hinzufiigen, dass auch die Mutter des 
Kranken entschieden psychisch abnorm ist.) A. Pick. 


31) Ddlire d’obsession par les Drs. Lentz et Schrevens de Tournai, Belgique. 

(Bullotin de la socidtd de med. mentale de Belgique. 1884. II.) 

Ein 73jahriger, geachteter Mann, der seit langerer Zeit in Aufregung versetzt 
war durch gerichtliche Streitigkeiten mit Nachbarn, schrieb einem derselben eines 
Tages einen anonymen Drohbrief, in welchem gewissen Personen der Tod geschworen 
wurde, und in welchem ausserdem der Schreiber sich als Anstifter eines vor Jahren 
stattgehabten Braudes bekannte. 

Der Schreiber wurde leicht ermittelt, denn er hatte weder seine Handschrift 
verstellt, noch unterlassen, seine gewohnliche blasse Tinte zu gebrauchen; er hatte 
auf einem Blatt Papier geschrieben, welches aus einem mit numerirten Seiten ver- 
sehenen Buche herausgorissen war, das er ruhig auf seiuem Tische liegen liess; er 
hatte ferner den aus Lille datirten Brief in Tournai, wo er verkehrte, selbst auf die 
Post gegeben etc., kurz er hatte auch die allergewOhnlicliste Vorsicht ausser Aclit 
gelassen. 

Er wurde vor Gericht gestellt. Die Verff. als Sacbverstandige erklarten ihn 
fur unzurechnungsfahig, und zwar aus folgenden Grfinden: 

Die Umstande der That an sich waren, wie oben angedoutet, hOchst auffallige. 

Dazu ermittelten die Verff. aus dem Vorleben des Exploranden, dass er in der 
ersten Zeit seiner Ehe viel an heftigen Kopfschmerzen und an einem melancholischen 
Zustande, spater haufig an Nasenbluten und Schwindelanfallen gelitten hat. Stets 
grosse Erregbarkeit und pl6tzliche Zomausbrfiche. Tags sowohl wie Nachts springt 
Expl. bisweilen auf und gesticulirt wie sinnlos in der Luft berum. Er giebt an, 
dass ihm oft ein Schwall von Gedanken — wie ein Wind — durch den Kopf ginge, 
ganz ohne sein Zuthun, und ohne dass er es hindem kann. 

In der Zeit vor dem Schreiben des Drohbriefes war Expl. unruhig und erregt, 
Tag und Nacht mit den Gegenstanden seiner gerichtlichen Streitigkeiten beschaftigt; 
er sclilief schlecht, hatte keinen Appetit, kam kQrperlich herunter, ausserte Lebens- 
tlberdruss, war auffallend eifrig im Abhalten religiOser Andachten u. dgl., beschaftigte 
sich aber gleichzeitig viel mit Glaubenszweifeln und theologischen Grffbeleien. Den 
Brief, giebt er an, habe er schreiben milssen, es habe ihn ein zwingender Drang 
dazu getrieben. 

Hierzu kommt nun eine schwere erbliche Anlage: bei dem Vater bestand De¬ 
mentia senilis; ein Bruder geistesschwach; ein anderer an einer Gehimkrankheit 
gestorben; eine Sch wester hochgradig hysterisch. Ein Sohn des Expl. ist geistes- 


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krank in einer Ansialt; ein anderer Sohn und eine Tochter sind neuropathisch, von 
bizarrem Charakter. 

Aus alien diesen Momeuten — zu denen erschwerend noch die durcli das 
holie Alter bedingte relative geistige Schwache kommt — entwickeln die Yerff. in 
eingebender Weise das Besteben eines patbologischen Geisteszustandes zur Zeit der 
That; und zwar diagnosticiren sie, in engem Anschluss an Maschka’s Handbucb 
der gericbtlicben Medicin, eine bereditare intellectuelle und moraliscbe Degeneration, 
ausgezeichnet durch Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen. Hadlich. 


m. Aus den Gesellschaften. 

Society de Biologie, Paris. Sitzung den 3. Mai 1884. 

F. Franck bat durch Experimente gefunden, dass das irido-dilatatorische Cen¬ 
trum und das acceleratorische Herzcentrum im Bulbus, sowie im unteren Hals- und 
oberen Dorsaltbeile des Rfickenmarks raumlich zusammenfallen; das obere Halsmark 
hat mit beiden Centres nicbts zu tbun. F. glaubt diesen Fund fur die Erklarung 
des Morbus Basedowii verwertben zu konnen. 

Sitzung den 24. Mai. 

Quinquaud bat die Beschftffenheit des Blutes nach Ruckenmarks- 
durehsehneidung studirt, anknfipfend an Cl. Bernard's Entdeckung, dass das 
Blut der Venen eines Muskels, dessen Nerv durcbschnitten worden ist, arterielle 
Bescbaffenheit bekommt. Q. fand, dass das Yenenblut der Extremitaten (der Mus- 
culatur) arteriell wird, dagegen das Lebervenenblut auffallend reicb an Kohlensaure. 

In Folge dieser zwiefachen Wirkung ist das Blut des recbten Ventrikels bald 
artorieller als gew6hnlicli, bald ungewObnlicli reicb an Koblensaure. 

Blot bat nach Versuchen an sicb selbst (er excitirte seine Ilaut an ver- 
scliiedenen, vom Centrum verscbieden entfernton, Stellen und signalisirte den Eintritt 
der Empfindung immer in derselben Weise mit der Hand) die Leitungsgeschwindig- 
keit in den sensiblen Merven auf 141 m in der Secundo bestimmt. 

Laborde und Dastre aussern Bedenken in Betreff der Exactbeit der Metbode. 

Sitzung den 7. Juni. 

Vignal bebauptet auf Grand seiner Studien uber die Entwickelung der grauen 
Substanz des Rfickenmarks, 1) dass er im Bereicb der grauen Substanz und ihrer 
Nachbarschaft niemals Zeicben von Zellentheilung geseben babe, dass demnach die 
Zellen der grauen Substanz auf andere Weise sich reproduciren mfissten; 2) dass, 
entgegen Boll's Meinung, welcber 2 Arten von Bildungszellen, je fftr die nervosen 
und ffir die Neuroglia-Bestandtheile annimmt, nur eine Art Bildungszellen existirt; 
erst spater differenziren sie sicb. 

Laborde bat an dem Kfirper eines Hingerichteten (Campi) experimentirt und 
censtatirt, dass l l / 2 Stunden nach der Entbauptung weder der peripbere Tbeil des 
Rfickenmarks, nocb der Bulbus nocb erregbar war; Contractionen der Gallenblase 
(Faltungen) konnten nocb ausgelOst werden, aber am Ductus cbobdochus waren sie 
zweifelbaft: allerdings reagirten zu derselben Zeit auch die glatten Muskeln des 
Darms nur nocb sebr schlecht. Hadlich. 


Medico-chirurgical Society zu Glasgow. Sitzung vom 15. Febr. 1884. 

Dr. Mace wen stellte einen Knaben vor, der in Folge von Caries eines Wirbel- 
kfirpers seit langer Zeit an motoriscber Paraplegia, seit etwa 9 Monaten aucb an 


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rapid sich entwickelt habender Anasthesie und Sphincterenparalyse gelitten hatte. 
Die Muskeln der unteren Extremitaten waren dabei so rigid, dass wenn sie passiv 
bewegt worden waren, nachher mit einem Ruck in ihre frtihere Lage zuruckkehrten. 
Die Sebnenreflexe waren etwas gesteigert; Patient selbst war in hobem Grade elend. 
Da die Symptome immer ungunstiger gewordeu waren, batte sicb der Vortragende zu 
einem operativen Eingriff entscblossen, um die Entzftndungsproducte, die das Riicken- 
mark comprimiren sollten, zu entfernen. Zu diesem Behufe batte er auf der Hobe 
des Gibbus, der etwa vom 4. bis zum 8. Dorsalwirbel reicbte, eine Trepankrone auf- 
gesetzt und durch Entfernung der betreffenden Knochenstucke dem Rflckenmark 
Gelegenbeit gegeben, nach binten dem Von den WirbelkSrpera her stammenden Drucke 
auszuweichen. Die Heilung gelang und aucb das Resultat der Operation, das von 
Augenzeugen bestatigt werden konnte, war ausserordentlich. Bei der Demonstration 
des Knaben war von der motorischen und sensiblen Lahmung nicbts mebr zu con- 
statiren; er ging frei und obne jede Schwierigkeit, und hatte sicb kOrperlicb vollig 
erbolt. 

In der lebhaften Discussion wurde hervorgeboben, dass zwar spontane Heilungen 
abnlicher Falle nicbt allzu selten vorkamen, dass aber unter verzweifelten Verhalt- 
nissen mit Rticksicbt auf diese geglbckte Operation ein analoger Eingriff versucbt 
werden dfirfte. Sommer. 


Society mddic. des hOpitaux, Paris. Sitzung des 9. Mai 1884. 

Joffroy spricht „Du role de la eompression dans la production de la 
paralysie radiale“ und tritt fur die Ansicht von Pan as ein, welcber in der Aetio- 
logie der Radialis- Lahmung die vulgare „Erkaltung“ resp. den „Rheumatismu8“ be- 
seitigen und die Compression an deren Stelle setzen will, wie sie besonders beim 
Scblafen auf dem rechten Arm zu Stande kommt. J. glaubt die Ricbtigkeit der 
Panas’schen Ansicht selbst an einigen bei Ducbenne (de Boulogne) und bei 
Duchemin als Erkaltungslahmungen mitgetheilten Fallen nacbweisen zu konnen, 
weil dort angefuhrt wird, dass die betreffenden Personen unmittelbar vor Eintritt der 
Lahmung gescblafen hatten. Die Gleichmassigkeit der Symptome, der befallenen 
Muskeln, weise auf einen Druck an einer bestimmten Stelle des Nerven, — am un¬ 
teren Theile des Oberarms — bin. — J. fubrt sodann einen von ihm beobachteten 
Fall an, in welcbem ein Mann, der eine schwere Last auf dem Rficken trug und 
dabei unter Kreuzung der Arme mit den Fingern seine Oberarme umspannt hielt, 
eine linksseitige Radialis-Labmung (nach J. durch den Druck der rechten Hand) sicb 
zugezogen batte. 

Dies sei aucb wabrscbeinlicb der Mccbanisraus, durch welcben es gleicbzeitig, 
wenn aucb nur in seltenen Fallen, zu einer Lahmung des M. triceps bracbii kommt. 

In der Discussion acceptirt zwar Fereol die Auseinandersetzungen Joffroy’s, 
will sie aber nicbt ganz verallgemeinern, denn er kann sicb personlich einer Be- 
obachtung erinnern, wo sicher kein Druck, nur Kalte-Einwirkung vorlag. 

Ebenso aussert sicb Gallard, der ausserdem auf die so baufige rbeumatische 
Facialis - Lahmung hinweisi — Gerade letztere will aber J. nicbt als Gegenbeweis 
gelten lassen, denn grade bei dieser sei ein Druck auf den Facialis innerbalb des 
knochemen Kanals, durch rbeumatische oder entzbndlicbe Anschwellung, annehmbar. 
— Bucquoy und Cuffer fbbren Falle an, in welcben kein Druck, nur Erkaltung 
nacbzuweisen war. 

Sitzung den 27. Juni 1884. 

Du Castel hat 3 zur Section gekommeno Falle von circumscripter „Tuber- 
culose des Lobus paracentralis" beobaclitet. In 2 derselben ging kurze Zeit 


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vor dem Tode an Lungenscbwindsucht eine progressive Lahmung des rechten Beines 
vortier. Im dritten Falle trat plotzlich ein heftiger Schmerz im rechten Fosse auf, 
der nach 10 Minuten verschwand, aber nach 3 Tagen wieder erschien und non an- 
hielt und von Muskelzuckungen gefolgt war, die nach und nach das ganze Bein 
ergriffen. Tod am 40. Tage. Hadlich. 


IV. Bibliographie. 

Experimentelle Untersuchungen fiber die Bedingungen der Th&tigkeit des 
Gehirns und iiber die Physiologie der Nerven von Prof. Beaunis in 
Nancy (Paris 1884). 

Vorliegendes Werk umfasst 3 Abhandlungen, welche, so verschieden sie auch anf 
den ersten Blick erscheinen mSgen, sich nahe beruhren und die Physiologie des 
Gehirns betreffen. Die ersten beiden Untersuchungen, welche 1882 und 1883 in der 
Revue m&licale de 1’Est bereits mitgetheilt sind, betreffen 1) den Einfluss der Gehirn- 
thatigkeit auf die Urinsecretion und besonders auf die Ausscheidung der Phosphor- 
siiure; 2) die Zeit der Reaction der Geruchsempfindungen. Der dritte Theil enthalt 
Untersuchungen fiber die Formen der Muskelcontraction und fiber die Hemmungs- 
erscheinungen. Mfissen wir es uns auch versagen, auf die nfiheren Details weiter 
einzugehen, da in diesem kurzen Rahmen der Besprechung es doch nicht moglich 
ware, alle Resultate genauer zu pracisiren, so ist doch immerhin erwiihnenswerth, 
dass Verf. einen Theil der in der ersten Abhandlung mitgetheilten Versuche an sich 
solbst ausgeffihrt hat. Dem Werke selbst sind 19 Curven-Tafeln beigeffigt. 

B. Baginsky. 


Zur progressiven Muskelatrophie. 

Mit Bezug auf meine Reclamation in Nr. 16. S. 375 d. Bl. habe ich liachzu* 
tragen, dass, wie der jetzt erschienene Originalbericht zeigt, Herm Schultze’s 
Kritik sich auf meinen in WestphaPs Archiv veroffentlichten Fall von progressiver 
Muskelatrophie bezieht; der andere in der Prager Med. Wochenschr. 1877, Nr. 37, 
veroffentlichte Befund war ihm offenbar entgangen. A. Pick. 


V. Vermischtes. 

Turgenjeff’s Gehirn. Wahrend bisher gewohnlich angenommen wurde. das grosste 
mit Sicherheit constatirtc Himgewicht sei bei Cuvier’s Section bcobachtct worden. hat sich 
jetzt herausgestellt, dass das Gehirn Turgenjeff’s noch wesentlich schwerer gewesen ist 
Cuvier’s Him, hbrigens mit bydrocepbalen Residuen auch am Schiidel, wog 1861,2 Gramm; 
das des beruhmten Schriftstellers aber nicht weniger als 2120 Gramm. Sommer. 


Fiirsorgc ftir entlassene Irre. Mit der Irrenanstalt zu Mailand ist seit. 8 Jahren 
ein Verein verbnnden, der die pecuniare Unteratiitzung frtiherer Insassen der Anstalt im 
Auge hat, und wie alle ahnlichen Einrichtungen von grossera Segen fur die reconvalescenten 
Armen ist. Der Mailander Verein besitzt bereits ein Kapital von 137562 Francs und verfSgt 
dabcr iiber bedcutende Mittel. Im letztcn Jahre wurde er indess nur um 2580 Francs be* 
ansprucht. — Leider giebt es auch in Deutschland noch zahlreiche Anstalten, die eines 
derartigen Fonds ganzlich entbehren. Sommer. 

Um Einsendung von Separatabdrucken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen ftir die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 

Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzgbr & Wittig in I^eipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologic, Pathologic 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Dritter ra Bwltn - Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen dnrch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlnng. 


1884. 1. October. Ni 19. 


I n h a 1t. I. Originalmittheilungen. Zur gynaekologischen Behandlnng der Hysteric von 
Flechsig. 

II. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Ueber elektrische Geruchsempfindung 
von Aronsohn. 2. Ny automatisk strombrytare for variabel rytm af Blix. 3. On the sen¬ 
sorial localisations in the cortex cerebri by Luciani. — Pathologische Anatomie. 4. Sur 
le craue remarquable d'une idiote de 21 ans par Albrecht. 5. De la coloration ardoisee dn 
cerveau dans la paralysie generate et dc ses rapports avec les eschares dn sacrum par 
Baillarger. 6 . Zur pathol. Histologie der Hirnrinde der Irren von Liebman. — Pathologic 
des Nervensystems. 7. Case of occipital encephalocele in which a correct diagnosis was 
obtained by means of the induced current by Horsley. 8 . Notes on a case of pure apoplectic 
balbar paralysis by Mann. 9. Ueber Rftckenmarksblutung nach Nervendehnung nebst einem 
Beitrag zur pathologischen Anatomie der Tabes dorsalis von RumpY. 10. A case of spinal 
hemianacsthesia and hemiparaplegia after fracture of dorsal vertebra by Taylor. 11. Para¬ 
plegic douloureuse aigug par Dumolard. 12. Contribution a l'dtude des troubles intestinaux 
dans Tataxie locomotrice progressive par Roger. 13. Hemichoree pleurdtique par Weill. 
14. Bijdrage tot de Kennis van het beven door Talma. 15. Herpes zoster bilateralis af Stabell. 
16. On alcoholic paralysis by DreschVeld. — Psychiatric. 17. Jets over hallucinate door 
Wijsman. 18. Des difficulty, que presente le diagnostic de la paralysie gendrale par Christian. 

III. Aus den Gesellschaften. 

IV. Vermischtes. 


I. Originalmittheilungen. 

Zur gynaekologischen Behandlung der Hysterie. 

(Aus der Umvereitats-Irrenklinik zu Leipzig.) 

Von Professor Paul Flechsig. 

1) Hysteria magna mit intensiven psychischen Storungen. — Castration. 1 — 
Vollstandige Heilung. 

1 Sammtliche in der Folge erwahnte Operationen sind von Heim Privatdocent Dr. 
M. Sanger hier in Vorschlag gebracht und ausgefuhrt worden, dem somit der wesent- 
lichste Antheil an den erzielten Resultaten zukommt. 


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434 — 


2) Psychose mit hysterischen Zugen. — Fibroma uteri. — Amputatio uteri 
supravaginalis. — Guter Erfolg. 

8) Hystero-Epilepsie. — Stenose des Orificium externum uteri. — Blutige 
Dilatation. — Heilung. 

Ad 1) Hysteria magna. — Castration. 

A. L. 32 Jahre alt, unverheirathet, 1st hereditar belastet, da Vater und Mutter 
an Gehimleiden starben (Apoplexia cerebri — Dementia paralytica?). Im 19. Jahre 
Ausbleiben der Menses auf die Dauer von etwa einem Jahr; dabei sehr reizbares, 
aufgeregtes Wesen; in der Folge die Menstruation meist unregelmassig, stets 
Neigung zu Obstipation vorhanden. Im 24. Jalire „Brustkrampfe“, welche einige 
Monate wahren. Vom 28. Jahre an, wo die Mutter stirbt, fast ununterbrochen 
nervose Beschwerden und psychische Anomalien: Zuerst starker anhaltender Depressions- 
zustand, vieles Sprechen im Schlafe — gleichzeitig Ortliche Beschwerden (besonders 
Schmerzen) seitens der inneren Sexualorgane, weshalb sie jetzt ofter arztliche Hulfe 
sucht. Sie fasst hierbei eine Neigung zu dem sie behandelnden jungen Arzto, die indess 
ohne emstliche Erwiderung bleibt; in der Folge wird sie in auffalliger Weise zartlieh 
gegen ihre mannlichen Anverwandten, ohne jedoch die Grenzen des Anstandes zu 
tiberschreiten. Etwa im 29. Lebensjahre treten grosse hysterische Krampfanfalle 
auf (s. u.), welclie mit kurzen Unterbrechungen bis zu ihrer Aufnahme in die Klinik 
wiederkehren. Sie wird deshalb in einer von Diaconissinnen geleiteten Kranken- 
anstalt untergebracht, ohne dort irgend welche Besserung zu finden. Sie kehrt dar- 
nach (8 Monate vor Aufnahme in die Klinik) zu ihren Verwandten zurtlck und con- 
sultirt hier wieder mehrere zum Theil liervorragende Gynaekologen, indess ohne Erfolg. 
Einer der letzteren constatirt ein betrachtliches fluctuirendes parametritisches Exsu- 
dat (Seito niclit angegeben). Haufiger und haufiger treten jetzt neben den all- 
gemeinen auch localisirte Krampfe auf, insbesondere Trismus, Singultus, Globus, 
ferner Lach- und Weinkrampfe, Erbrechen, Tympanites, Rctentio urinae mit 
sclimerzhaftem Hamdrang, hochgradige Schmerzen in der Unterbauchgegend, besonders 
zur Zeit der Menstruation sich zu unertraglichor H6he steigemd, Kopfsclimerzen, ab 
und zu Hemianasthesie links (so dass sie einmal glaubt, Arm und Bein verloron zu 
haben), desgleichen Geftihl von Schwere mit „lahmungsartiger Schwache" in den 
linksseitigen Extremitaton Aphasie, einmal Blutungen aus Nase und Ohren. In 
den letzten Jahren vor dem Eintritt in die Klinik nehmen die psychischen Ano¬ 
malien an Intensitat, Mannigfaltigkeit und Dauer zu. Sie verdiichtigt die mann¬ 
lichen Personen ihrer Umgebung (Aerzte, Verwandte etc.), unziichtige Handlungen mit 
ihr vorgenommen, bezw. solche versucht zu haben, aussert auch andere Yerfolgungs- 
ideen; ist meist deprimirt, hat Angstzustande, will sterben, will sich das Leben 
nehmen, macht auch einen Versuch, aber ohne Energie; spater gesellen sich hierzu 
religiose Ideen, sie spricht viel von Jesus, der sie von ihrer Krankheit heilen wird. 
Zeitweiso ist sie heftig aufgoregt, schreit und singt laut, so dass die Haus- 
bewohner ihre Entfernung fordern. Diese Aufregungszustande beruhen zum Theil 
auf Hallucinationen: Sie sieht wilde Thiere um sich, Menschen mit Messem auf 
sich loskommen, hurt Wasser rauschen, spricht auch von einem ,L5wen‘, der vor 
ihrer Thur liege und sie schutze; das Bewusstsein erscheint hierbei wesentlich be- 
eintrachtigt. Zuweilen begeht sie sinnlose Handlungen, schneidet sich z. B. die 
Haare ab und freut sich dann „ihrer Sehwester das Opfer gebracht zu haben, das 
sie habe bringcn raQssen" Die geistige Energie und die Fahigkeit zu nutzlicher 
Beschaftigung nehmen mehr und mehr ab. Sie arbeitet schliesslich fiberhaupt nichts 
mehr (einmal verliisst sie in aller Fruhe das Bett, betheiligt sich energisch an alien 
hauslichen Arbeiten, auf Grund einer Hallucination, bezw. eines Traumbildes; sie will 
eine weisse Gestalt auf ihrem Bett haben sitzen sehen, welche ihr zurief, sie sei jetzt 
gesund — allcin die Arbeitslust halt nur wenige Stunden an). Das Gedachtniss 


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der Kranken wird schwacher, insbesondere das fur die Jungstvergangenheit, sie er- 
schemt urtheilsschwach, der Inhalt ibrer Reden ist meist ein geist- und sinnloses Ge- 
fasel. Wegen Zunabme der intercurrenten Erregungszustande mit Scbreien, Singen etc. 
wird sie am 3. April 1883 der Irrenklinik zugefubrt. 

Status praesens: Mittelgrosse Person von mittlerem Emahrungszustand. 
Abgeseben von den Sexualorganen (s. u.) sind sammtlicbe innere Organe gesund 
bis auf die Lungen, welcbe erweitert erscbeinen (links das Herz bedeckend, recbts 
bis zum 7. Intercostalraum reicbend). Linke Untcrbauchgegend gegen Druck bocb- 
gradig empfindlicb, Percussionsscball fiber dem ganzon massig aufgetriobenen Unter- 
leib tympanitisch. — Der linke Mundwinkel stebt tiefer als der recbte, linke Backe 
scblaffer als recbte; Zunge deviirt nacb links; linke Scbulter bangt etwas tiefer, der 
linke Arm etwas paretiscb. Beide Fusse beim Liegen in Plantarflexion obne Con- 
tracturen. Sehnenreflexe an den unteren Extremitaten bocbgradig gesteigert; bei 
leichtem Klopfen auf eine Patellarsobne entstebt lebbaftes stossweisses Zittern in 
beiden unteren Extremitaten, bei starkerem Klopfen treten aucb Zuckungen in den 
Armen und allgemeiner Tremor auf. Hautsensibilitat obne auffallige Storungen; nur 
die Scbmerzempfindlicbkeit ist links etwas grosser als recbts. Im Augenbintergrund 
rechts Staphyloma posticum von dor Grosse dreier Papillen, sonst normale Verhalt- 
nisse. — Psycbiscb tritt nur ein leicbter Grad von Schwacbsinn borvor, indem Pat. 
beim Gesprach leicht abscbweift und allorband nebensachlicbe Dinge mit kindiscbem 
Lacbeln in langsamer scbwerfalliger Spracbe erzahlt. 

Am folgenden Tage spricbt sie viel von sexuellen Attentaten, die auf sie gemaclit 
worden sein sollen; von Christus, der sie von ibrer Krankheit erlOsen wird u. dgl. — 
Am 3. Tage gegen Abend An fall von 3 / 4 Stunde Dauer. Sie stftrzt plOtzlicb izu 
Boden, beide Arme sind wagerecbt ausgestreckt (Crucifixstellung) und lassen sicb selbst 
mit Anwendung grosser Gewalt nicbt beugen, Trismus, Augen geOffnet und scbeinbar 
die umstehenden Personen fixirend, Conjunctival- und Irisreflexo erbalten. Darnacb 
werden beide Arme in pronirter Stellung mit gegeneinandergekehrten Handrucken 
horizontal nacb vom gestreckt, der Kopf wird nacb hinten gezogen und langere Zeit 
in dieser Lage festgehalten. Wahrend einer balben Stunde wecbseln die tetanischen 
Contractionen der Kau-, Nacken- und Extremitaten-Muskeln mit Zitterkrampfen in 
denselben Muskelgebieten, welcbe regelmiissig auftreten, sobald eine Patellarsebne 
geklopft wird. Hierbei fallt besonders auf, dass regelmassig bei Klopfen der linken 
Patellarsebne Zuckungen des recbten Pectoralis major eintreten. Puls wahrend des 
ganzen Anfalls nicbt erbeblicb bescbleunigt, meist ca. 84; Respiration ca. 24. Schmerz- 
empfindlicbkeit berabgesetzt, nicbt vollig erloscben. Nacb Aufhoren der Krampfe 
beginnt Pat. in affectirtem Ton und in gebrocbenem Deutscb mit ibrer Umgebung 
zu sprechen. „Ich nichts Boses babe getban, icb Sie kennen, Sie ganz anders aus- 
sehen" u. dergl. mehr. Danach wieder Krampfe nur im Gebiete des Kopfes: starkes 
Verziehen des recbten Mundwinkels nacb aussen, krampfhaftes Oeffnen des Mundes 
mit weit herabhangendem Unterkiefer, welcber stets wieder mit grosser Gewalt in 
diese Lage zuruckschnellt, sobald er passiv gegen den Oberkiefer erboben wird, 
schliesslich beftige toniscbe und kloniscbe Krampfe der Masseteren und nacb einigen 
Minuten Scblaf, welcher die ganze Nacbt bindurcb walirt. Erwachen mit dem Gefdbl 
grosser Erschbpfung und bocbgradigen Kopfschmerzen — angeblich Amnesic far 
die meisten Yorkommnisse wahrend des Anfalles. — Gleicbe, bez. ahnliche Anfalle 
wiederholen sicb in der Folge ofter in kurzeren und langeren Pausen. Die krampf- 
baften Zustande wecbseln hierbei insofern, als mitunter nur die Gesicbts- und Kau- 
muskeln in der oben bescbriebenen Weise sicb betbeiligen. Dazwiscben treten 
wiederbolt Anfalle auf, wobei Pat. sebr blass wird, sebr kleinen beschleunigten Puls 
zeigt, fiber heftige Leibschmerzen klagt und sicb scbreiend bin und her walzt; zu- 
weilen wird sie hierbei ohnmacbtig (niemals aber vor der Operation aspbyktiscb s. u.). 


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In psychischer Hinsicbt bietet die Kranke wahrend des ersten Monats in der 
Klinik einen permanenten an Intensitat wechselnden Depressionszustand dar, weint 
sehr viel, bat Todesahnungen, Angstzustande mit Praecordialdruck und ist dabei meist 
renitent. Anfang Mai schlagt die Stimmung in das Gegentheil um; es tritt zueret 
ein Anfall von Lacbkrampf auf, einige Tage spater ein ausgepragt maniakabscher 
Zustand — mit Wohlbehagen Singen, hochgradigem Bewegungstrieb, Ausgelassenheit, 
Ideenflucht, erotiscbem Wesen, — welcber mit kurzen Remissionen einige Wocben 
anhalt. Von Mitte Mai bis Mitte Juni ist die Stimmung meist indifferent, es treten 
besonders zahlreiche Anfalle voA Leibschmerz mit Ohnmacht (s. o.) auf. Von Mitte 
Juni an tritt moist eine zornige Stimmung hervor; Pat. ist grob, schimpft auf die 
Aerzte, bebauptet von denselben verleumdet, gescbmabt und missbandelt zu werden 
(Hallucinationen?). Stundenweise, insbesondere Nachts, scbreit sie laut; sie ruft ibren 
Geliebten, recitirt Bibel- und Gesangbuchsverse, verlangt zu sterben u. dgl. m. und 
muss desbalb wiederbolt isolirt werden. Dazwiscben taumelt sie tageweise wie be- 
trunken mit stierem Blick und eigentbbmlicb veranderten (groben) Gesicbtszfigen 
umber, ist vollig verwirrt und aussert zusammenbangslose unverstandliche Worte. Yon 
Ende Juni an tritt wieder ein etwas normaleres Verbalten auf; docb spricbt sie nocb 
anbaltend gleicbgbltiges kindiscbes Zeug, so dass sie permanent beiser ist. Dies 
wabrt bis zum Tage der Operation. 

Von sonstigen nervosen StOrungen werden in der Klinik noch beobachtet: Sin¬ 
gultus, Erbrechen, Anfalle von Frostgeffihl mit kftblon blassen Extremitaten, Schmerzen 
im Hinterhaupt, angeblicb Doppeltseben (mit einem und zwar dem linkeu Auge), 
scbmerzhafter Harndrang mit Retentio urinae (oft aucb bei fast leerer Blase), haufige 
Obstipation. 

Die bimanuelle Untersucbung der (virginalen) Sexualorgane lasst einen derben 
narbigen Strang in der Gegend des linken Ligamentum latum erkennen; das linke 
Ovarium erscbeint etwas nacb unten, der Uterus nacb links dislocirt; Uterus und 
Ovarien im Uebrigen obne palpable Besonderheiten. 

Die Menstruation trat wahrend des Aufenthaltes in der Klinik unregelmassig 
auf (am 11.—14. April, 26.—29. Mai, 29. Juni — 4. Juli) und war stets von 
heftigen Leibscbmerzen begleitet. Vor dem Eintritt der Blutung zeigen sicb ge- 
wObnlicb die oben geschilderten hysterischen Anfalle (bald diese, bald jene Form) 
in grtfsserer Haufigkeit; docb sind diese Anfalle ebenso wie die Exacerbationen 
der Leibschmerzen keineswegs an die Menstruation gebunden, sondem treten aucb 
vSllig unabhangig davon bervor. 

Im Hinblick auf die Thatsacke, dass Pat. fruher an einem grossen para- 
metritischen Exsudat behandelt worden war, sowie auf den Palpationsbefund 
wird folgende Diagnose gestellt: Chronische Parametritis mit Ausgang 
in narbige Schrumpfung; secundare Zerrung des linken Ovariums, 
vielleicht auch des Uterus und des rechten Ligamentum latum. (Pat giebt 
selbst wiederholt an, sie fuhle, dass in ihrem Unterleib sich ein querverlaufendes 
Band befinde, welches wie eine Gummischnur gedehnt werde und wieder zu- 
sammenschnurre.) 

Es warf sich im Anschluss hieran zunachst die Frage auf, ob die Erkran- 
kung der Sexualorgane als Ausgangspunkt der nervdsen Anomalien betrachtet 
werden musse. Fur einen Theil der letzteren war dies unzweifelhaft der Fall: 
fur die ortlichen Beschwerden, insbesondere die hochgradigen Schmerzen, die 
Storungen der Harnentleerung u. s. w. Der Beginn zahlreicher Anfalle mit 
schmerzliaften Empfindungen in der Unterbauchgegend, das Auftreten einer 
Hemiparese und Hemianasthesie auf der Seite der gross ten Schmerzhaftigkeit 


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machten es aber zum mindesten wahrscheinlich, dass auch die Hirnsymptome 
wenigstens zum Theil mit dem Unterleibsleiden zusammenhingen. Der Therapic 
fiel hiemach von vomherein eine doppelte Aufgabe zu: Beseitigung der im 
Unterleib gelegenen pathologischen Reizquelle, Herabsetzung der gesteigerten 
Erregbarkeit des centralen bez. des gesammten Nervensystems; letzterer Indi¬ 
cation konnte aber nacb den vorliegenden Erfahrungen (milde Kaltwassercur, 
prolongirte laue Bader, Morphium, Ealtebehandlung der Wirbelsaule nach 
Chapman, allgemeine Faradisation, Bromkali, Antihysterica etc. waren ohne jeden 
nachhaltigen Erfolg angewandt worden) ohne Zweifel erst genugt werden, sobald 
es gelungen war, die erstere zu erfullen. Aucb die hierauf gerichteten, zum Theil 
von herrorragenden Gynaekologen angestellten Versuche waren nun bisber ohne 
wesentlichen Erfolg geblieben; wenn es auch gelungen war, das parametritische 
Exsudat gross ten theils zur Resorption zu bringen, so waren doch die Schmerz- 
paroxysmen etc. unverandert geblieben. Dem gegenuber muss ten neue Maass- 
nahmen getroffen werden. Hier fragte es sich nun: Was ist die eigentliche 
Ureache der Schmerzen? Dass sie ausschliesshch von den Ovarien ausgingen, 
war kemeswegs mit Sicherheit anzunehmen, da ja „Ovarie“ zweifellos auch von 
anderen Theilen der inneren Sexualorgane abhangen kann. Indess |musste den 
Ovarien doch ein gewisser Antheil zuerkannt werden, da die Schmerzparoxysmen 
besonders regelmassig einige Zeit vor dem Eintritt der Menses sich zeigten. Es 
schien deshalb die Erwartung gerechtfertigt, dass durch Exstirpation der Ovarien * 
zunachst die praemenstruellen Exacerbationen der Schmerzen beseitigt werden 
konnten, eventuell auch ein etwa von einer Zerrung des linken Ovariums ab- 
hangiger Theil derselben. Wurde die Sexualaffection nicht beseitigt, so war 
die Kranke muthmaasslich einem unheilbaren Siechthum verfallen, das jeden 
Lebensgenuss unmoglich machte. Auf Grand dieser Erwagungen wurde am 
10. Juli zur Castration geschritten. 

Es wird zuerst das rechte Ovarium entferat (Abbindung durch eine Durch- 
stich - Doppelligatur; dahinter eine Massenligatur aus Seide, Yerschorfung des 
Stumpfes durch den Thermocautor, Einreibung von Jodoform); beim Hervorziehen 
platzt ein grosser GaAAF’scher Follikel bez. eine Follikelcyste. In gleicher 
Weise wird das linke Ovarium entferat, welches wegen Kurze und Straffheit 
des Ligamentum ileo-pelvicum und Lig. ileo-ovaricum schwerer hervorzuziehen 
ist . Beim Hervorziehen des linken Ovariums treten bei der tief narcotisirten 
Patientin tiefe krampfhafte Inspirationen auf, wie sie so haufig hysterische 
Anfalle einleiten; beim Hervorziehen dea rechten kurz vorabergehende Puls- und 
Respirationslosigkeit Die Bauchwunde wird durch 3 Plattennahte von Silber, 
3 tiefe Symperitonealnahte und 10 oberflachliche Hautnahte verschlossen. Jodo- 
form-Puderang, ein sehr fester Yerband (Jodoformgaze, Salicylwatte), um 
eventuell Abreissen zu verhindern. Die Ovarien sind auffallend klein, haben 
eine derbe Albuginea — das linke weist keinen frischen gelben Korper auf, ent- 
halt aber auf Oberflache und Durchschnitt sichtbar mindestens 16 bis erbsen- 
grosse Cystchen mit klarem gelben Inhalt; das rechte Ovarium enthalt einen 
ziemlich reifen GsAAP’schen Follikel und ist im ubrigen ahnlich dem linken 


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beschaffen. Es bestehfc demnach Atrophie und folliculare Degeneration beider 
Ovarien, besonders des linken. 

Die Heilung der Operatioiiswunde verlief sehr gunstig; die Temperatur 
stieg nur einmal auf 38,2 in der Axelhohle; am 12. Tage wurde der Verband 
entfernt, es zeigte sich eine lineare Narbe. Die Kranke erhielt eine elastische 
Leibbinde und verliess gegen Ende der 2. Woche znm ersten Mai auf kuize 
Zeit das Bett. 

Was nun den Zustand des Nervensystems nach der Operation an- 
langt, so verhielt sich Pat. in den ersten 4 Tagen vollig normal — sie war 
ruhiger zufriedener Stimmung, klagte keinerlei Schmerzen, die Lahmungs- 
erscheinungen waren vollig verschwunden. Noch niemals seit ihrem Eintritt 
in die Klinik hatte Pat. so lange ein so normales Verhalten dargeboten. Gegen 
Ende der 1. Woche begannen indess wieder krankhafte Erscheinungen hervor- 
zutreten. 

Pat. klagt uber heftige Leibschmerzen, „welche ganz anders sind als fruher" 
uber schmerzhaften Harndrang mit Retentio urinae. Als Ursache ergiebt sich eine 
massige Cystitis. Gleichzeitig geht am 5. und 6. Tage in sparlicher Menge Blut aus 
der Vagina ab. Gegen Abend treten wiederholt stundenweise Delirien auf: sie 
spricht bei etwas umnebeltem Bewusstsein von Pferdchen, Feuer u. a. m., die 
sie zu sehen vermeint (vielleicht Gesichtshallucinationen). Dabei verhalt sie sich 
‘ausserlich ruhig. Vom Anfang der 3. Woche an treten collapsartige Zustande 
auf mit Trubung des Bewusstseins, hochgradiger korperlicher Schwache, be- 
schleunigtem (bis 140 Schlage) kleinem Puls, oberfiachlicher Respiration, ab und 
zu mit Temperatursteigerungen bis 38,5 in der Axelhohle. Dieselben schliessen 
sich meist an Schmerzen in der Blasengegend an, von denen Patient immer 
behauptet, dass sie einen anderen Charakter haben als die Schmerzen vor der 
Operation. Zuweilen gehen diese Schmerzen auch mit grosserer ausserer Unruhe 
einher, wobei Patientin jammert, gereizt ist, viel umherlauft, mehr spricht als 
gewohnlich, ohne gerade den Eindruck geistiger Storung zu erwecken. Alle diese 
Anfalle pausiren oft wochenlang und dauern meist nur eine bis wenige Stunden. 
In der Zwischenzeit erscheint sie fast normal, ist geistig weit regsamer als 
fruher, in zufriedener Stimmung u. s. w. Dies wahrt bis Anfang October, also 
ca. 11 Wochen nach der Operation; in dieser ganzen Zeit werden wederKrampf- 
anfalle noch Lahmungserscheinungen wahrgenommen. — Am 1. October treten 
wieder intensivere nervose Storungen hervor. Im Anschluss an heftige Schmerzen 
in der rechten Ovarialgegend, welche gegen Druck hochgradig empfindlich ist, 
tritt ein hochgradiger Schwachezustand ein mit Parese des linken unteren 
Facialis. Nach Entfernung zweier Klumpen geronnenen Blutes aus der 
Vagina horen die Schmerzen auf und die Facialis-Parese verschwindet Einige 
Tage darauf erneute heftige Schmerzen in der linken Unterbauchgegend, 
Praecordialangst, Gefuhl von Schwere und lahmungsartige Schwache in der 
linken oberen Extremitat und Aphasie, wobei Pat alles zu ihr Gesprochene 
versteht und durch Gesten beantwortet Am 20. October tiefer, 15 Minuten 
wahrender Collaps mit vollstandig aufgehobener Respiration, kleinem kaam 


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fuhlbarem Puls, Aufhebung aller der ausseren Untersuchung zuganglichen Reflexe 
— wiederum im Anschluss an heftige Schmerzen in der rechten Unterbauch- 
gegend. In diesen Tagen auch Gefuhl von Pelzigsein und Sell were im rechten 
Bern, welches am 24. Octbr. verschwindet. Darnach nie wieder motorische Storangeu, 
wahrend die Leibschmerzen Pausen bis zum 5. December noch mehrmals in 
immer grosser werdenden Zwischenraumen wiederholen. Auch die collapsartigen 
Zustande kehren bis auf einen leichten Schwachezustand am 24. November, nicht 
wieder. Hingegen treten vom 18. October an wieder transitorische geistige 
Anomalien hervor. Die Stimmung der Pat. ist wechselnd; stundenlang ist sie 
ausgelassen, singt, gesticulirt und spricht sehr viel, springt umher u. s. w. ohne 
jeden ausseren Grand; zu anderen Zeiten ist sie deprimirt, aussert Selbstmord- 
ideen, ist renitent, grob u. s. w. Dazwischen erscheinen indess immer langere 
Perioden annahernd normalen Verhaltens. 

Je einmal im October, November und December bietet sie kurz voruber- 
gehend Erregungszustande dar, welche sicli an Intensitat den vor der Operation 
beobachteten nahern. Sie schreit laut, ruft ununterbrochen den Geliebten, singt 
Gesangbuchsverse, betet, schimpft u. dgl. m. Wahrend die zwei ersten Anfalle 
dieser Art durch Chloroform beseitigt werden, schlagen bei dem dritten, am 
6. December, alle Beruhigungsversuche (kalte Douche, Chloroform, Bromathyl etc.) 
fehl; sie wird in Polge dessen isolirt und zwar, da sie Selbstmord droht, vollig ent- 
kleidet und nur mit unzerreissbaren Decken versehen. Am andern Tag ist sie vollig 
beruhigt, sie erinnert sich vollkommen der Yorkommnisse vor der Isolirung und 
giebt als Ursache ihres Benehmens an, dass es ihr Vergnugen gemacht habe, 
ihre Umgebung zu qualen. Es treten in der Folge nie wieder irgend welche 
den fruheren ahnliche oder neue nervose Storangen hervor. Sie beschaftigt 
sich eifrig, ist in zufriedener ruhiger Stimmung und verlasst Ende Dec. 1883 die 
Klinik in vollig normalem Zustande. Die auf Verlangen regelmassig von ihr 
erstatteten Berichte, in denen sie wiederholt hervorhebt, dass sie sich „wie neu 
geboren“ fuhle, ergeben, dass sich bis jetzt (2. Halfte September 1884) nie wieder 
hysterische Erscheinungen gezeigt haben. Bei einer personlichen Vorstellung im 
Juli 1884 machte sie nach alien Richtungen hin, besonders aber auch bezug- 
lich ihrer geistigen Energie, Urtheilsfahigkeit u. s. w. einen durchaus normalen 
Eindruck. 

(Portsetzung folgt) 


II. Referate. 


Experimentelle Physiologie. 

1) Ueber elektrische Geruobsempfindung von Cand. med. Ed. Arons ohn. (Ver- 
handl. der physiol. Gesellschaft zu Berlin. 1883—84. Nr. 15 u. 16. S. 46—50.) 

Den seit Entdeckung des Galvanismus vielfach vergeblich untemommenen Ver- 
such, den Olfactorius galvanisch zu reizen, hat Yerf. an sich selbst mittelst einer 
nenen ira Original nachzulesenden Yersuchsanordnung (Einffihrung einer eichelfCrmigen 

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Nasenelektrode in die mit 38° warmer 0,73 procentiger NaCl-Losung gefullte Nase) 
unter Leitung des Referenten mit dem gfinstigen Erfolge wiederholt, dass es gelang, 
ein der Acusticusformel analoges Zuckungsgesetz des Olfactorius zu formuliren. 

Zur Yermeidung der stSrenden galvanischen Geschmacksempfindungen wnrde die 
zweite (indifferente) breite Elektrode, anstatt wie anfanglich am Nacken, spater an 
der Stim applicirt, wahrend die scbwacben StrOme (vgl. unten) yon dem App&rate 
des Referenten (vgl. Real - Encyklopaedie. IY. Bd. S. 404) zugeleitet, durch den 
Elementenzahler und Rbeostaten abgestuft and mittelst des zaerst vom Referenten 
(vgl. dieses Centralblatt 1884. S. 67) empfohlenen Hirs cbmann’schen absoluten Gal¬ 
vanometers gemessen wurden. 

Die durchaus specifiscbe mit keinem anderen auch nicbt mit dem Phosphorgerucb 
dbereinstimmende elektrische Geruchsempfindang tritt nor bei Stromschwanknngen 
auf nacb folgenden Gesetzen: 1) Kathodengerucb entsteht nor bei Scbliessnng der 
Kette, nicbt bei Oeffnung. 2) Anodengeruch entstebt nur bei Oeffnung, nicbt bei 
Scbliessung; er ist bei scbwacben Stromen nor momentan and fallt bei starkea 
Stromen langsaYn ab. 3) Der AnodenSffnungsgeruch ist um so starker, je langer der 
Strom gescblossen war. 4) Die Anodenreaction ist ceteris paribus scbwacber als 
die Katbodenreaction. 5) AnodenerQffhungsgeruch wird durcb Anodenschliessung 
sofort zum Yerscbwinden gebracbt. 6) Sowobl die KS- als die AnO-Reaction wachst mit 
der Starke des Stromes. 7) Zur Erregung einer Geruchsempfindang reicben schon 
Stromstarken von 0,1—0,2 Milliampdre aus und zwar erfordert das Minimon des 
AOG etwa 0,1 MA mebr als das Minimum des KSG. 8) In gleicbem Sinne wie bei 
Kathodenapplication Scbliessung des Stromes wirkt Yerstfirkung desselben, und im 
gleicben Sinne wie Oeffnung des Stromes wirkt pl&tzliche Abscbwacbung, wenn 
die Anode sicb in der Nase befindet. 9) Nocb wirksamer als einfacbe Kathoden- 
scbliessungen sind Volta’sche Alternativen auf die Kathode. 

Die Versuche gelangen aucb mit unpolarisirbarer Anordnung. 

Erwabnenswertb sind ferner nocb Geruchsnachempfindungen und die Wirkungs- 
losigkeit inducirter Strfime. E. Remak. 


2) Ny automatisk strombrytare for variabel rytm af Magnus Blix. (Upsala 
lakarefbrenings f5rh. 1884. XIX. 6* S. 421.) 

Znn&chst zu Zwecken der Zeitmesung hat B. den folgenden Apparat constniirt, der 
automatisch Unterbrecbung des Stroms in beliebig veranderbarem Rhythmus bewirki 
Der Apparat besteht aus zwei Haupttbeilen: einem Paar Elektromagneten mit Anker 
und antagonistischer Feder und einem um eine vertikale Axe oscilbrenden Rade 
die einzelnen Theile sind auf einer isolirenden borizontalen Ebonitscheibe befestigt. 
Die Drahte der Elektromagneten stehen einerseits durcb eine Contaktscbraube mit 
einer galvanischen Batterie, andererseits durcb die Pfeiler, welcbe die Axe des 
Ankers tragen, mit diesem in leitender Verbindung. Zur Sicherung der Leitung steht 
aucb ein dritter Pfeiler in Yerbindung mit denselben Drab ten; an diesem Pfeifer ist 
eine Spiralfeder aus Platina befestigt, welcbe zu dem Hebelarm des Ankers gebt, 
um diesen aufzuheben, wenn der Magnetismus aufhbrt, den Anker gegen die Pole 
der Elektromagneten berabzuzuzieben. Die Excursionen des Ankers werden durcb 
eine Stellscheibe begrenzt, die sicb am oberen Ende des dritten Pfeilers befindet 
An der einen Seite der Ankeraxe sitzt auf ihrer Yerlangerung ein kleiner herab- 
bangeuder Arm, der an eine vom zweiten Theile des Apparats in die H6he gebende 
Feder stosst und diese in gewissem Maase spannt; die einander berfibrenden Fl&cben 
des Armes und der Feder sind aus Platina. Durcb diese Feder bindurch, wird der 
Strom in eine Messingscbeibe geleitet, welcbe die Grundflache des zweiten Theilee 
des Apparats bildet, und von da aus durcb einen elektrischen Signalapparat zum 
anderen Pole der Batterie. — Jedesmal, wenn der Contact zwischen dem an der 


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Ankeraxe angebrachten Arme and der von der Messingscbeibe ausgehenden Feder 
gelfist wird, wird der Batteriestrom unterbrochen und der Signalapparat giebt ein 
Zeicben. Die Unterbrechnng wird durch ein nm eine vertikale Axe sich drehendes 
Schwungrad bewirkt, das dem Unmberad einer Uhr sebr ahnlich ist, dessen 
Bewegnngen aber nicbt dnrch eine Feder regnlirt werden; es liegt in einem Zapfen- 
lager von Babin and bewegt sich so fnctionslos wie mfiglich; seine Excursionen 
werden an der einen Seite von der mit der Verl&ngernng der Ankeraxe in Contact 
8tehenden Feder, an der anderen dorcb eine am dieselbe Axe wie das Schwangrad 
drehbare Yorricbtong begrenzt, die dorcb eine Schranbe stellbar ist, die Einstellung 
kann man an einer auf der Messingscbeibe darunter angebrachten Skala ablesen. — 
Giebt man non dem Schwnngrade einen Stoss, so gerath es innerhalb der beiden 
angegebenen Grenzpunkte in oscillirende Bewegong, der Anstoss an den Hemmungen 
wird durcb eine an dem Schwnngrade angebrachte Feder gemildert, die zugleicb dorcb 
ihre Elasticit&t dem Scbwungrade nacb der Umwendung lebendige Kraft mittbeilt. 
Die Schnelligkeit der Oscillation bangt zum Theil von dem Anstosse, zum Tbeil von 
der Excnrsionsamplitate ab. Der Impols zo den Oscillationen kommt von dem Elektro- 
magneten und der mit der Yerlangerung der Ankeraxe in Contact stebenden Feder. 
Wenn der Strom gescblossen und der Anker herabgezogen ist, scbiebt der Arm die 
Feder etwas zurfick and sie spannt sich; kommt nun die Feder an dem Schwangrad 
mit ihr in Berfihrung, so wird der Contact gelfist, der Strom unterbrochen, der Anker 
geboben, die Spiralfeder and der Arm bewegen sich etwas vorwarts. Die Feder am 
Rad hemmt aber die Bewegong des letzteren in der frfiheren Richtung, zwingt es 
scbliesslicb umzukehren, and beschleunigt diese Bewegong bis die andere Hemmung 
getroffen wird, dann wendet sich die Bewegung wieder, bis abermals dorcb Berfihrung 
zwiscben der Feder and dem Arme an der Ankeraxe der Strom gescblossen ist and 
das frfihere Spiel von Neuem beginnt; von der Stellung der Vorrichtung, welcbe die 
Umkebr des Schwungrades nacb dem Anker zo bewirkt, bangt der Rhythmus ab, in 
welcbem die Oscillationen vor sich geben. B. bat von 1 bis 159 Signals in der 
Secunde damit erhalten. Walter Berger. 


3) On the sensorial localisations in the cortex cerebri by L. Luciann 
(Brain. 1884. July p. 145—160.) 

Nacbdem der Verfasser die Metbode beschrieben, nacb welcher er die sensorischen 
Functionen bei Tbieren prfift, tbeilt er die Resultate mit, zu denen er bei seinen 
am Hund und Affen angestellten experimentellen Versuchen fiber den Sitz der Sinnes- 
centren in der Himrinde gelangt ist. Dieselben weicben in vielen Punkten von der 
Munk’schen Lebre ab. 

Sebcentrum: Sebstfirungen werden nicbt nur durcb Exstirpationen im Bereicb 
des Occipitallappens, sondern auch durch solcbe des Temporal-, Parietal- und Frontal- 
lappens, sowie durch Zerstfirung des Cornu ammonis herbeigeffihrt; aber nur die 
Lasionen des Occipital- und Parietallappens haben dauernde Stoning zur Folge, bier 
ist der Sitz des Centrums, das durch seine Verknfipfung mit anderen Centren aucb 
durcb Exstirpationen in anderen Regionen vorfibergehend beeintrachtigt wird. Ver- 
letzungen von geringer Ausdehnung ffibren nur in der Occipito-Parietalregion zu 
Sebstfirungen. Die Exstirpation eines Occipitallappens macbt bitalerale bomonyme 
Hemiopie, es stebt demnach zwar jeder Hinterhauptslappen mit dem ausseren Segment 
der entsprechenden und dem innern der gekreuzten Retina in Verbindung — aber 
es findet keine Projection der Retinalhalften auf bestimmte Segments der Sehsphare 
statt, was aus folgenden Tbatsachen bervorgebt: Bilaterale bomonyme Hemiopie wird 
auch durcb ausgedehnte Zerstfirung eines Parietal- oder Temporallappens erzeugt, 
ferner macben bilaterale partielle Lasionen des Occipitallappens nicbt partielle, sondern 
diffuse Sehstfirungen. Es treten demnach der gekreuzte wie der nichtgekreuzte 


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Antheil der Opticusfasem in Verbindung mit alien Partien der Occipito-Parietalregion 
Auf Grund der Erfahrung, dass auch die ausgedehntesten bilateralen Exstirpationen 
im Bereicli der Occipito-Parietalgegenden nicht zu dauernder Blindbeit ffihren, sondem 
dass an die Stelle derselben nur eine dauernde Seelenblindheit tritt, ist Verf. der 
Ansicht, dass die Rinde nicht der Ort der Sinneswahrnehmungen ist, sondern dass die 
im Mittelhirn (in den Corp. quadrig.) gewonnenen Gesichtsbilder in der Rinde nur 
psycliisch verarbeitet werden. 

Hfircentrum: Dasselbe beschrankt sich nicht auf den Sclilafenlappen, sondern 
greift fiber auf den Scheitel- und Stirnlappen, den Gyrus hippocampi und auf das 
Cornu ammonis. Jedes Ohr steht mit beiden HOrcentren in Verbindung: einseitige 
Zerstorung des Hfircentrums macht beiderseitige Gehfirsstfirung, die jedoch starker 
ist auf dem Ohr der gekreuzten Seite. Diese Verhiiltnisse weisen darauf hin, dass 
auch der Acusticus eine partielle Kreuzung erfahrt, dass das gekreuzte Bundel 
starker ist, etc. Die dauernde Storung nach Totalexstirpation ist Seelentaubheit. 

Riechcentrum: Decortication des Gyrus hippocampi sowohl als Zerstorung des 
Cornu ammonis machen Geruchsstorungen; hier scheint der Sitz des Geruchscentrum 
zu sein. 

Auch ffir den Olfactorius ist eine partielle Kreuzung anzunehmen, nur dass das 
nichtgekreuzte Bundel hier das starkere zu sein scheint. 

Geschmackscentrum: Ueber den Sitz desselben konnte nichts Definitives 
ermittelt werden, doch scheint es in naher Beziehung zum Riechcentrum zu stehen. 

Geffililssphare: Bei Lasionen im Bereich der motorischen Zone treten ausser 
Lahmung auch immer Sensibilitatsstorungen hervor. In der motorischen Region ist 
auch das Centrum, ffir die tactilen Erapfindungen der gegenfiberliegenden KOrperhalfte 
enthalten. Es lassen sich aber nicht bestimmte Gebiete abgrenzen ffir die Sensibilitat 
der einzelnen Korpertheile. Jedenfalls greift die Ffihlsphare nicht auf Occipital- und 
Temporallappen fiber. 

Wenn nun nach den Erfahrungen des Verf. alien Sinnesorganen ein eigenes 
Centrum in der Rinde zukommt, so findet sich doch ein gemeinsames Territorium, 
wo alle Centren zusammentreffen, das ist der Lobus parietalis. So lehrte auch das 
Experiment, dass Exstirpation dieses Lappens zwar wesentlich Sehstorungen hervor- 
ruft, aber auch das Hfir- und Riechvermogen und die tactile Sensibilitat beein- 
trachtigt. Oppenheim. 


Pathologische Anatomie. 

4) Sur le crane remarquable d’une idiote de 21 ans par le Prof. P. Albrecht, 
Bruxelles. (Sep.-Abd.) 

Verf. giebt auf 58 Seiten eine sehr ausffihrliche Beschreibung eines ihm vom 
Director Ideler (Dalldorf) fiberlassenen mikrocephalen Schadels, fiber welchen dieser 
bereits 1876 eine kurze Mittheilung im Arch. f. Psychiatric u. Nervenkrkh. Bd. VI 
gegeben hatte. — Da ein kurzes Referat nicht mOglich ist, so kann hier nur auf 
diese Albrecht’sche Arbeit hingewiesen werden. Hadlich. 


6) De la coloration ardoisde du cerveau dans la paralysie gdndrale et de 
ses rapports avec les eschares du sacrum par Baillarger. (Annales 
m^d.-psych. 1884. Juillet.) 

Verf. macht von Neuem auf eine bei Paralytischen, besonders haufige Verfarbung 
der Hirnrinde in Schiefer- oder grfinlicher Farbung aufmerksam, deren er schon 1857 
in dersolben Zeitschrift bezfiglich ihres Zusammenhangs mit Decubitusbildung am 
Kreuzbeine Erwahnung gethan hatte. 


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Das Charakteristische dieser Veranderung besteht darin, dass allein die Hirn- 
rinde betroffen wird und gegen die weisse Substanz stets ein plfitzlicher Uebergang 
stattfindet; die veranderten Hirnwiudungen sind meist weicher, als ihre Umgebung, 
konnen aber ihren Zusammenbang bewahrt haben. In den verfarbten Stellen sind 
die kleinen Gefasse schwarz und erscbeinen wie Haarscbafte. 

Die Scbieferfarbung der Hirnrinde tritt meist an der Basis des Hirns und am 
Kleinhira auf. Sie ist besonders stark ausgopragt innerbalb der Sylvischen Spalte. 
Baillarger sah die Verfarbung aber aucli an beiden Hemispharen vollig symmetrisch 
dieselben Windungen betreffen. Die krankhafte Veranderung kann plotzlich sich gegen 
das gesunde Gewebe absetzen, aber auch allmahlichen Uebergang zeigen. Auch die 
graue Substanz der Centralganglien wird betroffen, diejenige des Grosshims jedocli 
im Ganzen haufiger als die dos Kleinhirns. 

Die von der Verfarbung betroffenqu Stellen brauchen keineswegs durch den 
Geruch wabmelimbare Faulnisserscheinungen aufzuweisen. In der Halfte der Falle 
ist ein fotider Geruch indess vorhanden. 

Die mikroskopiscbe Untersucliung der schieferblaugef&rbten Theile ergab absolut 
keine Pigmentsubstanzen, aus denen die Farbe erklart werden konnte. Es scheint 
die Aenderung also mit der Scliwarzfarbung der Gefasse zusammenzuhangen, in deren 
Umgebung fibrigens eine Menge Eiterkfirperchen gefunden wurden (Calmeil). 

Dio weichen Haute brauchen uiclit sonderlich verandert zu sein; sie sind aber 
zuweilen verdickt und zeigen eitrigo Einlagerungen, welche unter Umstanden die 
Him wind ungen vOllig umgeben kfinnen. Man fand die letztere Erscheinung haufiger 
an der Basis und innerhalb der Sylvi’schen Spalte, als fiber den Hemispharen. 
Baillarger sah in der Pia mater mehrfach Gasblasen; die Serummenge braucht 
nicht vergrOssert zu sein, ist aber unter Umstanden excessiv vermelirt, trfibflockig 
und fibelriechend. — 

Die Haute des Rfickenmarks sind haufiger als die des Gehirns mit einer ganz 
ahnliclien eiterartigen Masse bedeckt, wie solche oben beschrieben ist. Diese findet 
sich besonders an der hinteren Flache des Rfickenmarks. Auch das im Sack der 
Rfickenmarkshaute enthaltene Serum kann dieselben Erscheinungen, wie das Hirn- 
serum zeigen. Besonders in der unteren Partie findet sich eine putride Flfissigkeit 
bei Braunfarbung der weichen Haute. 

Baillarger kommt am Scliluss des mit 10 Beobachtungen und einer sehr 
instructiven Kupfertafel ausgestatteten Aufsatzes zu dem Ergebniss, dass die Schiefer- 
farbung des Gehirns einmal in Zusammenhang mit Meningitis cerebrospinalis und 
Infiltration der weichen Haute mit zersetztem Eiter vorkommt, welche durch Imbibi¬ 
tion der darunter liegenden Hirnrinde die Verfarbung erklaren wfirde, dass aber 
auch die in Frage stehende Verfarbung ohne gleichzeitige Meningitis, vorkomme. — 
Fur den letzteren Fall bleibt nur anzunehmen, dass die purulenten Stoffe durch die 
Circulation zum Him transportirt wurden und ihrerseits durch Erregung einer 
secundaren Entzfindung die gleichen Erscheinungen putrider Infection hervorriefen. 

Die Thatsache, dass die Schieferverfarbung der Hirnrinde bei keiner anderen 
Krankheitsform so haufig vorkomme, als bei der allgemeinen Paralyse, welche wie 
kein anderes Leiden zum Auftreten von Gangranbildung besonders am Kreuzbein neigt, 
lasst Baillarger annehmen, dass der Zusammenhang zwischen den beiden Affectionen 
ein mechanischer sei. 

Die tiefgreifende Zerstfirung, welche fast regelmassig das Os sacrum blosslegt, 
ffihrt zu einer theilweisen Zerstfirung des Ligamentum sacro-coccygeum und gestattet 
den Eintritt putrider Massen in den Spinalkanal. 

Alles Weitere ergiebt sich dann von selbst. Baillarger bemerkt fibrigens, 
dass in Fallen, der Art, wie eben angedeutet, auch einfache Meningitis spinalis und 
cerebrospinalis ohne Schieferfarbung vorkomme und beobachtet sei. Jehn. 


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6) Zur pathol. Histologi© der Himrinde der Irren von Stnd. mod. V. ^ieb- 
man. Aus Meynert’s Laboratorium. (Jahrb. f. Psych. V. 3. S. 230.) 

Mit Rficksicht auf die durch Nelkenol verursachten Veranderungen der Schnitte 
machte L. immer Paralleluntersuch ungen an in Glycerin eingeschlossenen Schnitten, 
die vorher behufs Befreiung von Cholestearinkrystallen in warmem Alkobol gebadet 
wurden; femer wurde frische Rinde zerzupft und zerdruckt (! Ref.). 

Bei der Paralyse fand L. als constantesten Befund die hyaline Degeneration 
der Nervenzellen, womit er unter Bezugnahme auf das Hyalin Recklinghausen’s die 
fruher Sklerose, colloide Degeneration genannte Yeranderung bezeichnet. Dieser als 
erstes Stadium vorangehend findet sich eine trube Schwellung der Nervenzellen, 
dieselben sind vergrOssert, geschwollen, getrflbt; der Kern ist vergrossert, abgerundet 
und zeigt zuweilen Zweitheilung. An dieses Stadium schliesst sich in seltenen Fallen 
ein allmahlicher Zerfall in molecularen Detritus an, haufiger, ja constant ist die 
hyaline Degeneration. Beztiglich der Beschreibung der verschiedenen hier zustande 
kommenden Bilder der Nervenzellen muss auf das Original verwiesen werden. 

In einem spateren Stadium wird das Hyalin nach L.’s Ansicht aus der Zelle 
fortgeschafft und findet sich zu unregelmassigen Gebilden vereinigt an verschiedenen 
Stellen der Rinde, fiirbt sich nur schwach mit den Farbemitteln und lost sich leicht 
in Nelkenol. Die Zellen verschrumpfen, lassen jedoch noch immer den Kern er- 
kennen. 

Die Kernwucherungen an den Gefassen findet L. besonders in den ersten Stadien 
nicht liaufig, dagegen constant und massenhaft die von ihm sogenannte hyaline 
Degeneration der Gefasse, die Befunde von mehr Oder weniger reichliclier Anhaufnng 
hyaliner Scliollen in der Umgebung der Gefasse erklart L. als hyalin degenerirte 
ausgewanderte weisse BlutkOrperchen, spater zerfallt auch dieses Hyalin zu staub- 
formigen Detritus. Die bekannten Cystenbildungen will L. aus solchen Befunden 
erklaron. Ferner stellt er auch die Mfiglichkeit hin, dass die paralytischen Anfalle 
durch hyaline Thromben verursacht wilrden. 

Auch die Neuroglia degenerire hyalin und zwar das Protoplasma der soge- 
nannton Kerne, das sich dann gleichfalls zu verschieden geformten Gebilden sammelt, 
eine Vermehrung der Spinnenzellen konnte L. nicht constatiren. Die Dem. paral. ist 
fur ihn eine diffuse Encephalitis der Rinde mit Ausgang in hyaline Degeneration. 

In einem unter Erscheinungen schweren Hirndrucks verlaufenen Falle fand 
sich bei der Section eine partielle Hypertrophie des Gehirns, deren histologischer 
Befund (Details im Original), von L. als diffuse Entztindung mit hyaliner Degenera¬ 
tion bezeichnet wird. 

In einem Falle von Epilepsie fand sich Sklerose des Ammonshoms, ausgedebnte 
fettige Degeneration der Gefasse (bei einem 18jahrigen Madchen), hyaline Thromben 
und hyaline Degeneration der Nervenzellen der Rinde und fleckweise auch des 
Markes, eine innige Yerbindung von fettiger und hyaliner Degeneration fand sich 
auch in einem Falle mit schweren melancholischen Erscheinungen. A. Pick. 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Case of occipital encephalocele in which a correct diagnosis was 
obtained by means of the induced current by Y. Horsley. (Brain. 
1884. July p. 228—244.) 

In dem ausfuhrlich mitgetheilten Falle handelt es sich um eine Encephalocele, 
die ihren Sitz in der Occipitalgegend hat. Im Occiput selbst befindet sich die Pforte, 
durch welche Himtheile in den Sack des Tumors eintreten. Der 6 Wochen alte 
Trager der Hemie bietet als abnorme Erscheinungen: beiderseitige Ptosis und Beuge- 


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contractor der linken Oberextremit&t. Durch Druck anf den Inhalt der Geschwulst 
werden allgemeine Convulsionen erzeugt: Druck anf die rechte Seite des Stiels ruft 
Zuckungen in alien Muskeln, besonders aber in denen der linken Extremitaten hervor; 
es sind klonische und tonische Krampfe, die nacheinander die Musculatur des Gesichts, 
dann die der oberen Extremitaten, des Rumpfes und schliesslich die der unteren Ex¬ 
tremitaten ergreifen. Yon grossem Interesse war der Nachweis, dass durch Applica¬ 
tion des Inductionsstromes auf den Tumor eine congugirte Deviation der Augen nach 
der gereizten Seite hin hervorgerufen werden konnte. Damit wurden die Corpora 
quadrigemina als Inhalt des Bruches angenommen. Die Autopsie bestatigte diese 
Vermuthung. Der Tod war durch Inanition erfolgt, nachdem verschiedene operative 
Eingriffe (Aspiration, Ligatur, Incision etc.) vorgenommen. Im Sacke fanden sich 
zwei ovoide Massen; die durch einen die Ldcke im Occiput durchtretenden Stiel mit 
den Hinterhauptslappen in directem Zusammenhang stehen. Der obere Lappen wird 
fflr die enorm vergrdsserte Glandula pinealis gehalten, den unteren bilden die Corpora 
quadrigemina. Der Yerf. bespricht die Diagnostik derartiger HirnbrUche und betont, 
dass sich zur Feststellung des in der Hernie enthaltenen Hirntheils die elektrische 
Beizung verwerthen lasse etc. Oppenheim. 


8) Kotos on a ease of pure apoplectic bulbar paralysis by J. Dixon Mann. 

(Brain. 1884. July p. 244—250.) 

Verf. beschreibt einen der seltenen Falle von apoplektischer Bulbarparalyse, in 
denen die Extremitaten von der Lahmung nicht mitergriffen sind. Eine 42jahrige 
Frau wird ohne vorgangige Hirnerscheinungen plOtzlich von einer Sprachlahmung 
befallen, sie ist nicht bewusstlos, kann die Extremitaten gut gebrauchen und noch 
einen langen Weg zuriicklegen. Die Zungenmusculatur ist v5llig gelahmt. Seit- 
wartebewegungen des Kiefers sind unmOglich, auch gelingt Oeffnen und Schliessen 
des Mundes nur mit Muhe. Der Orbicularis oris ist ganz gelahmt. Erhebliche 
Schlingbeschwerden. Die Levatores anguli oris und labii super., sowie die Zygomatici 
sind rechts v5llig gelahmt, links paretisch, das obere Facialisgebiet ist frei; auch 
sind die fibrigen Hirnnerven intact und es besteht keinerlei Bewegungsstdrung in 
den Extremitaten. Schorf nach 8 Tagen macht sich eine leichte Besserung bemerkbar, 
die allmahlich weiter vorschreitet. 

Verf. nimmt einen embolischen Vorgang an, der die Gegend der Kerne der 
Hypoglossi, Facialis und motor. Quintus betroffen hat. Oppenheim. 


9) Ueber Ruckenmarksblutung nach Nervendehnung nebst einem Beitrag 
zur pathologischen Anatomic des Tabes dorsalis von Th. Rumpf. 
(Arch. f. Psych, etc. 1884. Bd. XV. H. 2.) 

Bei einem 58jahrigen Manne, der die ausgepragten Symptome einer typischen 
Tabes darbot, war am 14. October 1881 die doppelseitige Dehnung des N. ischiadicus 
vorgenommen worden, und zwar wurde, wie R. hervorhebt, weder besonders stark 
noch besonders lange gedehnt. Am folgenden Tage constatirte man Zunahme der 
Sensibilitatsstorungen, ununterbrochen auftretende klonische Krampfe in der Muscu¬ 
latur der Beine und des Rhckens, Lahmung der Blase und des Mastdarms. Ein 
intensiver Blasencatarrh mit Schdttelfrdsten und schliesslich eine Pneumonie fuhrten 
nach einigen Wochen den Tod herbei. Es fand sich innerhalb der Pia des Rflcken- 
markes in der H6he des 8. Brustwirbels ein ca. 3 cm langer Bluterguss, in den 
Hinterstrangen graue Degeneration. Ersterer ist zweifellos mit der Dehnung 
der Nerven in Zusammenhang zu bringen. — 

Die mikroskopische Untersuchung des Rfickenmarkes fQhrte R. zu Ergebnissen, 
die mit den jetzt hberwiegend angenommenen Anschauungen tiber die Natur des 
degenerativen Processes bei der Tabes als primare und systematische Degeneration 


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dcr betreffenden Nervenelemepte in directem Widersprucli stehen. R. fand namlich 
— besonders an Laugsschnitten aus den verschiedenen Partien des Rfickenmarkes — 
eine exquisite Betheiligung des Gefassapparates der Hinterstrange und zwar 
nicbt allein in den schon sklerosirten Abschnitten der letzteren, sondern auch in den 
von Faserdegeneration noch freien Tbeilen. Es bestand diese Veranderung in einer 
betrachtlichen Verdickung der Media und Adventitia und einer reichlicben, in 
das umgebende Bindegewebe sicb fortsetzenden Kemvermehrung. Als Folge der 
entstehenden Raumyerengerung fand R. die langen Fasem der Hinterstrange comprimirt, 
von ihrer Bahn abweichend: auch die Degeneration derselben fasst er als wahr- 
scheinliche Folge dieser Compression auf. Diese Yeranderungen waren auch in den 
Theilen vorhanden, in deneu der sklerotische Process noch nicht begonnen hatte, in 
denen aber bei Fortschreiten der Erkrankung derselbe pathologisch-anatomiscbe 
Process erwartet werden musste, wie in den andern Schichten. 

Diese Befunde ffihreu R. zu dem Schluss, dass der Ausgangspunkt der 
Erkranknng nicht sowohl im Parenchym, als in den Gefassen geeucht 
werden muss. Ein zum Vergleich untersuchtes Praparat von absteigender secnn- 
darer Degeneration nach Spinallasion zeigte keine Spur von den betreffenden Gefass- 
veranderungen. 

R. zieht allerdings, wahrend der Ausgangspunkt der degenerativen Yeranderung 
der Hinterstrange vom Gefassapparat in s ein era Fa lie ffir ihn feststeht, keine 
weittragenden Schlusse auf andere Falle, halt vielmohr eine Yerschiedenheit des 
Processes in Beziehung auf den Ausgangspunkt fHr moglich. 

Die neuerdings von Lissauer bei der Tabes beschriebene Verarmung an 
Nervenfasern in den Clarke’schen Saulen fand R. bei einer nachtraglichen 
Untersuchung in seinem Fall bestatigt. * Eisenlohr. 

10) A case of spinal hemianaesthesia and hemiparaplegia after fracture 
of dorsal vertebra by Dr. Th. Taylor. (American Journal of Neurology 
and Psychiatry. 1884. May p. 49.) 

Ein 22jahriger kraftiger Mann war durch einen Fahr§tuhlschacht 3 Stockwerk 
hoch herabgestfirzt und auf die linke Halfte des Rfickens aufgefallen. Nach einigen 
Stunden kohrte das Bewusstsein zurfick und es zeigte sich ausser einer Fractur der 
linken Clavicula ein Bruch des Proc. spinos. (?) der Yertebr. dors. in. Schwere 
Dyspnoe, vollige motorische und sensible Liihmung der linken unteren Korperhalfte, 
wahrend das rechte Bein so frei von jeder functionellen Stbrung geblieben war, dass 
Patient mit Hulfe eines Stockes zu gehen im Stande war. Keine Sphincterenlahmung. 

4 Wochen spater Reflexzuckungen im linken Bein und allmahliclie Ruckkehr 
der BerUhrungsempfindlichkeit. Eine genauere Untersuchung fand indess erst naeh 
weiteren 4 Wochen statt, als Patient sich in der Poliklinik vorstellte. Hier konnte 
noch constatirt werden: 

Links: Motorische Parese. Kniephanomen sehr gesteigert. Cremasterreflex er- 
loschen. Fussclonus deutlich, Plantarreflex vermindert. 

Beruhrungsgefdhl normal; Kitzelgefdhl in der Fusssohle fehlend; 
Warmegefuhl normal, ausser in der Gegend der Scapula, wo es ver¬ 
mindert war; Schmerzempfindung ilberall ausser uber der Scapula ge¬ 
steigert. 

Rechts: Patellarreflex sehr wenig gesteigert; Fussclonus fehlend. Sehr be- 
merkenswertli ist dagegen die fast vollige* Aufhebung far Temperatur- 
unterschiede — alles wird far heiss erklart — und far Schmerz¬ 
empfindung; das betroffene Gebiet umfasst die ganze rechte KOrperhalfte 
von der Brustwarze resp. vom Schulterblatt abwarts, und greift, wie 
schon angedeutet, auf die linke Schultergegend fiber. 


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9 Monate nach dem Unfall war der Gang des Patienten vollig normal geworden; 
auch die Empfindung hatte sich theilweise wieder hergestellt, doch wurde immer 
noch fiber dem linken Scbulterblatt und recbts vom 10. Dorsalwirbel abwarts Scbmerz 
fast gar nicbt und Warme nur undeutlicb unterschieden. 

Verf. zielit fibrigens u. A. den Pall IV von Kobner (Spinale Hemiplegie in: 
Deutscb. Arcb. f. klin. Med. XIX. S. 179) zum Vergleicb beran. Sommer. 


11) Parapl6gie douloureuse aiguS par le Dr. Du mo lard. (Rev. de med. 1884. 

Juillet p. 533.) 

Verf. beobacbtete in Vizille (nicbt weit von Grenoble) im Laufe der letzten 
Jabre eine Anzabl Falle acuter nervoser Erkrankung, welche sich in sebr fiberein- 
stimmender Weise vorzugsweise durcb das Auftreten einer mit heftigen Schmerzen 
verbundenen acuten Paraplogie cbarakterisirten. Die Schmerzen waren anfangs 1m 
Rficken und in der Lendengegend localisirt, spater traten sie namentlich in den Beinen 
auf. Wenige Tage spater wurden die Kranken bettlagorig, da sich eine deutliche 
Parese der Beine einstellte. Zuweilen bestand leicbtes Fieber, baufig'eine ausge- 
sprocbene Blasenschwache. Die Hautreflexe scbeinen erhfiht gewosen zu sein. Alle 
Falle endeton nach 2—4 Wochen gfinstig, indem vollige Heilung eintrat. 

Verf. glaubt einen „Reizzustand im Lendentheil des Rfickenmarks" als Ursacbe 
der Krankheit annehmen zu dfirfen und erinnert an eine ahnliche epidemiscbe Affec¬ 
tion, welche vor 15 Jahren in Azannon, Spanien, beobacbtet und unter dem Namen 
„maladie d’Azannon" bescbrieben worden ist (Rev. des sciences m6d. tome VIII. p. 183). 
Im Ganzen lasst die objective Bescbreibung der Symptome an Genauigkeit Munches 
zu wfinscben fibrig. Die nabeliegende Moglichkeit einer multiplen Neuritis wird gar 
nicbt in Betracht gezogen. Strfimpell. 


12) Contribution A l'dtude des troubles intestinaux dans l’ataxie loco- 
motrice progressive par G. H. Roger. (Rev. de mdd. 1884. Juillet p. 554.) 

R. lenkt die Aufmerksamkeit auf die bei der Tabes nicbt sehr seltenen „crises 
enterorrheiques". Unter 32 Fallen von Tabes konnte er 5mal dieses Symptom mit 
Sicberheit constatiren. Die tabische Diarrhoe tritt entweder verbunden mit heftigen 
kolikalinlichen Schmerzen auf und ist dann nur Theilerscheinung einer „crise enteral- 
gique“ (eventuell mit einer Crise gastrique combinirt) oder sie tritt ganz plotzlich 
obne alle Veranlassung und ohne alle begleitenden Schmerzen auf. Zuweilen ist sie 
schon ein sebr frfihzeitiges Symptom der Tabes, zuweilen scbliesst sich ihr Auftreten 
an die lancinirenden Schmerzanfalle an, zuweilen entwickelt sie sich auch erst in 
spateren Stadien der Krankbeit. Die Diarrhoe stellt sich moist ganz plotzlich ein; 
os erfolgen taglich 3—6 und mebr dfinne Stfilile. Nach einigen Tagen hurt sie 
ebenso plotzlich, wie sie gekommen ist, auch wieder auf. Derartige Krisen wieder- 
holen sich dann bei demselben Kranken in kfirzeren oder langeren Zwiscbenraumen. 
Nicbt selten ist die Diarrhoe mit Erbrecben verbunden, zuweilen aucb mit Blasen- 
tenesmus. 

Der eine vom Verf. ausffihrlicb beschriebene Fall (44jabr. Mann, vor 18 Jahren 
Syphilis) ist noch dadurch interessant, dass ausser der Diarrhoe auch eine Facialis- 
parese, Augenmuskellahmungen, Schwindel, laryngeale Krisen in Form krampfhafter 
Hustenanfalle und Speicheliluss zur Beobachtung kamen. Auf den letzteren und 
ebenso auf die Diarrhoe war Atropin von sichtlichem therapeutischen Nutzen. Verf. 
ist daber geneigt, aucb die Diarrhoe von einer zeitweiligen Secretionssteigerung im 
Darm abhangig zu denken. Strfimpell. 


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13) Hdmiohorde pleuritiqu© par le Dr. E. Weill. (Rev. demdd. 1884. Juillet p. 568.) 

Nach der Operation eines linksseitigen Empyems trat eine Schwache des linken 
Armes nnd nach einer nothigen Wiederholung der Operation eine starke Chorea-ahn- 
liche Affection in demselben, in viel geringerem Grade auch im linken Beine auf. 
Diese Beobachtung schliesst sich an die zuerst von L Opine mitgetheilte Thatsache 
an, dass sich nach Pleura-Ausspfilungen zuweilen Paresen der entsprechenden oberen 
Extremitat entwickeln, welche einstweilen in -die Kategorie der sogenannten „Reflex- 
lahmungen" gerechnet werden. StrfimpelL 


14) Bijdrage tot de Biennis van het beven door S. Talma. (Weekbl. van bet 
Nederl. Tijdschr. voor Geneesk. 1884. Nr. 28. 29.) 

Als einen Beitrag znr Localisation einer gewissen Art von Zittem theilt T. 
mehrere Falle mit, die folgende 3 Haupterscheinungen gemeinsam hatten: 1) Zittern 
(unregelmassige Contractionen von Muskelbfindeln, grOssem Muskeltheilen und ganzen 
Muskeln) bei willkfirlichen Bewegungen; 2) Verstarkung der Sehnenreflexe; 3) Mit- 
bewegungen in den Muskeln, deren Nerven in dem Rfickenmark entspringen. Der 
Grund dieser Erscheinungen liegt nach T.’s Beobachtungen und Erfahrungen in 
einem Reizzustande der Nervenzellen in den Vorderhomern des Rfickenmarks. Diese 
3 Haupterscheinungen fand T. in alien 4 zur Zeit von ihm darauf hin untersuchten 
Fallen von disseminirter Sklerose des Gehirns und Rfickenmarks (wenn das Zittern 
zunahm, nahmen auch die Sehnenreflexe und die Mitbewegungen zu), in einem Falle 
von scheinbar typischer pemici5ser Anamie ohne deutliche Ursache, einige Male bei 
Reconvalescenten von Typhus abdominalis (die Erscheinungen verschwanden bei voll- 
standiger Genesung), einige Male bei chronischer Myelitis, wo die willkfirlichen 
Bewegungen mehr Oder weniger vollstandig erhalten geblieben waren. Auch die 
Rigiditat der Muskeln bei Rfickenmarksleiden (die T. bei Hysteria gravis, Myelitis 
und Malum Pottii sah) stellt sich nach ihm bei genauerer Untersuchung nicht als 
dauernd heraus, sondern sie entsteht bei den allergeringsten Bewegungsversuchen 
und hat in der von Reizzustand der Nervenzellen im Rfickenmark abhangigen 
Symptomengruppe dieselbe Bedeutung, wie die Sehnenreflexe. — Der Reizzustand in 
den Ganglienzellen der VorderhOmer, der der aus den 3 genannten Symptomen com- 
binirten Symptomengruppe zu Grunde liegt, kann sich im Yerlaufe sehr verschiedener 
Processe entwickeln, aber das Zusammentreffen dieser Symptome deutet immer darauf 
hin, dass die Ursache des Zitterns in den Nervenzellen des Rfickenmarks ihre 
Localisation hat. In vielen anderen Fallen kann allerdings das Zittern auf eine 
ganz andere Weise entstehen und eine andere Localisation haben. Bei Paralysis 
agitans hat das Zittern einen andern Ursprung, weil die Sehnenreflexe nicht vermehrt 
und keine Mitbewegungen vorhanden sind und das Zittern bei Intention zu Be¬ 
wegungen nicht starker wird. Auch bei Tremor senilis nimmt T. einen andern Ur¬ 
sprung an. Um zu wissen, ob die Sehnenreflexe wirklich nur reflectorischer Natur 
sind, und ob man dazu auch die durch directe Reizung hervorgerufenen Muskel- 
contractionen zu rechnen habe, veranlasste T. Anth. van Ijsendijk, Versuche 
darfiber anzustellen, deren Ergebnisse dieser in seiner Dissertation (Over den aard 
der peesverschijnselen. Utrecht 1883) niedergelegt hat. van Ij. stellte Messungen 
der Zeit an, die nothwendig ist ffir die einfache mechanische Leitung des Schlags 
von der Sehne bis an den Muskel und der Dauer der latenten Periode bei director 
Reizung des Muskels; er fand 0,03 Secunde, wahrend die mittlere Zeit ffir das 
Kniephanomen 0,065 Secunde betrug. Da sowohl die Zeiten ffir die directen Rei- 
zungen sich viel zu gross herausstellten, als auch die Zeit ffir das Fussphanomen 
grdsser war als ffir das Kniephanomen, schloss van Ij. hieraus auf die reflectorische 
Natur beider. Wenn das Bein nicht fest aufgesetzt wird, wenn sehr stark auf die 


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Sehne geschlagen wird, trat die erste Erhebuog in dem Muskel in viel weniger als 
0,06 Secunden ein, durch Versuche an Personen mit starken Sehnenreflexen, an Ta- 
betikem ohne Sehnenreflexe und an Leichen konnte van Ij. aber nachweisen, dass 
die erste Erhebung des Muskeln unter den genannten Umstanden einfacb von der 
starkeren Spannung des Muskels in Folge des Schlages auf die Sehne und erst die 
danach kommende starkere Erhebung von der physiologischen Zusammenziehung 
abhangt Walter Berger. 


16) Herpes zoster bilateralis af Fr. Stabell. (Tidsskr. f. prakt. Med. 1884. IV. 13.) 

Ein 18jaliriges Madchen zeigte am 21. Marz 1884 Herpes zoster vom 4. bis 
6. Brustwirbel rund um die linke Halfte des Thorax berumgehend; die letzte grosse 
Blasengruppe nahm fast die ganze untere Halfte der linken Mamma ein; der Aus- 
schlag stand so dicht, dass der centrale Theil desselben eine fast continuirlich zu- 
sammenhangende, aber flache Blase rund um den Thorax bildete, einzelne Blasen 
waren bis zur Grosse einer halben Wallnuss angewachsen. Die Eruption entsprach 
der Ausbreitung des 4. und 5. Intercostalnerven. Am 27. Marz hatte sich Zoster 
vom 1. Lendenwirbel aus schrag nach unten um die rechte Seite des Unterleibs 
herum bis zur Symphysis pubis entwickelt; auch hier war die Eruption dicht und 
floss zu grOsseren Blasen zusammen, aber nicht in demselben Grade wie an der 
linken Seite. Die Eruption entsprach der Ausbreitung des N. ilio-hypogastricus und 
ilio-inguinalis. Die ersten Blasen hatten sich 48 Stunden nach Ausbruch der Affec¬ 
tion auf der linken Seite gezeigt. Als der Zoster abgeheilt war, bestand deutlich 
ausgesprochene Anasthesie an den ergriffen gewesenen Hautstellen; die Pat. fflhlte 
selbst Nadelstiche nicht, die durch die ganze Dicke der Haut gingen. 

Walter Berger. 

16) On alcoholic paralysis by J. Dreschfeld. (Brain. 1884. July p. 200—212.) 

Yon den auf der Basis des chronischen Alcoholismus entstehenden L&hmungs- 
formen bespricht Yerf. eine im Wesentlichen durch Ataxie und eine wesentlich durch 
Lahmung ausgezeichnete Gruppe. Die Falle der ersten Art sind der Tabes zum 
Verwechseln ahnlich; lancinirende Schmerzen, Incoordination der Bewegungen, Fehlen 
der Sehnenphanomene sind die Cardinalsymptome. Diese „alcoolic ataxia" befallt vor- 
wiegend das mannliche Geschlecht; mit der EntwOhnung vom Alcohol kOnnen, wie 
auch Yerf. beobachtet hat, alle Erscheinungen schwinden. Die Grundlage dieser Er- 
krankung ist eine multiple Neuritis der peripheren sensibeln Nervenaste; damit ist 
es auch begreiflich, das gewisse Zeichen der Tabes, wie: Arthropathien und die oculo- 
motorischen Symptome hier fehlen. 

Viel haufiger ist die Alcohol-Lahmung. Sie betrifft Individuen, vorzugsweise 
Weiber, die auch andere Zeichen des chronischen Alcoholismus bieten. Mehr oder 
weniger acut werden die unteren, manchmal auch die oberen Extremitaten von Lah¬ 
mung ergriffen, die befallenen Muskeln atrophiren und zeigen bei elektrischer Prft- 
fung Entartungsreaction. Die Hautreflexe sind abgestumpft, die Sehnenph&nomene 
fehlen. Auf sensibelem Gebiet treten Hyperasthesien, Storungen des Temperatursinnes 
und lancinirende Schmerzen hervor. Oft gesellen sich Cerebralerscheinungen, De¬ 
lirium etc. hinzu und fdhren zum Excitus. Yerf. theilt einen hierherzahlendOn Fall 
seiner Beobachtung mit, in welchem er entsprechend den Moeli’schen Erfahrungen 
Bfickenmark und hintere Wurzeln intact, dagegen erhebliche Degeneration der peri¬ 
pheren Nerven auffand. Eine multiple progressive Neuritis peripheries ist also die 
Grundlage dieser Alcohol-Lahmungen. 

Der Yerf. macht noch aufmerksam auf bei Alcoholisten vorkommende Yisceral- 
neuralgien. So beobachtete er bei einem Madchen heftige Anfalle von Kolik ohne 


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Krbrechen, die durch Alcohol -Abstinenz schwanden etc. Die Erscheinungen des 
chronischen Alcoholismus erinnern in vielen Beziehungen an die durch Bleiintoxication 
geschaffenen nervosen Storungen. Oppenheim. 


Psy chiatrie. 

17) Jets over hallucinatie door J. W. H. Wijsman. (Geneesk.Tijdschr.voor 
Nederl. Indie. 1884. XXIV. 1. S. 87.) 

Nach W.’s Meinungen kommen Uebergange von Hallucinationen zu Ulusionen 
nicht vor und die Reflexhallucinationen gehOren zu den reinen Hallucinationen, die 
W. in subjective ufid objective eintheilen raochte. Die subjectiven entstehen durch 
anhaltende Bespiegelung des Ich’s in Folge von angeborener oder erworbener Er- 
hOhung des Selbstgeffihls (besonders rechnet W. hierzu die Hallucinationen bei primar 
Wahnsinnigen), wahrend die objectiven geweckt werden durch eine Wahrnehmung 
mit einem andern Sinnesorgane als dasjenige, welches sie betreffen (so kann z. B. 
durch Sehen eines Gegenstandes eine Gehorshallucination geweckt werden, deren In¬ 
halt aber stets in einer gewissen Beziehung zur Wahrnehmung steht). Stabile 
Hallucinationen, deren Inhalt stets derselbe bleibt, kommen meist bei nicht Geistes- 
kranken vor, aber auch bei Geisteskranken, bei denen der Inhalt der Hallucinationen 
meist sehr veranderlich ist, konnen Hallucinationen mit constantem Inhalte auftreten, 
zumal wenn sie mit dem Inhalte der Wahnvorstellungen in Yerbindung stehen. 
Hallucinationen sind kein Symptom von GeistesstOrung, so lange sie nicht eine be- 
merkbare Einwirkung auf das Seelenleben zur Folge haben. Dieser Einfluss hangt 
einestheils von dem Inhalte der Hallucination ab (eine einfache Photopsie z. B. oder 
das Horen von Stimmen), andemtheils davon, ob sie durch logischen Schluss als 
Products der Einbildung erkannt und corrigirt werden. Am leichtesten ist die Correc¬ 
tion mbglich bei Hallucinationen, die nur einen Sinn betreffen und durch die anderen 
Sinne corrigirt werden; auf die Moglichkeit der Correction hat die Entwickelungs- 
stufe des Individuums, der betroffene Sinn, die Intensitat, die Haufigkeit und die 
Dauer der Hallucinationen Einfluss. Walter Berger. 


18) Des difflcultes, que present© le diagnostic de la paralysie generate 

par Christian. (Annales mdd.-psychol. 1884. Janvier-Juillet.) 

Die Thatsache, dass die Symptoms acuter Psychosen haufiger eine Paralyse vor- 
tauschen, als die spatere Beobachtung zu bethatigen im Stande ist, veranlasst Chr., 
die Fehlerquellen der Diagnose einer Betrachtung zu unterziehen. 

Die Irrenanstalten enthalten nach seiner Behauptung eine Menge Falle, bei 
welchen anfanglich die Diagnose auf allgemeine Paralyse gestellt war, wahrend der 
spatere Yerlauf es unmbglich macht, diese Diagnose aufrecht zu erhalten. Vielmehr 
finde man dann nur Demenz und „d61ire“. 

Es wird in 20 einzelnen Beobachtungen, in welchen die Diagnose auf Paralyse 
gestellt war, nachzuweisen, dass diese eine falsche war. 

Unter anderen handelt es sich da um 2 Falle, in denen in der Reconvalescenz 
von Variola plOtzlich Irrsinnserscheinungen auftraten, welche als Paralyse aufgefasst 
wurden, wahrend die Kranken nach kurzer Zeit genasen und entlassen wurden. 

Bemerkenswerth sind die Auslassungen zu der Differentialdiagnose zwischen 
Paralyse und Folie h double forme, welche an die Adresse des Herm Rdgis ge- 
richtet sind, von welchem schon in derselben Zeitschrift eine Entgegnung vorliegt. 

Im Allgemeinen theilt Chr. diQ Ansicht Baillarger’s von der Doppelnatur 
der in dem Rahmeu der Paralyse vorkommenden echten Paralyse und der Folie con¬ 
gestive, uber welche in einer der letzten Nummern dieses Centralblattes ausfBhrlich 
berichtet wurde. 


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Es wfirde zu weit ffihren die einzelnen Falle, in denen Chr. die Fehler der 
Diagnose nachzuweisen sucht, hier zn berichten. Auffallig ist jedoch, dass nicht die 
eigen thtim lichen, durch das franzfisische Irrengesetz gegebenen Bedingungen zur Er- 
klarung der von Chr. angegebenen Thatsache, dass so haufig in der Diagnose der 
Paralyse gesfindigt werde, herangezogen sind. 

Die von Chr. beklagte Incongruenz zwischen der definitiven Aeussernng der 
betreffenden Psychose und der anfanglichen Diagnose, erklart sich wohl ziemlicli 
einfach, wenn man bedenkt, dass die franzbsischen Irrenarzte gezwungen sind, bei 
der Aufhahme, sodann nach 24 Stunden nnd nach 15 Tagen Certificate anszustellen. 

Dass in dieser knrzen Zeit leicht ein unzutreffendes Urtheil fiber eine Krank- 
heitsform unterlaufen kann, welche zu ihrem Ablanf gemeiniglich Jahre erfordert 
und — wie bekannt — sich haufig mit recht schleichenden Anfangen entwickeln 
kann, wahrend andererseits gerade im Beginn die Unterscheidung von anderen Formen 
oft recht schwer ist — scheint auf der Hand zu liegen. Jehn. 


in. Aus den Gesellschaften. 

Bericht iiber die Jahressitzung des Vereins deutscher Irrenarzte in Leipzig, 
den 16. und 17. September 1884. 

Die Sitzungen fanden in der Irrenklinik zu Leipzig statt. Am Yorstandstisch: 
v. Gudden, Lahr, Nasse, Schfile. Die Mitglieder sind sehr zahlreich erschienen. 

Nach Begrfissung der Yersammlung durch den Yorsitzenden ehrt dieselbe das 
Andenken der inzwischen yerstorbenen Mitglieder: Frose, Kasan, Meyer, LOchner, 
Ewert, Ehrt und Stfihmke durch Erheben von den Sitzen. — Nach Erledigung 
geschaftlicher Dinge folgt der Bericht des Vorstandes fiber die Ausffihrung frtiherer 
Vereinsbeschlfisse. 

Auf den Antrag des Vorstandes, betreffend die Statistik d'er Irrenanstalten 
(Zahlblattchen), ist der Bescheid eingegangen, dass die Beschlfisse des Vereins im 
Wesentlichen acceptirt sind. 

Die Eingabe, betreffend die Aufnahme der Psychiatrie in die arztliche 
Prfifungsordnung, ist vom Bundesrath in abschlaglichem Sinne erledigt worden. 

Mit Bezug auf die Beschlfisse des Vereins, betreffend die Ffirsorge ffir die 
geisteskranken Straflinge, sind neue Erwagungen seitens des Vorstandes notkig 
geworden, welche die Formulirung von Antr&gen einstweilen unthunlich erscheinen 
lassen, da oino Verwirklichung der Postulate zur Zeit nicht zu erwarten ist. Der 
Verein erklart sich damit einverstanden, dass vorlaufig von weiteren Schritten ab- 
gestanden wird. 

Es folgt Nr. 2 der Tagesordnung, das Referat von Sander fiber die Frage, ob 
und unter welchen Umstanden Geistesstorung als Ehescheidungsgrund betrachtet 
werden soli. — Die Ermittelungen haben zunachst eine grosse Verschiedenheit der 
in Deutschland geltenden Rechtsbestimmungen ergeben. Viele Einwande, die gegen 
die Ehescheidung auf Grund von Geistesstfirung erhoben werden, betreffen nicht 
diese specielle Frage, sondern die Frage von der Zulassigkeit der Ehescheidung 
fiberhaupt. Diese zu discutiren ist nicht Sache des Vereins. Erst wenn die Ent- 
scheidung dahin getroffen ist, die Trennbarkeit der Ehe fiberhaupt zuzulassen, kann 
die specielle Frage in Betracht kommen und etwa nach folgenden Gesichtspunkten 
beurtheilt werden. Es ist ein principieller Unterschied zwischen geistigen und 
kSrperlichen unheilbaren Krankheiten nicht vorhanden. Doch stellt sich die Frage 
in der Praxis anders, insofern als andere Krankheiten selten das Familienleben in so 
bobem Maasse stfiren, als die Geisteskrankheiten. — Das Verlangen nach Trennung 
der Ehe ist nicht haufig, meist sind es arme Leute, deren Erwerb, Unterhalt, Kinder- 
pflege Noth leidet. Wohlhabende Leute kfinnen die durch Geisteskrankheit gesetzten 


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452 


materiellen Schaden leichter ausgleichen. Yon den an den Berliner Landgerichten 
angestrengten Ehescheidungsprocessen betrafen nur 5—6 °/ 00 Geisteskranke, nur 
2 waren gegen den Ehemann gerichtet, bis auf einen Fall waren alle Parteien arm. 
Abgesehen von den etbiscben und anderen Grfinden, welche gegen eine Ehescheidung 
aus Ursachen bestehender Geisteskrankheit vorgebracht werden nnd welche zumTheil 
auf Sentimentalist beruhen, sind es Grfinde arztlicher Natur, welche zur Vorsicht 
mahnen: die zweifelhafte Diagnose, die vorgekommenen Spatlieilungen and die Hei- 
langen bei Paralyse. Dessenungeachtet ist das Gesetz doch zu rechtfertigen, dass 
die Ehe bei bestehender unheilbarer Seelenstorung geschieden werden kann. Man 
mass nur bestimmte Garantien im Interesse des Kranken verlangen. Zunachst eine 
hinlangliche Zeit der Beobachtung in der Anstalt. 3 Jahre dfirften in den meisten 
Fallen genfigen, in anderen weniger oder mehr Jahre. Eine Zeitbestimmnng 
erscheint ffir das Gesetz nicht erforderlich; ebenso ist die Zahl der zn 
ernennenden Sachverstandigen, wie beim Entmfindigungsverfahren, dem Richter 
anheimzugeben, welcher sich voile Ueberzeugung verschaffen muss. — Die materielle 
Lage des Kranken ist in jedem Falle sicher zu stellen. — Die Frage der Nichtigkeit 
der Ehe, wenn ein Ehegatte beim Eheschluss geisteskrank and daher der freien 
Willensbestimmung beraubt war, ist eine andere Rechtssache, welche besondere Be- 
stimmungen erfordert. 

In der Discussion berichtet v. Gudden, dass die Fragestellung des Referenten 
dem Yorstande bei spaterer Berathung zu weit erschienen sei und er beschlossen habe: 

1) Ueber die Zulassigkeit der Ehescheidung wegen bestehender Geisteskrankheit 
zu discutiren sei nicht Aufgabe des Vereins. 

2) Der Verein beschranke sich am Besten auf die Frage, falls principiell die 
Ehescheidung in Folge Geisteskrankheit zugegeben ist, wie das arztlich - technische 
Verfahren einzurichten sei. 

Sander meint, dass sich der Yerein mit der principiellen Frage sehr wohl 
darfiber aussern kGftne. Er hat Satze aufgestellt, welche der Discussion zu 
Grunde gelegt werden sollen. Nach kurzer Debatte, bei welcher v. Gudden zugiebt, 
dass es wdnschensworth sei, dass Jeder sich darfiber klar werde, dass es aber besser 
sei, wenn man keine Beschlfisse fasse, ehe die gesetzgebenden Factoren die mass- 
gebenden Schritte gethan, beschliesst der Verein, fiber die Fragen nicht waiter abzu- 
stimmen und die weitere Verhandlung fiber den Gegenstand fallen zu lessen. 

Es folgt Nr. 3 der Tagesordnung, das Referat fiber die Frage, in wie weit 
Mitglieder von Kranken-, Invaliden- und anderen Kassen beim Eintritt von Geistes- 
storung Nachtheile in der Geltendmachung ihrer Rechte erleiden. Veranlassung dazu 
hatten mehrere ffir die Geisteskranken ungfinstige Bestimmungen in einigen Berliner 
Krankenkassen gegeben. Durch das inzwischen erlassene Krankenkassengesetz sind 
die Hauptschaden beseitigt und der Referent lenkt noch die Aufmerksamkeit der 
Vereinsmitglieder auf die Beachtung der Nachtheile, welche aus der durch die 
beginnende Geistesstfirung bedingten Ausschliessung den Kranken erwachsen konnen. 
Hierfiber zu wachen erklart der Verein ffir wfinschenswerth. 

Am 17. Sept, berichtete Laehr fiber die Fortschritte des deutschen Irren- 
anstaltswesens in den letzten Jahren. Bei der Ffille des Materials ist eine auszugs- 
weise Wiedergabe nicht moglich. Eine Discussion schloss sich nicht an den Vortrag. 

Es folgte der Vortrag von Flechsig: Zur gynaekologischen Behandlung 
der Hysterie (cf. oben die Originalmittheilung). 

Discussion. Mendel sah in einem Fall von hysterischer Psychose mit Tumor 
ovarii, bei welcher die Ovariotomie gemacht wurde, die geistige Stfirung bestehen 
bleiben und unheilbar werden. Er mahnt zur Vorsicht betreffs der Schlussfolgerungffli, 
da die Hysterischen unter den sonderbarsten Verhfiltnissen genesen konnen. 


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453 


Hitzig ffihrt ebenfalls einen Fall eigener Beobachtung an, in welcbem nach 
der Castration die AnfiUle nicht ansblieben. Meschede nnd v. Gudden sprachen 
in demselben Sinne. 

Flecbsig ist sich bewusst, die nOthige Vorsicht anzuwenden nnd spricht 
fiber die MOglichkeit der Einwirkung tiefer langer dauernder Chloroformirung. 

Richter spricht fiber die optischen Leitnngsbahnen des menschlichen 
Gehirns. Er hat eine Anzahl yon Fallen einseitiger und doppelseitiger Atrophie des 
N. opticus post mortem untersucht und fand in einem Falle schwartige Verdickung an der 
Basis cerebri, durch welche der betreffende Opticus zur Atrophie gebracht war, in einem 
anderen Falle einen Erweichungsherd im entgegengesetzen Hinterhauptslappen, in einem 
dhtten ein Psammom am rechten Opticus und eine Erweichung im rechten Hinterhaupts¬ 
lappen. In 9 anderen Fallen kein makroskopischer Refund. Mikroskopisch fand er einen 
Schwund der Ganglienzellen in den oberen Vierhfigeln, dem Sehhfigel und in den 
Kniehockem beider Seiten (auch bei einseitiger Sehnerven-Affection). Ueber den 
Verlauf der Fasern im Stabkranz hat er nichts Sicheres gefunden. Er zieht den 
Schluss, dass auch nach lOjahrigem Bestehen der Opticnsatrophie sich makroskopisch 
keine weiteren Yeranderungen zu zeigen brauchen, und dass es nicht erwiesen ist, 
dass ein Zerfall im Occipitallappen immer einen Schwund der Ganglienzellen in den 
Sehhfigeln und Vierhfigeln nach sich zieht. 

Eine Discussion schliesst sich hieran nicht 

Mendel fiber das Yerhalten der Ganglien bei der progressiven Para¬ 
lyse der Irren. Der Vortrag erscheint als Originalmittheilung in der nachsten 
Nummer. 

In der Discussion bestatigt Binswanger auf Grand seiner Uutersuchungen 
das Vorhandensein von pathologischen Yeranderungen an den Ganglienzellen der Rinde 
bei Paralyse. Er hat sie in den Bezirken der Betz’schen Riesenpyramiden stets 
gefunden. Seine Befunde stimmen nur in einigen Punkten mit denen Mend el’s 
nicht fiberein. Die gelben Exsudate sah Binswanger nicht, pericellulare Raume 
waren vorhanden. Wichtig war ihm die Veranderang der KernkOrperchen, welche 
oft zerklfiftet und zerrissen waren. Von den Ganglienzellen waren nie alle, sondem 
sie waren nesterweise ergriffen. Er schildert genauer das Verhalten des Pigments, 
v. Gudden erklart auf Grand neuerer Untereuchungen eines Collegen, dass die 
Hartung in Mfiller’schen LOsung unbrauchbare Resultate giebt Mittelst der neuen 
Methode (Alcoholhartung) fanden sich in alien Fallen von Paralyse Yeranderungen der 
Ganglienzellen, und zwar mit dem Charakter der Atrophie. Das KernkOrperchen 
verliert seinen Glanz, die Zelle verandert ihre Form, wird kleiner, klumpig und 
undurchsichtig, auch werden die Fortsatze undeutlich. Er zeigt ein Praparat, welches 
diese Verhaltnisse sehr schOn illustrirt. 

Mendel freut sich fiber die Bestatigung seiner Befunde, mOchte jedoch der Hartung 
in Chromsalzen zu ihrem Rechte verhelfen, da sie ja auch dieselben Veranderungen 
deutlich macht, die Herr y. Gudden soeben beschrieben. 

Am 16. Sept, besichtigte die Yersammlung die Anstalt zu Nietleben bei Halle, 
am Nachmittage des 17. Sept, die Anstalt Alt-Scherbitz bei Schkeuditz. Am Abend 
des 16. Sept, vereinigte ein Festmahl die Mitglieder im Hotel de Prusse zu Leipzig. 

Siemens. 


Bericht fiber die Verhandlungen der Section fur Neurologic und Psychiatrie 
auf der 57. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerate zu Magde¬ 
burg, 17.—24. Sept. 1884. 

I. Sitzung vom 19. Sept. Morgens 8 1 /* Uhr. — Vorsitz: von Gudden. 

Patz: Ueber den Werth agricoler Irrenanstalten und fiber die Anstalt 
Alt-Scherbitz. 


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Das Streben nach einfacheren Verpflegungsformen fur Geisteskranke fQfarte 
schon frtlher zur familiaren und zur colonialen Irrenverpflegung. Das Ziel der 
agricolen Irrenanstalt nun ist, die Yorzuge der freieren Verpflegungsformen mit 
den Yortheilen der geschlossenen Anstalt so zu vereinigen, dass die — nur aus- 
nalimsweise nothige — Freiheitsentziehung („Detention“) in einem geschlossenen 
Theile der Anstalt moglich ist, sonst aber fftr die Kranken Einrichtungen geschaffen 
werden, welche bei Gewahrung mOglichster Freiheit gute hygienische Verhaltnisse, 
die Moglichkeit ausgedebntester Beschaftigung und vortheilhaftester Arbeitsausnutzung 
bieten sollen. Es wurde kurz erlautert, in wieweit in Alt-Scherbitz diese Bedingnngen 
erfullt sind. (Ob es nOthig war, gerade das „Humane“ von Alt-Scherbitz gegen- 
uber den geschlossenen Anstalten so sehr zu betonen, erscheint zweifelhaft. Wenn 
statt „human“ uberall das Wort „einfach“ gebraucht ware, ware der Zweck des 
Vortrages auch erreicht worden. Denn die Vorziige von Alt-Scherbitz sind ja auch 
dem grdssten Skeptiker deutlich. Bef.) 

In der Discussion meint Oebeke, dass gewiss viele der Kranken, welche in 
Alt-Scherbitz die Dorfhauser bewohnen, ganz frei sich bewegen und ihren Hausschlussel 
haben, ebenso gut in der Familie leben konnon. Patz entgegnet, dass die Verhalt¬ 
nisse in der Provinz Sachsen der familiaren Verpflegung nicht gtinstig seien, und 
dass viele ganz harmlose Kranke in der Anstalt bleiben mussten, weil sie ausserhalb 
in Folge ihrer geistigen Unselbststandigkeit nicht existiren konnten. — Moeli fragt 
nach dem Procentsatz der Bettlagerigen und ob in Alt-Scherbitz vielleicht weniger 
Paralytiker vorhanden seien. Patz sagt, dass kOrperliche Krankheiten selten seien, 
dass sonst aber die Bettbehandlung in Sclierbitz nach denselben Grundsatzen wie 
anderswo ausgeubt werde. 

Meschede fragt nach der Zahl der Entweichungen, Patz stellt sie nicht 
holier als in geschlossenen Anstalten. 

v. Gudden erkennt die Fortschritte des Systems vou Alt-Scherbitz an, meint 
aber, dass die geschlossenen Anstalten auch ihr Gutes haben, dass in der Nahe 
grosser Stadte freie Anstalten unmoglich und dass auch bei geschlossenen Thuren 
und vergitterten Fenstern erfreuliche Resultate zu erzielen seien. — 

v. Gudden: Ueber das Corpus mammillare und die sogenannten Schenkel 
des Fornix. 

Das Corpus mammillare besteht jederseits (vergl. Arch. f. Psych. Bd. XI.) aus 
zwei unabhangigeu Ganglion; der sog. Fornixschenkel bildet keine Continuitat, keine 
Schleife durch Auf- und Absteigen im Corp. mamm. Es sind vielmehr von einander 
getrennte, auch in keinem directen physiologischen Zusammenhang stehende Faser- 
biindel. Der aufsteigende Schenkel, die Fornixsaule, durchsetzt einfach nach voll- 
zogener Kreuzung hinter dem Corpus mam. dieses zwischen medialem und lateralen 
Ganglion, biegt, ohne weitere Yerbindung mit ihm einzugehen, kniefbrmig urn, ver¬ 
lauft dorsipetal nach vorn und erreicht den hinteren Band der vorderen Commissur. 
Der absteigende Schenkel (das Vicq d’Azyr’sche Bilndel) entspringt vom Tuberculum 
anterius des Thalamus, verlauft ventripetal nach hinten und begiebt sich in das 
mediate Ganglion des Corpus mammillare. Yon diesem entspringt ein zweites Bilndel, 
welches eine Strecke weit mit dem Vicq d’Azyr’schen Bundel medialwarts zusammen 
verlauft, sich dann von ihm abzweigt und in der Haube verliert. Nimmt man eine 
Grosshimhemisphare (beim Kaninchen) fort, so atrophirt das zum Tuberc. ant gehende 
Hemispharenbiindel (dossen genauer Verlauf nocli erforscht werden muss, welches 
flbrigens vorzugsweise zum Scheitel- und Hinterhauptshim in Beziehung steht), es 
atrophirt die bezflgliche Nervenzellengruppe des Tub. ant., das Vicq d’Azyr’sche 
Bilndel, das mediate Ganglion des Corpus mam. und dessen HaubenbflndeL Doch 
konnte das ganze Vicq d’Azyr’sche Bilndel nicht zum Schwinden gebracht werden. 
Neuere Untersuchungen haben nun daruber aufgoklart. Die Besultate sind: War die 


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Hemisphere, das Corp. striatum und mit dem vorderen Theil des Thalamus zweifellos 
das Tub. anterius beseitigt, so zeigte es sich, daSs das mediale Ganglion nicht ein- 
fach ist, sondern wieder a us zwei Ganglion, einem ventralen hinteren und einem 
dorsalen vorderen, besteht. Das erste ist abhangig vom Vicq d’Azyr und geht mit 
diesem zu Grunde, das zweitfe ist unabhangig von ihm, bleibt erhalten und ist das 
Centrum ffir das Haubenbfindel, welches ebenfalls erhalten bleibt. Erst wenn man 
nach Enucleirung eines Auges vom Foramen opticum aus Oder durch einen Einstich 
von der Convexitat des Gehims her (gleichfalls intracraniell) das dorsale Ganglion 
zerstfirt hat, geht auch das Haubenbfindel zu Grunde. — Zeichnungen und Praparate 
wurden demonstrirt, auch die Erklarung ffir die anderweite Deutung des frftheren 
(richtig erhobenen) Befundes gegeben. 

Es legt sich also das Haubenbfindel des Corpus mammill. medial dem Vicq 
d’Azyr’schen Bfindel an, begleitet dasselbe eine Strecke weit, biegt dann nach hinten 
um und kreuzt sich mit dem Meynert’schen Bfindel, welches das Ganglion habenulae 
mit dem von v. Gudden entdeckten Ganglion interpedunculare verbindet, medial 
(nicht, wie im Arch. f. Psych, angegeben, lateral). Im weiteren Verlauf lassen die 
Haubenbfindel, zwischen den Meynert’schen Bfindeln nach hinten vordringend, die 
Wurzeln der N. oculomotorii zur Seite, fangen an, durch die Bfindel der Hauben- 
kreuzungen gespalten zu werden, bilden eine etagenffirmig aufgebaute Reihe von 
Querschnitten, welche schliesslich hinter den Haubenkreuzungen in zwei neben der 
Raphe ventral von den hinteren Langsbfindeln gelegenen, ziemlich grossen Zellen- 
gruppen sich verlieren. In derselben Region, und dorsal vom hinteren Langsbfindel, 
liegen zwei. umfangreiche Ganglion, deren Verhaltnisse noch unbekannt sind. — Zer- 
stort man das dorsale vordere Ganglion, so geht auch das ventral vom hinteren 
Langsbfindel hinter der grossen Haubenkreuzung gelegene Ganglion zugleich mit dem 
ganzen Haubenbfindel zu Grunde. — Dieses Ganglion und das Haubenbfindel 
dfirften der Einfachheit wegen nach ihrem Entdecker das Gudden’sche 
zu nennen sein. 

Weitere Publicationen fiber die drei Bfindel der Fomixsaulen, denen sich nach 
neueren Untersuchungen ein viertes zugesellt, werden in Aussicht gestellt. 

Eine Discussion fand nicht statt. 

Hasse: Ueber dio Beziehungen der Krankheiten der weiblichen Ge- 
schlech tsorgane zu den GeistesstOrungen. Dass solche Beziehungen existiren, 
ist unzweifelhaft. Eine andere Frage ist, ob die in letzter Zeit so viel geiiusserte 
Ansicht berechtigt ist, dass namlich dieser Zusammenliang ein viel innigerer, aus- 
gedehnterer sei, als man gewfihnlich annehme, dass ein sehr bedeutender Theil aller 
weiblichen Geisteskranken geschlechtskrank sei, dass die Psychose ihren Ursprung 
in diesen Geschlechtsleiden habe, und dass die Beurtheilung und Behandlung dieser 
Geschlechtsleiden von der allergrfissten Bedeutung sei. Indem diese Verhaltnisse 
beleuchtet und die Gefahren unzeitiger und unnothiger gynakologischer Untersuchung 
und Manipulation geschildert werden, ist der Vortfagende geneigt, zu verlangen, dass 
die Gynakologen sich eine genauere Kenntniss von den Wesen und den Bedingungen 
der Psychosen verschaffen mochten. 

In eine Discussion wurde nicht eingetreten. 

Hitzig: Ueber einen Fafl von Hamorrhachis, Syringomyelie und abnorme 
Structur des spinalen Markmantels. In diesem Fall sass der ausgedehnte 
Bluterguss lediglich im G ewe be der Pia, er ist ffir die Beurtheilung dieses 
Verhaltnisses charakteristisch, wenn er auch durch das gleichzeitige Bestehen der 
Syringomyelie nicht ganz rein ist. 

Die 54jahrige, neuropathisch veranlagte, melancholische Frau, welche bereits 
frfiher ah Kopfcongestionen gelitten hatte, erkrankte am 29. Dec. 1882 mit Kopf- 
schmerzen, Schwindel und allgemeiner Abgesclilagenheit. Andern Tages constatirte 


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man allgemein, namentlich an der Wirbelsaule ausgesprochene Hyperathesie und 
leichte Dilatation der 1. Pupille; dabei Bronchialcatarrh. Am 31. Dec. anfallsweise 
starkere Scbmerzen. Gefilhl grosser Schwere in den Gliedem, objectiv ein Gefiihl 
von Spannung und Harte in der linken Wadenmuskulatur nachzuweisen. Sonst keine 
Motilitatsstdrungen. Am 1. Januar trat vollkommene sensible, motorische und reflec¬ 
tor ische Lahmung der untern KOrperhalfte einscbliesslich der Blase bis in die Nabel- 
gegend ein. Dartiber Gurtelschmerz bei massig hyperasthetischer Haut. 2. Jan. 
Herpeseruption an letzterer Stelle. Nachmittags geringe Wiederberstellung des 
GefQhls- und BewegungsvermOgens an den gelahmten Theilen. In der Nacht Tod. — 
Die Section ergab ausser einem frischen flacbenhaften subaracbnoidealen Bluterguss 
an der Convexitat des Hinterlappen, des r. Scheitellappens und der oberen Flache 
des Kleinhirns die strotzende Erftillung des Subaracbnoidealraumes des Rilckenmarkes, 
vom mittleren Brustmark bis zum Conus medullaris mit frischem schwarzrothem Blut- 
coagulum. Schnittflachen verwaschen, die Substanz quillt etwas vor. — 

Gegeniiber den Beschreibungen der Lehrbticher und Monograpbien constatirt 
Hitzig nicht unwesentliche Differenzen: zunacbst war die Entwickelung der Krank- 
beit nicht so plfltzlich, wie bebauptet wird, sondern es gingen sensible Keizsymptome 
von 3tagiger Dauer vorher. Dagegen war von den beschriebenen motorischen Reiz- 
erscbeinungen hier keine Rede. Und statt der behaupteten Parese fand sicb com¬ 
plete Lahmung in sensibler, motorischer und reflectorischer Hinsicht. Diese Beobach- 
tung macbt die differentielle Diagnostik der meningo-spinalen Blutung von der 
Myelitis zu einer nocb scbwierigeren. Einen Fingerzeig giebt vielleicht die bei 
Blutung sicb ausgleichende Paraplegie. Von der subduralen und extrameningealen 
Blutung scheint sicb die subaracbnoideale Haemorrhagie durch das Fehlen der moto¬ 
rischen Reizerscboinungen, durch ausgesprochene Lahmungserscheinungen und von 
Ersterer aucb wobl durch die langsamere Entwickelung zu unterscheiden. 

Die bei der Section noch gefundene HOhle begann ca. 9.5 cm. oberhalb des 
Conus medullaris und batte eine Lange von ca. 5.8 cm. Sie lag in dem vorderen 
Theil der Hinterstrange und in der grauen Commissur. Sie war auf dem Querschnitt 
zipflich, unregelmassig, erscbien von einer Membran eingefasst, doch war ein Epitbel 
nicht erkennbar. Der Centralcanal verhielt sicb verschieden. 

Ausserdem fand H. im weissen Markmantel des Dorsalmarks mehr oder minder 
dicke Bfindel von Nervenfasern, welche, vom Hinterhorn ausgebend, eine Strecke 
transversal verliefen und dann in der Nahe von Gefassen in die longitudinale Ricb- 
tung umbiegen oder um einen Gefassschnitt eine Schlinge bilden. Es ware moglich, 
dass diese Fasern durch ein sicb retrabirendes Gefass dislocirt sind (in der Embryo- 
nalzeit). Sie scbeinen aucb eine besondere Neigung zum Zerfall zu baben und man 
kdnnte daran denken, dass ihr Zerfall mit der Syringomyelie in Verbindung zu 
bringen sei. 

Eine Discussion wurde nicht eroffnet. Siemens. 

(Fortsetzung folgt.) 


IV. Vermischtes. 

Der Verein sfidwestdentscher Irrenarzte wird am 18. und 19. October in 
Karlsruhe seine Jahresversammlung abhalten. Baldige Anmeldungen zu Vortragen werden 
erbeten von den Gescbaftsftibrern Schiile, Illenan, und Kirn, Freiburg. 


Um Einsendung von Separatabdrucken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen fiir die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 

. Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzobb & Wittio in Leipzig. 


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Neurologisohes Centr ALBL ATT. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Dritter “ Ber,in - Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu bezieben durch 
alle Buchhandlungen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1884. 15. October. N* 20. 


I n h a 11. I. Originalmittheilungen. Znr gynaekologiscben Behandlnng der Hysterie von 
Flechsig (Schluss). 

{I. Referate. Experimented Physiologie. 1. Ueber die Beeinflnssnng der elek- 
trischen Muskel- nnd Nervenerregbarkeit nnd der Sehnenreflexc dnrcb Arbeit nnd Ermfidnng 
von Orschanski. — Pathologische Anatomic. 2. Cefalometria in 670 Alienati del Peli. 
— Pathologie des Nervensystems. 3. La sordita verbale od afasia sensoriale, studio 
clinico ed anatomo-patologico del Sepilli. 4. Tumeur des meninges c6r6brales; Hemipl6gie, 
aphasie intermittente par Darier. 5. Unilateral temporale Hemianopsia sinistra; tumor cerebri 
von Rich. Schulz. — Psychiatric. 6. Ueber Geistesstorungen nacli Kopfverletzungen von 
Hartmann. 7. Traumatism in relation to insanity by Brower. 8 . Le frcnopatie in rapporto 
alia menstruazione pel Algeri. — Therapie. 9. Die ungleichartige therapentiscbe Wirkungs- 
weise der bciden elektrischen Stromesarten nnd die elektro-diagnostische Gesichtsfeldnnter- 
snchnng von Engelskfffn. — Forensische Psychiatrie. 10. A plea for the treatment of 
criminals by Wight. 

III. Aus den Gesellschaften. — IV. Personalien. 


I. Originalmittheilungen. 

Zur gynaekologischen Behandlung der Hysterie. 

(Aus der Universitats-Irrenklinik zu Leipzig.) 

Von Professor Paul Flechsig. 

(Fortsetznng und Schluss.) 

Epikrise: Angesichts des geschilderten Krankheitsverlaufs wirft sich in 
erster Linie die Frage auf: Welchen Antheil hat an der Heilung die Castration? 
Dass erst mit dieser Operation eine gunstige Wendung eintritt, springt ohue 
Weiteres in die Augen. Wie ist dies zu erklaren? Hat der chirurgische Ein- 
griff etwa psychisch gewirkt oder ist durch denselben thatsachlich die wesent- 
lichste materielle Ursache der gesammten Krankheitserscheinungen ausgeschaltet 
worden? FQr die erstere Deutung konnte man anfuhren, dass in der Literatur 
emestheils ein Fall 1 existirt, wo schwere Hysterie durch eine Scheincastration 

1 Israel, Berliner medieinische Gesellschaft. Sitznng vom 14. Jonnar 1880. Ich kennc 
denselben aus ErlenmeyePs Centralblatt. III. S. 53. 


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vollig geheilt wurde, anderentheils uber mancherlei Falle berichtet wird, wo 
durch psychische Einwirkungen der verschiedensten Art schwere hysterische 
Beschwerden mit einem Schlag verschwanden. Es wurde vorschnell geurtheilt 
sein, wenn man unseren Fall ohne Weiteres mit den nur erwahnten in 
eine Kategorie yerweisen wollte. Schwere Hysterie kann auf die verschieden- 
artigste Weise entstehen, durch psychische Schadlichkeiten, durch Erkrankungen 
der Sexualorgane und wahrscheinlich auch von der Erkrankung anderer Organe 
aus. Beztiglich des Erfolges einer therapeutischen Methode vergleichbar sind 
nur Falle von gleicher Beschaffenheit, insbesondere gleicher Aetiologie. Es 
wurde sich hieraus die Frage ergeben: Sind Falle von schwerer, jahrelang be- 
stehender Hysterie mit den namlichen Veranderungen der Sexualorgane (para- 
metritische Schwielen, Atrophie und kleincystische Degeneration der Ovarien) 
bekannt, welche ohne Beseitigung der letzteren ausschliesslich durch psychische 
Einflusse geheilt wurden? Ich muss dies fur unerwiesen halten. Dass der 
oben erwahnte Fall Israel hierher gehort, mochte ich bezweifeln. Denselben 
auf Grund des Erfolges zu unserem in Analogic zu setzen, liegt schon deshalb 
kein genugender Grund vor, weil in dem ersteren der Verlauf nach der „Opera- 
tion“ ein ganz anderer war. Bei Israel nach dem Scheineingriff 8 Tage lang 
sturmische, an Peritonitis erinnemde Erscheinungen, darnach (wie lange?) voll- 
standige Heilung — in unserem Fall nach der Operation normales Verhalten, 
spater zunachst ein Recidiv, welches allmahlich ansteigt und was die nicht- 
psychisclien Storungen anlangt, nach einer kurzdauemden Acme allmahlich 
wieder abklingt, wahrend die wieder auftretenden psychischen Storungen kritisch 
endigen. Uebrigens kann in unserem Fall von einer psychischen Wirkung wie 
bei Israel nicht die Rede sein, weil unsere Patientin vor wie nach der Opera¬ 
tion vollig im Unklaren daruber blieb, worm dieselbe bestand. Es wurde ab- 
sichtlich vermieden, die Patientin durch entsprechende Auseinandersetzungen zu 
erregen. Hierzu kommt, dass in unserem Fall die Befunde bei der Operation 
selbst wie eine Anzahl in der Folge auftretender Erscheinungen darauf hin- 
weisen, dass thatsachlich die Erkrankung der Sexualorgane einen Antheil an 
den hysterischen Erscheinungen hatte. Es wurde den Thatsachen Gewalt an- 
thun heissen, wenn man die hochgradige Schmerzhaftigkeit der linken Ovarial- 
gegend nicht mit der Degeneration und der Zerrung des entsprechenden Ovariums 
in Verbindung bringen wollte. Dass nach der Operation wieder Schmerzen auf- 
traten, beweist nichts hiergegen. Dieselben sind auf neu auftretende entztmd- 
liche Zustande in den Beckenorganen zuruckzufuhren; zunachst beschrankten sie 
sich auf die Harnblase, bez. deren Umgebung, in welcher sich hochst wahr¬ 
scheinlich eine Stauungshyperamie (Blutung am 5. und 6. Tage nach der Opera¬ 
tion) etablirte — die hiervon abhangigen Schmerzen trugen „einen ganz anderen" 
Oharakter als fruher. Dann entwickelten sich allem Anschein nach kleine Ei- 
sudate an den Stielen, worauf einestheils wiederholte Temperatursteigerungen 
hinweisen, anderntheils den fruher vorhanden gewesenen ahnliche Unterleibs- 
schmerzen mit hochgradiger Druckempfindlichkeit bald der rechten, bald der 
linken Unterbauchgegend. (Ob die zuruckgebhebenen Seiden-Ligaturen hiermit 


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in Verbindung zu bringen sind, muss dahingestellt bleiben.) Im October 1883 
erreichen diese Storuugen ihr Maximum. Das erst jetzt wieder beobachtete 
Auftreten einer Lahmung, welclie mit einer Blutimg aus der Vagina zuruck- 
geht, illustrirt in drastischer Weise den innigen Zusammenhang zwischen den 
nervosen Stornngen und der Unterleibsaffection. Ein auf den ersten Blick uber- 
raschendes Verhalten zeigen nun allerdings die im October wieder erscheinenden 
psychischen Storungen. Wurden sie wie die Schmerzen, Lahmungserscheinungen, 
Collapse, ausscbliesslich bez. direct von der Erkrankung der inneren Sexual- 
organe abhangig gewesen sein, so hatte man erwarten mussen, dass sie parallel 
jenen an Intensitat zu- und abnahmen. Sie steigerten sich aber, als jene schon 
zuruckgingen. Hier ist meines Erachtens eine ziemlich einfache Erklarung moglich. 
Wahrend die Kranke bis Anfang October der festen Hoffnung gelebt hatte, dass 
sie alsbald geheilt sein werde, wurde sie durch das Wiederauftreten schwerer 
Erscheinungen auf das Heftigste enttauscht. Dementsprechend machen auch 
jetzt die psychischen Auomalien zum guten Theil den Eindruck des willkurlich 
Gemachten („es macht ihr Vergniigen, ihre Umgebung zu qualen“) und deshalb 
genugt auch ein psychischer Shock, wie die Isolirung in entkleidetein Zustand, 
um dieselben mit einem Schlag zum Verschwinden zu bringen. Ist diese Er- 
klarung richtig, so giebt sie vielleicht uberhaupt einen Sclilussel fur das Ver- 
haltniss, in welchem die psychischen und sonstigen Anomahen bei Hysterischen 
in manchen Fallen stehen. Die ersteren wurden nicht Parallel-, sondern 
Folgeerscheinungen der letzteren darstellen und aus diesem Grunde mit selbigen 
entstehen und vergehen. 

Ad 2) Psychose mit hysterischen Zugen. — Fibroma uteri von Kindskopf- 
Grosse. — Amputatio uteri supravaginalis. — Guter Erfolg. 

M. K., 43 Jahre alt, verheirathet, hat 3mal geboren, lmal abortirt, hereditar 
belastet (Schwester in der Irrenklinik liier an Manie mit Erfolg behandelt). — Bereits im 
17. Lebensjahr erkrankte sie psycliisch in Folge (?) eines Falles auf den steinernen 
Fussboden, wurde deshalb l l / 2 Jahr in der Pragor Irrenanstalt behandelt und geheilt 
entlassen. — Im 32. Lebensjahr (Juli 1872) zeigt sich wieder Unruhe, nutzlose 
Geschaftigkeit, Neigung zum Geldverschwenden, haufiger Stimmungswechsel. Darnach 
(von October 1872 bis Febr. 1873) deprimirte Stimmung; dabei Metritis mit Ulcera- 
tionen am Ostium uteri externum, welche unter gynaekologischer Behandlung be- 
seitigt werden. Nach Beendigung dieser Kur gehobene Stimmung, Ideenflucht, Ge- 
sichtshallucinationen, Grdssenideen und Verworrenheit. Am 1. Juni 1873 Aufnahme 
in eine Irrenanstalt; hier werden constatirt: grosse Ideenflucht, Personenverwechselung, 
Grossenideen, Neigung zn ObscOnitaten, welche unter grossen Schwankungen all- 
mahlich znrflckgehen, so dass Patientin am 1. Januar 1878 geistig klar, aber nocli 
mit mancherlei Eigenheiten behaftet in die Familie zuruckkehrt. Somatisch in 
dieser Zeit ausser Cessatio mensium und Obstipation nichts nachweisbar, insbeson- 
dere nicht ein Tumor uteri. — Im 40. Lebensjahr acuter Gelenkrheumatismus, darnach 
starkes Herzklopfen (Praecordialangst?), Kur in Marienbad mit gutem Erfolg. Um 
diese Zeit treten auch Symptome einer Vergrosserung des Uterus hervor, aus welcher 
der behandelnde Arzt auif Graviditat schliesst. — Im 42. Lebensjahr (Herbst 1882) 
Beginn eines dr it ten Anfalls von Geistesstorung, angeblich in Folge eines Schrecks 
(Feuer im Haus). Pat. vernachlassigt die hauslichen Angelegenheiten, klagt Prae¬ 
cordialangst, „Kopfang8t“, will sterben, glaubt ihren Mann zu ruiniren. Daneben 


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haufige Anfalle von „Asthma“, Unfahigkeit zn sprechen, „Zungenkrampfe“, hartnackige 
Obstipation. Die melancholische Stimmung ist zuerst nur friih intensiver ausgepragt, 
spater treten die Remissionen mebr und mehr zurfick, weshalb am 28. April 1884 
Aufnalime in die Irrenklinik erfolgt. 

Status praesens: Mittolgrosse wohlgeniihrte Person von 64,5 Kilo Korper- 
gewicht. Herz etwas verbreitert nach rechts, systolischer Ton im linken Ventrikel 
dumpf, kein deutlicbes Gerausch. Unterleib stark aufgetrieben; in der rechten Unter- 
bauchgegend eine derbe, nicht fluctuirende Geschwulst ffihlbar von der Gr5sse des 
Kopfes eines einjahrigen Kindes. Die bimanuelle Untersuchung lasst erkennen, dass 
sie dem nach links liinten gerichteten Uterus nach vorn aufsitzt und mit demselben 
durch einen scheinbar fingerdicken Stil zusammenhangt. Im Uebrigen keine soma- 
tischen Anomalien. Psychisch besteht starke depressive Yerstimmung, Prae- 
cordialdruck; keine Wahnideen etc. Verordnung: protrahirte laue Bader, Opium 
innerlich. 

In der Folgezeit treten mehr und mehr melancholische Wahnideen auf (Ver- 
sfindigung, drohende Strafe etc.). Vom 3.—5. Mai Menses, welche in der Folge nie 
wiederkehren. Am 15. Mai ein ca. 10 Minuten dauemder, angeblich von completer 
Amnesie gefolgter Anfall maniakalisclier Art mit Singen, Tanzen, sexueller Erregung 
(sie versucht, einer anderen weiblicheu Person die Kleider aufzuknflpfen, kusst die- 
selbe etc.), was sich in der Folge mehrmals wiederholt. Yom 17. Mai an fallt es 
auf, dass Pat. die Kiefer aufeinanderpresst und oft, wenn sie sich berafiht zu sprechen, 
nur einzelne Silben scandirend hervorbringt oder auch vollstandig unfahig ist, einen 
Laut zu bilden. Am 2. Juni Anfall von mimischen Gesichtskrampfen, Trismus mit 
heftigem Zalmeknirschen, frequenter Respiration, 120 Puls, starkem Schwitzen von 
VaStfindiger Dauer mit ofteren Wiederholungen. Am 5. Juni Stunde lang starke 
Exspirationskrampfe mit Ausstossung sonderbarer, bellender, wimmernder, stChnender, 
kreiscbender Laute, klonische Kriimpfe der Gesichtsmuskeln, Trismus etc. (durch Brom- 
atliyl coupirt). Den beschriebenen gleichende Anfalle wiederholen sich in der Folge 
oftmals einzeln oder serienweise. Die mimischen Krampfe variiren dabei auf das 
Mannigfaltigste; besonders haufig fallt ein schnauzen- bez. rfisselformiges Vorstrecken 
der Lippen auf, desgleichen SchUtteln des Kopfes — ohne dass dabei Pat. den Ein- 
druck macht, als ob sie von besonderen Ideen beherrscht wdrde. Es beginnt jetxt 
eine (bis 12. Sept, wahrende) Periode, wo Pat. die Nahrung hartnackig verweigert, 
sich zu entkleiden strebt, ihre Kleider und andere Objecte zerstort, aggressiv wird 
gegen ihre Umgebung, Koth und Urin unter sich gehen lasst, mit Koth schmiert, 
oft in den gemeinsten Ausdriicken scheltet, zwischen hinein auch sehr zartlich wird 
gegen die Aerzte. Zuweilen treten kurz dauernde Remissionen auf, wahrend deren 
die Kranke ruhiger ist und nur angstliche Verstimmung erkennen lasst. Sie wird 
ofter mit der Schlundsonde gefQttert, da sie erheblich an Gewicht verliert; hiernach 
sowie bei der Application von Clysmen treten fast regelmassig Serien besonders hef- 
tiger Anfalle von mimischen Krampfen, Trismus etc. hervor. Trotz der kfinstlichen 
Fattening, welche haufig durch den Trismus sehr erschwert wird, tritt mehr und 
mehr ein kachectisches Aussehen hervor, so dass der Verdacht nahe gelegt wird, der 
Uterus-Tumor kbnne einen malignen Charakter besitzen. Bis 12. September hat Pai 
ca. 17 Kilo, d. h. mehr als l / 4 des Gewichts verloren, welches sie beim Eintritt in 
die Klinik zeigte. Der Tumor hingegen nimmt anscheinend an Grdsse zu. 

Es warf sich nun zunachst die Frage auf, in wiefem dem fraglichen Tumor 
ein Antheil an dem Krankheitsbild, insbesondere an dem raschen korperlichen 
Yerfall zukomme. Dass der gesammte nervose, bez. psychische Symptomen- 
complex von der Geschwulst abhange, war von vornherein auszuschliessen. Pat 
war ja bereits fruher 2mal an Geistesstorung erkrankt gewesen, bevor noch 


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irgend etwas vom Tumor zu bemerken war; bei der offenbar vorhandenen Prae- 
disposition konnte ein heftiger Schreck als hinreichender Grand fur Entstehung 
des 3. Anfalls angesehen werden. Nichtsdestoweniger konnte der Tumor doch 
einen wesentlichen Antheil an gewissen Einzelerscheinungen haben — und hier 
schienen mir ganz besonders in Betracht zu kommen die mimischen Krampfe, 
der Trismus, die Exspirationskrampfe. Einestheils glichen dieselben vielfach 
Anfallen, wie sie in dem sub 1 beschriebenen Falle vorhanden waren, andern- 
theils hatte ich ahnliche Zustande wiederholt bei Puerperalpsychosen 1 beobachtet 
Ueberdies waren die fraglichen Erscheinungen bei dem 2. Anfall von Geistes- 
storang, wo der Tumor noch nicht existirte oder wenigstens nur sehr geringe 
Bimensionen besass, nicht beobachtet worden; und endlich traten bei jeder Erhoh- 
ung des intraabdominellen Drackes durch Einfuhrang von Speisen bez. Application 
von Clysmen die Krampfanfalle besonders intensiv und anhaltend hervor. Aller- 
dings war auch die Moglichkeit zu berucksichtigen, dass sie mit psychischen 
Vorgangen, z. B. hypochondrischen Wahnvorstellungen, Affeeten etc. zusammen- 
hingen. .— Die hochgradige Abmagerung konnte sehr wohl ausschliesslich auf 
die Hirnerkrankung bezogen werden, da ja bekanntlich z. B. beim uncomplicirten 
circularen Irresein haufig ein gleiches Yerhalten des Korpergewichts sich zeigt 
Dem Tumor einen bestimmten Antheil an dieser Erscheinung zuzuschreiben, war 
somit nicht unbedingt geboten; doch blieb immer die Moglichkeit ofiFen, dass 
der Tumor maligner Natur war, bez. dass die Umwandlung einer an sich gut- 
artigen Geschwulst in eine maligne Form vorlag. Auch wirkte dieselbe ofiFenbar 
hochgradig storend auf die Defecation und hierin musste eine ungunstige Ruck- 
wirkung auf Magen und Dunndarm etc. gegeben sein. Da nun die Geschwulst 
uberdies anscheinend im Wachsthum begriffen war, sich somit die von ihr ab- 
hangigen Storangen zu steigern drohten, der immer haufiger auftretende Trismus 
auch die kunstliche Ernahrang sehr erschwerte, somit zu erwarten war, dass 
die Kranke mehr und mehr heranterkommen wurde, so wurde die Exstirpation 
in Erwagung gezogen. Zur Vomahme derselben ermuthigte der Umstand, 
dass die in der Chloroformnarkose vorgenommene Untersuchung vom Rectum 
aus bez. mittelst der Sonde ein subseroses, schmal gestieltes Myom oder Myo- 
Sarcom erwarten liess, Grande zur Annahme von Adhasionen aber nicht existirten. 
Einige Bedenken bezuglich des gunstigen Yerlaufs der Heilung erregte aller- 
dings der tobsuchtige Zustand der Kranken, insbesondere ihre hochgradige Un- 
reinlichkeit; indess durfte man hofiTen, durch einen sehr fest constrairten Ver- 
band und zahlreiches zuverlassiges Wartepersonal dieser Gefahr zu begegnen. 

Am 12. September wurde denn auch die Operation ausgefuhrt; vorher war 
unter stetem Widerstand der Kranken versucht worden, die Bauchhaut aseptisch 
zu machen, was indess nur unbefriedigend gelang, da sie die Carbolcompressen 
abriss und jede Gelegenheit benutzte, um sich wieder zu besudeln. Die Vagina 
war am Abend zuvor mit 5 % Carbolsaure ausgespult und mit Jodoform-Gaze 

1 Bei hallncinatorischem Irresein — in der Literatur finde ich diese in mancher Hin- 
sicbt der Chorea, bez. der Rinden-Epilepsie gleichenden Krampfanfalle za meiner Ueber- 
raschang nicht beschrieben; ioh werde bei einer anderen Gelegenheit naher anf sie eingehen. 


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tamponirt worden. — Die Narkose mit Chloral-Chloroform verlief ungestort. Was 
die Operation selbst anbelangt, so hat Hr. Dr. Sangeb die Gate gehabt, mir 
folgende Notizen znr Verfugung zu stellen. 

„Bauchschnitt in der Linea alba. Peritoneum sehr verschieblich, Subsero- 
sium sehr locker und fettarm. Nach Eroffnung der BauchhShle gewahrte man 
nur ein kleines Segment der Geschwulst. Die TJntersuchnng mit der vollen 
Hand ergab, dass sie grosstentheils in das kleine Becken hinabgetreten war. 
Die Herausforderung von der Bauchhohle her allein gelang nicht Nach Em- 
porschiebung von der Scheide her durch einen Assistenten konnte die Geschwnlst 
dann mit einem Ruck nach Aussen gebracht werden. Nun zeigte sich, dass 
der Tumor ein kindskopfgrosses, fast rundes, dem Fundus uteri nach vom zn 
aufsitzendes, interstitiell-subseroses Myom darstellte, wozu das Corpus uteri ge- 
wissermaassen den Stiel abgab. Die Adnexe sassen in symmetrischer Weise seit- 
warts der unteren Halbrundung des Tumor. 

Es wurde zur Amputation geschritten. Fur die Enucleation nach A. Mab- 
tin erschien der Tumor zu gross und war auch zu besorgen, dass seine Hdlle 
zu dunn sei, sowie dass die Uterushohle in grosser Ausdehnung freigelegt wurde. 

Nach Emporschiebung der Adnexe Umlegung einer Gummischnur von 
2 mm Dicke etwa um die Mitte des Corpus uteri. Die abschnurende Blei- 
klemme sprang und die elastische Ligatur loste sich. Eine zweite solche, 2 Mai 
vollstandig herumgefuhrt, dabei aber nicht ad maximum angezogen, hielt: 
Schluss durch einen doppelten Knoten und Bleiring. Nun oberhalb der elasti- 
schen Ligatur Umstechung der Lig. lata sammt Yasa spermatica, Ligatur mit 
starkster Seide. Absetzung des Tumor ca. 6 cm oberhalb der elastischen Liga¬ 
tur unter Aufsaugung des Blutes durch ringsum angedruckte Scbwamme. Stumpf 
vollkommen blutleer. Die eroflfnete und klaffende Uterushohle hatte einen 
Durchmesser von ca. I 1 / 2 cm. Verkleinerung des Stumpfes durch Ausschnei- 
dung, doch mit Erhaltung des Peritoneum. Uterushohle schliesslich nur noch 
vom Caliber eines gewohnlichen Bleistifts. Desinfection derselben mit Carbol 
10°/o- Fullung mit Pulvis jodoformi. Auch die Stumpfflache wurde schwach 
mit Jodoform eingerieben. Dann unter tiefer Einfalzung des Peritoneum sym- 
peritoneale Naht des Stumpfes mit 15 Seidensuturen. 

Die mit dem Tumor noch nicht entfemten Uterusadnexe wurden jetzt be- 
sonders abgetragen, die Lig. lata durch einige Ligaturen noch weiter zusammen- 
gerafft und mit dem Pacquelin gebrannt. Stumpf ganz trocken, von iosiger 
Farbung. Einreibung der Nahtreihe und der seitlichen Stumpfe mit Jodoform. 
Toilette der Bauchhohle kaum nothig. Yersenkung des symperitoneal 
vernahten Stumpfes mit sammt der elastischen Ligatur und der 
Bleiklemme. Naht der Bauchwunde mit 5 tiefen Silber-Plattennahten und 
oberflachlichen Seidennahten. Lange des ein wenig uber dem Nabel nach links 
verlangerten Bauchschnittes ca. 15 cm. — Auf die Bauchwunde Jodoform und 
Listergaze. Salicylwatte — Compressionsverband.“ 

Nach dem Erwachen aus der 2 l / 2 Stunden wahrenden Narkose, welche ausser 
einmaligem Erbrechen von etwas Schleim keine ublen Folgen hatte, war Pat 


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zunachst ruhig und freundlich. Sie antwortet klar and zusammenhangend auf 
Fragen and bietet einen Zustand psychischer Norm dar, wie er seit Langem 
nicht beobachtet worden war. Doch wahrt dies nor ca. 12 Sfcunden. In der 
Nacht zam 13. Sept, wird sie heftig erregt, fordert die Entfernung des Verbandes 
and sucht, als man ihr nicht willfahrt, es selbst auszufuhren. Sie wird in Folge 
dessen an den Handen gefesselt and von Warterinnen gehalten. Nichtsdesto- 
weniger gelingt es ihr dorch nnunterbrochene Bewegangen mit dem Rampf den 
Verband so zu lockem, dass man die Baachwunde oberhalb des Mons Veneris 
blossliegen sieht. Es wird deshalb der Verband dorch weitere Gazebinden und 
eine 16 cm breite Gammibinde, welche in mehrfachen Touren amgelegt wird, 
geschutzt. Trotzdem gelingt es ihr, dann und wann mit der Hand von oben am 
Verband zu reissen und die Wunde zu insultiren. Bei energischerem Widerstand 
lasst sie Koth und Urin unter sich gehen, spuckt den Aerzten in’s Gesicht, sucht zu 
beissen, so dass die sehr haufig sich nothwendig machenden partiellen, bez. totalen 
Emeuerungen des Verbandes nur in der Chloroformnarkose moglich sind. Die 
Wundheilung verlief dabei ohne alle Fiebererscheinungen, die Temperatur 
in der Achselhohle erreichte nur einmal 37,8 und hielt sich sonst meist unter 37,5, 
die Pulsfrequenz erreichte nur selten 92 Schlage, meist hielt sie sich um ca. 88. 
Am 7. Tage nach der Operation trittr zum erstenmal wieder Trismus auf, der in 
der Folge dfter, wenn auch seltener als vor der Operation wiederkehrt, wahrend 
die Exspirations- und mimischen Krampfe nicht wieder beobachtet 
werden. Am 11. Tage vollstandiger Verbandwechsel, wobei sich ergiebt, dass 
die Bauchwunde vom Mons veneris bis zum Nabel keinerlei Entzundungs- 
erscheinungen darbietet, wahrend der oberhalb des letzteren gelegene Theil ge- 
rothet und schmerzhaft erseheint; dieser Theil gelangt denn auch erst circa 
5 Wochen nach der Operation unter Collodium-Heftpflaster-Verband vollig zur 
Heilung, wahrend der untere bereits in der 4. Woche vollstandig vernarbt Bis 
Ende der 4. Woche besteht Obstipation, welche von da an nicht mehr in auf- 
falliger Weise wiederkehrt. Vom Ende der 4. Woche an (bis gegen die 21. Woche 
wahrend) starke Kolpitis mit ubelriechendem dickflussigem Secret, ohne dass Pat 
seitens des Unterleibs uber irgend welche Beschwerden klagt oder auf andere 
Weise Zeichen solcher (z. B. Schmerzen) kundgiebt Von derselben Zeit an Zu- 
nahme des Korpergewichts, 1 welche in ca. 6 Wochen insgesammt 3 Kilo betragt. 

Was den psychischen Zustand anlangt, so treten ausser den bereits er- 
wahnten Erscheinungen nach dem 10. Tage wieder Nahrungsverweigerung, 
rucksichtsloses Sichentblossen mit Zerstorungstrieb, Kothschmieren hervor; 
stundenlang singt Pat. Couplets, tanzt oder zeigt hochgradige sexuelle Er- 
regung (sie legt sich auf den Rucken, zieht die im Knie gebeugten und ge- 
spreizten Beine an den Leib, klopft sich die Glutaei mit der flachen Hand, 
entleert den Urin in weitem Strahl, zeigt dabei erotischen Gesichtsausdruck 
u. s. w.) und macht Angriffe auf ihre Umgebang. Wahrend bis zur 8. Woche 

1 Das Verhalten desselben unmittelbar nach der Operation konnte leider nicht festgestellt 
warden. Der Gewichtsverlust dorch die Entfernung des Tumor und das nachfolgende hbliche 
Fasten mag etwa 5 Kilo betragen haben. 

*♦ 


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nach der Operation diese Erscheinungen in grosseren, 1 / 2 bis 1 Woche dauem- 
den Intervallen auftreten nnd Pat. wahrend der entsprechenden Remissionen 
yielfach ein annahemd normales Yerhalten zeigt, sind von der 8.—14. Woche 
anhaltende, nur von kurzen Remissionen unterbrochene Storungen vorhanden. 
Sie nimmt jetzt oft langere Zeit hindurch eigenthumliche, vorher nicht be* 
obachtete Stellungen an, welche auf das Bestehen hypochondrischer Wahn- 
ideen hindeuten. Stundenlang steht sie auf einer Stelle mit stark einge- 
zogenem Unterleib, den Thorax in tiefster InspirationssteUung, das Kinn an 
das Sternum angepresst u. dergl. m. Sie aussert, sie habe nur noch ein Kinn, 
einen ganz kleinen Unterleib und ein paar Beine. In lichteren Momenten 
aussert sie sich entrustet uber die Entstellung ihres Leibes durch die (allerdings 
theilweise im Zickzack verlaufende) Operationsnarbe, beklagt ihre verlorene 
Schonheit und sucht sich deshalb an den Aerzten durch Beissen u. s. wl zn 
rachen. Mit Ende der 14. Woche (16. Dec.) beginnen wieder langere Remis¬ 
sionen, welche an Dauer und Tiefe mehr und mehr zunehmen. Die maniaka* 
lischen Zustande mit obsconem Gebahren, die Unreinlichkeit u. s. w. verschwin- 
den zuerst; sie ist schliesslich nur noch zeitweise aggressiv und renitent; die 
AnfaUe von Trismus treten seltener und in geringerer Intensitat auf. Das in 
der 10.—15. Woche wieder etwas (um 1 1 / 2 Kilo) gesunkene Korpergewicht nimmt 
wieder constant zu und zwar binnen 8 Wochen um 8 Kilo. In der 21. Woche 
nach der Operation (1. Febr. 1884) sind die krankhaften Erscheinungen seitens 
des Nervensystems im Wesentlichen verschwunden. Pat kehrt am 3. Man 
geheilt in die Familie zuruck. Bis zum 16. September, wo ich sie zum letzten 
Male sah, hat sie sich andauemd wohl befunden, nur war sie zeitweise etwas 
eigensinnig und zeigte zuweilen Zahneknirschen, wobei es sich indess nicht 
sowohl um wirkliche Krampfanfalle, sondem um eine willkurlich unterdruckbare 
Angewohnheit handelt. Das Gedachtniss und die Urtheilskraft erscheinen nicht 
geschadigt, sie benimmt sich zu Hause wie im Verkehr mit Anderen angeblich 
correct, ist auch sehr dankbar fur die Beseitigung der Geschwulst. Ihr Ernah- 
rungszustand ist ein guter; klimakterische Beschwerden wie congestive Erschei¬ 
nungen u. dgl. m. sind nicht beobachtet worden. — Die bimanuelle Untersuchung 
der Sexualorgane am 15. Mai ergab Folgendes: Der Uterusstumpf ist so voll- 
kommen beweglich, dass ein Unkundiger ihn fur einen normalen Uterus halten 
konnte. Es besteht massiger Fluor, von einem unbedeutenden Cervicalcatarrh 
herruhrend — sonst keinerlei Beschwerden seitens des Unterleibs. 

Epikrise: Der vorstehende Fall, welcher schon insofern von nicht gewohn- 
lichem Interesse ist, als er zeigt, wie schwere operative Eingriffe, die nothige 
Sorgfalt vorausgesetzt, bei tobsuchtigen, unreinlichen Kranken mit Erfolg vor- 
genommen werden konrien, fordert die BZritik in mehrfacher Hinsicht heraus. 
Hat die Operation der Kranken einen Nutzen gebracht, der im Verhaltniss steht 
zu der damit verbundenen Gefahr? Dass der Tumor bei weiterem Wachsen 
Incarcerationserscheinungen hervorgebracht haben wurde, ist nach dem Befund 
bei der Operation kaum zu bezweifeln. Bei der betrachtlichen'Grdsse war die 
Moglichkeit einer Yerkleinerung auf nichtoperativem Wege durchaus problema- 


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tisch; viel Zeit zu Experimenten dieser Art war sicher nicht vorhanden, auf eine 
baldige spontane Besserung der Psychose zu hoffen erschien unmotivirt. Ich 
muss deshalb die Yornahme der Operation fur hinreichend motivirt halten. Sie 
wurde hauptsachlich unternommen, um dem fortschreitenden physischen Maras¬ 
mus ein Ziel zu setzen, ein directer Einfluss auf die Psychose wurde nicht als 
wahrscheinlich angenommen. Erstere Absicht wurde erreicht, da Pat. wenig- 
stens in der 4. Woche nach der Operation wieder eine Zunahme des Korper- 
gewichtes zeigte, welche bis auf eine unerhebliche kurze Unterbrechung bis zur 
Genesung fortdauerte. Offenbar wurde aber auch der psychische Zustand gun- 
stig durch die Operation beeinflusst. Denn nicht nur, dass unmittelbar nachher 
eine bis fast zur Norm gehende Remission auftrat, so wahrte es 7 Wochen, bis 
die psychischen Storungen wieder die H5he wie vor der Operation erreichten. 
Diese Erscheinungen auf rein psychischem Wege deuten zu wollen, wurde durch- 
aus willkurlich sein. Die Kranke konnte sich weder vor der Operation irgend 
eine Vorstellung davon machen, was mit ihr vorgenommen werden sollte, noch 
erfuhr sie unmittelbar nachher etwas Bestimmtes. Der Yerband, weit entfernt 
ihre Stimmung gunstig zu beeinflussen, irritirte sie nur. Es bleibt so nur die 
Deutung ubrig, dass die Operation auf rein somatischem Wege gunstig wirkte. 
Man konnte hier daran denken, dass die ohne irgend erheblichen Blutverlust 
erfolgte Ausschaltung eines grosseren Gefassgebietes eine erhohte Blutzufuhr 
nach dem Gehim zur Folge hatte; jedoch lasst sich hiergegen mancherlei ein- 
wenden. Es ist auch moglich, dass die stundenlange, tiefe Chloroformnar- 
kose die Erregbarkeit des Gehirns modificirte — ein Gesichtspunkt, der mir im 
Hinblick auf manche andere Erfahrungen der naheren Verfolgung werth er- 
scheint. Der Umstand, dass die Gesammtdauer der Psychose die gleiche war, 
wie die des 1. und 2. Anfalles, wird kaum als ein Beweis fur die Wirkungs- 
losigkeit der Operation angefuhrt werden konnen, da ja bei’ dem 3. Anfall 
die Chancen fur die Heilung durch die Geschwulst herabgesetzt waren. Auch 
ist bei der Wurdigung des Recidivs nach' der Operation ein Moment nicht 
ausser Acht zu lassen, welches den in der Entfemung der Geschwulst gegebenen 
gunstigen Einfluss nicht rein zur Geltung kommen liess, namlich das Yorhanden- 
sein der elastischen Ligatur, welche zur Vermeidung einer Nachblutung in 
der Bauchhohle zuruckgeblieben ist. Hierdurch musste es einestheils zu Stau- 
ungen in dem zuruckgebliebenen Theil der Beckenorgane kommen, worauf wohl 
die Kolpitis zu beziehen ist, andemtheils zu einer mechanischen Reizung der 
im Stil eingeschlossenen Nerven: Schadlichkeiten, die langerer Zeit zum Ausgleich 
bedurften und zu mancherlei Einzelerscheinungen des Recidivs (das langere Per- 
sistiren vor Trismus, die hochgradige sexuelle Erregung, manche impulsive 
Handlungen) in Beziehung gebracht werden konnen. 

3) Hystero-Epilepsie. — Stenose des Orificium externum uteri. — Blutige 
Dilatation. — Heilung. 

T. F., 18 Jahre alt, hereditar nicht belastet, leidet seit Eintritt der Menstrua¬ 
tion, welcher vor mehreren Jahren erfolgte (Termin nicht genau bekannt), an Krampf- 
anfallen, die sich vor und wahrend jeder Blutung in grosserer Anzahl einstellen, in 


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der Zwischenzeit aber seltener sind; gleichzeitig meist heftige Kreuzschmerzen, Erbre- 
clien, Eetentio urinae u. A. m. Dabei 1st sie anbaltend matt, appetitlos, neigt zu 
Obstipation, schlaft unruliig, hat auch manchmal Angstzustande. Sie consultirt einen 
bekannten Gynaekologen, welcher eine Stenose des Orificium externum uteri constatirt, 
wiederholt Dilatationsversuche auf unblutigem Wege vomimmt und sp&ter die Kranke 
in ein Stahlbad schickt. Trotzdem die dysmenorrhoischen Beschwerden geringer 
werden, bleiben die Krampfanfalle und nehmen sogar angeblich an Haufigkeit zu. 
Am 27. October 1883 Aufnabme in die Irrenklinik (nicht wegen Geistessttfrung, son- 
dern nur zur Behandlung der Krampfanfalle). 

Status praesens: Untermittelgrosses, vollentwickeltes Madchen von 54 Kilo 
KOrpergewicht, mit blasser Gesichtsfarbe. Abgesehen von den Genitalien durchaus 
normale Organe, keine Degenerationszeichen. Yon nervOsen StSrungen klagt sie 
DruckgefUhle und blitzartig durchschiessende Schmerzen im Kopf, Kribbeln in den 
Handen. Psychisch fallt nur ein etwas erotischer Gesichtsausdruck auf. — Die 
Untersuchung mit dem Speculum lasst eine hochgradige Yerengerung des ausseren 
Muttermundes erkennen, sowie reichlichen dfinnfliissigen Fluor. 

Kurz nach der Aufnahme hystero-epileptischer Anfall: Beginn mit jauchzeDden 
Inspirationen, darnach tonische Krampfe des Rumpfes und der Extremitaten, hoch- 
gradiger Opisthotonus. Der Zustand des Sensoriums entspricht einer massig tiefen 
Hypnose. In der Folgezeit fast jeden Tag ein oder mehrere Anfalle, welche auf 
die gleiche Weise beginnen, wie der eben erwahnte; meist schliesst sich an das 
tetanische Stadium eine Serie klonischer Zuckungen, es werden heftige schnellende 
Bewegungen des Rumpfes ausgeffthrt, sodass die Kranke im Bette hochemporgeschleu- 
dert wird, dazwischen sttirmische Rollbewegung um die Langsaxe. Sensorium massig 
benommen, Sensibilitat allenthalben erhalten. Pat. ist wahrend des Anfalls bestrebt, 
EntblOssungen zu verhindern. Die Anfalle treten besonders beim Anblick von Man- 
nern auf. Pat. masturbirt und spricht haufig in Damengesellscliaft von sexuellen 
Dingen in cynischer Weise. Vom 11.—19. Nov. Natr. brom. 3mal taglich 2,5 Gr. 

Am 17. Novbr. blutige Dilatation des ausseren Muttermundes mit Kreuzschnitt 
und Exstirpation einzelner keilfCrmiger Stftcke der Cervixwand. — Quellbougie. — 
Tampon von Jodoformgaze. — Antiseptische Behandlung. 

In der Folge noch 3 Anfalle (am 17. und 19. Nov. und 12. Dec.), an welch’ 
letzterem Tage die Menstruation vOllig schmerzlos eintritt. 

Vom 19. November an haufig Kreuzschmerzen, Schmerzen in der Blasengegend, 
Incontinentia urinae, Erbrechen, Obstipation, Kopfschmerzen, Schwindelgeftihle, welche 
allmahlich abnehmen und gegen 8. Januar 1884 verschwinden. Das erotische Wesen 
tritt mehr und mehr zurtick Yon Ende November an Ausspfilung der Scheide mit 
Kali hypermang. 1,0/1000, taglich ein prolongirtes Sitzbad. 

Am 24. Dec. ist Pat. sehr deprimirt, behauptet von den Aerzten und anderen 
Personen ihrer Umgebung verachtet zu werden, will beschimpfende Worte geh5rt 
haben, aussert Selbstmordideen. Dieser Depressionszustand ist hfichst wahrscheinlich 
auf eine Bemerkong ihres Vaters, dass sie in der Anstalt ffir „mannstoll (< gelte, zn- 
rfickzuffihren, also auf psychische Einflfisse, welche mit der vorgenommenen Operation 
keinen Zusammenhang haben; er klingt bis zum 8. Januar allmahlich ab. 

Am 23. Jan. wird Pat. v5llig geheilt entlassen; sie hat ein blfihendes Aussehen 
und 4 Kilo an Gewicht zugenommen. Die Heilung hat bis jetzt (September) ange- 
halten. 

Epikrise: Ich habe den vorliegenden Fall nur angefuhrt im Hinblick auf 
die ablehnende Haltung, welche zahlreiche Psychiater der gynaekologischen Be¬ 
handlung der Neurosen gegenuber einnehmen. Die Misserfolge der zuerst an- 
gewandten Methode hatten leicht dazu fuhren konnen, diesen Fall als Beleg fur 
die Yerwerflichkeit gjmaekologischer Eingriffe bei erotischen Hysterischen zu be- 


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nufczen —, wahrend er thatsachlich das Gegentheil beweist Es wird eben yor 
Allem auf die Wahl der richtigen Methode ankommen. 

Allgemeine Bemerkungen. 

Die Verhandlungen der gynaekologischen Section des letzten interaationalen 
medicinischen Congresses zeigen zur Genfige, dass gegenwartig die Ansichten 
fiber den Werth der Castration als Mittel gegen Neurosen und Psychosen 
unter den Gynaekologen noch erheblich variiren, wahrend seitens der Psychiater 
diese Frage, wie mir scheint, fiberhaupt noch nicht erortert worden ist. Die 
diesbezfiglichen Erfahrungen sind offenbar noch zu sparlich, die kritische Wfirdi" 
gung negativer wie positiver Besultate zu schwierig, als dass sich ein definitives 
Urtheil gewinnen liesse. Bei Psychosen speciell ist die Castration 1 bisher, 
wenn man die gesammte international Literatur mit Einschluss der mfind- 
lichen Mittheilungen auf besagtem Congress herbeizieht, kaum ein 
Dutzendmal angewandt worden, wovon beachtenswerther Weise auf Deutschland 
nur 2 Falle kommen. Ueber Falle mit vollstandigem Heilerfolg berichten: Hegab 
(lmal), Fbanzolini (lmal, indess ist hier die Beobachtungszeit — 3 1 / 2 Wochen — 
zu kurz, um ein definitives Urtheil zu gestatten), Goodell (lmal); fiber Besse- 
rungen Taufeebs (lmal), Goodell (2mal); fiber einfach negativen Erfolg 
ohne Verschlimmerung Olshausen (lmal); fiber Yerschlimmerung der Psychose 
nach bez. in Folge der Operation Tauffebs (lmal), Lee (lmal), Pbiestley 
(lmal). Also im Ganzen liegen 10 Falle vor, von welchen 3 (2?) Heilung, 
3 Besserung, 1 keine Veranderung, 3 Verschlimmerung im Gefolge hatten. 
Sieht man also ab von den Fallen ohne entschiedenen Erfolg, so halten sich 
die guten und die schlechten Besultate ungefahr die Wage. Wenn man hieraus 
folgern wollte, dass in der Castration als solcher ein Moment gegeben sei, 
welches leicht die Integritat des Gehirns, insbesondere Geisteskranker tief scha- 
digen konne, so sprechen meine oben angefuhrten Falle (ich glaube Nr. 2, wo 
neben dem Uterus ja auch die Ovarien entfemt wurden, hier auch in Betracht 
ziehen zu dfirfen) entschieden dagegen. Es ist von mir auch nicht eine einzige 
Erscheinung beobachtet worden, welche auf einen irgendwie ungfinstigen Einfluss 
der Operation auf das Gehimleben der Kranken hindeutete; es sind bezfiglich 
der cerebralen Funktionen nur gfinstige Wirkungen hervorgetreten. Dieses Re- 
sultat erscheint mir sehr beachtenswerth. Es ermuthigt auf die Falle mit gutem 
Besultat mehr Gewicht zu legen, als auf jene mit positiv schlechtem. Bei 
letzteren ist allem Anschein nach die Operation unter falschen Voraussetzungen 
untemommen oder unzweckmassig ausgeffihrt worden, was ja bei den erst noch 
empirisch festzustellenden Indicationen der Castration als Mittel gegen Psychosen 
bez. Neurosen nicht zu verwundern ist — Da man nach unseren Erfahrungen 
in der Mehrzahl der Falle auf ein Recidiv der Psychose nach der Operation zu 
rechnen hat, so springt'die Wichtigkeit einer zweckmassigen Nachbehand- 
lung ohne Weiteres in die Augen. In unseren zwei Fallen betrug die Dauer 

1 Die Falle von eineeitiger Ovariotomie in Folge grosser Geschwulste ilbergehe ich, 
da sie kanm vergleichbar sind der eigentlichen Castration. 


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der Recidive (zufallig?) ubereinstimmend 20 Wochen. Es wild naturlich von 
der speciellen Beschaffenheit des einzelnen Falles abhangen, ob nnd in welcher 
Daner, Intensitat u. s. w. Recidive auftreten. Unmittelbar nach der Operation 
ein Yerschwinden aller nervosen Storungen mit einem Schlag zu erwarten, bez. 
diesen Erfolg als Kriterium fur die Berechtigung der Operation hinzustellen, 
erscheint fur chronische Psychosen bez. Neurosen, man kann wohi sagen von 
vornherein durchaus unbegrundet. Man wird aber auch bei jeder neuauftretenden, 
bez. wiederkehrenden nervosen Storung sorgfaltig zu prufeu haben, ob es sich 
um die urspriingliche, oder eine durch Einfuhrung irgend welcher neuen (z. B. 
in der Operationsmethode gelegenen und deshalh eventuell vermeidbaren) Schad- 
lichkeiten bedingte neue Erkrankung des Nervensystems handelt. 

Ich zweifle nicht, dass es so gelingen wird, die Indicationen fur die Castration 
als Mittel gegen Neurosen und Psychosen mit jener Scharfe zu entwickeln, welche 
gegenuber einer trotz aller technischen Fortschritte immerhin nicht unbedenk- 
Uchen Operation unerlasslich erscheint. Dass in dieser Beziehung schon recht 
beachtenswerthe Grundlagen geschaffen sind, scheint mir aus den Ausfuhrungen 
insbesondere Hegae’s beim Kopenhagener Congresse zur Evidenz hervorzugehen. 
Eine gewisse Schwierigkeit fur eine baldige Losung der in Betracht kommenden 
Fragen ist allerdings darin gegeben, dass jeder einzelne Krankheitsfall, besonders 
wo es sich um subtile Erkrankungen der Sexualorgane bez. complicirtere psychische 
Storungen handelt, nur durch das Zusammenwirken eines in technisch-diagnosti- 
scher Hinsicht auf der Hohe stehenden Gynaekologen mit dem Neuropathologen 
bez. Psychiater allseitig die richtige Wurdigung finden kann. — Was speciell Psy¬ 
chosen anlangt, so ist es vorlaufig noch nicht moglich anzugeben, ob irgend welche 
typischen Symptomencomplexe sich zur operativen Behandlung eignen. In den vor- 
liegenden mit gunstigem Erfolg verlaufenen Fallen handelte es sich um melan- 
cholische, maniakalische, leichte paranoische Zustande, sowie um leichtere Grade 
von Schwachsein, also um Zustande, welche an sich einer Heilung leichter fahig 
sind. Yon grosster Wichtigeit wurde es selbstverstandlich sein, wenn auch der 
progressiven psychischen Degeneration Hysterischer in ihren schwereren Formen 
durch die Castration Einhalt geboten werden konnte. Dass man hier wie bei 
jeder einzelnen hysterischen Erscheinung nicht alle Falle uber einen Leisten 
scheeren darf, liegt auf der Hand. Ein Theil derselben hat meiner Ueberzeugung 
nach sicher Beziehungen zu Erkrankungen der Sexualorgane, wenn auch in sehr 
verschiedener Weise, so dass auch bezuglich einer gewissen Kategorie dieser 
Falle der Nutzen einer operativen Behandlung der hier allein ausschlaggebenden 
empirischen Prufung unterzogen zu werden verdient. 


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n. Refer ate. 


Experimentelle Physiologie. 

1) TJeber die Beeinflussung der elektrischen Muskel- und NTervenerregbar- 
keit und der Sehnenreflexe duroh Arbeit und Ermiidung yob Or- 
schanski. (Wratsch. 1884. Nr. 31. Russisch.) 

Yerf. stellte an gesunden Personen Versuche in der Weise an, dass mit der 
Hand oder dem Fuss eine gewisse Zeit lang — bis zur Ermfldung — ein Gewicht 
gehalten oder gehoben wurde. Wahrend und nach der Arbeitsleistung wurde die 
elektriscbe Erregbarkeit der betreffenden Nerven und Muskeln und das Verhalten der 
Sehnenreflexe gepruft. Es ergaben sich hierbei folgende Resultate: 

Die galvanische sowohl, als faradische Erregbarkeit des Nerven und Muskels 
steigt im Anfang der Arbeitsleistung, und sinkt bei zunehmender Ermfldung all- 
mahlich und bedeutend herab. Bei Personen mit kraftiger Musculatur halt die erste 
Phase langere Zeit an, bei schwachen Subjecten tritt die Herabsetzung der Erreg¬ 
barkeit rasch ein. Obgleich die Erregbarkeitsveranderungen ftir beide Stromesarten 
im Allgemeinen parallel verlaufen, kommen doch zuweilen solche Combinationen vor, 
die an Entartungsreaction erinnern. Am Nerven stellt sich die Veranderung, be- 
sonders die Herabsetzung, schneller ein, als am Muskel. Die Wiederherstellung der 
normalen Erregbarkeitsverhaltnisse erfolgt am Nerven ziemlich schnell, am Muskel 
ziemlich langsam, und wird durch Galvanisation beschleunigt. 

Die Sehnenreflexe sind im Anfang der Arbeitsleistung gesteigert, und nehmen 
bei Ermfldung an Starke ab. Falls letztere so heftig ist, dass der Fuss in deutlich 
ausgepragtes Zittern gerflth, so konnen die Sehnenreflexe vollstandig verschwinden. 
Die Veranderung der Sehnenreflexe steht in keinem bestimmten Verhflltniss zu der- 
jenigen der elektrischen Muskelerregbarkeit. Die Restitution des normalen Verhaltens 
der Sehnenreflexe erfolgt ziemlich schnell. Yerf. glaubt aus dem geschilderten Ver¬ 
halten der Sehnenreflexe schliessen zu dflrfen, dass das sogenannte Kniephanomen 
nicht reflectorischen Ursprungs sei, sondern im Sinne Westphal’s durch den Zustand 
des Muskeltonus bedingt werde. P. Rosen bach. 


Pathologische Anatomie. 

2) Cefalometria in 670 Alienati del dott. G. Peli. (Archiv. ital. per le mal. 
nervose etc. 1884. XXI. p. 214.) 

Peli hat sich der Mflhe unterzogen und 670 Irre aus der Anstalt zu Bologna 
(348 Manner und 322 Frauen) in Bezug auf ihre Schadeldimensionen gemessen. Auf 
die Einzelheiten dieser werthvollen Arbeit kann hier nicht eingegangen werden, doch 
sei zunachst erwahnt, dass auch Peli zu dem a priori unerwarteten Resultat gelangt 
ist, dass die Irrensch&del im Allgemeinen geraumiger sind, als die Normalschadel, 
wie es Meynert, Amadei und Ref. ebenfalls gefunden haben. 

Die Geschlechtsdifferenzen sind am Irrenschadel und besonders bei den heredit&r 
belasteten Individuen deutlicher als beim Normalschadel; kleinere Anomalien der 
Schadelform, wie asymmetrische Bildungen, hydrocephale und rachitische Residuen etc., 
finden sich nur bei 12,5 °/ 0 der normalen Individuen, aber bei 42,7 der Irren und 
gar bei 64,3% der hereditar belasteten Irren, von M&nnem der letzten Kategorie 
sogar bei 88,5%* Sehr flbersichtlich ist die ZusammensteUung der Resultate in 
graphischer Methode. Sommer. 


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Pathologie des N ervensy stems. 

3) La sorditA verbale od afasia sensoriale. Studio olinioo ed anatomo- 

patologieo del dott. G. Seppilli. (Rivist. speriment. di freniatr. etc. 1884. 

X. p. 94—125.) 

Verf., der selbst zwei neue Beobachtungen fiber Worttaubheit (sensorische Apbasie 
Wernicke's) ausffihrlich mittheilt, stellt dann sammtliche bisber bekannt gewordene 
Falle dieser eigenthfimlichen Unfahigkeit, den Sinn ganz richtig percipirter Worte 
zu verstehen, tabellariscb zusammen. Mit den seinigen hat er 22 Krankengeschichten 
verwerthet; in Bezug auf die klinischen Einzelheiten muss natfirlich auf das Original 
verwiesen werden. In 5 Ffillen ist der Sectionsbefund nicht angegeben; ffir die patho- 
logisch-anatomische Betrachtung bleiben also 17 Falle, und aus deren Analyse ergiebt 
sich das hfichst interessante Resultat, dass allemal eine Erkrankung der 1. Schlafen- 
windung (T x ) des linken Schlafenlappens gefunden worden war, und dass fast in 
8 / 4 aller FfiUe auch die 2. Schlafenwindung erkrankt war (12mal unter 17 Fallen). 
Keinmal fand sich eine isolirte Erkrankung des rechten Schlafenlappens. 

Bei der Wichtigkeit dieser Ergebnisse sei es gestattet, hier noch eine kurze 
Zusammenstellung fiber die fiberhaupt in den 17 Hirnbefunden enthaltenen Einzel¬ 
heiten mitzutheilen. In den 17 Gehirnen, deren Trager an Worttaubheit gelitten 
hatten, fand sich eine Erkrankung von 

T x 1. 15mal, r. Omal, beid. 2mal = 17mal 
T 2 10 0 2 =12 

T 3 0 0 . 1 =1 

I 5 0 0 - = 5 

F 3 4 0 0 =4 

F 2 2 0 0 — 2 

F x 2 0 0 =2 

A 3 0 0 =3 

BO 0 0=0 

P 2 5 1 0=6 

P 2 ‘ 2 1 0=3 

0 x -0 3 2 0 1 =3 

(Die Bezeichnungen der einzelnen Windungen sind nach Ecker’s Schema gegeben.) 

Sommer. 

4) Tumour des mdninges cdrdbrales. — (Sarcome angiolithique.) — Hdmi- 

pldgie, aphasie intermittente par M. J. Darier. (Societe anatom. Sitzung 

v. 25. Jan. 1884. Progr. mdd. 1884. Aofit. No. 33.) 

Mann von 37 Jahren ohne alcoholische oder syphilitische Praecedentien bekam 
einen apoplectischen Insult mit kurzem Bewusstseinsverlust; schlaffe Lahmung der 
rechtsseitigen Extremitatenmuskeln; Facialisgebiet und Sensibilitat ungestfirt; keine 
Aphasie. — Einige Monate spater zweiter Anfall von rechtsseitiger Hemiplegie, dies- 
mal aber mit Aphasie — nachdem die Storungen von Seiten des ersten sich voll- 
standig zurfickgebildet hatten. Motilitat in gleicher Weise wie vorher afficirt, Sensi¬ 
bilitat frei; die Sprachstfirung ist eine complete motorische Aphasie, die im Laufe 
von 8 Tagen wieder vollstandig verschwindet. Eintreten von Contractur in der 
rechten oberen; sichtliche Besserung in der paretischen unteren Extremitat Noch 
zweimaliges Auftreten apoplectischer Insulte, die den vorangegangenen identisch sind, 
und bei denen jedesmal vorfibergehend motorische Aphasie auftritt. Abnahme der 
Intelligenz; nie epileptiforme Erscheinungen, dagegen fortbestehende sehr bedeutende 
Contractur der rechten Armmuskeln. — Tod nach 6monatlicher Dauer des Leidens. 
— Die Autopsie zeigte einen Tumor von der Grosse eines kleinen Apfels, welcher 


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die hintere Halfte der ersten linken Stirnwindung einnimmt, auch zum Theil die 
zweite *Stimwindung erreicht. — Der oljere Theil der vorderen Centralwindung ist 
zwar ebenfalls zerstdrt, doch so, dass der Tumor von der Rolan do’schen Furche 
noch durch einen Streifen normalen Hirngewebes getrennt ist. — Die benachbarten 
Himwindungen sind comprimirt und abgeplattet, die Gefasse der Umgebung erweitert. 
Es ergiebt sich aus diesem Sitze des Tumors, dass nur das motorische Centrum fdr 
den Arm zerstCrt worden, und die vorfibergehende Sprachstdrung und Lahmung des 
Beines einer Compression resp. CirculationsstOrung in den betreffenden Centralorganen 
der Rinde zuzuschreiben ist. — Die Centralganglien sind vCllig intact. Der Tumor 
ist ein angiolithisches Sarcom (Cornil u. Ranvier) Oder ein Psammom, wie 
es Virchow genannt hat. — Er setzt sich nicht per continuitatem in die nervQse 
Himsubstanz fort, sondem hat seinen Ausgang von der Pia mater genommen. — 
Die ausfuhrlich behandelten mikroskopischen Details sind im Original nachzusehen. 

Laquer. 


5) Unilateral© temporal© Hemianopsia sinistra. Tumor cerebri. Mit- 
theilungen aus der medieinischen Abtheilung des herzoglichen 
Krankenhauses zu Braunschweig von Dr. Richard Schulz. (Deutsch. 
Arch. f. klin. Med. Bd. XXXV.) 

Der Verf. liefert zu den so ausserordentlich seltenen Fallen einseitiger temporaler 
Hemianopsie folgende interessante Beobachtung: 

49jahrige Arbeiterin, ohne Lues, mit stets gutem SehvermOgen, bemerkte vor 
l 1 / 2 Jahren plCtzlich beim Arbeiten eine Sehstdning yor ihrem linken Auge, ohne 
sonstige begleitende Gehimsymptome. Vor 12 Wochen bekam sie bis in die 3 letzten 
Finger hinein ausstrahlende Schmerzen im rechten Arm verbunden mit Kriebeln und 
Eingeschlafensein. Die Schmerzen verloren sich, es blieb aber lahmungsartige Schwache 
im rechten Arm zurhck, welche seit 14 Tagen auch in den unteren Extremitaten 
und dem linken Arme sich bemerklich machte. Dann taumelnder Gang und Mangel 
in der Orientirung nach links hin, so dass sie oft anstiess. Niemals Kopfschmerz 
und Erbrechen, keine Blasenbeschwerden, Stuhlgang in Ordnung, viel Schwindel, keine 
Temperatursteigerung. 

Schwankender Gang, Schwanken beim Stehen mit geschlossenen Augen. Per¬ 
cussion des Kopfes nicht schmerzhaft. Kopfnerven normal, keine Augenmuskelstdrungen. 
Uvula gerade, Facialis intact. Beide Pupillen reagiren, die linke lebhafter. Das 
Sehen auf dem rechten Auge vdllig normal, dagegen linksseitige temporale Hemianopsie. 
Opbthalmoskopischer Befund normal. Die Sehscharfe betragt recbts = 20 ho* links 
= 20 /ioo* ^ ie Muskelkraft des rechten Armes herabgesetzt, ebenso die Sensibilit&t 
in den 3 letzten Fingern der rechten Hand. Keine Ataxie. 

Muskelkraft in beiden Beinen herabgesetzt, rechts mehr, leichte Parasthesien, 
keine Ataxie. Patellarreflexe bedeutend gesteigert. Rechts Achillessehnenreflex, links 
nicht. Keine Blasenschwache. Innere Organe normal. 

Bei einer 4 Wochen spater erfolgenden abermaligen Untersuchung war der all- 
gemeine Status genau derselbe geblieben. Nun war aber auch das nasale Gesichts- 
feld des rechten Auges genau bis zur Mittellinie ausgefallen. Es war also nun 
eine homonyme Hemianopsia lateralis sinistra entstanden, bewirkt durch eine Com¬ 
pression des ganzen rechten Tractus opticus. 

Die Diagnose auf einen langsam wachsenden Tumor im hinteren Winkel des 
Chiasma (der zuerst auf den Fasciculus cruciatus des rechten Tractus opticus drhckte, 
temporale Hemianopsie des linken Auges und beim weiteren Wachsen auch den Fas¬ 
ciculus lateralis desselben Tractus leitungsunfahig machte, complete homonyme links¬ 
seitige Hemianopsie), welcher den rechten Tractus opticus comprimirt, scheint dadurch 
zur unumstflsslichen Gewissheit geworden zu sein. Wilbrand, Hamburg. 


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Psychiatrie. 

6) Ueber Geistesstorungen nach Kopfverletzungen von Dr. Hartmann. 

(Arch. f. Psych. XV. 98.) 

Die in der Literatnr uber die tranmatischen Psychosen von den Autoren ge- 
gebenen zusammenfassenden und statistischen Daten sind wenig fibereinstimmend 

H. giebt daher eine neue Zusammenstellung. Er benutzt die in der Literatur 
zerstreuten nnd eine Anzahl selbst gesammelter Falle, im Ganzen 58. Diese Falle 
sind untereinander sehr verschieden. 21 Falle waren sicher, 19 wahrscheinlich, 
18 zweifelhaft traumatischer Entstehung. . 11 Falle gehfirten dem sog. primar-trau- 
matischen Irresein an, 47 dem secundaren (Schfile). Die Details mfissen im Original 
nachgelesen werden. 

H. kommt zn dem Schluss, dass das traumatische Irresein keine specifisch noso- 
logische Form ist, jedoch gewisse Eigenthfimlichkeiten im Verlanf und Ausgang hat 
Am haufigsten sind Exaltationszustande und die verschiedensten Grade der Demenz, 
rein oder combinirt. Die primar-traumatische Psychose schliesst sich unmittelbar 
an die Commotionserscheinungen an, ist entweder primare Demenz oder Tobsucht, 
oft verbunden mit Krampfen oder andern sensibeln und motorischen Stfirungen. Die 
secundar-traumatische Psychose ist durch ein langeres oder kfirzeres Vorlauferstadium 
(Reizbarkeit, Stumpfheit) von dem Trauma getrennt, sie tragt von vomherein den 
Charakter der geistigen Schwache, hat melancholische oder maniacalische Stadien und 
geht in Demenz oder Paralyse fiber. Die sog. Reflexpsychose und die epileptische 
Psychose gehfiren gleichfalls hierher. Die Prognose der primar traumatischen und 
Reflexpsychose ist relativ gfinstig, die der fibrigen weniger. Art und Ort des Traumas 
sind auf die Form der Psychose ohne Einfluss, auch entspricht die Schwere der Ver- 
letzung oft nicht den psychopathischen Folgen. Doch setzt das Trauma stets eine 
Disposition, allerlei nervOse Symptome kfinnen bestehen etc. Die traumatische Aetio- 
logie wird sichergestellt durch den Continuitatsnachweis zwischen Trauma und Psy¬ 
chose oder doch Prodrome und nervOse Yeranderungen, sodann durch den Sections- 
befund. Letztere sind im Ganzen selten, oft nicht specifisch, und das Fehlen posi- 
tiver Befunde spricht nicht gegen die Diagnose der traumatischen Psychose. 

Siemens. 


7) Traumatism in relation to insanity by D. R. Brower. (The Alienist and 
Neurologist. 1883. IY. p. 646.) 

Nach einer ausffihrlichen Zusammenstellung der Literatur fiber Kopfverletzungen 
und deren Einfluss auf die Entstehung chronischer unheilbarer Psychosen kommt 
Yerfasser zu einigen Schlfissen, die im Allgemeinen mit den Angaben Skae’s, 
v. Krafft-Ebing’s und Kieman’s fibereinstimmen und daher nichts wesentlich 
Neues enthalten. Dagegen sind 3 Krankengeschichten, die Yerf. im Anschlusse 
mittheilt, erwahnenswerth. 2 Falle betreffen Kriegsverletzungen, die erst nach Jahren 
eine allmahliche Depravation des Charakters und acute Wuthanfalle hervorgerufen 
hatten. . Der erstere, Officier, liess seine Stellung und seine Familie, an der er mit 
grosser Liebe gehangen, im Stich, schloss sich dann an den Communeaufstand in 
Paris an und wurde zuletzt in den Diamantfeldern Afrikas constatirt, wo er wegen 
Mord und Raub verurtheilt noch Gelegenheit fand, aus dem Gefangniss zu entweichen. 
Der andere erschoss in einem Aufregungsanfall seine Frau, wurde trotz der sach- 
verstandigen Erklarung, dass er geisteskrank sei, zum Tode verurtheilt und endete 
am nachsen Tage durch Suicid. Der dritte Fall betraf einen Eisenbahnbeamten, der 
sein ganzes Yermfigen, das er sich durch ausserordentlichen Fleiss und durch ffir- 
sorgliche Sparsamkeit erworben in kurzer Zeit verschleuderte und nun vis-a-vis dn 
rien seine Frau erschoss von der religidsen Wahnvorstellung ausgehend, er sei der 


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dritte Sohn Gottes und masse sie zum Himmel senden. In diesem Fall wurde 
abrigens die Unzurechnungsf&higkeit auch von der Jury anerkannt. Sommer. 


8) Le frenopatie in rapporto alia mestruazione pel dott. Giov. Algeri. 

(Archiv. italian. per le mal. nervos. 1884. p. 321.) 

In einer ausfahrlichen Arbeit, die sicb auf die Beobachtung yon 314 geistes- 
kranken Frauen im Alter zwischen 15 und 45 Jabren statzt, kommt Verf. zu folgen- 
den Schiassen, die freilicb nicbts wesentlicb Neues entbalten. 

Der Gang der Menstruation ist bei geisteskranken Frauen fast immer ein 
unregelmassiger. Die Stflrungen der Menstruation sind in den primaren Krankheits- 
fMlen, besonders bei der friscben Melancbolie und Manie, viel bedeutender als in 
alteren Fallen. 

W&hrend der Menstruation ist im Allgemeinen eine Yerschlecbterung des geistigen 
Zustandes deutlicb, speciell ist dies bei den Degenerationspsychosen der Fall. 
Wegen der Einzelheiten muss auf die zablreicben Tabellen verwiesen werden. 

Sommer. 


Therapie. 

9) Die ungleichartige therapeutisehe Wirkungsweise der beiden elek- 
trisohen Stromesarten und die elektro-diagnostisehe Gesiehtsfeld- 
untersuehung. In Hauptzdgen dargestellt von C. Engelskjdn in Christiania. 
(Arch. f. Psych, etc. 1884. Bd. XV. H. 2.) 

Vorliegende Arbeit soil die vom Verf. fraher im Arch. f. Psych, verdffentlichten, 
in diesem Centralblatt referirten Thesen naher begrQnden. Nach einer ziemlich un- 
gerechten und schiefen Darstellung des gegenwartigen Standpunktes der Elektro- 
therapie tritt der Verf. mit einem neuen „Gesetz“ hervor, in welchem er das Haupt- 
gesetz der Elektrotherapie gefunden zu haben glaubt. Dasselbe besagt, dass zwischen 
der Wirkung des galvanischen und faradischen Stromes eine qualitative Ver- 
schiedenheit besteht, so dass im gegebenen Falle nur die eine therapeutisch 
gflnstig wirkt, die andere unghnstig. 

Aus zwei Fallen vasomotorischer Neurose zieht Verf. den Schluss, dass der 
faradische Strom sich zu dem galvanischen in seiner Einwirkung auf die „Vasomotion“ 
umgekehrt verhalt, indem der faradische Strom bei director Anwendung auf die Haut 
die spastisch verengten Gefasse erweitert, der galvanische die activ erweiterten Ge- 
fasse verengt. Diese Reactionsweise, schliesst Verf. weiter, ist eine allgemeine Eigen- 
schaft der „vasomotorischen Ganglienzelle". 

Die ungleichartige Wirkung der beiden Stromesarten macbt sich nach Verf. in 
zahlreichen Fallen von Hemicranie und Neurasthenic geltend, derart, dass die eine 
Stromesart heilt, wo die andere verschlimmert Aber diese ungleichartige Wirkung 
&ussert sich nur bei Anwendung auf solche Theile, die Ganglienzellen enthalten, nie 
auf die Nervenleitungeii. 

Die Stromesart, die im gegebenen Fall curative Wirkung entfaltet, nennt Verf. 
die positive, die andere die negative Stromesart. Die Stromrichtung, wie 
die Wahl der Pole ist nach ihm vCllig gleichgfiltig. Seine Methode der Elektri- 
sirung der Oblongata und des Cervicalmarks, die er fflr besonders wichtig halt, unter- 
scheidet sich von der gebrauchlichen Technik betrachtlicb. 

Wir mhssen darauf verzicbten, die zahlreichen Einzelbeobachtungen, Schlhsse 
und Behauptungen des Verf. zu referiren, die weiterhin entwickelt werden. Vieles 
ist in einem Grade hypothetisch, gewagt und unwahrscheinlich, dass man auch im 
Uebrigen skeptiscb wird. Man lese z. B. den Abschnitt liber das „paradoxe vaso- 
motorische Reflexphanomen". Ein solches sieht Verf. in Fallen, wo das zuerst von 


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dem pathologischen Process ergriffene Bflckenmark reflectorisch auf das Gehirn ein- 
wirkt und letzteres in einen krankhaften Zustand versetzt. Da muss denn das Gehirn 
mit der einen, das Bflckenmark mit der anderen Stromesart behandelt werden. 

Oder es kann gar „ein krankhafter Zustand in der Cauda equina, dessen Sitz 
wahrscheinlich in den dortigen Spinalganglien zu suchen ist, paradoxen Reflex im 
Bflckenmark veranlassen"; Yerf. erzahlt dazu einen Belegfall. Sapienti satl 

Es ist bedauerlich, dass Yerf., der strong auf dem Boden der Tbatsachen zu 
bleiben gedachte, sich zu derartigen diagnostiscben Wagnissen yersteigt, da durch 
solche Willkflrlichkeiten das Misstrauen des Nicht-Specialisten gegen die Elektro- 
therapie flberhaupt wachgerufen und die Disciplin dem praktischen Arzte gegenflber 
discreditirt wird. 

So bringt man denn auch der Entdeckung des Verf., die er mit zahlreichen 
Messungen bekraftigt, dass das Gesichtsfeld durch die positive Stromesart er- 
weitert, durch die negative beschrankt wird, nur ein abgekflhltes Interesee 
entgegen. Eisenlohr. 


Forensische Psychiatrie. 

10) A plea for the treatment of criminals by J. S. Wight. (American Joum. 
of Neurology and Psychiatry. 1884. May p. 128.) 

Yerf. steht annahernd auf dem Standpunkte der italienischen Schule in Bezug 
auf die somatische und psychische Inferiority der Gewohnheitsverbrecher und plaidirt 
in etwas salbungsvoller Sprache fflr staatliche Beorganisation des Unterrichts und 
besonders der Gefangnisseinrichtungen. Sommer. 


in. Aus den Gesellschaften. 

Bericht uber die Verhandlungen der Section fiir Neurologic und Psychiatrie 
auf der 57. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte zu Magde¬ 
burg, 17.—24. Sept. 1884. 

(Schluss.) 

II. Sitzung vom 20. Sept. Morgens 8 J / 4 Uhr. — Vorsitz: von Gudden. 

Grashey: Ueber die Blutbewegung im Soh&del. 

Mittelst eines sinnreich construirten Apparates illustrirte der Yortragende die 
Bedingungen, unter denen das Blut im Schadel circulirt. Eine aus Glas und Metall 
zusammengefflgte, unter Nulldruck mit Wasser gefflllte weite ringsgeschlossene Rohre 
stellt die SchadelrtickgratshShle dar. Durch sie ist eine dflnnwandige elastische 
Bdhre kleinen Ealibers geleitet, welche mit ihren Enden wasserdicht in die Ver- 
schlussenden der grossen BOhre eingesetzt ist. Durch das elastische Gefassrohr wird 
ein continuirlicher Flflssigkeitsstrom geschickt, welcher unter einern gewissen Druck 
steht (Wassersaule). Ist die Wassersaule massig hoch, stromt das Wasser continuir- 
lich durch das elastische Gefassrohr; erhOht man die Drucksaule, so fangt das 
Gefassrohr an zu vibriren, es stellen sich continuirliche Stromschwankungen ein. 
Dies kommt daher, weil durch den dem Cerospinalrohrinhalt mitgetheilten Druck 
das weiche Ende des Gefassrohrs comprimirt wird. Denn hier am peripheren Ende, 
wird beim Einstrbmen der Fldssigkeit relativ der geringste Druck im Gefassrohr sein. 
Durch die Compression des peripheren Endes wird der Flflssigkeitsstrom zum Still- 
stand gebracht; gleichzeitig aber mit dem Aufhflren des Stromes wachst der Druck 
am peripheren Ende der. elastischen Bohren wieder (weil er sich in der Buhe im 
Apparat gleichmassig vertheilt). Das comprimirte Ende wird wieder frei, und der 
unterbrochene Strom kann wieder fliessen. So entsteht in rascher Folge das Heben 
und Sinken der Gefaaswand oder mit anderen Worten das Vibriren derselben. Dieee 


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gesetzmassigen Erscheinungen sind fftr die Beurtheilung der Blutbewegung im Sch&del 
yon Wichtigkeit Es kommt hinzu, dass, je starrwandiger das elastische Gefassrohr 
wird, nm so spater das Yibriren eintritt und umgekehrt, und wenn das elastische 
Geffiss so zarte Wandungen hat, dass dieselben ohne ausseren positiven Brack sich 
berfihren, so vibrirt das Gefass, sobald der Brack im Schadelraum einen positiven 
Werth hat. Wird das offene periphere Ende des elastischen Gefasses etwas verengt, 
oder wird ausserhalb des Apparates eine elastische Rfihre an dasselbe angesetzt und 
dadurch der Brack am peripheren Ende erhfiht, so h5rt das Yibriren auf und kommt 
erst dann wieder zum Yorschein, wenn der Bruck im Apparat gesteigert und gross 
genug wird, um den Bruck im peripheren Ende des Gefassrohres zu iiberwinden. 

Bie Nutzanwendung fur die Lehre von der Blutcirculation im Schadel ist 
folgende: 1) Wenn der Brack, unter welchem die Corebrospinalflfissigkeit steht, 
wachst, so kann ein Vibriren der peripheren Endstucke der Hirngefasse eintreten, 
vorausgesetzt, dass die Bracksteigerung nicht von diesen Endstficken selbst ausgeht. 
2) Als solche schwingungsfahige periphere Endstucke der Hirngefasse sind die 
Cerebralvenen anzusehon; da namlich die Wande der Hirnsinus wenig compressibel 
sind, die Cerebralvenen aber so diinne Wande haben, dass ihr Lumen ohne ausseren 
positiven Brack verschwindet, so werden bei Zunahme des Himdrucks die Cerebral¬ 
venen vor ihrer Einmiindung in die Sinus in Schwingungen gerathen. 3) Biese 
Schwingungen treten ein, sobald der Brack der Cerebrospinalfltissigkeit grosser wird, 
als der Bruck in den peripheren Enden der Cerebralvenen, welcher Brack bekanntlich 
gleich ist dem Widerstande, welchen das Blut in den Sinus und in den Yenen bis 
zum Vorhof des Herzens findet. Yermehrung dieses Widerstandes vermag die 
Schwingungen zu sistiren, bis der Hirndruck entsprechend hfiher geworden ist. 4) 
Wenn es gelingt, diese Schwingungen zu horen oder horbar zu machen, so gestatten 
sie ein Urtheil fiber die GrOsse des Hirndruckes selbst am unverletzten Schadel; 
ihr Yorhandensein beweist Steigerung des Hirndruckes auf eine H6he, welche dem 
Widerstand in den Yenen etc. mindestens gleich ist. 5) Bie gegenwartige Lehre 
vom Hirndruck behauptet, dass bei seiner Zunahme die Hirncapillaren in erster Linie 
comprimirt werden. Biese Annahme ist nicht richtig, denn die Compression 
findet da statt, wo der geringste Innendruck herrscht. Ber in den Capillaren 
herrschende Bruck ist aber grosser als der in den Hirnvenen, folglich werden die 
letzteren comprimirt resp. in Schwingungen gerathen. 6) Bas physikalische Experi¬ 
ment zeigt, dass unter gewissen Umstanden eine Steigerung des arteriellen Blut- 
druckes die Circulation im Schadel nicht ftrdert, sondera verlangsamt. 7) Bekanntlich 
ist bei manchen Kindera an den noch nicht geschlossenen Schadelfontanellen ein 
Gerausch zu hfiren. Es ist nach Obigem ein venOses Gerausch. 

Biscussion: Binswanger berichtet, dass auch Erwachsene, an sogenannter 
allgemeiner Nervosiat Leidende, zuweilen fiber reibende und schwirrende Gerausche 
im Schadel klagen. Er fragt den Vortragenden, ob diese Klagen auf ahnliche circu- 
latorische StCrungen bezogen werden kfinnen, wie sie die Hirngerausche der Kinder 
hervorrafen. Mendel hat bei jahrelanger Auscultation des Schadels bei Gesunden 
und Himkranken keine derartige Gerausche wahrnehmen kfinnen. Jehn erinnert an 
die von Herz aufgestellte Theorie von der Verengerang der Foramina jugularia, 
welche er bestatigt gefunden hat in mehreren zur Section gekommenen Fallen. 
Binswanger sagt, dass ihm der objectiv auscultatorische Nachweis der Gerausche 
nicht gelungen sei. Grashey muss das Letztere verlangen, wenn er die angegebenen 
Ger&usche auf Gefassschwingungen zurfickffihren soli. Ausserdem sei die gewfihn- 
liche Methode der Auscultation wegen der Fehlerquellen unzureichend. Berger: In 
der Mehrzahl der Falle von Nervositat spielen die circulatorischen Storungen eine 
secundfire Bolle. Bas Frimare sind Erregbarkeitsveranderungen der Ganglienzellen. 
Binswanger ist auch der Ansicht, betont aber das (wenn auch secundare) Bestehen 
der Ciculationsstorungen im Gehira, und hierauf basiren viele subjective Klagen der 


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Patienten. Strfimpell pflichtet Berger bei und macht darauf aufmerksam, dass bei 
schwerer Anamie, bei Circulationsstdrungen Herz- und Lungenkranker. sich die eigen- 
thfimlichen nervOsen Symptome nicht in der Weise entwickeln. 

Kahlbaum: Ueber eine klinische Form des moralischen Irreseins. 
Yon den an Hebephrenie leidenden Kranken zeicbnen sich eine grosse Anzahl durch 
eine so zu sagen allgemeine Unmoralitat aus, ohne dass es bei ihnen gerade zu 
einzelnen gr6sseren Yerbrechen kommt. Weitere Erfahrungen besonders an Kranken 
der gebildeten Stande lassen eine klinische Abart der Hebephrenie deutlich erscheinen. 
Der Unterschied dieser Falle besteht darin, dass das Stadium der Manie fast gar 
nicht ausgepragt ist und dass auch das zweite charakteristische Symptom der Hebe¬ 
phrenie, der progressive Schwachsinn, fehlt. Dagegen ist moralische Perversitat aus- 
gebildet, auch die Formlosigkeit im persOnlichen Benehmen. Es sind junge I^ute 
aus deu besten Familien, Madchen wie Knaben, welche mehr Oder weniger ohne 
Yorboten dadurch aufif&llig werden, dass sie wiederholte Yerst6sse gegen eins oder 
mehrere der 10 Gebote machen, besonders haufig dadurch, dass sie einen Diebstabl 
begehen. Die genauere Nachforschung lasst dann doch eine seit dem Beginne der 
Pubertatsentwickelung aufgetretene Yeranderung in der geistigen Haltung erkennen, 
sie stempelt die moralischen Yerirrungen als krankhaft, als der Hebephrenie zuge- 
hOrig. Die Prognose ist im Ganzen besser als bei der gewOhlichen Form. Durch 
das Fehlen der Defecte auf dem Gebiet der Intelligenz und des Geschaftslebens 
unterscheiden diese Falle sich von dem eigentlichen moralischen Irresein. Es ist 
mehr die Ungleichheit, die Disharmonie der einzelnen Seclenvorgange. K. nennt 
die neue Form Heboidophrenie oder kurz Heboid. Die Behandlung muss aus einer 
Combination arztlicher und p&dagogischer Massnahmen bestehen, wie sie aber nur in 
einer dazu eingerichteten Anstalt mOglich ist. 

Die Discussion liber diesen Yortrag wird mit der fiber den nun folgenden 
Vortrag von Jehn vereinigt. 

John spricht liber Pubert&tszeit und Sohiileniberburdung. Er cbarak- 
terisirt die somatischen und psychischen Erscheinungen und Yeranderungen wahrend 
der Pubertatsentwickelung und verlangt Berficksichtigung dieser Vorgange Seitens der 
Lehrer und Seitens des Lehrplans der Schule. 

Discussion: Meschede pflichtet dem Yortragenden bei und berichtet, dass 
er geisteskranke Schuler weniger haufig, sehr oft dagegen geisteskranke Lehrerinnen 
und Schfilerinnen der Lehrerinnenseminare in ^ehandlung bekommen habe. Hier 
seien also wohl Schaden vorhanden. 

Mendel warnt vor missverstandlichen Ausdrflcken in Kahlbaum’s Vortrage, 
z. B. moralisches Fasersystem; er kann die Nothwendigkeit des neuen Namens 
Heboid fflr den bekannten Kxankheitszustand, sowie die Zweckmassigkeit der Aus- 
drllcke „secundare und tertiare Wahrnehmung u nicht anerkennen. Kahlbaum 
bedauert in der Kfirze der gebotenen Zeit eine Rechtfertigung nicht geben zu konnen 
und behalt sich die ausfuhrlichen Darlegungen auf eine besondere Yeroffentlichung 
vor. — Oberlehrer Gump re cht-Leipzig sagt, dass die Lehrer sehr wohl die kdrper- 
liche Entwickelung der Schuler, besonders um die Pubertatszeit, im Auge behielten. 
Zur Entlastung der Schfller von der Ueberbfirdung durch die vielen Anforderungen 
des modernen Lebens seien die Eltem meist nicht* geneigt, auch nicht zu vertrauens- 
voller Rflcksprache wegen Onanieverdacht. 

Berger tragt vor liber die SttiologiBeheii Besiehungen zwisehen Syphilis 
und Tabes. Diese Frage ist noch eine offene. Positive Beobachtungen sind daher 
stets erwflnscht. Der Vortragende berichtet fiber 2 Falle, welche den atiologischen 
Zusammenhang fast sicher erweisen. In dem ersten bestand seit 10 Jahren eine 
continuirliche Kette von schweren syphilitischen Erscheinungen bei einem sonst 
gesunden Manne, und im Verlauf dieser trat ohne sonstige Ursachen Tabes auf. 


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In dem anderen Falle trat bei einem 72jahrigen Manne nach zweijahrigem Be- 
stehen von Syphilia Tabes anf. — Eine Zusammenstellong einwurfsfreier 100 Falle 
von Tabes ergab in 43 °/ 0 Syphilis. Durchschnittlich trat die Tabes 8,4 Jahre nach 
der syphilitischen Infection auf. Die Symptome sind meist die gewOhnlichen, ohne 
charakteristisches Vorwiegen der einen oder der anderen Gruppe, ebenso fehlen 
specifisch-histologische Charaktere im Ruckenmark. Das ist aber auch gar nicht 
nothig. Antisyphilitische Behandlong ist anznrathen, aus ihrer Erfolglosigkeit lassen 
sich keine Schltae ziehen. * 

Discussion fand nicht statt. 

Seeligmtiller fiber Myelitis der Fotatoren. Ffir die Annahme einer 
Spinallahmnng der Trinker spricht sich die Mehrzahl der Antoren aus, obwohl 
positive Sectionsbefunde im Rhckenmark bisher nicht beigebracht sind. Auch die 
4 Falle, welche der Vortragende beschreibt, entbehren dieses Beweises. Doch glaubt 
S. den Sitz des Leidens im Rttckenmark suchen zu mhssen. Es sind zwei leich- 
tere Falle, in denen die Symptome: heftige vage Schmerzen in den Extremitaten 
und in der Lendengegend, Schwache in den Beinen, welche zeitweise das Gehen und 
Stehen zur Unmflglichkeit machten, verbunden mit dem Geftihl von Brennen und 
Taubsein in den Ffissen — nach dem Aussetzen des Alcohols vOllig. verschwanden. 
Sodann zwei schwere Falle. Nachdem wiederholt Schwache in den Beinen zeitweise 
bestanden, kam es eines Tages pldtzlich zur Lahmung beider unteren und darauf 
auch beider oberen Extremitaten. Dabei heftige Schmerzen in den Extremitaten, 
die als HyperAthesie noch geraume Zeit fortbestanden und ein Geftihl von Ver- 
taubung in Handen und Fhssen, welches sich bald verlor. An den gelAhmten 
Extremitaten entwickelten sich in rapider Weise starke Contracturen: Greifen- 
klauen, Beugecontracturen im Hand- und Ellenbogengelenk, an den Ftissen Klump- 
fussstellung. Die Erregbarkeit der Nerven und Muskeln ffir beide elektrische 
Strome war herabgesetzt, Entartungsreaction fehlte. Dagegen trat schnell Atrophie 
der Muskeln auf. Blase, Mastdarm, Potenz intact. Einen zeitweiligen Nachlass im 
Abusus der Spirituosen bewirkte Besserung der Erscheinungen, besonders der Con¬ 
tracturen. 

Discussion wurde nicht beliebt. 

Seeligmhller (cf. D. Med. Woch. 1884. Nr. 42): Ueber Hemian&sthesie. 
Die diflferentielle Diagnose zwischen cerebraler und hysterischer Hemianasthesie kann 
schwierig, ja unmOglich sein. Das von Charcot aufgestellte Schema passt oft nicht. 
Der Vortragende berichtet fiber mehrere selbst beobachtete Falle, in welchem die sehr 
schweren nervOsen Erscheinungen (Krampfanfalle, Paresen, Hemianasthesion, Contrac¬ 
turen) sehr stabil waren und Jahre lang dauerten. Bei dem einon bestand dabei lange 
dauemde Facialislahmung, es fehlte jede Spur von Ovarialhyperasthesie; in diesem Falle 
brachte die elektrische Btirste auffallend rasche Heilung. Ist hierdurch die hysterische 
Natur sicher gestellt, so ist die Diagnose in anderen Fallen zweifelhaft. Die hysterische 
Anasthesie ist bei uns nicht so haufig, jedenfalls lange nicht so haufig wie bei den 
Romanen, und die Hysterie der germanischen Frauen scheint eine andere zu sein als 
z. B. die der Franzftsinnen. S. stimmt mit Remak darin fiberein, dass die Ovarie weder 
Ursache der Hysterie noch einzelner Symptome derselben, wie Hemianasthesie, sei. Er 
hat aber ausserdem Falle gesehen, wo neben der Ovarie Druckhyperasthesie der ganzen 
gleichseitigen KSrperhalfte bestand (ovarielle Hemihyperasthesie). Er hat in einem 
schweren Falle von Hysteroepilepsie von der Castration einen gtinstigen Erfolg ge¬ 
sehen. — Ob bei halbseitigen Erscheinungen ohne Ovarie die Diagnose auf Hysterie 
doch zuzulassen ist, erscheint nach obigem mdglich. 

Eine Discussion wurde nicht beliebt. 

v. Gudden: Ueber die neuroparalytische Entzfmdung. Das Ziel des 
Vortrages war vorzugsweise praktisch, namlich die Verbannung des Decubitus aus 


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den Irrenanstalten. Schon 1869 habe er sich dahin ausgesprochen, dass durch 
sorgsame Wartung sich der Decubitus vermeiden liesse, und das in die Anstalt mit- 
gebrachte Decubitusstellen sich ganz vorzflglich heilen liessen. — Gewiss eine sehr 
vulnerables Organ ist die Hornhaut. Aber Gudden’s mit Trigeminus-Durchschnei- 
dungen angestellte Yersuche haben ihn gelehrt, dass es nur aussere Schadlich- 
keiten sind, welcho die betreffende Hornhaut zerstdren, und dass diese zarte Mem- 
bran intact bleibt, falls man dafflr sorgt, dass Verletzungen und Yerunreinigungen 
fern gehalten werden. v. G. erinnert an den Versuch von Snellen. Er selbst hat 
schon 1872 (Diss. v. Kondracki in Zurich) eine bessere Methode beschreiben 
lassen, und neuerdings operirt er noch einfacher so, dass er bei neugeborenen 
Kaninclien die Augenlidspalte abtrennt, die Schnittflachen durch Nathe vereinigt 
und so ein Anchyloblepharon schafft, unter welchem die Cornea vollig normal sich 
halt. Andere Experimente, welche er mit Dr. Bordoni unternahm, erweitern 
die Sache: 

1) bei zwei neugeborenen Kaninchen wurde intraorbital der N. opticus mit den 
Ciliarnerven durchschnitten. Die Cornea war unerapfindlich, aber sie hielt sich klar 
und normal, weil durch die Erhaltung der Nn. palpebrales die Cilien auf die leiseste 
Beruhrung reagirten und das Schliessen der Lider bewirkten. 

2) Bei einem neugeborenen Kaninchen wurden neben Opticus und Ciliarasten 
auch die Palpebralaste des Quintus und der Oculomotorius durchschnitten. Horn¬ 
haut und Cilien waren ganz umempfindlich. Jetzt sch&tzte die Ptosis und die 
unbeweglich vorgeschobene Palpebra tertia die Hornhaut und erhielten sie normal. 
Eine vorgekommene Yerwundung lieilte gut. 

3) Bei erwachsenen Kaninchen wurde das Ganglion cervicale supremum exstir- 
pirt. Wie schon Claude Bernard angab, retardirt dieses Verfahren die Ver- 
schwarung der Cornea bei Trigeminusdurchschneidung. — Bei alien Thieren tritt 
unmittelbar nach der Durchschneidung der Ganglien Verengerung der Pupille ein 
(Reizerscheinung), am zweiten Tage erfolgt Erweiterung (Lahmungserscheinung). 
Diese Erweiterung lasst im weiteren Yerlaufe nach, w&hrend die Reaction der Pupille 
auf Lichteinfall eine trage und geringe bleibt, Erweiterung der Irisgefasse oder der 
Ohrgefasse blieb aus. — In Folge der Ganglienexstirpation senkt sich das obere 
Augenlid durch Lahmung des Muller’schen Muskels, diese Senkung wird durch die 
Trigeminusdurchschneidung noch vermehrt. Auch hier wird also ein Rest von 
Schutz hergestellt, welcher die Cornea noch etwas langer erhalt. Genaue Ueber- 
wachung verhindert jede Zerstorung. 

4) Bei einem erwachsenen Kaninchen, dem der Trigeminus durchschnitten war, 
trubte sich bei mangelnder Pflege die Hornhaut. Sorgfaltige Behandlung verhinderte 
dann die Perforation und bogunstigte die Heilung unter Bildung eines derben Leukoms. 

5) Ein in gleicher Weise operirtes erwachsenes Thier wurde sofort in einen 
Kasten mit glatten Wanden und teppichbelegtem Boden gebracht und dem Wach- 
saal der Anstalt zugetheilt. Die Pfleger mussten alle halbe Stunden das Auge unter- 
suchen und eventuell vorsichtig reinigen. Heu und dergleichen, was das Auge ver- 
lotzen konnte, wurde von der Nahrung ausgeschlossen. Bis zum sechsten Tage blieb 
die Hornhaut klar, dann trat durch Nachlassigkeit eines Pflegers eine leichte Trflbung 
auf, 2 mm. im Durchmesser, diese machte jedoch keine weiteren Fortschritte, sondern 
eher Riickschritte bis zum Tode des Thieres. 

Ein anderer Yersuch mit Wegnahme der natiirlichen Schutzvorrichtungen bei 
erhaltenem Trigeminus zeigte, dass die Natur noch anderweitig fUr Schutz sorgen 
kann. Denn trotz der Lahmung der Lid- und Orbicularmuskeln wurde die Cornea 
doch bedeckt, da der Retractor bulbi das Auge tief in die Orbita zurilckziehl 

Der Versuch sub 5 ist der Wichtigste. Er beweist, dass die Cornea durch 
sorgsame Pflege intact erhalten werden kann. Dasselbe Resultat erhielt v. G. auch 
bei anderen Nervenexstirpationen, des Plexus brachialis, des N. ischiadicus etc., nach 


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welchen durch sorgsame Pflege Verschwarungen der Haut an den betr. Kfirpertheilen 
verhindert wurden. Auch Herpes zoster sah er bei diesen und ahnlichen Fallen nicbt 
auftreten, auch bei Menschen mit derartigen Nervenlasionen nicht. Andere Versuche 
haben noch gezeigt, dass die Homhaute mit und ohne Trigeminusdurcbschneidung 
sich gegen gleiche Reize im Wesentlichen gleich erhalten. — Daber: sorgsame Pflege, 
Reinhalten, Vermeidung des Druckes durch Lagerwechsel, und der Decubitus wird 
selten vorkommen. 

Discussion: Grashey regt in Anbetracht der Schwierigkeit des fortw&hrenden 
Lagerwechsels bei manchen Krauken den Gedanken an, Betten zu construiren, welche 
nach Art einer Wiege beliebige Veranderungen des Schwerpunktes der Kranken 
gestatten. v. Gudden wird ein solches Bett anfertigen lassen. Mendel fragt nach 
der Erklarung der Falle von Decubitus acutissimus, wo nach einem apoplectischen 
Anfall in wenig Stunden tiefgehende Gangran eintritt. v. Gudden ffthrt diese Falle 
ganz besonders auf mangelhafte Pflege zurilck. 

HI. Sitzung (22. Sept.) Vorsitz: Kahlbaum. 

R. Schulz beschreibt und demonstrirt ein prim&res Sareom der Pia mater 
spinalis in der ganzen Lange des Rflckenmarks. Der Fall betraf eine I6jahrige 
Arbeiterin deren Onkel an gliomatfiser Hypertrophie des Pons starb. Dio Krankheit 
verlief unter dem Bilde einer gemischten Paralysis thoils descendens, theils ascendens 
acuta. Bei heftigen Rflckenschmerzen folgte auf L&hmung der Arrae mit Aufhebung 
der Sensibilitat, Lahmung der Beine mit Sensibilitatsverlust, Blasenparese, theilweise 
Aufhebung der Patellar- und Hautreflexe. Unter Lahmung der Respiration trat nach 
3 Wochon Krankheitsdauer der Tod ein. Klinische Diagnose: Acute Meningo-Myelitis. 

Es fand sich bei der Section ein das ganze Rfickenmark von der Canda equina 
bis hinauf zum Halsmark in verschiedener Dicke ringffirmig umschliessendes Sareom 
der Pia mater. — Der Fall wird eingehend publicirt im Jahresbericht pro 1884 
fiber die med. Abth. des Herzogl. Krankenhauses zu Braunschweig. 

Discussion fand nicht statt. 

Meschede: Ueber Einrichtung getrennter Irren-Heil- und Pflege-An- 
stalten. Redner betont den neueren Bestrebungen auf Errichtung gemischter Heil- 
und Plege-Anstalten mit agricolem Charakter gegenuber den Vorzug reiner Ileil- 
anstalten. Seine Ausffihrungen erfuhren zum Theil den Widerspruch der Yersammlung, 
doch pflichtete in der spater folgenden Discussion Kahlbaum den Ansichten des 
Vortragenden bei. 

Eyselein: Ueber den Einfluss der Witterungsverhfiltnisse, speoiell 
des Ozon auf das Befinden ehroniseher Nervenkranker. Auf Grund fleissig 
und genau angestellter Einzeluntersuchungen von grosser Zahl, deren Resultate 
graphisch und tabellarisch dargestellt wurden, glaubt E. folgende Satze aufstellen 
zu kfinnen. 

1) Ein hfiherer und andauemder Gehalt der Luft an Ozon (fiber Nr. 10 dor 
14theihgen Lender’schen Scala) wirkt an sich durchaus nicht gfinstig, ganz besonders 
nicht bei Reizzustfinden des peripheren wie centralen Nervensystoms. Daher kfinnen 
diese Zustande durch den in neuerer Zeit beliebten schablonenmassigen Gebrauch 
ozonreicher Seebader (speciell der Nordsee) nicht gebessert, sondern nur verschlimmert 
werden. Hiermit stimmen die eigenen Angaben der Kranken. Dasselbe gilt von 
anderen ozonreichen, nicht maritimen Curorten. 

2) Massiger Ozongehalt (nicht fiber 10 der Lender’schcn Scala) liefert die 
gfinstigsten Resultate bei diesen Krankheiten. 

3) Geringer Ozongehalt (unter 9 bis 4) wirkt stfirend auf das Befinden. be¬ 
sonders wenn auch die Feuchtigkeitsverh&ltnisse abnorme Abweichungen vom mittleren 
Durchschnitt zeigen. 


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4) Ozonmangel (4 bis 0) hat auffallende Stfirungen im Gefolge; das Wieder- 
ansteigen des Ozongehaltes bessert dann deutlich das Allgemeinbefinden. 

Die Reaction des Nervensystems auf Ozonmangel sind Schwachezustande, Depres¬ 
sion; hoher Ozongehalt erregt und verschlimmert das Befinden bei Angstzustanden, 
Hypochondrie, Zwangsvorstellungen, Neuralgien, Hysterie, Epilepsie etc. Rein kfirper- 
liche Schwachezustande (Reconvalescenten yon schweren Krankheiten) werden hingegn 
durch hohen Ozongehalt gebessert. — An der Discussion betheiligten sich Rehm 
und Jehn. 

Elesch: Ueber den anatomisehen Befund am Riickenmarke zweier 
Mieroeephalen. Die Untersuchungen warden am Halsmark ausgeffihrt, als normal 
zum Yergleichen diente das Rfickenmark eines 8 Jahre alten Kindes. Die Mikro- 
cephalen waren 9 Jahre (typische M.) und 6 Jahre (Porencephalie) alt Zahlungen 
und Messangen moglichst entsprechender Abschnitte der Querschnitts-Praparate ergaben 
ein deutliches Minus an Fasern in der Pyramidenseitenstrangbahn und in den 
Goll’schen Strangen, die Vorderstrange zeigten bei Nr. 1 in den median gelegenen, 
nach Flechsig zur Pyramidenbahn gehdrigen Fasern ein Minns, ein geringeres in 
der Umgebung der gro^jen Vorderhorner; bei Nr. 2 nur in den letzteren Bahnen. 
Auch die Ganglienzellen wurden gezahlt, bei Nr. 1 war ihre Zahl in den Vorder- 
und Seitenhomern erheblich kleiner als bei Nr. 2 und beim Normalen. Daraus 
schliesst F.: Bei hochgradigem Defecte des Yorderhirns wird die Entwickelung der 
Pyramidenbahnen und der Goll’schen Strange, daneben auch in geringerem Grade 
der Vorderstrange quantitativ beeinflusst. Bei sehr weit gehendem Defect wird anch 
die Entwickelung der grauen Substanz des Ruckenmarkes, speciell auch ihrer Gang¬ 
lienzellen, gehemmt. Es steht also die Entwickelung eines Theils der Structur- 
elemente des Ruckenmarks in director Abhangigkeit vom Yorderhirn, es enthalt aber 
das topographisch der Pyramidenbahn entsprecliende Gebiet auch Bestandtheile, 
welche vom Yorderhirn unabhangig sind und entweder autochthon im Rfickenmark 
entstehen, oder von rfickwarts vom Vorderhirn gelegenen Stellen des Nervensystems 
ihren Ursprung nehmen. 

In der Discussion fragt Moeli, ob sich etwas fiber die Lebenszeit sagen 
lasse, in welche die Entstehung der Defecte zu verlegen sei, und ob etwa das Kaliber 
der Fasern an den angegebenen Stellen auffallende Abweichungen zeigte. — Beide 
Fragen glaubt Flesch nicht mit Sicherheit beantworten zu konnen. 

_ Siemens. 


IV. Personalien. 

Am 10. d. M. starb zu Breslau nach langer Krankheit Dr. Heinrich Neumann, 
ausserordentlicher Professor an der UniverBitat und Director der psychiatrischen Klinik. Ein 
Mann von hervorragend geistiger Veranlagung lenkte er bereits im Jahre 1847 durch seine 
Schrift fiber die Blbdsinmgkeitserklarung die Aufmerksamkeit der Fachgenossen auf sich. Im 
Jahre 1859 erschien sein Lehrbuch der Psychatrie, und wenn dasselbe auch eine sehr aus- 
gedehnte Yerbreitung nicht fand, so sind die darin niedergelegten klinischen Erfahrungen 
vielfach in spateren Werken benfitzt worden. Seine spateren Schnften (psycholog. Reflexioneu 
fiber das preuss. Strafgesetzbuch 1871, der Process Kullmann 1877) fielen meist in das Ge¬ 
biet der torensischen Psychiatrie, bis in diesem Jahre ein Leitfaden der Psychiatric fur 
Mediciner und Juristen und ein Katechismus der gerichtlichen Psychatrie erschien, fiber die 
in dem Centralbl. S. 71 und 287 referirt worden ist. Immer zeichnete er sich durch 
Originalitat der Auffassung wie durch ein scharfcs kritisches Urtheil aus. Wie in der 
Wissenschaft durch seine Arbeiten, so hat er sich im Herzen seiner Freunde und Collegen 
durch sein liebenswfirdiges Wesen ein dauemdes Andenken gesichert. M. 

Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten. 

E insen dun gen ffir die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 

Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Yerlag von Ybit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzgbr & Wittio in Leipzig. 


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Neurologisches Centr alblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologic, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Dritter “ Berlin - Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummem. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandl ungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1884. 1. November. Ng? 21. 


Inhalt I. Originalmittheilungen. 1. Beitrag zur Pathologie der multiplen Neuritis 
von Hirt. 2. Bemerkungen hber die Form des menschlichen Rtickenmarkes von Flesch. 
3. Die therapeutische Wirkuug verschiedener Cannabis-Praparate von Richter. 4. Ueber die 
Ganglienzellen der Hirnrinde bei der progression Paralyse der Irren von Mendel. 

II. Referate. Anatomie. 1. The sensory tract in the central nervous system von 
Stirr. — Experimentelle Physiologic. 2. Ueber Localisationen der Functionen des 
Grosshirns von Goltz: Ueber die Verrichtungen des Grosshirns [von Goltz. 3. Die Sehstorungen 
nach Verletzungen der Grosshirnrinde (nach Versuchen am Hunde) von Loeb. — Patno- 
logische Anatomic. 4. Zur Lehre von der Degeneration der Nervenzeilen von Lominski. 

5. On the pathology of Pseudo-hypertrophic musculatur paralysis, with remarks on a so-called 
degeneration of the nervous system by Middleton. — Pathologie des Nervensystems. 

6. Die metastatischen Hirnabscesse nach primaren Lungenherden von Nflther. 7. Ueber 
Spinallahmung mit Ataxie von Ldwenfeld. — Psychiatrie. 8. Ueber Geisteskrankheiten in 
Folge hoher ausserer Temperatur von Victor. — Therapie. 9. A Contribution to the 
study of Hysteria, bearing on the question of Oophorectomie by Walton. 10. Die Castration 
bei Ovarialneuralgie und Hysterie von Bircher. — Forensische Psychiatrie. 11. The 
case of the insane murderer Graves, recently executed in Newark by Spitzka. 

III. Aus den Gesellschaften. 

IV. Vermischtes. 


I. Originalmittheilungen. 


1. Beitrag zur Pathologie der multiplen Neuritis. 

Von Prof. Dr. L. Hirt. 

Die Lehre von der multiplen Neuritis hat trotz ihrer Jugend schon mannig- 
fache Phasen durchgemacht, und noch harrt mancher wichtige Punkt, z. B. ihr 
Verhaltniss zur Poliomyelitis, ungeachtet vortrefflicher neuer Arbeiter (Ebb, 
StbDmpbll, Eisenlohr, Vierordt), seiner endgultigen Erledigung. Wahr- 
scheinlich sind entzundliche Vorgange in den peripheren Nerven weit haufiger, 
ab man fruher annahm, wofur u. A. die Mittheilungen sprechen, nach wel- 
chen sich bisweilen auch bei centralen Erkrankungen (Tabes) Degenerationen 


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peripherer Nerven yorfinden (Sakaky), eine Thatsache, der man bis dahin herz- 
lich wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Scheint doch auch andereraeits das 
interessante Factum sichergestellt, dass es zu Erkrankungen der peripheral 
Nerven kommen kann, ohne dass die Centralorgane, in specie das Ruckenmark 
irgendwie an der Erkrankung theilnehmen. Eine Bestatigung dieser, ubrigens 
von der grossen Mehrzahl der Beobachter nicht mehr in Zweifel gezogenen 
Thatsache erblicken wir in den neuesten, interessanten Publicationen D£j£bine’s, 
welcher bekanntlich einzelne Falle beobachtete, in denen sich eine Erkranknng 
peripherer Nerven — allerdings weniger der Stamme, als der Muskelaste — 
ohne eine Betheiligung des Ruckenmarks vorfand. Da sich nun bei den meisten 
hierhergehorigen Patienten atactische Erscheinungen feststellen liessen und auch 
sonst der Symptomencomplex auffallend an Tabes dorsualis erinnerte, so kam 
DkrfenmE auf den unserer Ansicht nach unglucklichen Gedanken, die von ihm 
beschriebene Affection als Neuro-Tabes peripherica zu bezeichnen; es kann hier- 
durch einerseits sehr leicht Verwirrung in das noch lange nicht vollig klare 
pathologisch-anatomische Bild der wirklichen Tabes gebracht werden, und anderer- 
seits ist es unmoglich, sich an der Hand dieser Bezeichnung eine richtige Yor- 
stellung von dem pathologisch-anatomischen Befunde der DftrfcnmE’schen Falle 
zu machen. Es ist eben keine Tabes, um die es sich hier handelt, sondem eine 
Affection lediglich der peripheren Nerven, eine primare Neuritis. (Ygl. Gompt 
rendues de l’Acad. des Sciences. 1883; feraer Arch, de Physiol, normale etc. 
No. 2. 1884.) 

Fur den Praktiker haben diese Beobachtungen insofern ein ungewohnliches 
Interesse, als sie, wie es scheint, unzweifelhaft darthun, dass Falle vorkommen, 
die in ihrem Yerlaufe der Tabes dorsualis gleichen, wie ein Ei dem andem und 
doch nicht Tabes zu sein brauchen, vielmehr lediglich auf eine Erkrankung der 
peripheren Nerven zuruckzufuhren sind. Je symptomreicher sich die Tabes bei 
immer und immer wiederholten Studien zeigt, unter je mannigfacheren Bildern 
sie sich namentlich im ersten Beginn vorstellt, desto eindringlicher muss auch 
auf jene Falle verwiesen werden, wo post mortem dargethan wird, dass man 
falschlich eine Tabes angenommen hatte; (dass das Umgekehrte, namlich das 
Uebersehen der centralen Affection, das bei Weitem haufigere ist, bedarf keiner 
Erwahnung). In Anbetracht nun der Thatsache, dass die hier angedeuteten 
Falle, soweit sich bis jetzt beurtheilen lasst, wirklich selten sind, halte ich mich 
fur berechtigt, aus meiner Poliklinik zwei, wie ich glaube, hierher gehorige Be¬ 
obachtungen mitzutheilen, die allerdings darin den DftjEnrNE’schen an Werth 
weit nachstehen, dass die Patienten noch leben, es also unentschieden bleiben 
muss, ob und welche Affection der peripheren Nerven post mortem zu con- 
statiren sein wird; der bisherige Yerlauf lasst eine solche, wenn man sich auf 
die DfcrfcniNE’schen Falle beziehen darf, unzweifelhaft erwarten. 

Erste Beobachtung. 

Magdalene S., 34 Jahre alt, sehr beschaftigte Maschinennatherin, unver- 
heirathet, angeblich nie inficirt gewesen. Patientin, die ich im September 1883 


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zuerst sah, klagte damals hauptsachliob fiber Sensibilitatsstoru ngen, Eingeschlafeh- 
sein, Ameisenkrieohen in den Fingem, Abnahme der roben Kraft, leichte Er- 
mfidung, unsicheren Gang, besonders ixn Finstem. 

Die erste Untersuchong ergab, dass die grobe Kraft in den Oberextremi- 
taten thatsachtich vermindert war (BuBQ’sches Dynamometer rechts 15, links 24); 
Druckempfindiichkeit fiber beiden N. radiales und ulnares; an verschiedenen 
Stellen der Unterextremitaten wurde deutlich cutane Analgesie constatirt. Der 
Gang war aasgesprochen atactiscb. RouBEsa’sches Zeicben; Pa- 
tellarreflexe verschwunden. Augenmuskelstorungen und Abnormitaten der 
Pupillenreaction nicht vorhanden. 

Genaue Aufnahme des Status praesens am 24. November 1883 ergab u.A. 
erhohtes Vorhandensein der Sensibilitatsstorungen, schiessende Schmerzen beson¬ 
ders in den Beinen, deutliche Atrophie im linken Tibialisgebiet mit Herabsetzung 
der faradischen Erregbarkeit, keine EaR; ausgesprocben atactiscber Gang, Rom- 
BBso’sehes und WnsTPHAL’scbes Zeichen; die oberen Extremitaten zeigen deut- 
lichen Tremor, der bei intendirten Bewegungen starker zu werden scheint; die 
Druckempfindiichkeit der Nerven nachweisbar; hoohgradig psychische Depression. 

Die Behandlung begann mit strengem Verbote der bisherigen Beschaftigung 
(taglich mebrstfindigen Maschinennahens); daneben laue Bader und offers starke 
Hautreizung mittelst des faradischen Pinsels; Abffihrmittel. Langere Zeit wurde 
dieses Yerfahren fortgesetzt; im Beginn des Sommers 1884 hatte die Atrophie 
nicht zugenommen, die Erregbarkeit war fast normal geworden; fast alle Krank- 
heitserscheinungen waren verschwunden, aber der Patellarreflex war bis dahin 
nicht wiedergekehrt. Monatelanger Aufenthalt in Bad Landeck: September 1884 
volliges Wohlbefinden, aber nooh immer keine Patellarreflex. 

Zweite Beobaohtung. 

L. P., 21 Jahre, unverehehcht, gehort einer anstandigen Bfirgerfamihe an; 
Patientin, die alteste von 6 Geschwistem, wird zum anstrengenden, taghchen 
Mascbinennahen angehalten. 

Am 27. Februar a. c. Utt das Madchen an Schmerzen im ganzen Korper, 
die an den Unterextremitaten einen reissenden, bohrenden, stechenden Charakter 
batten; dabei war die Temperatur 38,4, Allgemeinbefinden getrfibt Nach 4 Tagen 
Sensibilitatsstorungen, Geffihl von Taubheit in den Fusssohlen, Parese der Beine, 
Alteration des Bodengeffibles, atactischer Gang; RoMBEBo’scbes und West- 
PHAL’sches Zeicben. Hyperasthesie an verschiedenen Stellen im Rficken, 
tropbische Storungen und ausgebreitete schuppige Abschilferungen der Epidermis. 
Deutlicbe Verlangsamung der Empfindungsleitung. Nixgends Herab¬ 
setzung der rohen Kraft, nirgends Atrophien. 

Erst Ende Marz ffigte sich Pat. einer geordneten arzthchen Behandlung, 
welche in der oben geschilderten Weise gehandhabt und nach 3 Monaten insofem 
von Erfolg gekront wurde, als sich sammtliche Krankheitserscheinungen allm&hhch 
verloren. Ganz besonders bemerkenswerth 1st hier das Wiedererscheinen 
des Patellarreflexes, von dem icb mich noch Anfang September unzweifelbaft 


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uberzeugen konnte; leichte Ataxie des Granges ist noch immer vorhanden, da- 
gegen sind die qualenden Schmerzen, die Paresen etc. total verschwunden. 

Der Yerlauf dieser zwei Falle ist, wenn man von dem endlichen Ausgange 
zunachst absieht, dem der D&jfcRiNE’schen ausserordentlich ahnlich: hier wie 
dort sind fast alle Cardinalsymptome der Tabes dors, vertreten, nur fehlen Augen- 
muskel- und Blasenstorungen ganzlich. Gerade dieses Fehlen halten wir be- 
zuglich der Differentialdiagnose fur sehr bedeutungsvoll, indem es unter gewissen 
Umstanden (die allerdings noch genauer pracisirt werden mussen) die periphere 
Natur einer ursprunglich fur central gehaltenen Affection erkennen oder wenigstens 
vermuthen lasst; es mahnt jedenfalls dazu, die Diagnose auf Tabes nur mifc 
ausserster Reserve zu stellen, wenn auch einzelne, fast fur pathognostisch geltende 
Symptome, wie die fruhe cutane Analgesie, ich mochte sagen, verfuhrerisch dazu 
auffordern. 

Weiterhin erscheint in unseren Fallen ein atiologisches Moment von 
Bedeutung. Man hat bekanntlich ganz neuerdings (Strumpell, Vierordt u. A.) 
die infectiose Natur der Neuritis in den Kreis der Betrachtung gezogen, 
eine Anschauung, die nicht bios dem herrschenden Zeitgeist entspricht, sondern 
auch ihre unbestreitbare Wahrscheinlichkeit fur sich hat; da sie aber bis jetzt 
noch durch nichts bewiesen ist, vielmehr lediglich dem Gebiete der Hypothese 
angehort, so erscheint es vielleicht nicht uberflussig, auch nach anderen atio- 
logischen Momenten zu suchen, unter denen uns namentlich eines existenz- 
berechtigt erscheint, namlich die Beschaftigung, resp. die Berufsarbeit 
des Individuums; gerade die Beschaftigung, namlich jahrelang fortgesetztes, 
taglich mehrere Stunden anhaltendes Maschinennahen mochte ich in meinen 
Fallen mit der Entstehung der Krankheit in Zusammenhang bringen. Aehn- 
liche Beobachtungen (Ischias, Tabes nach anstrengender Arbeit) liegen bereits 
vor (Seeligmuller, Guelliot, Pitres u. A.), doch darf ich hier wohl bei- 
laufig bemerken, dass im Grossen und Ganzen die Berufsarbeit als Entstehungs- 
ursache fur Nervenkrankheiten noch nicht genugend berucksichtigt ist, dass man 
sich vielmehr bisher bei Besprechung dieser Frage an allgemeinen Redensarten, 
wie Ueberanstrengung, Durchnassung, Erkaltung genug sein liess; detaillirtere 
Studien werden noch manche nicht uninteressante Beziehung aufdecken. Hier 
z. B. handelt es sich um die taglich stundenlang fortgesetzte Bewegung beider 
Unterextremitaten, durch welche die Nahmaschine im Grange erhalten wurde; 
diese Bewegung an sich und die dadurch bedingte Erschutterung des ganzen 
Korpers wirkt ungunstig ein. Ein Analogon hierzu bietet sich in der nervosen 
Affection (Neurasthenia spinalis), welche vom Fahrpersonale der Eisenbahnen, be- 
sondera von Locomotivfuhrern und Heizern, ebenfalls in Folge der Erschutterung, 
recht haufig acquirirt werden, und auf welche ich in meinen Arbeiterkrankheiten 
(Bd. II, S. 126 ff.) bereits aufmerksam gemacht habe. Die Art und Weise des 
ungunstigen Ein Busses vermogen wir uns noch nicht genugend zu erklaren, 
namentlich erscheint es zweifelhaft, ob die nervosen Storungen auf gewisse 
Alterationen von StofFwechsel zuruckzufuhren sind, oder ob man sie als directe 
Folge der mechanischen Erschutterung anzusehen hat Soviel steht jedenfalls 


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fest, dass erhebliche und dauernde Besserung nur durch Aufgeben der Beschaf- 
tigung zu erzielen war. — In den DftrtiRiNE’schen Fallen spielte der Alcohol 
eine atiologische Rolle; bei uns konnte davon h6chstens im ersten Falle, wo die 
Mutter berichtete, das Madchen trinke relativ viel, d. h. taglich 3 / 4 Liter echt 
bayerisches Bier, die Rede sein; im zweiten bot sich dafur keinerlei Anhalt. 

In diagnostischer Beziehung mochte ich nur dem etwaigen Einwande, 
dass es sich in unsem Fallen vielleicht am Tabes dors, handele, mit dem Hin- 
weise begegnen, dass im ersten die bestehende Atrophie im Tibialisgebiete, im 
zweiten der fieberhafte Beginn, ganz abgesehen von dem bereits hervorgehobenen 
Fehlen jeglicher Augenmuskel- und Blasenbeschwerden, dagegen spricht Eine 
Affection der peripheren Nerven ergiebt sich aus dem Symptomencomplexe viel- 
mehr als das Wahrscheinlichere, und bestatigt der Yerlauf, was Stbumpell 
betreffs der Prognose der Neuritis sagt (Krankheiten des Nervensystems, S. 110), 
dass namlich recht wohl nach monatelanger Dauer schliesslich Heilung eintreten 
konne. Therapeutisch verweise ich hier lediglich auf den gunstigen Einfluss, 
den die von Rumpf fur die Behandlung der Tabes empfohlenen faradocutanen 
Pinselungen hervorgerufen haben; man darf wohl als wahrscheinlich annehmen, 
dass es sich dabei wesentiich um reflectorische Einwirkungen handelt. 


2. Bemerkungen iiber die Form des menschlichen 
Riickenmarkes. 

Von Prof. Dr. Max Flesch in Bern. 

Untersuchungen, welche in Gemeinschaft mit Hm. stud. med. Hugo Ebeling 
aus Frankfurt a. M. angestellt wurden, haben uns zu dem Resultat gefuhrt, dass 
das Ruckenmark nicht passiv den Krummungen des Wirbelkanals folgt, dass es 
vielmehr auch im isolirten Zustande bei geeigneter Aufbewahrung die gebogene 
Form beibehalt, mithin in seiner Substanz selbst die Yorbedingungen tragt, 
welche ihm diese Form zuertheilen. 1 Indem wir die genauere Ausfuhrung dieser 
Verhaltnisse einer im Druck befindlichen Abhandlung (in His und Beaune’s 
Arehiv) vorbehalten, erganzen wir hiermit einige Lucken der ausschliesslich an 
Thieren angestellten Untersuchungen. — Das ca. 36 Sfcunden nach dem Tode 
herausgenommene Ruckenmark eines 18 Monate alten, an Diphtherie gestorbenen 
Kindes zeigt bei freier Aufhangung in MuLLEE’scher Flussigkeit ebenso wie bei 
Saugethieren uberhaupt eine dorsalwaxts convexe Biegung des Ruckentheiles, 
welche im Gebiete der Halsanschwellung rait einer ventralwarts gewendeten Con- 
vexitat in die Cervicalbiegung ubergeht. Diese Form zeigte das Praparat noch 
nach Entfemung des Durasackes und auch nach Abldsung der Pia in der ganzen 
Lange des Halsmarkes und des oberen Theiles des Brustmarkes; wir heben dies 


1 Eine knrze Mittheilnng fiber die Nackenkrfimmnng des Rfickenmarkes bringt ein 
Vortrag, gehalten in der anatomischen Section der 57. Versammlung dentsehcr Naturforscher 
zu Magdeburg. Tageblatt S. 195.; cf. weiter unten in dieser Nnmmer S. 501. 


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hervor, weil die bisherigen Beobachtungen auf von der Pia noch umhullten 
Praparaten beraben. — Wenn auoh dies Besoltat von vornherein zu erwarten 
war, ja sogar kaum etwas Neues enthalt, sobald wir tins erinnem, dass jeder 
Sagittalschnitt des gefrorenen Eorpers die natnrlichen ErQmmungen des RAoken- 
marks zeigt, so lasst es doch eine weitere Verwerthnng voraussehen. Brauns, 
in der Erklarung der den Sagittalschnitt des Eorpers darstellenden Tafeln seines 
bekannten Werkes macht daranf anfmerksam, dasB die Biegong des Halsmarkes 
wesentlich variirt je nach der Eopfhaltnng. Die Normalstellung der Wirbel- 
saule durfte nun aber jedenfalls diejenige sein, in welcher das Rdckenmark einer 
Dehnung oder Compression nach iigend einer Richtung nicht nnterliegt In 
der Aufbewakrung des Ruckenmarkes in einer Flflssigkeit, deren spec. Gew. an- 
nahemd mit jenem seiner Substanz ubereinstimmt, haben wir aber ein Yer- 
fahren zur Yerfugung, welches allem Anschein nach die Bnhefonn des Rflcken- 
markes und damit wohl auch der von ihm erfullten Theile des Wirbelkanales 
fSr einige Zeit zu fixiren gestattet. 


3. Die therapeutische Wirkung verschiedener Cannabis- 

Praparate. 

(Vorlaufige Uittheilung.) 

Von Dr. Richter, Director der Privat-Irren-Anatalt zn Pankow. 

Durch Em Apotheker Bombelon, Neuenahr, warden dem hiesigen Apo- 
theker Hrn. Hktnersdobfp eine Reihe ganz neuer Praparate zur Yerfugung 
gestellt und habe ich seit ca. 14 Tagen mit diesen interessanten Medioamenten 
Yersuche gemacht, welche ich in Nachstehendem zunachst zur Kenntniss da 
Collegen bringe, weitere TTntersuchungen darfiber nebst Yeroffentlichung der 
Erankengeschichten mir vorbehaltend. 

Bombelon atellt dar: Cannabinum purum, Oannabinon und Haschisch. 
Ueber Cannabinum purum sind bereits Beobachtungen veroffentlicht, das Canna- 
binon habe ich hauptsachlich angewendet, und das, was Bombelon als Haschisch 
bezeichnet, ist nach seiner Ansicht ein zusammengesetzter Eorper aus CannaMn, 
Cannabinon und Tetanin, welches auch im Hanf vorkommt. 

Das Cannabinon also wurde bei 14 Eranken der verschiedensten Irrseins- 
formen, 8 Frauen, 6 Mannem, in Anwendung gezogen. Die bisherigen Resul- 
tate berechtigen jedenfalls zu ganz erheblichen Hoffnungen und ermuntem zu 
ausgedehnten Versuchen. Bei 5 Frauen bewirkte das Mittel, in Dosen von 
0,05—0,1 gegeben, mehrstfindigen ruhigen Schlaf ohne Able Folge-Erscheinungen. 
In einem Falle von activer Melancholie, bei welchem alle Ablichen Beruhigungs- 
mittel und Beruhigungsversuche wirkungslos waren, zeigte dieses Medicament 
eine wesentliche Beruhigung betrefls der psychischen Symptoms. Bei einem 
abgelaufenen Fall (secundarer Seelenstorung), in dem sehr lebhafte Erregungs- 
zustande auch alien Medicamenten trotzten, wirkte dieses Mittel ebenfalls direct 


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beruhigend. Bei einer einzigen Patientin trat eimnal, noch dazu bei der kleinsten 
Dosis ein collapeahnlicher Zustand ein, der jedoch unbedeutend und nach kurzer 
Zeit gehoben war. Wahrschemlich ist dieser Collaps dadorch zu erklaren, daas 
die Pat gegen die arztliche Verordnung das Bett verlassen hatte. Die Er- 
scheinungeii dee Collapses traten eine Stunde nach der Einnahme des Mittels 
ant Bei zwei Patientinnen secundarer Seelenstorung mit n&chtlichen Erregungs- 
zustanden blieb das Mittel ohne jede Wirkong. Bei den mannlichen Eranken 
blieb fast in alien F&llen die Wirkong aus, vielleicht weil ich aus Vorsicht mit 
zu kleinen Dosen operirt habe. Bei Anwendnng von Haschisch (Bomb.) haben 
wir Erregungen beobachtet ohne nachfolgende Beruhigung, wie Bombelon sie 
verspricht. Es ist allerdings zu berucksichtigen, dass ich die Dosirong der Mittel 
nach BoMBELON’acher Yorachrift genommen babe, welche unzweifelhaft nicht fur 
Qeisteskranke berechnet sind, und Geisteskranke gegen Opiate ja in ganz anderer 
Weise reagiren, wie psychisch nicht Erkrankte. Die Erregung nach dem Bom- 
BELon’schen Haschisch zedgte aber eine ganz andere Form, als wie sie dem be- 
kannten Haachisch-Rausch zukommt Ueher Cannabin sind die bis jetzt gemachten 
Versuche bei meinen Eranken sohwankend. 

Haschisch (Bombelon) wird gegeben in der Dosis 0,05, C annab in in der 
Dosis 0,1. Das Beste ist, wenn man zur Nacht Schlaf erzielen will, eine Stonde 
vor dem Schlafengehen das Mittel zu geben. Als Beruhigungsmittel habe ich 
es am Tage zu jeder beliebigen Zeit gereicht; nur mit der Yorsicht, es nicht 
zu nahe an die Mahlzeiten anzusohliessen. Es nimmt sich am Beaten mit Kaffee- 
pulver, nur mochte ich hier eine praktische Notiz gleich beifiigen, dass der dazu 
verwandte gerostete Kaffee n&mlksh ausserordentlich fein gepulvert werden muss. 
Er ist alsdann ein brillantes Vehikel. 

Yon der Wirkung dieser Medicaments als Ciysma habe ich keine Erfahrung. 
Sie sollen sich aoeh in Oel-Emulsionen geben lassen. Ebenso hat mir die Zeit 
gefehlt, die Yersuche anzusteUen, in welcher Weise sie mit Morphium in Ver- 
bindung gebracht wirken. Bombelon deutet darauf hin, dass kleine Zusatze von 
Morphium zu diesem Mittel wie etwa 5 Milligramm bereits die Wirkung ganz 
ausserordentlich verstarken. Es ware sehr werthvoll, wenn wir endlich ein Mittel 
zur Hand bekommen konnten, welches die guten Eigenschaften des Morphiums 
hat ohne seine sohadlichen Nebenwirkungen, wie es Bombelon von seinen Pra- 
paraten voraussetzt 


4. Ueber die Ganglienzellen der Himrinde bei der 
progressiven Paralyse der Irren. 

Von E. Mendel. 

(Nach einem Vortrage mit Demonstrationen im Verein der deatachen Irrenarzte zu Leipzig.) 

Die Frage, ob die Ganglienzellen der Himrinde bei der progressiven Para¬ 
lyse der Irren uberhaupt verandert sind, und wenn dieses der Fall, welcher 


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Natur diese Veranderungen sind, ist haufig genug discutirt worden, die Literatur 
daruber ist eine sehr betrachtliche, trotzdem aber scheinen wir nooh weit ent- 
femt davon, eine Beantwortong gefonden zu haben, die allgemein acceptirt ware. 
Es kann dies urn so weniger Wunder nehmen, als die Anatomen noch daruber 
im Streit sind, wie die normale Ganglienzelle in der Himrinde ansaehb 

Die TJnsicherheit in diesen Dingen wird verstandlich, wenn man bedenkt, 
dass weitaus die grosste Mehrzahl der TJntersnchangen an Praparaten gemacht 
wird, die vorher physikalischen und chemischen Einflussen durch Hartung, 
Tinction u. s. w. ausgesetzt waren. 

Wenn ich bier die Frage nach den pathologischen Veranderungen 
erortem will, so sei mir gestattet, vorher erst einige Worte uber die normale 
Ganglienzelle der Himrinde zu sprechen. Nach den Angaben von Henle und 
Merkel sind die Zellen der Himrinde umgeben von hellen, durchsichtigen, 
wahrscheinlich mit Lymphe, erfullten Raumen: „pericellularen Raumen 11 . Boll 
wie Krause betrachten diese Raume als Kunstprodukte, die durch Schrumpfung 
des Ganglienzellenkorpers entstehen, wahrend Obebsteineb, Ripping, Fobel, 
Herzog Carl von Batebn, Lewis sie fur intra vitam bestehend halten. Ich 
selbst schliesse mich nach meinen eigenen Untersuchungen den Letzteren an. 
Diese Raume umschliessen im normalen Zustande sehr eng die Zellen, und 
lediglioh durch die Praparationsmethode kann eine erhebliche Erweiterung 
derselben, wie ich glaube, nicht durch Schrumpfung der Zelle, sondern 
durch Schrumpfung des intercellularen Gewebes entstehen. Ich beeitze Pra- 
parate von der normalen Himrinde des Hundes, in denen diese Erweiterung 
excessiv vorhanden ist, wahrend sie fur gewohnlich nur eine sehr geringe 
Ausdehnung bei denselben zeigen; im ersteren Falle liess sich auch nachweisen, 
das die Hartung nicht mit der nothwendigen Vorsicht vorgenommen worden 
war. Aehnliches beobachtete ich bei der menschlichen Hinrinde, da, wo die 
Section sehr spat nach dem Tode gemacht und die Hartung nicht befriedigende 
Resultate ergab. Dass diese Raume aber auch pathologisch sich erweitem und 
mit nicht durchsichtigen, anscheinend soliden Massen fallen kbnnen, werde 
ich sogleich erortem. 

Die Grosse der Ganglienzellen in der Himrinde ist bekanntlich eine 
ungemein verschiedene, meine Messungen ergaben im Wesentlichen flberein- 
stimmend mit anderen Autoren den Basisdurchmesser schwankend zwiscfaen 
7 bis 50 fi, den Langsdurchmesser zwischen 10 und 75 p. Wenn auch die 
gros8ten Zellen vorzugsweise im Lobul. paracentralis getroffen werden, so kommen 
doch vereinzelte, sehr grosse, jenen sehr ahnliche im Stimhim und besondeis 
im Hinterhaupthim mitten unten mittleren und kleineren vor. Die geringere oder 
maehtige Grosse an und fur sich entscheidet also noch nicht uber die normale 
oder pathologische Beschaffenheit 

Die Gestalt der Zellen ist entweder mndlich oder spindelformig oder 
pyramidenformig. Die letzteren bezeichnet Krause als tetraedrich und ver- 
gleicht sie mit Raucherkerzchen oder noch besser mit Zwiebeln. Diese Pyramiden- 
form ist vorzugsweise fur die Himrinde charakteristisch. 


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„Je nach der Lage der PyramidenzeUen gegen die optdsche Axe des 
Mikroskops kann das Aussehen ein sehr verechiedenes sein: an senkrecht zur 
Oberflache gefuhrten Schnitten erscheinen sie spitzwinklig dreieckig mit gleich 
langen Seiten, an Flachenschnitten 4- oder 5seitig polygonal, in schrager Ansicht 
wenn ein Basalfortsatz an Dicke nberwiegt, spindelformig." (Krause). 

Das Protoplasma der Zelle erecheint bei Vergrosserungen mittlerer 
Starke feinkomig, durch Carmin sioh intensiv farbend, in vereinzelten Zellen 
erscheint dasselbe gelblich; bei alten Lenten mehrt sioh die Zahl dieser gelblich 
pigmentirten Zellen. 

Deber die Qestalt des Kerns, der mit der Lange der PyramidenzeUen 
wachst, in den grossen bis 20 p, in den kleinen 1 ft im grossten Dnrchmesser 
hat, gehen die Ansichten der Antoren weit auseinander. Krause and Schwalbe 
bezeichnen die Gestalt des Kerns als ellipsoidisch, and der eretere meint, dass 
die von Metnert behauptete Pyramidenform des Kerns ein Kunstprodukt sei, 
das dnrch Schrumpfnng der ZeUe in Folge von Wasserentziehung, besonders an 
dem dem Spitzenfortsatz zngekehrten Ende, und dadurch bedingte Compression 
des Kerns entstunde. 

Ich halte die ellipsoide Form ebenfaUs fur die normale and gewbhnliche; 
sie ergiebt sich besonders dentlich auch an der Hirnrinde von Affen and Hunden. 

TJeber die verschiedenen Fortsatze, dem mittlem, die eckst&ndigen Basal- 
fortsatze und den Spitzenfortsatz herrscht Uebereinstimmung, so dass ich hier 
nicht weiter darauf einzugehen brauche. 

Wie gestalten sich nun die Verhaltnisse der GanghenzeUen in der Him- 
rinde bei der progressiven Paralyse der Irren? 

In einer grossen Zahl von FaUen von Paralyse, besonders aber denjenigen 
FaUen, die nach einem kftrzeren Yerlauf zum Tode fnhren, sind deutlich nach- 
weisbare Veranderungen der ZeUen nicht vorhanden. Selbst da, wo das 
interetitieUe Gewebe z. Th. in der erhebhchsten Weise verandert, wo es in eine 
schwielige Masse untergegangen, flndet man zuweilen die GanghenzeUen noch 
in einer Weise erhalten, so dass man von denthcben Veranderungen nichts sehen 
kann. Ich bin deswegen auch der Ueberzeugung, dass der Process der pro¬ 
gressiven Paralyse nicht im Zellenapparat seinen Ausgangspunkt und seine 
wesenthche Grundlage hat Zu demselben Resultat, wie meine pathologisch- 
anatomischen Untereuchungen, fuhrten mich ubrigens auch meine experimenteUen 
Yereuche, auf die ich hier jedoch nicht naher eingehen wiU. Die Veranderungen 
der ZeUen konnte ich nur in solchen Fallen von Paralyse erkennen, die nach 
langerem Bestehen und nach Entwickelung hochgradiger Dementia und starker 
Lahmungserecheinungen der Exitus letalis nahmen. Yon solchen Veranderungen 
erwahne ich nun folgende: 

1) Erweiterung der pericellularen Raume und Anfullung der- 
selben mit einer gelblichen, durch Carmin sich nicht oder nnr un- 
erheblich farbenden Masse. 

Ich habe diese Veranderungen ausfuhrlicher in der Klin. Woohenschr. 1883 
Nr. 17 beschrieben. 


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Ftlr mich ist fiber die pathologische Natur dieser Dings kein Zweifel, ich 
habe sie nie bei aormalen Hirnen, nie bei Honden odor Affen gesehen, obwohl 
ich fiber 1000 derartige Praparate durchmustert habe. 

Ffir die pathologiBche Natur spricht auch der Umstand, dass auch andere 
Yerandenmgen dabei gefonden warden and vor Allem, dass man in den be- 
treffenden Hirnen Uebergange von Zellen mit erweiterten pericellularea Bitumen, 
Veranderongen dee Protoplasmas, Yerdrangung desselben duroh die sohwellenden 
Eeme, endlich Verkfimmerung und Untergang der Zellen sehen k&nn. 

2) Veranderungen des Protoplasmas werden besonders als sag. fettig 
pigmentose beschrieben. Ob man es dabei in dor That mit Ablagerung von Fett 
zu than hat, bleibt zweifelhafL Man sieht in solchen Fallen den im mittleren 
Lebensalter nur ausnahmsweise gelblichen Inhalt der Zellen in einer grossen 
Zahl derselben anftreten, selten nur dazwischen eine mit normal aussehendem 
Inhalt; dabei treten einzelne dunkle, opake, andere glanzende, lichtbrechende 
Efirnchen auf. Solche Zellen findet man vorzugsweise im Stirnhirn, im Lob. 
paracentralis, doch auch im Hinterhauptshim und an andem Stellen. 

3. Die Sklerose und Atrophie der Zellen 1 zeigt sich in dem Verlust des 
feinkdrnigen Inhalts der Zelle, dereelbe bekommt einen streifigen Gharakter, eracheint 
fester, und man sieht hier Uebergange von den normalen Zellengebilden zu ana 
Masse, die kaum noch einen zellenartigen Gharakter hat Nicht bloss die 
Eleinheit der einzelnen Zelle, sondem die grosse Zahl der abnormen Zellen 
im Yergleich zu denen, die man an der betreffenden Stelle zu erwarten hat, 
ist hier entscheidend. Verzerrte mit Urn- und Einbiegungen versehene Con- 
touren zeigen auf das Deutlichste die pathologisch-anatomischen Yeranderungen. 

Hier von Eunstproducten reden zu wollen, wo man bei einem im Ganzen 
aufbewahrten und gleichmassig behandelten Gehirn die Yeranderungen in der 
Begel nur hochgradig ausgepragt im Stirnhirn findet, wahrend man in den 
fibrigen Theilen normale oder annahemd normale Zellen sieht, muss am so mehr 
zurfickgewiesen werden, als solch veranderte Zellen mit ganz gleichem Charakter 
aus den Yorderhdmern des Rfickenmarkes als atrophische Zellen allgemein, 
und wie ich glaube, jetzt ohne Widerspruch betrachtet werden. 

Zuweilen ist die Zahl der atrophischen Zellen so gross und die Intensitat 
der Yeranderung so erheblich, dass man bei dem ersten Blick durch das 


1 Herr Tuczkk sagt: ,^&ueh dess Alterationen der Qenglienk&rper vorkemmen kSaaen, 
gebe ich zo, obgleich ich mioh von ihnen, selbst an Originalpraparaten von Hem Hbbdzl, 
der sie so eingehend beschreibt, nie habe hberzengen konnen." Ich habe sie, wie Hen 
Tuczsk weiss, nicht bios beschrieben, sondem anch abgebildet. Die wenig versteckte In- 
sinoation in jenen Worten ignorire ich. Die „Originalprfiparate“ warden in der Sitznng von 
mir demonstrirt; ein Widerspruch gegen meine Dentnng wnrde von den Henen, die sie ge¬ 
sehen, nicht lant Gs dttrfte der Mangel also nicht an den Pniparaten Hegen, sondem ein 
snbjectiver des Herrn Tuczsk sein. Vielleioht wird seine „Ueberzengnng" dorch die Dis- 
cnssion, die sich an meinen Vortrag anschloss and im Wesentlichen eine Bestatigang meiner 
Befnnde brachte (oL S. 453 in Nr. 19 d. Ctrlbl ), etwas erschfittert Andere Angaben des 
Herrn Tuczbk, die einen ahnlichen Wertb, wie die obigen haben, Werden, da sie niebt m 
dem vorliegenden Thema gehoren, an anderer Stelle ihre Erledignng finden. 


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Mikroskop in der betreffenden Stelle der Hirnrinde fiberhaupt koine Ganglien- 
zellen erkennt. Im Uebiigen lessen dch solche Zellen each experimental! bei 
Hnnden heretellen, die dorch Drehung paralytisch gemacht werden. In den 
atrophischen Zellen findet man anch in der Regel 

4) Veranderungen der Eerne. 

Ihr Inhalt seheint in derselben Weiae verandert, vie das Frotoplasma 
der Zelle, ihre Gestalt ist ebenfalls verkrfippelt; sie liegen nicht vie gevdhnlich, 
mehr in der Mitte der Zellen, sondera am Rande und zeigen bier beeonders 
haufig eine pyramidale, dreieckige Gestalt. Da vo die Atrophie einen sehr 
hohen Grad erreicht, ist zuveilen gar kein Eero mehr zu sehen. 

Ansser diesen in den Endstsdien vorkommenden Veranderungen der Eerne 
hat man nun anoh noeh Ver grosse rung derselben in einem fruheren Stadium 
beschrieben, und auoh ich habe in einzelnen Fallen die grosse Mehrzahl der 
Zellen in einzelnen Rindenterritorien mit solch grossen Eeroen gesehen, so dass ich 
ebenfalls geneigt bin, ein solches Verhalteu der Eerne, venn es fiber eine grosse 
Zahl von Zellen ausgedehnt ist, als pathologisch zu betrachfcen. 

Mit einigen Worten sei hier noch das Verhalten der Zellen in den fibrigen 
Hirntheilen erwahnt In den grossen Ganglien des Hiros habe ich ebensovenig 
vie im Pons und den Eeroen der Augenmuskeln irgend eine Veranderung an den 
Ganglienzellen entdecken konnen, die ich als pathologisch in Anspruch nehmen 
mfichte, nur im Hypoglossuskeroe erschien in aehr langdaueroden Fallen eine 
ausserst hochgradige und die moisten Zellen ergreifende Veranderung, die Zellen 
waren zum Theil fettig pigmentos, zum Theil vollstandig zerfallen, in anderen 
erschien der Zelleninhalt in einer vachsartigen Masse untergegangen. 

Ich habe mich bei meinen Ausffihrungen lediglich an ganz grobe Veranderungen 
gehalten, die, vie ich glaube, an den vorgelegten Praparaten auch fur den- 
jenigen, der die Untersuohung der Hirnrinde niobt speciell betreibt, zu erkennen 
sind. Sind einmal ohne Widerspruch diese Thatsachen constatirt, erst dann 
wird es meiner Ansicht nach Zeit sein, feroere Veranderungen zu discutiren, deren 
richtige Beurtheilung bei der Zartheit des Objects vie bei unseren immerhin 
groben Praparationsmethoden die allergrosste Schvierigkeit bietet 


n. Beferate. 


Anatomie. 

1) The sensory tract In the central nervous system by M. Allen Starr. 

. (Journ. of nerv. and ment. diseases. 1884. Vol. XI. p. 327.) 

In einer 81 Seiten langen, preisgekrOnten Schrift hat Verf. es untemommen, 
die smsiblen Bahnen des Central-Nervensystems zu bestimmen. Im Rfickenmarke 
macht eine solche Bestimmnng keine Schvierigkeiten; die betreffenden Bahnen kbnnen 
nor innerhalb der granen EQckenmarkssubstanz, der Goll’schen und Burdach’schen 
Abtheilungen der Hinterstrange und innerhalb der directen Kleinhirn-Seitenstrangbahn 
gesncht werden. Veiterhin ist auoh der Zusammenhang der Goll’schen und Bur- 
dach’sohen Strange mit den Eemen der zarten und der Keilstr&nge als gesiohert 
anzunehmen. Von hier ab wird der Verlauf der sensibleu Bahnen zweifelhafter. 


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Dem Zwecke der Arbeit entsprechend giebt der Verf.. eine weitlAufige Uebersicht 
der diesbezfiglichen Literatur. Die verschiedensten Methoden der Untersuchung, sowie 
die Ansichten von Meynert, Flechsig, Aeby, Roller, Henle und Schwalbe 
werden detaillirt besprocben. S. glaubt, es lasse sich aus den Angaben der genannten 
Autoren kein sicherer Scbluss ziehen. 

Er ertheilt daher genaueren Bericht fiber die Ergebnisse der Untersachnng ernes 
mikrocephalischen Gehirns. Das Individuum lebte noch 7 Tage nach der Geburt 
Die Schlflsse, die aus dieser Untersuchung gefolgert werden, beruhen auf der Vor- 
aussetzung, dass die Theile des Central-Nervensystems, welche gemeinsame Function 
besitzen, sich gleichmassig entwickeln, oder besser gesagt, gleichmassig in ihrer 
Entwickelung gehemmt werden. In diesem Geliirne fehlten die bekannten motorischen 
Bahnen; vorhanden waren ein Theil des Lemnicus und der Oliyenzwischenschicht, die 
ganze Formatio reticularis, die grauen Kerne am Boden des 4. Yentrikels, sammt 
Wurzeln und Nerven, die Processus cerebelli, ein normales Kleinhim und die ent- 
sprechenden sensiblen Bahnen im Rfickenmark. Bemerkt muss werden, dass das 
Vorderhim nur durch eine klumpige Masse, 1 Zoll lang, l / 2 Zoll dick, vertreten war. 

S. beobachtete, dass ein Theil der Fasern, von den Kernen der zarten und 
Keilstrange ausgehend, sich durch die sensible Kreuzung in die Oliyenzwischenschicht 
verfolgen liess; von da an nahmen sie einen Verlauf nach aufw&rts, bildeten den 
ausseren Theil der Schleife, wendeten sich wieder aufwarts an dem rothon Kern 
vorbei zur Capsula interna. Ein anderer Theil der Fasern von denselben Kernen 
ausgehend, erreichte die Formatio reticularis, traf da mit Fasern aus der grauen 
Substanz zusammen und erstreckte sich dann durch Medulla, Pons und Crura, ohne 
eine Kreuzung einzugehen. Die directe Kleinhirn-Seitenstrangbahn endigte in der 
Rinde des Lob. vermiformis (p. 352). 

Weiterhin beruft sich Verf. hauptsachlich auf pathologische Falle, in denen 
Sensibilitatsstflrungen bemerkt und beschrieben wurden. Aus diesen Fallen, die moistens 
aus den letzteren Jahren seit der Verflffentlichung des Nothnagel’schen Werkes 
stammen, werden folgende Schlflsse gezogen: Tactile Schmerz- und Temperatur- 
Empfindungen, nachdem sie durch die schon angegebenen Bahnen bis in die Capsula 
interna gelangen, werden von da aus durch eine Bahn, die in der inneren Halfte des 
hinteren Drittels liegt, in die Corona radiata befflrdert, von wo aus sie in den cen- 
tralen und parietalen Regionen des Cortex aufgenommen werden, und sich fiber die 
bekannten Arm- und Bein-Felder vertheilen, denn hier decken sich zum grossen Theile 
motorische und sensible Felder. Muskelgeffihle ziehen angeblich durch die Mitte des 
hinteren Drittels der Capsula interna. 

Was die directe Kleinhirn-Seitenstrangbahn betrifft, so spricht Verf. die Ver- 
muthung aus, dieselbe kflnne zu den Functionen der Viscera in Beziehung stehen! 
Es wird dies per exclusionem hingestellt. Directe stichhaltige Beweise sind kaum 
zu liefern. Was konnte man aber nicht alles den verschiedensten Bahnen anhangen, 
wollte man ihnen Functionen, die sonst nicht unterzubringen sind, zuschreibenl 

Sachs, New-York. 


Experimentelle Physiologic. 

2) Ueber Localisationen der Functionen des Grosshims , Yortrag von Pro! 
Dr. Goltz. (Yerhandl. d. 3. Congr. f. innere Medecin III.) — Ueber die 
Verrichtungen des Grosshims, ffinfte Abhandlung von Prof. Dr. Goltz. 
(Pflflger’s Arch. Bd. XXXIV.) 

Ueber den Yortrag von Goltz, dessen Wortlaut seither erechienen ist, wurde 
bereits in Nr. 14 des Centralbl. referirt. Nunmehr liegt auch die ausffihrliche Be- 
arbeitung der damals besprochenen Versuche vor. 


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493 


G. bat die8mal entweder ganze Himlappen bis auf die Basis mit dem Messer 
abgeschnitten — beispielsweise indem er einen frontalen Schnitt unmittelbar vor dem 
Cbiasma durch die ganze Breite und Dicke des Grossbirns ftthrte und dann durcb 
einen zweiten recbtwinklig auf diesem stehenden bis auf die Basis dringenden Schnitt 
das „Corpus callosum" trennte — oder Abtragungen von gleicber Gr6sse mittelst 
eines neuen von der White’schen Bohrmaschine bewegten Instrumentes, des Scheeren- 
bobrers vorgenommen. Dabei wurde selbstverstandlicb der Seitenventrikel erftffnet 
und der vordere Tbeil des Gangliensystems entfernt. Gleichwohl blieb ein grosser 
Theil der Hunde am Leben. 1 

Die Untersuchung der Thiere empfiehlt G. (wie Luciani) wahrend der Fattening 
vorzunehmen. Wicbtig fttr das Verst&ndniss seiner Auffassung ist, dass er gegen- 
wartig als „Ausfallser8cheinungen“ das geringste Maass von StCrungen, welcbe sich 
zu irgend einer Zeit und in irgend einem Falle nach einer bestimmten Himverletzung 
beobachten lOsst, bezeicbnet. Alle ttbrigen Symptome nennt er „Nebenwirkungen“, 
indem er den Ausdruck „Hemmung8erscheinungen“ far dieselben fallen lasst. 

Nach Abtragung eines Yorderlappens inch der motoriscben Zone ist das 
Thier zunacbst balbseitig motoriscb und sensibel gel&hmt und zeigt halbseitige Seh- 
stflrungen. Nacb Ablauf einiger Monate ist die Lahmung zurttckgegangen und die 
Sehsttfrung kaum nocb zu bemerken. Die Beruhrungsempfindung bat der Hund an 
keinem Punkte seiner Haut eingebflsst. Dagegen ist das Muskelbewusstsein dauemd 
gesch&digt, auch tritt der Hund mit den kranken Beinen in’s Leere. Nach doppel- 
seitigen Abtragungen sind die geschilderten Erscbeinungen hochgradiger, alle 
Bewegungen auffallig plump, das Thier gleitet leicht aus und lauft gegen niedrige 
Gegenstande rflcksichtslos an. Ausserdem werden alle Muskeln zu einer Menge von 
unzweckmassigen Mitbewegungen innervirt. Ein Kliniker wflrde fOr die von Goltz 
gegebene Beschreibung der Bewegungsstbrungen vermuthlich die Bezeichnung Ataxie 
gewahlt haben. (Ref.) Ferner treten bei Kratzen oder Streicheln bestimmter Stellen 
allerlei Reflexe ein: die Zunge wird rhythmisch herausgestreckt, knuspernde Beiss- 
bewegungen, Schttttelbewegungen, Drehbewegungen des Kopfes werden ausgeftthrt 

G. nimmt an, dass die in der Medulla oblongata und dem Rflckenmark localisirten 
Reflexe gesteigert, die Fahigkeit der Reflexhemmung herabgesetzt sei. 

Bezflglich der Sensibilitat wiederholt G. unter heftiger Polemik gegen Munk 
mehrfach, dass die Hunde an alien Punkten ihres Kbrpers die Berflhrungsempfindung 
bewahren, aber schlecht tasten. (Ref. hat hierzu zu bemerken, dass G. sich irrt, 
wenn er meint, Ref. bestritte das Auftreten von SensibilitatsstOrungen nacb Ver- 
letzungen der motorischen Zone [vgl. Archiv f. Anat., Physiol, u. wiss. Med. 1876. 

H. 6], dennocb vermisst er in G.’s Schilderung einen strengen Nachweis vorbandener 
Stftrungen des Tastsinnes.) Besonderes Gewicht legt G. auf wiederholt beobachtetes 
Auftreten allgemeiner Hyperasthesie (Ref. hat dieses Symptom bereits 1874. 1. c. H. 4. 
S. 398 beschrieben), auf einen merkwflrdigen motorischen Drang, von dem die Hunde 
befallen werden und auf eine Aenderung ihres Charakters, insofem sie reizbar und 
aggressiv werden. Bemerkenswerth ist es aber, von G. foigenden Satz zu h6ren: 
„Hochgradige dauernde Stbrungen in der Verwerthung der Sinne des Gesichts, Ge- 
h6rs, Geruchs und Geschmacks sind nicht nothwendig selbst an eine sebr tiefe und 
ausgedehnte Zerstdrung des Vorderhirns geknflpft “ Mit Recht hebt G. endlieb hervor, 
dass die vollkommene Durchtrennung der inneren Eapsel keinerlei dauernde Lahmung 


1 Man wufiste bisher nicht, dass die Eroffnung der Seitenventrikel von erwachsenen 
Hnnden ertragen wtirde. Es befremdet deshalb, dass Goltz den oben beschriebenen Fort- 
schritt in der Operationstechnik nicht bereits anlasslich seines Yortrags mitgetheilt hat. In 
dem am Kopfe citirten Text desselben steht aber nichts davon, wahrend das Referat in 
Nr. 14 des Ctbl. merkwiirdigerweise allerdings einen solcben Passus enthalt. Meines Er- 
aebtens biitte die peinliche Polemik mit Fritsch vermieden werden konnen, wenn G. sich 
hiernber klar ausgesprochen batte. H. 


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nach sich gezogen habe and dass die Abtragung ganzer Vorderlappen keinen anderen 
dauemden Effect besitze, als die alleinige Zerstbrong der motorischen Zone. 

Sind die Hinterhanptslappen entfemt, so fehlen die geschilderten Stbnmgen 
der Bewegung und der Reflexerregbarkeit, sowie Stbrungen des Tastsinnes Tollstaodig. 
Ebenso lasst sich nachweisen, dass der Hand sehr gat hbrt and riechi Dagegen 
yersteht er — zweifellos wegen des vorhandenen InteUigenzdefectes — nicht mebr 
seine Sinneswabrnebmungen in der normalen Weise zu verwerthen. 

Am meisten geschadigt ist das Sehvermbgen. Wenn nor ein Hinterhaupts- 
lappen entfernt wird, so entsteht — wie Mank zaerst fand — homonyme bilaterale 
Sehstbrung, abweicbend von Munk’s Angaben ist dies aber einmal keine absolute 
Blindheit, sondem vielmebr Amblyopie, zweitens gebt die Grenzlinie derselben auf 
beiden Augen senkrecbt dorcb die Stelle des deatlicben Sebens and drittens ist dor 
Defect auf dem contralateralen Aage fiberhaupt bedeutend kleiner, als Mank an* 
nimmt. (Vgl. das Beferat fiber die Arbeit von Loeb.) Bei doppeiseitigen Zer- 
stbrungen ist die Sehstbrung zwar ausserordentlicb bochgradig, aber dennocb nicht 
absolute keine „Rindenblindheit“ Das Tbier vermag nocb Hindemisse zu vermeiden 
and weicbt aucb Streifen von weissem Papier aos. Wenn das Thier also aucb noch 
siebt, so weiss es docb nicbts mebr mit seinen Gesichtswahrnehmungen anznfangen. 

Endlicb findert sich der Cbarakter aucb dieser Tbiere, aber im umgekehrten 
Sinne, so dass bbse Hondo non gutmfitbig, harmlos and bedachtig werden. 

Hitzig. 


3) Die Sehstorungen n&oh Verletzungen der Grosshirnrinde (naob Ver- 
suohen am Hunde) von Jacques Loeb, Cand. med. (Pflfiger’s Archiv. 
Bd. XXXIV.) 

Verf., der unter Goltz’ Leitung arbeitete, bat sicb die Losung der Fragen vor* 
gesetzt: 1) Giebt es eine Localisation der Sehstbrungen in der Rinde, d. b. giebt ee 
ein Gebiet, dessen Wegnahme notbwendig und ausscbliesslicb zu Sehstbrungen ffibrt 
2) Was ist das Wesen der Sehstbrungen, die durch Verletzung der Grosshirnrinde 
bedingt sind? 

Zu diesem Zweck nabm er tbeils mittelst des Messers, vomebmlich aber mittelst 
des „Scheerenbohrers“ Bindenstficke verscbiedener GrOsse, bis zur GrSsse der gesainmten 
Munk’schen Sebspbare fort. 

1) Um das von Munk bebauptete Verbaltniss von dessen Stelle A 1 zur Stelle 
des deatlicbsten Sebens zu prfifen, entfemte er a) einem nur linksaugigen Hunde 
recbts fast die ganze Sebspbare: das Tbier sab nacbber mit der Stelle des deat¬ 
licbsten Sebens (und wie es scbeint fiberbaupt) gerade wie vor der Operation; 
b) einem zweiten Hunde die Rinde der Oonvexitat beider Sebspbaren: die Stellen des 
deutlicbsten Sebens blieben intact, dagegen bestand ein Defect der lateralen Geachts- 
feldpartien, welcbe nach Munk einzig und allein noch bfitten seben dfirfon. Bei 
10 anderen Hunden, sowie bei alien sonst nocb angestellten Versuoben bbeb die 
Stelle des deutlicbsten Sehens, so scbwer die Stdrung aucb sonst sein mocbte, burner 
diejenige, die am besten functionirte. L. scbliesst daraus, dass die Bebauptung 
Monk's, dass durcb Wegnahme der Stelle A 1 die Stelle des deutlicbsten Sehens 
„rindenblind“ werde, irrig sei und meint, Munk habe irrthfimlicb einen Defect der 
Aufmerksamkeit ffir einen solcben der Ffibigkeit zu fixiren genommen. 

2) Von 11 Hunden, denen L. femer die Stelle A 1 mit mebr oder weuiger 
grossen Tbeilen der Umgebung wegnahm, zeigten 7 auf dem gegenfiberbegenden 
Auge balbseitige Sebstorung, 4 dagegen keinerlei Veranderung ihres SehvermOgens. 

3) Zeratbrte Verf. diejenige Partie der Hbrspbare Munk’s, welcbe an deeeeo 
Sehspbare grenzt, so trat bei intacten Hunden keine Sebstbrung ein, dagegen sehr 
hochgradige neue Sebstbrungen bei solcben Thieren, denen scbon frfiher Verletzungen 


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der eigentlichen Sehsphare mit vortlbergehendem Oder negativem Eesultate beigebracht 
Worden waren. 

4) L griff ferner die Stelle A 1 in Yerbindnng mit der' lateralen Partie, die 
mediale and die vordere Partie der Sehsphare Monk’s, die Sebcentren von Lnciani 
und Tamburini, sowie das Seboentmm von Dalton (Gyros angolaris) an ond 
kommt danach zo folgenden Scblossfolgerongen: 

a) Jede Stelle der Rinde des Hinterhaoptlappens (ebenso wie die vorgenannten 
Sebcentren) kann weggenommen werden, obne dass die geringste SehstSrong darauf folgt. 

b) Wenn eine SebstOrong bei einem erstoperirten Tbiere eintritt, so ist es 
immer eine bomonyme laterale Hemiamblyopie, die der Seite der l&dirten Hemi- 
spbare gegentlberliegt. 

c) In alien Fallen einseitiger wie doppelseitiger Hemiamblyopie seben ond fixiren 
die Tbiere am besten mit der Stelle des dentlicbsten Sebens. 

5) An Motilit&tsstOrungen worde nacb Yerletzongen im Hinterbaoptslappen 
eine Neigung, beim Wenden die Drehong nacb der verletzten Seite zo bevorzugen, 
beobachtet. Scbwerere MotilitatsstOrongen, namentlicb Abrotscben der Vorder- 
pfoten, wenn sicb die Thiere an einer Wand aufrichteten ond mangelnder Widerstand 
bei Dislocationsversochen (der vom Ref. sogenannte „Defect der Willensenergie", aof 
den aocb die abnormen Drebbewegongen zurtlckzuffihren sein werden) sab L. nacb 
40 Operationen nor zweimal. Die Fahigkeit, sicb nacb dem Geh5r zo orien- 
tiren, batte bei mebrfach operirten Thieren regelm&ssig, aber weit weniger als das 
Sehvermflgen gelitten. Ueber St5rongen des Gerocbs ond Gescbmacks bat L. keine 
zoverlassigen Erfabrongen. 

6) Nacb einigen Zerstflrungen im Scheitel- ond Schlafenlappen sah L. gleichfalls 
differente Resoltate; das eine Mai kam es zo Sehstflrungen, das andere Mai nicht. 

7) Die Nator der nacb balbseitigen Eingriffen aoftretenden Sehstflrung bestebt 
nacb L. in der Begel nor in einer Hemiamblyopie, wenn er aocb nicht in Abrede 
stellen will, dass gelegentlich aoch einmal absolote Hemianopsie vorkomme. Der 
Unterscbied fftr beide Gesichtsfeldpartien besteht lediglich in Erhohung der Reiz- 
scbwelle fftr die vernacblassigte Gesichtsfeldpartie. 

Der Wertb der vorgedacbten, onzweifelhaft mit grossem Fleisse angestellten 
Untersocbongen wird fur jeden onbefangenen Leser dorcb die Differenz der bei an- 
geblicb gleicben Eingriffen erbobenen Resultate erbeblicb verringert werden. Zwar 
versocht L. diese Differenz dadurcb zo erklaren, dass er fur die Yersocbe mit posi- 
tivem Resoltat das Yorbandensein von Reizongsvorgangen zo begrilnden und diese 
Resoltate selbst damit als Hemmongserscbeinongen darzustellen sucbt. Seine Beweis- 
ffthrung wird aber gerechte Bedenken gegen die Zuverl&ssigkeit seiner Methoden 
nicht zo beseitigen vermOgen. 

L. bespricbt ferner die psycbiscben Alterationen bei Hemiamblyopie, Monk’s 
Lehre von der Seelen- ond Rindenblindheit, welchen er die Goltz’scbe„Hirnsebscbwacbe << 
snbstitoiren will, sowie die Licht-, Far ben- ond Raomwabmebmong seiner Thiere 
ond kommt dabei outer lebhafter, ein Referat nicht gestattender Polemik gegen Monk 
zo folgenden femeren Scblossfolgerongen: Die vielbeschriebenen Sebstdroogen resultiren 
dnraos, dass die Hondo einmal ein kleinetres Gesicbtsfeld besitzen, dann aber dasselbe, 
dorcb ihren Blddsinn ond ibre Unrobe verhindert, nicht durcb passende Kopfbewegongen, 
wie ein gesondes GescbQpf thon wtirde, zor Orientirung benotzen. Die Raomwabr- 
nebmong ist desbalb erbeblicb, die Licht- ond Farbenempfindong jedenfalls in ge- 
ringerem Grade gestdrt. Wabrend somit Goltz bekannte, inzwiscben aocb von diesem 
Forscber wieder aofgegebene Yermuthong, die Tbiere saben Alles grau in grau, un- 
haltbar ist, seien Monk’s Lehren nicbts anderes als „Metapbysiologie (< . 

Das Zogestandniss von Goltz, dass nacb Abtragung eines ganzen Yorderlappens 
keine erbeblicben Stdrongen der Sinne, wohl aber St5rongen der Bewegung ond dee 


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Tastsinnes und nach Abtragung eines ganzen Hinterlappens keine Stfirungen der Be- 
wegung und des Tastsinns, wohl aber Sehstfirungen zurfickbleiben, sowie die Angaben 
von Loeb, dass unter 40 Abtragungen im Hinterlappen nur zweimal scbwerere Be- 
wegungsstflrungen eintraten, darf wohl als eine erfreuliche Annaherung der Schule 
Goltz’ an die durcb Referenten vertretene Richtong bezeichnet werden. 

Hitzig. 


Pathologische Anatomie. 

4) Zur Lehre von der Degeneration der Vervenaellen von LominskL 
(Wratsch. 1884. Nr. 37. Russisch.) 

Um den Entartungsprocess an den Nervenzellen zu studiren, brachte Verf. auf 
experimentellem Wege traumatische Entzfindungen der Intervertebral-, Sympatbicus- 
ganglien, sowie des Rfickenmarks von Hunden und Frfisclien hervor, und untersuchte 
die genannten Gebilde in verschiedenen Zeitraumen. Er fand hierbei, dass emigrirende 
weisse Blutkdrperchen in die Substanz der Zellen eindringen, indem sie sowobl an 
der Peripherie, als auch im Inneren des Protoplasma Defecte (Vacuolen) verureacben, 
durch die allmahlich vollstandiger Zerfall und Schwund des ZellkOrpers bewirkt wird. 
In den Spinalganglien, wo die Zellen von Kapseln umgeben sind, bleibt zuweilen an 
Stelle der Nervenzellen ein Haufchen weisser Blutkdrperchen zurttck. Hieraus folgert 
Yerf., dass letztere auch im Entzfindungsprocesse des Nervengewebes die Bedeutung 
von Phagocyten im Sinne Metschnikow’s besitzen (vgl. die Abhandlungen desselben 
in Virchow’s Arch. Bd. 96, Arbeiten des zoolog. Instituts zu Wien. Bd. Y und Biolog. 
Ctbl. Bd. HI. Nr. 18). P. Rosenbact. 


5) On the pathology of Pseudo-hypertrophic musculatur paralysis, with 
remarks on a so-called degeneration of the nervous system by Geo. 
S. Middleton. (The Glasgow Med. Journ. 1884. Aug. Nr. II.) 

Yerf. berichtet sehr ausfQhrlich fiber die Ergebnisse der anatomischen Unter- 
suchung zweier F&Ue von Pseudohypertrophie. 

Die Muskeln boten im ersteren Fall die auch anderw&rts beschriebenen Yer- 
anderungen: Verschmalerung der noch restirenden Fasera, hyaline" oder „colloide“ 
Degeneration (— die vom Yerf. auch gebrauchte Bezeichnung „Coagulationsnecro8e“ 
passt wohl nicht —), Vermehrung des Bindegewebes, fettige Infiltration, reap. Sub¬ 
stitution des Muskelgewebes durch Feti Die Muskeln verschiedener Kfirperregionen 
waren in verschiedener Weise von dieser oder jener der genannten Veranderungen 
befallen, von der Fettnmwandlung hauptsachlich die Muskeln der unteren Extremi- 
taten, die Rfickenmuskeln, die Deltoidei. Die Musculatur des Herzens zeigte, ab- 
gesehen von leichter Bindegewebsvermehrung keine Alteration. Die Musculatur der 
Blasenwand dagegen war verdickt, durch Zunahme sowohl des Muskel- als des 
Bindegewebes. 

Bei der Untersuchung des centralen Nervensystems (untersucht warden Rficken- 
mark, Med. oblongata, Pons, Corpora striata, vordere Centralwindungen) machte don 
Verf. viel zu schaffen die Deutung in grosser Zahl auftretender rundlicher oder ud- 
regelmassig geformter Gebilde, bis er nach eingehender Prfifung dahin kam, sie als 
durch die H&rtungsmethode (Alcohol) erzeugte Artefacts anzusehen. Mit Recht! (Ref.) 
Es sind dies aber nach Yerf. dieselben Gebilde, die Tuke’s und Rutherford's 
„miliary sclerosis" darstellen und die auch in einem Fall von Lockhart Clarke 
beschrieben werden. Der Yerf. zieht aus solcher Erfahrung die Lehre, dass der Al¬ 
cohol ein ungeeignetes Hartungsmittel ffir das Nervensystem ist. Er wird damit 
keinem Widerspruch begegnen. Abgesehen von diesen Dingen fand sich weder im 


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centralen, noch in den untersuchten Abschnitten des peripheren Nervensystems (Theilen 
dee Plexus brachialis, der Nervi ulnares and ischiadici, der Lumbalganglien vom 
Sympathicus) eine wesentliche Veranderung. 

Dasselbe negative Resultat ergab das (in Ammon, bicbrom. gehartete) BQcken- 
mark des 2. Falles. In den znr Untersuchnng kommenden Mnskelpartien (Rdcken- 
mnskeln) &hnliche Veranderungen wie im 1. Fall. 

In Berficksichtigung seiner eigenen Falle and des in der Literatar vorhandenen 
Materials, kommt Yerf. zu dem Schlusse, dass bei der Psendohypertrophie keine 
Alteration von patbologischer Bedeutnng im Nervensystem nacbweisbar ist. 

Als Anhang giebt Yerf. ansser einem klinischen Status der zwei anatomisch 
untersncbten noch die Schildemng zweier Falle, Brdder von 11 und 9 Jahren be- 
treffend, von denen der eine ein typisches Beispiel von Psendohypertrophie darbietet, 
der zweite, alters keine Yolamszunahme irgend eines Muskels, sondem nor allgemeine 
Emaciation der Moskeln und hochgradige Parese zeigt. Mehrere Geschwister sind 
gesund, in der Ascendenz keine ahnliche Erkrankung. Eisenlohr. 


Pathologic des Nervensystems. 

6) Die metastatischen Himabscesse naeh prim&ren Lungenherden von Dr. 
med. R. Nather, Assistant der med. Klinik zu Leipzig. (Deutsches Archiv 
f. klin. Med. Bd. 34. S. 169.) 

Die Arbeit von N aether enthalt die ausfdhrliche Mittheilung von 8 Fallen, 
bei welchen im Yerlaufe primarer Lungenerkrankungen secundare Gehimabscesse auf- 
traten. Sieben dieser Falle gelangten zur Section, einer derselben wurde gebessert 
aus dem Krankenhause entlassen. Die primare Lungenaffection bestand dreimal in 
Bronchiectasien mit Secretstaoung und reactiver Pneumonie, einmal in einer chronischen 
eitrigen Bronchitis, einmal in fbtider Bronchitis bei ulcer5ser Lungenphthise, zweimal 
in Lnngengangr&n und einmal in einem alten Empyem mit einer Lungen-Pleurafistel. 

Das Hinzutreten der Complication machte sich zunachst gewOhnlich durch eine 
Verschlimmerung des Allgemeinbefindens der Patienten bemerklich. Dumpfe Kopf- 
schmerzen, Schwere im Kopf, Erbrechen, Schwindelgefhhl und ausgesprochene Ohn- 
machtsanf&Ue traten auf, in einigen Fallen auch epileptiforme Convulsionen. Auch 
Herdsymptome (Hemiplegien u. a.) wurden mehrmals beobachtet. Die Eigenw&rme 
war gewdhnlich nicht erheblich gesteigert, nur in zwei Fallen traten SchuttelfrOste 
mit starken Temperaturerh5hungen auf. — Ueber die n&here Art der Entstehung 
der metastatischen Himabscesse ist noch nichts Sicheres bekannt Die Diagnose 
ist moist leicht, wenn die Grundkrankheit bekannt und man einmal auf das relativ 
h§ufige Auftreten der Gehimabscesse aufmerksam geworden ist. Dass die Prognose 
nicht immer absolut unghnstig ist, lehrt der eine in Besserung flbergegangene Fall. 
In Bezug auf die Therapie warat N. vor zu raschem operativen Eingreifen, da die 
Abscesse im Gehim erfahrungsgemass meist multipel sind. Strdmpell. 


7) Ueber Spinall&hmung mit Ataxie. Yon Dr. L. L5wenfeld in Mimchen. 

(Arch. f. Psych, etc. 1884/ Bd. XV. H. 2.) 

Yerf. berichtet fiber zwei Falle, die er langere Zeit in Beobachtung gehabt und 
genau untersucht hat und die nach seiner Meinung in eine bis jetzt wenig gekannte 
Krankheitsgmppe zu mbriciren sind. Die beiden Fallen gemeinsamen Symptoms 
resumirt Yerf. folgendermaassen: Bei zwei wahrend ihres frdheren Lebens im Wesent- 
lichen gesunden Personen entwickeln sich in rascher Aufeinanderfolge im Laufe von 
l 1 /,—2 Monaten, ohne irgend welche Alterationen des Allgemeinbefindens, Motilitats- 


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und SensibilitatsstOrungen an alien yier Extremitfiten. Der motorische Defect ge- 
staltet sich im ersten Fall als Schw&chezustand ausgedehnter Moskelgrnppen and 
steigert sich in einzelnen Muskeln nahezu bis zur Paralyse; im zweiten Fall pr&sentirt 
sich dasselbe nor als ein Schw&chezustand der gesammten Extremit&tenmuskulatur, 
der an den oberen Extremitaten jedoch einen hohen Grad erreichi Die Bewegungs- 
stOrung beschrankt sich in beiden Fallen nicht auf die motorische Insnffizienz, neben 
dieser macht sich auch ein gewiseer Grad von Ataxie bemerklich. Eine ausge- 
sprochene Atrophie findet sich nor im ersten Falle and zwar an den Unterextaremi- 
taten. Dagegen findeh sich in beiden F&llen an verschiedenen Muskeln deutliche 
Verfinderungen der elektrischen Erregbarkeit und zwar im ersten Falle die verschie- 
densten Uebergange yon der sogen. MIttelform bis zur vollstandig husgebildeten 
Entartongsreaction, im zweiten Fall dagegen nur die sogen. Mittelform der Ent- 
artungsreaction. In beiden Fallen Verlust des Kniephanomens, in beiden Fallen 
Sensibiht&tsstOrungen an alien yier Ertremit&ten sowohl subjectiver Natur, letztere 
in ihrer Intensit&t vOllig den Niveau der motorischen StCrungen entsprechend. Ferner 
in beiden Fallen Fehlen von StOrungen von Seiten der Kopfnerven, sowie der Sphinc- 
teren, keine Gfirtelsensationen, keine empfindliche Stelle an der Wirbels&ule, keine 
StSrung in der Bauch- und Thoraxmusculatur. In beiden Fallen gutartiger Verlau^ 
baldiger Eintritt der Besserung und hOchst wahrscheinlich vollkommene Heilung. 

Im ersten Fall handelt es sich urn eine 32jahrige Fran, die notorisch dem 
Alcoholmissbrauch, excessivem Biergenuss ergeben war. Wesentlich zu berficksichtigen 
ist, unsers Erachtens, dass die Erkrankung von psych ischer StOrung, hochgradiger 
Gedfichtnissschwache, Confusion und Apathie begleitet war. — Der zweite Fall be- 
traf einen 44jahrigen, seit langem durchaus massigen Mann. Das Knieph&nomen 
verschwand in diesem Fall wahrend der Beobachtungszeit und kehrte schon nach 
6 Wochen wieder. 

Bei der mit grosser Genauigkeit zu verschiedenen Zeiten vorgenommenen elek¬ 
trischen Untersuchung ergaben sich ausser dem erwahnten Verhalten im Allge- 
meinen im 1. Fall manche interessante Einzelheiten. Dahin gehOrt das Auffcreten 
voller Entartungsreaction in nur leicht paretischen Muskeln, ferner das Erscheinen 
sogen. faradischer Entartungsreaction in einzelnen Nerven, weiter das seltene Yor- 
kommniss erhaltener und qualitativ abnormer galvanischer Nervenerregbarkeit bei 
erloschener faradischer. Es bot auch der zeitliche Verlauf der Erregbarkeitsver- 
finderungen in den einzelnen Nervengebieten erhebliche Unterschiede dar. 

Verf. bezieht in langerer Besprechung die Erscheinungen beider Falle auf eine 
Yorderhornerkrankung, Poliomyelitis anterior subacuta, die zur Erklarung der Ataxie 
und SensibilitatsstOrungen mit gewissen Verfinderungen der HinterhOmer oder Hinter- 
stranggrundbfindel complicirt gewesen sei. 

Er stellt seinen Fallen 3 analoge aus der Literatur zur Seite, zwei von Fischer 
(eigenthtimliche Spinalerkrankung bei Trinkem) und einen von Kahler und Pick. 

In einem Nachtrag, der die neuen Forschungen von Ddjdrine, fiber die Nervo- 
tabes pdriphOrique berficksichtigt, ist Verf. allerdings genOthigt, ffir seinen ersten 
Fall die MOglichkeit einer peripheren Erkrankung zuzugeben. Es waren noch die 
Mittheilungen Moeli’s (auch LaucOreaux’s) und die neue Arbeit von Dreschfeld 
(Brain, July 1884, Part XXVI) fiber multiple Nervendegeneration bei Alcoholism us 
in Betracht zu ziehen. Nach Ansicht des Refer., der einige analoge Falle von 
atrophischen Lfihmungen mit und ohne Ataxie bei Alcoholikem beobachtet hat, ist 
die Wahrseinlichkeit einer peripheren Affection, einer multiplen toxischen Nerven¬ 
degeneration, die in den feineren Aesten (sowohl der Haut, als der Muskeln) ihre 
grOsste Intensitfit hat, sowohl ffir LSwenthal’s ersten, als ffir G. Fischer’s Ffille 
grosser, als die einer Spinalerkrankung. Eisenlohr. 


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490 


Psychiatrie. 

8) Ueber Geisteskrankheiten in Folge hoher &usserer Temperatur von 

Dr. R. Victor. (Allg. Zeitschr. f. Psych. 1883. XXXX. S. 54.) 

N&ch einer langeren Einleitung, in der die hberall zerstreute Literatur, welche 
die in Folge abnorm hoher Temperatnren entstandenen Gehirn- und Geisteskrankheiten 
betrifft, sorgfaltig gesammelt ist, theilt Verf. eine grOssere Zahl eigener Kranken- 
beobachtungen, die ebenfalls in dieses Gebiet gehoren, mit. Die Einzelheiten mussen 
im Original nachgelesen werden; bier wird es genhgen, das allgemeine Ergebniss in 
ziisammenfassender Weise zu referiren. 

Alle 15 betrafen Manner, die sich in Folge ihres Berafes hatten jahrelang der 
strahlenden Hitze bei der indostriellen Verarbeitung der Metalle (resp. als Kessel- 
heizer) aussetzen mfissen; sie standen fast sammtiich im kr&ftigen ManneSalter und 
hatten im Allgemeinen gesund und regelmassig gelebt; nur einer wurde als Potator 
bezeichnet. Dagegen war bei 5 psychopathische Disposition vorhanden, und zwar 
2mal Hereditat, 2mal Potatorium dee Vaters und lmal illegitime Geburt; ausserdem 
warden noch von einigen verd&chtige Charaktereigenthhmlichkeiten aus dem Vor- 
leben erz&hlt. 

In alien 15 Fallen begann die Geisteskrankheit allmahlich: reizbare Unruhe, 
Unfahigkeit zum Arbeiten, Schlaflosigkeit und Kopfweh waren die gewdhnlichen 
Anfangserscheinungen, oft mit sich anschliessender melancholischer Verstimmung, die 
sich zweimal sogar bis zu Suicidgedanken steigerte. In 10 F&Uen, also bei nicht 
weniger als bei ca. 67 °/ 0 ^ eT psychisch erkrankten Feuerarbeiter, entwickelte sich 
dann progressive Paralyse in den verschiedenen Formen ihres Verlaufe. Sonst han- 
delte es sich noch dreimal um Verrhcktheit mid zweimal urn Melancholie, doch dflrfte 
der eine der beiden letzteren F&lle etwas zweifelhaft sein, da gelegentlich eine Sprach- 
st5rung hervortrat und da haufige Kopfcongestionen den Verdacht auf Paralyse nicht 
ganz unwahrscheinlich machten. (Referent hat vor Kurzem zufallig auch einen 
Feuerarbeiter beobachtet, dessen Psychose lange Zeit bald als Melancholie, bald als 
melancholisch gefarbte Paralyse angesehen werden konnte.) Mit Ausnahme des ersten 
Falles von Melancholie verliefen alle Erkruikungen ungftnstig. 

Jedenfalls ist es bemerkenswerth, dass im Gegensatz zu einer einmaligen in ten- 
siven Hitzeeinwirkung, die oft zu transitorischen StCrungen der Psyche Anlass giebt, 
die fortgesetzte Schadigung durch strahlende Warme fast regelmassig chronische 
Gehirnleiden hervorruft. Hiermit stimmt denn auch das Sectionsresultat der 9 Ver- 
storbenen: fast immer wurde chronische Leptomeningitis und haufig auch Pachy¬ 
meningitis externa (und nathrlich auch interna) gefunden. Gerade die Pachymeningitis 
externa mit ihrer Verwachsung zwischen Dura und Calotte und dem hierfftr fast 
pathognostischen Kopfschmerz in der Medianlinie des Schadels, deutet auf die directe 
Entstehung der Entzdndung aus der abnormen Erhitzung des Kopfes. Mit ziemlichem 
Recht wird man daher auch hier von einer Gewerbekrankheit sprechen konnen. 

Sommer. 


T h e r a p i e. 

9) A Contribution to the study of Hysteria, bearing on the question of 
Oophorectomy by G. L. Walton, Boston. (Joum. of nervous and mental 
diseases. 1884. Vol. XI. p. 424.) 

Nur solche Falle von Hysterie werden hier in Betracht gezogen, welche evident 
auf ein Unterleibsleiden zurtlckzufhhren sind. W. glaubt, dass die hysterischen 
Symptome gr5sstentheils durch eine Beeinflussung der corticalen Nervenzellen sich 
erkl&ren lassen; dass dieser Einfluss, von einer Ovarial-Irritation beispielsweise aus- 


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500 


gehend, durch das sympathische Nervensystem flbertragen wird und in erster Instanz 
anf die corticalen Gefasse einwirkt. Eine plfitzlich auftretende Hemianasthesie sei 
durch eine plStzliche Contraction der Blutgefasse in der einen Halfte der Rinde ver- 
ursacht. Dadurch, dass die Gefasscontraction nicht alle Bezirke einer Halfte des 
Cortex gleichmassig betrifft, konne man sich das Ueberwiegen der sensiblen ftber die 
motorischen Symptome erklaren. Bei neurotischen Individuen supponirt der Yerf. 
eine geerbte Praedisposition zu solchen Gefassveranderungen. Mit Zulidlfenahme 
dieser Anschauungen erklart W. einen Fall, in dem es sich nm Hemianasthesie 
rechterseits, sowie um Amblyopie, mangelhaften Farbensinn und um eine concentrische 
Einengung des Gesichtsfeldes handelte. Linkerseits war das Sohvermogen „beinahe 
ganz“ erloschen. 

In dem vorliegenden Aufsatze handelt es sich hauptsachlich um die Frage, ob 
sich schwere hysterische Erscheinungen (Hystero-Epilepsie, hysterische Paralyse etc.) 
durch Castration beseitigen lassen. Die Antwort fallt bejahend aus. Yerf. beruft 
sich dabei anf einen Fall von schwerer Hysterie, welcher einer Ovarien-Irritation zu- 
geschrieben wird. Es bestand Anasthesie auf der ganzen rechten Seite des Kdrpers, 
Verlust des Geschmackssinns auf derselben Seite, Geh6r (Kopfleitung) rechts schwacher 
als links. Gesichtssinn war normal beiderseits. Wegen schmerzhafter Menstruation 
und andauernden unertraglichen Rdckenschmerzen wurde Castration vorgeschlagen. — 
Beide Ovarien wurden entfernt. Operation verlief gfinstig. 

Der Erfolg derselben will dem Bef. jedoch nicht so glanzend erscheinen; denn 
obwohl sich alle Symptome bedeutend besserten, so waren sie doch nach einem Ver- 
laufe von 4 Monaten noch nicht ganz gehoben. Es ware von Interesse, zu wissen, 
ob in solchen Fallen sich der Zustand stetig bessert, oder ob sich nach Yerlauf 
lingerer Zeit die friiheren Symptome wieder einstellen. Sachs, New-York. 


10) Die Castration bei Ovarialneuralgie und Hysterie von Dr. H. Bircher 
in Aarau. (Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1884. 15. Sept. n. 1. Oct.) 

Verf. hat bei 3 Madchen im Alter von 19 x / f , resp. 24, resp. 19 Jahren die 
Castration gemacht. Alle 3 litten an Ovarialneuralgie, der sich spater allerhand 
hysterische Erscheinungen, melancholische Zustande mit Selbstmordgedanken u. s. w. 
hinzugesellten. 

In alien 3 Fallen zeigten die herausgenommenen Ovarien cystSse Degeneration. 
Die Cysten waren allerdings nur klein: erbsen- bis haselnussgross. Der Erfolg der 
Operation war: im ersten Fall ein guter und, wie es scheint, noch nach 3 Jahren 
andauernder, im zweiten noch 2 Jahre nach der Operation noch kein vollstandiger, 
im dritten (Beobachtungszeit etwa 3 / 4 Jahr) scheint ebenfalls eine vollstandige Hei- 
lung noch nicht eingetreten zu sein, wenn auch erhebliche Besserung vorhanden ist 

Verf. kommt zu dem Schluss, dass bei richtiger Diagnose, d. h. nur in Fallen, 
in denen die Hysterie als eine ovarielle aufzufassen ist und die Untersuchung die 
Erkrankung der Ovarien ergiebt und bei prognostischer Wtirdigung der Complicationen 
(Erkrankung anderweitiger Organe des Genitalapparats) die Ovarialneuralgie und 
Hysterie eine Indication fftr die Castration bleibt und dass diese Operation frdhzeitig 
und rich tig ausgeffihrt, das radicalste und meist auch einzige Heilmittel fur das 
fragliche Leiden ist. 

Die Schwierigkeit scheint dem Bef. nur in der Beantwortung der Frage zu 
liegen, in welchem Falle ist die Hysterie eine ovarielle? Dass ein schmerzhaftes 
Ovarium bei einer Hysterischen und einige Cysten in den Ovarien derselben noch 
nicht zur Diagnose der ovariellen Hysterie genii gen, ddrfte wohl zweifellos sein. 

M. 


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501 


Forensische Psy chiatrie. 

11) The case of the insane murderer Graves, recently executed in Newark 

by E. C. Spitzka. (American Journ. of Neurology and Psychiatry. 1884. 

May p. 89.) 

Der auch diesseits des Oceans wohlbekannte Autor wendet sich in mit Recht 
entrflsteter Sprache gegen die augenblickliche Reaction, die sich gegen die An- 
erkennung der Unzurechnnngsfahigkeit gewisser Verbrecher richtet, und die ja in 
dem Fall „Guiteau“ bereits zu einem Justizmorde gefflhrt hat. Noch schlimmer fflr 
die Urtheilsfahigkeit der Sachverstandigen scheint allerdings der Fall „Graves“ zu 
liegen. Ein 66jahriger decrepider Mann, von je excentrisch und seit mehreren Jahren 
mindestens schwachsinnig, wird von den Jungen auf der Strasse ebenfalls seit Jahren 
geneckt und verfolgt, und als er endlich der Qualereien mflde einen der Jungen 
durchprfigelt, dann mit dem Vater desselben in Conflict gerath, wegen Bedrohung 
des letzteren bestraft, und als ihm in Folge dessen seine Wohnung gekflndigt wird, 
lauert er dem kleinen Uebelthater auf und schiesst ihn mit einer Pistole todt. Er 
flbergiebt sich darauf selbst dem Gerichte und wird zum Tode verurtheilt, da die 
Sachverstandigen ihn fflr zurechnungsfahig erklaren, trotzdem unter vielen anderen 
Zeichen seiner Geistesstflrung constatirt wird, dass er vor Jahresfrist nur mit einer 
Maske auf der Strasse zu gehen wagte, weil er sich schamte, sein Gesicht zu zeigen, 
dass er zu Offentlichen Violinconcerten einlud, obschon er gar nicht Geige zu spielen 
vermochte, dass er sich fflr einen grossen Erfinder, namlich eines Perpetuum mobile 
ausgab und speciell an der Construction einer Revolverkanone arbeitete, zu deren 
Ausrflstung u. A. auch seine Mordwaffe gehSrte, obschon er Zeit seines Lobens nichts 
als ein armseliger Wollkratzer gewesen war etc.! Als dem Unglflcklichen das Todos- 
urtheil und spflter trotz der vielfachsten Anstrengungen mehrerer Aerzte und Juristen 
die Bestatigung desselben mitgetheilt wurde, hatte er nicht das geringste Verstiindniss 
von der Bedeutung dieser Acte, und zum Tode ging er ebenso nichtsahnend, „wie 
ein Hund, der gehangt werden soil' 4 . 

Die Section ergab eine bedeutende Atrophie des ganzen Hirns: es wog nur 
1295 Gramm, wahrend der Schadelcapacitat nach ein Gewicht von 1555 Gramm 
erwartet werden musste. Daffir bestand ein bedeutender Hydrocephalus externus und 
intemus; durch Dilatation des linken Hinterhoms war u. A. der linke Occipitallappen 
in einen dflnnen Sack verwandelt und an mehreren Stellen fanden sich ausgedehnte 
Sklerosen. 

Einer der psychiatrischen Sachverstandigen hatte — beilaufig bemerkt — das 
interessante Gutachten abgegeben: „von Jugend auf verdrehte Menschen (illy-balanced 
people) hatten weit weniger Aussicht geisteskrank zu werden, als Normalmenschen 
(well-balanced people)! Sommer. 


III. Aus den Gesellschaften. 

57. Versammlung Deutsoher Naturforscher und Aerzte zu Magdeburg 1884. 

Neurologisches aus den iibrigen Sectionen. 

Sitzung vom 19. Sept. In der Section fflr Anatomie und Physiologie 
demonstrirte Flesch Zeichnungen von Praparaten des Rflckenmarks, welche die bei 
den Saugethieren constante Krummung des Riiokenmarkes beim Uebergang des 
Halstheils in den Rfickentheil (— sie ist unabhangig von der Krummnng der Wirbel- 
saule —) veranschaulichen. Er halt diese Krummung fflr den Ausdruck der der 
Substanz des Rflckenmarks selbst zukommenden Spannungsverhaltnisse, vielleicht in 
Folge der starkeren Zellenanhaufung in der ventralen Halfte des Rflckenmarkes. — 
In der Discussion wurde gefragt, ob die Pia an den betreffenden Rflckenmarken 
abgeldst gewesen sei. — 


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502 


Flesch: fiber den Bau der Hypophyse des Pferdes. In dem als Vorder- 
lappen bezeichneten Abscbnitte des Organs finden sicb in dem peripheren, aus netz- 
artig gruppirten Zellschlauchen bestehendem Theile, zweierlei, grfissere und kleinere, 
Zellen, welche mit ibrem differenten Yerbalten gegen verscbiedene Tinctionsflfissig- 
keiten an die beiden Zellformen der Labdrfisen des Magens erinnern. Die Reaction 
der grossen Zellen stimmt fiberein mit jener der Colloidmassen, welche in Cystchen 
der Hypophyse, bei dem Pferde in einer dem hinteren Lappen angrenzenden Zone, 
gefunden werden. Diese und die ahnlichen Befunde bei andern Tbieren und dem 
Menscben sollen beitragen zur Nachweisung der Structurfibereinstimmung der Hypo- 
pbyse mit secernirenden Drfisen, resp. mit den productiven Organen des Kfirpere, in 
abnlicbem Sinne, wie dies fOr die Scbilddriise durch die Erfahrungen Kocher’s bei 
deren Exstirpation gescbeben ist. 

Flesch: fiber Structur-Verschiedenheiten der GanglienzeUen in den Spinal- 
ganglien. F. schliesst diese Yerschiedenheiten aus dem yerschiedenen Verhalten 
der Zellen gegen die Weigert’sche Farbemethode, die einen farbten sich lichtbraun, 
die andern blieben ungefarbt (bei der Katze). 

Section ffir innere Medicin. 

Seeligmfiller (cf. D. Med. Wochenschr. 1884. Nr. 42): Ueber Herssohw&che. 
Es giebt eine Form der Herzschwache, welche namentlich auf Storungen der Innervation 
des Herzens zurfickzuffihren ist und besonders gem in Folge zweier psychischer Ursacben 
entsteht, namlich: habituelle geschlechtliche Aufregung ohne Befriedigung (Onanie und 
auch das blosse fortwahrende Schwelgen in erotischen Yorstellungen) und anhaltende 
angestrengte geistige Thatigkeit mit habitueller Yerkfirzung des Schlafes. — Meist sind 
es frfiher schon nervOse Manner, bei denen sich allgemeine Abgeschlagenheit nach jeder, 
auch geringer, kfirperlichen oder geistigen Leistung (bis zur Ohnmacht) einstellt. Scblaf- 
losigkeit, Grfibeleien, Kopfdruck, psychische Depression unterhalten die Schwache; Ver- 
gesslichkeit, Zerstreutheit stellt sich ein; der Appetit ist vermindert Oder krankhaft ver- 
melirt. Die Extremitaten werden kuhl, blass, cyanotisch, der Herzchoc schwach, die T5ne 
leise, der Puls ausserst klein, oft sehr langsam. Neben diesen Fallen giebt es solche 
yon intermittirender, facultativer Herzschwache, in welchen das Herz noch bis zu 
einem gewissen Punkte leistungsfahig ist und erst dann versagt. Stets ist grosse 
Erregbarkeit des Herzens dabei vorhanden. — Organische Veranderung an den 
Klappen etc. war ausgeschlossen, ob das Herzfleisch stets intact war, bleibt dahin- 
gestellt, auch konnten in einem der Falle die Coronararterien atheromatos sein. Von 
anderen Ursachen als psychischen erwahnt S.: Muskelfiberanstrengung, vorausgegangener 
Typhus, Diphtheric, Malaria, Missbrauch von Kaffee, Thee, Alcohol, Tabak. Ver- 
schlimmemd wirken: Schreck, fiberhaupt psychischer Choc, kOrperliche Schmerzen, 
Neuralgien, Traumen. — Die beste Therapie ist individuell geregelter Wechsel von 
Rube und massiger, methodisch geubter Bewegung, am besten in der Anstalt, massig 
warme Bad^r, kraftiges, besonders haufiges Essen, Chinin in kleinen Dosen, Gebirgs- 
und Seeluft. — In der Discussion betont Wagner die Schwierigkeit der Diagnose 
(Herzerkrankungen, Coronararterienerkrankungen, Plethora des Unterleibs bei haufig 
Entbundenen, abnorme Yenenerweiterung der unteren Extremitaten bei Mannern fiber 
40 Jahre, Diphtheritis etc.). 

[Ref. hatte in Marburg Gelegenheit, bei einem Dienstmadchen in der Gene- 
sung nach Manie einen Zustand des Herzens zu beobachten, welcher sehr an die 
Falle von Herzschwache nach Typhus oder nach Diphtheritis erinnerte und in den 
Rahmen des von S. beschriebenen Bildes passte. Unter Beobachtung von Rube und 
ganz massiger taglicher Bewegung heilte auch die Herzschwache des korperlich sonst 
starken und blfihenden, psychisch ganz normalen Madchens allmahlich.] 

Strfimpell: Ueber die acute Encephalitis der Kinder (Poliencepbalitis 
acuta, cerebrale Kinderlahmung). Wie bei der acuten Poliomyelitis in den grauen 


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503 


Vordereaulen des Rticken marks, so verlauft die von den Autoren noch zn wenig be- 
achtete und jedenfalls in Vergleich zu ihrer Haufigkeit noch nicht genng gewurdigte 
Encephalitis acuta des Kindesalters in der grauen Himrinde und hinterlasst dort 
ebenfalls Narben, porencephalische Defecte, welche meist in der motorischen Region, 
also im Gebiet der Centralwindungen gelegen sind. Sie tragen deutlich noch spater 
die Spuren des entzftndlichen Ursprungs, sind also nicht congenitale Defecte. Auch 
der Verlauf ist mutatis mutandis ahnlich dem der Poliomyelitis. Zunachst Reiz- 
erscheinungen, Fieber, Erbrechen, Convulsionen, dann Lahmungen, Hemiplegien, welche 
z. Th. wieder sich ausgleichen, doch stets noch in einzelnen Muskelgruppen persistiren, 
ausserdem Monoplegien. Eigentliche degenerative Atrophie der Muskeln und Ent- 
artungsreaction niemals, dagegen sehr oft Wachsthumshemmung der befallenen Ex¬ 
tremitaten. Muskelspannung oft, Contracturen seltener; gesteigerte Sehnenreflexe. 
’Ein Theil der Kranken bleibt zeitlebens epileptisch, Beginn der Krampfe auf der 
gelahmten Seite. Haufiger ist Athetose der gelahmten Extremitaten, besonders der 
Hand, sowie Mitbewegungen der paretischen Glieder. Bei rechtsseitiger Hemiplegie 
sind oft Sprachsttfrungen gleichzeitig; auch leidet die Intelligenz. Andere entwickeln 
sich geistig normal. Sensibilitat und Muskelsinn erschienen nicht wesentlich gestOrt. 

In der Discussion wird die Schilderung bestatigt, Seeligmtiller hat in einem 
Falle auch diffuse Sclerose der weissen Substanz gefunden, daher Yorsicht bei der 
Diagnose von Ndthen. Berger betont das Charakteristische der initialen Krampfe, 
ihr constantes Auftreten und ihre lange, oft tagelange Dauer und ihre Heftigkeit. 

• 

Chirurgische Section, 20. September. 

A us einem Vortrage von Heusner fiber die Wirkungen des Blitzes auf den 
Menschen sei Folgendes erwahnt. Bei einem Wettrennen wurden in einem gefflllten 
Zelte 20 Personen von einem Blitze niedergestreckt. 4 der Getroffenen waren so- 
gleich todt, 16 andere erlangten ihr Bewusstsein wieder innerhalb eines Zeitraumes 
von wenigen Minuten bis zu einer Stunde, trugen aber der Mehrzahl nach erhebliche 
Beschadigungen davon. Alle zeigten leichenblasse Farbe, entstellte Gesichtszhge und 
auffallend kalte Extremitaten. Eine Frau versptlrte nach Wiederkehr des Bewusst- 
seins heftigen Schwindel, „als ob sich ein Caroussel in ihrem Kopfe drehe“, war 
auch bis zum folgenden Tage apathisch und schwerbesinnlich, klagte fiber grosse 
Abgeschlagenheit und Gliederschmerzen. Ihre Unterschenkel waren viele Stunden 
lang bleich und kflhl, wie bei Esmarch’scher Blutleere; sie empfand darin Taubheit 
und Kriebeln, in den Fusssohlen stechende Schmerzen. — Gehim und Rflckenmark 
als gute Leiter zeigen oft keine Lasionen, selbst wenn der Strahl den Kopf getroffen 
hat und die nerv&sen Symptome stehen oft in keinem Yerhaltniss zur Schwere der 
Hautverletzungen am Kopfe. Ein nach dem Befunde am Hut und an der Stirnhaut 
schwer getroffener Knabe zeigte Erinnerungsdefect in Betreff der letzten Scenen des 
Wettrennens, erbrach am ersten Tage viel und blieb noch mehrere Wochen hinfallig, 
trug aber keine dauernden Hirnstorungen davon. Die ebenfalls schwer verletzten 
Fflsse waren anfangs stundenlang kalt und abgestorben, dann aber stark angeschwollen 
(Krampf und Parese der Gefassmusculatur). Die meisten getroffenen Personen batten 
(wie dies das Gewohnliche) keine Erinnerung an den Schlag, andere, leichter Ver- 
letzte, hatten eine Erinnerung. Einer hatte die Empfindung beim Umsinken, als ob 
er zerrissen wflrde, ein Anderer versptlrte einen Schlag wie von einem dicken Pfahle 
im Genick, ein dritter wie von einem schweren Hammerschlage auf einen Ambos.* 

In der Section ffir Ophthalmologic 

besprach Wilbrand die concentrisehe Gesiehtsfeldeinsohr&nkung bei fkrno- 
tionellen Storungen der Seheentren und die Inoongruenz hemianopiseher 
Defecte. Er war bestrebt, die von Thomsen und Oppenheim (Arch. f. Psych. 
Bd. XV.) urgirten Widersprflche, welche zwischen ihren Befunden bei postepileptischen 


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604 


Stadien und den sonst gewohnten Erscheinungen der corticocentralen Hemianopsie 
bestehen, aufzulosen. Unter Festbaltung des anatomischen Grundgedankens der Partial- 
kreuzung sucht er aus der Anordnung der einzelnen Fascikelfelder gewisse Grund- 
satze zu entwickeln, nach denen das eine Mai absolute, das andere Mai relative Con- 
gruenz oder Incongruenz der GesicbtsfeldausfaUssymptome eintritt. Absolute Con- 
gruenz concentrischer Gesichtsfelddefecte bei functionellen Stfirungen beider Sehcentren 
wird dann erreicht, 

a) wenn das eine Sehcentrum den gleicben Flacheninbalt darbietet, wie das andere, 

b) wenn das Flachenverhaltniss der kleinsten Rindenfelder des Fasciculus lateralis 
zu denen des F. cruciatus in beiden Sehcentren das namliche ist, d. h. wenn die 
normale Ausdehnung des Gesammt-Gesichtsfeldes und eines Auges sich vollkommen 
in jedem Meridian mit dem des andern Auges deckt und 

c) wenn der Intensitatsgrad der StOrung auf beiden Sehcentren der gleiche ist. 

Sind diese Yerhaltnisse auf beiden Seiten ungleich, so entsteht Incongruenz der 
concentrischen Gesichtsfelddefecte. Betreflfe der begrundenden Details des Yortrages 
muss auf das Tageblatt verwiesen werden. 

Section ffir Laryngologie, Rhinologie, Otiatrie. 19. Sept. 

Hack: Ueber Reflexneurosen, von der Nase ausgehend. Ist das, phy- 
siologische Schwellgewebe der Nase pathologisch verandert, oder besteht, sonst ein 
Reizzustand innerhalb der Nase, so erfolgen (auf sympathischem Wege?) Reflexe: 
Niessen, asthmaiische Beschwerden mit catarrhalisclien Erscheinungen, Neu- 
ralgien, namentlicli Zahnweh, Gastralgien, einseitige Schweisse und flfichtige 
Oedemo der Gesichtshaut. Siemens. 


Hochgeehrter Herr Redacteur! 

Herr E. Remak betont bei einer Erwahnung des Hirschmann’schen absoluten 
Galvanometers (Nr. 19 S. 440) mit einem gewissen Nachdruck, dass dasselbe „von 
ilim zuerst empfohlen“ worden sei und beruft sich daffir auf das Centralblatt 
1884 S. 67. Dem gegenfiber m5chte ich, ohne der Sache irgeud welche Bedeutung 
beizulegen, nur constatiren, dass ich dieses Instrument nicht nur in diesem Central¬ 
blatt 1883 S. 124 bei Gelegenheit meiner Mittheilungen fiber elektrische Bader 
bereits erwahnt, sondern auch in der deutschen medicinischen Wochenschrift 
1883 Nr. 31 (S. 463 u. 464) beschrieben und zu allgemeiner Anwendung 
empfohlen habe. _ A. Eulenburg. 


IV. Vermischtes. 

Verhfitetes Unheil. Auf die dringenden Bitten der Angehorigen wurde eine Dame 
aus den hoheren Standen bei ihrer Aufnahme in eine Irrenanstalt nicht genauer visitirt, da 
man ihre grosse Empfindlichkeit sohonen zu mflssen meinte. Sie litt an chronischem Ver- 
folgungswahnsinn auf Grand allgemeiner Hallucinationen. Bald aber trat sie aus ihrer 
anranglichen Selbstbeherrschung beraus und erging sich nun in so offenen und gefahrlichen 
Drohungen, dass man den Verdacht schopfte, sie miisse.eine Waflfe oder dergl. bei sich ver- 
steckt haben. Eine sofort angestellte Durchsucbung ergab dann auch — glucklicherweise 
ehe sie hatte davon Gebraucb machen konnen — den heimlichen Besitz eines Messers mit 
scharf zugeschliffener Klinge von 34 cm. Lange! 

Ein kleineres Messer fand sich zufallig in der Rocktasche eines Melancholikers de r der 
Irrenanstalt zu Coma zngefuhrt worden war. (Archiv. italian. per le malat nervos. XXI. 
1884. p. 411.) _ Sommer. 


Druckfehlerberichtigung: 

S. 474 Z. 9 von unten lies*. Cerebrospinalrohrinhalt. 

S. 474 Z. 4 von unten lies: R5hre statt Rohren. 

S. 476 Z. 20 von oben lies: Gemuthsleben statt Geschiiftsleben. 
S. 479 Z. 6 u. 8 von oben lies: Lagewecbsel statt LagerwechseL 


Verlag von Vbit & Coup, in Leipzig. — Drack von Mbtzobb & Wittig in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologic, Pathologic 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Dritter B * rIln * Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 15 Mark. Zu beziehen dnrch 
alle Bnchhandlungen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Dentschen Reichs, sowie 
direct von der Yerlagsbuchhandlung. 


1884. 15. November. Ng= 22. 


In halt. I. Origlnalmittheilungen. 1 . Multiple Sklerose rait beiderseitiger totaler nen- 
ritiBcher Sebnervenatrophie von Eulenburg. 2. Ueber einige Erscheinungen cpileptischer nnd 
comatbser Znstande von Witkowski. 

II. Referate. Experimentelle Pbysiologie. 1. Die Bewegong der Pupille von 
Jeglinski. 2. Die Bewegungs- nnd Hemmnngsnerven des Rectums von Fellner. 3. On the 
temperature sense; a contribution to the physiology of the skin as an organ of sense by 
Pollitzer. — Pathologische Anatomie. 4. Ein Fall von Lipombildung der Riickenmarks- 
haute von Braubach. 5. Ueber einen Fall von Lnftansammlnng in den Vontrikeln des mensch- 
lichen Gehirns von Chiari. 6. Contributo all’anatomia patologica del delirio aento del Rez- 
zonico. — Pathologic des Nervensystems. 7. Cortical lesions of the Brain; a collec¬ 
tion and analysis of the american cases of localized cerebral disease by Starr. 8. Mitthci- 
lnngen aus der medic. Abtheilnng des herzogl. Krankeuhauses zn Braunschweig von Schulz. 
9. Sur quelques troubles nerveux consecutifs a la variole par Quinquaud. 10. Troubles ocu- 
laires de la scldrose en plaques par Parinaud. 11. Ueber die Unheilbarkeit gewisscr Riickcn- 
markserkrankungen von Kahter. 12. Note sur les rapports de la trepidation 6pileptoide du 
pied avec l’exageration des reflexes rotuliens par de Floury. 13. Temporale Hemianopsie von 
Berry. 14. Ueber Oculomotoriuslahmung von Nothnagel. 15. Fem Tilfalde af den Thomscn'ske 
Sygdom af Pontoppidan. 16. Nervose Gastroxynsis, als eine eigene, genau charakterisirbare 
Form der nervosen Dyspepsie von Rossbach. — Psychiatrie. 17. Ueber Zwangsvorstellungen 
von HBstermann. 18. Folie du doute and Mysophobia by Dana. 19. Sulla follia morale^ — 
un errore di diaguosi pel Funajoli. 20. Der alpine Cretinismus, insbesondere in Steiermark, 
von Kratter. 21. Rupture of the heart in the insane by Mickle. — Therapie. 22. Glycosuria, 
its complications and therapeutics by de Wolf. 23. Unexpected recoveries; two cases con¬ 
tributed by Willet. 

III. Aus den Gesellschaften. 

IV. Personallen. 


I. Originalmittheilungen. 

1. Multiple Sklerose mit beiderseitiger totaler neuritischer 

Sehnervenatroplne. 

Yon A* Eulenburg. 

Eine so wichtige diflferenzialdiagnostische Rolle die Sebnervenatrophie bei 
fleckweiser Degeneration der Nervencentra bekanntlich spielen kann, 
so ist doch die Zahl der .bisber constatirten Falle von totaler Opticus- 
Atrophie mit Erblindnng bei der genannten Krankheit eine ausserst 


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geringe. 1 Falle, in welchen die Opticus-Atrophie sich nachweisbar aus einer 
Neuritis entwiokelte und den cbarakteristischen Erankheitssymptomen jahrelang 
voraufging, sind in der bisherigen casuistischen Literatur noch so gut wie 
gar nicht vertreten. Der folgende, anch in anderweitiger Hinsicht bemerkens- 
werthe Fall scheint mir aus diesem Grunde eine kurze MittheUung zu ver- 
dienen. 

Die 26jahrige unverehelichte H. T. stellte sich zuerst den 11. Marz 1883 
in meiner Foliklinik vor. Sie machte folgende Angaben: Yon gesunden El tern 
stammend sei sie bis zu ihrem 18. Jahre vollkommen gesund gewesen. Dann 
wurde sie (1875) von heftigen, mehrere Wochen hindurch anfallsweise auf- 
tretenden Stirn- und Hinterkopfschmerzen ergriffen, in deren Yerlauf 
sich eine stetig zunehmende Storung des Sehvermogens einstellte. 
Leider wurde die Consultation eines Augenarztes und uberhaupt jede rationelle 
Behandlung damals verabsaumt; die Eranke nahm homoopathische Medicamente 
und liess sich „Aalquappen51“ auf die Augen einschmieren. Rasch, schon inner- 
halb 4 Wochen vom ersten Auftreten der Sehstorung an, kam es zu volliger 
beiderseitiger Erblindung. Dabei fuhlte sich Pat. noch lange Zeit ziemlich 
schwach und angegriffen, lag zu Bette, hatte haufige Eopfschmerzen und dber- 
dies heftige Respirationskrampfe (Schrei- und Weinkrampfe), mit 
Bewusstseinsverlust, die zuweilen bis zu zehn Malen im Laufe eines Tages 
sich wiederholten. Alle diese Erscheinungen verloren sich nach und nach; an 
Stelle der Respirationskrampfe traten nur noch von Zeit zu Zeit kurze „Ohn- 
machtsanfalle“ ein, die auch schliesslich wegblieben, und das Befinden war 
seitdem, von der totalen Erblindung abgesehen, Jahre hindurch ein fast 
ungetrubtes. 

In dieser Zeit (am 26. Marz 1877) liess sich die Pat in der Polikhnik des 
Hm.J Prof. Hibschbebg ihrer Augen halber untersuchen. Das Protokoll der 
damals vorgenommenen ophthalmoskopischen Untersuchung — ffir dessen Auf- 
suchung und gefallige Dbermittelung ich Herm Prof. BRbsghbebg zu bestem 
Danke verpflichtet bin — lautet wortlich: „Atrophia N. optici ex neuritide. 
Pupillen gleichmassig blaulich, nnd noch Spuren von Schwellung. 
Arterien eng. (Aufr. Bild mit — 18.)“ 

Erst seit dem Winter 1882/83 traten neue Krankheitserscheinungen hervor, 
insbesondere Zittern in den Beinen, zunehmende Gehschwache, nnd ein 
Gefuhl von Spannung in den Enie- und Fussgelenken, wozu sich zeit- 
weise auch ziehende Schmerzen im Ereuz und in den Oberschenkeln 
gesellten. 

Bei ihrer Yorstellung in der Poliklinik zeigte Pat. in ziemlich ausgesprochener 
Weise den Symptomencomplex der einst sogenannten spastischen Spinalparalyse: 
hochgradige Muskelspannungen und Contracturen an den unteren 
Extremitaten, besonders an den Extensoren im Enie- und Fussgelenk bei 
passiven Bewegungsversuchen hervortretend; Zittern beider Fusse und Unter- 

1 VgL Gnauok, liber AugonatoruDgeu bei multipler Sklerose. Nearolog. Centr&lbl. 1884. 
Nr. 14. S. 816. 


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schenkel bei intendirten activen und bei starkeren passiven Bewegungen, dagegen 
in der Buhelage verschwindend; qusserst intensive Sehnenphanomene 
incl der sog. Periost- und Knochenrefleie. Das Kniephanomen besonders aus- 
gebreitet and za heftigen Patellarclonus gesteigert, uberdies von der ganzen 
Supra- and Infrapatellargegend and langs der ganzen Tibialkante bis za den 
Ualieolen abwarts hervorzorufen; starker Fussclonas beiderseits (besonders links); 
bei Beklopfen der Achillessehne rhythmisches Schutteln, vom Fussrucken aus 
tonische Auswartsdrehung des Fusses mit gleichzeitiger Zehenstreckung; Plan- 
tarreflex and andere Hautreflexe dagegen nioht erbeblich gesteigert. Muskel- 
kraft and Einzelleistung der Maskeln liessen keine wesentliohe Storung erkennen, 
such waren keine Atrophien vorhanden, das elektrische Verhalten in jeder 
Beziehung ein dorchaus normales. — Die nach bekannten Methoden viederholt 
vorgenommenen Prufungen der Hautsensibilitat (faradocutane Sensibilitat, Ort- 
sinn, Dracksinn, Temperaturainn) sowie der Gefuhle fur Stellung and Lagever- 
anderung a. s. w. ergaben keine merkliche Beeintrachtigung dieser Functionen. 
Neuralgische Erscheinnngen geringfugig, jedoch zeitweise Dysurie und Stran- 
gurie ohne locale Veranlassung, auch ofters Schmerzen im Gebiete der Tibiales. 
Menses stets normaL Keine Druckschmerzpunkte an der Wirbelsaule und im 
Bereiche der peripherischen Nerven. — An den Augen: Nystagmus, weite 
and reactionslose Pupillen, Divergenz ex amaurosL Jede Licht- 
empfindang fehlte; aucb die galvanische Opticus - Reaction war 
(wenigstens fur die in loco verwendbaren Stromstarken, bis za 
4 Milliampdre) beiderseits vollstandig erloscben. Bei der spater 
noch wiederholt (zuletzt am 2. August 1884) von Hrn. Prof. Hibschbebq auf 
meine Yeranlassong vorgenommenen ophthalmoskopischen Untersuchung ergaben 
sich deutliche Besiduen der voraufgegangenen Neuritis, grunlich- 
weisse gleichmassige Verfarbung der Sehnerven and Trabung der 
Sabstanz, so dass die Lamina cribrosa nicht zu erkennen; Gefasse 
unverandert. — Im Gebiete der ubrigen Himnerven waren anomale Inner- 
vaiionserscheinungen nicht za constatiren. Insbesondere fehlten auch sprachliche 
und intellectaelle Storangen zur Zeit ganzlicL 

Behandlung anfangs mit subcutanen Silberinjectionen (Liquor argenti 
albuminati), lauwarmen Soolbadem, spater Galvanisation in der Form galvani- 
scber Pinselung and des BoxTrarr’schen V6sicatoire galvanique an der Wirbel- 
saole abwechseind mit Galvanisation und Faradisation der peripherischen Nerven- 
stamme and Muskeln. — Unter dieser, ca. I 1 /* Jahre lang mit grosser Ausdauer 
fortgesetzten Behandlung wurde ein Stillstand and theilweise Besserung der 
meisten Krankheitserscheinungen erzielt. Namentlich zeigten sich das Fuss- 
zittem bei activen willkurlichen Bedingungen, die Muskelspannnngen und Con- 
tracturen erbeblich vermindert, wodurch der Gang an Festigkeit und Sicherheit 
wesentlich gewonnen hatte. Dagegen bestand noch bedeatende Verstarkung des 
Kniephanomens and der ubrigen Sehnenphanomene, sowie auch Andeutung 
von Fussclonas. Geringe Sensibilitats- and Excretionsstorang. Im Uebrigen 
anveranderter Zustand, namentlich auch in Betreff des Sehorgans; nur giebt 


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Pat. an, dass sie in letzter Zeit haufig von fruher nicht empfundenen subjectiven 
Lichterscheinungen heimgesucht wurde (silberartiges Leuchten beim Erwachen, 
belle Figuren von verschiedener Art im Laufe des Tages). — 

Der im Vorstehenden kurz skizzirte Fall erseheint namentlich auch fur die 
otters schwankende Differenzialdiagnose zwischen Hysteria und multipler 
Skierose nicht ohne Bedeutung. Nach den voraufgegangenen Erscheinungen, 
Respirationskrampfen etc. konnte auch an eine hysterische Neurose — oder 
wenn man diesen neuerdings salonfahig gewordenen Ausdruck gebrauchen will, 
an eine „Pseudosklerose“ — gedacht werden. HierfQr sprachen namentlich die 
im AUgemeinen nicht sehr grosse Intensitat der Erscheinungen, das Fehlen 
mancher bei der multiplen Sklerose gewohnlichen Krankheitsymptome (Sprach- 
storungen u. s. w.), und der anscheinend gunstige Einfluss der angewandten 
Behandlung. Die voraufgegangene schwere Sehnervendegeneration, die zu totaler 
beiderseitiger Opticus-Atrophie mit volliger Erblindung gefuhrt hat, machte aber 
die Annahme einer multiplen Sklerose in diesem Falle mindestens zu einer 
hochst wahrscheinlichen, und berechtigte zu der Auffassung, dass aueh schon 
die fruheren, die Entstehung des Sehnervleidens begleitenden Krankheitserschei- 
nungen mit der Entwickelung intracerebraler entzundlicher Herde, resp. mit 
„congestiven Attacken“ im Sinne Charcot's, im Zusammenhang standen. 
Es wurde sich sonach gewissermaassen um eine durch mehijahriges Intervall 
geschiedene zweimalige acutere Invasion, das erste Mai mit uberwiegend cere- 
bralen, das zweite Mai mit uberwiegend spinalen Krankheitserscheinungen und 
entsprechend localisirten Degenerationsherden handeln. Beachtenswerth ist 
ferner, dass in diesem Falle die Neuritis der Sehnerven zu totaler 
Atrophie derselben mit volliger Erblindung gefuhrt hat Gnatjck 
hat (1. c.) neuerdings darauf aufmerksam gemacht, dass die Atrophie des 
N. opticus bei multipler Sklerose neuritischen Ursprunges sein konne. Er ver- 
muthet, dass besonders Falle der von ihm constatirten Art mit bloss partieller 
(vorwiegend temporaler) Verfarbung der Papillen einen derartigen Ent- 
stehungsmodus haben; Falle, in welchen die partielle Atrophie gewohnlich 
stationar bleibt, oder doch die inneren Papillenhalften erst secundar und in weit 
schwacherem Grade heimgesucht werden. Der hier mitgetheilte Fall spricht 
wenigstens nicht zu Gunsten dieser Ansicht, da es anscheinend sehr rasch (schon 
in ca. 4 Wochen) zu volliger Erblindung kam und die Untersuchung spater 
gleichmassiges Befallensein der Optici in toto auf beiden Augen herausstellte. 


2. Ueber einige Erscheinungen epileptischer und comatoser 

Zustande. 

Von L. Witkowski. 

(Nach einem in der Versammlung siidwestdeutscher Irrenarzte zu Carlsruhe am 19. Oct. 1884 

gehaltenen Vortrage.) 

Wenn ich im Folgenden mebrfach auf fruhere Mittheilungen von mir zuruck- 
zukommen und mich selber zu citiren genothigt bin, so findet dies seine Begrundung 


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darin, dass verschiedene der von mir for die Beurtheilung epileptischer und ver- 
wandter Zustande geltend gemachten neuen Gesichtspunkte entweder ganz un- 
beachtet geblieben Oder Einwanden begegnet sind. Ich fuhle mich deshalb ver- 
pfliohtet auf einzelne Seiten des Gegenstandes zuruckzukommen, wobei ich neue 
Beobachtungen benutze, die ich im Laufe des letzten Jahres als zweiter Arzt 
der Anstalt Hordt i. Els. zu machen Gelegenheit hatte. 

Ich gehe aus von einer fruher (Ztschr. f. Psych. 37) von mir beschriebenen 
Art des epileptischen Anfalls, die sehr seiten und noch wenig bekannt ist. Auch 
Gowers in seinem an Einzelbeobachtungen so reichen Buche erwahnt sie nicht. 
Es handelt sich um eine momentane, von jeder Bewusstseinsstorung oder 
Krampferscheinung freie, reine Lahmung, die ich fruher nur doppelseitig, 
kurzlich aber einmal auch einseitig (auf ein Bein beschrankt) gesehen habe. 
Diese Beobachtung ist nach verschiedenen Seiten bemerkenswerth. Meist tritt 
ja im epileptischen Anfall eine mehr oder weniger tiefe Storung des Bewusst- 
seins ein, zum mindesten Benommenheit oder Schwindel; hier dagegen kommt 
es ganz ohne Derartiges zu einer reinen Continuitatstrennung zwischen Willen 
und Musculatur. Das Wesentliche liegt nur in der Yollstandigkeit dieser Trennung, 
nicht aber in dem Verhalten des Bewusstseins, und die Constatirung dieses Yer- 
haltnisses ist von augenscheinlicher Bedeutung fur die richtige Beurtheilung 
so mancher sonst schwer verstandlicher Acte von Epileptikem. Ferner legt 
gerade eine solche reine Leitungsunterbrechung die Frage nach dem 
Sitze der Storung nahe. Man kann denselben an verschiedenen Stellen des 
Gehimes suchen, wo die motorischen Bahnen wie z. B. in der inneren Kapsel 
eng beisammen liegen. Zieht man es aber vor, auf die graue Substanz zu 
recurriren, so darf ich an neuere Versuche von Christian! und Bechterew 
erinnem, wonach ein eng begrenztes Centrum fur die Coordination der 
Bewegungen im centralen Gran am Boden des dritten Ventrikels 
sich findet. Jedenfalls machen es gerade derartige rudimentare Anfille mehr 
als wahrscheinlich, dass die noch unbekannte Yeranderung, die dem 
epileptischen Anfalle zu Grunde liegt, nicht immer an einem und dem- 
selben Punkte, etwa der Btode oder dem verlangerten Marke, einsetzen muss, 
sondem an sehr verschiedenen Stellen des Nervensystems ihren 
Ur8prung nehmen kann. Yon ihrem Ausgangspunkte aus verbreitet sie sich 
meist uber einen grossen Theil des Gehirns und bedingt Krampfe, Bewusstseins- 
stdrung und Anderes; sie kann aber ausnahmsweise auch raumlich ganz be¬ 
schrankt bleiben und nur rudimentare Erscheinungen bewirken. 

Bei einer erneuten Durchsicht der SAMT’scheu Abhandlung uber epileptische 
Irreseinsformen ist mir in dem ersten auf Grund allerdings vorwiegend nur 
anamnestischer Daten so sehr genau geschilderten Falle die wiederholte, von 
Samt nicht weiter berucksichtigte Angabe aufgefallen, dass der aufgeregte Kranke 
umgefallen sei, sich aber sofort wieder erhoben habe. Es liegt nahe, hierbei an 
Lahmungsanfalle ahnlich den soeben besprochenen zu denken, und es ergiebt 
sich von selbst fur mich die Gelegenheit, noch einmal meinen Zweifeln an dem 
Vorkommen der rein psychischen sog. Aequivalente Ausdruck zu geben. 


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Auf Grand vielfacher auch neuerer Erfahrungen sehe ich nach wie vor das 
Charakteristische der epileptischen Geistesstorung nicht nur in dem anfalls- 
artigen Auftreten, sowie in der (nicht constant) specifischen Form 
des Irreseins, sondern namentlich in der Combination psychischer Symp- 
tome mit andern oft ganz vorubergehenden nervosen Storungen, die 
in mannigfacher Form als Krampf, Lahmung, Sopor, Schwindel, Hyperasthesie 
nnd Anasthesie, Fieber etc. auftreten konnen. 

Je mehr man sich von der grossen Haufigkeit derartiger Anfallscom- 
binationen uberzeugt, um so mehr wird sicherlich auch die Lehre von den 
habituellen Charaktereigenthumlichkeiten der Epileptiker einge- 
schrankt werden. Ich habe bisher noch niemals etwas Bestandiges derart, 
sondern immer nur zeitweise Charakteranderungen gesehen. Nach meiner 
Erfahrang kommen der reinen, uncomplicirten Epilepsie besondere inter- 
vallare Symptome uberhaupt nicht zu, dieselbe besteht vielmehr nur aus 
den Anfallen mit ihren Begleit- und Folgeerscheinungen: durch ihre 
Haufung und lange Dauer kann der Anschein des Continuirlichen erweckt 
werden, der sich aber bei naherer Betrachtung immer als irrig erweist 

Es ist ein Verdienst der franzosischen Autoren und namentlich Falbet’s, 
auf das haufige Wiederkehren ahnlicher Erscheinungen in den verschiedenen 
Anfallen desselben Epileptikers besonders eindringlich hingewiesen zu liaben; 
aber man hat hieraus sehr bald in allzu schematischer Weise eine „photo- 
graphische Gleichheit“ aller Anfalle desselben Kranken gemacht. Meine fruhere 
Opposition gegen diese Uebertreibung hat einen wenn auch nur bedingten Gegner 
in Franz Fischer gefunden, der wenigstens fur vereinzelte Falle die franzosische 
Anschauung retten zu konnen glaubt. Der von ihm (Berl. klin. Wochenschrift 
1884) berichtete Fall erscheint mir aber nicht ganz beweisend. Bei jahrelanger 
Beobachtung, die ich schon fruher als manchmal nothwendig bezeichnet hatte, 
zeigten sich auch hier wesentliche Differenzen. Aber auch in den scheinbar 
ganz gleichen Zeiten waren Unterschiede da. Die Deutlichkeit der psychischen 
Anfangserscheinungen war eine verschiedene, ebenso wechselte die Zahl der 
Krampfanfalle. Temperaturbeobachtungen scheinen^ nicht gemacht zu sein, und 
doch war in dem genauer beschriebenen Anfalle mit seinen tief oomatdsen Zu- 
standen, incoharenten Delirien, starken Congestionen und beschleunigtem Pulse 
(nach meinen Erfahrungen) sehr wahrscheinlich hohes Fieber vorhanden, das bei 
haufiger Wiederkehr der Anfalle, wie ich regelmassig gefunden habe, niemals 
constant auftritt. Die psychischen Erscheinungen selbst entziehen sich nach 
Fischer’s eigenem Gestandnisse einer genaueren Analyse und konnen schon 
deshalb hier nicht allein maassgebend sein; doch zeigten auch sie mir immer 
um so mehr Abweichungen, je genauer ich die Einzelheiten verfolgen konnte. 
Dasselbe gilt fur die einfachen Krampfanfalle, auf deren Analogic sich F.schliess- 
lich beraft. Ich habe in alien mir zu Gebote stehenden Fallen genau darauf 
geachtet und bisher noch kein Beispiel absoluter Gleichheit aller Anfalle ge¬ 
funden. 

Yor einiger Zeit berichtete Siemens in diesem Blatte, er habe im Anfange 


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eines epileptischen Anfalls der Pupillenerweitenmg eine Verengerung vorangehen 
sehen. Da ich mich seitdem uberzeugt habe, dass Romberg und Gowers 
Aehnliches beschreiben und es sich also nicht um eine vereinzelte Beobachtung 
handelt, so mochte ich dem gegenuber ausdrucklich betonen, dass ich bisher 
immer yon vornherein Erweiterung gefunden habe. So noch kurzlich bei einem 
Idioten, bei dem auffalliger Weise in der Reconvalescenz nach einem Kopferysipel 
eine ausserordentliche Haufung von Anfallen eintrat und oftere Beobachtung vom 
ersten Beginn an ermdglichte. Es kommt also augenscheinlich Beides vor. Dies 
stimmt auch sehr gut uberein mit der von mir seit Jahren (zuerst in meinem 
vom Mai 1877 datirten Aufsatze uber die Morphiumwirkung) vertretenen An- 
schauungen uber die Pupillenphanomene. Wo zunachst reiner Sopor eintritt, 
wird die Pupille durch den Ausfall der psychischen Reize anfanglich eng sein; 
wo dagegen Krampferscheinungen, Respirationsstorungen oder directs vasomoto- 
rische Einflusse sich sofort geltend machen, wird sie von vornherein erweitert 
werden und in den spateren Perioden des Anfalls scheinen die letzteren Fac- 
toren immer in Wirksamkeit zu treten. Schon vor Jahren hatte ich in der 
Strassburger Klinik Gelegenheit, beim Eintritt eines epileptischen Anfalls wah- 
rend des Sopors einer paralytischen Kranken die Beobachtung einer sofortigen 
maximalen Pupillenerweiterung zu machen. 

Unter denselben Gesichtspunkt lasst sich bis zu einem gewissen Grade 
auch die mehrfach discutirte Pupillenverengerung in der Pause der 
intermittirenden Athmung bringen. Schon 0. Rosenbach u. A. haben 
betont, wie haufig mit den Athmungsunterbrechungen anderweitige nerv5se 
Storungen Hand in Hand gehen. Ich kann mich dem anschliessen, und betone 
namentlich das haufige Einschlafen Sterbender wahrend der Athem- 
pause. Mit Wiedereintritt der Respiration schlagt der Patient die Augen auf, 
vollfuhrt sonstige Bewegungen, erhebt den vorher zuruckgesunkenen Kopf u. dgl. 
Es scheint also, als ob in solchen Fallen die geschwachte Rinde ahnlich wie 
das Athemcentrum fur ihr Functioniren jedesmal einer Summation der 
normaler Weise continuirlich wirksamen Reize bedurfte. 

Die „psychischen Pausen“ kommen nun aber bei Sterbenden gelegent- 
lich auch zeitlich unabhangig von den Athmungsunterbrechungen, 
ja sogar, wie ich einmal gesehen habe, ganz allein fur sich vor. In solchen 
Fallen folgt nach meiner Erfahrung die Pupille, falls sie uberhaupt noch 
reagirt, in erster Linie der Psyche; sie wird eng, sobald Schlaf eintritt, auch 
wenn dies unabhangig von der Athempause geschieht. Da man andererseits 
auch schon Athempausen ohne Verengerung und sogar mit Erweiterung der 
Pupille gesehen hat, so folgt aus alledem, dass dem psychischen Verhalten 
bei dem in Rede stehenden Phanomen eine nicht unerhebliche, wenn auch ver- 
muthlich nicht ausschliessliche Bedeutung zu kommt. 

Die von mir firuher (Arch. f. Psych. XI) beschriebenen Soporbewegungen 
der Augen (eigenthumlich gleichformige, massig langsame, coordinate Augen- 
bewegungen) habe ich auch neuerdings ausschliesslich in den letzten Tagen vor 


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dem Tode eintreten sehen, so dass ich ihre ubele prognoetische Bedeutung auf’s 
None betonen kann. Ihr diagnostischer Werth wird namentlich dadurch be- 
dingt, dass sie wahrend des normalen Schlafes niemals vorkommen, welchen 
vielmehr ausnahmslos die von Raehlmanh und mir aufgefundenen, atypischen 
und viel langsameren, Schlaf bewegungen der Augen eharakterisiren. Hinwiederum 
sind die letzteren in der Agone seltener, kommen aber manchmal zwischen 
Sopor- und normalen Blickbewegungen mehr vereinzelt vor. 

Da diesen Schlafbewegungen demnach eine gewisse Specifitat fur den 
Schlaf zukommt, so liegt es nicht fern, sie mit anderen ebenfalls specifischen 
Erscheinungen desselben in Beziehung zu bringen, ich meine mit den vorwiegend 
in Gesichtsvorstellungen sich abspielenden Traumen. Ohne hierin mehr zn 
sehen als eine nicht unwahrscheinliche Yermuthung, glaube ich daher meine 
fruheren Bemerkungen (a. a. 0.) fiber die Bedeutung dieser Erscheinungen far 
die Auffassung des Schlafes nunmehr speciell auf die Traume ausdehnen zn 
dfirfen. Unter dieser Yoraussetzung ist die Aufhebung der im Wachen 
mit regelmassiger Precision wirkenden Coordination der Augen- 
bewegungen sowohl untereinander, als auch mit den Pupillen- 
schwankungen, vielleicht auch die sehr auffallige Langsamkeit 
dieser Ortsveranderungen der Augen, ein wichtiger Hinweis auf die dem 
Traumzustande entsprechenden Yorgange im Gehirn. Jedenfalls 
werden wir uns nur durch das Studium derartiger factisch und regelmassig 
eintretender Veranderungen in den Verrichtungen des Gehirns dem Verstandniss 
dieser schwierigen Probleme nahern konnen. 


n. Refer at e. 


Experimentelle Physiologie. 

1) Die Bewegung der Pupille von Jeglinski. (Inauguraldissert. Kasan 1884. 

Bussiscb.) 

Mit dem Zweck, den Einfluss der verscbiedenen Nerven (Oculomotorius, Trigeminus, 
Sympathicns) auf die Bewegungen der Iris an V5geln zu studiren, stellte Yerf. an 
genannten Thieren unter Leitung des Prof. Dogiel eine Verauchsreihe mit Beizung 
und Durchschneidung der Nerven an, wobei er zu folgenden Resultaten gelangte: 

Die die Pupille verengenden Fasern verlaufen bei VOgeln im Oculomotorius (so 
wie bei den Saugethieren). Im Halstheil des Sympathicus sind keine Fasern ent- 
halten, die auf die Iris Einfluss besitzen. Der Ramus ophthalmicus des Trigeminus 
enthalt alle Fasern, die Erweiterung der Pupille bewirken: Reizung des peripheren 
Endes des durchschnittenen Ramus ophthalmicus hat stets Erweiterung der Pupille 
zur Folge; Reizung des centralen Endes — Verengerung (durch reflectorische Er- 
regung des Oculomotorius); bei gleichzeitiger peripherer und centraler Reizung tritt 
ebenfalls Verengerung auf, was dadurch zu erklaren ist, dass an Y5geln der Sphincter 
pupillae starker entwickelt ist, als der Dilatator. P. Rosenbach. 


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513 — 


2) Die Bewegungs- und Hemmungsnerven des Bee turns von Fellner. A us 
dem Laboratorium des Prof. v. Basch. (Med. Jahrbticher. 1883. H. IIJ. u. IV.) 

Verf. constatirt als Bewegungsnerven ftir die Langsmuskeln des Bectums die 
Nervi erigentes. Getrennt davon liegen als motorische Nerven ftir die Bingmuskeln 
die Nn. hypogastrici, ein dem Ganglion meseni post, entstammendes Nervenpaar. 

Die Hemmungsnerven verlaufen ebenfalls in getrennten Babnen und zwar sind 
die motoriscben Nervenfasern ftir je ein Fasersystem mit dem Hemmungsnerven ftir 
das antagonistiscbe Fasersystem in je einem Nervenstamme vereinigt. Hierdurch 
k5nnen mit motorlschen Impulsen fOr ein Muskelfasersystem zugleicb hemmende fOr 
das antagonistische zur Wirkung gelangen. 

Die Beobachtung ergab, dass wahrend der spontanen, dyspnoiscben und post- 
mortalen Bewegungen des Bectums beide Fasergattungen nicht gemeinscbaftlich thatig 
sind, sondem dass sie sich in der Action ablOsen. Die Wirkung der Hemmungs¬ 
nerven fasst F. als Herabsetzung oder Aufhebung des Tonus bez. des Contractions- 
zustandes der betreffenden Muskeln auf. Der Effect der elektrischen Beizung eines 
der motoriscben Nerven lasst sich durcb die Beizung des zugehCrigen Hemmungs¬ 
nerven unterdrffcken. Es besteht also ein antagonistisches Yerbaltniss zwischen den 
beiden Nerven je eines Fasersystems. 

Die experimentellen Untersucbungen warden am Hunde vorgenommen. Verf. 
bediente sicb der graphischen Methode; die Aufzeichnung geschah am Ludwig- 
Balzer’schen Kymograpbion, die Beizung der Nerven durch einen du Bois-Bey- 
mond’schen Schlitten. Bosenheim. 


3) On the temperature sense. A contribution to the physiology of the 
skin as an organ of sense by S. Pollitzer. (The Journal of Physiology. 
Vol. V. p. 143.) 

Urn bei der Prtlfung des Temperatursinns die Tasteindrficke sowie die Erwar- 
mung weiterer Strecken als bios der zu untersuchenden auszuscbalten, bedient sich 
Verf. als Warmequelle eines nacb dem Princip des Paquelin’scben Thermokauters 
construirten Apparats, der mittelst einer Scbraube gegen eine durchbohrte Holzplatte 
bewegt wird. Unter dieser und gescbiitzt vor den Warmestrahlep liegt der zu unter- 
suchende Kdrpertheil; nur die Stelle, welche unter das Loch in der Holzplatte zu 
liegen kommt, wird von der strahlenden Warme getroffen. Als Temperaturmaass gilt 
die Entfemung der gluhenden Platinscbeibe von der Platte. Die mittelst dieses 
Apparatus gefundenen Besultate sind zum Tbeil nicht neu, zum andern Theil nicht 
einwandsfrei. Verf. kommt zu folgenden Schlhssen: Die relative Empfindlichkeit ftir 
Hitze ist * an verschiedenen KOrperstellen* bei den verschiedenen Menschen nicht die 
gleiche, sie differirt bei weitem nicht so stark an den einzelnen Stellen, wie z. B. 
die Druckempfindung. Die Theile, an denen die anderen Hautsinne sehr scharf sind, 
sind es nicht desgleichen ftir die Warmeempfindung. Letztere steht in keinem 
directen Verhaltniss zur Dicke der Epidermis. 

Er schliesst ferner, dass das Endorgan der Temperaturempfindung nicht dicht 
unter dem Bete Malpighi liegt, und zwar entnimmt er dies aus dem Umstande, dass 
die Differenzen in der Zeit, die zwischen der Erwarmung einer Hautstelle und der 
Warmeempfindung daselbst verstreicht, nicht proportional sind der Dicke des Epi- 
dermislagera an den verschiedenen Stellen. A. Blaschko. 


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514 


Pathologische Anatomie. 

4) Ein Fall von Lipombildung der Buokenmarkshftute aus der.medicin.Ab- 
theilung des Coiner Bfirgerhospitals, von Dr. M. Braubach, Assistenzarzt 
(Arch. f. Psych, etc. 1884. Bd. XV. H. 2.) 

Ein 5jahriges Madchen, das seit Ende des 2. Lebensjahres mit Lahmung der 
rechten oberen und beider unteren Extremitaten (begleitet von Schmerzen, Abmagerung, 
spater Contracturen, Herabsetzung der Hautsensibilitat an Rumpf und Extremitaten) 
behaftet war, starb im Coiner Hospital an Lungenphthise. 

Bei der Section fand sich ein 12 cm langer, 3 cm im frontalen, 2 cm im Sagittal- 
Durchmesser haltender, spindelformiger Tumor innerhalb des Sackes der Dura spinalis, 
dessen oberes Ende 3 cm unterhalb der Spitze des Calamus scriptorius, dessen unteres 
Ende zwischen dem 4. und 5. Dorsalnerven sich befand. Das Rfickenmark war iin 
Bereiche des Tumors im Wirbelcanal nach vorn und links gedrangt, bandartig com- 
primirt und erweicht, die rechtsseitigen Nervenwurzeln plattgedrfickt. Doch zeigten 
die rechtsseitigen Wurzeln nur geringffigige Zeicben von Degeneration, die der Men 
Seite fiberhaupt keine. Absteigende Degeneration der Pyramidenseitenstrangbahnen. 
Die mikroskopische Untersuchung des Tumors erwies, dass es sich urn ein reines 
Lipom handelte. Dasselbe nahm seinen Ausgang von der Arachnoidea resp. Pia 
spinalis. 

Verf. findet nur 4 Falle von Lipombildung im Bereich der RfickenmarksMute 
in der Literatur verzeichnet. Eisenlohr. 


5) Ueber einen Fall von Luftansammlung in den Ventrikeln dee mensch- 
liohen Gtehims von H. Chiari. (Ztschr. f. Heilk. 1884. V. S. 383.) 

37jahr. Frau, mit hereditarer Disposition zur Tuberculose, im 27. Lebensjabre 
Anamie und Ohnmachtsanfalle; Marz 1883 Ohnmachtsanfalle mit Erbrechen; December 
1883 4 Tage dauemde Uterinblutung, vor Weihnacbten Kopfschmerzen mit Uebelkeit 
und Brechreiz, zeitweiliges Nasenbluten und ausnehmend reicblicher constanter Schleim- 
abgang aus der Nase; zunehmende Apathie, am 26. Dec. apoplectiformer Anfall, von 
da ab bis zum Tode (4. Jan. 1884) bewusstlos, Lahmung in verschiedenen Muskel- 
gruppen, bedeutende. Herabsetzung der Hautsensibilitat. 

Section (23 Stunden post mortem bei sehr kaltem Wetter): Keine Faulniss- 
veranderungen; ausgeheilte Spitzentuberculose; die Calva innen betrachtlich usurirt, 
Dura stark gespannt, Pachymeningitis haemorrhag. int. leichten Grades rechts, die 
weichen Haute zart, Windungen stark abgeplattet, fiber dem linken Stirnlappen flue- 
tuirend; bei Abkappung der Hemispharen durch Horizontalschnitt zeigt sich Luft 
als Hauptinhalt der beiden Seitenventrik’el, des 3. Ventrikels und einer im Men 
Stirnhirn liegenden ganseigrossen H6hle. Diese letztere erwies sich als scharf be- 
grenzt und stellenweise von einer glatten, von grdsseren BlutgefAssen durchzogene 
H5hle; nach aussen, innen und oben ist dieselbe von einer betrachtlichen Markscldcht 
umgeben, nach vorn und unten findet sich nur eine dfinne Rindenschicht und ist 
diese dort mit den Hirnhauten innig verwachsen; entsprechend der innern Grenze 
des Gyr. orbitalis findet sich eine trichterftfrmige Ausstfilpung der Hirnsubstanz durch 
eine hanfkorngrosse Lficke im medialen Rande des Orbitaltheils des linken Stirnbeins, 
die in eine der vorn Stirnbein gedeckten vordern Zellen des linken Siebbeinlabyrinthes 
hineinragt; durch eine an der Spitze des Trichters befindliche miliare Lficke ist die 
Verbindung zwischen Nase und Hohle im Stirnhirn hergestellt, wahrend eine solche 
zwischen dieser und dem Seitenventrikel durch eine fiber dem Kopfe des Nud caud. 
sin. in der medialen Wand der H6hle befindliche halberbsengrosse unregelm&ssig 
gezackte, hamorrhagisch infiltrirte Lficke hergestellt ist. An der Basis entsprechend 


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dem Trigonnm intercrurale, der vorderen Flache des mittleren und linksseitigen Pons- 
ab8chnittes, dem oberen Ende der linken Pyramide und linken Tonsilla cerebelli 
fanden sicb umfangliche Cbolesteatommassen. Unter Abwagung aller Umstande nimmt 
Ch. an, dass die Loft durcb die Perforataonsdffnung in der Decke der Siebbeinzelle 
schon intra vitam in die StirnbimbQble und den Ventrikel eingedrungen, im Anschluss 
an den nacb aussen erfolgten Durcbbruch des Stirnabscesses. A. Pick. 


6) Contribute all’anatomia patologioa del delirio aouto, studio del doti G. 

Eezzonico. (Arch. ital. per le mal. nervose. 1884. XXI. p. 346.) 

Ein 48jahr. Mann hatte im April d. J. einen leichten Erregungsanfall tiberstanden 
und erkrankte dann am 14. Mai von Neuem unter den Erscheinungen der heftigsten 
Tobsucht mit massenhaften Hallucinationen aller Sinne, mit totaler Verwirrtheit und 
lebhaftester Agitation, bis ein Collaps mit tbdtlichem Ausgang dem unaufhbrlichen 
Kasen am 25. dess. Mon. ein Ende machte. Die Section ergab bei intacten vegetativen 
Organen eine colossale Hyperamie und Oedem der Meningen, der Hirnrinde und der 
Marksubstanz bei einem Himgewicht von 1270 Gramm. Mikroskopisch liessen sich 
neben den gewfthnlichen Bildern der Hyperamie mit ampullarer Ectasie kleinster 
Gefasse und neben fettiger Degeneration der Adventitia verschieden grosse Emboli 
nachweisen, die einzig aus zusammengehauften Mikrokokken bestanden. (Tinction mit 
Gentianablau.) 

Verf. macht darauf aufmerksam, dass schon Briand 1882 dreimal unter 7 Fallen 
von Delirium acutum Bacillen im Blut gefunden babe; Voisin habe ahnliche Orga- 
nismen im Blut von Paralytikern beobachtet, doch habe er ihr Yorkommen auf eine 
Infection zurflckftlhren zu mfissen geglaubt, die von oberflachlichen Hautverletzungen 
ausgegangen sei. In dem Falle des Yerf. fehlte aber jede aussere Verletzung und 
auch die inneren Organe, die freilich nicht mikroskopisch untersucht worden waren, 
erwiesen sich als normal. Yerf. fordert dringend auf, bei etwaiger Gelegenheit das 
Blut der an Delirium acutum Leidenden genau zu untersuchen. Sommer. 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Cortical lesions of the Brain. A collection and analysis of the american 
cases of localized cerebral disease by A. Starr. (American Journal of 
the med. Science. 1884. April and July.) 

Verf. hat 99 in Amerika publicirte Falle von L&sionen der Grosshirnrinde, unter 
ihnen einige eigene Beobachtungen in sorgfaltiger Weise nach Hirnregionen zusammen- 
gestellt und von dem Standpunkte eines Anhangers der Localisationslehre stronger 
Observanz besprochen. Die einzelnen Falle sind von hflchst verschiedenem Werth, 
besonders bemerkenswerth die Folgenden. 

Fall V. Die durch die rechte Orbita in den Stirnlappen eingedrungene 4 7 / 10 Zoll 
lange und l / 2 Zoll breite Schwanzschraube einer Flinte verursachte 5 Monate lang, 
bis man sie entfemte, keinerlei Himsymptome. 

Fall XXIV. Epileptische Anfalle 4—5mal jahrlich, regelmassig durch Geruchs- 
hallucinationen eingeleitet: Erweichung des Gyrus uncinatus und seiner Umgebung. 

Fall LI. Klonische Krampfe und Parese der linksseitigen Zygomatici: „An der 
Oberflache der rechten vorderen Centralwindung in ihrem untere* Drittel ein kalkig 
degenerirter Knoten halb so dick wie die Binde, welcher durch Embolie einer kleinsten 
Arterie hervorgebracht war. 

Fall LXXII. Krampfe, dann Hyperasthesie und Parese im rechten Arm und 
vornehmlich Bein, Stauungspapillen: Gumma von den Hauten ausgehend hatte die 


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oberen Enden der gleichseitigen Central windungen comprimirt and ihre Binde 
erweicht. 

Uebrigens ist hervorzuheben, daas Starr dazu neigt, Charakterveranderungen 
mit Lasionen der Stimlappen und Sensibilitatsstorungen mit Lasionen der hinteren 
Centralwindung und ibrer parietalen Nachbarschaft in Yerbindung zu bringen. 

_ Hitzig. 

8) Mittheilungen aus der medieinisohen Abtheilung des herzogliohen 
Krankenhauses zu Braunschweig (1883) von Dr. Richard Schulz. 

(Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 35. S. 458.) 

Von den die Erkrankungen des Nervensystems betreffenden Beobachtungen dieses 
Jahresbericbts ist eine (unilaterale temporal© Hemianopsie) bereits in Nr. 20 
dieses Centralblatts besprochen worden. Es erubrigt uns noch ein Bericht fiber die 
anderen mitgetheilten Falle. 

1) Tabes dorsalis. Bei einem 38jahrigen Gartner, welcher 1874 ein Ulcus 
molle gehabt, 1879 vorfibergehende Parese des linken Beins, Eopfschmerzen und 
recbtsseitige Augenmuskellahmungen dargeboten hatte, entwickelten sich im Juli 1883 
schwere tabische Symptome: Ataxie mit Parese der Beine, aufgehobenes Muskelgeffihl, 
verschwundene Patellarreflexe, Sensibilitatsstorung an den Beinen, Blasenschwache etc. 
Der Kranke wurde mit Jodkalium (1,5 Gramm pro die), Sublimatinjectionen 
von 0,01 einen Tag um den andem und lauwarmen Soolbfidern behandelt Es trat 
eine rasche auffallende Besserung ein, so dass namentlich der Gang wieder fast 
vSllig normal wurde. Sensibilitat besser. Patellarreflexe blieben aufgeboben. 

2) Paralysis diphtheritica mit Ataxie. Anfang Juli 1883 schwere Diph- 
therie bei einem 12jahrigen Madcben. Nach 3 Wochen Gaumenl&hmung und bald 
darauf GehstGrung. Taumelnder Gahg. Parese und Ataxie der Beine. Hautsensi- 
bilitat zerstfirt, Muskelgeffibl normal. Patellarreflexe aufgehoben. Elektrische Erreg- 
barkeit quantitativ herabgesetzt, qualitativ nicht verandert. Nach Galvanisation, 
Bader, Ferrum u. dgl. in ca. 6 Wocben Heilung. Die Patellarreflexe waren aber 
noch nicht zurfickgekehrt. 

3) Fall von doppelseitiger rheumatischer Peroneusl&hmung nach ecla- 
tanter Erkaltungsursache. Nach 3 Monaten vollstandige Heilung. 

4) Neuritis plexus brachialis sin. syphilitica. Nach einer acuten Hand- 
gelenksentzfindung trat Lahmung des linken Arms und der linken Hand ein. Sensi- 
bilitftt nur wenig herabgesetzt. Nervenstamme auf Druck sebr erapfindlich. Muskeln 
etwas atrophiscb (elektrische Erregbarkeit nicht erwahnt). Da die galvanische Be- 
handlung keinen rechten Erfolg hatte und da sich am Bumpf immer undeutliche 
Roseola zeigte,so wurden, obgleich Pat. eine Infection leugnete, Sublimatinjectionen 
verordnet, welche eine rasche Heilung bewirkten. Ex juvantibus und aus dem Vor- 
handensein des Exanthems diagnosticirt S. eine syphilitische Neuritis. Die 
anfangliche Handentzfindung wird als „vasomotorische St6rung“ aufgefasst. (Die 
Diagnose scheint Ref. nicht ausser allem Zweifel zu sein. Die Neuritis k5nnte sich 
auch an die Gelenkaffection angeschlossen haben.) 

5) Myelitis dorsalis chronica bei einer 22jahrigen Arbeiterin. Rascher 
Verlauf. Typischer Sectionsbefund. 

6) Abscess des rechten Kleinhims. 24jahr. Schuhmacher. Yor 10 Jahren 
eitriger Ausfluss aus dem rechten Ohr. Dauemde SchwerhSrigkeit desselben. Rechts- 
seitige Facialislahmung. Eopfschmerzen, taumelnder Gang, Erbrechen, Pulsverlaug- 
samung. Tod im Coma. Die Section ergab in der rechten Eleinhirnhemisphare 
einen wallnussgrossen Abscess. Felsenbein konnte nicht untersucht werden; doch 
hangt der Abscess wohl zweifellos mit einer alten Caries desselben zusammeu. 
Tuberkelbacillen konnten in den Abscesseiter nicht nachgewiesen werden. 

_ w Strfimpell. 


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9) But quelques troubles nerveux consdcutifs a la variole (flausse ataxie) 

par Quinquaud. (L’Encdphale. 1884. No. 1, 33.) 

Aus8er den bekanntlich bei Variola nicht selten auftretenden Fallen von Seelen- 
stfirung (Gehfirs- und Gesichtstfiuschungen, Demenz) mit meist gfinstiger Prognose 
treten im Anschluss an Pockenerkrankung auch Anasthesien und Hyperasthesien mit 
und ohne motorische Stfirungen auf. Bemerkenswerth ist besonders ein atactischer 
Symptomencomplex, welchem cerebrals Stfirungen: Sprachstorungen, Kopfzittern, In¬ 
coordination der Glieder vorhergehen. Die Sensibilitat und die Muskelkraft war meist 
erhalten. Alle Symptome tendirten zur Heilung. Siemens. 


10) Troubles oeulaires de la seldrose en plaques par Parinaud. (Hospice 
de la Salpdtriere. Progr&s mdd. 1884. No. 32. Aofit.) 

Im Anschluss an die bekannte Arbeit yon Gnauck und Uhthoff, sowie an 
eine Reihe von Verflffentlichungen, die wir Charcot verdanken, stellt Parinaud 
in der vorliegenden Arbeit alles Wissenswerthe fiber diejenigen Augenstfirungen zu- 
sammen, die bei der disseminirten Sklerose gefunden zu werden pflegen: Dieselben 
kflnnen befallen a) die Muskeln: Es findet sich L&hmung Oder Schwache der Asso- 
ciationsbewegungen der beiden Augen; Diplopie besonders in den Anfangsstadien der 
Krankheit und haufig nach kurzem Bestehen wieder verschwindend; Nystagmus, jenes 
sehr charakteristi8che und besonders wichtige Symptom der Sklerose, welches P. direct 
auf die Schw&che der Associationsmuskeln des Auges zurfickffihrt und als „Inten- 
sionszittem" der paretischen Augenmusculatur aufzufassen geneigt ist. — Den „un- 
stfiten Blick", welchen man an Sklerotischen beobachten soli, bringt der Verf. eben- 
falls mit den Associationsstfirungen in Zusammenhang. Die geschilderten Symptome 
seien centralen Ursprungs, periphere Lfisionen der Augenmuskelnerven seien viel 
seltener, einmal sei von Charcot eine Abducenslahmung, hie und da das Auftreten 
einer Ptosis beobachtet worden. — Ferner gingen Stfirungen aus von b) der Iris: 
Ungleichheit der Pupillen, besonders in den ersten Perioden der Krankheit. In einer 
spateren Epoche herrsche Myosis vor; die Pupillenreaction auf Licht und Accommo¬ 
dation sei erhalten zum Unterschiede von der Tabes, bei welcher die Reaction auf 
Licht zu fehlen pflege. — Haufig finde man sogar eine gewisse Steigerung der be- 
treffenden Reflexerecheinungen im Vergleiche mit gesunden Augen. Die tabische 
Myosis nennt P. eine Myosis durch Lahmung, die sklerotische eine Myosis durch 
Contractur. — Was c) den Nervus opticus betrifft, so soil sich nach P.’s Er- 
fahrung die sklerotische Amblyopie, welche von Erkrankung des Nerven ausgeht, in 
drei verschiedenen Formen geltend machen. Die erste besteht in einer sich langsam 
entwickelnden Sehschwache, in Stfirungen des Farbensinns, ohne bemerkenswerthe 
Veranderungen des Augenhintergrundes, nur in vorgerfickteren Stadien werden die 
Papillen etwas blasser. Die zweite Form ist charakterisirt durch ein rapideres Ein- 
treten der Sehstfirung, die bis zur Blindheit fortschreiten kann; letztere soli aber 
gewmser Remissionen und Besserungen fahig sein; nachweisbare Verfinderungen des 
Gesichtsfeldes; sehr ausgesprochene weisse Verfarbung der Papille. — Im Gegensatz 
zu Magnan und Gnauck und in Uebereinstimmung mit Charcot behauptet P., 
dass es bei der Sclerose en plaques niemals zu definitiver Blindheit komme, was bei 
der Atroph. n. optici der Tabes so haufig der Fall sei. — In der dritten Form der 
Amblyopie, die viel seltener sei, linden sich einseitige Sehstfirungen, unregelmassige 
Gesichtefeldbeschrankung, weisse Papille, Farbensinnst5rungen seien aber nicht zu 
constatiren; in einem Falle hatte P. eine Neuritis optica sich entwickeln sehen. — 
Die beiden ersten Formen der Amblyopie seien von centralen Lasionen, die dritte 
aber wahrscheinlich immer durch einen Plaque bedingt, der seinen Sitz auf dem 
Nerven selbst habe: Autopsien hatten diese Annahme bestatigt. — Am Schluss 


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macht Parinaud auf die Bedeutung der Augensymptome als differentiell-diagnostische 
Hfilfsmittel anderen Affectionen des Centralnervensystems besonders der Tabes gegen- 
fiber aufmerksam. Laqaer. 


11) Ueber die Unheilbarkeit gewisser Buck^nmarkserkrankungen, Vortrag 
von Kabler. (Prager med. Wochenscbr. 1884. Nr. 31 ff.) 

Nach einer allgemeinen Einleitung fiber die relativ ungfinstige Prognose der 
spinalen Affectionen bespricht K. eingeliender die der Systemerkrankungen, und nacb- 
dem er die Frage: „die Heilbarkeit der Tabes" erfirtert, bericbtet er fiber Thierexperi- 
mente, deren Fragestellung so lautete: ob ein degenerirtes Fasersystem unter den 
gfinstigsten Bedingungen zur Regeneration bei entsprecbender Lebensdauer sicb 
regenerirt. Als solcbe gfinstige Bedingung mfisse die Ligatur Oder Qnetscbung 
binterer Rfickenmarkswurzeln angeseben werden; docb gelang der Versuch erst an 
8—12 Wochen alten Hunden, und zwar wurde jedesmal die hintere Wurzel des 
1. und 2. Sacralnerven und der 3—4 unteren Lendennerven in entsprecbender Ent- 
fernung des Rfickenmarkes, zuweilen mit den vordem Wurzeln zusammen, mittelst 
einer starken Pincette durcb 1 / t Min. gequetscht. Von den Folgeerscheinnngen ist 
bemerkenswerth, dass die Lahmung und Atrophie bei gleicbzeitiger Qnetschung der 
vorderen Wurzeln nacb einiger Zeit vollstandig scbwanden, das ferner aucb nach 
isolirter Quetschung der hinteren Wurzeln motoriscbe Stfirungen beobachtet warden, 
die das Merkmal der Ungeschicklicbkeit trugen. Die Anasthesie und das Feblen der 
Sehnenreflexe bestanden selbst nacb einem Jabre noch fort und bei starkem Kneifen 
der Zeben zeigten sicb nacb einigen Monaten Scbmerzausserungen; in einem Falle 
sehr lebhafte. 

Die Untersuchung ergab nun eine scbon nacb 4 Wochen beginnende Regenera¬ 
tion der central von der Quetscbungsstelle liegenden hinteren Wurzelabschnitte, die 
nacb einem Jabre eine anscheinend vollstandige war. Yon Rfickenmarken kamen 2 
(Fall I nacb balbjabriger, Fall II nacb ganzjahriger Dauer) zur Section. Fall I. 
Im Hals und Brusttbeil ausgesprocbenes Degenerationsdreieck im Hinterstrang, das 
nacb abwarts zu grosser wird; 3—4 WurzelhOben oberbalb der gequetscbten Wurzeln 
der entsprechende Hinterstrang um Vs verkleinert, das Degenerationsfeld liegt medial; 
in der Hfihe des 1. und 2. Lendennerven der Hinterstrang auf die Halfte reducirt, 
der mediale Antbeil desselben vOllig degenerirt und geschrumpft, das Hinterborn 
nicbt verkleinert, dagegen die aus dem Hinterstrang an dessen medialer Seite ein- 
strahlenden Faserzfige betrachtlich verscbmalert, welch’ letzterer Befund gegen die 
Operationssteile bis zu volligem Fehlen sicb steigert. Die Fasern der Clarke’schen 
Saule etwas weniger dicbt, als die der nicht operirten Seite. Im Operationsgebiete 
finden sicb die hochgradigen Yeranderungen aber immer auf Hinterstrang und Hinter¬ 
born beecbrankt; beide sind auf die Halfte reducirt. Das Markfasernetz im Hinter¬ 
born ist vfillig verscbwunden, an gunstigen Scbnitten liess sich nachweisen, wie die 
regenerirten markbaltigen Fasern der hinteren Wurzel an der Eintrittsstelle in das 
Mark plfitzlicb verschwinden. Fall II bot einen ahnlichen nur noch hochgradigeren 
Befund dar. 

E. schliesst aus diesen Befunden, dass eine Regeneration degenerirter Rficken- 
markssysteme nicht stattfindet, und dass klinisch constatirte Restitution auf vicarirende 
Function zu bezieben ist. 

Als naturgemasser Excurs seiner Arbeit ergiebt sicb ffir K. die Besprecbung 
der neuen Arbeiten von Pericles Vejas, Becbterew und Rosenbach; beide 
bekampft er auf Grund eigener Versucbe auf’s Scharfste. A. Pick. 


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12) Note sup les rapports de la trepidation dpileptoide du pied aveo 
l’ex&gdration des reflexes rotuliens par M. Maurice de Fleury. (Rev. 
de mdd. 1884. Aotlt p. 656.) 

Obgleich in zahlreichen Krankheitsfallen gleichzeitig eine Steigerung der Patellar- 
reflexe und ein deutliches „Fussphanomen“ beobacht wird, so kommt es nach F. 
doch keineswegs selten vor, dass ein starker Fussclonus bervorgerufen werden kann, 
wahrend der Patellarreflex gleichzeitig keineswegs erhfiht ist, ja sogar abgeschwacht 
8ein kann. In fflnf mitgetheilten Fallen (1. chronischer Rheumatismus, 2. recht- 
seitiger Unterschenkelbruch, 3. Fungus am rechten Tarsus, 4. Luxation im rechten 
Tibio-Tarsalgelenk, 5. Contusion des linken Tibio-Tarsalgelenks) zeigte sich am be- 
troffenen Fuss zeitweilig starker Dorsalclonus, wabrend der Patellarreflex normal 
war. Bei drei Typbuskranken (zwei bereits in der Reconvalescenz, einer nocb auf 
der H6he der Erankheit) konnte F. beiderseitiges Fussphanomen constatiren, wahrend 
die Patellarreflexe ganz Oder fast ganz fehlten. — Interessant ist endlich die Be- 
obachtung von F., dass man durch Hervorrufen einer ktlnstlicben localen Anamie 
des ganzen Beines mit Hulfe der Esmarch’schen Binde den Fussclonus nach wenigen 
(6—14) Minuten zum Verschwindon bringen kann. In fQnf mitgetheilten Versuchen 
(betreffend 3 Hemiplegische und 2 Kranke mit multipler Sklerose) htfrte das vorher 
sehr lebhafte Fussphanomen nach Anlegen der Binde am Oberschenkel auf, w&hrend 
dagegen die sehr lebhaften Patellarreflexe und ebenso auch der Reflex beim directen 
Beklopfen der Achillessehne unverandert blieben.. Bemerkenswerther Weise liess auch 
die bei den Hemiplegischen im Beine bestehende massig starke Contractur wahrend 
der Anamie nach. Nach Abnahmen der Binde traten die Contractur und der Fuss¬ 
clonus alsbald wieder ein. 

Yerf. lasst sich auf theoretische ErSrterungen nicht ein. Er bemerkt nur, dass 
die beiden Erscheinungen Fussphanomen und Patellarreflex, auf welche derselbe Ein- 
griff eine so verschiedene Wirkung aussert, „nicht von derselben Natur sein k(jnnten.“ 
(Ist nicht vielleicht die Compression der Nerven beim festen Umschniiren des 
Beines mit in Betracht zu ziehen und erklart sich nicht vielleicht hieraus das ver- 
scbiedene Verhalten der Sehnenreflexe im anamisch gemachten Beine? Ref.) 

StriimpelL 


13) Temporale Hemianopsie von G. A. Berry in Edinburgh. (The ophthalmic. 

Review. 1884. June.) 

Zu den 39 vom Referenten 1 zusammengestellten Fallen von temporaler Hemi¬ 
anopsie [wozu noch 3 Falle von Sch61er (Jahresb. d. Augenklinik fflr 1881 S. 40; 
Beitr&ge zur Pathol, d. Sehnerven und der Netzhaut. Berlin 1884. S. 61 u. 65). — 
2 Falle von Nieden (Arch. f. Augenheilk. XII. 30). — Ein Fall von Steinheim 
(Ctrlbl. f. Augenheilk. 1881. S. 234). — Ein Fall von Treitel (Ctrlbl. f. Augenheilk. 
1881. S. 320). — Ein Fall von Gowers (ref. Ctrlbl. f. Augenheilk. 1881. S. 465). 
— Ein Fall von Gnauck (Neurolog. Ctrlbl. 1883. Nr. 9). — Ein Fall von Ross 
(Brit. med. Journ. 1881. I. p. 852; ref. Jahrb. f. Ophthalm. XII. S. 308 mit Sections- 
befund hinzugekommen)] ffigt der Yerf. noch 2 neue Falle: 

1) Ein 28jahr. Patient kam am 28. Marz 1882 wegen einer seit Monaten be- 
stehenden Sehstflrung. Sehnerven sehr bleich, S = 20 /ioo links, 20 / 40 rechts; tem¬ 
porale Hemianopsie sum Theil unvollstandig, nach einem Jahre vollstandig. Lues. 
Am 8. Februar 1884 betrug die Sehscharfe "" V60i am 23. Marz trat vollstandige 
Blindheit ein. 

2) Eine 32jahr. Patientin kam am 22. August 1883 wegen Sehstflrung. Beider- 
seits waren die Sehnerven blass. Auf dem linken Auge bestand Amaurose; rechts 

1 Wilbrand, Ueber Hemianopsie und ihr Yerhaltniss zur topischen Diagnose der Ge- 
hirnkrankheiten. 


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war die Sehscharfe = 20 / 100 und fehlte hier die temporale Gesichtsfeldbalfte. Es 
bestand Kopfschmerz. Die Menstruation hatte seit dem 23. Jahre aufgehfirt. Kalte 
Douchen und salinische Wasser wurden empfoblen. Am 18. October Besserung. Links 
Finger auf einige Fuss, rechts stieg die Sehscharfe auf 20 / 70 . Beiderseits Hemianopsia 
temporalis. Polyurie ffir einige Monate. Am 19. April 1884 betrug die Sehscharfe 
auf dem linken Auge 20 / 100 , rechts 2<) / 60 . Wilbrand, Hamburg. 


14) Ueber Oculomotoriusl&hmung von Prof. Nothnagel. (Sitzungsber. <L k. k. 

Gesellsch. d. Aerzte in Wien. Wiener med. Pr. 1884. S. 306.) 

Der Verf. spricht fiber Falle doppelseitiger Oculomotoriuslahmung, bedingt dnrch 
ganz verschiedene Ursachen. 

Ein Fall bot das Bild einer Polioencephalitis anterior superior chronica dar y im 
anderen Falle fand sich ein Tumor im Wurme des Cerebellum, welcher auf die Cor¬ 
pora quadrigemina fibergriff, und bei dem 3. Falle bestand eine beiderseitige Er- 
weiterung der Arteria cerebri posterior, welche Druckatrophie beider Nervi oculo- 
motorii erzeugt hatte. Wilbrand, Hamburg. 


16) Fem Tilf&lde af den Thomsen’ske Sygdom (Myotonia congenita) af 

Dr. Knud Pontoppidan. (Hosp.-Tidende 1884. 3. R. n. 34.) 

Yerf. theilt 5 Ffille von Thomsen’scher Krankheit mit, von den 4 an 2 Ge- 
schwisterpaaren zur Beobachtung kamen. — Im 1, Falle war der Pat. 17 Jahre alt; 
eine seiner Schwestem, die j finger war als er, litt an derselben Krankeit, wahrend 
seine Zwillingsschwester und 3 andere Geschwister gesund waren. Sonst war die 
Krankheit bei keinem Gliede seiner Familie vorgekommen, dagegen zahlreiche Neuro- 
pathien anderer Art. Die Bewegungsstflrung war vorbanden, so lange sich der Kranke 
erinnem konnte, und trat auf, wenn er lange gesessen hatte, wenn er eine Treppe 
hinaufstieg, was er nur langsam, mit steifen Beinen und watschelnd konnte. Ausser- 
dem war er stets bei gewissen complicirten Bewegungen gehindert, namentlich bei 
der Bewegung der Arme nach hinten; wenn er den Arm lange in gezwungener 
Stellung gehalten hatte, konnte er ihn nicht wieder aus derselben bringen, auch an 
anderen Gliedern zeigte sich das Leiden, z. B. am Daumen; wenn der Orbicularis 
oculi reflectorisch dnrch Bewegung gegen das Auge hin in Contraction gebracht 
worden war, blieb die Contraction etwa l / 4 Minute, auch beim Niesen trat dasselbe 
ein, beim Kauen hatte Pat. anfangs ein strammendes Geffihl. Die Bewegungen des 
Kopfes und der Augen waren ungehindert, gymnastische Uebungen konnte Pal, wie 
er behauptete, ohne Schwierigkeit machen. Der Kranke war im AUgemeinen schwach 
gebaut, aber die Schenkelmuskeln waren hypertrophisch, namentlich die Adductoren, die 
Schenkel hatten an den dicksten Stellen 48 und 47, die Waden 34 und 33 Centi¬ 
meter Umfang, der Oberarm dagegen nur 20. Die Kniereflexe waren sehr schwach, 
dnrch Faradisation hervorgerufene Contraction der Muskeln fiberdauerten die Ein- 
wirkung des Stromes und dann blieben die Muskeln noch minutenlang in einem 
halbcontrahirten Zustand, und zwar auch die Muskeln, an denen man keine Functions- 
stbrung nachweisen konnte. Die galvanische Reizbarkeit der Muskeln war entschieden 
erhOht, auch nach Galvanisation verlor sich die Contraction erst allm&hlich. Die 
mechanische Reizbarkeit der Muskeln war nicht merklich erhfihl — Bei der 7 Jahre 
alten Schwester des 1. Kranken war die Stfirung in etwas geringerem Grade vor- 
handen, als bei dem Bruder und bemerkt worden, als das Kind zu laufen begann. Die 
Musculatur war im Ganzen kraftig, unverhaltnissmassig aber an den Beinen, nament¬ 
lich waren die Yasti extemi sehr entwickelt. Die Muskeln reagirten normal auf 
alle Arten von Reiz, die Kniereflexe waren sehr schwach. SensibilitatstOrungen waren 


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nicht vorhanden; auch sonst fand sich nichts Abnormes an dem Kinde. — Der 
3. Fall betrifft einen 24 Jahre alten Mann, dessen Yater nnd Bruder an derselben 
Krankheit litt wie er, ebenso zwei Scbwestem, die eine aber nnr andeutnngsweise, 
auch zwei Vettern sollten dieselbe Krankheit haben, sonst weiss Pat. nichts von 
Neuropathien in seiner Familie. Afficirt waren bei diesem Kranken die Muskeln 
an den Beinen, an Handen und Armen und am Gesicht. Die Beine waren herkulisch 
entwickelt, namentlich die Schenkelmuskeln, der Umfang an der dicksten Stelle des 
Yasti externi betrug 57 Centimeter, der der Unterschenkel 38, der der Unterarme 
29 und 30 Centimeter. Auch die Mm. deltoidei, sowie die Cucull. und Stemo- 
cleidom. waren hypertrophisch, aber in geringerem Grade, die Extens. dorsi und die 
Glutaei waren dagegen nicht hypertrophisch. Mittels der Harpune aus dem rechten 
Vastus ext entnommene Muskelfasern zeigten bei der mikroskopischen Untersuchung 
nichts Abnormes. Die mechanische und faradische Erregbarkeit war erhOht, namentlich 
in den Schenkelmuskeln, und die Abnahme der Contraction erfolgte nur allmahlich 
und langsam, nach wiederholter Beizung aber rascher und schliesslich eben so rasch 
wie im normalen Zustande. Die Sehnenreflexe waren schwach. — Der 4. Fall betraf 
den 23 Jahre alten Bruder des vorhergehenden Patienten; die Symptome, sowie die 
Maasse stimmten genau mit denen des Bruders fiberein, nur schien .die Stfirung in 
den Armen geringer und die Sehnenreflexe waren normal. Bei beiden Brfldern be- 
standen keine Sensibilitatsstfirungen. — Bei dem 5. Kranken, der geisteskrank war, 
bestand gegen den flbrigen schwacltfichen Habitus stark abstechende Hypertrophie 
der Muskeln an den unteren Extremitaten und StCrung der Intention gewisser Be* 
wegungen, namentlich beim Aufstehen aus dem Bett. Walter Berger. 


16) Nervose Gastroxynsis, als eine eigene, genau eharakterisirbare Form 
der nervosen Dyspepsia von Prof. M. J. Ross bach. (Deutsches Archiv 
f. klin. Med. Bd. 35. S. 383.) 

R. weist daranf hin, dass der Name der „nervfisen Dyspepsie" von Leu be 
nicht ganz zweckm&ssig gewahlt sei, da es sich, wenigstens bei dem von Leu be 
beschriebenen Symptomencomplex gar nicht urn eine wirkliche Dyspepsie, eine StGrung 
der Verdauung, handele. B. schl&gt daher ffir den in Rede stehenden Zustand, bei 
welchem die Verdauung normal vor sich geht, aber von allgemeinen nervOsen StOrungefn, 
wie Druck im Epigastrium, Aufstossen, Uebelkeit, Schlafrigkeit, Kopfechmerz, hypo- 
chondrischer Verstimmung u. dgl. begleitet ist, die Bezeichnung „digestive Reflex- 
neurose“ vor. Ausserdem wird aber der Name „nerv5se Dyspepsie" auch noch far 
verschiedene andere Symptomencomplex© gebraucht, welche alle noch einer naheren 
Erforschung bedOrfen. 

R. beschreibt ausfflhrlich einen angeblich eigenartigen und scharf charakterisir- 
baren Symptomencomplex, welchen er „nerv6se Gastroxynsis 44 (von faorrip und 
nennt. Derselbe kommt fast nur in den gebildeten Standen vor und betrifft 
namentlich solche Menschen, welche sich vieler und anhaltend geistiger Anstrengungen 
unterziehen. Die Krankheit tritt in Anfallen auf, welche sich in Wochen oder 
Monate langen Pausen folgen und 1—3 Tage dauern. Die Anfalle werden oft durch 
eine geistige Aufregung, durch Rauchen oder dgl. hervorgerufen; sie beginnen meist 
vor, seltener nach dem Essen. Die ersten Symptome sind Kopfschmerzen und ein 
hochst unangenehmes Gefflhl von „Scharfe, Aetzung im Magen“. Die Kranken sehen 
dabei blass und angegriffen aus. Zuweilen tritt Kriebeln in einer oberen Extremitat 
auf. Etwas spater stellt sich Uebelkeit und heftiges Erbrechen ein. Die erbrochenen 
Massen sind ausserordentlich sauer. Ist der Magen v6llig entleert, so h6rt das 
Kopfweh in kflrzester Zeit auf, und bald befindet sich der Kranke wieder voll- 
standig wohl. 


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Nach R. ist der Anfall so za deuten, dass durch irgend welche nervOse Einfl&sse 
eine abnorm starke Magensauresecretion angeregt wird and dass von den sensiblen 
Magennerven aus durch die einwirkende Saure verschiedene reflectorische Wirkungen 
ausgelbst werden. Der Pylorus wird geschlossen, die sauren Massen bleiben daher 
abnorm lange Zeit im Magen liegen. Dorch eine reflectorische Contraction der Gehirn- 
gefasse soil Gehimanamie mit Kopfschmerz etc. hervorgerufen werden. 

Die Therapie der Gastroxynsis, welche sich von anderen Magenkrankheiten 
leicht onterscheiden lasst and wahrscheinlich haufig nor mit Migrane verwechselt 
ist, besteht darin, dass man die Kranken beim Beginn des Anfalls 1 oder 2 Glaser 
lauwarmes Wasser oder Thee trinken lasst. Die Saure im Magen wird hierdurch 
verdflnnt und die Symptome hOren danach rasch auf. Ausserdem komroen natflrlich 
noch gewisse allgemeine Maassregeln (Yerbot geistiger Ueberanstrengnng und dgL) 
in Betracht. Strflmpell. 


Psy chiatrie. 

17) Ueber Zwangsvorstellungen von Dr. C. E. HCstermann, Boppard a. Eh. 

(Allg. Ztschr. f. Psych. 1884. S. 41.) 

Im Anschluss an mehrere einschlagige Beobachtungen, welche ausfuhrlicher ge- 
schildert werden, dringt Yerf. darauf, den Begriff „Zwangsvorstellungen“ mehr einzu- 
schranken, als gewOhnlich geschehe, und ihn eben nur auf diejenigen Falle anzuwenden, 
bei denen eine Entstehung der abnormen Vorstellungen durch irgend welche Ideen- 
association ausgeschlossen werden k6nne. Yielmehr seien unter jener Bezeichnung 
lediglich diejenigen zusammen zu fassen, welche durch innere das Gehim betreffende 
Reize hervorgerufen und bei gleichzeitiger, abgeschwachter Hemispharenenergie und 
hierdurch bedingtem Hemmungsmangel gegeniiber derartigen Erregungen unterhalten 
werden. Die ersteren, welche er als „dominirende Yorstellungen" bezeichnet und 
denen er in weiter fortgeschrittenen Fallen allerdings eine gleiche Wirkung wie den 
achten Zwangsvorstellungen und in ihrer ausseren Erscheinung eine oft frappante 
Aehnlichkeit mit diesen zugesteht, haben nebenbei nach seiner Ansicht eine bessere 
Prognose und sind auch einer geeigneten, psychischen Therapie zuganglicher als diese, 
sodass auch von praktischen Gesichtspunkten aus ein genaueres Eingehen auf die Genese 
derartiger Yorstellungen gerechtfertigt erscheine. Brtickner. 


18) Folie du doute and Mysophobia by C. L. Dana. (The Alienist and Neurolog. 

1884. p. 512.) 

Gute Beschreibung zweier neuer Beobachtungen von 1) Folie du toucher bei 
einem 28jahrigen Fraulein, und 2) Folie du doute bei einem 32jahrigen Hypochonder. 

Yerf. scheint flbrigens die „tactile Form der Grflbelsucht" auf einen prim&ren 
Pruritus oder auf ahnliche Sensationen in der Haut zurGckflihren zu wollen. 

Sommer. 

19) Sulla follia morale — un error© di diagnosi pel doti Funajoli. (Arch. 

ital. per le mal. nerv. etc. 1884. XXL p. 185—214.) 

Eine interessante und sogar mit einer charakteristischen Abbildung des Kranken 
ausgestattete Mittheilung fiber einen Fall von primarer Paranoia mit religiOsen 
und socialen Wahnvorstellungen. Der Kranke, neuropathisch belastet und massig 
begabt, zeigte seit dem 18. Jahre eine auffallende Aenderung seines ganzen Wesens 
und zog seitdem wie ein neuer Prediger in der Wftste in einem eigenthQmlichen 
Bussercostum im ganzen Lande umher. Natflrlich kam er bald mit den Behorden 


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in Conflict und wurde auch mehrmals einer Irrenanstalt zugeftlhrt. In die Beobachtung 
des Verf. kam Pat. erst im 47. Jabre mit der Diagnose: moraliscbes Irresein, deren 
Berechtignng non ausftihriich zoruckgewiesen wird. Sommer. 


20) Der alpine Cretinismus, insbesondere in Steiermark, Yortrag gebalten 
in der Osterreich. Gesellsch. f. Gesundbeitspflege in Wien am 30. April 1884 
von Dr. Jul. Kratter. 

E. definirt zuerst den alpinen Cretinismus zur Differentialdiagnose von Idiotie: 
„Der alpine Cretinismus ist eine stets mit deutlicb erkennbaren Missbildungen nament- 
licb am Scelette vergesellschaftete psycbische Entwickelungsbemmung von entscbieden 
endemiscbem Charakter.“ Das Verbaltniss zum Kropf, der sebr baufigen Begleit- 
erscbeinung, femer zum Racbitismus und zur Taubstummbeit ist eine nocb ungelSste 
Frage. — 

Die Nachricbten der Alten sind sparsam, erst Paracelsus bericbtet nach 
eigenen Beobacbtungen, die bis in die Neuzeit fortgesetzten Forschungen geben 
genauere Eenntniss von der geograpbiscben Yerbreitung auf der ganzen Erde, flberall 
tritt die Erankbeit herdweise, fast ausnabmelos gebunden an die Zuge der massigen 
Gebirgserbebungen auf. 

Die alteste Hypothese fiber Entstebung des alpinen Cretinismus scbuldigt das 
an Mineralien zu reiche Trinkwasser. an, viele balten dies nocb heute fest, docb bat 
man den Cretinismus auch der Reihe der infectidsen Erankbeiten zugetbeilt. 

Ueber die Haufigkeit des Cretinismus nacb statistiscben Grundlagen — ffir 
Oesterreich und speciell Steiermark — muss das Original eingesehen werden. 

Yon den beigegebenen Rarten giebt eine die Cretinendichtigkeit nacb Gerichts- 
bezirken, die andere die geologische Bescbaffenheit Steiermarks, dabei zeigt sich, dass 
der Cretinismus sich am meisten, dem Zuge des Urgebirges folgend, auf Gneis und 
Granitboden, selten auf Kalkboden und Tertiarformation vorkommt, so zwar, dass 
sich auf engem Gebiete die grellsten Gegensatze in Bezug auf die Dicbtigkeit ergeben. 
In hyp8ometrischer Beziehung zeigen die offenen Thaler die grdssere Dichtigkeit, und 
zwar bewegt sich der Cretinismus fast ausscbliesslicb in der Hdhengrenze von 300 
bis 1000 Meter. Gr6ssere Karten des Verf. (nicbt vervielfaltigt) zeigen, dass in 
dem dichtesten Bezirke, dem von Murau 11 Cretinen auf 1000 Einwohner kommen, 
nach Gemeinden berechnet aber steigt die Zabl in einer sogar auf 43,3 pro mille. 

Die Erforscbung genauerer Aetiologie ebenso wie die Mittel zur Abhfilfe mflssen 
weiteren Unterauchungen vorbehalten bleiben. 

Die Literatur ist in zahlreichen Anmerkungen gegeben. Zander. 


21) Bupture of the heart in the insane by Dr. A. F. Mickle. (Edinburgh 
medical Journal. 1884. February.) 

Yerf. macht darauf aufmerksam, wie scbleicbend sich gerade bei Geisteskranken 
schwere Entartungen der Herzmusculatur entwickeln und einen wie bedeutenden Grad 
sie erreichen kOnnen, ehe sie irgend welche Symptome bervorrufen. Er hat 3 Falle 
von terminalem, resp. senilem BlOdsinn, bei einem Mann von 66 resp. 70 Jabren 
und bei einer Frau von 70 Jahren, beobachtet, in denen ein durchaus unerwarteter 
Tod durcb Ruptur der fettig degenerirten Ventrikelwande eintrat. Der Riss batte 
seinen Sitz einmal im recbten und zweimal im linken Yentrikel. Zum Schluss rath 
Yerf. zur besonderen Vorsicbt in Hinsicbt auf die scbadlicben Folgezustande plOtz- 
licher oder anhaltender Muskelbewegungen berzkranker Irrer. Sommer. 


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T h e r a p i e. 

22) Glycosuria, its complications and therapeutios by Oscar de Wolf. 

(Sep.-Abdr. aus dem Journ. of the American Media Associate Chicago 1883.) 

Gleichzeitig mit der bekannten Di&t wird vom Yerf. eine medicamentOse nnd 
hygienische Behandlung sehr warm empfohlen. Von der Hypothese ausgehend, dass 
in gewissen Fallen von Diabetes Hirnanamie and in den tibrigen Hirnhyperamie wenn 
auch nur an ganz circumscripten Stellen zu pr&sumiren ist, rath er zur Anwendung 
des Opium, Morphin, Chinin, Jodoform, der Carbol- Oder Salicyls&ure resp. des Arsen, 
der Bromverbindungen oder des Ergotins; die regelmassig vorhandenen Verdauungs- 
sfcflrungen werden durch alkalinische Thermen (Karlsbader etc.) zu bekampfen sein. 
Die Hygiene verlangt eine sehr sorgfaltige Hautpflege, besonders der Praputial- 
gegend, und antiseptische Mundwasser; gegen die oft sehr l&stige Trockenheit des 
Mundes ist Pilocarpin in kleinen Dosen zu versuchen. 

Sehr energisch verlangt Yerf. von den Patienten das Vermeiden einer jeden 
ktirperlichen und psychischen Anstrengung; besonders die letztere fflrchtet er so sehr, 
dass er die Ansicht ausspricht, temporare Glycosurien, wie sie gelegentlich in der 
Graviditat, nach hysterischen oder epileptischen Anfallen beobachtet werden, kOnnten 
sich zu permanenten umgestalten, wenn der Patient psychischen Erregungen aus- 
gesetzt wird. Sommer. 


23) Unexpected recoveries. Two cases contributed by Dr. Willet. (Journ. 
of ment. science. 1884. July.) 

Von den zwei als unerwartete Heilungen betitelten F&llen ist der zweite be- 
merkenswerth durch die Besserung (Heilung?) tobsHchtiger, an Masturbation an- 
schliessender Aufregungszustande durch Exstirpation eines im Inguinalkanal incarce- 
rirten Hodens. A. Pick. 


in. Aus den Gesellsehaften. 

Bericht fiber die XVL Versammlung siidwestdeutscher Irren&nte in Karls¬ 
ruhe den 18. und 19. October 1884. 

(Geschaftsftlhrer Schtile und Kirn, anwesend 34 Mitglieder nnd Theilnehmer.) 

I. Sitzung den 18. October unter dem Yorsitze von Ftirstner. 

1) Jolly, Strassburg: Behandlung der Hysterie nach MitcheU und 
Playfair. 

Die von genannten Autoren empfohlene, auch von Binswanger, Jena, gertlhmte 
Behandlungsmethode setzt sich zusammen aus folgenden Heilfactoren: Massage, Elek- 
tricitat (unter der Form der allgemeinen Faradisation), sehr reichliche und kraftige 
Ernahrung (Ueberffttterung) und Trennung von der Familie. Jolly hat dieses Heil- 
verfahren theils in seiner Klinik, theils bei in Privatheilanstalten untergebrachten 
Kranken vielfach angewandt und ist mit dem Erfolge zufrieden. Die Patienten waren 
Hysterische, welche meist viele Jahre zu Hause erfolglos behandelt worden waren. 
Alle genannten Heilmittel mussen zusammenwirken: Massage und Faradisation be- 
fOrdem die Circulation und den Stoffumsatz; die Ueberfiitterung ftlhrt reichlich neuen 
Stoff zu und kraftigt dadurch die geschwachte Nervenfaser; die Trennung von der 
Familie entfernt psychisch schadigende Einwirkungen. Neben den somatischen Heil- 
mitteln ist die psychische Beeinflussung nnbedingt erforderlich zum Erfolge — des- 
halb durchaus Trennung von der Familie. Kesultat: Befriedigender Gemuthszustand 
und Zunahme des Korpergewichts um 10—20 Pfund. 


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Discussion: Sc hill e glaubt, dass sich ausgesprochen psychisch Gestfirte nicht 
ffir die Kur eignen. Ferner hegt er Bedenken gegen die Ueberfdtterung. 

Auch Jolly schliesst die wirklich Gestorten aus; dagegen sieht er in dyspep- 
tischen Eracheinungen koine Contraindication gegen reichliche Nahrungszufuhr. 

Sc hale spricht sich weiter gegen starke elektrische StrOme bei geschwachten 
Patienten aus. 

Wogegen Jolly und Furstner betonen, dass die Elektricitat schon lange mit 
gutem Erfolge bei den Hysterischen angewandt werde; durch dieselbe werde nicht 
geschadet; vielmehr bringen starke Einwirkungen anch gute Erfolge. 

Kirn betont die Wichtigkeit des psychischen Momentes bei der geschilderten 
Heilmethode. 

2) Freusberg, Saargemund: Ueber den neueren Entwurf des fran- 
zosisehen Irrengesetzes. 

In Deutschland bestohe kein Bedurfniss fur eine besondere Irrengesetzgebung. 
In Frankreich sei das z. Z. bestehende Irrengesetz ein Fortschritt gegen die fruheren 
Bestimmungen. Die jetzt angestrebte Reform sei eine Folge der Opposition gegen 
die angeblich nicht seltene willkurliche Detention von Nichtirren in Irrenanstalten, 
deren sich die Presse bemachtigt habe; sie wolle einen gesetzlichen Schutz gegen 
femere WillkQr errichten. Die Organe der Regierung, gesetzgebonder Korper, Senat, 
endlich die arztlichen Vereine haben hieruber lebhaft discutirt. Die angestrebten 
Neuerungen, namentlich beznglich Aufnahme und Entlassung der Kranken sind zu 
umstiindlich und zu theoretisch, als dass sie praktisch ausfuhrbar waren; z. Th. sind 
dieselben geradezu lacherlich. Nicht-Sachverstandige, namentlich Staatsanwalte, sollen 
hierbei das entscheidende Wort sprechen! Jedenfalls sind die Yerbesserungen in 
dem neuen Gesetze gegenuber dem alten nicht hoch anzuschlagen. (Die naheren Aus- 
fuhrungen des interessanten Yortrags entziehen sich einem kurzen Referate.) 

3) Stark, Illenau: Ueber den gegenwftrtigen Stand der Paraldehyd- 
Frage. 

Vortrag. schilderf zunachst die chemischen, physikalischen und physiologischen 
Yerhaltnisse des Paraldehyd. Es wirkt hauptsachlich auf die Grosshirnhemispharen, 
in zweiter Linie auf das verlangerte Mark und Rtlckenmark. Es erzeugt beim Menschen, 
in Dosen von 3—5, rasch einen tiefen und ruhigen, dem physiologischen ahn- 
lichen, Schlaf ohne Able Neben- und Nachwirkungen. Bei fortgesetztem Gebrauch 
tritt keine Kumulativwirkung, sondern ein gewisser Grad von Angewbhnung ein. 
Therapeutisch ist das Mittel deshalb ein Hypnoticum ersten Ranges, das namentlich 
wegen seiner Nichtgefahrdung der Herzaction dem Chloralhydrat vorgezogen zu werden 
verdient. Es ist indicirt bei jeder Form von Schlaflosigkeit, besonders aber bei 
Agrypnie in Folge einfacher nervOser Erregungszustande bei Neurasthenikern, Hyste¬ 
rischen und Maniakalischen, weniger sicher bei Psychosen mit Angstzustanden. Bei 
Delirium tremens, zuweilen auch bei Manie, wirkt es gleichzeitig sedativ, wahrend es 
andere Storungen in keiner nachhaltigen Weise. beeinflusst. Bei Bettnassen Zunahme 
der UnreinRchkeit. 

Manchmal genflgen schon 3 Gramm zur Wirkung, in anderen Fallen muss zu 
hdheren Gaben (bis zu 12,) angestiegen werden, besonders bei langerem Gebrauche, 
der das AUgemeinbefinden nicht beeintrachtigt. Darreichung in refracta dosi ist un- 
zuverlassig. Bei verweigemden Kranken Application im Klysma 5 auf 100 Olivenbl. 
Subcutane Injectionen sind zu widerrathen, weil schon bei Dosen von 1, leicht Collaps- 
Erscheinungen eintreten ohne nennenswerthen beruhigenden Effect. Vermeidung un- 
reiner Praparate, welche leicht Congestionen und Yerdauungsstorungen erzeugen. 

In Illenau wurde Paraldehyd binnen Jahresfrist in 75 Fallen angewandt, in 
58 (77,4 °/ 0 ) mit vollem, in 11 (14,5%) mit halbem und in 6 (8%) un * 
genugendem Erfolge; es erwies sich am wenigsten wirksam bei Depressionszustanden. 


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Discussion: Ftlrstner erzielte auch gute Erfolge, nur sei wegen tier An- 
gewdbnung allm&hliche Steigerung der Dose nOthig. 

Jolly rfihmt das Mittel namentlich bei Maniakalischon; er bevorzugt es vor 
dem Chloralhydrat, weil bis jetzt noch keine schadliche Wirkungen durch dasselbe 
beobachtet worden seien. 

Stark, Stephansfeld, beobacbtete nach Paraldehyd-Gebrauch das Aufhbren der 
Stimme bei einem Verrfickten. 

4) Wildermutb, Stetten: Einige Wahmehmungen fiber Sprachstorung 
bei Idioten. 

Das Studium der SpracbstOrungen bei Idioten ist scbwierig, weil bei demselben 
sebr complicirte Verbal tnisse berucksichtigt werden mussen. Man tbeilt die Sprach- 
sWmngen .der Idioten am besten in die beiden Gruppen der Dyspbrasien und Lalo- 
patbien ein, deren erste den directen Ausdruck der intellectuellen StOrung darstellt, 
deren zweite die Falle enthalt, in welcben die Sprachstoning eine Complication des 
Idiotismus bildet. 

Im Sinne der ersten Gruppe sind sammtliche Idioten spracblich gestort, yon 
den ganzlich spracblosen BlOdsinnigen an bis zu den bildungsf&bigen Schwachsinnigen. 
Hier treffen wir viele Falle, in welcben die Stufe, auf welcber die Spracbe (der vor- 
zfiglicbe Ausdruck des geistigen Lebens) steben geblieben ist, den einzelnen Etappen 
der psychischen Entwickelung des Kindes entspricbt; wir sprecben dann von sprach- 
licber Hemmungsbildung. Auf der untersten Stufe gleicbt der Kranke einem 
Kinde in den ersten Lebenswochen, bei etwas weiterer Entwickelung (articulirte Laute 
und einsilbige Worte) einem V/ 2 —2jabrigen Kinde; bei der nacbst hdberen Stufe 
ist die Laut- und Wort-Bildung gut und ziemlicb reicbhaltig, die Satzbildung stebt 
aber nocb auf der niedersten Stufe u. s. f. 

Yon weiteren Anomalien ist zu erwabnen die falscbe Betonung, wodurcb 
die Spracbe bizarr klingt, den Accent des Ausl&nders annimmt. Der gestdrte Ab- 
lauf der Yorstellungen findet am baufigsten semen Ausdruck in der ztigernden 
und verlangsamten Spracbe; seltener ist rascbes dberstdrztes'Sprecben, mit bestan- 
digem Abspringen auf neue Tbemata — vorzugsweise bei Mikrocephalen. 

Die zweite Gruppe der Spracbstorungen, welcbe eine Complication des Idio¬ 
tismus darstellt, bietet vorwiegend Dyspbasien und Dysartbrien. Den Uebergang zur 
ersten Gruppe bildet die Stoning der Lautbildung, das St am mein. Mogilalien der 
yerscbiedensten Form, meist motoriscben Cbarakters, finden sich bei der Halfte der 
Scbwacbsinnigen. 

Interessanter sind die Stftrungen der Articulation bei der Bildung von 
Sylben und Worten; entweder tritt bier scbon bei der Bildung einzelner Laute 
bocbgradiges Stammeln ein, wodurcb die Wortbildung ganz erbeblicb gestflrt wird, 
oder aber die Bildung von Lauten, meist aucb von Sylben zeigt keine erbeblicbe 
Stdrung, diese tritt erst ein beim Sprechen im Zusammenbang, es entstebt das ver- 
scbwommene Sprechen — eine fast typische Stdrung bei mittleren Graden des 
Scbwacbsinns, charakterisirt durch nacblassige Ausspracbe der Consonanten und Ab- 
werfen einzelner Sylben. Mflglicher Weise kann in solcben Fallen die Spracbstdrung 
die Ursacbe der geistigen Entwickelungsbemmung gewesen sein. Bei dieser Gruppe 
vermag die Anstaltserziebung die scbdnsten Erfolge zu erzielen. 

Sylbenstolpern findet man in reiner Form nur selten bei Idioten. 

Eine Spracbstdrung ahnlich der der Paralytiker, charakterisirt durch ein 
Gemisch von Stammeln und Sylbenstolpern zeigt eine Gruppe von Epileptikern mit 
schweren Anfallen und rascher VerblSdung, welche gleichzeitig an Coordinations- 
stOrungen, namentlich der unteren Extremitaten, leiden. 

Ausser den gescbilderten haufigen Storungen beobacbtete Vortrag. nocb je einen 
Fall motorischer und sensoriscber Apbasie. 


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Discussion: Jolly wundert sich, dass Yortrag. so selten aphasische Stflrungen 
beobachtet babe. 

Fttrstner fragt, ob die bereits vorbandene Spracbe durch Cerebralleiden nicht 
after wieder verloren gebe? (ja), weiter, welcbe anatomiscbe Yer&nderungen sich ge- 
funden batten? 

Wildermuth — in einem Falle meningitische Zustande und Atrophie der Win- 
dungen, namentlich der rechten oberen Schlafenwindung, im zweiten — starker Hydro¬ 
cephalus intemus, beiderseitige starke Atrophie der oberen Schl&fenwindung. 

Stark (Stepb.) bat viele Idiotenhime untersucbt; er fand bei Sprachmangel 
moist kbine Iuselveranderungen, dagegen in einem Fall obne Spracbstdrung eine 
mangelbaft entwickelte Insel. 

EL Sitzung den 19. October unter dem Yorsitz yon Schale. 

5) Rieger, WQrzburg: XJeber die gef&hrliehen Epileptiker. 

Vortrag. lenkt, unter Hinweis auf die Yorscbl&ge yon Jolly, Lunier, Pel- 
man u. A. betreffis der Epileptikerversorgung, die Aufmerksamkeit auf die bekannte 
Kategorie der gef&hrlichen Epileptiker. Die Mr die Yersorgung scbwierigsten sind 
die zeitweise ganz rubigen und geordneten Epileptiker, deren Krankheit sich in immer 
wiederkebrenden Anf&llen von yer&ndertem, gewaltth&tigem, yerbrecberiscbem Wesen 
— oft obne Krampfanfalle — aussert. In den gew5hnlichen Irrenanstalten werden 
solche Individuen entweder grunds&tzlich gar nicbt aufgenommen, oder man sucbt 
sich ihrer erfahrungsgemass immer wieder m5glichst rascb zu entledigen. In die 
Epileptiker-Anstalten (wie eine in Wbrzburg seit Langem besteht) passen sie aucb 
nicbt als stbrende Elements, die in ihren guten Zeiten zu gut, in ihren scblecbten 
zu scblecbt Mr die Umgebung sind. Der Staat bat die Pflicbt, Menscben, die ver- 
mdge ihrer abnormen Natur yon Zeit zu Zeit immer wieder gemeingefahrlich werden 
massen, dauernd unschadlich zu macben, indem er Arbeitskolonien Mr sie grfindet, 
wo sie zwar gezwungen sind, sich aufzuhalten, aber nicbt mit eigentlicben Geistes- 
kranken zusammenleben massen und in ihren guten Zeiten der grQssten Freibeit 
geniessen — w&hrend die Moglicbkeit gegeben ist, sie jederzeit bei beginnendem 
Anfallssturm, obne Aufseben und obne Ruhestdrung zu intemiren. 

Discussion: Jolly und F&rstner balten im Allgemeinen die bestebende Fflr- 
sorge fbr die Epileptiker Mr genbgend. 

Kirn: In Baden sei durch Unterkunft der rubigen Epileptiker in den Kreis- 
pflegeanstalten und der gesttirten und unrubigen in einer der Irrenanstalten hin- 
langlicb gesorgt. 

Wildermuth: Die Rubigen bedarfen nur einer einfachen Pflege, die Unrubigen 
einer Irrenanstalt. 

Waltber will keine besondere Anstalten far Epileptiker, wobl aber Isolirb&user 
Mr dieselben in den Irrenanstalten. 

Rieger spricbt besonderen Anstalten far Epileptiker das Wort. 

Schaie rahmt die in yielen Punkten nachabmenswertbe Epileptiker-Anstalt zu 
Bielefeld. Die Privatwohlthatigkeit m5ge weiter derartige Asyle grdnden! 

6) Witkowski, H5rdt i. Els.: Ueber einige Ersoheizmngen epileptisoher 
und oomatdser Zustftnde. (Ygl. oben die 2. Originalmittbeilung). 

Discussion: Stark (St.). Intervallare Symptome fehlen nur bei den geistes- 
gesunden Epileptikem, nicbt bei den geisteskranken; aber aucb bei ersteren wird 
b&ufig Reizbarkeit beobachtet. 

Kirn tritt far das Andauem der Erregbarkeit und geistigen Abschwacbung 
w&brend des Intervalls, Mr den sogenannten psycbisch-epileptiscben Charakter vieler 
Kranken ein. 


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Rieger: Es giebt Epileptiker mit und solche obne intervallare Erscheinungen. 

Witkowski halt auf Grand seiner Beobachtungen an den freien Intervallen fest 

Freusberg: Die Reizbarkeit der Epileptiker ist nicht habituell. Eine photo- 
graphische Gleichheit der Anfalle besteht nicht. 

Wildermuth aussert sich gleichfalls gegen die photographische Gleichheit, 
dagegen fCkr das Yorkommen der Aequivalente. 

Witkowski: Wirkliche Aequivalente existiren nicht, mindestens sind dieselben 
sehr unwahrscheinlich. 

Stark pflichtet dieser Anschauung bei; schwache Anfalle warden leicht iibersehen. 

Rieger hat bei Epileptikem Chorea bei erhaltenem Bewusstsein beobachtet, 
ferner enorme Steigerung der Sehnenreflexe. 

7) S chill e, Illenau: Demonstration des Situationsplanes der projectirten 
Anstalt bei Emmendingen. 

Iliese nach ihrer Yollendung fdr 1000 Kranke bestimmte Anstalt, mit einem 
Areal von 200 badischen Morgen, soil wesentlich den Charakter einer landwirthachaft- 
lichen Pflegeanstalt erhalten. Kirn. 


IV. Personalien. 

Zum 1. April a. f. legt Herr Professor Hitzig seine Stelle als Director der 
Irrenanstalt Nietlebon nieder. Zur Beschaffuhg des Materials ftir den psychiatrischen 
Unterricht an der Univorsitat Halle wird nun, wie wir horen, vorerst eine provi- 
sorische psychiatrische Klinik mit etwa 40 Betten eingerichtet werden, deren Leitung 
Herr Prof. Hitzig abemimmt. Es ist das schnelle Vorgehen in dieser Richtung 
vor Allem den Bemuhungen des Herrn Golieimratk Althoff zu danken, und d&rfen 
wir bei seinem Wohlwollen wie bei seinem klaren Blick ftir die Bedurfnisse des 
psychiatrischen Unterrichts die Hoffnung hegen, dass auch an den iibrigen preussischen 
Universitaten psychiatrische Kliniken, soweit sio noch nicht vorhanden sind, errichtet 
werden. Dass die Verbindung des Directoriums einer grossen Irrenanstalt mit der 
Leitung einer psychiatrischen Klinik und wissenschaftlichen Arbeit eine hoclist un- 
gluckiiclie ist und ftir den einen oder anderen Theil der Aufgaben schadigend wirkeu 
muss, war a priori klar und ist durch die Erfahrung sattsam bestatigt worden. 

M. 


Am 17. October starb nach langer, schworer Krankheit zu Merseburg Prof. Dr. 
Brenner. Seine Arboiten uber den galvanischen Strom und dessen therapeutische 
Anwendung zeichneten sich, wie Erb treffend in seiner Elektrotherapie sagt, ebenso 
durch Treue und Zuverlassigkeit der Beobachtnng, wie durch die Scharfe und Pra- 
cision der daraus gezogenen Schlussfolgerungen und durch die Wichtigkeit ihrer Ver- 
werthung ftir die Praxis aus. Aus seinen „Untersuchungen und Beobachtungen auf 
dem Gebiete der Elektrotherapie" (2 Bde. Leipzig 1868—69) soli besonders noch 
hervorgehoben werden, dass Brenner es war, der die galvanische Reaction des 
Nervus acusticus feststellte und die Anwendung des elektrischen Stroms bei gewissen 
Krankheiten des HOrapparats begrundete. 

Sein Andenken ist mit der Gescliichto der wissenschaftlichen Elektrotherapie 
eng verknftpft. M. 

Um Einsendung von Separatabdriicken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen fiir die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 

Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Drnck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


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NeurologischesCentralblah. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologic, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Dritter ” B * rUn - Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jabrganges 15 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlongen des In- and Aaslandes, die Postanstalten des Dentschen Raichs, sowie 
direct von der Yerlagsbuchhandlung. 


1884. 1. December. Na 23. 


Inhalt I. Orlglnalmittbeilungen. Hereditary Mnskelatrophie and Pseadohypertrophie 
der Maskeln von Schultze. 

II. Referate. Anatomie. 1. Nouvelles recherche® sar la structure du cerveau et 
l’agencement des fibres blanches cdrebrales par Luys. — Ezperimentelle Physiologic. 
2. Ueber den Ursprung der pupillendilatirenden Nerven von BrDnhagen und Cohn. 3. Der 
Einflus8 des Zuckerstichs auf die Temperaturen des K5rperinnern und insbesondere der 
Leber von Aronsohn. — Patbologische Anatomie. 4. Case di microcef&lia eon atrofia 
di molte circonvoluzioni. Oommunicazioni del Frlgerlo. 5. Ueber ein eigenthfimliches 
Verhalten der Nebennieren bei Hemicephalen von Lomor. — Pathologie aes N'erven- 
systems. 6. Zwei Falle von Hirnabscessen, mitgetheilt von Bottelhelm und Eiselsberg. 
7. Ein Fall von Kleinhimtumor Yon Rybalkin. 8 . Case of cerebellar haemorrhage. Abnor¬ 
malities of cerebral arteries by Shaw. 9. Beitrag zur Diagnostik der Lage und Beschaffen- 
heit von Krankheitsherden der Medulla oblongata von MOser. 10. Des erises de courbature 
musculaire au debut de l'ataxie locomotrice progressive par Pitres. 11. Des crises clitori- 
diennes au ddbut ou dans le cours de l’ataxie locomotrice progressive nar Pitres. 12. Ueber 
eine eigenthumliche progressive atrophische Paralyse bei raehreren Einaern derselben FamiUe 
von Schultze. 13. Ein Fall von Tetanus neonatorum mit abnorm niedriger Temperatur von 
28tagiger Dauer und mit Ausgang in Qenesung ven Hryntschak. 14. Ein Erklarungsversuch der 
verschiedenartigen Tempera turverhaltnisse bei der tuberkulbsen Basilarmeningitis von Loeb. — 
Psychiatric. 15. Ueber subnormale Temperaturen der Paralytiker von Hltzlg. 16. Zur Casuistik 
der niedrigsten subnormalen K&rpertemperaturen beim Menschen nebst einigen Bemerkungen 
fiber Warmeregulirung von Reinhard. 17. Contribution a l*4tude de Tindgalitd de poids des 
hemispheres edrdbraux dans la folie nevrosique et la demence paralytiaue par de Montyel. 
18. Ricerche sulla Auatomia patologica della Paralisi progressiva a contribute delle localizza- 
zioni cerebrali del Tamburlnl e Rlva. 19. Zur Kenntniss der Dementia paralytica von Elck- 
holt. — Therapie. 20. Ueber eine neue Methode der Lagerung Qelahmter und Unreinlicher 
von Sander. — Forensische Psycbiatrie. 21. Eintneilung der Verbrecher in 4 Typen 
von Badlk. 22. Simulation of insanity b^ a criminal lunatic by Bluthardt. 23. SchwereVer- 
letzung der Mutter und Frau, wahrscheinlich in transitorischer Geistesstfirung a potu, mit¬ 
getheilt von v. Krafft-Eblng. 

III. Aus den Gesellschaften. — IV. Personallen. — V. Vermlschtes. 


I. Origtnalmittheilungen. 

Hereditare Mnskelatrophie und Pseudohypertrophie der 

Mnskeln. 

Yon Prof. Schultze in Heidelberg. 

Zwar gehdrt die Mittheilung neuer Falle von primaren Myopathien, wie 
die Pseudohypertrophie der Muskeln und ihr analoger Falle von heredifcarer 


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Atrophie, eigentlich gar nicht in ein neurologisches Centralblatt, eondern 
eher in ein myologisches; aber es warden diese Affectionen so gewohnlich im 
Anschluss an die neuropathischen Muskelatrophien abgehandelt, dass es wohl 
kein Unrecht ist, auch an dieser Stelle einen weiteren kleinen Beitrag zn der 
in Bede stehenden Affection zn geben. 

Durch die Gute des Hm. Hofraths v. Dusch hierselbst wurde ich auf eine 
Famibe in der Nahe von Heidelberg aufmerksam gemacht, in welcher mebrere 
Falle von Muskelatrophie vorgekommen sind. Es handelt sich urn eine Bauern- 
familie N. in W., in der im Ganzen bisber 4 Falle dieser gleich genaner an 
beschreibenden Erkrankung beobachtet wurden. 

Der Grossvater mutterlicherseits and die Grossmutter mutterlicherseits der 
von mir antersnchten Bruder waren Gesohwisterkinder, litten aber an keinerlei 
chronischen Nerren- oder Mnskelkrankheiten. Yon den Kindem dieses Ehepaars 
hatte ein Sohn Muskelatrophie; eine Tochter, welche sich an einen gesunden, 
zur Zeit noch lebenden und aus gesunder Famibe stammenden Mann Terheirathete, 
gebar im Ganzen 5 Sohne, Ton denen 3 progressire Muskelatrophie be- 
kamen. Der eine daron ist schon seit langerer Zeit im 36. Lebensjahre gestorben, 
ebenso sein Mutterbruder, welcher an derselben Erankheit gebtten hat, und nur 
den 34jahrigen E. und den 24jahrigen A. konnte ich einer Untersuchung unter- 
werfen, die leider nicht nach alien Richtungen hin Tollstandig gemacht werden 
konnte. 

Bei dem 34jahrigen alteren Eranken war die Affection weniger weit 
Torgeschritten als bei dem jungeren. Yon kleiner Statur, geht er in der charak- 
teristischen Weise deijenigen, welche an Pseudohypertrophie der Muskeln leiden, 
breitbeinig, watschelnd, langsam. Er Termag sich nicht abein aufzusetzen. 

An den Unterextremitaten sind besonders die Quadricipites femoris sehr 
dunn, ohne Sehnenreflexe Ton ihrer Sehne aus; die Gastrocnemii dagegen sand 
stattlich entwickelt und stechen dadurch in markanter Weise Ton der Ober- 
schenkelmusculatur ab; an den Muse, peronei nichts Abnormes siohtbar; die 
Fuss- und Zehenbewegungen Ton normaler Ausgiebigkeit und Ton anscheinend 
normaler Kraft, wahrend die Extensoren des Obersohenkels abnorm schwach sind. 

Die Sacrolumbales und die Buckenmuskeln uberhaupt atrophisch und 
sehr schwach. Erhebbch an Yolumen reducirt sind dann ferner die beiden 
Serrati ant. major; der linke ist Tobig unbrauchbar, wahrend rechts nodi 
eine Hebung des Armes uber die Horizontale moghch ist Yom Cucullaris 
fehlen die unteren Partien beiderseits, die mittleren links, die oberen sind auf 
beiden Seiten und die mittlere rechts erhalten. Die Rhomboidei, die Pecto- 
rales majores fehlen beiderseits. Dagegen sind die Muse, deltoides, triceps, 
biceps, die supinatores longi, ebenso wie die Muskeln der Yorderarme und 
Hande intact; die Hals- und Nackenmuskeln frei. 

Nirgends fibrillare Zuckungen, keine Schmerzen, keine Sensibilitatsstorungen. 
Intelligenz normal 

Bei dem 24jahrigen jungeren Bruder war die Affection Tiel hochgradiger. 
Er ist Tollstandig unrermogend zu gehen und zu stehen; ausser hock- 


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gradiger Atrophie und Schwache der Extensores cruris, der Waden 
und der Peroueusmusculatur ist eine Goutractur der Beugemuskeln an der 
Hinterseite des Oberschenkels vorhanden, so dass die Unterschenkel aus ihrer 
constanten spitzwinkeligen Beugestellung gegen die Oberschenkel auoh mit An- 
wendung grosser Kraft nur wenig herausgebracht werden konnen, wozu freilich 
auch die Difformitat und abnorme Steifigkeit der Kniegelenke wesentlicb beitragt. 
Beiderseits ist Pes equinovarus mittleren Grades zu constatiren, ohne dass aber 
die Contractionsfahigkeit der Peronei aufgehoben ist; die Zehenbewegungen finden 
in normaler Ausgiebigkeit statt Die Waden sind nach der Aussage des Kranken 
und seiner Umgebung niemals hypertrophisch gewesen. 

Am Bumpf und an den Oberertremitaten findet sioh Schwund beider 
Serrati ant. maj., beider Cucullares bis auf die obersten Bfindel, der La- 
tissimi, Pectoral, major, et min., der deltoid., biceps, triceps und supinator 
long. Auch die Supra- und Infraspinati sind ebenso wie die langen Bficken- 
muskeln atrophiscb. Die Yorderarmmuskeln ausser dem Supinator longus und 
die Handmusculatur sind intact. — Die untere Thoraxpartie zeigt in aus- 
gepragter Weise die EBSTBm’sche Trichterbrusk 

Fibrillare Zuckungen, Schmerz, Parasthesien ebensowenig, wie bei dem Bruder. 

Patellarreflexe fehlen; Blase, Mastdarm, Gehimnerven, Intelligenz normal 

Die Krankheit begann bei beiden Kranken mit dem 8. Lebensjahre und 
markirte sich im Anfang beim Laufen, so dass otters ein formliches Zusammen- 
knicken eintrat. Am starksten war zuerst das Treppensteigen erschwert; spater 
auch das Gehen auf flachem Boden. Die Zunahme des Leidens geschah ganz 
allmahlich und langsam; erst spater wurden auch die Arme schwacher. 

Weim auch leider die Untersuchung besonders wegen des fehlenden elek- 
trischen Befundes unvollstandig bleiben musste, so geht doch aus dem Mit- 
getheilten klar hervor, dass es sich erstens um eine hereditare, familiars Muskel- 
atrophie handelt und dass zweitens diejenige Localisation vorliegt, welche sich 
bei der Pseudohypertrophie, bei der hereditaren Muskelatrophie und der Ebb’- 
schen juvenilen Form gewohnlich vorfindet. Nervose Symptome und die gewohnlich 
bei der spinalen resp. neurotischen Form vorliegende Localisation der progressiven 
Muskelatrophie fehlen. 

Wahrend bei dem alteren Bruder das gewohnliche Bild der Pseudohyper¬ 
trophie vorliegt, nur dass allerdings zur Zeit noch die Beugergruppe am Ober- 
arme nicht mit erkrankt ist, und ebenso z. B. vom Cucullaris noch mehr er- 
halten ist, als in den vorgeschrittenen Fallen, zeigt sich bei dem jungeren 
Bruder, bei welchem das Leiden trotz der grdsseren Jugend weiter vorgeschritten 
ist, eine einfache ausgebreitete Muskelatrophie. (Die beschriebenen Gontrac- 
turen sind auch sonst sowohl bei der einen wie der anderen Form dieser Dystro- 
phien in seltenen Fallen gesehen worden.) Es schliesst sich mithin diese Be- 
obachtung eng an die von Friedbeich in seinem bekannten Buche fiber Muskel¬ 
atrophie erwahnten Mittheilungen von Russel an, welcher ebenfalls in ein und 
deiselben Familie den einen Bruder an der einen, die beiden andem an der 
andem Affection erkrankt fand. 


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Wenn nun auch Friedreich bekanntlicb alle Formen von progressiver 
Muskelatrophie, auch diejenigen, welche sich mit Bulbarparalyse compliciren, 
fur ein und diesel be Krankheitsform halt, was sich unzweifelhaft nicht aufrechfc 
erhalten lasst, so hat er doch darin vollkommen recht, derartige Erkrankungs- 
formen, wie sie oben geschildert wurden, zumal wenn sie hereditar sind, mit 
der Pseudohypertrophie in die nachste Beziehung zu bringen, sie zu identificiren, 
in welcher Beziehung sich ihm Err in seiner neuesten Publication uber diesen 
Gegenstand vollkommen anschliesst. Gegenuber den grossen durchgreifenden 
Unterschieden, welche nach dem klinischen und anatomischen Verhalten die 
primar neurotischen Formen der progressiven Muskelatrophie von den primaren 
Muskelerkrankungen wie die Pseudohypertrophie, 1 und die analogen Formen der 
Muskelatrophie hereditarer und nicht hereditarer Natur trennen, verschwinden 
die kleinen Unterschiede, welche in dem Vorhandensein oder Fehlen der Lipom¬ 
atosis einzelner Muskeln und dem in Folge dessen nicht ganz identischen ana¬ 
tomischen Muskelbefund zu Tage treten. 

Zwar meint Zimmerlin in seinen jungst erschienenen interessanten Mit- 
theilungen uber die hereditare progressive Muskelatrophie, dass man zwischen 
den einzelnen Formen dieser Krankheit einen Unterschied machen musse. Er 
will geradezu eine besondere LEYDEN-MoEBius’sche Form abscheiden, bei welcher 
zuerst die Unterextremitaten erkranken, die Affection im kindlichen Alter ein- 
tritt, beim mannlichen Geschlechte vorwiegt, wahrend in einer seiner eigenen 
familiaren Gruppen die oberen Extremitaten befallen waren, das weibliche 
Geschlecht vorzugsweise betroffen wurde und das Leiden erst nach der Pubertats- 
zeit begonnen hat. • 

Wenn man aber bedenkt, dass in ein und derselben familiaren Gruppe, 
wie z. B. in der oben beschriebenen, das eine Mai die Lipomatosis luxurians 
fehlt, das andere Mai nicht, wenn femer besonders in den BARSiCKow’schen 
Fallen in ein und derselben Familie das eine Mai gleichzeitig Arm- und Bein- 
muskeln, das andere Mai zuerst die Armmuskeln und dann die Beine und 
drittens im Anfange die Unterextremitaten und spater die Arme ergriffen wurden, 
so kann man lediglich wegen der von Zimmerlin angefuhrten Unterscheidungs- 
merkmale unmoglich einen besonderen Typus aufetellen, man musste sonst fast 
ebenso viele Typen unterscheiden, als Familiengruppen bisher von den verschie- 
denen Autoren beschrieben worden sind. 

Ich stimme hierin ebenso wie in Bezug auf den ZiMMERLiN’schen Befund 
der Entartungsreaction in einem vereinzelten Muskel und in Bezug auf seine 
Angabe uber die fibrillaren Zuckungen in einem Falle vollstandig den dies- 
beziiglichen Ausfuhrungen Erb’s bei, 2 und kann in meinem eigenen oben mitr 
getheilten Falle nur eine weitere Bestatigung seiner diesbezuglichen Ausfuhrungen 
sehen. Niemand wird die Krankheit bei den beiden Brudem als wesentUch 


1 Vgl. Virchow's Archiv, Bd. 90: „BemerknDgen iiber die Pseudohypertrophie der Mus- 
keln M von Schultzs. 

8 Archiv fhr klinische Medicin, 1884: „Ueber die juvenile Form der progressiven Muskel- 
atrophie**, Nachtrag. 


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differente ansehen und etwa glauben konnen, dass in dem einen Falle eine 
primare Nervenerkrankung und in dem andern eine primare Myopathie vorlag. 
Da aber fur die Pseudohypertrophie nach meiner Auffassung in zweifelloser 
Weise festgestellt ist, dass es sich urn keine Nervenkrankheit bandelt, so ist 
aucb die hereditare Muskelatropbie eine primare Muskelatrophie. 

Wenn Moebius in seinem neuesten Keferate fiber unseren Gegenstand in 
den ScHMtDT’schen Jahrbuchem dem gegenfiber noch immer an der Meinung 
festhalt, dass es sich bei der Pseudohypertrophie und den klinisch gleichartigen 
Formen von Muskelatrophie urn Nervenerkrankungen handelt, weil haufig eine 
sogenannte „Transformation“ anderer Nervenerkrankungen in der Ascendenz be- 
lasteter Familien in die Atropbien stattfinde, so vermag diese mehr philosophische 
Beweisfuhrung, meiner Meinung nach, nicht die Thatsache aus dem Wege zu 
raumen, dass eine wesentbcbe Yeranderung der zugeh5rigen Nervenbahnen von 
einer nachgerade ziemlich grossen Anzahl von Autoren bei der vorliegenden 
Krankheit nicht gefunden wurde und dass keineswegs immer Nervenerkrankungen 
in der Ascendenz sich nachweisen liessen, welche bei den von Pseudohypertrophie 
oder allgemeiner Muskelatrophie hefallenen Nachkommen in diese Erkrankungen 
hatten transformirt werden konnen. 

Woher die Krankheit entsteht, ist eben noch vollig unklar. Daraus, dass 
sie vererbbar ist, folgt noch nicht, dass sie hei dem ersten Trager derselben in 
einer Familie schon durch die Yorfahren desselben ebenfalls im Keime fiber- 
tragen wurde, und umgekehrt kann man, falls die Erkrankung nur bei einem 
Einzelindividuum erscheint, niemals wissen, ob sie nicht eventuell doch vererb¬ 
bar sein wfirde, falls eben eine Familie begrfindet wfirde. Irgend eine der be- 
kannten Schadlichkeiten, etwa Alcohol oder Syphilis, kann jedenfalls hisher zur 
Erklarung der Entstehung der Krankheit oder auch nur der Disposition dazu 
nicht herbeigezogen werden. 

Nachtragliche Bemerkung. Aus den mir von Herm Hofrath v. Dusoh 
freundlichst fiberlassenen Notizen fiber den Zustand des jfingeren Kranken im 
Jahre 1869 ersehe ich nach Absendung der obigen Mittheilung, dass zu dieser 
Zeit sich dennoch durch genaue, an gesunden gleiohaltrigen Knaben controlirte 
Messungen ein abnorm starkes Yolumen der Wadenmuskeln bei demselben fest- 
stellen liess. Die Pseudohypertrophie war also bei diesem Kranken vorfiber- 
gehend vorhanden; um so weniger ist mithin au der klinischen Gleichwerthigkeit 
beider geschilderter Krankheitsformen zu zweifeln, und um so weniger kann das 
Yorhandensein oder Fehlen ernes so veranderlichen Symptomes wie einer der- 
artigen Pseudohypertrophie auch in anderen Fallen als ein entscheidendes 
Trennungsmerkmal benutzt werden. 


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II. Refer ate. 

Anatomie. 

1) Nouvelles recherohes sur la structure du cerveau et Pagenoement des 
fibres blanches cdrdbrales par J. Luys. (L’Encephale. 1884. No. 5.) 

L. bat wegen der vielen Fehlerquellen bei der Untersuchung des Yerlaufes der 
Nervenfasern, wenn man vom verlangerteu Mark aufwarts ihnen bis in die Einde 
folgt, berrdhrend von der Scbwierigkeit, die Identitat der Faserbfindel festzustellen, nun 
umgekehrt die Fasern von dem Rindenursprung bis in ihre Centralganglien verfolgt, also 
von oben nach unten. Danach erhielt er 3 Gruppen von Fasern. 1) Verbindungsfasern 
zwiscben jedem Himlappen mit der homologen Stelle der andern Hemisphere. 2) Fasern, 
von der Rinde nacb dem Thalamus verlaufend — Rindenopticusfasern. 3) Fasern, von 
der Rinde nach dem Corp. striatum und den Ganglien der Suboptico-Bezirke verlaufend. 

Die Verbindungsfasern verlaufen im Bogen in der Form eines U, jeder U-Schenkel 
endet in der Rinde jeder Hemisphare, indem sich aber alle diese Fasern in ihrem 
centralen Theil auf der Mitte des U neben und untereinander zusammenreihen, bildet 
sich das Corpus callosum. In den unteren Theilen des Gehirns stellen die Com- 
missurenfasem ein umgekehrtes U dar. 

Die Rindenopticusfasern entspringen zwischen den vorigen in der Rinde, verlaufen 
neben ihnen nach dem Bezirk des Thalamus und Corp. striat. zu bis an die Grenze 
der Seitenventrikel, urn sich dann aber radienartig rings urn den Thalamus der 
correspondirenden Seite in diesen einzusenken. Sie bilden theils den Stabkranz, theils 
die innere Kapsel, das Corp. striatum zertheilend, theils bilden sie jenes Bfindel, 
welches von den hinteren Windungen kommend, der ausseren Seitenwand des Seiten- 
ventrikels folgt, und sich in die hinteren Partien des Thalamus einpflanzt (KSlliker). 
Diese hinteren Fasern sind aber nicht eine hintere Fortsetzung der Nn. opt, diese 
gehen in die Corp. genic, uber. 

Auch die Rinden-Corp.-striat.-Fasern entspringen von der Rinde, laufen neben 
den vorigen, bis sie im Niveau des Thai, sich trenuen, urn dann radienartig sich in 
die Ganglien, theils des Corp. striat., theils des Suboptico-Bezirkes zu begeben. Sie 
bilden die aussere Kapsel und die Insel. 

Somit ist also jeder Punkt der Rinde sowohl mit dem Thalamus, als auch mit 
dem Corp. striat. und den andern centralen Ganglien der betreffenden Seite durch 
besondere Fasersysteme verbunden. Die Suboptico-Rindenfasem sind bisher allgemein 
als Pedunculus-Fortsatze beschrieben, als kamen sie aufsteigend von der Spina her, 
wahrend L. sie als absteigende mit cerebralem Ursprung angesehen wissen will. 
Betrachtet man im Zusammenhang den andern Bezirk des Centralnervensystems, also 
die ganze Reihe von Nervenelementen, welche zusammen die Faserzuge des verlangerten 
Markes bilden, so sieht man, was Vulpian lange behauptete, dass ein grosser Theil 
der rein spinalen Elemente in den Ganglien der Protuberantia enden und nicht zur 
Himrinde aufsteigen. 

Die Himrinde ist mit den Centralganglien also durch 2 convergirende Systeme, 
einmal ein absteigendes und ein aufsteigendes verbunden, und so vereinigen sich also 
in den Centralganglien die von beiden Polen ausgehenden Fasern, Rindenfasem und 
die Fasern der sensoriellen und sensitiven Peripherie. 

Damit will L. auch zugleich die physiologische Energie der Fasern gegeben 
haben, analog dem Muskel, dessen Wirkung man durch Angabe von Ansatz und 
Ursprung bestimmt, so bewirken die Commissurenfasem die Einheit der Thatigkeit 
der homologen Rindenpartien, die Rinden-Opticus-Fasern vermitteln die Weitergabe 
der sensoriellen und sensitiven (peripheren) Eindrucke des Thalamus an die Rinde. 

Das 3. System vermittelt die psychomotorischen Reize der Rindencentren an die 
motorische Region der Centralganglien, so dass sich im 2. und 3. System ein centri- 


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fugales und centripetales gegenfiberstehen, welche in den Centralganglien sich ver- 
einigen in ahnlicher nur mannigfaltigeren Art wie im Ruckenmark die sensiblen und 
motorischen Wurzeln. _ Zander. 


Experimentelle Physiologie. 

2) Ueber den Ursprung der pupillendilatirenden Nerven von A. Grfinhagen 
und Rud. Cohn. (Ctbl. f. Aug. 1884. S. 165.) 

Folgende Experimente scheinen den Verff. zu Gunsten des cerebralen Ursprungs 
der sympathischen Irisfasern zu sprechen. Unterbindet man bei Kaninchen, deren Pu- 
pillen vorher durch Atropin ad maximum erweitert sind, s&mmtliche Hirnarterien, so 
erfolgt nach 18—20 Secunden, gleichzeitig mit dem Eintreten der Reizungskrampfe, 
eine Verstarkung der Pupillendilatation. Mit dem Schwinden der Convulsionen kehren 
auch die Pupillen wieder allmahlich zur fruheren Weite zurflck. Die erwahnte tiber- 
maximale Steigerung der Pupillendilatation bleibt regelmassig in solchen Augen aus, 
deren sympathische Fasern in ihrem Yerlaufe durch den Halsstrang zuvor durchtrennt 
worden sind. Die flbermaximale Pupillendilatation beruht also auf Reizung des cen¬ 
tral en Ursprungs des Irissympathicus und diese konnen nach Anlage der Yersuche nur 
in einem der anamisch gemachten Hirnbezirke liegen. Bei sensibelen Reizungen der 
Gliedmaassen erfolgt dann niemals Reflexdilatation der Pupille. Ob dieses Centrum 
ciliocerebrale an der von Hen sen und Ydlckers bezeichneten Stelle am Boden des 
III. Yentrikels oder noch hdher in den von Bessau ermittelten Bezirken der Gross- 
hirnrinde zu suchen sei, muss weiteren PrQfungen uberlassen bleiben; ebenso auch 
die ErSrterung der Frage, bis wie weit die durch Absperrung der Hirnarterien erzeugte 
Anamie auch das Halsmark mit betrifft. Wilbrand, Hamburg. 


3) Der Einfluss des Zuckerstichs auf die Temperaturen des Korperinnern 
und insbesondere der Leber von Cand. med. Aronsohn. (D. med. Woch. 
1884. Nr. 46.) 

Bei Diabetikem findet sich haufig subnormale Temperatur bis zu 29,7° C. im 
Anus. Diese Thatsache wollte Verf. durch das physiologische Experiment aufklaren. 
Als Ergebniss aus 20 Experimenten an Kaninchen stellt Verf. folgende Satze auf: 

Bei correct ausgefuhrtem Zuckerstich (ohne Mitverletzung benachbarter Hirn- 
theile) sinkt die Temperatur in der Leber, in den Muskeln und in dem Darm urn 
ca. 2° innerhalb 2 Stunden nach dem Zuckerstich. Bei Mitverletzung anderer Him- 
theile fallt die Temperatur anfangs, kehrt aber dann auf die Anfangstemperatur zurftck; 
bei vdllig misslungenem Zuckerstich, also bei einfacher Verletzung des Pons oder der 
Seitentheile der Medulla, steigt die Temperatur ohne voraufgegangenen Abfall urn 
ca. 1,5° uber die Normaltemperatur. M. 


Pathologische Anatomie. 

4) Caso di miorooefalia oon atrofla di molt© oirconvoluzioni. Communicazione 
del dott. L. Frigerio. (Arch. ital. per le mal. nervos. etc. 1884. XXI. p. 353.) 
Verf. giebt den ausfiihrlichen Leichenbefund einer 26jahr. Idiotin, welche seit 
dem 12. Jahre epileptisch an postparoxysmeller Parese und Contractur des rechten 
Oberarms litt und deren rechtsseitige Extremitaten uberhaupt in der ganzen Ent- 
wickelung zurtickgeblieben waren. Der Gang war unsicher gewesen, die Sprache hatte 
fast vollstandig gefehlt. Die Sinnesorgane waren normal gewesen. 

Die genaue Schilderung des mikrocephalen Schadels muss im Original nach- 
gelesen werden. Das Gehim wog 790 gr (bei einer Korperlange von 142 cm), eine 
Angabe, die nicht ganz zu der Capacitat von nur 673 ccm stimmt. Die Oberfl&che 

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des Gehirns ist stellenweise ausserordentlich rudimentar: anstatt der Furchen and 
Windungen finden sicb auf dem Stim- and Occipitallappen beiderseits and statt des 
linken Lobus paracentralis and des Gyr. corporis callosi narbige sklerotiscbe Flachen, 
die von zahlreichen minimalen Furchen in kaum 2—5 mm Distanz nach jeder Rich- 
tong durchschnitten werden. Verf. ist geneigt, als Ursache dieser „grauen Induration" 
ausgedehnte Meningealblutungen anzunehmen, die w&hrend der sehr langwierigen, 
mehrere Tage gedauert habenden Geburt der Patientin entstanden seien. Unmittel- 
bar nach der Geburt war das Kind allerdings von Convulsionen ergriffen worden. 

_ Sommer. 


5) TJeber ein eigenthiimliohes Verhalten der Nebennieren bei Hemicephalen 

von Dr. Lomer. (Virchow’s Archiv. 98. 2.) 

In 17 Fallen von Hemicephalie fehlten 7mal die Nebennieren vollkommen, in 
5 Fallen waren sie absolut rudimentar, in 5 wogen sie beide zusammen nicht mehr 
als Vs Auffallend ist, dass bei Hydrocephalie und Spina bifida dagegen, die ja 
entwickelangsgeschichtlich durch einen und denselben Process bedingt werden, die 
Nebennieren fast immer normal waren. M. 


Pathologie des Nervensystems. 

6) Zwei F&Ile von Hirnabsoessen, beobachtet im Rudolfinerhause in Unterddbling 
bei Wien. (Deutsches Archiv ffir klinische Medicin. Bd. 35. S. 607.) 

1) MetaBtatisoher Hirnabsoess naoh Empyem. Mitgetheilt von Dr. C. 
Bettelheim. Bei einem Sjahrigen Kinde wurde wegen linksseitigen eitrigen Pleora- 
exsudats am 18. Juli 1883 die Empyemoperation (mit Rippenresection) ausgeffihrt. 
Guter Erfolg, so dass das Kind am 13. September mit einer Fistel entlassen werden 
konnte. Am 30. November machte sich aber eine neue Operation mit Drainage der 
Pleura nothwendig. Am 13. December wurde das Kind auffallend matt and schl&f- 
sfichtig, and bald zeigte sich eine in ihrer Intensitat mehrfach wechselnde rechts- 
seitige Hemiparese (mit Einschluss des Facialis). Hautreflexe rechts herabgesetzt; 
aach der Patellarreflex rechts schw&cher, als links. In der Folgezeit wurde die 
L&hmung immer vollstandiger, Erbrechen trat auf und am 18. December stellten 
sich in der rechten Seite klonische Zuckungen ein, welche sich zwei Tage 
spater noch einmal wiederholten. Am 23. December wurde eine linksseitige 
Parese des Oculomotorius und Abducens constatirt. Am 26. December trat 
im tiefen Coma der Tod ein, nachdem eine Stunde vorher zum ersten Mai eine 
geringe Temperatorsteigerung bis auf 38,6° eingetreten war. Die Section ergab 
im linken Schlafelappen einen 7 cm von vorne nach hinten, 3 cm in der Breite 
messenden Abscess, neben welchem vorne und aussen noch zwei kleinere bohnen- 
grosse Abscesse gelegen waren. 

Der Fall ist demnach ein neues Beispiel ffir das Vorkommen von Gehimabscessen 
im Anschluss an eitrige Pleuraerkrankungen, welches Verhalten neuerdings namentlich 
von N&ther durch mehrere Beobachtungen aus der Leipziger medicinischen Klinik 
festgestellt ist 

2) Himabsoess naoh Insolation. Mitgetheilt von Dr. Anton Eiselsberg. 
Ein 17jahriger Cadettenschfiler wurde Mitte Mai 1884 wahrend eines anstrengenden 
Uebungsmarsches bei grosser Sonnenhitze ohnmachtig, klagte seitdem fiber heftige 
Schmerzen in der rechten Kopf- und Gesichtshalfte. Bald darauf begann die Gegend 
des rechten Os zygomaticum diffus zu schwellen an, so dass zwei In- 
cisionen gemacht warden, aus denen sich etwas Blut und Eiter entleerte. 14 Tage 
spfiter wurde das rechte Auge stark vorgetrieben, die sehr heftigen Kopfschmerzen 


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53? 


hielten an nnd am 3. Jnni soil sich nach Angabe der Eltern ans dem ausseren 
Augenwinkel des rechten Auges eine reichliche Eitermenge entleert haben. 

Bei der Aufnabme am 5. Juni zeigte sich die rechte Kopf- and Gesichts- 
h&lfte diffus geschwollen and teigig 5demat6s. Rechter Baibas prominent. Aus dem 
rechten Lidwinkel entleert sich bei Druck Eiter (Drainage). Sp&ter wnrde auch der 
linke Bulbas vorgewOlbt. Am 29. Juni heftige Kopfschmerzen, Benommenheit, etwas 
Fieber. Darauf bis zom 8. August wieder gates sabjectives Befinden; ausser Bett. 
Erst Mitte August wieder Somnolenz, heftige Kopfschmerzen, yerlangsamter Puls, 
Erbrechen, subnormale Temperatur. Am 29. August starke Yorwfllbung der rechten 
Schl&fengegend. Incision daselbst bis auf’s Periost, wo sich ein Eiterherd findet. 
Dann Entfernung eines kreuzergrossen Stflckes aus der Schl&fenschuppe, Incision der 
Dura. Keine Eiterentleerung. Gehirn selbst nicht incidirt. In der folgenden Nacht 
Tod. Die Section ergab einen fast den ganzen rechten Scbl&felappen einnehmenden 
Abscess. „Ware man mit dem Messer noch l / 2 cm weiter gekommen, so w&re die 
Abscesshbhle innerhalb des Hirns erreicht worden. “ (Der Sectionsbefund der rechten 
AugenhOhle fehlt. Die „Insolation“ kann in diesem Falle wohl sicher nicht als die 
eigentliche Ursache des Abscesses angeseben werden. Offenbar handelt es sich urn 
eine phlegmonOse Eiterung, welche von der rechten Wangengegend aus durch die 
AugenhGhle hindureh ihren Weg in’s Gehirn gefunden hat. Bef.) Strtlmpell. 


7) Sin Fall von Kleinhirntumor von Bybalkin. (Mitgetheilt und demonstrirt 
in der October-Sitzung der St. Petersburger psychiatr. Gesellschaft. Bussisch.) 

Ein 25j&hriger kraftiger Mann erkrankte an lieftigem, allm&hlich zunehmendem 
Kopfischmerz mit frequentem Erbrechen. Nach einigen Monaten stellten sich Gleich- 
gewichts- und Sehstflrungen ein, die seine Aufnabme in’s Marienhospital veranlassten. 
Die Untersuchung ergab Stauungspapillen, Lahmung beider Nn. abducentes, Neigung 
nach rechts umzufallen, ohne Abnabme der Hautsensibilitat. Die auf Tumor cerebelli 
gestellte Diagnose wurde durch die Section bestatigt. Der Tod erfolgte neun Monate 
nach dem Auftreten der ersten Symptome. In der letzten Zeit hatten sich zu den 
oben bezeichneten Krankheitserscheinungen noch Hemiparesis sinistra (ohne Bethei- 
ligung des N. facialis), Neigung auf der rechten Seite zu liegen und eigenthtimliche 
StOrungen der Hamabsonderung hinzugesellt: letztere fehlte zuweilen einige Tage 
vollstandig, und dann warden zu einer Zeit grosse Mengen (bis 1900 kcm) entleert, 
ohne dass Affection der Nieren oder Yeranderungen der chemischen Zusammensetzung 
des Hams vorlagen. 

Sectionsergebniss: Bedeutende Erweiterung der Hiraventrikel, die gegen 200 kcm 
klarer Flhssigkeit enthielten. Eleinhim vergr5ssert, in seiner Hemisph&renmasse eine 
Geschwulst von weicher Gonsistenz, deren grOsster Durchmesser 3,5 cm betrug. Die 
mikroskopische Untersuchung erwies die gliomatCse Natur des Tumors; stellenweise 
enthielt er cystenartige, mit klarer FlOssigkeit erftHlte H5hlen. 

P. Bosenbach. 


8) Case of cerebellar haemorrhage. Abnormalities of cerebral arteries by 

James Shaw. (Journ. of ment. science. 1884. July.) 

74j&hrige Frau, seit 12 Monaten verworren, unrubig, angstlich; bei der Auf- 
nahme taumelnder Gang; linke Pupille weiter; Bedeflucht, Yerworrenheit, Schlaflosig- 
keit, Angst, Erscheinungen von Verfolgungswahn; vorhbergehende leichte rechtsseitige 
Hemiplegie mit Sprachstdrung articulatorischer Natur; spater schlechter Gang ohne 
Lahmung, Schwerhdrigkeit. Ein Jahr spater Anfall mit Bewusstlosigkeit und Schaum 
vor dem Monde, damach grosse Schwache; die Kranke liegt zu Bett mit angezogenen 
Beinen, links herabgesetzte SensibiliiAt und Parese; aus dem Murmeln der Krankex* 


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iflt nur das Wort „damn“ verstandlich, link© Pupille weiter, Verst&ndniss ffir Ge- 
sprochenes scheint zu feblen. Bald danach Exitus. 

Section: Die Arteria cerebral, post, geht von der Carotis int. ab, hinter der 
A. cerebellaris sup. dext. geht rechts von der Basilaris ein schwacher Ast ab, welcher 
sich um das Crus cerebri windet, dann ein schmaler Verbindungsast zur Cerebralis 
post. Die linken Gefasse sind normal. — In der Capsula ext. im ausseren Glied 
beider Linsenkerne und in den beiden inneren des rechten Linsenkems kleine Lficken, 
deren Wande keine abnorme Farbung zeigen; in der rechten Kleinhirnhemisphare 
fnsche Blutung. Die Burdach’schen Strange leicht sklerosirt. (Es ist nicht gesagt, 
ob dies mikroskopisch constatirt wurde. Bef.) 

S. erklart die beobachteten Storungen aus der Eleinhimblutung; den spinalei) 
Befund zieht er nicht in Betracht. A. Pick. 


9) Beitrag zur Diagnostik der Lage und Beschaffenheit von Krankheits- 

herden der Medulla oblongata von Dr. H. Mfiser. (Deutsches Archiv 
ffir klinische Medicin. Bd. 35. S. 418.) 

Die Arbeit enthalt ausser ziemlich zahlreichen Literatnrangaben mehrere neue 
Beobachtungen fiber Aneurysmen der Arteria vertebralis. Der erste Fall 
betrifft eine 63jfihrige, an einer Stenose der Aorta leidende Frau, welche im April 
1883 plfitzlich von Lahmung des rechten Arms und der rechten Gesichtshalfte, ver- 
bunden mit Sprachstfirung, befallen wurde. Nach einer nicht unbetrachtlichen Besse- 
rung dieser Symptome trat im Mai desselben Jahres plfitzlich vollstandige Lahmung 
der Zunge mit Sprachlosigkeit, Schlinglahmung, Schwache des linken Facialis, des 
Abducens und der Kaumuskeln ein. Nach vorfibergehender Besserung trat eine neue 
plfitzliche Verschlimmerung dieser Erscheinungen und am 20. Juli der Tod ein. Die 
Section ergab als Ursache der alteren rechtsseitigen Hemiparese einen embolischen 
Erweichungsherd im linken Corpus striatum und ausserdem eine buchtige Erwei- 
terung der linken Vertebralis mit Verdickuug der Wand, der Medulla oblon¬ 
gata eng anliegend und hier eine tiefe Grube bildend. Auch an der rechten Verte¬ 
bralis war eine ahnliche Erweiterung zu sehen, welche aber mehr auf Verdickung 
der Wandung, als auf Dilatation beruhte. Verf. erklart die Bulbarsymptome als 
entstanden durch den Druck des Aneurysmas auf die Oblongata. (Leider fehlt aber, 
wie es scheint, jede genauere anatomische Untersuchung der Oblongata selbst.) — 
Der zweite Fall betrifft einen Mann von 61 Jahren mit Insufficienz und Stenose 
der Mitralis, bei welchem sich allmahlich Sprach- und Schlingbeschwerden, verbunden 
mit Facialisparese und Lahmungserscheinungen in den Extremitaten entwickelten. 
Am interessantesten ist, dass kurz vor dem Tode ein lautes Gerausch beider- 
seits zwischen Processus mastoideus und Wirbelsaule constatirt wurde. 
Die Section ergab eine ziemlich bedoutende aneurysmatische Erweiterung 
der linken Arteria vertebralis, welche an der unteren Flache der Oblongata 
eine deutliche Depression erzeugt hatte. Ausserdem noch mehrfache Erweichungs- 
herde im Gehirn. — Noch in zwei anderen kurz mitgetheilten nicht secirten Fallen 
mit bulbaren Symptomen wurde ein systolisches Gerausch zwischen Wirbelsaule und 
Proc. mastoideus gehfirt und auf ein Aneurysma der Vertebralis bezogen. 

_ Strfimpell. 

10) Des crises de oourbature musoulaire au debut de l’ataxie looomotrice 

progressive par Pitres. (Progr. mdd. 1884. No. 28.) 

Pitre8 theilt drei Falle von Tabes mit, bei denen den ersten sicheren Zeichen 
der Erkrankung eigenthflmliche Anfalle von Muskelsteifigkeit vorangingen. Dieselben 
traten plfitzlich ein, dauerten Stunden bis Tage lang und verschwanden wieder, ohne 
irgend welche dauernde Mfidigkeit zurfickzulassen. — Sie wiederholten sich nach 
stunden- oder tagelangen freien Intervallen. — Diese Anfalle sind begleitet von einem 


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sehr intensiven, schmerzhaften Mfidigkeitsgeffihl, ahnlich demjenigen, welches bei 
gesonden Menschen nach sehr langen Fecht-, Reit- oder Schwimmfibungen eintritt. 

— Die dabei auftretenden Schmerzen unterscheiden sich aber sehr wohl von den 
„spinalen Neuralgien", mit denen sie weder den blitzenden Charakter, noch die grosse 
Intensitat gemein haben. — Doch ist die Empfindong von Steifheit und Mfidigkeit, 
welche besonders in den Beinen und im Kreuz ihren Sitz hat, so gross, dass die 
Patienten gezwungen sind, scbon w&hrend des Tages stundenlang die ruhige Rficken- 
lage einzunehmen, bis der Anfall vorfibergegangen. Diese „Mfidigkeitskrisen“ konnen 
jahrelang das einzige krankhafte Symptom sein, pflegen auch zu verschwinden, sobald 
andere charakteristische Tabeszeichen sich einstellen. Im ersten der geschilderten 
Tabesfalle lag ein Zeitraum von einem Jahre, im zweiten ein solcher von l l / 2 Jahren 
and im dritten ein Zeitraum von 10 Jabren zwischen dem ersten Auftreten jenes 
Symptomes und dem Beginn der bekannten tabischen Erscheinungen. Die dritte Be- 
o bach tun g von Pitres ist darum noch besonders bemerkenswerth, weil sich die 
„Mfidigkeitskrisen“ fast unmittelbar an syphilitische Secundarerscheinungen, 
welche Pat. einem indurirten Schanker zu verdanken hatte, anschlossen. 

Von Mfidigkeitsgefuhlen, die man unter normaler Breite beobachtet, unterscheiden 
sich jene Krisen, durch den plotzlichen Beginn und ihr rap ides Verschwinden, sowie 
dadurch, dass ihrem Auftreten gewOhnlich keine grossere Anstrengung vorausgegangen. 

— P. ist geneigt, diese Anfalle von Muskelermfidung und Muskelsteifigkeit jener 

Beihe von tabischen Krisen gleichzustellen, die als gastrische, intestinale, nephritische, 
vesicale u. a. beschrieben werden und sie als Ausdruck einer frfibzeitigen Erkrankung 
der sensiblen Muskelnerven aufzufassen. Laquer. 

11) Des crises clitoridiennes au ddbut ou dans le oonrs de l’ataxie looo- 
motrice progressive par Pitres. (Progr. m6d. 1884. Sept. No. 37.) 

Charcot und Bouchard haben schon 1866 bei einem Falle von Tabes „Clitoris- 
Krisen" beschrieben; seitdem sind neue Beobachtungen fiber diese Anomalie im Gebiete 
der Genital-Sphare von weiblichen Tabeskranken nicht mitgetheilt worden. — Die 
von Pitres in dem vorliegenden Aufsatze geschilderten Tabesfalle betreffen drei 
weibliche Individuen im Lebensalter von 40—50 Jahren. Bei der ersten waren die 
Wollustgeffihle und die eigenthfimlichen Sensationen in der Clitoris mit nachfolgender 
vulvo-vaginaler Secretion 4 Jahre lang das einzige subjective Symptom der beginnenden 
Tabeserkrankung, bei der zweiten verbanden sich dieselben Symptome zeitlich mit 
gastrischen Krisen und traten ein Jahr vor den blitzenden Schmerzen auf, bei der 
dritten endlich batten die Clitoriskrisen schon 10 Jahre lang bestanden, ehe die 
Kranke fiber lancinirende Schmerzen Klage ffihrte. — Ganz besonders bemerkens¬ 
werth erscheint uns der letzte Fall, weil die Sensationen in der Scheide, die fibrigens 
hier sowie in den andem beiden Fallen in Erscheinung zu treten pflegten, ohne dass 
eine seiuelle Erregung irgend welcher Art unmittelbar voranging, gleichzeitig mit 
gewissen neuralgischen Schmerzen den Kranken belastigten, welche 4 Oder 5mal im 
Monat mit grosser Heftigkeit auftraten, aber nicht in den Extremitaten, sondem im 
Hinterhaupt und in den Schlafen ihren Sitz hatten. — Die tabische Natur dieser 
Kopfneuralgien bezweifelt zwar Pitres, aber nach den neuesten Mittheilungen 
Berger’s (s. diese Zeitschrift Jahrgang 1884 Nr. 15) fiber Occipitalneuralgie und 
Migrane als Anfangssymptome der Tabes kann es keinem Zweifel unterliegen, dass 
die von P. genau geschilderten den Genitalkrisen gleichzeitigen neuralgischen Kopf*- 
schmerzen des dritten Falles ebenfalls spinalen Ursprungs gewesen sein mfissen. 

Die semiotische Bedeutung der geschilderten Symptomengruppe springt klar in’s 
Auge, wenn man, wie Pitres auseinandersetzt, sich der analogen Verhfiltnisse bei 
tabeskranken Mannero erinnert, welche ja auch vor Eintritt der spinalen Impotenz 
haufig an Beizerscheinungen im Genitalgebiet zu leiden haben. (Nur wird es aus 


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naheliegenden GrUnden schwer sein, selbst wenn sich diese Phanomene bei Weibern 
recht frfthzeitig bemerklich macben, von ibrer Existenz Kenntniss zu erhalten. Ref.) 

_ Laquer. 

12) Ueber eine eigenthumliohe progressive atrophisohe Paralyse bei 
mehreren Kindem derselben Familie von Prof. Scbultze in Heidelberg. 
(Berl. klin. Wocbenschr. 1884. Nr. 41.) 

Drei Kinder von 3, 5 und 8 Jabren, von gesunden Eltem, deren altestes Kind 
von 13 Jabren aucb ganz gesnnd ist, sind alle seit Ablauf ibres zweiten Lebens- 
jabres krank. Sie bekommen nacb und nacb pes varus hfohsten Grades an beiden 
Fflssen. — Das 3jabrige Kind, Madchen, zeigt L&hmung und Atropbie im Peroneua- 
Gebiete mit completer Entartungsreaction in den betreffenden Muskeln; Patellarreflex 
normal, anscbeinend aucb die Sensibilitat. — Das 5j&hrige Kind, ein Knabe, zeigt 
ausser den gleichen Symptomen nocb fast complete Lahmung, hocbgradige Atropbie 
und Entartungsreaction im Gebiete beider Nn. tibiales. — Bei dem 8jabr. Madcben 
ist die Atrophie aucb auf den Oberschenkel fortgeschritten, docb sind dessen Be- 
wegungen nocb ausfflbrbar. Aber der Patellarreflex ist erloscben, dabei die 
Sensibilitat auch hier nicht wesentlich beeintrachtigt. An den Handen dieses Kindes 
besteht ausserdem bochgradige Atrophie der Musculatur (Thenar, Hypotbenar, Inter* 
ossei), und alle diesbezliglichen Bewegungen sind unmOglicb. Aucb das Radialisgebiet 
ist nicbt intact, die Oberarmmuskeln sind dtlnn. Die tactile Sensibilitat an den Handen 
ist herabgesetzt, aber die sensiblen Stflrungen sind den motoriscben nicbt entfernt 
an StArke entsprechend. 

Bei keinem der 3 Kinder sind fibrillare Zuckungen vorhanden; alle 3 baben 
zwischen der 2. und 3. Zebe jedes Fusses eine starker entwickelte Scbwimmbaut 

Scb. bait es fdr sebr wabrscbeinlich, dass bier eine multiple peripbere IAsion 
vorliegt, besonders wegen des Feblens fibriliarer Zuckungen und wegen der com* 
pleten Entartungsreaction. — In betreff der Aetiologie neigt Sch. mebr zur An- 
nahme einer gemeinsamen ausseren Scbadlicbkeit, als bios einer angeborenen Dis¬ 
position, wenngleich die supponirte Scbadlicbkeit nicht ausfindig zu macben war. 
Aehnlich kommt aucb die acute Poliomyelitis, die spinale atrophische Kinderlahmung 
in sebr seltenen Fallen (Seeligmtiller, Schultze) bei mehreren Kindern derselben 
Familie vor, und aucb da muss eine unbekannte aussere gemeinsame Scbadlichkeit 
angenommen werden. Hadlicb. 


13) Bin Fall von Tetanus neonatorum mit abnorm niedriger Temperatur 
von 28tftgiger Dauer und mit Ausgang in Genesung von Hryntschak. 
(Arch. f. Kinderheilk. Bd. 5. H. 1 u. 2.) 

Der Tetanus entstand bei dem 13tagigen Kinde von einer Nabelwunde aus, welche 
durcb unvorsicbtiges Abreissen der Nabelschnur am 4. Tage entstanden war. Yom 
4. Krankbeitstage an wurde die Temperatur subnormal — 36,0. Yon nun an variirt 
die Temperatur (stets im Anus und Yormittags 11 Ubr gemessen) bis zum 22. Tage 
zwischen 36,8 und 35,3. Die Ureache des Sinkens der Temperatur erklart Yerf. 
aus der gesunkenen Herztbatigkeit, durcb welcbe auch das Entstehen von Oedemen 
an den unteren Extremit&ten und am Baucbe zu erklaren ist. 

Die Respiration war bescbleunigt; 50—54 AthemzQge wabrend des Anfalk 
Chloralhydrat wurde 14 Tage bindurcb taglicb 1 gr mit gutem Erfolge gegeben. 

M. Cohn, Hamburg. 


14) Bin Erkl&rungsversuoh der versohiedenartigen Temperaturverhftltnisse 
bei der tuberkuldsen Basilarmeningitis von Dr. M. Loeb, Frankfurt a. M. 
(Deutsches Archiv ftlr kliniscbe Medicin. Bd. XXXIV. S. 443.) 


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Verf. macht darauf aufmerksam, dass in den moisten bisher verOffentlichten P&llen 
und in einem selbstbeobacbteten Fall von Geschwulstbildung in der Hypophysis cerebri 
auffallende VeranderuDgen der KGrpertemperatur, sowohl starke ErhOhungen, als auch 
tiefe Erniedrignngen stattgefnnden haben. Hieraus entnimmt Verf. den Grund zn der 
Hypothese, dass „die Yerschiedenheiten der Temperatur verheltnisse bei tuberkulOser 
Basilarmeningitis gr 6ss tenth eils von dem Yorhandensein oder Fehlen eines Exsudats 
in der Gegend des Chiasma, von der Reichlichkeit und Dicke der dort ausgeschie- 
denen Exsndatmassen herrfihren". Eine stichhaltige Begrttndung dieser Hypothese 
dftrfte wohl schwer zu geben sein. Strtlmpell. 


Psy chiatrie. 

15) Ueber subnormal© Temperaturen dor Paralytiker von Prof. Hjtzig. 

(Klin. Woch. 1884. Nr. 34.) 

Bei Paralytikem beobachtet man 1) erstaunliche Sprftnge der Temperatnr ohne 
Krarapfe oder paralytische Anfalle; 2) Absinken der Temperatnr Stunden oder Tage 
vor dem paralytischen Anfall; wahrend des Anfalls steigt die Temperatur nicht wieder 
auf die normale HOhe. 3) Die Temperatur, die vor dem paralytischen Anfall gesunken, 
steigt in demselben, urn entweder zur Norm zurhckzukehren oder bis zum Tode hoch 
zu bleiben oder von Neuem tief zu sinken. In einem Falle sank die Temperatur 
bis zum Tode auf 25°. In einer Anzahl von Fallen spielt als Ursache der Temperatur- 
emiedrigung unzweifelhaft Herzschwache eine Hauptrolle, ob und in wieweit die Er- 
krankung des Grosshims durch einen Einfluss auf die Gefasscentren des Hinter- 
stamme8 und Ehckenmarks eine Temperaturemiedrigung herbeifflhrt, l&sst sich bei 
den widersprechenden Resultaten der zahlreichen angestellten Versuche bei Thieren 
nicht sagen. _ M. 


16) Zur Casuistik der niedrigsten subnormalen Kdrpertemperaturen beim 
Mensohen nebst einigen Bemerkungen iiber Wfirmeregulirung von 

Dr. Beinhard. (Klin. Woch. 1884. Nr. 34.) 

In zwei Fallen von progressiver Paralyse beobachtete Verf. Temperatursenkung 
bis 22,6 0 resp. 22,5 0 C. im Rectum, in dem ersten Falle trat innerhalb 4% Stunden 
der Tod ein, im zweiten trat nach einer voriibergehenden Erhebung der Tod ein. 
Die Ursache der Temperaturemiedrigung sucht Verf. in einer L&hmung resp. Er- 
schOpfung des Centralorgans. Er h&lt im Uebrigen die thermischen Vorg&nge eng 
verkntipft mit den vasomotorischen oder betrachtet vielmehr jene als eine der 
Aeusserungsweisen der letzteren, und meint in Betreff der Localisation, dass das 
Gehim tiberwiegend den Gefasstonus erhShende Centren, das Rflckenmark vorherr- 
schend den Gefasstonus herabsetzende Centren habe, wahrend im Pons und in der 
Medulla oblongata beide Centren in ziemlich gleicher Starke und Vertheilung vor- 
banden sind. M. 


17) Contribution a l’dtude de l’indgalite de poids des hemispheres odrd- 
braux dans la folio nevrosique et la ddmenoe paralytique par 
Marand t on de Montyel. (L’Enc6phale. 1884. No. 5.) 

M. bestatigt die Beobachtung von Luys, dass meist bei Geistesgesunden die 
linke Hemisphare ein um ca. 5 gr hOheres Gewicht habe, w&hrend bei Geisteskranken 
umgekehrt die rechte Hemisphere schwerer wiege. M. hat in 89 Autopsien von 
Kranken, welche an einfachen Seelenstdrungen erkrankt waren, bei 81 °/o e ^ n Ueber- 
wiegeu der rechten Hemisphere gefunden, Luys nur in 71%, Letzterer hat aber 
keine Rftcksicht auf die Art der Erkrankung genommen. Das Verheltniss ist fftr 


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beide Geschlechter das tt&mliche. Wahrend Lays in dem Mindergewicht der linken 
Hemisphare den Grund der psychischen Erkrankung erblickt, will M. das Minder¬ 
gewicht als den Effect der Psychose betrachtet wissen, in dem er sick auf seine Be- 
obachtong stutzt, dass ein directes Abhangigkeitsverb&ltniss zwischen der langeren 
Krankheitsdauer und dem grbsseren Mindergewicht der linken Hemisphare beetebe, 
dazu zieht er anch das Alter in Betracht. 

Das Mindergewicht der linken Hemisphare wechselt von 2—85 gr, betragt bei 
Gesunden nach den Zahlen M.’s im Mittel 14 gr, und das ist mehr, als bei Gesunden 
das Uebergewicht der linken Hemisphare betr&gt, in den seltenen Fallen aber, in 
welchen die linke Hemisphare das Uebergewicht auch bei Kranken behalt, ist dieses 
Uebergewicht geringer als bei Gesunden. 

Dagegen hberwog in 94 Sectionen von Paralytikern 6lmal die linke Hemisphare. 
M. schliesst daraus, dass sich die cerebralen Lasionen der Paralyse besonders auf 
die rechte Hemisphare localisiren und sie atrophiren lassen. Die tabellarische Zu- 
sammenstellung der Beobachtungen und Berechnungen muss im Original eingesehen 
werden. Zander. 


17) Rioerehe sulla Anatomia patologioa della Parallel progressiva a con¬ 
tribute delle localizzazioni cerebral! del Tamburini e Biva. Vor- 
laufige Mittheilung. (Aus der Atti del Congress, d. Soc. freniatr. Voghera, 
16-—22. September 1888.) 

Unter 60 Fallen fanden sich Lasionen: 
an den Stirnlappen . . . 56mal, an den Schlafenlappen . . 19mal, 

an den Parietallappen . . 44mal, an den Hinterhauptslappen 9mal 


an den Sphenoidallappen . 27mal, an der Insel.3ma). 

Am h&ufigsten betroffen waren die Central-Windungen und zwar: 

die Frontal ascend. (Central, ant.).29mal, 

die Parietal, ascend. (Central post).30mal, 

Aus8erdem die 3. Stimwindung.18mal, 


abgesehen von den Fallen, in denen der ganze Stirnlappen litt Am Stirnlappen 
sass die Lasion am haufigsten an der Spitze, bisweilen fand sich gar nichts Anderes. 
Ziemlich haufig, 17mal, war auch die untere Flache der Stirnlappen, die Orbital- 
windung, der Sitz der L&sion; 5mal die innere, zwischen den Hemisphareu 
liegende Partie. 

Am Parietallappen war (die Pariet. ascd. ausgenommen) die untere Windung 
zumeist betroffen und zwar 9mal, die innere Flache desselben 4mal. 

Yon den Schl&fenwindungen kamen auf die obere 4, auf die mittlere 
3 Falle. 

Am Sphenoidallappen kamen Gyr. Hippocampi und Uncus am moisten 
in Betracht 

Am Seltensten kamen Lasionen an den inneren Gegenden der Hemispharen, 
wo der Hydrops ventriculor. vorherrschte, ebenso am Btickenmark vor (12 Falle). 

Aus diesen Ergebnissen lasst sich ziemlich sicher der Schluss ziehen, dass die 
fortschreitende Paralyse eine Krankheit der Hirnrinde ist und ihren vorzugs- 
weisen Sitz in der Beg. fronto-parietalis hat, hauffg aber auch auf die Keil- 
beingegend dbergreift. 

Bezftglich der Motilitatsstdrung, die in alien 60 F&llen mehr Oder minder 
vorhanden war, ergiebt sich aus Obigem: 

1) dass in 55 Fallen die sogenannte motorische Bindensphare affidrt war, 
d. h. die Lobi fronto-pariet zusammen, Oder frontale und pariet allein; 

2) in 36 von den 66 Fallen waren es die Centrallappen vorzugsweise. 

3) In 21 F&llen, wo einseitige Bewegungsstbrung und zwar auf der der 


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Hirnlasion entgegengesetzten Seite stattfand, waren ldmal die Centralwindungen, 
6mal die Reg. fronto-pariet. im Allgemeinen und lmal die inneren Stirn-Scheitel- 
bein-Windungen (nicbt die eigentlicbe motorische Sphare) betroffen. 

4) Diese 21 einseitigen Falle zeigten sammtlich Hemiplegie odor Hemi- 
parese; 15mal ausserdem Hemiepilepsie, lOmal Hemianfcsthesie, resp. Hemi- 
analgesie. 

5) In einigen Fallen war die Hirnlasion sogar genau umgrenzt and der Be- 
wegungsstdrung entsprechend. So in 2 Fallen, wo bei Lahmung der recbten oberen 
Extremitat der mittlere Tbeil der linken Centralwindong betroffen war. 

6) Die Sprachstdrung king in den meisten Fallen mit Lasionen der dritten 
Stirnwindung zusammen; in 18 Fallen zeigte die letztere sogar einen speciell 
ausgepragten Zerstdrungsherd. 

Die Sensibilit&tsstdrungen betreffend, die einerseits in Reizerscheinungen, 
d. b. Sinnestauschungen aller Art, andererseits in Lahmungserscheinungen, 
d. b. Schwacbe der verscbiedenen Empfindungsausserungen bestanden, er- 
gab sicb: 

Unter 16 Fallen von Gesicbts- oder Gehdrstauschungen (die moistens zu¬ 
sammen vorkamen) war in 14 irgend ein Tbeil der (experimented nacbgewiesenen) 
sensorischen Rindensphare betroffen. So in 10 Fallen die bintere untere Partie 
des Lob. parietalis, und in 5 Fallen mit Yorberrscben von Yisionen ganz allein 
der Lob. parietal, infer., resp. Gyr. angularis; 5mal die Windungen des 
Scblafenlappens, in sp. der Gyr. superior und in 1 Falle von einseitigen Gehdrs- 
tauscbungen war die Lbsion auf die 1. Scblafenwindung der andern Seite be- 
scbrankt Endlicb waren in diesen Fallen nocb 6mal die Spbenoidalwindungen 
und 3mal der Occipitallappen betroffen. 

Diese Ergebnisse entsprecben der von Tamburini aufgestellten und durcb 
kliniscbe Belege seitens Pick, Kaudinzki, Mickle, Exner, Magnan bestatigten 
Tbeorie, dass die Hallucinationen auf einem Reizzustande der sensoriscben 
Centren der Hirnrinde beruben. 

Aucb die von Munk und Tamburini frffber, von Golgi 1882 ausgesprochene 
Annahme, dass in der sog. motorischen Rindenzone neben den motorischen 
Centren Empfindungscentra ftlr die verscbiedenen K6rpertheile sicb 
befinden, wird bestatigt. In 25 Fallen, wo ausser den Bewegungsstdrungen deutlicb 
erkennbare StSrung der Scbmerz- oder Tastempfindung vorbanden gewesen, batte 
die Rindenlasion 22mal ihren Sitz in der Reg. fronto-parietalis, darunter in 
10 Fallen mit einseitiger Anastbesie und Analgesie auf der gegenfiberliegenden Hemi- 
spbare. Die Lasion war in alien diesen Fallen tiefgebend, entweder in Form von 
Atropbie oder Erweicbung, wie denn aucb Lis so in 36 Fallen von Himrindenlasion 
gefunden hat, dass da, wo die tieferen Schichten afficirt sind, neben Bewegungs¬ 
stdrungen aucb solcbe der Tast- und allgemeinen Empffndung einhergehen. 

In 6 wohlconstatirten Fallen von Schwacbe oder Functionsstdrung der Sinnes- 
organe (Gesicbt, Gehdr), fand sicb neben der Lasion der Reg. fronto-parietal, stets 
aucb eine solcbe einer der sensoriscben Rindenzonen und zwar am Schlafenlappen 
ftlr das Gehdr, am unteren Scbeitel- und am Hinterbauptslappen ftlr das 
Gesicbt Fr&nkel. 


19) Zur Kenntniss der Dementia paralytica von Dr. Eickbolt in Grafenberg. 

(Allg. Ztschr. f. Psych. Bd. 41. H. I.) 

In dem ersten Abschnitt der vorliegenden Abhandlung (Beitr&ge zur Aetiologie) 
werden die wicbtigsten atiologischen Momente der Dementia paralytica rtlcksicbtlicb 
der Haufigkeit ihres Yorkommens und ibres Wertbes besprochen, wobei die Paralyse 
der Frauen urn einiger ibr eigentbtlmlicher Momente willen eine besondere Berdck- 


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sichtigung erffihrt. Was zun&chst das mannliche Geschlecht betrifft, bei welchem der 
Procentsatz an Paralytikem aus einer Zahl von 1000 Eranken berechnet 17 betr&gt, 
so fand Verf. im Einklang mit den moisten Autoren die haufigste Anzahl von Er- 
krankungen im Alter zwischen 35 nnd 50 Jahren, wahrend er F&lle bei nnter 30 
und fiber 60 Jahre alien Personen nnr in sehr geringer Zahl beobachtete; der An- 
gabe Mendel’s, dass den bei sehr jngendlichen Individuen anftretenden Paraljsen 
besondere anxilare Momente zukamen, pflichtet Verf. nicbt bei, vindicirt denselben 
dagegen einen eigenthfimlich pemiciOsen Verlauf. Den Einfluss der Heredit&t schlagt 
Verf. gleich den moisten andern Autoren bei der Dementia paralytica erheblich 
geringer an, als bei den fibrigen Geistesstfirungen, urn so geringer, als derselbe dnrch 
das h&ufige, gleicbzeitige Mitwirken anderer Schadlichkeiten (Trunksucht, Ueber- 
anstrengung, psycbische Insulte, Noth), welche ihrerseits bei erblich nicht belasteten 
Individuen als fitiologische Momente der Paralyse anerkannt sind, noch an Gewicht 
verliert. Yon diesen letzgenannten kommt nach des Verf. Erfahmngen ganz beson- 
ders die Trunksucht in Frage (in 24, 2 p. Ct.). Die Bedeutung der Syphilis ffir 
die Entstehung der Paralyse ist nach E. keine sehr bedeutende. Denn in 161 
daraufhin untersuchten Fallen konnte er mit Sicherheit nur bei 19 Lues in der 
Anamnese nachweisen; bei 12 von denselben lag zwischen der Infection und dem 
Ausbruch der Paralyse ein Zwischenraum von 5—20 Jahren, bei keinem hatte eine 
antilnetische Therapie einen Erfolg, keiner bot irgend welche Besonderheiten im 
klinischen Verlauf, nur einer specifische pathologisch-anatomische Yeranderungen, die 
bei weitem fiberwiegende Major!tat aber Hess anderweitige Ursachen ffir Paralyse in 
der Vorgeschichte erkennen. Prim are Psychosen kommen auch nach des Verf. Be- 
obachtungen als atiologische Momente ffir Dementia paralytica nur selten in Frage 
und fiberhaupt nur dann, wenn letztere sich im directen Anschluss an eine entweder 
langere oder kfirzere Zeit bestehende, einfache Geistesstfirung entwickelt, wobei dann 
im ersteren Fall die Paralyse als Complication dieser, im letzteren diese als Anfangs- 
stadium jener aufzufassen sei, nicht aber, wenn, wie in einem ausffihrlicher beschrie- 
benen Grafenberger Fall, zwischen einfacher Psychose und Paralyse ein mehijahriger 
Zwischenraum geistiger Integritat liege. — Bei der Paralyse der Frauen, deren Hfiufig- 
keit im Verhaltniss zu der bei Mannem sich nach E.’s Erfahrungen wie 1:6 stellt, 
berficksichtigt Verf. neben Anderem als in Frage kommend ffir die Aetiologie und 
zum Theil ffir dieselbe bisher nicht genugsam gewfirdigt, die Gravidit&t und das 
Climacterium. Den Einfluss des letzteren hfilt er ffir weniger bedeutend, als man 
nach den Angaben von v. Krafft-Ebing und Jung anzunehmen geneigt sein kOnnte; 
dass die erstere unter Umstanden in der Aetiologie der Paralyse eine Rolle spielen 
kann, illustrirt er durch 3 in Grafenberg von ihm gemachte Beobachtungen. 

Der zweite Theil der vorliegenden Arbeit (fiber die Entstehung der paralytischen 
Anffille) beschaftigt sich mit der Lfisung der Frage nach dem Ausgangspnnkt der 
paralytischen Anf&lle und der Art ihrer Entstehung. Den ersteren verlegt Verf. mit 
Rficksicht auf die zur Zeit fiber die Genese der epileptischen Anfalle geltenden An- 
schauungen und Theorien und des der Dementia paralytica zu Grunde liegenden 
pathologisch-anatomischen Processes in die graue Hirnrinde; die Entstehungsursache 
der epileptiformen Insulte ist nach seiner Ansicht entweder eine rein functionelle der 
Art, dass in Folge einer Emahrungsstdrung die Ganglienzellen der motorischen Centren 
sich in einem Zustand eines labilen Gleichgewichts befinden und durch einen peripher 
(voile Blase etc.) oder auch intracraniell (HirnOdem und dadurch bedingte Stdrungen 
in der Blutbewegung) liegenden Reiz in gesteigerte Thatigkeit versetzt werden, oder 
sie beruht in pathologischen Yeranderungen, als: progredienten, chronisch-entzfindlichen 
Vorg&ngen, Erweichungen, submeningealen Blutungen, Haematoma durae u. dergl. — 
Die Entstehungsursache der apoplectiformen Anfalle sucht E. in den bei Paralyse 
h&ufigen Druckschwankungen im G^ehim. Brfickner. 


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Therapie. 

20) Ueber eine neue Method© der Lagerung Gtel&hmter und Unrein lioher 
von Medicinalrath Dr. W. Sander, Dalldorf. (Berliner klin. Wochenschrift. 
1884. Nr. 41.) 

S. empfiehlt die Holzwolle (Verbandstofffabrik yon P. Hartmann in Heiden- 
heim, Wtlrttemberg) auf ein Bett mit dicbtem Boden locker ansznbreiten, ohne Be- 
zug, Laken etc., selbst das Hemd kann weggelassen werden. — Die Holzwolle ist 
weicb, elastisch, angenebm kfihl, der Kdrper macbt in derselben einen genauen Ab- 
druck, der Druck einzelner Stellen wird dadurch vermieden, und S. hat schon be- 
ginnenden Decubitus auf diesem Lager yon selbst heilen gesehen. 

Die Holzwolle saugt alles Nasse auf, und mit ihr kann deshalb Urin, Koth etc. 
leicht mittelst einer Schaufel entfernt werden. Einen Uebelstand bildet der Staub; 
das morgendliche Auflockern muss darum vorsichtig geschehen, auch kann geringe 
Befeuchtung, vielleicht mit Glycerin, angewendet werden. Aber fflr unruhige 
Patienten eignet sich die Holzwolle jedenfalls nicht, auch nicht fftr solche (Geistes- 
kranke), die sie etwa essen, weil sie stark aufquillt. 

Ein Lager von 15—20 kg ist allerdings zur Zeit nicht ganz billig, da das 
Kilogramm 70 Pfg. kostet und der tagliche Yerbrauch etwa 50 Pfg. betr&gt; aber 
auch alle anderen Apparate fftr diese Zwecke sind theuer, und namentlich fSIlt bei 
der Holzwolle die Wascheersparniss in’s Gewicht. 

Wegen der MOglichkeit leichter und schneller Entfernung (und Verbrennung) 
der Excrement© bringt Verf. die Holzwolle auch zur Vemichtung yon Krankheits- 
keimen (Cholera) in Vorschlag. Hadlich. 


Forensische Psychiatric. 

21) Eintheilung der Verbreoher in 4 Typen von Dr. Johann Badik, Straf- 
hausarzt in Hlava, Ungarn. (Virchow’s Archiv. Bd. 97. H. 2.) 

Verf. hat bei den von ihm untersuchten ca. 600 Verbrechern und nach 60 bis 
70 Sectionen entweder keine Sch&delanomalie Oder Sch&delasymmetrie und Yerflachung 
des Hinterhauptes gefunden, ferner am Gehirn entweder keinen pathologischen Be- 
fnnd, oder folgenden: Arachnitis mit einem etwas sulzigen, opaken Exsudat und 
Rinden-Encephalitis (Pia-Verwachsung). Danach bildet Verf. 4 anatomische Gruppen, 
deren Merkmale sind: 1) symmetrischer Sch&del: a) kleiner Sch&del, kein patho- 
logischer Befund am Gehirn; b) mittelgrosser Sch&del mit pathologischem Gehirn- 
befunde; — 2) asymmetrischer Sch&del: a) ohne, b) mit pathologischen Ver&nderungen 
am Gehirn. 

Diesen 4 Gruppen entsprechen nun seine 4 Verbrechertypen: 

la) „Einfaltige Menschen", fromm und grosse Esser, ohne intellectueUe und 
moralische Entwickelungsf&higkeii 

1 b) Erregbare Menschen, die im Affect ihre Verbrechen begangen haben; meist 
bildungs- und besserungsf&hig. 

2 a) Die eigentlichen Bdsewichte, ganz verworfene, stets Schlechtes sinnende 
Verbrecher. 

2 b) Meistens Epileptiker, die grCsstentheils die That in bewusstlosem Zustande 
begangen haben, meistens sp&ter bl&dsinnig werden; sie bilden die „Brficke“ zu den 
Geisteskranken. 

Der Zahl nach verhalten sich die 4 Typen wie 1:3:9:0,5. — 

(Danach scheint es, als wenn etwa 10 °/ 0 der in Illava Detinirten Geisteskranke 
sind. — Bei seinem recht einfachen System hat Verf. anscheinend auf Abusus spirit., 
Syphilis, Tuberculose etc. keine Rficksicht genommen. Bef.) Hadlich. 


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22) Simulation of insanity by a criminal lunatic by T. J. Bluthardt. 

(American Journal of neurology and psych, 1883. p. 380.) 

Ein sehr klar liegender Fall von Simulation durcb einen Geisteskranken, um 
der Strafe ffir ein von ihm vertlbtes Verbrechen zu entgeheu. Ein an Hebephrenic 
leidender junger Mensch, der bei einem Eisenbahnungl&ck vor einigen Jahren ein 
Bein verloren hatte, sollte seiner Geistesstdrung wegen einer Irrenanstalt hbergeben 
werden, musste aber bis zur Erledigung gewisser Formalitaten vorlaufig in einem 
Gef&ngniss untergebracht werden. Da er vOllig harmlos erschien, wurde er mit einem 
anderen Gefangenen in dieselbe Zelle gesperrt; da der letztere aber die gemeinsame 
Schlafstelle ganz f&r sich in Anspruch nahm, so entspann sich ein Streit, in welchem 
der Eranke nachgeben musste. Dafhr ermordete er nun in der Nacht, als sein 
Zellengenosse ruhig schlief, denselben durch Schlage mit dem eisenbeschlagenen Stelz- 
fuss. Am nachsten Morgen meldete er dem Aufseher, es sei Alles in Ordnung und 
wollte ihn nicht die Zelle inspiciren lassen. Als aber trotzdem das Verbrechen ent- 
deckt wurde, simulirte er pldtzlich absolute Verwirrtheit und Demenz, verneinte jede 
Kenntniss von der That und f&hrte die Blutflecken an seiner Person auf eine zu- 
f&llige Epistaxis zurflck. Naturlich machte weder der Nachweis der Simulation, um 
der gefdrchteten Strafe zu entgehen, noch der der bereits vor dem Morde anerkannten 
Hebephrenie besondere Schwierigkeiten. Sommer. 


28) Sohwere Verletzung der Mutter und Frau, wahrsoheinlich in transi- 
torisoher Geistesstdrung a potu. Fakultatsgutachten der Grazer medi- 
cinischen Fakultat. Mitgetheilt von v. Erafft-Ebing. (Aus den Mittheilungen 
des Vereins der Aerzte in Steiermark.) 

Ein etwa 50jahr. Gewohnheitstrinker machte im Zustand hochgradigen Rausches 
den Versuch, Mutter und Frau zu eretechen, ohne der Ersteren gegenhber ein Motiv 
fttr die That zu haben, und nachdem er Beiden schwere Verletzungen beigebracht, 
einen erfolglosen Selbstmordversuch. Kurz nach der That rasche Emuchterung des 
Thaters, offenes Gest&ndniss, UnfShigkeit, die That zu motiviren, dabei sehr defects 
Erinnerung fQr die n&heren Umstande bei derselben. Das Gutachten spricht sich 
dahin aus, dass der Thater zur Zeit seines Verbrechens „in einem geistig unfreien, 
sogenannten bewusstlosen" Zustande sich befunden babe. Brhckner. 


III. Aus den Gtosellsehaften. 

Berliner Gesellschaft fhr Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Sitzung 
den 10. November 1884. 

Oppenheim: Ueber Vagus-Erkrankung im Verlauf der Tabes dorsalis. 
Vortr. beschrankt sich darauf, von den im Verlauf der Tabes dorsalis auftretenden 
Erankheitserscheinungen, welche mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf eine Er- 
krankung des N. vagus bezogen werden k6nnen, die Eehlkopfsymptome zu besprechen. 
W&hrend die Larynxkrisen wenigstens von Seiten der franzCsischen Autoren eingehend 
gewhrdigt worden sind, sind die Mittheilungen fiber Eehlkopfmuskellabraungen noch 
vereinzelt und die anatomischen Befunde noch recht sparlich. 

(Der Vortr. fuhrt die einschlagige Literatur an.) 

Ein Eranker, der der Gesellschaft vorgestellt wird, bietet die Zeichen einer vor- 
geschrittenen Tabes dorsalis. Er leidet seit Jahren an Larynxkr&mpfen, im letzten 
Jahre ist die Stimme rauh, heiser, zeitweise klanglos, der Athem keuchend. — Die 
laryngoskopische Untersuchung ergiebt eine Parese beider Musculi crico-arytaenoidei, 


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sowie dee rechten thyreo-arytaenoideus. Der Puls ist zeitweise arythmisch und setzt 
ffir 6—8 Schlage ganz aus. 

Yortr. berichtet alsdann fiber eine Patientin, die Jahre lang auf der Nerven- 
abtheilung beobacbtet wurde. Sie zeigte das Bild der Tabes dorsalis in seiner ganzen 
Vollkommenheit und litt an gastrischen und Larynxkrisen. In den letzten Lebens- 
monaten treten aucb bier die Zeichen einer Stimmbandparese bervor. Die Antopsie 
zeigte graue Degeneration der Hinterstr&nge, im Vagus-Accessorius-Kern der Medulla 
oblongata nicbts Besonderes; fiber die Beschaffenheit des Bespirationsbfindels bat der 
Yortr. bis jetzt nocb kein abgescblossenes Urtbeil, — dagegen tritt eine erbebliche 
Degeneration im Stamm des N. vagus und des laryngeus recurrens bervor, wie die 
vom Vortr. demonstrirten mikroskopiscben Praparate beweisen. 0. bedauert, den N. 
laryngeus superior nicbt herausprfiparirt zu baben, auf dessen Untersucbung in Zu- 
kunft Wertb zu legen sei. 

Larynxkrisen bat Vortr, in 12 Fallen von Tabes dorsalis constatiren kfinnen. 
Die Anffille baben nicbt immer denselben Charakter, sondern gleicben bald dem 
Keuchbustenparoxysmus, bald mebr jener Form von Larynxkrampfen, wie sie als 
Laryngismus stridulus gescbildert wird, endlicb wecbselten mit diesen Anfallen solcbe 
einfacber Atbemart und Angst ab. Sie kbnnen Jahre lang und selbst fiber ein Jahr- 
zebnt bestehen, obne scbwere Folgeerscheinungen und kfinnen selbst an Intensit&t 
verlieren. Aber gerade in den Fallen, in denen sie sicb bfiufen und an Heftigkeit 
•stet8 zunebmen, scbeinen die Stimmbandparesen sicb einzustellen. Yon den Beziebungen 
der Kehlkopfsttirungen zu anderen Symptomen der Tabes dors, erscheinen dem Vortr. 
am constantesten die zu den gastrischen Krisen, insofem als diese in der Mehrzahl 
seiner Beobachtungen Jabre lang vorausgingen; ausserdem bestehen nebenber gem 
Scblingbescbwerden, meist leichterer Art, Scbwindel- und Obnmacbtsanfalle etc., 
Arthropathien waren in 3 Fallen vorbanden. 

Der Tod erfolgte einmal sicber in einem solcben Anfall, in einer anderen Be- 
obachtung ging ein Hustenparoxysmus wenigstens dem Exitus unmittelbar voraus. 

In den meisten der genannten Falle, sowie aucb in vielen der durch gastriscbe 
Krisen ausgezeicbneten Ffille von Tabes dorsalis konnte Vortr. in der seitlichen Hals- 
gegend, am Innenrand des M. sternocl. einen Scbmerzdruckpunkt auffinden. 

Mendel bemerkt in Bezug auf das vom Vortr. erwahnte „Respirationsbtindel“ 
(wobl besser als solitfires Bfindel zu bezeicbnen, da seine Beziebungen zur Respiration 
fraglich sind), dass nach den Untersuchungen von Pierret dasselbe in Zusammen- 
hang mit den Sympatbicusfasern stehe, dass demnacb, wenn eine Verfinderung des- 
selben gefunden wtirde, dieselbe nicbt obne Weiteres ffir die motorischen Stfirungen 
in Ansprucb genommen werden kfinnte. 

Westphal kann von einem Tabesfalle mit Larynxaffectionen bericbten, in wel- 
chem Sklerosirung des Ependyms des 4. Ventrikels gefunden wurde und dieser Pro¬ 
cess vielleicht auch den Vaguskern mit getroffen bat. Genauere Untersucbung stebt 
noch aus. — Westphal schlagt ferner vor, den Namen „Larynxkrise“, „gastriscbe 
Krise" fallen zu lassen, weil „Krise“ bei uns eben eine andere Bedeutung babe, als 
im Franzfisischen; „gastralgiscbe Anfalle", „Larynxkr&mpfe“ wtirde passender sein. 

Bernhardt bat keinen Zusammenbang zwiscben gastrischen Krisen und Larynx¬ 
krisen beobacbtet; erstere kommen relativ haufig, letztere selten vor. 

Oppenbeim hat aucb nur gesagt, dass er mebrmals notirt babe, dass Larynx- 
anfSlle eingetreten seien, nachdem bei denselben Kranken frfiher gastriscbe Krisen 
vorgekommen waren. 

Jastrowitz bat einen Fall beobacbtet, wo die Tabes mit Larynxkrisen und 
Oculomotoriusl&bmung begann. 

Remak berichtet fiber einen typischen Fall von Tabes mit Augenmuskellahmungen, 
bei welcbem nahezu als erstes Symptom eine einseitige Lahmung des M. crico-ary- 
taenoideus posticus von Boker constatirt wurde. Es spricht dies gegen die aus- 


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schliessliche Auffassung der Posticuslahmung als Contractor der Stimmbandadductoren, 
wie sie soeben von F. Krause vertreten wurde. 

Thomsen: Bin Fall von typisoh recidivirender Oculomotoriuslahmung. 
Der jetzt 34jahr., sonst gesunde, nicht erblich belastete Kranke bekam im 5. Lebens- 
jahre unter Uebelkeit, Kopf- und Augenschmerzen (ohne Entztindung) eine Oculo¬ 
motoriuslahmung des rechten Auges, die seitdem ganz typisch ein- bis zweimal im 
Jahr (im Mai und im October) recidivirt und zwar unter denselben Prodromen. Die 
L&hmung ist eine complete (vOllige Ptosis, Paralyse des Rectus sup., ini und inf., 
Pupillenstarre und Accommodationslahmung) und dauert einige Wochen. In der 
anfallsfreien Zeit besteht eine Oculomotoriusparese mittleren Grades. Seit dem 
13. Lebensjahre leidet der Pat. fiberdies in Folge eines Trauma capitis an epilep- 
tischen Anfallen. Auffallig ist, dass erstens die Oculomotoriuslahmung mit psychisch- 
nerv5sen Symptomen einsetzt, zweitens, dass ein incompleter Anfall beobachtet wurde 
nach einem starken psychischen Shok und dass sich die Lahmung verstarkt fand 
nach einem nachtlichen Angstanfall und drittens, dass das Gesichtsfeld beider Augen 
— aber auf dem rechten Auge in betrachtlich hflherem Grade — eine concentrische 
Einengung zeigt, die, ganz proportional der Intensitat der Lahmung, zugleich mit 
dieser zu- und abnimmt. Auf der H6he des Lahmungsanfalles betrug das Gesichts¬ 
feld auf dem rechten Auge nur 3—5° (links 20°); die Farbenkreise verhalten sich 
entsprechend. 

Auch die Sehscharfe zeigt sich auf der Acme des Anfalls eher mehr herab- 
gesetzt, als im Intervall. 

Der Yortr. betont die ganz auffallige innige Beziehung von Oculomotorius¬ 
lahmung, psychischem Verhalten und Gesichtsfeldsweite und weist auf die gleich- 
zeitig bestehende Epilepsie hin, ohne hbrigens einen Zusammenhang beider Affectionen 
behanpten zu wollen. 

Remak beobachtete vor ca. 2 Jahren einen 22jahrigen Brauer (Potator), der 
seit seinem 12. Jahre an Anfallen litt, die mit Uebelkeit resp. Erbrechen und Schmerzen 
in der linken Schlafe beginnend zu Lichtscheu und Oculomotoriuslahmung f&hrten; 
das Ganze dauerte 2—3 Wochen und trat etwa jahrlich 2mal auf. Seit 3—4 Jahren 
wiederholt sich der Anfall jedoch etwa alle 3 Monate, und es bleibt seit einiger Zeit 
auch in dem freien Intervall ein geringer Grad von Oculomotoriuslahmung zurdcL 
Ein in Kdnigsberg gemachter Yersuch, diese bestandige Lahmung durch eine Schiei- 
operation auszugleichen, hatte nur bis zum nachstfolgenden Anfalle Erfolg. — Das 
Gesichtsfeld hat R. leider nicht geprfift. — R. sah ausserdem einmal eine typische 
linksseitige Oculomotoriuslahmung, die nach 2 Tagen wieder verschwand. — Un- 
zweifelhaft war es ein dem des Vortragenden analoger Fall, den MObius khrzlich 
beschrieben und bei dem er — nach R.’s Meinung mit Unrecht — einen Gehirn- 
tumor mit Schwellungszustanden diagnosticirt hat Es wttrden dann doch auch nodi 
andere Erscheinungen, vom Tumor bedingt, vorhanden sein mdssen. R. hat aber 
auch in seinem Falle das sonstige Befinden des Kranken ganz normal gefunden. Er 
glaubt deshalb, dass reflectorische functionelle Storungen zu Grunde liegen, welche 
der Hemicranie an die Seite zu stellen sind. 

Hirschberg bemerkt zuerst auf eine Anfrage Remak’s, dass er rasch vor- 
hbergehende Oculomotoriuslahmung gelegentlich, wiewohl nicht haufig gesehen, dass 
aber derartige Falle wie der demonstrirte ganz exceptionell und merkwQrdig seien, 
und auch mit den in der Literatur vorliegenden, betreffend periodische Oculomotorius¬ 
lahmung bei jungen Damen im Zusammenhang mit Menstruationsstftruugen, nichts 
gemein h&tten. 

Was den vorgetragenen Fall selber betrifft, so muss er bezhglich der herab- 
gesetzten Sehscharfe des rechten Auges bemerken, da«s schon das Protokoll in ihm 
die Vermuthung des Astigmatismus wachgerufen habe, und dass die soeben vorge- 
nommene ophthalmoskopische Untersuchung diese Ansicht bestatigt. Die Herabsetzung 


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der centralen Sehscharfe des rechten Auges hai also nichts mii dem Nervenleiden 
za than. — Die Beschrankungen des Gesichtsfeldes auf 3 oder 10 Grad, die so 
rasch kamen und gingen, seien liochst seltsam. Ein Menscb, dessen Gesichtsfeld 
derartig beschrankt ist, vermag nicht auf uuseren Strassen allein umlier zu gehen; 
ja nicht einmal im Zimmer, ohne allenthalben anzustossen. Es ist hfichst fraglich, 
ob derartige Kranke so genau angeben, wie ein geistig Gesunder z. B. mit Retinitis 
pigmentosa. Sollten derartige Kranke zur Zeit der Gesichtsfeldbeschrankung frei 
umher gehen, eventuell auch nach Yerschluss des bessem Auges, so ware damit be- 
wiesen, dass sie nicht die wirkliche Grenze des Gesichtsfeldes angeben, sondem nur 
die Grenze des deutlichen Erkennens, und dass diese psychiatrischen Gesichtsfeld- 
zeichnungen mit den ophthalmologischen nicht identificirt werden dtirfen. 

Thomsen giebt zu, es sei mbglich, dass undeutliches Sehen ausserhalb der 
von ihm gezeichneten Gesichtsfeldgrenzen bei seinem Kranken vorhanden sei; das 
Wesentliche der von ihm beobachteten Thatsachen werde dadurch aber gar nicht 
alterirt. 

Uthoff tritt fiir die richtige Zeichnung der betreffenden Gesichtsfelder ein. 
Auch hysterische Gesichtsfeldbeschrankungen wurde man doch in derselben Weise 
zeichnen mflssen. 

Hirschberg erwidert,dass die schwankendeBasis der Hysterie keinen genfigenden 
Halt fur den vorliegenden Fall abgebe. Hysterische erklaren, auf einem Auge farben- 
blind zu sein, und erkennen die Farben auf’s Sicherste, wenn man sie dem betreffenden 
Auge im Stereoskop so d&rbietet, dass Jene wahnen, sie mit dem gesunden Auge zu 
schauen. Das, was sie als ihre Perception angeben, hangt ab von ihrem Urtheil. 
Hysterische erklaren, auf einem Auge fast blind zu sein, und wenn man sich die 
genfigende Mfihe giebt, Zeit nimmt und die richtigen Kunstgriffe anwendet, lesen sie 
mit dem angeblich blinden Auge feinste Schrift. Hysterische geben an, auf einem, 
und selbst auf beiden Augen hochgradige concentrische Gesichtsfeldbeschrankung zu 
haben, und gehen dabei so unbefangen durch unsere Untersuchungszimmer, dass der 
Kundige weiss, was von ihren Angaben zu halten ist. Ehe nicht grflndliche, langer 
fortgesotzte Untersuchungen fiber die freie Orientirung solcher Nervenkranken vor- 
liegen, mochte ich meine Bedonken beziiglich der aufgezeichneten Gesichtsfelder auf- 
recht erhalten.. Eine functionelle Prufung, die auf den Angaben des Patienten be- 
ruht, hat nur dann ihren Worth, wenn der Arzt eben durch Controlversuche 
sich fiberzeugt, dass die Angaben des Kranken richtig gemacht sind. 

Westphal halt die Verstandigung liieruber fiir leicht und einfach. Die Ge¬ 
sichtsfelder sind jedenfalls richtig gezeichnet, nur bedarf es einer Erlauterung darttber, 
ob ausserhalb der gezeichneten Grenze grossere Gegenstande, als das Papierquadrat 
noch wahrgenommen werden. 

Oppenheim weist darauf hin, dass auch in gewissen Fallen von concentrischer 
Gesichtsfeldeinschrankung bei organischen Gehimkrankheiten mit Hemianaesthesia 
completa es sich ergebe, dass die Kranken ausserhalb der Grenze wohl grobe, aber 
keine feineren Dinge mehr wahrnehmen kOnnen. 

Mendel: Ueber prftepileptisches Irresein. So sorgfaltig die Zustande von 
postepileptischera Irresein bisher beschrieben sind, so dfirftig seien bisher die An¬ 
gaben fiber die Zustfinde des praepileptischen Irreseins. Ausser den dem Anfalle 
haufig nur als Aura vorangehenden Hallucinationen in den verschiedensten Sinnen 
konnen folgende Zustande praepileptischen Irreseins unterschieden werden: 

1) Zustand von Schwerbesinnlichkeit in den verschiedensten Graden, Neigung 
zum Schlaf bis zur vollstandigen Betaubung. 

2) Zust&nde von Unruhe und grbsserer Erregung bis zur vollstandig ausgebildeten 
Tobsucht, die mit dem epileptischem Anfall endet. 

3) Melancholisch-hypochondrische Zustande, nicht selten mit Neigung zum Sui- 
cidium. 


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4) Zust&nde, in denen einzelne Vorstellungen nach Art der Zwangsvorstellungen, 
oder Triebe das Seelenleben fast uneingeschrankt beherrschen und bei der Schwache 
der contrastirenden Yorstellungen und bei massig getrtibtem Bewusstsein zu gew&lt- 
thatigen Handlungen ftihren kCnnen, die den Charakter der reflectoriscben annebmen. 

Ueber einen forensischen Fall der letzteren Art bericbtet der Vortragende. 

Einem 40jahr. Mann, Potator und Epilepticus, hatte die Ebefran angeblicb gesagt: 
„Es ware am besten, wenn sie Dicb Zeitlebens einsperrten, dann kbnntest Dn nicbt 
mehr Schnaps trinken". Der Gedanke daran beschaftigte ibn Stnnden lang vor der 
That, wahrend er durcbaus nftchtern war. Da kommt ihm der Gedanke: das Hans 
anzustecken, um in’s Zucbtbaus zu kommen; er legt sofort Feuer anf dem Boden 
an; kommt in die Werkstatte zurflck, wo ibn die Mitgesellen nocb im benommenen 
Zustand seben; er wollte Petroleum auf die Lampe giessen, da er „nichts seben 
konnte" (es war Mittag), nabm Streichbolzer hervor und sagte: „Jetzt stecke ieb 
die Bude an" (es brannte scbon); unmittelbar danacb unter den Augen der Mit¬ 
gesellen ausgebildeter epileptischer Anfall. Nach demselben gebt er in seme 
Wohnung, verlangt sein Mittagessen; wahrend des 'Essens schlagen die Flammen 
a us dem Hans, und nun erst kommt ihm zum Bewusstsein, dass er das Haus an- 
gesteckt hat. Er stellt sich der Polizei. Noch 2 Tage Benommenheit, docb im 
Wesentlicben ricbtige Angaben fiber die Einzelheiten der Handlung. In der Unter- 
suchungshaft im Uebrigen ungestOrtes Yerhalten. Auf Grund des Gutachtens des 
Geb. Rath Lewin ausser Yerfolgung gesetzt, weil er die That in einem Zustand 
praepileptischen Irreseins begangen. 

Es werden noch einige andere, nicht forensische Falle bericbtet. 

Hadlicb. 


Aus der Sitzung der „Royal medical and chirurgical society" zu Lon¬ 
don vom 8. April 1884. (Brit. med. Joum. 1884. April 19. p. 762.) 

Harley besprach zunachst einen typischen Fall vonMyxoedem bei einer Nichtr 
geisteskranken, indem er die allgemeine Yermehrung des Bindegewebes und die 
spatere sclileimige Degeneration desselben von einer Erkrankung der Ganglien des 
grossen Sympathicus abhangig machte. Die letztere war freilich auch ihrerseits nor 
eine secundare Affection gewesen im Anschluss an eine primare Pleuropneumonie, die 
durch ihre zurflckbleibenden Schwarten die Retropleuralganglien in Mitleidenscbaft 
gezogen hatte. In der lebhaften Discusion, die diesen Ausfilhrungen folgte, wies nun 
Ord auf das haufige Vorkommen des Myxoedems bei Geisteskranken bin und con- 
statirte dann, dass vielfach eine Atrophie des Gland, thyreoid, als Ursache angesehen 
wurde; frfther habe man auch Nierenerkrankungen und sogar Cretinismus zur Er- 
klarung herangezogen. Ralfe schloss aus der schon von Clark hervorgehobenen 
Thatsache der verminderten Harn- und Harnstoffausscheidung wieder auf einen 
Degenerationsvorgang; gegen die Auffassung, das sympathische Nervensystem sei 
erkrankt, wies er auf die Herabsetzung der arteriellen Spannung hin, die aus der 
verminderten Urinsecretion zu folgem sei und die mit jener Annahme im Widersprucb 
stande. Er selbst halte das Myxoedem ftir das Resultat einer Rilckbildung des vor- 
handenen Bindegewebes auf eine embryonale Stufe. 

Die Frage nach der wahren Natur des Myxoedems erscheint hiernach noch 
vollig unentschieden. _ Sommer. 


IV. Congresso della societa freniatrica italiana zu Voghera. (Rivist speri- 
ment. di Freniatr. 1884. X p. 72, — Vgl. auch Nr. 8 dies. Ctbl. S. 190.) 
Aus den Vortragen, welche auf dem Congress der ital. Irrenarzte zu Voghen 
1883 gehalten worden sind, mogen noch die folgenden hervorgeboben werden. 

Biancbi glaubt, dass in den Prodromalstadien der allgemeinen Paralyse die 


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sogen. Sehnenreflexe bedeutend geeteigert sind, run dann allmahlich weniger deutlicli 
zu werden und zuletzt ganz zu schwinden. Yon 26 Paralytikern boten daher bei 
ihrem Eintritt in die Irrenanstalt 15 eine Steigerung und tmr 2 den Yerlust des 
Westpbarschen Zeichens; im spateren Yerlauf aber waren die entsprechenden Zablen 
10 und 9. Er bezieht fibrigens die anfangliche Steigerung des Enieph&nomens 
nicbt auf die beginnende Erkrankung der Hinterstrange des Rfickenmarkes, sondern 
die entzfindliche Reizung der motoriscben Hirnrinde bewirke sie. 

Seppilli bespricht seine Blutuntersuchungen bei 200 Irren (106 Manner, 94 
Frauen). Sowohl die Zahl der rothen BlutkSrperchen, als auch der H&moglobingehalt 
ist in den prim&ren Stadien aller Psychosen sehr haufig herabgesetzt. Bei Frauen 
ist die Einbusse gewohnlich eine bedeutendere als bei Mannern. Erregungszustande 
bieten haufiger als Depressionszustande das normale Yerhalten des Blutes dar. 

Tambroni hat als Mittel von 4000 Messungen fur die Temperatur der Irren 
37,12° gefunden, doch glaubt er annehmen zu k5nnen, dassje nach Geschlecht und 
nach der Form der betreffenden Psychose regelmassige Abweichungen yon jener 
Durchschnittstemperatur zu erwarten seien. Wenn man die einzelnen Formen der 
GeistesstOrung nach fallenden Mitteltemperaturen ordnet, so ergiebt sich folgende 
Reihe: postepileptisches Irresein, Manie, Idiotie und Imbecillitat, Melancholie, Pellagra, 
Paralyse und Stupor. Innerhalb derselben Krankheitsform haben Manner eine etwas 
hOhere Temperatur als Frauen. Die Abendtemperatur ist regelmassig urn 1 / 4t Grad 
holier als die des Morgens. Ausserdem folgt die Temperatur aller Irren in gewissem 
Graden der Schwankungen der meteorologischen Warme. Endlich soli der Fieber- 
verlauf bei acuten Erkrankungen der Irren ganz identisch sein mit dem bei Geistes- 
gesunden, auch was die absolute Hohe der KOrperwarme betrifft. 

Gonzales und Yerga besprechen eine grosse apoplectische Cyste im mittleren 
Drittel des motorischen Rindenbezirks der linken Hemisphare, ohne dass in den 
letzten Lebensjahren der betreffenden Patienteu, solange er namlich wegen secundfirer 
Demenz unter arztlicher Beobachtung war, irgend eine StOrung der Motilitftt be- 
standen hatte. 

Merkwtirdig ist ferner die Mittheilung Soliv etti’s fiber die Heilung hysterischer 
Convulsionen durch Entziehung der im KOrper der Patientin abnorm aufgespeicherten 
Electricitat, durch Verbindung des positiven Conductors einer Reibungselectrisir- 
maschine mit dem Rficken der isolirten Kranken. Die ausffihrlicher mitgetheilte 
Theorie fiber ein „elektrotonisches Centrum" in der Medulla oblongata bedarf wohl 
noch der weiteren Bestatigung. 

Funajoli lfisst bei Besprechung eines zweifelhaften Falles yon moralischem 
Irresein die Diagnose des letzteren nur gelten, wenn der originare Charakter des 
ganzen Zustandes, wenn das Fehlen jedes moralischen Geffihles und wenn die Impul- 
sivitat und die Verkehrtheit aller Handlungen des Patienten nachgewiessen ist. (Am 
besten dfirfte es wohl sein, den Begriff „moral insanity'' ganz zu vergessen.) 

Tam bur ini theilt sodann seine Erfahrungen fiber einige neuere Narcotica mit. 
In Uebereinstimmung mit den Erfahrungen deutscher Irrenfirzte halt er das Acetal 
oder richtiger Diaethylacetal durchaus nicht ffir einen Ersatz des Chlorals: auch 
das Napellin kann in keiner Hinsicht dem Morphin gleichgestellt werden. Gfinstiger 
hingegen betrachtet er das Paraldehyd, das er dem Chloral substituiren wfirde, 
sobald das Letztere seine Wirksamkeit zu yerlieren beginnt oder aus somatischen 
Grfinden contraindicirt scheint. Riggi spricht sich ebenfalls zu Gunsten des 
Paraldehyds aus. 

Yon den fibrigen Yortragen ist bereits oder wird erst, wenn die Arbeiten in 
extenso vorliegen, ein Referat an anderer Stelle dieses Centralblattes gegeben werden; 
so findet sich Maccabruni’s Vortrag bereits 1. c. S. 39 und der Tonnini’s ibid. 
S. 106 angezeigt. Sommer. 


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IV. Personation. 

Herr Dr. Bechterew hat die Professur fur Psychiatric in Kasan als Nach- 
folger Freses erhalten. 

Am 1. December a. c. geht die bisher von Herm Dr. Lehmann in Pima ge- 
leitete wohlbekannte Privatheilanstalt ffir Gehirn- und Nervenkranke in die Hande 
des Herm Dr. Pierson, Dresden, fiber. Herr Dr. Pierson ist zwar vorzugsweise 
durch seine neuropathologischen Arbeiten bekannt geworden, hat aber frfiher als 
Assistent an verschiedenen Irrenanstalten, wie durch seine jetzige Stellung in Dresden 
reichlich Gelegenheit gehabt, auch der Psychiatric seine Aufmerksamkeit zuznwenden 
und Erfahrungen zu sammeln. 


In Marseille starb am 16. October d. J. Dr. Sauze im Alter von 57 Jahren, 
der durch eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten, besonders fiber die progressive 
Paralyse der Irren, auch ausserhalb seines Vaterlandes bekannt geworden war. 


Vacante Stellen. Brandenburgische Provinzialirrenanstalt Eberswalde bei 
Berlin: 

erster Hfilfsarzt 1500 Mark, freie Station; 
zweiter Hfilfsarzt 1200 Mark, freie Station; 

Januar 1885 zu besetzen. Meldung an Geheimen Sanitatsrath Dr. Zinn, Eberswalde. 


V. Vermischtes. 

Znr Bedeutung der feuchten Schnauze der mit feinem Geruchssinn ausgestatteten Sanger. 
Exner (Ztschr. f. wissenschaftl. Zoologic. 40. 3. S. 557) sieht in dem weichen Flechtwerk 
markloser Nervenfasern, welches sich im Epithel der Rinderschnauze findet, wesentlich ein 
Organ des Temperatursinns, welches mittelbar dazn dient, die Richtung, ans welcher ein 
Gernch kommt, zu erkennen. Es ist klar, dass einem mit der Nase Beute suchenden oder 
einem den Feind wittemden Thiere sein vortrefflicher Geruchssinn in den meisten Fallen 
nichts niitzen wiirde, wenn es nicht ein ahnlich feines Organ hatte, das ihm gestattet, die 
Richtung, aus welcher die mit dem RiechstofF geschwangerte Luft kommt, richtig zu be- 
urtheilen. Ein Volksmittel, bei sehr geringer Luftbewegung die Richtung dcrselben zu er¬ 
kennen, besteht darin, dass der Finger feucht gemacht nnd dann frei in die Luft gehalten 
wird. Die Seite, auf welcher man ihn kiihl werden fiihlt, zeigt die Windrichtung an. Es ist 
nicht zu verkennen, dass die feuchte Schnauze der Wiederkauer, Hunde etc. durch den grossen 
Reichthum an Drusen einerseits und an bis hart an die Oberflache reichenden Epithelnenren 
andererseits in hohem Grade geeigpet ist, dem Thiere das in vollkommencrem Grade zu 
leisten, wozu uns der befeuchtete Finger dienen kann und so mittelst einer von der Schnellig- 
keit der Verdunstung abhangigen Temperaturempfindung eine Richtungswahmehmung zu 
vermitteln. 

Merkel halt gewisse raarklose Nerven fur Temperaturnerven. M. 


In Manchester erscheint seit dem'l. October d. J. ein neues medicinisches Journal: 
The Medical Chronicle. A Monthly Record of the Progress of the Medical Sciences. In 
dem vorliegenden Heft ist der neuropathologische Theil von James Ross, der elektro- 
therapeutische Theil von Dixon-Mann referirt und diesc Namen bfiigen ffir die Gfite und 
die Zweckmassigkeit der ausgewahlten Referate. M. 


Um Einsendung von Separatabdrucken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen fiir die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 

Yciiag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgbb & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Centr alblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystemes einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Dritter lu B * rlin - Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummem. Preis des Jahrganges 15 Mark. Za bezielien durch 
alle Buchhandlungen des In- nnd Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Yerlagsbucbhandlung. 


1884. 15. December. 24. 


In halt. I. Originalmiitheilungen. Mittheilung, die angebliche Abwesenheit der Vier- 
hugeltheilung bei Reptilien betreffend, von Spitzka. 

II. Referate. Experimentelle Physiologie. 1. Ueber die Sensibilitat der vorderen 
Ruckenmarksstrange bei den Froschen von Schfff. 2. Note relative a Taction physiologique 
de la paraldehyde par Prevost. — Pathologie des Nervensystems. 3. Considerations 
sur Tagraphie a propos d’une observation nouvelle d’agraphie raotrice pure par Pitres. 4. Con¬ 
tribution a Tetude des scleroses medullaires d’origine vasculaire par Demange. 5. Die Neu¬ 
rasthenic und Hysteric von Richter. 6. Zur Behandlung schwerer Formen von Hysterie und 
Neurasthenic von Burkart. 7. The relations of hysteric with the scrofulous and the tuber¬ 
cular diathesis by Grasset. 8 . Ueber Hysterie bei Kindern von Schgfer. 9. Die infantile 
Hysterie von Weiss. 10. The anatomical and physiological basis of the kinesioneuroses of 
infancy and childhood by Peckham. 11. ZurCasuistik der Hysterie im Kindesalter von Ktfbner. 
12. Om Hysteri hos Born af Langgaard. 13. Ueber Hysterie beim raannlichen Geschlecht 
von Mendel. 14. Note potfr servir a Tliistoire du transfert cflez les hypnotiques par F6r6 et 
Binet. 15. Sur le somnambulisme partiel par F6r4 et Blnet. 16. Contribution a retude des 
ecchvmoses sous-cutan6es d'origine nerveuse par Keller. 17. Nevrose ^lectrique par F4r4. 
18. Note sur un cas de rage humaine par de Beurmann. — Psychiatrie. 19. Case of in¬ 
sanity after head-injunr by Rayner. 20. Amelioration of paretic dementia after extensive 
sloughs by Burr. 21. Ueber sporadische psychische Ansteckung von Knlttel. — Therapie. 
22. Facial neuralgia treated by nerve vibration by Neale. 

III. Personallen. 

Register. 


I. Originalmittheilungen. 

Mittheilung, die angebliche Abwesenheit der Vierhiigel- 
theilnng bei Reptilien betreffend. 

Von Dr. E. C. Spitzka. 

In einem Referat fiber die neuere Arbeit Lussana’s (Neurol. Ctrlbl. 1884. 
Nr. 18. S. 147) wird die Behauptung diases Autors, dass „nur die Boa und merk- 
wurdiger Weise unter den Pisehen allein der Aal die saugethierahnliche Quadru- 
plicitat der Corpora quadrigemina aufweisen“, ohne irgend welchen Commentar 
acceptirt. In dieser Fassung ist die obige Behauptung ungenau, und die Fol- 
gerung, dass die Corpora quadrigemina wegen der Abwesenheit der Querfurche 


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bei den gewohnlichen Reptilien durch die zwei Lobi optici bei diesen Thieren 
vertreten sind, schon vor Jahren von mir als falsch erwiesen worden. Da die 
bezuglichen Mittheilungen mehreren deutschen Collegen unbekannt geblieben zu 
sein scheinen, will ich in aller Kurze das Hauptsachliche, die einschlagigen 
Fragen betreffend, hier anfuhren. 

1) Die Thatsache, dass die Boa die Vierhugeltheilung zeigt, ist eine alt- 
bekannte; schon Solly’s veraltetes Werk 1 enthalt eine gate Abbildung des Boa- 
Gehimes, welche die erwahnte Eigenthumlichkeit in klarer Weise darstellt Ich 
habe dieses an vier Boa-Gehirnen constatirt und als eine bekannte Thatsache 
angegeben. 

2) Beim Sheltopuzik (Pseudopus) ist eine schwachere Andeutung der Vier- 
theilung bei manchen Exemplaren zu sehen. 

3) Die Reptilien mit entwickelteu Gliedmaassen besitzen entgegen der all- 
gemeinen Annahme das Ganglion des hinteren Vierhugelpaares und zwar bei 
Cheloniem und kleineren Eidechsen versteckt, bei Alligator als schwache und 
bei Iguana als machtige Hervorragung. Es ist also unrichtig, den Riesenschlangen 
allein die Yiertheilung zuzusprechen. Die Hervorragung des hinteren Paares 
blieb fruheren Beobachtem unbekannt, da (besonders bei Iguana) das Kleinhirn 
nach vome umgeschlagen die Theile verdeckt, und oft bis zur Mitte des Mittel- 
hirnes mit denselben durch die weichen Haute fest verwachsen ist. 

4) Das Verhalten der hinteren Hugel bei Alligator und Iguana ist dem 
des Menschen und der Saugethiere viel ahnlicher, als das bei Boa vorgefundene. 
Bei Boa scheint die Theilung einer wirklichen Kreuztheilung zu entsprechen. 
Bei Saugern dagegen stellen die Hinterhugel ein von hinten, unten und seitlich 
angewachsenes Aggregat der Vorderhugel dar. Besonders klar sieht man es beim 
Embryo, dass die Mittelhirablase sich nicht, wie es die bestehende Annahme 
will, erst durch einen sagittalen Einschnitt in zwei, und dann durch einen diesen 
kreuzenden Querschnitt in vier Hugel theilt, sondem sie bleibt in zwei Hugel 
getheilt; an jedem dieser Hugel bildet sich hinten eine Wulstung, die sich durch 
eine deutlicher werdende Furche abgrenzt, und schliesslich mit jener der ent- 
gegengesetzten Seite sich verbindet; dieses sind die Hinterhugel; dieselben ent- 
stehen also nicht „rein“ aus der Mittelhirablase, sondem durch Wachsthum 
eines compacten Ganglions, welches aus dem Grenzgebiet des Mittel- und Nach- 
hiras entsteht, und eher letzterem als ersterem zuzutheilen ware. Genau das- 
selbe kann man bei Vergleichung einer Reihe von Reptiliengehiraen, die mit 
Chelonia anfangt und mit Iguana aufhdrt, sehen. 

5) Die Lobi optici der Saurier entsprechen allein den Vorderhdgeln des 
Menschen und der Sauger. Durchgangig findet man, dass die Lobi optici mit 
dem Sehnerven direct zusammenhangen, und eine wahre Rindenstructur zeigen. 
Die Lobi postoptici — wie gesagt als wirkliche Hervorragung bei Iguana und 
in versteckter Form bei vielen Reptilien — haben genau wie die Hinterhugel des 
Menschen und der Sauger, niemals eine Rindenstructur, sondem sind compacte 


1 The Human Brain. London. 


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Ganglien mit in molecularer Masse, eingestreuten kleinen Zellen. Sie haben — 
wenigstens keinen directen — Zusammenhang mit dem Sehnerven. 

6) Vorder- und Hinterhugel des Menschen sind ganz verschiedene Ganglien, 
wie dies aus physiologischen und histologischen Grunden schon von Gudden 
und Forel nachgewiesen 1st. Ihre aussere Aehnlichkeit ist eine anatomische 
Accidenz, und vom physiologischen Standpunkte betrachtet ein Trugbild. Onto- 
genetisch ist nachweisbar, dass sie aus verschiedenen Anlagen entstehen, nam- 
lich: die Vorderhugel aus der ursprunglich einfachen Mittelhirnblase, die Hinter¬ 
hugel als spater angelegte paarige feste Massen. Phylogenetisch — durch 
Vergleichen mit Reptilien ist ihre urspriingliche Verschiedenheit noch klarer 
festgestellt. 

7) Die Hinterganglien sind in ahnlicher Ausbildung und tief versteckt wie 
bei Sauriern auch bei Yogeln (Struthio u. a.) zu finden, nur sind sie mehr 
in die Mittelhirngegend hineingezwangt. Sie behalten aber im Ganzen ihre 
typische Stellung bei und machen die Ventraldrehung der wahren Lobi optici 
kaum mit. 

8) Bei Iguana, allein von alien untersuchten Thieren, findet sich ein drittes 
Ganglienpaar als kugelige Hervorw51bungen. Es sind also bei diesem Thiere 
sechs Hugel vorhanden. Dieses Ganglienpaar ist in mehreren Schriften 1 von 
mir beschrieben worden und als Lobi interoptici — eine Benennung, welche 
von dem vergleichenden Anatomen Wilder 2 angenommen worden ist — be- 
zeichnet. Diese Korper bilden zwei schon ausgepragte Markkugelchen, die voll- 
kommen spharisch wie die Corpp. mammil mit bios einem geringen Theil ihrer 
Peripherie aufsitzen. Sie sind gewissermaassen in die Vertiefung des idealen 
Kreuzungspunktes, der Furche, welche die Lobi optici und jener, welche diese 
wiederum von den Lobi postoptici trennt, eingelassen. Ihre Convexitat ist so 
bedeutend, dass sie das daruberliegende Kleinhirnblatt in sich selbst ahnelnde 
Erhohungen emporwolben. 

Nachdem ich diese Korper entdeckte, fand ich zu meiner Ueberraschung, 
dass dieselben eine Oberflachenentwickelung eines den meisten mir zur Ver- 
fugung stehenden Reptilien gemeinsamen versteckten Ganglions darstellten. Auf 
Querschnitten konnte ich feststellen, dass die Lobi interoptici, aus einer um- 
kapselten Ganglienmasse bestehend, sich aus dem Centralhohlengrau des Mittel- 
hirnventrikels („Mesocoelia“ Wilder) entwickeln und mit den tiefen Markfasem 
der Lobi optici zusammenhangen. Bei Schildkroten (Nannemys Guttata und 
Chelydra serpentina) fand ich dasselbe Ganglion im Centralhohlengrau und 
konnte es uber die hintere Peripherie des Mittelhims, wie bei Iguana, verfolgen, 
nur dass es nicht solche Hervorragungen bildete. Obgleich meine Untersuchungen 
fiber diesen Gegenstand in Folge anderer Beschaftigung ihren Abschluss nicht 


1 A new Homologization of the Corpora quadrigemina. N. Y. Medical Record 1880. 
The Brain of the Iguana. Journal of nervous and mental diseases. 1880. Architecture and 
Mechanism of the Brain. Journ. of nerv. and mental diseases. 1879. July. 

2 A partial revision of anatomical nomenclature with special reference to that of the 
brain. Science. H. 1881 . Anatomical Technology by Wildeb and Gage. New York 1882 . 


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gefunden haben, glaube ich Solchen, die dieselben aufnehmen, auf die Beutler 
verweisen zu sollen, wo das erwahnte Ganglienpaar, wie in einem unvoll- 
kommenen Praparat, als verkummerte Molecnlarmasse vertreten zn sein schien. 

9) Als Curio8um moge erwahnt werden, dass bei Pteropus (Fliegender 
Hand) das vordere Paar der Vierhugel eine deutliche Quertheilung zeigt: Diese 
Theilung ist oberflachlich, dennoch konnte man bei diesem Thier allein von alien 
untersuchten Formen sagen, dass bei demselben die Zweihugel des Reptils durch 
„Vierhugel“ vertreten seien, da ausserdem die Lobi postoptici noch vorhanden 
sind. Ich habe leider diese Thatsache bios am geharteten Gehim constatirt 

10) Bei unserer mangelhaften Kenntniss der Homologien des Fischhimes 
ware es entschieden sehr gewagt, von dem scheinbaren Yorhandensein der Vier¬ 
hugel beim Aale diese ohne Weiteres als die wirklichen Vierhugel zu betrachten, 
oder gar kuhne Schlusse aus der Thatsache ziehen zu wollen, dass bei Fischen 
und Keptilien gerade die schlangenformigen gemeinsam solche allein besitzen. 
Beim elektrischen Aal sind zum Beispiel ganz merkwurdige und unverstandliche 
Verhaltnisse zu sehen. Hier hebt sich aus einem seitlichen dicken Nervenstamm 
ein Wulst, der, rhomboidal geknickt, mit seinem kleineren Theil die Decke des 
vierten Ventrikels umrahmt, und mit dem grosseren die ganze Nach-, Mittel- 
und Zwischenhirngegend uberwuchert, als habe man einen Guss uber ein ge- 
wdhnliches Fischhim gemacht und dadurch dessen typische Erhohungen verwischt. 

11) Es ist nach Obigem klar, dass bei alien Amnioten die Ganglien des 
Vorder- und Hinterpaares vertreteir sind. Die Ganglien des vorderen Paares 
sind wahre Rindenausbreitungen und Derivate der Mittelhimblase. Die hinteren 
sind klumpige Ganglien und an das wahre Mittelhim hiriten und seitlich an- 
gewachsen. Die Vorderganglien sind immer sichtbare Hervorragungen, bei 
Reptilien und Yogeln als Lobi optici, bei Saugern als vorderes Paar der Vier- 
hugel sichtbar. Die Hinterganglien sind bei den meisten Reptilien und bei 
Vogeln versteckt, bei Alligatof und Pseudopus schwach, bei Boa und 
Iguana starker angedeutet Im Allgemeinen nimmt ihr Wachsthum in der 
aufsteigenden Entwickelungsreihe im Gegensatz zu den vorderen Ganglien zu, 
so dass sie bei Saugern eine bedeutendere Grosse als bei Reptilien zeigen. Bei 
Saugern rucken sie naher und naher zusammen; wahrend sie bei Fleischfressern 
noch als getrennte Hocker je an einen Vorderhugel angehangt erscheinen, rucken 
sie bei Affen, Menschen und Wiederkauem naher zusammen, bis sie durch Zu- 
sammentreffen eine Furche als Verlangerung deijenigen, welche die Vorderhugel 
trennt, erzeugen. Ausser diesen beiden Ganglien, ist ein drittes Ganglienpaar 
bei Reptilien vorhanden, welches eine Entwickelung des Centralorgans des Mittel- 
hims darstellt, und bei Iguana ausserlich hervorspringt, so dass dieses Thier 
nicht nur die zwei Paare des Saugerhimes, sondern drei Paare besitzti 


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II. Referate. 


Experimentelle Physiologie. 

1) Ueber die Sensibilit&t der vorderen Biiokenmarksstr&nge bei den 
Frosohen von M. Schiff. (Arch, des sciences phys. et naturelles. 1884. XI.) 

Die Vorderstrange der Sfiugethiere besitzen einen ziemlich erheblichen Grad von 
Sensibilrtfit (Magendie, Schiff) durch Fasern, die von den hinteren Wurzeln durch 
die vorderen (welche dadurch Sensibilitat erhalten) zu den Vorderstrangen gelangen; 
nach Durchschneidung der vorderen Wnrzeln verschwindet darum die Sensibilitat der 
Vorderstrange. 

Bei den FrOschen sind die vorderen Wurzeln unzweifelhaft insensibel. Zu seiner 
Ueberraschung fand Sch. nun aber, dass die Vorderstrange bei den FrOschen Sensi¬ 
bilitat besitzen, denn nach ZeretOrung des Gehirns und Abschneidung aller Wurzeln 
der unteren Halfte des Ruckenmarkes lOste die wohl isolirte directs Reizung des 
Vorderstranges am Schwanzende des Rfickenmarkes Bewegungen der vorderen Ex- 
tremitfiten aus, d. h. es existirt eine centripetale Leitung in den Vorderstrangen, 
wahrscheinlich mittelst Fasern, die aus dem Innern des Rfickenmarkes zu jenen ge¬ 
langen. — In den Seitenstrfingen des Frosches sind bisher keine Spuren von Sensi¬ 
bilitat zu linden gewesen. Hadlich. 


2) Note relative a Faction physiologique de la paraldehyde par J.-L. Pre- 
vost. (Rev. mdd. de la Suisse rom. 1884. 10.) 

Verf. hat einerseits an FrOschen, andererseits an Kaninchen, Meerschweinchen, 
Ratten und Katzen Experiments mit dem Paraldehyd gemacht und in alien Punkten 
die Angaben von Cervello u. A. bestfitigt; namentlich betont auch er, dass der 
Paraldehyd wohl eine respiratorische Lfihmung herbeifflhrt, das Herz aber verschont, 
das erst im letzten Stadium der eingetretenen Asphyxie, unter Erweiterung der vorher 
verengten Pupillen, aufhOrt zu schlagen. In Betreff der Refiexe fand P., dass der 
Patellarreflex erst sehr spat erlischt und zwar erst, wenn bereits unmittelbare Lebens- 
gefahr eingetreten ist. Der sog. Larynxreflex (aufsteigende Bewegung des Larynx, 
als Schluckbewegung, bei Reizung des centralen Endes des N. laryng. sup.) erlischt 
viel frflher, racist schon vor ErlOschen der Sensibilitat der Cornea. — P. hebt den 
grossen Unterschied des Paraldehyd gegenfiber Chloral und Chloroform hervor, weil 
letztere Herzgifte sind; er halt jenen deshalb als Hypnoticum fflr werthvoll, wenn 
auch fflr unbrauchbar als chirurgisches Anfistheticum. Hadlich. 


Pathologie des Nervensystems. 

3) Considerations sur Pagraphie a propos d’une observation nouvelle 
d’agraphie motrice pure par le Dr. A. Pitres. (Revue de medecine. 1884. 
Novembre p. 855.) 

Die Arbeit enthalt ausser einigen allgemeinen Erorterungen, die nichts wesent- 
lich Neues bringen, eine interessante eigene Beobachtung des Verf. fiber einen Fall 
von motorischer Agraphie. Dieselbe betrifft einen 31jahrigen Kaufmann, welcher 
10 Jahre nach einer syphilitischen Affection plOtzlich von Bewusstseinsverlust und 
einer rechtsseitigen Hemiplegie befallen wurde. Unter einer sehr energischen Schmier- 
kur (2mal taglich 10 grm graue Salbe) besserten sich die hemiplegischen Erscheinungen 
fast vollstandig. Es blieb nur eine leichte Steifigkeit des rechten Beines und Armes 


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mit gesteigerten Sehnenreflexen nach. Die Sensibilitat, speciell der Muskelsinn, war 
voUkommen normal. Die Sprache zeigte nicht die geringsten StOrungen. Patient 
sprach ohne jedes Zogern deutlich und vollkommen richtig, konnte Gedrucktes and 
Geschriebenes ohne Muhe und mit vollem Verstandniss lesen. Die einzig nacbbleiben- 
den StSrungen waren eine rechtsseitige Hemianopsie und eine vollstandige 
motorische Agraphie. Sollte Pat. irgend ein dictirtes Wort schreiben, so war 
er nicht im Stande, auch nur einen einzigen Buchstaben zu Papier zn bringen. Er 
nannte die einzelnen vorkomraenden Buchstaben vollstandig richtig, konnte sie aber 
nicht aufschreiben. Schrieb man ihm das Wort vor, so konnte er es freilich nach- 
schreiben, aber indem er langsam Buchstabe fdr Buchstabe copirte. Ein gedrucktes 
Wort konnte er daher auch nur in der Form der gedruckten Lettem nachschreiben. 
Das Schreiben von Zahlen verhielt sich genau ebenso. Eine Aenderung des Zustandes 
trat im Yerlauf des nachsten halben Jahres nicht ein. — Der mitgetheilte Fall gehSrt 
zur reinen motorischen Agraphie. Yerf. unterscheidet ausserdem die Agraphie 
in Folge von Wortblindheit, bei welcher der Kranke zwar aus eigenem An- 
trieb und nach einem Dictat schreiben, aber nichts Geschriebenes oder Gedrucktes 
nachschreiben kann, und endlich die Agraphie in Folge von Worttaubheit, 
bei welcher der Kranke von selbst und auch nach einer Vorschrift schreiben kann, 
wahrend ihra Dictatschreiben vollstandig unmSglich ist. Strfimpell. 


4) Contribution a l’dtude des scleroses medullaires d’origine vasculaire 
par le Dr. Emile Demange. (Revue de mddecine. 1884. Octobre p. 753.) 

Bei einer 75jahr. Frau, welche etwa ein Jahr lang vor ihrem Tode an Lah- 
mung der Beine und an Blasenbeschwerden gelitten hatte, ergab die Section ein 
starkes allgemeines Arterienatherom. Im Ruckenmark zeigte sich bei der mikrosko- 
pischen Untersuchung eine ziemlich regellos in den Hinter- und Seitenstrangen sich 
ausbreitende Sklerose, welche anscheinend flberall von der Umgebung der Gefasse 
ausging. Die verdickten Wandungen der letzteren geben die Centra ab, von welchen 
aus das reichlich vermehrte Bindegewebe in die Umgebung ausstrahlte. Verf. schliesst 
hieraus, dass es eine Form der „interstitiellen Myelitis" giebt, welche vascularen 
Ursprungs ist. Diese Form beginnt mit einer Endo-Periarteriitis der RGckenmarks- 
gefasse. Die Gesammtausbreitung der Affection erhalt hierdurch einen diffusen, keinen 
systematischen Charakter. Das klinische Krankheitsbild kann sehr verschieden sein, 
bald ist es der Lateralsklerose ahnlich, bald der combinirten Strangerkrankung etc. 
Als Ursache der Erkrankung ist zuweilen die Syphilis anzusehen; in anderen Fallen, 
wie in dem mitgetheilten, ist die Krankheit nur eine Theilerscheinung des allgemeinen 
Arterienatheroms. S tr ft m p el l. 


6) Die Neurasthenia und Hysterie von Dr. F. Richter in Sonneberg. (Deutsche 
Med. Ztg. 1884. Sep.-Abdr.) 

Verf. behandelt sein Thema vom Standpunkte des praktischen Arztes und fur 
die Bedfirfni8se der Praxis. Wir wollen deshalb nicht mit ihm rechten, wenn er 
Neurasthenic, Hypochondrie und Hysterie in einen Topf wirft, als „nach ihrem Wesen 
vollstandig zusammengehorig" obgleich diese „Zusammengeh5rigkeit“ doch wohl nur 
in unserer Unkenntniss ihres Wesens besteht. Etwas schlimmer ist schon der 5fter 
vorkommende Ausdruck „psychosenartige Form der Hysterie, psychosenartige Affec¬ 
tion" etc. — Sehen wir aber von derartigen Verstflssen gegen strengere wissen- 
schaftliche Forderungen ab, so k6nnen wir mancherlei Gutes von der Schrift sagen, 
die eine ausfffhrliche Berficksichtigung der Symptome giebt, und namentlich einen 
maassvollen, verstandigen therapeutischen Standpunkt einnimmt. Wenn Verf. der 


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psychischen Behandlung eine ziemlich grosse Bedeutung beimisst (dadurch erreicbte 
Sistirung von Krampfen etc.), so erklart sicb dies vielleicht daraus, dass Verf. auf 
die Trennung simulirter Vorkommnisse von wirklichen neuropathischen Zustanden 
nicht das erforderliche Gewicht — in dieser Schrift wenigstens — zu legen scheint. 

_ Hadlich. 


6) Zur Behandlung sehwerer Formen von Hysterie und Neurasthenie 

von B. Burkart (Volkmann’s Sammlung klin. Vortrage. 245.) 

B. bespricbt das vom amerikanischen Arzte Weir Mitchell inangurirte, von 
Playfair zuerst in Europa eingefuhrte Yerfahren, welches darin besteht, bei absoluter 
geistiger Ruhe und Ausschluss aller activen korperlichen Bewegung die Nahrungs- 
zufuhr enorm zu steigern, wahrend die Assimilation zur Kraftigung der Gewebe durch 
ausgiebige Massage und Faradisation der Musculatur ermoglicht werden soil, um so 
in wenigen Wochen den allgemeinen Kraftezustand, die Emahrungsverhaltnisse, speciell 
des Nervengewebes zu bessern, vorab Blut und Fett reichlich neu zu bilden. In 
Deutschland scheint trotz der Erfolge Mitchell’s und Playfair’s das Verfahren 
keine Nachahmer gefunden zu haben, nur Binswanger rfihmt die Trefflichkeit bei 
Ersch6pfungsneurosen. 

Als Grundbedingung stellt B. bei Einleitung der Kur die Entfemung der Kranken 
aus ihrer bisherigen Atmosphare bin, die Kranken sollen stets mit einer dem Arzte 
ergebenen Pflegeperson fern von Hause isolirt, jeder geistigen Erregung ferngehalten 
sein, nur bei stbrenden Neurosen (Schreikrampfen etc.) halt B. den Aufenthalt im 
Spital fQr nOthig. Als Hauptaugenmerk hat der Arzt den Pat. immer wieder ein- 
zuscharfen, dass sie mOglichst schnell an KOrpergewicht bedeutend zunehmen; das 
Verfahren ist eine Allgemeinbehandlung ohne grosse Rilcksicht auf etwa bestehende 
locale Stflrungen, Essen, Trinken, Yerdauen sind die Cardinalfragen wahrend der Kur. 

Zunachst wird Milchdiat mit taglicher Steigerung der Portionen verordnet, wobei 
aber die Milch mOglichst langsam — schluckweise genossen wird, auch muss die 
Qualitat der Milch und eventuelle Zusatze berficksichtigt werden. Mdglichst bald 
giebt man ausser Milch noch Zwieback, danach auch gemischte Kost, deren Zufuhr 
man schnell bis auf wirklich enorme Mengen in vielfachen Mahlzeiten steigert, wah¬ 
rend die am 3.—5. Tage begonnene Massage aller Kdrpertheile bis auf 2mal taglich 
V/ 2 Stunden gedehnt wird. 

Als UnterstCitzungsmittel der Massage dient die Faradisation der gesammten 
Musculatur mit Ausdehnung der Sitzungsdauer. Innerhalb 6—9 Wochen muss die 
Kur beendet sein, in der 3. Woche aber soli die gdnstige Wirkung evident werden. 

Allmahlich ersetzt man die Massage durch tagliche Gehubungen, wahrend die 
gesteigerte Nahrungszufuhr so spat wie moglich beschrankt wird. 

Anwendung findet das Verfahren bei Hysterie und Neurasthenia spinalis, bei 
Neurasthenia cerebralis dagegen sah B. in Erregungszustanden in Bezug auf psychisclie 
Functionen eine Contraindication, dagegen leistet es Vorziigliches bei Neurasthenie 
mit Hypochondrie. 

Bei schon vor der Kur bestehender Fettleibigkeit empfiehlt Mitchell zuerst 
bei Milchdiat Bettruhe unter Gebrauch von Massage und Faradisation eine Vermin- 
derung des Gewichts zu erstreben, um hinterher wieder durch die Kur Gewichts- 
zunahme zu erzielen. 

Den Schluss bilden einige sehr pragnante Krankengeschichten. Zander. 

7) The relations of hysteric with the scrofulous and the tubercular 

diathesis by J. Grasset. (Brain. 1884. January p. 433—460.) 

Behufs Entscheidung der Frage fiber den Zusammenhang von Hysterie mit 
Tuberculose theilt Verf. das Beobachtungsmaterial zunachst in zwei Gruppen, je 


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nachdem die Hysterie die einzige Aeusserung der tuberculOsen Diathese ist, oder, 
was einer in Aussicht gestellten Fortsetzung vorbehalten wird, die Hysterie mit 
Taberculose complicirt ist. 

Auf Grand von 25 mitgetheilten, im Original nachzulesenden Krankengesch ichten 
ersterer Art, davon acht eigener Beobachtung, kommt Yerf. zu dem Resnltat, dass 
taberculose und scrophul6se Hereditat haufiger bei der Hysterie eine Rolle spielen, 
als dies in der Regel angenommen wird. Dafdr sprechen Familiengeschichten, dass 
beide Krankheiten gewissermaassen alterniren. Einmal ist yon drei Schwestem eine 
pbtbi8iscb und die beiden andem hysterisch, wahrend die Tochter der einen der 
letzteren wieder die klassischen Symptome der scrophulosen und tuberculflsen Diathese 
darbietet. Ein anderes Mai hat von vier Kindern das eiue eiternde DrUsen, ein 
zweites Lungensch windsucht, ein drittes tuberculose Meningitis, das vierte Hysterie. 

E. Remak. 


8) Ueber Hysterie bei Kindern von Schafer. (Archiv ftir Kinderheilkunde. 

Bd. V. H. 3—10.) 

Die vorliegende Arbeit schildert mit ziemlicher Ausfflhrlichkeit die Erscheinungen, 
welche bei hysterischen Kindern zu Tage treten. Yorher wird kurz auf die atio- 
logischen Verhaltnisse eingegangen, welche in pradisponirende und Gelegenheits- 
ursachen getheilt werden; haufig fallen beide zusammen. Den Yorrang unter den 
Ersteren nimmt die Hereditat ein; die Disposition kann ferner erworben werden 
durch falsche geistige und korperliche Erziehung; grossen Werth legt Yerf. auf die 
Onanie (wohl kaum mit Rechi Ref.). Wichtig als determinirende Ursachen sind 
Erkrankungen und Abnormitaten des Urogenitalapparats (congenitale Phimose etc.) 
psychische Einwirkungen und schliesslich der Nachahmungstrieb. 

Unter den Symptomen der Hysterie kommen SensibilitatsstOrungen im Kindes- 
alter seltener zur Beobachtung; am haufigsten sind spontane Schmerzen neuralgischer 
Natur und die Hemicrania sympathico-tonica; auch Clavus hystericus und typische 
Neuralgien kommen zur Beobachtung. — Besondere Beachtung verdienen die Gelenk- 
neurosen; auch rechnet Yerf. gewisse Falle der Enuresis nocturna et diurna in dieses 
Gebiet. — Auch Hyperasthesien, Anasthesien, Hemi- und Parasthesien wurden be- 
obachtet. 

In der motorischen Sphare kommen bei der Hysterie allgemeine und partielle 
Krampfe vor; auch Spasmus nutans wird hierher gerechnei Ferner werden beobachtet 
der Globus hystericus, die Dysphasia spastica und die Ructus, haufiger noch das 
hysterische Erbrechen. Contracturen und Lahmungen werden ziemlich haufig an- 
getroffen; letztere entwickeln sich meist rasch im Anschluss an hysterische Krampf- 
anfalle Oder heftige psychische Erregung. 

Das Yerhalten der elektro-muscularen Erregbarkeit bleibt bei hysterischen Kin- 
dem gewohnlich andauernd normal. 

Lahmungen kommen am haufigsten vor am Oculomotorius und M. levator pal- 
pebrae superioris r die des Facialis und Hypoglossus sind dagegen ausserst selten. 
Ferner finden sich Lahmungen in verschiedener Form im Yerdauungs- und Respirations- 
tractus, der vasomotorischen Sphare, sowie auch der Secretion und Excretion, besonders 
des Schweisses. 

Das psychische Verhalten hysterischer Kinder ist bald mehr, bald weniger alterirt; 
doch gehfirt das Auftreten des hysterischen Irreseins im Kindesalter zu den grossten 
Seltenheiten. Typische hysterische Anfalle mit klonischen und tonischen Krampfen 
sind mehrfach beschrieben. 

Die Prognose gestaltet sich im Ganzen ffir das ldndliche Alter gfinstiger, als 
ffir Erwachsene. 

In Bezug auf die Therapie bietet die vorliegende Arbeit nichts Neues. 

_ _ M. Cohn, Hamburg. 


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561 


9) Die infantile Hysterie yon J. Weiss. (Arch. f. Kinderh. Bd. V. H. 11 u. 12.) 

Die vorliegende Arbeit liefert nichts wesentlich Neues zur Symptomatology und 
Diagnostik der augenblicklich viel beschriebenen infantilen Hysterie. Far das Zu- 
standekommen des Kraukheitszustandes kann zuweilen bei pradisponirten Individuen 
der Schreck (besonders in Yerbindung mit einem Fall) in Anspruch genommen werden, 
wofur Yerf. einen selbst beobachteten Fall anfuhrt. Als pathognomisch ist hervor- 
zuheben, dass die hysterischen Storungen, welcher Art sie auck sein mGgen, nicht 
nor functioneller Natur sind, sondem in ihrer Ausbreitung ein bestimmtes und ab- 
gegrenztee Functionsgebiet betreffen. 

Der Yerlauf der Hysterie gestaltet sich im Allgemeinen bei Kindera weniger 
protrabirt, als bei Erwachsenen. 

Die Behandlung muss eine vorsichtige, wesentlich psychische sein; die energischen 
Mittel (besonders die anderweitig als erste Maassregel empfohlene Entfernung der 
Kinder ausdem Eltemhause) soil man sich fur den aussersten Nothfall aufsparen. 
Grosser Werth wird auf vemunftige, sich nicht angstlich zeigende Umgebung und 
eventuellen Wechsel derselben gelegt. M. Cohn, Hamburg. 


10) The anatomical and physiological basis of the kinesioneuroses of 
infancy and childhood by Dr. Feckham. (Journal of nerv. and ment. 
disease. 1884. July. p. 408.) 

In dieser Abhandlung sucht die Verfasserin das haufige Yorkommen der Be- 
wegungsneurosen, der Convulsionen, der Epilepsie und der Chorea gerade im kind- 
lichen Alter theoretisch zu erkl&ren, ohne indess etwas wesentlich Neues zu bringen, 
was zu einem ausfQhrlicheren Referat berechtigte. Sommer. 


11) Zur Casuistik der Hysterie im Kindesalter von Hugo KCbner, Breslau. 

(Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 35. S. 524.) 

Ein 13jahr., aus gesunder Familie stammender Knabe erkrankte im September 
1882 an einer Diarrhoe, an welche sich anscheinend sehr heftige Schmerzen im 
Epigastrium und in der linken Scheitelgegend anschlossen. Der Knabe wurde 
elend, der Schlaf war sehr schlecht; haufiger Hamdrang stellte sich ein. Pat. lag 
fast andauemd zu Bett, konnte nur mfihsam gehen. Die Wirbelsaule war gegen 
Druck empfindlich, die Sehnenreflexe gesteigert. Bald stellte sich eine deutliche 
Farese beider Beine ein und Ende October stellten sich ausserst heftige choreatische 
Zuckungen im Bumpf und den Extremitaten ein. Die Athmung war sehr frequent 
und oberflachlich, die Sprache in Folge der mangelhaften Respirationseintheilung gestGrt. 

Da die Pflege des Knaben zu Hause grosse Schwierigkeiten machte, wurde er 
in eine Krankenanstalt gebracht: schon nach wenigen Tagen horten die Zuckungen 
auf und auch der sonstige Zustand besserte sich sehr rasch. Anfang Marz 1883 
kehrte der Knabe nach Hause zurhck. Schon nach 14 Tagen traten aber wieder 
Anfalle von Bewusstlosigkeit auf, welche immer mehr einen ^omnambulisten" 
(epileptoiden? Ref.) Charakter annahmen. Der Knabe, welcher ftir gewdhnlich sein 
Bett nicht verlassen konnte, zog pldtzlich seine Kleider an, lief in's Nachbarzimmer 
oder auf den Hof, die Strasse u. dgl. Sein Gang im Anfall war schnell und behende, 
die Augen hielt er geoffnet, sein Blick war starr. Beim „Erwachen“ fiel er oft hin 
und musste dann in's Bett getragen werden. In Bezug auf die Ereignisse wahrend 
des Anfalls bestand vollige Amnesie. — Die Therapie bestand in Faradisirung, in 
Badem mit kalten Uebergiessungen. Sie f&hrte allmahlich zu einer fast volligen 
Heilung. Die Anfalle verschwanden, und schon im Herbst 1883 konnte der Knabe 
wieder langere Strecken allein und ohne Mdhe zurftcklegen. Nur die Druckempfind- 
lichkeit der Wirbelsaule blieb auch spater noch lange Zeit bestehen. 

_ Strilmpell. 


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562 


12) Om Hysteri hos Bom af Chr. Langgaard. (Hosp.-Tidende 3. B.1L 38.1884.) 

Ein 7jahr., vollkommen gesundes und normal entwickeltes Madchen ohne erb- 
licbe Disposition zu Nervenkrankheiten and geistig gut begabt, das keinen Umgang 
mit an irgend einer Nervenkrankheit leidenden Kindern gebabt, auch sich nicht mit Lernen 
tlbermassig angestrengt hatte, bekam am 12. Mai, als es am Tage vorher dem Gebahren 
eines betrunkenen Madchens still und verwundert zugesehen hatte, klonische Zuckungen 
in Gesicht und Armen, die es in ahnlicher Weise bewegte, wie es die Betrunkene 
gemacht hatte. Ausserdem bestand bestandige Agilitat, das Sensorium war frei, die 
Sprache deutlich, nur hastig. Die Arme wurden bestandig yon klonischen Krampfen 
in alien Gelenken, namentlich in den einzelnen Fingergelenken, bewegt, die Kranke 
konnte nicht still sitzen und den Blick nicht fest auf einen Gegenstand heften, sie 
kam leicht in Affect und weinte leicht, hOrte aber bei Zureden auf; in der Nacht 
schlief sie ruhig ohne Spur yon nervOsen Zu fallen. Nach einigen Tagen trat pl6tz- 
lich Erschlaffung ein, die rasch in ausgesprochene Paresen aller 4 Extremitaten, be- 
sonders des rechten Arms, der RGcken- und Nackenmuskeln iiberging, dabei war 
Gefdhl und Reflexerregbarkeit vermindert; die klonischen Kr&mpfe im Gesicht wieder- 
holten sich dabei noch oft. Am 25. Mai stellten sich heftige Pharynxkrampfe ein, 
die nach einigen Tagen wieder schwanden, ebenso schwanden auch am 28. Mai auf- 
tretende krampfhafte Hustenanfalle, sowie vollstandige Aphonie, die sich am 30. ein- 
gestellt hatte, binnen wenigen Tagen wieder. Die Paresen aber blieben unverandert. 
Gedachtniss und Bewusstsein waren immer ungestdrt; wahrend der ganzen Krankheit 
bestand grosse Empfindlichkeit gegen Druck in den lliacalgegenden, die Pulsfrequenz 
war immer etwas erhoht. Irgend welche innere Leiden liessen sich nicht nachweisen. 
Faradisation, gegen welche die Reaction anfangs geschwacht war, ffihrte rasch zu 
vollstandiger Heilung. — Erscheinungen und Yerlauf charakterisiren das Leiden als 
ein hysterisches. Das einzige nachweisbare atiologische Moment war Nachahmung 
eigenthumlicher Geberden unter dem Einfluss des durch dieselben plStzlich hervor- 
gerufenen starken Eindrucks auf die Phantasie. Zu bemerken ist hierbei, dass frhher 
durchaus keine Neigung zu Nachahmung bestand. Simulation war mit Gewissheit 
auszuschliessen. Walter Berger. 


13) Ueber Hysterie beim m&nnlichen Geschlecht yon E. Mendel. (Deutsche 
med. Woch. 1884. Nr. 16.) 

Die Hysterie wird in ihren mildesten Formen bis zu den schwersten Attacken 
der sog. Hystero-Epilepsie beim Manne beobachtet. Es werden zwei Falle berichtet, 
von denen der eine einen lOjahrigen Knaben betrifft, der an Anfallen von Hystero- 
Epilepsie litt mit somnambulartigen Zustanden, Amaurose etc. Die Ueberfuhrung in 
eine Anstalt fur Nervenkranke brachte unmittelbare Heilung, nachdem die yerschie- 
densten anderen Mittel vergeblich versucht waren. 

Der zweite Fall betrifft einen Damenschneider von 32 Jahren, der an hysterischen 
Paraplegien, dann an den Erscheinungen einer spastischen Spinalparalyse, Arthralgie, 
hysterischem Husten, Clavus, Iliacalschmerz, Ruckenschmerz gelitten hatte. Der Iliacal- 
schmerz lasst sich hbrigens bei den meisten hysterischen Mannern, ebenso wie bei 
den Frauen nachweisen. 

Die Hysterie ist bei Knaben am haufigsten in der Pubertatszeit, doch kommt 
sie auch in viel jfingeren Jahren vor; nicht selten ist sie bei Studenten. Die mann- 
liche Hysterie wird haufig mit Hypochondrie verwechselt; es giebt hier vielfache 
Uebergange und Mischformen. Die Prognose ist immer in Bezug auf vollige Heilung 
zweifelhaft; die mannliche Hysterie scheint ein schwereres Leiden, als die bei der 
Frau zu sein. Bei der Bebandlung ist das Wichtigste die Entfernung aus dem Hause, 
Yersetzung in eine entsprechende Anstalt oder Pension. H. 


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563 


14) Note pour servir a l’histoire du transfert ohez les hypnotiques par 
Ferd et Binet. (Progr. med. 1884. No. 28.) 

Die Yerff. scbildern Transferterscbein ungen, welche sie durcb Application eines 
Magneten bei den verscbiedenen Formen hypnotischer Zustande: bei Letbargie, 
Katalepsie und Somnambulismus haben hervorrufen konnen. — Die eintretenden 
mannigfaltigen Stellungen der Extremitaten und die verscbiedenen Sinnestauscbungen 
sollen von bestimmten, sehr heftigen Schmerzen am Kopfe begleitet sein („douleurs 
de transfert"), deren Localisation in den meisten Fallen genau dem Sitze der be- 
treffenden motorischen und sensorischen Rindencentren entsprechen soli. (?) 

Laquer. 


15) Sur le somnambulism© partiel par Fdre et Binet. (Socidtd de biologie; 
sdance de 19 juillet 1884. Progr. mdd. 1884. Juillet. No. 30.) 

Erneute Yersuche an Hypnotischen: Durcb seitliches Streicben des Scbeitels 
bypnotisirter Individuen soil ein ,,Hemisomnambulismus“ entsteben. — Durcb starkeres 
Beiben bestimmter Punkte an der Scbadeldecke soil man die eine Gesichtsbalfte, 
einzelne Extremitaten etc. somnambuliscb macben konnen. Am Hinterbaupt soli sicb 
sogar eine „zone drogene" befinden, deren Reizung im Stadium der Letbargie und 
Katalepsie mdglicb ist. — Fdrd meint, dass in dieser Beziebung die Gall’schen 
Lebren eine neue Prdfung verdienten. Laquer. 


16) Contribution a l’dtude des ©ochymoses sous-outanees d’origine ner- 
veuse par le Dr. Tb. Keller. (Revue de mddecine. 1884. Aodt p. 637.) 

Yerf. bericbtet ausfdbrlicb fiber mebrere Falle von Hysteric und allgemeiner 
Nervositat, in deren Yerlauf wiederbolt mebr Oder weniger zablreicbe Blutungen 
in der Haut auftraten. Eine tranmatiscbe Entstebung derselben liess sicb stets aus- 
scbliessen, wogegen ein Zusammenhang mit starkeren psycbiscben Emotionen und 
dergleicben wiederbolt deutlich bervortrat. Wurde die allgemeine Neurose gebessert, 
so verscbwanden aucb die Eccbymosen. — Verf. bait den nerv5s-vasomotoriscben 
Ursprung der Blutungen far sicber und erinnert an das Vorkommen abnlicber Hamor- 
rhagien bei anatomiscben Erkrankungen des Nervensystems, speciell bei Tabes, Hemi- 
plegien und Myelitiden. Strdmpell. 


17) Nevrose dleotrique par Ferd. (Progr. mdd. 1884. No. 27.) 

Unter dem Namen: „Elektriscbe Neurose" bescbreibt F. sonderbare Er- 
scbeinungon bei einer nervOsen jungen Frau von 29 Jabren, die scbon seit dem 
Madcbenalter besteben, sicb aber in den letzten Jabren sebr erbeblich gesteigert 
baben: Die Finger der betreffenden Dame zieben leicbte Papierecbnitzelchen und 
Bandcben an, ibre Haare geben Funken, sobald sie der Kamm berftbrt, zieben sicb 
an und stossen sich ab unter deutlicb knisterndem Gerausch. — Hire Haut ist oft 
so vollstandig mit Elektricitat geladen, dass das Hemd derselben fest anhaftet und 
dadurcb die Bewegungen der Pat. hemmt. — Sie ist im Stande, Wollenstoffe durcb 
einfaches Reiben mit den Handen elektriscb zu laden. — Docb ist der Grad dieser 
elektriscben Erscheinungen zu mancben Zeiten starker, zu mancben schwacber: Ge- 
inOthlicbe Erregungen erbohen sie; ferner scbwankt ibre Intensitat je nacb den 
Witterungsverbaltnissen; trocknes Wetter begiinstigt die Production der elektriscben 
Phanomene, feucbtes Wetter bat den gegentbeiligen Einfluss. — Mit der bScbsten 
elektriscben Spannung der Haut fallt zusammen eine betracbtlicbe nerv6se Reizbarkeit, 
mit dem Yerscbwinden derselben ein Zustand der allgemeinen Erscblaffung. 


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564 


Die Kranke ist schlecht genahrt und sehr anamisch, ihre Hant zeigt eine ge- 
wisse Trockenheit, sie leidet an einer fidematosen Infiltration der Beine, die je nach 
Auftreten trockenen oder feuchten Wetters eine Intermittenz zeigt Unter dem Ein- 
flusse der statischen Elektricitat (in Form eines elektrischen Bades applicirt) soil 
sich diese vasomotorische Stoning verringert haben, und die Mattigkeit der Kranken 
ganz verscbwunden sein. 

Nachdem F. noch der analogen Erscheiuungen, soweit sie bei Tbiereu, besonders 
bei Katzen beobacbtet worden, Erwahnung getban, kommt er auf einzelne Falle beim 
Menscben zurfick, die in der Literatur scbon in frfiherer Zeit besonders von eng- 
liscben und franzosischen Autoren bescbrieben wurden. 

F. glaubt, dass es sicb in dem vorliegenden Fallo nicht sowobl urn eine abnorm 
bolie Production von Elektricitat, als vielmebr um einen abnormen Yerlust derselben 
handle, der eine lokale oder allgemeine nervSse Ermfidung nacb sich ziehe und von 
vasomotoriscben Stfirungen begleitet sein kOnne. Dieser „elektrischen Neurose" kSnne 
man entgegen wirken, indem man die betreffenden Patienten wieder „kfinstlich bade", 
oder ibren KOrper mit isolirenden Kleidungsstficken z. B. seidenen bedecke. 

_ Laquer. 

18) Note sur un cas de rage humaine par M. de Beurmann. (Rev. de med. 

1884. Aout. p. 628.) 

Typiscber Fall von Lyssa bei einer 43jahrigen Dame. Die Infection war aller 
Wahrscbeinlichkeit nacb nicht durcb einen Biss, sondera dadurcb erfolgt, dass eine 
kleine Excoriation an der Oberlippe von dem bald darauf an sicber constatirter Lyssa 
gestorbenen Wachtelhfindchen der Patientin beleckt war. Trotz dieses dem Central- 
nervensystem nabe gelegenen Ortes der Infection (ein Umstand, welcher von anderer 
Soite fiir wicbtig erklart worden ist), verstricb eine Incubationszeit von 16 l / a Mo¬ 
na ten, ehe die deutlichen Symptome der Lyssa bei der Dame zum Ausbruch kamen. 
Scbon mebrere Monato vorher hatte sicb aber bei derselben eine eigenthfimliche, vorber 
nicht vorhandene nervose Erregbarkeit und Exaltation gezeigt Die Krankheit selbst 
verlief in wenigen Tagen todtlicb. Die Section konnte nicht gemacbt worden. — 
Beachtenswortb in dem Falle sind die sicher constatirte lange Incubationsdauer und 
die melirmonatlichen psycbiscben Prodromalerscbeinungen, welche nicht auf die Wir- 
kung dor Furcbt vor der Krankheit zuruckgefiihrt werden konnten. 

_ Strfimpell. 


Psychiatrie. 

18) Case of insanity after head-injury by H. Rayner. (Joum. of ment science. 
1884. Oct. p. 393.) 

26jahr. Mann (2 Gescbwister unter Convulsionen, 2 an Hydrocephalus gestorben) 
starker Trinker, fallt auf das Hinterbaupt, darnach Bewusstlosigkeit und 3 Krampf- 
anfalle. Am folgenden Tage Delirium, Unruhe. Bei der Aufnabme Pupillendiflferenz, 
Tremor an den Gesicbtsmuskeln, die Aufregung ist geschwunden, keine geistige 
Schwache; Pat. klagt fiber Schlaflosigkeit und Schmerz im Yorderkopf. Heilung nach 
2 Monaten. 

R. nimmt eine Contusion oder Commotion der vorderen Grossbirnabschnitte durcb 
Contre-Coup an. A. Pick. 


20) Amelioration of paretic dementia after extensive sloughs by Dr. Burr. 
(American Journ. of Neurol, and Psych. 1884. p. 324.) 

Zwei neue Beobachtungen fiber den gfinstigen Einfluss profuser Eiterungen auf 
den Verlauf der Dementia paralytica. Besondere Erwahnung verdient die erste 


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565 


Krankengeschichte. Ein 40jabr. Mann erkrankte im Winter 1878/79 zuerst unter 
den Erscbeinungen der Apathie, dann mit GrOssenwahnvorstellungen und zunehmender 
Erregung. Bei der Aufnahme in die Irrenanstalt im December 1880 zeigte sich 
neben den bekannten psychischen Symptomen eine bereits weit vorgescbrittene Ataxie 
und Sprachstorung; die Handschrift war fast unleserlich. Im Januar 1881 stellte 
sicb ein apoplectiformer Anfall ein. Im Juni 1881 entwickelte sicb eine bedeutende 
Eiterung in Folge von gangranosem Decubitus der linken Ferae und bald darauf 
folgte eine so bedeutende Besserung seines gesammten Zustandes, dass er ohne Spur 
von Ataxie und Sprachstorung im November desselben Jabres entlassen werden konnte. 
Er ubernahm spater wieder sein Geschaft mit voller Leistungsfabigkeit und stellte 
sich im December 1882 und im April 1884 wieder vor, anscheinend vfillig genesen; 
von den Angehfirigen wird einzig bemerkt, dass der frfiher leidenschaftliche Mann 
jetzt leichter zufrieden zu stellen ware. Sommer. 


21) Ueber sporadische psychische Ansteokung von M. Knittel. (Strass- 
burger Dissertation. 1884.) 

An der Hand von 6 einschlagigen Fallen aus Jolly’s Beobachtung discutirt K. 
die Theorien der franz5sischen Autoren fiber diesen Gegenstand, dessen allzustrenge 
Kategorisirung als unberechtigt zurfickgewiesen wird. Die Literatur ist, wenn auch 
nicht vollstandig, doch eingehend benutzt. Bef. darf vielleicht bei dieser Gelegenheit 
an eine Maxime La Rochefoucauld’s (No. CCC) erinnern: II y a des folies qui 
se prennent comme les maladies contagieuses. A. Pick. 


Ther apie. 

22) Facial neuralgia treated by nerve vibration by Dr. W. H. Neale. (The 
Practitioner. 1884. p. 345.) 

Im Anschluss an die auch in diesem Centralbl. 1884. S. 382 besprochenen Er- 
folge der Nervendehnung bei Neuralgien versuchte Verf. in einem ausserordentlich 
hartnackigen Fall von Neuralgie des gesammten rechtsseitigen Trigeminus eine modi- 
ficirte mechanische Einwirkung auf die einzelnen Nervenzweige, deren Dehnung ja 
sehr zahlreiche Operationen nfithig gemacht haben wfirde. 

Mit einem leider nicht genauer beschriebenen Apparate fibte er auf die Haut 
fiber den einzelnen Schmerzenspunkten eine „Percussion“ aus, die sich in der Secunde 
etwa 90mal wiederholte. Nach 5—8 Minuten dauernder Erschfltterung des betreffenden 
Nervenstfickes trat Schmerzlosigkeit ein. Nach etwa 3wochentlicher Behandlung 
stellte sich kein neuralgischer Anfall mehr ein und die Heilung der bereits 6 Jahre 
bestehenden Krankheit konnte noch nach 4 Monaten constatirt werden. 

Sommer. 


IV. Personalien. 

Der erste Hfilfsarzt der Anstalt Eberswalde Dr. Landrock wurde zum ersten 
Hfilfsarzt der Irrenanstalt zu Altscherbitz, an dessen Stelle ist der praktische Arzt 
Ernst Becker aus Westfalen und zum zweiten Hfilfsarzt der Anstalt Eberswalde 
der praktische Arzt Christian Rasch aus Holstein zum 15. Januar 1885 berufen. 


Urn Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten. 


Einsendungen ffir die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Kronprinzen-Ufer 7. 


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Register 1884. 

I. Originalaufsatze. 

s«u 

1. Ueber die nacb Durchschneidung der SchnerveDfasern im Innern der Grossbirnheini- 


spharen (in der Nachbarschaft des hintern Abschnittes der innern Kapsel) auftretenden 
Erscheinungen von Dr. W. Bechtcrew. 1 

2. Ueber das Auftreton von Transfert-Erscheinungen wahrend der Behandlung der 

partiellen Epilepsie von Prof. Hirt.9 

3. Zur Lehre von der antiepileptischen Wirkung des Bromkalium von Dr. Rosen bach 25 

4. Ueber das Yerhalten der allgemeinen und speciellen Sensibilitat bei Krampf- and 

Geisteskranken von Dr. Thomsen.31 

5. Bcmerkungen zu dem Aufsatze „tiber arteficielle, cadaverose und pathologische Ver- 
anderungen des Riickenmarks von Dr. Richard Schulz" von Dr. Arnold Pick 32 

6. Notiz zu vorstehender Bemerkung von Dr. Richard Schulz.33 

7. Ueber das Yerhalten erkrankter Nerven und Muskeln gegen magnetelektrische Strdme 

von A. Eulenburg.49 

8. Ueber die Bedeutung der Vacuolcnbildung in den Nervenzellen von Dr. P. Rosen- 

bach .54 

9. Meningitis spinalis chronica dcr Cauda equina mit secundarcr Rtickenmarksdegene- 

ration, wahrsrheinlich syphilitischen UrsprungB, von Eisenlohr.73 

10. Ueber einen Fall von disseminirter granulbser Sklerose der Hirnrinde von Dr. Greiff 97.125 

11. Zur Vacuolcnbildung in den Ganglienzellon des Riickenmarks von Dr. Rich. Schulz 121 

12. Ueber progressive atrophische Lahmungen, ihre centrale oder periphere Natur von 

Dr. Eisenlohr.145. 169 

13. Ueber daB Vorkommcn gequollner Axencylinder im Riiekenmark von Prof. Dr. Friedr. 

Schultze in Heidelberg.193 

14. Ueber das Verhalten der Axencylinder bei dor multiplen Sklerose von Prof. Dr. 

Friedr. Schultze in Heidelberg.195 

15. Ueber die Bedeutung der In ter vertebralganglien, experimentell histologische Unter- 

suchung von Dr. W. Bechterew und Dr. P. Rosenbach.217 

16. Einiges iiber combinirte Psychosen von Director Dr. Siemens.223 

17. Ueber das Yerhalten der multiplen Neuritis zur Poliomyelitis von Prof. S trump ell 241 

18. Einige Bemerkungen zu der Mittheilung von Dr. Bechterew und Rosenbach 

„iiber die Bedeutung der Intervertebralganglien" von Prof. Schultze.265 

19. Kurze Mittheilung liber die bisherigen Versuche mit Paraldehyd in Stcphansfeld 

von Dr. Benda.268 

20. Ueber Augenstorungen bei multipler Sklerose von Dr. Rudolf Gnauck . . . .313 

21. Nachtrag zu dcr Mittheilung: Ueber die Bedeutung der Intervertebralganglien" von 

Dr. W. Bechterew und Dr. P. Rosenbach.320 

22. Ueber die gelegentliche Betheiligung der Gesichtsmusculatur bei der juvenilen Form 

der progressiven Muskelatrophie von E. Remak . 337 

23. Zur Kenntniss des Faserverlaufs im Corpus striatum von Dr. L. Edinger . . . 341 

24. Ueber die ncuropathischen Symptome der Lepra von Dr. P. Rosenbach .... 361 

25. Ein Fall von Hypertrophia musculorum pseuaohypertrophica von A. Eulenburg . 385 

26. Absolute Carenz eines raranoischen von Director Dr. Siemens.409 

27. Zur gynaecologischen BehandluDg der Hysterie von Prof. PaulFlechsig . 433. 457 

28. Beitrage zur Pathologie der multiplen Neuritis von Prof. Dr. Hirt.481 

29. Bemerkungen iiber die Form des menschlichen Riickenmarks von Prof. Dr. Flesch 485 

30. Die therapeutische Wirkuug verschiedener Cannabis-Praparate von Dr. Richter, 

Pankow.486 


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567 


Selte 


31. Ueber die Ganglienzellen der Hirnrinde bci der progression Paralyse der Irren von 

E. Mendel.487 

32. Multiple Sklerose mit beiderseitdger totaler nenritischer Sehnervenatrophie von A. 

Eulenburg.505 

33. Ueber einige Erscheinungen epileptiscber und comatoser Zustande von L. Witkowski 508 

34. Hereditare Muskelatrophie und Pseudohypertropkie der Muskeln von Prof. Schultze 529 

35. Mittheilung, die angebliche Abwesenheit der Vierkiigeltheilung bei Reptilien be- 

treffend, von Dr. E. C. Spitzka.553 


n. Namenregister. 


Abadie 118. 

Adamkiewicz 114. 151. 229. 
402. 407. 

Albrecht 416. 442. 

Allbntt 47. 

Algeri 190. 473. 

Althans 45. 70. 260. 

Amadei 81. 115. 153. 190 (2). 
236. 

Arnadon 299. 

Anderson 41. 

Angel 352. 

Anrep 390. 

Apostoli 213. 

Aronsohn 439. 535. 

Artaud 14. 294. 347. 

Ayrolles 392. 

Babinski 326. 

Badik 545. 

Baginsky, B., 152. 

Bail larger 62. 89. 329. 442. 
Baker 44. 

Ball 405. 

Ballet 135. 156.179.191. 394. 
Balzer 324. 

Banham 107. 

Baraduc 406. 

Bareggi 190. 

Bartnolow 234. 

Bary 137. 

Bastian 69. 

Beach 43. 

Beaunis 432. 

Bechterew 177. 190. 217. 320. 
345. 

Beck 204. 

B4clard 854. 

Beevor 128. 184. 

Benda 268. 

Bennett 71. 115. 393. 

Berand 852. 

Berger 250. 350. 475. 476. 
Bergesio 290. 

Berkhan 353. 

Bernhardt 22. 137. 166. 260. 

262. 302. 547. 

Berry 519. 

Bettelheim 536. 

Beurmann, de, 564. 

Bianchi 112. 190. 370. 550. 
Bibber van 428. 


Bidon 293. 

Bigot 425. 

Binet 563 (2). 

Binswanger 347. 453. 475. 
Bircher 500. 

Bjornstrom 263. 297. 
Blackwood 114. 

Blix 83. 274. 440. 

Blot 430. 

Blumenthal 376. 

Bluthardt 546. 
Bochefontaine 214. 

Bokai 114. 163. 

Bolling 187. 
Bordoni-Uffreduzzi 245. 
Bottet 214. 

Bourneville 283. 352. 
Boyer 377. 

Braubach 514. 

Bricon 283. 

Brieger 273. 

Broadbent 47. 

Brower 188. 472. 

Bruggia 231. 

Buccola 391. 

Bucquoy 431. 

Burkart 559. 

Burr 564. 

Bury 207. 

Burzew 37. 

Buzzard 136. 238. 

Cameron 40. 48. 

Campbell 428. 

Camuset 253. 

Cantavano 185. 

Castel, du, 335 (2). 431. 
C^nas 394. 

Cervello 142. 

Challand 383. 

Chambard 252. 

Chapman 428. 

Chardin 323. 

Chatelain 383. 

Chiari 514. 

Christian 450. 

Christiani 342. 

Cividalli 191. 

Clark 381. 

Claus 205. 

! Clavenger 187. 

| Clevenger 295. 


Coates 396. 

Cohn, Rud., 534. 

Colin 354. 355. 

Cornillon 275. 

Cotard 351. 

Cowan 186. 

Cox well 184. 

Crothers 296. 

Cuffer 431. 

Curschmann 158. 

Cybulski 390. 

Dana 296. 522. 

Danillo 60. 

Daricr 118. 470. 

Dastre 191. 430. 

Dauchez 393. 

DavidBohn 427. 

Debove 335. 

Dechambre 215. 

Dejerine 14. 15. 118. 135. 182. 
276. 

Demange 558. 

Dewey 211. 

Dignat 246. 

Donald, M., 19. 

Dreschfeld 449. 

Drummond 48. 95. 

Dubler 371. 

Duflocq 294. 

Dujardm Beaumetz 119. 142. 
Dumesnil 383. 

Dumolard 447. 

Dun 142. 

Dutil 135. 

Edinger 103. 341. 

Edmunds 277. 

Ehrlich 273. 

Eickholt 93. 543. 

Eidam 397. 

Eiselsberg 536. 

Eisenlohr 73. 145. 158. 169. 
Elliott 117. 

Engelskjbn 209. 473. 

Erb 200. 372. 

Erlitzky 107. 

Eulenburg 49. 209. 385. 390. 

404. 406. 505. 

Ewald 285. 287. 325. 

Exner 552. 

Eyselein 119. 479. 


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568 


Feiuberg 12. 

Fcllner 513. 

Fere 89. 118. 353. 377. 421. 

563 (3). 

Ferdol 431. 

Fergus 41. 

Feris 19. 

Ferrier 44. 228. 

Finkenstcin 399. 

Fiukler 286. 

Finny 422. 

Fischer 330. 

Flechsig 433. 452. 453. 457. 
Flesch 480. 485. 501. 502 (2). 
Fleury 519. 

Frankel 208. 

Franck 34. 430. 

Freusberg 20. 525. 528. 
Friedenreich 406. 

Frigerio 34. 253. 535. 

Fritsch 429. 

Fiirstner304.305.525.526.527. 
Funajoli 522. 551. 

Funnioli 190. 

Fusari 190. 

Ctairdner 45. 

Gallard 431. 

Gasquet 397. 

Gaucher 294. 

Gaudard 420. 

Gilles de la Tourctte 191. 214, 
407. 426. 

Girandeau 36. 85. 246. 277. 
Girma 237. 

Glaser 393. 

Glynn 95. 

Gnauck 313. 

Golgi 150. 190. 

Goltz 239. 332. 334. 492. 
Gontermann 139. 

Gonzales 551. 

Goodhart 213. 

Grashey 474. 479. 

Grasset 559. 

Gray 188. 255. 

Greidenberg 399. 

Greiff 97. 125. 348. 

Grunhagen 534. 

Grutzner 177. 

Gndden, v., 452. 453. 454 (2). 

477. 479. 

Gfinther 334. 

Giiterbock 373. 

Gumprecht 476. 

Gunning 118. 

Guttmann, S., 259. 

Hack 504. 

Hadlich 22. 

Hallager 407. 

Hallopeau 85. 235. 246. 
Hamilton 275. 

Hammond 280. 

Harley 550. 

Hartmann 472. 


Hasse 455. 

Hebra 309. 

Hegar 162. 

Henoch 323. 

Henocque 214. 215. 

Hermann 198. 

Hessler 40. 

Heusner 503. 

Hirschberg 548. 549. 

Hirt 9. 481. 

Hitzig 305. 453. 455. 541. 
Hjertstrom 131. 

Hoestennann 522. 

Hoffmann, J., 133. 

Horsley 444. 

Hovclf 48. 

Hryntschak 540. 

Hughes 140. 255. 428. 

Hurd 295. 

Hutchinson 312. 

Ilott 212. 

Ireland 43. 47. 

Jackson 19. 47. 

Jakoby 254. 

Jakubowitsch 233. 279. 
Jaroschewski 129. 

Jastrowitz 300. 547. 

Jeglinski 512. 

Jehn 475. 476. 

Jensen 13. 138. 

Joflroy 335. 431. 

Johson 326. 

Johnstone 246. 

Jolly 304. 357. 524. 525. 526. 
527. 

Jong, de, 235. 

Jubineau 38. 

Jurgens 286. 

Jungst 36. 

Kahlbauin 476. 479. 

Kahler 88. 336. 374. 518. 
Kaurin 349. 

Keller 563. 

Kernig 391. 

Kiernau 18. 91. 331. 427. 
Kind 137. 

Kirn 527. 

Kisseljow 328. 

Kjcllberg 404. 

Klein 81. 

Knecht 94. 

Knijper 167. 

Knittel 565. 

Kocher 254. 

Koebner 561. 

KojewnikofF 60. 

Kostjurin 289. 

v. Krafft-Ebing 186. 283. 354. 

429. 546. 

Kratter 523. 

Kroning 294. 

Kuhn 276. 

Kiipper 140. 


Kupffer 176. 

Kussmaul 304. 

Laborde 430 (2). 

Laehr 452. 

Lambl 178. 

Landesen 350. 

Landouzy 118. 179. 
Langgaard 562. 

Langley 81. 418. 

Lapraik 41. 

Lee 299. 

Leegard 378. 

Legrand du Saulle 20.249.399. 
Lemcke 293. 

Lentz 429. 

Leroy de Mericourt 215. 
Leube 283. 286. 

Ldyeque 393. 

1 Lewin 166. 167. 329. 

Lewis 42. 136. 

Ley 283. 

Leyden 256. 

Lichtheim 302. 

LiebeschUtz 395. 

Liebmann 444. 

Lissauer 105. 

Loeb 494. 540. 

Loewenfeld 233. 395. 497. 
Lombroso 57. 102. 115. 

Lomer 536. 

Lominski 496. 

Lownder 94. 

Lubelski 159. 

Luciani 190. 441. 

Lunin 331. 

Lussana 370. 417. 

Luys 354. 355. 533. 

Habboux 84. 

Mabille 140. 425. 

Maccabruni 39. 208. 

Mac Bride 392. 

Macewen 142. 430. 

Mac Guire 373. 

Maclagan 45. 

Madigan 207. 

Magnan 191. 235. 

Mann 445. 

Mannkopf 291. 

Manz 306. 

Marandon dc Montyel 42. 426. 
541. 

Marcacci 245. 

Marchi 176. 191. 

Marie 61 (2). 183. 350. 

Marro 57. 

Marshall 163. 

Martin (de Cognac) 118. 
Martineau 213. 

Marvaud 160. 

Meinert (Dresden) 286. 

Mendel 22. 23. 111. 229. 262. 
356. 452. 453. 475. 476.479. 
487. 547. 549. 562. 
Mendelssohn 17. 33. 34. 246. 


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569 


Mercier 43. 

Meschede 453. 454. 476. 479. 
Metcalf 299. 

Metzger 144. 

Meyer 104. 

Mickle 44. 283. 351, 397. 523. 
Middleton 496. 

Mierzejewsky 107. 113. 

Miles 109. 

Millet 251. 

Minkowski 183. 

Minor 156. 

Mdbias 307. 

Moeli 141. 260. 326. 454. 480. 
Moeser 538. 

Mommsen 308. 

Monakow, v., 197. 

Money 153. 

Montgomery 427. 

Moos 254. 424. 

Morat 191. 

Morin 350. 

Morrison 213. 

Morton 110. 

Motet 20. 

Mfiller (Blankenburg) 407. 
Mailer (Strassburg) 16. 
Mailer (Wiesbaden) 107. 
Monk, H., 272. 342. 

Munson 375. 

Murrell 120. 

Musso 282. 290. 330. 398. 

Slather 497. 

Neale 565. 

Nettleship 117. 

Neumann 71. 287. 

Nicati 191. 

Nieden 328. 396. 

Niermeijer 353. 

Nikolajeff 161. 

Noorden 298. 

Nothnagel 232. 334. 373. 

Obersteiner 403. 

Oebbeke 454. 

Oeller 23. 

Olderogge 298. 

Oliver 58. 

Olivet 383. 

Ollive 234. 

Ollivier 214. 

Oppenheim 159. 164. 165. 260. 

546. 547. 549. 

Orange 283. 

Orel 550. 

Ormerod 117. 213. 

Orr 41. 

Orschanski 469. 

Otto 301. 

Paetz 403. 453. 454. 

Page 37. 

Parinaud 517. 

Parsons 38. 

Paul 120. 

Peckham 561. 


Peli 469. 

Petcl 383. 

Petraus 67. 

Petrone 331. 

Pick 32. 185. 

Pilkowsky 161. 

Pitres 34. 154. 538. 539. 557. 
Planati 132. 292. 

Poggi 150. 

Pollitzer 513. 

Pontoppidan 520. 

Pozzi 16. 214. 

Prevost 557. 

Pusinelli 382. 

Putnam 106. 

Pye-Smith 213. 

Q,uinquaud 214. 430. 517. 

Rabuteau 214. 

Raggi 190. 

Ralfe 550. 

Rattone 228. 

Raven 247. 

Raymond 14. 84. 294. 347. 372. 
Rayner 564. 

Reclus 215. 

R4gis 282. 

'Reinhard 161. 541. 

Remak 22. 23. 67. 167. 239. 
260. 261. 262. 302. 337. 
547. 548. 

Renz 331. 

Renzi 209. 
i Revilliod 86. 

Rezzonico 190. 515. 
Richardi&re 392. 
i Riches 214. 

Richet 214. 

Richter (Dalldorf) 22.165.453. 
Richter (San Francisko) 131. 
Richter (Pankow) 486. 
Richter (Sonneberg) 558. 
i Riegel 18. 

Rieger 527. 528. 

Riggi 551. 

Riva 190. 542. 

Robert 117. 

Robertson 40. 383. 407. 
Roger 447. 

Rohmell 405. 

Rohon 271. 

Roller 116. 

Rondot 204. 

Roosa 424. 

Rosenbach 25. 54. 192. 217. 

320. 357. 361. 

Rosenheim 130. 

Rosenstein 187. . 

Rosenthal 238. 240. 334. 407. 
Ross 48. 248. 335. 

Rossbach 286. 521. 

Roth (Berlin) 105. 

Roth (Moskan) 406. 

Rothe 159. 

Rousseau 205. 206. 


Ruhle 286. 

Ruhemann 278. 

Rumpf 260. 306. 344. 445.. 
Rybalkin 86. 537. 

Sahli 151. 

Sakaky 68. 418. 

Sander, Wilh., 451. 452. 545. 
Sappey 355. 

Sasaki 346. 

Savage 282. 381. 

Scarpi 59. 

Schafer (England) 45. 81. 
Schafer 560. 

Scherschewsky 110. 247. 
Scheube 182. 

Schiff 557. 

Schmey 417. 

Schmidt 231. 

Schnabel 250. 

Schreiber (Budapest) 133. 
Schreiber (KSnigsberg) 334. 
Schrevens 429. 

Schflle 303. 394. 525. 527. 528. 
Schultze, Fr., 193. 195. 258. 

265. 309. 529. 540. 

Schulz, Richard, 33. 121. 471. 
479. 516. 

Seeligmfiller 477 (2). 502. 
Seglas 352. 426. 

Seguin 383. 421. 

Selenkoff 199. 

Senator 286. 

Sepilli 470. 551. 

Sewall 152. 

Sharkey 45. 117. 277. 

Shaw 537. 

Shears 420. 

Sherrington 418. 

Shuttleworth 43. 

Siemens 139. 223. 409. 

Singer 369. 

Sizarct 208. 

Smith 204. 

Solivetti 551. 

Sommer 154. 256. 

Sorel 85. 

Sperlingk 330. 

Spitzka 57. 142. 201. 501.553. 
Ssikorsky 378. 

Stabell 449. 

Stadthagen 157. 

Stark (lllenau) 525. 

Stark (Stephansfeld) 20. 526. 

527. 528. 

Starr 491. 515. 

Steenberg 401. 

Steiner 304. 

Stephan 422. 

Strtibing 108. 

Strhmpell 95.241.287.476.502. 
Stura 398. 

Svensoon 41. 

Talma 448. 

Tambroni 551. 

Tamburini 190. 542. 551. 


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570 


Tarchanoff 12. 

Tarnowskaja 58. 

Taylor 446. 

Tersier 215. 

Thomsen 31. 548. 549. 
Thomson 41. 

Thiimmler 299. 

Toldt 336. 

Tonnini, Giuseppe, 18. 
Tonnini, Silvio, 18. 106. 115. 
236. 

Trdlat 355. 

Tschirjew 206. 

Tschisch 360. 

Tnczek 305. 

Turner 381. 

Tattle 299. 

Tweedy 216. 

Uhthof 68. 419. 549. 

Vaillard 371. 


Accessoriuskrampf 89. 

Acetal 94. 551. 
Aesthesiometrie 391. 

Agraphie, motorische 557. 
Alcohol im Gehirn 167. 
Alcoholismus 40.113.119.159. 
160. 161. 162. 251. 253. 296. 
326. 419. 449. 477, 
cf. auch Trnnksucht und 
Delirium tremens. 

Alexie 46. 

Amblyopie bei Alcohol- 419, 
bei Tabakvergiftung 420. 
Ammonshorn, Anatomic 151. 
Amnesie, simulirte 256. 
Amyotrophische Lateralskle- 
rose 60.61.184.374.376.406. 
Anaemie perniciose, Ganglien- 
zellen dabei 346. 
Anaesthesien, sensor. 159. 

— bei Krankheiteu des Bra- 
ehialplexus 248. 

Anaestnetica, Tod dadurch 168. 
Analgesie, einseitige 22. 

— bei Lepra 366. 

Angiom im Centr. ovale 213. 
Anstaltswesen 
cf. Irrenanstalten. 
Antivivisectionisten 191. 
Apbasie 14. 45. 205. 206 (2). 
231. 276(2). 302. 324. 347. 
470. 527. 

Argent, nitr. bei Tabes 114. 
Arhinencephalie 199. 

Arteria basilaris Aneurysm. 85. 

— cerebri post. 520. 

— vertebralis Aneurysm. 538. 
Arthritis progr. 109. 


Vejas 227. 

Venturi 281. 

Verdan 297. 

Verga 190. 551. 

Victor 499. 

Vierordt 180. 

Vignal 430. 

Voisin 280. 

Vulpian 276. 

Wahltuch 23. 
Walsham 382. 

Walther 527. 

Walton 87. 499. 
Watteville 215. 
Webber 423. 

Weber (Amerika) 109. 
Weber (Halle) 239. 
Wcigert 105. 151. 
Weill 448. 

Weiss 561. 

Wendt 210. 


III. Sachregister. 

Asphyxie, locale, bei Geistcs- 
kranken 281. 

Asthma nervos., Elektr. da- 
gegen 23. 

Astigmatismus b. Higrane 118. 
Ataxie 497. 

Atrophie des Gesichts und 
Korpere 329. 

— allgemeine, Ganglienzellen 
dabei 346. 

Auge, Anomalien u. psychische 
Abnormitaten 306. 

— bei multipler Sklerose 313. 
cf. Opticas. 

Axencylinder 176. 

— gequollene 193. 

— bei Sklerose 195. 
Basedow’sche Krankheit mit 

Manie 246. 

— Erklarung 430. 

BeriBeri 182. 183. 
Bewusstsein im Zustande der 

Bewusstlosigkeit 185. 

— partielle Stoning 378. 
Blasenstorung bei Tabes 350. 
Bleilabmung, path. Anat. 23. 

— Psychosen 72. 295. 

Blitz, Wirkung desselben 503. 
Bracbialplexus 248. 
Bromkalium, antiepileptische 

Wirkung 25. 

— Heilwirkung bei Gehirn- 
quetschung 19. 

Bulbarparalyse 15. 

— amyotroph. 376. 

— apoplect. 445. 

— progressive 422. 

— Pseudo- 250. 304. 


Westphal 21. 68. 155. 167. 
262. 301. 302. 355. 357. 
547. 549. 

Wiebe 255. 

Wight 474. 

Wiglesworth 43. 113. 231. 
Wijsmann 450. 

Wilbrand 503. 

Wildermuth 210. 382. 526. 

527. 528. 

Willet 524. 

Witkowski 508. 527. 528. 
Wolf, de, 524. 

Wolfender 399. 

Wolff 376. 

Woods 48. 

Workmann 398. 


®acher 91. 379. 
Zenner 295. 
Zuelzer 359. 


Bulbas med., acute Erwei- 
chung 37. 

— olfactorius. An atom ie 151. 
Burdacb’schc Strange, Affect. 

191. 

Cannabinon 486. 

Cannabinum tannicum 94.382. 
Capsula interna, Durchschnei- 
dung 1. 

— Zerstdrung derselben 141. 
Castration der Frauen, 

cf. Ovariotomie. 

Cauda equina. Meningitis der¬ 
selben 73. 

— Compression 105. 

Centra vasomotor, im Him u. 

Ruckenmark 12. 

— fur Riickwartsbewegung 
304, 

cf. Localisation im Hirn 
und Ruckenmark. 

Centrum cilio-cerebrale 535. 
Chinin, Psychosen nach Ge- 
brauch desselben 18. 
Chloral, Warme dabei 344. 
Chorea, Muskelzuckungdab.18. 

— Blut 131. 

— Arsen 163. 

— Paralysen dabei 234. 
Therapie 428. 

Chorea posthemiplegica 349. 
Choreatische Zwangsbe wegun- 
gen 325. 

Chromidrosis 215. 

Clarke’sche Saulen bei Tabes 
105. 

— Atrophia 326. 


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571 


Condensationshypertrophie des 
Hirns 229. 

Coniinum bromat. 298. 399. 
Conium 299. 

Corpora quadrigemina, Anato- 
mie 553. 

Corpus callosum, Haemorrh. 
372. 

— Svphilom 373. 

— Tumor 393. 

Corpus mamillare 454. 

Corpus striatum, 

Anatomic 176. 341. 
Pathologic 106. 350. 
Cretinismus 297. 523. 

Crus cerebri, Sarcom 205. 
Curare bei Tetanus 139. 

Harm wand, Ganglien 346. 
Decubitus 479. 

— Therapie 545. 
Degeneration, secundare, des 

Kuckenmarks 73. 105. 203. 
274. 277. 291. 

— der GolTschen Strange 221. 

— der peripheren Nerven 418. 

— tertiare 419. 

— physische b. Verbrechern 94. 
Delire des negations 208. 351. 
Delirium acutum 329. 

— uraemicum 331. 

— path. Anatomie 515. 

— tremens 40. 137. 327. 
-Sinnestauschungen da- 

bei 113. 

Dementia paralytica, 
cf. Paralys. progr. 

— bei Hunden 229. 262. 

— simpl. syphil. 425. 
Dermatitis, Veranderungen im 

Nervensystem 104. 

Diabetes 110. 278. 

— Therapie 524. 

— insipidus 331. 

Diphtheric, herdfbrmige Skle- 

rose dabei 157. 

— Lahmung mit Ataxie 516. 
Diplegia facialis bei progr. 

Muskelatrophie 339. 
Dipsomanie 41. 

Duchenne’sche Lahmung 15. 

cf. Bulbarparalyse. 
Dyspepsie, nervose 283. 303. 
Dystroph. muse, progr. 201. 

Ecchymosen nervbsen Ur- 
sprungs 563. 

Eclampsie 421. 

Ehescheidung und Geistes- 
storung 451. 
Eisenbahnunfalle. 

cf. Railway-spine. 
Elektricitat 254. 

— Reizung des Schadels und 
der Wirbelsaule 12. 

—-magnetelektrischeStrome 49. 


Elektricitat bei Erkrankungdes 
Outicus 118. 

— Oeffnungserregung 177. 

— secundar elektromotor. Er- 
scheinungen 198. 

— sensible Nerven bei Tabes 
246. 

— Nachweis einer Nadel 254. 

— elektrischer Leitungswider- 
stand im Korper 357. 

— Unterbrechung desStromes 
440. 

— Erregbarkeit der Muskeln 
und Nerven bei Arbeit und 
Ermhdung 469. 

Elektrotherapie 23.114.209 (2). 

213. 215. 254. 353. 383. 473. 
Encephalitis parenchymat. cir- 
cumscr. 60. 

— der Kinder 502. 
Encephalocele occipitalis 142. 

444. 

Epilepsie 70. 245. 278. 350. 
352. 393. 394. 421. 508. 527. 

— Symptom atologie: 

— — partielle 132. 

-Transfert 9. 

-bei Thieren 35. 

-Rensorische Anasthesien 

31. 159. 

-Psychosen 44. 

-Idiotie 210. 

-rotatoria 133. 

-Schwindel als Aura 184. 

251. 

— — Augenbewegungen 512. 

— — Pupillen 282. 511. 

— — Irreseinsanfalle 330. 
-postepileptische Symp- 

tome 70. 

-Harn 360. 

— — Bewusstseinsstorung 
378. 

-Lahmung dabei 509. 

— Aetiologie*. 

-Imitation 292. 

-bei Alcoholisten 327. 

-Gehororgan 140. 

— Path. Anatomie 191. 444. 

— Forens. Beziehung 20 (2). 
256. 831. 400. 

— Therapie: 9. 26. 140. 238. 
283. 352. 382. 394. 399. 

-Versorgung der Epilep- 

tiker 527. 

EpileptiformeKrampfe von der 
Hirnrinde 34. 

Epileptogene Zone 350. 
Epileptoide Anfalle 131.. 249. 
Erb’sche Lahmung 278. 
Ergotin bei Paralyse 237. 
Ennnerungsbilder optische 119. 

Facialisscbmerz 255. 

— Paralyse 51. 

— Ursprung 372. 


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Farbungsmethoden 106. 151. 
Faradischer Strom, 
cf. Elektricitat. 

Faserverlauf im Hirn 533. 
Folie a deox 38. 427, 

cf. Psychosen inducirte und 
Zwillingsirresein. 

— du doute 522. 

Forensische Falle 20. 42. 140. 
188. 265. 283. 331. 354. 
399. 400 (2). 429 (3). 501. 
546. 550. 

Forensische Psychiatric 263. 

408. 451. 474. 

Fornix 454. 

Fossa occipitalis 102. 416. 
Fossette vermienne 416. 
Fattening der Geisteskranken 
283. 

Funicul. solitarius 547. 
FuBsphanomen 519. 
cf. Sehnenreflexe. 


Galvanisation, 
cf. Elektricitat. 

Galvanometer, vertical. Hirsch- 
mann’sehes 67. 390. 

Ganglienzellen, Anatomie 190. 

— Pigmentanhaufung 360. 

— Veranderungen bei Para¬ 
lyse 453. 488. 

— Degeneration 496. 

— in Spinalganglien 502. 

cf. auch Hirnrinde, Para¬ 
lyse, Vacuolenbildung. 

Gaugran, periphere Nerven 
dabei 371. 

Gastroxynsis 521. 

Gehororgan u. nervose Affcc- 
tionen 140. 

Gchorschnecke, Function 152. 

GemUthsbewegungen, Aus- 
druck bei Thieren 102. 

Geruchsempfindungen, Reac- 
tionszeit 432. 

— elektrische 439. 

— bei Thieren 552. 

G esich tsfeldeinschrankung 
503. 548. 

— Untersuchung 209. 473. 

Ge8icht8muskelatrophiel07(2). 

329. 

— doppelseitige 339. 376. 

Gleichgewichtssinn 152. 

— Beziehung zum Kleinhirn 
177. 

— Organe 345. 

Gliom, Sehhftgel 204. 

— Stirnlappen 212. 

Gliosarcom, Schlafenlappen 21. 

Gliose der Hirnrinde 305. 

Goll’sche Strange, Degenera¬ 
tion 221. 

Grossenwahn bei groben Hirn- 
kranklieiten 397. 


Google 



672 


Grosshirn, Entwicklungshera-. 
mung 13. 

— Funotionen 342, 

cf. Lokalisation und Hirn. 
Gudden'sches Blindel 455. 

Gyr. angular is 45. 

— central, ant. post. 85. 
-post. 291. 

Maarfarbe, period. Wechsel 
161. 

Haematoma dur. metr. 205. 
Haemorrhacliis 455. 
Hallucinationen 235 (3). 450. 

— einseitige 140. 407. 

Harn, Semiotik 359. 

Haschisch 487. 

Hautnerven,specif.Energie 274. 
Hautneurosen 309. 

Heboid 476. 

Hellseherin 178. 
Hemianasthesie spinalis 446. 

— hysterische 477. 
Hemianopsie 7. 495. 

— bei Aphasischen 47. 

— temporale 69. 519. 

— gleichseitige 117. 495. 504. 
Hemiatrophia facialis 107. (2) 

329. 

Hemicephalic. Nebennieren da- 
bei 536. 

Hemicliorea 84. 348. 349. 350. 
448. 

Hemicrania 118. 191. 

— bei Tabes 350. 

— Therap. 353. 399. 
Hemiplegie, cerebrale, 

— Muskelzuckung dabei 17. 

— Symptome auf gesunder 
Seite 246. 

— bei Kindcrn 420. 

— Trepanat 142. 
Hemiparaplegie, spinale, 446. 
Hereaitare Anlage u. Tabes 179. 

— und Psychosen 252. 
Heroes zoster 158. 163. 371. 

— bilateralis 449. 

Herzaction, willkurl. Beschleu- 

nigung der, 12. 

— Schwache 502. 
Hinterhauptscliuppe, 

cf. Fossa occipitalis. 
Hinterstrangsklerose, 
cf. Tabes. 

Hirnabscess 497. 536. 

— Bewegun^cn 354. 

— Compression 229. 475. 

— Druclc 229. 

— Gefasse, Blutbewegung in 
demselben 475. 

— GewichtbeiGeisteskrankcn 
153. 190. 

-der Riesenschlangc 417. 

-TurgenjeffB 432. 

— Ungleichheit der Homi- 
spbaren 541. 


Him-Hamorrhagie 69. 

— Missbildung, 

cf. Hemicephalie, Mikro- 
cephalie u. s. w. 

— Puls 290. 

— Rinde, Convuls. durcb Rei- 
zung 35. 

— Sklerose 97. 125. 

— Degeneration nach Zer- 
storung der Caps. int. 141. 

— Gliose 305. 

— schiefrige Verfarbung 425. 
442. 

— der Irren 444. 

-- hyaline Degeneration 444. 

— Ganglienzellen 487. 

cf. auch Paralyse, Faser- 
verlauf, Ganglienzellen. 
Hirnschenkel, 
cf. Crus cerebri. 
Hirnstructur 533. 
Hirnthatigkeit, Einwirkungauf 
Phosphorsaure u. Urin 432. 
Himwindungen bei Geistcs- 
kranken 150. 

— beim Hund 82. 

Horen, central. Organe dafiir 
272. 

cf. Lokalisation. 

Holzwolle zur Lagerung 545. 
Husten, nervfiser 108. 
Hyoscyamin 94. 188. 299. 
Hypertonia musculor. 385. 
Hypertrophicen des Gesichts- 
korpers 329. 

Hypnose bei Hysterie 86. 
Hypnoticum 382. 

Hypnotismus 214. 563. 

— therap. Anwendung 255. 

— Transfert 563. 
Hypochondriasis 94. 

— Anfalle dabei 281. 
Hypoglossusbahn 347. 
Hypophyse Tumor 393. 

— beim Pferd 502. 

Hysterie 558. 559 u. f. 

— sensor. Functionen 31. 

— mit Hypnose 86. 

— Stummheit dabei 86. 

— Taubheit 424. 

— beim Mann 87. 385. 562. 

— bei Kindern 823. 560. 

561 (3). 562 (2). 

— und Railway spine 87. 

— und scrofulose und tuber- 
culose Diathese 559. 

— Anfalle bei einem Paraly- 
tischen 253. 

— erhohte Temperatur dabei 
335. 

— Hemianasthesie 477. 

— Blutungen dabei 563. 

— Therapie: gynacol. Behand- 
lung 214. 299. 433. 452. 457. 
499. 500. 

— nach Mitchell 524. 561. 


i 


Hysterie durch Reibungselek- 
tricitat 551. 

— forensisch 71. 

cf. Hypnotismus, Neurose. 
elektrische, Somnambulis- 
mus u. 8. w. 

Hystero-Epilepsie 465. 562. 

Jackson’sche Epilepeie, 
cf. Epilepsie partielle. 
Idiotisraus 13. 

— path. Anatomie 34. 43. 

— und Trunksucht 137. 

— Wechsel derHaarfarbe 161. 

— und hereditare Syphilis 207. 

— und Epilepsie 210. 

— Schadel 442. 

— Sprachstdrungen 526. 
Intervertebralganglien, 

cf. SpinalgangUen. 

Irisalgie 118. 

Irrenanstalten 20 (2). 116.189. 
(3) 210. 211. 401. 403. 432. 
454. 479. 504. 528. 
Irrengeeetz 144. 168. 192. 211. 
525. 

Ischias, Osmiumbehandl ung 

209. 

Jumping 426. 

Kalteempfindung 275. 
Katatonie 138. 

Keratitis, neuroparalyt., 328. 
Kinderlahmung, 
cf. Spinalparalyse. 
Klapperschlangengift gegen 
Tetanus 299. 

Kleinhirnerkrankung 58. 59. 
393 (2). 520. 

— sklerose 154. 

— Physiologic 190. 

— Abscess 516. 

— Tumor 537. 

— Blutunp 537. 
Kleinhirnnnde, Anatomie 128. 

190. 

Kleinhimstiel, Durch schnei- 

dung 117. 

Kniephanomen, 
cf. Sehnenreflexe. 
Knochendegenerationen bei 
Geisteskranken 43. 
Kohlenoxydul, Einfluss auf die 
Nervencentren 323. 
Kopftetanus 137. 

liabyrinthaifektionen 124. 
LandbVsche Paralyse, 
cf. Paralys. acuta ascendens. 
Latah 426. 

Lateralsklerose, cf. amyotropb. 
Lateralskl. und Seitenstrang- 
sklerose. 

Iiathyrismus 183. 
Lendenmark, motor. Funci 369. 
cf. Riickenmark. 


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573 


Lepra 361. 378. 

Lingualis, Einfloss auf Lymphe 
and Zunge 245. 

Linsenkern, 
cf. Nacl. lentif. 

Lipom der Euckeamarkshaate 
514. 

Lobi infceroptici 555. 

— optici 554. 

Lobus frontalis 212. (Gliom) 
470. (angiolith. Sarcom.) 

— occipitalis 275. 393. 442. 

— paracentralis 431. 

— parietalis 442. 

— temporalis Tumor 21. 

— Defect 43 (2). 

— Sarcom 213. 

— and Worttaubheit 470. 
Lokalisation im Him 44.45.81. 

231 .332.342. 492. 494.515. 

— and Psychologic 42. 

— fur epilept. Convuls. 35. 

— f&r Facialis and Arm 85. 
291. 515. 551. 

— fur Gefuhl 442. 492. 

-bei Hunden 190. 

— fur Gehor 21. 43. (2) 272. 
442. 470. 543. 

— fiir Gerach 442. 515. 

— fiir Geschmack 442. 

— fiir Gesicht 6. 45. 272. 275. 
441. 494. 548. 

— fiir Hemichorea 85. 348. 
350 (2). 

— fur Hypoglossus 347. 

— fBr Inserweiterung 535. 

— fur sensorische Funktionen 
441. 

— fur Sprache 206. 231. 824. 
543. 

— fur Temperatur 541. 

— fhr untere Extremitat 432. 
Lyssa humana 564. 

HEanie 113. 

— mit BasedoVscher Krank- 
heit 246. 

— Conium dabei 299. 
Medulla oblongat. 293. 

— Centrum Sr Iris u. s. w. 
430. 

— Krankheitsherde 538, 

cf. auch Bulbarparalyse, 
Bulbas. 

Melancholie, Chinin 18. 

— chronische, mit D61ire des 
n^gati 208. 

— Behandlung 299. 

— Yerlust der Gesichtserinne- 
rung 351. 

— sine delirio 354. 

— angstliche 351. 426. 
Meningitis basilaris tub. 540. 

— spinalis chron. 78. 

— nach Scharlach 323. 

— Contract, dabei 391. 


Microcephalie 34.442.480.535. 
Migran e, 
cf. Hemicranie. 

Miryachit 280. 426. 
Monoplegieen, 
cf. Lokalisation. 

Moralischer Wahnsinn 398 (2). 
476. 522. 551. 

Morphiomanie 19.42.118. 255. 
264. 403. 

Morphium, Temperatur dabei 
344. 

Muskelatrophie 257. 374. 

— progressive hereditare 118. 
529. 

— juvenile Form 200. 258. 
259. 279. 837. 

— bei Lepra 365. 

— bei Bulbarparalyse 422. 
cf. Gesicktsmuskelatrophie, 
Hypertrophic and Pseudo- 
hypertrophic. 

Muskeln, degenerirte, Ver- 
halten gegen magnet, elektr. 
Strome 49. 

Muskelsinnbestimmung 83. 
Muskelzuckung bei Krank- 
heiten desNervensystemsl7. 

— Kurve 103. 

Myelitis acuta centralis 135. 

— chron. diffusa 84. 

— mit apoplectischen An- 
fallen 36. 

— mit bes. Lasion der Vor- 
derhorner 326. 

— dorsalis 516. 

— interstitialis 558. 

— transv. 95. 

— traumatica 231. 309. 

— der Potatoren 477. 
Myoclonus multiplex 22. 395. 
Myotonia congenita, 

cf. Thomsen’sche Krankheit. 
Mysophobia 522. 

Myxoedem 117. 550. 
Myxogliom im Pons 204. 

HTahrungsverweigerung der 
Irren 139. 

— Stoffwechsel dabei 307. 

—? kiinstliche Ernahrung 383. 

— bei Paranoia 409. 

Napellin 551. 

Narcose, Warmeregulation 344. 
Natriumnitrit 120. 

Natron salicyl. bei Hemicranie 
399. 

Nerven, Einfloss des asphyct. 
Blutes 191. 

— von Kohlenoxydul 323. 

— gefasserweiternde and ge- 
fassverengende 390. 

cf. einzelne Nerven, Acces¬ 
sorius u. s. w. 

— degenerirte Yerhalten gegen 

magnetelektr. Strome 49.. | 


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Nerven bei Gangran 371. 

— Dehnung 41. 58. 162. 163. 
187. 445. 

— Fasern, Anatomic 190. 

— Leitung, fiir Tast- and 
Schmerzempfindung 345. 

— Leitungsgeschwindigkeit 
sensibler, 430. 

— Percusion 565. 

Nervi Lancisii, Anatomie 150. 

— System im Hungerzustande 
357. 

— der Boa Python 417. 
Neuralgien, diabetische, 278. 

— Nervendehnung dabei 163. 

— Osmiumsaure 209. 381. 
Neurasthenic 558. 559. 
Neuritis bei Herpes zoster 158. 

371. 

— traumatica des Plex. bra- 
chialis 16. 109. 

— syphil. 516. 

— multiple 16. 180. 241. 256. 
423. 481. 498. 

Neuroparaly tische Entz undung 
477. 

Neurosen, thermische, 110. 

— der Haut 810. 

— elektrische, 563. 
Neuro-Tabes, peripher. 37.182. 
Nucleus lentiform. Faserver- 

lauf 341. 

— Pathologie 106. 

Nystagmus 152. 

Occipitalhirn, Furchenbildung 
190. 

cf. Lob. occipital. 
Oculomotoriuslahmung, cen- 
trale, 336. 

— period., 307. 520. 

— recidiv., 548. 
Oeffnungserregung, elektr. 177. 
Opticus atrophie 68. 

— Bahnen 453. 

— im Him 1. 534. 

— bei multipler Sklerose 313. 
505. 517. 

Osmiumsaure bei Neuralgien 
209. 381. 

— bei Epilepsie 882. 
Othamatom 207. 208. 
Ovariotomie 214. 299.433.452. 

457. 499. 500. 

Ozon, Einfloss auf Nerven- 
kranke 479. 

Pachymeningitis int. hyper- 
troph. 116. 875. 

Paraldehyd 93. 142. 214. 268. 
298. 331. 525. 551. 

— physiol. Wirkung 557. 
Paralysis acuta ascendens 133. 

— agitans, Muskelzuckung da¬ 
bei 18. 

— atroph. progr. 145. 169. 
-chron. 540. 


Google 



574 


Paralyscn aus Einbildung 206. 
214 (2). 

Paralysis labio-glosso-pharyn- 
gea, cf. Ductoenne'sche Lah- 
mung und Bulbarparalyse. 
Paralysis progressiva der Irren 
62. 89. 91.223. 229.253. 349. 

— Symptomatology: 

-circulars Form 39. 

-Sehnenreflexe 92. 112. 

551. 

-paralyt. Anfalle 92. 93. 

541. 544. 

-Schwindel 251. 

-hyster. Anfalle 253. 

-AusfallenderNagel282. 

-Temperatnr305.541(2). 

-Mit spinaler Erkran¬ 
kung and Erblindang 355. 

-Harn 360. 

-spastischerSymptomen- 

compl. 879. 

— Aetiologies 

-bei Frauen 186. 187. 

-Erblichkeit 405. 548. 

-Haufigkeit 295. 

-Syphilis 91. 405. 

— Diagnose: 425. 450. 

— Path. Anatomie: 190. 191. 
347. 444. 542. 

— Pyramidenseitenstrangbahn 
156. 381. 

— Nervenfasern 305. 

— schiefrige Verfarbung der 
Hirnrinde 442. 

— Ganglicnzellcn 347.453.487. 

— Verlauf: Einfluss von Ei- 
terung 564. 

— Therapie: 

-Ergotin 237. 

Paramyoclonus multiplex 395. 
Paranoia 18. 111. 236. 297. 

399. 409. 

Paraphasie 46. 

Paraplegien in Folge von 
Enteritis 234. 

— acute schmerzhafte 447. 
Patellarreflex, 

cf. Sehnenreflei. 

Percussion des Schadela 278. 

— der Nerven 565. 
Perimeningitis 37. 

Perineuritis acuta nodosa 159. 
Peroneuslahmung 516. 
Phosphorsaure im Ur in, Ein¬ 
fluss der Hirnthatigkeit 432. 

Pia spinalis lipom 514. 

-sarcom 479. 

Poliencephalitis, acute 502. 
Poliomyelitis anterior 135.146. 
233. 256. 422. 

— und Neuritis 241. 423. 
Pons, Erkrankung 85.201.204 

(3). 246. 335. 

Porencephalic 178. 190. 213. 
301. 870. 480. 


Posthemiplegische Reizerschei- 
nungen 393. 

Preisaufgaben 48.168.288.384. 
Pseudohypertrophie der Mus- 
kelu 200. 259. 279. 385. 
496. 529. 


Pseudo paralyse 63. 

cf. Bulbarparalyse. 
Psychosen 142. 263. 

— Aetiologie*. 

-Statistik 189. 401. 

-in der franz. Armee 160. 

-Hereditat 252. 

-Ansteckung 565. 

- — Epilepsie 44. 

-praeepilept. 549. 

-Schule 404. 

-Kopfverletzung. 472(2). 

564. 


-in Folge hoher ausserer 

Temperatur 499. 

-Syphilis 351. 425. 

— — puerperale 144. 381 u. 
Frauenkrankheiten 455. 

-Herzkrankheiten 427. 

— — nach Rheum, art. acut. 
und Pneumonic 397. 

— — nach Augenoperat. 250. 

-nach Scharlach 43. 

-Alcohol 161. 

-Blei 297. 

-Cannab. ind. 427. 

-Chinin 18. 

-Schwefelkohlenstoff280. 

— Symptomatology. 

-Aphasie 206. 

-- — Auge 306. 

-Blutuntersuchung. 551. 

-combinirte 223. 

-epileptoide Anfalle 131. 

-hysterische 459. 

-Herzruptur 523. 

-inducirte 38. 427. 

-Knochendegeneration43. 

-lokale Asphyxie 282. 

— — Menstruation 473. 

-Pupillen 830. 

-Schadel 469. 

-Schwindel 251. 

-Sensor. Functionen 31. 

— — Sitophobie 330. 

-Stoffwechsel 807. 


-Temperatur 551. 

-bei Zwillingen 383, 397. 

— Diagnose, Simulation 140. 

— Prognose *. spate Heilungen 
426. 


— Therapie: Anstaltsbehand- 
lung 428 (2). 

--Electricitat 883. 

-Hyoscyamin 188. 

-bei Nahrungsverwei- 

gerung 283. 383. 

-Lagerung Unreinl. 545. 

-Operation 524. 

-beiSelbstmordsucht282. 


Pupillen bei Epilepsie 282.511. 

— bei Geisteskranken 330. 
-Bewegung 512. 

— dilatirenae Nerven 534. 
Pyramidenbahn 197. 203. 
Pyramidenseitenstrangbahn. 

— primare Erkrankung 155. 

— secundare Degeneration 154. 


Radialislahraung 481. 

Railway-spine 36.87. 106.326. 

Raumvorstellungen 345. 

Rectum, Bewegungs- u. Hem- 
mungsnerven des 513. 

Reflexe 33. 238 
cf. Sehnenreflexe n. West- 
phaTsches Zcichen. 

Reflexlahmung 234. 293. 

Reflexneurosen 504. 

ReissnePsche Zellen 271. 

Respirationsmuskein, Krampfe 
der 18. 

Respirationsbiindel, 
cf. Funic, solitar. 

Restraint 115. 

Rolando'sche Furchen, Ano- 
malien 168. 190. 

Riickenmark: 

— Anatomie und Physiologie. 
Form desselbon 485. 501. 

-Histiogenese 271. 

-Entwicklung dess. 430. 

-Erregung desselben bei 

Hingerichten 430. 

— — Blut nach Ruckemnarks- 


durchschneidung 430. 

-halbseitige Durchschnei- 

dung 228. 

- — Wanneproduction 290. 

-Vorderstrange, Erreg- 

barkeit 34. 

- — Sensibilitat 557. 

- — Lendonmark 273. 369. 

- — Dehnung 162. 

- — Regenerationsfahigkeit 
518. 

- Path. Anatomie: 

-Abscess 232. 

-abnorme Stractur 456. 

-bei Bleilahmung 24. 

-Blutung nach Nerven- 

dehnung 445. 

-Deiormitaten 309. 

-bei Dehnung des Ischia- 

dicus 58. 

-doppelseitige Sklerose 

bei einseitiger Hirnerkran- 
kung 154. 

-bei Microceph. 480. 

-secudare Degenerat 73. 



cf. diese. 


ombinirte 
krankung 157. 

-Compression 88, 


lung. 


Stranger- 


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575 


Riickenmark, Symptomatolog.: 

-Erschiitterung 277 (2). 

383. 

cf. Railway-spine. 

-Schwindel und apopl. 

Anfalle 277. 

— Prognose derErkranknngen 
desselben 407. 

— Therapie: 

cf. Myelitis, Sklerose, Tabes, 
secundare Degeneration d. 
Seitenstrange und Vorder- 
strange. 

Riickenmarkshaute, Lipom der 
514. 

— Sarcom 479. 

cf. auch Meningitis spinalis. 

Sarcom im Grossbirnschenkel 
205. 

— Lob. temporal. 213. 

— der Riickemarkshaute 479. 

— im Sehhiigel 392. 

Scbadel, Capaeitat 81, 190. 

— Blutbewegung in dem- 
selben 474. 

— bei Irren 469. 

— bei Yerbrechern 549. 
Scharlach und Verfolgungs- 

dclirien 43. 

Schlaf, Physiolog. desselben 
245. 290. 

— Warmeregulirung 344. 
Schlaflosigkeit, Electr. da- 

gegen 114. 

Scnlafmittel 93. 486. 
Schlafzustande 296. 
Schleifenbahn 197. 
Schmerzempfindung 275. 

— Verlangsamung der Lei 
tung 345. 

— in der Hirnrinde 492. 
Schwefelkohlenstoff, Geistes- 

krankheit dadurch 280. 
Schwindelanfalle bei Geistes- 
kranken 251. 

— bei Riickenmark-Krank- 
heiten 277. 

Sclerotinsaure 283. 

Sehnerv: 
cf. Opticus. 

Sehen, centrales Organ dafiir 
272. 

— Leitungsbahnen 453. 

cf. Lokalisation u. Opticus. 
Sehhttgel, 
cf. Thai, optic. 
Sehstorungen experimentelle 
495. 

cf. Opticus u. Gesichtfeld. 
Sehnenreflexe bei Arbeit und 
Ermhdung 469. 

— in Beziehung zur Haut- 
sensibilit&t 129. 

— Experimentelles 130. 308. 
334. 


Sehnenreflexe b. Lepra 366 u. 
FussklonuB 519. 

— Verschwinden 57. 

— bei Yerbrechern 57. 

— bei progr. Paralyse 92. 
112. 551. 

Sehnenreflexe bei Paraldehyd 
557. 

cf. Paralysereflexe, P.-Tabes, 
Westphal’sches Zeichen. 
Seitenstrangsklerose 37. 38. 
155. 

— nach Lues 183, 

cf. Pyramidenseitenstrange. 

— amyotrophische, 

cf. Amyotroph. Lateralskl. 
Selbstmord 208. 282. 

— in Russland 34. . 

— in der franz. Armee 160. 
SensibUitat bei Krampf- und 

Geisteskranken 31. 

— bei Verbrechern u. Geistes¬ 
kranken 115. 

— Qualitaten derselben 370. 

— der vorderen Riickenmark - 
strange 557. 

cf. Lokalisation. 

Sensible Faserung im Gebim 
492. 

Sexualempfindung, contrare, 
185. 186. 352. 

Shrapneirsche Meipbran Per¬ 
foration 40. 

Simulation yon Geistesstorung 
140. 

— bei Geisteskranken 546. 
Sitophobie 330. 

Sklerose diffuse 558. 

— disseminirte der Hirnrinde 
97. 125. 

— cerebrospinale 276. 

— des Riickenmarkes bei Der¬ 
matitis 104. 

— herdformige nacb Diph¬ 
theric 157. 

— nach Infectionskrank. 350 
und Syphilis 262. 

— Augenstorungen 313. 505. 
517. 

— psychische Storungen 397. 

— Axencylinder 195. 
Somnambulismus, particller 

563. 

SomnambuliBte Anfalle 561. 
Spastiscbe Spinalparalyse 37. 
38. 155. 183. 

Spinalganglien 190. 217. 227. 
228. 265. 320. 

— Ganglienzellen derselben 
502. 

Spinalparalyse, infantile 135. 
153. 

— mit Ataxie 497. 

cf. Lateralsklerose, Mye¬ 
litis etc. 

Splenius Krampf 114. 


Sprachstdrungen 526. 543. 
cf. Aphasie, Localisation, 
Paraphasie. 

Stammeln 353. 

Statistik der Geisteskranheiten, 
cf. Psychose. 

Stottern 353. 

Strangaffectionen, combinirte 
157. 

cf. Seitenstrange, Tabes etc. 
Strychnin bei Alcoholismus 
119 und Paraldehyd 142. 
Sulc. centralis. 

cf. Rolando’sche Furche. 
Sulci am Occipitalhim 190. 
Sympathicusaffection 396. 
Syphilis: 

— Meningitis spinalis 73. 

— Myelit. acuta centralis 135. 

— Seitenstrangsklerose 138. 

— Haematom der Dura mater 
205. 

— Idiotismus 207. 

— Gehirn und Riickenmark 
307. 

— bei Geisteskranken 351.425. 

— beim Affen 213. 

cf. Paralys. progr. und Tabes. 
Syringomyelic 165. 455. 

Tabak Amaurose 312. 

— Amblyopie 420. 

— Verbrechen 408. 

Tabes periph. Ursprun^37'.182. 

— Aetiologie, Syphilis 165. 
166. 167. 179. 260. 421. 
428. 472. 

— hered. Anlage 179. 

— Kindesalter 233. 

— Symptomatologie Ataxie 96. 

— intestinale Storungen 447. 

— Larynxkrisen 546. 

— Lahmung der Kehlkopf- 
rauskeln 546. 547. 

— Muskel-Geffihl 95. 

— — Steifigkeit 538. 

— — Zuckungen 18. 

— electr. Reaction der sen- 
siblen Nerven 246. 

— Gelenkaffection 247. 294. 

— lokaler Schweiss 294. 

— Spondylolisthesis 294. 

— Kniephaenomen 295. 350, 
cf. Sennenreflexe. 

— Ham 360. 

— Pied tab6tique 377 (2). 

— Clitoriskrisen 539. 

— Diagnose mitAlcoholataxie 
449. 

— Prognose 428. 

— path. Anatomie 187, 402. 
-Yeranderung der periph. 

Nerven 14. 68. 418. 

-Clarke'sche Saulen 105. 

-Blutgefasse 136. 445. 

-Vaguserkranknng 547. 


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576 


Tabes, Therapie. 

-Arg. mtr. 114. 

-Elektricitat 353. 

-Heilbarkeit 404. 

-Nervendehnung 41.187. 

-Sublimat. 516. 

Tastempfindung 417. 

— in der Hirnrinde 492. 
Tastsinn, Apparat zur Priifang 

306. 

Taubheit, hysterische 424. 
Temperatur bei Gehirnver- 
letznng 214. 

— bei Zuckeratich 535. 

— 8ubnormale 293.305 540.(2) 
541 (2). 

cf. Warme. 

Temperatnrsinn 513. 

Tetanus hydrophob. 137. 373. 

— neonator. 540. 

Tetanus, Therapie 67.139.299. 
Thai, opticus, Funct. 102. 

— Erkrankung 204. 205. 

— Tuberkel 213. 392. 

— Haemorrhag. 350. 

— Sarcora 392. 

— Gumma 392. 

Thermometer zu lokaler Tern- 

peraturmessung 120. 
Thermoneurosen 247. 
Thomsen’sche Krankheit 61. 
520. 

Trabecula cinerea 190. 
Transfert bei partieller Epi- 
lepsie 9. 

Tremor, Veratrin dagegen 19. 

— Lokalisation 448. 
Trepanation b. Hemiplegic 142. 


Trepanation bei Schadelfractur 
187. 

— bei Wirbelcaries 430. 
Trigeminus, Neuralgie 254.255. 

382. 565. 

Trigeminus-Lahmung 107. 

— Durchscbneidung 478. 
cf. Lingualis. 

TrophiBche Storungen der der 
Verletzung entgegen ge- 
setzten Seite 16. 

Trophoneurosen 395. 
Trunksucht und Idiotie 317. 

— Bekampfung 216. 

Typhus, Apnasic danach 

276 (2). 

Ueberbiirdung 476. 

Ulnaris; Compression desselben 
394 (2). 

Unzurechnungsfahigkeit. 

cf. forensische Falle. 

Urin, 
cf. Ham. 

Vacuolenbildung in den Gang- 
lienzellen des R5ckenmarkes 
32. 33. 54. 121. 171. 192. 
267. 

Variola, nervoBe Storungen 
517. 

Ventrikel des Hirns, Luft- 
ansammlung 514. 

Veratrin gegen Tremor 19. 
Verbrecher, Typen 545. 
cf. forens. Psychiatrie, 
Scbadel. 

VoiTiicktheit, 
cf. Paranoia. 


Vierhugel, 

cf. Corp. quadrigemina. 
Vitiligo 328. 

Vorderstrange des Rucken- 
markes, 

cf. Erregbarkeitderselben 34. 

— Sensibilitat 557. 

Warmeempfindung 275.* 
Warmeproduction abhangig 
vom Nervensystem 290. 
349. 

— centrale 293. 

— Regulation in Narkose und 
Schlaf 344. 

cf. Temperatur. 

Wahnsinn, religibser 120. 
cf. Psychosen. 

Westpharsches Zeichen 57. 
295. 350. 355. 
cf. Reflexe u. Sehnenreflexe. 
Wiederkauen 352. 

Windungen, 

cf. Gyr., Hirnrinde und 
einzelne Lobi. 

Wirbelcaries 430. 
Worttaubheit 21. 22. 470. 
cf. Lobus temporalis und 
Localisation. 

Zittern, 
cf. Tremor. 

Zuckerstich, Einfluss auf Tem¬ 
peratur 535. 

ZwangsTorstellungen 300,522. 
Zweifelsucht 

cf. Folie du doute. 
Zwillingsirresein 383. 397, 
cf Psychosen, indueirte. 


Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Dmck von Mrtzgbb & Wittig in Leipzig. 


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S'/ - 


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Goctale