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Full text of "Niobe und die Niobiden in ihrer literarischen, künstlerischen und mythologischen Bedeutung"

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AUS    DER 

"BIBLIOTHEK" 

'des  Archäologischen1 
Apparats 

□  ER 

WESTFÄLISCHEN 
KWILHEWS-UNIVERSITÄtJ 


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NIOBE  UND  DIE  NIOBIDEN. 


NIOBE 


UND 


DIE  NIOBIDEN 


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0 


IHRER  LITERARISCHEN,   KÜNSTLERISCHEN  UND 
MYTHOLOGISCHEN  BEDEUTUNG. 


VON 


D*  K.  B.iSTAEK, 


OltD.  »OPRMOR  AN   DU  UNIV.  HRIDRLBRRU,  ORD.  AUVW.  MITGLIED  DER  K.  S.  GBXKLLSOH.  D.  WISXINftCH. 

XU  LRIFIIO  UND  DBS  ARCHÄOLOG.  1NITITUTS  XU  ROM. 


—  nam  quis  tton  Niolen  ttvmtroso  funeri  mo0»tmm 
jam  ctcinit? 


MIT  ZWANZIG  TAFELN. 


LEIPZIG, 

VERLAG  VON  WILHELM  ENGELMANN. 


Das  Recht  der  Uebersetzung  in  die  englische  und  französische  Sprache  hat  sich 

der  Verfasser  und  der  Verleger  vorbehalten. 


EDUARD  GERHARD 


IN  LIEBE  INI)  VEREHRUNG 


ZUGEEIGNET. 


M901780 


Verehrter  Freund! 

Ahnen  diese  langsam  unter  mannigfachsten  Unterbrechungen  gereifte 
Frucht  von  Lieblingsstudien  zuzueignen,  sollte  mich  schon  Ihre  freundliche 
Hinweisung  auf  dieselbe  reizen,  die  sie  im  Jahre  IS 55  Ihrer  griechischen 
Mythologie  eingefügt  haben. 

Noch  mehr  aber  treibt  mich  dazu  die  fortwährende  Theilnahme,  die  Sie 
dieser  Arbeit  geschenkt  und  durch  freundliche  Hülfeleistung  verschiedenster 
Art,  besonders  durch  Bereicherung  der  monumentalen  Beigaben  bewährt 
haben.  Jede  neue  Begegnung,  hier  auf  schattigen  Berggängen  an  den  schö- 
nen Ufern  des  Neckar,  oder  dort  unter  den  reichen  Schätzen  des  Berliner  Mu- 
seums hat  unser  Gespräch  auf  Niobe  und  Niobiden  zurückgeführt  und  Sie 
haben  meinen  Gedanken,  Zweifeln  und  weitergehenden  Combinationen  über 
dieselben  stets  ein  williges  Ohr  geliehen. 

Aber  im  letzten  Grunde  ist  es  doch  noch  etwas  Anderes,  das  mich  dazu 
drängt,  Ihren  Namen  gerade  dieser  Arbeit  vorzusetzen.  Ich  bin  nicht  ihr 
persönlicher  Schüler  gewesen.  Die  wissenschaftliche,  specifisch  mythologische 
Anschauungsweise ,  in  welcher  sich  zuerst  Ihre  so  fruchtbare  und  hochaner- 
kannte Thätigkeit  bewegte,  war  eine  durchaus  andere,  als  diejenige,  welche 
mehr  als  zwei  Jahrzehnte  später  auf  mich  in  den  Jahren  meiner  ersten  wissen- 
schaftlichen Entwicklung  bestimmend  eingewirkt  hat.  Und  dennoch  haben 
wir  uns  nicht  blos  äusserlich  literarisch  oder  allgemein  menschlich  zusammen- 
gefunden. Wie  ich  Ihnen  die  vielfachste  Belehrung,  Erweiterung  der  Ge- 
sichtspunkte und  Kenntnisse  verdanke,  so  glaube  ich  in  dem  immer  festeren 
Ergreifen  des  Einheitspunktes  antiker  Kunst  und  Literatur  im  Mythus,  in 
der  allseitigen  Betrachtung  desselben  und  seiner  Zurückfuhrung  auf  das  reli- 


Vin  Vorwort. 

giöse  Bewusstsein  der  alten  Welt,  in  dem  vergleichenden  Ausschauen  auf 
verwandte  Culturkreise  Ihnen  und  Ihrer  wissenschaftlichen  Betrachtungweise 
immer  näher  gekommen  zu  sein.  Eine  gewisse  Verschiedenheit  der  Gedan- 
kenbewegungen —  ich  möchte  sie  als  historisch  genetische  der  mehr  syste- 
matischen gegenüberstellen  —  wird  ja  wohl  bleiben,  aber  ohne  irgend  das 
Gefühl  der  Dankbarkeit  und  Verwandtschaft  zu  schmälern,  das  ich  Ihnen 
gegenüber  so  lebhaft  in  mir  trage. 

Sie  werden  in  den  Untersuchungen,  die  durch  so  mannigfaltige,  scheinbar 
sich  fremde  Gebiete  ihre  Wurzeln  ausgebreitet  haben,  gern  die  durchgehende 
Hauptrichtung  anerkennen,  Sie  werden  bei  der  Reihe  von  Ruhepunkten,  von 
denen  sich  mir  auf  andere  wissenschaftliche  Fragen  Aussichten  eröffneten,  es 
sich  gefallen  lassen  mit  mir  zu  verweilen.  Sie  werden  nicht  allein  die  Ein- 
zelheit, die  einzelne  neue  Kunde  oder  einzelne  glückliche  oder  verfehlte  Com- 
bination  herausheben,  sondern  das  Ganze  als  zusammenhängende  Kette  von 
Betrachtungen  und  Untersuchungen  fassen  und  beurtheilen. 

Und  gerade  in  diesem  Sinne  wünsche  ich,  unter  dem  freundlichen  Schutze 
Ihres  Namens  für  eine  Arbeit,  die  ein  mit  Recht  so  hochberühmtes  Thema 
behandelt,  nach  deren  Durchfuhrung  und  Abrundung  ich  redlich  gestrebt 
habe,  ohne  freilich  in  jedem  einzelnen  Punkte  die  wünschenswerthe  Sicher- 
heit herstellen  zu  können ,  für  deren  würdige  Ausstattung  und  Veröffent- 
lichung der  hochachtbare  Verleger  eine  so  dankenswerthe  Sorge  getragen  hat, 
mir  Leser  im  weiten  Kreise  aller  derer,  die  für  das  Altcrthum  und  seine 
Kunst-  und  Ideenwelt  noch  Empfänglichkeit  und  Wärme  besitzen.  Möchte 
das  Buch  aber  auch  geeignet  erscheinen  in  jungen  Studirenden  ein  nicht  blos 
äusseres  und  oberflächliches  Interesse  für  antike  Kunst  und  Mythologie  zu 
befriedigen  sondern  sie  auf  einem  nicht  unwichtigen  Punkte  dieses  weiten 
Gebietes  in  die  Werkstätte  der  wissenschaftlichen  Arbeit  unmittelbar  einzu- 
führen und  die  Erkenn tniss  der  inneren  Zusammengehörigkeit  von  Philologie 
im  engeren  Sinne  und  Archäologie  an  seinem  Theile  zu  fördern ! 

Ostern  1863. 

K.  B.  Stark. 


Inhaltsverzeichniss. 


Einleitung  S.  1—25. 

§     i.     Stellung  der  Aufgabe  S.  1 — 7. 

Verhältniss  von  Mythus,  Poesie,  bildender  Kunst  unter  einander  im  Allgemeinen, 
speciell  bei  den  Griechen  S.  J — 2.  Geschichte  des  Mythus  in  der  Literatur  S.  2. 
Einfluss  der  letzteren  auf  die  bildende  Kunst  S.  3.  Lokalsagen  und  Cultusmythen 
S.  3.  Grosser  selbständiger  Werth  der  Künstdenkmale  für  Erkenntniss  des  My- 
thus S.  3 — J.  Grundbegriff  des  Mythus  S.  4.  Bedeutung  und  Gränzen  der  Ety- 
mologie in  der  Mythenerklärung  S.  5.  Die  vergleichende  Mythologie  und  ihre  Ge- 
fahren S.  6.  Nachwirken  des  antiken  Mythus  in  der  modernen  Geistescultur  S.  (> — 7. 
Der  Niobemythus  in  seinem  allseitigen  Interesse  S.  7. 

§    2.     Literarische,  künstlerische  und  gelehrte  Behandlung  des  Mythus  der 

Niobe  in  der  modernen  Welt.      Der  jetzige  Stand  der  Forschung 

S.  8—25. 
Dante  S.  8.  Des  Bocaccio  genealogiae  deorum  gentilium  und  deren  Quellen,  bes. 
Theodontius  S.  8 — 9.  Natalis  Comes  S.  9 — 10.  Mythologische  Handbücher  bis 
Banier  S.  10.  Niobe  und  die  Künstler  des  10.  und  17.  Jahrhunderts:  Polidoro  da 
Caravaggio,,  Giulio  Romano,  Guido  Reni  u.  a.  S.  10 — 12.  Abbildungen  der  Niobi- 
dengruppe  S.  12.  Beginn  der  ästhetischen  Würdigung:  Spence  S.  13.  Winkel- 
mann 8. 13 — 14,  Fabroni,  Raf.  Mengs  S.  14.  Heyne,  Ramdohr,  Levezow,  H.Meyer 
S.  15.  Niobe  in  Poesie  und  Malerei  des  1 8.  Jahrhunderts  S.  IG.  Astronomische 
Deutung  der  Niobesage  S.  16.  Neue  Methoden  angebahnt  durch  Entdeckungen  und 
durch  Kritik  und  Geschichte  der  antiken  Poesie  S.  17.  Cockerell,  Schlegel,  Welcker 
u.a.  und  dieNiobiden  als  Giebelgruppe  S.  1 7 — IS.  Entgegnung  von  Martin  Wag* 
ner  S.  IS.  19.  Feuerbach,  Otfr.  Müller  S.  19.  Welckers  Abhandlung  S.  20.  Be- 
handlung der  Niobedramen  durch  G.  Hermann,  Droysen,  Fritzsche  S.  20.  21.  Mo- 
nographie von  Burmeister  S.  21.  Die  neuesten  Mythologen  über  Niobe  S.  21.  22. 
Neuste  Aestetiker  und  Reisende  S.  22.  23.  Niobe  in  der  neuesten  Kunst  S.  22. 
Archäologische  Urtheile :  Gerhard,  Brunn  u.a.  S.  23.  21.  Zweifel  an  der  Giebelauf- 
stellung bei  Friederichs  S.  24.  Michaelis  S.  25. 

Erstes  Kapitel  S.  26-97. 

Der  Niobemythus  nach  seiner  Entwickelung  in  der  antiken 

Literatur. 

§    3.     Das  griechische  Epos  S.  26—31. 

Niobe  im  24.  B.  der  Ilias  S.  26— 30  :  älterer  Bestandteil  S.  27  ;  jüngerer  S.  27.  28. 
Götterbestattung  S.  28.  29.    Hesiodos  S.  30.    Jüngere  Epiker  S.  30.  3 1 . 

§    4.     Die  Lyriker  S.  31— 33. 

Alkman,  Mimnermo«,  Bakchylides,  Lasos  S.  31.  Sappho  S.  31. 32.  Findaros  S.32. 
Telesilla  S.  32. 

§     5.     Die  Logographeii  S.  33.  34. 

Pherekydes  y.  Leros  S.  33.  34.     Hellanikos  S.  34. 


X  Inhaltsverzeichniss. 

§    6.     Die  Tragiker  S.  34  -51. 

Allgemeine  Stellung  des  Stoffes  zur  Tragödie  S.  34.  Tantalosdramen  S.  35.  Niobe 
des  Aeschylos  S.  35—42 :  Frage  der  Trllogie  S.  30,  Fragmente  S.  36—40,  auftre- 
tende Personen  und  Chor  S.  40 — 12.  Niobe  bei  Sophokles  S.  42 — 19:  Stellen  in 
Elektra  und  Antigone  S.  42 — 44 ,  Tragödie  Niobe  des  Sophokles  S.  44 — 49.  Hat 
Euripides  eine  Niobe  gedichtet?  S.  49.  Euripideische  Stellen  über  Tantalos  und 
Niobe  S.  49 — 51.    Spätlingzeit  der  griechischen  Tragödie:  Meliton  und  Bassus  S.  51. 

§    7.     Dithyrambiker.     Spätere  Mimik  und  Orchestik  S.  52—55. 

Niobe  des  Timotheos  S.  52.  Glanzpartien  für  Schauspieler  S.  52.  Niobe  Liebling- 
stoff des  pantomimischen  Tanzes:  Nero,  Ans  ton,  Memphis  S.  53.  Parodie  der 
Niobe :  Aristophanes  S.  54 — 55.    Die  Komiker  Timokles  und  Philemon  S.  55.  56. 

§    8.     Die  alexandrinische  Poesie.    Die  Epigrammatiker.    Das  spätere  Epos. 

Die  rhetorische  Uebung  S.  56 — 68. 
Euphorion  S.  56.  Simmias  von  Rhodos  S.  56.  57.  Nikander?  S.  57.  Kallimachos 
Moschos  S.  57.  58.  Anakreonteen  S.  5S.  Epigrammatische  Dichtung  S.  5S — 63 : 
Antipater  von  Sidon  S.  59 — 60,  Meleagros  von  Gadara  S.  60,  Antipater  von  Thessa- 
lonike  S.  60—  61,  Theodoridas,  Leonidas  von  Alexandria  S.  61 — 62,  Straton  aus 
Sardes  S.  62,  Makedonios  S.  62,  Julianos  mit  dem  Uebersetzer  Ausonius  S.  62.  63. 
Das  jüngste  Epos:  Quin  tos  Smyrnaeos  S.  63 — 64.  Nonnos:  Hamadryade  und 
Niobe  S.  64 — 65,  Opora  und  Niobe  S.  65,  Aura  und  Niobe  S.  65 — 66,  Nikaea  und 
Niobe  S.  66.  Niobe  in  den  rhetorischen  Uebungsstücken  S.  66 — 67.  Aphthonios, 
Libanios  S.  67.  Chorikios  S.  68.  Achilles  Tatios  S.  6S.  Clemens  von  Alexandria 
und  Hieronymus  S.  68.     Sprichwörtliches  S.  68. 

§    9.     Ovid  und  die  übrige  lateinische  Dichtung  S.  69 — 82. 

Popularität  des  Stoffes  in  der  lateinischen  Poesie :  Nemesianus  und  Sidonius  Apol- 
lin ans  S.  69.  Ovid  und  die  Niobesage  S.  69 — 75.  Darlegung  der  Hauptstelle  Ovid 
Metam.  1.  VI.  Einordnung  Niobes  zwischen  anderen  Mythen  S.  70,  Geschlecht  und 
Stellung  Niobes,  Niobe  und  Manto  in  Theben  S.  71.  72.  Götterscene  auf  Delos 
S.  72,  Tod  der  Söhne  S.  73,  des  Amphion  S.  73,  der  Töchter  S.  74,  Umwandlung 
Niobes  und  Versetzung  an  den  Sipylos  S.  75,  Trauer  um  die  Todten  S.  75.  Bedeu- 
tung der  ovidischen  Schilderung  S.  75.  Andere  ovidische  Stellen  S.  76.  Horaz, 
Virgil,  Properz  S.  76.  Seneca  S.  77.  78.  Statius  S.  78—80.  Juvenal  S.  80.  81. 
Ausonius  S.  81.    Pentadius  S.  81.    Sidonius  Apollinaris  S.82. 

§10.     Die  Historiker,  Antiquare  und  Mythographen  S.  82—89. 

Poetische  Natur  des  Niobemythus  S.  82.  Prosaische  Behandlung  S.  82.  83.  Hero- 
doros  Pontikos  S.  83.  Apollodor  S.  83.  84.  Diodor  und  Strabo  S.  84.  85.  Niko- 
laos  von  Damaskus  S.  85.  Botryas  von  Myndos  S.  85.  Pausanias  S.  85.  86.  The- 
banische  Fassung  der  Niobesage :  Timagoras  S.  86.  Niobe  und  die  Ityssage  S.  87. 
Hyginus  S.  87.  88.  Lactantius  Placidus  zu  Ovid  und  Statius  S.  88.  Tsetzes  und 
Eustathios  S.  89. 

§11.     Die  philosophische  Kritik  und  Auslegung  des  Mythus  im  Alterthume 

S.  89—93. 
Frühe  Reflexion  und  Kritik  bei  Behandlung  des  Mythus  S.  89.  90.     Artemidoros 
S.  90.     Philemon  der  Komiker  S.  90.    Erklärungen  der  Versteinerung  S.  91.    Plato 
und  Plutarch  gegen  den  Mythus  der  Niobe  S.  92.     Aristoteles  und  die  sittliche  Stel- 
lung Niobes  S.  93. 


Inhaltsverzeichnis  8.  XI 

§12.     Tabellarische  Uebersicht  über  die  Niobesage  nach  den  verschiedenen 
Berichten  S.  93—97. 
Abstammung  der  Niobe:   Voreltern,  Eltern,    Geschwister  S.  94.     Heimath  S.  95. 
Auszug,  Hochzeit,  Mann  und  Kinder  S.  95.  96.     Niobe  und  Aedon  S.  96.     Niobe 
und  Leto  8.  97.     Todtenbestattung,  Niobes  Endschicksal  8.  97. 

Zweites  Kapitel  S.  98—336. 
Der  Mobemythus  in  der  bildenden  Kunst. 

§  13.     Das  Niobebild  am  Sipylos  S.  98-109. 

Lokale  Fixirung  der  Niobe  in  einem  Felsenbilde  am  Sipylos  neben  der  allgemeinen 
idealen  Vorstellung  S.  9S.  Ist  diese  Niobe  Naturspiel  oder  menschliches  Werk? 
S.  99.  Naturbeschaffenheit  der  weiteren  Umgegend  von  Smyrna,  speciell  des  Sipy- 
los S.  90.  Magnesia  am  Sipylos  und  Weg  an  der  Nordseite  des  Gebirges  nach  den 
neuesten  Reisebeschreibern  S.  100 — 102.  Das  Niobebild  selbst  S.  102. 103.  Felsen- 
reliefs nicht  häufig  in  Griechenland  S.  103;  ihre  Bedeutung  in  Kappadokien,  Phry- 
gien,  Lykien  S.  104.  105.  Felsrelief  bei  Nymphi  S.  105.  Stilistische  Vergleichnng 
des  Niobebildes  mit  dem  Relief  von  Nymphi  u.  a.  S.  100.  107.  Verhältniss  zu  den 
Kybeledarstellungen  S.  107.  10S.  Aeltestes  phrygisches  Bild  der  Kybele  ein  schwar- 
zer Stein  S.  10S.  109  ;  erste  plastische  Darstellung  derselben  am  Sipylos  durch  Bro- 
teas  S.  109.     Bedeutung  der  anderen  Denkmäler  an  der  Nordseite  des  Sipylos  S.  109. 

S  14.     Plastische  Werke  der  attischen  Schule  in  Hellas  S.  109—1 18. 

Bedeutung  Attikas  für  die  ganze  künstlerische  wie  poetische  Durchbildung  des 
Niobemythus  S.  109.  110.  Relief  am  Thronsitze  des  Zeus  zu  Olympia  S.  110.  111. 
Kunstwerke  bei  und  auf  der  Südmauer  der  Akropolis  zu  Athen  S.  111.  1 12.  Höhle 
über  dem  Dionysostheater  das.  mit  Niobidendarstellung  S.  1 12.  War  diese  im  Drei- 
fuss  oder  in  der  Grotte?  S.  112.  113.  Statuen  oder  Relief?  Marmor  oder  Erz? 
S.  113.  Entstehungszeit  und  Stifter  dieser  Darstellung  S.  114-116.  Dreifuss  des 
Aischraios  S.  115.  Zeit  desselben  S.  115.  116.  Denkmal  des  Thrasyllos  S.  116. 
Bedeutung  dieser  Darstellung  im  lokalen  Zusammenhang  S.  117.  HS.  Kunststil 
des  Werkes  S.  118. 

§  1 5.     Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmythus  auf  dem  Boden  von 

Rom  S.  118—144. 
Zwei  Hauptwerke  von  Niobedarstellungen  in  Rom  S.  113.  Stelle  des  Plinius  über 
die  Niobidengruppe  im  Tempel  des  Apollo  Sosianus  zu  Rom  S.  119.  Art  und  Ver- 
anlassung der  Aufzählung  S.  119.  120.  Apollo  Sosianus  S.  121.  C.  Sosius  S.  121 
—123.  Der  Triumph  desselben  und  Weihestiftung  dafür  S.  122.  123.  Wo  war  der 
Tempel  des  Apollo  Sosianus?  S.  123.  A  polloh  eilig  thümer  und  Statuen  in  Rom 
S.  124. 125.  DasApoUoheiligthum  auf  den  prata  Flaminia  und  die  Triumphe  S.  125* 
Ludi  Apollinares  und  Theaterbauten  S.  125.  126.  Triumphale  Prachtbauten  ad 
aedem  Apollinis  S.  126.  127.  Gleichzeitige  Prachtbauten  des  Sosius  und  Domitius 
Ahenobarbus  S.  127.  Was  bedeutet  in  templo  Apollinis  bei  Plinius?  S.  128 — 130. 
Können  die  Worte  auf  das  Giebelfeld  des  Tempels  bezogen  werden?  S.  130 — 132. 
Woher  kam  die  Gruppe  nach  Rom?  S.  133—138.  Bedenken  bei  Seleucia  in  Syrien 
S.  133.  134.  Seleucia  am  Kalykadnos  in  Cilicien  und  die  ältere  Stadt  Holmoi  S.  134. 
Sarpedon  und  das  Sarpedonion  daselbst  S.  134.  135.  Apollodienst  und  Sarpedon 
S.  134.  135.  Seleucia  unter  den  Römern  S.  135.  Die  h.  Thekla  und  das  Sarpedo- 
nion S.  136.  Die  Niobiden,  Apollo  Sarpedonios  und  Sarpedons  Grab  S.  136.  137. 
Niobe  als  Göttin  bei  den  Kilikern  S.  137.  Ciliciens,  speciell  Seleucias  Stellung  zu 
Antonius  und  dessen  Feldherrn  S.  137.  13S. 


XIT  Inhaltsverzeichnis«.    • 

Die  Niobiden  an  den  Elfenbeinthüren  des  Tempels  des  Apollo  Palatinus  8.  13S. 
Gestalt  der  Reliefflächen.  Thürreliefs  überhaupt  S.  13S.  139.  Untergang  der  Gal- 
lier bei  Delphi  S.  139.  Griechische  religiöse  Auffasssung  desselben  S.  139.  Ur- 
sprung der  Werke  im  Tempel  des  Apollo  Pal.  wesentlich  in  Kleinasien  S.  141.  142. 
Apollo  Palatinus  und  die  troische  Sage  S.  142.  Das  äolische  Kyme,  Apollotempel 
und  die  Gallier  S.  143.  Die  pergamenische  Kunst  und  die  Gallierschlachten  S.  143. 
144.  Die  Elfenbeinthüren  wahrscheinlich  aus  Kyme  stammend  S.  144.  Ihr  Unter- 
gang S.  144. 

§10.  Rückblick.  Sonstige  Zeugnisse  über  Kunstdarstellungen  der  Niobe 
S.  145—148. 
Vier  historisch  bezeugte  selbständige  Niobidencompositionen  griechischer  Kunst 
S.  145.  Einfluss  der  plastischen  Werke  auf  die  römischen  Dichter  S.  145.  Bezug 
des  Epigramms  des  Meleager  wahrscheinlich  auf  ein  Niobidenrelief  S.  146.  Ob  An- 
tipater  von  Sidon  dasselbe  Werk  vor  sich  sah  ?  S.  146.  147.  Epigramme  und  die  be- 
rühmte Niobestatue  S.  147.  Niobidenuntergang  als  Schilddarstellung  S.  147.  ;Niobe- 
gemälde  späterer  Zeit  S.  US. 

§17.  Die  erhaltenen  Monumente.  Allgemeines.  Vasenbilder  und  Wand- 
gemälde S.  148—165. 
Denkmälergattungen  in  ihrem  Verhältniss  zur  Niobesage  S.  148.  149.  Schmuck  der 
Gräberwelt  und  die  Niobiden  S.  149.  Weg  der  Untersuchung  zu  den  Statuen  hin 
S.  149.  Vasengemälde  S.  150 — 157:  Schale  schönen  Stiles  aus  Vulci,  früher  im 
Cabinet  Durand  S.  150.  151.  Zweite  Schale  aus  Nola  mit  nicht  sicherer  Niobiden- 
darstellung  S.  151.  Resultate  der  Betrachtung  S.  152.  Krater  aus  Ruvo,  in  der 
Sammlung  Jatta  mit  grossem  Niobidenbild  S.  152 — 157:  Bedeutung  der  dargestell- 
ten Gottheiten  für  die  Niobiden  S.  153,  Beschreibung  S.  151-156,  Resultate  S.  156. 
157.  Zeichnung  aus  Herculanum  mit  Niobe  unter  Heroinen  S.  157.  1 5*S.  Bedeut- 
samkeit dieser  Zusammenstellung  S.  159.  Niope  auf  der  Midiasvase  S.  160.  Pom- 
pejanisches  Wandgemälde  mit  Dreifüssen  und  Niobidenuntergang  daran  S.  160 — 163. 
Ausschmückung  des  Hauses  del  Questore  S.  160.  Gruppirung  und  Motivirung  der 
vierzehn  Niobiden  S.  161.  Schmuck  der  Dreifüsse  S.  162.  Grabwandgemälde  der 
Villa  Pamfili  S.  163.  Innere  Beziehung  der  Niobiden-  und  Prometheusdarstellung 
S.  164.  165. 

§18.     Die  Niobidenreliefs  S.  165—202. 

Relief  Campana  S.  165 — 175:  Schicksale  und  bisherige  Besprechung  S.  165 — 167. 
Tek tonische  Gestalt  S.  167.  Stil  des  Reliefs  S.  167.  168.  Beschreibung  der  Dar- 
stellung S.  16S — 173.  Niobidenscene  auf  geschnittenem  Stein  S.  168.  Die  Götter 
auf  den  Reliefs  S.  173.  Relief  der  Villa  Albani  S.  173.  174.  Fragmente  in  Villa 
Ludovisi  und  Pal.  Colonna  S.  174.  175.  Zeitliche  Stellung  der  Composition  S.  175. 
176.  Uebergangsstufen  zu  den  Sarkophagreliefs  S.  176.  177.  Relief  in  Bologna 
S.  176.  177. 

Römische  Sarkophagreliefs  S.  177 — 198.  Zwei  Hauptcompositionen  S.  1 78.  Erste 
Gattung  :  Relief  Casali  und  Relief  in  München  in  vergleichender  Einzelbeschreibung 
S.  179—187.  Gruppe  der  zwei  Brüder  und  die  des  Orest  und  Pylades  S.  182.  Relief 
Rondanini  S.  1S3.  Oberes  Friesrelief  mit  den  Leichen  der  Niobiden  S.  1S5 — 1*7. 
Giebelartige  Seitenreliefs  der  Sarkophage  S.  186.  187.  Zweite  Composition  vertre- 
ten im  Sarkophag  Borghese,  dem  des  Lateran,  dem  in  Wiltonhouse  S.  187 — 198.  Die 
Relieffragmente  mit  der  Gruppe  des  Amphion  und  eines  Sohnes  S.  192.  193.  Die 
Rosse  der  Niobiden  S.  193.  Die  strafenden  Gottheiten  S.  191.  195.  Seitenflächen 
S.  195 — 197.     Vergleich  beider  Hauptcompositionen  S.  197.  19s.     Zwei  nicht  naher 


Inhaltsverzeichniss.  XIII 

bekarfhte  Sarkophagreliefs  in  llockeby  S.  19b.  Nachricht  des  Pirro  Ligorio  S.  19*. 
Niobiden  auf  einem  etruskischen  Sarkophag  S.  19* — 201.  Nebenseiten  desselben 
S.  201.  Vergleichende  Charakteristik  S.  202. 
§  19.  Uebergangsformen  zur  statuarischen  Bildung.  Terracottcn  u.  Werke  in 
Stucco.  Einzeldarstellungen  aufgeschnittenen  Steinen  6.202 — 214. 
Hölzerne  Sarkophage  mit  Stuckreliefs  aus  Kertsch  S.  203.  Drei  Figuren  daher: 
Niobe  mit  Tochter,  Sohn  und  Pädagog  S.  203 — 205.  Terracottafiguren  aus  einem 
Grab  bei  Fasano,  dem  alten  Gnathia  S.  205 — 210.  Stoff  und  tektonische  Form 
S.  2015.  Beschreibung  S.  200 — 209.  Figurenfund  dabei,  auf  Koraraub  bezüglich 
S.  209.  210.  Angebliche  Niobe  aus  einem  attischen  Grabe  S.  210.  211.  Geschnit- 
tene Steine  S.  211 — 214.  Stein  der  Sammlung  Demidoff  mit  schützender  weiblicher 
Gestalt  und  Sohn  S.  21J.  212.  Angebliche  Niobiden  auf  einer  Berliner  Paste  S.  212. 
213.  Fliehende  Niobide  auf  einem  Gcfassfragment  vonChalcedon  in  Wien  S.  213.214. 

§  20.     Die  statuarischen  Bildungen.    Ihre  Fundorte  und  Zusammenstellung 

S.  214—224. 
Schwierigkeit  und  Unzulänglichkeit  der  Hülfs  mittel  in  Behandlung  der  Niobegruppe 
S.  214.  215.  Gestecktes  Ziel  S.  215.  210.  Auffindungszeit,  Fundort  und  Fund- 
berichte S.  210 — 219.  Der  Bildhauer  und  Restaurator  Valerio  Cioli  und  sein  Brief 
über  den  Fund  S.  210  -218.  Fundort  auf  dem  Ksquilin  und  die  dortigen  antiken 
Anlagen  und  Funde  S.  219—220.  Preis  S.  221.  Erster  Kupferstich  S.  221.  Auf- 
stellung in  Villa  Medici  in  Rom,  dann  in  Florenz  S.  222.  Fundorte  der  Wiederho- 
lungen und  sonstiger  Niobidenstatuen  S.  223.  Das  Material  und  die  Stilverschie- 
denheiten S.  223.  224. 

§21.  Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke  S.  224 — 312 
Allgemeines  S.  224.  Niobe  mit  der  jüngsten  Tochter  in  Florenz  S.  225 — 235.  Ge- 
sammtmotivirung  S.  225.  Arme,  Haarfülle  S.  226.  Gesichtsidcal  S.  220—228. 
Massige  Ausführung  des  Florentiner  Exemplars  S.  229.  Andere  angebliche  Niobe- 
statucn  S.  229.  230.  Niobeköpfe  S.  231  -  23 1.  Wiederholung  der  jüngsten  Tochter 
in  Berlin  S.  234  -  236.  Der  Pädagog  und  der  jüngste  Sohn  in  Florenz  S.  236—241. 
Wiederholungen.  Die  erhaltene  Gruppe  von  Soissons  S.  230.  237.  Charakteristik 
des  Pädagogen  S.  23S.  239,  des  jüngsten  Sohnes  S.  239.  240.  Bedeutung  des  Päda- 
gogen gegenüber  Niobe  und  einem  vorausgesetzten  Amphion  S.  240. 211.  Fliehende, 
eilig  ausschreitende  Xiobesöhne  S.  241 — 24 S.  Aeltester  fliehender  Sohn  S.  243. 244. 
Idealbildung  des  Kopfes  der  Niobesöhne  S.  244.  Der  Fagansche  Kopf  S.  244.  245. 
Zweiter  fliehender  Sohn  S.  245.  246,  dritter  S.  246.  247.  Notwendigkeit  einer  er- 
gänzenden Gestalt  zu  dem  letzten.  Das  Pferd?  S.  247.  Ob  die  sog.  Psyche?  S.  24S. 
Frage  nach  Verbindung  oder  Trennung  der  drei  Brüder  S.  248.  Gebeugte  und  in 
die  Knie  gesunkene  Niobesöhne  S.  249-261.  Der  Diskobolos  unter  den  Niobiden 
in  Florenz  und  in  Wien  S.  249.  Der  florentiner  in  das  eine  Knie  gesunkene  Niobide 
S.  250 — 254.  Wiederholung  in  Florenz  und  Kom  S.  250.  Motive  des  in  die  Knie 
Sinkens  S.  250 — 253.  Niobidenstatuc  des  Herzogs  von  Alba  in  Madrid  S.  253.  Der 
sogenannte  Narciss  von  Florenz  S.  254 — 255.  Wiederholung  in  der  Sammlung  Este 
zu  Catajo  S.  254.  Der  sogenannte  Ilioneus  von  München  S.  255—258.  Schicksale 
und  bisherige  Deutung  der  Statue  S.  256.  Gründe  gegen  Bezeichnung  als  Niobiden 
S.  257.  Deutung  auf  Sohn  des  Herakles  S.  25S.  Kingergruppe  von  Florenz  S.  259. 
260.  Männliche  Niobidenköpfe  S.  260.  261.  Der  todte,  ausgestreckt  liegende  Nio- 
bide S.  261—263.  Zwei  fliehende  Töchter  in  ihrer  Zugehörigkeit  unbestritten  S.  264 
—270.  Weibliche  Niobidenköpfe  S.  26S — 271.  Stehende  oder  in  leichter  Bewe- 
gung begriffene  weibliche  Statuen,  als  Niobiden  bestritten  oder  erst  neuerdings  her- 


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Inhaltsverzeichnis  s.  XV 

des  Phoroneus :  Inachos,  Melia,  Okeanos,  Tethys  S.  339.  Geschwister :  Aigialos, 
Phegeus  S.  339.  Die  Mutter  Niobes :  Laodike  oder  Telodike  S.  339.  340,  Peitho 
S.  340.  341,  Kerdo  S.  341.  Geschwister  der  Niobe:  Apis  S.  341.  342,  Europa, 
Aigialeua,  Sparton,  Europs  S.  342.  343.  Das  Geschlecht  des  Phoroneus  in  Megara 
und  Hermione  S.  343.  Niobe  als  Geliebte  des  Zeus  S.  343.  344.  Niobe  als  Gross- 
mutter der  Bergnymphen,  Satyrn,  Kureten  S.  344.345.  Niobekinder:  Argos  S.  345, 
Pelasgos  S.  345,  Apis  S.  346,  Homolois  S.  346.  Zerstreuung  der  Niobekinder  8. 346. 
Niobe  als  argivische  berühmte  Quelle  neben  Amymone  und  Psamathe  S.  347 — 349. 
Die  argivische  Niobe  in  der  Natur  und  im  Menschenleben  S.  349.  Das  Letoon  in 
Argos  und  Chloris  oder  Meliboia  so  wie  Amyklas  S.  349.  350.  Tantalos  in  Argos, 
der  alte  und  ein  jüngerer  S.  350 — 352.  Niobe,  Pelops  und  Achäer  in  Thalamoi 
S.  352.  Niobe  und  Niobiden  mit  Pelops  in  Olympia  S.  353.  354.  Peloponnesische 
Niobidennamen  S.  354. 

§  24.     Niobe  in  der  böotischen  Ursage.  Chloris  und  die  Minyer  S.  354 — 36t. 

Alalkomeneus  und  Ogygos  S.  354 — 356.    Alalkomeneus  Gemahl  der  Niobe  S.  356. 
Chloris  in  Orchomenos,  Amphion,  der  Jaside  und  Persephone  S.  356 — 358.     Chloris 
und  Neleus  in  Pylos,  Schicksal  ihrer  Kinder  S.  359. 369.     Chloris  als  Niobide  S.360 
Chloris  in  Thessalien  S.  360.     Naturbedeutung  S.  360.  361 . 

S  25.     Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion  S.  361—395. 

Amphion-  und  Zethossage  neben  der  des  Ogygos-  und  Kadmosgeschlechtes  S.  361. 
Das  Geschlecht  Amphions :  Zeus,  Asopos,  Nykteus,  Antiope,  Chthonios,  Polyxo 
S.  362.  363.  Der  Kithäron  älteste  Statte  der  Antiope-  und  Amphionsage  und  seine 
allgemeine  mythologische  Bedeutung  S.  364.  365.  Dirke  S.  365.  Mythologische 
Bedeutung  von  Amphion  und  Zethos  parallel  anderen  Götterjünglingspaaren  S.  366 
— 36S.  Historischer  Bestandteil  S.  368.  Amphions  Gattin  auch  Hippomedusa  S.  369. 
Niobe  in  Theben  und  der  korinthische  Tantalos  S.  369.  Niobe  und  Aedon  als  Schwä- 
gerinnen S.  370.  37  J .  Pandareos  der  Mileaier  in  enger  Beziehung  zu  Tantalos  S.  371 . 
Pandion,  Tereus,  Aedon  mit  Antiope,  Amphion,  Niobe  in  Beziehung  S.  371  372.  Am- 
phion als  Musiker  nicht  apollinisch,  sondern  in  engster  Beziehung  zu  Hermes  und  zu 
den  älteren  Naturmächten  S.  373 — 375.  Threnos  und  Siegespäan  des  Amphion  8. 375. 
Hochzeitlied  Niobes  und  die  Todtenklage  als  erste  Beispiele  lydischer  und  phrygischer 
Musik  in  Hellas  S.  375. 376.  Musikalisches  Band  zwischen  Amphion  und  Niobe  S.  376. 
Amphion  Mauerbauer  S..376.  Mauerbau  und  Musik  S.  377.  Die  Mauer  Thebens, 
der  Hügel  Ampheion,  Grabhügel  des  Amphion  !und  Zethos  und  Niobidendenkmäler 
S.  377— 380.  Pyra  der  Amphionskinder  S.  380.  3S1.  Die  sieben  Thore  Thebens 
und  Namen  von  Niobiden  S.  381  —  384.  Bedeutung  des  Ismenos  S.  383.  384.  Zwei 
sonstige  thebanische  Namen  unter  den  Niobiden  S.  384.  Bedeutung  der  Einführung 
des  Apollodienstes  in  Theben  für  die  Niobesage  S.  3S5.  Alter  Letokult  auf  dem  Ki- 
thäron S.  386.  Wahnsinn,  Tempelsturm  und  Untergang  Amphions  S.  386.  387. 
Verwandtschaft  mit  Kaanthos  und  Phlegyas  387.  Ist  die  Beziehung  zum  Bakchos- 
kult  eine  die  Niobe-  und  Amphionsage  beherrschende  ?  S.  387 — 389.  Die  Reform 
des  älteren  thebanischen  Keligionskreises  durch  Apollo-  und  Bakchosdienst  S.  389« 
Niobes  Steinverwandlung  auch  auf  thebanischem  Boden  erfolgt  S.  390.  Steinver- 
wandlungen in  Böotien  S.  390.  39!.  Quellensagen  ebendaselbst  S.  391.  392.  Ge- 
aammtentwickelung  der  Niobesage  auf  thebanischem  Boden  S.  392.  393.  Theben 
als  Götterstadt  S.  393. 391.  Die  Siebenzahl  in  Theben  und  im  Weltall  S.  394.  Athen 
und  die  Niobesage  S.  391.  Spuren  in  der  achäischen  Phthiotis  und  Magnesia  S.  394. 
395. 


XVI  Inhaltsverzeichnis*. 

§  26.  Klein  asiatische  Stätten  der  Niobesage  überhaupt.  Die  Kiliker  und 
Theben  am  Idagebirge  S.  395-403. 
Der  Niobemythu8  wie  in  Hellas  selbst  so  auch  in  Kleinasien  nicht  nur  an  Eine  Loka- 
lität geknüpft  S.  395.  Aeschylos  geographische  Anschauung  vom  Sitz  und  Reiche 
des  Tantalos  S.  396. 397.  Tantalos  und  der  Zeuscult  auf  dem  Ida  S.  397.  Der  Name 
Ilioneus  S.  39S.  Ethnographische  Verhältnisse  in  Troas  und  weiter  an  kleinasiati- 
scher Küste :  Bedeutung  der  lykisch-kretischen  zuwandernden  Volks-  und  Cultur- 
elemente  S.  39S.  399.  Die  troische  Lykia  S.  398.  399.  Kiliker,  Leleger,  Pelasger 
S.  399.  400.  Das  kilikische  Theben  8.  400.  40J.  Spuren  der  Pelopssage  daselbst 
S.  401.  Alte  Beziehungen  dieser  troischen  Kiliker  zu  den  Küstenorten  Kilikiens 
S.  402.  Phrygischer  Einfluss  S.  402.  403.  Niobe,  Pelops,  Tantalos  nach  Phrygien 
und  Paphlagonien  versetzt  S.  403. 

§27.  Niobe  am  Sipylos  und  im  Zusammenhang  mit  der  Sage  des  Tantalos 
und  Pelops  S."  403-  446. 
Das  Flussgebiet  des  Uermos  S.  403.  404.  Vulkanische  Natur  der  Gegend  S.  404. 
Erdbeben  und  Städte  Untergang  daselbst  S.  404 — 106.  Völkerverhältnisse  am  Sipy- 
los :  Pelasger,  Mäoner,  Phrygier,  Lyder,  Magneten  S.  406— 40S.  Die  Magneten  und 
Aeoler  S.  40S.  409.  Die  homerischen  Sänger  in  der  Sipylosgegend  S.  409.  Phrygi- 
scher religiöser  Einfluss  S.  409.  110.  Spätere  Colonisation  aus  Persien  und  Make- 
donien S.410.  Keligiöser  Kreis  des  Sipylos  S.  411— 420:  Zeus  S.  411.  412,  Ache- 
loos,  Nymphen,  Flussgötter  S.  412.  413,  Göttermutter  S.  413 — 415,  Aphrodite  S. 
415.  416,  Hermos  S.  416,  Apollo  zu  Larissa,  Pandae,  Magnesia  S.  417.418,  Artemis 
am  Sipylos  in  Lydien  S.  418.  4l0,  Athene  in  Mäonien  S.  419,  Leto  S.  419.  420. 
Niobes  Geschlecht  und  Wechsel  der  Glieder  darin  S.  -121.  Tantalos  Eltern  Zeus  und 
Pluto,  oder  Tmolos  S.  421.  122.  Mutter  Niobes  Dione  und  andere  Namen  S.  422. 
Dione  in  ihren  verschiedenen  Stellungen  S.  422.  423.  Atlastöchter  Pleiaden  und 
Hyaden  S.  423.  424.  Dione  und  Thyene  S.  424.  425.  Sterope  als  Mutter  Niobes 
S.  425.  Euryanassa  und  ähnliche  Namen  S.  426.  Klytia  S.  426.  Die  Tantalossage 
S.  426—435.  Tantalos  im  Himmel,  auf  Erden,  unter  der  Erde  S.  427.  Tantalos 
und  Atlas  S.  427.  Berggipfel  und  die  daraufgelagerte  Gewitterwolke  S.  428.  Tan- 
talos Beziehung  zu  Götterspeise  und  Trank  S.  429. 430.  Tantalosstatue  als  olvo^oog 
S.  430.  Beziehung  zu  Ganymed  S.  430.  431.  Tantalos  und  die  Zerstückelung  des 
Pelops  unter  dionysischem  Einfluss  S.  431.  Der  Göttergarten  und  sein  Wächter  der 
goldene  Hund  S.  432.  Der  goldene  Widder  des  Tantalos  S.  432 — 133.  Naturbe- 
deutung der  Verbindung  von  Tantalos  und  Dione  S.  433.  Tantalos  Urbild  des  Men- 
schen 8.  433.  434.  Frevel  desselben  S.  434.  435.  Geschwister  Niobes,  Pelops  und 
Broteas  S.  435—438.  Pelops,  Chloris  und  das  achäische  Olenos  S.  435. 436.  Pelops 
Stellung  in  den  Religionskreisen  S.  436. 437.  Vergleich  von  Pelops  und  Niobe  S.  437. 
Broteas  in  Lydien  und  Lakonika  S.  437. 438.  Lydische  Niobesage  4on  Assaon  und 
Philottos  S.  438.  439.  Niobe  am  Sipylos  verschieden  vonKybele,  in  dem  Bereiche  des 
Gaeabegriffes  S.  440 — 442.  Symbol  der  thränende  Fels  S.  442 — 444.  Felsverehrung 
und  Einfluss  der  Kydele  S.  443.  444.  Fasten  und  Versetztwerden  vom  Sturmwind 
S.  444.  Der  Kindertod  S.  445.  Niobe  weibliches  Urbild  des  Menschen  S.  445.  446. 
Trost  in  Thronen  S.  445.    Trost  im  neuen  Leben  der  Kinder  S.  446. 

§  28.  Name  der  Niobe  und  seine  Ableitung  S.  446  —  448. 

Die  Form  Nioßtj,  Nitoßri,  Ntln*i  S.  446.  Entsprechende  Formen  S.  446.  447.  Bis- 
herige Ableitungen  S.  447.  Nioßrj  von  Wo?  abgeleitet  S.  44V.  Stamm  vinrtn;  das 
albanesische  rjofi  und  Nioßt]  S.  448. 


EINLEITUNG. 


Stellung  der  Aufgabe.    Methode  der  Bearbeitung. 

Mythus,  Poesie  und  bildende  Kunst  bilden,  wenn  bei  irgend  einem 
Volke,  bei  dem  hellenischen  eine  in  sieh  mit  Notwendigkeit  verbundene 
Gruppe  unter  den  Faktoren  des  höheren  Culturlebens,  ja  sie  haben,  dasselbe 
überhaupt  lange  Zeit  in  sieh  dargestellt,  ehe  die  nüchterne  Auffassung  des 
Geschichtlichen,  wie  des  Naturobjektes ,  ehe  die  methodische  Bearbeitung 
der  Begriffe  zu  einer  selbständigen  Geltung  gelangt  sind.  Aber  erst  das  letzte 
Jahrhundert  hat  die  innere  Zusammengehörigkeit  jener  drei  Goistesthätig- 
keiten  des  Volkes  und  dabei  die  innere  Natur  jeder  einzelnen  zum  wissen- 
schaftlichen Bewusstsein  und  zwar  nur  sehr  allmälig  gebracht.  Der  Mythus 
erschien  wesentlich  nur  als  Poesie,  als  Produkt  der  Dichter;  man  begnügte 
sich,  seine  Variationen  aus  dem  Munde  der  Dichter  und  Fabelsammler  in 
bunter  Reihe  zusammenzustellen  ohne  Rücksicht  auf  Zeit  und  Culturstellung 
derselben,  und  ihn  mit  Zugrundelegung  eines  Ovid  und  Hygin  in  all  seiner 
Buntheit  als  ein  reiches  Phantasiespiel  an  sich  vorüberziehen  zu  lassen.  Erst 
seitdem  die  Poesie  in  ihrem  Verhältnisse  zu  dem  Nationalgeiste  des  einzelnen 
Volkes,  seitdem  der  Gegensatz  von  Kunst-  und  Yolkspoesie,  antiker  und 
moderner  Dichtung  von  einem  Herder,  Goethe,  Schiller  erkannt  und  be- 
handelt worden  ist,  seitdem  man  von  der  Copic  zu  den  Originalen,  von  der 
späteren  Kunstpoesie  zu  dem  irrquell  der  nationalen  Poesie,  zu  Homer  und 
überhaupt  zu  den  grössten  Meistern  jeder  Gattung  sich  zurückgewandt,  seit- 
dem das  Studium  der  neueren  Literaturen  vor  allem  der  germanischen  grosse 
und  treffende  Parallelen  zur  Seite  gestellt ,  ist  das  Verhältniss  der  ältesten 
•  Dichtung  zu  Mythus  und  Sage,  ist  der  Gedanke  an  eine  Fortbildung  dessel- 
ben Grundstoffes  mit  dem  Heranziehen  mannigfachster  Nebenquellen,  mit 
dem  freien  Ausdichten  des  im  Volksmunde  Gegebenen,  der  Gedanke  einer 
Geschichte  des  poetischen  Stoffes,  dos  Mythus  lebendig  geworden.  Und  wir 
müssen  es  vor  allem  als  ein  nicht  hoch  genug  anzuerkennendes  Verdienst 
Welckers  bezeichnen,  dass  er  den  Mythen-  und  Sagenetoff  des  griechischen 

Stark,  Siobe.  1 


2  Einleitung. 

Epos  uns  auseinandergelegt,  dass  er  die  Fortbildung  und  Umgestaltung  des- 
selben in  der  griechischen  Tragödie  uns  nachgewiesen  hat ;  und  wie  zwischen 
Epos  und  Drama  die  Lyrik  dieselben  Stoffe  nur  von  ganz  anderem  Ausgangs- 
punkt aas  behandelt,  ihrer  Mibjectiven  »Stimmung  angeeignet  hat,  i>t  heutzu- 
tage nach  Böckhs ,  Dissens ,  Welekers ,  Hergks  Arbeiten  kein  Geheim- 
ii ins  mehr.  Und  bis  in  die  spätesten  Ausläufer  der  griechischen  Poesie  und 
der  von  ihr  abhängigen  lateinischen  geht  man  heutzutage  den  Quellen  der 
Dichter  und  der  Art  ihrer  Benutzung,  ihrer  Veränderung  nach. 

Wer  daher  gegenwärtig  die  Erforschung  eines  einzelnen  antiken  Mythus 
zur  Aufgabe  sich  stellt,  der  muss  noth wendig  von  der  Geschichte  des 
Mythus  in  der  Literatur,  von  dem  Nachweise  seiner  Umgestaltung 
durch  die  ganze  antike  Poesie  ausgehen.  Nur  dadurch  kann  er  hoffen  zu 
der  Urquelle  dieses  meist  so  breiten  Stromes  zu  gelangen,  dass  er  rückwärts 
Punkt  für  Punkt  schreitet,  dass  er  alle  Seitenquellen  gleichsam  abfasst,  dass 
er  den  sich  verändernden  Charakter,  die  verschiedene  Färbung  dieses  Stro- 
mes je  nach  dem  Culturboden,  in  den  er  eintritt,  nach  der  persönlichen  Rich- 
tung des  Dichters,  durch  den  er  fortgeleitet  wird,  genau  sich  markirt.  Un- 
willkürlich, indem  der  Untersuchende  die  Reihe  der  Dichter  an  dem  ein- 
zelnen gemeinsamen  Stoffe  studirt,  wird  er  über  den  Dichter  hinaus  auf  die 
landschaftliehen  und  Stammesüberlieferungen  geführt,  aus  denen  dieser  ge- 
schöpft, wird  er  der  verschiedenen  historisirenden,  ethischen,  physischen, 
speculativreligiösen  AufTassungs  weisen  sich  bewusst,  die  an  den  mythischen 
Stoff  herangebracht  werden ,  wird  er  der  grösseren  oder  geringeren  poeti- 
schen Befähigung,  wenn  man  so  sagen  darf,  des  mythischen  Stoffes  inne. 
Und  von  dem  Mittelpunkte  der  Poesie  aus  gilt  es  dann  den  dünneren  ab- 
geleiteten Bächen  des  Mythus  in  die  geschichtliche  Erzählung,  in  die  philo- 
sophische Deutung  oder  Anwendung  zum  Beispiel,  in  die  moralisirende 
oder  politisirende  Redeübung,  oder  endlich  in  die  Yorrathskammern  emsig 
sammelnder  Antiquare  und  Grammatiker  auch  nachzugehen,  um  neben  den 
Goldkörnern  alter  ächter  Ueberlieferung  auch  das  Aeusserste  oberflächlicher 
oder  abgeschmackter  Besprechung  des  innerlich  ganz  fremd  gewordenen 
Stoffes  kennen  zu  lernen. 

Es  war  eine  im  Gebiete  der  ganzen  Altert  bums  Wissenschaft  Epoche 
machende  That  Winkelmaniis,  als  er  für  die  Erklärung  der  antiken  bild- 
lichen Denkmäler  gegenüber  der  regellosen  Willkür  und  besonders  dem 
Streben  überall  griechische  und  römische  Geschichten  und  geschichtliche 
Personen  zu  finden  den  Grundsatz  aufstellte,  dass  der  griechische  Mythus 
der  wesentliche  Inhalt  der  antiken  Kunst  sei  und  dieser  daher  als  ein 
idealer  zu  fassen  sei.  Damit  war  zugleich  das  Band  zwischen  den  Trägern 
und  Fortbildncrn  des  Mythus,  den  Dichtern  und  den  bildenden  Kunst- 
lern  hergestellt.  Dass  es  dabei  aber  nicht  um  eine  einfache  Umsetzung  der 
poetischen  Darstellung  in  eine  bildliche  sich  handelt,  dass  der  speeifische 


Stellung  der  Aufgabe.     Methode  der  Bearbeitung.  3 

Unterschied  sprachlicher  und  bildnerischer  Darstellung  bei  diesem  Zusam- 
menhang recht  lebendig  erkannt  werden  -müsse,  hat  Lessing  sofort  bemerkt 
und  zum  Gegenstand  seiner  berühmten  Abhandlung  über  Laokoon  gemacht. 
Seitdem  sind  nun  in  der  methodischen  .Behandlung  der  Denkmäler,  in  ihrer 
Erklärung  im  Zusammenhange  mit  den  poetischen  Werken  der  entsprechen- 
den S^ilstufe  die  grössten  Fortschritte  gemacht  und  die  erfreulichsten  Resul- 
tate gewonnen  worden.  »Ta  wir  können  sagen,  dass  der  literarhistorische 
Gang  bis  zum  Uebermasse  in  der  Behandlung  des  archäologischen  Stoffes 
sich  geltend  gemacht  hat,  denselben  heutzutage  fast  noch  beherrscht.  Noth- 
wendig  wird  die  Frage,  inwieweit  der  mythische  Stoff  in  epischer,  lyrischer 
oder  tragischer  Forin  dem  Künstler  und  dem  Kunstpublikum  lebendig  vor 
Augen  stand,  bei  jedem  freien  Kunstwerke  gestellt  werden.  Welcher  Ge- 
winn den  Denkmälern  für  die  Erkenntniss  ganzer,  literarisch  nur  aus  dürftigen 
Resten  des  Epos  oder  der  Tragödie  bekannter  Mythen  entlockt  werden  kann, 
haben  die  Arbeiten  Welckers  und  ().  Jahns  besonders  gezeigt. 

Aber  daneben  hat  eine  besonnene  Forschung  auf  die  Stellung  besonders 
untergeordneter  Kunstzweige  gewisser  Zeiten  oder  auch  in  gewissen  Stoffen 
zu  rein  lokalen  Sagen  oder  zu  Cultusmy  then,  die  nicht  in  denFluss  der 
poetischen  Behandlung  gekommen  sind,  aufmerksam  gemacht.  Und  endlich 
konnte  sie  sich  den  Beobachtungen  nicht  entziehen,  dass  die  Darstellung  des 
mythischen  Stoffes  durch  Lebenssitte  und  Geschmack,  sowie  religiöse  An- 
schauung der  nur  gräcisirten  Völker,  wie  der  Etrusker  oder  unteritalischen 
Stamme  auf  da«  Redeutendste  bedingt  worden  Ist. 

Nur  unter  der  allseitigen  Erwägung  dieser  verschiedenen  Gesichts  punkte 
kann  die  Verfolgung  eines  Mythus  in  seiner  Darstellung  durch  die  bildende 
Kunst  zu  festen  und  förderlichen  Resultaten  gelangen.  Wir  dürfen  sagen, 
je  mehr  wir  uns  die  künstlerischen  Gesichtspunkte,  unter  denen  ein  Werk 
entstanden  ist,  aneignen,  je  unbefangener  wir  nach  allen  Richtungen  das  ein- 
zelne Denkmal  im  Vergleich  zu  verwandten,  zur  Stufe  des  Stiles,  zu  Zeit  und 
Ort  der  Entstehung  betrachten,  um  so  mehr  wird  der  geistige  Gehalt,  der 
Mythus  in  seinen  idealen  Gestalten  und  Situationen  schliesslich  dabei  zu 
Tage  kommen.  Viel  höher  als  den  äusseren  Gewinn  mythologischer  That- 
sachen,  den  die  Denkmäler  ergeben,  schlagen  wir  jene  Unmittelbarkeit  an, 
aus  der  ganz  besonders  in  der  Plastik,  aber  auch  in  der  Malerei  die  Idee  und 
die  Ideale  des  Mythus  uns  entgegentreten.  Der  Schöpfer  des  Kunstwerkes  ist 
gleichsam  der  Schöpfer  des  Mythus  immer  von  Neuem.  Hierin  giebt  uns  die 
bildende  Kunst  ausserordentlich  viel  mehr,  als  die  Poesie.  Und  dass  der  grie- 
chische Mythus  diese  plastische  und  malerische  Durchbildung  neben  und 
nach  der  literarischen  erlebt  hat,  sichert  ihm  eine  so  absolute,  für  alle  Zeiten 
wirkungsvolle  Stellung  unter  den  Mythenkreisen  alter  und  neuer  Völker. 
Nirgends  ist  die  Durchsichtigkeit  und  die  allseitige  massvolle  Auseinander- 
legung des  Stoffes  so  erreicht,  wie  bei  ihm.   Und  so  wirken  gerade  diejenigen 

1* 


4  Einleitung. 

Mythen  auf  uns  noch  heute  so  anziehend  und  mächtig,  für  die  uns  aus  der 
Pracht  hellenischer  Kunst  noch  herrliche  Reste  gebliehen  sind. 

Wer  diesen  beiden  Wegen  durch  die  Literatur  und  durch  die  bildende 
Kunst  für  die  Auffassung  eines  Mythus  möglichst  vollständig  und  mit  mög- 
liclister  Versenkung  nachgegangen   ist,   nur  der  kann  hoffen,  endlich   den 
Mythus  selbst  in  seiner  Urspünglichkeit,   in  seiner  Nacktheit  gleicjhsam, 
in  seiner  das  Volksbewusstsein   dunkel  und   doch  mächtig  beherrschenden 
Macht  zu  erfassen.    Er  hat  bereits  die  lokalen  und  staminesartigen  Ausgangs- 
punkte für  die  einzelnen   modificirenden   Züge   im   Mythus   bei  der  Unter- 
suchung kennen  gelernt,  ihm  sind  schon  gemeinsame  Grundzüge  desselben 
dabei  herausgetreten.     Jetzt  gilt   es,  diesen   lokalen   und   ethnographischen 
Hereich  allseitig  auszubeuten,  das  ganze  Gewebe  dabei  in  einfachere  Ele- 
mente aufzulösen  und  zugleich  den  Nachweis  ihrer  Verwebung  aus  den  histo- 
rischen Verhältnissen  dieser  Lokale  und  Stämme,  sowie  aus  der  inneren  Ver- 
wandtschaft der  Mythenkreise  zu  fuhren.      Sehr  mannigfaltige  Einschlags- 
fäden können  dabei  aufgefunden  werden,  aber  immer  einfacher  wird  dabei 
der  Aufzug  des  ganzen  Gewebes  heraustreten.    Was  ist  aber  dieser  einfache 
Aufzug,  dieser  Kern,  um  den  sich  alles  andere  angesetzt  (    Nie  und  nimmer- 
mehr ist  ein  Mythus  aus  einer  merkwürdigen  Naturerscheinung,    aus  einer 
historischen  Fiktion,  aus  einer  bedeutenden  Persönlichkeit,  aus  einein  allmä- 
lig  missverstandenen  bildlichen  Ausdruck  zufällig  herausgewachsen,  nein  sein 
Ursprung  ist  ein  idealer,  er  ruht  im  Gemüth  des  Volkes,  in  der  religiösen 
Hingabe  an  eine  in  der  Naturerscheinung  oder  im  Menschenleben  sich  offen- 
barende göttliche  Potenz,  in  dem  Drange  dieses  göttliche  Wirken  als  einen 
geschichtlichen  Vorgang,  als  ein  Vorbild   eigner  Erlebnisse    auszusprechen. 
So  wird  es  immer  ein  Doppeltes  sein,  das  wir  als  Residuum  des  Mythus  aufzu- 
suchen haben,  die  eigentümliche  religiöse  Stimmimg,  in  der  er  wurzelt,  und 
zweitens  das  einfachste  Mild  eines  Naturvorganges  —  und  wir  begreifen  den 
Menschen  nach  seiner  körperlichen  Erscheinung  mit  darunter  — ,  an  dem  diese 
religiöse  Stimmung,  diese  Idee  im  höchsten  Sinne  des  Wortes  zum  Ausdruck 
gekommen  ist.     Und  in  diesem  Doppelten  liegt  es  zugleich  ausgesprochen, 
dass  der  Mythus  im  Oultus  und  im  Symbol  zunächst  seine  Wurzeln  hat. 
Er  geht  aber  mit  dem  Drange  der  Darstellung,  der  Auffassung  des  göttlichen 
Wirkens  als  menschlichen  Vorgang  über  beide  hinaus  und  wirkt  schliesslich 
künstlerisch  gestaltend,  bereichernd  auf  Cultus  und  Symbol  zurück. 

Hier  stehen  wir  an  einem  Punkte  der  ältesten  Geistesrichtung  eines  Vol- 
kes, der  nicht  zart  und  behutsam  genug,  nicht  warm  genug  gefasst  werden 
kann.  Da  gilt  es,  unsere  Betrachtungsweise  der  Dinge,  die  immer  geschie- 
den neben  einander  herlaufen,  wenn  wir  auch  einen  endlichen  Einheitspunkt 
postuliren,  einmal  aufzugeben  und  den  Einheitspunkt,  den  ein  Volk  relativ 
zwischen  Naturvorgang  und  Seelen  Vorgang,  zwischen  Welt  und  Gottheit  ge- 
funden, in  sich  wissenschaftlich  zu  reproduciren. 


Stellung  der  Aufgabe.    Methode  der  Bearbeitung.  5 

Hier  ist  es  auch,  wo  die  Etymologie,  bestätigend  oder  beschränkend 
eintritt,  widerlegen  kann  sie  das  auf  dem  eben  geschilderten  Wege  Gefun- 
dene nicht.     Sie  hat  nicht  am  Anfang,  nur  am  Ende  der  Untersuchung  ihre 
Berechtigung.    Gewiss  haben  schon  inzwischen  die  Namen  uns  als  treffliche 
Wegweiser  in  den  engeren  Hereichen,  aus  denen  der  Mythus  Nahrung  gezo- 
gen, gedient ;    ihre  Ableitung  selbst  hat  auch  dabei  glücklich  Licht  gebend 
mitgewirkt,  wo  sie  wissenschaftlich  sicher  stand.     Aber  die  meisten  Namen, 
die  die  Träger  des  Kernes  eines  Mythus  sind,  ragen  mit  demselben  in  eine 
Urzeit  zurück,  deren  sprachliche  Bildung  weit  über  die  ältesten  literarischen 
Deukiuäler  hinausreicht,  wo  speeifisch   die  hellenische   Sprache   einen   viel 
weiteren  Volkskreis  umfasste  und  durchaus  nicht  nach  dem  attischen  Sprach- 
gebrauch, auch  nicht  nach  dem  Jüngern  Aeolismus,  Dorismus,  Ionismus  ab- 
gemessen werden  kann.     Es  begegnen  uns   Sprachformen,  die  nur  in  den 
Resten  epirotischen,    makedonischen  s.  g.    Dialekts,  lykischer,  phrygiseher 
Sprache,  oder  auch  des  Lateinischen  oder  unteritalischcr Sprachen  ihre  Bestä- 
tigung oder  Analogie  finden.  Ja  es  gilt,  von  da  weiter  zurück  in  den  gemein- 
samen Bestand  der  nächst  höheren  Sprachfamilie,  endlich  des  Indogermani- 
schen überhaupt  zu  greifen.  Und  hier  bekennt  sich  der  klassische  Philolog  gern 
als  Schüler  des  allgemeinen  Sprachforschers,  insoweit  dieser  auf  festem,  all- 
gemein anerkanntem  Boden  bleibt1).    Nur  verlange  man  von  ihm  nicht,  sich 
zum  Schildträger  einer  für  den  ersten  Augenblick  scheinbaren  Ableitung  und 
Bedeutung  zu  machen,  die  der  nächste  sprach  vergleichende  Versuch  sofort 
wieder  über  den  Haufen  wirft,  für  eine  Ausdeutung,  die  vielleicht  eine  Ne- 
bensache berührt  im  Mythus,  den  methodisch  gewonnenen  Mittelpunkt  des 
helleiüsc hen Mythus  hinzugeben.  Gut,  sage  man  wir  geben  zu,  der  Name  ist 
bereits  als  ein  in  seiner  Urbedeutung  nicht  mehr  gekannter  von  dem  mythen- 
bildenden  Griechen  aus  der  Urheimath  mitgebracht  und  auf  etwas  ganz  ihm 
Fremdartiges  angewandt  worden.    Ins  interessirt  nicht  jenes  Fossil  einer  Ur- 
periode  in  erster  Linie,  uns  beschäftigt  das,  was  eine  schöpferische  Hand  aus 
"Nil  als  Rohmaterial  mit  Tiefsinn,  Phantasie  und  Kunst  gemacht  hat. 

Neben  dem  Sprachvergleicher,  ja  oft  in  ihm  tritt  heutzutage  der  ver- 
gleichende Mytholog  uns  auch  entgegen.  Er  geht  nicht  von  dem  Indi- 
viduellen, sondern  von  dem  Allgemeinen  aus,  er  stellt  sich  nicht  an  die  brei- 
ten Mythenströme  und  folgt  ihnen  sorgsam  aufwärts  bis  zur  Quelle,  nein  von 
euier  Vogelperspective  aus  überschaut  er  die  Quellengebiete  des  Mythus  aller 
*  ölker  und  zwar  nicht  allein  einer  Familie,  nein  meist  des  Erdballs.  Wer 
wollte  läugnen,  dass  die  Menschheit  ein  Urgemeinsames  religiöser  Ideen  und 

1)  Ich  verweise  auf  die  besonnenen,  trefflichen  Worte  von  Curtius  über  die  Etymologie 
der  Kigennamcn  in  seinen  Grundzügen  der  griech.  Etymologie  I,  S.  M — 9s,  besonders  auf 
den  Ausspruch :  ,,die  etymologische  Wissenschaft  kann  sehr  oft  nur  die  Sphäre  angeben, 
unterhalb  welcher  die  Deutung  liegen  kann,  nicht  diese  selbst  bieten." 


6  Einleitung. 

Stimmungen  hat,  das«?  das  Gemeinsame  in  allen  Naturerscheinungen  auch 
der  verschiedensten  Zonen  noth  wendig  grade  da  hervortritt,  wo  der  Mensch 
in  ihnen  göttliches  Walten  unmittelbar  ausgesprochen  findet!  l'nd  so  muss 
es  uns  freuen,  diesen  Ureleincnten  in  Mexiko,  bei  Negern  oder  Polarbewoh- 
nern sogut  wie  in  Aegypten  oder  Hellas  zu  begegnen.  Gewiss  ist  es  förder- 
lich darauf  zu  achten,  vor  allein  sein  Auge  zu  schärfen  fiir  Anschauungen  im 
Volke,  die  uns  noch  heute  tagtäglich  begegnen  —  und  die  klassische  Mytholo- 
gie verdankt  in  dieser  Beziehung  ihrer  jüngeren  Schwester,  der  germanischen 
die  allerfrucht barste  Anregung ;  aber  damit  ist  fiir  die  Erforschung  eines  My- 
thus in  seiner  reichsten  Gestaltung,  wie  er  in  Hellas  auftritt,  noch  sehr,  wenig 
gewonnen.  Auf  jener  schwindelnden  Höhe  scheint  fast  alles  alles  werden  zu 
können,  oder  das  Auge  sieht  nur  zu  leicht  alles  entweder  im  Glänze  des  Son- 
nenlichts oder  im  liegeiunantel  und  Dunstkreis  oder  unter  dem  schwarzen 
Gewölk  des  Gewitters  mit  Blitz  und  Donner.  Nur  ein  Mann,  in  dein  eine 
reiche  allseitige  Naturanschauung  und  zwar  in  allen  Gebieten  der  Himmels- 
wie  Erderscheiinuigeii,  des  vegetativen  wie  thierischen  Lebens  lebendig  ist, 
der  den  .Bedürfnissen  des  menschlichen  Herzens,  den  eigenthümlichen  Gän- 
gen der  Phantasie,  den  sittlichen  Richtungen  und  Yerirrungen  fortwährend 
lauscht,  er  wird  eine  vergleichende  Mythologie  der  Menschheit  von  bleiben- 
dem Werthe  auf  einer  Ungeheuern  Detailkcnntniss  und  mit  wissenschaftlicher 
Schärfe  aufzubauen  vermögen. 

Der  klassische  Philolog  verfolgt  hierin  ein  bescheidneres  Ziel:  für 
ihn  handelt  es  sich  um  die  möglichst  intensive  Durchdringung  eines  nationa- 
len mythologischen  Stoffes,  wie  er  dabei  die  lokalen  und  Stammesverhältnisse 
scharf  ins  Auge  fasst,  wird  er  prüfend  den  ausländischen  Einflüssen  verwand- 
ter, aber  auch  ganz  fremder  in  einem  grossen  Gegensatz  stehender  Nationali- 
täten, wie  der  Aegyptcr,  der  Semiten  nachgehen,  vielmehr  um  zu  sondern, 
als  um  zu  mischen,  er  wird  schliesslich  die  parallelen  Mythen  der  grössern 
Völkerfamilie,  in  welcher  das  hellenische  Volk  steht,  wenn  sie  ähnlich  sorg- 
fältig erforscht  und  auf  ihren  ältesten  Ausdruck  gebracht  sind,  mit  Freuden 
dem  Gefundenen  zur  Seite  stellen,  um  nun  nicht  noch  weiter  alle  Unter- 
schiede auszugleichen,  zu  verwischen,  nein  im  Gegentheil  um  so  lebendiger 
das  speeifisch  Hellenische  dabei  herauszustellen,  welches  gerade  diesem  my- 
thologischen Gedanken  eine  so  reiche  und  glückliche  Entwickelung  gegeben 
hat. 

Dieser  Rückblick  von  der  erreichten  Höhe  auf  den  historischen  Ent- 
wiekelungsgang  des  Mythus,  auf  seine  specifischreligiöse,  ethische,  poetische, 
plastisch  künstlerische,  allegorisirende  Behandlung  wird  fiir  uns  den  Schluss- 
punkt bilden,  l'nd  haben  wir  über  den  .Bestund  des  griechischen  Volkes 
hinaus  aufwärts  auf  die  l'rgedanken  der  grösseren  Yölkcrfamilie  unseren  Blick 
geworfen,  so  sind  wir  ebensosehr  berechtigt,  das  Nachwirken  dieses  mytho- 
logischen Stoffes  in  der  Literatur  und  Kunst  der  modernen  Völker,  die  in  die 


Stellung  der  Aufgabe.    Methode  der  Bearbeitung.  7 

Erbschaft  der  antiken  Cultur  eingetreten  sind,  wenigstens  im  Anhang  oder 
Eingang  zu  berühren ;  ist  ja  doch  die  alte  Welt  für  uns  nicht  blos  als  ein 
wohl  abgeschlossener  Kreis  einer  vergangenen  grossen  Nationalentwickelung, 
sondern  als  eine  Fülle  noch  heute  wirksamer  Gedanken  und  Formen  ein  Ge- 
genstand des  Studiums. 

Dies  sind  die  Gesichtspunkte,  unter  denen  eine  allseitige  monographi- 
sche Behandlung  eines  antiken  Mythus,  wie  ich  glaube,  erfolgen  muss;  sie 
sind  für  die  nachfolgenden  Untersuchungen  über  den  Mythus  der  Niobe 
mir  massgebend  gewesen.  Sie  hier  darzulegen  schien  geboten,  da  einerseits 
mit  seltenen  Ausnahmen  —  ich  hebe  darunter  die  Abhandlung  von  Fr.  Wiese- 
ler über  Narkissos,  Göttingen  1S5(>  hervor  —  die  grosse  Zahl  tüchtiger,  ja 
ausgezeichneter  philologischer  Arbeiten  über  einzelne  Mythen  nur  die  literar- 
historische und  archäologische  Aufgabe  behandeln,  die  mythologische  Frage 
nur  kurz  im  Eingang  oder  gelegentlich  mit  scheuer  Hand  berühren,  anderer- 
seits die  specirischen  Mythologen  sofort  ohne  jene  feste  und  allseitige  Grund- 
lage aus  einzelnen  Schriftstellen  und  Bildwerken  das  Material  zu  ihren  lufti- 
gen Bauten  entnehmen'und  rasch  mit  einem  einzelnen  Mythus  dabei  fertig 
smd.  Noch  immer  scheint  daher  es  keine  feste  Methode  für  derartige  Unter- 
suchungen zu  geben  und  das  sorgsam  Erarbeitete  nur  zu  rasch  durch  einen 
geistreichen  Einfall  in  Frage  gestellt  zu  werden.  Gerade  jetzt,  wo  uns  in 
Gerhards,  Prellers,  Welckers  Gesammtdarstellungen  der  griechischen 
Mythologie  die  reiche  Uebersicht  über  das  Ganze  und  die  fruchtbarsten  Ge- 
sichtspunkte gegeben  sind,  werden  besonnene  und  allseitig  geführte  Detail- 
arbeiten das  nächste  Bedürfniss. 

Wohl  eignen  sich  nicht  alle  Mythen  für  eine  gleichmässige  Bearbeitung 
nach  den  obigen  Gesichtspunkten  bei  dem  fragmentarischen  Zustande  der 
Denkmäler  und  Ueberlieferungen  und  bei  der  Unerkenn barkeit  oder  auch  der 
für  uns  geringen  Bedeutsamkeit  eines  Mythenkrciscs.  Den  Mythus  der  Niobe 
trifft  dies  nicht,  in  ihm  wird  unser  literarhistorisches,  unser  archäologisches, 
unser  mythologisches  Interesse  in  gleich  hohem  Masse  in  Anspruch  genom- 
men und  über  alles  hinaus  geht  ein  rein  menschliches  von  dieser  Darstellung 
eines  immer  sich  erneuernden  (Konflikts  des  Menschen  mit  göttlicher  Allmacht, 
der  herrlichen  Fracht  der  Erde,  der  Fülle  ihrer  Kinder  mit  dem  Gesetze  der 
Vernichtung,  das  der  Lauf  der  die  Zeiten  bestimmenden  Gestirne  des  Tages 
und  der  Nacht  immer  erfüllt  Dass  die  bisherigen  Behandlungen  desselben  der 
von  uns  dabei  gesteckten  Aufgabe  noch  nicht  genügt,  und  welche  Bausteine 
sie  dazu  beigetragen  haben,  ergiebt  die  folgende  Uebersicht.  Inwieweit  es 
dem  Verfasser  dieser  Arbeit,  der  die  Forderung  des  nonum  prämatur  in  annum 
bald  schon  erfüllt  hat,  damit  gelinge,  mögen  die  mitstrebenden  Fachgenos- 
sen beurtheilen. 


8  Einleitung. 

§  2. 
Die  literarische,  künstlerische  und  gelehrte  Behandlung  des  Mythus  der  Niobe  in  der 

modernen  Welt.    Der  jetzige  Stand  der  Forschung. 

Dante  (t  1321),  der  den  grossen  Wendepunkt  des  mittelalterlichen  Gei- 
steslebens bildet  und  zuerst  wieder  an  das  Alterthiim  mit  dem  Hewusstsein 
einer  neuen  nationalen  und  sittlich  religiösen  Bildung  frei  herantritt,  hat  in 
wenig  Zeilen  seines  Purgatoriums  zuerst  wieder  der  Niobe  ihre  Stelle  gegeben 
im  .Bereiche  sittlich  mahnender  Vorbilder  und  sein  Ncudurchleben  des  My- 
thus angedeutet.  Im  zwölften  Gesang  beschreibt  der  Dichter  die  auf  dem 
Boden  des  am  ersten  Absatz  des  Fegefeuerberges  sich  hinziehenden  Weges 
gezeichneten  Bilder,  die  Grabtafeln  ähnlich  hervorscheinen  und  von  den  ge- 
beugten Hauptes  einherziehenden  Wanderern  betrachtet  werden.  Es  sind 
lauter  Bilder  der  superbia,  der  Selbstüberhebung  Gott  gegenüber  und  zwar 
zwölf  in  (Jorrespondenz  alttestamentlicher  und  heidnischer  Geschichten :  Sa- 
tan und  Briareus,  Giganten  undNimrod,  Niobe  und  Said,  Arachne  und  Jero- 
beam,  Eriphyle  und  Sanherib,  Cyrus  und  Ilolophernes  entsprechen  sich  hier. 
Niobe  widmet  er  die  einfachen,  tief  ergreifenden  Worte : 

O  Niobe  con  che  occhi  dolenti 
Vftdera  io  te  seynaia  in  su  la  slradu 
Fra  sette  e  sette  tuoißgluwli  sjyenti. 

Diese  trauernden  Augen  des  Beschauers  reden  ergreifend  von  dem  Jammer- 
bild der  unter  sieben  und  abermals  sieben  hingestreckten  Kindern  sitzenden 
Mutter.  Die  bestimmte  Situation  entnimmt  der  Dichter  demOvid  (Metam.  VI. 
301),  dem  orba  resedit  czanhnes  inter  natos  natasque;  auch  dass  Arachne  un- 
mittelbar folgt,  zeigt  die  Quelle  im  Ovid,  der  beide  Gestalten  ebenfalls  neben- 
einander stellt. 

Boccaccio  (f  1375)  hat  in  seinem  merkwürdigen  Werke:  genealogiae 
deorum  gentilium*) ,  das  er  König  Hugo  von  Cypern  und  Jerusalem  dedicirte 
und  welches  in  das  letzte  Jahrzehnt  seines  Lebens  fällt,  den  Mythus  der 
Niobe  mit  besonderer  Ausführlichkeit  behandelt.  Lib.  V.  c.  30  2j  berichtet 
de  Amphionc  rege  Thebarum  —  qtti  Septem  gcnuitßlios  et  totidem ßlias ,  c.  31 
de  XIV  ßliis  Amphionis ;  Lib.  VII.  c.  25  de  Niobe ßlia  Phoronei  quae  peperit 
Apin;  lib.  XII.  c.  2  de  Nyobe  Tantali  ßlia  et  Amphionis  conjuge.  Seine 
Quellen  sind  Ovid,  Statius  mit  Lactantius  i'lacidus  dazu,  Cicero  [Tttsvulanae 
Quaest  III.  215),  Eusebius  im  liber  tetnporum  (also  Chronica),  Homer,  welcher 
aber  ganz  ungenau  citirt  wird,  endlich  Theodontius.  Dieser  letztere,  aus 
dem  er  den  sichtlich  aus  Pausanias  stammenden  Bericht  über  das  Niobcbild 


I;  Ein  Work,  das  einer  genauen  philologischen  Analyse  so  sehr  bedürfte,  eine  gerechte 
Würdigung  aber  selbst  in  dem  neuesten  Werke  über  die  Wiederbelebung  des  klassischen 
Alterthums  von  G.  Voigt  (Berlin  I^.VJ   S.  |<M»  ff.  nicht  gefunden  hat. 

2;  Die  Ausgabe  von  1-107  J'etwtm  jwr  Munfredum  deStrecv  de.  Montferrato  liegt  mir  vor. 


Der  jetzige  Stand  der  Forschung.  9 

amSipylus  entnimmt,  kannte  Boccaz  nur  aus  dem  ingcns  liber  collectionum  des 
Paulus  Perusiuus,  dos  Bibliothekars  König  Roberts  von  Neapel,  welches  un- 
ter Beistand  des  bekannten  Mönches  Barlaam  aus  lateinischen  und  griechi- 
schen Quellen  gesammelt  war.  Boccaz  erzählt,  dass  er  aus  diesem  Werke 
als  junger  Manu  schon  viel  ausgeschrieben  praecipue  ea  quae  sub  nomine  Theo- 
dontii  apposita  sunt  (Geneal.  1.  XV.c.(i).  Dieser  ist  daher  jedenfalls  ein  By- 
zantiner, der  dem  IL  Jahrhundert  vorausgeht.  Boccaz  macht  auf  die  Diffe- 
renzen in  den  Ueberlieferungen  über  Abstammung,  Kinderzahl,  Namen  be- 
reits aufmerksam  und  spricht  zuerst  Deutungen  aus,  deren  manche  später  als 
neu  immer  wieder  vorgebracht  sind.  Den  raschen  Tod  der  Kinder  fuhrt  er 
auf  eine  Pest  zurück,  da  Apollo  der  Vertilger  [exterminator)  sei,  das  nicht 
Jiestatten  erklärt  er  auf  dreierlei  Weise :  entweder  habe  es  in  der  Pest  an 
Menschen  gefehlt,  die  bestatten  konnten,  da  sie  selbst  in  Stein  [in  Utpidem 
i.  e.  ptdeerem)  verwandelt  waren,  oder,  was  er  für  richtiger  erklärt,  sie  seien 
verhärtet  {Malis  durato)  gewesen,  aus  zu  grossem  Schmerz  könnte  man  oft 
nicht,  was  man  sollte,  oder  endlich  die  Niohiden  seien  bei  der  einbrechen- 
den Pest  nur  in  bürgerlicher  Weise  ijwpulari  ritu)  bestattet,  später  erst  regio 
more  lapideis  urnis  immissos.  Auch  über  die  weinend  hinschwindende  Niobe 
am  Sipylus  hat  er  eine  natürliche  Erklärung  bereit :  zum  Andenken  an  Niobe 
sei  eine  Statue  am  Sipylus  aufgestellt  worden  und  da  das  Bild  von  kalter  Be- 
schaffenheit sei,  lösten  die  feuchten  aus  der  Erde  zu  ihm  aufsteigenden  Dünste 
sich  in  Wassertropfen  auf  und  erschienen  so  als  Thränen. 

Natalis  Com  es  giebt  in  seinem  nach  Boccaz  zuerst  Epoche  machen- 
den, umfassenden,  auf  lange  Zeit  hin  herrschenden  Werke  mythologiae  s.  ex~ 
plicalianis  fabularum  libri  X,  zuerst  15GS  in  Venedig  erschienen1),  in  lib. 
VI.  cap.  13  eine  fleissige  Zusammenstellung  der  Stellen  über  den  Mythus 
der  Niobe,  aber  ohne  genaue  Scheidung  der  argivisehen  und  sipylenischen 
oder  thebanisehen  Niobe.  Er  bezeichnet  als  huec  fabulosa  quae  de  Niobe 
passim  circumferuntur  und  fuhrt  dann  bei  dem  Ergründen  der  sententia  den 
sittlichen  Gesichtspunkt  aus.  Die  Alten  hätten  durch  dies  Beispiel  von 
l'ebcrmuth  und  Keckheit  die  Menschen  zurückziehen  und  zu  einem  gleich- 
miithigen  Ertragen  der  Schicksalsschlägc  hinwenden  wollen.  Tautalus  ist 
ihm  aoaritia ,  Euryanassa  opulentia,  ihr  Kind  die  superbia.  Der  Grund- 
gedanke sei  der  Spruch  :  d'sov  fxev  exiög  ovdttg  evtvxel  fioottor.  Dann  wendet 
er  sich  zu  der  h  i  s  t  o  r i  s  ir  cn  d  e  u  Deutung  mit  den  Worten  :  fuerunt  qiti  rem 
ad  hisioriam  referre  conati  sint  und  berichtet,  dass  man  von  einer  Pest  in 
Phrygien  rede,  von  Sonne  und  Mond  als  deren  Urhebern;  Niobe  sei  im 
Schmerz  verstummt.  Die  Steiu Verwandlung  der  Menschen  wird  dann  aus 
der  Thatsache  erklärt,  dass  die  Menschen    in  solcher  Zeit  der  Furcht  und 


1)  Mir  liegt  vor  die  zweite  1Ü02  in  Genf  erschienene,  vom  Verf.  revidirte  Auflage. 


10  Einleitung. 

Noth  gegen  jede  Rücksicht  auf  andere  verhärtet  werden,  kein  .Band  der 
Freundschaft  oder  Verwandtschaft  dann  etwas  gelte. 

Irgend  ein  Fortschritt  in  Benutzung  der  Stellen  der  Alten  oder  in  der 
Auffassung  ist  in  den  mythologischen  Büchern  der  zwei  Jahrhunderte  fast 
seit  dem  ersten  Erscheinen  des  Werkes  von  Natalis  Comes  nicht  zu  bemerken ; 
V omey  Panlheum  mythicum.  1700.  p.  171,  Hederichs  Lcxicon  mythologi- 
cum  (Leipz.  1741.  2.  Aufl.),  C.  L.  de  Launay  theo-mythologia  historica  (Prag 
1710)  p.  110  ff.  liefern  dafür  den  traurigen,  dürren  Beweis.  Die  Aehnlich- 
keit  des  Steins  ist  nach  dem  letzten  schon  hinreichend  für  die  Poeten  gewe- 
sen, um  die  ganze  Fabel  zu  dichten.  Erst  in  Baniers  berühmter  Erläute- 
rung der  Götterlehre  und  Fabeln  aus  der  Geschichte  (Paris  1710,  deutsch  von 
Schlegel  und  Schröckh  Leipzig  1701)  finden  wir  Bd.  Hl.  S.  112 -420  d.  d.  A. 
eine  lebendigere  und  auf  den  Kern  der  Sache  gerichtete,  zugleich  von  Ovids 
fruchtbarer  Einbildiuigskraft  angewehte  Darstellung.  Der  Kern  der  Sage  ist 
für  ihn  freilich  ein  rein  historischer:  Niobe  ist  mit  reichem  Heirathsgut 
an  Amphion  von  Theben  von  dem  einwandernden  Pelops  gegeben,  damit  die- 
ser in  Hellas  eine  Stütze  gewinne.  Der  Tod  der  Kinder  ist  eine  Pest,  Niobe 
ist  trauernd  in  dielleimath  gegangen  und  hat  ihr  Leben  am  Sipylus  beschlos- 
sen. Die  bestattenden  Götter  bei  Homer  sind  Priester.  Zum  ersten  Male  wird 
hier  am  Schlüsse  in  einem  mythologischen  1  landbuche  der  Niobegruppe  ge- 
dacht, aber  rein  äusserlich  und  ungenau  wird  aus  Montfaucon  von  dem  ,, alten 
Denkmal"  berichtet.  Als  ein  Curiosum  mythologischer  Auslegung,  wie  sie 
allerdings  auch  heute  noch  nicht  unmöglich  wäre,  führe  ich  hier  noch  die 
von  James  Kennedy !)  gegebene  an :  dass  die  Fabel  der  Niobe  eine  jährliche 
Nilüberschwemmung  bedeute.  Die  Beleidigung  Latonas  ist  die  Notwendig- 
keit, sich  auf  die  höhern  Lokale  zurückzuziehen,  die  vierzehn  Kinder  sind 
die  vierzehn  cubiti  des  Nilmessers,  Apollo  und  Diana  sind  Arbeit  und  Ge- 
werbrleiss  unter  dem  Einflüsse  der  Nomen,  die  Herr  der  Ueberschwemmung 
werden . 

Schon  seit  bedeutend  länger  als  einem  Jahrhundert  war  eines  der  herr- 
lichsten Werke  des  Alterthums,  die  Gruppe  der  Niobe,  aufgefunden ; 
es  geschah  dies  im  J.  15S3  in  Rom,  die  näheren  Umstände  dabei  werden  uns 
weiter  unten  eingehender  beschäftigen.  Damit  war  ein  ganz  neuer  Weg  der 
Ketraehtung  dieses  antiken  Stoffes  vorgezeichnet,  eine  neue  Welt  gleichsam 
eröffnet.  Aber  es  hat  sehr  lange  gedauert,  ehe  die  Gelehrsamkeit  nur  Notiz 
davon  nahm,  länger,  ehe  sie  mit  Freude  und  Wärme  davon  sprach,  noch  län- 
ger, ehe  eine  wissenschaftliche  Betrachtung  dafür  eintrat.  Schon  lange  vor  1 583 
hatte  aber  dieser  antike  Stoff  die  ausübende  Kunst  grosser  Meister  beschäftigt 
und  war  auch  von  antiker  Kunst  darin  berührt  worden.  In  der  Schule  Rafaels 
hatte  P  o  1  i  d  o  r  o  Caldara  da  C  a  r  a  v  a  g  g  i  o  (f  1 5  13)  mit  Maturino  di  Fircnze 


1)  Descript.  of  the  antiqu.  and  cur  tos.  in  IViltonhouse  17t>9.  p.  16. 


Der  jetzige  Stand  der  Forschung.  1 1 

vor  1527  einen  Fries  davon  entworfen,  der  an  einem  Haus  in  Rom   (in  der 
Via  della  maschera  d'oro  n.  7)  als  Sgraffito ,  in  Schwarz  und  Weiss,  sowie  in 
einer   Federzeichnung   im   Palast  Corsini  noch  erhalten  und  zugleich  auch 
durch  alte  Kupferstiche  bekannt  ist1).  Eine  gewaltige  Compositum,  als  eines 
der  besten  Werke  der  ganzen  Schule  anerkannt2),  interessant,  weil  ohne  alle 
Berührung  mit  der  Gruppe,  in  einzelnen  der  Motive  aber  an  Sarkophagreliefs 
erinnernd,   deren  doch  wohl  eines  sehr  bald  darauf  gekannt  war.     Dies  wird 
jetzt  in  interessantester  Weise  uns  vor  die  Augen  gerückt  durch  eine  Tusch- 
zeichnung von  Giulio  Romano,  welche  in  der  trefflichen  Sammlung  von 
Handzeichnungen  vom  Maler  Grahl  in  Dresden  sich  befindet  und  uns  nicht 
ganz  vollständig  mehr  eine  freie,  meisterhafte  Auffassung  der  borghesischen 
Reliefdarstellung  giebt3).    Auch  Jac.  Palma  giovane,  der  an  Polidoro  Cal- 
dara  vor  allem  sich  gebildet,  hat  den  Stoff  behandelt  *) .     Dagegen  erscheint 
\  das  Emblem  bei  der  superbia,  für  welches  Alciati  (f  15W);   in  seinen  berühm- 

k  teil,  oft  seit  1563  im  Druck  wiederholten  Emblemata  5)  die  Fabel  der  Niobe  be- 

nutzte und  mit  zwei  Distichen  versah,  als  ein  sehr  naiver  zeichnender  Versuch : 
i  vor  einem  Felsen  Niobe  mit  gehobenen  Händen  in  die  Knie  gesunken,  um- 

)  geben  von  6  hingesunkenen  Kindern,  von  diesem  stürzt  sich  taucherartig  Am- 

phion,  in  der  Luft  Apollo  und  Diana  und  ein  blasender  Windgott.  Die  Auf- 
stellung der  in  Rom  gefundenen  Gruppe,  in  welcher  man  die  von  Plinius  er- 
wähnte zu  besitzen  nicht  zweifelte,  im  Garten  Medici  hatte  sofort  auf  die 
Meister  der  eklektischen  Schule  einen  grossen  Einfluss.  Guido  Reni 
J1575 — 1622)  war  es,  der  den  Kopf  der  Mutter  und  vor  allem  der  einen  Toch- 
ter für  seine  Mater  dolorosa  studirte   und  überhaupt  für  die  gleichförmige 


\ 


1}  Zuerst  auf  acht  grossen  Blättern  15tM  nach  einer  Zeichnung  von  II.  Goltzius  von 
H.Saenredam  und  noch  später  von  Giov.  Batt.  Galestruzzi  in  fünf  Blättern  gestochen.  Auf 
derKönigl.  Kupferstichsammlung  zu  Berlin  sah  ich  drei  Blätter  von  dem  letztem  mit  der 
entern  Bezeichnung  in  Koma  da  Amelio  van  Westerhout  also  die  dritte  Ausgabe)  mit 
Utebischen  auf  den  Vorgang  bezüglichen  Distichen,  ein  Blatt  mit  einer  Erdgöttin  und  Dar- 
bringenden, ein  zweites,  auf  der  die  Königin  dem  Opferzuge  Halt  gebietet,  ein  drittes  das 
tyfer  der  Leto  mit  Tiresias.  Ein  viertes  Blatt  in  grossem  Format  mit  der  Unterschrift 
Niobbe  stellt  den  Untergang  selbst  dar,  Apollo  und  Diana  von  den  Wolken  aus  schiessend, 
»echs  Rosse,  Söhne  und  Töchter  und  Niobe  unter  einem  Baume  sitzend  ein  Kind  im  Schooss 
deckend.    Blatt  fünf  zeigt  Leto  klagend  vor  Apollo  und  Diana. 

2)  Burckhard,  Cicerone  S.  293;  Vasari  Leben  der  ausgez.  Maler.  111.  2.  S.  7^f.  der 
deutsch.  Ausg. ;  Lanzi  Stör,  pittor.  II.  p.  *U  sagt  von  Caldara  vi  distinse  in  imitttre  gli 
**Mi  bassirilievi. 

3;  Ich  sah  sie  durch  die  Güte  des  Besitzers  im  August  1^1»  I.  Sie  enthält  fünfzehn  Per- 
sonen, sechs  Söhne,  davon  vier  mit  Bossen,  vier  Töchter,  drei  Pädagogen,  den  das  Schild 
erhebenden  Amphion.  Vgl.  unten  den  Abschnitt  über  die  Keliefs. 

4)  Ein  Stich  von  Ossenbek  existirt  davon. 

5;  Mir  liegen  die  Ausgaben  vor  von  1577,  1591,  von  Iti02  in  Paris  per  Claud,  Mitwem 
JurixotwtUum;  ebenso  die  deutsche  Uebersetzung  von  15G0. 


1 2  Einleitung. 

Idealbildimg  seiner  Kopfe  die  Niobidenköpfe  nützte1),  welcher  da«  Motiv  der 
einen  Tochter  mit  gebauschtem  Gewand  direkt  auf  eine  Höre  in  seinem  be- 
rühmten Deckengemälde  der  Aurora  im  Gartenhaus  Rospigliosi  anwandte. 
Die  französische  akademische  Schule  des  Lebrun  hat  den  Stoff  selbst  male- 
risch behandelt,  unter  dem  Einfluss  der  Antike  in  einem  Bild  des  Francois 
de  Troy  aus  Toulouse  (HM 5  — 1730)  zu  Montpellier  in  der  Galerie,  und  einem 
des  Francois  Verdier  (1051  — 1730)  im  Museum  zu  Orleans.  Ein  anderer 
jüngerer  Schüler  des  Lodovieo  Caracci,  Alessandro  Algardi  (1508  — 1654) 
bildete  bewunderte  Niobidenköpfe  (nach  Heyne  Vorles.  S.  SSO  solche  bei 
dem  Grafen  Walmodcn)  und  seine  weiblichen  Idealköpfe  stehen  unter  dem 
Einfluss  der  Niobidentöchter2). 

Die  medieeische  Gruppe  wurde  sofort  nach  ihrer  Auffindung  von  Jo. 
B  a  pst.  de  ( '  a  v  a  1  c  r  i  i  s  im  Antiquarum  staUiarum  urbis  Romae  I.  et  II.  liber. 
A.D.  I5S5.  t.  0  — 11),  dann  von  Perricr  in  seinen  Scgmenta  nobil.  signor.  et 
stadtar.  Rom  103S  t.  33-30.  5S  — 00.  S7  abgebildet.  J.  J.  de  Rubeis 
(Insign.  sUUuar.  urbis  icones.  Romae  101 5)  t.  05,  J.  Episcopius  [Signor,  vet. 
icones.  1030)  mit  trefflichen  hollandischen  Zeichnern,  t.  0.  7.  33,  J.  Ulr.  Kraus 
(Signor.  vvler.icofies.  Aug.  VindeL  1000)  t.  1.  5.  1  1,  Domen,  de  Rossi  in  der 
von  Maffei  mit  Erklärungen  versehenen  HaccoUa  di  staute  andche  e  moderne. 
Rom  1501.  t.  32.  33  gaben  nur  einzelne  ausgewählte  Statuen  aus  jener  Zahl. 
Aus  Perrier  entnahm  Montfaucon  in  seiner  Antiquitc  expliquee  (II.  Ausg. 
Paris  1722)  t.  I.  pl.  55.  p.  207  f.  die  Zeichnung.  Auf  einem  landschaftlichen 
Hintergrund  sind  die  Statuen  in  die  Tiefen  acht  berninesk  malerisch  gruppiit; 
Niobe  selbst  in  der  Mitte  am  höchsten  und  entferntesten;  Apollo  und  Diana 
in  den  Lüften  fehlen  nicht.  Die  Erklärung  dazu  giebt  nur  eine  Anzahl  my- 
thologischer Notizen  und  den  kurzen  Ausdruck :  c'est  un  des  plus  beaux  restes 
d'antiquitcs  qtCil  y  ai(  ä  Romc.  Genauer  äussert  er  sich  im  Diarium  italicum 
1702.  p.  230:  in  horlo  parvum  aedificium  exs(a(  locandae  Niobes  historiae 
paratum  ;  nihil  figuris  hisce  elegantius,  eae  non  corporeos  modo  habitus  molus- 
que  sed  etiam  affectus  animi  doloris  formidinis  furoris  variis  in  vultibus  ex- 
primunt,  cetera  fieta.  An  einer  andern  Stelle  p.  130  erwähnt  er  zuerst  den 
Fundort  der  Statuen  aus  einer  Stelle  in  dem  Manuscript  des  1591  noch  leben- 
den Bildhauers  und  eifrigen  Antiquars  Flaminio  Vacca,  dessen  wir  in  der 
Untersuchung  genauer  gedenken  müssen. 

Wie  die  beginnende  ästhetische  Reiseliteratur  die  Niobidengruppe  auf- 
fasste,  zeigt  uns  Richardson 3)  in  ganz  interessanter  Weise ;  er  macht  recht 
gute  Einzelbemerkungen ,  der  Massstab  der  Heurtheilung  liegt  für  ihn  im 
Laocoon,  Gladiator,  Hercules  Farnese,  der  medieeischen  Venus. 


1)  Kugler,  Gesch.  der  Malerei.  II.  S.  300. 

2)  Als  ,, Kunstschänder**  in  der  Restauration  bezeichnet  ihn  Martin  Wagner  im  Kunst- 
blatt (IS.'iii.  S.  220),  ich  weiss  nicht  mit  welchem  Rechte. 

'S)  Description  de  diverses  tablcaux  dessins  statttes  qui  sc  trouvent  en  Italic.  T.  III.  p.  202  ff. 


Der  jetzige  Stand  der  Forschung.  13 

Speiice,  dieser  so  bedeutsame  Vorläufer  Wiiikelmaims  in  der  künst- 
lerischen Auffassung  der  antiken  Werke  und  ihrer  wechselseitigen  Beziehung 
zu  der  antiken  Poesie  hat  in  seinem  jetzt  ganz  vergessenen,  aber  immer  noch 
interessanten  Werke  Polymetis1)  S.  90—99  die  Niobidengruppe  in  Bezug  auf 
Perriers  Anordnung  behandelt.      Seine   Bemerkungen  über  das  Fehlen  der 
beiden  Gotter ,  über  sonstige  Unterschiede  von  Ovids  Erzählung,  über  den 
Kunstwerth  einzelner  Statuen,   dann   vor  allem   seine  Itadeiikcn  gegen  die 
Krcisaufst eilung  Perriers,   während   eine  Anordnung   auf  einer  Linie  auch 
mehr  im  Sinne  der  Alten  sei,  behalten  noch  heute  ihre  Wahrheit.    Er  macht 
schliesslich  den  Vorschlag,  die  Pariser  Akademie  möge  als  Preisaufgabe  die 
Frage  stellen,  welcher  Platz  für  jede  Figur  in  der  Gruppe  nach  ihrer  Eigen- 
tümlichkeit beabsichtigt  war. 

Alit  Winkelmann  (1717 — 176  S)  beginnt  auch  für  die  Niobedarstellung 
erst  die  nachhaltige  ästhetische  und  archäologische  Würdigung.  Er  hat  zwar 
eine  Ausscheidung  einzelner  Statuen  aus  der  medieeischen  Gruppe  noch 
nicht  vorgenommen,  er  rechnet  das  Pferd  noch  dazu,  aber  er  spricht 
die  Zugehörigkeit  der  Kingcrgruppe  nur  als  eine  durch  die  gleiche  Oert- 
lichkeit  des  Fundes  zunächst  veranlasste  Vcnmithung  aus2),  er  hebt  die  Ver- 
schiedenheit der  Arbeit  an  einzelnen  Statuen  der  Gruppe  hervor3),  er  kennt 
I  einzelne  Wiederholungen  von  Statuen  schon  in  Rom,  er  lässt  die  Frage  offen, 
I  ob  wir  hier  das  von  Plinius  gerühmte  Original  eines  Skopas  oder  Praxiteles 
wirklich  besitzen,  oder  eine  Copie  und  zwar  von  verschiedenen  Händen  vor  uns 
haben.  Ihm  ist  das  innere  Wesen  der  dargestellten  Seelenzustände,  die  Natur 
der  Träger  derselben  aufgegangen  und  mit  meisterhaften,  für  alle  Zeit  klas- 
«Hchen  Worten  schildert  er  diese  gegenüber  dem  grossen  pathetischen  Werke 
desLaocoon4)  ,,Niobe  und  ihre  Kinder  sind  und  bleiben  ihm  die  höchste 
Idee  der  Schönheit",  Musterbilder  des  hohen  Stiles  griechischer  Meister,  der 
hohen  himmlischen  Grazie5).  Und  gewiss  hatte  Winkelmann  ein  Recht,  dies 
*u  sagen,  da  ihm  noch  keine  Parthenoiisculpturen  bekannt  waren.  Erweist 
dies  nach  in  einer  Reihe  feinsinniger  Bemerkungen  über  Bildung  einzelner 
Theile,  besonders  des  Kopfes,  über  Hehandlung  der  Haare,  der  Hände,  der 
Gewänder.  Mit  diesem  Begriff  des  hohen  Stiles  wendet  er  sich  zur  Beant- 
wortung der  Frage,    ob   die  Gruppe  Skopas  oder  Praxiteles  zuzuschreiben 


i 


lj  Polymelie  or  an  enqtiiry  concerning  (he  agremeiU  hettrevn  the  works  of  the  romait  poets 
•• *he  remaifts  of  the  ancient  artists  hviny  an  attempt  to  i Uns  träfe  them  mutually  from  one 
*t*h$r.  (In  lo  Büchern).  Ed.  I.  1747.  Kd.  11.  London,  Duclley  1755.  Auf  p.  111  gute 
Abbildung  der  Niobe  mit  Tochter. 

2)  Text  zu  Denkm.  d.  Kunst  des  Alterth.  p.  s<).  Tbl.  VIII.  S.  35  in  derDonauösch.  Ausg. 

3)  Gesch.  d.  Kunst.  Bd.  IX.  Kap.  2.  §  2<>. 

4)  Gesch.  d.  K.  Bd.  V.  K.  3.  g  13.    Vorl.  Abhdl.  von  d.  Kunst  d.  Griechen.  K.  4.  §  33. 
5,  Gesch.  d.  K.  Bd.  V.  K.3.  g  13.  Bd.  VIII.  2.  §  10. 


1 4  Einleitung. 

sei  und  während  er  hier  eine  Entscheidung  trifft1),  die  hi.s  in  die  neuesten 
Zeiten  die  bedeutendsten  Archäologen  und  Kunstkenner  (ich  hebe  vor 
allem  die  feiueu  .Bemerkungen  von  Waagen  hervor;2)  auf  ihrer  Seite  hat,  sucht 
er  an  einem  anderen  Exemplar  eines  Niobekopfes  die  Kunst  des  Praxiteli- 
sehen  Stiles  der  des  Skopas  gegenüber  zu  stellen. 

Neben  den  Statuen  hat  Winkelmann  zuerst  die  Relief bildungen  der 
Niobesage  ins  Auge  gefasst  und  zu  dem  von  ihm  in  den  Monumenti  inediti 
t.  b\)  herausgegebenen  Sarkophagrelief  der  Villa  Borghese  zwei  andere  in 
nähere  Yerglciehung  gestellt3). 

An  Winkelmann  sich  anschliessend,  von  seinem  l'rtheil  wesentlich  be- 
dingt, seine  Bemerkungen  ergänzend  und  berichtigend  sind  die  Arbeiten  des 
folgenden  halben  Jahrhunderts  für  die  archäologische  Auffassung  der  Niobe*) . 
Die  Versetzung  der  Gruppe  und  ihre  Aufstellung  in  den  Uffizj  zu  Florenz 
veranlasste  die  Arbeit  von  Fabroni,  dem  Curator  der  Universität  Pisa  und 
Prinzenerzieher :  dissertazione  sullc  slatue  appartenenti  alla  favola  di  Niobe. 
Firenze  1 779.  Sie  ist  für  uns  durch  die  darin  aus  dem  medieeischen  Archiv  ver- 
öffentlichten Documente  über  Fund  und  Erwerbung  der  Statuen,  sowie  durch 
Abbildung  und  JSeschreibung  der  einzelnen  Statuen  mit  ihren  Ergänzungen 
unschätzbar,  die  wissenschaftlichen  Fragen  sind  nicht  weiter  gefördert,  im 
Gegen theil  ist  durch  unmittelbaren  Anschluss  an  Ovids  Schilderungen  eher 
hinter  Winkelmann  zurückgegangen.  Interessant  sind  die  zwei  Briefe,  welche 
Raf.  Meng  $  an  Fabroni  als  Erwiderung  auf  die  Schrift  an  diesen  gerichtet 
hat5).  In  feiner  Weise  tadelt  er  lobend  die  Art  und  Weise  des  Schriftstellers, 
als  ,,die  beste,  um  Dinge,  welche  grossen  Herren  angehören  und  den  Reifall 
des  Publikums  bereits  erhalten  haben,  zu  beschreiben",  er  bezeichnet  sie  als 
Lobrede.  In  kurzen  Bemerkungen  widerspricht  er  Beobachtungen  Winkel- 
manns; er  selbst  hält  die  medieeischen  Statuen  ,,für  Copieen,  welche  nach 
bessern  griechischen  Originalen  gefertigt  sind,  obgleich  das  Verdienst  der 
Meister  an  denselben  sehr  verschieden  ist",  er  behauptet  ferner,  ,,dass  sie  in 
schlechtem  Zeiten  restituirt  und  theilweise  neu  gemacht  sind,  woher  sich  auch 
die  grosse  Ungleichheit  der  Arbeit  und  ihrer  Theilc  erklären  lasse".  Wir 
besitzen  überhaupt  nach  Mengs  nicht  Originalwerke  der  berühmtesten  grie- 
chischen Meister. 

Im  Wesentlichen  in  dem  Kreise  der  Ansichten  und  Beobachtungen  Win- 


1)  Gesch.  d.  Kunst.  Bd.  IX.  2.  §  20—30. 

2j  Kunstwerke  und  Künstler  in  England  u.  Paris.  III.  S.  1 11  ff. 

\\,  Text  zu  d.  Denkm.  d.  K.  d.  Alterth.  Th.  VIII  S.  234  ff. 

4;  Einer  der  Ersten,  die  in  Winkehnanns  Sinne  auf  Niobe  als  das  Werk  der  höchsten 
Schönheit  hingewiesen,  ist  der  deutsche  Uebersetzer  von  Daniel  Webb,  Untersuchung  des 
Schönen  und  Malerischen.  Zürich  I7W».  p.  Vlllff. 

5)  R.  Mengs  sämratl.  hinterl.  Schrift,  herausgeg.  v.  Schilling.  Bonn  1S44.  II.  S.  110 
—123. 


Der  jetzige  Stand  der  Forschung.  15 

kelmaims  und  Fabroiiis,  bald  mehr  bewundernd,  bald  die  einzelnen  Statuen 
schärfer  kritisirend,  halten  sich  die  folgenden  Archäologen,  so  Lanzi,  Fea1), 
so  Heyne  in  verschiedenen  Auslassungen2;,  so  dessen  Schüler  J.  Ph.  Sie- 
benkees3).  Ein  anderer  Schüler  Heynes,  F.  W.  IL  v.  Kaiudohr ,  hat  in  sei- 
nem Werke  über  Malerei  und  Bildhauerarbeiten  in  Rom 4)  eine  scharfe  und 
genaue  Besprechung  der  einzelnen  Statuen  dieser  „mit  so  vieler  Parteilichkeit 
beurtheilten"  Gruppe  gegeben,  Ungehöriges  richtig  ausgeschieden;  er  lässt 
sieh  auch  auf  eine  bis  dahin  noch  nicht  erörterte  Frage  ein,  auf  die  Art  der 
Anordnung  zu  einer  Gruppe ;  er  nimmt  die  Aufstellung  an  einer  Wand 
an,  aber  in  wunderlicher  Weise  nicht  in  einer  Linie,  sondern  entsprechend 
den  römischen  Basreliefs  mit  dem  Vorschieben  einzelner  Figuren  ganz  in  den 
Vordergrund,  anderer  in  den  Mittelgrund,  der  todte  Sohn  wird  z.  B.  vor  der 
Mutter  liegend  gedacht.  Diese  Anordnung  Ramdohrs  hat  auch  K.Levezow 
in  seiner  so  verdienstlichen  und  auch  noch  heute  mit  Nutzen  zu  lesenden  Ab- 
handlung über  die  Familie  des  Lykomedcs  in  der  K.  Prcussischen  Antiken- 
sammlung (Berlin  IS04)  wesentlich  angenommen,  indem  er  die  Niobegruppe 
als  entschieden  nicht  auf  einer  Basis  stehend,  mehr  der  gesellschaftlichen  als 
dramatischen  Form  sich  nähernd  auffasst;  wir  verdanken  ihm  zugleich  eine 
glückliche  Heranziehung  einer  Statue  jenes  Berliner  Statuenvereins  zu  den 
Niobiden  6) . 

Dagegen  zweifelte  H.  Meyer6) ,  dessen  Beschreibung  und  künstlerische 
Würdigung  der  einzelnen  Statuen,  sowie  Angabe  der  ergänzten  Theile 
bleibenden  Werth  für  uns  hat,  daran,  dass  diese  Statuen  jemals  eine  Gruppe, 
d.  h.  ein  künstlich  zusammenhängendes,  auf  einmal  zu  übersehendes  Ganze 
ausgemacht  haben,  er  meinte,  dass  sie  in  einem  halbrunden  oder  runden 
Tempel,  an  der  Wand  umher,  oder  in  Nischen  wahrscheinlich  ohne  ein  ma- 
lerisches Ganze  zu  bilden  aufgestellt  waren. 

Inzwischen  ward  die  Zahl  der  die  Niobe  und  ihre  Kinder  darstellenden 
Denkmäler  bedeutend  vermehrt :  ausser  Köpfen  und  Statuen,  die  in  Rom 
selbst  vor  allem,  in  Dresden,  Wien,  München,  Berlin,  England  auftauchten, 
welche  am  vollständigsten,  freilich  nur  relativ  vollständig  und  mit  Ungehöri- 
gem verbunden  bei  Clarac 7)  gezeichnet  sind,   sind  vor  allem  die  R  e  1  i  e  f  s 


lj   Lanzi,  Anmerkk.  zur  italienischen  Uebersetzung  Winkelmanns;   Fea,  Miseell.  filo- 
log.  I.  p.S5ff. 

2)  Handbuch  d.  Archäologie.  Bd. II.  Isoo.  S. :*«« — 370. 
Akad.  Vorles.  über  Archäol.  d.  Kunst.  S.  371  — 3bl . 

3)  Antiquar.  Aufs.  I.  S.  235,   Observationes  ad  Apollodori  bibliothecam .    p.  23$ — 241, 

4)  Leipzig  17S7.  II,  S.  137— 117. 

5)  S.  30  f.  60  f. 

6}  Propyläen.  1799.  Th.  II.  St.  1.  S.  49— 91.  St.  2.  S.  123-140;  Böttigers  Amalthea  I. 
S.  371— 3*»S;    Gesch.  d.  bildend.  Künste  bei  d.  Griechen.  I.  S.291.  Taf.  22. 
7;  Mus.  desculpturc.  III.  IV.  pl.  323.  5*1—590. 


]  g  Einleitung. 

eine  für  die  Kcuntniss'des  Ganzen  wesentliche  Bereicherung,  so  aus  Palazzo 
Rondanini  bei  Guattaiii1),  in  Villa  Albani,  im  Museum  Chiaramonti  bei 
Zoega2),  im  Vatican3)  und  in  Wiltonhou.se  bei  Salisbury  nach  .1.  Kennedy4). 

Der  Einfluss  der  von  Winkelmann  so  hoch  und  begeistert  gepriesenen 
Gruppe  zeigte  sich  auch  praktisch  in  deutscher  Poesie  und  Malerei.  Wir  be- 
sitzen vom  Maler  Müller  ein  lyrisches  Drama  Niobe,  Mannheim  177S  er- 
schienen, aber  in  ihm  tritt  nirgends  eine  Benutzung  der  feineren  Züge  des 
Mythus,  nur  ein  dunkles  Verstiindniss  fiir  seine  Urbedeutung  hervor.  Dass  es 
gerade  Neptun«  Enkel  und  Enkelinnen  sind,  die  mit  Niobekindern  verlobt  er- 
scheinen, ist  nicht  unpassend.  Der  Maler  Friedrich  Uehberg  [175S  — 
is:t:>),  in  Rom  ganz  in  dem  von  Winkelmann  und  Mengs  Bestrebungen  und 
Urtheilc  bestimmten  Kreise  eines  Azara,  Reiffenstein  u.  A.  lebend  und  der 
Antike  zugewandt,  machte  im  Wetteifer  mit  Davids  Brutus  Niobe  zum  Ge- 
genstand seines  ersten  grossen  Gemäldes ;  er  hatte  aus  Homer  das  Lokal,  aus 
Ovid  die  Situation  entnommen,  in  einzelnen  Gestalten,  so  in  der  des  Päda- 
gogen mit  dem  Jüngsten  tritt  das  Studium  der  Gruppe  hervor5).  Durch  einen 
Kupferstecher  wie  Hause  wurden  einzelne  zu  der  Niobegruppe  gehörige 
Köpfe  meisterhaft  gestochen. 

Dem  ausserordentlichen  ästhetischen  und  kunsthistorischen  Fortschritt, 
den  Winkelmann  für  die  Niobedarstellungen  begründet,  geht  ein  entsprechen- 
der literarhistorischer  und  mythologischer  noch  nicht  zur  Seite.  Allerdings 
ist  es  wichtig,  dass  man  von  der  einfachen  Anwendung  der  ovidischen  Schil- 
derung auf  die  griechischen  Quellen,  auf  Homer  schon  mehr  zurückgeht, 
aber  man  hat  dabei  neben  „der  Willkür  der  Tragiker  in  der  Behandlung  des 
Stoffes*'  nur  Interpolationen  und  Vermeidungen  verschiedener  mythischer 
Personen  auf  äusserliche  Weise  im  Auge,  so  Heyne1').  Die  astronomische, 
die  ganze  griechische  Götter-  und  Heroensage  auf  Gestimbeobachtungen  und 
Jahresrechnung  zurückführende  Erklärungsweise,  die  Dupuis  auf  alle  alten 
Religionen  anwandte,  M.  G-  Ilerrmann  für  die  griechische  (Handb.  d.  ganzen 
Mythol.  I7S7)  durchführte, hat  noch  spät  in  Steinbücheis  AbrissderAlter- 
thumskunde7)  an  Niobe  sich  versucht:  ,, Niobe  ist  das  »Jahr,  Sonne  und  Mond 
tödten  durch  ihren  wechselnden  Umlauf  ihre  Kinder,  die  zwölf  Monate,  diese 


\)  Memoric  I7S7.  Decb.  p.  01.92.  tnv.  '\. 

2)  Rassiril.  t.  10-1. 

.**;  Museum  Pio-Clementinum  IV.  17. 

1)  Descript.  of  tho  antiquit.  and  curios.  in  Wiltonhotisc  1  7l>9.  p.  KM.  M>3.  und  in  Ro- 
keby  nach  Dallaway  Antidotes  of  the  art.x  in  England,  p.  .'t^s. 

5}  Vgl.  Nagler  Künstlerlexikon  Art.  Rchberg,  ein  fliegendes  Blatt :  Professor  Reh- 
bergs Ausstellung. 

6)  Observatt.  in  Apollod.  p.  23S  f. 

7)  Wien  1S29.  S.276. 


Der  jetzige  Stand  der  Forschung.  1 7 

bleiben  durch  9  Tage,  um  welche  das  Jahr  durch  Einschaltung  verlängert 
wird,  unbeerdigt  und  die  Mutter  erstarrt". 

Die  grossen  Entdeckungen  auf  dem  i Joden  Griechenlands,  die  Par- 
thenonsculpturen,  die  Aegineten,  der  Fries  von  Phigalia  gaben  einerseits 
den  Anstoss  zu  einer  neuen  fruchtbaren  archäologischen  Behandlung  unseres 
Gegenstandes,  auf  der  andern  Seite  waren  es  die  kritischen  und  literar- 
historischen Arbeiten  über  das  griechische  Epos  und  die  Tragiker,  die 
für  die  Entwicklung  des  Mythus  erst  Grund  und  Boden  geschaffen  und 
zugleich  den  Einfluss  der  dichterischen  Vorbilder  auf  den  bildenden  Künst- 
let uns  nahegeführt  haben.  Interessante  und  in  der  Gattung  wie  in  der  Com- 
positum eigentümliche  Funde  bereicherten  zugleich  unsere  Kenntniss  der 
verschiedenen  künstlerischen  Auffassungen  auf  das  bedeutendste.  Reisen  in 
Kleinasien  sicherten  das  so  hochalterthümlichc  Bild  der  Niobe  am  Berge 
Sipylos  gegen  alle  Zweifel  und  gaben  zuerst  eine  Anschauung  davon.  End- 
lich hat  die  mythologische  Forschung  in  dem  Zusammenwirken  zweier  an- 
fangs gegensätzlich  sich  stellenden  Richtungen  auf  die  lokalen  und  stammes- 
gemässen  Ursprünge  der  Sage  und  auf  die  tiefeu  und  gemeinsamen  religiö- 
sen Naturerscheinungen  einer  Urzeit  eine  richtige  und  allseitige  Erfassung 
des  Mythus  angebahnt,  wenn  auch  noch  nicht  gegeben.  So  sind  denn  die 
Fragen  vielseitig  gestellt,  im  Einzelnen  schon  gründlich  behandelt  worden, 
die  wir  in  ihrem  vollen  Zusammenhang  zu  behandeln  gedenken. 

Der  englische  Architekt  C ockereil,  aus  Griechenland   und   von  der 
t  Entdeckung  der  Aegineten  zurückgekehrt,  gab  im  J.  1 S 1  CS  in  Rom  ein  gros- 

ses Blatt  heraus  mit  dem  Giebelfeld  eines  dorischen  Tempels  und  der  Ein- 
otdnung  der  Niobidengruppc  von  Florenz  in  denselben,  dedicirt  an  Bartholdy, 
der  zuerst  die  Idee  dazu  ihm  an  die  Hand  gegeben.  Kurze  Bemerkungen 
rind  beigefugt  zur  Erläuterung,  die  die  Berechnung  der  Gruppe  für  einen  Au- 
genpunkt, für  einen  Anblick  mehr  von  unten,  ihre  Ausarbeitung  wesentlich 
•n  der  Vorderseite ,  die  absteigenden  Grössenverhältnisse  hervorheben,  und 
sogleich  die  Zahl  zwölf  für  die  Kinder  aus  Homer  entnehmen.  Die  Ecken 
wurden  für  Ortsgotthciten  allenfalls  leer  gelassen.  Damit  war  ein  wichtiger 
und  fruchtbarer  Grundgedanke  zuerst  ausgesprochen ,  dass  es  sich  um  die 
künstlerische  Einheit  einer  grossen  dramatischen  Gruppe  handele,  dass  die 
Bedeutung  und  der  Werth  der  einzelnen  Statuen  zunächst  an  dieser  Ge- 
sammtidee  bemessen  werden  müsse.  Dieser  Grundgedanke,  aber  auch  die  be- 
stimmtere Fassung  als  Gicbelgruppe  fand  ihren  ebenso  beredten  wie 
feinsinnigen  und  besonnenen  Verkünder  in  A.  W.  v.  Schlegel  durch  seinen 
Aufsatz:  de  la  composition  originale  des  statues  de  Niobe  et  de  ses  enfans 
feuille  gravee  par  C.  R.  Cockerell  in  der  Bibliothdque  universelle  de  Geneve*). 
Dieser  Aufsatz   erschien   auch   in  deutschen  und  italienischen  Zeitschriften 


1)  T.  111.  Litterature.  Genhte  1S2Ö.  p.  109— -132. 
Stark,  Niobe. 


18  Einleitung. 

ganz  oder  im  Auszug1).  Durch  Schlegel  wurde  der  CockerelPsche  Entwurf 
wesentlich  gereinigt  von  Ungehörigem  und  durch  eine  Nebengruppe  berei- 
chert .  Die  allgemeinen  Fragen  über  die  nur  relative  Hedeutungder  Florentiner- 
Gruppe,  über  Originalität  undCopien  wurden  besonnen  behandelt.  Im  Jahre 
1817  trat  Welcker  unabhängig  von  dem  bereit*  Veröffentlichten  mit  dem 
gleichen  Gedanken  einer  Composition  als  Giebelgruppe  auf2).  Bei  Italienern 
und  Franzosen  fand  der  Gedanke  entschiedenen  Heifall.  Zannoni,  der 
Herausgeber  und  Erklärer  der  Statuen  in  der  Galeria  di  Firenze3)  bekannte  sich 
im  zweiten  Theile  des  Werkes  Taf.  74.  75.  p.  87  —  94  und  in  einem  besondern 
Abdruck  mit  Abbildung :  le  statue  de  IIa  favola  di  Niobe  nella  I.  et  R.  Gate- 
ria  di  Firenze  1821  entschieden  dazu,  mit  einer  sehr  glücklichen  Bereiche- 
rung um  eine  Statue  auf  Thorwaldsens  Vorschlag ;  ebenso  Inghirami4)  ; 
N  i  b  b  y  ging  in  seinen  Onaertazioni  artistieo-antiquarie  sopra  la  statua  vol- 
y armen te  appellata  il  yladiator  moribondo  so  gar  soweit,  anzunehmen,  dass  in 
den  Giebelfeldern  des  palatinischen  Apollotempels  die  Niobiden  und  eine 
Gallierschlacht,  zu  der  jene  Statue  gehören  sollte ,  sich  entsprochen  hätten, 
mit  falscher  Auffassung  einer  lateinischen  Dichterstelle.  Unter  den  Franzo- 
sen sprachen  sich  QuatremeredeCJuincyR),  RaoulRochette6),  L  e  - 
n  o r  m  an  t7) ,  G  u  i  g  n  i  au  t h)  dafür  aus. 

Dagegen  trat  der  Bildhauer  J.  Martin  Wagner,  mit  dem  in  der  Ne- 
gation Thorwaldsen,  wie  aus  gelegentlichen  Aeusserungen  sich  ergiebt,  und 
auch  der  treffliche  Kenner  der  Antiken,  Emil  WolfP) ,  ganz  übereinstimmte10), 
mit  voller  Entschiedenheit  auf.  Seine  Abhandlung  wurde  bereits  im  Kunst- 
blatt 1S24.  p.  1)3  in  einer  Anmerkung  angekündigt,  erschien  aber  erat  eben- 
daselbst 1S30.  n.  51—63  unter  dem  Titel:  ,,Ueber  die  Gruppe  der  Niobc 
und  ihre  ursprüngliche  Aufstellung"..  Durch  Wagner  wurden  die  bereits  von 
Schlegel  bezeichneten  Statuen  aus  der  Florentiner-Gruppe  mit  treffenden  künst- 
lerischen Gründen  ausgeschieden,  dagegen  tritt  er  in  auffälligster  Weise  für 
andere  Hcstandtheile  der  älteren  traditionellen  Aufstellung  wieder  als  Schützer 
ein ;  ja  er  glaubt  die  Gruppe  durch  die  zwei  Götter  und  Anderes  noch  erwei- 


1)  Kunstblatt  lsl 7.  8t.  13  ;  Isib  von  Oken  1  Sl 7.  p.  S6 — SS.  Miliin  Annales  encyloped. 
1*17.  I.  p.  141 ;  Giom.  Enciclop.  di  Xapoli  T.  II.  1SI7.  Aprile;  Memor.  sulle  antiehitä  e 
belle  arti  di  Koma  IS17.  Apr-Ott.  p.  77.  t.  12. 

2)  Zeitschr.  f.  a.  Kunst.  1S1 7.  St.  2.  S.  205  f.  St.  3.  S.  5S9. 

3)  Scr.  IV.  l.tav.  1  —  15.  p.  I— 31. 
1)   Galeria  Omerica  t.  240.. 

5)  Lettres  a  Mr.  Canova. 
ü;  Monum  ined.  p.  315.  Not.  2,  Addit.  p.  527. 
7)  Bull.  d.  inst.  arch.  1*32.  p.  147. 
s)  Kelig.  de  l'antiquite  IV.  1.  p.  330  ff. 
0)  Bull.  d.  i.  di  corr.  areheol.  1*43.  p.  91. 
10)  v.  Mitzowski  in  Zeit.  f.  d.  eleg.  Welt  1830.  p.  47. 


Der  jetzige  Stand  der  Forschung.  19 

teni  zu  müssen.  Gegen  die  Giebclanordnung,  eine»  Hypothese,  die  eine  ver- 
führerische Aussenseite  habe,  von  der  er  sieh  aber  niemals  habe  völlig  über- 
zeugen können,  macht  er  einzelne  sehr  triftige  künstlerische  Einwendungen ; 
allerdings  will  er  die  Gruppe  nicht  wieder  in  schöne  einzelne  Statuen  auf- 
lösen, nein  sie  bildet  ihm  ein  zusammenhängendes  Ganze,  eine  dramatische 
Handlung,  eine  Art  theatralische  Darstellung,  sie  ist  ihm  nicht  blos  ein  Werk 
architektonischer  Verzierung,  er  versucht  es  sie  in  einer  halbrunden  Aufstel- 
lung mit  einzelnen  frei  vortretenden  Statuen  in  einem  den  Tempel  umgeben- 
den Temenos  anzuordnen.  Fr.  Thiersch1)  erklärte  sich  mit  der  negativen 
Seite  der  Wagnerschen  Ansicht  wesentlich  einverstanden.  A  n  s  e  1  m  Feuer- 
bach hat  in  der  Reihe  seiner  archäologisch  -  ästhetischen  Betrachtungen 
über  den  vatikanischen  Apollo  (I.  Aufl.  IS33.  II.  Aufl.  IS55)  die  Niobiden- 
gruppe  von  den  verschiedensten  Gesichtspunkten  zum  Vergleich  herangezo- 
gen"f),  er  geht  vor  allem  von  der  Frage  aus,  ob  der  Apollo  zur  Gruppe  gehört 
haben  könne.  Ihm  ist  sie  ein  Werk  des  Skopas,  die  Florentiner  Statuen 
sind  theils  Originale,  theils  zuverlässige  Copieen  (S.  221),  mit  unbefangener 
Ruhe  mustert  er  die  verschiedenen  Gesammtauffassungen  durch,  ihm  bilden  sie 
aber  eine  für  Einen  Augenpunkt  berechnete  Gesammtgruppe,  die  Aufstellung 
im  Giebel  scheint  ihm  nach  inneren  und  nach  formalen  Gründen  wahrschein- 
lich, er  findet  aber  die  rechte  Seite  der  Cockerellschen  Restauration  durchaus 
ungenügend.  Er  hat  zuerst  und  mit  besonderer  Vorliebe  die  Wirkung  dramati- 
scher Vorbilder  an  den  Sfatuen  betont  und  erklärt  die  Niobe  für  die  des 
Aeschylus.  Kapp8)  schliesst  sich  an  Feuerbach  wesentlich  an,  er  billigt  die 
wesentlich  trianguläre,  starkgebrochene  Linie  der  Aufstellung,  aber  nicht  die 
Aufstellung  im  Giebelfelde.  Otfried  Müller  hat  mit  feinem  Takt  im 
Handbuch  der  Archäologie  §  120,  in  der  Anordnung  der  Statuen  auf  Tafel 
XXXIII.  XXXIV.  der  Denkmäler  der  alten  Kunst  nebst  dem  Text,  endlich 
in  dem  Jahresbericht  in  der  Halleschen  Allgem.  Literaturzeitung  1835.  p.  108. 
8.236 — 238  die  ihm  sicheren  Resultate  in  der  Auschcidung  von  Statuen  und 
Einfügung  anderer,  in  der  Anerkennung  kleinerer  Gruppen  in  der  grossen 
und  eine  zweitheilige  in  der  Mitte  gipfelnde  Gesammtordnung  angenommen, 
aber  zu  einer  Giebelaufstellung  oder  der  von  Wagner  gewählten,  oder  sonst 
einer  anderen  seine  Zustimmung  zurückgehalten. 

Da  trat  F.  G.  Welckcr  in  einer  Zunächst  gegen  Wagner  gerichteten 
Abhandlung  im  Rheinischen  Museum  f.  Philologie4)  über  die  Gruppirung 
der  Niobe  und  ihrer  Kinder  für  die  von  ihm  bereits  1817  vertretene  Auffas- 
sung als  Composition  für  den  Giebel  eines  Apollotempels  ein,  und  unterwarf 


1)  Epochen  der  bildenden  KunBt.  Aufl.  2.  S. 31 7  ff.  3<>S— 371. 

2)  S.  142.  143.  107.  174.  21s— 23ti.  341—343.  349  der  I.Auflage. 
3,  Italien.  Berlin  1S37.  S.  125—132. 

4)  N.  F.  1836.  IV.  S.  233—309. 


20  Einleitung. 

die  ganze  archäologische  Frage  von  der  Darstellung  des  Niobeinythus  einer 
Revision  mit  so  umfassender  Gelehrsamkeit,  so  warmem  Gefiihl  fiir  das  einmal 
Erkannte,  mit  so  feinem  Sinne  für  das  Bedeutungsvolle  und  zugleich  wahrhaft 
Künstlerische,  dass  seine  Arbeit  seitdem  der  Mittel-  und  Ausgangspunkt  an- 
derer archäologischen  und  ästhetischen  Behandlungen  geworden  ist.  Sie 
konnte  dies  noch  mehr  werden,  als  sie  im  J.  1849  in  den  alten  Denkmälern1) 
mit  sehr  reichhaltigen,  ja  modificireuden  Zusätzen  erschien,  und  zwar  als 
Schluss  seiner  Abhandlungen  über  die  wichtigsten  Giebelgruppen  der  grie- 
chischen Kunst.  Die  kunstgeschichtliche  Streitfrage  ob  Skopas  oder  Praxi- 
teles der  Urheber  der  Giebelgruppe  sei  zu  entscheiden  hielt  er  bei  unserer 
unzureichenden  Kenntniss  der  Stile  Beider  für  unzulässig.  Durch  Welcker 
wurden  wir  uns  zuerst  der  Fülle  nicht  allein  der  weit  zerstreuten  Wiederho- 
lungen einzelner  Theile  der  Gruppe,  sondern  auch  der  Darstellungen  in  an- 
dern Kunstgattungen  bewusst,  er  hat  für  diese  zuerst  ein  vergleichendes, 
sichtendes  Auge  gehabt.  Ich  habe  damals  versucht  die  Welcker'schen  Dar- 
legungen befreit  von  ihrer  polemischen  und  etwas  fragmentarischen  Form 
gedrängt  darzustellen  in  der  Zeitschrift  f.  Alterthumsw.  1850.  N.  65.  G6. 

Ehe  wir  die  neuem  und  neuesten  ästhetischen  und  archäologischen  Ar- 
beiten verfolgen,  die  unter  dem  Einflüsse  von  Welckers  Arbeit  stehen  und  zu 
einzelnen  Bedenken,  schliesslich  zu  entschiedenen  Zweifeln  an  seinem  Grund- 
gedanken geführt  haben,  müssen  wir  der  so  wichtigen  parallelen  Thätigkeit 
in  der  literargeschichtlichen  Behandlung  des  Mythus  gedenken.  Es  waren 
die  Fragmente  der  Tragödien  des  Aeschylos  und  Sophokles,  die  den  Titel  der 
Niobe  führen,  welche  nun  zuerst  einer  zusammenhängenden,  auf  einer  be- 
stimmten Auflassung  des  Grundgedankens  basirenden  Behandlung  unterwor- 
fen wurden.  Gottfried  Hermann  schrieb  eine  Abhandlung  im  J.  1S23: 
de  Aeschyli  Niobe  dissertatio,  welche  in  seine  Opuscula 2)  aufgenommen  ist 
und  in  seiner  Ausgabe  des  Aeschylos  zu  Grunde  gelegt  ist ;  auch  die  Niobe 
des  Sophokles  und  die  Frage  über  eine  solche  des  Euripides  war  dabei  be- 
handelt. Welcker  versuchte  von  beiden  Stücken  und  zwar  für  Aeschylos 
von  der  ganzen  Trilogie  eine  Reconstruction  in  der  Aeschyleischen  Trilogie  8) 
und  in  den  griechischen  Tragödien  4) ,  D  r  o  y  s  e  n,  an  Welcker  sich  anschlies- 
send in  seiner  Uebersetzung  des  Aeschylos5)  ebenfalls,  sowie  Fritzsche  in 
Rostock  mit  der  Ausbildung  einer  von  Hermann  kurz  hingeworfenen  Ansicht 
über  die  Niobe  des  Sophokles  sich  beschäftigte.  Als  eine  sehr  erfreuliche  Frucht 
dieser  literarhistorischen  Richtung  und  überhaupt  philologischen  Fleisses  und 


1)  Tbl.  I.  S.  209— 314. 

2}  Vol.  III.  p.  37— 5S. 

3)  S.  341—353.  Nachtr.  S.  143. 

4)  I.  S.  2SÜf. 

5)  Berlin  1832.  II.  8.  231—235. 


Der  jetzige  Stand  der  Forschung.  21 

philologischer  Genauigkeit  erschien  im  J.  1836  zu  Wismar  die  Preisschrift 
von  dem  seitdem  zu  früh  verstorbenen  C.  E.  J.  Burmeister  de  fabula  quae 
de  Niobe  e/usque  liberisagit.  94  S.  Der  erste  Theil  hat  mit  grosser  Selbstän- 
digkeit den  literarischen  Stoff  gesammelt  und  systematisch  unter  gewisse  Ge- 
sichtspunkte, die  im  Mythus  auftreten,  geordnet;  der  zweite  behandelt  die 
Auffassung  der  Tragiker,  wie  des  Homer  und  endlich  der  Epigrammatiker; 
der  dritte  Theil  versucht  eine  Ausdeutung  des  Mythus  aus  der  lokalen  Grund- 
lage von  Lydien  und  Böotien  und  findet  sie  in  dem  Gegensatze  des  bakchi- 
schen  und  apollinischen  Glaubenskreises.  Der  archäologische  Gesichtspunkt 
selbst  oder  die  Benutzung  der  Denkmäler  für  den  Mythus  ist  vom  Verf.  ganz 
zur  Seite  liegen  gelassen  und  die  Entwickelungsgeschichte  des  Mythus  nur 
sporadisch  berührt,  als  Aufgabe  kaum  erkannt. 

Nach  Burmeister  ist  bis  jetzt  eine  methodische  und  umfassende  Un- 
tersuchung des  mythologischen  und  religiösen  Gehalts  des  Mythus,  sowie 
seiner  nationalen  und  lokalen  Ursprünge  nicht  geführt  worden ;  allerdings 
macht  Heffter  in  MützelPs  Zeitschr.  f.  Gymnasialwesen  IS 55  den  Anspruch 
darauf  in  einem  Aufsätze  von  fünf  Seiten  (S.  702 — 70B)  unter  dem  Titel  ,,der 
Mythos  der  Niobe"  ,,jede  Einzelheit  im  Mythus  nach  ihrem  wahren  Grund 
aufgestellt  und  das  Verständniss  bis  zur  völligen  Durchsichtigkeit  hergerichtet 
zu  haben**.  Und  was  ist  das  Zauberwort,  das  die  Thore  des  Verständnisses 
erschlossen  ?  Das  Ganze  muss  rein  als  Produkt  der  künstlerischen  Phantasie 
betrachtet  werden,  die  ein  nicht  griechisches  Steingebilde  in  Kleinasien  aus- 
gedeutet hat.  Glückliche,  freischaltende  Phantasie,  die  einem  missverstande* 
nen  Gestein  solchen  Tiefsinn,  solche  Zaubermacht  über  die  grössten  griechi- 
schen Künstler  zu  entlocken  verstand !  Im  vollsten  Gegensatze  dazu  findet 
Furt  wän  gier  in  seiner  Idee  des  Todes  ')  in  der  in  Stein  verwandelten  Niobe 
ein  Bild  der  zur  Strafe  in  den  Grund  der  Materie  versenkten  und  darin  trotzig 
beharrenden  Seele.  Im  Bereiche  ältester  religiöser  Naturerscheinung  suchen 
besonnene  Mythologen  die  Stelle  der  Niobe,  aber  fassen  sie  meist  als  Ilelle- 
nisirung  fremder,  phrygischer  Gottheit  und  ihr  Auftreten  in  den  ältesten 
Sagenkreisen  von  Argos  z.  B.  als  späteres  Einschiebsel  durch  den  Einfluss 
der  Pelopssage;  Schwenck2)  nennt  sie  in  dieser  Beziehung  die  grosse  Le- 
bensmutter, Prell  er8)  die  Rhea  dieser  Berge  und  dieser  Thäler  kleinasiati- 
schen Ursprungs4) .  Gerhard,  über  den  nationalen  Ursprung  sich  nicht  näher 
äussernd5),  stellt  sie  in  den  Bereich  ursprünglicher  Licht-  und  Mondgöttin- 
nen,  als   ,, neues  Licht",   daher  neben  Io6).       In  allerjüngster  Zeit  haben 


1)  Freiburg  1S54.  8.229. 

2)  Rhein.  Mus.  f.  Philol.  N.F.  XL  S.  IS<>. 

3)  Griech.  Mythol.  IL  S.  2H7ff.  der  1.  Auflage. 

4)  I.  S.  409.  IL  S.  25. 

.V   Griech.  Mythol.  §  .H7(i.c. 
6)  §  792.  1 . 


22  Einleitung. 

F.B.W.  Schwanz1)  und  Baehofen2)  gelegentlich  und  in  beachtenswer- 
ther  Weise  sich  geäussert,  jenem  ist  Niobe  eine  Art  Winterkönigin,  Mutter 
der  sieben  winterlichen  Monde,  im  Sommer  als  Regen  sich  manifestirend ; 
diesem  ist  sie  ein  Bild  der  Urmuttcr  Erde. 

Mit  dem  Gewinne  der  Erkennt niss  von  der  Bedeutung  der  dichterischen 
Durchbildung  des  Mythus  bei  den  zwei  grössten  Tragikern  sind  daher  alle 
neueren  ästhetischen  und  archäologischen  Betrachter  der  Niobegruppe  an 
dieselbe  herangegangen,  deren  Giebelaufstellung  nach  Welckers  Darlegungen 
nicht  mehr  bezweifelt  wurde.  Unter  jenen  nenne  ich  Hob.  Zimmer- 
mann3), der  die  Vereinigung  von  Furcht  uud  Mitleid  mit  und  für  uns  selbst 
als  Ursache  ihres  eingreifenden  Eindruckes  bezeichnet,  und  Trendelen- 
burg. Dieser  machte  die  Sage  und  deren  bedeutendste  uns  erhaltene  Ver- 
körperung ,  die  Gruppe  nach  Welckers  Aufstellung,  aber  ohne  zu  verken- 
nen, dass  wir  uns  ,,auf  dem  Boden  der  Vermuthung"  (S.  6)  befinden  zur 
Grundlage  einer  trefflichen  Darlegung  über  das  Verhältniss  des  Erhabenen 
zum  Schönen4).  Durch  diesen  Vortrag  ist  ein  jüngerer  Künstler,  Wraske 
zu  einer  neuen  malerischen  Composition  mit  angeregt  worden,  einem  Oel- 
bilde,  welches  für  die  Hamburger  öffentliche  Gemäldegalerie  erworben 
wurde.  Von  sonstigen  poetischen  oder  künstlerischen  Behandlungen  der 
Niobesage  in  neuerer  Zeit  ist  mir  nur  eine  Jugendarbeit  von  Pradier,  dem 
begabten  Schüler  der  Griechen  in  jugendlicher  und  weiblicher  Schönheit,  ein 
Niobide  in  Marmor  im  Musee  Luxembourg  aus  dem  Jahre  1820  aus  eigener 
Anschauung  und  ein  Gedicht  aus  der  jungen,  aber  so  isolirten,  zum  ernsten, 
einfachen  Gehalt  und  zu  klassischer  Form  sich  zurückwendenden  französischen 
Schule  eines  Ponsard,  eine  Niobe  von  Leconte  deLisle,  dem  Namen  nach 
bekannt. 

Die  Zahl  der  auf  dem  allgemeinen  kunstgeschichtlichen  Boden  stehen- 
den Periegeten  Italiens,  sowie  der  Verfasser  kunstgeschichtlicher  Handbücher 
ist  natürlich  der  Betrachtung  der  Niobegruppe  und  sonstiger  Niobedenkmäler, 
den  dabei  auftretenden  und  hin  und  her  erwogenen  Fragen  nicht  aus  dem  Wege 
gegangen ;  wesentlich  gefördert  sind  aber  die  Hauptfragen,  soweit  ich  sehe, 
nirgends.  Was  A.  Stahr  in  seinem  Jahr  in  Italien*),  in  seinem  Torso8), 
was  besonders  Emil  Braun  in  den  Ruinen  und  Museen  Roms  an  verschie- 
denen Stellen7),  Burkhardt  im  Cicerone8)  durch  die  Anschauung  neu  An- 
geregtes oder  verständig  Erwogenes  gewähren,  wird  seine  Berücksichtigung 

1)  Ursprung  der  Mythologie.  Berlin  1S60.  S.  106. 

2)  Versuch  über  Gräbersymbolik.  Basel  1S59.  S.  360. 

3)  Ueber  das  Tragische  und  die  Tragödie.  Wien  1  SSO.  S.  7  ff.  und  1 7  ff. 

4)  Niobe.  Berlin  1S46. 

5)  I,  S.  107—111. 
0)  I.  S.  375— 3S5. 

7)  S.  302.  500—503.  511.  630.  0S5.  745. 
S)  Basel  1S55.  S.  504— 50s. 


Der  jetzige  Stand  der  Forschung.  23 

im  Einzelnen  finden.    Hier  sei  nur  Uurkhardts  schliesslich« Grundansicht  her- 
vorgehoben, dass  das  verschwundene  Original  des  Skopas  oder  Praxiteles  als 
eine  Tempelgiebelgruppe  gearbeitet  sei,  dass  dagegen  die  ergänzte  florentiner 
Gruppe,  ein  Werk  römischer  Kunst,  nie  in  einer  Giebelgruppe  zu  vereinigen 
sei,  dass  der  Pädagog  für  eine  zweite  Gruppe  als  Mittelpunkt  von  einem  römi- 
schen Wiederholer  geschaffen  sei,  und  dass  diese  zwei  Gruppen  schwerlich  Gic- 
belgruppen  waren.  An  zwei  Giebelgruppen  mit  Niobe  und  dem  Pädagogen  hatte 
Emil  Braun  gedacht.    Das  Oberflächlichste  und  Unrichtigste,  was  die  neueste 
Zeit  über  diesen  Gegenstand  geliefert,  findet  sich  in  der  italienischen  Reise  von 
Micheie  t1).  Nach  ihm  ,, haben  wir  an  dem  Original  der  Gruppe  schwerlich 
viel  verloren".    Die  florentiner  Statuen  sind  aber  an  der  Porta  Osticnsis2)  (!) 
gefunden,    wo  ein  Tempel  eines  Apollo  Medicus  lag.     Nach  Sehn  aase3) 
ist  kein  Zweifel  an  der  Bestimmung  des  Originals  für  ein  Giebelfeld,  die  er- 
haltene Gruppe  wiederholt  das  Original  durchaus,  ist  es  möglicherweise  zum 
Theil  selbst ;  Niobe  als  die  rührende  und  edelste  Erscheinung  des  Schmerzes 
beschäftigt  den  Verf.  länger.      Kugler4)    spricht  sich   mit  Zurückhaltung 
über  die  Giebelaufstellung  der  Gruppe,  mit  Wärme  über  den  Skopascharakter 
der  Composition  aus,  betont  dabei  den  Widerspruch  in  der  Ausführung  der 
florentiner  Statuen  mit  der  Grösse  der  Composition.     Aehnlichcs  nur  kürzer 
äussern  Springer5)    und  Lübke6).    Hettner  hatte  in  seiner  Vorschule 
zur  bildenden  Kunst  der  Griechen7)  sich  wesentlich  an  Welcker  angeschlossen. 
Kehren  wir  nun  zu  den  eigentlichen  archäologischen  Arbeiten  zurück. 
Schon  langer  vor  dem  zweiten  Erscheinen  der  erweiterten  Welckerschen  Ar- 
beit hatte  Gerhard  in  seinen  drei  Vorlesungen  über  Gypsabgüsse.  Berlin 
IS4I,  die  dritte8)  der  Niobe  gewidmet,  von  der  sophokleischen  Tragödie  und 
einer  Giebelgruppe  dabei  ausgehend.    Feuerbach9)  hat  im  Wesentlichen 
das  bereits  im  Apoll  von  Belvedere  von  ihm  Ausgesprochene  festgehalten, 
in  der  Giebelgruppe  sucht  er  das  unmittelbarste  rhythmische  Widerspiel  der 
tragischen  Darstellung  nachzufühlen  und  die  Niobe,  die  ,, Mater  dolorosa'*  des 
Alterthums    (S.   137)    ist   ihm   ganz    die    versteinerte  Niobe  des  Acschylus. 
Brunn10)  konnte  dem  von  ihm  festgehaltenen  Staudpunkte  gemäss  auf  die 
Niobedenkmäler  nicht  näher  eingehen,    er  hat  für  die   speeifisch  kunstge- 
schichtliche Frage  der  Autorschaft  vonSkopas  oder  Praxiteles  der  pathetischen 

1)  Berlin  1S56.  S.  2Sf. 

2)  8.  224  ff. 

3)  Gesch.  d.  bild.  Künste.  IL  S.  2*7—290. 

4)  Handb.  der  Kunstgesch.  3.  Aufl.  1.  S.  155. 

5)  Handb.  der  Kunstgesch.  Stuttgart  1S55.  S.  S5. 
«)  Grundr.  d.  Kunstgesch.  ISISO.  S.  142  f. 

7)  l.Thl.  S.  223 ff. 
v  S.  49—67.  Anm.  t».  S.  72  ff. 
fl;  Gesch.  der  griech.  Plastik.  Tbl.  IL  S.  134  -  140. 
10)  Gesch.  der  griech.  Kunstler  I.  8. 357  f. 


24  Einleitung. 

Auffassung  des  Gegenstandes  im  (Gegensatz  zu  dem  aus  der  Schönheit  der 
Form  an  sich  entspringenden  Behagen  treffende  Betrachtungen  gewidmet. 

Es  ist  ein  Verdienst  von  Fried  erichs,  in  seiner  Schrift:  Praxiteles 
und  die  Niobegruppc !)  die  künstlerische  Seite  der  Frage  der  Niobegruppe 
einer  scharfen  und  zum  Theil  neuen  Untersuchung  unterworfen  zu  haben. 
Wir  meinen  damit  weniger  den  ersten  Abschnitt,  der  den  bereits  mehrfach 
ausgesprochenen  Gedanken,  dass  die  Gruppe  unter  dem  Einflüsse  der  Tra- 
gödie des  Sophokles  gebildet  sei,  nur  so  erweitert,  dass  er  die  ganze  Scene 
mit  dem  nicht  allein  gleichzeitig,  sondern  auch  lokal  vereint  eintretenden 
Tode  der  Söhne  und  Töchter  dem  Sophokles  genau  entnommen  sein  lässt, 
vielmehr  den  zweiten.  liier  werden  gegen  die  Forderung  Welckers  vierzehn 
Kinder  zur  Gruppe  zu  haben  sowie  gegen  zwei  Glieder  seiner  Gruppe  Bedenken 
erhoben,  vor  allem  aber  aus  der  geringen  Höhenabstufung  der  Statuen,  aus  den 
angenommenen  Eckfiguren,  aus  der  Motivirung  derselben,  sowie  ihrer  Mas- 
senverhältnisse und  Behandlung  die  Unmöglichkeit  diese  Statuen  wenigstens 
passend  in  einen  Giebel  zu  ordnen  abgeleitet,  obgleich  Friederichs  die  Dar- 
stellung des  Mythus  im  Giebel  überhaupt  schön  und  poetisch  findet.  Die 
Seitenhalle  einer  Tempelcelle  scheint  ihm  ein  passender  Ort  der  Aufstellung. 
Wenn  auch  Friederichs  geneigt  ist  dem  Charakter  des  Praxiteles  das  Werk  *n'ahe 
zu  bringen,  weist  er  mit  Welcker  einverstanden  jede  definitive  Scheidung  der 
Streitfrage  ab.  Bursian  hat  diesem  Bedenken  und  Gründen  wesentlich  bei- 
gestimmt, als  passenden  Platz  der  Aufstellung  den  Pronaos  eines  Tempels 
vorgeschlagen2).  Nachdem  Overbeck  in  seinen  kunstarchäologischen  Vor- 
lesungen 3j  an  der  Welcker'schen  von  ihm  befolgten  Aufstellung  Einzelnes  als 
unwahrscheinlich  bezeichnet  hatte,  beschränkt  er  in  seiner  Geschichte  der 
Plastik4)  mit  Friederichs  die  Zahl  der  sichern  Statuen  und  verändert  gegen 
Welcker  die  Stellung  einzelner,  aber  er  hält  die  Giebelaufstellung  für  die 
entschieden  wahrscheinlichste  fest,  und  übt  gegen  Friederichs  sonstige  An- 
sichten, besonders  vom  Drama  des  Sophokles,  von  der  Zahl  der  Kinder,  von 
der  Tempelcelle  eine  wohlbegründete  Kritik.  Der  Vortrag  über  den  ,,Niobi- 
denmythos",  welchen  Chr.  Petersen  zunächst  in  Rücksicht  auf  das  in  Ham- 
burg ausgestellte  Gemälde  des  Malers  Wraske  gehalten  und  veröffentlicht 
hat,6) ,  giebt  in  grosser  Vollständigkeit  eine  populäre  Uebersicht  über  die  Ent- 
wickelung  des  Mythos  in  der  Literatur  ihrem  historischen  Gange  nach  und 
in  den  Denkmälern,  vor  allen  der  Statuengruppe.  Neue  fordernde  Momente 
zu  dem  von  Welcker,  Overbeck  und  Friederichs  Erörterten  sind  nicht  gege- 


1)  Leipzig  1855.  S.67— 104. 

2)  Neue  Jahrbb.  f.  Philol.  u.  Pädag.  LXXVII.  S.  107. 
:*)  S.  79— si. 

4)  II.  S.  42—49.  112  f.  vgl.  auch  Jahrb.  f.  Philol.  LXX1.  S.  694  ff. 

5)  Hamburg  ls59.bei  A.  F.  M.  Kumpel. 


Der  jetzige  Stand  der  Forschung.  25 

ben«      Die  allcrneuste  Zeit  hat  endlich  einen  ersten  Theil   „  archäologisch  - 
ästhetischer  Andeutungen   zur   Niobcgruppe"   von  G\  L.  Michaelis1)    ge- 
bracht.    Der  Verf.  sieht  den  tiefern  Hintergrund  für   das  schmerzerstarrte 
Angesicht  der  Niobe  in  „dem,  wenn  auch  unbewussten  Ausdruck  messiani- 
scher  Sehnsucht  eines  Geschlechtes,  welchem  aus  dem  Schilde  seines  hoch- 
sten  Gottes  nur  das  versteinernde  Medusenhaupt  einer   vernichtenden  Ge- 
rechtigkeit entgegenstände".     Die  ästhetische  Betrachtung  geht  von  S.   1 1 
wesentlich  von  der  Thatsache  aus,  dass  die  florentiner  Statuen  alle  Oopieen 
römischer  Zeit  sind,  allerdings  als  Verein  an  dem  bestimmten  Punkte  Roms 
xusammengeordnet,  aber  dass  dadurch  die  Frage,  ob  sie  einer  oder  mehrern 
()riginalgruppen  angehörten,   nicht  beantwortet  sei;    unter  den  bisherigen 
Gruppirungsversuchen  wird  die  Giebelgruppirung  nach  Welcker  eingehend 
von  ästhetischen  Gesichtspunkten  geprüft  und  in  der  atomistischen  Zersplit- 
terung der  Mittelgestalten  wie  in  dem  liegenden  Niobiden  von  formeller  und 
poetischer  Seite  gewichtige  Bedenken  aufgestellt.    Soeben  hat  auch  C.  Ger- 
lach   in   dem   Schriftchen    „Ilioneus"   über  Statuenzahl  und  Ordnung  der 
Gruppe  sich  geäussert 2) . 

So  stehen  wir  heute  der  Niobegruppe  wieder  in  einer  ungünstigen  Situa- 
tion gegenüber:  eine  durchgreifende  Grundansicht  ist  wesentlich  adoptirt, 
sieht  sich  aber  von  Zweifeln  und  Bedenken  aller  Art  umringt.  Es  laufen 
eine  Menge  traditionelle  Ansichten  imd  neue  Zweifel  neben  und  durcheinan- 
der. Die  Notwendigkeit  gerade  diese  Frage  ganz  von  Neuem  zu  unter- 
suchen, nach  allen  Seiten  auf  die  Elemente  zurückzugehen,  ist  mir  und  nicht 
allein  mir,  sondern  auch  Männern  wie  Otto  Jahn  lebendig  entgegengetreten. 
Und  sie  fugt  sich  für  uns  nur  ein  als  wichtiges  Glied  in  jene  im  ersten  Ab- 
schnitt gezeichnete  Gesammtaufgabe ,  die  wir  im  Folgenden  zu  behandeln 
unternehmen. 


V  Neustrelitz,  Hellwig.  1*60.  2.H  S.  4.  mit  Tafeln. 

2)  Ilioneus,  Archäolog.  Plaudereien.  Zerbst  1M>2.  S.  47  ff. 


ERSTES  KAPITEL. 

Der  Niobemythus  nach  seiner  Entwickelnng  in  der  antiken 

Literatur. 

§  3. 
Das  griechische  Epos.  * 

Beide  Gattungen  des  griechischen  Epos,  die  homerische  und  hesiodei- 
sche  haben  bereits  die  Niobesage  zwar  wohl  nicht  zum  Gegenstand  selb- 
ständiger Behandlung,  aber  doch  episodischer  Darstellung  gemacht.  Das 
vierundzwanzigste  Buch  der  Ilias,  die  "ExzoQog  Xvzqa ,  sichtlich  eines  der 
jüngsten  Bestandteile  des  ganzen  Epos1),  aber  doch,  abgesehen  von  den 
mannigfaltigen  Spuren  jüngerer  Ueberarbeitung  und  Zudichtungen  noch  im 
vollen  fortbildenden  Flusse  heroischer  Sängerschule  gedichtet,  jedenfalls  älter, 
als  der  eng  sich  daran  anschliessende  Arktinos,  hat  in  der  herrlichen  Scene, 
welche  Welcker  (äsehyl.  Trilogie  S.  429 — 131)  den  Gipfel  der  ganzen  Hel- 
denpoesie nannte,  Nitzsch  (Sagenpoesie  der  Griechen  S.  270)  als  den  not- 
wendigen Schluss  des  Epos  vom  Zorn  des  Achill  betrachtet,  in  V.  602 — 628 
das  Schicksal  der  Niobe  in  eine  Parallele  mit  dem  des  Priamos  gesetzt. 
Sehen  wir  uns  den  Zusammenhang  und  die  einzelnen  erwähnten  Momente  in 
der  Sage  etwas  näher  an.2) 


1)  Lachmann  (Betrachtungen  über  Homers  Ilias  S.  SA)  wundert  sich,  dass  Aristarch 
das  letzte  Buch  nicht  ganz  verworfen  hat,  da  er  vieles  darin  doch  anstössig  gefunden 
habe,  er  bezeichnet  dann  die  Zeitbestimmung  darin  als  eine  ungeschickte,  sagt  aber  von 
dem  hochbedeutenden  Inhalt  kein  Wort.  Ich  meine ,  eine  einfache  Vergleichung  dieses 
Buches  mit  dem  Schlussbuch  der  Odyssee  zeigt  das  durchaus  richtige  Gefühl  des  alexan- 
drinischen  Kritikers  dort  die  Athetese  für  das  Ganze  auszusprechen,  hier  einzelne  Versreihen 
mit  Athetese  zu  belegen.  Düntzer  im  Rhein.  Mus.  f.  Philol.  N.  F.  V.  S.  37S— 421  weist 
den  Ungrund  vieler  von  Geppert  gegen  einzelne  Stellen  erhobenen  Angriffe  treffend  nach. 
Vgl.  Köchlys  Vertheidigung  in  der  Zuschrift  an  Welcker  1S59.  S.  4— 9. 

2)  Vgl.  Burmeister  de  fabula  etc.  II.  §  5.  p.  74  ff.,  mit  Zusammenstellung  der  darauf 
bezüglichen  Stellen  der  Alten  :  Seneca  ep.  63 ;  Lucian  de  luctu  c.  24,  Tzetz.  Chil.  IV.  141. 
452 ff.,  doch  ohne  eigene  Behandlung  der  ganzen  Stelle. 


Das  griechische  Epos.  27 

Hektors  Leiche  ist  gelöst,  von  Achill  selbst  auf  den  Wagen  gehoben. 
Achill  ist  in  das  Zelt  zurückgekehrt  und  setzt  sich  Priamos  gegenüber,  ihm 
diese  Lösung  ankündend.    Mit  den  Worten  :  „nun  gedenken  wir  des  Mahles" 
vvv  de  juvrjoiöjued^a  öoq/iov)  leitet  er  über  zu  der  Verwirklichung  der  frühern 
Aufforderung  (V.  52 1.  549),  das  Unglück  zu  tragen,  nicht  unablässig  zu  kla- 
gen, den  Jammer  ruhen  zu  lassen,  sich  auf  den  Sitz  zu  setzen.    Der  Genuss 
von  Speise  und  Trank,  dann  der  Schlaf  sind  das  Zeichen,  dass  der  Trauernde 
wieder  in  das  Leben  gleichsam  zurückkehrt.    Die  Mahnung  zur  Speise  wird 
begründet  durch  das  Beispiel  einer  anderen  vom  Unglück  und  zwar  in  ihren 
Kindern  schwer  betroffenen  Persönlichkeit,  die  aber  nach  der  Ermüdung  im 
Trauern  und  Weinen  auch  Speise  zu  sich  genommen.    Dies  ist  Niobe,  die 
M'hönhaarige    (rjvxoftog) .    ,, Zwölf  Kinder  waren  ihr  daheim   im  elterlichen 
Hause  (ivi  fdeyaQOiaiv)   dahin  gestorben,  seclis  Töchter  und  sechs  blühende, 
in  der  ijßr]  stehende  Söhne ;   die  letzteren  tödtete  Apollo  mit  dem  silbernen 
Bogen,  zürnend  der  Niobe,  jene  die  pfeilfrohe  Artemis,  weil  sie  nämlich  der 
schön  wangigen  Leto  sich  gleichstellen  wollte ;  denn  sie  behauptete,  nur  Ein 
Paar  habe  jene ,  sie  "selbst  aber  habe  so  viele  geboren.  Die  aber,  obgleich  nur 
ein  Paar  haben  sie  alle  vernichtet.  Neun  Tage  lagen  sie  nun  alsdann  in  ihrem 
Blute,  niemand  war  da  sie  zu  bestatten,  zu  Stein  hatte  der  Kronide  die  Leute 
gemacht.    Aber  an  dem  zehnten  Tag  bestatteten  sie  die  himmlischen  Götter ; 
sie  aber  gedachte  alsdann  der  Speise,  da  sie  müde  war  des  Thräncnvergies- 
sens."    Damit  ist  das  Beispiel  und  die  in  ihm  liegende  Aufforderung  in  sich 
abgerundet.     Wenn  Achill  weiter  hinzufügt:    ,, später  wirst  du   dann  auch 
wieder  deinen  lieben  Sohn  beweinen",  er  wird  ein  vielbeweinter  (rtokvddxQV- 
105)  sein,  so  hat  das  sichtlich  keine  Beziehung  zum  Beispiel  der  Niobe.1) 

Dazwischen  hinein  treten  mehrere  Verse  Gl 4  — 617,  nachdem  der  Ver- 
gleich mit  V,  613  in  sich  vollendet  war,  das  weitere  Schicksal  der  Niobe  zu 
berichten.    Es  heisst  dann : 

vvv  di  nov  iv  netQrjoiv,  iv  ovgeoiv  oio7r6kotoiv, 
hr  2invl(pf  ii&i  (paol  Sediov  t/n/tuvcu  evvdg 
yv(tq>d(ov9  .a%%  ct(.i(p  j4%bXixÜov  eQQtüOcxvTO, 
8v9a  XL&og  nsQ  iovaa  öewv  ix  xrjdea  niooei. 
»jetzt  aber  wohl  in  den  Felsen,  in.  dem  einsamen  Gebirge,  im  Sipylos,  wo 
man  sagt,  dass  der  Göttinnen  Lagerstätten  seien,  der  Nymphen,  welche  andern 
Acheloos  tanzten,  dort  zum  Stein  geworden  zehrt  sie  an  der  Götter  Kum- 
mer".   Diese  Verse  sind  bereite  von  Aristophanes    von  Byzanz,  dann  von 
l  Aristarch  mit  Athetesc  belegt  worden 2)  wegen  ihres  ungehörigen  Eintretens 

lj  Es  ist  bereits  von  Molter  (über  den  gnomischen  Aorist  im  Philol.  IX.  S.  351  ff.) 
bemerkt  worden,  dass  die  Art,  wie  hier  der  Mythus  als  vorbildliches  Beispiel  eingeführt 
1  wird,  lebhaft  an  die  Weise  erinnert,  wie  Pindar  und  die  Tragiker  sich  der  Mythen  bedie- 

nen, dass  die  Schilderung  fast  einen  lyrischen  Ton  anschlage. 

2;  Schol.  in  Hom.  11.  ree.  Bekker  11.  p.  f>47  a. ;  Friedländer  Aristonici  reliqu.  p.  249, 


28  Erstes  Kapitel. 

in  den  Zusammenhang,  wegen  des  dreifach  wiederholten  iv  und  des  Hesio- 
deischen  Charakters  der  Sprache1),  der  in  den  Athetesen  des  24.  Buches 
überhaupt  auffallend  oft  zu  Tage  kommt.  Und  mit  Recht  sind  diese  Verse 
als  altes  Zwischensehiebsel  eines  die  Lokalität  von  Smyrna  und  dem  Sipylos 
absichtlich  hervorziehenden  Rhapsoden  zu  betrachten. 

Wir  haben  daher  zunächst  für  den  Mythus  die  ältere  homerische  Erzäh- 
lung und  den  Zusatz  zu  scheiden.  Niobe  ist  kinderreiche  Mutter,  stolz  auf 
die  Zahl  und  mit  Leto  sich  messend,  die  Zahl  der  Kinder  ist  zwölf,  sechs  und 
sechs,  worauf  Apollodor  (III.  5.  7)  hinweist,  die  Kindersterben  in  der  rjßi], 
im  elterlichen  Hause,  wie  es  scheint  gleichzeitig  und  rasch,  alle  ohne  Aus- 
nahme durch  Artemis  und  Apollo.  Ihre  lange  Nichtbestattung  wird  betont. 
Die  Katastrophe,  die  das  ganze  Volk  betroffen  hat,  das  Versteinern  ist  offen- 
bar ursprünglich  sinnlich  zu  fassen,  nicht  ethisch  als  aGVf.i7ta$eig.  Das  Grab 
der  Kinder  erscheint  von  Götterhand  gebildet.  Niobe  findet  in  ihrer  Trauer 
doch  Mass,  und  kehrt  zur  Erfüllung  menschlicher  Bedürfhisse  zurück.  Wo 
der  Mythus  spielt,  ist  nicht  ausgesprochen,  auch  nicht  das  Ende,  durchaus 
nicht  die  Versteinerung2)  der  Niobe  bezeichnet,  es  ist  eine  Katastrophe  aus 
ihrem  Leben.  Nicht  gleichgiltig  ist,  dass  der  Mythus  dem  Hellenen  Achill 
in  den  Mund  gelegt  wird,  dass  er  diesem  ein  durchaus  geläufiger  sein 
musste,  nicht  erst  von  ihm  an  der  troischen  Küste  als  ein  fremder,  etwa 
phrygischer,  erkundet,  sondern  aus  der  Heimath  mitgebracht  war.  Auch  wTird 
nirgends  eine  nähere,  verwandtschaftliche  oder  lokale  Beziehung  zu  Priamos 
gerade  bei  ihm  angedeutet.  Es  ist  vielleicht  zuviel  gefolgert,  wenn  ein  Scho- 
liast  den  Mythus  als  thebanisch  und  dem  Priamos  geradezu  unbekannt  hier 
eingeflochten  meint. 

Die  Zwölfzahl  der  Kinder  erinnert  uns  an  die  gleiche  im  Hause  des  Aeo- 
los3),  wo  auch  derselbe  Vers  (II.  XXIV.  604  =  Od.  X.  6)  wiederkehrt,  eine 
Zahl,  die  im  Zwölfgötterkreis  so  bedeutsam  sich  zeigt  und  den  vollen  Ablauf 
eines  Kreises  analog  der  Jahresein theilung  bezeichnet.  Ebenso  werden  die  neun 
Tage  (ewtj/huq)  mit  den  neun  Tagen  zur  Vorbereitung  der  Bestattung  des  Hek- 
tor4),  mit  den  neun  Tagen,  wo  des  Apoll  Geschosse  durch  das  Heer  der  Hellenen 
gehen,  den  neun  leeren  Jahren  des  trojanischen  Krieges,  den  neun  Tagen 
und  Nächten  der  Schmerzen  Letos,  die  der  Geburt  Apollos  voraufgingen Ä) , 
mit  dem  apollinischen  iviavzog  und  der  Neunzahl  im  apollinischen  Cult  über- 
haupt zusammenzustellen  sein  6) .    Das  Bestatten  der  Niobiden  durch  die  Göt- 


1)  So  iQQcSoavio  cf.  mit  Hes.  Theog.  S. 

2)  Daraufmacht  auch  Nikanor  aufmerksam,  wenn  er  sagt:   >/  Juily  71qo$  rt/V  ötttyto- 
vtttv  Ttöv  vtiDttgüiv  •    ({aal  yttQ  xa\  avTrjf  aTroleli&tuofrai,  o/nr]Qog  dk  ov, 

3)  Hom.  Od.  X.  5. 

4)  II.  XXIV.  7S4. 

5    Hom.  h.  in  Apoll.  Del.  v.  91. 

ti,  Vgl.  Welcker  epischer  Cyklus  11.  S.  261;  Bötticher  Tektonik  II.  p.  222. 


Das  griechische  Epos.  29 

ter  selbst  weist  auf  eine  nahe  Stellung  der  Niobe  und  ihrer  Kinder  zu  den 
Göttern,  sowie  auf  ein  entweder  menschlichen  Augen  entzogenes  oder  nicht 
durch  menschliche  Kraft  herstellbares  Grab  hin.  Fürsorge  der  Götter  für 
die  Leichen  ihrer  Lieblinge,  ihre  wunderbare  Erhaltung,  Entführung,  Be- 
stattung begegnet  uns  ja  mehrfach  in  den  homerischen  Gedichten !) ;  so  Apol- 
lons,  des  Hypnos  und  Thanatos  Thätigkeit  für  Sarpedon2),  als  dessen  Grab 
(xtf/ja;  eine  axqa  an  der kilikischen Küste  frühzeitig  aufgefasst  ward8),  so  der 
Iris  und  der  Winde  bei  der  Bestattung  des  Patroklos4),  des  Apollo  und  der 
Aphrodite  für  die  Leiche  des  Hektor5)  und  der  Vorschlag  der  Götter  dieselbe 
durch  Hermes  heimlich  zu  entführen  (xlsipai)  c) ,  so  endlich  Klage  und  Für- 
sorge der  Thetis,  Nereiden  und  neun  Musen  bei  der  nach  zweimal  neun 
Tagen  erfolgten  Bestattung  des  Achill7]  ;  auch  in  historischer  Zeit  schienen 
Götter  auf  die  Bestattung  der  sie  besonders  verehrenden  Sterblichen  zu  drin- 
gen, wie  dies  Theopompos  bei  Alexander  von  Pherä  erzählt 8) . 

.  Jene  vier  Zusatzverse  geben  zu  der  völlig  in  sich  abgeschlossenen  Er- 
zählung nun  noch  eine  sehr  specielle  Notiz  über  das  Endschicksal  der  Niobe. 
Sie  ist  selbst  Stein  geworden  und  zehrt  doch,  hat  zu  verdauen  gleichsam  an 
den  von  den  Göttern  über  sie  verhängten  Leiden  und  dies  findet  statt  in 
einem  einsamen  Gebirge  und  zwar  am  Sipylos,  welcher  als  Ruhestätte  der 
Nymphen  bezeichnet  worden,  die  den  also  in  der  Nähe  befindlichen  Acheloos 
umtanzt  haben.  In  der  Erzählung  sind  die  Leute  in  Steine  (Xaoi  in  Xi&oi)  mit 
sichtbarer  Alliteration  gewandelt,  Niobe  nicht,  sie  isst  ja  wieder,  in  dem 
Zustand  ist  sie  nun  ki&og;  dort  keine  Andeutung  der  Lokalität,  hier  eine 
gesteigert  genaue,  aber  doch  nur  genau  in  einer  idealen,  auf  Götterleben 
bezüglichen  Geographie.  Am  Sipylos  wird  die  Einsamkeit,  dann  die  Stätte 
der  Quellnymphen,  das  Vorhandensein  des  Wassers  überhaupt,  speciell 
des  Jtx^tys»  des  m  uas  Gebiet  von  Sinyrna  herabfliessenden  Flüsschens,  oder 
des  auf  der  entgegengesetzten  Seite  in  Lydien  mit  Hyllos  zusammengenann- 
ten, hervorgehoben.  Inwiefern  dies  für  die  Ausdeutung  des  Mythus  und  lokale 
Fixirung  bei  Smyrna  nicht  unwesentlich  ist,  werden  wir  später  sehen. 

Die  mit  der  Niobesage  weiterhin  in  nächste  Beziehung  gestellten  mythi- 
schen Personen  des  Tantalos,  des  Amphiou  und  Zethos,  der  Chloris  begegnen 
uns  allerdings  in  den  homerischen  Gedichten9),    aber   ohne  dass  auf  diese 

1)  Vgl.  Welcker  ep.  Cykl.  II.  S.  191  f. 

2)  II.  XVI.  660  ff. 

4)  Aesch.  Suppl.  SSS ;  Strabo  XIV.  5. 
4;  U.  XXIII.  195  ff. 

5)  II.  XXIV.  IS  ff.  XX1I1.  IS5— 191. 

6)  II.  XXIV.  24.  109. 

7)  Od.  XXIV.  47  ff. 

*)  Schol.  II.  XXIV.  426. 

9)  Od.  XI.  5S2ff.;  260—265;    XIX.  518—523;   XI.  2S1  ff.  mit  Schol.  und  Schol.  IL 
XI.  692. 


30  Erstes  Kapitel. 

Verbindung  irgend  eine  liinweisung  erfolgte ;  Chloris  als  überlebende  Toch- 
ter hat  im  Gegentheil  der  Dichter  jener  Hauptstelle  nicht  gekannt. 

Dass  Hesiodos  das  Schicksal  der  Niobe  erzählt  hatte,  und  zwar  wahr- 
scheinlich im  xazakoyog  yvvaixtZv,  geht  aus  Apollodor  (III.  5.  6)  hervor, 
nachdem  er  zehn  Söhne  und  zehn  Töchter  derselben,  also  sehr  abweichend 
von  Homer  gezählt  hatte.  Er  hatte  auch  von  Amphions  und  Zethos*  Mauer- 
bau durch  die  Macht  der  Kithara  gehandelt ')  und  als  böotischer  Dichter  da- 
mit wahrscheinlich  die  Niobesage  in  Verbindung  gesetzt.  Abweichend  von 
Apollodor  berichtet  uns  Aelian*),  Hesiod  rede  von  neunzehn  Kindern  der 
Niobe,  meint  aber,  die  darauf  bezüglichen  Verse  könnten  wie  viele  andere  ihm 
fälschlich  beigelegt  werden.  Schwerlich  haben  wir  hier  nur  eine  ungenaue 
Angabe  auf  einer  der  beiden  Seiten,  sondern  Aelian  meint  sichtlich  ein  anderes 
Gedicht,  als  Apollodor ;  und  zwar  wohl  die  'Hotat  fieydkai,  welche  den  glei- 
chen Stoff  in  so  auffallenden,  sichtlich  aus  jüngerer  Fassung  stammenden  Ab- 
weichungen mit  dem  xataloyog  oft  behandelten  und  von  Pausanias  auch  dem 
Hesiod  abgesprochen  wurden3).  Eine  Ungleichheit  der  Zahl  der  Kinder  ist 
auch  in  anderen  Berichten  nicht  unerhört  und  mochte  aus  der  Annahme  der 
Rettung  einer  Tochter  hervorgehen,  die  dann  zu  den  zweimal  neun  hinzukam. 

Unter  den  armseligen  Resten  der  so  reich  auf  homerischer  und  hesiodi- 
scher  Grundlage  aufschiessenden  jüngeren  vorzugsweise  genealogischen  Epen 
begegnen  uns  mehrfache  Spuren  über  die  immer  reichere  Ausstattung  der 
Amphionsage,  besonders  seine  musikalische  Seite,  welche,  wie  wir  später 
sehen  werden,  ausdrücklich  mit  Niobe  in  engste  Heziehung  gesetzt  wird  und 
über  die  an  Amphion  wegen  der  gegen  Leto  und  Apollo  ausgesprochenen 
frevelnden  Worte  sich  vollziehende  Strafe  in  der  Unterwelt,  jedoch  ist  darin 
noch  kein  sicherer  Anlass  für  eine  Darlegung  des  Schicksals  seiner  und  der 
Niobe  Kinder  gegeben.  Selbst  in  der  in  ihrer  Nekyia  so  reich  ausgestatteten 
Minyas,  die  nach  Pausanias  (IV.  33,  7)  man  einem  Prodikos  von  Phokäa  zu- 
schrieb, erscheint  der  Strafe  leidende  Amphion  ausdrücklich  als  Gegenbild 
des  Thamyras4)  und  also  wesentlich  als  Musiker,  nicht  als  Gatte  und  Vater. 
Erst  ein  Spätling  des;  voralexandrinischen  Epos,  Herodoros  Pontikos 
hatte  in  einem  seiner  beiden  Epopöen,  den  Argonautika  oder  Heraklea  von 
den  Kindern  der  Niobe  und  ihrem  Schicksale  gehandelt ;  er  hat  ihre  Zahl 
auf  ein  Minimum  herabgefiihrt,  auf  zwei  Söhne  und  drei  Töchter  5) .   Dagegen 


1)  Palaephat.  Mirab.  c.  42. 

2)  Var.  histor.  XII.  30. 

3)  Paus.  IX.  3«.  0,  vgl.  Bernhardy  Grundr.  d.  gr.  Liter.  II.  S.  200.  Nachtraglich 
seheich,  dass  schon  Markscheffel  Hesiodi,  Eumeli  etc.  frgmta.  Lips.  1S40.  p.  297  diese 
Ansicht  ausgesprochen  hat.  Auch  p.  1 10  vermuthet  er,  dass  der  Zweifel  Aelians  nicht  so- 
wohl auf  das  ganze   Gedicht,  als  auf  diese  die  Niohe  betreffende  Versreihe  sich  beziehe. 

4j  Paus.  1.  1. 

5)  Apoilod.  III.  5.  6. 


Die  Lyriker.  31 

taucht  in  einem  auf  hochalterthümlichen,  sichtlich  vom  lebendigen  Hauche 
des  Heldenliedes  wenig  berührten  Localsagen  gegründeten  Epos,  der  Phoro- 
n  i  s  der  Name  der  Niobe  als  einer  Urmutter  unter  spezifisch  argivischen  Ge- 
stalten auf  und  Akusilaos  der  Logograph1)  ordnet  sie  in  seine  Genealogieen  ein. 

§  4. 
Die  Lyriker. 

Eis  kann  durchaus  nicht  als  ein  Zufall  betrachtet  werden,  dass  das  grie- 
chische Melos,  die  Lyrik  s.  str.,  von  ihren  ältesten  Ausbildnern  an  das  Schick- 
sal der  Niobe  und  ihrer  Kinder  in  seinen  Kreis  gezogen  hat,  ja  sichtlich  in 
sehr  bedeutenden  Liedern,  voll  tiefen  Mitgefühles,  aber  auch  voll  lebendiger 
Mahnung  an  die  die  Hybris  strafenden  Götter  verherrlicht  hatte.  Zugleich 
ist  dabei  wohl  zu  bemerken,  dass  es  theils  der  Boden  der  äolischen  und  nörd- 
lichionischen Küste  Kleinasiens,  theils  Höotien,  theils  endlich  Argolis  war, 
in  dessen  Bereich  jene  Dichter  ihrer  Geburt  und  grösstentheils  ihrem  Wirken 
nach  fallen.  Alkman,  der  Sardier,  dann  auf  lakonischem  Boden  eingebür- 
gert (um  Ol.  27  =  670)  wird  uns  als  Gewährsmann  für  die  Gesammtzahl  zehn 
für  die  Niobiden  genannt2),  eine  Zahl,  die  entschieden  nicht  zur  homeri- 
schen, sondern  zur  hesiodeischen  Ueberlieferung  in  Beziehung  steht.  Ob 
nicht  der  Boden  Lakonikas  eine  Lokalisirung  des  Niobemythus  darbot,  wer- 
den wir  weiter  unten  kennen  lernen,  sind  jedoch  bei  Alkman  an  die  klein- 
asiatische  Heimath  zunächst  gewiesen.  Die  von  Hesiod  vertretene  Zahl  zwanzig 
wird  von  Mimnermos,  dem  Elegiker  aus  Smyrna  (um  Ol.  46  =  594),  der 
die  Kämpfe  seiner  Heimathstadt  gegen  Gyges  so  lebendig  geschildert8),  von 
Pindar,  von  Bakchylides  aus  Keos  (Ol.  82  =  450)  den  Niobiden  gege- 
ben4). Ganz  davon  abweichend,  wie  von  der  homerischen  Tradition  ist  es, 
wenn  die  Lesbierin  Sappho  (um  Ol.  42  =  610)  von  zweimal  neun5),  der 
Hermion  eer  Lasos(um500)  von  zweimal  sieben  Kindern  der  Niobe  dichtet8), 
eine  Zahl,  die  in  der  weiteren  künstlerischen  Durchbildung  des  Mythus  auf 
attischem  Boden  —  und  Lasos  lebte  und  lehrte  in  Athen  —  zur  herrschen- 
den fast  werden  sollte 7) . 


1)  Fr.  1 1.  12  bei  Frgmta  histor.  graec.  ed.  Müller  I. 

2)  Poetae  lyr.  gr.  p.  654.  fr.  106.  ed.  Bergk ;     Ael.  Var.  hist.  XII.  36:  *AXxpitv  Mxa 

3)  Paus.  IX.  20.  4. 

4)  Poetae  lyr.  ed.  Bergk.  p.  332.  fr.  19;  Aelian  V.  Hist.  XII.  36;  Poet.  lyr.  p.  978. 
fr.  63,  Gell.  N.  A.  XX.  7 :  bis  denos. 

5)  Poett.  lyr.  p.  69$.  fr.  143,  Gell.  XX.  1. 

6)  Poett.  lyr.  p.  *63.  fr.  2,  Ael.  V.  H.  XII.  36. 

7)  Die  Lyriker  sind  entschieden  zu  verstehen,  wenn  Nikanor  zu  II.  XXIV.  604  erklärt 
if  Jtnlrj  ort  ol  yfnitfQOi  Jia<j  tovovot.  iregl  tov  aQt&poO  raiv  Ntoßrjg  nuCöiav  ol  plv  yttQ  Jtxa- 
tiocayas,  ol  Sk  tlxooi  toi«c  Ntoßtfag  Ifyovat. 


32  Erstes  Kapitel. 

Jedoch  nicht  ganz  allein  diese  nackten  Zahlenangaben  sind  uns  aus  der 
Fülle  lyrischer  Behandlung  gerettet,  nein  drei  kleine  Fragmente  lassen  uns 
wenigstens  ahnen,  welcher  Schatz  individueller  Schilderung  in  ihnen  uns  für 
unsere  Aufgabe  verloren  gegangen  ist.    Der  einfache  Vers  der  Sappho : 

Aaxia  xal  Nioßa  f.idXa  f.uv  cpikai  tjoav  Szaigai l) 
,,Leto  und  Niobe  waren  sich  gar  liebe  Freundinnen"  fuhrt  uns  auf  einmal 
in  die  einleitende  wie  im  Volkstöne  erzählte  Scene  der  furchtbaren  Katastrophe. 
Nicht  Göttin  und  sterbliches  Weib,  nein  zwei  gleichgestellte,  nah  verbun- 
dene Genossinen  treten  sie  uns  entgegen,  aber  wehe,  wenn  dies  Verhaltniss 
zerrissen,  wenn  die  mächtigere  aber  ärmere  Freundin  an  ihrer  empfindlichsten 
Stelle  verletzt  wird!  Pindar2)  in  einem  doch  wahrscheinlich  an  Apollon  ge- 
richteten Päan  inmitten  das  Ilochzeitfest  von  Niobe  und  Amphion  mit  seinem 
Jubel,  seiner  Musik  ähnlich  der  Hochzeit  von  Peleus  und  Thetis  vonKadmos 
erschienenen  ;  da  war  es  also,  wo  die  lydische  Harmonie  diese  gewaltige 
Umgestalterin  der  musikalischen  Weisen,  zuerst  gelehrt  ward  von  Anthippos. 
Ob  nicht  auch  bei  ihm,  wie Statius  8)  uns  schildert,  als  furchtbares  Echo  dazu 
die  erste  Anwendung  phrygischer  Klageweise  des  Todtenliedcs  genannt  war  ? 
Wie  Pindar  Niobes  Stellung  zu  den  Göttern  grossartig  und  erschütternd  auf- 
fasste,  können  wir  aus  seiner  Schilderung  des  Tantalos,  des  Vaters  der  Niobe 
—  als  solcher  war  er  gegenüber  anderen  Traditionen  in  herrschender  Aner- 
kennung —  entnehmen 4)  :  da  ladet  er  in  die  den  Göttern  liebe  Stadt  Sipy- 
los,  zum  wohlgeordneten  genossenschaftlichen  Fest  [tvvof.iwtatop  BQavov)  die 
Götter,  ihnen  gewährend  Mahl  um  Mahl  (ätuoißaia  delnva),  der  Götter  Nek- 
tar und  Ambrosia  hatte  ihn  unvergänglich  gemacht,  aber  er  kann  das  hohe 
Glück  nicht  verdauen  (yiaTa/titpai  /niyav  olßov  ,  in  derUebersättigunghat  er 
doch  die  Götterspeise  entwandt  und  seinen  sterblichen  Trinkgenossen  gege- 
ben, fand  er  die  masslose  Ate,  ewig  vom  Stein  bedroht  geht  er  alles  Froh- 
sinns verlustig.  Bereits  musste  vor  Telesilla  (Ol.  67,  3  =  510)  und  zwar  auf 
böotischem  und  elischem  Boden  der  Untergang  der  Kinder  in  der  religiösen 
Tradition  und  dem  Lied  gemildert  sein,  indem  zwei,  Tochter  und  Sohn  ge- 
nannt wurden,  deren  die  Götter  verschont.  Die  Namen  Amphion  und  Chloris 
weisen  auf  Theben  und  Orchomenos  hin,  Chloris,  die  Tochter  des  Iasiden 
Amphion  und  der  Persephone,  welche  Neleus  nach  Pylos  folgte,  war  zur 
Tochter  Amphions  und  der  Niobe  geworden5;.    Aber  auch  in  Olympia  führte 


1)  Athen.  Xlll.  571  d;  Bergk  Poett.  lyric.  graec.  p.  (>74.  fr.  31.  Ueber  den  Ton  der 
Erzählung  ».  Weleker  griech.  Götterlehre  I.  S.  109. 

2;  Plut.de  rausica  e.  15,  Bergk  Poett.  lyr.  graec.  p.  23n  :  JlfrJuQoe  &  fv  llmitoiv  inl 
loU  Nioßfj«  ydfioig  (ffjal  uimHav  uouovCar  noüiov  Jiäaxitijrui  vnb  *AvO(nnov.  Dazu  Bockh 
ad  Pindar.  t.  11.  p.  2.  573.     * 

3)  Theb.  VI.  122. 

4)  Olymp.  I.  36—40.  55—65. 

5)  Schol.  II.  XI.  692. 


Die  Logographen.  33 

die  Logende  bei  der  Stiftung  der  Hcräen  durch  Hippodaineia  als  Dankfest 
ihrer  Hochzeit  mit  Pelops  Chloris,  die  gerettete  Niobide  als  erste  Siegerin 
im  Laufe  dabei  auf1  .  Als  Telesilla  daher,  die  Heldin  und  Dichterin  von 
Argos,  die  Apollo  und  Artemis  vor  allem  gepriesen,  zwei  Niobiden  gerettet 
werden  liess,  so  war  die  Rettung  keine  neue,  bisher  unerhörte  Wendimg  der 
Sage,  aber  specifisch  neu  war  die  Benutzung  der  lokalen  Tradition  über  die 
Namen  dieser  Kinder,  indem  sie  sie  Amyklas  und  Meliboia  nannte2;. 
Sie  war  specifisch  argivisch  und  sehloss  sich  an  das  auf  dem  Markt  von  Argos 
befindliche  Letoon  an,  welches  von  jenen  zwei  geretteten  Niobckindern  ge- 
gründet sein  sollte,  die  im  Augenblick  der  Gefahr  bittend  ihre  Hände  zu 
I*eto  erhoben ;  eine  Statue  der  Meliboia,  die  auch  mit  einem  Jüngern  Aus- 
druck Chloris  genannt  ward,  befand  sich  neben  derjenigen  der  Leto,  offenbar 
in  betender  Stellung  3) . 

§  5. 
Die  Logographen. 

In  der  Zeit  der  Perserkriege  haben  die  Logographen  bereits  aus  der 
reichen  Fülle  abweichender  Traditionen  und  Darstellungen  für  ihren  Zweck 
zusammenfassender  Erzählung  die  gemeinsamen  oder  am  meisten  durchgedrun- 
genen Grundzüge  herausgehoben,  in  andern  Punkten  galt  es  dieser  oder  jener 
Tradition  sieh  anzuschließen.  Pherekydes  von Leros,  wesentlich  zum  Athe- 
ner geworden  und  die  attische  Tradition  vertretend  (Ol.  74,  \  =480)  erzählte 
im  achten  Buche  der  Genealogien  die  Niobesage4).  In  Hezug  auf  die  Zahl 
der  Kinder  folgte  er  der  homerischen  Tradition  von  der  Zwölfzahl,  sechs  Kna- 
ben und  sechs  Mädchen  und  zugleich  erhalten  wir  von  ihm  zuerst  die  Reihe 
von  zwölf  Namen  genannt,  über  deren  Stelhmg  neben  andern  abweichenden 
Reihen  und  Bedeutung  später  zu  handeln  ist.  Nur  will  ich  hier  bemerken, 
dass  unter  diesen  Namen  Alalkomeneus,  Phereus  auf  Böotien,  der  letztere 
vielleicht  auch  auf  Messenien,  Argeios  und  Pelopia  entschieden  auf  Argos  und 


1)  Paus.  V.  IH,  3. 

2;  Apollod.  III.  5,  0:  x«t«  $\  TfXfailiitv  !o(6ßr](j«r  1-iut'xXat  xtt\  MtXtßot«. 

l\)  Paus.  IL  21,  10  :  rb  Jt  Ifoov  rijf  j4v\rovg  tan  ftlv  uv  (.inxnnv  rov  tootm(ov,  Tfyi'1  «M 
to  uyaXfia  nott$n{luvq*  rrjv  Jl  ftxovn  77«(>«  TJJ  .'**£»>  t^c  ^no^rov  XXmniy  oro/uittovai,  Nioßtji 
u*v  &vyai(ott  tlvm  Xiyonfg,  MtXißoiKv  «W  xnXnaittti  to  Aj-  nn/rj<;  •  (tnoXXvutviov  tH  1)71o*j4ot£~ 
fitJof  xu\  iJnoXXairoe  tmv  Aufflovoq  nalÖtor  n (Qiyerfoftfu  fuoitjt'  tiov  aiTtXffon'  tkvtfjv  xn\ 
*stpAVxXavtntoiyfr(afrai  öi  (vhtu^i'ovgrr^inToT.  MfXtßoiariH  ovriodi]  t#  7iit{ti<vT(xft  Tf  /honnr 
to  ötTuft  tjTolt}0€  xal  ff  to  Xoinbv  tou  ßlov  naotufti  tr,  tog  y.al  tu  oyoutt  t/ii  T(f>  avußam  an) 
j\1tXißoirt£  «ny  ytvtalhtu  \XtuQir'  Tovrovg  tltj  ifttotv  sioytToi  to  /£  "(>£'/?  oixo6o^i\out  Tij 
^ftjTOi  toi'  Vitor. 

4;  Pherecyd.  Frgm.  1o2  in  Müller  Frgm.  histor.  graec.  I.  p.  95  aus  Schol.  IL  XXIV. 
(317  und  Schol.  Eurip.  Phoeu.  v.  159. 

Stark,  Xiobc.  3 


34  Erstes  Kapitel 

Peloponnes  hinweisen.  Niobe  ist  Tantalostochter,  ihr  Unglück  ist  fernab 
vomSipylos  erfolgt,  im  Jammer  kehrt  sie  nach  Sipylos  zurück,  sieht  die  Stadt 
im  Erdbeben  zerstört  und  über  Tantalos  den  Stein  hangend ;  da  fleht  sie  zum 
Zeus  ein  Stein  zu  werden,  so  rinnen  von  ihr  Thronen  und  sie  blickt  gen 
Norden1). 

Auch  Hell  an  ik 08,  Herodots  Zeitgenosse  hatte  in  seiner  Atlantis 2)  die 
Sage  erzählt,  hierbei  die  Zahl  der  Kinder  auf  sieben  beschränkt  und  deren 
Namen  bis  auf  den  der  in  ein  paar  Handschriften  erhaltenen  Pelopia  ganz 
abweichend  von  Pherekydes  angegeben.  Dass  er  Sipylos  auch  als  Stadt  an- 
erkannte, ist  eine  für  uns  nicht  unwichtige,  imStephanos  vonHyzanz8)  erhal- 
tene Notiz,  ebenso  dass  er  bei  Magnesia  am  Sipylos  eine  Quelle  kannte,  des- 
sen Wasser  Steine  in  den  innern  Theilen  des  Trinkenden  absetzen  sollte  *, . 

a  «• 

Die  Tragiker. 

Wir  treten  ein  in  den  Kreis  der  dichterischen  Werke,  in  welchen  der 
Tiefsinn  der  edelsten,  sittlich  geläutertsten  Geister,  die  gestaltende  Kraft  einer 
durchgebildeten,  durch  einfache  Kunstformen  in  Zucht  gehaltenen  Phanta- 
sie sich  des  antiken  Mythus  bemächtigte  auf  einem  Hoden,  wie  Attika,  der 
am  meisten  unter  allen  griechischen  Stätten  befähigt  war  die  bunte  Mannig- 
faltigkeit der  landschaftlichen  Sagen  in  sich  aufzunehmen  und  mit  religiösem 
Ernst  innerlieh  zu  einigen.  Noch  ist  den  attischen  Tragikern  der  Mythus 
etwas  Lebendiges,  im  Volksglauben  Wurzelndes,  noch  dringen  sie  zu  den 
letzten  Urgründen  mit  richtigem  Gefühle  vor  und  doch  ist  er  ihnen  zugleich 
eine  ideale  menschliche  Geschichte ;  sie  gestalten  volle  menschliche  Persön- 
lichkeiten und  fuhren  die  Conflikte  des  sittlichen  Lebens  zum  poetischen 
Abschlüsse. 

Dass  ein  Mythus  wie  der  der  Niobe,  des  Tantalos  und  des  Amphion,  der 
schon  verwandtschaftlich  dem  specirisch  tragischen  Pelopidengeschlecht,  wie 
lokal  dem  tragischen  Hoden  von  Theben  so  nahe  stand,  von  den  Tragikern 
nicht  zur  Seite  liegengelassen  wurde,  war  schon  von  vornherein  anzunehmen. 

\)  Schul.  11.  XXIV.  Ol 7  :  ^»tQtxvdtjs  Ji  ft>  rj',  ij  <M  Ni6ßr\  inb  rov  a/tot  teia/uj^tt  ig  2Y- 
jiuXov,  xa\  ö()((  iriv  noXiv  «r*ffT(w^i«*V»/i»  xul  TarraX(p  X(Uor  iniX(}ftudf4tioi't  aoürui  &t  Tip 
4ihl  Udo<;  ytrfotitti,  (>ti  Ji  (tutrjs  Jdxova  xui  n{tog  itQXior  oqu. 

2)  Schol.  Eur.  Phoen.  v.  15«,  Müller  Frgmta  hist.  graec.  1.  p.  60. 

3)  S.  v.  2(nvXog  noXig  <t>Qvy(tts:  'EXXüvixoq  'Itytttov  7?(><ut^.  Sind  diese  Ifyfiui  kein 
Geschichtsbuch  nach  den  argi  vi  sehen  Priesterinnen  geordnet  ? 

4)  Aus  t<x  7i (q\  Avötttv  bei  Sotion  HsqI  noiufuSiv  xtu  x(t¥}i<ov  xiti  Xifutvtur,  in  Müller 
Frgmta  histor.  graec.  1.  p.  Ol.  Aufmerksam  daraufmacht  Creuzer  Symbolik  und  Mythol. 
3.  Aufl.  IV.  S.Tbl. 


Die  Tragiker.  35 

Aber  wir  haben  auch  die  ausdrücklichen  Zeugnisse  seiner  vielfältigen  Durch- 
arbeitung. Tantal os,  dessen  letzte  Katastrophe,  wie  wir  aas  Pherekydes  sehen, 
so  eng  mit  der  seiner  Tochter  verknüpft  ward,  scheint  vorNiobe  behandelt  zu 
sein.  Phrynichos  wenigstens  (blühteOl.  67,  3=  511)  hatte  einen  Tan  talos 
gedichtet1);  Aristias  brachte  seinen  Tantalos  als  zweites  Stück  nach  Perseus 
Ol.  78,  t  =  468  zur  Aufführung  und  errang  damit  gegenüber  der  Oedipodie 
des  Aeschylos  den  zweiten  Preis2);  auch  von  Aristarchos  von  Tegea  (blüht 
Ol.  SO,  3  sä  454),  sowie  von  Sophokles  kannte  man  Tragödien  dieses  Ge- 
genstandes 8) .  Ueber  die  innere  Entwicklung  des  Mythus  in  diesen  Tragö- 
dien wissen  wir  nichts.  Das  einzige  Fragment  des  Sophokles  stellt  der  Kürze 
menschlichen  Lebens  die  Ewigkeit  des  Grabes  entgegen,  Aristarchos  weist 
auf  einen  Punkt  hin,  in  dessen  Erkenntniss  Weise  und  Unweise  sich  voll- 
ständig gleich  stehen,  bei  denen  Wissen  und  Nichtwissen,  Schön-  und 
Nichtschönreden  einerlei  sind.  Gewiss  Andeutungen  tiefen  Ernstes  über  die 
Gränzen  menschlichen  Wirkens  und  Wissens. 

Vom  Aeschylos  ist  uns  kein  Tantalos,  aber  eine  Niobe  bezeugt,  und 
zwar  ak  eines  seiner  gewaltigsten ,  durch  Einfachheit  wie  durch  Macht  der 
Worte  imponirendsten  Dramen,  an  dessen  Prachtreden  (Qyoeig)  das  attische 
Publikum  in  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  in  dem  Munde  von  ausge- 
zeichneten Schauspielern,  wie  eines  Oiagros  sich  besonders  erfreute4),  in  dem 
aber  der  innere  Gegensatz  zu  dem  jüngeren  Drama  des  Euripides  und  dessen 
Prinzipien  scharf  zu  Tage  trat5).  Die  wenigen  Fragmente,  welche  uns  erhal- 
ten sind6),  reichen  nicht  hin  um  den  herrlirhen  Torso  mit  Sicherheit  zu  er- 
gänzen, aber  ihre  gewaltigen  Worte  lassen  uns  die  Grossartigkeit  des  ganzen 
Werkes,  das  wir  dem  Prometheus  unter  den  erhaltenen  Stücken  am  nächsten 
verwandt  uns  denken  müssen,  ahnen  und  geben  für  die  bestimmte  Auffas- 
sung des  Mythus  interessante  Andeutungen.  Gehen  wir  diesen  möglichst 
genau  und  unbefangen  nach,  aber  üben  wir  auch  die  Kunst  des  Nichtwissens 
da,  wo  die  Grundlagen  fehlen.    Dass  die  Niobe  als  Glied  einer  Dreizahl  eng 


1}  Hesych.  8.  v.  A/U(>«i'a;  Nauck  tragg.  gr.  Fr.  p.  551». 

2)  Argum.  Aesch.  Sept.,  Nauck  a.a.O.  p.  28.  563. 

3)  Stob.  Ecl.  11.  I,  I,  Nauck  a.a.O.  p.  5IJ4 ;  Stob.  Flor.  121,  3,  Nauck  a.a.O.  p.  203. 

4)  Philokieon,  der  Heliast  erklärt  in  den  Versen  den  Aristophanes  (V.  579  f.; : 

x«»*  OlayQog  iiaillh^  tffvytvr,  ovx  ttnotftvyti  nqtv  «r  '/jü*V 
fx  rrje  Nioßrjg  ttntj  Qijoiv  rqr  xnlUaTtjf  ttnoX($«e. 

5)  Aristoph.  Ran.  v.  912— «20. 

6j  Ihre  Sammlung  inAeschylus  ed.  Godofr.  Hermann.  I.  p.  352.355,  Fragmenta  tragg. 
graec.  ed.  Nauck  p.  3* — II  und  deren  Behandlung  in  G.  Hermanni  de  Aeschyli  Niobe 
dissert.  IS23inOpuscc.Hl.  p.  37— 5S;  Welcker  Aeschyl.  Trilogie  S.  341—353.  Nachtr.  143. 
Griech.  Tragöd.  LS. 30,  Droysen  Aeschylos' Werke  II.  S. 231—  235,  Fritzsehe  de  Aeschyli 
Niobe  commentatio  (Osterprogramm  von  Rostock  1*36;,  Burmeister  de  fabula  quae  de 
Niobe  etc.  agit,  p.  44 — 63. 

3» 


36  Erstes  Kapitel. 

verbundener  tragischer  Stücke  aufgeführt  sei,  entspricht  dem  trilogischen  Sy- 
stem des  Aesehylos,  doch  in  wieweit  er  dasselbe  der  Neuerung  des  Sophokles 
gegenüber  auch  in  späterer  Zeit  durchgängig  festgehalten  hat,  wissen  wir 
nicht.  Nichts  weist  uns  aber  darauf  hin,  dass  die  zwei  andern  Stücke,  mit 
denen  Niobe  aufgeführt  wurde  und  mit  denen  sie  in  einem  ideellen  Zusam 
menhange  gestanden  haben  wird,  demselben  SagestofFe  angehört  haben,  dass 
wir  es  mit  einer  Niobea  zu  thuh  haben.  Und  ganz  in  der  Luft  schwebt 
endlich  die  Annahme  Welckers  und  Droysens,  so  geistvoll  sie  auch  ausge- 
dacht ist,  dass  die  zwei  Titel:  TQoqioi  uiui  IIqoho^iioi  diesen  zwei  anderen 
Stücken  gehören,  wobei  Welcker  die  Niobe  zum  zweiten,  Droysen  zum  dritten 
Stücke  macht.  Im  Gegentheil  ist  der  bestimmteste  Anlas.?  den  Titel  T(>o<pol 
dem  Jiorioov  TQoepoL  identisch  zu  erklären  und  der  andere  entspricht  dem 
SagenstofF  selbst  nicht,  der  Niobe  immer  allein  von  Theben  nach  Lydien 
ziehen  oder  versetzt  werden  lässt,  so  oft  eine  solche  Wanderung  überhaupt 
angenommen  wurde.  Aus  der  schwierigen  und  vielleicht  verdorbenen  Stelle 
der  Poetik  des  Aristoteles  (c.  1 8) !)  ergiebt  sich  mit  Sicherheit,  dass  die  Niobe 
des  Aesehylos  kein  avottjfiia  inonouy.bv  oder  noXi^v^ov  war,  also  nicht  die 
ganze  lleihe  der  die  Niobe  betreffenden  Vorfälle  enthielt,  wie  etwa  eine  ganze 
'l'kiov  7i6QOig,  sondern  dass  es  den  Mythus  taxa.  fiieQog,  in  einem,  natürlich 
entscheidenden  Haupttheile  behandelte. 

Dieser  Haupttheil  ist  aber  klar  in  den  Fragmenten,  vor  allen  in  der  die 
Grundlage  unserer  Kenntniss  bildenden  Stelle  des  Aristophanes  (Ran.  910 — 
925)  gegeben.  Euripides  will  in  seinem  Zweikampf  mit  Aesehylos  zuerst  be- 
weisen, dass  jener  ein  Grosssprecher  und  Windbeutel  (äXaCwv  xcci  q>iva^j  sei, 
darauf  aus  die  Zuhörer  zu  betrügen ,  die  er  als  von  Phrynichos  gefutterte 
Narren  übernommen  habe.  Als  JJeleg  dafür  fuhrt  er  au,  dass  er  irgend  Einen 
eingehüllt  hinsetze,  einen  Achilleus  oder  eine  Niobe,  ihr  Gesicht  oder  Maske 
gar  nicht  zeige,  nur  als  Vorwand  der  Tragödie  [nQüa%r^ia  zrjg  TQuyydiag) , 
der  auch  nicht  den  geringsten  Laut  von  sich  gäbe.  Er  fährt  dann  fort:  „Der 
Chor  aber  drängt  Geschwader  von  Liedern  der  lleihe  nach  vier  aufeinander 
in  einem  Zuge,  die  aber  schweigen  [o  di  x°Q°S  7  rJQSidev  uQfia&ovg  av  jueXwv 
£(pe!;rJQ  TtTzaQag  ^vvex^9  ov  oi  (T  iolyajv)".  Weshalb  that  er  aber  das?  fragt 
Dionysos.     „Aus  Windbeutelei,  ist  die  Antwort,  damit  der  Zuschauer  war- 


1}  Aristot.  Khetor.  et  Poet.  ed.  Bekker.  111  edit.  p.  109,  15 — 20:  ZQtj  öt  —  xal  fdtj 
ijoitiv  {jionony.ot  ai'artj/Lta  TQaytoÖCay '  inoTtoiixhv  J*  Xfycj  ro  7ioki?(Avi>oi>  —  orifutTov  dl  oöot 
TitQOiv  *Ik(ov  o).rjv  tiroirjoui'  xiii  fjr\  xurtt  fttyos,  atontQ  EvQtn(ätig  Nwßtjt'  xal  pi)  diontQ  A\- 
a/uXog,  tj  ixTidiTovan1  tj  xnxisig  «yiorfcovTui,  lnt\  xaVjiya&tav  {^ntcrer  ir  loviip  (.lory.  Die 
Worte  nach  iWo/tyr :  xa)  M*)ßnav  fehlen  in  den  besten  Handschriften.  Ueber  den  Namen 
des  Euripides  an  dieser  Stelle  und  die  vielfachen  Emendationen  ist  weiter  unten  zu  reden. 
Ein  Muster  bodenloser  Kritik  hat  Fritzsche  an  dieser  Stelle  geübt,  der  den  ganzen  Namen 
Xiößrji'  tilgt  und  ausserdem  die  Worte  ganz  versetzt.  Dass  der  Satz  als  Parenthese  zu  xarä 
utyot  zu  fassen  ist  und  nicht  zur  'fktov  ntoon  Beispiele  bringt,  liegt  doch  wohl  auf  der  Hand. 


Die  Tragi '«er.  37 

tend  ruhig  sässe,  wann  endlich  die  Niohe  etwas  reden  wird.  Das  Stück  ging 
inzwischen  weiter  "  „Und  dann,  nachdem  er  so  geschwatzt  und  das  Stück 
bereits  in  der  Hälfte  stand,  da  sagt  er  wohl  zwölf  stiermässige  Worte,  mit 
hochgezogenen  Augenbrauen  und  Helmbüschen ,  so  eine  Art  furchtbarer 
Popanze,  unbekannt  allen  Zuschauern/'  Es  folgt  dann  die  Aufzählung  sol- 
cher auf  Achill  und  den  Kampf  bezüglicher  Kraftworte.  Das  ist  der  Schwulst, 
die  wuchtigen  Ausdrücke  (xu/irccra/*  error,  QrjfjctTa  irrax&fj),  die  Euripides  ge- 
mildert. 

Wir  sehen  also,  die  Gestalt  des  Achill   und  zwar  in  den  (pQvyeg  oder 
TbtOQog  XvxQa  und  die  der  Niobe  in  dem  Stücke  gleichen  Namens  werden 
als  äsehyleische  Prototypen  und   einauder  ganz  correspondirend  hingestellt : 
hier  wie  dort  sitzt  die  Hauptperson  eingehüllt ,  sprachlos  in  Trauer  die  ganze 
erste  Hälfte  des  Stückes,  wie  dies  vielleicht  übertreibend  gesagt  ist  für  ein 
Drittel.     An  ihr  vorbei  rauschen  gleichsam   die  Reihen  der  Chorlieder,  da 
endlich  erhebt  sich  die  Hauptgestalt  und  spricht  einige  hochgewichige  Worte. 
Also  der  Tod  der  Kinder  Niobes  ist  bereits  erfolgt,  die  Rache  der  Leto  durch 
Apollo  und  Artemis  vollzogen,  Niobe  sitzt  so  eingehüllt,  wie  der  Biograph 
des  Aeschylos  ausdrücklich  sagt,  auf  dem  Grabe  der  Kinder ') .    Die  Scene 
irt  daher  nur  am  Sipylos  zu  denken,  Dicht  in  Theben,  wo  nur  eine  ganz 
lokale,  von  Euripides  benutzte  Tradition,  deren  Richtigkeit  von  andern  ent- 
schieden bestritten  wurde,    wie   wir   unten   sehen    werden,    Niobidengräber 
kannte.      Einsam   und   verwaist    (rj/iOQig,   dies   seltene  Wort  kam  dafür  im 
Stucke  vor2)  sass  sie  auf  dem  Grabe  über  den  Todten,  einer  Henne  gleich, 
über  den  Küchlein  brütend  [i(p^iivtj  tdyov  ztwoig  e/cwCe  toig  ze&vrjxöoiv*). 
Worin  lag  aber  nun  die  Entwicklung  und  das  Ziel  des  Stückes !  Welche 
Persönlichkeit  tritt  mit  ihr  ein  in  den  tragischen  Conflikt .'    Offenbar  handelt 
« sich  hier  um  eine  innere  psychologische  und  um  eine  äussere  gewaltige 
Umwandlung :  jene  ist  gegeben  bereits  in  der  homerischen  Erzählung,  dass 
die  in  Trauer  versenkte,  hartnäckig  jeden  Trost,  jede  andere  Uetheiliguug  an 
menschlichem  Handeln  und  Geniessen  abweisende  Niobe  geöffnet  wird  neuem, 
milderem  Lebensgefuhl,  ja  dass  sie  veranlasst  wird  endlich  Zeus  selbst  anzu- 
flehen um  den  Trost  ewiger  Wehmuth  im  Fluss  der  Thränen  und  einsamer 
Wohnung  im  Felsgebirge.    Dies  wird  als  die  einzige  Lösung  des  tragischen 

1;  Vita  Ae8chyli  bei  Aesch.  ed.  Herrn.  I.  p.  351.  n.  HM):  iv  /uh  y«Q  ry  Ntoftrj,  t(og 
iQtiov  fiiQovg  (codd.  TQtTrjg  rifJii^ag)  inixa^iju^vrj  j([i  jtitfty  nor  nrttÄtov  ovölr  tpfrfyyfiai. 
ly***«lv[iidivTi.  Die  Conjectur  des  Victorius  tqIiov  [m£qovq  halte  ich  mit  Welcker  gegen 
G.  Hermann,  Fritzsche,  Burmeister  für  richtig.  Das  dagegen  angeführte  Schol.  Arist.  Kan. 
961,  wo  es  vom  Achill  der  Phryger  heisst:  og  /ufyQ1  *p'G>*'  fiptQ<ov  ovSkv  (fd-£yy€T«i,  ist  in 
den  Schotten  des  cod.  Ravennas  nicht  vorhanden  und  sichtlich  erst  aus  der  Notiz  von 
Niobe  durch  Verwechselung  herübergenommen. 

2)  Hesych.  s.  v.  ypootg. 

3)  Hesych.  s.  v.  *'/^tVij. 


3S  Erstes  Kapitel 

Conflikts  ausdrücklich  in  den  Ethopöien  der  späteren  Rhetorik  ausgespro- 
chen1;. Aber  wie  schwer  diese  Umwandlung  geworden,  in  welch  hohem 
Jiewusst&ein  eigenen  (iötterursprungcs  Niobe  lebt ,  das  ergeben  einzelne 
Fragmente  auf  das  Ergreifendste. 

In  ihrem  Munde  hat  das  herrliche  aus  dem  Drama  erhaltene  Fragment 

bei  Stobäus2;  vollste  bittere  Wahrheit: 

Von  den  Göttern  einzig  nimmt  der  Tod  kein  Weihgeschenk. 
Durch  Opfer  nicht  noch  Spend'  erreichet  du  was  bei  ihm. 
Kein  Altar  steht,  kein  Päan  tönt  zu  ihm  empor, 
Von  ihm,  dem  Gott  allein  die  Peitho  weicht. 

l'nd  Niobe  spricht  es  aus,  dass  ,,sie  gedenk  sein  werde  des  Tantalosgeschlech- 
tes,  der  den  Göttern  Xahentsprossenen,  denen  auf  idäischer  Höhe  des  väter- 
lichen Zeus  Altar  im  lichten  Aether  steht,  und  noch  nicht  ist  aus  ihnen  das 
Götterblut  verschwunden"*  .  Ihr  mag  ich  auch  am  liebsten  die  vorwurfsvol- 
len Worte  zuschreiben,  die  Piaton  von  der  Jugend  seines  Staates  ferngehal- 
ten wissen  will : 

„Den  Anlas»  schafft  die  Gottheit  selbst  den  Sterblichen. 

Wenn  aus  dem  Grund  ein  Haus  sie  zu  verderben  strebt.4'  * 
Wir  stehen  auch  nicht  an  die  erhabenen  Worte 

tQ/opat,  t(  u   avttg ; 

,,ich  komme,  was  rufst  du  mich?*4 
welche  Diogenes  Laertius  und  Suidas  als  „den  berühmten  Spruch  aus  der 
Niobe  [to  ex  trtg  Niofag)"  uns  im  Munde  des  Begründers  der  Stoa,  Zeno  er- 
halteu  hat,  wobei  das  Schlagen  der  Erde  mit  der  Hand  auch  aus  dem  Drama 
entnommen  ist,  mit  Hermann  und  Burmeister  lieber  der  Schlussscene  der 
äschyleischen  Niobe,  als  der  des  Sophokles  zuzuschreiben.    In  einem  Erd- 


I  Aphthon.  Progymn.  c.  II.  in  Walz  Rhett,  gr.  I.  p.  H»3:  «IIa  ti  ruvta  odvoopai 
TTttobr  atrrjaat  friovg  kt£nav  allag'noßat  ifvair;  uiav  ttüv  atv^ijuattav  TtMaptu  ivair  fit- 
taOTT)vai  noog  tat  fujdh'  aia&ttv6f*trit. 

2,  Senn.  eth.  117: 

Movog  &iuiv  yag  Saratog  ov  JtüQtJV  £(?«, 

oifd*  av  ti  &vt>v  ovo*  tntantvdtjr  arotg. 

ov  ßatuog  tativ  ovdk  7iaitai(^itm, 

uovov  öl  lind  to  Jatuoror  anootatti. 
Den  ersten  Vers  spricht  Aeschylos  in  Aristoph.  Ran.  v.  1392.  Vgl.  sonst  Schol.  Soph.  El. 
1*5,  Schol.  Eurip.  Ale.  55,  Suidas  s.  v.  .iciyxoirog,  Eustath.  p.  744,  2. 

3,  Strabo  XII  fin. :  AloyvXog  aiy%u  tv  Tjj  Xioßy '  *{qai  yaQ  txttrij  junio&rjötö&at  ttar 
Titfti  Tnrralor,  oig  tv  7J«fw  naytriJiog  nitt{ttjtov  ßtopog  fori.  Plato  de  republ.  III.  p.  391  E  : 
ti  Ctg  yaQ  ttvTio  £ryyv<u[Atjv  ($tt  xaxoi  ovti,  ntio&ttg  tag  aya  toiavta  nQattovai  ti  xat  t/rpat- 
tov  xa\,  ol  &(tov  ay%lonoQOi  ol  Zrjvbg  tyyvg  cur  x«t'  fJaiov  nayov  ^Uog  natQtpov  ßtuuog 
tat  tv  uldtQt,  xovnto  at\iv  t££tr]lov  aijja  Jai/uoitür. 

4  Plato  de  rep.  II.  19 :  oitf  au,  tog  .-Jla^vlog  liytt,  tatfov  tixovttr  tovs  vtovg  oxt  Otog 
fiiv  alxlav  tfvtt  ßqototg,  oiai  xaxtüam  Jtojja  7itt(Ani\ütiv  &£iy,  all*  tar  rtg  7io*jj  tv  otg 
ntvta  tu  fafißtia  tvtati  tu  tfjg  Xtofirjg  naOr]  xrl.,  auch  Plut.  de  aud.  poet.  c.  2. 


Die  Tragiker.  39 

• 
beben,  diesem  unterirdischen  Donner  des  Zeus,  da  wird  Niobe  zum  Eingehen 

in  das  Felsengrab  aufgefordert,  und  sie  folgt  der  Stimme1). 

Und  noch  bedurfte  es  dazu  des  Zusammentreffens  mit  einer  andern  Ka- 
tastrophe. Niobe  ist  mit  der  Asche  ihrer  Kinder  zum  Vater,  zu  Tantalos  ge- 
gangen, auf  ihm  ruht  ihre  Sicherheit,  noch  das  Gefühl  ihrer  Stellung  gegen- 
über dem  von  Zeus  gesandten  Geschick.  Tantalos  ist  entschieden  neben 
Niobe  die  bedeutendste  Rolle  im  Stück.  Wir  begreifen  nun  vollkommen, 
warum  Aeschylos  keinen  Tantalos  daneben  noch  gedichtet.  Er  tritt  auf  mit 
dem  Vollgefühl  seiner  Reich thümer,  seines  Besitzes. 

„Zwölf  Tagereisen  Weges  wird  mein  Feld  gepflügt, 

da«  Land  ßerekyntos,  drinnen  Adrasteia  wohnt. 

Vom  Stiergebrüll,  von  meiner  Lämmer  Blöken  hallt 

Der  Ida  wieder,  hüpfend  wimmelt  alles  Feld'*  -Droysen). *) 
Aber  mit  demselben  Tantalos  muss  im  Stück  eine  furchtbare  Veränderung 
vor  sich  gegangen  sein,  denn  er  ist  es,  der,  wie  Plutarch  in  der  angeführten 
Stelle  hervorhebt,  bald  nach  jenen  Worten  es  ausspricht : 

,,l)och  mein  Geschick,  das  oben  in  den  Himmel  reicht, 

Zur  Erde  sinkt  es  nieder  und  gemahnt  mich  so : 

Dass  Menschliches  nicht  allzuhoch  zu  achten,  lernV'j 


1)  Diog.  Laert.  VII.  27:  irtltvra  tf£  ovratg'  ix  rrjg  o/olr/s  dni(ov  nQoainTaiae  xal 
rbv  ddxrvlov  TrfQi^oQrj^f  na(aag  öl  rr)v  yfjv  rjj  x*Q* ,  ff  fjoi  rb  Ix  rrjg  Nioßr\gm  ty^o/uat,  r( 
u  autig,  xal  nrtnrt/nrjucc  {rtlfUTTjotv  dnonv(^ag  iavrov ;  Suid.  s.  v.  avttg;  ohne  Angabe 
des  Ursprungs  der  Verse  iL  p*  ßoug  bei  Lucian.  Macrob.  I!).  Zur  Sache  selbst  s.  die  Stellen 
bei  Welcker  gr.  Trag.  I.  S.  294,  Burmeister  p.  54,  auch  Nageisbach  nachhom.  Thcol.  211). 
Wenn  die  Glosse  bei  Photios  von  voßaxC£uv  tb  oyxovfievoi'  joig  Saxrvlotg  av[ti}>o<f-t7itm 
nuauog  Ntoßq  richtig  ist,  hätten  wir  hier  einen  seltenen  drastischen  Ausdruck  für  das  mit 
Erdbeben  erfolgende  Geräusch  und  haben  an  eine  solche  Scene  in  der  Tragödie  zu  denken. 
M.  Schmidts  Conjectur  in  Philol.  VII.  p.  750  5  otiar^oig  'loßag  ist  nur  scheinbar  an- 
sprechend. 

2)  Strabo  XII.  *.  Plut.  de  exil.  in  Mor.  p.  tilMa  : 

an&lQvt  (T  ctQOVQav  d(6rSt/  ryuiQiJov  btiov, 

BtQfxuvra  xtoQov,  h'&*  jldQUOttlag  'idog 

uf(Srj  re  fivxq&jdotoi  xal  ßQV^rjfxaOi 

tQiovot  jutjiüjv,  nav  J*  tyfy&ti  [l(>£x&eovt  iftixfrtrat  all.  codd.  lect.)  niüov. 
Ueber  frühere  Emendationsversuche  dieser  vielbehandelten  Stelle  s.  Burmeister  p.  45  f.. 
neuere  s.  Nauck  1.  1.  p.  40,  die  von  ihm  recipirte  Lesart  n^novat  für  €Q7iovot  hatte  vor 
Ahrens  wesentlich  G.  Hermann  in  nyfnovoa  gefunden,  doch  ist  sie  trotz  der  bekannten 
Verbindung  ßoa  n^inu  schwerlich  richtig.  Warum  nicht  fdxovai?  Für  Iq(x&h  bat  Casau- 
bonus  das  Richtige  längst  gefunden,  oQtx&&t,  besonders  wenn  man  vergleicht  die  Worte 
des  Aristias  bei  Athen.  II.  p.  60  B. :  fivxaioi  <f'  ajp^fct  to  kd'ivov  ntJor.  Was  das  von 
Xauck  vorgeschlagene *Eq4x&*10V  ntäov  soll,  ist  mir  unverständlich. 

3)  Ov/ubg  <ft  7ioi fiog  (codd.  &vfi6g  cFi  nof?  dtu6g;  ovQavo)  xvqwv  dvt> 
£(*«£*  ninru  xal  fit  n Qootftovti  rdJt  • 

yivojGxc  ■tuyüooixeia  fir)  ofßttv  ayav. 


40  Ernte«  Kapitel 

Diese  innere  Umwandlung  beruht  aber  nothwendig  auf  schweren  Schicksals- 
schlägen ;  Tantalos  erfährt  das  Loos  seiner  Tochter,  den  Untergang  der  gan- 
zen blühenden  Nachkommenschaft,  aber  es  ist  nothwendig,  dass  auch  ein 
Umsturz  seiner  Herrschaft,  seines  Besitzes  erfolgt  ist,  wie  er  im  Untergang 
von  Sipylos  bei  Pherekydes  bezeichnet  ist  und  bald  Naturgewalten  bald 
1  feindlicher  Kriegsmacht  zugeschrieben  wird. 

Ein  G  o  1 1  ist  es,  der  einer  Niobe,  einem  Tantalos  gegenüber  die  gott- 
liche Allmacht,  das  nothwendige  Mass  des  Menschen,  auch  des  titanenhaften, 
des  göttlichen  Ursprungs  stolz  bewussten  Menschen  vertritt,  durch  den  end- 
lich die  Milderung  des  Unglücks  gewährt  wird  Man  kann  an  Hermes  oder 
Iris  als  Vermittler  denken,  jedoch  ist  das  Auftreten  des  Zeus  selbst  ein  wohl 
mögliches.  Zeus'  Worte  sind  es  wesentlich,  mögen  sie  von  ihm  selbst  gespro- 
chen, oder  durch  eine  Mittelsperson  überbracht  werden,  die  in  der  Parodie 
des  Aristophanes  in  den  Vögeln  dem  neuen  Zeus,  Peisthetäros  in  den  Mund 
gelegt  werden1)  : 

,,I)en  Palast  ihm  selbst  und  des  Amphions  Prachtgemach 
Einäschern  werd*  ich  mit  der  Adler  Feuerbrand.'* 
Es  ergiebt  sich,  dass  die  Zerstörung  des  Wohnsitzes  des  Tantalos  und  die  des 
Amphion  durch  Donner  und  Blitz  hier  zugleich  angedroht  wird,  wie  sie 
auch  der  Sage  nach  bei  beiden  erfolgt  war  und  zwar  für  Amphion  nach  dem 
Untergang  seiner  Kinder.  Man  hat  aus  dieser  Stelle  schliessen  wollen,  dass 
Amphion  auch  eine  Rolle  in  dem  Drama  gehabt  habe ;  ich  glaube,  eher  das 
Gegen th eil  geht  daraus  hervor,  gerade  auf  den  fiilad-Qa  [up  avzoi  liegt  aller 
Aceent,  die  Worte  xat  dnfiovg  JfuyioYog  beweisen,  dass  Amphion  gar  nicht 
angeredet  ward,  er  nur  als  Nebenperson  neben  Tantalos  behandelt  ward.  Aus 
Tantalos'  Munde  selbst  oder  des  Boten  scheinen  die  Worte  zu  stammen,  die 
Tantalos'  und  Amphions  verwandtschaftliche  Verbindung  als  eine  solche,  die 
,, weise  Männer  mit  weisen'*  gepflogen,  bezeichnen.2) 

Noch  haben  wir  auf  zwei  Bestandteile  der  Tragödie  hinzuweisen,  auf 


1)  Av.  1247.  4S  :  MiXadQtt  ulv  avrov  xal  tio/iovg  'AfHftovog 

xaTKiftakioOüt  nvQffonotoir  txtroig. 
Schol.  zu  xat  öofi.  'Autf . :  ix  Ntoßrjg  ^ita^vlov  •  ig{oQi7tT(ti  (J^  i'  *Ainf(ovog  ix  /uortpdiag,  von 
Hermann  emendirt :  iitoQctniat    Sl   jo  l-f/itfiovog  ix  n  (iQqtöfag       Uebrigens  hat  Hermann 
auch  die  früheren  von  Iris  gesprochenen  Verse : 

(o  u(öo(  u(oq(,  fjrj  9(tov  x£i€t  t/-Q£vag 

cf* trete,  o7i (og  fit]  aov  yivog  nttvtoktdnov 

jiltbg  uaxilXr^  nav  at'aaTQi^'rj  .i(xi) 
in  ansprechender  Weise  der  Niobe  zugewiesen  und  lässt  sie  den  andern  vorausgehen.  »Sollt* 
in  den  Worten  :  Avdbv  tj  <t>{)vyu  nicht  auf  Tantalos  angespielt  sein  ? 

2)  Philostr.  v.  Apoll.  IV.  lti.  p.  71,  27  ed.  Kayser:    aotfoig  yitQ  nQog  aotfoig  initqJtta 
1       nach  Morellus:  senarius  ex  Aeschyli  Nioba,  von  Hermann  emendirt :  tag  ooif-oioi  naog  ao- 

tjoug  eon  xrjöfitt. 


Die  Tragiker.  41 

den  erzählenden  Boten,  der  in  der  ersten  Hälfte,  während  Niobe  schweigt, 
den  Untergang  der  Kinder  in  ausführlicher  Darstellung  Tantalos  gemeldet 
haben  wird  und  auf  den  Chor,  von  dessen  vier  gewaltigen  Gesangescolonnen 
Aristophanes  spricht.  In  der  Erzählung  des  Boten  haben  wir  auch  die  aus- 
drückliche Erwähnung,  ja  wohl  auch  Einzelauffuhrung  von  der  in  Knaben 
und  Mädchen  sich  wiederholenden  Siebenzahl  zu  suchen ;  darin  hat  Aeschy- 
los  auch  auf  Sophokles  und  weiter  bestimmend  eingewirkt;  wir  haben  sie 
bereits  bei  Lasos  von  Hermione  gefunden. 

Woraus  bestand  der  Chor*  Diese  Frage  wird  man  sich  immer  wieder 
aufwerfen,  wenn  wir  sie  auch  aus  den  Fragmenten  bis  jetzt  nicht  mit  Be- 
stimmtheit beantworten  können.  Dass  ihn  Frauen  oder  Jungfrauen  bildeten, 
erscheint  der  Hauptperson  und  auch  der  Handlung  selbst  angemessen ;  wei- 
ter können  wir  sagen,  gewiss  waren  es  aber  nicht  Thebanerinnen ,  da  die 
Scene  am  Sipylos  spielt  und  eine  solche  Begleitung  in  der  ganzen  Ueberlie- 
ferung  keine  Stütze  findet.  Man  kann  an  einen  Chor  sipylenischer  Frauen 
oder  Jungfrauen  denken,  die  die  Königstochter  und  Königin  mit  lebendigem 
Mitgefühl  empfangen.  Aber  ich  glaube,  die  ganze,  den  göttlichen  Charak- 
ter der  Hauptpersonen  so  laut  bezeugende  Auffassung  des  Aeschylos  weist 
uns  noch  weiter  und  die  Analogie  mit  dem  Prometheus,  die  sich  uns  unge- 
sucht aufdrängt,  die,  wie  wir  sehen  werden,  die  bildende  Kunst  mit  Bewusst- 
sein  herausgebildet  hat,  kann  uns  dabei  leiten.  Sollten  es  nicht,  wie  dort  der 
Chor  der  Okeaniden  sich  um  Prometheus  sammelt,  so  hier  einChor  von 
Quell-  und  Flussnymphen  sein,  der  Niobes  Schicksal  mit  lebendigster  Theil- 
nahme  umgiebt,  auf  sie  mit  einwirkt,  selbst  in  der  Verwandlung  zum  thrä- 
nenden  Fels  eine  tragische  Lösung  und  Milderung  des  Leides  zu  finden  ( 
Nymphen  und  zwar  acheloische  sind  es  ja,  die  dort  am  Sipylos  den  Reigen 
fuhren  und  dann  sich  ausruhen  auf  dem  Lager  im  einsamen  Gebirge  bei 
der  thränendeu  Niobe,  wie  wir  in  der  homerischen  Stelle  gesehen  Man  hat 
das  Fragment1) 

„oft  zeuget  Istros  Jungfraun  solcher  Art'4 

auf  den  Chor  bezogen  als  den  Ausspruch  eines,  welcher,  wrie  Tantalos  oder 
wohl  besser  ein  Bote  die  auffallende,  ungewohnte  Erscheinung  derselben  nach 
ihrer  Herkunft  zu  deuten  sucht,  und  dabei  an  des  Pelasgos  Vermuthungen  über 


1)  Hephaest.  p.  7,  Priscian.  Instit.  I.  i).  Gramm,  fragm.  post.  Prisci.  I.V.  (I.  p.  3W.  lt»2 
ed.  Hertz);  Eust.  Öd.  p.  1665,  3S.  Die  Lesart  fÄVrjOTtvt  t«i,  die  G.  Hermann  u.a.  verthei- 
digen,  ist  ganz  unzulässig,  ebenso  wie  die  Beziehung  auf  die  Niobetöchter.  Dagegen  ist 
zu  bekennen,  dass  das  von  G.  Hermann  angenommene  olatnog  für  "/arpo?  bei  Eustathius 
wirklich  steht  und  nach  dem  Zusammenhange,  wo  von  der  Kürze  einzelner  Diphthonge, 
speciell  des  oe  gesprochen  wird,  von  Priscian  gelesen  ward. 


42  Erstes  Kapitel. 

dieDanaiden  angeknüpft1).  Vielleicht  mit  Recht,  aber  dann  werden  wir  nicht 
auf  Amazonen,  wie  Burmeister  meint,  die  mit  dem  Ister  nichts  zu  thun  ha- 
ben, noch  weniger  auf  istrische  Trachten,  an  die  Thebanerinnen  mahnten, 
auch  nicht  auf  Hyperboreerinnen  hingewiesen,  sondern  auf  die  Natur  des 
Chors  als  Wasserjungfrauen  und  dabei  mögen  mehrfache  Gegenden,  wo  sie 
heimisch  seien,  genannt  worden  sein.  Jedoch  sind  dies  alles  nur  Möglich- 
keiten, keine  Gewissheit. 

Ehe  wir  uns  zur  Tragödie  Niobe  des  Sophokles  wenden,  ist  es  gera- 
then  die  gelegentlichen  Berührungen  derselben  in  den  erhaltenen  Stücken 
ins  Auge  zu  fassen,  die  nicht  zahlreich,  aber  von  höchstem  Interesse  und 
grosser  Schönheit  sind.  Es  handelt  sich  um  zwei  Stellen,  um  Antigone  Y. 
622  — 838  und  um  Elektra  V.  150-  152.  Antigone  wird  aus  dem  Palast  ge- 
führt den  letzten  Gang  zu  dem  Felsgemach,  das  als  Todtenbehausuug  sie  die 
Lebendige  aufnehmen  soll,  da  ergiesst  sie  in  einem  Kommos,  bestehend  in  zwei 
Strophen  mit  Gegenstrophen  und  Epodos,  die  ergreifende,  einfach  mensch- 
liche und  jungfräuliche  Klage  um  ihr  Schicksal,  ihre  eigene  Todtenklage. 
Lebendig  führt  sie  fort  der  allbettende  Hades  zum  Ufer  des  Acheron,  untheil- 
haftig  der  Ehe,  unbesungen  vom  Hochzeitslied.  Der  Chor  sucht  sie  zu  trö- 
sten, dass  sie  ruhmvoll,  in  edler  That  nicht  von  fremder  Gewalt  getroffen, 
aus  eigenem  Entschluss  (avTOvofAog)  und  zwar  sie  allein  von  den  Sterblichen 
lebend  zum  Hades  hinabsteigen  wird.  An  diese  letzten  Worte  (an  das  tßZoa 
(.invrj  dfj)  knüpft  nun  Antigone  wie  sich  zum  Tröste  (mit  Ijxovoa  dtj)  die  Schil- 
derung der  vor  ihr  bereits  lebendig  in  ein  Felsengrab  gegangenen  Niobe; 
es  ist  eine  alte  Mähre  und  nun  fühlt  sie  sich  jener  so  ähnlich  gebettet.  2j 

1)  Aesch.  Suppl.  278: 

xal  Ntilog  av  dgiif/fii  loiovior  (fiioi . 

2)  *Hxovoa  dij  IvyQOidiav  oktoüai 

räv  *t>Qvylav  1-irav 
Tavtnkov  Zmvlu*  nQog  a  — 
XQQt  tav  xiaobg  tos  artvrjg, 
TitiQaCa  ßXdara  ödpaatv, 

xai  viv  ofjißffOt  xaxo^ivav, 

tog  tf litis  avö()(dr, 

yiiov  t*  ovdafik  Xtlnti, 

rfyyti  <T  vn  6(fQV(Ji  nayxlavroig  öfioddng  •  t<  fif 

ünCiMov  ofjtotordiav  xartwaCti. 

XöQCg. 

jikla  &iog  rot  xal  &toytvtjg 

tpttg  <f£  ßQorol  xal  &vfi%oytvklg, 

xa(xov  tf&ifiivq  fiiy  axovaat 

ro ig  ioo&totg  avyxkrtf>a  laztiv 

£ü>0ar  xal  inttra  9avovoar. 
Ueber  den  kritischen  Zustand  der  letzen  Verse  s.  Meineke  Beiträge    z.  philol.  Krit. 
Antig.  des  Sophokles.   18<>1.  S.  3.'* ;  für  &*oytvyg  schreibt  er  tetoytvqg,  und  10T01  &toia 
für  iaoih'oig. 


Die  Tragiker.  43 

„Ich  hörte,  wie  Tantalos*  Tochter,  jene 

Phrygerin,  jammervoll 

Einst  auf  Sipylos*  Höhe  erstarrt; 

Gleich  des  Epheus  schlingendem  Grün 

Rankt  um  sie  der  sprossende  Fels  ; 

Rastlos  zehrt  der  Regen  an  ihr, 

Lautet  die  Sage.    Der  Schnee  lässt  sie  niemals 

Und  badet  unter  den  thranenden  Brau  *n 

Ewig  den  Busen  ihr. 

Also  bettet  der  Tod  zur  Ruh'  auch  mich.*'  (Donner). 

Der  Chor  beschränkt  diese  Aehnlichkeit  zuerst  in  den  Worten : 

Ja,  sie  war  Göttin  göttlichen  Stamms 

Wir  Sterbliche  nur,  von  Menschen  gezeugt, 

doch  fügt  er  tröstend  hinzu  : 

Doch  gross  ist  auch  des  Geschiedenen  Ruhm 
Das  Geschick  Gottglcicher  zu  theilen. 

Antigone  glaubt  sich  in  ihrem  Unglück  zunächst  durch  diese  Worte  verspot- 
tet. Im  Schlussthrcnos  dieser  Scene  führt  der  Chor  dann  die  Heispiele  der 
Danae,  des  Lykurgos  und  der  Kleopatra  als  Parallelen  zum  Schicksal  der 
Antigone  vor. 

Hoch  bedeutsam  ist  in  dieser  Stelle  das  lebendige  Bewusstsein  des  Cho- 
re*, wie  Niobe  hoch  über  die  jüngere  Heroenwelt,  zu  der  ja  das  Geschlecht 
des  Oedipus  gehört,  hinausragt,  ja,  dass  sie  Göttin,  Göttern  gleich,  Gott 
entsprossen  sei  gegenüber  dem  sterblichen,  rein  menschlichen  Geschlecht ; 
daher  ein  Vergleich  nicht  eben  zulässig  erschien.  Damit  stimmt  ganz,  dass 
Antigone  auf  Niobe  nicht  als  Verwandte,  was  sie  gar  nicht  war1),  noch  als  eine 
zeitlieh  nahestehende  Heroine  hinweist ;  nein  sie  hat  von  ihr  gehört,  es  ist  eine 
Sage  unter  den  Menschen  und  über  menschliche  Anschauung  hinausgehoben 
ist  ihr  Schicksal.  Wie  ein  fernes  Gebirgshaupt,  so  blickt  die  Gestalt  der 
Niobe  hier  in  die  jüngere  Sage  herein.  Aber  das  Schicksal  der  Niobe  ist 
auch  nicht  blos  eine  einmal  erfolgte  Thatsache,  nein,  noch  lebt  sie  fort  im 
Felsgebirg,  umkleidet  vom  Wuchs  des  Gesteins ;  Schnee  und  Regen  verlässt 
sie  nie  und  auf  ihren  Hals  und  Nacken  rinnen  ihre  Thränen.  In  meister- 
hafter Weise  ist  im  Doppelsinne  der  Worte  (vre  rxpQiai — deiQadag)  die  mensch- 
lich körperliche  und  zugleich  die  Gebirgsnatur  derselben  ausgeprägt. 

Wieder  in  einem  Threnos  ist  es,  dass  Sophokles  Elektra  der  Niobe  ge- 
denken lässt,  also  auf  argivischem  Boden  und  im  Hereiche  des  Pelopidenge- 
schlechtes.     Während  der  (/hör  die  die  Spende  an  des  Vaters  Grab  darbrin- 


I)  Wie  Schneidewin  oder  Nauck  Niobe  eine  Ahnfrau  de«  Geschlechtes  der  Antigone 
nennen  können  Antigone.  IV.  Aufl.  S.  105)  begreife  ich  nicht.  Das  Haus  des  Laios  hat 
mit  dem  des  Amphion  und  Zethos  nichts  zu  thun.  Auch  der  Anstoss,  den  sie  an  laottt'oit 
nehmen,  ist  ungerechtfertigt,  denn  footttog  ist  nicht  Antigone,  wohl  aber  Niobe. 


44  Erste*  Kapitel. 

gende,  die  Klage  erhebende  Elektra  zum  Mass  darin  mahnt,  erklärt  sie  für 

einen  Thoren,  wer  die  jammervoll  dahin  geschiedenen  Eltern  vergisst.     Sie 

fährt  fort ■ ) : 

Aber  zum  Sinn  mir  stimmet  die  klagende, 
Ewig  den  lty«,  den  ltys  bejammernde 
Flatternde  ßotin  des  Himmel»,  die  Nachtigall. 
Und  dich  allduldende  ehr*  ich  als  Göttin,  o  Niobe, 
1  )ie  du  im  Felsengrabmal 
In  Thranen  stets  bist. 

Auch  hier  also  wird  die  Göttlichkeit  der  Niobe  betont,  hier  ist  sie  Vorbild 
nie  endender  Trauer.  Interessant  ist  die  Zusammenstellung  mit  Aedon  oder 
Philomele,  der  klagenden,  verwandelten  Itysmutter,  deren  tiefere  Begrün- 
dung wir  später  kennen  lernen  werden. 

Die  Tragödie2)  Niobe  des  Sophokles  ist  uns  leider  nur  aus  noch  be- 
deutend spärlicheren  und  kürzeren  Anführungen  bekannt,  als  die  des  Aeschy- 
los,  aber  auch  diese  legen  ein  interessantes  Zeugnis»  für  die  in  der  Natur  des 
Sophokles  und  seiner  Stellung  als  jüngerer  Dichter  Aeschy  los  gegenübergege- 
bene ganz  neue  Auffassung  des  Stoffes  ab.  Es  ist  vor  allem  nicht  der  Schluss- 
akt des  Mythus,  nicht  das  Yerhältniss  Niobes  zum  Tantalos  und  zur  Götter- 
weit,  der  sie  sich  ebenbürtig  weiss,  das  bei  ihm  das  Drama  füllt,  nein  es  ist 
die  Katastrophe  der  glücklichen,  nur  zu  glücklichen  Mutter  mit  ihren  Kin- 
dern, es  ist  die  Entwickelung  der  Schuld,  aber  auch  ihre  Sühne  und  innere 
Lösung,  die  der  Dichter  den  Zuschauern  vorführt.  Aber  ebenso  sehr  dürfen 
wir  nicht  bei  ihm  die  in  den  obigen  Stellen  so  klar  ausgesprochene  göttliche 
Stellung  der  Niobe,  die  hier  speciell  zur  Lcto  und  deren  zwei  Kindern  sich 
ausgesprochen  haben  wird,  gegenüber  der  menschlich  psychologischen  Ent- 
wickelung aus  dem  Drama  verschwunden  denken. 

Zunächst  wissen  wir,  dass  Sophokles  die  Oertlichkeit  des  Unterganges 
der  Kinder  nach  Theben  verlegt  und  hier  wesentlich  sein  Drama  spielt, 
dass  er  sie  selbst  dann   nach  Lydien   gehen   lässt3).     Ob  die  letzte   Scene 


1)  V8.  1 47  :         141V  ffti  y  «  arot'otaa  aQctQt  ifQfvag, 

a"ltvv,  aHv"ltvv  oloifvytTai, 

OQttg  Arv^ofAiva  -Uog  uyytlog ' 

id)  naviXtxfAwv  Nioßa,  ai  tV  tyutyt  rfuto  tftrir, 

ar  iv  T(ttfti>  7itr\)atn 

aUtl  dnxQVttg, 

2)  Fragmente  in  Nauck  Tragg.  poett.  frgmta.  p.  JM  — 1*2.  Ein  Einfall  Gotyfr.  Her- 
manns ein  Satyrdrama  darin  zu  sehen  (Opuscc.  III.  p.  3*)  hat  Fritzsche  de  Sophoclis  Niobe 
in  Euphrosyne  I.  1.  p.  :i2 — 50  vergebens  weiter  ausgeführt.  Uebrigens  hatte  Hermann 
die  Schilderung  bei  Övid  zuerst  wesentlich  als  auf  Sophokles  basirt  bezeichnet,  was  dann 
von  Burmeister  (de  fabula  etc.  p.  63—71)  und  Welcker  -griech.  Tragöd.  I.  S.  2S<>— 29<i) 
weiter  ausgeführt  ist. 

.'$;  Eustath.  11.  p.  1307,  22  :  2Lo<foxXrjg  Ji  tovg  piv  naitiag  avrtj  iy  Gtjßatg  anoXio&cu 
yqafr,  «t'ir^  J£  ftg  .1vö(av  IXfttTr. 


Die  Tragiker.  45 

wirklicn  in  Lydien  spielt  am  Sipylos,  oder  blos  das  Hingehen  dorthin  ausge- 
sprochen wird,  ist  nicht  sicher ;  aus  Eustathios  scheint  mir  das  Erstere  mehr 
hervorzugehen  und  wenn  wir  in  der  oben  besprochenen  Stelle  der  Poetik  des 
Aristoteles  -SoqpoxA^g  für  EvQucidrjg  entweder  unmittelbar  setzen  oder  ein  Ge- 
dächtnissversehen im  Citiren  annehmen,  so  wird  im  Gegensatz  zur  Einfach- 
heit der  aeschyleischen  Anlage  die  Doppelheit  des  sophokleischen  Stückes 
geradezu  anerkannt.  Jedenfalls  handelt  es  sich  dann  nur  um  die  Verwande- 
lung  der  Niobe,  nicht  um  ihre  Beziehung  zu  des  Tantalos  Schicksal.  In  der 
Zahl  der  Kinder  hat  sich  Sophokles  an  Aeschylos  angeschlossen,  beide 
hierin  dem  Einflüsse  des  apollinischen  Ideenkreises  folgend,  wir  haben  sieben 
Töchter  und  sieben  Söhne  bei  ihm !) . 

Die  Entwickelung  der  Schuld  und  des  durch  sie  bedingten  Verhältnisses 
wird  von  Sophokles  im  Eingang,  der  Anlage  all  seiner  Stücke  gemäss,  beson- 
dere trefflich  gegeben  sein.  Wir  werden  wohl  einen  Conflikt  mit  apollinischem 
Cult  und  dessen  Vertretern  Manto  in  Theben,  wie  ihn  Ovid  giebt,  als  sehr 
wahrscheinlich  bezeichnen,  doch  fehlt  es  dabei  an  äusseren  Zeugnissen.  Aus 
der  Schilderung  des  Untergangs  der  Niobiden  selbst,  mag  diese  nun  wirklich 
dargestellt  oder  im  Bericht  vorgeführt  sein,  sind  uns  einige  wichtige  Züge 
erhalten  Zunächst  berichtet  uns  Plutarch  im  Erotikos  2)  als  Beleg,  wie  sehr 
Eros  Kriegsmuth  und  Tapferkeit  gebe,  dass  einer  der  Niobiden  des  Sopho- 
kles, während  diese  von  Geschossen  getroffen  werden  und  fallen,  keinen  an- 
dern Helfer  noch  Kampfgenossen  aufruft,  als  den  Erasten,  seinen  Liebhaber 
mit  den  Worten : 

(o  a/j(fy  iuov  arttlai 

o,  umfange  schützend  mich*;. 

Darauf  bezieht  sich  auch  die  Stelle  in  dem  dreizehnten  Buch  des  Athenäos4), 
das  auch  ein  Erotikos  zu  nennen  ist :  ,,so  sehr  ist  ein  Liebeleben  in  Gunst 
,, gewesen,  so  wenig  hat  man  den  der  Liebe  Ergebenen  für  anstössig  gehal- 
sten, dass  selbst  Aeschylos,  ein  so  gewaltiger  Dichter,  und  Sophokles  in  den 
,,Tragödieen  die  Liebe  auf  die  Huhne  brachten,  jener  in  dem  Verhältnisse 
,,des  Achill  zu  Patroklos,  dieser  in  der  Niobe  die  Liebe  der  Söhne.  Deshalb 
,, nennen  auch  einige  die  Tragödie  eine  päderastische  und  dergleichen  Lieder 
,, nehmen  die  Zuhörer  gern  auf."    Also  wie  das  Freundschaftsverhältniss  von 


1)  Schoi.  Eur.  Phoen.  v.  159;  Lutat.  in  Stat.  Thebaid.  VI.  124. 

2)  Mor.  p.  760  D. 

3)  Twv  phv  yaQ  rov  Zotfoxktovf  Nioßiöuiv  ßakXotitttav  xit)  övrioxorrwr  üvuxalttiat  ti* 
oi&£ya  ßorj&ov  aXXov  ovJl  av^tfia/ov  rj  rov  lg«OTt)v  ,,öj  «t*<f*  ipov  arftkai". 

4)  Athen.  XIII.  75.  p.  (>0I  :  ovrut  if  fattyiaviog  t]v  r)  m^X  r«  lounxa  n^ay^ttjt(u  xal 
ovd*U  iiyttTo  tfOQTixovs  rovs  iQiorixovs.  war«  xal  Ata/vlog  pfyas  wv  7totfjrr)s  xu\  Zoyoxlijs 
riyov  €?c  t«  &£aTQ{t  Jta  TW»*  rQaytpJtdir  rovs  tywra?,  6  pfo  rot'  'A/tlkitos  77(>of  HaTQOxlov,  6 
J*  fr  t9j  Moßij  toi»  rtav  na(tiun"  tfio  x«i  naidkQtuJTQtai  nvts  xalovot  xr\v  TQuyipMav  xnl 
1&£%ovto  tat  roiavia  ^a/uurtt  0/  &tara(. 


46  Erstes  Kapitel. 

Achill  und  Patroklos  zur  leidenschaftlichen  Jünglingsliebe  sich  umgestaltet 
hatte,  und  so  von  Aeschylos  unverhüllt  in  den  Myrmidoneii  dargestellt  war, 
wie  die  Fragmente  vj  erweisen,  so  haben  die  wegen  ihrer  Schönheit  in  allen 
Formen  der  Sage  gepriesenen  Niobiden  ihre  Liebhaher,  um  so  mehr,  als  ge- 
rade in  Hieben,  wie  in  Elis  dies  Yerhaltniss  ein  durchaus  in  der  öffentlichen 
Meinung  anerkanntes,  selbst  in  der  Bildung  der  heiligen  Schaar  wie  im  Zu- 
sammenhang mit  der  Blüthe  dortiger  Athletik  gepflegtes  war2).  Ja  ich 
möchte  fast  dieses  Erastenverhältniss  unter  den  Brüdern  selbst  bestehend 
glauben  und  so  vom  Dichter  jene  zarte  brüderliche  Hülfe  angedeutet  finden, 
die  die  plastischen  Werke  uns  mehrfach  vor  Augen  führen.  Offenbar  waren 
es  aber  nicht  blos  jene  paar  Worte,  die  dieses  Erastenverhältniss  erratheil 
Hessen,  sondern  es  musste  dieses  ausführlicher  hervorgehoben  sein.  Nun 
giebt  aber  die  Stelle  Piutarchs  uns  unmittelbar  einen  Trimeter  ovdtva  ßotj&ov 
aXXov  ovdi  ai^ifiaxov9  „zum  Helfer  niemand  anders  noch  als  Kampfgenoss" 
der  dem  Dichter  angehört.  Dieser  aber  kann  nur  in  einer  Erzählung  vom 
Tode,  in  einem  Berichte  über  die  letzten  Schmerzensworte  und  Hülferufe 
der  Sterbenden  seine  Stelle  finden,  dagegen  nicht  in  einem  Dialog  auf  der 
Bühne  selbst  zwischen  Erasten  und  Niobiden.  Und  so  werden  wir  dadurch 
auch  entschieden  dazu  gedrängt  den  Tod  der  Söhne,  wie  er  bei  Hieben  im 
Bereiche  des  Gymnasion  eintrat,  wo  auch  die  Erasten  als  gegenwärtig 
gedacht  werden,  die  in  oder  bei  dem  Elternhause  nichts  zu  thun  haben,  als 
nicht  geschaut,  sondern  in  einer  jener  meisterhaften  sophokleischen  Erzäh- 
lungen des  Pädagogen  uns  vorgeführt  zudenken.  Welcker  (a.  a.  ().  S.  290.  291) 
hat,  ohne  auf  jenen  Trimeter  aufmerksam  zu  machen,  in  schlagenden  und 
feinsinnigen  Worten,  besonders  in  Rücksicht  auf  die  weise  Sparsamkeit  der 
alten  und  ächten  Kunst  diese  Auffassung  weiter  durchgeführt. 

Was  Friederichs3)  dagegen  von  ästhetischen  Gründen  vorbringt,  vor 
allem  dass  das  Drama  in  einem  Moment  alles  geben  müsse,  was  das  Epos  als 
nach  einander  geschehen  darstelle,  kann  ich  nicht  als  treffend  anerkennen. 
Es  tritt  bei  ihm  zu  sehr  das  Bestreben  hervor,  die  plastische  Anordnung  in  der 
dramatischen  genau  vorgebildet  zu  finden,  mit  einer  Verwischung  des  selbstän- 
digen Verhältnisses  dieser  zwei  Kunstgattungen.  Im  Gegentheil  ist  diese  stu- 
fenweise Entwickelung  und  Steigerung  des  Unglückes,  wie  sie  uns  Ovid4} 
vorführt,  auf  dessen  Schilderung  sowohl  Hermann  als  Welcker  als  wesentlich 
durch  Sophokles  bedingt  sich  hingeführt  sahen,  in  sophokleischer  Composi- 


1)  Nauck  p.  32-33.  n.  131—133. 

2)  Welcker  a.  a.  O.  S.  290.  Anm.  ti  weint  darauf  mit  Recht  hin,  vgl.  noch  die  ausführ- 
lichere Besprechung  böotischer  Sitte  hei  Hermann  Staatsalterth.  $  1 S 1 ,  Becker  Charikl. 
II.  S.  21S.  219.  2.  Aufl. 

3)  Praxiteles  u.  die  Niobegruppe  S.  t>5.  tf9. 

4)  Metam.  VI.  202  ff. 


Die  Tragiker.  47 

tion  trefflich  begründet.  Und  dann,  wo  können  wir  in  einem  uns  erhaltenen 
Drama  eine  Parallele  finden  zu  einer  Seene,  wo  also  vierzehn  Menschen  unter 
verschiedenen  Ausrufungen  sichtbar  hingemordet  werden  von  zwei  auf  dem 
Theologeion  erscheinenden  Gottheiten,  wo  die  Mutter  zwischen  diesen  schwir- 
renden Pfeilen  selbst  auftritt,  ja  nicht  genug,  wo  wir  ausserdem  zu  den  Kna- 
ben und  Pädagogen  uns  Erasten,  bei  den  Mädchen  Trophoi  oder  sonstige  Be- 
gleiterinnen anwesend  denken  müssen?  Gewiss  ein  für  das  Auge  verwirren- 
der, kaum  mehr  tragisch  wirkender  Anblick. 

Ein  kleines  Fragment  gehört  sichtlich  zu  der  folgenden  Scene,  wo  die 
Leichen  der  Söhne  auf  die  Bühne  gebracht  sind  und  bei  ihnen  die  Schwe- 
stern klagend  in  mannigfachen  Berichten  der  trauernden  Liebe  auftreten. 
Die  Worte1): 

H  yccQ  (ptlff  'yto  raiyJf  rov  7rgo(ftnT^Qov 
„des  Aeltern  unter  diesen  Freundin  war  ich  ja*' 
können  nur  aus  dem  Munde  einer  Schwester  recht  gefasst  werden  und  zwar 
gegenüber  den  dem  Hörer  sichtbar  vor  Augen  gerückten  todten  Brüdern, 
schwerlich  aus  dem  Munde  einer  Trophos. 

Dass  diese  dagegen  nicht  gefehlt  hat  in  einem  Stücke,  wo  das  tragische 
Ende  der  Töchter  wie  der  Söhne  so  sehr  in  den  Mittelpunkt  des  Ganzen  ge- 
rückt war,  liess  sich  nach  aller  Analogie  vermuthen,  aber  wir  haben  auch 
noch  Verse  voll  rührender  mütterlicher  Sorgfalt  für  Neugeborene2),  die  ,  jener 
tragischen  Wärterin  der  Kinder  der  Niobe"  in  den  Mund  gelegt  und  welche 
ganz  bestimmter  sprachlicher  Wendungen  wegen  ebenso  sehr,  wie  wegen 
des  vorausgesetzten  allgemeinen  Bekanntseins  {rj  TQayixi]  TQoq>6g  bteivr])  seit 
Vtlckenaer  mit  vollstem   Rechte   der  sophokleischen  Niobe  zugeschrieben 

weiden.    Die  Wärterin  ist  es,  die  da 

„mit  Stücken  feingewebten  weichen  Wollgewands 

bald  wärmend  sie,  bald  kühlend  Müh  an  Mühe  reiht 

Der  Nächte  Arbeit  tauschend  nur  mit  Tagsgeschäft." 
Mit  nicht  ganz  gleicher  Sicherheit  können  wir  dem  Threnos  der  Niobe 
in  diesem  Stücke  die  schönen  Worte  zuschreiben,  die  uns  Plutarch  in  der 


1)  Schol.  Hom.  11.  V.  533;  Od.  VIII.  ISO  in  Bezug  auf  die  Form  rj  neben  r)i\ 

2)  Plut.  tSympos.  VI.  6  (Mor.  p.  691)  :    botorits  ort   Tavrb  iuiutov  lv  xttfiiüvt  dtopai- 
rttvlr  <ft  jji/<p  y  v%tiv  yiyoviv  woneo  i\  TQayixrj  T(totfo9  txfh'Tj  r«  rrjs  fttoßqg  linva  Ti&rjrtiTCu 

ItnTOOnn&TjTcov  ^Xnviöiiov  tot  in  toi  g 

Salnovaa  xal  ypv^ovaa. 
Ikunore  prol.  4    (Mor.  p.  496):   (die  Mutter  des  eben  geborenen  Kindes)   drtUtro  xal 
1l<W|rfff«To  pi\dtv  if6if  —  xaQUovptvi]  firjJk  xQ-yoipor,  all*  tmnavtos  xal  iaXuintuQü)$  araät- 

Onanydviür  igtinfoig 

ddlnovoa  xal  tyvxovoa  xal  novtp  novov 

Ix  vvxrog  älldaaovüa  iov  xa£*  i)^Qav. 
*&'•  N&uck  frgmta  tragg.  p.  652,  der  mit  Recht  ylavidCiur,  nicht  ojiaQyiivvjr  als  Ursprung- 
es Wort  festhalt. 


48  Erstes  Kapitel. 

Trostschrift  an  Apollonios  über  den  Verlust  eines  Sohnes  aufbewahrt  hat ; 
„es  sei  Sache  eines  verständigen  Menschen  zu  wissen,  dass  der  Mensch  ein 
„sterbliches  Wesen  ist,  geboren  zum  Sterben.  Wenn  die  Niobe  im  Mythos 
,,[y.a*a  zoig  {ii Sorg)  dieses  im  Sinne  gegenwärtig  gehabt  hätte,  dass  sie 

Immer  blühenden  Lebens  nicht, 

Unter  kindersprossender  Last 

Den  holden  Tag  schauend  dahin  gehn  wird, 
,, würde  sie  nicht  so  schwer  es  genommen,  dass  sie  selbst  das  Leben  lassen 
„wollte  um  der  Grösse  des  Unglücks  willen  und  anrufen  die  Götter,  dass 
„man  sie  entraffe  in  den  herbsten  Untergang"1).  Wohl  ist  sieht  sophokleisch 
dieser  Doppelsinn  der  Worte,  der  in  dem  ßldozatg  ih.Mov  ßyiüofjeva  die 
menschliche  und  die  Naturseite  der  Niobe,  wie  in  der  oben  behandelten 
Stelle  der  Antigonc,  ausprägt :  eine  kinderreiche  Mutter  und  ein  von  Pflan- 
zen über  und  über  prangendes,  belastetes  Gefilde.  Zugleich  sind  sichtlich 
die  drei  Verse  nicht  allein  herausgerissen,  sondern  auch  im  Schlusssatz  stehen 
die  vom  Dichter  daran  angeschlossenen  Gedanken  nur  kurz  in  Prosa  zusara- 
mengefasst. 

Unter  den  einzelnen  aus  der  Niobe  des  Sophokles  bezeugten  Worten 
weist  der  Ausdruck  tlv/tioi  avloi2)  für  phrygische  Flöten  wohl  auf  die  bereits 
früher  erwähnte  musikalische  Beziehung,  dass  die  phrygischen  Weisen  zuerst 
in  Hellas  bei  dem  Tode  der  Niobiden  erklungen  seien.  Interessant  ist  end- 
lich die  in  einem  sophokleischen  Scholion3)  uns  aufbewahrte  Notiz,  dass  So- 
phokles in  der  Niobe  die  Krokosblume  ausdrücklich  der  Demeter  zueigne ; 
wahrscheinlich  ist  dies  in  einem  Chorgesange  ausgesprochen  und  es  liegt 
nahe  zu  vermuthen,  dass  der  Dichter  das  Schicksal  der  Persephone  und  De- 
meters  Trauer  mit  den  Niobiden  parallelisirt  hat.  Krokos  war  aber  eine  jener 
die  Demetertochter  zum  ttlumenlesen  verführenden  Blumen  gewesen,  bei  dein 


1)  Mor.  p.  JJüc:  ov  ydy  lort  (fQfr'ttg  fyotrog  «rÜQUjnov  «yrotir,  Sri  v  itr&(iU)7iog  Ctyor 
fori  «9 n. toi*,  orJ*  ort  yiyovtr  t\g  tb  ano&avth;  ti  yovv  ff  Nioßri  xurit  rovg  fjvftovg  7iQoxet(H>r 

tlxfthr  vnotyV'1*'  ravTifr,  ort 

ovx  dtl  &aX£&or7i  ß(at 

ßXdaxaig  rixvtüt'  ßyiOo/utrct, 

ylux((tbv  (ftiog  OQÜa«  rfXtvjtjaa, 
oi x  «i»  ovtiog  IJuoxfytttvfv,  wart  xu)  rb  fjji»  i&tXtiv  fxXtntiv  tha  ro  pfyfdog  rijg  avft(fo(tt€>\ 
x«)  rovg  dtovg  fTrixttXfTo&ai  urtionaaiov  ttvi^v  yfrfofhtt   nobg  iintoXunv  ri/r  /«Xbrnordir^t . 

2)  Athen.  IV.  p.  17G:  rovg  yay  fXvfiovg  avXovg,  tav  urtjpovtva  ZoffoxXrjg  £j»  Nioßn  jt 
xu)  TvfinttvtaiaTg,  ovx  uXXovg  nrhg  th'itt  axovojAfv  5  T0VS  4'Qvytovg.  Der  Ausdruck  oVf- 
uriatvg  ist  durch  die  verschiedene  Erklärung  des  Didymos  und  Aristarehos  der  Niobe  des 
Sophokles  zugewiesen  vgl.  Harpocr,  s.  v.,  Hesych.  s.  v. 

\\)  Soph.  Oed.  Col.  fis«|  :  IhdXXn  —  «  xttXXlßoTqvg  —  vrioxitraog,  utyuXuir  Äfcur  uoyuTor 
atHfdiüifi ,  o  t( XQra«v)'r)g  XQoxog.  Schol.  ad  l.  1.  :  rolg  ror  ruoxioaov  rr}  .tqurjiQt  ttnoyi- 
fiovat  iovto  avunynTTft  öxi  xtir  rjj  Ntoßy  b  2,'oqoxXijg  tov  XQOXoy  ItvTtXQvg  itj  ^/i^u^ro«  ava- 
itötrai;  Hom.  hymn.  in  Cer.  7.  42b*.    Vgl.  dazu  Wieseler  Narkissos.  1S5Ü.  S.  117.  128. 


Die  Tragiker.  49 

ihr  Raub  erfolgt  und  steht  der  eigentlichen  Blume  ihres  Todes,  Narkissos,  der 
Bedeutung  nach  sehr  nahe,  wie  ja  in  der  das  Scholion  veranlassenden  Stelle 
des  Chorgesanges  im  Oedipus  auf  Kolonos  der  in  Blüthentrauben  prangende 
ftarkissos,  der  grossen  Göttinnen  uralter  Kranzschmuck,  und  der  goldstrah- 
lende  Krokop  zusammen  genannt  sind. 

Vergeblich  versuchen  wir  es  aus  diesen  wenigen,  wenn  auch  kostbaren 
*  Bnielistückeii  uns  die   sophokleische  Tragödie    wieder  herzustellen.     Uass 
Aar  Untergang  Amphions  neben  dem  der  Kinder  ebenfalls  eintrat,  um  so  das 
Schicksal  der  Niobe  zu  vollenden,  können  wir  mit  Sicherheit  fast  annehmen. 
Ite^och   schon   das   bleibt  ja  unbestimmbar,    ob  die  göttlichen  Gegner  der 
Xjpfee,   Leto  mit  ihren  Kindern  oder  diese  allein,  oder  nur  Apollo  sichtbar 
«geworden  seien  und  eine  Rolle  gespielt  haben.  Man  wird  allzuleicht  den  gött- 
lichen Charakter  Niobes,  den  Sophokles  so  bestimmt  ausgesprochen,  vor 
dem  rein  menschlichen  bei  einem  Res  taurations  versuch  ausser  Acht  lassen.. 

Von  einem  Drama  Tantalos  des  Euripides  existirt  nirgends  eine  Er- 
wähnung, für  eine  Niobe  kann  trotz  der  Fülle  seiner  sonstigen  Fragmente 
nur  die  oben  besprochene  Stelle  der  Poetik  des  Aristoteles  (c.  18)  angeführt 
werden,  die  aber  schon  durch  das  jüngere  eingeschobene  aal  Mrjdeiav  in 
Bezug  auf  den  Namen  des  noch  spät  so  viel  gelesenen  Dichter ,  verdächtig 
wird.  Die  äussern  Gründe  gegen  die  Existenz  des  Stückes  sind  von  Yalcke- 
naer1)  kurz,  zuletzt  von  Burmeister  ausführlicher  aufgezeigt  worden.  Sie  zu 
mehren  würde  nicht  schwer  fallen. 

Es  liegt  nahe  auch  auf  innere  Gründe  hinzuweisen,  die  die  Behandlung 
dieses  Mythus  durch  Euripides  unwahrscheinlich  machen,  so  auf  die  Schwie- 
rigkeit diesem  weit  mehr  dem  Götter-  als  Heroenmythus  angehörigen  Stoff 
nach  Aeschylos  und  Sophokles  eine  subjective,  rein  menschliche  Durchbil- 
dung zu  geben. 

Der  Dichter  gedenkt  mehrfach  des  hochseligen  Zeusentsprossenen 
Tantalos  (ftaxaQiog,  Jiög  neqwxiuQ)  >  des  Urbildes  grossen  Glückes  Ifiiyag 
ol/tog),  des  aus  göttlicher  Ehe  von  Tantalos  entsprossenen  Hauses*),  das  wie 
kein  anderes  zu  verehren  war ;  nur  edle  hochherzige  Worte  sind  würdig  des 
Tantalos,  des  Sohnes  von  Zeus 3) ;  das  Vorsetzen  des  Kindes  am  Göttermahl 
fct  dem  Dichter  unglaublich A) .  Welche  physikalische  Bedeutung  aber  der 
Dichter  an  Tantalos  anknüpft,  ergiebtdie  merkwürdige  Stelle  im  Threnos  der 


0  Diatr.  in  Eurip.  p.  13. 

2)  Eurip.  Or.  338  ff. : 

TCva  yuq  2t*  TiaQog  olxov  allov 
fTSQor  rj  top  an  6  &ioyova>v  ya/nov 
TOf  uno  Tavrdlov  ofßio&at  ut  xqij  ; 

3)  Iph.  Aul.  500. 

4)  lph.  T.  3S5. 


50  Erstes  Kapitel. 

Elektra1),  wo  sie  wünscht  „zu  steigen  zu  dem  zwischen  Himmel  und  Erde  in 
der  Schwebe  gehalteneu  Fels,  zu  der  in  goldenen  Ketten  hängenden  im  Um- 
schwung dahin  sich  bewegenden  Scheibe  am  Olympos,  um  dort  in  Klagge- 
sang  zu  rufen  den  greisen  Urvater  Tantalos".  Die  Sonne  selbst  ist  ihm  also 
der  Tantalos  drohende  Fels  und  dieser  ein  zweiter  Atlas  ist  weder  in  der  TJn-  : 
terwelt,  noch  in  einer  Lokalität  der  Erde  zu  suchen,  nein  er  lebt  im  gewalti- 
gen Reich  unter  der  Sonne  zwischen  Himmel  und  Erde. 

Niobe  wird  ausdrücklich  zweimal  in  den  uns  erhaltenen  Stücken  und 
Fragmenten  des  Euripides  erwähnt :  einmal  in  der  berühmten  Rede  cler 
Merope  in  dem  Stücke  Kresphontes,  worin  sie  über  den  Verlust  ihrer  Kinder, 
mit  scheinbarem  Gleichniuth  sich  ausspricht;  nicht  ihr  allein  sind  ja  Kinder 
gestorben,  nicht  sie  allein  des  Mannes  beraubt,  sondern  Tausende  haben  das-** 
selbe  Leben  zu  kosten  wie  sie.  Ua  heisst  es  wohl  nach  andern  Beispielen 
gleichsam  als  Schluss  und  Spitze2)  : 

„und  zweimal  sieben  Kinder  ihr 
der  Niobe  starben  von  des  Loxias  Geschoss." 
Die  zweite  Stelle  findet  sich  in  den  Phönissen,  bei  der  Angabe  der  Stellung 
der  griechischen  Helden ;  Polyneikes  steht  mit  Adrastos  nahe  dem  Grab  der 
sieben  Mädchen  Niobes3).  Diese  letzte  Bezeichnung  führte  eine  lokale  Tra- 
dition zum  ersten  Male  in  die  literarische  Behandlung  des  Mythos  ein,  aus 
den  Stellen  ersehen  wir  also  das  Festhalten  an  der  von  den  Tragikern  ange- 
nommenen doppelten  Siebenzahl  der  Niobiden ;  endlich  wird  Apollo  als  Ver- 
nichter aller  genannt. 

An  Niobes  ewigen  Thränenquell  musste  aber  unmittelbar  erinnern,  wenn 
der  Chor  der  um  die  Leichen  ihrer  Söhne  bittenden  Argiverinnen  indenHike- 
tiden  den  Threnos  mit  ihren  Dienerinnen  beginnt  und  er  es  ausspricht4) : 

1)  Eur.  Or.  9s2ff. :  /uoioi/ui  rttv  ovquvov 

fjttoov  %&ovog  rt  tttafid'ttv 
aiüjQrjjuaai  n£rQav 
akvotoi  xQvaiaioi  ytQOfxdctv 
$(vuiOi  ßiolov  lg  OIv/utiov, 
Xv  tv  &qfivotaiv  avaßodoio 
y/QOVTi  7TttlQl  TavTala). 

2)  Schol.  FiUrip.  Phoen.  139.  Nauck  tragg.  grr.  frgmta  p.  39tf.  n.  453: 

xai  Jlg  %tix    avirjg  rtxva 
Nt6ßr\g  &av6vxa  Aoglov  ro£tvfjtuou: 
Vgl.  dazu  Welcker  griech.  Trag.  II.  S.  834. 

3)  Eurip.  Phoen.  159: 

txflrog  inra  7i(tQ&4v<ov  rd(fov  nilttg 
Ntoßrjg  'j4ifQ((OTq>  nhr\fSiov  nagaataitt. 

4)  V.  79  ff. :         "AnXtjatog  «<Tf  fi   igdyfi  xdptg  yotor 

noXvnovog,  tag  ig  alißdrov  Trfygag 
vyQa  ()tovoa  aruyaiv, 
cinuvarog  ad  yootv  • 


Die  Tragiker.  51 

„Solch  unersättliche  Lust  der  Klage  reisst  mich  fort 
v  Erfüllt  von  Mühsal,  wie  von  dem  jähen  Fels 

Feucht  abrinnendes  Nass, 

Xie  ruhend  in  Thränenfluth. 

Um  das  ja,  um  Kinder tod 
Kummerbeladen  unter  den  Weibern 

Aus  in  Klagen  strömet  das  Leid.   Weh,  weh ! 
Dass  sterbend  ich  solchen  Leids  vergässe!  " 

Die  Spätlingszeit  der  griechischen   Tragödie  hat    auch  noch 
^einmal  Niobe  behandelt  gesehen.  In  einem  Epigramm  des  Lucillius,  eines  zu 
dm  Kaiser  Nero  in  näherer  Beziehung  stehenden  Dichters  auf  einen  hölzernen, 
ungeschickten  Pantomimen  wird  es  für  ein  schlimmeres  Schicksal  als  St  ein  - 
rerwandlung  erklärt,  wie  Niobe  von  Meliton  in  einem  faulen,  schimmeligen 
Drama  (SQä/aa  oattQOv)  behandelt  zu  werden1).    Der  Gedanke  diesen  Meli- 
ton mit  dem  frostigen  Aeschylosnachahmer  Meli  tos  oder  Meletos,  dem  An- 
kläger des  Sokrates  zu  identificiren,  der  einem  zuerst  wohl  kommen  kann, 
fällt  gegenüber  der  Quantität« Verschiedenheit  von  MeXhtav  und  Millzog  oder 
Milrjtog  zusammen  2) .  Dass  dagegen  in  der  Zeit  des  Lucillius  selbst  Niobe  als 
dramatischer  Stoff  am  kaiserlichen  Hofe  beliebt  war,  dafür  fehlt  es  an  aus- 
drücklichen Belegen  nicht;  eröffnete  docli  Nero  sein  Debüt  als  (Jitharöd  in 
den  Neroneen  zu  Rom  mit  der  Niobe3).    Und  wir  kennen  auch  den  Namen 
eines  lateinischen  Verfassers  einer  Niobe  genau  aus  dieser  Zeit,  ttassus,  wie 
01  scheint  ohne  grösseren  Erfolg,  als  Meli  ton  dichtete4) ;  wenigstens  giebt  ihm 
Martial  den  Rath  Wasserfluth  oder  Feuerbrand  zum  Material  seiner  Schrei- 
berei zu  wählen. 


ib  yt({j  &avovTiov  lixvtav 
Inlnovov  ti  xaret  ywafattg 
ttgyoovg  ntqvxe  nad-og.  I  £• 
&avovoa  Tefo'd*  aXyftüv  ladoipav, 

1)  Anth.  Pal.  XL  246: 

Kai  tv^ov  l$anirT}g  l'aofiat  U&og  •  ihn,  to  xtiQov, 
y>Q<x\pfi  fi  tag  Ntoß-qv  Jgafsa  aangov  MtXhioi . 

2)  üeber  diesen  vgl.  Welcker  griech.  Tragöd.  III.  S.  970—974. 

•*)  Sueton.  V.  Neron.  c.  2J  :  —  sine  mora  nomen  suum  in  albo  citharoedorum  iussit 
auscribi  —  utque  constitit,  peracto  prineipio,  Nioben  se  cantaturum  per  Luciuni  Rufum 
consularem  pronuntiavit  et  in  horam  fere  deeimam  perseveravit. 

4)  Martial.  V.  53 : 

Colchida  quid  scribis,  quid  scribis  amice  Thyesten  ? 

Quid  tibi  vel  Nioben  Basse  vel  Andromachen  ? 
Materia  est,  mihi  crede,  tuis  optissima  chartis 
Deucalion,  vel  si  non  placet  hoc  Phaethon. 
geführt  bei  Welcker  gr.  Tragöd.  III.  S.  Ulis.    Ist  es  nicht  der  von  Quhitilian  als  Zeit- 
genosse angeführte  Caesius  Bassus? 

4» 


52  Ernte*  Kapitel. 

§  7. 
Dithyrambiker.    Spätere  Mimik  and  Orchestik.   Die  komische  Parodie. 

Nur  im  engen  Zusammenhang  mit  dem  Drama,  vorzugsweise  der  Tra- 
gödie und  zwar  in  der  Jüngern  Entwickelung  durch  Euripides  sind  die  musi- 
kalisch-poetischen Produktionen  (Melodramen),  die  Nomen  und  Dithyram- 
ben eines  Philoxenos  und  Timotheos  zu  fassen.  Die  Niobe  erscheint  als 
ein  solches  aus  Arien  und  Chorgesang  nebst  epischer  Einleitung  zusammen- 
gesetztes Werk  des  Timotheos  von  Milet  (460 — 357  v.  Chr.]  und  hat  ge- 
wiss neben  seinen  Persern,  Phineiden,  Nauplios,  Laertes  bei  der  grossen  spä- 
teren Geltung  dieser  jungen  Gattung  weithin  Popularität  besessen.  Eine  Si- 
tuation daraus  mehr  als  die  Worte  selbst  ist  uns  von  dem  Komödiendichter 
Machon  in  seinen  XQelca  aufbewahrt1),  der  sie  in  den  Mund  des  Dithyram- 
bikers  Philoxenos  in  scherzhafter  Parodie  verlegt:  der  Dichter,  ein  feiner 
Gutschmecker,  hat  an  einem  Meerpolyp  sich  den  Tod  angegessen,  er  ist  auf- 
gefordert sein  Testament  zu  machen,  das  Wesentliche  ist  geordnet ;  da  fahrt 
er  fort:  „aber  da  lässt  der  Charon  des  Timotheos  keine  Ruhe,  der  aus  der 
„Niobe,  noch  fasst  der  Nachen,  schreit  er,  es  ruft  die  nächtliche  Moira,  auf 
„die  man  hören  muss ;  damit  ich  all  das  Meine  unten  bei  mir  habe ,  gebt 
mir  noch  den  Rest  des  Polypen"2).  Was  dort  in  der  Tragödie  der  gewaltige 
Mahnruf  des  unterirdischen  Zeus  war,  wird  nun  hier  fast  komisch  individuell 
dem  Charon  zugeschrieben.  Da  Philoxenos  bedeutend  früher  als  Timotheos 
380  v.  Chr.  starb,  so  wird  also  die  Niobe  des  Timotheos  als  damals  allgemein 
gekannt  vorausgesetzt. 

War  schon  in  den  ersten  Jahrzehnten  nach  der  Aufführung  der  Niobe 
des  Aeschylos  und  Sophokles  das  Publikum  für  den  Vortrag  einzelner  Glanz- 
reden (QrioeiQ)  daraus  durch  ausgezeichnete  Schauspieler,  wie  den  Oeagros 
besonders  eingenommen,  so  haben  ja  überhaupt  derartige  Einzelvorträge  aus 
Tragödien  in  der  späteren  Zeit  eine  immer  steigende  Bedeutung  gewonnen. 
Dazu  kamen  dann  die  Gesangvorträge  mit  Kithar-  oder  Flötenbegleitung, 
aber  in  Anschluss  an  jene  jüngsten  Dithyrambiker  und  endlich  die  rein  pan- 
tomimischen Darstellungen  (oQX^oeig) ,  wodurch  ein  dafür  sich  eignender  My- 


1 )  Vgl.  Bernhardy  Grundr.  d.  gr.  Literatur.  II.  S.  54*  ff.;  Bergk Poett.  lyrr.  grr.  p.  1 000  ff. 
2}  Athen.  VIII.  p.  341  C:      all*  Inel 

6  Tifdoftfov  Xiigior  a%oXa&iv  ovx  l(c 

ob*  rrje  Nioßqg,  ywotlv  dl  7iOQ&[jibv  avccßoit, 

xaAli  81  /uoIqcc  vv^ios  rjg  xXvtiv  xqscjv, 

fv  ^xa,v  anoTQixto  ndvra  Tnpaurov  xccro) 

iov  novXvnoöog  fioi  ro  xatdXomov  änoöore. 
Dass  die  Worte  der  Tragödie  ZQ/opai,  r(  p  avtts;  (s.  oben  S.  3*>;  hieher  in  den  Timotheos 
gehörten,  behauptet  jetzt  Nauck  (Tragg.  gr.  fr.  p.  38),  obgleich  Welcker  diese  Stelle  bereits 
in  ihrer  Reminiscenz  an  jene  der  Tragödie  und  den  Unterschied  des  Erhabenen  und  hier 
fast  Lächerlichen  richtig  längst  bezeichnet  hatte. 


Dithyrambiker.    Spätere  Mimik  etc.  53 

thus  immer  von  Neuem  in  seinen  Hauptsituationen  dem  griechisch-römischen 
Publikum  vor  Auge  und  Ohr  vorgeführt  wurden.  Der  Niobemythus  gehörte 
zu  den  besonders  bevorzugten  in  diesen  verschiedenen  Gattungen. 

Wir  besprachen  bereits  das  Auftreten  des  Nero  als  citharoedus  in  der  Rolle 
der  Niobe.  In  dem  Euboikos  des  Dio  Chrysostomos *)  werden  die  Kunst- 
genüsse des  Reichthums  aufgeführt,  in  denen  die  Armuth  nicht  wetteifern 
könne:  „da  giebt  es  nicht  tragische,  komische  Schauspieler,  Possenreisser  im 
Mimos,  Tänzer  und  Choreuten,  mit  Ausnahme  der  von  heiligen  Chören,  aber 
nicht  solche,  die  die  Schicksale  der  Niobe  oder  des  Thyestes  be- 
singen oder  sie  tanzen,  nicht  Kitharöden  und  Flötenspieler."  Also 
Niobe  und  Thyestes  [xa  Nidßrjg  rj  OvioTOv  nd&rj)  sind  hier  Beispiele  einer 
ganzen  Gattung  von  solchen  im  Tanz  oder  Einzelgesang  behandelten  Stoffen. 
Lucian  führt  uns  in  seiner  Schrift  neQi  OQXTjOewg2)  den  ganzen  Bereich  der 
mythologischen  Stoffe  genau  auf,  die  ein  Tänzer  genau  kennen  musste,  um 
sie  darzustellen ;  da  nennt  er  „den  Mauerbau  nach  der  Leier,  den  Wahnsinn 
des  Mauererbauers,  die  Grosssprecherei  seines  Weibes ,  der  Niobe,  und  ihr 
Schweigen  in  der  Trauer",  später  im  Bereich  der  klein  asiatischen  Sagen 
„die  Geschwätzigkeit  des  Tantalos,  den  Götterschmaus  bei  ihm  und  die  Zer- 
stückelung des  Pclops  sammt  elfenbeinerner  Schulter."  Es  sind  mithin  zwei 
Situationen,  die  vor  allen  dargestellt  werden :  die  stolze  Rede  {f.ieyahxv%ia) 
der  Niobe  und  dann  das  tiefe  Schweigen  im  Leid.  Ungeschickte  Tänzer  der 
Niobe  haben  den  Epigrammmatikern  zur  Zielscheibe  ihres  Witzes  gedient,  so 
Ariston  für  Lucillius,  so  im  vierten  Jahrhundert  auch  Memphis  für  Palladas  •). 

1}  Or.  VII.  p.  122  M. :  xa\  tolvvv  ovä*  vnoxQtrag  roayixovg  rj  xw/uixovg  rj  tficr  xivtov  fit- 
umv  axparou  ytXtoxog  ^rj/jtovQyovg  oirJt  OQ/rjarng  oüJl  x°Q€VT«S  n\i\v  yt  rtuv  ie q<uv  X°Q*>v* 
«ii*  ovx  lx£  ye  roTg  Nioßqg  rj  Gviarov  ndfhfoir  utiovrag  rj  ooyovLitvovg  ovdh  ctvXrjrag  ntql 
rixrjC  iv  &tdtQOig  ccfiiXXatuf'vovg. 

2)  Luc.  Ae  saftet.  41  :  xai  nQog  Xvqolv  Tf(%toi$  xai  uavla  tov  TSiyonoiov  xai  rrjg  yvvaixbg 
l                ai'TOV  tije  Ntoßrjg  j)  [xiyakctvy((t  xai  r)  inl  T(p  nivO-tt  atytj  — . 

3)  Lucill.  n.  LXXXII  in  Anthol.  gr.  ex  rec*  Brunck.  II.  p.  334  (ed.  Jacobs  III.  p.  45) : 
{  Jldvra  xafr*  iöTOQirjy  OQXovfiifvog,  £r  rb  ufyiorov 

rtav  tyytov  naqidutv  r)viaaag  peydXtog. 
irfv  ptv  yaQ  Nioßrjv  oq%ovu€vos,  tag  XC&ogtatrig 
xai  naXiv  oiv  Kanavtvg  l£an(vr]s  tniatg  xrX. 
Lucill.  n.  LXXXIII : 
j  *Ex  noCüiv  6  narrtf)  ae  öqvcüv  rtrprjxiv,  *j4Q(axtav% 

rj  noltov  ae  /uvXov  xoiparo  Xaro/uKov ; 
•  rj  yaq  an 6  ÖQvbg  laal  naXatydrov,  rj  anb  n(rQr\g 

bQXWWi  Ntoßrjg  tfinvoov  aQxttvnov  • 
loare  /ue  &av/udCovra  Xtyetv,  ort  xai  au  n  Ar)ioX 
rjQiaag  •  ov  yaQ  av  rjg  avTopdrtog  XC&ivog. 
Palladas  n.  LVII  in  Anthol.  gr.  II.  p.  4M)  [ed.  Jacobs  III.  p.  127) : 

zldyvriv  xalNioßr^v  (OQxr]aato  Mtu(figb  aifiog, 
<og  ivXivog  ddffvqv,  <os  Xt&irog  Nioßtp'. 
Ueber setzt  von  Auson.  epigr.  "-5,  wie  das  erstere  des  Lucillius  auch  von  Auson.  epigr.  n.  84, 


54  Erste*  Kapitel. 

Jener  „hat  ganz  historisch  treu  getanzt ;  als  er  die  Niobe  tanzte,  stand  er  als 
rechter  Stein  da";  ja  ,,er  ist  ein  beseeltes  Urbild  der  Niobe,  ein  Tänzer  von 
der  altberühmten  Eiche  oder  dem  Fels  abstammend".  Memphis,  die  Stumpf- 
nase hat  Daphne  und  Niobe  getanzt,  ,,Daphne  wie  von  Holz,  wie  von  Stein 
Niobe" 

Der  hochtragische  Charakter  der  Niobesage  und  ihre  Behandlung  im 
specifisch  erhabenen  Stile  der  alten  Tragödie  musste  nach  acht  griechischer 
künstlerischer  Doppelseitigkeit  unmittelbar  zur  vollsten  Parodie  veranlassen 
und  auch  der  leichteren  Ironie  der  jüngsten  Komödie  willkommenen  Anlass 
bieten.  Und  so  begegnet  uns  unter  den  Titeln  der  Stücke  des  Aristopha- 
nes  folgender:  JqctixctzoL  rj  Nloßog,  sich  durch  den  Namen  von  einem  andern 
Jqa^iaxa  rj  Keivavoog  unterscheidend,  einmal  auch  allein  Nloßog  oder  Nloßig 
genannt ;  in  einer  freilich  sehr  verdorbeneu  Stelle  wird  von  einem  devteQog 
Nioßog  gesprochen1).  Allerdings  war  die  Autorschaft  des  Aristophanes  im 
Alterthum  nicht  allgemein  anerkannt;  einige  schrieben  das  Stück  mit  den 
anderen  dem  durch  seine  *I%d-vg  vor  allem  bekannten  wenig  jüngeren  Dichter 
Archippos  zu  (um  Ol.  91).  Es  war  wie  in  dem  andern  Stücke  dieses  Titels 
der  Besuch  des  Herakles  bei  Fholos,  so  hier  also  eine  Parodie  des  Schicksals 
der  Niobe  und  zwar  mit  einem  männlichen  Vertreter  eingeschoben  oder  das 
Mannweib  in  der  Niobe,  gleich  der  mannweiblichen  Aphrodite  von  Kypros 
gleichsam  personificirt.  Wir  wdssen  nur,  dass  die  von  den  drei  Tragikern 
angenommene  Siebenzahl  der  Knaben  und  Mädchen  auch  hier  hervorge- 
hoben war*).  Die  Fragmente  geben  für  die  Parodie  keine  ganz  sichere  Aus- 
beute.    Ob  wir  bei  den  Worten : 

ovdiv  [Act  Ji  ioti)  Xoitcidog  tyrjTWV 

„nein  nicht  beim  Zeus  gelüstete  mir  nach  Fischgericht" 
an  die  der  Speise  und  des  Tranks  sich  enthaltende  trauernde  Niobe  denken 
können?  Auf  ein  nächtliches  Festgelage  weist  das  Unglück  das  Licht  (Xv%vog) 
vom  Leuchter  [Xv%vovxog)  zu  verlieren  hin3).  Die  ungefähre  Zeit  der  Abfas- 
sung des  Stückes  ergiebt  sich  aus  der  Erwähnung  des  Kykloboros,  ,,der  in 
die   Ziegelei   gekommen,    dort   weggeschwemmt"4).     Mit  dem   lärmenden, 


1)  Fragmenta  hei  Bergk  in  Meineke  frgmta  comicor.  gr.  11.  2.  1055 — 1062.  Aristo ph. 
ed.  Dindorf.  p.20l— 27<>.  Nioßog  {NCoßig  codd.)  in  Vita  Aristoph.Praef.  p.  XXI  ed.Dindorf.; 
Iv  tw  (Uvr£Q(p  NCoßttt  Athen.  XV.  5S  p.  (WO.  Das  dtvxtQot  mit  Bergk  einfach  wegzulassen 
scheint  mir  zu  willkürlich  ;  entweder  ist  es  aus  tipa/Hfair  ?  verderbt  oder  es  hat  allerdings 
eine  zweite  Kecension  wie  vom  Frieden  und  den  Wolken  gegeben,  vielleicht  eine  Umarbei- 
tung eben  durch  jenen  Archippos. 

2)  Schol.  Eur.  Phoen.  V.  150. 
:\)  Frg.  :*.  1.  5.  Bergk. 

I)  Pollux  X.  1S5:  ov  fiivroi  oi  xfQCt/utig  tag  nXdOov*  fnlaxTOi;  nkiv&kiov  xaXtt  tbv 
totiov  h  jQtifiaaiv  fj  Nioßip  XQiOTotpdrrjg,  ntQl  xov  KvxXoßoQOV  tov  norapov  Xfytov  •  o  «T  ig 
io  nktv&ttov  yerofitros  ittTQetye. 


Dithyrambiker.   Spätere  Mimik  etc.  55 

brüllenden  Gebirgs-  und  Gewitterwasser  bei  Athen  wird  aber  Kleon  auch 
sonst  von  Aristophanes  verglichen1),  wir  haben  auch  hier  an  ihn  zu  denken. 
Auf  Kleon  den  ßvQOonwlrjg  ist  es  auch  zu  beziehen,  wenn  Aristophanes  in 
den  jQa/nata  auch  die  JJurg  von  Athen  eine  Bvqocc  nüt  Anspielung  darauf 
und  mit  der  Parallele  zur  Byrsa  Karthagos  nennt2).  Daraus  geht  entschie- 
den hervor,  dass  wir  den  Nioßog  in  die  erste  Epoche  der  aristophanischen 
Thätigkeit,  in  das  erste  Jahrzehend  des  peloponnesischen  Krieges  zu  setzen 
haben. 

Aus  der  mittleren  Komödie  hat  T  im  o kl  es  in  seinen  Dionysiazusen  mit 
feiner  Ironie  die  mancherlei  Trost-  und  Zerstreuungsmittel  [naQatyvxag  cpQOv- 
tldwv) ,  die  für  den  Menschen,  dieses  mühbeladene  Wesen  feüov  enlnovov) 
erfunden  sind  (wahrscheinlich  von  Dionysos),  aufgezählt;  voran  stehen  die 
Tragödiendichter.  Bei  ihnen  sieht  jeder  grössere  Leiden  als  die  seinen  und 
trägt  diese  um  so  leichter.  So  tröstet  Telephos  den  Bettler,  Alkmäon  den  an 
Wahnsinn  Kranken,  den  Augenkranken  die  blinden  Phineiden,  den  Lahmen 
Philoktet,  den  Alten  Oi'leus  und 

„starb  dem  ein  Kind,  die  Niobe  hats  ihm  leicht  gemacht"3). 
Ein  Gesichtspunkt,  den  wir  als  einen  populären  auch  bei  den  Denkmälern 
der  bildenden  Kunst,  besonders  den  Sarkophagreliefs  bestätigt  finden  werden. 
Philemon  endlich  hat  in  einem  längeren  Fragment  eines  uns  unbe- 
stimmbaren Stückes  lehrhaft  vom  Standpunkt  des  gemeinen  Menschenver- 
standes über  die  Niobesage   sich  ausgelassen.    Er  sagt :  *) 

„Für  einen  Stein  die  Niobe  hab'  ich  nie  bei  Gott 

Gehalten  und  auch  jetzt  nicht  überzeug*  ich  mich, 

Dass  dazu  ein  Mensch  geworden.    Nein  durch  Leiden,  die 

Auf  sie  zusammenbrachen,  trat  der  Zustand  ein, 

Dass  sie  zu  reden  nicht  vermocht  zu  keinem  Mensch 

Und  also  vom  Nichtreden  ward  sie  Stein  genannt.'4 
£6  ist  der  volle  Euhemerismus,  die  äussere  Deutung  des  Wortgebrauches,  wel- 
cher hier  durchklingt. 


1)  Ach.  3*1,  Equ.  137. 

2)  Hesych.  s.  v.  Bvqaav  tiJi*  nohv'A&tivtJov^AQiaioqavris  tr  jQttfHtat  nattyav  (yq.  Auf 
diesen  Namen  mag  sich  auch  bezichen,  dass  von  xaitvg,  Lederstückchen,  im  selben  Stücke 
die  Kede  war  iPoll.  X.  166). 

3}  Athen.  VI.  2.  p.  223.  d.  Meineke  frgmta  com.  graec.  111.  5!)3.  p.  xt&vrixt  xt*t  naTg,  ^ 

Nioßt\  xtxoutfixe. 

4)  Philem.  bei  Schol.  Hom.  II.  XXIV.   617,  Menandr.  et  Philem.    rell.   ed.  Meineke 

ine*  fab.  frg.  n.  16: 

ly»  Xi&ov  fikv  rt]v  Ntoßqv  pa  xovg  &iovg 

ovdtnox   tnt(a&t\vt  ovöt  vvv  nfio&qooptti 

tag  rovt  tytvtr  ai&Qwnog'  vnb  dl  rwv  xaxdv 

ttSr  avfAitföovjtav  xovto  (ru/jßnrxog  naüovi 

ovdh  krdrjaat  dvva^i(vr\  ttq 6g  ovdtvtt 

7TnoOt}yo'>fvöt)  dia  tb  [Ay  tfatvfiv  XiOovg. 


56  Erste»  Kapitel. 

8  s. 

Die  alexandrinische  Poesie.    Die  Epigrammatiker.   Das  spätere  Epos. 

Die  rhetorische  Uebnng. 

Unter  den  alexandrinischen  Dichtern  haben  nur  zwei,  so  viel  wir  wis- 
sen, die  Niobesage  in  zusamenhängcnder  Weise  behandelt,  Euphorion, 
der  Dichter  und  Bibliothekar  am  Hofe  Antiochos'  des  Grossen  und  Simmias 
von  Rhodos.  Auf  jenen  beruft  sich  das  die  Sage  erzählende  Scholion  des 
Didymos  zu  IL  XXIV.  602:  tj  iotoqicc  nctqa  EvyoQitovi.  Darnach  ist  Niobe 
Tochter  des  Tantalos,  Gemahlin  des  Amphion,  Mutter  von  zwölf  Kindern, 
ist  stolz  auf  Menge  und  Schönheit  der  Kinder,  schmäht  Leto  wegen  des 
Besitzes  von  nur  zwei  und  weil  sie  auch  schönere  Kinder  habe  (€VT€xva>T€Qa) . 
Die  Göttin  zürnt  und  sendet  Pfeile  auf  die  Kinder,  indem  Apollo  die  Söhne 
bei  der  Jagd  im  Kithäron,  Artemis  die  Töchter  zu  Hause  tödtet.  Die  über 
ein  solches  Unglück  weinende  Niobe  wandelt  Zeus  aus  Mitleid  in  Stein,  der 
auch  noch  jetzt  am  Sipylos  in  Phrygien  Quellen  von  Thränen  strömen  lassend 
von  allen  gesehen  wird.  Also  in  der  Zahl  Anschluss  an  Homer,  betont 
wird  die  Schönheit  neben  der  Menge,  der  Tod  erfolgt  an  getrennten  Lokalen, 
die  Jagd  im  Kithäron  ist  bezeichnend.  Fragen  wir,  worin  Euphorion  die 
Sage  erzählt  hatte,  so  haben  wir  jedenfalls  an  seine  Xiliddeg,  diese  grosse 
Sammlung  mythischer  Erzählungen  zu  denken *) . 

Während  uns  hier  eine  einfache,  acht  griechische  von  Euphorion  in  sei- 
ner Heimath  Euböa  und  in  Athen  vorgefundene  Sagenform  begegnet,  hat 
Simmias  von  Rhodos  ganz  in  seiner  nach  Entlegenem,  Gesuchtem  streben- 
den Weise  eine  durchaus  abweichende,  lokall ydisc he  Form,  sowie  mit 
den  Lydiaca  des  Pseudo-Xanthos  und  der  Erzählung  des  Neanthes  von  Ky- 
zikos2)  stimmend,  bearbeitet.  In  welchem  seiner  Gedichte  dies  geschehen 
ist,  ob  etwa  in  dem  sinoXXwv  ist  nicht  zu  bestimmen 8).  Parthenios  aus 
Nikäa,  der  Zeitgenosse  Virgils  hat  in  seinen  prosaischen  'EQWTixd  Kap.  33 
aus  dieser  geschöpft  und  noch  bietet  das  Scholion  des  Veuetus  alter  zu  IL 
XXIV.  602 4)  und  das  zu  Eurip.  Phoen.  159  kürzere  Belege  dazu.  Niobe 
ist  nicht  Tochter  des  Tantalos,  sondern  des  Assaon  oder  Asonides,  also  des 
Sohnes  des  Assaon ;  sie  ist  Frau  des  Assyrcrs  P  h  i  1  o  1 1  o  s ,  der  im  Sipylos 
wohnte  und  hat  von  ihm  zwanzig  Kinder,  sie  kommt  in  Streit  mit  Leto  und 


1 ;  Düntzer  Frgmte  ep.  Poesie  der  Alex.  S.  52 ;  Meinckc  Anal.  Alexandrina.  p.   1 46. 

n.  135. 

2)  Düntzer  a.  a.  Ü   S.  H. 

:t;  Xanthos  bei  Creuzer  historr.  graecc.  frgmta  p.  1*9  sq.;  Müller  Frgmt.  histor.  gr. 

III.  p.  <>. 

4}   Avdol  d(  (fetaiv  ort  'Aöwvtöris  £Q(tOÖfl$  avtrjs  xcel  jutj  ntio&ttoris  In    «Qiüxor  tovg 


Die  alexandrinische  Poesie.    Die  Epigrammatiker  etc.  57 

deren  Rache  vollzieht  sich  nun  in  folgender  Weise.  Philottos  kommt  auf  der 
Jagd  von  einem  Bären  getödtet  um,  Assaon  von  Verlangen  nach  seiner  Tochter 
erfüllt,  will  sie  heirathen  ;  da  Niobe  nicht  nachgiebt,  ruft  er  ihre  Kinder  zu 
einem  Mahl  [in  Bvw%lav  oder  in  agiorov)  und  verbrennt  sie,  Niobe  stürzt 
sich  deshalb  vom  höchsten  Fels  oder  bittet  darum  versteinert  zu  werden ;  As- 
saon zur  Besinnung  gekommen  tödtet  sich  selbst.  Ganz  unverkennbar  haben 
wir  hier  Züge  aus  einem  assyrisch-lydischen,  wesentlich  semitischen  Mythus, 
den  wir  bei  dorn  Nachweise  der  am  Sipylos  in  so  reichem  Masse  zusammenlau- 
fenden ethnographischen  Fäden  genauer  feststellen  müssen.  Diese  unnatür- 
lichen Verhältnisse  zwischen  Vater  und  Tochter,  diese  Grausamkeit  des  Mah- 
les —  das  Letztere  ein  Verhältniss,  welches  im  Tantalosgeschlecht  sich  wie- 
derholt nach  der  tragischen  Sagenbildung  —  w eisen  entschieden  hier  auch  auf 
Aufnahme  nichtgriechischer  Elemente  hin1).  Welcker*}  weist  mit  Recht 
schon  auf  diesen  Unterschied  hin  zwischen  der  ursprünglich  ungriechischen 
Fassung  überhaupt  und  der  griechischen  Bearbeitung  der  Sage ;  für  uns  handelt 
es  sich  allerdings  nicht  um  ein  Bearbeiten  eines  fremden  Stoffes,  sondern  um 
ein  spätes  Assimiliren  desselben  an  eine  tief  im  griechischen  religiösen  Be- 
wußtsein ruhende,  längst  ausgebildete  ideale  Anschauung.  Wir  begreifen 
sehr  wohl,  wie  sehr  es  einen  alexandrinischen  Dichter  locken  musste  neben 
dem  breiten  Gleise  der  allbekannten  Sage  min  ganz  überraschende  neue  Züge 
einzuführen. 

Ob  Nikander  von  Kolophon  in  seinen 'Eregoiov/ueva,  welche  für  römi- 
sche Dichter  so  bestimmend  wirkten,  oder  den  drei  Büchern  der  Qrjßa'ixd  die 
Niobesagc  behandelt  hat,  ist,  wenn  auch  sehr  wahrscheinlich ,  doch  durch 
nichts  erwiesen8). 

Kürzere,  mehr  gelegentliche  Erwähnungen  der  Niobesage  begegnen  uns 
bei  Kallimachos,  Moschos  und  unter  den  Anakreonteen.  Apollo  zürnt  bei 
Kallimachos  noch  unter  der  Mutter  Herzen  über  Theben,  das  Leto  nicht 
aufnehmen  will.  „Fliehe  fort,  rasch  werde  ich  dich  treffen  im  Blut  mein 
Geschoss  zu  baden ;  du  hast  dir  die  Kinder  des  schmähenden  Weibes  thtva 
xaxoyXaioooio  yvvaixog  erlost;  nicht  kannst  du  meine  liebe  Nähramme, 
nicht  der  Kithäron  es  sein ;    heilig  will  ich  auch  mir  nur  von  Heiligen  ge- 


1;  Ganz  unbegreiflich  ist  die  Aeusserung  von  Gutschmidt  im  Philologus  X.  S.  l>55  bei 
Gelegenheit  der  schmählichen  That  des  Mycerinus  an  seiner  Tochter :  sine  dubio  Graeca 
sunt  huius  narrationis  elementa,  quippe  in  quorum  traditionibus  fabulosis  nihil  sit  frequen- 
tius,  quam  filiae  a  patribus  stupratae  etdesperatione  pernio taeviolenta«  sibi  manus  injicien- 
tes,  ut  Myrrha  Cinyrae  filia,  Larissa  Piasi,  Harpalyce  Clymeni,  Niobe  Assaonis  aliae  mul- 
tae.    Im  Gegentheil  ist  der  speeifisch  ungriechische  Ursprung  immer  nachzuweisen. 

2.   Aeschyl.  Trilogie  S.  351. 

:*)  Vgl.   Düntzer  Ep.  Poes,  der  Alex.  8.  78.  80. 


58  Erstes  Kapitel. 

dient  haben' <!).  Im  Hymnus  auf  Apollo  selbst  erschallt,  wenn  Apollo  er- 
scheint, dasIePaeeon  und  „der  thränenreiche  Fels  hebt  an  von  seinen  Leiden, 
der  da  in  Phrygie  ein  nassbethauter  Stein  festgebannt  ist;  ein  Marmor  für 
ein  in  Jammer  steinendes  Weib"  2J .  Mo  s  c  h  os ,  welcher  uns  in  seiner  vierten 
Idylle  Megaras  Schmerz  beim  Niederschiessen  all  ihrer  Kinder  im  Hause  dem 
einer  Niobe  ähnlich  schildert,  lässt  Alkmenen  mit  Megara  Thränen  vergiessen 
Tag  und  Nacht,  sie,  die  die  Sage  auch  in  einen  Stein  dann  verwandelt8) ; 
mögen  ihre  Thränen  selbst  noch  reicher  strömen  als  die  der  schöngelockten 
Niobe,  für  eine  Mutter  ist  es  kein  Vorwurf  um  ihr  Kind  zu  jammern4).  Im 
leichten  Ton  der  spielenden  Anakreonteen  beginnt  der  Dichter  des  zwan- 
zigsten (x/?')  Liedchens  an  sein  Mädchen  erst  feierlich : 

„Des  Tantals  Tochter  stand  einst 

Als  Fels  auf  Phryger  Bergen 

Und  einst  umher  als  Schwalbe 

Flog  des  Pandions  Tochter"*,, 
um  dann  den  Wunsch  seiner  Wandlungen  in  Gegenstände  ihres  Schmuckes 
bis  zur  Sandale  daran  anzuknüpfen.  Die  Zusammenstellung  von  Niobe  und 
derPandionstochter  lernten  wir  gerade  so  in  der  Elektra  des  Sophokles  kennen. 
Die  Epigrammen dichtung  hat  mit  besonderer  Liebe  Niobe  zu  ihrem 
Gegenstand  gewählt  und  zwar  in  verschiedenartiger  Behandlung :  bald  eine 
Situation  im  Mythus  selbst,  bald  die  Schlussempfindung,  die  er  hinterlässt, 
besonders  die  Verwandlung  in  Stein,  bald  war  eine  unmittelbare  Anregung 
gegeben  durch  ein  grösseres  plastisches  Kunstwerk  oder  doch  durch  eine 
Statue  der  Niobe  selbst.     Bei  dem  engen  Verhältniss,  in  dem  das  griechische 


1)  Callimach.  in  Del.  95  ff. : 

(ptvye  nQoato'  raxivog  <f€  xt/tjoo/uai  (tXfxart  Xoioior 
to£ov  ifiov,  av  dk  rixva  xaxoyXtoaooto  ywaixog 
Zkla/tg  '  ov  avy  ifteio  (f^Xrj  TQO(fog  ovtit  Ki&aiQtov 
Zootrai*  evayitov  6k  xa\  evtiy&oot  fiiXot^v. 

2)  Callim.4n  Apoll.  V.  22  ff. : 

xal  fAtv  6  öaxQvottg  avaßdXXtxai  aXyta  nfiQog, 
ooxig  ivl  cpQuytrji  öitgog  Xtfrog  iorrJQixrai, 
/uagpaQov  arrl  yvvmxhg  6'iZvQov  ti  jfavot/tfq; . 

3)  Anton.  Liber.  c.  33. 

4)  Mosch.  Idyll.  IV.  S4ff.: 

pi}ä'  €l  x  qvxofAou  Nioßi\g  nuxtvtoitQa  xXatat. 
ov  yaQ  S-tjv  repförjTov  vnhq  rixvov  yoaao&tu 
fjHjTtQi.  övona&iovxog  — . 

5)  Anacreont.  ed.  Mehlhorn  p.  9 7. Od.  xß'  (20) : 

r\  TavjdXov  not  fort} 
Xt&og  <pQvy<ov  ir  ox&aig, 
xal  natg  nox  OQVig  Znrtj 
Hrtvdtovog  ^f  jli  cfaiV. 
Vgl.  dazu  meine  Quaesüones  Anacreont.  p.  50  f. 


Die  alexandrinische  Poesie.   Die  Epigrammatiker  etc.  59 

Epigramm  zur  Grabschrift  auch  in  der  Zeit  seiner  Durchbildung  als  Kunst- 
form blieb,  ist  diese  Beziehung  zu  dem  erschütterndsten  Familien tod  und  Fa- 
miliengrab eine  sehr  natürliche.  Der  elegische  Charakter,  sowie  die  unmit- 
telbar herausspringende  ethische  Mahnung  in  der  Gnome  kamen  dem  Dich- 
ter in  diesem  Mythus  glücklich  entgegen. 

Antipater  von  Sidon1)  (um  Ol.  160)  weist  hin  auf  ,jene  Tantalide, 
einst  jene  berühmte,  die  zweimal  sieben  Kinder  geboren  in  Einem  Mutter- 
schoose,  zum  Schlachtopfer  dem  Phoebos  und  der  Artemis."  Mädchen  dem 
Mädchen,  Knabe  dem  Knaben,  das  Paar  dem  Paare  der  Siebenzahl  werden 
sich  gegenübergestellt,  die  Mutter  einst  einer  so  grossen  Schaar  (dyiky),  ihr 
bleibt  nicht  ein  Einziges  ihr  Alter  zu  pflegen.  Nicht  die  Mutter  wird  von 
den  Kindern,  wie  es  recht  wäre,  nein  die  Kinder  von  der  Mutter  zum  Trauer- 
grab geleitet.  Der  Schlusssatz  redet  Tantalos  und  die  Tantalide  an,  beide 
hat  die  Zunge,  das  Reden  verderbt,  sie  ward  versteinert,  ihm  droht  als  ewige 
Gefahr  der  Stein.  Die  Gegensätze  sind  hier  in  treffendster  Weise  durch  das 
ganze  kleine  Gedicht  durchgeführt.  Ein  zweites  Epigramm  von  Antipater*) 
bezieht  sich  unmittelbar  auf  eine  plastische  Darstellung.  „Warum,  fragt  der 
Dichter,  hast  du  zum  Olymp  die  frevelnde  Hand  gehoben  und  gelöst  das 
gotterfüllte  Haar  vom  gottlosen  Haupt?  Jetzt,  du  Kinderreiche,  staunend 
über  der  Leto  heftigen  Groll  beseufze  den  herben,  eigenwillig  thörichten 
Hader/'  Drei  der  Töchter  werden  in  ihren  Todesschmerzen  und  Aengsten 
geschildert.    Doch  damit  nicht  genug,  „bereits  ist  ja  der  Haufe  der  todten 


1)  Antholog.  gr.  ex  rec.  Brunck  ed.  Jacobs  T.  II.  p  17.  n.XLII: 

TavxaXlg  acte  no^'  acte,  ölg  in  Taxis  xixva  xixovaa 

yccargl  jutij,  <Po£ß<p  övfia  xal  ^Qjt/uidt, 
xovqcl  yctQ  nQOvne/uyt  xoQaig  if6vovy  agatoi  d"  apert/p, 

Siaool  yaQ  dioerag  ixxavov  tßJo/uadag. 
ä  cte  xoftag  dyiXag  p«T*IQ  nuQog,  a  nayog  tvnatg, 

ovd*  i(fy  ivl  xXdfAiov  XUntxo  yrjQoxo^Kp  * 
/u{(ttjq  <T  ov%  vnb  naiotvy  ohcq  S-ifiig,  «XX*  im 6  fiaxgog 

naTötg  ig  aXyttvovg  ndvxtg  äyovxo  xdqovg. 
TavxaXt,  xctl  o$  cte  yXüooa  duiXiOe  xal  aio  xovQttv. 

X«  f*b  intXQtoihj,  Ool  <J*  fni  dttfia  Xl&og. 

2)  Anthol.  gr.  II.  p.  IS.  n.  XLIII  (Anthol.  Planud.  133) : 

Tlnxh,  yvvcu,  7rQog"OXvfAnov  dvaidia  %c Tq%  avtvttxag, 

Zv&toy  ($  ä&tov  xQCtrog  atftloa  xopav ; 
Aaxovg  nanxalrovoa  noXvv  jfoAo)',  *)  noXvxcxve, 

vvv  ax£vt  xitv  mxQav  xal  ayiXdßovXov  fyw. 
(( /uh'  yag  naldtav  analqu  niXag'  a  cte  Xinonvovg 

xtxXtxai •  a  cte  ßagvg  noT/uog  tnixg/^axai. 
xal  poxdtov  ovnti)  xoete  aoi  x4Xog%  ctXXa  xal  aQOrjv 

fOXQOtxai  xixratv  toubg  anoif&tfAivtov, 
to  ßayv  daxQvoaaa  y&vi&Xiov,  änvoog  mvxd 

7i fr Qog  tor)  Niößa  xdcte't  (emend.  Jacobs  1.  x  afite;  ttiQOjutra. 


60  Erstes  Kapitel. 

Söhne  auf  Erden  gebettet.  O  du,  die  du  schwer  beweint  hast  das  von  dir 
Geborene  (oder  richtiger,  deinen  Geburtstag)  wirst  selbst  athemlos  Fels  sein, 
Niobe,  von  Kummer  aufgerieben."  Auch  durch  diese  Verse  ziehen  sich  feine 
wirkungsvolle  Antithesen.  Dass  in  denselben  die  Zahl  der  Töchter  nicht  als 
auf  drei  beschränkt  bezeichnet  werden  soll,  liegt  auf  der  Hand ;  schwerlich 
würde  dann  von  den  Söhnen,  als  von  einem  Schwärm  (ia^iog)  die  Rede  sein. 
Der  Dichter  scheint  die  Erstarrung  unmittelbar  an  das  Motiv  der  höchsten 
Schmerzensäusserung  zu  knüpfen. 

Meleager  von  Gadara  kündet  in  seinem  entschieden  dem  einen  Epi- 
gramm des  Antipater  nachgebildeten  Gedicht1)  der  Niobe  die  Unglücksbot- 
schaft vom  Tode  ihrer  Söhne  an,  er  fordert  sie  auf  zu  lösen  das  Band  vom 
Haar  (noftag  avddeo/AOv),  sie  hat  ja  ach!  für  die  schwerschmerzeuden  Ge- 
schosse des  Apollo  ihre  männlichen  Sprossen  geboren.  ,,Doch  was  Andres 
ist  da.'  Was  sehe  ich?  Wehe,  wehe,  auf  die  Mädchen  fluthet  über  der  Mord." 
In  kurzen  anschaulichen  Ausdrücken  zeichnet  der  Dichter  die  verschiedenen 
Situationen  der  sieben  Töchter  von  der  in  der  Mutter  Schooss  geflüchteten 
bis  zu  der  noch  ganz  unversehrten,  in  die  wir  bei  der  Betrachtung  der  plasti- 
schen Darstellungen,  deren  eine  dem  Dichter  sichtlich  vor  der  Seele  stand, 
näher  einzugehen  haben.  Der  Schluss  lautet:  ,,sie  aber,  die  Mutter,  die 
einst  dem  redseligen  Munde  gehuldigt,  sie  starrt  jetzt  im  Staunen  wie  ein  aus 
Fleisch  gefugter  Stein"2). 

Von  Antipater  von  Thessalonike  (in  der  Zeit  des  Augustus  und 
Tiberins)  kennen  wir  zwei  auf  Niobe  bezügliche  Epigramme8..    Das  eine  in 


1)  Anthol.  gr.  T.  II.  p.  33.  n.  CXVII: 

TttvraXX  naT,  Nioßct  xXv*  tpav  (fativ'ttyysXov  nrag' 
oV£af  oäv  a%£<av  otxrQOTdmr  XaXitir. 

Xve  xo/uag  arddtOfAOv,  tto  ßaQvnevB-fot  €t>o(ßov 
ytivnpiva  ro£oig  KQOivoncuda  yorov. 

ov  ooi  natfieg  lr*  tlotv  axaq  xl  tocT  aXXo;  r(  Xfvoaat ; 
al  ai  nXrjfAftvQfT  7iaQ&6Vtxai(Ti  rforog. 

2)  \i  S\  XaXov  ai£ol£aoa  naXai  oropa,  vvv  vno  &a/ußtvg 

/uc'(TT]()  aaftxonayrjg  ola  ninriyt  Xi&og. 

3)  Anthol.  gr.  T.  II.  p.  123.  n.  LV: 

Movvav  avv  Hxvoig  vexvoOroXe  o*t£o  pe  noQ&fttv 

xäv  XaXov •  aQXtZ  aoi  (f  6 gros  6  TainaXläog ' 
nXriQtoOet  yaatfJQ  [*(a  ffbv  oxd<fo$'  tlaidt  xovQovg 

xal  xovQttg,  *Po(ßov  axvXa  xal  'Agri/uiJog. 
N.  LXII1 : 
Eixoüiv  'EQfioxQareia  xal  fovia  tixva  rtxovOcc 

ov&*  ivog  out*  /Jifjg  tivyaad/LiTjv  davaiov, 
ov  yaQ  aTiari'OTtvoiv  tfiovg  vtrjag  %AnoXX(av 

ov  ßttQvnev&rJTOvg  "AqTtpig  tlXt  xogag, 
fpnaXt  <T  rj  fih'  ZXvoev  Ijuaiv  utdlva  /ioXovaa  • 

*PoTßog  (T  itg  ijßav  agoevag  rfyaytio, 


Die  alexandrinische  Poesie.   Die  Epigrammatiker  etc.  61 

zwei  Distichen  giebt  uns  ein  treffliches ,  lebendiges  kleines  Bild.  „Nimm 
mich  allein  mit  meinen  Kindern,  du  Todtenfahrmann,  auf",  ruft  Niobe  dem 
Charonzu,  ,.mich  die  Geschwätzige ;  gross  genug  für  dich  ist  die  Ladung  der 
Tantalide.  Ein  Mutterschooss  wird  dein  Fahrzeug  füllen,  sieh  hin  auf  die 
Knaben  und  Mädchen,  des  Phoibos  und  der  Artemis  Siegesbeute."  Der  Ge- 
stalt des  Charon  im  Niobemythus  begegneten  wir  bereits  bei  Timotheos,  der 
der  unterirdischen  Todesgottheit  schon  früher  in  einer  Tragödie.  Das  zweite 
Epigramm  ist  eine  Grabinschrift  auf  eine  Hermokrateia,  die  neunundzwanzig 
Kinder  geboren  und  keines  Tod  geschaut.  In  der  That  ein  Gegenbild  müt- 
terlichen dauernden*  Glückes !  -  Apollo  und  Artemis,  die  bei  Niobe  vernich- 
tenden Gottheiten,  sind  hier  umgekehrt  lebengebende,  lebenfördernde  Mächte; 
ist  diese  Artemis  hülfreich  bei  ihren  Geburtswehen  genaht ,  so  hat  jener  die 
Knaben  zur  Jugendblüthe  geführt,  frei  von  aller  Krankheit.  „So  sieg  ich 
mit  Recht,  endet  Hermokrateia,  an  Kinderzahl  und  frommer,  bescheidner 
Rede  über  die  Tantalide." 

-  Bedeutend  schwächer  an  poetischem  Gehalte  sind  die  hierher  gehörigen 
Epigramme  des  Theodoridas  und  Leonidas  von  Alexandria  (dqr  Zeit 
des  Nero  angehörig),  sie  beziehen  sich  beide  speciell  auf  die  Niobe  am  Si- 
pylos.  Jener  fordert  den  Fremden  auf  näher  an  das  aus  Fels  und  Fleisch 
gemischte  Bild  der  unbedachtsam  redenden  [ddvQoykwaaog)  Tantalide  Niobe 
heranzutreten,  zu  weinen  über  ihre  Leiden.  Auf  die  Erde  gestreckt  ist  ihre 
Leibesfrucht  von  zwölf  Kindern  (al$o  ein  Anschluss  an  Homer)  durch  Apollos 
und  der  Artemis  Geschosse.  Es  klagt  der  hochragende  Sipylos,  dass  den  Sterb- 
lichen in  der  Zunge  liege  die  heimliche  Krankheit,  deren  ungezügelter  Unver- 
stand oftmals  Unglück  erzeugt1).  „Noch  als  Fels",  dichtet  Leonidas2), 
„am  Sipylos  jammert  Niobe  durch  Thränen,  um  den  Tod  ihrer  zweimal  sieben 


ußXaßtag  vovooioiv.  fd*  tag  v(xt)(ji  dixaftog 
nai&iv  xai  yXioooa  oaiffQovi  TaviaXCäct. 

1)  Anthol.  gr.  T.  II.  p.  42.  n.  VII : 

Zxa&t  ritkag,  SaxQVöor  MoiV,  £&€,  (ivq(u  nivfrri 

tag  a&VQoyXiiooov  TavjaXidog  Ntoßag, 
ig  inl  yäg  Zotqüjos  övtatitxttnaitia  Xoytlr\v 

aqxi  ra  p\v  <Po(ßov  t6£cc,  t«cT  Wpr^utcfoff. 
a  cf£  Xtfrq)  xal  oaQxl  fitfiiyfifvov  tlSog  fxovaa> 

tutqovtcu*  OTivaxti  (f  viputayfig  ZCnvXog. 
dvatolg  tv  yXuOOq  SoXta  v6oog,  ag  äxaXivog 

ittfQoovva  tIxxu  noXXdxi  dvojvxCtw. 

2)  Anthol.  gr.  T.  II.  p.  193.  n.  XVI: 

MiQog  tt  iv  JEtnvXtp  Nioßrj  d-Qijioioiv  alaCa, 
knra  die  (böivwv  pvQoptvt]  Savarov. 

X^H  <f'  ov6%  aieSvi  yoov  t(  d*  aXtt&va  fiv9ov 
(f9£y};(tTo  Tor  Coiijjff  aqnay«  xn)  rtxfav: 


62  Erstes  Kapitel. 

Geboreneu.  Nicht  in  Ewigkeit  wird  sie  ablassen  vom  Jammer.  Was  hat 
sie  denn  das  prahlende  Wort  gesprochen,  den  Räuber  ihres  Lebens  und  ihrer 
Kinder?" 

Straton  aus  Sardes  (in  der  Zeit  des  Hadrian)  will  nicht,  dass  man  auf 
seinen  Blättern  einen  Priamos  am  Altar  getödtet,  noch  die  Leiden  der  Medea 
oder  der  Niobe,  noch  den  Itys  im  Gemach  und  die  Nachtigallen  im  Grünen 
suche,  das  sind  Stoffe,  die  die  Früheren  massenweis  behandelt.  Bei  ihm 
sieht  man  Chariten,  Eroten  und  Dionysos  *) .  Aber  noch  Makedonios  (in  der 
Zeit  des  Justinian)  weiss  der  Niobesage  eine  feine  epigrammatische  Spitze 
abzugewinnen.  ,, Einst  sah  ein  Rinderhirt  die  Niobe  weinen  und  staunte, 
dass  Thränen  zu  vergiessen  versteht  ein  Stein,  aber  meiner,  der  in  solchem 
nächtlichen  Nebel  geseufzt,  hat  sich  der  lebendige  Stein  Euippes  nicht  er- 
barmt. Ursache  ist  beiden  die  Liebe,  die  Kanalführerin  des  Kummers,  für 
Niobe  um  ihre  Kinder,  für  mich  um  meine  Leidenschaft"2).  Ein  von  Au- 
sonius  übersetztes  Epigramm  in  iambischen  Trimetern  von  einem  unbekann- 
ten Verfasser  spielt  mit  den  Begriffen  Leiche  und  Grab  bei  Niobe :  dieses 
Grab  hat  innen  keinen  Todten,  dieser  Todte  hat  aussen  kein  Grab,  so  ist 
es  selbst  seine  eigene  Leiche  und  Grab"3). 

Auf  eine  berühmte  Statue  der  Niobe  endlich,  doch  ohne  Bezug  auf  eine 
ganze  Gruppe,  hat  Julianos  der  Aegypter  ein  Epigramm  gedichtet,  worin 
er  die  volle  Wahrheit  der  Trauernden  hervorhebt;  wenn  sie  nicht  selbst  einer 
Seele  theilhaftig  geworden,   solle  man  das  der  Kunst  nicht  zurechnen,  sie 


1)  Anthol.  gr.  II.  p.  359.  n.  II: 

Mr)  CvTU  ö&Toie  fv  ffiaTg  Hq(afxov  naget  ßatpotg, 
/urjdk  ra  Mr\ö*tlr\g  ntv&ta.  xtd  NiößijS, 

utjö*  *  7tw  tv  &aldfioig  xal  ärjdorag  lv  ntTceloioiv, 
ravta  yttQ  ot  7i QOTfgoy  nexvxa  %vöyv  tyQttifor. 

2)  Anthol.gr.  III.  p.  114: 

Trjv  Nioßtjv  xletCovöetv  tdojv  noif  ßovxolog  dvi]Q 
$a(ißtev%  fi  liißtiv  öaxQvov  rfefc  M&og. 

etvrccQ  £/uf  artvttxovxa  roorjv  xaret  vvxiog  o/u^l* 
tfinvoog  Ei)lnnr\g  ovx  lldttiQf  Itöog. 

alriog  ct/utfOTtgotöir  $Qa>g  o^etfiyog  oatijg, 
Tjj  Nioßy  rexttov,  etvray  Ipol  net&bav. 

3)  Anthol.  gr.  III.  p.  287 : 

'O  xvfißog  ovrog  tvdov  ovx  l/«i  vsxqov. 
6  vtXQog  ovrog  ixiog  OVX  fjftf  TtiffOV, 
all'  avrog  ttvrov  vtxqog  Ion  xul  rdqog, 
Uebersetzt  von  Auson.  Epitaph,  gr.  29  : 

Habet  sepulcrum  non  id  intus  mortuum 
habet  nee  ipse  mortuus  buRtum  super, 
sibi  sie  est  ipse  hie  sepulcrum  et  mortuus. 


Die  alexandrinische  Poesie.   Die  Epigrammatiker  etc.  63 

habe  ja  ein  versteinertes  Weib  darzustellen1).  Ein  anderes  von  einem  unbe- 
kannten Verfassser  auch  auf  eine  Statue  der  Niobe  nennt  den  Künstler  Praxi- 
teles, der  der  durch  die  Götter  Versteinerten  neues  Leben  gegeben ;  Ausonius 
hat  uns  in  einem  an  seine  Nachbildung  sich  anschliessenden  Distichon  sicht- 
lich die  in  dem  Original  auch  einst  gegebene  Pointe  mit  erhalten,  „sie  lebe 
zwar  nur  durch  den  Künstler,  aber  Sinn,  Verstand  habe  er  ihr  nicht  geben 
können,  den  sie  auch  früher  nicht  bewiesen"*). 

Auch  die  letzte  Nachblüthe  des  griechischen  Epos  in  ihrer  nüchternen 
Nachahmung  und  Ergänzung  des  Homer,  wie  sie  Quin  tos  Smyrnaeos 
darstellt,  sowie  in  der  übervollen,  aufgeregten,  künstlich  gesteigerten  Be- 
handlung dionysischer  Stoffe,  wie  sie  in  Nonnos  uns  erhalten  ist,  hat  die 
Niobesage  nicht  zur  Seite  liegen  lassen.  Quintos  Smyrnaeos,  welcher  selbst 
einst  als  Knabe  Schafe  geweidet  im  Gebiet  von  Smyrua,  nahe  am  Hermos  bei 
einem  Artemistempel,  in  einem  Gartenbezirk  der  Eleutheria*  ,  auf  massiger 
Berghöhe,  nimmt  bei  der  Angabe  eines  gefallenen  Helden  auf  troischer  Seite 
Veranlassung  zu  einer  auf  eigener  Anschauung  sichtbar  beruhenden  Schilde- 
rung der  Niobe  am  Sipylos,  in  seiner  Ausdrucksweise  zugleich  an  die  oben 
näher  erläuterte  homerische  Darstellung4)  sich  anschliessend.  Der  Dulichier 
Meges  tödtet  Bundesgenossen  der  Troer,  von  der  kleinasiatischen  Küste,  von 
Milet,  Mykale,  Panormos,  aus  dem  Mäanderthal,  endlich  der  thessalische 
Polypoites  den  Sohn  des  Theiodamas  (ein  den  Dryopern  in  Thessalien,  wie 
auf  Rhodos  angehöriger  Name)  und  der  Nymphe  Neaera,  Dresaeos ß) . 


1)  Anthol.  gr.  II.  p.  500.  n.  XXVIII: 

stvotqvov  Ntoßrjg  OQttqg  navaXtj&ia  poQytjr 

(og  in  fivQOfitvrjg  notpov  luv  nxi<ov ; 
iv  <T  aga  xal  \pvxhy  °"*  iXXaxe;  (*h  todf  r£xvy 

fiiptpeo,  fhjXvTtQTjv  ttxaot  Xa£v(rp'. 

2)  Anthol.  gr.  III.  p.  214: 

*Ex  C^ffS  f*t  &*ol  revtav  It&oy •  ix  öt  Xtd-oio 

£<yqv  nga^iriXrjg  ipnaliv  dgydoajo. 
Auson.  Epitaph.  28 : 

Vivebam,  sum  facta  silex.   Quae  deinde  polita 

Praxitelis  manibus  vivo  iterum  Niobe. 
Reddidit  artificis  manus  omnia,  vel  sine  sensu  ; 

hunc  ego  cum  laesi  numina  non  habui. 

3)  'EUv&tgfas  M  xtjjup  Posthorn.  XII.  312.    Bezieht  sich  dieser  Name  nicht  auf  eine 
bei  Artemisien  so  häufige  Freistatt? 

4)  II.  XXIV.  602—620. 

5)  Posthorn.  I.  v.  291^305: 

Jqr^aalov  <f '  idapttootv  «otjttf+Xoc  ÜoXvnolrffQ t 
xbv  t£x€  67a  NfaiQ*  ntQiyQovt  OeioSäftavTi 
piX&ti<f  iv  Xfxttooiv  vnal  ZinvXia  vtqoirn, 
yX*  &tol  Nioßijv  Xaav  &4attv,  t/c  fn  ödxQV 


64  Erstes  Kapitel. 

„Unter  dem  schneeigen  Sipylos  haben  sie  sich  umarmt  auf  dem  Lager, 
dort  ist  Dresaeos  geboren,  dort,  wo  die  Götter  Niobe  als  Stein  hingestellt, 
deren  Throne -noch  gar  voll  vom  rauhen  Felsen  fliesst.  Und  mit  ihr  seufzen 
die  Gewässer  des  tönenden  Ilennos  um  die  langen  Gipfel  des  Sipylos,  über 
die  hinab  immer  streicht  der  den  Schäfern  verhasste  Nebel.  Sie  aber  wird 
ein  gewaltiges  Wunder  den  vorbeieilenden  Menschen,  weil  sie  gleicht  einer 
klagereichen  Frau,  die  ob  tiefer  Trauer  vergiesst  unzählige  Thränen.  Und 
das  nennt  man  unleugbar,  wenn  man  sie  aus  der  Ferne  schaut,  wenn  du  ihr 
aber  nahe  kommst,  dann  erscheint  es  als  jäher  Fels  und  des  Sipylos  Vor- 
spnuig.  Aber  sie  der  Unsterblichen  verderblichen  Groll  vollziehend,  jammert 
im  Fels  noch  einer  Trauernden  ähnlich."  Wir  haben  also  hier  ein  Nym- 
phenlager am  Sipylos,  wir  haben  den  jähen  Abfall  mit  dem  rinnenden  Quell, 
ein  Zusammenklingen  mit  dem  wehmüthigen  Flussrauschen  an  dem  Fusse 
des  lterges,  wir  haben  ein  Felsenbild,  das  in  der  Nähe  den  Charakter  einer 
menschlichen  Bildung  verliert,  wir  haben  endlich  Niobe  selbst  im  Fels  ein- 
geschlossen. 

Nonnos  fugt  an  vier  Stellen  seiner  Dionysiaka  die  Beziehimg  auf  Niobe 
bei,  lässt  sie  an  einer  selbst  redend  auftreten *) .  Eine  Hamadryade  aus  Lor- 
beerstamm hat  einer  Genossin  von  Fichtenstamm  in  der  Noth  des  gewaltigen 
Kampfes  zwischen  Zeus  und  Typhaon  alle  Möglichkeiten  der  Verwandlung 
vorgeführt,  in  Erde,  in  Wasser,  in  andere  Bäume;  so  schliesst  sie2}  :  ,,ich 
werde  wie  Niobe  auch  selbst  ein  Stein  sein,  damit  auch  mich,  die  im  Steine 
klagende  bemitleiden  die  Vorüberziehenden.  Doch  was  soll  mir  das  Vorbild 
der  Frevelzimge !  Verzeih  Leto,  fort  mit  dem  Namen  der  unselig  gebärenden. 
Nymphe!*'    Auf  den  Tafeln  des  dritten  Pfeilers  (xvQßig)  der  Harmonia,  wo 

itovXv  fidXa  OtuipeXijg  xaxaXtlßtxat  vipo&i  ntiQqg, 

xaC  ot  avoxovR%ovai  §ott\  noXurßtos  "Eq/hov 

xai  xoQVifai  £mvXov  7J€Qifnjxftg}  tav  xaÜV7Ttg&(r 

ty&Q*l  f**lXov6poioiv  a()  ntQininxax*  ofÄfaly 

rj  cf£  niXki  jutyct  Vctu/u(t  naotaavfjitvoiai  ßgoioloiv, 

ovv€x*  ioixf  ywatxl  noXuaxoi'ip,  jjr'  kn\  Xuyyy 

nivd-t'i  fivQOjn£vij  udla  fivg(a  JdxQva  ££t)«t ' 

xai  xb  fikr  dxQixfog  (fyg  fy/utrat,  bnnor  uq  ai'jqv 

xrjXofcv  (t&eijatiag,  Inrjv  d£  ot  lyyvg  l'xrjai, 

tfafvtxai  ainr\taoa  niiy?)  ZinvXoto  r  dnoQ  qcj^. 

dXX  rj  fikv  fiaxaQtüv  bXoov  %6Xov  txxtXiovOa 

(ivQtrai  iv  ntxQrjaiv  fr  d/yvfj^vr}  ttxvta, 

1)  Dionya.  II.  159;  XII.  79 — s !  ;  XIV.  270  ff. ;  XL VIII.  228. 

2)  Dionys.  II.  1 59  ff. : 

fooofittt,  (bg  Nioßrj,  xai  lyto  Xt&og,  wfQa  xai  avrqv 
Xu'n(r)v  oxtvd%ovaav  tnoixretQtooiv  od  trat  • 
itXXa  xaxoyXcüöOoto  xt  (aoi  xvnog;  l'Xa&t  At]%u\' 
f(iQ^Tio  aivoxoxoio  fr£ijfiä%ov  ovroua  rvfitpijg. 
Der  Ausdruck  xaxoyXioaooio  fanden  wir  schon  bei  Kallimachos  a.  o.  a.  O. 


Die  alexandrinische  Poesie.   Die  Epigrammatiker  etc.  65 

mit  Mennig  die  Orakel  de«  Phanes  aufgezeichnet  fanden,  weist  der  Sonnen- 
gott die  Hora  des  Herbstes  auf  berühmte  Metamorphosen  hin,  die  da  ver- 
kündet waren :  Argos,  Harpalyke,  Philomele,  Niobe,  Pyrrhos,  Pyramos  und 
Thisbe,  Krokos  und  Milax,  Atalante,  Kissos,  Kalamos  und  Ampelos  folgen 
sich.  „Niobe,  so  heisst  es,  wird  an  dem  Fusse  des  Sipylos  (2invXoio  JictQcc 
aqwQa)  als  mit  Besinnung  begabter  Fels,  klagend  mit  steinernen  Thränen  um 
die  Reihe  der  Kinder  stehen *)."  Auch  hier  also  eine  unmittelbare  Zusam- 
menstellung mit  derPandionstochter,  wie  wir  sie  zuletzt  im  anakreonteischen 
Liedchen  fanden,  auf  der  andern  Seite  hat  die  Yerst  einer ung  sie  paralleli- 
sirt  mit  Pyrrhos,  dem  begehrlichen  Liebhaber  der  Rhea.  Es  folgen  sich  über- 
haupt Verwandlungen  in  Vögel,  Steine,  Quellen,  Pflanzen.  Dionysos  kommt 
auf  seinem  Zuge  von  Ost  nach  West,  bedroht  von  dem  indischen  Heere  des 
Deriades  nach  Phrygien  und  Mäonien,  dann  in  die  Landschaft  Askania.  Nahe 
dem  Strome  des  Sangarios  im  phrygischen  Fruchtgefilde,  da  zieht  er  vorüber 
an  dem  Trauerfels  der  versteinerten  Niobe.  Sie  erhebt  von  Neuem  ihre 
menschliche  Stimme  und  mahnt  die  Inder  ab  von  Streite  mit  Dionysos,  an 
ihr  eigenes  Beispiel  erinnernd.  Rhea  sei  mächtiger  im  Zoni  als  Artemis, 
ßakchos  Bruder  des  Apollo.  Sie  wolle  nicht  um  die  gefallenen  Inder  fremde 
Thränen,  d.  h.  Thränen  um  nicht  Angehörige  weinen.  Neues  Schweigen  ver- 
siegelt den  Mund  des  Steines2). 

Die  Erzählung  endlich  von  Aura,   der  jungfräulichen,    aber  auf  ihre 
Keuschheit  stolzen  Genossin  der  Artemis  bei  Astakos  und    am    Sangarios, 
welche  diese  beim  Bade  durch  Worte  verletzt  hat  und  dafür  durch  Adrasteia 
oder  Nemesis  der  Liebe  des  Dionysos  im  Schlafe  anheim  gegeben  wird  und 
von  deren  Zwillingsgeburt,  die  dem  Gebirge  den  Namen  Didyma  giebt,  wovon 
das  eine  Kind  alslakchos  noch  gerettet  wird,  während  das  andere  von  der  eige- 
nen Mutter  verschlungen  wird,  endlich  von  der  Verwandelung  Auras  in  eine 
Quelle,  all  dies  ist  durchzogen  von  der  Gegenübersteilung  mit  Niobe.    Nemesis 
fragt  die  zu  ihr  geeilte  zürnende  Artemis,  ob  Leto  von  einer  kinderreichen  Frau 
beleidigt  werde,  eine  zweite  Niobe  könne  als  Stein  ihre  Kinder  beweinen  3J . 

1)  XII.  79—81  : 

Ktt\  NtoßqZi  n uXoio  irttQa  oyvoa  ntrQog  f^tfQtoy 

JdxQvat  XaivtotOtv  o3vQOfAivr\  arl^n  7ia(ti<ov 

GTtjotTai  otxTQov  ayaXfia  —  nuy«  aqvgu,  wie  XL VIII.  2-11. 

2)  Dion.  XIV.  270 f.:  xttl  fcbg-ZayynQtou  nttga x(Vf*n,  ntQl  <Pyvytt  xoXnov  agovQtjg, 

Xa'n'trjg  Ni6ßr\g  n aQi(i£t(ttt  niv&taUi  n{%Qr\v 
xtii  XtHog  Vi'cFo»'  ofjiiXov  i^iJfia^voiT«  yiva((p 
öaxQvong  oqoiüv  ßQortrjy  itaXtv  ta%t  tftovi'v  •  xrX. 
ToTtc  Xi&ov  ßooüjirn  naXiv  oq  QtjyfooctTO  Otyrj. 

3)  Dion.  XLVIII.  406  s 

*/  dl  yuvri  noXvrtxrog  avitiCti  o£o  Ai\i<o, 

itXXrj  Xuivti)  Nioßrj  xXuvotu  yer^Xiji: 

xCg  y&ovoiy  tl  XC&ov  äXXov  vntQ  ZinvXoto  TtXiaaio; 

Iftark,  Niobe.  5 


ßß  Erstes  Kapitel. 

Artemis  erwiedert,  nicht  Zeus,  nicht  Niobe,  nicht  der  freche  Otos  reiie 
sie,  aber  sie  habe  ein  Leto  ganz  ähnliches  Leid  betroffen.  In  Phrygien  habe 
Niobe  die  Zwillingsmutter  Leto  gekränkt,  in  Phrygien  Aura  sie  selbst,  jene, 
die  Tantalide,  die  Unglücksmutter  habe  in  der  Verwandlung  gebüsst,  und 
vergiesse  Thränen  aus  dein  Felsenauge,  sie  allein  trage  ungerächte  Schmach, 
denn  Aura  sah  nicht  von  Thränen  gebadet  den  Fels  noch  die  Quelle.  Neme- 
sis erklärt,  allerdings  soll  sie  keine  Felsehjungfrau  werden  (netQuid^g  vvficp^), 
aber  Artemis  werde  noch  sehen,  wie  sie  mit  Thränenquellen  aus  ihrem  berg- 
ergossenen Busen  ihren  verlorenen  jungfräulichen  Gürtel  beklage.  Nemesis 
eilt  auf  ihrem  Greifenwagen  herbei;  gerade  über  dem  Haupte  desSipylos  *or 
dem  steinäugigen  Antlitz  der  Tantalide  hält  sie  das  Gespann  an  und  voll- 
zieht die  Strafe  an  Aura. 

Auch  bei  der  Auras  Mythus  ganz  entsprechenden  Erzählung  von  der 
Nymphe  Nikaea,  der  spröden  Jägerin  auch  vom  Astakos  hat  Niobe  Theil- 
nahme  gezeigt;  über  den  Tod  des  Hirten  Hymnos  hat  die  Nymphe  vom 
Rhyndakos,  haben  die  Na  jaden  geweint,  aber  auch  oben  im  Sipyloe  hat  der 
nachbarliche  Fels  der  Niobe  mit  den  von  selbst  fliessenden  Thränen  heftiger 
geseufzt1). 

Interessant  ist  in  diesen  letzten  Stellen  die  unmittelbare  auch  lokale  Ver- 
bindung der  Niobesage  mit  dem  nordwestlichen  Phrygien,   mit  Sangarios, 
Khyndakos,  mit  Astakos,  die  mythische  mit  Adrasteia,    mit  Nikäa,  Aura,. 
Hymnos,  auch  zu  Bakchos  erscheint  sie  zwar  durchaus  nicht  eigentlich  ge — 
hörig,  aber  der  Verbreitung  seines  Dienstes  freundlich.  Bezeichnend  ist  aucJb* 
die  Voraussetzung  eines  Fortlebens  im  Sinne  einer  Mitempfindung  für  andere 
Geschicke. 

Wie  die  ganze  griechische  Bildung  in  die  Sophistik  endlich  sich 


V.  417:     ov  Ztvg,  ov  Nioßrj  fje,  xai  oit  O-Qaavg^Sliog  ootrci. 

V.  425 :     /uqrpt  ff '  iprj  na&ov  ukyog  bfioCCov  •  a^i^ore^or  y*Q 
fy  tpQvyty  Ntoßrj  <$idv/j,?;joxov  ijxa/€  Aqrtu. 
xcd  Tidhr  $r  •fr(>vy(y  tu€  fttrjudxog  ijxttxtv   Avnri ' 
all*  tj  (Ahv  vo&ov  rtJot  apinfjttfi&r}  noQt  noirtjv 
TttrTallg  ah'OToxtiu,  xctl  elotrt  öaxQvu  Ittßtt 
otu(A(tot  ntTQctiotoiv  dnrjfriToa  cf£  fjovvrj 
ala%og  fyto  vqnotvov,  inel  (filondy&irog  Avqt\ 
daxQvoir  ov  M&ov  (2o*€  Xeloupivor,  ovx  tJc  nriy^i'  — . 
V.  447.  48. :  xat  juiv  toaÖQqouccg  oQiaot/vrov  Jia  xoXnov 
tiuxQvot  nriyaloiaiv  oövQOfiivtjv  tri  /uiTQrjv. 
'Op*cTflr(^i'TOff  erRcheint  als  Beiname  der  Quelle  selbst  bei  Dion.  XLVI1I.  936. 

V.  455  :     xttl  Öqo/aov  lar^Qi^tv  vnlo  ZinvXoio  x«Qrtvov 

TavtttXlöog  noondQot&c  Xi&oyXrjVoio  n Qoaionor. 

1)  Dion.  XV.  372  ff. : 

vnlg  ZmvXoio  dk  yeltvtv 
tiaxQVOir  «vio^uroig  Nioß/jg  nXiov  tortri  7i4tqh. 


Die  alexand  ^.irische  Poesie.   Die  Epigrammatiker  etc.  67 

und  das  rhetorische  Schema  schliesslich  die  einzige  Kunstfarm  wurde,  in 
deren  wohlabgemessenen  Gemeinplatzen  die  ganze  Fülle  der  Mythen  und 
der  historischen  Persönlichkeiten  armselig  verwerthet  wurde,  so  müssen  wir 
auch  für  die  Niobe  den  Gang  durch  die  formalen  Entwicklungsstufen  des 
Mythus  auf  griechischem  Boden  mit  Heispielen  von  Redeübungen  schlies- 
sen.  Aphthonios1)  bespricht  in  seinen  Progymnasmata  den  Begriff  der 
Charakterschilderung  oqog  rj&onouag)  und  zert heilt  diese  in  pathetische, 
ethische  und  gemischte.  Als  Beispiel  der  pathetischen  Ethopöie  behandelt 
er  da«  Thema :  ,,was  würde  Niobe  sagen  beim  Anblick  der  vor  ihr  liegenden 
Kinder?"  Mit  dem  schroffen  Gegensatze  des  frühern  Reich thums  und  der 
jetzigen  Armuth  beginnt  die  Rede.  Dann  wird  die  Gleichheit  des  Schick- 
sais roitTantalos,  dem  Vater  hervorgehoben  ;  er  lebte  mit  den  Göttern  zusam- 
men tömI  wird  daraus  Verstössen  und  unglücklich,  sie  lebte  mit  Leto  eng 
verbunden  und  gerade  dies  Zusammenleben  war  ihr  Unglück 
Welches  Grab,  welche  letzte  Ehre  genügen  für  den  Verlust  aller  Kinder?  Nur 
eine*  bleibt  die  Götter  zu  bitten,  die  Natur  zu  wechseln,  nur  eine  Lösung 
ans  dem  Unglück  in  das  Empfindungslose  sich  umzuwandeln,  und  doch  steht 
zu  furchten,  das»  sie  weinend  bleiben  werde. 

Libanios  (um  360  n.  Chr.)  hat  genau  dasselbe  Thema  in  zwei  Etho- 
pöien  behandelt2).  Zwölf  Kinder,  d.h.  alle,  sind  todt;  in  der  Leichenbe- 
sJffftung  mos»  Bahre  auf  Bahre  [xkivr(  xXlvrpr)  folgen.  Ein  Grab  wird  sie  um- 
fimert,  aber  zwölf  Reden,  zwölf  Inschriften  sind  nöthig ;  Knaben  und  Mäd- 
chen werden  sich  einander  gegenübergestellt.  Wie  glücklich  war  sie  einst, 
besonders  im  Zusamnienleben  mit  den  Göttern,  in  der  Freundschaft  mit  Leto  ! 
Nur  in  Scherz  hat  sie  ihr  gegenüber  ihre  Kinder  gezählt,  da  hat  jene  das 
theriebte  Wort  nicht  ertragen,  ein  kleines  Wort  hat  die  lange  Freundschaft 
zerstört.  Nun  folgt  die  Steigerung  des  Schmerzes  von  Stufe  zu  Stufe  bis  zum 
Entschlüsse  zu  sterben.  In  der  zweiten  Ethopöie  wird  der  Gegensatz  des 
Göttlichen  und  Menschlichen  he  tausgehoben.  Keine  Zeit  reicht  fijr  den 
Threnos  und  so  bleibt  nur  eine  Umwandlung  in  ein  empfindungsloses  Dasein 
wünschens  werth . 


1)  Progyrananm.  c.  II  in  Walz  Rhett,  grr.  I.  p.  102.  103  mit  Doxopatn  Homil.  in 
Aphthon.  prog.  (Walz  t.  11.  p.  505— 509)  und  Schol.  antiqua  aus  dem  10.  Jahrh.  (Walz  II. 
p.  $17—649).  Wichtig  ist  die  Stelle:  aXX*  offiot  7TctQ(t7iXtja{ctv  fyto  ftp  Tixovn  ttjv  rv^v 
TarrdXou  7tQorjXffovf  of  awöiyrÜTO  plv  rote  0to7ey'ßtdiv  cH  fdtru  rrjv  avvovohtv  iiimitti  *  xal 
*«*T«KJr«tftt  TavraXou  ßißitito  to  yivng  loig  cnt'xi)uaot.  ounjtf&rjv  Arpot  xal  «fi«  ravTrj*  xa- 
*onQ*yw  xal  rf^f  buUtuv  tt$  u(fa(Qtoiv  tTXqtf«  nttttitov  xal  TiXtvrq  fiot  7iQog  Oi/jifofae 
•**i>wify  &tov  xtk.  Der  Schlufts  lautet :  aXXa  ri  raura  difvQouat  na^or  «hrja«i  ttfovt  hi- 
&**y  aXXa$troftai  (jVQtv;  p(av  rar  aiv/^artüv  Ttfttaum  Xvoiv  ptraoirrta  ct^o?  t«  prftik' 
«la&atop-tra  *  uXXit  paXXov  JfJoixct,  pr)  xal  rovto  (favtiOt*  pfyiu  daxQVOvoa. 

2)  Progymnasm.  in  Opera  ed.  Morell.  1606.  VI.  p.  143.  145. 


e  • 


68  Erstes  Kapitel. 

Auch  hier  in  der  späten  rhetorischen  Uebung  treten  uns  Züge  individuel- 
ler Art  entgegen.  Wichtig  ist  vor  allem  das  grosse  Gewicht,  welches  auf  das 
lange  freundschaftliche  Zusammenleben  mit  Leto  gelegt  wird.  Es  ist  nicht 
unwahrscheinlich,  dass  die  Schilderung  Sapphos  beiden  lthetoren  vorge- 
schwebt, da  die  Studien  der  alten  Lyriker  von  den  Rhetoren  z.B.  Himerios 
mit  grossem  Eifer  getrieben  wurde.  Dagegen  recht  abgeblasst  erscheint  uns 
das  Bild  der  Niobe  bei  Chorikios  aus  Gaza1) ;  der  in  einer  Monodie  einer 
Trauernden  über  einen  Frühverstorbenen,  welcher  eine  Gesandtschaft  an  den 
Frankenkönig  geführt  hat,  die  Trauer  der  Mutter  schildert,  von  ihrem  Ver- 
steinern, vom  Aufhören  der  Stimme,  vom  Thränenfliessen  spricht  und  nun 
schliesst :  nicht  mehr  erscheine  nun  der  thränende  Fels  als  Fabel. 

Ebenso  wendet  Achilles  Tatios  Niobe  an,  um  die  Erstarrung  des 
Schmerzes  Kleitophons  über  den  grausamen  Opfertod  seiner  Leukippe  zu 
schildern.  ,,Ich  aber  musste  ruhig  sitzend  zusehen.  Das  war  aber  ein  Zu- 
stand des  Entsetzens,  denn  das  masslose  Unglück  betäubte  mich  wie  mit 
einem  Donnerschlag.  Und  alsbald  war  die  Fabel  von  der  Niobe  keine  Fabel 
mehr,  sondern  auch  jene  hatte  einen  ähnlichen  Zustand  ob  des  Unterganges 
der  Kinder  und  gewährte  in  ihrer  Unbeweglichkeit  den  Anschein,  als  ob  sie 
zu  Stein  geworden  wäre2)." 

Clemens  von  Alexandria  braucht  das  Bild  der  Niobe,  ersetzt  es  aber 
dann  durch  das  biblische  von  Lots  Frau,  um  die  Unempfindlichkeit  des  Men- 
schen damit  zu  veranschaulichen3).    Auch  Hieronymus  bedient  sich  des- 
*  selben  und  zwar  mit  aller  Unbefangenheit4). 

Die  sprüchwörtliche  Redensart :  ,,Niobes  Leiden"  [Nioßrjg  na&ij)  mochte 
im  Volksmunde,  wie  die  der  ,,Tantalosgewichte"  (ta  Tavtdlov  %akavxa) 
noch  länger  fortleben,  als  das  bestimmte  Bewusstsein  über  die  zu  Grunde 
liegenden  Vorgänge  ft) . 


1)  Chor.  Gaz.  ed.  Boiss.  p.  185:  <og  ftrjx^ri  (iv&ov  flvcti  <fox(7v  xai  Uftov  daxovovaav. 

2)  Ach.  Tat.  III.  15:  iyto  ök  fx  naQ(tXoyov  xnttrjiutvog  id-toi/urii"  to  d£  rjv  ^xnXtj^ig' 
fiijQov  yitQ  ovx  txov  10  xaxov  £rtßQ6vTt)o£  pt  *  xai  t«X«  o  ttjq  Ntoßqg  pudog  ovx  yv  tyfvdyg, 
aXXa  xüxtlvT]  toiovtov  rt  7i€t&ovoa  inl  t j)  tjüv  nuCötov  antüXtCu  J6£av  netQ^o/tv  fx  rijf  «xi- 
vr\a(ng  (oatt  Xlttog  yevofi&'q. 

3)  Admon.  ad  gentes  p.  29  ed.  Sylb.  (p.  *2  ed.  Pott.) :  rj  yctQ  ov/)  Niößug  tqotiov  rtia, 
fdaXXov  81  fra  /LiuOTixcjTfQov  TiQog  v/uag  «Jioq  Oty^copcti,  yvvutxog  rr^g  'EßQntag  J/xqr,  uiän 
IxttXouv  avrr\v  ol  naXutol,  tlg  avatofrrjoiav  ptTaiQinta&s ; 

4)  Ad  Ocean.  epist.  S3 :  seeundo  ac  tertio  sciscitari  coepi,  Nioben  putares,  quae  nimio 
fletu  in  lapidem  versa  est.  r 

5)  Apostol.  Cent.  XII.  n.  11  in  Paroemiogrr.  grr.  ed.  Leutsch  II.  p.  544:  Nioßrjg  na9r\ 
inl  ttiv  fttyiora  ituftovriov  xaxti  •  (tvTTj  yä(t  £(ö(Ja  Xt&og  fytvero  in)  TCf>  Tvpßip  rtov  na(d(av.  — 
Vgl.  dazu  die  von  Leutsch  angeführten  Stellen  Cram.  Anecdot.  Paris.  IV.  p.  271 :  aXXrp 
Ntoßrjg  tivOTv/oög  eXotg  ßlov.  Theoph.  Simoc.  Epist.  25 :  pr\  yii'ov  roCvw  tjJ  Ntößy  l<fd- 
itiXXog,  sowie  Hadrian.  Jun.  Adag.  ttS;  EraRra.  Adag.  s.  v.  Niobes  mala.  Ueber  t«  Tav- 
TctXou  TuXi<t'T«''Vheisn  de  proverbio  Tui'ftlkou  Ttikavru,  Nordh.  1 S55. 


Ovid  und  die  übrige  lateinische  Dichtung.  69 

§  »• 

Ovid  und  die  übrige  lateinische  Dichtung. 

Ein  Dichter  der  römischen  Spätzeit,  M.  Aur.  Oiympius  Nemesianus  klagt 
am  Beginn  seiner  Cynegetica,  dass  schon  die  ganze  Fülle  der  alten  Mythen 
von  den  Dichtern  der  frühern  Zeit  vorweg  genommen  sei1)  und.  führt  als 
erstes  Beispiel  dafür  an:  „denn  wer  hat  nicht  schon  Niobes  Trauer  über 
die  zahlreiche  Todtenbestattung  besungen?"  Semele  und  andere  Mythen 
folgen  nach2).  Ja  noch  bedeutend  später  fordert  der  nachherige  Bischof  Sido- 
nius  Apollinaris  seine  Leier  auf,  anderswohin  sich  zu  richten,  nicht  zu  singen 
die  Tödtung  des  Drachen  Python,  nicht  erklingen  zu  lassen  ,, die  zweimal 
sieben  Todeswunden  der  Tantaliden,  deren  Todesbestattung  aufbewahrt  der 
Gesang  und  es  lebt  im  ewigen  Liede  ihr  Tod"3).  Gewiss  ein  Beweis,  dass 
auch  in  der  lateinischen  Dichtung  Niobe  ein  reich  durchgearbeitetes  Thema 
war. 

Uns  ist  aus  der  älteren  römischen  Poesie,  bei  Tragikern  oder  Komikern 
oder  dem  Epos  keine  Spur  einer  Bearbeitung  erhalten 4) .  Aus  augusteischer 
Zeit  besitzen  wir  die  ausführliche  poetische  Schilderung  in  den  Metamorpho- 
sen des  Ovid5)  sowie  eine  Reihe  einzelner  Stellen  aus  Ovid,  während  Virgil, 
Horaz,  Properz  nur  spärliche,  kurze  Andeutungen  geben.  Aus  der  Nachblüthe 
der  Poesie  im  ersten  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  hat  Statius  in  seiner  The- 
bais  zweimal  Gelegenheit  genommen6)  aus  dem  Niobemythus  eine  prä- 
gnante Scene  zu  schildern.  Seneca,  Juvenal  und  endlich  der  Epigrammati- 
ker Ausonius  kommen  noch  einigermassen  in  Betracht. 

Das  sechste  Buch  der  Metamorphosen  führt  uns  wesentlich  Mythen  vor, 
die  an  der  Küste  Kleinasiens  spielen  und  die  Strafe  der  Gottheit  an  Sterb- 
liche, die  ihrem  Dienst  sich  nicht  beugen  wollen,  vergegenwärtigen.  Es  be- 
ginnt mit  der  Erzählung  der  Arachne,  der  Tochter  des  Idmon  aus  Kolophon, 


1)  V.  37:  haec  jam  magnorum  praeeepit  copia  vatum 

omnis  et  antiqui  vulgata  est  fabula  secli. 

2)  V.  1 5  f. :  nam  quis  non  Nioben  numeroso  funere  moestam 

jam  cecinit? 

3)  Carm.  II.  3 II : 

huc  converte  chelyn,  non  est  modo  dicere  tempus 
Pythona  exstinetum  nee  bis  septena  sonare 
vulnera  Tantalidum,  quorum  tibi  funera  servat 
cantus  et  aeterno  vivunt  in  carmine  mortes. 

4)  Das»  in  der  bei  Cicero  de  nat.  deor.  III.  2f>  angeführten  tragischen  Stelle  aus  En- 
y*ius  fälschlich  früher  Niobe  ergänzt  wurde,  wo  Medea  der  ganze  Zusammenhang  ergiebt, 
**t  schon  seit  längerer  Zeit  erkannt. 

5)  L.  VI.  146—31«.  401—405. 

6)  L.  III.  1 20  ff.  191—198. 


70  '  Erstes  Kapitel. 

welche  zu  Hypaepa  am  Südabhang  des  Tinolus  durch  ihre  Webekunst  die 
Bewunderung  der  Nymphen  des  Ortes,  des  Gebirges  wie  des  Paetolus  auf  sich 
gezogen  hat,  der  sich  ihr  offenbarenden  Göttin  Minerva  Ueberge wicht  nicht 
anerkennt  und  auf  einen  Wettkampf  sich  einlässt,  von  der  erzürnten  Göttin 
ihr  Gewebe  zerreissen  sieht,  mit  dem  Weberschiff  auf  die  Stirn  geschlagen  ihr 
Leben  durch  den  Strick  endet  und  als  Spinne  ihren  Beruf  fortfuhrt.  Niobe 
wird  nun  als  jüngere  Zeitgenossin  hingestellt,  welche  das  Schicksal  Arachnes 
mit  erlebt  und  doch  nicht  dadurch  der  furchtbaren  Mahnung  „den  Unsterb- 
lichen zu  weichen  und  bescheidenere  Worte  zu  gebrauchen1)  eingedenk  blieb. 
Bei  der  furchtbaren  Katastrophe  Niobes  gedenkt  man  früherer  entsprechen- 
der Vorgänge  (VI.  315ff.),  zunächst  der  Verwandlung  der  schilfabschneiden- 
den Anwohner  eines  Teiches  in  Lycien  in  Frösche,  welche  der  von  Juno 
verfolgten,  die  beiden  Kinder  Apollo  und  Diana  auf  ihren  Armen  tragenden 
Latona  die  Erquickung  durch  das  Trinken  des  Wassers  verwehrten,  dann  des 
Satyrs  Marsyas,  der  im  Wettkampf  von  Apollo  besiegt  ob  seiner  harten 
Bestrafung  von  allen  Satyrn,  Nymphen,  Hirten,  von  Olympus  beweint, 
durch  diese  Thräuen dem  Flusse  Marsyas  in  Phrygien  seine  Entstehung  gab. 
Die  Betrauerung  der  Niobe  und  ihres  ganzen  Hauses  giebt  Veranlassung  von 
Pelops'  elfenbeinerner  Schulter  zu  berichten  und  es  fuhrt  dann  die 
Betheiligung  aller  griechischen  Städte  an  dieser  Trauer  mit  Ausnahme  Athens 
zur  Erzählung  von  dem  gleichzeitigen  Schicksale  der  Töchter  des  Pan- 
dion,  Prokne  und  Philomele  und  ihrer  schliesslich en  Verwandlung,  diese 
dann  wieder  zu  einer  ähnlichen  Entführung  nach  Thracien,  der  der  Orei- 
thyia  durch  Boreas.  Die  inneren  Bezieh ungen  dieser  Sagen  nach  Loka- 
lität, oder  nach  den  dabei  auftretenden  Gottheiten,  oder  den  Gegenständen 
der  Verwandlung  oder  nach  mehreren  Punkten  zugleich  ist  unverkennbar. 
Vor  allem  aber  mache  ich  auf  die  Zusammenstellung  der  Niobe-  und  der  Pan- 
dionstöchtersage  aufmerksam,  wie  wir  sie  bei  Sophokles  schon  fanden  und 
wie  sie  uns  noch  in  engster  Verbindung,  im  Uebergang  in  einander  erschei- 
nen wird. 

Fassen  wir  nun  die  Erzählung  von  Niobe  selbst  schärfer  ins  Auge.  Niobe 
ist  aufgewachsen  in  Maeonien  und  zwar  in  Sipylus;  Maeonia  ist  hier  das 
engere  Territorium  im  weiteren  Lydia  und  Phrygia.  Sie  ist  die  Tochter  des 
Tantalus  und  einer  Schwester  der  Plejaden  (d.h.  Dione,  einer  Hyado),  da- 
durch Enkelin  des  Atlas  und  des  Jupiter,  sie  ist  Gemahlin  des  Amphion  und 
daher  Schwiegertochter  des  Jupiter,  sie  ist  Königin  von  Theben,  Herrin  auf 
der  Cadmea  durch  ihren  Gemahl.  Alles  dies  Ursache  zum  Selbstvertrauen 
dabant  animos  VI.  152),  zum  Stolz,  doch  nichts  war  ihr  so  wichtig,  als  ihre 
Nachkommenschaft;    sie  erschien  sich  als  glücklichste  Mutter  mit  ihren  je 


I)  Mctam.  VI.  151  : 

cedere  caclilibus  verbisque  minoribus  uti. 


Ovid  und  die  übrige  lateinische  Dichtung.  7 1 

sieben  Söhnen  und  Töchtern.  Rasch  führt  der  Dichter  über  zu  der  von  ihm 
xu  schildernden  Hauptscene.  Da  tritt  Manto,  die  Tochter  des  Sehers  Tiresias, 
die  als  erlesenes  Geschenk  der  Kriegsleute  später  von  den  Epigonen  nach 
Delphi  dem  Gott  geweiht  wird,  ja  als  Geliebte  des  Apollo  und  Mutter  des 
Mopsos  erscheint,  auf  von  göttlichem  Geist  ergriffen  und  mahnt  prophetisch 
auf  den  Strassen  die  Frauen  Thebens,  Latona  und  ihren  Kindern  unter  Ge- 
beten Weihrauch  zu  spenden,  das  Haar  mit  Lorbeer  zu  schmücken.  „La- 
tona gebietet  es  durch  meinen  Mund,'*  schliesst  sie.  Es  geschieht  dies  all- 
gemein von  den  Thebanerinnen  ;  Gebet,  Weihrauch  steigt  in  den  Opferflam- 
men empor,  der  Lorbeerschmuck  deckt  die  Schläfen.  Siehe,  da  erscheint 
Niobe  auf  den  Strassen  in  zahlreicher  Begleitung,  im  golddurchwirkten 
phrygischen  Gewand,  schön,  soweit  es  der  Zorn  zulässt,  mit  dem  edel  ge- 
schmückten Haupt.  Die  auf  die  Schultern  herabfallende  Haarfülle  bewe- 
gend bleibt  sie  stehen  hochaufgerichtet,  ihre  stolzen  Augen  blicken  um  sich. 
„Welcher  Wahnsinn/'  spricht  sie,  „ist  es,  Himmlische,  von  denen  man 
nur  gehört,  den  erschienenen  vorzuziehen !  Oder  warum  wird  Latona  auf 
den  Altären  verehrt,  meine  göttliche  Natur  hat  noch  keinen  Weihrauch  em- 
pfangen2)." Sie  beruft  sich  auf  die  göttlichen  Ansprüche,  die  in  ihrem  Ge- 
schlecht liegen,  die  sie  zu  Jupiter  in  engste  Beziehung  setzen;  weiter  auf 
ihre  Herrschermacht ,  denn  sie  ist  in  Phrygien  gefürchtet,  die  Cadmea  ist 
ihr  untergeben  und  der  Mauerring  der  Stadt  vom  Saitenspiel  des  Amphion 
auferbaut,  wird  von  ihr  und  ihrem  Manne  beherrscht ;  sie  beruft  sich  weiter 
auf  die  ungeheueren  Schätze  ihres  Hauses8),  weiter  auf  ihr  einer  Göttin  wür- 
diges Antlitz,  endlich  zuletzt  auf  die  sieben  Töchter  und  sieben  Söhne  und 
deren  in  Aussicht  stehende  Verbindungen.  Im  vollen  Gegensatz  dazu  stellt 
sie  das  Geschlecht  der  Latona  als  Titanide,  die  von  einem  unbekannten  Coeus 
abstammend,  die  Heimath-  und  Besitzlosigkeit  der  weder  im  Himmel  noch 
auf  der  Erde  noch  im  Wasser  angenommenen  Göttin,  der  endlich  die  kleine 
unstäte  Insel  Delos  eine  Zuflucht  gewährt  habe,  endlich  die  Zahl  Zwei  ihrer 
Kinder,  den  siebenten  Iheil  der  ihrigen.  Auf  Grund  dieser  Vorzüge  nennt 
sie  sich  glücklich,  aber  sie  findet  auch  eine  Sicherheit  für  das  Bleiben  des 
Glückes  in  der  Fülle  desselben,  sie  fühlt  sich  über  Fortuna  erhaben.    Mag 


1)  Zu  Manto  vgl.  Apollod.  III.  7,  4  :  rrjg  öt  lt(ttg  pfyog  tig  JtXyovi;  ni^novoiv^Anollmvi 
*<t\  ri\v  TttQtofov  &vyariQa  Mtwi<6  •  ijv^aVTo  y<tQ  ttunp  Gtjßag  tXovrtg  to  xnlktaxov  rday  i,«- 
Yvfmv  arttSJöttf'   Dazu  Gerhard  gr.  Mythol.  §  321.  3  c. 

2}  V.  1 70  ff. :  quis  furor  auditos,  inquit,  praeponere  visis 

caelestes?  aut  cur  colitur  Latona  per  aras, 
numen  adhuc  sine  ture  meum  est? 

3}  V.  ISO  ff. :  In  quameunque  domus  adverto  lumina  parte m, 

immensae  speetantur  opes  ;  accedit  eodem 
digna  dea  facies. 


72  Erstes  Kapitel. 

auch  vieles  ihr  entrissen  werden,  noch  mehr  wird  ihr  immer  bleiben.  „Setzt 
den  Fall* %  führt  sie  weiter  aus, ,, es  könne  mir  auch  etwas  von  der  Fülle  meiner 
Kinder  geraubt  werden,  dennoch  werde  ich  beraubt  nicht  auf  die  Zahl  Zwei 
herabgebracht  werden,  den  Haufen  der  Latona,  die  nahezu  eine  Kinderlose 
zu  nennen  ist"  f) .  DerSchluss  der  Rede  ist  daher  :  ,,geht  weg  vom  Opfer  eilig 
und  legt  den  Lorbeer  aus  dem  Haar/*  Es  geschieht  dies,  die  Opfer  werden 
unvollendet  gelassen,  jedoch  im  leisen  Gemurmel  verehrt  man  die  Gottheit. 

Die  ganze  Scene  ist  von  grossem  dramatischen  Leben,  Manto's,  der  Sehe- 
rin, feierlicher  Aufruf,  die  Opfer  mit  neuen  Mitteln,  dem  Weihrauch,  dem 
Lorbeer,  die  Erscheinung  der  stolzen  Königin  und  ihre  Rede.  In  derselben 
ist  vor  allem  hervorzuheben  zunächst  der  Mangel  jeglichen  Hinweises  auf  ein 
bisheriges  nahes  Verhältniss  zwischen  Latona  und  Niobe,  es  ist  der  Kampf 
zwischen  einem  neuen,  erst  einzurichtenden  Cult  und  den  Ansprüchen  der 
gegenwärtigen  Herrscherin,  der  Streit  ist  gleichsam  aus  der  Unmittelbarkeit 
eines  idealen,  göttlichen  Lebens  versetzt  auf  einen  historischen  Boden.  Die 
berechnete  Steigerung  geht  endlich  bis  zu  dem  Punkt,  wo  Niobe  Latona 
so  gut  als  wie  eine  orba  bezeichnet.  Wir  werden  sehen,  wie  um  dies  Wort 
sich  als  Hauptangel  die  folgende  Erzählung  dreht. 

Dem  Vorgange  in  Theben  folgt  auf  dem  Fuss  die  Götterscene  auf 
dem  Cyuthus  auf  der  Insel  Delus  zwischen  Latona,  Apollo  und  Diana.  Das 
Muttergefühl,  das  stolz  auf  das  Kinderpaar  ist,  wird  an  die  Spitze  gestellt2), 
es  beruft  sich  auf  die  t  hat  ige  Hülfe  derselben,  da  Zweifel  an  ihrer  Gottes- 
natur ausgesprochen  werden,  ja  da  für  alle  Zeiten  sie  von  den  Altären  ausge- 
schlossen werden  solle.  Doch  nicht  genug,  zu  der  schmählichen  That  hat 
Niobe  auch  noch  Schmähungen  hinzugefügt,  sie  hat  ihre  Kinder  den  zwei 
vorgezogen,  sie  hat  Latona  kinderlos  genannt,  was  auf  sie  zurückfallen 
werde,  sie  hat  die  vom  Vater  ererbte  Frechheit  der  Zunge  gezeigt.  Weitere 
Bitten  werden  abgeschnitten  von  Apollo  und  Diana,  die  sofort  zur  That  der 
Bestrafung  schreiten.  In  raschem  Geleite  durch  die  Luft  haben  sie  die  Cad- 
meische  Burg  von  Wolken  umhüllt  erreicht.  Also  auf  der  Cadmea  haben 
wir  uns  beide  Götter  sitzend  und  ihre  Pfeile  sendend  zu  denken. 


1)  V.  198—201:  fingitederai 

huic  aliquid  populo  natorum  posse  meorum, 

non  tarnen  ad  nuraerum  redigar  spoliata  riuorum, 

Latonae  turbam,  quae  quantum  distat  ab  orba.9 
Zu  turbam  vgl.  1.355:  nosduo  turba  sumus.  Kindscher  in  Mützell's  Ztschr.  f.  Gymnasial w. 
IX.  p.  :\%)\)  -  100  will  die  Stelle  so  geordnet  haben: 

Latonae  propere,  quae  quantum  distat  ab  orba. 

Ite   dati  thuris  satis  est,  laurumque  capillis 

ponite, 
durchaus  ohne  Noth  und  auch  der  Gedanke:  dati  thuris  satis  est  ist  nicht  ganz  richtig. 
Sie  sollen  gar  nicht  der  Latona  opfern. 

2)  206 :  en  ego  vestra  parens  vobis  animosa  creatis. 


Ovid  und  die  übrige  lateinische  Dichtung.  73 

Die  Strafe  vollzieht  sich  zunächst  an  den  S  öhnen,  dem  jüngeren Theile 
der  Kinder  Niobes.  Als  Schauplatz  ist  hier  ein  Blachfeld  nahe  der  Mauer  f) 
vom  Dichter  bezeichnet,  wo  Rosse  getummelt  werden  im  Kreislauf,  wo  die 
Wagen  im  Wettrennen  sich  üben,  wo  aber  auch  die  Uebungen  der  von  Oel 
glänzenden  Palästra  {opus  nitidae  palaestrae)  vorgenommen  werden,  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  das  Gymnasium  des  Herakles  oder  das  Iolaeion  nördlich 
von  der  Stadt,  gleich  unterhalb  der  Cadmea  und  nahebei  dem  Flüsschen  Isme- 
uus,  worin  also  Hippodrom  und  Palästra  nicht  fehlten.  Die  beiden  ältesten 
Söhne  Ismen us  und  Sipylus  sind  noch  im  Reiten  begriffen;  sie  werden  in 
entgegengesetzter  Art  von  den  Pfeilen  getroffen,  jener  mit  scharfangezogenem 
Zügel  das  Pferd  in  der  Schule  reitend  wird  mitten  durch  die  Brust  geschossen 
und  sinkt  allmälig  zur  rechten  Seite  herab ;  dieser  dagegen  hat  die  Zügel 
schiessen  lassen  auf  den  Klang  der  durch  die  Luft  schwirrenden  Geschosse, 
um,  wie  der  Schiffer,  vor  dem  Sturm  mit  Beisetzen  aller  Segel  zu  fliehen,  aber 
er  wird  vom  Geschoss  in  der  Spitze  des  Genickes  getroffen  und  nackt  ragt 
aus  der  Kehle  das  Eisen  hervor. 

Ein  zweites  Paar  Söhne,  Phaedimus  und  T a n  t a  1  u s  werden  im  Rin- 
gen die  Körper  ineinandergeschlungen  von  Einem  Pfeil  durchbohrt,  sinken 
zusammen  nieder  und  athmen  vereint  ihr  Leben  aus.  Ein  fünfter  Sohn, 
Alphenor,  eilt  herbei  im  Liebesdienst  die  erstarrten  Glieder  der  Beiden  zu 
lösen,  wird  aber  unten  im  Zwergfell  durchbohrt,  der  herausgezogene  Pfeil 
zieht  einen  Lungelflügel  nach  sich,  das  Leben  flieht  mit  dem  Blutergusse. 

Damasichthon,  noch  das  ungeschnittenc  Haupthaar  tragend,  also 
als  Knabe,  noch  nicht  als  Ephebe  bezeichnet,  offenbar  davon  eilend,  wird  in 
das  Unterbein,  in  den  Ansatz  der  Wade  getroffen  und  während  er  den  Pfeil 
herauszuziehen  strebt,  trifft  ihn  ein  zweiter  in  die  Kehle,  tief  bis  zum  Ge- 
fieder eingesenkt;  der  JBlutstrom  treibt  den  Pfeil  hoch  in  die  Luft  wieder 
hinaus. 

Noch  ist  der  jüngste  Sohn  übrig,  Ilioneus;  er  hat  die  Arme  zur  Bitte 
vergeblich  hoch  gehoben,  ,,ihr  Götter  allzusammen,  schonet  mein,"  waren 
seine  Worte,  der  bogenhaltende  Gott  ist  bewegt,  als  der  Pfeil  nicht  mehr 
zurückzurufen  war,  doch  jener  stirbt  an  der  kleinsten  Wunde,  nicht  tief  im 
Herzen  getroffen. 

Die  Nachricht  vom  Unglück  verbreitet  sich  rasch,  erregt  den  Schmerz 
der  ganzen  Bevölkerung,  die  Thränen  der  Familie.  Amphion  endet  den 
Schmerz  mit  dem  Leben,  die  Brust  mit  dem  Schwerte  durchbohrend.  Auf 
Niobe  ruht  nun  die  ganze  Wucht  des  Verhängnisses.  Verwunderung,  Zorn 
schreibt  der  Dichter  ihr  zu,  dass  die  Götter  so  viel  konnten,  wagten,  durften. 
„Welcher  Gegensatz  zu  dieser  Niobe  und  jener,  die  so  eben  das  Volk  von  den 
Altären  der  Leto  entfernt  hat  und  mitten  durch  die  Stadt  das  Haupt  zurück- 

1)  V.  21S :  planus  erat  lateque  patens  prope  moenia  campus. 


74  Erste»  Kapitel. 

geneigt,  geschritten  war,  ein  Gegenstand  des  Neides  ihrer  Nächsten,  nun 
erbarmungswürdig  selbst  für  den  Feind !  €t  Sie  neigt  sich  über  die  kalten 
Leichen,  sie  theilt  die  letzten  Küsse  aus  an  alle  Söhne,  von  ihnen  weg  streckt 
sie  die  bleichen  Arme  zum  Himmel.  ,,  Weide  dich,  Latona,  ruft  sie,  an  un- 
serem Schmerz,  sättige  dein  wildes  Herz,  in  sieben  Leichen  trägt  man  mich 
zu  Grabe,  frohlocke,  triumphire  du,  meine  Feindin,  als  Siegerin.  Doch 
warum  Siegerin  !  ich  Unglückliche  besitze  noch  mehr  als  du  im  Glücke,  auch 
nach  so  viel  Leichen  bin  ich  Siegerin." 

Sofort  tönt  bei  diesen  Worten  die  Sehne  des  gespannten  Bogens ;  nach 
dem  Vorauserzählten  ist  anzunehmen,  dass  nun  Diana  ihre  Pfeile  sendet,  da 
beide  Gottheiten  zu  strafen  auf  der  Cadmea  in  Wolken  sich  befinden,  Apollo 
beim  Tode  der  Söhne  allein  als  thätig  genannt  ist.  Alle  werden  erschreckt, 
nur  Niobe  nicht,  sie  ist  durch  das  Unglück  selbst  nur  kühner. 

Die  vierte  und  letzte  Scene  der  ovidischen  Schilderung  ist  in  gesteiger- 
ter Gedrängtheit  dem  Leser  vorgeführt ;  gleichsam  Schlag  auf  Schlag  folgt 
sich  hier  alles,  bis  wir  zur  Mutter  selbst,  zu  ihrem  Endschicksal  gelangt  sind. 
Die  Lokalität  können  wir  nur  entnehmen  aus  Andeutungen.  Offenbar  ist  es 
der  Moment  der  Ausstellung  der  Leichen,  die  7TQb&BOig,  wobei  diese  in  weis- 
sen Gewändern,  bekränzt  auf  Lagern  ruhend,  umgeben  von  den  Anverwand- 
ten in  Trauergewändern  und  unter  Klagciauten,  in  alter  Zeit  vor  den  Haus- 
thüren,  seit  dem  solonischen  Gesetze  innerhalb  derselben,  jedenfalls  in  einer 
Halle  des  ersten  Hofes,  der  avlrj1)  erschienen.  Hier  sind  esdie  Schwestern, 
die  an  den  Paradelagern  (ante  toros  fratrum)  in  schwarzen  Gewändern,  mit 
gelöstem  Haare  stehen.  In  diesem  Akte  der  Trauer  werden  sie  von  den  Pfei- 
len getroffen.  Die  eine  sich  fortschleppend  mit  dem  in  die  Eingeweide  ge- 
drungenen Geschoss  sinkt  sterbend  über  den  Bruder  das  Antlitz  gebeugt,  die 
andere,  die  es  wagt,  die  unglückliche  Mutter  zu  trösten,  schweigt  plötzlich 
und  knickt  zusammen  an  einer  unsichtbaren  Wunde.  Eine  dritte  sinkt  ver- 
gebens fliehend  zusammen,  über  sie  hin,  gebeugt,  an  ihr  ruhend,  stirbt  eine 
vierte  Diese  verbirgt  sich,  jene  kann  man  in  Angst  hin  und  her  eilen  sehen. 
Noch  die  letzte  Tochter  ist  übrig,  sie  deckt  die  Mutter  mit  dem  ganzen  Leib, 
mit  dem  ganzen  Gewand,  sie  ruft:  ,,nur  eine,  die  kleinste  lass  mir  von  den 
vielen,  die  kleinste  und  nur  eine  fordere  ich."  Während  sie  bittet,  sinkt  die, 
für  die  sie  gebeten,  nieder.  Kinderlos  setzt  sie  sich  nieder  unter  den  ent- 
seelten Söhnen  und  Töchtern  und  Mann*). 


1)  Becker  Charikles  2.  Aufl.  III.  S.  *w  ff.,  bes.  Schol.  Aristoph.  Lysistr.  611:  rovs  v(xqovs 
yitQ  ol  an^aToi  nQoatflfOctr  noo  rtoi>  &vqi5v  x*l  ixonrovro,  und  das  Gesetz  bei  Demos th. 
in  Macart.  §  62 :  rov  cuio&avovm  TiQOjC^taSat  tvdor  omoe  av  ßovltftai. 

2)  Orba  reseclit  exaninien  inter  natos  natasque  virumque  V.  301.  302.  Dieses  orlxi  ist 
der  furchtbare  Kefrain  auf  das  stolze  Wort  V.  200. 


Ovid  und  die  übrige  lateinische  Dichtung.  75 

E«  erfolgt  nun  die  Umwandlung  Niob es,  sie  erstarrt  vor  Unglück; 
iie  Haare,  die  Gesichtsfarbe,  die  Augen  und  Wangen  werden  starr,  in  der 
iusseren  Erscheinung  ist  kein  Leben  mehr.  Auch  in  das  Innere  dringt  die 
Erstarrung:  Zunge  und  Gaumen,  Adern,  Muskeln  der  Bewegung,  ja 
selbst  in  den  innersten  Theileu  wird  sie  zu  Stein.  Aber  sie  weint  doch.  Von 
dem  Wirbel  eines  gewaltigen  Windes  umfasst  wird  sie  in  die  Heimath  ent- 
ratft,  dort  am  Gipfel  des  Berges  festhaftend  fliesst  sie  und  noch  jetzt  lässt  der 
Marmor  Thräuen  rinnen. 

Dabei  bleibt  der  Dichter  nicht  stehen,  noch  wird  uns  die  Wirkung,  die 
das  tragische  Geschick  ausgeübt,  kurz  vorgeführt.  Der  Zorn  der  Göttin,  der 
also  handgreiflich  sich  offenbart,  treibt  nun  zu  eifrigem  Dienst  Frauen 
und  Männer  gegen  die  erhabene  Gottesmacht  der  göttlichen  Zwillingsmutter. 
Also  nun  befestigt  sich  erst  recht  der  Dienst  von  Latona,  Apollo  und  Diana. 
Das  Volk  von  Theben  trauert  um  den  mit  dem  Vater  Amphion  vernichteten 
Herrscherstamm ,  die  Mutter  steht  unter  dem  Eindruck  der  Gehässigkeit; 
nur  der  einzige  Pelops,  ihr  Bruder  hat  auch  sie  beweint.  Alle  Könige 
innerhalb  und  ausserhalb  des  Isthmus  sammeln  sich,  doch  wohl  in  Theben, 
um  Trost  zu  bringen  und  die  Theilnahme  zu  bezeugen. 

Die  ovidische  Erzählung  ist  für  uns  als  die  einzige,  uns  erhaltene  poeti- 
sche Gesammtdarstellung  von  ganz  unschätzbarem  Werthe,  die  ganze  Far- 
benfrische einer  individuellen  Schilderung  ist  darüber  ausgebreitet,  die  ganze 
Steigerung  des  menschlichen  Interesses  an  der  wohlberechneten,  in  ihren 
Theilen  abgewogenen  Scene  glücklich  erreicht,  aber  sie  reiht  sich  uns  doch  nur 
ein  in  die  vielen  Stufen  der  Ausbildung  des  Mythos,  wie  wir  sie  bereits  kennen 
gelernt  haben.  Auf  zwei  wichtige  Punkte  habe  ich  bereits  hingewiesen : 
auf  das  Verschmähen  jeglichen  Hinweises  eines  frühem  nahen  Verhältnisses 
zwischen  Niobe  und  Leto,  dann  auf  die  Einführung  und  Verbreitung  des 
Cultus  der  Leto  und  ihrer  Kinder,  welche  in  Theben  ähnlich  von  Niobe  be- 
kämpft wird,  wie  der  des  Bakchos  durch  Pentheus.  Die  Zahl  der  Kinder  ist 
also  die  von  den  Tragikern  angenommene,  apollinische  Zahl.  Eine  Rettung 
der  jüngsten  zwei  Kinder  oder  doch  einer  Tochter  wird  ausdrücklich  abge- 
wiesen. Die  Lokalität  ist  also  Theben,  das  Gymnasium  und  die  Vorhalle  der 
Königsburg.  Die  Versetzung  der  Niobe  nach  Lydien  an  den  Sipylos  findet 
sichtlich  ohne  die  Gräber  der  Kinder  statt.  Der  letzte  Punkt,  die  Versamm- 
lung der  hellenischen  Fürsten  zur  Trauer  ist  nicht  blos  dichterischer  Nothbe- 
lelf,  um  zu  einer  anderen  Erzählung  überzugehen,  sowie  die  Klage  des  Pe- 
ops  tun  Niobe. 

Die  übrigen  Stellen  des  Ovid  in  Bezug  auf  Niobe  benutzen  sie  als  Bei- 
spiel des  furchtbaren  Zornes  der  Diana;  ihre  Trauer,  ihre  Thränen,  ihre  Ver- 
wandlung in  Stein,  die  der  Empfindung  entbehrt,  werden  von  dem  verbann- 
ten Dichter  gegenüber  seinem  Schmerze  und  Unglück  gern  genannt.    Und 


76  Erstes  Kapitel. 

doch  fühlen  wir  ihm  an,  ja,  er  sagt  es  geradezu,  der  Mythus  ist  ihm  mehr 
poetisches  Gebilde,  nicht  geglaubter  göttlicher  Vorgang1). 

Horaz  ruft  in  dem  Vorbereitungsgedicht  zu  der  Feier  der  Saecularspiele, 
deren  Mittelpunkt  der  Tempel  des  Apollo  Palatinus  ward,  Apollo  an  als  Sie- 
ger über  jede  menschliche  Vermessenheit ;  ,, göttlicher,  den  der  Niobe  Ge- 
schlecht, als  den  Rächer  vermessener  Rede  kennen  gelernt  hat",  ebenso 
wie  Tityus  und  wie  Achilles2).  Es  lag  dies  dem  Dichter  um  so  näher,  als 
auf  dem  einen  Thürflügel  des  Tempels,  wie  wir  später  näher  zu  besprechen 
haben,  die  Scene  selbst  des  Untergangs  der  Niobiden  dargestellt  war. 

Bei  Virgil  findet  sich  nur  eine  versteckte  Beziehung  auf  den  Mythus, 
welche  Servius  mit  Recht  wohl  herausfindet.  Aruns  hat  Camilla,  die  eifrige 
Dienerin  der  Diana  und  Jägerin,  mit  dem  Speer  getödtet;  da  tritt  die  Göttin 
Opis,  Wächterin  der  Diana,  als  Rächerin  ein  :  ,, willst  auch  du  von  der 
Diana  Geschossen  fallen"  ruft  sie  ihm  zu  und  sendet  ihm  von  einem  alten 
Grabhügel  aus  das  tödtliche  Geschoss.  Dies  ,, auch  du"  weist  auf  ähnliche 
Fälle,  naheliegend  auf  die  Niobiden  zurück8).  Properz  endlich,  dessen 
Worte  4)  über  eine  ausgezeichnete  Darstellung  der  Niobiden  wir  unten  zu  be- 
sprechen haben,  wünscht  in  seinem  Geburtstagsgedicht  sich  einen  wolken- 
losen, windfreien,  ruhigen  Tag,  er  möge  an  dem  heutigen  Tage  keine  Trauern- 
den sehen  und  da  führt  er  die  drei  specifischen  Trauererscheinungen  in  der 
Natur  an,  die  in  mythologischen  Gestalten  verkörpert  sind,  Niobe,  Alcyone 


1)  Am.  III.  12,  31  :  de  Niobe  silicem,  de  virgine  fecimus  ursam; 

concinit  Odrysium  Cecropis  ales  Ityn 
(also  auch  hier  Niobe  undAedon  nahe  zusammengestellt,  wir  poetae  sind  es,  welche  fecimus). 
Heroid.  XX.  105  ff. :  nihil  est  violentius  illa, 

cum  sua  —  numina  laesa  videt. 
IX.  10  » f. :  quaeque  superba  pavens  saxo  per  corpus  oborto 

nunc  quoque  Mygdonia  flebilis  exstat  humo. 

Trist.  V.  1.  57:  cum  faceret  Nioben  orbam  Latoia  proles 

non  tarnen  et  sicca«  jussit  habere  genas. 

Id.  V.  1 2.  S :  exigis  ut  —  et  Niobe  festos  ducat  ut  orba  choros. 

Ep.  ex  Ponto  I.  2 :     fine  carent  lacrimae  nisi  cum  Stupor  obstitit  Ulis 

et  similis  morti  pectora  torpor  habet. 
Felicem  Niobea  quamvis  tot  funera  vidit, 
quae  posuit  sensum  saxea  facta  mali. 

2)  Od.  IV.  H.  I  ff . :     Dive,  quem  proles  Niobea  magnae 

vindicem  linguae  Tityusque  raptor 
sensit  et  Troiae  prope  victor  altae 
Phthius  Achilles. 

3)  Virg.  Aen.  XI.  s57  :  tune  etiam  telis  moriere  Dianae  ?  Servius  ad  1.1, :  quod  autem 
ait  tune  etiam  ad  Niobes  (Guelf.  nobiles ;  auch  Jovis  Lesart)  numerosam  pertinet  subolem. 

4)  El.  II.  31. 


Ovid  und  die  übrige  lateinische  Dichtung.  77 

ld  Philomele;    „auch  die  zu  Stein  gewordene  Niobe  möge  ihre  Thränen 
aterdrücken",  wie  die  um  Itys  klagende  Mutter  ihre  Rufe1). 

Der  Einfluss  der  ovidischen  glänzenden  Schilderung,  sowie  die  person- 
elle Vorliebe  des  Kaiser  Nero  für  die  Darstellung  der  Niobe  und  die  wohl 
m  ihm  ausgehende  Anregung  für  eine  erneute  dramatische  Behandlung 
ieses  Stoffes,  die  wir  bereits  kennen  gelernt  haben,  zeigt  sich  entschieden  an 
en  eca  und  Statius.  Seneca  führt  denselben  an  vier  Stellen  seiner  Tra- 
ftdien  und  mit  allem  Pomp  hochtragischer  Sprache  ein 2) .  Im  Agamemnon 
idet  der  Chor  zum  Preis  des  Apollo  und  der  ihm  nahe  verbundenen  Göt- 
ar  ein.  „Auch  du  begleite  unsere  Chöre,  thebanische  Freundin,  die  die 
Jiicksalskundige  Manto,  die  Tiresiastochter,  mahnte  die  Latonageboruen  im 
pfer  zu  feiern."  Der  Chor  ruft  Trivia,  also  Diana  Hecate  an,  die  einst 
elos  der  Geburtsstätte  Halt  geboten.  „Du  zählst  als  Siegerin  die  Leichen 
jr  tantalidischen  Mutter,  Auf  des  Sipylos  höchstem  Scheitel  steht  sie  jetzt 
n  thränender  Fels  und  immer  noch  in  ewiger  Trauer  lasset  der  alte  Marmor 
eue  Thränen  rinnen.  Eifrig  verehrt  Mann  und  Frau  das  Götterpaar"8), 
[egara  führt  gegen  Lycus  im  Hercules  furens  die  Beispiele  durch  die  Gott- 
eit  bestraften  menschlichen  Uebermuths  aus  der  thebanischen  Sage  auf; 
tischen  Oedipus  und  Cadmus  steht  Niobe,  sie,  „die  stolze  Tantalide  und 
[utter,  erstarrt  in  ihrem  Jammer  und  im  phrygischen  Sipylus  rinnt  der 
'rauerfels." 


1)  El.  III.  10,  7 ff.: 

aspiciam  nullas  hodierna  luce  dolentes 

et  Niobes  lacrimas  supprimat  ipse  lapis, 
Alcyonum  positis  requiescant  ora  querelis, 

increpet  absumptum  nee  sua  mater  Ityn. 

2)  Agam.  373 ff.;  Herc.  für.  390 f.;  Oedip.  613f.;  Hercul.  Oet.  1S5.  ISS. 

3)  Agam.  319  ff. : 

tu  quoque  nostros  Thebais  hospes 

comitare  choroa  quam  fatorum 

p  r  a  e  s  c  i  a  Manto  sata  Tiresia 

Latonigenas  moverit  sacris 

celebrare  deos. 
'gl.  dazu  aus  Orid  Met.  VI.  157  :     vonturi  praescia  Manto. 
V.  372  ff. :     tu  Tantalidos  funera  matris 

victrix  numeras.  stat  nunc  Sipyli 

vertice  summo  flebile  saxum 

et  adhuc  lacrimas  moesta  aeternum 

marmora  manant  a  tiqua  novas. 

colit  impense  femina  virque 

numen  geminum. 
'?!.  dazu  Ovid  Met.  VI.  312:  et  lacrimas  etiam  nunc  marmora  manant,  dann  —  femina 
rttque  timent.     Den   Ausdruck  flebile  saxum  berührt  Seneca  noch   einmal   im  Hercules 
°*taeu9  185. 


78  Erste«  Kapitel. 

Bei  der  Todtenbeschwörung  des  Tiresias  am  Quell  Dirce  im  Hain  steigen 
die  Schatten  von  Zethus,  Amphion  und  von  Niobe  auf,  so  schildert  Seneca  im 
Oe<lipus.  „Und  Tantalis  endlich  unter  ihren  Kindern  hebt  stolz  das  vom  sich 
sicher  fühlenden  Hochmuth  schwere  Haupt  und  zählt  ihre  Schatten"1). 
Niobe  erscheint  also  hier  als  der  Unterwelt  angehörig,  nicht  in  ihrem  Selbst 
an  den  Fels  hoch  auf  Hergeshöhen  gebannt.  Da  im  Tode  kann  ihr  Niemand 
die  Palme  des  Kinderreich thums  streitig  machen.  Das  Zählen  erscheint  hier 
wie  auch  an  andern  Stellen  als  charakteristischer  Zug.  An  vierter  Stelle  end- 
lich erscheint  Niobe  in  den  Wünschen  der  lote  in  doppelter  Beziehung  als 
lokal  versetzte,  weit  dem  Schauplatz  der  Trauer  entrückte  Gestalt  und  zwei- 
tens als  eine  Verwandelte.  Sipylus,  dies  flebile  saxum  tritt  dem  Eridanns 
gegenüber,  wie  der  sicilische  Fels  zu  dem  Edonerwald  und  dann  bat  Tantsfis 
sich  selbst  überlebt,  d.  h.  noch  dauert  sie  fort,  aber  nur  ihr  Wild ,  sie  wird 
zwischen  verwandelten  Heroinen  Myrrhe,  Alcyone  und  endlich  Phitameie 
und  Aedon  in  die  Mitte  gestellt8). 

Statius  hat  in  seiner  Thebais,  diesem  Werke  gelehrtesten  Fleisses  und 
literarischer  Studien  seiner  Vorgänger,  mehrmals  die  Niobesage  zur  Verglei- 
chung  und  zwar  in  fast  episodischer  Ausfurlichkeit  herangezogen,  aber  auch 
einmal  die  Gestalt  selbst  der  Niobe  auftreten  lassen.  Der  Untergang  der 
fünfzig  auserlesenen  Jünglinge,  die  im  Hinterhalte  gegen  Tycleus  gelegen, 
hat  ganz  Theben  mit  Trauer  erfüllt.  Die  Mutter  der  edelsten  Helden,  Itfe 
,, erscheint  nicht  mehr  unglücklich  oder  bemitleidenswerth ,  nein,  Schrecken 
liegt  in  ihren  Thränen"4).  Alethes  hält  vor  den  Scheiterhaufen  die  Grab- 
rede und  führt  zunächst  drei  Beispiele  aus  der  thebanischen  Geschichte  an, 
die  nicht  mit  diesem  Unglück  zu  vergleichen  seien.  Dann  fährt  er  fort: 
,,nur  ein  einziger  Tag  war  ähnlich  an  Schwere  des  Geschickes,  an  Art  des 
,, Unglücks  ebenbürtig,  der  an  dem  die  grosssprecherische,  frevelnde  Tanta- 


1 )  Herc.  für.  390  f. : 

riget  superba  Tantalis  luctu  parens 
moestusque  Phrygio  manat  in  Sipylo  lapis. 

2)  Oed.  613  f. : 

interque  natos  Tantalis  tandem  suos 
tuto  superba  fert  caput  fastu  grave 
et  numerat  umbras. 

3)  Herc.  Oet.  1 85 : 

me  vel  Sipylum  flebile  saxum  fingite  superi. 
V.  19$ :     sibi  Tantalis  est  facta  superstes. 

4)  Theb.  III.  134  : 

magna  parens  juvenum,  gemini  tunc  funeris,  Ide  — 
1 36 :    nee  jam  infelix  miserandaque,  verum 
terror  inest  lacrimis  — . 


Ovid  und  die  übrige  lateinische  Dichtung.  79 

iide  ihren  Stolz  büsste  als  sie  umgeben  von  zahllosen  Trümmern  so  viel 
Leichen  von  der  Erde  aufraffte,  ebensoviel  Flammen  suchte.  So  war  des 
Volkes-Zustand,  so  bejammerten,  die  Stadt  verlassend,  Jung  und  Alt  und 
die  Mutter  im  langen  Zuge  den  Zorn  der  Götter  und  im  jammerreichen  Ge- 
dränge umgaben  sie  die  doppelten  Bahren  auf  dem  Weg  durch  die  gewalti- 
gen Thore.  Ich  selbst  erinnere  mich,  noch  war  mein  Alter  da  solchen 
Schmerzen  nicht  reif,  habe  geweint  und  den  Klagen  der  Eltern  es  gleich 
gethan"1). 

Wird  hier  uns  der  Trauerzug  der  Thebaner  mit  den  Leichen  der  Niobi- 
m  hinaus  zur  Stätte  des  Verbrenuens  und  die  Betheiligung  des  ganzen  Vol- 
»  an  der  Klage,  an  dem  Erweichen,  Sühnen  des  Götterzornes  durch  die 
läge  geschildert,  so  giebt  das  Leichenbegängniss  des  Archemoros  bei  Ne- 
e*  gehalten  von  den  nach  Theben  ziehenden  Kriegsfiirsten  Veranlassung 
18  Ueberfiihren  der  in  Urnen  gesammelten  Ueberreste  der  Niobiden  durch 
re  Mutter  nach  Sipylos  in  einem  wichtigen  Punkte  zu  berühren.  Es  ertönt 
imlich  als  Zeichen  der  beginnenden  Traueropfer  und  Klage  am  Scheiter- 
nifen  die  Flöte  mit  gekrümmter  Oeffhung  in  tiefem  Ton;  nach  phrygi- 
her  Weise  hat  sie  die  zarten  Schatten  zu  geleiten.  Pelops  soll  die  Feier 
nr  Bestattung  und  die  heilige  Liederweise  für  jüngere  Schatten  gelehrt 
iben,  unter  deren  Begleitung  die  trauernde  von  doppelten  Geschossen  ver- 
chtete  Niobe  die  zwölf  Todesurnen  nach  Sipylos  geleitet  hatte"2}. 

Weiter  handelt  es  sich  bei  Statius  auch  um  eine  Todtenbeschwörung  im 
aine  der  Hekate  durch  Tiresias  und  Manto ;  da  erscheinen  nach  einander 
admus  und  Harmonia  mit  den  Sparti,  die  Töchter  des  Cadmus  mit  den 
agischen  Gestalten  des  Pentheus,  Lycus,  weiter  Actaeon.    Dann  fährt  der 


1)  Theb.  III.  191—198: 

una  die»  similis  fato  specieqne  malorum 
aequa  fuit,  qua  magniloquos  luit  impia  flatus 
Tantalis,  innumeri  cum  rircumrusa  ruinis 
corpora  tot  raperet  terra,  tot  quaereret  ignes. 
Talis  erat  vulgi  Status  et  sie  urbe  relicta 
primaevique  senesque  et  longo  exaroine  matres 
inridiam  planxere  deis  miseroque  tumultu 
bina  per  ingentes  stipabant  funera  portas. 
Meque  ipsum  memini  (needum  apta  doloribus  aetas) 
*  Hesse  tarnen  gemituque  meos  aequasse  parentes. 

2)  Theb.  VI.  120 ff.: 

cum  aignum  luctus  oornu  grave  mugit  adunco 
tibia,  cui  teneros  suetum  producere  manes 
lege  Phrygum  moesta,  Pelopem  monstraase  ferebant 
exsequiale  sacrum.  carmenque  minoribus  umbris 
utile,  quo  geminis  Niobe  consumta  pharetris 
squallida  bis  senas  Sipylon  deduxerat  urnas. 


80 


Erstes  Kapitel. 


Dichter  fort :  „siehe  da  nahet  [heran  bencidenswerth  ob  der  grossen  Beglei- 
tung die  Tantalide  und  in  stolzer  Trauer  überzahlt  sie  die  Leichen,  in  nichts 
„gebeugt  vom  Unglück.  Es  freut  sie  entronnen  zu  sein  der  Götter  Macht 
und  noch  mehr  deren  thörichten  Zungen  Freiheit  zu  lassen"1).  Soweit  be- 
richtet Manto  und  nun  wird  Tiresias  von  weissagendem  Geiste  erfüllt.  Die 
Nachahmung  des  Seneca  ist  hierin  ganz  unverkennbar. 

In  drei  andern  Stellen2)  wird  nur  kurz  auf  Apollo's  und  Diana' s  vernich- 
tende Geschosse,  die  an  Niobes  Kinder  sich  erprobt,  hingewiesen,  an  einer 
derselben  ist  es  der  dircaeische  Berg  bei  Theben,  ist  es  der  Wald  daselbst, 
die  als  Zeugen  des  Vorganges  vor  der  Latonatochter  neu  erzittern.  Niobe 
erscheint  an  der  andern  neben  Marsyas,  Tityos,  Python  und  Phlegyas  als 
vom  Apollo  besiegte  Gegnerin.  Au  der  dritten  wird  der  Niobidentod  neben 
Tityos  oder  Delos  als  Waffen-,  speciell  wohl  Schilddarstellung  der  apolli- 
nischen Schaar  der  Anwohner  des  Parnasses  bezeichnet. 

Juvenal3)  fuhrt  mit  grosser  dramatischer  Lebendigkeit  eine  Scene  aus 
der  Niobesage  uns  vor,  um  dann  zu  zeigen,  wie  eine  Frau,  die  mit  allen  Vor- 
zügen des  lieichthums,  der  Schönheit,  des  Adels,  der  Keuschheit,  der  Frucht- 


1)  Theb.  IV.  575  ff. : 

ecce  autem  magna  subit  invidiosa  caterva 
Tantalis  et  tumido  percenset  funera  luctu. 
nil  dejeeta  maus  juvat  effugisse  deorum 
numina  et  insanae  plus  jam  permittere  linguae. 


2)  Theb.  1.  711 


Ebendas.  VII.  352 : 


Ebendas.  IX.  079  ff. : 


te  viridis  Python  Thebanaque  raater  orantem 
horruit  in  pharetris  — . 

armaque  vel  Tityon  vel  Delon  habentia  vel  quae 
hie  deus  innumera  laxavit  caede  pharetras. 

cum  lapsa  per  auras 

vertice  Dircaei  velox  Latonia  montis 

adstitit ;  agnoseunt  colles  notamque  tremescit 

silva  deam,  ubi  quondam  exerta  sagittis 

foeeundam  lasso  Nioben  consumserat  arcu. 


3)  Sat.  VI.  171 


parce  precor,  Paean,  et  tu,  dea,  pone  sagittas  ; 

nil  pueri  faciunt,  ipsam  configite  matrem. 

Amphion  clamat :  sed  Paean  contrahit  arcum. 

extulit  ergo  greges  natorum  ipsumque  parentem, 

dum  sibi  nobilior  Latonae  gente  videtur 

atque  eadem  scrofa  Niobe  foeeundior  alba. 
Vgl.  dazu  die  altern  Scholien  und  die  Anführung  bei  Lactantius  Placidus  ad  Stat.  Theb. 
I.  711.    Das  Letzte  eine  Anspielung  auf  die  Aeneas  begegnende  Sau  mit  30  Ferkeln  bei 
Virg.  Aen.  111.  391. 


Ovid  und  die  übrige  lateinische  Dichtung.  8  t 

barkeit  ausgestattet  sei,  unerträglich  werde,  wenn  sie  mit  den  Vorzügen  das 
grande  supercilium ,  den  hochfahrenden  Stolz  verbinde.  Eine  Cornelia, 
Mutter  der  Gracchen,  die  bei  der  Mitgift  ihre  Triumphe  mit  aufzählt,  möge 
abziehen.    Unmittelbar  fahrt  der  Dichter  dann  fort,  in  tragischer  Würde,  die 

doch  mit  scharfem  Contrast  dann  abschliesst : 

„Päan,  bitte,  verschon'  und  die  Pfeile  auch,  Göttliche,  birg1  du, 
Schuldlos  sind  ja  die  Kinder,  sie  selbst  durchbohret  die  Mutter. " 
Tönt  Amphions  Ruf,  doch  Päan  ziehet  den  Strang  an, 
So  bei  Haufen  begrub  die  Gebornen  und  den  Erzeuger 
Niobe,  während  an  Adel  sie  höher  sich  dünkt  wie  Latonas 
Stamm  und  an  Fruchtbarkeit  wie  die  Sau  mit  der  weissen  Behaarung. 
Auch  selbst  in  den  Spätlingssprossen  der  lateinischen  Poesie,   in  den 
Epigrammen  des  Ausonius  klingt  die  gewaltige  Trauerweise  des  Niobeniy- 
thus  aus,  die  auch  den  kältern  in  der  langen  Dichterreihe  inneren  Antheil 
und  eine  gehobene  Form  abgewonnen.    Wir  haben  bereits  mehrere  derselben 
bei  der  Besprechung  ihrer  griechischen  Originale  erwähnt !) .  Es  bleibt  uns  noch 
übrig  auf  das  längste  Epigramm  darunter,  dessen  Original  uns  nicht  erhalten 
ist,  aufmerksam  zu  machen,  es  ist  N.  27  unter  den  Epitaphien2).    Danach  ist 
sie,  die  Königiu  von  Theben,  zum  sipyleischen  Fels  geworden,  weil  sie  die 
Göttermacht  der  Letoiden  verletzt.      Froh  und  stolz,  Mutter  von  zweimal 
sieben  Kindern,  hat  sie  ebensoviel  Leichen  zu  Grabe  geleitet.    Nicht  damit 
genug,  eingeschlossen  in  hartem  Fels  hat  sie  die  menschliche  Gestalt  verlo- 
ren, aber  der  Schmerz  bleibt  doch,  wenn  auch  die  Lebenskräfte  gehemmt 
sind,  und  lässt  ewig  Thränen  rinnen  aus  erbarmender  Quelle.    Die  Schluss- 
worte lauten : 

„Wehe  der  That,  so  gross  ist  der  Zorn  in  der  Himmlischen  Herzen ! 
„Annoch  dauert  der  Schmerz,  Mutter,  dir,  schwand  die  Gestalt." 
Dass  in  der  Elegie  des  Pentadius8)  auf  Fortuna  auch  Niobe  eine  Stelle 
gefunden  hat,  wird  uns  nicht  wundern,  das  Distichon  ist  durchaus  unbedeu- 


1)  Auson.  epigr.  84,  85;  epitaph.  28,  29. 

2)  Niobae  in  Sipylo  monte  iuxta  fontem  sepultae. 

Thebarum  regina  fui,  Sipyleia  cautes 

quae  modo  sum ;  laesi  numina  Latoidum. 
Bis  septem  natis  genetrix  laeta  atque  superba 

tot  duxi  mater  funera  quot  genui. 
Nee  satis  hoc  Divis  :  duro  circum  data  saxo 

amisi  humani  corporis  effigiem. 
sed  dolor  obstrictis  quamquam  vitalibus  haeret 

perpetuasque  rigat  fönte  pio  lacrimas. 
Pro  facinus,  tantaene  animis  coelestibus  irae! 

Durat  adhuc  luctus  matris,  imago  perit. 

3)  Wernsdorf  poet.  lat.  min.  III.  p.  266 : 

Tantalis  est  numero  natorum  facta  superba 
natorum  afflieta  Tantalis  est  numero. 

*tark,  Niobe. 


i 

L 


g2  Erstes  Kapitel. 

tend.    Niobe  nimmt  die  Stelle  ein  zwischen  der  Geschichte  der  Helle  und 
des  Peleus. 

Wir  schliessen  diese  Uebersicht  lateinischer  Dichterstellen  noch  mit 
demselben  an  der  Gränzscheide  des  Alterthums  stehenden  Schriftsteller, 
dessen  wir  gleich  im  Eingang  gedachten  :  Sidonius  Apollinaris  lässt  in 
einem  Gedicht !)  Apollo  dem  Bacchus  auf  seinem  indischen  Zuge  begegnen, 
und  fordert  ihn  auf,  die  Mauern  des  schuldigen  Thebens  zu  verschonen,  aber 
mit  ihm  gemeinsam  die  Verächterinnen  ihres  Cultes  aufzusuchen:  Agave 
und  Niobe,  Niobe  ist  bereits  sovielmals  verwundet,  als  sie  Leichen  der  Kin- 
der schaut,  statt  des  Todes,  den  sie  gewünscht,  hat  die  Göttermilde  ihr  Er- 
starrung gegeben  und  an  einen  Ort  sie  gefesselt.  Diese  Gegenüberstellung 
von  Agave  und  Niobe  erinnert  entschieden  an  die  oben  von  uns  entwickelte 
Stellung  des  Niobemythus  im  grossen  Gedichte  des  Nonnos,  welches  wenig 
jünger  als  diese  Arbeit  des  Sidonius  sein  möchte. 

§  10. 
Die  Historiker,  Antiquare  und  Mythographen. 

Bisher  sind  wir  dem  Mythus  durch  alle  Phasen  seiner  künstlerischen 
Durchbildung  und  Gestaltung  auf  dem  Gebiete  der  Literatur  wie  der  ver- 
wandten musikalischen  und  orchestischen  Kunst  nachgegangen,  womöglich 
keine  auch  der  unscheinbarsten  Blüthen  unbeachtet  lassend,  die  die  ganz 
unveitilgbare  Kraft  gerade  dieses  Mythus  geschaffen.  Und  in  der  That  hat 
die  poetische  Gestaltungskraft,  die  ihren  Gipfel  in  den  Tragödieen  eines 
Aeschylos  und  Sophokles  erreichte,  auch  in  den  Epigrammen  und  den  schön- 
sten Sprossen  griechischen  und  lateinischen  Epos  gerade  hieiur  sich  immer 
noch  wirksam  erwiesen.  Gewiss  ein  Erweis,  dass  wir  es  mit  einer  idealen 
Grundanschauung  zu  thun  haben,  die  nicht  zufällig  etwa  auf  griechischen 
Hoden  wie  ein  verwehtes  Samenkorn  übertragen  sein  wird,  sondern  mit  den 
ursprünglichen  Richtungen  und  Bildern  des  Volksgeistes  innigst  zusammen- 
hängt und  die  zugleich  ein  sehr  allgemeines,  wahres  menschliches  Grund- 
verhältniss  berührt. 

Nur  einmal  haben  wir  die  prosaische  Fixirung  der  Sage,  ihre  Ablagerung 
gleichsam  im  Gedächtnissschatze  des  Volkes  berührt,  als  wir  die  Logogra- 


1)  Carm.  XXII.  90  ff: 

tum  Phoebus :  quo  pergis  ?  ait,  num  forte  nocentes 
Bacche,  petis  Thebas  ?  te  cretus  Echione  nempe 
abnegat  esse  deum :  linque  is,  rogo,  moenia,  linque, 
et  mecum  mage  flecte  rotas :  despexit  Agave 
te  colere  et  nosmet  Niobe ;  riget  inde  Huperba 
vulnera  tot  patiens,  quot  spectat  pignora  ventris 
optantemque  mori  gravius  dementia  fixit. 


4 


Die  Historiker,  Antiquare  und  Mythographen.  83 

phen  besprachen ;  aber  gerade  sie  schöpfen  doch  zum  Theil  noch  aus  dem 
unmittelbaren  Munde  des  Volkes  und  bilden  eine  Grundlage  zu  neuen  poeti- 
schen Gestaltungen.  Anders  wird  fcs  in  der  alexandrinischen  Zeit,  wo  die 
gelehrte,  sammelnde  oder  Schriftstellen  erklärende  Richtung  die  bestimmende 
wird;  wesentlich  beruht  ihre  zusammenfassende  Erzählung  auf  den  gäng 
und  gäben,  von  den  Dichtern  vielfach  behandelten  Traditionen ,  jedoch  so, 
dass  die  einen  sich  an  die  kleinasiatische,  die  andern  an  die  thebanischc, 
überhaupt  böotische  wesentlich  anschliessen.  Einzelne  fuhren  hie  und  da 
noch  neue  Seitenquellen  herein,  allerdings  meist  von  etwas  verdächtigen  oder 
entschieden  nicht  griechischen  Ursprüngen.  Wir  haben  bei  Gelegenheit  des 
Simmias  von  Rhodos  auf  solche  Berichte  der  Lydier,  des  Xanthos  und  des 
Neanthes  von  Kyzikos  aufmerksam  gemacht. 

Es  handelt  sich  für  uns  zunächst  um  die  Erzählung  des  Mythus  bei  Apol- 
lodor,  Diodor,  Nikolaos  von  Damaskos,  den  Pseudoxanthos  von  Lydien,  Bo- 
tryas  von  Myndos,  um  die  Verfasser  von  Thebaika,  wie  Timagoras  und  Ari- 
stides,  Pausanias,  um  einzelne  ungenannte  Quellen  zu  den  Scholien  des  Ho- 
mer und  des  Euripides.  Auf  lateinischer  Seite  kommen  die  Mythographen 
mit  Pseudo-Hyginus  und  mit  Lactantius  Placidus,  dem  Commentator  des 
Statins  an  der  Spitze  in  Betracht.  Ueber  einen  einzelnen  Punkt,  über  die 
Zahl  der  Kinder  der  Niobe  finden  wir  zuerst  bei  A.  Gellius,  wenig  spä- 
ter bei  Aelian  eine  Zusammenstellung  der  verschiedenen  Ueberlieferungen, 
bei  jenem  mit  einem  diese  Verschiedenheit  lächerlich  findenden  Befremden1) . 

Herodoros  Pontikos,  der  Schüler  des  Aristoteles  und  umfassende 
Grammatiker  und  Mythograph,  musste  hier  allen  vorangehen ;  aus  seiner 
Erzählung  kennen  wir  aber  nur  eine  ganz  abweichende  Angabe  über  die 
Kinderzahl  der  Niobe.  Danach  waren  es  nur  zwei  Söhne  und  drei  Töchter. 
Die  Ungleichheit  der  Zahl  weist  wohl  auf  Rettung  einer  Tochter  hin,  Wo 
wir  die  Heimath  dieser  Version  zu  suchen  haben,  ist  mir  nicht  sicher :  jeden- 
falls ist  sie  keine  bloss  poetische  Erfindung. 

In  dem  bekannten  Auszuge  aus  der  Bibliothek  des  Apollodoros  (um 
140  v.  Chr.)  geht  das  dritte  Buch  von  dem  Geschlechte  des  Agenor  aus, 
knüpft  daran  zuerst  durch  Europa  die  kretische  und  rhodische  Genealogie ; 
mit  dem  vierten  Kapitel  kommen  wir  zu  dem  Geschlechte  des  Kadmos  und 


I)  A.  Gell.  N.  A.  XX.  7:  mira  et  prope  adeo  ridicula  diversitas  fabulae  apud  Oraecos 
poetas  deprehenditur  super  numero  Niobae  filiomm.  Es  werden  dann  Homer,  Euripides, 
Sappho,  Bacchylides,  Pin  dar  und  quidam  alii  scriptores  zusammengestellt.  Aelian  V.  .H 
XII.  36 :  iofaaotv  ol  aQXttioi  vtiIq  tov  ccqi&iuov  t<ov  rrjs  Ntoßrjg  naCöatv  /uij  avvqöttv  alli}- 
loi£.  Bei  ihm  folgen  sich  Homer,  Lasos,  Hesiodos,  Alkman,  Mimnermos  und  Pindar. 
Lactantius  Placidus  stellt  (ad  Stat.  Theb.  VI.  120)  nur  die  Ueberlieferung  Homers  und 
des 8ophokles  sich  gegenüber;  das  Schol.  II.  24,  004  sagt:  tj  o*k  ötnkij  on  ol  vetortQtn  <fu<- 
ytovovoi  mol  tov  aQt&pov  ttSy  Ntoßrjc  natötor,  ol  plv  yttQ  ötxartaoaQas,  ol  dk  tlxoot  rovg 
NioßMae  Xfyovoiv. 

6* 


84  Erstes  Kapitel. 

dadurch  nach  Theben.  Die  Dionysossage  fügt  sich  bei  den  Töchtern  des 
Kadinos  ein.  In  die  Reihenfolge  der  von  Kadmos  stammenden  Könige 
schiebt  sich  nun  zwischen  Labdakos  urld  Laios  Lykos  gewaltsam  ein  und 
mit  ihm  wird  der  Sagenkreis  vonHyria,  welcher  von  Euböa  nach  Sikyon  hin- 
überreicht, der  des  Lykos  und  Nykteus  und  der  Enkel  des  letzteren  Amphion 
und  Zethos  eingeführt.  Die  Verbindung  des  Zethos  mit  Thebe,  die  des  Am- 
phion mitNiobe,  derTantalostochter,  werden  sich  prägnant  einander  gegenüber 
gestellt,  sodass  wir  einen  Umtausch  darin  für  leicht  möglich  halten  werden. 
Die  Zahl  der  Kinder  wird  auf  zweimal  sieben  angegeben  und  dazu  die  Namen 
derselben  gefügt ;  die  Zahl  sieben  wird  als  die  allgemein  angenommene  hin- 
gestellt, aber  auf  die  Abweichungen  darin  hingewiesen.  Gegenstand  der 
Ueberhebung  ist  die  evrewta,  das  Glück  an  schönen  und  vielen  Kindern. 
Die  frühere  Freundschaft  mit  Leto  wird  nicht  herausgehoben.  Artemis  und 
Apollo  werden  von  Leto  gegen  die  Niobiden  aufgereizt.  Der  Tod  der  Töch- 
ter erfolgt  zu  Hause  [eni  rrjg  olxiag,  also  entsprechend  dem  homerischen 
ivi  fisyaQOioi)  durch  Artemis ;  die  Söhne  allzusammen  schiesst  Apollo  beim 
Jagen  im  Kithäron  nieder.  Soweit  stimmt  Apollodor  ganz  mit  Euphorion 
überein.  Die  Rettung  eines  Sohnes  und  einer  Tochter  wird  unmittelbar  als 
dem  Mythus  zugehörig  berichtet;  die  Namen  sind  Amphion  und  Chloris1), 
und  zwar 'wird  diese  mit  der  Ahnfrau  der  Neleiden  aus  Minyerstamme  aus- 
drücklich gleichgestellt,  also  auf  den  Boden  von  Orchomenos  dabei  hingewie- 
sen. Der  abweichenden  argivischeu  Tradition  wird  dabei  gedacht.  Auch 
Amphion  fällt  durch  die  Pfeile  der  beiden  Gottheiten  und  Niobe  kehrt  nach 
Sipylos  zum  Tantalos  zurück,  wo  auf  ihre  Bitte  die  Verwandlung  erfolgt  und 
ihre  Thränen  Tag  und  Nacht  rinnen. 

Diodor  von  Sicilien  (um  Christi  Geburt)  behandelt  die  Niobesage  in 
dem  vierten,  die  wichtigsten  Heroensagen  enthaltenden  Buche,  wo  er  nach 
der  Besprechung  des  Herakles  überwiegend  geographisch  die  Stoffe  ordnet, 
ganz  bei  dem  kleinasiatischen  Kreise  von  Tantalos,  Pelops,  weiter  der  troi- 
schen  Königsfamilie 2) .  Die  Heimathstätte  und  der  Sitz  des  durch  Reich- 
thum  und  Ruhm  hervorragenden  Tantalos,  des  Zeussohnes  wird  nicht  Mäo- 
nien,  nicht  Lydien,  s  ondern  ausdrücklich  das  jetzt,  also  zu  Diodors  Zeit  so 
bezeichnete  Paphlagonien  [7ibq\  rrjv  vvv  dvofiaCofiivrjv  IlaqtXayoviav)  genannt, 
also  viel  weiter  nordöstlich  zwischen  Halys  und  Sangarios,  nahe  dem  bithy- 
nischen  Olympos,  bei  dem  Olgassysgebirge.  Erinnern  wir  uns,  dass  schon. 
Aeschylos  bis  nach  Bithynien  herein  das  Reich  des  Tantalos  ausdehnt,  dass  deir 


1)  Apollod.  1.  1.  g  5:  loüjfrrj  <ft  raiv  fthv  aQQiptov  jifJKfttav,  ttov  Jk  ^rjXduiv  XXmqtg  w§ 
nQtaßvjiga,  y  NtjX€ vg  ovvtpxTjoe .  Der  Ausdruck :  die  ältere  kann  sich  nur  beziehen  auf 
die  Scheidung  von  der  attischen  Chloris,  der  Geliebten  des  Zephyros. 

2)  Diod.  IV.  73  ff. 


Die  Historiker,  Antiquare  und  Mythographen.  85 

spätere  Nonnos  den  Niobefels  an  dem  Sangarios  reden  lässt.  Strabo1),  Dio- 
dors  Zeitgenosse,  beschäftigt  sich  mehrfach  mit  diesen  geographischen  Wi- 
dersprüchen, die  die  Lokalität  von  der  Stadt  Sipylos  und  die  Geschichte  des 
Tantalos  und  Niobe  betreffen,  und  indem  er  die  bestimmte  Lage  am  Her- 
mosthal  festhält,  fuhrt  er  jene  auf  ungenauen  oder  den  Sprachgebrauch  ver- 
schiedener Zeiten  zurück. 

Niobe  ist  nach  Diodor  mit  Pelops  Kind  des  Tantalos,  des  Zeussohnes, 
welcher  Freund  und  Tischgenosse  der  Götter  sein  Glück  nicht  menschlich 
trägt,  sondern  die  Geheimnisse  den  Menschen  verräth  und  dafür  schon  lebend 
gestraft  wird  und  sterbend  eine  ewige  Pein  erhält.  Niobe  ist  kinderreich  — 
von  welchem  Gatten,  an  welchem  Orte,  wird  nicht  gesagt.  Die  Siebenzahl 
für  Söhne  und  Töchter  ist  die  von  Diodor  angenommene.  Ihr  stolzes  Rüh- 
men findet  oft  statt,  sie  erklärt  sich  endlich  für  glücklicher  im  Kindersegen 
(6VT£xvoT€Qa*>)  als  Leto.  Die  Strafe  erfolgt  durch  Apollo  und  Artemis  ge- 
schieden, von  jenem  an  den  Söhnen,  von  dieser  an  den  Töchtern,  aber  ganz 
zur  selben  Zeit  (xaTci  %ov  avrov  %qovov)  und  die  Schnelligkeit  der  Verwai- 
sung (v<p*  h>a  xaiQÜv  o^icog)  wird  vor  allem  betont.  Von  der  Erhaltung  irgend 
eine*  der  Kinder  hören  wir  bei  Diodor  nichts  Die  Vertreibung  des  Tantalos 
aus  Paphlagonien  erfolgt  durch  Ilos,  aus  dem  Geschlechte  des  Teukros,  den 
Gründer  von  Ilion. 

Dieser  Kampf  mit  Dos  war  auch  von  Niko'laos  von  Damaskos2),  dem 
Zeitgenossen  Diodors,  in  seinem  Geschichtswerke  behandelt.  Der  Erzähler 
lässt  den  Tantalos,  den  er  aber  Sohn  des  Tmolos  nennt,  obgleich  besiegt  und 
seines  Landes  verlustig,  in  Lydien  bleiben,  dagegen  Pelops  aus  Sipylos  mit 
einem  Heer  über  das  Meer  ziehn,  und  dabei  Niobe,  welche  er  mit  sich  fuhrt, 
an  den  Thebaner  Amphion  als  Gemahlin  übergeben.  Der  Historiker  Bo- 
tryas  von  Myndos  berichtet  ausdrücklich  den  Tod  aller  Niobekinder  und 
zwar  durch  Apollo  *) . 

Pausanias4),  selbst  ein  Lyder  der  Geburtsstätte  nach,  stösst  in  seiner 
Periegese  von  Hellas  auf  mehrfache  Stellen  der  Niobesage,  aber  er  hält  hier 
durchaus  die  Ansprüche  seiner  Heimath  aufrecht,  wo  er  selbst  noch  das  merk- 
würdige Grab  des  Tantalos  gesehen  und  daher  den  Kriegszug  des  Ilos  mit 
Vernichtung  der  Macht  von  Sipylos  erst  unter  Pelops  setzt.  Ja  er  ist  selbst 
zum  Sipylo8berg  hinangestiegen  und  hat  das  Bild  dieser  Niobe,  die  er  sicht- 


1)  Strabo  I.  3,17  ;  XII.  41,  8;  XIII.  11. 

2)  Müller  Frgm.  histor.  grr.  III.  p.  367,  17. 

3)  Phot,  cod.  190  p.  147,  21  j  Müller  Frgm.  hist.  grr.  IV.  p.  307. 

4)  Paus.  II.  21,  10:  ?yo>  <f£  {nQoöxttpai  yaQ  nkiov  rt  rj  ol  XoinoX  rjj  'O/mjqov  noirjott) 
faßt  ti}  Nioßg  j(5v  Tiatöwr  prjJtvct  vnoXotuov  ytvfa&at.  jiaQTUQet  di poi  to  inog 

rto  <T  agd  xa\  dotto  ntg  Iovt  anb  ndrrag  oUooav. 

ovrog  fih  örj  iov  olxov  ror  *A(i<f(ovos  ix  ßtx&QOv  avaTQttnivra  oldtv. 


L 


86  Erstes  Kapitel 

lieh  von  der  argivischen  dadurch  scheidet,  in  der  Nähe  und  in  der  Ferne  ge- 
sehen, in  der  Nähe  ist  es  nichts  als  Fels  und  Abhang,  gar  nicht  die  Gestalt 
einer  Frau  überhaupt,  natürlich  auch  nicht  einer  trauernden  zeigend ;  steht 
man  ferner,  so  glaubt  man  eine  trauergesenkte  Frau  in  Thränen  zu  sehen  f) . 
Er  erklärt  zugleich,  dass  er  der  homerischen  Tradition  in  Bezug  auf  Zahl  und 
gänzlichen  Untergang  der  Kinder  folge,  er  erklärt  endlich  die  Verwandlung 
der  Niobe  in  Stein  für  durchaus  glaubwürdig,  hält  dagegen  das  Thränenver- 
giessen  derselben  für  spätere  Zudichtung,  indem  in  jener  alten  Zeit  der  Ver- 
kehr der  Menschen  mit  der  Gottheit  ein  unmittelbarer  und  lebendiger  gewe- 
sen sei,  auf  jede  böse  That  unmittelbar  auch  Strafe  gefolgt  sei,  in  der  Gegen- 
wart aber  jener  Verkehr  ganz  aufgehört  habe  und  auch  die  Strafen  sich  nur 
spät  und  nach  dem  Tode  der  Betreffenden  erfüllten2). 

Die  speeifisch  thebanische  Fassung  der  Niobesage  hat  noch  im  An- 
schluss  an  ein  thatsächliches  historisches  Verhältniss  in  der  jüngeren  Ge- 
schichtschreibung zu  einer  gänzlichen  Ablösung  von  dem  religiösen  Boden 
geführt,  und  sieht  in  dem  Untergange  der  Niobiden  nur  eine  Reaction  der 
älteren  Bevölkerung  gegen  ein  mächtiges  Eindringlingsgeschlecht.  Tima- 
goras  erzählt  in  den  Thebaika2),  dass  die  Spartoi,  von  Amphion  und  seiner 
Familie  bedrückt,  diesen  einen  Hinterhalt  legten,  als  sie  nach  Eleutherä  zu 
einem  vom  Vater  ererbten  Opfer  [na%Qi*r)  &voia)  gingen  und  sie  auf  dem 
Wege  tödteten,  nur  die  Niobe  Hessen  sie  leben  um  desPelops  willen.  Nun  ist 
Eleutherä,  jener  früher  zu  Böotien  gehörige,  dann  zu  Athen  sich  wendende 
Ort  am  Südabhang  des  Kithäron,  die  Stätte,  wo  Antiope  bei  der  Geburt  die 
Zwillinge  Amphion  und  Zethos  ausgesetzt  haben  sollte  und  ein  Hirt  sie  fand ; 
eine  Höhle  mit  kalter  Quelle  nahe  dem  alten  Tempel  des  Dionysos  Eleuthe- 
reus  zeigte  man  als  nächsten  Schauplatz,  in  jener  Quelle  hatte  der  Hirt  die 
Kleinen  gebadet.  Dorthin  also  zogen  die  Kinder  Amphions  zu  einer  religiö- 
sen Feier,   die  an  diese  Geburtsstätte  sich  anknüpfte.     Niobe  bleibt  also 


1)  I.  21,  5  :  TttvTtjv  rrjv  Nioßrjv  xal  avrbg  tlöov  avtX&ojv  ig  top  ZlnvXov  to  oqos9  ff  6k 
iXr\a(op  fih  ntrQct  xal  XQfjfHvog  iarip  ovöiv  naQovri  a^ijua  7TaQtx6/utvog  yvpaixog  ovrt  aXXtag 
ovn  nfvfrovoqs'  ei  64  yi  7ioqq(ot£q(o  yivoio,  6t6axQV^4ptjp  öogttg  bqav  xal  xarrj^rj  ywatxa. 

2).  II.  22,  3  :  tov  6t  Xeyopipov  dtog  t£  thai  xal  IIXovTOvg  t6ü)p  o26a  ip  ZinvX(p  vatfor 
Mag  agtop.  7iQog  61  ov6t  arayxrj  avpinkOtv  ix  vrjgZuiulov  ifvyetv  avrov,  tag  HiXona  intXaßt* 
vojtQOv  iXavvoVTogvIXov  tov  <Pgvybg  in  avrbv  aiQaiia.  —  V.  16,  3:  S  6 l  ig  rovg  Ntoßtjg 
7i et t  Jag  naQCarajo  aiuy  /tot  yiyvioaxuv,  h  rotg  tyovatv  ig  \4(yyt(ovg  töijXcoaa.  —  VIII.  2, 
6  u.  7 :  ovtü)  ntCfroiTO  «Y  rig  xa\  -ivxdova  &r\Q(ov  xa)  Ttjr  TnvuiXov  Nioßrjv  yerto&ai  XtBov. 
Aber  ot  rotg  aXrj&^aiv  inoixotiofiouvTtg  iiptvapira  —  (bnttvrojg  6k  xal  Ntoßw  Xfyovoiv  i$' 
ZtnvXtit  Tf/i  b\tet  öiyov*  wq(<  xXa(ttv. 

3)  Bei  Schol.  Eur.  Phoen.  159,  jetzt  Müller  Frgmt.  histor.  grr.  IV.  p.  520:  Tipa- 
yöoag  6k  ip  rotg  Srjßa't'xoTg  qr\alvt  tag  xaxdbg  Ttda^o^itg  vnb  t(Öp  71(qI  l-t/LUftova  ol  ZrtctQtol 
anTlov  «vrovg  Xoxrjoatreg  amovrag  tig'EXfv&eqag  ini  nax{tixrp'  &vo(av,  rrjp  6k  Ni6ßr\r  (Ta- 
aav  £iji'  6ia  IliXona. 


Die  Historiker,  Antiquare  und  Mythographen.  &7 

leben,  nicht  wegen  ihrer  eigenen  Stellung,  sondern  weil  man  den  machtigen 
Pelops  fürchtet. 

Wir  haben  schon  mehrfach,  zuerst  bei  Sophokles  auf  die  Zusammenstel- 
lung des  Schicksals  der  Niobe  und  der  um  Itys  klagenden  Philo mele 
bei  griechischen  und  lateinischen  Dichtern  aufmerksam  gemaent.    Mytholo- 
gisch wird  nun  diese  Verbindung  in  jüngerer,  schwerlich  voralexandrinischer 
Zeit  —  und  wir  können  wohl  sagen  auf  dem  Boden  böotisch-attischer  Tradi- 
tion, wo  die  Aedonsage  vor  allem  tief  und  lebendig  gefasst  und  behandelt 
wurde  —  förmlich  fixirt,  indem  sie  zu  Schwägerinnen  gemacht  werden,  Philo- 
mele  oder  Aedon  Frau  des  Zethos  wird,  und  nicht  allein  das  —  nein  der  Kin- 
derreichthum  (nokvTexvia)  der  Niobe  ist  Gegenstand  des  Neides  der  Aedon 
und  dieser  Neid  führt  zu  der  tragischen  That  der  Aedon  ;   sie  glaubt  auf  dem 
den  Niobidensöhnen  und  dem  Itylos  gemeinsamen  Ruhclager  den  ältesten 
jener,  Amaleus  oder  Anchialeus  zu  tödten  und  taucht  ihr  Schwert  in  das  Blut 
des  eigenen  Sohnes,  oder  sie  vollbringt  allerdings  jenen  Mord,  abertödtet  dann 
auch,  um  der  gefurchteten  Strafe  und  Rache  zu  entgehen,  ihr  eignes  Kind 
und  wird  nun  auf  ihre  Bitte  in  den  Vogel  verwandelt,  nur  immer  den  Klage- 
ton auf  der  Lippe.    Niobe  erscheint  hier  als  die  speeifisch  glückliche,  reiche 
Mutter,  hier  ist  auch  zunächst  die  nahe  verwandtschaftliche  und  Lebeusver- 
bindung  in  dem  gemeinsamen  Spiele  und  Schlafen  der  Kinder  ausgesprochen, 
hier  wieder  der  Ausbruch  des  furchtbaren  Neides,   Niobe  ist  wie  unerreich- 
bar hoch  der  Aedon  gegenübergestellt,  sie,  die  dann  sich  selbst  überhebt, 
Leto  entgegen  und  dadurch  in  dem  beneideten  Reichthum  vernichtet  wird f) . 
Indem  wir  vereinzelte  Züge  und  Modifikationen  der  Sage,  welche  uns 
ohne  bestimmte  Gewährsmänner,  nur  uüt  der  Bezeichnung,  dass  es  einige  so 
T>erichten,  und  für  sich  abgerissen  mitgetheilt  werden,  hier  im  literarhistori- 
schen Theile  übergehen  und  ihre  Benutzung  für  die  mythologische  Behand- 
lung uns  vorbehalten,  wenden  wir  uns  zu  den  kürzeren  lateiiüschen  Compen- 
dien  des  mythologischen  Stoffes,  die  den  letzten  Jahrhunderten  der  römi- 
schen Literatur  angehören,  aber  zum  Theil  auf  bestimmten,  nachweisbaren 
Grundlagen  wie  auf  der  Tragödie  ruhen  und  als  Stoffsammlung  für  angehend^ 
Dichter,  aber  auch  für  den  encyclopädischen  Unterricht  wohl  dienten.    In 
der  wichtigen  Fabelsammlung  der  libri  genealogiarum,  die  den  Namen  des 
Hyginu8  tragen,  hat  Niobe  ihren  Platz  gleich  in  der  ersten  Reihe  gefun- 
den ;  es  beginnt  dieselbe  bekanntlich  mit  den  zur  äolischen  Athamassage  ge- 
hörigen Erzählungen ;    es  folgt  dann  kurz  Cadmus  und  sofort  der  um  Am- 
phion  und  Zethus  gebildete  Sagenkreis.    Hierin  bezieht  sich  Fabel  9,  10  u.  11 
auf  Niobe  und  ihre  Kinder2).  Amphion  ist  zur  Herrschaft  in  Theben  gelangt 
mit  seinem  Bruder.     Er  empfängt  in  die  Ehe  die  Tochter  des  Tantalus  und 

lj   Eustath.  comment.  in  Od.  XIX.  510 — 517.  p.  1575. 

2)  Vgl.  auch  fab.  S2  :  Tantalus  Jovis  et  Plutonis  filius  proereavit  ex  Dione  Pelopem. 


g$  Erstes  Kapitel. 

Dione,  Niobe,  und  erzeugt  mit  ihr  sieben  Söhne  und  sieben  Töchter.  Niobe 
rühmt  sich  ihrer  Zahl  gegen  Leto,  aber  spricht  zugleich  gegen  Apollo  uud 
Diana  verletzende  Reden  wegen  ihrer  Tracht  aus,  dass  jener  im  langwallen- 
den Gewand  und  im  langen  Haare  erscheine ,  diese  dagegen  nach  Männer- 
weise gegürtet  sei.  Deshalb  erfolgt  der  Tod  der  Kinder  und  zwar  Apollo 
schiesst  die  Söhne,  als  sie  auf  der  Jagd  im  Wald  auf  dem  Sipylusgebirg  be- 
griffen sind,  nieder,  Diana  dagegen  die  Töchter  im  königlichen  Palast  mit 
Ausnahme  von  Chloris.  Die  verwaiste  Mutter  soll  vor  Weinen  versteinert  sein 
im  Sipylusberge  und  ihre  Thränen  sollen  noch  heute  fliessen.  Amphion  aber 
wurde,  als  er  den  Tempel  des  Apollo  stürmen  wollte,  von  Pfeilen  niederge- 
schossen. An  Chloris  knüpft  sich  dann  des  Neleus  Geschlecht  und  ein  ähn- 
lich tragisches  Geschick  der  Neleiden,  wie  der  Niobiden,  so  war  es  im  Ho- 
mer1) bereits  erzählt.  Schliesslich  wird  ein  Namenverzeichnis«  der  Söhne 
und  Töchter  gegeben,  die  letzteren  waren  an  einer  andern  Stelle  (fab.  69)  als 
diejenigen  bezeichnet,  nach  denen  Amphion  die  Namen  den  Thoren  The- 
bens gegeben  hatte. 

Ein  eigenthümlicher  Zug  tritt  in  dieser  Erzählung  hervor,  dem  wir  noch 
nicht  begegnet  sind,  der  aber  keinesfalls  eine  willkürliche  Zuthat  des  Mytho- 
graphen  ist,  sondern  auf  einer  Dichterstelle  beruhen  wird,  der  von  Niobe  er- 
hobene Spott  über  die  äussere  Erscheinung  von  Apollo  und  Diana.  Obgleich 
die  Niobiden  ganz  in  den  thebanischen  Sagenkreis  versetzt  werden,  so  ist 
doch  als  Jagdstelle  der  Sipylus  angegeben,  ein  allerdings  für  Thebens  Um- 
gebung auch  bezeugter  Name2)  und  von  einer  Versetzung  der  Mutter  nach 
Lydien  nicht  besonders  die  Rede. 

Die  Inhaltsberichte  des  Lactantius  Placidus  zu  Ovids  Metamorphosen 
und  zu  Statins  *  trocknen  zu  grosser  Dürre  zusammen  und  bieten  nur  durch 
die  Namensverzeichnisse  der  Kinder  etwas  Interesse.  Ebenso  steht  es  mit 
der  Erzählung  im  Mythographus  Yaticanus  1. 4) .  Ob  der  Ausdruck  des  Er- 
klärers der  Thebais  (I.  711),  Niobe  habe  den  Tempel  betretend  [templum  in- 
gressa),  also  einen  Latonatempel,  sich  ihr  vorgezogen,  bloss  aus  einer  erwei- 
terten ovidischen  Erzählung  hervorgegangen  ist,  oder  auf  bestimmter  Ueber- 
lieferung  ruht,  will  ich  nicht  entscheiden,  doch  wird  in  derselben  Stelle 
auch  der  Tod  der  Söhne,  Töchter,  dann  der  Mutter  (ad  ultimum  vero  matrem) 
in  eine  Linie  gestellt.  Was  hier  also  in  kunstloser  Nacktheit  und  Dürftig- 
keit zusammengezogen  erscheint;  bildet  den  Bestand  der  mittelalterlichen 
Kenntniss  der  Sage  im  lateinischen  Europa.  In  Byzanz  erhielt  sich  noch  mit 


1)  Od.  XI.  2S1  ff.;  11.  XL  691. 

2)  Schol.  11.  XXIV.  615 :  ol  Jt  Qrißtir  rr^y  Ztnvkor,  tite\  xai  ixet  ra  TtfglNwßtiv  (fjtotv. 

3)  Arg.  fab.  VI.  3  in  Mythogr.  lat.  ed.  Muncker  IL  p.  230;   Stat.  Theb.    I.  711  ; 
III.  19S;  IV.  575  ff.;  VI.  120;  VII.  352;  IX.  679. 

4)  Class.  auctor.  e  vatic.  codd.  editt.  car.  A.  Mai.  t.  III.  p.  56.  57.   lib.  IL  n.   156. 
Vgl.  auch  den  Mythographus  Vatic.  II.  ebendas.  p.  110.  n.  71. 


Die  philosophische  Kritik  und  Auslegung  des  Mythus  im  Alterthume.  89 

der  gelehrten  Emsigkeit  die  Schollen  zu  Homer,  zu  den  Tragikern,  zu  Lyko- 
phron,  zu  Dionysios  Periegeta  u.  A.  zusammenzuziehen,  auch  ein  etwas  rei- 
cherer Bestand  der  Kenntnisse.  Johannes  Tzetzes  und  Eustathios  im 
12.  Jahrhundert  sind  in  dieser  Beziehung  für  uns  die  letzten  Marksteine  und 
sie  gehen  immer  noch  mit  der  Angabe  einiger  Quellen  der  verschiedenen 
Traditionen,  ja  auch  noch  mit  einem  Drange  der  Auslegung  an  den  Mythus 
heran1),  in  dieser  Beziehung  haben  wir  ihrer  im  folgenden  Abschnitt  auch 
noch  zu  gedenken.  Von  ihnen  aus  ist  dann  die  Verbindung  zu  suchen  zu 
der  griechischen  Quelle,  auf  die  Boccaccio  sich  stützte,  zu  Theodontius,  auf 
den  wir  in  der  Einleitung  hingewiesen  haben.  Tzetzes  hat  in  seinen  Chilia- 
den (Chil.  IV.  Hist.  141)  eine  kürzere  Erzählung  und  Deutung  (wie  er  sich 
ausdrückt  ttjv  iatOQtav  xeifiivrjv  xara  nXdtog  %€  xal  xat*  äl?.rffOQiav)  n€Qi 
xrjg  h  2i7Tvl(tß  7f€%Qivrtg  NiSßyg  gegeben;  er  kommt  Chil.  VI.  Hist.  63  n€Ql 
tfjg  daxQvovorjg  iv  2invX(p  Xi&lvrjg  Nioßrjg  noch  einmal  darauf  zurück,  da  die 
frühere  Chiliade  von  Soldaten  ihm  vernichtet  war,  er  verweist  endlich  darauf 
in  dem  kurzen  Abschnitt  Chil.  VII.  Hist.  137  :  neQi  x&v  naidtov  Nioßrjg  xal 
tov  Jffiqtiovog.  Niobe  ist  Tochter  des  Tantalos  und  der  Euryanassa,  Frau 
des  Amphion.  In  Bezug  auf  die  Zahl  der  Kinder  wird  die  homerische  Zahl 
Zwölf  der  von  den  übrigen  (oi  aXXoi)  angegebenen  Zahl  Vierzehn  gegen- 
übergestellt, die  letzteren  dann  einzeln  genannt.  Der  Untergang  der  Kinder 
erfolgt  an  Einem  Tage,  die  Knaben  durch  Apollo  auf  dem  Kithäron,  der 
Töchter  im  Hause.  Im  Anschluss  an  Homer  wird  von  der  Versteinerung  der 
Menschen,  von  der  Bestattung  durch  die  Götter  nach  neun  Tagen,  von  den 
Thränen  der  steinernen  Niobe  im  lydischen  Sipylos  berichtet.  So  kehrt  also 
die  letzte  gelehrte  Behandlung  der  Sage  zu  einer  Wortauslegung  der  ältesten 
epischen  Gestaltung  zurück  und  mit  Ausnahme  von  Zahl  und  Namen  ist  die 
ganze,  so  ausserordentliche  zwischen  Homer  und  Tzetzes  liegende  Fortbil- 
dung des  Mythus  wie  ausgelöscht. 

§  11. 
Die  philosophische  Kritik  und  Auslegung  des  Mythus  im  Alterthume. 

Es  ist  eine  der  eigentümlichsten  Erscheinungen  des  griechischen  Gei- 
stes, dass  so  frühzeitig  neben  der  gläubigen  Aufnahme  und  Hingabe  an  den 
Mythus  im  Cultus,  neben  dem  überall  strömenden  Quell  der  lebendigen  Er- 
zählung und  künstlerischen  Darstellung  desselben  ein  Zug  kritischer  Aus- 
deutung freien   fast  überm üthigen  Spieles,  ein  entschiedenes  Streben  eine 


1)  Tzetz.  schol.  in  Lycophr.  p.  15  ed.  St.,  exeg.  in  lliad.  p.  68,  24  ,  Chil.  IV.  141 ; 
VI.  63;  VI.  137;  Eustath.  comment.  in  lliad.  XXIV.  602ff.;  in  Od.  XIX,  510—518; 
in  Dionyt.  Perieg.  1 2S7. 


90  Erstes  Kapitel. 

Ausgleichung  zwischen  ihm  und  den  physischen,  ethischen,  psychologischen 
Annahmen  der  Philosophen  oder  des  sogenannten  gesunden  Menschenver- 
standes zu  finden,  nebenher  geht.  Schon  in  der  Art  und  Weise,  wie  der 
homerische  Dichter  den  Mythus  in  die  Ilias  einfuhrt,  kündigt  sich  der  An- 
fang einer  reflektirenden  Freiheit  der  Behandlung.  In  wieweit  ein  Pindar, 
Aeschylos,  Sophokles  bei  dem  so  gewaltigen  und  so  tiefsinnigen  Stoff  ihre 
persönliche  Auffassung  von  seiner  historischen  Wahrheit  im  Einzelnen  und 
ethischen  Berechtigung  in  ihren  Werken  niedergelegt,  sind  wir  bei  dem  oben 
von  uns  vorgeführten  Zustande  der  erhaltenen  Fragmente  nicht  mehr  wohl 
im  Stande,  wenn  uns  auch  ihre  religiöse  Gesammtauffassung  klar  geworden 
ist.  Wir  stellen  ein  interessantes  Zeugniss  historischer  Kritik  voran,  welches 
uns  zugleich  einen  Maassstab  für  den  auch  in  späterer  Zeit  weitverbreiteten 
Glauben  an  die  Thatsächlichkeit  des  Mythus  giebt.  Artemidoros1)  schei- 
det drei  Klassen  von  Erzählungen  (lotOQiai) :  die  ganz  sicher  gestellten,  auf 
vielen  und  grossen  Zeugnissen  beruhenden,  auf  die  man  allein  zunächst  Werth 
legen  solle,  wie  die  Perserkriege,  wie  der  trojanische  Krieg  und  Aehnliches. 
Die  zweite  Klasse  sind  die  viel  erzählten  und  von  den  meisten  ge- 
glaubten, wie  die  Geschichte  von  Prometheus,  von  Niobe  und  die  sonsti- 
gen tragischen  Stoffe.  Auf  sie  muss  man  auch  achten,  denn  wenn  es  sich 
auch  nicht  so  verhalten  sollte,  so  haben  sie  doch  wenigstens,  weil  sie  von  den 
meisten  von  vornherein  so  angenommen  werden,  einen  geschichtlichen  Ab- 
schnitten analogen  Verlauf.  Was  aber  ganz  unächt  ist,  voll  von  Windmache- 
rei und  Geschwätz,  wie  die  Gigantomachie ,  die  Erzählung  der  Spartoi  in 
Theben  und  Kolchi  und  Aehnliches,  das  freilich  wird  nicht  in»  Betracht  kom- 
men, wenn  nicht  manches  dieser  mythischen  Dinge  eine  physische  Auslegung 
zulässt.  Also  hier  wird  die  Niobe  der  zweiten  halbhistorischen  Klasse  von 
Mythen  zugeschrieben,  die  fast  allgemeinen  Glauben  gemessen  und  wenn 
auch  nicht  dem  Kerne  nach  ganz  historisch,  doch  eine  historische  Form  be- 
sitzen, sie  gehört  sonach  nicht  zur  dritten  rein  mährchenhaften  Klasse. 

In  Philemon,  dem  Komiker,  fanden  wir  zuerst  eine  freie  Kritik  des 
vulgären  Verstandes  über  die  Wirklichkeit  des  Schlussaktes  im  Mythus ;  die 
Versteinerung  ist  ihm  nur  ein  Bild  für  den  Zustand  geistiger  und  körperlicher 
Erstarrung,  den  grosser  Schrecken  oder  Schmerz  hervorruft,  an  eine  Verstei- 


1}  Artem.  Oneirocrit.  IV.  47 :  fn^vrjao  6k  oti  twv  Iotoqiwv  uovmg  aot  nQoatxttov  rtue 
nnvv  7T€7TtOTevfi£vaig  ix  noXXüv  xnl  jutyaXtov  tfXfirjQtov,  oti  italv  ccXrj&ftg,  tag  t(p  noXifiip 
T(ji  TliQüixot  xnl  hi  avto&tv  riß  TQto'ixtp  xttl  toTg  ofto(oig.  —  hi  twv  latoottov  %lA  XQootyiv 
xnl  Talg  noXvÜ-QvAtJTieig  xttl  noog  ttüv  nXktattav  nemottv/uivnig,  oin  ta  ntQl  flqofxrj&ta  xnl 
rrjvNioßrjy  xnl  luv  tQnyydovfifraiV  'ixnatov.  tnvia  yuQ  ti  xnl  [jir\  ovttog  t%ot ,  all*  ovv  yt  dt« 
ib  nootiXrjff  itni  noog  itav  nXttanov  6uo(tog  inTg  ntoioyuig  «noßuivti.  oan  6k  narieXcHg  t£(Tt)la 
xnl  tfXvnnUtg  xnl  Xrjyou  /luoiu,  wg  tu  nt{*l  iqv  ytynviofin^nv  xal  tovg  ZnaQtoirg  rot/f  t€  tv 
Qrjßntf  xnl  tovg  iv  K6X%oig  xnl  in  o/uow,  r^tot  t4X*ov  ovx  anoßrjaetnt,  fl  py  ti  aQa  ttZv  fiw 
(hixtüv  tovitov  (fvotxrjv  iniM/otto  trjy  (£rjyr]Otr. 


Die  philosophische  Kritik  und  Auslegung  des  Mythus  im  Alterthume.  91 

nerung  selbst  hat  er  nie  geglaubt.  Diese  psychologisch  erklärende  Ansicht 
fand  auch  später  viele  Vertreter ,  wie  wir  sie  in  Achilles  Tatios,  Chorikios 
kennen  gelernt,  wie  sie  Agatharchides ') ,  wie  sie  die  jüngeren  homerischen 
und  sophokleischen  Scholien  aufzeigen  2)  Auch  Cicero  weist  in  seinen  Tuscu- 
lanen  darauf  hin,  dass  Niobe  als  steinern  wegen  des  ewigen  Schweigens  in 
der  Trauer  gedacht  sei  *) . 

Noch  zwei  andere  Erklärungen  für  das  Wunder  der  Versteinerung  ma- 
chen sich  daneben  geltend ;  beide  gehen  von  dem  Niobefelsen  selbst  aus,  die 
eine  aber  betrachtet  seine  Menschenähnlichkeit,  seine  Erscheinung  als  thrä- 
nenvergiessende  Niobe  als  reines  Naturspiel,  das  nun  zur  Sage  veranlasst 
habe4),  die  andere  geht  dagegen  von  einem  durch  Künstlerhand  gefertigten 
Grabdenkmale  aus,  einer  auf  dem  Grabe  ihrer  Kinder  sitzenden  Mutter  und 
von  dem  Sprachgebrauch,  der  das  Bild  auch  einfach  mit  dem  Namen  der 
Person  bezeichne5).  Ja  man  wusste  zu  erzählen,  dass  der  Künstler  eine 
Quelle  benutzt  habe,  um  von  ihr  Wasser  von  hinten  in  den  Kopf  zu  leiten 
und  aus  den  Augen  träufeln  zu  lassen 6) . 

Für  den  plötzlichen  und  gemeinsamen  Tod  der  Kinder  lag  die  Erklärung 
einer  verderblichen  Pest  unmittelbar  nahe  und  hat  auch  immer  zu  Grunde 
gelegen,  wenn  die  Niobesage  als  Trost  für  ihrer  Kinder  beraubte  Eltern  an- 
gewendet wurde;  wir  werden  es  sehr  natürlich  finden,' wenn  die  gelehrte  Er- 


1)  Jli()l  rrjg  iQv&gag  &aXaaatjg  bei  Phot.  ed.  Bekker  p.  443 :  Niofav  öh  xal  rioXvdixtuv 
dtet  tfoßov  anoXi&ovpivag. 

2)  Schol.  Hom.  11.  XXIV.  601 :  «i/ri)  dk  rij  Xvny  atftavCa  xqccttj&uocc  tag  X(0og  rjy  atfto- 
wr  ol  6k  Xaol  aovpna&fTs  tag  XC&oi  rjaav  /utaovvreg  avr^v.  Vgl.  auch  Tzetz.  Chil.  IV. 
n.  141;  V>4449— 452  und  Schol.  Soph.  El.  151  ex  cod.  Florent.  278$  in  der  Ausgabe  der 
Plektra  von  O.  Jahn  1 861 . 

3)  Cic.  Tusc.  III.  26 :  et  Nioba  fingitur  lapidea  propter  aeternum  credo  in  luctu  Silen- 
tium. 

4)  Eustath.  comm.  in  Dion.  Per.  87 :  xal  6  xara  rrp  Nioßtjv  <f£  pv&og  ovrw  mag  &tQa- 
7i t viral  (fafiirtov  nviüv  axQtar^Qtov  tlvai  ^(tvytov  ioixog  yvvatxtty  nQoatontp  folg  noQQta 
itiftOTTjxoOiv,  (£  ov  vötuQ  atCvaov  xaraQQt?. 

5)  Schol.  IL  XXIV.  605.:  aXXtag.  VtuMg  iori  to  Xi&to&ijrai  rijv  Ntoßrjv,  aXX*  ij  oAij- 
•frtta  o vj tag  tyn  •  &ar6vrtav  ttov  natdtav  txvrfjg  inoCrjai  rig  tlxova  Xi&ivyv,  yt>  fartjoev  inl 
ttji  ivpßta  töv  natövjv,  tjv  ßXinovieg  ol  naQiovreg  $Xtyov  „Nioßtj  Xi&tvi)  eajrjxiv  inl  Ttji 
ivfißtp,  taontQ  xal  rvv  Xiyttat  „naga  ror  ^aXxovr'HgaxXrj  txa&ia&Tjv".  Palaephat  de  incre- 
dib.  9.  p.  279  ed.  Westenn.,  der  selbst  erklärt :  xal  ryung  l&taod/ut&tt  avryv ;  fast  wörtlich 
daher  Apostol.  Cent.  XII.  1 1  mit  der  starken  Erklärung :  oarig  ctt  7n(&erat  ix  XC&ov  yt- 
vto&ai  avd-Qtanov  rj  {£  avihQta7iov  Xi&ov,  tuy&rjg  iort '  tö  (T  «Xrj&lg  tyci  toöt  xtX.;  Tzetz. 
Chil.  IV.  141.  463—466. 

6)  Schol.  Soph.  Elektr.  151  (ex  rec.  O.  Jahn  p.  34)  :  Xfyetai  dk  on  mqI  xb  ZinvXov  oyog 
r\v  ayttXpaTOi'iryog  •  ovrog  Xaßtav  XiOov  inotrjoev  ayaXfia  rijg  Ntoßqg  xal  ni\yr\v  evQtav  t&rjxe 
iovto  jmqI  tijv  nrjyqv,  fjttxQav  dh  Qavtöa  and  Ttov  bmoBCtav  rrjg  xttfaXrjg  fit  tav  TQvnjaag 
xar/jVtyxt  dta  rtav  dtp&aXfitav. 


92  Erstes  Kapitel 

klärung  dies  unmittelbar  ausspricht  und  man  dabei  an  technisch-medicinische 
Ausdrücke,  wie  ßXrpoi,  getroffen,  erinnert !) . 

Aber  wir  haben  es  nicht  allein  mit  dieser  euhemerisirenden,  wir  würden 
sagen  flach  rationalistischen  Auffassung  des  Mythus  zu  thun,  sondern  es  sind 
uns  zwei  interessante  Stellen  der  grössten  Philosophen  des  Alterthums  über 
Niobe  erhalten  und  noch  eine  interessante  Auseinandersetzung  des  im  Wesent- 
lichen zu  den  Neuplatonikern  hinüberfiihrenden,  um  eine  tiefere  Begründung 
der  religiösen  Anschauung  so  eifrig  bemühten  Plutarch.  Plato  und  Plutarch 
gehen  dabei  von  der  Anschauung  der  Gottheit,  als  des  wahrhaft  Guten,  einer 
von  aller  niedrigen  Affektion  freien  Persönlichkeit  aus.  Dieser  gegenüber  muss 
die  von  Leto  durch  Apollo  und  Artemis  vollzogene  rächende  Strafe  zunächst 
als  unglaublich  oder  unmöglich  erscheinen.  Plato  stellt  nun  die  Alternative: 
entweder  darf  man  nicht  zugeben,  dass  dies  ein  Werk  der  Gottheit  sei,  oder 
man  muss  sagen,  die  Gottheit  beabsichtigte  damit  nur  Gerechtes  und  Gutes, 
jenen  aber  sollte  nur  durch  die  Bestrafung  genützt  werden,  unglücklich  darf 
der  Dichter  die  Bestrafte  nicht  nennen2).  Plutarch  verfahrt  dagegen  ganz 
polemisch  gegen  Dichter  und  Mythographen.  Der  Aberglaube  hat  nach  ihm 
thörichte  Menschen  nur  dazu  überredet,  dass  Leto  geschmäht  die  Kinder  der 
Niobe  niedergeschossen,  so  unersättlich  an  fremdem  Leid  und  so  aller  Mässi- 
gung  baar.  Nein,  vielmehr  hätte  die  Göttin,  wenn  sie  wirklich  das  Schlechte 
so  hasste  und  so  eifersüchtig  auf  ihren  guten  Ruf  wrar,  die  niederschiessen  sol- 
len, welche  ihr  solche  Grausamkeit  andichten  und  solches  schreiben  und  er- 
zählen*).   Man  sieht,  wie  bei  ihm  das  starke  sittlich-religiöse  Bewusstsein 


1)  Schol.  Ven.  B.  IL  XXIV.  605:  Tatog  Jl  vno  Xoipov  öiay  fraQfvreg  iro/uto&tjoav  oürto 
TtÜvrirai.  'innoxQttiriG  ö*k  h  ry  ntgl  6g*£iav  nctxhöv  (ftjOl,  rovg  vnb  OQ&onvotag  xai  xway^g 
anoXXvptvovs  tpovro  ßXr\rovg  tlvai  dia  rb  aTyvrje  xal  fttr  oövvr^g  reUvräv,  Tzetz.  Chil.  IV. 
141,  445:  av&rjpeQov  rf  &vt'oxouoi  navta  Xoiptji  ra  rixt'a^AnoXXotva  ts  xaVAgrifitv  fyavök 
rovrovg  XTHvai  xrX. 

2)  Plato  de  rep.  II.  19.  p.  380  hat  zuerst  Beispiele  aus  Homer  angeführt  über  Ver- 
führung durch  die  Götter  zum  Bösen,  dann  eine  Stelle  aus  Aeschylos,  die  wir  oben  seiner 
Niobe  zuschrieben  mit  einer  für  uns  zur  Sicherheit  fast  sich  erhebenden  Wahrscheinlich- 
keit. Er  föhrt  fort:  aXX'  iav  rig  noirj  h  olg  lavra  ra  tapßtTa  htort,  ra  rijg  Nioßfjf  na9fj 
r)  t«  ITtXomdS>v  tj  xa  TQtotxit  rj  r*  aXXo  xtov  Totovrtav,  rj  ov  &iov  Zpya  lartor  avra  Xtyav,  r) 
tl  &cov,  1$ivqct£ov  nvroig  o/etibv  ov  vvv  r)petg  Xoyov  tr}Tovptv  xal  Xtxxiov^  mg  6  pkv  &ibg  6(- 
xaia  re  xal  aya&a  tlQya&ro,  ot  dl  tovivavro  xoXatffitvoi  •  toi  cf*  tt&Xioi  ph  ol  S(xt]V  diSovrtg, 
r]v  M  ö*r)  6  öqüv  ravra  &eog,  ovx  lattov  Xfyeiv  rvv  notrjTrjv. 

3)  Plut.  de  superstit.  Mor.  p.  1 70  b :  xatxot  xt  xoaovxov  r)  Ntoßrj  ntol  xrjg  Ar\xovg  tßXa- 
aqyqftTjOfv  olov  r)  dtiotdatfjtovia  nfncixe  nCQl  xfjg  &tov  xovg  atpQovag;  t&g  aQtt  Xotdoqrj&uaa 
xaxex6£tvas  rijg  a&X(ag  yvratxbg 

?£  pir  &vyaxtfQag  ?|  *¥  vhlg  fjßtoovxai  • 
ovxtog  änXrjOTog  aXXoxQtotv  xaxdiv  r)v  xttl  ar(XaOxog  •    kl  yotQ  aXrf&tog  r)  ötbg  XoXr,v  tfyi  xal 
fjiOonot'TjQog  r)r  xal  tjiyti  xaxdtg  axovovaa  xal  jutj  xaxtytta  rfjg   avOownlvrig  apa&tag  xal 
ayvolag  aXX'  r)yavaxxn  iovtok,  tdit  ro$ivoai  rovg  xoaavxr\v  (o^ottjtcc  xal  ntXQfav  xaxatytv- 
tfofiirovg  avxrjg  xal  xoiavxa  yQaifovxag  xal  Xfyovxag. 


Tabellarische  Uebersicht  der  Niobesage.  93 

alles  Gefühl  fiir  das  Göttliche  im  Naturprocess,  für  eine  künstlerische  Durch- 
bildung beseitigt  hat,  während  Plato  schonend  nur  einen  höhern  Zielpunkt 
den  Thatsachen  unterlegt. 

Aristoteles  behandelt  eine  rein  praktisch  -  ethische  Frage  über  den 
sittlichen  Vorwurf,  den  man  überhaupt  Niobe  machen  kann.  Kinderliebe, 
Elternliebe  ist  an  und  für  sich  etwas  sittlich  Schönes  und  Gutes,  aber  den- 
noch giebt  es  ein  Uebermass  (vneQßoltj)  darin  und  dadurch  wird  eben  dieses 
Gute  zum  Verwerflichen  und  Uebeln ;  so  handelt  Niobe  unrecht,  wenn  sie 
aus  Liebe  zu  den  Kindern  selbst  mit  den  Göttern  streitet.  Ihr  Unrecht  ist 
nicht  eine  dxoXaola,  aber  eine  a%qaalax). 

§  12. 
Tabellarische  Uebersicht  über  die  Niobesage  nach  den  verschiedenen  Berichten. 

Zum  Schlüsse  der  literarhistorischen  Untersuchung  über  die  Niobesage 
stellen  wir  die  Einzelheiten  derselben  je  nach  den  verschiedenen  Berichten 
in  systematischer  Weise  zusammen,  um  so  einen  Gesammtüberblick  der  Fülle 
derselben  zu  geben,  aber  zugleich  auch  durch  die  blosse  Xebeneinanderstel- 
lung  auf  ihre  theilweise  Abhängigkeit  von  einander,  auf  gewisse  gemeinsame 
Grundzüge  hinzuweisen  und  so  den  Weg  zu  einer  mythologischen  allseitigen 
Betrachtung  zu  bahnen.  Nur  die  noch  nicht  im  Vorhergehenden  behandel- 
ten Stellen  sind  genau  bezeichnet,  sonst  kam  es  uns  darauf  an,  die  Gewährs- 
manner prägnant  zusammenzustellen. 


1)  Ar  ist.  Eth.  Nicom.  VII.  6  :  J<o  ooot  jilv  naya  top  Xoyov  tj  xoaiovviat  ij  ömükouoi  rar 
ifvau  t#  xaltuv  xal  aya&wv,  olov  ol  ntol  r/pqv  [tülXoy  rj  Jtt  onovöatorTtg  rt  ntol  tixvn  ual 
yoröfc  °  xul  yuQ  tavr«  ituv  aya&tov,  xa)  tnaivouvTnt  ol  ntol  rttvxa  ono*  datoviH  •  alii  outog 
tun  ug  vntQßoXrf  xal  iv  joutqis,  (f  rig  wontQ  r\  Nioßrj  ud%otTo  xal  iQog  lovg  &tovg  — . 


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Stark,  Niobe. 


ZWEITES  KAPITEL. 
Der  Niobemythiis  in  der  bildenden  Kunst. 

§   13. 
Daß  Niobebild  am  Sipylos. 

Schon  in  den  vier  jüngeren  Znsatzversen  der  homerischen  Erzählung  von 
Niohe  trat  uns  die  lokale  Itaziehung  der  Niohe  zu  einem  Stein  am  Sipylos 
und  zwar  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  an  dem  hei  Smyrna  sieh  erheben- 
den, diesen  Namen  tragenden  Gebirge  entgegen.  Wahrend  nun  in  der  Loka- 
lisirung  und  Schilderung  des  Niohe  in  sich  tragenden  odqr  Niohe  selbst 
seienden,  thränenden  Felsen  am  Sipylos  wir  von  Aeschylos  bis  Nonnos  in 
einer  Reihe  der  ausgezeichnetsten  und  bedeutungsvollsten  Stellen  sichtlich  eine 
grosse  Freiheit  in  der  lokalen  Ansctzung,  eine  durchaus  ideale,  über  die  engen 
Gränzen  der  nüchternen  Beobachtung  eines  Felsbildes  weit  hinausgehende 
Auffassung  kennen  gelernt  haben  und  wir  in  der  mythologischen  Darlegung 
gerade  diesem  bildlichen  Urgedanken  des  griechischen  Volkes  zu  seinem 
Recht  zu  verhelfen  hoffen,  geht  daneben  eine  an  eine  bestimmte  Lokalität 
und  dortige  auffallende  Erscheinung  einfach  sich  anschliessende  Bericht- 
erstattung hin.  Um  diese  handelt  es  sich  nun  hier  zunächst,  wo  wir  der  mo- 
numentalen oder  mit  dem  Auge  wahrnehmbaren  Ausprägung  des  Niobe- 
mythus  nachgehen.  Nun  haben  wir  die  Itarichte  des  Pausanias  und  Quin  tos 
Smyrnaeos  oben  schon  kennen  gelernt  von  jener  Felswand  der  Nordseite  des 
Sipylosgebirges  bei  Smyrna  mit  dem  in  der  Ferne  ganz  deutlichen,  in  der 
Nähe  sich  in  einen  schroffen,  durchrissenen  Felsabhang  auflösenden,  trauern- 
den, von  Wasser  überrieselten  Frauenbilde ;  bei  Paläephatos  lesen  wir  die  Ver- 
sicherung, dass  auch  er  sie  gesehen  und  sonst  auch  z.  B.  bei  Euphorion  begegnet 
uns  die  Bemerkung,  dass  sie  von  allen  Vorübergehenden  gesehen  wrerden 
könne. 

Ist  dieses  Bild  nun  ein  reines  Naturspiel,  woran  Eustathios  dachte  ?  Oder 
haben  wir  es  in  der  That  mit  einem  von  menschlicher  Hand  gebildeten,  hoch- 
alterthümlicher  Werke  zu  thun  ?  Und  wie  stellt  sich  dies  in  den  Entwicklungs- 
gang der  antiken  Kunst.'  Ist  es  ein  urgriechisches  oder  ,,dem  Stil  und  der 
Behandlung  nach  nicht  griechisches,  von  einem  anderen  kleinasiatischen  Volke 


Das  Niobebild  am  Sipylos.  99 

herrühren  des' ',  oder  gar  unter  assyrischem  oder  ägyptischem  Einflüsse  stehen- 
des Werk,  dem  die  griechische  Phantasie  dann  ihre  mythologische  Gestalt 
untergeschoben  hat?  So  werden  wir  wie  bei  keinem  anderen  heroischen 
Mythus,  auch  den  am  frühesten  sonst  bildlich  ausgeprägten  Mythen  des  He- 
rakles, Perseus,  Bellerophon,  über  die  als  Glied  einer  freistehenden  Architek- 
tur oder  eines  tektonischen  Werkes  gearbeitete  Reliefplatte  oder  Figur  oder 
Zeichnung  zu  einer  ganz  primitiven  Gattung,  nämlich  der  Bearbeitung  des 
lebendigen  Felsens  hingeführt.  Und  es  eröffnet  sich  damit  uns  eine  Perspek- 
tive in  die  ältesten  Kunst-  und  Culturbezüge   von  Griechenland. 

Fassen  wir  zunächst  den  Gesammtcharakter  der  Gegend,  speciell  des 
Sipylosberges  ins  Auge,  hören  wir  dann  die  Berichte  der  neuern  Reisenden 
über  das  von  ihnen  Gesehene  und  vergleichen  damit  die  von  ihnen  gegebe- 
nen bildlichen  Darstellungen. 

Der  Sipylos1},  jetzt  Man issa-dagh,  erhebt  sich  majestätisch  als  ein  ge- 
waltiger, durch  einen  Einschnitt  in  der  Mitte  deutlich  getheilter  Rücken  an 
der  Nordseite  des  Golfes  von  Sniyrna  und  bildet  hier  den  Hauptrand  dieses 
in  seinem  Eingang  durch  die  grossen  Alluvionen  der  Hermosmündung  sehr 
verengten  Beckens.  Durch  den  Querhöhenzug  von  Nympheion,  jetzt  Cäva- 
kludere  in  Verbindung  mit  dem  Hauptstocke  des  Tmolos,  zunächst  dem  lydi- 
schen  Olympos  (Nif-dagh)  stehend,  als  dessen  nordwestliche  Abgränzung  er 
sich  darstellt,  streicht  er  zweiunddreissig  englische  Meilen,  also  6%  deutsche 
Meilen  von  Ost  nach  West.  Sein  Fuss  wird  im  Norden  vom  Hermos,  jetzt 
Guedis-tshai  in  einer  Thaiebene  umströmt,  welcher  dann  durch  einen  engen 
Pass  von  Trachytmassen  durchbricht,  um  im  südsüdwestlichen  Laufe  durch 
das  sumpfige  Alluvialdelta  langsam  dem  Meere  sich  zu  nahen.  Jener  Ein- 
schnitt des  Gebirges,  durch  den,  den  kleinen  See  Kizghioul  zur  Linken  las- 
send, die  Strasse  nach  Manissi,  dem  alten  Magnesia  hinüberfuhrt,  in  dessen 
Nähe  eine  Höhe  auf  824  Metres  neuerlich  gemessen  ward,  bildet  die  Gränze 
der  geologischen  Bildung :  westlich  davon  ist  alles  Produkt  einer  vulkanischen 
Eruption  mit  rothbraunen  Trachytmassen  und  weissem  oder  gelbem,  zersetztem, 


1)  Vgl.  K.  Ritter  allgem.  Erdkunde  XVIII.  S.  40ff.,  speciell  Will.  J.  Hamilton  on 
the  geologyi  of  the  western  part  of  Asia  minor,  sowie  dessen  Rescarches  in  Asia  Minor  Pon- 
tus  and  Armeny,  Lond.  1S42.  p.  46  ff.,  ganz  besonders  aber  Ed.  Strickland  On  the  geology 
of  the  neighboorhood  of  Smyrna  in  Transact.  of  the  geological  society  of  London  1S37. 
Ser.  II.  Vol.  V.  Part. 2. p. 394—401.  Was  P.  de  TchihatschefT in  seinem  Werke:  Asie  mi- 
neure,  Part.  I.  1853.  p.  4f>7ff.  über  den  Tmolos  und  Sipylos  sagt,  ist  über  den  letztern  we- 
nigstens sehr  ungenügend.  AuchTexier's  (Asie  mineure.  Part.  II.  J.p.  2.  p.  249— 260)  Mit- 
theilungen sind  nur  allgemeiner  Art,  die  interessanten  altgriechischen  Denkmäler  an  der 
Südseite  des  Sipylos,  für  deren  Zeichnung  wir  ihm  sehr  Dank  wissen,  hat  er  für  Reste  der 
Stadt  Sipylos  oder  Tantalis  gehalten,  obgleich  ihre  Stätte  ah  Altsrayrna  gar  keinem  Zweifel 
unterliegt  und  Sipylos  nur  an  den  Nordabhang  des  Gebirges  zum  Hermosthai  von  den 
Alten  gesetzt  wird.  Für  die  Topographie  verweisen  wir  auf  die  von  Kiepert  aufgenommene 
Karte  in  Archäol.  Zeitung  1S43.  T.  3. 

7* 


100  Zweites  Kapitel. 

seifigem  Gestein,  östlich  dagegen  herrscht  der  die  ganzen  dem  ägäischen  Meere 
sich  nahenden  Gebirgszüge  charakterisirende  dichte,  graue  alpine  Kalk,  der 
mit  schwarzen  und  grünlichen  Lagen  durchzogeu  ist  und  auch  theihveise  in 
die  krvstallinische  Bildung  des  Marmors  übergeht.  Auch  dieser  Theil  des 
Gebirges  zeigt  uns  ganz  besonders  an  der  Nordseite  die  deutlichsten  Spuren 
gewaltiger  Erderschütterungen,  wie  wir  sie  in  historischer  Zeit  für  diese  Ge- 
genden kennen  und  weiter  unten  sie  noch  näher  ins  Auge  zu  fassen  haben. 
Der  Absturz  ist  an  vielen  Funkten  fast  senkrecht  (bis  7(1  Grad)  und  Zerklüf- 
tungen gehen  hie  und  da  fast  bis  zur  Thalsohle  hinab,  unmittelbar  am  Fusse 
zieht  sich  aber  selbst  noch  heutzutage  die  reichste  südliche  JJaumvegetation 
besonders  uralter  Kastanienbäume,  Feigen-  und  Granatbäume  hin,  durch  den 
Quellenreichthum  an  der  Nordseite  getränkt.  Hier  liegt  das  jetzige  Magne- 
sia, Manissi,  vom  Hermos  noch  (»ine  halbe  Stunde  entfernt  auf  Hügeln,  end- 
lich steil  in  einem  Thal  emporziehend  zu  der  mit  Trümmern  des  alten  Schlos- 
ses gekrönten  Höhe,  die  als  Akropolis  des  alten  Magnesia  sich  durch  alte 
Substruktionen  kund  giebt. 

Auf  dem  Wege  von  Magnesia  nach  Sardes,  dem  jetzigen  Sart,  an  dem 
Nordfusse  des  Sipylos  hin,  1  %  Stunde  von  dem  ersteren  Orte  ist  nun  jene 
merkwürdige  Erscheinung  am  Felsabhange,  welche  mit  Recht  als  Bild  der 
Niobe,  als  da»  von  Pausanias  und  Quin  tos  Sinyrnäos  genau  geschilderte  Ge- 
bilde jetzt  anerkannt  ist. 

Bereits  Chishull,  welcher  1699  dieses  Weges  ritt,  bemerkte  einen  ge- 
wissen Felsabhang  mit  einer  genau  sichtbaren  Nische  und  einem  Bild,  das 
die  gehörige  Form  imd  Proportion  eines  menschlichen  Körpers  hatte1). 
Chandler2)  glaubte  diese  eigenthündiche  Erscheinung  nur  aus  einer  von 
einem  gewissen  Punkt  unter  bestimmter  Beleuchtung  des  Felsens  entstehen- 
den Täuschung  zu  erklären.  Aber  erst  die  zwanziger  Jahre  unseres  Jahrhun- 
derts führten  europäische  Reisende  diesen  auch  jetzt  noch  gegenüber  der 
gewöhnlichen  von  Smyrna  über  Nymphi  und  Kassabar  nach  Sart  und  in  die 
Hermosebene  fuhrenden  Strasse,  selten  von  Europäern  betretenen  Weg  zwi- 
schen Manissi  uud  Sart,  wrelche  mit  Aufmerksamkeit  und  Kenntniss  die  Lo- 
kalität und  ihre  Denkmalreste  betrachteten.  Es  waren  dies  von  Prokesch- 
Osten  im  J.  18253),  Steuart  im  J.  iS2(>4,  und  Mac  Farlan  im  J.  1828  *),  aber 

1 )  To  observe  a  certain  cliff  of  the  rock  representing  an  exaet  niche  and  statue  with  the 
due  shape  and  proportion  of  a  human  body. 

2)  Voyages  dans  l'Asie  min  eure  II.  eh.  79  p.  195. 

3)  Denkwürdigkeiten  und  Erinnerungen  aus  dem  Orient.  3  Bde.  Stuttgart  ls36.  I. 
S.  97  ff.  507  ff.  111.  lff. 

4;  J.  K.  Steuart  description  of  some  ancient  monuments  still  existing  in  Lydia  and 
Phrygia,  London  Jvi2.  Vgl.  dazu  Melchiorri,  Welcker  und  Secchi  in  Bullett.  d.  inst,  di 
corrisp.  archeolog.  1M3  p.  <>3,  undWelckers  Zusatz  zu  Müller  Handb.  d.  Archäol.  3.  Aufl. 
g  64,  2..    Nach  Steuart  unsere  Tafel  I. 

5    Constantinople  in  ls2s  Vol.  I.  p.  317. 


Das  Niobebild  am  Sipylos.  101 

d$r  erste  hat  gerade,  während  er  sonst  den  Weg  am  genauesten  beschreibt, 
das  für  uns  Wichtigste,  man  muss  sagen  mit  einer  gewissen  Leichtfertigkeit 
und  Voreingenommenheit  gegen  die  Ueberlieferung  ununtersucht  gelassen : 
Steuart  dagegen  nicht  Mühe  und  vielleicht  Gefahr  gescheut,  um  auch  in 
einer  Skizze,  an  Ort  und  Stelle  gemacht,  ein  möglichst  treues  Bild  zu  geben ; 
flüchtiger  ist  die  von  Mac  Farlan  gegebene  Skizze.  Im  J.  IS 52,  im  Novem- 
ber, besuchte  der  preussische  Consul  Spiegelthal  zu  Smyrna,  welcher  um  die 
Durchforschung  der  Nekropole  von  Sardes  sich  so  verdient  gemacht  hat,  auch 
von  Sardes  nach  Magnesia  reisend  das  Niobebild  und  gab  darüber  näheren 
Bericht1).  Uns  stehen  ausserdem  durch  die  Güte  des  Geh.  Legationsrath 
Abeken  in  Berlin,  dessen  Aufzeichnungen  im  Reisetagebuch  und  eine  ein- 
fache, ohne  alles  Streben  nach  effektvoller  Darstellung  gemachte  Skizze  zu 
Gebote2).  Noch  fehlt  es  aber  bis  heutigen  Tages  an  einer  genauen  Auf- 
nahme mit  Messungen,  mit  unmittelbaren  Untersuchungen  der  Oberfläche 
des  Felsens;  sowie  an  einer  Durchsuchung  der  ganzen  Nordabhänge,  an 
denen  mehr  zufällig  noch  andere  Denkmäler  bemerkt  sind.  Ebenso  scheint 
das  Plateau  des  Berges  noch  gar  nicht  erstiegen  zu  sein ;  und  doch  hätte  dies 
volles  Interesse,'  da  wir  hier  oben  den  uns  ausdrücklich  bezeugten  Thronsitz 
des  Pelops  und  wohl  auch  einen  oder  mehrere  Altarplätze  zu  suchen  haben. 
Vielleicht  kann  man  hoffen,  dass  dann  auch  dem  grösseren  Publikum  nicht 
so  bodenlos  falsche,  wie  aus  der  Luft  gegriffene  Rcisebilder  über  diese  Stelle 
ruhig  dargeboten  werden,  wie  dies  z.B.  im  J.  1855  in  den  Berlinischen 
Nachrichten  von  Staats-  und  gelehrten  Sachen    1855.  n.  305  geschehen  ist8). 


1)  Ausland  1853.  n.  (>.  p.  1 30—139. 

2)  Die  Aufzeichnung  lautet:  „Donnerstag  d.  3.  April  1S46  (auf  der  Rückreise  von 
Sardes  nach  Smyrna1.  Um  Sonnenaufgang  fort  von  Kara  Oraulii  Köpnissi  am  Flüsschen 
Nif  Tschai.  Eine  Stunde  bis  zur  Ecke  des  Sipylus,  unter  dessen  Nordseite  dann  weiter. 
Eine  halbe  Stunde  weiter  eine  grosse  Höhle  am  Fuss  des  Berges,  aus  der  im  Winter  Was- 
ser fliessen  soll.  Eine  Stunde  weiter  —  noch  eine  Stunde  von  Magnesia  —  Kaffeehaus  und 
Khan  neben  einem  Wasser  ;  gerade  darüber,  hoch  an  der  Bergwand  Nordostwand  des  Si- 
pylusj  das  Hautrelief  nach  Norden  gewandt,  nicht  unmittelbar  vom  KaffeehaUs,  wohl 
aber  vom  Wege  dahinter  sichtbar.  In  einer  Nische  (es  ist  eine  doppelte,  grössere,  flachere, 
fast  eckige,  dann  eine  tiefere  bogenförmige/  sitzende  weibliche  Figur  auf  einem  Thron  und 
Postament  darunter,  in  starkem  Hautrelief  aus  dem  Fels  gehauen.  Der  Kopf  scheint  eine 
Krone  oder  Binde  getragen  zu  haben,  ist  etwas  vornüber  und  nach  seiner  rechten  Schul- 
ter zu  geneigt,  die  Arme  auf  der  Brust,  die  Hände  nahe  zusammen ;  ob  sie  etwas  hielten? 
Etwa  20'  hoch  (d.h.  die  Nische).  Ist  gewiss  eine  Göttermutter,  wahrscheinlich  auch  die 
Niobe  des  Pausanias". 

3;  Wegweiser  ist  dem  Verf.  Herodot  im  1.  Kapitel  des  23.  Buches  '!!).  ,,  Auf  einer 
Höhe  von  etwa  *»00  Fuss  !j  erblickt  man  das  Standbild  einer  weinenden  Frau.  Sie  hat  den 
Arm  auf  eine  nebenstehende  Urne  gestützt  und  grosse  Thrftnen  rollen  ihr  über  die  Wangen 
und  den  entblössten  Busen* *  etc. 


102  Zweites  Kapitel. 

Wir  verfolgen  den  Weg  von  Magnesia  zunächst  weiter.  Einige  hundert 
Schritt  von  der  Stadt  hören  die  in  die  Ebene  sich  verflachenden  Hügel  auf 
und  die  nackte  dunkelgraue  Felswand  des  Sipylos  fällt  hier  ohne  Vermitte- 
lung  in  die  weite  durch  Pappeln  und  Fruchtbauingruppen  belebte  Ebene  des 
Hermos  ab.  Der  Weg  fuhrt  dann  über  angeschwemmtes  Erdreich  hin,  wird 
aber  nun  nach  einem  dreiviertelstündigen  Ritt  von  Magnesia  aus  (nach  Pro- 
kesch)  durch  einen  mit  hohem  Schilf  bewachsenen  Sumpf  links  eingeengt. 
Nach  einer  halben  Stunde  tritt  dieser  mehr  zurück  und  lässt  hier  Raum 
für  die  Anlage  eines  Khans.  Hier  bricht  die  Felswand  des  Berges  in  eine 
Schlucht  voll  abenteuerlich  gezeichneter  Massen  aus;  Höhlen  und  Risse 
zeigen  sich,  aber  die  Felswand  ist  stellenweis  wie  geglättet.  Prokesch,  wel- 
cher nicht  hier  hinan  gestiegen  ist,  glaubt  nun,  das  Niobebild  sei  ein  ein- 
faches Naturspiel  in  diesen  Felsmassen.  Weiterhin  nach  einer  halben  Stunde 
schliesst  der  Sumpf  wieder  hart  an  den  Bergabhang  an,  der  hier  mit  seinen 
schiefen,  nackten  Lagerungen  die  grösste  Steilheit  zeigt,  aber  bald  dann  in 
einer  kahlen  Schneide  zu  einem  Pinienhügel  sich  senkt  und  seinen  Nordost- 
abschluss  findet.  Quellen  in  alter  Fassung  springen  an  beiden  Stellen  der 
grössten  Enge  des  Weges  aus  dem  Felsen  hervor,  das  eine  Mal  bogenförmig 
überwölbt,  womit  Backsteinmauern,  die  zu  einer  Wasserleitung  wohl  gehör- 
ten, in  Verbindung  stehen,  das  andere  Mal  aus  einem  künstlich  gehauenen 
Felsgemach  mit  hohem  dreieckigen  Giebel.  Auch  Anlagen,  die  als  Grab- 
denkmäler sich  kundgeben,  finden  sich  an  dem  Wege ;  so  die  Reste  zweier 
runder  Tumuli  und  der  übrig  gebliebene  Steinring  zur  Basis  eines  dritten, 
am  oben  bezeichneten  Nordostende  des  Berges  zwei  wohlerhaltene,  zu  60 ' 
schiefer  Höhe  ansteigende  Tumuli,  ein  einfach  in  den  Felsen  gehauenes  Grab, 
endlich  ein  anderes  mit  frei  aus  dem  Felsen  gearbeitetem  halbcylindrischen 
Dachabschluss.  Steuart  fand  zwei  Kammern  darin,  aber  keine  Spur  von 
Verzierung,  Prokesch  glaubte  Reste  von  Marmorbekleidung  zu  entdecken. 
Als  ein  Werk  des  höchsten  Altenthums  erschien  Herrn  v.  Prokesch  jenes 
Wassergemach  mit  Giebel. 

Folgen  wir  nun  Steuart,  Spiegel thal  und  Abeken  zu  dem  Bilde  selbst 
an  jener  schon  näher  bezeichneten  schluchtartigen  Gebirgsabstufung.  Schon 
also  oberhalb  desselben,  auf  dem  Wege  kann  man,  wie  Chishull  zuerst 
es  that,  das  Relief  bemerken.  Es  gilt,  über  SO  und  mehr  Fuss  hoch 
über  Felsblöcke  und  tiefe  Risse  hinauf  zu  klettern,  um  eine  genauere  Ansicht 
zu  gewinnen.  Ein  künstlich  geebnetes  Rechteck,  auf  20'  geschätzt,  zeigt 
sich  an  der  Felswand  und  dieses  wird  durch  eine  weitere  bogenförmige  Ver- 
tiefung fast  ganz  eingenommen.  Hier  erscheint  nun  in  starkem  Relief  aus 
dem  Felsen  gehauen  eine  sitzende  Gestalt,  mit  dem  zurücktretenden,  rohen, 
aber  in  seinen  Linien  rechts  und  links  von  der  Gestalt  wohl  sichtbaren  Sitz 
noch  auf  einer  basisartigen  bedeutenden  Erhöhung.  Die  Gestalt  selbst  ist 
bis  auf  Kopf  und  Armbewegung  durchaus  ungegliedert,  als  bekleidet  natürlich 


Das  Niobebild  am  Sipylos.  \  03 

zu  denken,  daher  auch  nach  unten  eine  einheitliche  Masse,  von  Falten  des 
Gewandes  ist  nichts  zu  entdecken.  Der  Kopf  ist  entschieden  nach  rechts 
und  nach  vorn  geneigt,  nach  Abeken  hat  er  noch  etwas,  eine  Binde  oder 
etwas  Kronenähnliches  getragen.  An  seiner  linken  Seite  sind  Meiseisp uren  in 
einigen  strengen  Haarlocken  wahrzunehmen,  die  am  besten  vor  dem  Wetter 
und  dem  heruntemeselnden  Wasser  geschützt  waren.  Die  Arme  liegen  an 
und  auf  dem  Schooss,  die  linke  Hand  scheint  einfach  auf  die  rechte  gelegt 
zu  sein,  an  ihr  sind  Spuren  von  Fingergliederung  zu  entdecken.  Abeken 
ward  zur  Frage  unwillkürlich  gefuhrt,  ob  die  Hände  etwas  hielten  i 

Von  einem  Naturspiel  kann  mithin  keine  Rede  mehr  sein,  unzweifelhaft 
ist  es  auch,  dass  dies  das  von  Pausanias,  Quintos  Smyrnäos  u.  A.  gesehene 
Bild  ist,  das  diese,  das  Jedermann  damals  als  das  der  Niobe  bezeichnete ;  es 
ist  das  auf  der  als  %v(xßog  gefassten  Erhöhung  sitzende  trauergesenkte  Weib, 
dessen  Gestalt  nur  von  einer  gewissen  Entfernung  rechtjds  Ganzes  erkannt 
ward,  ja  selbst  dem  unten  vorüberziehenden  Wanderer  bei  einiger  Aufmerk- 
samkeit nicht  verborgen  blieb. 

In  den  lebendigen,  künstlich  geglätteten  Felsen  gearbeitete  Reliefe  ge- 
hören auf  dem  Boden  von  Hellas  selbst  zu  den  nicht  häufigen  Erscheinun- 
gen ') .  Auch  in  den  Nympheen  und  Paneen,  überhaupt  in  kleinen  den  Göt- 
tern des  Wasser-  oder  freien  Wald-  und  Gebirgslebens  geweihten  Heiligthü- 
mern,  die  an  natürliche  Grotten  u.  dgl.  sich  anschlössen,  sind  die  plastischen 
Darstellungen  durchaus  in  selbständigen  Platten  oder  Steinblöcken  gearbeitet 
und  dann  an  geeigneter  Stelle  eingesetzt  oder  aufgestellt.  In  den  Felsen 
gehauene  Grabkammern,  sowie  freie  aufstehende  Sarkophage  aus  dem  Fels- 

1)  Hei  Nauplia  in  Argolis  nahe  den  den  Kyklopen  zugeschriebenen  Felsgängen  war 
ein  Esel  in  den  Felsen  gehauen  (Paus.  II.  3**,  3  :  ovog  otfiotv  Iv  niiQu  nenoiypfyos  öiä  xovio 
iariv  an  a[i7t(kwv  JiJat-ctg  lopqv,  E.  Curtius  Peloponn.  U.  S.  391.  569).  Alterthümliche 
Reliefs  an  den  Seiten  eines  in  Kalkstein  ausgemeiselten  Kanals  südlich  vom  Hafen  Gy- 
theion,  darunter  ein  auf  die  Keule  gestützter  Herakles  (Curtius  Peloponn.  II.  S.  293) ; 
ferner  ein  Relief  über  dem  Eingange  in  eine  Höhle  unter  einem  Heiligthum  südlich  von 
Teuthrane  (Curt.  II,  8.  277),  ferner  ein  solches  mit  unbekleidetem  Manne  bei  Messa  auf 
der  Westseite  der  tänarischen  Halbinsel  (Curtius  II.  S.  2S3).  In  Argos  auf  einer  Felsplatte 
Relief  eines  Reiters  mit  Rundschild  auf  eine  Amphora  mit  Schlange  zureitend  (Curtius 
II.  S.  351;,  andere  Reliefs  auf  der  Burg  (Curtius  II.  S.  561).  In  Akarnanien  hat  Heuzey 
kürzlich  auf  der  Akropolis  Kastrij  von  Alyzia  zwei  Felsreliefs  entdeckt  mit  je  zwei  Gott- 
heiten, von  denen  Asklepios  und  Hygiea  sicher  stehen,  Ares  und  Athene  möglich  sind, 
in  tafelförmiger  Vertiefung  ausgehauen  von  bestem  griechischen  Stil  (Mont  Olympe  et 
l'Acarnanie.  Paris  IS00.  p.  412.  pl.  XII).  Das  bekannteste  Felsrelief  auf  den  griechischen 
Inseln  das  Votivrelief  des  Adamas  im  Marpessamarmorberg  auf  Paros  an  die  Nymphen,  wo- 
bei aber  auch  die  Kybele  mit  dem  Löwen  auf  dem  Schooss  den  Mittelpunkt  der  Gottheiten 
mit  bildet,  vgl.  Böckh  C.  1.  T.  II.  n.  23«7 ;  Stuart  Alterth.  Ath.  IV.  p.  34.  T.  5;  Müller- 
Wieseler  D.  A.  K.  IL  Taf.  03.  n.  514.  Nymphäen  auf  den  Inseln  ohne  Felsrelief  auf 
Siphnos,  Pholegandros,  Kalymna,  Astypalaia,  Kos  s.  Ross  Inselr.  I.  S.  J43.  148;  IL 
S.65.  115.  145. 


104  Zweites  Kapitel. 

boden  begegnen  uns  häufig,  aber  sie  sind  durchaus  schmucklos,  im  Innern 
der  Gräber  ist  es  die  Thonplatte  vor  allem,  die  dann  den  Fries  bildet. 

Anders  stellt  sich  die  Sache  auf  kleinasiatischem  Boden.  Hier  ist  die  den 
Felsen  bearbeitende,  glättende,  zu  Facaden  reichsten  Schmuckes  umwan* 
delnde,  in  ihn  hinein  sich  senkende,  oder  monolithische  Gebilde  frei  aus  dem 
Boden  emporhebende  Thätigkeit  sowohl  bei  den  entschieden  ungriechischen 
Völkerschaften,  wie  dann  bei  den  dort  ansässigen  Hellenen  und  den  helle- 
nisirten  Kleinasiaten  eine  sehr  grosse  gewesen.  Ich  weise  hier  hin  auf  die 
merkwürdigen  in  den  Felsen  gearbeiteten  Reliefs  der  alten  Landschaft  Pteria 
jenseit  des  Halys  in  Kappadokien,  jetzt  Jazylykaja  genannt,  mit  ihren  schrei- 
tenden Göttern,  ihren  Reihen  von  Bewaffneten,  Darbriugenden,  priesterlichen 
Gestalten  in  einem  verwildert  assyrischen  Stile,  auf  ähnliche  verwitterte  Re- 
liefs von  strengerem  Stile  in  den  Felsruinen  von  Euyuk,  vielleicht  Amasia'j. 
Auf  der  centralen  Hochfläche  Kleinasiens,  in  den  Qucllgebieten  des  Sanga- 
rios  und  seines  Nebenflusses  Pyramos,  des  Rhyndakos  und  Hernios,  vor  allen 
in  den  Felsthälern  von  Kotyaeon  bis  Nakoleia,  dann  von  Midaeion  und  Pry- 
mnessos,  endlich  von  Dokimeion  begegnen  uns  massenweis  die  einfachen 
Grabnischen  in  eckiger,  mehr  abgerundeter  und  dann  Giebelform,  wie  die 
grossen  Grabfacaden  mit  hohen  Giebeln  in  flachster,  geschickter  Nachbil- 
dung des  Holzbaus  und  der  dem  Holzwerk  entnommenen  Ornamente,  end- 
lich rein  griechische  fein  ausgearbeitete  Säulenvorhallen2).  Wohl  ist  aber  zu 
beachten,  dass  bildliche  Darstellungen  sowohl  einzelner  stehender  oder  thro- 
nender Gestalten  als  auch  in  einer  Thätigkeit  begriffener  Personenreihen  hier, 
wenigstens  bei  den  eigenthümlich  lokalen,  älteren,  als  spezifisch  phrygisch 
bezeichneten  Monumenten  gänzlich  fehlen.  So  eben  erhalten  wir  Kunde8) 
von  zwei  Felsreliefs  in  assyrisch-medischem  Stile,  südlich  und  südwestlich 
von  Ankyra  in  dem  Bezirk  Hainaneh ;  wir  müssen  nähere  Beschreibung  ab- 
warten, um  diese  interessanten  Zwischenstationen  für  den  oberasiatischeu 
Stil  für  unsere  Betrachtung  zu  benutzen.  Die  reichsten  Gruppen  von  Bil- 
dungen aus  dem  lebendigen  Felsen  bietet  endlich  Lykien  dar,  diese  südwest- 
lichste Akropole  gleichsam  von  Kleinasien.  Hier  ist  der  Fels  zu  völlig  frei- 
stehenden Denkmalen  umgearbeitet,  sowohl  der  offenen  Hallen,  wie  der  soli- 
den mehr  thurmartigen  Massen  und  die  schönsten  griechischen  Formen  gehen 
bekanntlich  neben  einheimischen  Holzbauformen  her.    Auch  die  Plastik  hat 


1)  Texier  Asie  min  eure  II.  2  pl.  72,  75—79;  Kev.  archeol.  II.  p.  SO  ff.  ;  Barth  in  Ar- 
chäol.  Zeit.  1n51>.  n.  126.  Taf.  CXXVI  und  in  Kitter  Krdk.  XVIII.  S.  161  ff.,  375—396; 
Perrot  in  Rev.  archeol.  1MJ2.  Janv.  Fevrier. 

2)  Ausser  Texier  und  Steuart  vgl.  Leon  de  Laborde  Voyage  de  la  Syrie  et  de  l'Asie 
mineure.  Paris  1837.  I.  livr.  1.  5.  2>  und  den  zusammenfassenden  Bericht  bei  Kitter  Erdk. 
XVIII.  S.  634—019. 

3)  Bullett,  di  corrisp.  archeol.  IS61.  p.  11. 


Das  Xiobebild  am  Sipylos.  \  05 

hier  den  Felsflächen  im  Hintergrund  der  Hallo,  oder  zu  deren  Seiten  gleich- 
sam an  den  Wänden  von  Vorhöfen,  oder  in  kleinem  Maassstabe  der  Aus- 
sen seite  jener  Grabthürme  und  Sarkophage  sich  angeschmiegt1  .  Aber  in 
der  Plastik  zeigt  sich  hier  nur  ein  griechischer  Stil  von  der  Strenge  und 
Feinheit  der  älteren,  besonders  ionisch-attischen  Bildung  bis  zur  grössten 
Freiheit  und  Flüchtigkeit  einer  ganz  frei  waltenden  Kunst. 

Sehen  wir  uns  in  der  nähern  Umgebung  unseres  Sipylosreliefs  um,  so 
werden  wir  zuerst  gewiss  auf  jenes  merkwürdige  Felsrelief  bei  Nymphi,  dem 
alten  Nymphäon  etwas  seitwärts  ab  von  der  von  Smyrna  nach  Sardes  füh- 
renden Strasse  gewiesen,  das  hoch  an  der  Felswand  auf  einer  vertieften  Tafel 
sich  befindet  und  einen  schreitenden  Mann  in  asiatischer  Tracht  mit  hoher 
gerader  Tiara  und  Schnabelschuhen,  Bogen,  Speer  und  wohl  auch  den  Griff 
eines  an  der  Seite  hängenden  Dolches  oder  ein  Doppelbeil  zeigt,  aber  dabei 
einen  Cartouche  mit  Vogel  und  andern  unkenntlichen  Strichen2).  Man  kann 
nicht  daran  zweifeln,  dass  dies  das  eine  der  zwei  von  Herodot  erwähnten 
Felsreliefs  [tvnog  iv  7C8%qtjol  iyxexola^ivog)  in  Ionien,  die  er  dem  Sesostris 
zuschrieb,  ist  in  der  That  ein  oberasiatisches,  assyrisches  oder  dem  assyrischen 
Stile  von  einem  in  der  Bildung  von  den  Assyrern  abhängigen  Volke  nachge- 
bildetes ist,  allerdings  zugleich  auch  in  dem  ungeschickt  gebildeten  Namen- 
ring an  eine  ägyptische  Sitte  erinnernd,  wie  ja  derartiger  Einfluss  einzelner 
ägyptischer  Sitten  und  Formen  in  der  jüngeren  assyrischen  Zeit  vielfach  sich 
nachweisen  lässt.  Ob  wir  ein  Denkmal  der  assyrischen  Dynastie  von  Lydien 
darin  zu  sehen  haben,  oder  ein  stolzes  Siegeszeichen  einer  zeitweis  Asien  über- 
nuthenden,  bis  zu  den  Ioniern  vorgedrungenen  Macht,  der  Kimmerier  oder 
Trerer  und  Skythen,  das  steht  dahin,  ich  bin  aber  eher  geneigt  das  Letztere 
anzunehmen.  Die  Stelle  selbst  war  für  Anbringung  eines  solchen  Denkmals 
sehr  geeignet,  weil  sie  an  der  alten  das  Kaysterthal  mit  dem  Hermoswasser- 
gebiet  verbindenden  Strasse  und  an  der  Gränzscheide  der  hellenischen  und 
lydischen  Bevölkerung,  zugleich  an  einem  durch  Bewässerung  und  Parkan- 
lagen anziehenden  Thale  sich  befindet. 

Nun,  vergleichen  wir  unser  Niobebild  zunächst  mit  diesem  Relief  von 
Nymphi  und  den  entfernter  liegenden  phrygischen,  kappadokischen ,  lyki- 
schen  Felssculpturen,  so  ist  zu  sagen,  dass  die  Art  und  Weise  den  Fels  an 
fast  unzugänglichen  Stellen  zu  bearbeiten  und  zu  glätten,  in  einer  Vertiefung 


1}  Vgl.  z.B.  aus  Telme8so8  Texier  Asie  min  eure  IL  3.  pl.  J67,  16*s  173,  aus  Antiphel- 
los  a.a.O.  pl.  19S,  aus  Myra  pl.  224,  225,  227,  22*. 

2}  Lepsius  in  Monatsber.  Berl.  Akad.  d.  W.  1S46.  Febr.;  Kiepert  in  d.  Archäolog. 
Zeitung  1S49.  n.  3.  S.  33— IG.  Taf.  II.  III.,  1S45.  S.  1SS  ;  Welcker  im  Rhein.  Mus.  N.  F.  II. 
S.  130  ff.  und  Bull.  d.  Inst,  di  corr.  arch.  Ih42.  p.  lv4.  Abgebildet  auch  bei  Texier  Asie 
mineure.  Sect.  II.  Vol.  2.  Ueber  die  geschichtliche  Bedeutung  s.  Duncker  Gesch.  d.  Al- 
terth.  I.  8.  181. 


1 06  Zweites  Kapitel. 

eine  Reliefdarstellung  anzubringen,  dasselbe  als  ein  unter  dem  Einflüsse  der 
kleinasiatischen  Völker,  weiterhin  auch  der  oberasiatischen  Technik  entstan- 
denes zeigt.  Ferner  ist  die  Art  und  Weise  der  Umrahmung  durch  ein  Recht- 
eck und  dann  eine  tiefer  eingesenkte  Rundung  einer  Nische  eine  bei  phrygi- 
schen  Gräbern  von  Nakoleia  ganz  entsprechend  so  vorkommende1),  während 
sie  bei  dem  Relief  von  Nymphi  als  einfache,  scharf  abgegränzte  rechteckige 
Fläche  mit  sich  pyramidal  neigenden  Seitenlinien  sich  zeigt,  darin  allerdings 
auch  mehr  ägyptisirend.  Wir  haben  in  nächster  Weise  am  Sipylosabhang 
kleine  in  den  Fels  gehauene  Nischen  und  Rechtecke,  Gräber  wahrscheinlich, 
die  jenen  kleinen  Grabstätten  in  Phrygien  und  Kappadokien  sehr  gleichen. 
Dagegen  ist  es  ein  bezeichnender  Unterschied  von  allen  grossem  phrygischen 
und  iykischen  Grabfacaden,  dass  bei  den  grossartigen  Dimensionen  unseres 
Werkes  keine  Giebelfläche  sich  zeigt,  wie  sie  reich  in  Holzbau  durchge- 
bildet dort  durchgängig  erscheint,  dass  überhaupt  nirgend  eine  auf  Holzbau 
bezügliche  Gliederung  hervortritt.  Ein  Beweis  jedenfalls,  dass  wir  es  mit 
keiner  einem  Hause  nachgebildeten  Grabstätte  es  zu  thun  haben,  überhaupt 
mit  keiner  wirklichen  Grabstätte,  da  auch  nirgend  eine  Oeffnung,  wirkliche 
oder  scheinbare,  sich  zeigt.  Ebensowenig  haben  wir  eine  äussere  Nach- 
ahmung der  acht  phrygischen  Werke  vor  uns. 

Wie  steht  es  nun  mit  dem  Relief  der  menschlichen  Gestalt  in  diesem 
Rahmen?  Die  Grössen  Verhältnisse  übertreffen  um  ein  Bedeutendes 
jenen  Bogenschützen  von  Nymphi,  man  schätzt  sie  auf  dreifache  menschliche 
Grösse,  dieser  hat  eine  Höhe  von  (»  Pariser  Fuss  (mit  der  hohen  Kidaris  7 
Par.  Fuss),  sie  lassen  ferner  jene  Reliefreihen  Kappadokiens  weit  hinter  sich. 
Wir  haben  es  in  der  That  mit  einem  auf  eine  bedeutende  Fernwirkung  be- 
rechneten Werke  zu  thun,  die  Art  des  Reliefs  unterscheidet  sich  auf  das 
Wesentlichste  von  den  zur  Vergleichung  herangezogenen.  Niobe  tritt  als 
starkes  Hautrelief  hervor,  hat  einen  runden,  plastischen,  weichen  Charakter, 
der  Kopf  ist  nicht  im  Profil,  sondern  ganz  cn  face  gebildet.  Das  Ganze  nur 
angelegt,  nicht  ausgeführt,  oder  nur  an  bestimmten  Theiien,  wie  den  noch 
sichtbaren  einzelnen  geringelten  Linien  von  Haarlocken.  Das  Relief  von 
Nymphi  ist  dagegen  sehr  flach  gehalten,  eine  Profilzeichnung  mit  nur  2  Zoll 
Erhebung,  ohne  alle  Rundung  der  körperlichen  Theile;  der  Namenschild 
tritt  nur  Vi  Zoll  hervor.  Die  Reliefs  von  Jazylykaja  und  Euyuk  sind  aller- 
dings in  starkem  Hautrelief  ausgeführt,  10  Zoll  Höhe,  aber  sie  haben  auch 
die  energischen,  scharfen  Züge  der  Reliefs  von  Niniveh,  nur  starrer,  unver- 
standener. Die  Vorderseite  der  Gestalt  tritt  nur  an  jenen  acht  assyrischen 
thierischen  Portalwächtern  hervor.  Wir  können  sagen,  die  Niobe  ist  stil- 
loser gebildet,  als  alle  jene  Werke,  aber  mit  einem  unmittelbareren  Gefühl  für 
das  Runde  der  Gestalt  und  für  eine  grosse  Gesammtwirkung.    Dazu  tritt  nun 


2)  Texier  Asie  min  eure  I.  pl.  57,  58. 


Das  Niobebild  am  Sipylos.  107 

endlich  ein  und  nicht  hoch  genug  anzuschlagendes  Moment:  es  ist  in  der 
Gestalt  ein  Ausdruck  des  Geraüthslebens  in  ursprünglichster  aber  schlagend- 
ster Weise  gegeben.  Das  leise  zur  Seite  und  nach  vorn  gesenkte  Haupt,  die 
auf  dem  Schoosse  zusammengelegten  Hände  lassen  eine  tiefe  Versenkung 
in  Trauer  erkennen.  Dies  ist  durchaus  griechisch,  der  orientalischen  Kunst, 
die  den  Ausdruck  heftigen  gesticulirenden  Schmerzes  wohl  keimt,  aber  ohne 
alle  Innerlichkeit,  durchaus  fremd.  Und  so  werden  wir  dazu  getrieben,  ein 
Werk  griechischen  Geistes  und  griechischer  Auffassung  der  ältesten,  noch 
nicht  in  die  volle  strenge  Zucht  der  seit  Ol.  30  etwa  aufblühenden,  von  be- 
stimmtem, scharfem  Stilgefühl  getragenen,  von  Kreta,  Samos,  Chios  ausge- 
henden Schulen  gestellten  Kunst  in  diesem  Niobebild  zu  erkennen,  aber  ein 
Werk  gestellt  an  die  Gränzscheide  griechischer  und  national  kleinasiatischer 
Kunstübung  und  von  dieser  seinen  Rahmen  und  das  Allgemeine  der  Technik 
entlehnend. 

Nun  aber  werden  wir  weiter  fragen  müssen.  Ist  denn  diese  sitzende 
Frauengestalt  in  der  Felsnische,  die  allerdings  die  späteren  Hellenen  für 
Niobe  halten  mochten,  nicht  einfach  ein  Bild  der  Kybele,  und  also,  gesetzt 
auch,  griechische  Hände  hätten  das  Werk  gefertigt,  so  haben  sie  doch  nur 
eine  phrygisch-religiöse  Idee  und  phrygische  Darstellungen  der  Göttin  wie- 
dergegeben, wie  der  Dienst  der  Kybele  als  der  Mater  Sipylene  bekannt  genug 
ist  (  Durchmustern  wir  die  sichern  Darstellungen  der  Kybele  der  einfachen, 
noch  nicht  synkretistisch  mit  Attributen  überhäuften  Art,  so  begegnet  sie  uns 
allerdings  neben  der  stehenden  oder  ausschreitenden,  neben  der  auf  dem 
Löwen  oder  dem  von  ihnen  gezogenen  Wagen  sitzenden  Göttin,  auch  ruhig 
thronend  auf  einem  Thronsitz '),  oder  auch  auf  einem  bearbeiteten  Fels  mit 
Felslehne,  aber  durchaus  begleitet  sie  ein  charakteristisches  Symbol,  die 
Mauerkrone,  der  vom  Kopf  nach  hinten  herabfallende  Schleier,  das  Tympa- 
non,  worauf  der  linke  Arm  ruht,  Aehre  oder  eine  Frucht  in  der  Hand,  vor 
allem  der  Löwe  oder  der  Stier  zur  Seite  sitzend2).  Nun  sind  bei  Ph.  Le  Bas 
in  seinem  grossen,  leider  nun  nach  seinem  Tode  ganz  ins  Stocken  gerathenen 
Werke8)  allerdings  drei  überraschende  kleine  Monumente  einer  in  einem 
bearbeiteten  nischenartigen  Felsensitze  sitzenden  matronalen  Gestalt  ver- 
öffentlicht, die,  wenn  auch  vielfach  verletzt,  doch  eine  entschiedene  Aehn- 
lichkeit  mit  dem  Sipy losbilde"  haben,  wenngleich  der  Stil  ein  bedeutend  jün- 
gerer und  entwickelterer  ist,  wie  dies  an  der  zierlichen  und  charakteristischen 


1}  Steinerner  Thronsitz  neben  einer  crrqAj?  im  Kybeleheiiigthum  zu  Korinth  (Paus.  II. 
4,7),  ein  dergleichen  mit  ayak/na  von  pentelischem  Marmor  von  den  Thebanern  Aristo- 
medes  und  Sokrates  (Paus.  IX.  25,  3). 

2)  Vgl.  Müller-Wieseler,  Denkmäler  der  alten  Kunst  II.  5.  n.  M)b— 814.  Zwei  Löwen 
von  Stein  im  Metroon  am  Quell  des  Alpheios  (Paus.  VIII.  44,  33). 

3)  Voyage  archeologique  en  Grece  et  en  Asie  mineure  fait  par  ordre  du  gouvern.  fran- 
cais  etc.  Paris,  Didot.  1859.  Antiquität  pl.  -44.  n.  1,  2. 


10  6  Zweites  Kapitel. 

Behandlung  der  Falten  an  einem  Untergewand  und  auf  dem  Schosse  liegen- 
den Obergewand  sich  zeigt.  Eines  derselben  erscheint  auf  den  ersten  An- 
blick auch  ohne  alles  weitere  Symbol1).  Aber  vergleichen  wir  nur  die  Mo- 
numente unter  sich  näher,  so  ergiebt  sich  aus  den  besser  erhaltenen  und  den 
deutlichen  Resten  bei  den  andern  durchgehend  auf  das  Deutlichste  der  die 
Anwesenheit  der  Kybele  bezeichnenden  Symbole,  nämlich  auf  dem  Schosse 
ein  Thier,  ein  kleiner  Löwe  und  in  der  nicht  in  den  Schoss  gelegten,  sondern 
mehr  gehobenen  Linken,  ein  Hund,  das  nicht  als  Schale,  sondern  als  Tym- 
panon  zu  bezeichnen  ist.  Ganz  stimmt  mit  diesen  Denkmalen  überein  ein 
Marmor  des  Museum  Wildianum2),  wo  Thronsitz  mit  Fussbank  in  grosser 
Einfachheit,  die  Scheiben,  das  Thier  im  Schoosse,  aber  keine  Mauerkrone 
bei  der  Göttin  sich  finden.  Von  alle  dem  ist  aber  dort  nichts  zu  sehen, 
sondern  nur  das  grossartig  einfache  Bild  einer  sitzenden  Matrone  mit  dem 
Ausdrucke  der  Trauer.  Dieser  letztere,  zur  Wehmuth  gleichsam  verklärt,  ist 
allerdings  auch  bei  der  schönen  Kybelestatue  in  den  vatikanischen  Gärten 
zu  finden.  Demnach  sind  wir  also  durchaus  nicht  berechtigt,  das  Sipylosbild 
eine  Kybele  zu  nennen,  vielmehr  in  ihm  ein  älteres,  einfacheres  Vorbild  für 
die  jüngere  Darstellung  der  von  den  Phrygiern  recipirten,  leicht  aber  der 
eigenen  ursprünglichen  Anschauung  einer  göttlichen  Mutter  assimilirten  Ky- 
bele bei  den  Griechen  zu  erkennen. 

Denn  haben  die  Phrygier  in  ihren  Ursitzen,  vor  dem  griechischen  Ein- 
flüsse bereits  plastische  Darstellungen  der  Göttennutter  in  der  später  bekann- 
ten Weise  besessen?  Nimmermehr!  nein,  vielmehr  wissen  wir,  dass  es  die 
ragenden,  von  Wäldern  umgebenen,  von  Felsen  und  Höhlen  erfüllten  Berge 
selbst  sind,  die  als  unmittelbare  Offenbarungen  der  Göttin  erschienen  und 
dass,  als  der  Cult  eine  locale  und  priesterlichere  Elitwickelung  erhielt,  das 
Symbol  der  Göttin  im  Heiligthum  zu  Pessinus  ein  eckiger  schwarzer  Stein 
war,  welcher  später  nach  Rom  gebracht  und  nun  eingeschlossen  statt  des 
Mundes  in  einer  griechischen  Statue  der  Göttin  verwahrt  wurde8*.    Bis  jetzt 

1,  Vgl.  unsere  Tafel  IV.  J. 

2)  Signa  antiqua  e  Mus.  Jacobi  de  Wilde.  170«.  t.  ^0. 

ä)  Arnob.  adv.  gent.  V.  4<>  ed.  Oreil. :  si  verum  loquuntur  historiae  neque  ullas  inse- 
runt  rerum  conscriptionibus  falsitates,  allatum  ex  Phrygia  nihil  q'uideni  aliud  scribitur  mis- 
sum  rege  ab  Attalo  nisi  lapis  quidam  non  magnus,  ferri  manu  hominis  sine  ulla  impressione 
qui  posset,  coloris  furvi  atque  atri,  angellis  prominentibus  inaequalis  et  quem  omnes  hodie 
ipso  illo  videmus  in  signo  oris  loco  positum,  indolatum  et  asperum  et  simulacri  faciem  minus 
expressam  simulatione  praebentem.  Liv.  XXIX.  II:  is  legatos  —  Pessinuntem  in  Phry- 
giam  deduxit  sacrumque  lapidem,  quam  matrem  deum  esse  incolae  dicebant,  tradidit 
ac  deportare  Romam  jussit.  Dieser  Stein,  natürlich  in  irgend  einer  kostbaren  Umfassung, 
aber  nicht  eine  steinerne  Statue  der  Götter  ward  dann  in  Ostia  von  P.  Scipio  ans  Land  und 
abwechselnd  von  je  einer  Matrone  weiter  nach  Rom  getragen.  Dieser  Wunderstein  ist  es 
auch,  dessen  wunderbares  Erscheinen  auf  dem  Kybelaberg  die  parische  Chronik  mit  den 
Worten :  xnl  ayalpa  rfjg  than'  /ätjtqos  itfavq  iv  Kvßiloig  in  der  Zeit  vom  König  Erich tho* 


Plastische  Werke  der  attischen  Schule  in  Hellas.  t09 

• 
ist  auch  im  Bereiche  der  ältesten  phrygischen  Städten  keine  einzige  alte  Re- 
lief- oder  statuarische  Kybeledarstellung  gefunden. 

Nun  ist  es  aber  wichtig,  dass  gerade  an  den  Sipylos  und  zwar  in  die 
nächste  Nähe  von  Magnesia  die  älteste  plastische  Bildung  der  Göttermutter, 
die  man  überhaupt  kennt,  versetzt  und  als  Werk  des  Broteas,  des  Bruders  der 
Niobe,  bezeichnet  wird.  Dieses  auf  dem  Felsen  des  Koddinos  natürlich  sogut 
in  einem  Heiligthum,  wie  das  an  Alter  verglichene  Werk  in  Akriae  an  der 
lakonischen  Küste  befindliche  ayal/ua  ist  nun  nicht  etwa  jenes  Felsenrelief 
der  Niobe  selbst,  welches  ja  Pausanias,  der  Berichterstatter  und  dort  einhei- 
mische Schriftsteller,  so  genau  kennt  und  uns  beschreibt,  sondern  ein  selb- 
ständiges, statuarisches,  hochalterthümliches  Werk,  aber  es  gehört  durchaus 
demselben  ethnographischen  und  Culturk reise,  als  Tantalos  und  Niobe,  an, 
es  wird  von  den  Magneten  als  das  ihnen  zugehörige,  nicht  etwa  von  Aussen 
überkommene  Götterbild  in  Anspruch  genommen.  Ist  es  hiernach  zu  ver- 
wundern, wenn  die  künstlerische  Form  jener  gewaltigen  weiblichen  Gestalt 
im  Felsrelief  nun  benutzt  und  fortgebildet  wird  zur  Darstellung  der  phrygi- 
schen  Göttermutter  ( 

In  einem  späteren  Abschnitte  wird  uns  das  ganze  reiche  urgriechische, 
in  lebhaftem  Contakt  mit  anderen  Völkern  stehende  Culturleben  am  Sipy- 
los näher  beschäftigen.  Hier  wollen  wir  nur  noch  darauf  aufmerksam 
machen,  dass  auch  jene  bedeutsamen  Denkmale  hart  an  der  Strasse  unter 
dem  Niobebilde  hin,  die  Quellbehälter,  die  Reste  grosser  ringförmiger  Tu- 
muli  mit  Steinumfassung,  die  in  den  Fels  gehauenen  Gräber,  mit  Andeutung 
einstiger  Bekleidung,  die  Mauerreste ,  welche  zum  Sipylos  hinanziehen'  an 
seiner  Nordostecke,  durchaus  nichts  specifisch  Phrygisches  oder  Oberasia- 
tisches an  sich  tragen,  sondern  den  gewaltigen  Resten  am  Südabhange  des 
Sipylos,  von  Altsmyma,  die  Texier  vergeblich  für  die  Stadt  Sipylos  gegen 
alle  Berichte  der  Alten  in  Anspruch  zu  nehmen  sucht,  ferner' den  ältesten 
Grabdenkmälern  in  der  Landschaft  Troas,  schliesslich  den  argivischen  an 
das  Pelopidengeschlecht  angeknüpften  Werken  am  nächsten  stehen. 

§  14. 
Plastische  Werke  der  attischen  Schule  in  Hellas. 

Wie  die  attische  Tragödie  dem  Mythus  der  Niobe  erst  ihre  reichste  poe- 
tische Gestaltung  verlieh,  den  Tiefsinn  desselben  eröffnete,  so  werden  wir  bei 
der  Frage  nach  der  plastischen  Durchbildung  unmittelbar  nach  jenem  ehr- 
würdigen Denkmal  einer  uranfänglich  griechischen,  aber  von  asiatischer 
Technik  bedingten  Kunst  sofort  auf  den  Boden  von  Attika  gewiesen.  Hier  in 
Attika,  nicht  in  Theben,  Korinth,  Argos,  oder  in  einer  der  blühenden  klein- 

nios  in  Athen  meldet  und  woran  sie  dann  die  Erfindung  der  phrygischeu  Flöte,  Harmonie 
und  gottesdienstlichen  Weihen  knüpfte. 


110  Zweites  Kapitel. 

asiatischen  Küstenstädte  sind  zunächst  die  Formen  der  bildlichen  Darstellung 
geschaffen  worden,  welche  in  den  mannigfaltigsten  Variationen  uns  aus  den 
zahlreichen  spätem  Denkmälern  der  Niobiden  entgegentreten  und  an  denen 
bisher  fast  allein  unser  ganzes,  nicht  zu  erschöpfendes  Interesse  für  Niobe 
und  ihre  Kinder  gehaftet  hat  und  in  einem  vorzüglichen  Grade  auch  immer 
haften  wird.  Von  Athen  aus  haben  wir  die  Verbreitung  über  den  weiten 
hellenischen  Boden,  dann  die  Verpflanzung  nach  Rom,  die  dort  und  in 
römischen  Provinzen  erfolgte  Veränderung  der  Niobedarstellungen  zu  be- 
achten. Es  ist  wichtig,  dass  wir  die  freilich  spärlichen  und  fragmentari- 
schen, aber  unschätzbaren  Nachrichten  der  Alten  selbst  über  dieselben 
voranstellen  und  sie  möglichst  scharf  und  in  Verbindung  mit  anderen  in 
Frage  kommenden  geschichtlichen  Punkten  ins  Auge  fassen;  dann  erst  treten 
wir  an  die  Denkmäler  selbst  nach  ihren  Gattungen  heran  und  suchen  sie 
möglichst  einfach  und  unbefangen  zu  betrachten.  Der  Gewinn,  der  aus  der 
Combihation  beider  Wege  für  eine  besonnene  und  sich  bescheidende  Restau- 
ration grosser  und  hochberühmter  Kunstwerke  des  Alterthums  hervorgeht, 
dürfte  nicht  gering  anzuschlagen  sein. 

Wir  müssen  rückwärts  greifen  und  zwar  bisPheidias,  um  da  bereits  zwar 
ausserhalb  Attikas  in  Olympia  aber  von  attischer  Anschauung  aus  mit  atti- 
scher Kunst  die  Niobiden  gebildet  zu  sehen,  allerdings  noch  nicht  in  einem 
für  sich  ganz  selbstständigen  Werke,  sondern  als  Glied  einer  ganzen  Fülle 
von  plastischen,  ein  grosses  tektonisches  Werk  verzierenden  Bildungen. 

An  dem  Thronsitze  des  Zeus  zu  Olympia,  welchen  in  Elfenbein 
und  Ebenholz,  in  Gold  und  Edelsteinen  eine  Fülle  herrlich  runder  und  erha- 
bener Gestalten  neben  Gemälden  schmückten,  umgaben  die  vier  Füsse  zu 
unterst  je  zwei  sichtlich  ruhig  stehende  Niken,  darüber  je  vier  im  Tanz  be- 
griffene. An  beiden  Vorderfüssen  erhob  sich  darüber  der  Schmuck  der  Arm- 
lehnen und  ihrer  Seitenschwingen ;  das  Vorderende  war  gebildet  von  Sphin- 
xen, welche  Söhne  der  Thebaner  geraubt  hielten  und  unter  den  Sphinxen 
war  dargestellt,  wie  Artemis  und  Apollo  die  Kinder  der  Niobe  niederschies- 
sen1).  Man  ist  allgemein  darüber  einverstanden,  dass  die  letztere  Scene 
friesartig  an  den  beiden  Aussenseiten  der  Armlehnen  hinlief,  je  unter  dem 
langgestreckten  Körper  der  Sphinx.  Artemis  und  Apollo  werden  natürlich  auf 
die  zwei  Seiten  vertheilt  gewesen  sein ;  ob  nun  auf  der  einen  Seite  nur  die 
Söhne,  auf  der  andern  die  Töchter  dargestellt  waren,  ist  nicht  sicher  zu  sagen ; 
doch  wahrscheinlich  gewählt  war  der  Moment  der  Vernichtung  selbst,  nicht 


1)  Paus.  V.  11,  2:  iw  nodojy  61  ixttriQtp  twv  Z/unooo&tr  nttTJtg  it  tjtUttvrat  Grjßaitov 
vnb  atfiyytiöv  TiQTMtOfjtvot,  xnl  vnb  raff  a<f  ()>)'«$  JVioßqg  rovg  mtttias%An6XXo}v  xarttTö&vovOt 
xalvAQT€fii9.  Vgl.  dazu  Quatremere  de  Quincy  le  Jupiter  Olymp.,  Völkel  archäol.  Nach- 
lass  S.  42,  Brunn  Gesch.  d.  gr.  Künstl.  LS.  174 ;  Overbeck  Gall.  her.  Bildw.  S.  17;  Der«. 
Gesch.  d.  griech.  Plastik  I.  8.  202. 


Plastische  Werke  der  attischen  Schule  in  Hellas.  1 1 1 

ein  vorausgehender  oder  die  Todesruhe  der  geschehenen  That.  Dass  Niobe 
selbst  dabei  erschien,  ist  wahrscheinlich,  natürlich  dann  auch  eine  ent- 
sprechende Gestalt  des  Amphion.  Bezeichnend  ist  die  nahe  Verbindung  mit 
der  acht  thebanischen  Sage  vom  Raube  der  thebanischen  Jünglinge  durch 
die  Sphinx,  die  also  den  Niobidenuntergang  für  Pheidias  auch  als  an  Theben 
gebunden  erscheinen  lässt.  In  beiden  Darstellungen  der  Ausdruck  gewaltig- 
ster vernichtender  Gottesmacht,  hier  mehr  ein  unmittelbares  Ergreifen,  Fort- 
reissen,  Verschwinden  machen,  dort  ein  aus  der  Ferne  und  augenblickliches 
Wirken,  auf  dem  Erdboden  Hinsterben  der  Kinder  —  gewaltige  Symbole  am 
Throne  des  olympischen,  als  Sieger  im  Götterkampf  und  durch  seinen  Sohn 
Herakles  gerade  hier  verrherrlichten  Gottes  und  zwar  an  der  Stelle,  wo  die 
Arme  des  Gottes  als  ruhend  gedacht  werden.  Technisch  haben  wir  uns  die 
Reihe  jugendlicher  Körper  in  Elfenbein  gebildet  zu  denken,  in  Gold  die  Ge- 
wandung und  Waffen  und  Schmuck,  der  Hintergrund  von  Ebenholz.  Ob 
unter  den  erhaltenen  Reliefcompositionen  irgend  welche  den  Geist  der  phi- 
diasischen  Reliefs  zu  athmen  scheinen,  haben  wir  weiter  unten  au  fragen. 

Wenden  wir  uns  nun  nach  Athen  selbst.  Pausanias  ist  bei  der  Beschrei- 
bung Athens  vom  Prytaneion  durch  die  Tripodenstrasse  zum  grossen  Diony* 
sosheiligthum  und  dem  Theater  des  Dionysos  an  dem  südöstlichen  Abhänge 
der  Akropolis  gelangt ;  er  hat  die  zwei  Tempel  des  Dionysos,  Bilder  darin, 
dann  die  vielen  Statuen  tragischer  und  komischer  Dichter  im  Theatron  er- 
wähnt und  speciell  von  denen  des  Sophokles  und  Aeschylos  gesprochen.  Da 
fahrt  er  fort1)  :  ,,an  der  die  südliche  genannten  Mauer,  welche  von  der  Akro- 
polis zum  Theater  gewandt  ist,  an  dieser  ist  ein  vergoldetes  Haupt  der  Gor- 
gone  Medusa  geweiht  und  um  sie  herum  ist  eine  Aegis  gearbeitet."  An 
einer  andern  Stelle 2)  spricht  er  aus,  dass  die  goldene  Aegis  über  dem  Thea- 
ter mit  der  Gorgone  eine  Stiftung  des  Antiochos  sei,  der  auch  den  Purpurtep- 
pich nach  Olympia  geweiht  und  unter  dem  wir  wohl  Antiochos  Epiphanes 
den  Philhellenen  zu  verstehen  haben,  der  für  den  Fortbau  des  Olympieion 
in  Athen  Bedeutendes  geleistet  hat 3) .  Unmittelbar  auf  oder  an  derselben  Süd- 
mauer {rtQÖg  %io  %ei%u  %(jtvo%l(fi)  zogen  sich  eine  Reihe  von  runden  Bildwerken 
hin,  je  zwei  Ellen  jedes  hoch,  die  Gigantomochie  in  Pellene,  den  Amazonen- 
kampf der  Athener,  die  Schiacht  bei  Marathon,  den  Untergang  der  Galater  in 


1)  Paus.  I.  21,4:  in\  dl  rov  voiCov  xalovptvov  Ttfyovs,  o  rrjs  dxQonolnog  ig  ro  &4atQov 
tati  TtTQtxjLifiivov,  inl  jovtov  MfJovarjg  rrjg  ro())'6voe  tnlxQvaog  avdxtnai  xeqalTj  xttl  mqI 
ttvrrjv  alylg  7i€7roirjrat. 

2j  Paus.  V.  12,  2:  dv£ftnxtvjivj(oxpg  ov  cTjJ  xal  vntg  rov  &edtQQV  Tovjidyvtj&ev  ij  alylg 
i)  XQva*l  *«*  in*  avrfjg  r\  roQyol,  tj  ig  td  dva^tifiatn.  In  den  letzten  Worten  ist  jedenfalls  ein 
Wort  ausgefallen,  in  uvct&r^ata  sind  wohl  die  vielen  im  Diony sosheiligthum  aufgestellten 
Tripoden  und  Weihgeschenke  wegen  der  Siege  zu  verstehen. 

3}  Böckh.  C.  Inscr.  n.  363.  1.  p.  433 :  Oran.  Licinian.  ed.  Pertz.  p.  46. 


112  Zweites  Kapitel. 

Mysien  darstellend,  eine  Stiftung  des  Königs  Attalos,  des  Siegers  über  die 
Gallier  im  Jahr  Ol.  135,2  =  239  v.Chr.,  wahrscheinlich  in  den  Jahren  200  oder 
198  gemacht  in  der  Zeit  seines  gefeierten  Aufenthalts  in  Athen1}.  Hierbei 
entsprechen  sich  sichtlich  Amazonen-  und  Perserkampf,  Giganten-  und  Gal- 
lierschlacht. Ein  Sturm  stürzte  von  der  Gigantomachie  den  Dionysos  hinab 
in  das  Theater  vor  Ausbruch  des  Bürgerkriegs  zwischen  Caesar  und  Antonius*). 

So  war  also  die  über  dem  Theater  hochragende  Felswand,  die  Mauer  darauf 
in  hellenistischer  Zeit  mit  schreckenden  und  zugleich  den  Sieg  der  Hellenen 
unter  Götter  Beistand  kündenden  Werken,  vor  allem  dem  strahlenden,  schrek- 
kenden  Symbole  Athenes  reich  geschmückt.  Auf  der  Hochfläche  an  dieser  süd- 
östlichen Ecke  derAkropolis  stand  der  eherne  Apollo  Parnopios,  ein  dem  Phei- 
dias  wenigstens  zugeschriebenes  Werk,  Apollo  als  Abwender  der  in  der  Son- 
nengluth  die  Fehler  verheerenden  Heuschrecken  dargestellt,  wie  er  speciell 
an  der  äolischen  Küste  Kleinasiens  [verehrt  waid8),  in  dem  Beinamen  äv&ij- 
Xiog  als  der  der  Sonne  zugewandte  bezeichnet 4) .  Und  wenn  uns  von  einem 
einer  Heuschrecke  ähnlichen  Bildwerk  berichtet  wird,  welches  von  Peisi- 
s trat os  vor  die  Akropolis  wie  ein  unglückabwendendes  Symbol  vorgescho- 
ben sei,  so  können  wir  ebenfalls  nur  an  die  Südostecke  der  Burgumfassung 
denken 5  .  Auch  die  Schwester  Apollons,  Artemis  und  zwar  als  Artemis  Leu- 
kophryene,  wie  sie  in  Magnesia  am  Lethaeos  und  am  Sipylos  verehrt  ward, 
war  in  einer  Erzstatue  auf  dieser  Südostseite  der  Akropolis  aufgestellt  und 
neben  ihr  der  tapfere  Freiheitsheld  der  Athener  im  Kampf  gegen  Makedonien, 
Olympiodor6). 

Kehren  wir  zurück  zur  Stelle  des  Pausanias,  von  der  wir  ausgingen,  so 
folgt  bei  ihm  der  Erwähnung  der  vergoldeten,  von  der  Mauer  entgegenglän- 
zenden Medusenägis  die  Notiz,  „auf  dem  Gipfel,  dem  höchsten  Punkte  des 
Theatron,  d.  h    des  Zuschauerraumes  befindet  sich  eine  Höhle  in  dem  Felsen 


1)  Pol.  XVI.  25,  Liv.  XXXI.  47. 

2)  Plut.  Anton.  60:  xul  r^s'A^tjrrjai  yiyaviofjitt^taq  vnb  nvivfiuuov  6  /Itowoog  ixOfia- 
9eU  eis  to  Stoioov  xar^rt^d-rj.  Wenn  Cassius  Dio  L.  15  erzählt,  dass  die  Statuen  von 
Antonius  und  Kleopatra,  die  die  Athenienser  in  Göttergestalt  auf  der  Akropolis  aufgestellt, 
vom  Blitz  in  das  Theater  gestürzt  seien,  so  mischt  er  wohl  die  obige  Thatsache  mit  der 
andern  auch  von  Plutarch  berichteten,  dass  derselbe  Sturm  die  beiden  Antonius  umge- 
tauften Colosse  des  Eumenes  und  des  Attalos  allein  von  vielen  umstürzte. 

3)  Strabo  X1I1.  1. 

4)  Paus.  1.  24,  S:  tov  vaov  (an  7iiQuv%AnoXXiüv  ^aXxovg  xul  to  tcyaXjja  Xiyovatv  «#»<i- 
titav  Ttoirjaai'  IJagvomor  dl  xaXouaiv,  oti  a<{(oi  naqvoniav  ßXttniovTütr  ttjv  yrjr  anoTQ£i}>itv 
6  &tbe  slnn>  Ix  Tfjg  ^(OQag*  xai  oti  filv  «ntTQttyiv  Toaot,  iQono)  dl  ob  XfyovOiv  no(<p.  Ein 
Apollo  «v&ijXiog  des  Pheidias,  der  nach  ßyzanz  versetzt  war,  ist  gekannt  von  Tzetz.  Chil. 
VIII.  192.  v.  331,  Cedren.  p.  322,  dazu  Odof.  Müller  de  Phid.  vita  et  oper.  p.  16,  17. 

5)  Hesych.  8.  v.  xam^vfi'  —  *«*  vno  TltiaiarQurov  xttXnua(«  tu(ffQ$e  C<wor  anb  rfjg 
«XQonoXttag  nQoßtßXr\(A(rov  bnoln  ret  ngog  ßnaxavlav. 

S  6)  Paus.  I.  26,  2—4;  III.  18,  6. 


Plastische  Werke  der  attischen  Schule  in  Hellas  j  13 

unter  der  Akropolis ;  ein  Dreifuss  steht  aber  auch  über  dieser ;  Apollon  und 
Artemis  befinden  sich  darin  die  Kinder  der  Niobe  tödtend1)."  Dies  giebt  dem 
Schriftsteller  Anlass  von  seiner  Autopsie  der  Niobe  am  Sipylos  zu  berichten. 

Es  sind  zunächst  bei  dieser  Nachricht  zwei  Punkte  nicht  klar.  Erstens 
wo  befand  sich  die  Darstellung  vom  Tode  der  Niobiden?  in  der  Grotte 
oder  am  Dreifuss,  innerhalb  desselben?  Zweitens  welcher  Gattung  gehört 
die  Darstellung  an,  den  freien  Statuen  oder  dem  Relief  ?  denn  von  einem  Ge- 
mälde kann  hier  keine  Rede  sein.  Beide  Fälle  der  ersten  Frage  sind  den 
Worten  und  der  Sache  nach  möglich;  für  das  Letztere  haben  sich  nach  an- 
deren, so  den  Herausgebern  von  Stuarts  Alterthümern  von  Athen2),  Welcker 
bestimmt  ausgesprochen3),  für  das  Erstere  Westermann4)  und  Schubart5); 
Böckh8)  äussert  sich  darüber  nicht  specieller.  Sehen  wir  uns  die  Worte 
des  Pausanias  genau  an,  so  ist  ihm  sichtlich  die  Grotte,  welche  als  eine 
künstlich  erweiterte  und  ausgeschmückte  zu  betrachten  ist,  wie  die  mehr- 
fachen Grotten  um  die  Akropolis,  so  besonders  die  von  ihm  erwähnten  des 
Pan  und  des  Apollo  an  der  Nordostecke7),  dem  Maxgal  genannten  Theile 
der  Felsen,  von  Interesse.  Dass  sie  einer  Gottheit  geweiht  sei,  erwähnt  er 
nicht,  sie  lag  jedenfalls  noch  hart  innerhalb  der  Gränze  des  dionysischen  Be- 
zirkes (h  diovveov).  Von  ihr  sagt  er  aus,  dass  auch  auf  ihr  ein  Dreifuss  sich 
befinde.  Dieses  auch  (sneoTi  xal  xoixtp)  bezieht  sich  am  einfachsten  auf 
die  unmittelbar  vorhergehende  Worte :  inl  tovtov  —  ävdxeiTCti :  die  Mauer 
mit  der  Medusa  darauf,  die  Grotte  mit  dem  Dreifuss  darauf  entsprechen  sich. 
Das  Eine  zieht  unwillkürlich  die  Erwähnung  des  Andern  nach  sich.  Da  der 
Schriftsteller  in  den  letzten  Paragraphen  vorher  gar  nicht  von  Dreifiissen  ge- 
sprochen hat,  die  allerdings  so  gut  wie  in  der  Tripodenstrasse  auch  im  Peri- 
bolos  des  Dionysosheiligthums  vielfach  aufgestellt  waren,  so  ist  diese  Be- 
ziehung zu  andern  aufgestellten  Dreifiissen  auch  hier  nicht  die  zunächstlie- 
gende, ja  sie  würde  rein  unverständlich  geblieben  sein.  Nun  kommt  nach 
kurzen,  parenthetisch  zu  fassenden  Worten,  der  Hauptpunkt  bei  der  Grotte,  die 


1)  Paus.  I.  21,  5 :  iv  J*  tjj  xoovifij  rov  diargov  anr^Xaiov  iartv  iv  ratg  nijQnig  vnb  tjji> 
äxQonoXtf  TQtnoug  tfk  entern  xal  rovttp'  IdnoXXtav  6h  iv  avrtp  xal  jiQttfAig  rovg  natdag 
tlatv  avaioouvtes  rijs  Nioßrjs. 

2)  D.  Ausg.  II.  S.  16. 

3)  Alte  Denkmäler  I.  S.  232. 

4)  Act.  soc.  graec.  I.  p.  183. 

5)  Uebers.  d.  Pausanias.  Stuttg.  1857.  I.  S.  47. 
0)  C.  1. 1.  I.  ad  n.  224. 

7)  Paus.  I.  28,  4:  ni\yi\  re  vöatog  iori  xal  nXr^alov  'AnoXXtovog  Uqov  iv  anrjXn^)  xal 
Havog,  dazu  Göttling  gesamm.  Abhdl.  I.  S.  100 — 115,  dessen  Vermuthung  von  einer  Ver- 
legung des  Apolloheiligthums  von  jenem  mehr  östlich  gelegenen  unterirdischen  Gange  aus 
der  N&he  des  Erechtheion  nach  der  durch  Pausanias  und  in  schriftlich  bezeugten  Stätte 
ich  nicht  theilen  kann. 

Stark,  Niobe.  8 


114  Zweites  Kapitel. 

Darstellung  des  Niobidenunterganges,  der  den  Autor  zu  jenen  persönlichen 
Exkurs  veranlasst  und  zwar  zur  Schilderung  jener  in  einer  flachen  Grotte 
gearbeiteten  Niobe  am  Sipylos.  Und  da  wird  man  nur  einfach  das  iv  attip 
auf  den  Ilauptgegenstand,  auf  das  antjkaiov  beziehen. 

Schwerlich  würde  auch  Pausanias  von  Bildwerken,  die  unter  dem  Drei- 
fusse  standen  oder  an  ihm  als  Reliefs  sich  befanden,  den  Ausdruck  kv  avrco 
gebraucht  haben.  Wo  er  von  den  ehernen  Dreifussen  der  Tripodenstrasse 
spricht,  die  berühmte  Bildwerke  unter  sich  aufzuzeigen  hatten,  braucht  er 
den  Ausdruck  :  7teQU%ovv£gx) ;  bei  den  berühmten  amykläischen  Dreifussen 
mit  Werken  des  Gitiadas  und  Kallon  bezeichnete  er  ihre  Oertlichkeit  durch 
vno  mit  dem  Dativ2). 

Wir  haben  nach  alledem  die  Niobidendarstellung  in  jene  weitgeöffhete 
Grotte  zu  versetzen,  wie  andere  mit  Anathemen  von  Statuen  und  Reliefs  oder 
doch  mit  dazu  bereiteten  Plätzen  uns  an  der  Akropolis  und  sonst  auf  das 
Mannigfaltigste  bezeugt  sind.  Die  zweite  Frage,  die  dann  noch  Pausanias 
uns  offen  lässt,  ob  wir  nämlich  eine  Statuenreihe  oder  eine  Rciiefcömposition 
anzunehmen  haben,  lässt  sich  nicht  so  unbedingt  beantworten.  Waren  es 
Statuen,  so  haben  wir  sie  uns  in  kleinerem  Massstabe  ausgeführt  zu  denken, 
ebenso  wie  darüber  von  der  Mauer  des  Akropolis  die  nur  zwei  Ellen  hohen 
Statuen  der  bereits  erwähnten  Schlachtcompositionen  ragten.  Jedenfalls 
mussten  diese  Statuen  an  der  Wand  der  Grotte  für  den  Vorderanblick  berech- 
net sein ;  bei  ihnen  fehlt  entschieden  Apollo  und  Artemis,  wohl  an  den  Ecken 
gestellt,  nicht.  Die  ganze  Compositum  hat  sich,  wenn  sie  nicht  die  des 
Hautreliefs  war,  demselben  in  der  Wirkung  sehr  genähert.  Ob  das  Material 
Marmor  oder  Erz  war,  das  ist  von  vornherein  nicht  zu  entscheiden.  Marmor 
möchte  nach  dem  Ort  der  Aufstellung,  nicht  unter  freiem  Himmel  und  nach 
der  Zeit  der  Entstehung  das  Wahrscheinlichere  sein.  Uebrigens  begegnen 
wir  auch  entschiedenen  Erzbildungen  der  Niobiden. 

Wir  müssen  nun  weiter  gehen  zunächst  zur  Frage  nach  der  Entste- 
hungszeit, dem  Verfertiger  oder  Stifter,  dann  aber  vor  allem  auch  nach 
der  inneren  Begründung  dieser  Darstellung  an  dieser  Stätte.  Die  ersten 
Punkte  scheinen  sich  für  den  ersten  Blick  heutzutage  durch  ein  literarisches 
nnd  durch  inschriftliche  Zeugnisse  sehr  glücklich  zu  erledigen  und  doch  ist 
dies  bei  genauer  Be trachtung  nicht  so  ganz  der  Fall.  Harpocration,  aus  dem 
Suidas  und  Photios  den  Artikel  entnehmen,  hat  zu  dem  Worte  xatcrto/urj, 
welches  die  bestimmte  Oertlichkeit  des  in  die  Felswand  für  das  Theater  ge- 


ll I.  19,  1. 

2)  III.  18,  5:  —  xal  TQtnoüeg  xalxot  —  vno  filv  dt}  r$  nqüirtp  —  vno  lovtop;  es  sind 
dies  tnttfyyaafiiva.    IV.  14,  2:  —  vno  t$  tqi'tioJi  j(p  nQiortp  —  vno  rp  dhvriQOt  —  vfr 


Plastische  Werke  der  attischen  Schule  in  Hellas.  115 

machten  Einschnittes  bezeichnet !) ,  eine  Stelle  des  Hypereides  und  eine  des 
Philochoros  im  sechsten  Buche  seiner  Atthiden  angeführt.  In  der  letzteren 
steht :  „Aischraios  aus  Anagyrus  weihte  den  über  dem  Theater  befindlichen 
Dreifuss  ihn  versilbernd,  nachdem  er  ein  Jahr  zuvor  als  Chorag  mit  Knaben- 
chören gesiegt  und  machte  die  Inschrift  auf  den  Einschnitt  des  Felsens"2). 
Man  erklärt  nun  einfach  den  Dreifuss  über  dem  Theater  für  den  Dreifuss 
über  der  Höhle  des  Pausanias,  man  schreibt  weiter  demselben  Aischraios 
auch  die  Stiftung  der  Niobidendarstellung  zu. 

Dies  ist  durchaus  eine  unbegründete  Folgerung.  Vom  Dreifusse  des 
Aischraios  wissen  wir  nur,  dass  er  über  dem  &€<xtqov,  nicht,  dass  er  über 
dem  OTcrjkaiov  des  Apollo  stand ;  wäre  er  mit  jenem  des  Pausanias  identisch 
gewesen,  hätte  er  wahrscheinlich  die  bestimmtere  Bezeichnung,  dass  er  über 
dem  onfjkaiov  sich  befand,  erhalten,  wir  wissen,  dass  er,  eine  Seltenheit,  über- 
silbert  war  und  dass  darin,  nicht  in  einer  ausgezeichneten  Kunstdarstellung 
daran  oder  darin  sein  Kennzeichen  lag,  wir  wissen,  dass  die  den  Stifter  und 
die  Veranlassung  meldende  Inschrift  nicht  auf  einer  Basis,  sondern  unmittelbar 
auf  die  xaiazofiiij  %ijq  nezQag9  also  die  oberste  das  Theater  umschliessende 
geglättete  Felswand  eingehauen  war.  Danach  haben  wir  uns  diesen  Drei- 
fuss noch  unterhalb  der  Grotte,  vor  ihr  oder  mehr  zur  einen  Seite  auf  jener 
Felswand  aufgestellt  zu  denken8). 


1)  Pollux  IV.  19.  s.  123  führt  unter  den  Theilen  des  Theaters  auch  die  xaxaro^v  auf 
und  zwar  nach  den  Eingangsthoren  und  Gewölbpforte  (nvX\gt  yaXlg)  und  vor  den  xtQxCütg, 
den  Sitzabtheilungen. 

2)  Harpocr.  s.  v.  xararofiTj  I.  p.  101  ed.  Lips. :  'YntQitÖTie  Iv  t$  xara  /1i)^oa&irovg' 
xäl  xafrijfiiwg  xdd-cj  vno  TJj  xarttTOfirj,  <PiXo/oQog  ök  iv  ?*rt/  ovraig*  AlaxQaio$*AvayvQd- 
atog  avi&Tjx€  rov  vnkQ  &tdrgov  TQtnoJct  xajaQyvQUOae,  vtvixr\x<a$  t(p  ttqotsqov  £m  X0^' 
ywv  n mal  xa\  infyQCttyiv  ini  rrjr  xaTajo/uTjv  rijg  nijQag. 

3)  Die  zeitliche  Bestimmung  dieser  Weihung  des  Aischraios,  welche  uns  nun  zunächst 
nicht  mehr  interessirt,  aber  doch  für  die  Ausschmückung  dieser  ganzen  Oertlichkeit  am 
obent  Ende  des  Theaters  von  Interesse  ist,  lässt  sich  ziemlich  genau  geben  und  stimmt  mit 
den  nachher  zu  betrachtenden  inschriftlichen  Denkmälern  daselbst  gut  zusammen.  Philo- 
choros hatte  im  sechsten  Buche  seiner  Atthis  davon  gehandelt,  dies  Buch  umfasst  den 
letzten  seiner  unmittelbaren  Gegenwart  vorausgehenden  Zeit  und  zwar  nach  Böckhs  Be- 
stimmung von  Ol.  105,  3  —  Ol.  115,  2  =  358—319;  in  diese  Zeit  fällt  also  die  Choregie 
des  Aischraios.  Nun  aber  kennen  wir  jetzt  zwei  attische  Inschriften,  die  jener  Zeit  ange- 
hören und  für  die  Thätigkeit  und  angesehene  Stellung  eines  Aischraios  uns  Zeugniss  geben. 
Die  eine  bei  Rangab6  (Antiquites  Hellen.  II.  p.  766.  n.  1163)  ist  ein  Verzeichniss  von  Diä- 
teten  unter  dem  Archontat  des  Antikles,  also  aus  dem  Jahr  Ol.  113,  4  =  325,  da  wird  aus 
derselben  Phyle,  der  Erechtheis,  zu  der  der  Demos  Anagyrus  gehörte,  aus  dem  Demos  Ev- 
tovv/u&g,  der  yor  den 'dvttyvQaöioi  unmittelbar  in  der  Reihe  vorangeht,  ein  JloxQctTog  genannt 
Die  andere  Inschrift  (a.  a.  O.  II.  n.  813),  ein  Ehrendekret  der  avvodog  twv  negl  rov  /liovv- 
aov  TtxviTÜv,  welche  in  Eleusis  ein  Heiligthum  mit  Opfer  und  Päanen  gestiftet  hatte, 
nennt  ein  Archontat  des  Aischraios,  vier  Jahre  später  ein  solches  des  Seleukos,  erwähnt 
vor  dem  des  Aischraios  aber  einen  allgemeinen  Umsturz  {ntQtOTttoig),  der  auch  in  Eleusis 

8» 


1]6  Zweites  Kapitel. 

Wie  steht  es  aber  heutzutage  mit  jener  von  Pausanias  über  dem  Theater 
erwähnten  Grotte  und  etwaigen  in  der  Nähe  erhaltenen  choragischen  Denk- 
mälern ?  Ist  die  Zahl  der  letzteren  gerade  hier  über  dem  Theater  nicht  eine 
bedeutende  in  späterer  Zeit  gewesen?  Schon  Cyriacus  von  Ancona1)  (1435) 
hat  uns  davon  eingehende  Nachricht  gegeben  und  seitdem  haben  wir  Abbil- 
dungen und  Beschreibungen  der  freilich  später  noch  sehr  zerstörten  Stätte 
erhalten2).  Jene  Grotte  über  dem  Theater  ist  eine  kleine,  in  den  Felsen 
eingesenkte  Kirche  der  Panagia  Spiliotissa,  über  deren  Inneres  mir  leider 
eine  genauere  Auskunft  fehlt.  Vor  ihr  erhebt  sich  die  mit  drei  Pfeilern  zwei 
grosse  Eingänge  bildende,  mit  Gebälke  und  drei  Jiasen  bekrönte  Facade  des 
choragischen  Denkmals  des  Thrasyllos  aus  Dekelea  und  seines  Sohnes  Thra- 
syllos,  bei  Gelegenheit  zweier  Siege  aus  den  Jahren  Ol.  115,1  =  320,  und 
Ol.  127, 2  =  272  gestiftet;  auf  der  mittleren  Basis  befand  sich  die  nach  England 
gekommene  Statue  des  sitzenden  Dionysos,  rechts  und  links  Dreifüsse.  Aus- 
serdem hat  sich  daneben  noch  eine  choragische  Inschrift  auf  einem  Säulen- 
plinthos  bei  zwei  Säulen  mit  korinthischen  Capitälern 3)  und  eine  andere 
auf  dem  geglätteten  Felsen  selbst,  die  letztere  ausdrücklich  über  Weihung 
von  Dreifüssen  aber  aus  römischer  Zeit  gefunden.  Pausanias  muss  diese  Fa- 
cade des  Thrasyllos  mit  seinen  zwei  Dreifüssen  und  der  Statue,  die  Böckh 
erst  später  als  an  die  Stelle  des  Dreifusscs  getreten  glaubt,  die  sehr  wohl 
einen  Dreifuss  auch  neben  oder  über  sich  haben  mochte,  über  der  Grotte  ge- 
sehen haben,  hat  sie  aber  nur  ungenau  als  eine  durch  einen  Dreifuss  be- 
krönte bezeichnet,  wie  er  ja  auch  der  reichen  und  kostbaren  vataxot  mit 
Dreifüssen  in  der  Tripodenstrasse  nur  flüchtig  gedenkt.  Ihn  interessirten  die 
plastischen  Werke  im  Innern  der  Grotte  ihres  Gegenstandes  wegen. 

Dass  diese  Niobidendarstcllung  in  der  Grotte  von  Thrasyllos  d.  h.  von 
demselben,  der  die  reiche  Facade  davor  setzte ,  mit  aufgestellt  worden  ist, 


jene  Stiftung  betroffen.  Der  Name  Seleukos  weist  entschieden  auf  ein  Menschenalter  seit 
dem  Auftreten  Alexanders  des  Grossen.  Jener  Umsturz,  der  auch  Eleusis  betraf,  kann 
sich  auf  die  Eroberung  Attikas  durch  Antipatros  nach  dem  Lamischen  Krieg  (Ol.  114,  3) 
beziehen,  aber  viel  wahrscheinlicher  auf  die  Zeit  des  Olympiodoros  (Ol.  123,  2  =  287)  und 
auf  dessen  Eleusis  bewiesene  Hülfe  bei  einem  Angriff  der  Makedonier  (Paus.  1. 26S).  Nach 
alle  dem  ist  die  Choregie  des  Aischraios  jedenfalls  erst  in  die  allerletzten  der  von  Philocho- 
ros  im  sechsten  Buche  erzählten  Jahre,  also  um  Ol.  Jl.~>  =  320  zu  setzen. 

1)  lnscriptiones  seu  epigrammata  graeca  et  latina  reperta  per  lllyricum  etc.  Romae 
1747  p.  IX.  n.  71 :  sub  arce  ad  statuam  Gorgonis  ad  marmoream  et  ornatissimam  scenam 
prope  incisam  rupem  et  mira  ope  fabrefactum  specus. 

2)  Stuart  u.  Revett  Alterthümer  von  Athen.  D.  Ausg.  II.  Lief.  8.  PI.  1—5.  Text  11. 
S.  28 — 66;  Leake  Topographie  Athens  übers,  v.  Rienäcker.  S.  142 — 145. ;  Vischer  Erinner, 
u.  Eindrücke.  S.  163;  Böckh  C.  I.  1.  n.  224— 227  b.  j  Chandler  (Travels  in  Greece  p.  64) 
sah  in  der  sitzenden  Figur  eine  Niobe,  Stuart  den  Demos  oder  eine  Phyle. 

3)  O.  Müller  (in  Böttigers  Amalthea  I.  S.  128)  wollte  auf  eine  dieser  Säulen  den 
Dreifuss  des  Aischraios  versetzen. 


Plastische  Werke  der  attischen  Schule  in  Hellas.  J  \  7 

erscheint  sehr  möglich,  aber  nicht  sicher.  Wohl  aber  haben  wir  alle  Ursache, 
da  das  Theater  erst  seine  Vollendung  und  seinen  plastischen  Schmuck  in  der 
Finanzverwaltung  des  Lykurgos  erhielt  (Ol.  HO,  3  —  113,  3)  *),  da  die  cho- 
ragischen  Denkmäler  oberhalb  des  Theaters  erst  mit  Ol.  115  beginnen,  da 
dann  der  prachtvolle  Schmuck  der  Mauer  nach  dieser  Seite  in  sichtlicher  Be- 
ziehung zum  Anblick  aus  dem  Theater  steht,  auch  jenes  plastische  Werk 
im  Innern  der  künstlich  erweiterten  und  geöffneten  Grotte  auf  dem  Gipfel- 
punkt des  ganzen  Theaters  in  die  Zeit  am  Schluss  der  Verwaltung  des  Ly- 
kurgos oder  das  folgende  Jahrzehnt  zu  versetzen. 

JBöckh  hat  bereits  zur  Inschrift  des  Thrasyllos2)  die  Frage  kurz  behan- 
delt, warum  der  Niobidenstoff  zur  Darstellung  hier  gewählt  sei ;  er  bezieht 
ihn  spcciell  auf  die  Choregie  des  Thrasyllos,  durch  die  er  den  Sieg  gewonnen, 
auf  einen  Dithyrambus,  der  diesen  Mythus  behandelte.  Dass  in  solcher 
Weise  die  Wahl  der  plastischen  Darstellung  durch  ein  rein  historisches  Motiv 
bestimmt  würde,  scheint  mir  durchaus  nicht  antik  und  wäre  erst  durch  eine 
sichere  Analogie  wahrscheinlich  zu  machen.  Und  wie  gesagt,  das  Werk  in  der 
Grotte  gehört  durchaus  nicht  mit  Bestimmtheit  zu  dem  Siegesanathem  über 
derselben.  Wir  haben  doch  wohl  hier  allgemeinere  religiöse  und  poetische  Ge- 
sichtspunkte ins  Auge  zu  fassen  und  vor  allen  die  Bedeutung  der  Darstellun- 
gen in  dieser  Gegend  überhaupt  zu  beachten.  Dass  ein  hoch  tragischer  Stoff, 
der  bereits  auf  der  Bühne  dieses  Theaters  von  Athen  von  einem  Aeschylos 
und  Sophokles  den  Zuschauern  vorgeführt  war  und  von  Neuem  immer  vor- 
geführt ward,  wohl  sich  eignete  als  eine  Art  Schlusspunkt  der  künstlerischen 
Ausschmückung  des  Theaters  zu  dienen,  dass  Apollo  und  Dionysos  wie  zwei 
Pole  in  dem  griechischen  Glauben  einander  gegenüber  und  gerade  darin  so 
ergänzend  nahe  stehen  und  in  den  Gegenständen  und  Behandlungsweise  der 
dramatischen  Aufführungen  auf  das  Innigste  verbunden  sind,  dass  der 
Untergang  der  Niobiden  in  einer  Felsennische,  einer  Art  Felsengrab  aber 
sehr  passend  aufgestellt  ward,  das  sind  überhaupt  naheliegende  Betrachtun- 
gen. Aber  es  kommen  doch  noch  speciellere  Gesichtspunkte  hinzu.  Die 
früher  gegebene  Aufzählung  der  Kunstwerke  an  und  auf  der  Südostecke  der 
Akropolis  Hess  an  uns  den  Apollo  Parnopios,  die  Artemis  Leukophrycne,  Hess 
an  uns  die  mahnenden  Bilder  der  Besiegung  wilden  Uebermuthes  und  Bar- 
barei in  Giganten,  Amazonen,  Perser,  Gallier,  liess  an  uns  die  schreckende 
Aegis,  die  die  Göttin  der  Burg,  Athena  vor  allen,  aber  auch  der  die 
Feinde  schreckende  Apollo  führt,  vorüberziehen.  Ueberall  ein  einheitlicher 
Grundgedanke  im  Naturleben,  im  Mythus,  in  dem  geschichtlichen  Vorgang, 


1)  Böckh  Staatsh.  I.  S.  569—572;  II.  S.  112—142,  K.  F.  Hermann  Staatsalterth.  1. 
§  174b.;  dazu  eine  aufgefundene  Inschrift  aus  Ol.  112,  3  in  Archäol.  Anz.  1859.  April 
S.  124. 

2)  C.  I.  I.  p.  348. 


118  Zweites  Kapitel. 

derselbe  ist  nun  auch  lebendig  in  der  Niobidenscene  der  Grotte  unter  der 
Mauer.  Und  sollte  nicht,  wie  Apollo  neben  Pan,  dem  seit  der  Schlacht  bei 
Marathon  neu  aufgenommenen  Gott,  an  dem  Nordwestende  der  Akropolis 
als  V7caxQaloQ  verehrt  ward,  ihm  dort  die  Grotte,  die  Zeugin  seines  Liebes- 
glücks, seiner  Verbindung  mit  Kreusa,  seiner  Vaterfreude  an  Jon,  geheiligt 
war,  dort  seine  Beziehung  zu  der  Orakelstätte  Delphi  in  dem  Sohne  Jon,  in 
der  Blitzbeobachtung  für  die  py  thischen  Theorieen,  klar  hervortritt,  er,  als  rein 
ionischer,  nach  Kleinasien  weisender  Sonnenglut  und  deren  Plagen,  wie  sen- 
dender eben  so  auch  abwendender  Gott,  als  der  furchtbare  Gott  der  Todespfeile 
gegenüber  den  Niobekindem ,  als  Bekämpfer  feindlicher  Gewalten,  andern 
Felsabhang  des  Südostendes  nachbarlich  dem  Dionysos  verehrt  sein?  Sollte 
jene  Grotte  nicht  in  dieser  Beziehung  Apollo  auch  als  ein  VTiaxQCtiog,  nicht 
äxQCtlog,  was  er  in  Athen  nicht  war,  wesentlich  zugehört  haben ?  Haben  wir 
irgend  eine  Veranlassung,  die  Gründung  dieses  Grotteheiligthums  des 
Apollo  erst  nach  Benutzung  des  Felsabhanges  zum  Theater,  also  nach  den 
Perserkriegen  anzunehmen ?  Gewiss  nicht.  So  gewinnt,  wie  ich  glaube,  die 
ganze  Gruppe  der  Denkmale,  gewinnt  der  Niobidenuntergang  erst  unter  und 
mit  ihnen  die  volle  innere  Berechtigung. 

Also  auf  dem  Boden  Athens,  an  hochwichtiger  Stätte  sind  wir  einer  pla- 
stischen Darstellung  des  Mythus  begegnet,  allerdings  aus  jüngerer  Zeit  von 
einem  der  jüngeren  Genossen  der  zweiten  attischen  Schule  geschaffen. 

§  15. 
Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmythns  auf  dem  Boden  von  Born. 

Auf  dem  Boden  Roms  treten  ganz  um  dieselbe  Zeit  zwei  hochbedeu- 
tende Kunstwerke  griechischen  Ursprunges,  aber  verschiedener  Kunstgattung 
und  verschiedener  Entstehungszeit,  die  den  Niobemythus  zum  Gegenstand 
haben,  an  öffentlichen  und  religiös  geweihten  Stätten  auf;  sie  errregen  an 
und  für  sich  trotz  der  Schweigsamkeit  der  Berichte  das  grösste  Interesse  und 
von  ihnen  aus  haben  wir  den  überraschenden  Reichthum  der  plastischen 
Niobedarsellungen  in  dem  Bereiche  Roms  zu  datiren,  der  uns  aus  dem  Alter- 
thume  erhalten  ist  und  immer  neu  sich  aufthut.  Es  handelt  sich  um  die 
Marmorgruppe  der  sterbenden  Niobiden  in  dem  Tempel  des  Apollo  Sosia- 
nus  zu  Rom,  über  deren  Zugehörigkeit  zu  Skopas  oder  Praxiteles  die  Zeit 
des  Plinius,  überhaupt  die  römische  Kunstkennerschaft  schwankte.  Es  han- 
delt sich  zweitens  um  die  Elfenbeinreliefs  an  der  Thüre  des  Tempels 
des  Palatinischen  Apollo,  in  denen  die  Trauer  um  die  Leichen,  die  der  Tan- 
talostochter  gehören,  ausgeprägt  war. 

Plinius  behandelt  im  36sten  Buche  seiner  Naturalis  historia  die  Steine ; 
ehe  er  an  die  Marmorbearbeitung  und  Marmorarten  kommt,  schickt  er  den 
wichtigen,  gedrängten  Abschnitt  über  die  Künstler  in  Marmorarbeit  voran. 


Berühmte  griechische  "Werke  des  Niohidenmythus  etc.  119 

Auf  die  ersten  Begründer  des  Ruhms  in  diesen  Arbeiten  folgt  Pheidias  mit 
dem  Excurs  über  seine  allgemeine  Stellung  in  der  Kunstgeschichte  und  seine 
zwei  Schüler,  Alkamenes  und  Agorakritos,  dann  Praxiteles,  der  sich  selbst, 
seine  sonstigen  Arbeiten  in  Bronze  marmoris  gloria  übertraf,  ihm  wirdKephi- 
sodotos,  sein  Sohn  und  Schüler  beigefügt.  Mit  den  Worten  :  „die  ruhmvolle 
Leistung  des  Skopas  wetteifert  mit  diesen"  geht  Plinius  zu  der  Aufzählung 
der  Werke  des  Skopas  über  und  zwar  mit  Ausnahme  des  ersten  sind  es  lauter 
solche,  die  in  Rom  zu  finden  waren.  Die  Erwähnung  einer  nackten  Venus  des 
Skopas,  die  jeder  Praxitelischen  vorausstehe  und  jeden  anderen  Ort  berühmt 
machen  würde,  veranlasst  ihn  zu  der  Bemerkung,  dass  zu  Rom  die  Masse 
der  Kunstwerke,  auch  das  Vergessen  und  noch  mehr  die  Häufung  von  Dienst- 
und andern  Pflichten  alle  von  der  Betrachtung  abziehen,  weil  nur  bei  Leu- 
ten, die  Müsse  haben  und  bei  einer  grossen  Stille  des  Ortes  eine  solche  Be- 
wunderung sich  finde.  Aus  dieser  Ursache  kenne  man  auch  den  Künstler 
der  Venus  nicht,  welche  der  Kaiser  Vespasian  in  den  Bauten  seiner  Friedens- 
göttin geweiht  habe,  würdig  des  Ruhmes  der  alten*  Meister.  „Par  haesitatio 
est,  fährt  er  fort,  in  templo  Apollinis  Sosiani  Niobae  liberos  morientis  Scopas 
an  Praxiteles  fecerit2)".  Also  ein  gleiches  Schwanken  besteht  darüber,  ob 
die  im  Heiligthum  des  Apollo  Sosianus  befindlichen  sterbenden  Kinder  der 
Niobe  Skopas  oder  Praxiteles  gefertigt  habe;  gleich  doch  wohl  jener  Un- 
kenntniss  über  den  Urheber  der  Venus.  Zu  diesem  Schwanken  über  die  Au- 
torschaft des  Skopas  oder  Praxiteles  werden  sofort  noch  zwei  Beispiele  bei- 
gebracht, durch  item  eingeführt :  das  des„Janus  pater  in  suo  templo  dicatus  ab 
Augusto  ex  Aegypto  advectus",  der  zu  Plinius  Zeit  vergoldet  war,  dann  mit 
similiter  der  blitzhaltende  Cupido  in  curia  Octaviae,  über  den  man  nur  be- 
haupte, dass  er  den  Alcibiades,  die  in  jener  Zeit  schönste  Erscheinung  dar- 
stelle. An  demselben  Ort  (in  eadem  schola)  schliesst  Plinius  dann  an,  ge- 
fallen noch  viele  Werke  ohne  Namen  der  Künstler  (sine  auetoribus) ;  vier 
Satyrn  in  Gruppe  und  zwei  Aurae  werden  angeführt.  Ebenso  gross  ist  die 
Streitfrage  (nee  minor  quaestio  est]  bei  zwei  Gruppen  in  den  Saepta,  Olym- 
pus und  Pan,  Chiron  und  Achilles,  wer  sie  gemacht  habe,  besonders  da  die 
allgemeine  Stimme  sie  der  höchsten  Befriedigung  würdig  erachte  (praesertim 
cum  capitali  satisdatione  fama  judicet  dignos) .  Damit  schliesst  dieser  Exkurs 
und  Plinius  kehrt  mit  den  Worten :  „Scopas  habuit  aemulos  eadem  aetate" 
zur  geschichtlichen  Aufzählung  der  Künstler  in  Marmor  zurück. 


1)  Scopae  laus  cum  his  certat  XXXVI.  4,  5. 

2)  Handschriftliche  Lesarten  nach  Sillig  T.  V.  p.  304 :  Sosiani.  cod.  Bamberg.  Sosia 
cod.  Paris,  reg.  6797,  6861.  Sosiani  cod.  Monac.  Niobae  liberos  morientes  cod.  Bamb.  et 
Tolet. ;  in  tobe  liberos  morientes  cod.  Reg.  6797 ;  nitobe  liberos  morientes  cod.  Voss.  Bic- 
card. ;  in  tobe  liberiis  morientes  cod.  Heg.  6801 ;  in  iebe  liberal  morientes  cod.  Monac. ; 
Nioben  cum  liberis  morientem  1.  vulgata. 


120  Zweites  Kapitel. 

Wir  mussten  die  ganze  Stelle  im  Zusammenhang  überschauen,  um  durch- 
aus so  allseitig  als  möglich  jene  kurzen  auf  die  Niobiden  bezüglichen  Worte 
auffassen  zu  können.  Also  wir  haben  es  überhaupt  mit  Marmorwerken  und 
deren  Künstlern  zu  thun ;  Plinius  hat  Praxiteles  bereits  behandelt,  stellt  als 
den  Rang  ihm  streitig  machend  in  der  anerkannten  Vortrefflichkeit  den  Sko- 
pas  hin1)  ;  unter  dessen  Werken  Plinius  fast  nur  in  Rom  befindliche 
nach  einem,  wie  dies  näher  von  Urlichs  und  Brieger  nachgewiesen  ist*),  ihm 
vorliegenden  periegetischen  Verzeichnisse  römischer  Kunstwerke  anfuhrt. 
Der  durch  die  treffliche  Venus  des  Skopas,  die  aber  in  Rom  weniger  beachtet 
ward,  eingeleitete  Exkurs  fuhrt  nun  Werke  in  Rom  auf,  die  durch  die  be- 
sonderen in  Rom  der  Kunstbetrachtung  und  Ueberlieferiing  der  zu  den  Wer- 
ken gehörigen  historischen  Notizen  feindlich  entgegenstehenden  Verhältnisse 
entweder  ganz  ihren  Künstlernamen  eingebüsst  haben,  oder  wo  ein  Schwan- 
ken zwischen  den  Urhebern  und  zwar  zwischen  Skopas  und  Praxiteles  einge- 
treten sei.  Die  vorstehende  Bemerkung  über  die  Venus  im  Bereiche  des 
Fricdenstompels  des  Vespasian  erscheint  als  eine  auf  persönlicher  Anschau- 
ung ruhende,  aus  persönlichem  Interesse  für  die  Werke,  die  in  der  Gegenwart 
und  zwar  durch  Vespasian  aufgestellt  waren,  eingefügte,  während  die  Be- 
merkungen über  die  folgenden  Werke  ganz  wieder  den  Charakter  jenes  pe- 
riegetischen Verzeichnisses  an  sich  tragen. 

Wir  haben  dabei  örtlich  gefasst  also  ein  Werk  im  Tempel  des  Apollo 
Sosianus ,  ein  anderes  in  einem  Tempel  des  Janus,  ferner  eines  in  der  curia 
Octaviae,  d.  h.  dem  mit  den  porticus  Octaviae  verbundenen  Saale  der  Biblio- 
thek, der  für  Senatssitzungen  auch  benutzt  wurde8).  Diese  letzte  Oertlich- 
keit,  die  als  schola  auch  bezeichnet  wird,  veranlasst  ausdrücklich  nun  die 
Erwähnung  anderer,  Skopas  und  Praxiteles  gar  nicht  berührender  Werke. 
Daran  reihen  sich  zwei  Kunstwerke  in  Saeptis,  d.  h.  den  mit  grosser  Pracht 
in  Marmor  von  Julius  Caesar  und  Agrippa  ausgeführten  Hallen  um  den  zur 
Abstimmung  des  Volkes  bestimmten  freien  Raum4). 

Für  unsere  Aufgabe  verlangen  nun  eine  Reihe  von  Fragen  ihre  Behand- 
lung. Zunächst  was  hat  es  mit  dem  templum  Apollinis  Sosiani  für  eine  Be- 
wandtniss  ?   Woher  der  Name  und  was  lässt  sich  von  seiner  Stiftungszeit  und 


1)  Zeitlich  hat  er  beide  Künstler  in  seinem  Verzeichniss  L.  XXXIV.  8,  19.  s.  49  sehr 
getrennt,  Skopas  um  Ol.  90,  Praxiteles  um  Ol.  104  angesetzt,  während  ihre  Werke  sie  als 
fast  gleichalterig,  den  Skopas  nur  als  etwas  älter  erweisen.  Für  Skopas  Thätigkeit  steht 
die  Zeit  kurz  nach  Ol.  96,  2,  dann  Ol.  106,  1  und  Ol.  107,  2  fest;  die  letzten  Data  gelten 
auch  für  Praxiteles,  der  vielleicht  bis  Ol.  Jll,  2  reicht,  s.  Brunn  Gesch.  d.  gr.  Künstler 
I.  S.  318,  336. 

2)  Urlichs  Scopas  in  Attika  S.  10 ;  Brieger  de  fontfbus  libror.  XXXIII — XXXVI  natur. 
hist.  Plin.  Gryph.  1857.  p.  50,  70. 

3)  Becker  röm.  Alterth.  1.  S.  610  ff. 

4)  Becker  röm.  Alterth.  I.  S.  622  f.,  632. 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmythus  etc.  121 

Veranlassung  der  Gründung  herausstellen?  Wo  ist  er  örtlich  zu  suchen? 
Ferner  wie  ist  dies  in  templo  für  eine  Gruppe  von  Statuen  aufzufassen?'  Wo- 
her sind  sie  nach  Rom  an  diese  Stätte  gekommen?  Was  lässt  sich  für  die 
Gruppe  aus  den  Worten  des  Plinius  oder  andern  Zeugnissen  entnehmen  ? 

Apollo  Sosianus,  dem  also  in  Rom  ein  templum,  ein  geweihter  Ker 
zirk  mit  Gebäude  zugeschrieben  wird,  kommt  noch  einmal  vor  auch  bei  Pli- 
nius *) .  An  dieser  Stelle  ist  von  der  Ceder,  ihren  zwei  llauptgattungen,  von 
der  Ewigkeit  ihres  Holzes  die  Rede,  daher  habe  man  auch  die  Götterbilder, 
offenbar  die  Cultusbilder  aus  ihr  bereitet.  Als  Beispiel  folgt  der  knappe 
Satz :  cedrinus  est  Romae  in  delubro  Apollo  Sosianus  Seleucia  advectus.  Also 
das  Gottesbild  des  Apollo  Sosianus  war  von  Cederholz  und  ist  aus  einem  Se- 
leucia nach  Rom  zur  See  gebracht ;  natürlich  dann  erst  ein  ihm  zugehöriges, 
nach  ihm  genanntes  templum  gegründet  worden.  Die  letztere  Stelle  allein 
würde  es  allerdings  offen  lassen^  ob  das  Bild  nicht  überhaupt  in  einen  oder 
den  allen  sofort  verständlichen  Apollotempel  gekommen  sei,  die  Hauptstelle 
jedoch  lässt  darüber  keinen  Zweifel. 

Sosianus  ist  kein  griechisch  gebildeter2),  sondern  römischer  Beiname; 
mag  daher  auch  der  Stamm  des  Wortes  auf  Soter,  Sosos,  Sosias,  auf  einen 
dem  Apollo  entsprechenden  Begriff  zurückgehen,  so  hat  damit  dasselbe  doch 
zunächst  nichts  zu  thun,  vielmehr  kann  es  mitHarduin  einzig  richtig  nur  von 
einem  Sosius  abgeleitet  werden,  der  der  Ueberbringer  und  Weiher  dieser 
Statue  in  Rom  war.  Ganz  in  derselben  Weise  gab  es  einen  Herculus  Sylla- 
nus8),  erwähnt  Plinius  eine  Minerva  quae  diciter  Catulina,  ein  Werk  des 
Euphranor,  von  Q.  Lutatius Catulus  in  Rom  unterhalb  des  Capitols  geweiht4) 
und  werden  Marmorarten  Luculleum,  Augusteum,  Tibereum  genannt5).  Nun 
kennen  wir  nur  Einen  Sosius,  welcher  militärisch  und  politisch  eine  Rolle 
gespielt  hat  und  zwar  gerade  im  Orient,  aus  dem  jene  Apollostatue  noto- 
risch stammte,  dem  zugleich  bei  Gelegenheit  eines  Triumphes  eine  grössere 
religiöse  Stiftung  mit  allem  Rechte  zugeschrieben  werden  kann.  Es  ist  dies 
C.  Sosius,  dessen  Thätigkeit  in  der  Zeit  zwischen  Pompejus  Untergang  und 
der  Schlacht  bei  Actium  ihren  Höhepunkt  erreicht  hatte. 

Er  gehörte  zur  Optimatenpartei,  war  Quästor  unter  M'  Lepidus,  dem 
Consul  vom  Jahr  6  6/65  Ä),  war  Prätor  im  Jahr705  a.u  c.  =  49,  ward  von  Cicero 
auf  Formianum  als  Ueberbringer  eines  Briefes  von  Pompejus  gesehen,  zieht 
es  vor  als  Prätor  in  Rom  zu  bleiben,  statt  auf  den  Wunsch  des  Pompejus  nach 

1)  H.  N.  XIII.  5,  11. 

2)  Die  Endung  avo$  und  rjrog  findet,  sich  bei  Ortsadjectiven  und  zwar  abgeleitet  von 
kleinasiatißchen  Ortsnamen  sehr  häufig,  nie  aber  von  Personennamen. 

3)  Curios.  urb.  Romae  Reg.  V.  bei  Becker  Rom.  Alterth.  I.  S.  548,  713. 

4)  Plin.  H.  n.  XXXIV.  8,  19.  §.  77. 

5)  Plin.  H.  n.  XXXVI.  7,  11. 

6)  Drumann  Geschichte  Roms  etc.  I.  S.  4, 11,  15. 


122  Zweites  Kapitel. 

Brundisium  zu  gehen !) .  Wir  finden  ihn  dann  im  J.  716a.  u.  c.  =  38  von  An 
tonius  zu  seinem  Legaten  in  Syrien  und  Cilicien  gemacht,  er  unterwirft  die 
Aradier,  welche  vor  Antonius  die  Thore  geschlossen,  besiegt  den  auf  die  Par- 
ther sich  stützenden  Antigonus,  König  von  Judäa,  zieht  an  der  phönicischen 
Küste  hin  auf  Jerusalem  zu,  belagert  mit  Herodes  Jerusalem  und  erobert  es 
im  furchtbar  hartnäckigem  Kampfe  von  Punkt  zu  Punkt.  Antigonus  wirft 
sich  ihm  zu  Füssen,  wird  aber  wie  ein  Weib  verächtlich  behandelt,  Herodes 
sucht  Sosius  zur  Schonung  gegen  die  eroberte  Stadt  zu  bestimmen  und  be- 
schenkte ihn  auf  das  Königlichste.  Dieser  weiht  einen  goldenen  Kranz  an 
Jehovah  und  zieht  ab2).  Um  den  Neid  des  Antonius  über  den  Ruhm  und 
das  Kriegsglück  seines  Legaten  nicht  zu  reizen,  hielt  sich  Sosius  die  übrige 
Zeit  seiner  militärischen  Verwaltung  in  Syrien  und  Cilicien  möglichst  ruhig 
und  ging  dann  nach  Korn  zurück,  wo  wir  ihn  seinen  Triumph  ex  Judaea  im 
selben  Jahre  mit  T.  Statilius  Taurus  und  C.  Norbanus  Flaccus,  am  3.  Septbr. 
35  halten  sehen8). 

Im  J.  33  tritt  er  mit  Domitius  Ahenobarbus  infolge  der  bei  Misenum 
zwischen  den  Triumvirn  getroffenen  Verabredungen  das  Consulat  an ,  greift 
sogleich  Octavianus  in  seiner  Bede  offen  an  und  lobt  den  An  tonius;  dies  fuhrt 
zum  feindlichen,  offenen  Auftreten  des  Ersteren  im  Senate  und  in  Folge  dessen 
verlassen  beide  Consuln  Rom,  um  zu  Antonius  zu  gehen4).  Wir  finden  ihn 
dann  in  der  Schlacht  beiActium  als  Feldherr  mit  Domitius  Ahenobarbus  wie- 
der ;  er  war  es,  der  am  Tage  vor  der  Entscheidung  einen  zuerst  glücklichen 
Ueberfall  der  feindlichen  Flotte  unternahm.  Er  floh  nach  der  Entscheidung 
der  Schlacht,  hielt  sich  versteckt,  wurde  erst  spät  aufgefunden,  aber  trotz 
seiner  heftigen  Parteinahme  gegen  Augustus  von  ihm  auf  Fürsprache  des 
L.  Arruntius  besonders  begnadigt5).  Damit  schliesst  immerhin  noch  glück- 
lich die  öffentliche  Laufbahn  des  Mannes. 

Die  Fortschaffung  der  cedernen  Apollostatue  von  Seleucia,  mag  dies  nun 
Seleucia  in  Pieria,  der  Hauptstapelplatz  an  der  Küste  Syriens,  nahe  der  Mün- 
dung des  Orontes  oder  Seleucia  in  Cilicia  Tracheotis,    etwas  oberhalb  der 


J)  Cic.  ad  Att.  VIII.  6;  IX.  1.  Zu  C.  Sosius  s.  Drumann  a.a.O.  I.  S.  J46  ff.,  432, 
435,  446,467,  478,  481,  466. 

2)  Cass.  Dio  XLIX.  22:  unter  Claudius  Norbanus  cos.  rd'Co$  örj  Hoaaiog  rr/r  aQxh* 
tt/s  re  2vqCag  xai  rrje  Kilixtag  naq  avrov  Xaßmv  xrX.,  ebendas.  41 ;  Joseph.  Antt.  Jud. 
XIV.  16,  1—4 ;  XV.  I,  1 ;  Plut.  V.  Anton.  34. 

3)  Cass.  Dio  XLIX.  22 ;  Fasti  triumph.  bei  Baiter  Onomast.  Tullian.  p.  CLXI :  C. 
Sosius  C.  f.  T.  n.  pro  Cos.  ex  Judaea  ann.  DCCXIX.  III.  Nonas  Septembr. 

4)  Cass.  Dio  L.  2  j  Appian.  bell.  civ.  V.  73 ;  Com.  Nep.  V.  Attic.  21 ;  Sueton.  Octav.  17. 

5)  Cass.  Dio  L.  14;  LI.  2,  wo  eine  Anspielung  auf  die  Bedeutuug  de»  Namens  offen- 
bar beabsichtigt  war :  xal  iv  plv  lovioig  ort  Zoaaiog  ini(pavijg  tyivtro,  noXXdxig  re  yaQ  itr- 
1 1 7i oXi/uijOag  avrtp  xal  ton  (fvyav  *al  xaraxQU(f&tlg  XQov<i>  T*  votcqov  tVQt&iU  ijuvs  lon&rj. 
Vgl.  auch  Vell.  Paterc.  II.  83. 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmythus  etc.  1 23 

Küste  am  schiffbaren  Kalykadnos  sein,  die  Weihung  in  Rom  in  einem  eige- 
nen Gebäude,  der  weitere  plastische  und  sonstige  Schmuck  desselben,  kann 
natürlich  nur  nach  Ablauf  der  Verwaltung  Syriens  und  Ciliciens  und  zwar  im 
Zusammenhang  mit  dem  glänzenden  Triumphe  von^C.  Sosius  durchgeführt 
sein,  vor  seinem  Entweichen  aus  Rom.  Und  wir  müssen  sagen,  es  ist  gänz- 
lich unwahrscheinlich,  dass  erst  später  in  diese  Stiftung  eines  Gegners  des 
Augustus,  eines  glücklicherweise  noch  Begnadigten  noch  berühmte  und  aus- 
gezeichnete Kunstwerke  gekommen  sind ;  vielmehr  werden  auch  sie  gleich 
mit  dem  Gründer  als  glänzendes  Siegesdenkmal  aus  Asien  nach  Rom  ge- 
wandert sein.  In  der  That  war  auch  gerade  die  Aufstellung  des  Hauptgottes 
des  hellenistischen  Syriens  und  Ciliciens1)  in  einem  dort  acht  einheimischen 
Materiale  und  dortiger  herrschender  Bildung  mit  Pfeil  und  Bogen  zu  Rom 
ebenso  bezeichnend  für  den  siegreichen  Verwalter  Syriens,  als  dann  der  Un- 
tergang der  Kinder  der  Niobe,  dieses  mythische  Prototyp  einer  gänzlichen 
Vernichtung  sich  überhebender  menschlicher  Fülle  und  Schönheit  wohl  an 
die  Besiegung  Judäas,  an  das  furchtbare  Strafgericht  über  Jerusalem  erinnern 
mochte. 

Wo  in  Rom  haben  wir  aber  diesen  Tempel  des  Apollo  Sosianus  und  mit 
ihm  die  Niobidengruppe  zu  suchen?  Wie  schwankend  darüber  die  Ansich- 
ten sind,  ergeben  die  ganz  sich  widersprechenden  Aeusserungen,  die  zwei 
ausgezeichnete  Kenner  der  römischen  Topographie  in  den  letzten  Jahren 
darüber  gethan  haben.  Urlichs  spricht  in  der  Erklärung  der  Hauptstellen 
in  seiner  Chrestomathia  Pliniana  p.  383  einfach  aus:  „der  Tempel  befand 
sich  auf  dem  Palatin",  Preller  dagen  in  der  römischen  Mythologie  S.  275. 
276  berichtet:  „es  scheint,  dass  der  alte  Tempel  (nämlich  vor  der  Porta  Car- 
mentalis)  zur  Zeit  des  August  von  C.  Sosius  kunstvoller  ausgebaut  und  bei  der 
Gelegenheit  mit  einem  neuen,  von  Seleucia  nach  Rom  geführten  Bilde  des 
Apollo  von  Cederholz  und  jener  berühmten  Gruppe  der  Niobiden  ausgestattet 
wurde"2),  aber  hielt  es  auch  für  möglich,  dass  dieser  Tempel  in  der  Nähe 
des  grösseren  war,  vorzüglich  zur  Aufnahme  jener  seltenen  Kunstwerke  be- 
stimmt. Eine  genaue  Vergleichung  der  auf  Apollotempel  in  Rom  bezüglichen 
Stellen  und  Erwägung  der  obigen  Nachrichten  über  C.  Sosius,  sowie  die  Be- 
achtung der  an  jener  Stelle  des  Plinius  sonst  genannten  Oertlichkeiten  führt 
zur  entschiedensten  Befestigung  der  zuletzt  von  Preller  aufgestellten  Ver- 
muthung. 


1)  Vgl.  des  Verf.  Gaza  und  die  philistäische  Küste  S.  568  f.  Eine  interesante  Parallele 
bietet  die  Ueberführung  des  avulsum  sedibus  simulacrum  Comei  (ob  Cometae  oder  Cumaei) 
Apollinis  nach  Rom  in  den  Tempel  des  Apollo  Palatin us  aus  dem  von  L.  Verus  eroberten 
Seleucia  am  Tigris  Amm.  Marc.  XX1I1.  6. 

2)  Becker  Rom.  Alterth.  I.  S.  605.  Anm.  1274  bezieht  auch  den  Namen  auf  eine  spä- 
tere Wiederherstellung  des  alten  Tempels. 


1 24  Zweites  Kapitel. 

Wir  wissen  aus  Asconius1)  auf  das  Bestimmteste,  dass  vor  dem  Bau  und 
der  Dedication  der  Apollotempel  auf  dem  Palatinus  durch  Augustus,  der  vor 
der  Schlacht  bei  Actium  allerdings  schon  gelobt,  aber  erst  nach  derselben  und 
nun  ganz  in  Bezug  auf  dieselbe  ausgeführt  und  im  J.  726  =  2S  v.  Chr.  ge- 
weiht ward,  ein  Tempel  mit  Cult  des  Apollo  nur  ausserhalb  der  porta  Car- 
mentalis  zwischen  dem  Oelmarkt  und  dem  circus  Flaminius  bestand,  wir  wis- 
sen ferner,  dass  der  Tempel  des  Apollo  Palatinus  auf  dem  durch  Blitzstrahl 
dazu  bezeichneten  Grund  und  Boden  des  von  Octavian  bewohnten  Hauses 
des  Hortensius  und  der  von  ihm  eigens  dazu  gekauften  Häuser  errichtet 
ward,  indem  natürlich  die  Area  des  Tempels  nun  abgetrennt  von  dem  übri- 
gen Grund  und  Boden  zu  einer  res  publica  erklärt  ward2).  Ist  es  nun  glaub- 
lich, ja  möglich,  dass  C  Sosius,  der  heftigste  Gegner  des  Octavianus,  seine 
Stiftung  infolge  der  unter  Antonius  erfochtenen  Siege  auf  dem  Palatin,  im 
Bereiche  des  Privatbesitzes  des  Octavianus  gemacht  habe,  ja  dass  dies  ge- 
schehen sei  vor  der  Gründung  jenes  Tempels,  in  der  Zeit  als  Octavian  ihn 
zu  errichten  versprach  ?   Gewiss  nicht. 

Nun  haben  wir  sonst  nicht  apollinische  Stätten  in  Rom,  die  doch  trotz 
des  Zeugnisses  des  Asconius  über  August's  Zeit  hinaufreichten  neben  jenem 
Heiligthum  in  den  prata  Flaminia?  Allerdings  sehen  wir  in  der  ersten  Re- 
gion der  Porta  Capena,  im  Curiosum  urbis  Romae  eine  area  Apollinis  et 
Spenis  (Spei  jüngere  Lesart)8),  aber  die  Bezeichnung  area  weist  im  Unter- 
schied von  templum  und  aedes  doch  nur  auf  einen  freien  Platz  hin,  der,  wie 
er  als  pannaria,  carnicae,  radicaria  von  den  dort  vor  allem  aufgehäuften  Dingen 
genannt  wird,  so  hier  allerdings  von  einer  Apollostatue  oder  Apollogruppe. 
Dem  Apollo  Sosianus  kommt  aber  ein  eigenes  delubrum  oder  templum  zu. 
Sonst  finden  wir  nur  einzelne  Apollostatucn  und  zwar  ausgezeichnete  Kunst- 
werke, die  entweder  auf  der  Strasse  an  Kreuzwegen  und  kleinen  Plätzen  oder 
an  sonst  schon  geweihten  Stätten  und  öffentlichen  Anlagen  ständen,  erwähnt. 
Von  einer  wissen  wir  ausdrücklich  die  Aufstellung  durch  Augustus,  von  den 
meisten  anderen  ist  sie  sehr  wahrscheinlich,  so  kennen  wir  den  Apollo  Sanda- 
liarius  in  der  vierten  Region,  den  des  Friedenstempels4) ,  so  den  Apollo  Tortor5) , 

1 )  Ad  Ciceron.  orat.  in  toga  Candida  p.  90  ed.  Orelii. 

2)  Die  Stellen  s.  bei  Becker  röm.  Alterth.  1.  S.  425  ff.,  bes.  Cass.  Dio  XL1X.  15; 
Vellej.  II.  81 ;  Sueton.  Aug.  27.  Ein  Apolloheiligthum  auf  dem  Capitol  ist  falsch  geschlos- 
sen aus  einer  Stelle  des  Cassius  Dio.  Ueber  Apollodienst  th  Rom  vgl.  jetzt  W.  Schmitz 
in  Rh.  Mus.  N.  F.  XVII.  S.  323. 

3)  Becker  a.  a.  O.  S.  712,  dazu  S.  619.  Ist  hier  nicht  Supplicis  zu  lesen,  wie  der 
Knieende,  um  Gnade  Flehende,  Marsyas  selbst  oder  Olympos,  oder  der  Sklave  vor  Apollo 
auf  Denkmalen  so  häufig  erscheint?   Vgl.  Müller  Handb.  d.  Arch&ol.  §  362,  4. 

4)  Curios.  urb.  Rom.  bei  Becker  p.  725 ;  Sueton.  Octav.  57 :  ex  qua  summa  pretiosis- 
sima  deorum  simulacra  mercatus  vicathn  dedicabat  ut  Apollinem  Sandaliarium. 

5)  Sueton  Octav.  70 :  Caesarem  esse  plane  Apollinem  sed  Tortorem,  quo  cognomine  is 
deus  quadam  in  parte  urbis  colebatur.  Nach  der  obigen  Vermuthung  wäre  es  wohl  der 
vor  der  Area  in  der  Region  von  Porta  Capena  aufgestellte. 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidhenmythus  etc.  125 

so  der  Apollo  Caelispex  ')  zwischen  Porta  trigemina  und  Hercules  clivarius,  so 
der  Apollo  von  Elfenbein  im  Forum  des  Augustus2),  so  der  von  M.  Lucullus 
aus  Apollonia  am  Pontus  Euxinus  entführte,  auf  dem  Capitol  geweihte  Erz- 
koloss  des  Apollo  von  Kaiamis3),  so  eine  andere  Marmorstatue  des  Apollo 
von  Kaiamis  in  den  servilianischen  Gärten 4) .  Keiner  dieser  Apollostatuen 
kann  Apollo  Sosianus  sein. 

Wir  werden  nothwendig  hingewiesen  zu  dem  alten,  hoch  bedeutsamen 
Apolloheiligthum  vor  der  alten  Servianischen  Stadt  auf  den  prata  Flaminia. 
Bereits  in  der  Zeit  der  Decemvirn  finden  wir  dort  ein  Apollinare  oder  lucus 
Apollinaris,  wohin  man  den  Senat  ausserhalb  der  Stadt  beruft,  dann  ward 
also  die  aedis  Apollini  pro  valetudine  populi  bei  einer  Pest  gelobt  und  zweimal 
geweiht;  es  war  ein  Apollo  Medicus5).  Abgesehen  von  einzelnen  Beispielen 
von  Sühnumzügen,  welche  von  dem  Apolloheiligthum  ausgehend,  dann  durch 
die  porta  Cannentalis  sich  bewegten6),  sind  es  wesentlich  zwei  Beziehungen, 
in  denen  dasselbe  häufig  und  bedeutsam  hervortritt:  es  sind  dies  die  Se- 
hatsversammlungen,  die  hier  vor  dem  Thore,  zwischen  demselben  und  der 
an  der  Gränze  des  Marsfeldes  gelegenen  porta  triumphalis  gehalten  wurden  über 
die  Ertheilung  des  Triumphes  an  die  siegreichen  Fcldherrn7),  so  also 
schon,  um  bei  den  aus  Livius  bekannten  Beispielen  stehen  zu  bleiben,  im 
J.  30G  a.u.  c.  (446  n.  Chr.)8),  dann  im  J.  563  a.u.  c.  (191)  über  den  trium- 
phus  navalis  für  L.  Aemilius  Regillus9),  im  J.  565  a.  u.  c.  (189)  über  den 
Triumph  des  M.  Fulvius  Nobilior  über  die  Aetoler10),  im  J.  576  (1 78)  über  den 
Triumph  des  Tib.  Sempronius  über  Sardinien11). 

Die  andere  Beziehung  giebt  die  Einsetzung,  Erneuerung  und  immer 
reichere  Ausstattung  der  ludi  Apollinares,  welche  ebenfalls  in  einer  Pestilenz 
neben   der  von  Hannibal  drohenden  Gefahr  ihre  bestimmte  Veranlassung 


1)  Curios.  urb.  Rom.  bei  Becker  S.  714.  Der  Beiname  ist  entschieden  von  der  Stel- 
lung des  Hauptes  entnommen,  die  ihn  mit  Helios  auch  in  der  plastischen  Bildung  dann  zu- 
sammenfallen lässt,  ihn  als  Leiter  von  Sonne,  Mond  und  Gestirne  und  Deuter  aus  densel- 
ben bezeichnet,  also  etwa  ein  Loxias.  Vgl.  Gerhard  gr.  Mythol  I.  §  308. 

2)  Plin.  H.  N.  VII.  53  :  ante  Apollinem  eburnum,  qui  est  in  foro  Augusti. 

3)  Strabo  VII.  p.  319  a;  Plin.  XXXIV.  7,  39.  Appians  Angabe  (Illyr.  30) :  rbv  av«- 
x((fiirov  iv  lfalartq)  ist  dagegen  ein  Versehen  oder  alte  Verschreibung,  wohl  eine  Ver- 
wechselung mit  dem  ehernen  Tuscanicus  Apollo  im  palatinischen  Heiligthume. 

4)  Plin.  XXXVI.  30. 

5)  Die  Stellen  bei  Becker  a.  a.  O.  S.  605,  Preller  röm.  Mythol.  S.  268  ff. 

6)  Liv.  XXVII.  37  aus  dem  J.  545  a.  u.c.  =  209. 

7)  Der  technische  Ausdruck :  extra  urbem  in  aede  Apollinis. 
S)  Liv.  III.  63. 

9)  Liv.  XXXVII.  58. 

10)  Liv.  XXXIX.  4. 

11)  Liv.XLI.  17. 


126  Zweites  Kapitel. 

fanden,   in  denen  von  vorn  herein  die  Circusspiele ,    wie  die   dramatischen 
Darstellungen  einen  Bestandtheil  bilden f) . 

Damit  hängen  nun  auch  bedeutende  bauliche  Anlagen  und  zwar  mit  im- 
mer steigendem  Glänze  zusammen,  herrliche  Säulenhallen  mit  daran  stossen 
den  Säälen  und  Tempelgebäuden  in  der  Mitte,  die  das  Andenken  an  jene  hier 
zuerst  gestatteten  und  verkündeten  Triumphe  in  ihren  Namen,  wie  den  herr- 
lichen dort  aufgestellten  Kunstwerken  lebendig  erhalten  sollten,  andere,  die 
jenem  Festleben  unmittelbar  dienten.  Es  bildete  sich  hier  eine  grossartige 
Denkmälerwelt  für  die  Triumphe  der  römischen  Republik  bis  zur  Schlacht 
bei  Actium.  Zu  dem  Festleben  direct  gehört  der  Circus  Flaminius,  aller- 
dings schon  533  a.  u.  c.  =  221  eingerichtet,  mit  den  später  in  und  an  ihn  ge- 
bauten Tempeln,  auch  lauter  Denkmalen  von  Triumphen  selbst  bei  den  durch 
ihn  zuerst  ziehenden  Triumphzügen  neu  geschmückt2),  gehört  dann  aus  der 
Censur  des  M.  Aemilius  Lepidus  im  J.  573  a.  u.  c.  (181)  die  Errichtung  eines 
theatrum  et  proscenium  ad  Apollinis 3) ,  endlich  das  gewaltige,  mit  dem  Thea- 
ter des  Pompejus,  das  weiter  ans  Marsfeld  gerückt  war,  wetteifernde  Theater, 
welches  Cäsar  unternahm  und  Augustus  unter  dem  Namen  des  Marcellus  741 
weihte4),  auch  dieses  ist  ausdrücklich  ad  aedem  Apollinis  gegründet  und  in 
dem  Fragmente  eines  Calendariums  wird  nun  umgekehrt  von  Apollo  und 
Latona  ad  theatrum  Marcelli  gesprochen,  wie  andere  Gottheiten  nach  Circus 
Flaminius  und  Campus  Martius  daneben  genannt  werden.  Auch  das  gleich- 
zeitig dedicirte  Theater  des  Com.  Baibus  befand  sich  in  der  Nähe,  wie  aus 
Cassius  Dio5)  hervorgeht. 

Unter  der  ersteren  Gattung  steht  voran  die  Porticus  Metelli  oder  Porticus 
Octaviae,  erbaut  nach  dem  Triumph  über  Macedonien  von  Caecilius  Metellus 
Maccdonicus  im  J.  607  a.  u.  c.  <s  147,  erneuert  und  zu  Ehren  der  Octavia 
umgenannt  von  Augustus  und  mit  einer  schola  und  Bibliothek  darin  ausge- 
stattet; in  dieser  wie  in  den  beiden  Tempeln,  die  innerhalb  des  Porticus 
lagen,  waren  eine  Fülle  der  ausgezeichnetsten  Bildwerke  von  Phidias  bis 
zu  Pasiteles  herab  aufgestellt  In  der  unmittelbarsten  Nähe  dieser  Porticus 
finden  wir  aber  auch  einen  eigenen  Tempel  des  Apollo  erwähnt,  und  zwar 
sichtlich  benann  t  nach  dem  Meister  der  Apollostatue,  Philiscus  und  wesent- 
lich bestimmt,  diesen  sowie  Latona,  Diana,  die  neun  Musen  desselben  Mei- 
sters und  noch  zwei    andere  Apollostatuen  aufzunehmen6).     Von  wem  der 

1)  Stellen  bei  Preller  röm.  Mythol.  S.  269. 

2)  Becker  röm.  Alterth.  I.  S.  152  f. 

3)  Liv.  XL.  51. 

4)  Becker  röm.  Alterth.  I.  S.  603,  679. 

5)  LXVI.  24. 

6)  Flin.  n.  h.  XXXVI.  5,  4.  §  34 :  —  laudatur,  ad  Octaviae  vero  porticum  Apollo 
Philisci  Rhodii  in  delubro  suo,  item  Latona  et  Diana  et  Musae  novem  et  alter  Apollo  nu- 
dus.  Eum  qui  citharam  in  eodem  templo  tenet,  Timarchides  fecit,  intra  Octaviae  vero  por- 
ticus etc. 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmythus  etc.  127 

Bau  selbst  herrührt,  wissen  wir  nicht,  aber  es  ist  wahrscheinlich,  dass  er  zu- 
gleich mit  den  Porticus  von  Qu.  Metellus  Macedonicus  errichtet  wurde.  Hier 
haben  wir  also  ganz  dasselbe  Verhältniss  wie  bei  dem  Tempel  des  Apollo 
Sosianus ;  auch  jener  kann  kein  eigentlicher  Culttempel  gewesen  sein,  son- 
dern war  ein  Siegesweihgeschenk,  lokal  im  Zusammenhang  mit  dem  alten 
römischen  A  polloh  ei  Hg  thum.  Als  solche  Denkmale  des  Triumphes  stehen 
auch  alle  benachbarten  gleichen  Anlagen  da,  so  die  Aedes  Herculis  Musarum 
von  M.  Fulvius  Nobilior  nach  dem  ätolischen  Triumph  erbaut,  unter  Augu- 
stus  und  mit  dem  Namen  seines  Schwiegervaters  L.  Marcus  Philippas  er- 
neut4), so  die  porticus  Octavia,  errichtet  von  Cn.  Octavius  zufolge  des  tri- 
umphus  navalis  über  Perses  von  Macedonien  im  J.  586  =  1702),  ad  circum 
Flaminium  gelegen,  so  die  Tempel  des  Mars  von  Junius  Brutus  Callaicus, 
dem  Triumphator  von  617  über  Lusitani  und  Gallaeci,  auch  apud  circum  des 
Flaminius  gelegen,  der  des  Neptun  von  Cn.  Domitius  Ahenobarbas,  dem 
Triumphator  von  722  bereits  in  circo  Flaminio*).  Auch  in  allen  diesen 
Bauten  erregten  die  hier  aufgestellten  Kunstwerke  der  ersten  griechischen 
Künstler,  im  Triumph  wahrscheinlich  vorher  mit  aufgeführt,  ein  allgemeines 
Interesse.  Für  uns  hat  es  aber  ein  besonderes  Interesse  zu  hören,  dass  die 
beiden  ausgezeichnetsten  Parteigänger  des  Antonius,  im  Consulat  vereint, 
zum  Andenken  ihrer  Triumphe  vor  der  Schlacht  bei  Actium,  jener  C.  Sosius 
einen  Tempel  des  Apollo  mit  der  Niobidengruppe  des  Skopas  oder  Praxiteles, 
dieser  Cn.  Domitius  Ahenobarbus  einen  solchen  des  Neptun  mit  der  Achilles- 
und  Meergottgruppe  des  Skopas  errichteten  und  schmückten. 

So  sprechen  also  alle  aus  den  historischen  und  lokalen  Verhältnissen  ent- 
nommenen Gründe  entschieden  für  die  Auffassung  des  templum  Apollinis 
Sosiani  als  eines  solchen  religiösen  Triumphaldenkmals  und  für  seine  lokale 
Ansetzung  in  die  nächste  Umgebung  des  Apolloheiligthums  vor  der  Porta 
Carmentalis.  Nun  können  wir  auch  zu  der  Stelle  des  Plinius  zurückgekehrt 
die  Zusammenstellung  der  Oertlichkeiten  in  derselben  für  uns 
in  Anspruch  nehmen;  wenn  dort  Werke  des  Skopas  im  Tempel  des 
Cn.  Domitius  im  Circus  Flaminius,  dann  im  Tempel  des  Brutus  Callaecus 
bei  demselben  Circus,  dann  die  Niobiden  im  Tempel  des  Apollo  Sosia- 
nus, dann  ein  Janus  pater,  der  von  Augustus  aus  Aegypten  herbeigeschafft 
und  geweiht  war  im  steinernen  Tempel  —  und  es  kann  dies  nur  der  vor  der 
Porta  Carmentalis  gelegene,   von  C.  Duilius  infolge  des   ersten   Seesieges 


1)  Becker  röm.  Alterth.  I.  S.  6J2ff.  Die  Verbindung  des  Hercules  mit  den  Musae 
stellt  ihn  in  nahe  Beziehung  zu  dem  benachbarten  Apollo. 

2)  Becker  a.a.O.  S.6J7. 

3)  Becker  a.a.O.  S.  619.  Der  Ruhm  dieses  Cn.  Domitius  Ahenobarbus,  derauf  der 
Seite  des  Brutus  und  Cassius,  dann  des  Antonius  stand,  knüpfte  sich  besonders  an  seine 
treffliche  Flottenführung  (Sueton  Nero  3),  an  seinen  glänzenden  Sieg  bei  Brundisium. 


1 28  Zweites  Kapitel. 

der  Römer  gestiftete,  von  August  erneuerte,  von  Tiber  im  zweiten  Jahre  sei- 
ner Regierung  eingeweihte  Tempel  sein !)  — ,  dann  Werke  in  der  Schola  der 
Porticus  Octaviae,  endlich  Werke  in  den  an  den  Circus  Flaminius  grunzen- 
den Septa  aufgeführt  werden,  so  folgte  Plinius  wesentlich  der  Nachbarschaft 
der  Lokale. 

Glauben  wir  nun  die  Lokalität,  in  welcher  die  Niobidengruppe  sich  be- 
fand, im  allgemeinen  auf  dem  Boden  von  Rom  fest  bestimmt  zu  haben,  haben 
wir  zugleich  die  zeitlichen  Verhältnisse  und  die  obwaltenden  Gesichtspunkte 
bei  der  Gründung  und  Ausschmückung  des  Tempels  näher  kennen  gelernt, 
so  bedarf  die  weitere  Frage,  wo  in  diesem  Heiligt  h  um  nach  den  AVor- 
ten  des  Plinius  die  Gruppe  aufgestellt  war,  nun  einer  schärferen  Beachtung, 
umsomehr,  als  dies  für  die  Composition  selbst  von  ttiefgreifender  Bedeutung  ist. 
Die  Entscheidung,  ob  die  Worte  in  templo  Apollinis  Sosiani  mit  irgend  einer 
Wahrscheinlichkeit  die  Aufstellung  im  Giebelfeld  des  Tempelgebäudes  selbst 
bezeichnen  können  —  und  dies  ist  bekanntlich  Welckers  bestimmte  Ansicht  *) 
— oder  ob  vielmehr  alles  dafür  spricht,  dass  die  Aufstellung  im  Tempelbezirk, 
innerhalb  der  den  Tempelhof  umgebenden  Säulenhallen  gemeint  war,  das 
lässt  sich  nur  aus  einer  genauen  Erwägung  des  Sprachgebrauchs  von  Plinius 
für  templum,  aedes,  delubrum,  aus  einer  Vergleichung  seiner  näheren  durch 
Präpositionen  gegebenen  Bezeichnungen,  endlich  durch  seine  sonstigen  Stel- 
len über  Giebelgruppen  in  Rom  und  durch  die  Beachtung  der  hier  zunächst 
zusammengestellten  Werke  erreichen. 

Es  ergiebt  sich  zunächst,  dass  Plinius  bei  der  Lokalangabe  von  Kunst- 
denkmälern, die  in  Rom  und  zwar  in  Heiligthümern  sich  befanden,  wenn  er 
nicht  von  porticus,  curia,  schola,  forum,  opera  spricht,  in  den  weitaus  mei- 
sten Stellen  die  Ausdrücke  aedis  oder  delubrum  braucht  und  dass  er  hier  sehr 
bestimmt  mit  den  Worten  in  aede  (delubro)  ante  aedem,  apud  aedem,  ad  aedem, 
post  aedem  sich  ausdrückt.  Wir  können  hierbei  nur  an  das  Tempelgebäude  im 


1)  Hauptstelle  Tac.  Ann.  II.  49:  isdem  temporibus  decem  aedes  vetustate  aut  igni 
abolitas  coeptasque  ab  Augusto  dedicavit  —  et  Jano  templum,  quod  aput  forum  holitorium 
C.  Duilius  struxerat,  qui  primus  rem  Romanam  prospere  mari  gessit  triumphumque  nava- 
lem  de  Poenis  meruit.  Becker  R.  A.  1.  S.  254,  259,  603  hat  die  Verwechselung  zwischen 
diesem  Janustempel  und  dem  uralten  des  Janus  Quirinus  scharfsinnig  aufgedeckt ;  wenn 
er  aber  die  Aufstellung  dieser  berühmten  Janusstatue  aus  Aegypten  durch  Augustus  doch 
dem  Heiligthum  des  Janus  Quirinus  zuschreibt,  so  übersieht  er,  dass  dasselbe  auch  in  die- 
ser Zeit  ein  kleines,  niedriges  Gebäude  mit  einer  dem  Numa  zugeschriebenen  Statue  von 
Erz  war  und  nirgends  eine  Erneuerung  oder  Ausschmückung  von  Augustus  uns  erwähnt 
wird,  jener  Tempel  dagegen  nach  der  Zerstörung  durch  Feuer  von  August  neuerbaut  und 
daher  auch  mit  einer  künstlerisch  ausgezeichneten  Statue  des  Gottes  geschmückt  ward. 
Preller  Rom.  Mythol.  S.  157  sah  darin  das  Richtige,  Urlichs  (Chrestom.  Plin.  S.  2S3  folgt 
Becker. 

2)  Alte  Denkmäler  I.  S.  231—235. 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niohidenmythus  etc.  1 29 

engsten  Sinne,  in  dem  dieCella  des  Gottes  sich  befand,  denken.  Dagegen  be- 
nutzt er  den  Ausdruck  templum  bei  folgenden  Baulichkeiten :  fünfmal  erwähnt 
er  Gegenstände  inConcordiae  templo1),  während  er  zweimal  von  aedes,  dreimal 
von  einem  delubrum  Concordiae  spricht2),  sehr  häufig  lesen  wrir  in  templo  Pa- 
ris oder  einmal  in  operibus  Paris8) ,  wo  niemals  aedis  oder  delubrum  gebraucht 
wird,  dann  werden  Werke  in  templo  Martis  Ultoris4),  in  templo  Caesaris5), 
in  templo  Apollinis  Palatini,  in  Augusti6),  in  templo  Bruti  Callaeci7),  ein 
Janus  in  suo  templo8)  aufgeführt,  die  Architekten  der  templa  Octaviae  por- 
ticibus  inclusa'  genannt ö) .  Fragen  wir  nun  näher  nach,  welcher  Art  diese 
Heiligthümer  waren,  so  finden  wir  durchaus  bei  allen,  die  nicht  blos  aus  der 
einzigen  Stelle  bekannt  sind,  dass  es  Tempelgebäude  mit  der  Cella  waren,  die 
aber  vor  oder  um  sich  eine  irgend  abgeschlossene  Area,  ja  noch  Portiken  und 
mehrfach  Raum  für  Senatsversammlungen,  Bibliotheken  u.  dgl.  an  denselben 
hatten.  Es  ist  dies  bei  dem  Tempel  der  Concordia  unter  dem  Capitol  be- 
kannt10), ebenso  bei  dem  des  Julius  Cäsar11);  der  Friedenstempel,  der  Tem 
pel  des  Mars  Ultor,  der  des  Apollo  Palatinus  lagen  in  grossen  Säulenhöfen, 


1)  Erzstatuen  des  Aesculap  und  der  Hygiea  Plin.  H.  N.  XXXIV.  8,  19;  dsgl.  von 
Apollo  und  Juno  Plin.  1. 1.  §  73 ;  dsgl.  von  Mars  und  Mercur  Plin.  1. 1.  §  89 ;  dsgl.  des  Ju- 
piter, Minerva,  Ceres  Plin.  1.1.  §  90;  Obsidianelephanten  Plin.  H.  N.  XXXVI.  26,  67. 

2)  Erzstatue  derLeto  mit  den  Kindern  auf  dem  Arme  in  aede  Concordiae  Plin.  XXXIV. 
8,  19.  §  78;  Bild  des  Nicias  ebendas.  Plin.  XXXV.  11,  40.  §  130;  Bild  des  Theorus  in 
Concordiae  delubro  Plin.  1.  1.  g  144;  Bild  des  Zeuxis  ebendas.  Plin.  1.1.  30,  36;  ein  Sar- 
donyx  in  goldener  Einfassung  ebendas.  Plin.  XXXVII.  1,  2. 

3j  Berühmte  Werke  von  Vespasian  dedicirt  in  templo  Pacis  Plin.  XXXIV.  8,  19 ;  Ge- 
mälde des  Timanthes  daselbst  Plin,  XXXV.  10,  36.  §  74,  zwei  des  Protogenes  Plin.  1.1. 
g  102,  109;  Nil  von  Basalt  Plin.  XXXVI.  7,  11.  In  operibus  Pacis  suae  weiht  Vespasian 
eine  Venus  Plin.  XXXVI.  5,  4.  §  27.  Templum  Pacis  wird  mit  forum  Augusti  in  gleiche 
Linie  gesetzt  Plin.  XXXV.  15,  23.  §  102. 

4j  Eiserne  scyphi  Plin.  XXXIV.  14,  41,  dagegen  ausdrücklich  zwei  Erzstatuen  ante 
Martis  Ultoris  aedem  Plin.  1.1.  8,  18. 

5)  Gemälde  von  Augustus  gestiftet  daselbst,  sowie  in  foro  suo  celeberrima  in  parte 
Plin.  XXXV.  4. 10,  dagegen  wird  die  Venus  Anadyomene  des  Apelles  ausdrücklich  von  ihm 
gesetzt  in  delubro  patris  Caesaris  Plin.  1.1.  10,  36.  g  71. 

6)  Stiftung  eines  lychnuchus  pensilis  aus  Cyme  daselbst  Plin.  XXXIV.  3,  8;  ein 
Tuscanicus  Apollo  von  Erz  in  bibliotheca  templi  Augusti  Plin.  XXXIV.  7,  18,  dagegen 
werden  die  Marmorstatuen  von  Latona  und  Diana,  zwischen  denen  der  Apollo  selbst  stand, 
angeführt  in  palati  delubro  Plin.  XXXIV.  5,  4.  §  24  und  in  palatio  Apollinis  delubro  Plin. 
1.1.  g  32. 

7)  Der  sitzende  kolossale  Mars  des  Skopas  in  templo  Martis  Callaeci,  während  die 
grosse  Gruppe  des  Neptun  und  Achilles  delubro  Cn.  Domiti  sich  finden,  aber  jenes  templum 
lag  selbständig  neben  dem  Circus,  dieses  delubrum  in  demselben  Plin.  XXXVI.  5,  4.  g  26. 

8)  Plin.  XXXVI.  5,  4.  g  29. 

9)  Plin.  1. 1.  §  42.  Speciell  wird  dann  von  aedis  Iovis  und  Iunonis  gesprochen. 

10)  Stellen  fürarea  und  senaculum  bei  Becker  röm.  Alterth.  I.  S.  312. 

11)  Ein  puteal  und  eine  porticus  Julia  dabei  s.  Becker  a.  a.  O.  S.  280, 336. 

Stmrk,  Xiot*.  9 


J  30  Zweites  Kapitel.  * 

die  nach  Aussen  abgeschlossen  waren,  bei  dem  zweiten  bildete  dieser  Säulen 
hof  das  forum  Augusti !)   und  man  sprach  auch  wohl  für  templum  Pacis  von 
einem  forum  Pacis.    Auch  das  Fragment  des  capitolinischen  Planes  von  Koni 
zeigt  uns  die  Tempel  von  Jupiter  und  Juno  in  den  Porticus  Octaviae  mit  einer 
abgegrenzten  Area  nebst  Altären  davor2). 

Es  ergiebt  sich  daher,  dass  Plinius  durchaus  nicht  die  Ausdrücke  tem- 
plum, aedis,  delubrum  unterschiedslos  berührt3),  dass  templum  für  ihn  noch 
die  weitere  und  ursprünglichere  Bedeutung  des  heiligen  inaugurirten  Uezir- 
kes  hat,  indem  natürlich  in  dem  spätem  Rom  auch  eine  aedes  zu  suchen  ist. 
Ja,  Plinius  braucht  diese  Ausdrücke  unmittelbar  neben  einander  zu  genauerer 
Bestimmung :  er  spricht  von  einer Hekatestatue  desMenestratosEphesi  in  tem- 
plo  Dianae  post  aedem4).  Ebenso  wenn  zwei  Obelisken .  von  42  Ellen  Höhe 
in  Alexandrien  ad  portum  in  Caesaris  templo  sich  befinden,  so  setzt  Plinius 
voraus,  dass  hier  an  ein  sich  Befinden  in  der  Tcmpelcella  oder  etwa  der 
Vorhalle  oder  dem  Posticum  gar  nicht  gedacht  wird5).  Wir  finden  daher 
durchgängig  die  Präposition  in,  nur  einmal  ad  templum,  aber  dies  bei  einem 
Prachtaltar,  den  Kephisodot  im  Piräus  gearbeitet  ad  templum  Jovis  Serva- 
toris  6) .  Nach  alledem  ist  es  zwar  wohl  an  sich  möglich,  dass  ein  in  templo  an- 
geführtes Kunstwerk  sich  im  Innern  oder  an  der  aedis  des  Gottes,  die  ja  auch 
zum  templum  gehörte,  befand,  aber  es  ist  in  einem  Zusammenhange,  wo  ge- 
nau aedis  oder  delubrum  sonst  für  diese  Oertlichkeit  gebraucht  wird,  ganz 
unwahrscheinlich,  dass  Plinius  gerade  diese  verstanden  wissen  will.  Und  wenn 
die  Statue  des  Gottes,  die  dem  templum  überhaupt  den  Namen  gegeben  hat, 
natürlich  in  delubro  gesetzt  wird,  wie  wir  dies  an  der  anderen  Stelle  für  den 
Apollo  Sosianus  gesehen  haben,  so  spricht  alles  dafür,  dass  jenes  grosse  aus- 
gedehnte Kunstwerk  von  Marmor,  welches  dagegen  in  templo  angeführt 
wird,  sich  ausserhalb  des  Gebäudes  der  Tempelcella,  also  in  einer  Halle  des 
Tempelhofes  oder  einem  eigenen  Raum,  einer  schola,  die  zu  ihm  gehörte, 
befand. 

Aber  wir  müssen  noch  weitei  gehen,  wir  fragen,  gesetzt  auch  in  templo 
wäre  hier  ungenau  und  gegen  sonstigen  Sprachgebrauch  des  Plinius  für  in 


1)  Becker  a.a.O.  S.  335,  371,  437 f.,  427 ff. 

2)  Becker  Taf.  4.  N.  1. 

3)  Auch  eine  Stelle,  welche  dafür  sprechen  könnte,  bei  Plin.  XXXVI.  5.  4.  §  34,  35 : 
ad  Octaviae  vero  porticum  Apollo  Philisci  Rhodii  in  delubro  suo,  item  Latona  et  Diana  et 
Musae  novem  et  alter  Apollo  nudus.  Eum  qui  citharam  in  eodem  templo  tenet  Timarchi- 
des fecit,  ist  nicht  beweisend,  da  dieser  citherspielende  Apollo  ebensogut  ausserhalb  der 
Tempelcella  stehen  konnte,  wie  im  Heüigthum  des  Apollo  Palatinus  dies  von  zwei  Apollo- 
statuen bezeugt  ist. 

4)  Plin.  XXXVI.  5,  4.  g  32. 

5)  Plin.  XXXVI.  9,  14. 

0)  Plin.  XXXIV.  8,  19.  §  74.   Es  ist  dies  das  Jtos  rifttrog  des  Pausanias  (I.  1,  3). 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmythus  etc.  j  31 

aede  gesagt,  könnte  dies  auf  das  Giebelfeld  des  Tempels  bezogen  werden? 
Es  scheint  dies  für  den  ersten  Anblick  durch  andere  Stellen  sich  als  wohl 
möglich  zu  erweisen :  Plinius  erwähnt  ja  Werke  des  Bupalos  und  Athenis 
in  palatina  aede  Apollinis  in  fastigio1),  ja  er  spricht  von  fastigia  templorum 
selbst2)  und  von  Viergespannen  in  fastigio  templi  ejus  (sc.  Jovis  Capitolini)  8). 
Und  doch  bei  näherer  Betrachtung  stellt  sich  diese  Sache  ganz  anders.  An 
der  ersten  Stelle,  wo  es  sich  um  eine  Angabe  der  Aufstellung  von  Kunstwer- 
ken handelt,  steht  ausdrücklich  in  aede  Apollinis  und  dazu  der  genaue  Zu- 
satz. In  den  zwei  folgenden  Stellen  ist  nur  im  Allgemeinen  von  dem  plasti- 
schen Schmucke  des  Giebels  die  Rede,  welche  mit  denselben  im  Gegensatz 
zu  den  Privathäusern  und  profanen  Bauten  nur  den  heiligen,  d.  h.  inauguri- 
len  Baulichkeiten  zukamen4] ;  es  handelt  sich  hier  gerade  um  die  religiöse 
Bedeutung,  die  in  templum  bestimmt  ausgesprochen  ist.  Und  dass  das  fasti- 
gium  des  capitolinischen  Jupitertempels  ein  fastigium  templi,  nicht  blos  aedis 
genannt  werden  konnte,  wie  es  auch  fastigium  Capitoli  heisst5),  liegt  in  der 
Natur  des  capitolinischen  Tempels,  der  die  delubra  von  Jupiter,  Juno,  Mi- 
nerva mit  je  einzelnen  Vorhallen,  und  eigenen  wieder  durch  fastigia  ge- 
schmückten aediculae  der  Götter,  ja  noch  die  kleinen  Heiligthümer  des  Ter- 
ninus  und  der  Juventas  enthielt6).  Mithin  erscheint  auch  in  diesen  Stellen 
die  weitere  Bedeutung  des  templum  durchaus  nicht  verwischt. 

Aber  konnte  weiter  Plinius  erwarten,  dass  an  unserer  Stelle  man  das  in 
fastigio  in  Gedanken  unmittelbar  ergänzte?  Gewiss  nicht  nach  dem,  wie  er 
sonst  die  fastigia  berührt  und  nach  dem  Zusammenhang  der  Stelle.  Er  er- 
wähnt die  Entstehung  des  bildlichen  Schmuckes  der  Giebel  bei  der  Ausbil- 
dung der  thönernen  prostypa  und  ectypa  durch  Butades7),  er  erwähnt  die 
Häufigkeit,  treffliche  Arbeit,  Festigkeit  der  thönernen  fastigia  in  Rom  und 
den  Municipien8),  ferner  die  Zerstreuung  der  thönernen  signa  des  Gorgasus 
und  Damophilus  aus  den  Giebeln  des  Cerestempels 9) .  Von  Marmorwerken 
in  oder  auf  Giebeln  —  und  die  statuarischen  Werke  auf  den  Giebeln  spiel- 
ten in  Rom  nach  den  uns  erhaltenen  bildlichen  Denkmälern,  Münzen  und 
Reliefs  eine  bedeutend  grössere  Rolle,  als  die  in  den  Giebeln,  ja  an  diese  auf 


1)  Plin.  XXXVI.  5,  4. 

2)  Plin.  XXXV.  12,  40  und  12,  46. 

3)  Plin.  1.1.45. 

4)  Cic.  de  or.  III.  46,  180;  Phil.  II.  43;  Flor.Epit.  IV.  2:  fastigium  in  domo,  mensis 
in  coelo  dem  Julius  Cäsar  gegeben. 

5)  Cic.  de  or.  1. 1. 

6)  Stellen  bei  Becker  röm.  Alterth.  I.  S.  394  f. 

7)  Plin.  h.  n.  XXXV.  12,  43:  hinc  et  fastigia  templorum  orta. 

s)  Plin.  1. 1.  46 :  fastigia  quidem  templorum  etiam  in  urbe  crebra  et  municipüs  mira 
caelatura  et  arte  suique  firmitate  sanctiora  auro  certe  innocentiora. 

9)  Plin.  1.1.  -15 :  —  item  signa  ex  faatigiis  dispersa,  vorher  Cereris  aedem  Romae. 

9* 


\  32  Zweites  Kapitel . 

Giebelakroterien  befindlichen,  oft  sehr  grossen  Werken  ist  in  römischer  Zeit 
bei  Giebelstatuen  immer  zunächst  zu  denken,  während  das  Innere  der  Giebel 
mit  Reliefs  mehr  untergeordneter  Art  geschmückt  wurde,  —  fuhrt  Plinius 
zwei  Beispiele  an:  zunächst  die  Versetzung  von  Statuen  des  Bupalos  und 
Athenis,  jener  alten  Meister  der  Schule  von  Chios  durch  Augustus  auf  den 
Tempel  des  Apollo  Palatinus  und  fast  auf  alle  von  ihm  sonst  erbauten  Tem- 
pel1), dann  die  hochgerühmten  Arbeiten  des  Diogenes  von  Athen2)  für  das 
Pantheon  des  Agrippa,  und  zwar  ausser  den  in  die  Säulenhalle  gestellten 
Caryatiden  die  in  oder  wahrscheinlicher  auf  dem  Giebel  aufgestellten  Statuen, 
welche  wegen  der  Höhe  der  Oertlichkeit  weniger  bekannt  und  gefeiert  seien. 

Wir  sehen  also  hieraus,  wie  die  Giebelaufstellung  entschieden  der  An- 
erkennung der  Werke  schadete,  wie  man  die  Giebelstatuen  als  Dekoration, 
nicht  als  selbständige  plastische  Werke  schätzte,  denn  auch  jene  doch  als 
sehr  alterthümlich,  archaisch  aufzufassenden  Werke  des  Bupalos  und  Athe- 
nis sind  entschieden  gerade  in  diesem  Charakter  nach  Rom  versetzt  worden, 
um  so  neben  den  vielen  sogenannten  Tuscanica  opera  sich  auszuzeichnen. 
Dagegen  von  keinem  einzigen  der  bewunderten  Werke  der  griechischen 
Meister,  die  Plinius  in  so  reichlicher  Zahl  aus  Roms  Tempeln  anfuhrt,  haben 
wir  eine  Andeutung,  dass  sie  in  einem  Giebel  gestanden  haben,  bei  den  aller- 
meisten wissen  wir  genau  aus  seinen  Wr  orten,  dass  es  nicht  der  Fall  war. 
Und  so  können  wir  wohl  schon  hier  mit  Bestimmtheit  sagen,  die  Niobiden- 
gruppe  des  Skopas  oder  Praxiteles  stand  in  Rom  im  Heiligthume  des  Apollo 
Sosianus,  weder  inderTempelcella  noch  im  Giebel.  Damit  ist  allerdings  noch 
nicht  behauptet,  dass  sie  auch  an  ihrer  ursprünglichen  Stelle  nicht  in  einem 
Giebel  sieh  befunden  hat,  dafür  gearbeitet  war.  Zwar  haben  wir  bis  jetzt 
kein  einziges  Zeugniss  für  ein  solches  Herabnehmen  von  Giebelstatuen  und 
Aufstellen  in  einem  unteren  Raum,  einer  Halle  oder  dgl.,  aber  es  wäre  doch 
möglich,  verriethe  aber  immer  bei  den  Römern  der  Augusteischen  Zeit  sehr 
wenig  Sinn  für  den  architektonischen  Rahmen  eines  grossen  plastischen  Wer- 
kes, den  wir  ihnen  sonst  in  so  hohem  Grade  zuschreiben  inüsen.  Diese  Frage 
nach  der  originalen  örtlichen  Bestimmung  und  dadurch  bedingten  Composi- 
tion  gemäss  der  so  feinen  Berechnung  der  griechischen  Werke  für  ihren  {Stand- 
ort, wird  aber  dann  eine  innere  ästhetische  und  auf  dasVerhältniss  von  Kunst 
und  Cultus  bezügliche,  an  deren  Erwägung  und  Beantwortung  wir  erst  bei 
der  Betrachtung  der  uns  erhaltenen  statuarischen  Werke,  die  auf  dies  Origi- 
nal mit  aller  Wahrscheinlichkeit  zurück  zufuhren  sind,  herantreten  können. 

Hier  haben  wir  schliesslich  dagegen  noch  eine  Frage  zu  wagen,  deren 


1 )  Dies  können  doch  nur  die  Worte  bedeuten :  et  omnibus  fere,  quae  fecit  divus  Au- 
gustus Plin.  XXXVI.  5,  4. 

2)  Plin.  XXXVI.  5,  4.  §  38:  in  coluranis  terapü  ejus  Caryatides  probantur  inter  pauca 
o  per  um  sicut  in  fastigio  posita  signa,  sed  propter  altitudinem  loci  minus  celebrata. 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmythus  etc.  \  33 

endgültige  Beantwortung  allerdings  erst  durch  ein  neuaufzufindeiides  litera- 
risches oder  bildliches  Zeugniss  gegeben  werden  kann,  aber  eine  Frage,  die 
sich  uns  unwillkürlich  immer  aufdrängt  und  wobei  wir  vielleicht  doch  zu 
grosser  Wahrscheinlichkeit  gelangen  können.  Woher  war  die  Gruppe  der 
Niobiden  eines  Skopas  oder  Praxiteles  von  C.  Sosius  nach  Rom  in  jenes  Hei- 
ligthum,  das  Denkmal  seines  Triumphes,  gebracht?  Es  ist  allerdings  eine 
Möglichkeit,  dass  bei  der  Allmacht  des  Antonius  im  Osten  des  römischen 
Reiches ,  bei  seiner  Gewaltsamkeit ,  mit  welcher  er  Senatoren  proscribirte, 
um  in  den  Besitz  eines  kostbaren  geschnittenen  Steines  zu  kommen !) ,  den 
Ephesiern,  die  ihn  als  Dionysos  mit  einem  bakchischen  Komos  empfin- 
gen, berühmte  Kunstwerke,  wie  den  Apollo  des  Myron  entführte,  welchen 
Augustus  infolge  einer  Mahnung  im  Traum  wieder  zurückgab z) ,  bei  dem  an 
Wahnsinn  gränzenden  Kunsttaumel,  in  dem  er  gerade  zu  Samos  und  Athen 
lebte  8) ,  auch  ein  Legat  von  ihm  aus  einer  Stadt,  die  zunächst  in  keinem  un- 
tergeordneten Verhältniss  zu  ihm  stand,  ein  berühmtes  Kunstwerk,  freilich 
diesmal  eines  von  so  grossem  Umfange  auf  irgendeine  Art,  mit  oder  ohne  allen 
Sehein  des  Rechtes  fortgenommen  hat.  Unwahrscheinlich  bleibt  dies  aber  im- 
mer selir.  Wir  haben  doch  zunächst  an  die  C.  Sosius  untergebenen  Provinzen 
zu  denken ,  woher  ja  auch  aus  einem  Seleucia  der  Apollo  des  Tempels  nach 
Rom  gebracht  war.  Man  wird  weiter  auch  zuerst  daran  denken,  dass  die 
Gruppe  ebenfalls  aus  diesem  Seleucia  nach  Rom  gebracht  war.  Nun  aber 
entsteht,  wenn  wir  dabei  Seleucia  in  Syrien,  d.h.  den  Seehafen  von  An- 
tiochia  im  Sinn  haben,  oder  wenn  wir  an  irgend  eine  Stadt  Syriens  und  Phö- 
niciens,  z.  B.  etwa  das  von  Sosius  eingenommene  Aradus,  eine  durch  den 
den  ersten  Familien  Syriens  während  des  Krieges  zwischen  Seleukos  Nikator 
und  Antiochos  Hierax  dargebotenen  Schutz  sehr  an  Reichthum,  Ansehen, 
Landbesitz  geforderte  Stadt4),  sonst  denken,  die  Schwierigkeit,  dass  jene 
Gruppe  für  eine  dieser  erst  seit  den  Nachfolgern  Alexanders  des  Grossen, 
zunächst  dem  Seleukos  Nikator  gegründeten  oder  hellenisirten  Städte  nicht 
von  dem  Künstler,  Skopas  oder  Praxiteles  gearbeitet  sein  kann,  dass  sie  also 
schon  selbst  erst  von  ihrem  ursprünglichen  Bestimmungsort  dahin  gewandert 
wäre  und  wir  somit  die  Hauptfrage  nur  noch  weiter  hinausgeschoben  sähen. 


1)  Plin.  XXXVII.  6,  21. 

2)  Plin.  XXXIV.  8,  19 :  Myron  —  fecit  et  Apollinem ,  quem  ab  triumviro  Antonio 
sublatum  restituit  Ephesiis  divos  Augustus  admonitus  in  quiete. 

3)  Plut.  V.  Anton.  56. 57.  Auch  von  Samos  entführte  Antonius  drei  zusammengehörige 
Kolosse  des  Myron,  Athene,  Herakles  und  Hera,  von  denen  Augustus  die  zwei  ersten  wie- 
der an  ihre  ursprüngliche  Stelle  versetzen  liess  Strabo  XIV.  1 ;  ebenso  von  Rhoiteion  in 
Troas  die  Statue  des  Aias  aus  dessen  Heiligthume  nach  Aegypten,  die  Augustus  wieder 
zurückgab,  wie  er  es  auch  anderswo  that;  Strabo  fahrt  fort  (XIII.  1):  ra  yceo  xailiora 
«va&qfiata  ix  T(öv  InKfaitOTctrcw  Uqwv  6  plv  fae  rjj  Aiyunrtq,  6  <f£  roTg  &(oig  antöwxt. 

4)  Strabo  XVI.  2. 


134  Zweites  Kapitel 

Ein  häufiges  Versetztwerden  berühmter  Kunstwerke  unter  den  ersten  Seleu- 
kiden  nach  Syrien  ist  uns  durchaus  unbekannt,  dagegen  eine  grosse  Thätig- 
keit,  besonders  attischer  Künstler  für  jene  Gegenden  und  prächtige  Repro- 
duktionen der  grössten  Wunderwerke,  wie  des  olympischen  Zeus  und  der 
Parthenos.  Endlich  kennen  wrir  und  dies  scheint  mir  entscheidend,  von  die- 
sem Seleucia  nach  den  Münzen  und  Inschriften  durchaus  nicht  speciell  einen 
Apollodienst,  vielmehr  war  der  Zeus  Kasios  die  Hauptgottheit  daselbst1). 

Anders  stellt  sich  die  Sache,  wenn  wir  uns  nach  Kilikien  wenden.  S  e  - 
leikeia  am  Kalykadnos  ward  allerdings  unter  diesem  Namen  erst  von 
Seleukos  Nikator  auch  gegründet,  aber  es  war  nur  eine  Versetzung  der  Be- 
wohner der  altgriechischen  Kolonie  Holmoi  an  der  See,  wenig  landeinwärts 
an  den  Fluss2).  Unmittelbar  neben  Holmoi  befand  sich  aber  das  sandige 
Vorgebirge  Sarpedon3)  mit  einem  berühmten  Sarpedonion ,  einem  Heilig- 
thume  des  lykischen  Sarpedon,  ja  auch  eine  ältere  städtische  Anlage,  nach 
Mela  einst  Gränze  des  Reiches  des  Sarpedon  Selbst  der  Fluss  Kalykadnos 
ward  auch  Sarpedon  genannt.  Schon  Aeschylos  hatte  vom  meerumströmten 
Hain  bei  dem  sarpedonischen  Grabhügel  gesprochen*).  Wo  Sarpedon  im 
Cult  uns  begegnet,  da  ist  aber  mit  ihm  der  lykische  Apollo,  ist  Artemis  und 
Leto  verbunden.  Das  Sarpedonion  bildete  in  Xanthos  auf  der  Akropolis  die 
wichtigste  und  heiligste  Stätte,  an  der  das  Schicksal  der  Stadt  hing  ö) .  Auch 
in  Kilikien  kennt  sonst  Strabo  das  Heiligthum  der  Artemis  Sarpedonia  mit 


1 )  Ueber  Seleucia  in  Pieria,  dessen  Stätte  allerdings  vorher  unter  dem  Namen  "Yöarog 
norafiol  bekannt  war,  die  Hauptstelle  Polyb.  XXII.  26,  dazu  s.  Ritter  Erdk.  XVII.  S. 
1228 — 1271  ;  über  die  Denkmäler  speciell  Yates  in  Mus.  of  classic,  antiqu.  II.  p.  111 — 131, 
über  die  Münzen  s.  Mionnet  Rec.  des  med.  V.  p.  271  ff.,  Rasche  Lexic.  IV.  2.  p.  454— 471, 
Inschriften  s.  Böckh.  C.  J.  n.  445S,  wo  Priester  des  Zevg  OXvfimog  und  Ztbg  KoQwjatog, 
den  wir  als  die  hellenische  Bezeichnung  des  Zevg  Knaiog  aufzufassen  haben,  genannt  wer- 
den, während  der  dann  erwähnte  Apollo,  speciell  der  in\  /tayv^  d.  h.  also  der  des  Hei- 
ligthums  bei  Antiochia  ist. 

2)  Strabo  XIV,  5 :  tWOXpoi  onov  7iqot€qov  $xow  ot  vüv  ZeXtvxeTg,  xtia&s^arjg  dh  Int 
r$  KaXvxativy  rrjg  ZtXtvxtiag  txtf  peTtpxto&riaav ;  Plin.  h.  n.  27,  22 :  Seleucia  supra  amnem 
Calycadnum  Tracheotis  cognomine,  a  mari  relata  ubi  vocabatur  Holmia.  Steph.  By«.  s.  t. 
2iUvxna  und  "OX/uoi ;  Scylax  Peripl.  102.  "OXfio t  noXtg  'EXXrjvU  anfyovoa  Stadiasm.  M. 
Mar.  in  Geogr.  min.  ed.  Müller  I.  p.  492  f.J  Die  Stelle  von  Holmoi  ist  jetzt  die  von  Agha 
Liman,  eine  Schifferstation ;  hier  scheint  früher  der  Calycadnus  gemündet  zu  haben,  der  nun 
auf  einem  weiten  öslichen  Umweg  durch  ein  Flussdelta  das  Meer  erreicht.  Vgl.  Rittter 
Erdk.  XIX.  S.  321—333. 

3)  Strabo  XIV.  5:  uxgav  rj  xaXeitcu  Zccqtit]<$ü)1>  ;  Plin.  n.  h.  V.  22:  Promontorium  Sar- 
pedonia ;  Scylax  Gary  and.  Peripl.  102:  ZaQnrjdwv  noXig  Igtifiog  xa\  norafnog;  Anon.  Stad.  M. 
Mar.  in  Oeogr.  min.  ed.  Müller  I.  p.  4S3  :  axQtty  ä/npctiöti  OTtrrjv  2LaQ7irjdoi>{av  xaXovfiivqv  —  ; 
Pompon.  Mela  I.  13  :  duo  promontoria  Sarpedon  finis  aliquando  regni  Sarpedonia  et  Ane- 
murium.  Das  Vorgebirge  diente  seit  alter  Zeit  zu  Entfernungsbestimmungen  der  Küsten 
und  der  Ueberfahrten  nach  Kypros. 

4)  Aesch.  Suppl.  865  ff, :  dt  aXlQQviov  aXaog  xurd  JEuQ7ZT)doviov  x**f*<*  noXvifHtfia&oy. 
5}  Appian  bell.  civ.  IV.  78.  79. 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmythus  etc.  135 

einem  Orakel,  das  von  gottbegeisterten  Personen  ausgesprochen  wird1). 
Seleucia  Trachea,  dessen  ausgedehnte  Ruinen  heutigen  Tages  nur  1  %  Stunr- 
den  vom  Platz  von  Holmoi  beginnen2),  welches  also  selbst  nur  aus  einer  Zu- 
rückversetzung der  Bewohner  von  Holmoi  an  den  Fluss  von  der  Meeresküste 
entstanden  war,  erscheint  bald  als  eine  sehr  bedeutende,  durch  Schönheit  des 
Baues  und  gebildete,  philosophische  Männer  sich  vorth eilhaft  von  sonstiger 
kilikischer  und  pamphylischer  Weise  auszeichnende  Stadt3),  unter  den  Römern 
politisch  selbständig,  mit  Münzreihen  4) ,  als  Metropolis  der  Städte  des  rauhen 
Kilikiens,  später  Isauriens  hochgeehrt.  Ammianus  Marcellinus5)  schildert 
uns  ihre  Vertheidigung  durch  drei  Legionen  gegen  isaurische  Räuberhorden ; 
der  von  Getreideschiffen  belebte  Kalykadnos  durchströmte  sie,  die  stattliche 
Brücke,  die  gewaltigen  Mauern  mit  Thürmeu  und  Zinnen,  die  Weite  und 
günstige  Lage  der  Stadt  rühmt  er.  Das  Ilauptheiligthum  aber  war  das  Sar- 
pedonion,  also  jene  alte,  hochangesehene  Cultstätte  mit  Orakel  und  Festen 
und  wunderbarer  Vernichtung  der  Heuschreckenschwärme  durch  die  um  das 
Heiligthum  sich  aufhaltenden  Vögel.  Dieser  Apollo  Sarpedonios  —  somit 
der  Hauptgott  —  erweist  sich  dadurch  als  wesentlich  identisch  mit  dem  Par- 
nopios  der  troischen  und  äolischen  Küste 6) .    Interessant  ist  die  polemische 


1)  Strabo  XIV.  5:  iv  Ji  rrj  KtXtxCu  iail  xal  ro  rrje  ZaQnrjtioitag  'jj^rtitidoi  Uqov  xal 
ijiftvjiXov  '  rovg  J£  XQijOpoug  h'tttoi  7iQO*Jta7iC^ovai, 

2)  Kitter  Krdk.  XIX.  2.  S.  322—334.  Amphitheater,  Säulenhallen,  Säulen  eines  acht- 
säuligen  Tempels,  Piscina,  Gräbermenge,  Felstreppe  und  Felsenstrasse. 

3)  Strabo  XVI.  2:  £/«i  61  Tiojapog  avdnXovv  etg  ttjv  ZtXtvxaav  noXtv  ev  ovroixoujut- 
vr\v  xal  noXii  aifiöToiOav  tov  KiXixlov  xal  IlafjiipvXCov  tqotiov  *  Ivrav&a  fytvovro  xa&*  rjfiäg 
avÖQtg  dliuXoyoi  rtov  ix  tov  neQuiarov  (ftlooocfiov  xtX.  ;  Plin.  H.  N.  V.  22 :  Seleucia 
«upra  amnem  Calycadnum  Tracheotis  cognomine  a  mari  relata  ubi  vocabatur  Holmium. 

■I)  Mionnet  Rec.  des  med.  IV.  p.  598  ff. ;  Hasche  Lexic.  r.  numm.  IV.  2.  p.  441  ff. 

5)  Ammian.  Marceil.  XIV.  2 :  in  excidium  urbium  matris  Seleuciae  efferebantur.  — 
Calycadnus  amnis  ponte,  cujus  undarum  magnitudo  murorum  alluit  turres.  —  captis  navi- 
güs,  quae  frumenta  vehebantper  fluvium  — civitatem  amplam  et  peropportunam ;  XIV.  8 : 
Isauria  quam  mediam  navigabile  flumen  Calycadnus  interscindit.  Et  hanc  quidcm  pro- 
vincium  oppida  multa,  duae  civitates  exornant,  Seleucia  opus  Scleuci  regis  et  Claudio- 
polis  — .  Auch  Theodoretos  (Hist.  eccles.  II.  20)  nennt  sie  eine  noXig —  t&v  bpotfvXtov  no- 
Xetov  rjyovjutvt}. 

6)  Zosim.  hist.  I.  57  ed.  Bekker:  Iv  ZiXevxe£a  rrj  xaza  KiXixCav  IdnoXXtovog  Uqov 
Xöqvio  xakovfAivov  2ctQ7iriöov(ov  xal  Iv  tovtü)  xQrjOTqgiov  *  tu  fjihv  ovv  negl  tov  &toü  tovtov 
Xey6fi€va  xal  (og  anaOi  rotg  vnb  Xvprjg  axQCdtov  tvo%Xovuivotg  ZtXevxidöag  naQadt&ovg  — 
oQvta  di  ravia  hdtanutfxeva  joig  negl  ro  Uqov  Tunotg  —  ovvfttoefine  rotg  ahovoiv,  al  ßt 
raig  axqCaiv  avfjMtQMTap&vai  xal  rotg  örofiaOi  xavxag  dt^ofitvai  naQaxQrjpa  nXrj&og  re 
aneiQOV  tv  dtaytatq)  ditqdttQov  xal  ir\g  ix  tovtwv  ßXdßrjg  rovg  dv&Qutnovg  anrjXXaTroy,  tavra 
ulviy  Ttjvixavia  luv  av&^WTHOv  tvBaiuovCa  nagCr^it.  tov  xa&*  Tjftag  yivovg dntoaafiivov  &{(av 
tvtQytoCav.  Diese  Erscheinung  der  Seleucides  aves  wird  nach  Plinius  (H.  N.  X.  39)  auch 
gerühmt  vom  Berg  Casius,  also  bei  Seleucia  in  Syria,  wo  die  Einwohner  vom  Jupiter  Ca- 
sius  sie  erflehen  gegen  die  Heuschrecken,  aber  von  einem  Sarpedonion,  von  einem  Apollo 


136  Zweites  Kapitel. 

Stellung,  die  die  h.  Thekla,  welche  in  ihren  späteren  Lehensjahren  bei 
Seleucia  in  eine  Grotte  des  südlich  liegenden  ßerges  sich  zurückzog  und 
Wunder  wirkte,  deren  Cidt  dann  an  dieser  Stelle  ein  Menschenmassen  zusam- 
menführender und  wunderreicher  ward,  zum  Sarpedonion  einnimmt.  Sie  heilt 
nämlich  noch  viel  mehr  und  glücklicher  Krankheiten  als  dort  geheilt  werden, 
sie  giebt  viel  sicherere  Orakel  durch  Incubation,  als  dort  gegeben  werden,  ja 
sie  entfernt  Seuchen,  die  in  der  Sonnenhitze  über  Menschen,  Thiere,  Pflan- 
zen kommen,  durch  eine  Wunderquelle.  Und  endlich  geht  sie  lebendig  in 
den  Felsen  ein,  in  dieser  Beziehung  eine  christliche  Niobe !) . 

Hat  nun  nicht,  um  es  kurz  zu  sagen,  in  diesem  Sarpedonion  bei  Seleucia 
der  cederne  Apollo  Sosianus  und  die  Gruppe  der  Niobiden  sich  befunden,  im 
Bereiche  eines  Heiligthums  der  Kinder  der  Leto  und  eines  Heros  des  in  der 
Schönheit  der  Jugend  rasch  hinraffenden  Todes,  der  an  ihm  selbst  sich  erwie- 
sen,aber  auch  zu  heroischer  Ehre,  zum  Prachtdenkmale  in  der  Heimath  geführt 
hat,  also  im  Bereiche  eines  Apollo tempels  und  zugleich  eines  hochangesehenen 
Heroengrahes2).  Ich  bemerke  dabei,  dass  ausdrücklich  die  Küste  der  Kilikia 
Trachea  als  reich  an  trefflichstem  Cederholz  bezeichnet  wird3),  ferner  dass  uns 
die  Nähe  der  Statue  des  Apollo  Parnopios  an  der  mit  der  Niobidendarstel- 
lung  geschmückten  Apollogrotte  in  Athen  bemerkenswerth  erschien  und  dass 
Pausanias  von  einer  dreimaligen  wunderbaren  Vernichtung  der  Heuschrecken, 


Sarpedonios  wissen  wir  dort  nichts,  auch  heisst  es  dort,  diese  Vögel  seien  sonst  nie  sicht- 
bar, während  sie  bei  dem  Sarpedonion  sich  immer  aufhalten. 

1)  Die  ältere  Quelle  bei  Grabe  Spicileg.  ss.  patrüm.  I.  p.  95  ff. :  da  erklären  die  in  ihrer 
Praxis  bedrohten  Aerzte  sie  für  eine  ItQa  rrjg  /utydXrjg  9täg  ji^ri^og.  Nach  der  spätem 
von  Basilius  Seleuciensis  (425)  dargestellten  Legende  in  Acta  Sanctorum.  Septbr.  VI.  p. 
546  ff.  heisst  es  :  Sarpedon  Promontorium  et  Ciliciae  non  longe  distans  Seleucia,  quae  civi- 
tas  —  Isauriae  facta  est  metropolis.  In  illo  autem  promontorio  sepultum  fuisse  ait  homi- 
nem  ingentem,  quem  Sarpedonem  nominat.  lnprimis  autem  illum  aut  potius  daemonem  a 
gentibus  eultum  fuisse  asserit  iisque  responsa  dedisse.  Die  obigen  Züge  der  Legende  s. 
a.a.O.  p.  557,  559,  562. 

2)  Sarpedon,  der  Gründer  der  lykischen  Städte,  besonders  von  Xanthos,  auch  Grün- 
der von  Miletos,  ist  Sohn  von  Zeus  und  Europa  oder  von  Xanthos,  dem  Gotte  des  bei  den 
Geburtswehen  der  Leto  durch  ihr  Aufreissen  der  Erde  zu  Tage  gekommenen  Flusses 
,'Quint.  Smyrn.  XI.  21  ff.)  und  Europa ;  Sarpedon,  der  Führer  der  Lykier  vor  Troja,  ist 
dem  Wesen  nach  derselbe,  auch  Sohn  des  Zeus  und  der  Laodamia.  Die  Fürsorge  des 
Apollo  für  den  Leichnam  mit  eigenen  Händen,  die  Uebergabe  an  Tod  und  Schlaf,  den 
7i ou no\,  die  Bestattung  in  Lykien,  die  Ehren  rv/jßq>  re  orijXrj  rt  sind  bezeichnende  Züge 
(II.  XVI.  664 ff.).  Vgl.  Preller  gr.  Mythol.  II.  S.  S1  Anmerk.,  jedoch  bedarf  die  Gestalt 
des  Sarpedon  noch  neuer  Untersuchung,  besonders  auch  nach  seiner  kleinasiatischen  Stellung. 
Die  Natur  einer  rasch  und  plötzlich  hinraffenden  Todesgewalt,  aber  auch  einer  Lichtnatur 
sind  bei  ihm  unverkennbar. 

3)  Strabo  XIV.  5 :  xtÖQog  <f *  torlv  ^  nXilair\  xal  tioxtT  ravra  tä  fx^Qtj  nXtovtxrtlv  rt, 
TQictvry  j-vlttct. 


Berühmte  griechische  Werke  des  Xiobidenmythus  etc.  137 

die  vom  Sipylosberg  aus  durch  Sturm,  Gluth,  Kälte  erfolgt  sei,  berichtet1). 
Es  kommt  eine  vereinzelte,  sehr  merkwürdige  Notiz  noch  hinzu,  um  gerade 
in  Kilikien  eine  Darstellung  der  Niobe  und  ihrer  Kinder  durch  ein  berühmtes 
Meisterwerk  zu  suchen,  nämlich  die  Nachricht  bei  Athenagoras,  dass  die  Ki- 
liker  Niobe  als  Göttin  geweiht  haben,  wie  Medea  als  Göttin  auch  erscheine  *) . 
Wir  werden  in  dem  mythologischen  T heile  unserer  Arbeit  zeigen,  wie  sehr 
dies  bei  der  eigentümlichen  Stellung  des  Namens  der  Kiliker  in  der 
Landschaft  Troas  in  den  ganzen  Bereich  des  Niobemythus  passt.  Jedenfalls 
aber  ist  festzuhalten,  dass  diese  Nachricht  bei  Athenagoras  als  von  dem 
nachherigen  Kilikien  geltend  gemeint  ist.  Und  wir  werden  gewiss  die  Thä- 
tigkeit  des  Skopas  oder  Praxiteles  für  eine  griechische  Stadt  und  ein  hoch- 
berühmtes altes  Heiligthum  der  kilikischen  Küste,  mit  der  Athen  in  vielfach- 
ster Colonialverbindung  stand,  wie  auch  die  Münzen  von  Seleucia  den  Athene- 
kopf häufig  zeigen,  ebenso  wahrscheinlich  finden,  als  sie  für  die  kleinasia- 
tische Küste  überhaupt,  für  Jonien  und  Karien  vielfach  bezeugt  ist3) . 

Was  endlich  die  Verhältnisse  der  kilikischen  Städte  nach  Cäsars  Tod 
und  dann  besonders  unter  Antonius  Allmacht  betrifft,  so  wissen  wir,  dass  sie 
verschieden  für  und  gegen  die  Republikaner  Partei  genommen,  dass  Tarsos 
durch  Cassius  um  1500  Talente  gestraft  wurde  und  die  Kostbarkeiten  und 
Weihgeschenke  seiner  Tempel  verkaufte,  oder  zu  Geld  schlug4),  dass  auch 
unter  Antonius,  der  hier  mit  Kleopatra  seine  Festmahle  voll  unsinniger  Ver- 
schwendung hielt,  der  schlechte  Poet  Boethos  die  Stadt  betrog  und  plün- 
derte Ä) .  Wie  Seleucia  sich  gestellt,  wissen  wir  nicht ;  es  war  von  der  Schen- 
kung der  Cilicia  Trachea  an  Kleopatra,  dann  an  Amyntas,  endlich  an  Arche- 
laos ausgenommen6),  dagegen  als  Freistadt  direkt  unter  die  Verwaltung  des 


1)  Paus.  I.  24,  S:  tqIs  ök  avTog  rtörj  naQyonag  ex  ZinvXov  roü  OQovg  ov  xaia  ravta 
olda  (f&ttQ£rTtts  xtX. 

2)  Leg.  pro  christ.  c.  14  (Corp.  apolog.  christ.  gr.  ed.  Otto  p.  61) :  ^AXx^av  xal'HoCo- 
Jog  Mntitmv  xal  (17  all.  edd.)  Ntoßr)v  KCXtxeg  sc.  &eovg  X^QWjai.  Sam.  Petit  nahm  mit  Recht 
Anstoss  an  den  beiden  Dichternamen  und  conjicirte  Kaöovoiot  Mi\6etavt  Otto  will  Ntoßtjv 
ohne  allen  Grund  streichen.    Ist  etwa  zu  lesen  :  ^iaxQaiot  'Ho£oo*ov? 

3)  Paus.  VIII.  40,  4 :  Zxonav  —  og  xal  äyd't /ultra  7ioXXa%ov  rrjg  uQ/atag  'EXXdtiog,  rd 
tH  xal  7tty\  *[<ov(av  te  xal  KaQCav  inoirjoe.  In  Ephesos,  Knidos,  Halikamass  kennen  wir 
Werke  von  Skopas,  Plin.  XXXVI.  5, 4.  §22. 31 ;  Strabo  XIV.  p.640.  An  denselben  Orten, 
dann  in  Alexandrien  am  Latmos  in  Karien  Werke  von  Praxiteles  Plin.  1. 1.  §  20 ;  Steph. 
Byz.  8.  v.  *4Xt£dro*otta. 

4)  Appianb.  c.  IV.  64:  r«  rt  xotta  nntöCJorro  navra  xal  ra  Ugd  tnl  toTgxotvoig  oaa 
tfy0*'  t*  nofinag  rj  «*'tt#ij<u«T«  fxonrov. 

5)  Strabo  XIV.  5 :  —  ovdfr  rirtov  öitTtXtoev  aytov  xal  <f(Q<av  rrjv  noXir  ptyQi  Ttjg  xa- 

TttOTOOffTJQ   TOI?  jtvtm'CoV. 

6)  Strabo  XIV.  5  :  HQ/eXdog  —  Xaßav  tip  T^ß^wriV  KiXixtav  oXrjv  nXqv  JeXtuxttag  • 
*a&'  ov  TQonov  xal  'iftuvtag  nqojiQOV  ttyt  xal  hi  uqqtcqqv  KXtondrqa. 


1 38  Zweites  Kapitel. 

Legaten  der  Provinz  gestellt.  Danach  ist  die  Versetzung  eines  Kunstwerkes 
von  dort  durch  den  Legaten  nach  Rom  nichts  weniger  als  unwahrscheinlich. 

Nur  wenig  Jahre  nach  der  Aufstellung  der  Niobidengruppe  des  Skopas 
oder  Praxiteles  im  Heiligthume  des  Apollo  Sosianus  von  Seiten  eines  der 
Parteigänger  des  Antonius  ist  eine  andere  ausgezeichnete  Darstellung  des- 
selben Gegenstandes  in  einem  anderen  Apolloheiligthum,  dem  glänzenden, 
mit  besonderer  Liebe  gepflegten  Denkmale  des  Weltsieges  von  Actium  und 
des  durch  ihn  dem  Erdkreise  wiedergegebenen  Friedens  von  Augustus  ange- 
bracht worden.  Properz  hat  in  einer  kurzen  Elegie  (II.  31)  *)  den  Eindruck 
geschildert,  mit  dem  er  von  der  Eröflhung  der  goldenen  Halle  des  Phoebus, 
d.  h.  der  den  in  der  Mitte  gelegenen  Tempel  umschli essenden  Prachthallen 
des  Heiligthunis,  welche  im  Jahre  726  a.  u.  c,  also  2S  v.  Chr.  am  25.  Okto- 
ber stattfand,  zurückkehrte2).  Nachdem  er  jene  Hallen  von  punischem,  also 
gelbem  Marmor  mit  den  Statuen  des  als  Apollo  citharoedus  gebildeten  Au- 
gustus 3) ,  dann  die  ehernen  Stiere  des  Myron,  welche  den  Altar  auf  der  Area 
umgaben,  geschildert,  wendet  er  sich  zu  dem  in  blendendweissen,  nämlich 
lunensischen  Marmor  erbauten  Tempel  selbst.  Er  sieht  hier  über  dem  Gie- 
bel, d.  h.  auf  den  Akroterien  den  Sonnenwagen  mit  Helios ,  dann  auf  den 
zwei  Thüren  ein  Libyci  nobile  dentis  opus,  ein  hochhcrühmtes  Werk  aus 
Elfenbein  und  zwar  die  von  dem  Gipfel  des  Parnasses  gestürzten  Gallier  und 
die  Leichen  der  Tantalostochter 4) .  Er  schliesst  dann  kurz  mit  der  Anschau- 
ung der  verehrten  Gottheiten  selbst,  im  Innern  des  Apollo  Citharoedus,  der 
Latona  und  Artemis.  Also  in  Elfenbein  war  als  Relief  an  dem  einen 
Thürflügel  der  Niobidenuntergang  dargestellt. 

Wie  haben  wir  uns  die  äussere  Gestalt  dieser  Reliefs  zu  denken?  Offen- 
bar befanden  sie  sich  in  den  Füllungen,  in  den  tympana  der  sonst  mit  Metall, 
hier  neben  dem  Elfenbein  mit  Gold  überzogen  Rahmen  der  Thürflügel,  wie 
z.  B.  der  Athenetempel  zu  Syrakus  in  dieser  Weise  geschmückt  war  und  es 
in  der  Augusteischen  Zeit  auch  sonst  geschildert  wirdaj.    Wir  können  hier 


1)  Vgl.  den  Commentar  von  Hertzberg  dazu  in  seiner  Ausgabe  Halle  1845.  T.  111. 
p.  200—211  mit  Quaest.  1.  III.  c.  3.  T.  I.  p.  223. 

2)  Vgl.  Becker  röm.  Alterth.  I.  S.  425  ff.   Zu  den  Kunstwerken  vgl.  Petersen  Einlei- 
tung in  d.  Stud.  d.  Archäol.  S.  S7 — 9J  ;  O.  Jahn  Archäol.  Aufs.  S.  22—30, 

3)  Diese  ist  hier  zu  verstehen  im  Distichon  5 : 

hie  equidem  (quidem)  Phoebo  visus  mihi  pulchrior  ipso 

marmoreus  tacita  Carmen  hiare  lyra, 
welches  von  Hertzberg  ganz  unpassend  an  das  Ende  der  Elegie  gesetzt  wird.    Ueber  den 
August  als  Apollo  in  der  an  die  Porticus  sich  anschliessenden  Bibliothek  s.  Schol.  Cruqu. 
ad.  Hör.  Ep.  I.  217;  Serv.  Virg.  Ecl.  IV.  10. 

4)  Altera  dejeetos  Parnasi  vertice  Gallos,  altera  maerebat  funera  Tantalidos. 

5)  Vgl.  über  die  Thüren  und  den  Schmuck  Bötticher  Tektonik  T.  II.  S.  84  ff.  mit  den 
dort  angeführten  Stellen,  bes.  Cic.  Verr.  II.  4.  c,  56,  Virg.  Georg.  III.  26—32  j   Serv.  Virg. 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmythus  etc.  139 

nicht  an  eine  lange  sehmale  friesartige  Form  denken,  sondern  an  eine  oder 
zwei  ziemlich  gleichseitige  Flächen,  je  nachdem  entweder  nur  die  obere  Fül- 
lung oder  beide  oberhalb  und  unterhalb  des  mittlem  Querleistens  Darstel- 
lungen enthielten.  Auch  die  Correspondenz  mit  den  vom  Gebirg  herabge- 
stürzten Galliern  lässt  für  dieNiobiden  grössere  Ilöhenausdehnung  annehmen 
und  wohl  die  Andeutung  der  Felsen  des  Gebirges,  des  Sipylos  ödes  Kithäron 
und  dann  etwa  die  Söhne  weiter  oben ,  die  Töchter  unten  am  Fusse  gleichsam 
niedergestreckt.  Bei  zwei  Tafeln  hätten  wir  sie  dann  getrennt  zu  denken. 
Ich  erinnere  an  die  Behandlungsweise  auf  der  Marmortafel  der  homerischen 
Apotheose,  wo  vier  Reihen  übereinander  sich  erheben. 

Interessant  in  vieler  Beziehung  ist  die  Zusammenstellung  mit  dem  Sturz 
der  Gallier  von  den  Höhen  bei  Delphi,  jener  in  das  Jahr  279  (Olymp.  125,2) 
fallenden,  mit  reichen  Hülferweisungen  des  Apollo  im  Glauben  des  Volkes 
ausgestatteten  Thatsache1).  Da  hatten  ja  ausser  der  Tapferkeit  der  Hellenen, 
besonders  der  Athener  bei  Thermopylä,  dann  der  Delphier,  Phokenser  und 
Aetoler  in  der  Vertheidigung  von  Delphi  selbst  gewaltige  Naturereignisse 
zur  Vernichtung  der  zur  Plünderung  der  Tempelschätze  auf  Delphi  losge- 
rückten gallischen  Macht  unter  Brennus  mitgewirkt,  so  Erdbeben,  Gewitter, 
starke  Kälte  und  Schneefall,  Losreissen  gewaltiger  Felsmassen  von  Parnass, 
endlich  ein  nächtlicher  panischer  Schrecken,  ein  gottverhängter  Wahnsinn, 
der  die  Gallier  gegen  einander  trieb.  Aber  vor  allem  waren  .auch  himmlische 
Erscheinungen  (qxioficcTcc)  von  gewaltigen  Kämpfern  zu  Hülfe  geeilt,  nach 
der  einen  Version  die  drei  Heroen  Hyperochos,  Amadokos  oder  Laodokos, 
Pyrrhos,  neben  denen  wohl  auchPhylakos  genannt  ward.  Nach  der  bei  Tro- 
gus  Pompejus  im  Auszug  erhaltenen,  poetisch  lebendigen  Schilderung  hatten 
die  Priester  Apollo  als  schönen  bewaffneten  Jüngling  in  den  Tempel  her- 
unterfahren sehen,  Artemis  und  Athene  bewaffnet  aus  ihren  Tempeln  ihm 
entgegeneilen,  hatten  das  Geklirre  der  Waffen,  das  Schwirren  der  Pfeile  ge- 


Aen.  I.  508 :  magno  labore  et  studio  templorum  fores  fiebant,  quae  quibusdam  insignibant 
historiis.  Bisher  übersehen  ist  die  Beschreibung  der  Thürflügel  des  Apollotempels  im 
italischen  Cumae,  aufweichen  Bilder  der  kretisch-attischen  Sage  vom  Tode  desAndrogeos, 
von  Minotauros  und  Pasiphae,  vom  Labyrinth  und  Ariadne  u.  a/ in  Gold  dargestellt  waren, 
angeblich  ein  Werk  des  Daedalos  s.  Virg.  Aen.  VI.  14—33.  Reliefs  in  Silber  an  den  Thür- 
flügeln  des  Heliospalastes  Ov.  Met.  II.  1 0  ff. 

1)  Paus.  I.  4,  1 — 5;  X.  23,  1 — 9.  Bezeichnend  die  Stellen:  xttl  6  &sog  atfitg  ovx  tla 
ffoßtio&at,  <fvXa£tiv  Ji  ttvjog  IntjyyMtTo  r«  litvrou ;  weiter  §  3  :  xttl  toTg  ßctQßttQOtg  arTiar- 
fiaive  ra  ix  tov  Otov  rtt%v  t(  xaX  tov  l'ofittv  <y  avspairava,  dann  nij^ai  re  ctnoXiofrdvovaai  tov 
IlaQvaooov  fAtyakat  xal  xgrj^vol  xttTitQQtiyvvpevoi  oxonbv  rohe  ßttQßdfjoug  e7%ov ;  die  Athe- 
näer melden  rar  ix  tov  &eov  xaTfiXrjyoTn.  Justin,  histor.  Philipp.  XXIV.  6 — 8,  bes.  6 : 
contra  Delphi  plus  in  deo  quam  in  viribus  deputantes  —  resistebant  scandentesque  Gallos 
e  summo  montis  vertice  partim  saxo  partim  armis  obruebant ;  weiter  praesentiam  dei  et 
ipsi  statim  sensere :  nam  et  terrae  motu  portio  montis  abrupta  Gallorum  stravit  exercitum 
et  conferti88imi  cunei  non  sine  volneribus  hostium  dissipati  ruebant. 


|  40  Zweites  Kapitel 

hört  und  die  Götter  waren  Vorkämpfer  in  der  Schlacht.  Und  auch  nicht 
einer  der  gegen  Delphi  gezogenen  Massen  sollte  schliesslich  aus  Hellas  zu- 
rückgekehrt sein.  So  fassten  also  die  Griechen  diese  Niederlage  der  Gallier 
durchaus  als  göttliches  Strafgericht  von  Apollo  und  den  delphischen  Gott- 
heiten an  dem  frevelnden  Uebermuth  vollzogen  auf.  Wir  machten  schon 
oben  auf  die  Darstellungen  an  der  Südostecke  der  Akropolis  aufmerksam, 
wo  der  Kampf  mit  den  Galliern  mit  dem  Gigantenkampf  in  Wechselbezie- 
hung gesetzt  war  und  wo  wir  auch  die  Niobidendarstellung  unmittelbar  dar- 
unter einem  und  demselben  grössern  Gedankenkreise  unterzuordnen  hatten. 
Hier  an  diesen  Thüren  steht  nun  Gallier-  und  Niobidenuntergang  sich  direkt 
gegenüber;  waren  bei  dem  einen  die  Götter  selbst  vernichtend  sichtbar,  so 
auch  bei  dem  andern  Faktum,  wenn  auch  aus  der  jüngsten  Zeit  der  griechi- 
schen Geschichte.  Beide  Vorgänge  erscheinen  als  furchtbare  Apotropaia,  als 
Mahnungen  an  den  zum  Tempel  Herantretenden,  dass  der  hier  verehrte  Gott1) 
von  vernichtender  tödtlicher  Macht  gegen  alle  sei,  die  mit  ihm  sich  messen 
wollen,  dass  der  bogenbewafFnete  Gott  es  wrar,  der  dem  Augustus  den  Welt- 
sieg bei  Actium  verlieh  über  den  auf  barbarische  Massen  (opes  barbaricae) 
sich  stützenden  Antonius  und  über  ein  stolzes  als  Göttin  sich  betrachtendes 
Weib,  dann  erst  konnte  der  Gott  die  Leier  ergreifen,  das  Symbol  der  über 
die  Welt  nun  von  ihm  aus  sich  verbreitenden  friedlichen  Ordnung. 

Sind  diese  Elfenbeinthürcn  erst  unter  August  für  diesen  Tempel  gear- 
beitet worden  ?  Gewiss  nicht,  schon  der  Ausdruck  des  Properz  nobile  opus 
scheint  auf  ein  berühmtes,  älteres,  weit  bekanntes  Werk  zu  gehen.  Dann 
fragt  es  sich  doch  sehr,  ob  die  Wahl  des  Galliersturzes  bei  Delphi  von  Au- 


1)  Vgl.  Preller  röm.  Mythol.  S.  273  ff.,  besonders  die  Schilderung  bei  Proper«  El.  IV. 
6,  27  ff.,  wo  Actius  Apollo  dem  mit  der  Aegis  die  Achäer  zurückschreckenden  (11.  XV. 
307 ff.)  oder  die  Pestschlange  tödtenden  Gott  verglichen  wird;  s.  a.a.O.  57 f.: 

vincit  Roma  fide  Phoebi ;  dat  femina  poenas. 
Ebendas.  68  ff. :  Actius    hinc  traxit  Phoebus  raonumenta,  quod  ejus 

una  decem  vicit  missa  sagitta  rate«. 

Bella  satis  cecini ;   citharam  jam  poscit  Apollo 

victor  et  ad  placidos  exuit  arma  choros. 
Gleich  wichtig  ist  die  Schilderung  des  Bildes  der  aktischen  Schlacht  auf  einem  Sfchild  bei 
Virg.  Aen.  VIII.  625  ff.,  bes.  V.  704  :  Actius  haec  cernens  arcum  intendebat  Apollo.  Wenn 
hier  bei  dem  in  allen  Tempeln  nach  des  August  dreifachem  Triumphe  (VII.  VIII.  Idus  Sex- 
tiles  DCCXXV)  gefeierten  Fest  der  Dichter  berichtet: 

ipse  sedens  niveo  candentis  limine  Phoebi 
dona  recognoscit  populorum  aptatque  superbis  postibus, 
so  fragt  es  sich,  ob  hierunter  der  damals  noch  nicht  geweihte  Tempel  des  Palatinischen 
Apollo  oder  der  ältere  Tempel  des  Apollo  vor  der  Porta  Carmentalis ,  dessen  Beziehung 
zu  den  Triumphen  wir  auch  oben  erläutert  haben  zu  verstehen  sei.  Es  ist  nicht  zu 
läugnen,  dass  die  Hervorhebung  des  niveo  limine  candentis  Phoebi,  das  superbis  postibus 
für  den  neuen  eben  von  Grund  aus  aus  lunensischem  Marmor  gearbeiteten  Tempel  des  Pa- 
latinus  spricht. 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmy thus  etc.  141 

gustus  als  Aufgabe  fiir  den  Künstler  ausgegangen  wäre,  ob  hier  nicht  ein 
mythisches,  allbekanntes  Thema  neben  das  der  Niobiden  gestellt  sein  würde. 
Endlich  haben  wir  überhaupt  zu  fragen,  ob  die  Hauptwerke,  die  das  Heilig- 
thum  des  Apollo  Palatinus  schmücken,  ältere  von  Augustus  aus  Griechen- 
land oder  andern  Stätten  griechischer  Kunst  nach  Rom  entführt  waren  und 
ob  wir  weiter  für  die  Oertlichkeiten  überhaupt  irgend  Andeutungen  besitzen. 
Nun  da  ist  der  Apollo  Palatinus  ein  Werk  des  Skopas,  dessen  Thätigkeit 
ausser  auf  Hellas  selbst  auf  die  Inseln,  wie  Samothrake,  Chryse,  auf  die  klein- 
asiatischen Städte,  wie  Ephesos,  Halikarnass,  Knidos  sich  erstreckte,  ist  die 
daneben  stehende  Latona  ein  Werk  des  Praxiteles,  dem  Ephesos  besonders 
treffliche  Werke  verdankte,  abgesehen  von  Knidos,  Parion,  karischen  Städ- 
ten, die  Diana  ein  solches  des  Timotheos,  eines  Genossen  des  Skopas  bei  dem 
plastischen  Schmucke  des  Mausoleum  zu  Halikarnass1),  ergänzt  durch  Avia- 
nius  Evander,  den  athenischen  Künstler  und  Restaurator,  der  mit  Antonius 
in  Alexandrien  war  und  von  dort  unter  August  als  Gefangener  nach  Rom 
k  am2) .  Da  befinden  sich  in  oder  auf  dem  Giebel  die  Marmorwerke  des  Bu- 
palos  und  Athenis,  von  Augustus  versetzt  von  einer  der  Inseln  Chios,  Lesbos, 
Delos  oder  anderer  benachbarter,  für  die  jene  Künstler  gearbeitet.  Da  stehen 
im  Tempelhofe  die  vier  Stiere  des  Myron ;  von  diesem  Meister  hatte  Anto- 
nius, wie  wir  sehen  erwähnten,  einen  Apollo  aus  Ephesos  entfuhrt,  Augustiis 
gab  ihn  zurück  infolge  einer  Traumerscheinung,  von  demselben  hatte  Anto- 
nius drei  Kolosse  des  Zeus,  der  Athene,  des  Herakles  aus  dem  Tempelhof 
vom  Heraeon  in  Samos  entfuhrt,  Augustus  gab  zwei  zurück,  und  stellte  sie 
wieder  auf,  weihte  den  Zeus  aber  auf  dem  Capitol  in  einem  eigenen  Baue*). 
In  Smyrna  befand  sich  ein  berühmtes  Marmorwerk  des  Myron4) .  Derartige 
Stiere  von  Erz  oder  selbst  edlerem  Metall  finden  wir  als  Weihgeschenke  ver- 
schiedener Bedeutung,  besonders  nach  der  Befreiung  des  Landes  vom  Feind 
in  grossen  Heiligthümern,  so  im  Artemision  zu  Ephesos  die  goldenen  Kühe 
von  Kroesos  gestiftet,  so  in  Delphi,  Olympia,  auf  der  Akropolis Ä) .  Wo  die 
Danaiden  und  die  Reiterstatuen  der  Aegyptiaden,  wenn  diese  wirklich  auch 
vorhanden  waren,  herstammten,  wissen  wir  nicht,  aber  keinesfalls  ist  diese 
gewaltige,  gelöste  Gruppe  erst  für  den  Tempel  gebildet  worden ;  man  hat  sie 
in  Rhodus  vorhanden  geglaubt.  Eine  Daktyliothek  war  von  Marcellus,  dem 
Sohne  der  Octavia  aber  dahin  geweiht,  also  vor  732  a.  u.  c.  =  22  v.  Chr., 


1)  Brunn  Gesch.  d.  gr.  Künstler  I.  S.  S.  383. 

2)  Brunn  Gesch.  d.  gr.  Künstler  II.  S.  547,  wo  das  Verhältniss  zu  Antonius,  zu  C. 
Aemilius,  endlich  zu  Augustus  nicht  ganz  richtig  behandelt  scheint. 

3)  Strabo  Vlll.  J  :  wv  rgta  Mvgtovos  tyya  xokoootxa  ItiQvpiva  ln\  fitäs  ßdoetus,  u  yQt 
fth  *Avx<nvtos  avittrixe  (fi  naliv  6  Ztßaarbs  Kaioag  eis  t^v  «wt^v  ßdaiv  ra  Juo  t^v  *ji&?}var 
xa\  tbv  'HqaxXia  tof  ök  Jia  eis  tö  KttneToiltov  fitrtjveyxe  xaraaxevdaas  uvrip  vataxor. 

4)  Plin.  XXX VI.  5,  4.  §  30. 

5)  Vgl.  Curtius  in  Archaol.  Zeit.  1860.  S.  37  ff. 


142  Zweites  Kapitel. 

wie  sie  in  den  hellenistischen  Reichen  Asiens  mit  so  grossem  Eifer  und  Wert- 
schätzung gebildet  wurden1).  Ausdrücklich  wissen  wir  aber,  dass  das  Wun- 
derwerk einer  ehernen  Lampe  in  der  Gestalt  eines  Apfeltragenden  Baumes 
von  Augustus  aus  dem  Tempel  des  Apollo  zu  Kyme  in  der  Aeolis,  welche 
selbst  erst  dahin  von  Alexander  dem  Grossen  aus  der  Beute  von  Theben 
gestiftet  war,  entnommen  und  nach  Rom  in  das  Heiligthum  des  Apollo  Pa- 
latinus geweiht  war2). 

Diese  letzte  Thatsache  fuhrt  uns  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  weiter 
zu  einer  Bestimmung  des  Ileiligthums,  an  dem  diese  Elfenbeinthüren  sich 
ursprünglich  befunden  haben.  Wir  wissen,  dass  der  Apollo  Palatinus  von 
Augustus  und  von  den  Dichtern  seiner  Umgebung  durchaus  als  der  speci- 
fische  Apollo  der  Trojaner,  als  der  Schutzgott  derAeneaden  betrachtet  ward8), 
daher  Virgil  sogar  die  Gründung  seines  Tempels  zu  einem  Versprechen  des 
Aeneas  macht*),  dass  Augustus  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  die  neu  ge- 
ordneten sibyllinischeu  Orakel  in  den  Tempel,  ja  sogar  in  zwei  vergoldeten 
Behältern  unter  die  Statue  des  Apollo  selbst  niederlegen  liess  5) .  Nun  aber 
ist  über  Cumae  in  Italien  wie  die  sibyllinische  Orakelsammlung,  so  damit 
zuerst  Apollodienst  nach  Rom  gekommen ;  das  italische  Cumae  ist  aber  zu 
einem  Theil  Colonie  des  äolischen  Kyme6)  oder  doch  Schwestercolonie  mit 
demselben  von  dem  euböischen  Kyme  und  alle  seine  religiösen  Beziehungen 
knüpfen  an  die  kleinasiatische  Küste  am  In  dem  Gebiete  des  äolischen  Kyme 
wohnten  teukrische  Gergithier  mit  einem  Orte  Gergithes ;  Gergis  oder  Gergi- 
thum  am  Ida  der  Stammort  hatte  aber  das  uralte  Heiligthum  des  teukrischen 
Apollodienstes  und  der  damit  verbundenen  dort  bestatteten  Sibylla7).    Somit 


1)  Plin.  h.  n.  XXXVII.  1.  5.  §  II,  dazu  Muller  Handb.  d.  Archäol.  g  162. 

2)  Plin.  h.  n.  XXXIV.  3,  K.  §  141  placuere  et  lychnuchi  pensiles  indelubris  autarbo- 
rum  mala  ferentium  modo  lucentes,  quäle  est  in  templo  Apollini 8  Palatini,  quod  Alexander 
magnus  Thebarum  expugnatione  captum  in  Cyme  dicaverat  eidem  deo. 

3)  Vgl.  Preller  röm.  Mythol.  S.  273;  Marquardt-Becker  röm.  Alterth.  IV.  S.  296  ff. 

4)  Aen.  VI.  69 :  tum  Phoebo  et  Triviae  solido  de  marmore  templum  instituam  festos- 
que  dies  de  nomine  Phoebi  mit  Serv.  ad  1.  1.  Nicht  bedeutungslos  ist  die  Hervorhebung 
der  Trivia/d.  h.  Diana,  welche  als  Victrix  da  verehrt  ward. 

5)  Wenn  dies  letztere  auch  erst  im  J.  12  v.  Chr.  geschehen  ist  nach  Suet.  V.  Octav. 
31,  so  ergiebt  sich  doch  aus  Virgil  (Aen.  VI.  72—75)  und  aus  Tibuli  (El.  II.  5),  dass  gleich 
von  Anfang  das  Heiligthum  des  Apollo  Palatinus  die  sibyllinischen  Bücher  in  Verwahrung 
erhielt. 

6)  Strabo  V.  4,  4 :  Kvfiti  XaXxtöiiav  xal  Kvpaltav  naXaioxaiov  xrto/uct;  vgl.  dasu  die 
Stellen  bei  K.  F.  Hermann  gr.  Antiqu.  1.  §  S2.  31. 

7)  Strabo  VIII.  1:  iv  öl  rrj  AafAijjaxfjvj  ivapneXog  FeQyt&tov  tjV  #k  xal  nokii  /Y<)- 
ytd-a  ix  rtoy  iv  ry  KvfActUt  rfQytiHov  vtr  yaQ  xaxtl  noXtg  nXtj&vprixöc  xal  &t}Xvxiüg  Uyopivn, 
ai  r£Q)'i&te — xal  vvv  fri  tiiUvvTCti  xonog  iv  rrj  Kv/uatq  rtQyC&tov  7iQog  AttQlaay.  Herod.  V. 
122:  ilXt  dk  riQytöag  xovg  vnoXttif&triag  rtov  aQxaitov  T(vxq<5v  VII,  42.  —  7¥py#$«c  Tiv- 
xqov*.  Steph.  Byz.     r^Qyig  noXig  Tootag  .  .  .  atp    ov  FtQytMa  XQtjijpoXoyoe  ZlßvXXa  tjrtg 


Berühmte  griechische  Werke  des  Niobidenmythus  etc.  1 43 

war  das  Apolloheiligthum  im  Gebiete  vom  äolischen  Kyme  oder  in  der  Stadt 
selbst  eine  ArtMutterheiligthum  für  das  Kymäische  in  Italien  und  für  den 
Cult  des  palatinischen  Apollo.  Und  sehr  wohl  konnten  von  dorther  die  Elfen- 
beinthüren  nebst  jenem  Prachtleuchter  nach  Rom  gewandert  sein.  Kyme 
war  aber  in  der  Zeit  des  August  die  grösste  und  beste  aller  äolischen  Städte, 
reich  geschmückt  mit  Säulenhallen  und  mit  bedeutenden  Höfen,  aber  für  ihr 
eigenes  Interesse  nicht  eben  klug  besorgt. 

Die  Wahl  der  Darstellungen  auf  diesen  Thüren,  deren  Fertigung  also 
jedenfalls  nach  279  v.  Chr.  und  natürlich  nicht  gleich  darauffällt,  war  eine 
gerade  für  ein  Apolloheiligthum  in  Kyme  nahe  liegende,  denken  wir  nur 
einerseits  daran,  wie  der  Sipylos  selbst  und  der  mythische  Schauplatz  der 
Niobesage,  die  Gegend  von  Magnesia  am  Sipylos  den  unmittelbaren  Hinter- 
grund zur  kymäischen  Küste  bildet,  nur  wenig  Stunden  entfernt  liegt  — 
und  wie  die  Niobesage  auch  in  der  Umgebung  des  Ida  und  in  den  dortigen 
Apolloheiligthümern  wurzelt,  werden  wir  später  noch  erweisen.  Und  andern- 
seits  waren  von  den  äolischen  Städten  der  Küste  in  so  furchtbarer  Weise  die 
Raubzüge  der  gallischen,  nach  Osten  27S  v.  Chr.  übergesetzten  Schaaren  er- 
fahren worden  und  ihr  endliches  Zurückdrängen  von  der  Küste  in  das  angrän- 
zende  Teuthranien  und  ihre  dortige  Resiegung  durch  Attalus  I.  Eumenes,  be- 
sonders durch  die  Schlacht  im  J.  239  (Ol  135,  2)  freudig  begrüst1).  Auch  etwas 
später  sah  Kyme  noch  ein  gallisches  Heer  drohend  sich  nahen,  aber  nur  als 
Soldtruppen  des  Attalus2)  ;  auch  da  machte  es  sich  durch  Eigenmächtigkeit 
und  Raubsucht  den  Städten  wie  dem  König  selbst  gefährlich. 

Welch  reich  ausgebeuteten  Stoff  diese  Gallierschlachten  den  Künstlern, 
Bildhauern  und  Malern  des  pergamenischen  Reiches  gab,  wie  Pergamon 
selbst  auf  ein  grosses  Gemälde  der  Art  stolz  war,  Attalus  nach  Athen  jene 
früher  besprochene  Composition  stiftete  und  zwar  in  Bezug  zu  Apollo  Par- 
nopios  und  Artemis  Leukophryene ,  ist  bekannt,  das  Erstere  zuletzt  durch 
Brunn  gut  ins  Licht  gesetzt  worden8).  Und  wir  können  nun,  indem  wir 
im  Apolloheiligthum  im  Gebiet  von  Kyme  unsere  Elfenbeinthüren  zu  suchen 


xal  retvnwtai  iv  ff)  topfapari  rcSv  re(ryt&{(or  ttviy  t€  xal  »)  Z<f(yt  (og  4>Xiy(ov  iv  'OAiz/i- 
utadtav  TTQiüTrj  •  iv  tfi  r(p  itQV  rov  TtQyi&hv  UnoXXtavog  ZtßvXXtjg  ifttalv  (hat  rdifov.  Vgl. 
dazu  Klausen  Aeneas  und  die  Penaten  I.  S.  203  ff.,  über  d.  Ableitung  der  Sibylla  von  Ery- 
thrä  von  der  erythräischen  am  Ida  aus  Gergis  S.  236 f.,  über  Verbindung  der  cumanischen 
Sibylla  in  Italien  mit  Gergitha  bei  Kyme  in  Aeolis  S.  248. 

1)  Paus.  I.  4,  5:  raXariov  dk  oi  noXXol  vavolv  ig  rqv  *Aolav  Staßdvng  rd  nttQtt- 
öalaoöia  avTtjg  iXefjXdrovv  XQ*V(P  ^  vartQOv  ol  JJ(Qyafj.ov  fyovTig  naha  dl  Ttv- 
&Qavlav  xaXou/Lt£%>r]v,  ig  ravtrjv  FaXdrag  iXavvovütv  ano  &aXäaaijg.  1.  8,  2 :  (von  Attalos  1) 
(ifyiotov  di  ianv  ol  T(5v  ioytov  •  raXdrtti  yaQ  ig  Hp  yfv  tjv  in  xal  vvv  ixovOir,  dvaqvytTr 
Tjvdyxaotv  ano  d-aXdaafjg. 

2),Polyb.  V.  77 ff. 

3)  Gesch.  d.  gr.  K.  I.  S.  442  ff. 


144  Zweites  Kapitel. 

durch  die  obige  Untersuchung  gedrängt  werden,  um  so  bestimmter  der  von 
ihm  ausgesprochenen  Yermuthung  zustimmen,  dass  dieselben  ein  ausgezeich- 
netes Werk  'nach  Properz  ja  ein  nobile  opus)  der  Pergamenischen  Künstler 
waren,  wahrscheinlich  ein  solches  des  als  caelator  unter  den  ersten  genann- 
ten Stratonikos  von  Kyzikos.  Dass  der  Künstler  aber  für  diesen  Schmuck 
des  Apollotempels  nicht  eine  historische  Scene  aus  den  asiatischen  Gallier- 
schlachten wählte,  sondern  ein  Prototyp  für  alle  folgenden  Kämpfe  in  den 
Wunderthaten  des  Gottes  an  den  Galliern  in  Delphi,  zugleich  ein  strenges 
Gegenbild  zum  Niobidenuntergange,  rechtfertigt  sich  in  sich  selbst. 

Einen  sehr  grossen  Theil  der  von  Augustus  in  Rom  in  Tempeln,  inner- 
halb der  Fora  und  sonst  aufgestellten  griechischen  Kunstwerke  hat  derselbe 
von  Alexandrien  aus  den  unermesslichen  dort  für  Kleopatra  aus  den  grie- 
chischen Städten  zusammen  gehäuften  Schätzen  nach  Rom  geführt1),  anderes 
ist,  wie  jener  Prachtleuchter  von  ihm  selbst  auch  nach  der  Schlacht  bei  Ac- 
tium  aus  den  Tempeln  wohl  als  Ehrengabe,  auch  als  Busse  für  die  Partei- 
nahme für  Antonius  entnommen  worden.  Augustus  durchzog  aber  nach  der 
Schlacht  bei  Actium  Hellas  und  nahm  dann  seinen  Winteraufenthalt  in  Sa- 
mos,  von  wo  er  dann  allerdings  bald  nach  Brundisium  ging,  aber  nach  der 
Ordnung  der  italischen  Verhältnisse  noch  im  Winter  nach  Asien  zurück- 
kehrte2). In  Samos  sehen  wir  ihn  nach  der  Rückkehr  aus  Aegypten  von 
Neuem  seine  Winterquartiere  nehmen  und  sein  fünftes  Consulat  antreten8). 
Auch  noch  im  J.  22  v.  Chr.  hatte  er  im  Winter  Samos  zum  Mittelpunkt  sei- 
ner persönlichen  Anordnungen  in  Asien  gemacht4).  Von  Samos  haben  wir 
ihn  uns  also  auch  in  Kyme  anwesend  zu  denken,  sowie  er  die  Werke  des  Bu- 
palos  und  Athenis  damals  von  den  Inseln  nach  Rom  versetzen  liess.  Ob 
diese  Prachtthüren  über  Alexandrien  nach  Rom  gekommen  sind,  oder  direkt, 
wollen  wir  daher  nicht  entscheiden. 

Ihre  Vernichtung  fällt  jedenfalls  mit  dem  gänzlichen  Untergang  des  pa- 
latinischen  Tempels  durch  Brand  unter  Julian  im  J.  36  S  zusammen,  wobei 
man  nicht  einmal  die  sibyllinischen  Bücher  retten  konnte5). 


1)  Sehr  bezeichnend  sind  die  Worte  bei  Cass.  Dio  LI.  IT:  xQ^paTtt  <ft  noXla  ph  tv 
Tt$i  ßaatltxü  (vq^tj  •  77«Vr«  yttQ  tag  tlnsTv  xal  t«  ix  twv  ayiatTdratv  Iiqujv  uv«&ijp<tT«  q 
KXtondxQa  aviko/iivri  auvenlri&vof  ra  Xatfvoa  ro7g  Patfialotq  av£v  rtrog  otxtfov  avraiv  ptd- 
OfMtTos*  nolka  Jl  xal  nag  ixtiarov  reo»'  ahtad£vT(ov  tt  ri&Qoio&rj. 

2)  Sueton.  V.  Octav.  17  :  ab  Actio  cum  Samum  in  hiberna  se  reeepisset. 

3)  Sueton.  Y.  Octav.  26 :  consulatum-quintum  in  insula  Samo  iniit. 

4)  Cass.  Dio.  LIV.  7. 

5)  Ammian.  Marceil.  XXIII.  3. 


Sonstige  Zeugnisse  über  Kunstdarstellungen  der  Niobe.  145 

§  16. 
Eückblick.   Sonstige  Zeugnisse  über  Ennstdarstellnngen  der  Niobe. 

Ueberblicken  wir  nun  die  in  den  zwei  vorhergehenden  Abschnitten  näher 
behandelten  Kunstwerke,  so  ergiebt  sich  also,  dass  zwei  bedeutende  Re- 
lief compositionen  in  Elfenbein  und  Goldschmuck  den  Tod  der  Niobiden 
behandelten :  ein  Werk  des  Phidias,  wenn  auch  ausgeführt  von  seinem  Ge- 
nossen Kolotes,  im  Zusammenhang  der  reichen  Compositionen  am  Throne  des 
olympischen  Zeus,  aus  der  Zeit  unmittelbar  vor  432  v.  Chr.,  ein  zweites  also 
um  200  Jahre  später  zu  setzen,  welches  die  Thüren  eines  Apollotempels  an 
der  äolischen  Küste  Kleinasiens ,  wahrscheinlich  in  Kyme,  seit  28  v.  Chr. 
die  des  Apollotempels  zu  Rom  schmückte.  Daneben  treten  dann  zwei 
statuarische  Schöpfungen:  die  Marmorgruppe  des  Skopas  oder  Praxite- 
les, also  zwischen  Ol.  95  und  110  =  400  und  340  v.  Chr.  etwa  geschaffen, 
jedenfalls  für  eine  kleinasiatische  Tempelstätte',  wahrscheinlich  für  das  Sar- 
pedonion  bei  Holmoi  oder  Seleucia  in  Cilicien,  durch  C.  Sosius  nach  Rom 
geführt  und  im  Tempelbezirk  des  Apollo  Sosianus,  nicht  im  Innern  der  Cella 
oder  im  Giebel,  sondern  in.einer  Säulenhalle  oder  Schola  35  v.  Chr.  aufge- 
stellt. Etwas  jünger,  um  320  gefertigt  ist  eine  zweite  Gruppe,  deren  Stoff 
nicht  sicher  steht,  doch  wahrscheinlich  auch  aus  Marmor,  aufgestellt  in  der 
Grotte  des  Apollo  über  dem  Dionysostheater  zu  Athen,  möglicherweise 
von  Thrasyllos  geweiht,  in  einem  Bereiche  religiös  und  mythologisch  ver- 
wandter Darstellungen  befindlich,  noch  in  dem  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr. 
daselbst  vorhanden.  Wir  werden  diese  vier  Compositionen  als  unter  sich 
wesentlich  verschieden  schon  nach  der  architektonischen  und  tektonischen 
Einrahmung  betrachten  müssen.  Zugleich  fallen  sie  alle  noch  in  die  Zeit 
der  immer  neu  gestaltenden  Produktionskraft  der  Plastik  von  Phidias  bis  zur 
pergamenischen  Schule  und  sind  für  weit  von  einander  getrennte  Lokale  ge* 
schaffen  worden. 

Noch  bleiben  uns,  ehe  wir  die  Reihen  der  uns  erhaltenen  Monumente 
durchwandern  und  die  ihnen  zu  Grunde  liegenden  Compositionen  unter  sich 
vergleichen  und  in  ihrem  Verhältniss  zu  diesen  imAlterthum  berühm tetf  Mei- 
sterwerken zu  bestimmen  suchen,  einige  verstreute  Bezüge  zu  Niobedarstel- 
lungen  zur  Erwähnung  übrig.  Dass  diese  zwei  hochbedeutenden  Kunst- 
werke, die  in  Rom  seit  August  sich  den  Beschauern  darboten  an  geheiligter, 
ja,  was  wenigstens  den  Tempel  auf  dem  Palatin  betrifft,  viel  von  Dichtern 
betretener  Stelle  nicht  ohne  Einfiuss  auf  die  römischen  Dichter,  besonders 
Ovid  und  Statius  geblieben  sind,  das  wird  unwillkürlich  die  frühere  Analyse 
ihrer  Schilderungen  ergeben  haben ;  auf  Einzelheiten  haben  wir  später  noch 
hinzuweisen. 

8Urk,  Niobe.  10 


146  Zweites  Kapitel. 

Bei  Meleager  von  Gadara1),  dem  Epigrammatiker  am  Hofe  der  letz- 
ten Seleukiden,  haben  wir  die  Entstehung  des  oben  besprochenen  Epigramms 
entschieden  an  den  Anblick  einer  künstlerischen  Darstellung  in  seiner  Um- 
gebung, in  einer  hellenistischen  Stadt  Asiens  anzuschliessen.  Und  zwar  ist 
hier  der  Tod  der  Söhne  und  der  der  Töchter  als  ein  geschiedener  aufgefasst ; 
jener  wird  vorausgesetzt,  wie  etwa  der  schmale  obere  Fries  mit  den  liegenden 
Leichen  der  Söhne,  dieser  erfolgt  erst  in  den  verschiedensten  Situationen  bei 
den  sieben  Töchtern.  Von  der  Mutter  geht  der  Dichter  aus,  zu  ihr  kehrt  er 
schliesslich  zurück.  Ueber  ihre  künstlerische  Motivirung  ist  nur  zu  entneh- 
men das  Lösen  der  Haarbinde,  also  ein  reiches  Herabwallen  des  Haares, 
dann  ihr  Erstarren  im  Staunen  ;  ob  sie  sitzend,  ob  stehend  dem  Dichter  vor- 
schwebte, darüber  hören  wir  nichts,  an  das  Letztere  wird  man  unter  dem 
Einflüsse  der  erhaltenen  Statuen  zunächst  denken.  ,, Eine  Tochter  ist  gelehnt 
an  die  Kniee  der  Mutter,  die  andere  ruht  in  ihrem  Schoosse.  Auf  dem  Erd- 
boden ruht  die  eine  bereits,  eine  andere  ist  an  die  Brust  gelehnt  wohl  der 
nächstfolgenden  Schwester,  welche  dem  kommenden  Geschoss  eben  in  das 
Auge  schaut.  Eine  sechste  duckt  sich  scheu  vor  den  Pfeilen;  eine  siebente 
schaut  noch  unversehrt  das  Tageslicht' ' 2).  Wir  haben  also  eine  Gruppe  der 
Mutter  mit  zwei  Kindern :  wir  haben  dann  in  den  fünf  anderen  eine  Reihe 
der  aufeinanderfolgenden  Momente:  vom  todt  auf  dem  Erdboden  Liegen  zum 
Einsinken,  zum  Moment  des  Treffens  einer  Stehenden,  zum  scheu,  geduckt 
Fliehen,  endlich  zum  unversehrten  Zustand  einer  wohl  noch  mehr  ruhig  Ge- 
stellten. Man  wird  an  ein  Relief  zu  denken  eher  veranlasst,  als  an  eine  Reihe 
Statuen ;  wenigstens  ist  Niobe  mit  zwei  Töchtern,  ebenso  die  auf  dem  Erd- 
boden ruhende  Tochter  bisher  nur  auf  Reliefs  nachweisbar.  Auch  das  zweite 
Epigramm  des  Vorgängers  und  Landsmanns  von  Meleager,  des  Antipater 
von  S  don  weist  auf  ein  grösseres  plastisches  Vorbild  hin,  wie  wir  schon  oben 
bemerkten.  Die  Motivirung  der  Niobe  selbst,  „ihr  Erheben  der  Hand  zum 
Olympos,  das  Herabwallen  ihres  göttlichen  Haares  vom  gottlosen  Haupt" 
tritt  in  der  berühmten  Statue  und  auch  auf  Sarkophagreliefs  uns  sichtbar 
entgegen.  Dann  wird  Niobe  hingewiesen  auf  die  Kinder,  zunächst  drei  Töch- 
ter, von  denen  „die  eine  ihr  nahe  in  Todeszuckungen  ist,  die  andere  im 
schwindenden  Athem  sich  anlehnt,  über  einer  dritten  das  schwere  Verhäng- 
nis8  drohend  hängt",  von  da  weiter  auf  die  bereits  im  Tode  gebettete  Schaar 


1)  S.  oben  S.  60. 


2)  Meleag.  in  Anthol.  gr.  I.  p.  33.  n.  CXVI1 : 

a  filv  yaQ  ficcTQog  inl  yovrccatv,  a  cf  M  xolnoig 
xtxkirai '  a  d*  inl  yug  «  tf '  IntfUHOTidtog, 
akXa  <f  ävjtunbv  &außti  ßikog,  «  J'  In*  oiaroig 
nTtooau '  Tßff  d*  H[A7ti*ow  o'  u  tri  q&g  way. 


Sonstige  Zeugnisse  über  Kunstdarstellungen  der  Niobe.  147 

der  Söhne *) .  Hier  sind  die  Töchter  in  nächster  Nähe,  die  Söhne  ferner  ge- 
dacht, die  letzten  aber  bereits  hingestreckt  im  Tode.  Dass  Antipater,  der  im 
anderen  Epigramm  ausdrücklich  von  zweimal  sieben  Kindern  spricht,  hier 
nur  drei  Töchter  in  ihrer  Situation  andeutet,  weil  er  nur  soviel  vor  sich  sah, 
halte  ich  für  unbegründet,  im  Gegentheil  wählte  er  diese  drei  nur  aus  als 
drei  Stufen  des  Schmerzes  und  Unterganges.  Und  wir  können  recht  wohl  ein 
und  dieselbe  Composition  als  für  Meleager  und  Antipater  bestimmend  anneh- 
men, treffen  doch  wichtige  Züge  zusammen  und  sind  andere  zu  vereinigen. 

Dagegen  gelten  die  zwei  früher  bereits  erwähnten  späten  griechischen 
Epigramme,  von  denen  das  eine  von  Ausonius  übersetzt  ist,  entschieden  einer 
berühmten  Niobestatue,  welche,  wenn  auch  ursprünglich  als  Glied  einer 
Gruppe  gedacht,  doch  für  sich  allein  wiederholt  sein  muss.  Kein  einziges 
specielles  Motiv  tritt  uns  dabei  heraus ;  nur  von  der  vollen  Wahrheit  der  Ge- 
stalt der  um  das  Schicksal  der  Kinder  trauernden  Mutter  ist  bei  Julianos 
Aegyptios  die  Rede.  Der  Name  Praxiteles  haftete  nach  dem  andern  Epi- 
gramm und  Ausonius,  also  im  vierten  Jahrhundert  n.  Chr.,  an  der  Niobe- 
statue ;  wir  haben  aber  kein  Recht,  hier  noch  mit  Feuerbach2)  an  eine  eigen- 
thümliche  Schöpfung  dieses  Meisters,  abgesehen  von  der  Niobe  in  der  Gruppe, 
über  deren  Ursprung  zu  Plinius  Zeit  das  Urtheil  bei  den  Kunstkennern  zwi- 
schen Skopas  und  Praxiteles  schwankte,  zu  denken,  ebensowenig  daraus 
für  die  Entscheidung  jener  Frage  einen  Grund  zu  entnehmen,  da  ja  Praxiteles 
für  Marmorbüdner  ei  der  generelle  Vertreter  geworden  war. 

Eine  bisher  noch  unbeachtet  gebliebene  Verwendung  des  Niobidenmy- 
thus  an  einem  tektonischen  Werke  lernen  wir  aus  Statius  kennen;  der  Dich- 
ter schildert  eine  phokensische  Kriegsschaar,  Umwohner  des  Parnass  und  des 
oberen  Kephissosthales ,  er  nennt  sie  phöbeische  Schlachtreihen  und  giebt 
ihnen  apollinische  Wahrzeichen,  auf  der  Spitze  des  Helmes  Lorbeerzweige, 
an  ihren  Waffen,  hier  zunächst  Schilden,  sindThaten  des  Apollo  angebracht: 
die  Vernichtung  des  Tityos,  die  Befestigung  von  Delos,  die  blutige  Nieder- 
lage der  Niobiden,  durch  des  Apollo  Geschosse  angerichtet8).    Es  kann  hier 


1)  S.  oben  S.  62.  Monumental  wichtig  der  Anfang: 

rinn  yvvai  TJQog^'Okvfxnov  aratdict  %tiQa  rirevxttg 
h'&iov  l£  aOtou  XQttrbg  atfttoa  xofiav ;     dann : 
«  piv  y«Q  nttldtov  onaJQei  ntXctg,  a  dk  Xtnonvovg 
xtxXirat,  et  dl  ßctQvg  nor/iog  inixg^/inrai. 

2)  Yatik.  Apollo.  2.  Aufl.  S.  219:  „Auch  die  Niobe  des  Praxiteles  kann  nach  dem 
bekannten  Epigramm  (Anthol.  gr.  IV.  p.  181.  p.  298)  zu  keiner  Gruppe  gehört  haben  und 
wahrscheinlich  veranlasste  eine  berühmte  Statue  dieses  Künstlers  den  Zweifel  der  römi- 
schen Kunstkenner,  ob  die  Gruppe  in  Rom  ihm  oder  dem  Skopas  zuzuschreiben  sei." 

3)  Stat.  Theb.  VI.  351  ff. : 

omnibus  immixtas  cono  super  aspice  lauros 
armaque  vel  Tityon  vel  Delon  habentia  vel  quas 
hie  deus  innumera  laxavit  caede  pharetras. 

10* 


148  Zweites  Kapitel. 

nur  an  eine  aus  wenig  Figuren  bestehende  Darstellung  gedacht  werden,  wie 
wir  sie  auf  Vasenbildern  kennen  lernen  werden,  da  nicht  etwa  ein  einzelnes 
Meisterwerk  mit  concentrischen  Reihen  von  Scenen  hierbei  dem  Dichter  im 
Sinne  lag,  sondern  ausdrücklich  dieses  neben  andern  Schildzeichen  genannt 
wird.  Wie  dort  an  den  Thiiren  des  Tempels,  haben  wir  den  Mythus  hier  als 
ein  mahnendes  Apotropaion  für  alle  Gegner  der  apollinischen  Schaar  aufzu- 
fassen. 

Eine  Nachricht  endlich  über  die  auch  noch  in  der  Spätzeit  der  griechi- 
schen römischen  Kunst  nicht  seltene  malerische  Behandlung  des  Stoffes 
giebt  uns  der  Commentator  des  Statius,  Lactantius  Placidus:  „auch  noch 
heute",  heisst  es  da,  „wird  Niobe  so  gemalt,  den  Schooss  mit  so  viel  Kindern 
erfüllt,  indem  sie  einen  jeden  mit  ihren  Händen  schützend  zu  umfassen  strebt." 
Eine  Auffassung,  zu  der  wir  bis  jetzt  noch  nicht  ganz  entsprechende  Denk- 
mäler aufweisen  können ;  über  zwei  in  den  Schooss  der  Mutter  geflüchtete 
Kinder  gehen  dieselben  bisjetzt  nicht  hinaus.  Es  erinnert  uns  jene  Auffassung 
ganz  und  gar  an  gewisse  Darstellungen  der  Maria,  die  in  ihrem  Mantel  eine 
Fülle  von  Personen  schützend  birgt.  Die  ganze  Nachricht  ist  übrigens  um  so 
bemerkenswerther,  als  wir  sonst  keine  Andeutung  besitzen,  dass  Niobe  zum 
Gegenstand  eines  berühmten  Gemäldes  gedient  habe. 

§  17. 
Die  erhaltenenMonumente:  Allgemeines.   Vasenbilder  und  Wandgemälde. 

Indem  wir  uns  nun  zu  der  Untersuchung  der  uns  erhaltenen  Mo- 
numente des  Niobemythus  wenden,  so  tritt  uns  hier,  was  die  Denkmäler- 
gattungen betrifft,  eine  sehr  wesentliche  Verschiedenheit  von  den  meisen 
Heroensagen  entgegen.  Die  statuarische  Bildung  herrscht  in  bedeutungs- 
vollster Weise  vor,  mau  erkennt,  mit  welcher  Vorliebe  berühmte  Werke  in 
ganzen  grossen  oder  kleinen  Vereinen,  einzeln,  ja  in  den  Kopfbildungen  im- 
mer wieder  behandelt  sind.  Kleinere  Uebergangsformen  leiten  von  da  zürn 
Relief  hinüber,  so  nur  vorn  ausgearbeitete  Statuetten  oder  eigentliche  Haut- 
reliefs, bestimmt  an  einem  Hintergrund  befestigt  zu  werden.  Daneben  nimmt 
das  Relief  unser  ganzes  Interesse  durch  die  Mannigfaltigkeit  seiner  Compo- 


Lactant  ad  1. 1.:  ita  se  devotos  Apollini  demonstrabant,  ut  lauro  coronati  incederent  et 
maximos  ejus  actus  scutorum  adaptarent  insignibus.  Caede  pharetras :  Niobe  uxor  Amphio- 
nis  cum  quatuordeeim  peperisset  filios  septem  virilis  sexus  Septem  foeminei,  foeeunditatem 
partuum  suorum  Latonae  praeposuit,  quare  commota  filios  suos  Apollinem  et  Dianam  in 
ultionem  suae  instigavit  injuriae,  cujus  Niobes  filios  quatuordeeim  uterque  deus  eistinxit 
sagittiB,  pueros  Apollo  puellas  Diana. 

1)  Ad  Stat.  Theb.  III.  394:  innumeris:  quia  innumera  orbitas  cinxerat  matrem.  Ka- 
peret terra:  illa  re  raperet,  uain  hodic  quoque Niobe  sie pingitur  gremium  conferta  totnatis, 
dum  unumquemque  amplecti  manibus  affeetat. 


Allgemeines.   Vasenbilder  und  Wandgemälde.  149 

sitionen  in  Anspruch  und  wir  haben  hier  architektonische  Friestheile  rein 
griechischen  Geistes  und  eine  Fülle  von  späteren  Sarkophagreliefs  grie- 
chisch-römischen, etruskischen,  spätrömischen  Stiles.  Unter  den  geschnitte- 
nen Steinen  möchte  wohl  manche  Einzelgestalt  mehr  hierher  noch  zu  be- 
ziehen sein.  In  auffallendster  Armuth  erscheint  dagegen  das  Gebiet  der 
Vasenmalereien;  dem  strengen  Stile  fehlt  bisher  eine  hierhin  gehörige  Dar- 
stellung ganz  und  gar,  zwei  Schalen  aus  Vulci  und  Nola  vertreten  allein  das 
Gebiet  des  vollendeten  Stiles  mit  rothen  Figuren;  am  bedeutsamsten  ist  die 
unteritaHsche  Malerei  in  einer  grossen  Amphora  aus  Ruvo  vertreten. 

Auch  eine  malerische  Composition  des  historischen  Stiles  ist  uns  unbe- 
kannt; ein  pompejanisches  Wandgemälde  reproducirt  in  dekorativer  Weise 
zwei  höchst  merkwürdige  Erzbildungen  tektonischer  Art  mit  dem  Niobemy- 
thus.  Ein  spätrömisches  Columbarium  der  Villa  Pamfili  bestätigt  endlich  die 
literarisch,  wie  wir  sehen,  bezeugte  Verwendung  dieses  Stoffes  in  der  Ma- 
lerei der  Spätzeit  und  zwar  in  bedeutsamer  Zusammenstellung  mit  anderen 
Mythen. 

Eines  springt  dabei  unmittelbar  in  die  Augen :  die  Gräberwelt  ist  es,  in 
und  für  welche  die  Darstellungen  dieses  Mythus  vor  allem  verwendet  wurden, 
mögen  wir  an  die  grosse  Zahl  der  reichgeschmückten  Sarkophage  dabei  den- 
ken, oder  an  die  Thonreliefs,  die  die  Grabräume  umzogen,  oder  an  die  Ge- 
mälde ihrer  Wandflächen  oder  an  die  unteritalischen  Gefässe  mit  ihrer  Rich- 
tung auf  Darstellungen  der  Todtenwelt.  Ja,  wir  können  sehr  wohl  die  Frage 
hier  schon  aufwerfen,  ob  nicht  manche  der  statuarischen  Repliken  für  die 
äussere  Dekoration  grösserer  Grabdenkmäler  in  Nischen  oder  zwischen  den 
Säulen  bestimmt  waren.  Andererseits  ist  die  ursprüngliche  Beziehung  der 
grossen  statuarischen  und  Reliefcompositionen  auf  die  Heiligthümer  des 
Apollo,  der  Artemis  und  Lcto  so  sehr  begründet  in  der  Sage  selbst,  wie  histo- 
risch bezeugt,  dass  wir  diesen  Gesichtspunkt  auch  für  die  Spätzeit  als  einen 
wichtigen  ansehen  müssen.  Während  bisher  die  Statuen  und  unter  ihnen 
allzulang  ausschliesslich  die  medieeische  Gruppe  Ausgangs-  und  Mittelpunkt 
aller  Betrachtungen  bildeten,  alle  anderen  Denkmäler  mehr  beiläufig  zusam- 
mengestellt und  besonders  ihre  Abhängigkeit  von  jener  möglichst  betont 
wurde,  hat  Welcker,  wie  wir  schon  in  der  Einleitung  hervorgehoben,  wenn 
auch  nur  anhangsweise  imd  in  mehr  zufälliger  Reihenfolge  doch  bereits  eine 
reiche  Uebersicht  über  dieselben  uns  gegeben  und  in  den  Sarkophagreliefs 
gewisse  zu  Grunde  liegende  Compositionen  mit  feinem  Sinne  geschieden. 
Für  eine  möglichst  unbefangene  und  objektive  Behandlung  der  Kunstdenk- 
mäler empfiehlt  sich  uns  jetzt  der  Weg  in  aufsteigender  Linie  von  den  Zeich- 
nungen und  Malereien  zu  den  Reliefbildungen,  den  Uebergangsgattungen 
endlich  zu  der  schwierigsten  Betrachtung  der  Statuen  in  ihrer  Einzelerschei- 
nung, wie  in  ihrer  möglichen  oder  wahrscheinlichen  Gesammtgruppirung. 
Für  die  letztere  ist  es  besonders  wichtig,  sich  einer  Reihe  von  feststehenden 


1 50  Zweites  Kapitel. 

Compositionen,  wenn  auch  in  anderen  Denkmälergattungen  bewusst  gewor- 
den zu  sein. 

Unter  den  bemalten  Gefassen  des  schönen  Stiles  zeichnen  sich  durch 
„zierlichste  Ausfuhrung  und  feinste  Anmuth"  diejenigen  aus,  deren  Male- 
reien auf  einen  weissen  Kreidegrund  aufgetragen  sind  !) .  Es  sind  wesentlich 
Schalen  und  Lekythoi,  diese  bisher  nur  auf  attischem  Boden,  in  Athen,  Sa- 
lamis, Aegina  gefunden,  jene  auch  dort ,  aber  auch  in  Nola  und  Vulci  ent- 
deckt. Zu  solchen  Schalen  gehören  die  zwei  bisher  einzigen  Beispiele  der 
Niobidendarstellung  auf  rein  griechischen  Gefassen  und  wir  können  Athen 
auch  für  sie  nach  ihrer  besonderen  Gattung  als  Fabrikort  annehmen,  wenn 
sie  auch  in  Vulci  und  Nola  gefunden  sind.  Die  eine  ist  zuerst  von  Raoul 
Rochette 2) ,  als  sie  in  den  Besitz  von  Durand  gleich  nach  ihrer  Entdeckung 
in  einem  Grabe  von  Vulci  gelangte,  ausführlich  beschrieben  worden;  de 
Witte  fuhrt  sie  im  Katalog  des  Cabinet  Durand  uuter  Nummer  19  an3),  sie 
kam  dann  in  den  Besitz  von  Raoul  Rochette ;  wo  sie  jetzt  sich  befindet,  ist 
unbekannt.  Welcker  besprach  sie  kurz  nach  eigne?  Anschauung4)  und 
rühmt  die  vorzügliche  Schönheit  der  rothen  Figuren.  Auf  dem  Boden  der 
Schale  befindet  sich  eine,  uns  zunächst  nicht  berührende  Darstellung,  ein 
Ephebe,  welcher  von  der  ihr  gegenüberstehenden  Athene  einen  unbestimm- 
baren Gegenstand,  einen  Stein  empfängt,  in  der  Linken  eine  dreihenklige 
Hydria  hält.  Der  erhaltene  Theil  der  Aufschrift  erweist  ihn  als  Kadmos, 
der  zur  Dirkequelle  sich  begiebt. 

Die  Niobidensage  ist  auf  den  zwei  krummen  äussern  Seitenflächen  der 
Kylix  in  zwei  Gruppen  von  je  vier  Figuren  dargestellt.  In  der  einen  istApol- 
lon  von  der  Rückseite  sichtbar,  wie  er  nackt  bis  auf  ein  über  den  linken 
Arm  geworfenes  Himation,  die  langen,  welligen,  über  die  Schultern  herab- 


1}  O.  Jahn  Einleitung  zur  Beschreibung  d.  Vasensammlung  König  Ludwigs  p.  CXC1V. 

2)  Monuments  in6dits.  Addit.  p.  42$. 

3)  Cabinet  Durand,  Paris  1S3G.  p.  9  :  N.  19.  —  F.  103.  Peint.  r.  —  Vulci  —  Ext.  La 
mortdesNiobides.  Apollon,  AI  10  A  AHN ^  la  chlamyde  sur  le  bras  gauche,  le  carquois  sus- 
pendu  ä  son  flanc,  d6coche  des  fleches  contre  deuxNiobides,  un  garcon  et  une  fille.  La 
jeune  fille  est  vötue  d'une  tunique  talaire  et  d'un  peplus  qu'elle  releve  de  la  main  droite ; 
sa  t£te  est  ornee  d'une  Stephane;  eile  se  retouvre  vers  Apollon.  L' ephebe  s'enfuit  en 
regardant  en  arriere ;  sa  lyre  est  tombee  ä  ses  pieds,  une  chlamyde  couvre  son  bras  gauche. 
En  arriere  d' Apollon  est  un  palmier,  arbre  qui  lui  est  consacre,  et  une  seconde  Nio- 
bide,  v£tue  comme  la  premiere,  qui  s'61oigne  rapidement.  En  arriere  de  Diane  est  un 
second  Niobide,  dont  la  chlamyde  enveloppe  le  bras  gauche;  ü  s'enfuit  en  retournant  la 
tdte  vers  le  Heu  du  carnage. 

Int.  Minerve,  debout;  donne  ä  C  a  d  m  u  s  KAdM  .  .  .  une  pierre  pour  combattre  le 
dragon  de  la  fontaine  de  Dirce. 

4)  Alte  Denkm.  S.  300.  Leider  bin  ich  auf  eine  briefliche  Anfrage  an  Herrn  de  Witte 
über  diese  Schale  und  das  andere  Gefass,  ihre  jetzigen  Besitzer  und  einige  unsichere  Punkte 
ohne  Antwort  geblieben. 


Allgemeines.    Vasenbilder  und  Wandgemälde.  151 

wallenden  Haare  durch  ein  einfaches  Band  zusammenhaltend,  den  Köcher 
am  schräg  von  der  Schulter  zur  Seite  gehenden  Bande  tragend  im  Begriffe 
steht,  gegen  eine  junge  Niobide  einen  Pfeil  abzusenden,  welche  sich  eilig, 
den  Kopf  nach  dem  Gotte  umwendend,  die  Hand  an  den  Peplos  gelegt, 
fortbewegt.  Vor  ihr  voraus  sucht  sich  entsetzt  ein  Jüngling  zu  retten,  indem 
er  eine  Leier  mit  vier  Saiten  auf  den  Boden  sinken  lässt.  Auf  der  andern 
Seite  des  Gottes  erhebt  sich  eine  Palme,  hinter  welcher  eine  reife  weibliche 
Gestalt,  von  Raoul  Rochette  für  Niobe  gehalten,  richtiger  wohl  als  Tochter 
von  de  Witte  gefasst,  von  diesem  Schauplatz  der  Vernichtung  eilig  mit  einer 
Handbewegung  lebhaften  Schmerzes  und  Entsetzens  entfernt ;  sie  hat  einen 
langen  ionischen  Chiton  und  eine  Kopfbinde  schmückt  das  Haupt. 

Die  zweite  ganz  entsprechende  Gruppe  hat  ihren  Schwerpunkt  in  Ar- 
temis, welche  einen  Pfeil  gegen  eine  junge  Niobide  absendet.  Ueber 
einen  langen  ionischen  Chiton  trägt  sie  den  Peplos  charakteristisch  in  einen 
Knoten  verschlungen  in  der  Mitte  des  Körpers.  Der  Köcher  ist  an  der  lin- 
ken Schulter  befestigt.  Das  Gesicht  ist  im  Profil  zu  sehen.  Die  bedrohte 
Niobetochter  flieht  vor  der  Göttin,  die  eine  Hand  an  das  Haupt  hinter  gelegt 
als  ein  Zeichen  der  Verzweiflung,  mit  der  andern  Hand  hebt  sie  den  untern 
Theil  ihres  Chiton,  um  die  Flucht  zu  beschleunigen.  Die  beiden  Endpunkte 
bilden  zwei  junge  Söhne,  die  bestürzt  in  verschiedenen  Bewegungen  «ich  zu 
retten  suchen. 

Ueber  die  zweite  Kylix  sind  wir  nur  kurz  durch  de  Witte  unterrichtet. 
Sie  ward  1828  in  Nola  gefunden,  befand  sich  in  der  Sammlung  des  Prinzen 
von  Canino  und  wo  jetzt,  ist  mir  unbekannt !) . 

Auch  auf  ihr  sind  zwei  Gruppen  gebildet,  aber  nur  aus  zwei  Personen 
bestehend :  Apollon  ist  einer  Niobide  gegenübergestellt,  Artemis  angeblich 
dem  Pädagogen.  Ob  dies  in  der  That  eine  Niobidendarstellung  ist,  erscheint 
darnach  sehr  zweifelhaft. 

Wir  haben  auf  einige  nicht  unwichtige  Punkte  bei  der  erstem  Darstel- 
lung aufmerksam  zu  machen.  Zunächst  ist  es  schon  die  Sparsamkeit,  mit 
der  die  Kunst  des  reingriechischen  schönen  Stiles  einige  wenige  Figuren  aus 
einem  reichen  Ganzen  hervorhebt,  besonders  wo  raumliche  Verhältnisse  die- 
ses empfehlen,  diese  Figuren  mit  den  sparsamen  Nebendingen  so  bedeutungs- 
voll und  sprechend  gestaltet,   so  dass  doch  ein  Eindruck  eines  gewaltigen 


1)  Mus6e  de  Monsieur  M.  p.  9.  No.  9.  —  F.  29  (Cylix).  R.  —  Les  coupes  ä  fond  blanc, 
a  figures  destinees  au  trait,  sont  de  la  plus  grande  raret6.  Celle-ci  fut  decouverte  ä  Nole 
en  182S.  Dans  le  Musee  du  prince  de  Canino,  il  existe  plusieurs  de  ces  coupes,  j'en  ai  vu 
quatre,  toutes  in6dites.  Une  d'entre  est  d'une  dimension  extraordinaire,  ä  peu  pres  comme 
la  c&ebre  coupe  de  Geryon.  Elle  reprlsente  le  combat  d'  A  c  h  i  1 1  e  contre  Penthesilee; 
quatre  figures  composent  ce  tableau,  qui  est  du  dessin  le  plus  grandiose.  La  seconde  de 
ces  coupes  represente  Apollon  et  un  Niobide;  aupres  sont  Diane  et  le  P6dagogue. 
La  troisieme  montre  Acamas  et  Ethra  etc. 


152  Zweites  Kapitel. 

Vorganges  dabei  erreicht  wird.  Die  Gottheiten  erscheinen  selbst,  beide 
gleichzeitig  wirkend.  Um  sie  herum  sind  ja  die  Niobiden  gruppirt  und  zwar 
drei  »Sohne  und  drei  Töchter,  nicht  die  Geschlechter  geschieden,  sondern 
hier  ein  Sohn  und  zwei  Töchter,  dort  zwei  Söhne  und  eine  Tochter.  Ist  die 
Zahl  sechs  auch  nicht  literarisch  bezeugt,  so  erscheint  sie  doch  als  Hälfte 
von  der  alten,  viel  berichteten  Zahl  zwölf  leicht  verstündlich.  Den  Göttern 
selbst  ist  zunächst  je  eine  Tochter  gegenübergestellt.  Die  Vernichtung  er- 
folgt sichtlich  gleichzeitig  von  Söhnen  und  Töchtern  und  zwar  auf  demselben 
Schauplatz.  Dieser  ist  angedeutet  durch  eine  Palme,  also  im  Freien  und  in 
einem  dem  ionischen  Apollo  angehörigen  Bezirke,  nicht  etwa  in  Delphi.  Die 
Palme  von  Delos  ist  allbekannt !) ;  bei  ihr  und  mit  ihrer  Unterstützung  ist 
Apollo  geboren ;  die  Beziehung  zu  Leto  ist  mit  ihr  gegeben,  die  Palme  er- 
scheint daher  auch  specifisch  neben  Leto  auf  Vasenbildern2).  Und  so  hat  die 
Palme  einen  treffenden  Sinn  neben  dem  die  Mutter  rächenden  Gott.  Inte- 
ressant ist  endlich  die  viersaitige  Leier,  welche  einer  der  Niobiden  fallen 
lässt;  also  nicht  auf  der  Jagd,  nicht  im  Wettkampfe  des  Gymnasiums,  son- 
dern in  dem  heiteren,  festlichen  Spiel,  wo  Kithara  und  Tanz  sich  vereinen, 
tritt  die  Vernichtung  ein.  Die  musikalische  Beziehung  haben  wir  im  ersten 
Theil  als  der  Niobesage  eigenthümlich  kennen  gelernt;  die  mythologische 
Betrachtung  wird  uns  dieselbe,  die  nicht  von  Apollo,  sondern  von  Hermes 
stammende  Kitharistik  des  Amphion,  des  Gemahles  der  Niobe  in  ein  bedeut- 
sames Licht  stellen. 

In  ganz  anderem  Geiste  und  mit  einem  weit  reicheren  Aufwände  äusse- 
rer Mittel  ist  der  Untergang  der  Niobiden  auf  einem  grossen  Krater  Unter- 
italiens, Apuliens  aas  11  u  v  o ,  in  der  Sammlung  Jatta  früher  wenigstens  be- 
findlich behandelt3).  Derselbe  zeigt  an  den  zwei  Henkeln  plastischen 
Schmuck  in  Maske  und  Schwanenhals.  Malereien  bedecken  den  Hals,  den 
Hauptkörper  und  den  Fuss.  An  jenen  correspondiren  ein  Amazonenkampf 
und  eine  bakchische  Scene  sacraler  Art,  wrobei  zwei  Satyrn  mit  Fackeln  und 
Eimergefässen  erscheinen.  Die  Darstellungen  des  Hauptkörpers  des  Gefas- 
ses  bestehen  in  der  Niobidenscene  und  auf  der  andern  Seite  in  einer  sepul- 
cralen  Darstellung :  in  einem  Heroon  steht  der  geehrte  Todte,  ein  Krieger 
mit  Ross,  in  den  Händen  Skyphos  und  Speer;  rings  um  das  Heroon  sind 
vier  darbringende  Gestalten  verthcilt,  zwei  männliche  und  zwei  weibliche. 
Am  Fuss  zieht  sich  eine  Badescene,  so  scheint  es,  herum. 


1)  Hom.  Od.  VI.  163. 

2)  Vgl.  meine  mytholog.  Parallelen  in  Ber.  d.  K.  S.  Ges.  d.  W.  hist.-philol.  Kl.  1856. 
Hft.  1.  S.  82. 

3(  Zuerst  publicirt  Bullettino  napoletano  1S43.  I.  Taf.  2.  p.  111 — 1 16.  Einzelne  Scenen 
herausgenommen  auf  Taf.  3  bei  Gerhard  drei  Vorlesungen.  Besprochen  Arch.  Zeit.  II. 
S.  22$— 231,  dann  von  Welcker  in  Alt.  Denkm.  I.  S.  201—204,  erwähnt  bei  O.Jahn  Ein- 
leit.  in  Vasensamml.  König  Ludwigs  p.  XL1II.  CCXXIV.  Vgl.  unsere  Tafel  II. 


Allgemeines.  Vasenbilder  und  Wandgemälde.  153 

Das  Niobidenbild  zerfallt  wesentlich  in  drei  Reihen,  so  jedoch,  dass  zwi- 
schen den  zwei  unteren  Reihen  Mittelglieder  sich  finden,  während  die  oberste 
als  scenisches  Theologeion  ganz  abgesondert  ist.  Hier  thronen  als  theilneh« 
mende  Zuschauer  Hera  in  der  Mitte,  rechts  forden  Beschauer  Aphrodite, 
links  Ath  ene.  Diese  sind  selbst  zu  Göttern,  die  Uoten-  oder  Beglciterrollen 
spielen,  irgend  in  Beziehung  gesetzt.  Zu  Athene  spricht,  das  eine  Bein  hoch 
auf  Felsstück  gesetzt,  die  Götterbotin  Iris,  Hera  sieht  sich  als  Mittel-  und 
Hauptgestalt  von  zwei  jugendlichen  männlichen  Gestalten  umgeben,  vor  ihr 
steht  in  anmuthiger  Bequemlichkeit  Hermes,  mit  seinem  Heroldsstab  wie 
leicht  spielend,  ihr  den  Rücken  kehrend  sitzt,  aber  doch  zu  ihr  den  Kopf  in 
sprechender  Gebehrde  umkehrend,  Ares.  Aphroditens  Genosse  ist  der  an 
der  Stirn  gehörnte  Pan  mit  Pedum  und  Syrinx,  während  von  der  andern 
Seite  ein  Eros  herbeigeeilt  ist,  aus  einem  Balsamar  Wohlgerüche  auf  sie  zu 
träufeln.  Zwei  Sterne  über  Aphrodite  und  Pan  weisen  auf  astrale  Bedeutung 
hin,  etwa  Morgen-  und  Abendstern,  oder  Sonne  und  Mond.  Ihre  Verbin- 
dung ist  eine  auf  unteritalischen  Vasen  besonders  häufige f) .  Das  ist  auf  den 
ersten  Blick  klar,  wir  haben  hier  keine  Götter  apollinischen  Charakters  vor 
uns,  auch  Athene  hat,  wo  sie  nicht  ausdrücklich  als  Pronoia  in  den  Kreis  der 
letoischen  Gottheiten  gezogen  ist,  zunächst  keine  innere  oder  Cultusverbin- 
dung  mit  ihnen.  Dagegen  sind  es  schützende  Mächte  der  Tantaliden;  Hera 
ist  die  eigentliche  Schutzgöttin  der  Pelopidcn,  auch  als  Hera  Kithäronia  dem 
Schauplatz  der  thebanischen  Katastrophe  nahe  gestellt,  Hermes  der  Geleiter 
des  Pelops,  mit  Myrtilos  geradezu  identisch,  ebenso  nahe  zu  Amphion  ge- 
stellt2), Aphrodite  hat  zu  den  in  Schönheit  und  Fülle  blühenden  kleinasiati- 
schen Fürstenhäusern  als  idäische  Mutter  nahe  Beziehungen,  als  Tochter  der 
Dione  ist  sie  Niobe  schwesterlich  nahe  gestellt,  der  plastische  Charakter  der 
Niobe  ruht  mit  zu  einem  guten  Theilc  auf  dem  der  Aphrodite,  Athena  hat  als 
Hygiea8),  als  Berecynthia4)  eine  besondere  Cultusheimath  im  lydischen  Her- 
mosthal  und  ihre  Flötenmusik,  die  ihr  dort  eigenthümlich  ist,  wird  ja  gerade 
in  der  Niobidensage  als  nach  Hellas  verpflanzt  dargestellt.  Ares  ist  zu  Tmo- 
los,  dem  Berggott  als  Vater  in  nächster  Beziehung  gesetzt5)  und  Tmolos  wird 
nach  einer  Wendung  der  Sage  Vater  des  Tantalos  genannt6).  Und  zu  glei- 
cher Zeit  haben  wir  in  Ares  den  heimathlichen  Gott  Thebens  und  Thebens 
Mauern,  sonst  das  Werk  des  Amphion,  sind  speeifisch  ein  reixog'jiQUOv,  The- 
bens Boden  ist  ein  nidov^Aqeiov1) . 


1)  O.Jahn  Vasensamml.  p.  CCXXXIV. 

2)  Hom.  11.  II.  103.  104;  Arch.  Zeit.  1853.  n.  53. 

3)  Gerhard  gr.  Mythoi.  I.  g  250,  10. 

4)  Acta  Mart.  ed.  Ruinart.  1713.  p.  342. 

5)  Gerhard  gr.  Mythoi.  I.  §  348,  7. 

6)  Nicol.  Damasc.  bei  Müller  Frgmta  histor.  III.  p.  367,  17. 

7)  Hom.  IL  IV.  407 ;  Aesch.  Sept.  c.  Theb.  292 ;  Stat.  Theb.  I.  680. 


]  54  Zweites  Kapitel. 

Während  die  Götterboten  den  oben  thronenden,  dem  Hause  der  Niobe 
und  des  Amphion  wohlgesinnten  Göttern  Kunde  von  der  gewaltigen  Kata- 
strophe bringen,  ja  mit  ihnen  über  etwaige  eingreifende  Botschaft  zu  be- 
rathen  scheinen,  vollzieht  sich  unter  ihnen  bereits  das  furchtbare  Werk  des 
strafenden  Zornes  der  Letoiden.  Apollo  bildet  in  der  oberen  Reihe  den 
Mittelpunkt,  ja  sein  Viergespann  nimmt  fast  die  Mitte  der  zwei  Reihen  ein. 
Auf  einem  mit  mondförmigen  Zierrathen  geschmückten,  mit  leicht  geschwun- 
genen Lehnen  versehenen  Wagen  eilt  er  von  links  für  den  Beschauer  und  zu- 
gleich wie  von  hinten  nach  vorn  mehr  hervor.  Die  Rosse  mit  hohem  Haar- 
schopf gekrönt,  je  zwei  rechts  und  links  von  der  Deichsel  sprengen  heran, 
werden  aber  gezügelt.  Apollo  selbst,  nackt,  nur  mit  wehender  Chlamys  und 
dem  schräg  überlaufenden  Köcherband,  an  dem  der  geschlossene  Köcher  sich 
befindet,  angethan,  hält  in  der  gehobenen  Linken  Bogen  und  Pfeile;  die 
Rechte,  halb  gehoben,  zeigt  noch  die  eben  vollendete  Bewegung  des  Ab- 
schnellens.  Das  fast  ganz  von  vorn  gesehene  Gesicht  ist  von  hohem,  in  Locken 
zugleich  auf  die  Schulter  herabfallenden  Haarschmuck  umgeben ;  ein  strah- 
lenförmiger Blätterkranz  durchzieht  das  Haupthaar.  Vor  dem  Viergespann 
fliehen  drei  Gestalten ;  zunächst  hinter  den  Rossen  hervor  eilend  in  weitem 
Ausschreiten  der  älteste  Niobide;  er  greift  mit  der  rechten  Hand,  wie 
sich  deckend,  nach  dein  flachen  Hut,  der  linke  Arm  ist  ausgestreckt  zur 
nächsten  männlichen  Hülfe,  dem  Pädagogen,  aber  schon  ist  seine  Brust  vom 
Pfeil  durchbohrt  und  sein  zu  Apollo  sich  zurückwendendes  Gesicht  zeigt 
Entsetzen  und  beginnenden  Schmerz.  Um  den  linken  Oberarm  geschlagen 
flattert  die  Chlamys  gerade  nach  hinten  hinaus  in  reiche  Falten ;  die  Füsse 
sind  nackt.  Der  Pädagog  ist  hinlänglich  charakterisirt  durch  den  alten 
Kopf  mit  Glatze,  wenig  Haaren  und  Bart,  durch  das  langärmelige,  kurze, 
anschliessende  Untergewand,  mit  Quergürtel,  den  nach  hinten  herabfallen- 
den Mantel  mit  Knopf,  die  tiefe  Mütze,  die  hoch  hinauf  kreuzweise  gegür- 
teten Stiefel.  Der  Kopf  wendet  sich  rückwärts  und  aufwärts,  ausschauend 
nach  der  vernichtenden  Macht,  die  Arme  sind  ausgestreckt  nach  entgegen- 
gesetzten Richtungen,  die  Linke  dabei  offen  gehoben.  Auf  seinen  linken 
Arm  sinkt  sich  stützend  der  rechte  Arm  eines  zweiten  Sohnes.  Das  linke 
Bein  ist  bereits  in  die  Kniee  gesunken,  das  rechte  schleift  wie  ermattend 
nach,  das  jugendliche,  lockige  Haupt  senkt  sich  bereits  nach  der  linken 
Schulter,  denn  gerade  vorn  in  der  Brust  steckt  der  tödtliche  Pfeil.  Der  Kör- 
per ist  ganz  entblösst,  nur  um  den  linken  Arm  leicht  ein  Gewand  geschlun- 
gen. Den  Schluss  macht  nach  dieser  Seite  ein  Baum,  aber  kein  Lorbeer, 
am  Erdboden  zeigen  sich  Pflanzen.  Etwas  höher  ist  eine  tiefe,  im  Innern 
mit  Buckel  versehene  Schale  angebracht,  tiefer  liegt  ein  Ausgussgefäss,  ein 
Prochus. 

An  einer  Brüdergruppe  ist  Apollo  bereits  vorbeigeeilt.  Aehnlich  in 
das  linke  Knie  gesunken,  wie  der  eben  besprochene  sucht  sich  der  eine  der 


N  Allgemeines.   Vasenbilder  und  Wandgemälde.  155 

Zwei  mit  der  gehobenen  Rechten  den  Pfeil  aus  der  Stirn  zu  ziehen,  während 
ein  zweiter  Pfeil  ihm  bereits  im  Kücken  steckt.  Der  linke  Ann  tastet  wie  sich 
zu  stützen  nach  dem  Erdboden.  Der  Kopf  ist  mehr  hinter  gesunken,  das  Ge- 
sicht aufwärts  gerichtet.  Dabei  auch  nur  ein  um  den  Arm  flatterndes  shawl- 
artiges  Gewand  und  ein  Hut.  Herbei  ist  von  der  linken  Seite  ein  etwas 
älterer  Bruder  geeilt,  durch  Jagdstiefel  und  oben  zusammengeknöpften, 
flatternden  Mantel  dem  Pädagogen  auch  äusserlich  genähert,  wie  er  eine  ent- 
sprechende Thätigkeit  ausübt.  Mit  beiden  Armen  sucht  er  den  Bruder  zu 
umfassen,  kaum  gewahr  werdend  des  auch  in  seine  Brust  gesenkten  Pfeiles. 
Auch  hier  bildet  eine  hingeworfene  Schale  den  Schluss  der  Scene.  Den 
Uebergang  zur  untersten  Reihe  bildet  ein  auf  der  linken  Seite  des  apollini- 
schen Gespannes  tiefer  angeordneter  fünfter  Niobide:  kauernd  sitzt  er 
auf  der  Hacke  des  rechten  Beines,  während  das  linke  noch  mehr  gestreckt 
und  fest  aufgestemmt  ist.  Die  rechte  Hand  legt  sich  schmerzvoll  an  die 
Brust,  die  linke  ist  schräg  nach  unten  gesenkt.  Zwei  Pfeile  haben  ihn  in 
Brust  und  einen  Arm  getroffen.  Der  Kopf  ist  schmerzvoll  halb  zurückge- 
wendet. Das  Gewand  um  linken  Arm  und  Knie  geschlungen,  der  Hut  auch 
angedeutet. 

Wir  gehen  von  ihm  unmittelbar  zum  unteren  Schauplatz  des  Untergan- 
ges. Lauter  weibliche  Gestalten  begegnen  uns  hier.  Von  der  rechten  Seite 
her  kommt  Artemis  auf  einem  von  einem  Paar  gefleckten  Dammhirsch- 
kühen gezogenen  Wagen  geeilt;  sie  steht  frei  auf  dem  wie  der  apollinische 
gezierten  Wagensitze,  ganz  streng  in  Profil  gezeichnet,  die  Linke  hält  den  Bo- 
gen gespannt  und  noch  zwei  Pfeile,  die  Rechte  zieht  die  Sehne  an.  Ein  wollener 
Chiton  mit  Gürtel  undAermeln,  eineChlamys  mit  geziertem  Rande  bekleidet 
sie,  das  Haar  ist  hoch  in  einen  Schopf  gebunden.  Weiter  links  hat  sich  eine 
Gruppe  um  die  Mutter  gebildet,  an  die  zwei  Töchter  sich  flüchtend 
schmiegen.  Dass  jene  Gestalt  Niobe  selbst  sei,  ergiebt  die  Breite  und  ma- 
tronale  Natur  derselben,  ein  langes  weites  Gewand  mit  Streifen  wallt  bis  zu 
den  Füssen  ohne  Gürtel  herab,  darüber  geht  bis  zu  den  Knieen  ein  doppel- 
tes Obergewand.  Der  Ueberwurf  flattert  mit  langen  Zipfeln  zur  Seite.  Auch 
ein  reicher  Halsschmuck  fehlt  nicht,  ebensowenig  Schuhe.  Der  Kopf  ist 
mehr  zurück  und  schmerzvoll  geneigt,  hat  aber  kein  lang  herabwallendes 
Haar.  Mit  ihrem  linken  Arm  sucht  sie  eine  herbeieilende  Tochter  zu  stü- 
tzen, sie  hebt  die  linke  Hand  geöffnet  hoch  zum  Himmel.  In  ihre  Arme  eilt 
eine  Tochter,  wohl  die  älteste,  mit  der  einen  Hand  beschäftigt  einen  Pfeil 
sich  aus  dem  Auge  zu  ziehen,  mit  der  andern  nach  der  Brust  fassend,  doch 
bereits  hat  ein  neuer  Pfeil  sie  im  Leib  getroffen.  Ein  kurzärmliger  Chiton, 
gegürtet,  mit  breiten,  vorn  herablaufenden  Streifen,  ein  hoch  in  Bogen  ge- 
führter Ueberwurf,  Armspangen  und  Schuhe  bilden  ihre  Bekleidung.  Von 
der  rechten  Seite  flieht  eine  jüngere  Tochter,  die  bereits  in  die  Knie 
gesunken  ist,   das  andere  Bein  langsam  nachschleppend  mit  gehobenen 


1 56  Zweites  Kapitel. 

Händen  zur  Mutter.  Der  Pfeil  hat  sie  in  den  Rücken  getroffen.  Das  ge- 
schmückte Haar  fällt  nach  hinten  herab,  Halsschmuck,  langer  Chiton, 
Schuhe,  flatterndes  Himation  gehören  ihr  weiter  an.  Weiter  nach  links  als 
diese  Gruppe  schliesst  die  Reihe  eine  dritte  Tochter,  ebenfalls  in  die 
Kniee  gesunken,  die  Linke  hoch  hebend,  wie  flehend,  rufend,  die  Rechte 
zum  Kopf  wie  um  zu  schützen  hebend,  denn  zwei  Pfeile  kommen  von  vorn, 
der  dritte  folgt  ihnen  nach.  Das  weite,  ungegürtete  Gewand  lässt  den  jugend- 
lichen Körper  durchschimmern.  Hals  und  Arm  sind  geschmückt,  auch  das 
Haupthaar.  An  dem  andern  Ende  dieser  Reihe  zeigen  sich  Gefässe  am  Erd- 
boden, eine  Hydria  und  ein  weites  Becken  mit  schlangenartigen  Henkeln. 

Im  Rückblick  auf  die  ganze  Darstellung  werden  wir  zunächst  die  Loka- 
lität hervorzuheben  haben.  Sie  ist  für  Söhne  und  für  Töchter,  obgleich  sie 
getrennt  getödtet  werden,  wesentlich  dieselbe,  nicht  der  Palast,  noch  Renn- 
bahn, noch  auch  ein  Waldgebirge,  aber  ein  offenes,  grasiges,  wrohl  auch  mit 
einzelnen  Bäumen  besetztes  Gefilde,  und  was  vor  allem  wichtig  ist,  die  ent- 
schiedensten Beziehungen  zum  Wasser,  zum  Schöpfen,  zum  Ausgiessen,  zum 
Trinken,  zum  Forttragen  im  Becken.  Dass  die  Niobiden  beim  Bade  über- 
rascht werden,  meint  Avellino  mit  Unrecht,  dafür  ist  durchaus  keine  Andeu- 
tung, im  Gegenthcil  spricht  die  reichgeschmückte  Kleidung  der  Töchter  da- 
gegen, würde  auch  nicht  in  alter  Sitte  und  Anstand  liegen.  Wohl  haben  wir 
sie  uns  aber  im  heiteren  Spiel  an  einem  schattigen,  kühlen,  wasserreichen  Ort, 
nahe  einer  Quelle  zu  denken,  wo  es  anGefässen  zumGcnusse  derselben,  auch 
zum  Forttragen  des  Wassers,  dieser  Beschäftigung  edler  Jungfrauen  nicht  fehlt. 
Bei  den  Knaben,  die  an  einem  Berghange  höher  hinauf  gestiegen  sind,  ist 
der  Pädagog  Begleiter  gewesen,  unter  den  Mädchen  mehr  im  Thale  erscheint 
die  Mutter  wenigstens  auf  den  Hülferuf.  Zwischen  sie  hinein  sind  die  rächen- 
den Gottheiten  auf  ihren  Gespannen  gejagt,  ihre  Pfeile  treffen  Schuss  auf 
Schuss  und  zwar  mehrere  Ein  Ziel;  Apollo  hat  seine  letzten  Pfeile  eben  ent- 
sandt, Artemis  ist  im  Begriff,  noch  zu  schiessen. 

Bemerkenswerth  ist  die  völlige  Scheidung  der  Geschlechter :  hier  Apollo, 
der  Pädagog,  Söhne  der  Niobe,  dort  Artemis,  Niobe,  Töchter,  während  wir 
auf  der  zuerst  betrachteten  Vase  ein  Ineinandergreifen,  eine  wohlabgewogene 
Verbindung  beider  Geschlechter  kennen  lernten.  Die  Zahl  der  Söhne  ist 
fünf,  die  der  Töchter  drei,  doch  ist  mit  Recht  von  Welcker  hervorgehoben, 
dass  diese  Zahl  wesentlich  durch  die  Gränze  der  Räumlichkeit  im  Verhält- 
niss  zur  Composition  hervorgerufen  ist,  indem  entschieden  die  mittlere  Reihe 
gegen  die  unterste  hervortritt  und  auch  grösseren  Platz  wegnimmt.  Die 
Götter  treten  nicht  einfach  unter  ihren  Schlachtopfern  auf,  mit  ihren  ge- 
schmückten Gespannen  in  reicher  Tracht  erscheinen  sie,  auch  dadurch  als 
überwältigende  Macht  sich  zeigend.  Das  ganze  Kostüm  der  Gestalten  ist 
reich  und  wirksam  für  das  Auge  behandelt.  Die  langen  Chitone  mit  Diploi- 
dien,  die  flatternden  Himatien,  der  Schmuck  des  Kopfes,  Halses,  der  Arme 


Allgemeines.    Vasenbilder  und  Wandgemälde.  157 

bei  der  Mutter  und  den  Töchtern,  die  schützenden  Hüte,  die  Chlamyden  bei 
den  Söhnen,  die  Fussbekleidung,  wenigstens  bei  einem,  die  vollständige  Klei- 
dung des  Pädagogen.  Endlich  finden  wir  drei  bedeutsame  Gruppen :  Päda- 
gog  und  zwei  Söhne,  ein  Brüderpaar,  die  Mutter  und  zwei  zu  ihr  flüchtende 
Töchter.  Nicht  ist  es  der  Vater,  welcher  hier  schützend  dazwischen  tritt, 
sondern  der  Begleiter  der  Knaben  bei  ihren  Hebungen  und  Spielen ;  dagegen 
die  Mutter  und  nicht  eine  Wärterin  umfängt  die  Töchter.  Von  besonderer 
Wirkung  ist  die  Gruppe  des  den  Bruder  umfangenden  Bruders.  Nur  ein 
Sohn  und  eine  Tochter  sind  vereinzelt,  ohne  Hülfleistung.  In  der  That  ab- 
gesehen von  dem  menschlichen  mildernden  Interesse  künstlerisch  höchst 
wirksame  Motive ,  um  in  dem  grausen  Vorgang  die  Einförmigkeit  des  Ge- 
gensatzes göttlicher  Uebermacht  und  rettungslos  verlorener  Jugendschöne 
durch  das  herrlichste  Widerspiel  aufopfernder  Liebe  und  zwar  in  den  ver- 
schiedenen Verhältnissen  zu  überwinden !  Dass  ohne  die  tragische  Durchbil- 
dung, besonders  die  eines  Sophokles,  ja  wohl  auch  ohne  den  allerdings  nicht 
unmittelbar  anzunehmenden  Einfluss  berühmter  attischer  plastischer  Kunst- 
werke der  Zeichner  des  Vasenbildes  nicht  zu  dieser  Behandlung  des  Gegen- 
standes gelangt  wäre,  liegt  auf  der  Hand. 

Nähert  sich  nur  die  apulische  und  lukanische  und  die  ihr  sonst  entspre- 
chende hellenistische  Vasenmalerei,  aus  deren  Bereich  wir  soeben  eine  grössere 
Niobedarstellung  kennen  lernten,  dem  engeren  Begriffe  der  Malerei,  während 
die  vorausgehenden  Gattungen  wesentlich  als  dichrome  Zeichnungen  aufzu- 
fassen sind,  so  fallen  die  zwei  uns  hier  interessirenden  Denkmäler  aus  Her- 
culanum und  Pompeji  auch  wesentlich  unter  den  Begriff  der  dichromen, 
ja  selbst  der  monochromen  Zeichnung.  Das  eine  gehört  zu  den  höchst  wich- 
tigen und  anziehenden  Zeichnungen  mit  rother,  wahrscheinlich  Zinnober- 
farbe auf  Marmortafeln,  von  denen  vier  bereits  1747  in  Herculanum,  das 
fünfte  1637  aufgefunden  worden  sind1).  Das  andere  ist  ein  Paar  sich  ent- 
sprechender Pfeilermalereien  in  einem  Peristyl  der  Casa  di  Questore  oder  di 
Castore  ePolluce  zu  Pompeji  1828/29  aufgedeckt,  welches  in  goldgelber  Farbe 
auf  hellem  Grunde  uns  zwei  Dreifusse  mit  den  Niobiden  als  daran  und  davor 
befindlichem  plastischen  Schmucke  wiedergiebt. 

Der  Zeichner  hat  es  nicht  verschmäht,  sich  als  Alexandros  von  Athen 
auf  jener  Zeichnung  zu  bekennen2)  und  zugleich  die  fünf  weiblichen  Gestal- 


1)  Vgl.  O.  Jahn  Archäol.  Beitr.  S.  393.  Herausgegeben  zuerst  in  Antichitä  di  Erco- 
lano  I.  t.  1,  dann  oft  wiederholt,  z.  B.  Roux  u.  Barre  Herculanum  und  Pompeji  11.  t.  17, 
Miliin  G.  M.  t.  13S.  n.  515 ;  Panofka  Bild.  ant.  Leb.  Taf.  XIX.  7.  Neu  publicirt  von  Mi- 
nervini  in  Museo  Borbonico  XV.  1S5G.  t.  4S. 

2)  C.  1.  n.  5SG3  :  AAE^ANJPOZ 

A&HNAIQZ 
ErPA<i>EN. 
Dazu  Brunn  Gesch.  d.  gr.  Künstl.  IL  S.  30G. 


1 58  Zweites  Kapitel. 

ten  der  anmuthigen  Gruppen  mit  Namen  zu  bezeichnen,  wodurch  für  uns 
eine  sichere  Beziehung  derselben  gegeben  ist.  Die  Schriftzüge,  sowie  der 
Gebrauch  des  Imperfectums  weisen  uns  in  den  Anfang  der  römischen  Kaiser- 
zeit ;  die  späteste  Gränze  ist  uns  durch  den  Fundort  mit  der  Zeit  des  Titus 
gegeben.  In  dem  Künstler  lernen  wir  auch  einen  Athenienser  kennen,  wie 
eine  Reihe  derselben  für  Rom  in  derselben  Zeit  thätig  waren. 

In  wesentlich  gleichem  jugendlichen  Alter  sind  alle  fünf  uns  vorgeführt, 
nur  die  als  L  e  t  o  bezeichnete,  ganz  en  face  erscheinende  trägt  vollere,  brei- 
tere Formen.  Sie  ist  eben  im  Wegschreiten  begriffen  und  doch  noch  anhal- 
tend, die  Arme  unter  der  Brust  übereinander  legend,  da  zwei,  Niobe  und 
Phoibe,  mit  lebendiger  Bewegung,  besonders  die  letztere,  zu  ihr  sich  wen- 
den, Niobe  die  rechte  Hand  ihr  in  die  Rechte  legend,  auch  mit  der  Linken 
nach  ihr  strebend,  Phoibe  eilig  Niobe  fast  vorschiebend,  über  Niobes  Schulter 
hin  auf  Leto  weisend.  Vor  ihnen  sind  noch  zwei  Genossinnen,  Aglai  a  und 
Hileaira,  auf  der  Erde  halb  knieend  kauernd,  ganz  beschäftigt  mit  dem 
Astragalenspiel,  dem  neiTaki&iteiv,  die  eine  im  Begriff  mit  der  Rückseite 
der  Hand  die  Knöchel  in  die  Höhe  zu  werfen,  zwei  sind  im  Fallen  begriffen, 
drei  liegen  auf  der  Erde,  während  die  andere,  den  Daumen  auf  den  einen  an 
der  Erde  liegenden  Knöchel  legend,  aufmerksam  zuschaut.  Sie  sind  alle  im 
langen  ionischen  Chiton  mit  kurzen  Aermeln ,  dem  Himation  —  das  der 
Leto  hat  Fransen  —  in  verschiedener  Haarbehandlung.  Leto  hat  allein  ein 
in  den  Nacken  herabfallendes  Haar,  sonst  einfach  gewellt  und  aus  dem  Ge- 
sicht zurückgenommen,  ein  Blätterschmuck,*  aber  nicht  näher  bestimmbar 
zieht  sich  durch.  Das  Haar  der  Leto  ist  am  Einfachsten  behandelt,  hinten 
hinaufgebunden,  an  dem  der  Phoibe  und  Hileaira  zeigen  sich  breite  Bänder, 
das  der  Aglaia  ist  in  ein  Tuch  eingebunden. 

Das  ist  klar,  es  ist  in  eine  Vereinigung  freundschaftlicher  Art,  in  das 
naive  Spiel  der  Jugend1)  eine  tiefeingreifende  Bewegung  eingetreten.  In 
Letos  Gesicht  und  ganzer  Haltung  prägt  sich  ein  gewisser  trüber  Ernst,  ein 
Sinnen  und  Anhalten  etwa  bei  beginnender  Entfremdung  aus,  während  Niobe 
sich  freundlich  nähert,  die  Hand  zur  Vereinigung  zu  bieten,  Phoibe  dies  be- 
eilt. Man  kann  nicht  daran  denken,  hier  den  Moment  zu  suchen,  wo  das 
stolze  Wort  Niobes  gegen  Leto  im  Hinblick  auf  die  Fülle  ihrer  Kinder  ge- 
fallen, wie  es  ungereimt  ist  in  den  Astragalenspielerinnen  Töchter  der  Niobe 
zu  sehen,  wie  dies  jüngst  noch  Minervini  gethan.  Nein,  wir  werden  ent- 
schieden in  die  Zeiten  versetzt,  wo  Leto  und  Niobe  sich  liebe  Genossinnen 
waren,  um  mit  Sappho  zu  reden,  ein  Verhältniss,  das  wir  noch  bei  den  spä- 
ten Rhetoren  herausgehoben  sehen2].  Es  ist  aber  über  diese  Freundschaft 
ein  erster Wolkenschtten  hinweggeeilt,  er  geht  vorüber,  aber  doch  deutet  er 


1)  Welcker  A.  D.  I.  S.  248.  Anm. 

2)  S.  oben  S.  76. 


Allgemeines.    Vasenbilder  und  Wandgemälde.  ]  59 

auf  die  Möglichkeit  gänzlicher  Trennung  hin.  Von  trefflichster  Wirkung  ist 
dabei  die  volle  Naivetat  des  Spieles  der  beiden  Jungfrauen  im  Vordergrund, 
gegenüber  dem  dahinter  hervortretenden  JSrnst  nachhaltiger  Gemüthsbewe- 
gungen. 

Was  ist  das  Verhältniss  der  drei  andern  Freundinnen  Phoibe,  Hile- 
aira,  Aglaia  zu  Leto  und  Niobe.'  Es  sind  dies  göttliche  Gestalten,  so  gut 
wie  Leto,  wie  Niobe  selbst  uns  als  Göttin  von  Sophokles  bezeichnet  wird, 
aber  Göttinnen,  die  zu  Heroinnen  gleichsam  verflüchtigt  sind.  Unter  den 
beiden  ersten  können  wir  Niemand  anders  verstehen,  als  jene  in  Sparta  in 
einem  Heiligthum  hochgeehrten  Leukippiden,  die  Töchter  des  Apollon  und 
der  Philodike  nach  den  Kyprien,  die  von  den  Dioskuren  durch  Entführung 
gewonnenen  Gattinnen f) .  Sie  gehören  in  denselben  mythologischen  Kreis 
als  Helena  undLeda,  hiess  doch  auch  eine  Tochter  der  letztern  Phoibe 2) ,  war 
das  Ei  der  Leda  in  dem  Heiligthum  der  Leukippiden  zu  Sparta  aufgehängt, 
war  ihr  Heiligthum  mit  dem  der  Aphrodite  benachbart.  Als  Leukippiden 
gehören  sie  auf  die  messenische  Seite  des  Taygetos  nach  Thalamai  und  Leuk- 
tra3) .  Ihre  Beziehung  zum  Licht  ist  durch  die  Namen  Phoibe,  die  Strahlende 
(Strahlen  und  Haar  sind  zusammengehörige  Begriffe]  und  Hilaeira,  die  freund- 
liche Helle  (von  tkaQog,  als  Bezeichnung  der  Tageshelle  gekannt)4),  durch  ihren 
Vater  Leukippos  oder  Apollon,  durch  ihre  Bewerber,  durch  ihre  priesterliche 
Stellung  zu  Athene  und  Artemis5)  hinlänglich  gesichert.  Der  Name  der  dritten 
Gestalt  Aglaia  ist  uns  als  der  einer  Charis  bekannt  im  Dreiverein  der  Cha~ 
riten  zu  Orchomenos  zuerst  fixirt,  speciell  als  die  dem  Hephästos  zur  Gat- 
tin gegebene6).  Auch  in  ihr  ist  der  Bezug  zum  Glanz  der  äusseren  Er- 
scheinung unverkennbar.  Wir  haben  also  drei  Wesen,  die  dem  Kreise  der 
Lichtgottheiten  angehören,  aber  auf  der  andern  Seite  mit  Aphrodite  in  naher 
Beziehung  stehen,  die  auf  dem  Boden  der  lelegischen,  d.  h.  der  Insel-  und  der 
Küstenbevölkerung  erwachsen  sind.  Ihre  Genossenschaft  wird  uns  daher 
neben  Leto  und  Niobe  als  eine  nicht  willkürliche  erscheinen,  um  so  weniger, 


1)  Paus.  III.  16,  lj  Theokr.  22,  137;  Lycophr.  546 ;  Schol.  II.  III.  243;  Ov.  Fast. 
V.  699;  Hygin.  fab.  SO;  Mythogr.  Vat.  I.  77,  dazu  Gerhard  gr.  Mythogr.  §  476,  2;  638; 
Preller  gr.  Mythol.  II.  S.  65  ff. ;  Müller  Handb.  d.  Arch.  S.  705;  Bursian  in  Ar  eh.  Zeit. 
1852.  n.  40.  41  ;  Zannoni  in  Oaler.  r.  di  Firenza  Ser.  IV.  t.  I.  p.  22. 

2)  Eurip.  Iphig.  Aul.  49.  50. 

3)  Paus.  III.  26,  2.  3. 

4)  Arist.  Ran.  455.  Auch  der  Name  Elera  auf  der  Midiasvase  weist  auf  Zkrj,  «ft^, 
d.  h.  tf  tov  ijlfov  avyri  Hesych.  s.  v.  llda. 

5)  Hygin.  fab.  SO,  dazu  Gerhard  über  die  Midiasvase  in  Abhandl.  d.  Acad.  d.  W.  1839. 
S.  300. 

6)  Hes.  Theog.  945.  Vgl.  Gerhard  gr.  Mythol.  §  379,  2.  381,  1.  395,  2;  Preller  gr. 
Mythol.  I.  S.  276  ff.  Auch  eine  der  Thespiaden  hiess  Aglaia  (Apoll.  II.  7.  8),  ebenso  auf 
der  Insel  Syme,  die  Gemahlin  des  Charopos,  die  Mutter  des  schönen  Nireus  (II.  II.  676). 


160  Zweites  Kapitel. 

als  uns  auch  im  mythologischen  Theile  eine  lokale  Beziehung  von  Pelops 
und  Niobe  zu  Thalamai,  der  Heimathstätte  der  Leukippiden  sich  ergeben 
wird1). 

Das  eben  betrachtete  Bild  ist  uns  ein  erfreulicher  Beweis,  wie  wenig  der 
Mythus  auch  noch  in  der  Nachblüthe  der  griechischen  Kunst  zu  einer  blossen 
Schablone  erstarrt  war,  um  gewisse  tragische  Gedanken  immer  wieder  und 
wieder  für  das  Publikum  auszudrücken,  wie  in  ihm  auch  noch  andere,  einst 
in  der  Poesie  von  den  Lyrikern  angeschlagene  Töne  fortklingen  und  sich 
farbig  verkörpern.  Wir  nähern  uns  dabei  dem  edleren  Genrebilde,  in  dem 
Stimmungen  ernster  Art  mild  durchtönen,  die  subjectives  Entgegenkommen 
in  dem  Beschauer  voraussetzen. 

In  völliger  Verschiedenheit  davon  nimmt  die  pompejanische  Darstel- 
lung unser  Interesse  in  Anspruch.  Das  Haus  des  Quästors  oder  der  Dios- 
kuren  gehört  zu  den  in  der  Architektur  und  dem  malerischen  Schmuck  reichst 
ausgestatteten  Privathäusern  Pompejis,  so  weit  sein  Boden  uns  eröffnet  ist2). 
Es  hat  ausser  dem  Atrium  zwei  Peristyle  nach  zwei  Richtungen  und  beson- 
ders das  eine  dem  Atrium  parallel  liegende,  welches  uns  zunächst  interessirt, 
ist  durch  farbige  Säulen,  Bassin  mit  Springbrunnen,  Garten,  Malereien,  durch 
glückliche  Prospekte  in  andere  Räume  besonders  ausgestattet.  Die  Wände 
des  Atriums,  sowie  der  Zugänge  von  da  zu  diesem  Peristyl  zeigen  treffliche 
Einzelfiguren  von  Gottheiten;  zwei  entscheidende  Scenen  aus  dem  Leben 
des  Achill  entsprechen  sich  als  grosse  Bilder  in  dem  einen  tablinum,  wie  auch 
noch  kleinere  andere  dem  Achill  gelten.  Phaedra  und  Hippolytos  ist  ein 
Hauptbild  des  andern  Peristyls.  Venus  und  Adonis,  vielleicht  Hector  und 
Paris  schmücken  ein  kleineres  Zimmer. 

Die  bedeutendsten  Bilder  an  den  vier  starken  Eckpfeilern  der  Säulenhalle 
unseres  Peristyls  sind  sichtlich  berechnet  von  dem  prächtig  mit  Marmortafeln 
geschmückten  Triclinium  aus  gesehen  zu  werden,  daher  sind  die  zwei  Niobi- 
denbilder  an  der  nach  dem  offenen   Garten-  und  Wasserraum   gerichteten 


8)  Zur  Yergleichung  haben  wir  die  Darstellung  der  Midiasvase  heranzuziehen,  auf 
welcher  die  MH<iEA,  für  die  Jason  als  ^PiXoxj^Trjg  bei  Aietes  wirbt,  umgeben  ist  von  zwei 
jungfräulichen  Gestalten  NWÜH  und  BAEPA\  jene  erscheint  in  ärmellosem  Chiton  mit 
Diploidion,  hohem  Stirnband  und  oyeröortj.  Der  NameNiope  ist  gegen  die  Zweifel  vonPyl 
(Arch.  Zeit.  1S5G.  S.  101)  durch  die  genaue  Untersuchung  der  Vase  von  Conze  (Arch.  Zeit. 
1S5S.  S.  129  f.)  vollständig  gesichert.  Weder  die  Conjecturen  wie  NIK II  oder  XAAKlOltH 
in  Böckh  C.  J.  IV.  n.  84S7,  noch  die  Lesart  NIOBH  (de  Witte  Ran.  de  philol.  II.  p.  487  ff.) 
sind  zunächst  zulässig,  sondern  nur  die  Frage  über  die  Form  Nionrj  neben  Ntoßrj,  die  wei- 
ter unten  bei  der  etymologischeu  Betrachtung  überhaupt  zu  behandeln  ist.  Dass  wir  die 
Identität  zugegeben  nicht  gleich  eine  mythische  Sonderüberlieferung  über  Niobe  bei  Medea 
zu  suchen  haben,  sondern  nur  das  Erscheinen  dieses  Namens  neben  Elera  und  Medea  ge- 
rade zu  constatiren,  das  liegt  auf  der  Hand.    Die  Abbildung  s.  bei  Gerhard  a.  a.  O.  Taf.  2. 

1)  Gell  Pompejana  II.  p.  14 ff.;  143 ff.;  pl.  64— 78;  Overbeck Pompeji  S.  230— 235. 


Allgemeines.    Vasenbilder  und  Wandgemälde.  161 

Seite  dei  Pfeiler  gemalt.  Dem  Triclinium  zunächst  entsprechen  sich  zwei 
tragische  Scenen :  Medea  mit  dem  Schwerte  Tod  brütend  neben  ihren  spie- 
lenden Kindern  und  Andromeda  durch  Perseus  befreit ;  in  weitere  Ferne  ist 
dann  die  Uoppelscene  des  Untergangs  der  Niobiden  gerückt.  Sie  ist  selbst 
erst  durch  das  Medium  der  Plastik  gegangen.  Wir  sehen  zwei  sich  genau 
entsprechende  Dreifusse  in  grossen  Verhältnissen ;  korinthische  Pfeiler  tra- 
gen den  oberen  Ring  und  den  darin  hängenden  reich  cannelirten  Kessel. 
Diese  tragenden  Pfeiler  sind  zweifach  übereinander  durch  runde,  mit  Blätter- 
schmuck gezierte  Stäbe  ((jctßdoi)  und  vielleicht  auch  horizontale  Platten  ver- 
bunden. Auf  diesen  befinden  sich  nur  je  zwei  Figuren  und  ausserdem  sind  je 
drei  Figuren  symmetrisch  vor  den  Dreifuss  auch  in  entsprechender  Rundung 
gestellt. 

Töchter  und  Söhne,  je  sieben  also  sind  getrennt  an  den  beiden  Drei- 
fussen  im  Moment,  wo  sie  den  Pfeilen  der  unsichtbaren  Gottheiten  erliegen, 
in  einander  entsprechenden  Situationen  dargestellt.  Und  zwrar  entsprechen 
sich  an  jedem  Dreifuss  die  schräg  übereinander  gestellten  Figuren  in  wohl- 
berechneter Weise,  also  eins  und  vier,  zwei  und  drei,  so  dass  also  auch  hier 
das  künstlerische  Princip  des  Chiasmus  beobachtet  ist.  Im  Vergleiche  der 
zwei  Reihen  unter  einander  aber  ist  das  Grundmotiv  umgetauscht,  so  dass 
also  eins  und  vier  der  Söhne  zwei  und  drei  der  Töchter  entsprechen  und 
umgekehrt  dort  zwei  und  drei,  hier  eins  und  vier.  Knieend  auf  einem  Fuss 
und  zwar  abwechselnd  auf  dem  rechten  und  auf  dem  linken  mit  vorgewandter 
Stellung  erscheinen  je  zwei,  je  zwei  dagegen  in  beide  Kniee  gesunken.  Von 
den  je  drei  vor  den  Dreifuss  gestellten  Figuren  ist  die  eine  in  die  Knie  ge- 
sunken, die  andere  steht,  die  dritte  schreitet  weit  aus,  auch  hier  mit  bewuss- 
tem  Wechsel  in  den  beiden  Gruppen.  Die  Arme  sind  in  mannigfaltiger  Be- 
wegung, doch  nicht  ohne  symmetrische  Berechnung ;  auf  dem  Knie  ruhend, 
auf  die  Brust  gelegt,  in  die  Seite  gestützt,  schräg  ausgestreckt,  im  Entsetzen 
oder  auch  mit  Zeichen  der  Abwehr  auf  den  Kopf  gehoben,  zum  Theil  be- 
schäftigt einen  Pfeil  auszuziehen,  die  Wunde  zuzuhalten,  den  Pfeil  zu  senken. 
In  einzelnen  Köpfen  und  deren  Wendung  herrscht  schmerzvoller  Ausdruck. 
Die  Gewandmotive  zeigen  grosse  Freiheit,  starke  Bewegung ,  ja  wirkliche 
Grossartigkeit,  die  Körper  sind  dabei  möglichst  entblösst,  auch  bei  den  Töch- 
tern ist  der  Chiton  bis  zur  Weichengegend  fast  durchgängig  herabgesunken. 
Die  Chlamys  der  Knaben  flattert  frei  meist  von  einem  der  Schenkel  aus,  auch 
von  der  Schulter,  oder  ist  wohl  einmal  auch  schützend  übergehalten,  bei  den 
Töchtern  flattert  das  Himation  meist  vom  Arme  ab.  Das  Haar  der  Töchter 
ist  verschieden  behandelt,  bei  drei  flattert  es  frei.  In  dem  Alter  der  Söhne 
und  Töchter  ist  mannigfache  Nüancirung  und  nicht  absiohtslos  das  jüngste 
Glied  in  beiden  Darstellungen  in  die  Mitte  vor  den  Dreifuss  gestellt. 

Diese  ganze  Composition  als  einen  Einfall  des  pompejanischen  Dekora- 
tionsmalers zu  betrachten,  sind  wir  durch  nichts  berechtigt,  im  Gegentheil 

Stark,  Niobe.  H 


162  Zweites  Kapitel. 

widerspricht  dem  der  für  die  mythologischen  Bilder  von  Pompeji  immer  mehr 
geführte  Nachweis,  dass  sie  freie  Nachbildungen  ausgezeichneter  und  be- 
kannter Originale  waren.  Hier  haben  wir  an  eine  malerische  Nachbildung 
zweier  bedeutender  Bronzewerke  zu  denken.  Mit  richtigem  Gefühl  bilden 
dieselben  den  fernen  Hintergrund  für  die  Beschauer  aus  dem  Triclinium, 
während  wirkliche  Gemälde,  Medea  und  Andromeda  in  den  Vordergrund 
gesetzt  sind.  Dass  diese  tragischen  Stoffe  nicht  so  ganz  zufällig  sich  hier  zu- 
sammenfinden, besonders  Medeas  beabsichtigter  Kindermord  und  dort  der 
Untergang  der  Kinder  durch  die  masslose  Liebe  der  Niobe  liegt  auf  der 
Hand,  doch  wollen  wir  auch  nicht  zu  viel  dahinter  suchen. 

Apollinische  Dreifüsse  erscheinen  häufig  geschmückt  im  Zwischenraum 
der  Füsse  mit  dem  heiligen  Lorbeer  des  Gottes ,  mit  seinem  Köcher  und 
Bogen,  mit  seiner  Kithara,  mit  der  Schlange,  die  als  unterworfene  Erd- 
macht sich  gehorsam  nun  dem  Symbole  des  Gottes  fügt1),  mit  dem  Raben, 
dem  Delphin.  Es  ist  weiter  bekannt,  wie  die  ältere  Kirnst  unmittelbar  vor 
Phidias  mit  menschlichen  Gestalten  diese  Zwischenräume  füllte2),  die 
wohl  auch  als  Träger  noch  oben ,  wie  jene  persischen  Krieger  im  Olym- 
pieion  zu  Athen  benutzt  wurden8).  So  sind  also  auch  hier  an  dem  apollini- 
schen Symbol  als  schreckendes  Siegeszeichen  die  Wirkungen  der  Geschosse 
an  den  Niobiden  dargestellt,  wie  eine  Münze  von  Kroton  ihn  durch  den  Drei- 
fuss  auf  die  Pythoschlange  schiessend  zeigt4;.  Nicht  ohne  Bedeutung  ist 
gerade  hier  die  Siebenzahl  der  Opfer,  als  die  apollinische  angebracht. 

Künstlerisch  bleibt  uns  die  ganze  Composition  von  bedeutendem  In- 
teresse ;  wir  sehen ,  wie  frei  mit  der  Anordnung  übereinander  und  zugleich 
innerhalb  und  vor  einem  tek  tonischen  Gegenstand  verfahren  wird,  wie  wohlbe- 
rechnet nur  knieende  Gestalten  in  den  engen  Raum  zwischen  die  Stäbe  des  Drei- 
fusses  gesetzt  sind,  die  stehenden  davor  sich  befinden,  wie  ferner  alles  für  den 
Anblick  von  vorn  bestimmt  ist,  die  dritte  Seite  des  Dreifusses  als  an  eine  Wand 
gerückt  zu  denken  ist.  Allerdings  Fingerzeige,  bei  erhaltenen  Gliedern  von 
Niobegruppcn  nicht  bei  verschiedener  Höhe  und  Vernachlässigung  der  Hin- 
terseite immer  an  Giebelaufstellung  zu  denken.  Nach  unser n  frühem  Dar- 
legungen dürfen  wir  diese  Compositionen  nicht  etwa  auf  den  Dreifuss  des 
Aischraios  über  dem  dionysischen  Theater  zurückfuhren ;  schon  das  wider- 
spricht auch,  dass  wir  hier  zwei  Dreifüsse,   die  zusammengehören,  vor  uns 


1)  Vgl.  den  marmornen  Dreifuss  aus  dem  Vatikan  in  Musee  Napoleon  IV.  t.  13;  für 
die  Ausschmückung  der  Dreifüsse  jetzt  E.  Curtius  in  Gott,  gelehrt.  Anz.  23.  Dcb.  1861. 
S.  364.  377. 

2)  So  die  Dreifüsse  des  Gitiadas  und  Kallon  in  Sparta,  die  jüngeren  von  Aristandros 
und  Polyklet  (Paus.  III.  18),  vielleicht  auch  die  Dreifüsse  der  Tripodenstrasse  in  Athen 
(Paus.  I.  20,  1). 

3)  Paus.  I.  18,  8. 

4)  Müller- Wieseler  D.  A.  X.  II.  t.  13.  n.  145. 


Allgemeines.    Vasenbilder  und  Wandgemälde.  1 63 

sehen,  dort  aber  ausdrücklich  nur  von  Einem  Dreifuss  die  Rede  ist.  Aber 
wir  sind  in  der  That  um  eine  griechisch-plastische  und  zwar  Erzcomposition 
der  Niobiden  bereichert,  wobei,  was  wohl  zu  beachten  ist,  die  Gottheiten 
Apollo  und  Artemis  nicht  selbst  erscheinen f) . 

Auch  aus  der  dritten  Klasse  malerischer  Werke,  welche  aus  dem  Alter- 
thum  uns  erhalten  sind,  aus  der  Klasse  der  Grabgemälde  kennen  wir  jetzt 
eine  auf  die  Niobiden  bezügliche  Darstellung.  Zeitlich  schliesst  sie  auch 
sehr  gut  als  die  jüngste,  der  Spätzeit  der  römischen  Kunst  angehörige ,  die 
Reihe  der  von  uns  behandelten  Bilder.  Im  Bereiche  der  Villa  PamfHi  auf 
dem  Janiculus  bei  Rom,  in  der  Umgebung  der  via  Aurelia,  welche  überhaupt 
eine  reiche  Fundgrube  von  Gräbern,  Sarkophagen,  Gefässen  etc.  seit  langer 
Zeit  gewesen  ist,  wurde  im  J.  1838  ein  Columbarium  entdeckt  mit  Inschrif- 
ten von  Freigelassenen,  darunter  auch  einem  marmorarius  subaedanus.  Die 
Wände  des  Grabgemaches ,  in  welches  eine  Treppe  hinabführt ,  sind  mit 
flüchtigen,  eine  späte  Zeit  verrathenden  Gemälden  bedeckt,  die  in  ihrer  Ge- 
sammtheit  nach  den  für  König  Ludwig  gleich* Anfangs  genommenen,  in  den 
vereinigten  Sammlungen  zu  München  befindlichen  Copieen  von  O.  Jahn  her- 
ausgegeben und  zum  grössten  Theil  erklärt  sind2)  ;  einzelne  bildeten  jüngst 
den  Ausgang  zu  Bachofens  weitschichtiger  Gräbersymbolik  der  Alten.  Es 
begegnen  uns  da  Dirke  mit  Amphion  und  Zethos,  Herakles  und  Kentaur, 
Odysseus  und  sein  Hund  Argos,  Endymion,  Oknos  mit  dem  Esel,  Pygmäen 
und  noch  einige  mythisch  schwer  zu  deutende  Scenen ;  also  Bilder  der  Strafe 
des  Frevels,  der  Heimkehr,  des  Schlafes.  Gleich  links  vom  Eingang  finden 
sich  in  ununterbrochener  Folge  die  Niobiden scene  und  die  Befreiung  des 
Prometheus  durch  Herakles  gemalt. 

Die  Niobidenscene  besteht  aus  sechs  Figuren,  aus  den  zwei  Gottheiten, 
zwei  Söhnen,  zwei  T  öchtern  oder  Mutter  und  Tochter.  Auf  einer  über  einen 
Bergrücken  sich  erhebenden  Felskuppe  sitzt  Apollo  in  einem  um  den  Unter- 
körper geschlagenen  Gewände,  in  der  Rechten  Bogen  und  Pfeil.  Zu  ihm 
eilt  eine  Gestalt  in  kurz  und  doppeltgeschürztem  Chiton  und  Fussbekleidung, 


1)  Wir  wollen  hier  eine  Vermuthung  von  Feuerbach  nicht  ganz  übergehen,  welcher 
unter  den  Gemälden  in  den  Titusthermen,  die  1786  in  freilich  wenig  zuverlässigen  Kupfer- 
stichen von  Mirri  herausgegeben  wurden,  eines  auf  die  Niobiden  bezog  und  zwar  in  der 
Weise,  dass  eine  Mutter  den  ihr  zuhörenden  Knaben  auf  eine  Niobidenstatue  und  zwar 
einen  in  das  linke  Knie  gesunkenen,  das  Haupt  nach  oben  gerichteten,  den  Arm  vorhal- 
tenden Jüngling  aufmerksam  mache  und  dabei  die  tragische  Geschichte  erzähle.  Ein 
sehr  moderner  aus  unserem  Familienbildungskreise  stammender  Gedanke,  dem  es  an  aller 
Analogie  in  den  griechischen  Kunstwerken  fehlen  möchte!  Vgl.  Vatikan.  Apollo  S.  220. 
Anm.  4. 

2J  Besprochen  Bullett.  1S3S.  p.  4;  1*>39.  p.  3S  ff. ;  Beschreib.  Roms  III.  3.  p.  633  f.; 
edirt  vonO.  Jahn  inAbhdl.  d.Münch.  Akadem.  d.  W.  philos.-philol.  Kl.  VII.  8.  231—284 
mit  Tafeln.    S.  unsere  Tafel  XI.  2. 

11* 


1 54  Zweites  Kapitel. 

als  Artemis  darnach  zu  bestimmen.  Ob  sie  etwas  meldet,  ob  sie  zur  raschen 
Vollstreckung  der  Rache  treibt/  Weiter  zur  Linken  vor  jener  Berghöhe  auf 
ebenem  Boden  ist  ein  Niobide,  eine  reife  Jünglingsgestalt  mit  hochflattern- 
der, um  den  Hals  befestigter  Ohlamys  in  eiliger,  vorwärtsgewendeter  Bewe- 
gung zu  sehen,  noch  trägt  er  den  Jagdspeer  in  der  Linken,  die  Rechte  ist 
beschäftigt,  den  Pfeil  aus  der  Brust  zu  ziehen ;  ein  Blutstrom  stürzt  zur  Erde 
nieder.  Vor  ihm  ist  ein  jüngerer  Bruder  auf  den  Leib  zur  Erde  gestreckt ; 
ein  gefiederter  Pfeil  hat  ihn  von  hinten  in  den  Rücken  getroffen  und  ihn 
ganz  durchbohrt.  An  ihm  ist  auffallenderweise,  oder  unter  ihm,  nach  den 
Abbildungen  wenigstens,  kein  Gewand  zu  finden.  Weiter  rechts  ist  die 
«nger  geschlossene  Gruppe  der  zwei  weiblichen  Gestalten :  die  eine,  Niobe 
selbst  oder  eine  erwachsene  Tochter,  in  ihrer  Grösse  allerdings  bedeutend 
hervorragend,  was  für  die  Mutter  mehr  spricht,  in  langem,  ärmellosem  Chiton, 
das  Himation  schützend  mit  dem  linken  gehobenen  Ann  ausbreitend,  fasst  eine 
vorwärts  sich  neigende  Mädchengestalt,  mit  einknickenden  Knieen,  etwas 
gesenktem  Kopf,  welche  den  linken  Arm  noch  nach  der  Seite,  woher  das 
Verderben  kommt,  streckt,  stützend  an  der  rechten  Hand.  Das  Haupt  der 
Schützenden  ist  mehr  auf-  und  seitwärts  gewendet  nach  der  Seite  der  schies- 
senden Gottheiten,  was  der  Mutter  mehr  als  einer  Tochter  zukommt.  Ob- 
gleich endlich  der  Parallelismus  im  Bilde  eher  für  drei  Geschwisterpaare 
sprechen  könnte,  so  ist  doch  zu  beachten,  dass  nie  von  vier  Kindern,  wohl 
aber  mehrfach  von  drei  Kindern  der  Niobe  gesprochen  wrurde,  wie  ja  drei 
neben  fünf  und  sieben  sich  als  Grundzahl  uns  früher  für  die  Niobiden  erge- 
ben hat. 

Unmittelbar  an  diesen  Vorgang  schliesst  sich  im  Bilde  ein  anderer,  auch 
ein  Absenden  der  Pfeile,  aber  ein  erlösendes  und  heilendes.  Athene  in  voller 
Rüstung  mit  dem  Gorgonenhaupt  auf  dem  Schild  weist  den  gewaltigen,  nack- 
ten Bogenschützen  Herakles ,  der  das  rechte  Knie  auf  einen  Fels  gebogen 
hat,  auf  das  Zielpunkt  für  den  Pfeil,  den  er  abzuschiessen  im  Begriff  steht. 
Es  ist  jenseits  eines  Baumes,  der  hier  gleichsam  eine  Zwischengruppe  ersetzt, 
Prometheus,  der  mit  den  ausgebreiteten  Armen  an  das  Felsgebirge  geschmie- 
dete, eine  immer  noch  in  dem  hochgehobenen  einen  Bein  Trotz  oder  doch 
Selbstgefühl  verrathende  Gestalt ;  ein  Geier  ist  dabei,  ihm  in  die  Seite  zu  hacken 
und  Blutstropfen  rinnen  herab.  Ein  höchst  bedeutsamer  Contrast  in  der  Ver- 
bindung dieser  beiden  Scenen!  Dort  Jugend,  ja  wohl  Schönheit,  wenn  die 
Kunst  des  Malers  ausgereicht  hätte,  bei  den  Göttern  wie  ihren  Opfern,  hier 
reife  Männlichkeit,  ja  mehr  als  das,  Kraftanstrengung  in  Herakles,  langer 
Schmerz,  Mangel  jeglicher  äusserer  Fürsorge  ausgeprägt  in  dem  Dulder. 
Dort  eine  heftig  antreibende  göttliche  Genossin,  hier  eine  überlegene,  den 
Pfeil  richtiglenkende  weibliche  Macht.  Dort  Tod  und  Vernichtung  brin- 
gende Pfeile  und  Zeichen  des  dagegen  sich  erhebenden  bitteni  Schmerzge- 
fühls, Versuch  dagegen  Schutz  zu  leisten,  hier  der  ersehnte  Sender  der  Pfeile, 


Die  Niobidenreliefs.  165 

die  den  Peiniger  vernichten,  Begrüssen  desselben  mit  der  gehobenen  Linken 
von  Seiten  des  Gefesselten.  Wie  Apollo  und  Herakles  in  der  griechischen 
Kunst  und  dem  von  ihr  ausgeprägten  Mythus  in  so  bedeutungsvollem  Gegen- 
satz und  darin  gerade  mit  innerer  Gleichartigkeit  stehen,  so  werden  wir  un- 
willkürlich zur  Gegenüberstellung  von  Niobe  und  Prometheus  geführt,  als 
Urbilder  des  Weibes  und  Mannes  in  ihrem  Streben  und  Dulden.  Hier  stehen 
sie  zusammen  wie  furchtbare  Katastrophe  und  wie  Katharsis  einer  Tragödie ; 
jene  bricht  in  die  Jugendschöne  des  Menschen  ein ,  diese  erlöst  im  Alter  von 
herbem  Leid  und  versöhnt  Mensch  und  Gottheit,  Gedanken,  an  die  wir  im 
mythologischen  Theile  wieder  anzuknüpfen  haben.  Hier  bieten  sie  der 
künstlerischen  Betrachtung  sich  einfach  dar.  Wohl  aber  werden  wir  fühlen, 
dass  nicht  der  Maler  des  dritten  Jahrhunderts  n.  Chr.  etwa  zuerst  auf  eine 
solche  Zusammenstellung  gekommen  ist. 

§  is. 

Die  Niobidenreliefs. 

Im  Ausgange  des  Winters  1S4S  ward  in  einem  der  Sääle  des  schon  da- 
mals erstaunenswerth  reichen  Museums  des  Cavaliere  Campana,  im  Monte  di 
pietä  zu  Born  ein  Relief  von  nicht  unbedeutender  Ausdehnung1)  und  guter 
Erhaltung,  allerdings  wohl  mit  den  Spuren  der  neuen  Ueberarbeitung,  auf- 
gestellt, welches  die  lebhafte  Bewunderung  aller  derer,  die  es  zu  sehen  be- 
kamen, erregte,  aber  von  dem  Besitzer  wie  ein  seltener  Schatz  fast  geheim- 
nissvoll  gehütet  ward.  Mir  selbst  war  es  damals,  wo  ich  Monate  lang  in  die- 
ser Sammlung  täglich  arbeitete,  mit  unter  den  ersten  vergönnt,  mich  seines 
Anblicks  zu  erfreuen. 

Es  konnte  kein  Zweifel  sein,  dass  man  eine  Niobidendarstellung  vor  sich 
hatte ,  mit  neuen  und  höchst  wirksamen  Motiven  und  zugleich  mit  einer 
Breite  derComposition  und  einem  Flusse  der  Ausführung,  wie  sie  nur  Fries- 
reliefe  der  rein  griechischen  Kunst  zeigen.  Schon  damals  ward  in  dem  Bul- 
lettino  des  archäologischen  Institutes  eine  kürzere  Notiz  davon  gegeben,  in- 
dem ein  Gypsabguss  dem  Institute  vorgelegt  wurde,  im  Jahre  18  50  eine 
zweite,  beide  voll  warmen  Lobes  und  mit  dem  Hinweis  auf  die  volle  Bedeut- 
samkeit2). Später  sollen  von  dem  begeisterten  Verkünder  dieses  Lobes,  dem 
verewigten  Emil  Braun  Zweifel  hie  und  da  mündlich  an  dem  so  hohen  Kunst- 
werth,  ja  vielleicht  auch  an  der  Aechtheit  geäussert  sein.  Es  war  dies  in 
einer  Zeit,   wo  er  von  den  griechischen  Werken  in  England,  speciell  den 


1)  Leider  bedaure  ich,  keine  durchgängig  genauen  Maasse  hier  geben  zu  können ;  die 
Höhe  betragt  über  1  %  Par.  Fuss,  die  Lange  an  6  Par.  Fuss,  genauer  lf80  Meter. 

2)  Bullettino  1848.  p.  88,  danach  Archäol.  Zeit.  1848.  S.  89;  dann  Bullettino  1850. 
p.  82,  auch  Welcker  alte  Denkm.  1.  S.  314  und  O.  Jahn  in  der  oben  erwähnten  Abhand- 
lung der  Münchner  Akademieschriften  d.  philos.-pilol.  Kl.  V11I.  S.  239.  Zuerst  publicirt 
auf  unserer  Tafel  III. 


1  (56  Zweites  Kapitel. 

Funden  Newtons  in  Kleinasien,  welche  jetzt  erst  einer  unbefangenen  Prüfung 
unterworfen  werden  können,  ganz  eingenommen,  ganz  erfüllt  dem  von  ihm 
früher  auf  römischem  Jioden  Hochgestellten  gegenüber  leicht  eine  hyperkri- 
tische Stellung  einnahm. 

An  der  Aechtheit  aber  hat  in  den  ersten  Jahren  Niemand  gezweifelt  und 
ich  hoffe,  unsere  Nachbildung  nach  einer  mir  von  dem  Besitzer  selbst  noch 
durch  die  Ycrmittelung  E.  Hrauns  freundlich  vergönnten  Photographie  und 
das  nähere  Eingehen  auf  dieselbe,  das  hier  zum  ersten  Male  versucht  wird, 
wird  erweisen,  dass  wir  mit  der  Annahme  einer  Fälschung  zugleich  einen 
modernen  Künstler  annehmen  müssten,  der  nicht  allein  in  dem  antiken  Rc- 
licfstil  und  zwar  unter  fortgesetzten  Studien  nicht  sowohl  der  Werke  in  Rom 
als  in  England  und  Hellas  selbst  sich  wunderbar  hineingelebt,  sondern  der 
auch  eine  seltene  Kenntniss  der  antiken  Motive  und  die  Begabung  noch  herr- 
liche dazu  zu  erfinden  bewährt  habe,  der  endlich  in  einer  Zeit,  wo  die  antike 
Kunst  aus  dem  Kunsthandel  und  dem  Bereiche  der  Kunstliebhaberei  sich 
fast  verdrängt  sieht,  seinen  guten  Namen  hinter  eine  antike  Anonymität  zu 
verstecken  den  Einfall  hätte.  Das  hiesse  erst  ein  Räthsel  schaffen,  wo  uns 
die  griechische  Kunstwelt  die  befriedigendsten  Analogien  zu  der  Erkenntnis* 
des  Kunstobjektes  giebt.  Auch  in  dem  grossen  Katalog  der  Campanaschen 
Sammlung,  welcher  vor  dem  Verkauf  derselben  erschien,  ist  das  Werk  auch 
nicht  allein  in  Classe  VII  Scultura  greco-romana  unter  N.  307  aufgeführt, 
sondern  auch  in  dem  Eingang  unter  allen  Reliefs  als  das  bedeutendste,  dem 
nur  noch  zwei  nahekommen,  besonders  das  kolossale  Sarkophagrelief  mit  dem 
Mythus  von  Phaedra  und  Hippolytus,  als  ein  Werk  aus  der  Schule  des  Phi- 
dias  bezeichnet  worden1).  Gewiss  auch  ein  Beweis,  dass  kein  äusserer  Grund 
vorlag  an  der  Authenticität  zu  zweifeln. 

Ueber  die  Herkunft  verlautete  früher  nur,  dass  das  Relief  aus  Venedig, 
aus  einem  dortigen  Palaste  stamme  und  in  der  Zeit  der  Unruhen  von  1848 
von  dort  unter  der  Hand  verkauft  sei.  Es  stimmt  dies  auch  durchaus  mit 
dem  acht  griechischen  Charakter  desselben  zusammen,  wissen  wir  ja,  wie 


1)  Die  wichtigsten  Worte  lauten  p.  4 :  due  fra  queste  hanno  l'impronta  della  scuola 
di  Fidia  e  per  eccellenza  di  Stile  non  sono  secondi  a  veruna  antica  opera  in  bassorilievo  di 
greco  acalpello  che  sia  giunta  fino  a  noi.  11  primo  ha  per  argomento  i  Niobidi  colpiti  dallc 
saette  di  Diana  e  d* Apollo.  Nuova  ne  apparisce  la  composizione  essendoche  tal  soggetto 
scorgesi  in  tutt'  altro  modo  rappresentato  in  parecchie  sculture  dei  romani  sareofagi,  il  cui 
stile  piega  alla  decadenza,  come  ai  bassirilievi  del  museo  Lateranese  trovati  nella  vigna  Lo- 
zano  in  Roma.  Un  frammento,  che  per  molto  si  pregia  nella  villa  Albani  e  che  pote  esser 
copia  del  nostro  originale,  dal  cui  merito  non  poco  si  allontana,  e  il  solo  bravo  di  scultura, 
che  faccia  ricordo  di  uno  de'  gruppi  di  questo,  la  cui  eseeuzione  apparisce  ben  degna  del  su- 
blime acalpello  dei  grandi  artisti  di  Grecia.  Unter  n.  3 1 7  heisst  es :  bassoriiievo,  che  servi 
di  fregio  a  qualche  antico  monumento  o  edicola  rappresentante  la  catastrofe  dei  figli  di 
Niobe.  Wunderlicherweise  wird  das  Werk  zweimal  als  in  den  Schriften  des  archäologi- 
schen Instituts  publicirt  bezeichnet. 


Die  Niobidenreliefs.  ]Q7 

viel  treffliche  Reliefs  gerade  aus  dem  Peloponiies  und  von  den  griechischen 
Inseln  nach  Venedig  in  die  Häuser  der  dortigen  Herren  gewandert  sind  und 
oft  genug  verschollen.  Ich  brauche  blos  an  die  einstigen  Sammlungen  Nani, 
Grimani,  Contarini,  Giustiniani  zu  erinnern. 

Das  verhängniss volle  Schicksal,  welches  über  den  in  seiner  Leidenschaft 
für  die  antike  Kunst ,  wie  in  seinem  Sammler-  und  Finderglück  so  hoch 
ausgezeichneten  Begründer  des  Museo  Campana  eingebrochen  ist,  hat  auch 
nun  dies  Kunstwerk  seiner  Wiedergeburtstätte  in  Rom  entfuhrt  und  zwar  in 
die  Kaiserliche  Sammlung  in  Petersburg.  Wie  man  von  russischer  Seite  den 
Werth  desselben  auffasst,  ergeben  die  begeisterten  Worte  Guädeonoffs1), 
deren  Kenntniss  ich  Gerhard  verdanke:  ,,la  description  est  impuissante  ä 
vendre  la  supreme  beaute  de  cette  oeuvre,  qui  saisit  Tarne  et  la  remue  pro- 
fondement,  sans  jamais  s'ecarter  de  cette  noble  reserve  qui  distingue  le  goüt 
hellenique  ä  la  belle  epoque  de  l'art  —  c'est  un  poeme  en  marbre  dont  les 
motifs  fönt  penser  ä  Raphael,  l'execution  ä  Scopas  ou  Praxitele." 

Wenden  wir  uns  nun  zu  dem  Werke  selbst.  Die  tektonische  Ge- 
stalt des  Reliefs  als  langgedehnte,  einfache  Platte,  ohne  Hebung  der  Rän- 
der oben  und  unten,  wie  sie  die  Sarkophagreliefs  durchgängig  zeigen,  ohne 
jegliches  weitere  bekrönende  oder  unten  abschliessende  Glied,  legt  entschie- 
den seine  Bestimmung  als  Friesplatte  dar,  um  so  zwischen  die  fein  entwickel- 
ten Glieder  des  Gebälkes  eines  höchst  wahrscheinlich  ionischen  Tempelbaues 
eingeschoben  zu  werden,  oder  dessen  innere  Vorderfläche,  oder  den  massiven 
Untersatz,  den  nvQyog,  welcher  einen  Grabtempel  trug,  zu  schmücken2).  Die 
Composition  der  neun  darauf  befindlichen  Gestalten  weist  auf  eine  Fort- 
setzung hin,  also  auf  den  Anschluss  folgender  Platten  auf  beiden  Seiten. 

Das  Relief  zeigt  verschiedene  unterhöhlte  Theile,  nähert  sich  also  darin 
dem  Hautrelief,  wie  wir  dies  z.  B.  an  den  Darstellungen  der  Balustrade  un- 
ter dem  Tempel  der  Nike  Apteros,  in  noch  stärkerem  Masse  am  Fries  von 
Phigalia,  oder  den  Reliefs  von  Budrun  kennen  lernen.  Der  Marmor  ist  ein 
griechischer  mit  dem  tiefen,  goldigen  an  das  Röthliche  fast  atistreifenden 
Ton,  der  den  parischen  und  pentelischen  Marmor  so  entschieden  von  dem 
lunensischen  oder  carrarischen  unterscheidet.  Hoben  wir  oben  die  Breite 
der  Composition  hervor,  so  wollten  wir  damit  jene  Darstellungsweise  charak- 
terisiren,  welche  die  einzelnen  Gestalten  möglichst  aus  einander  hält,  nicht 


1)  Notice  sur  les  objets  d'art  de  la  galerie  Campana.  Paris  1861.  p.  90.  No.  3.  Wenn 
ebendaselbst  angegeben  wird,  das  Relief  sei  aus  Athen  nach  Venedig  in  der  Zeit  der  Siege 
Francesco  Morosinis  gebracht  worden,  also  gleichzeitig  mit  den  Löwen  des  Arsenals,  dem 
Weberschen  Kopf,  so  scheint  dies  eher  Vermuthung  als  sichere  Nachricht  zu  sein.  Wir  er* 
fahren  wenigstens  auch  nicht,  in  welchem  Palast  in  Venedig  das  Relief  versteckt  war. 

2)  Die  Verfasser  des  Katalogs  der  Sammlung  Campana  p.  317  sagen:  bassorilievo  che 
servi  di  fregio  a  quaiche  antico  mounmento  o  edicola  rappresentante  la  catastrofe  dei  figli 
di'  Niobe. 


|68  Zweites  Kapitel. 

in  Vorder-  und  Hintergrund  häuft,  welche  dieselben  möglichst  in  einer  Flä- 
chenentwickelung  zeigt  und  nicht  unruhig  die  Linien  in  und  gegeneinander 
laufen  lässt.  Ebenso  wird  der  Fluss  der  Ausfuhrung,  dessen  wir  gedachten, 
in  der  Linienführung  des  Körpers,  der  Gewandung,  in  dem  in  dem  Einzel- 
nen, wie  im  Ganzen  sich  offenbarenden  Rhythmus  zu  Tage  treten. 

Wir  sehen  neun  Gestalten  vor  uns,  vier  jugendlich  männliche,  fünf 
jugendlieh  weibliche,  davon  zweimal  je  zwei  zu  einer  Gruppe  eng  verbunden. 
Ein  felsiger  Hoden  ist  bei  allen  einzelnen  Figuren  für  ihre  Motivirung  von 
wesentlicher  Bedeutung.  Indem  wir  von  der  Linken  zur  Rechten  allmälig 
fortschreiten,  begegnet  uns  zuerst  eine  Gruppe:  eine  ältere  Tochter,  ganz 
im  Profil  gebildet,  nach  der  für  den  Beschauer  linken  Seite  gerichtet  um- 
fasst  den  rücklings  in  ihre  Anne  an  ihre  Brust  sinkenden  Bruder.  Sie  hat 
selbst  das  linke  Knie,  wie  um  zu  stützen,  etwas  gebogen ;  über  den  langen 
Chiton  fallt  ihr  das  Himation  von  der  Schulter  in  reichen  Falten  hinab ;  dazu 
ist  ihr  über  den  linken  unterstützenden  Vorderarm  das  Gewand  des  Sohnes 
bauschig  gesunken  und  hängt  vor  ihr  bis  zum  Erdboden  nieder,  so  dass  die 
Gestalt  des  Bruders  in  voller  Schöne  eines  eben  das  Knabenalter  überschrei- 
tenden nackten  Körpers  erscheint.  Mit  tiefer  Wehmuth  senkt  die  ältere 
Schwester  —  denn  so  können  wir  nach  aller  Analogie  sie  nennen  —  das 
Haupt,  von  dem  die  Haare  in  einzelnen  Locken  in  den  Nacken  herabfallen, 
über  das  Haupt  des  geliebten  Bruders ;  ihre  Hände  umfassen  schräg  seine 
Brust.  Dieser  ist  im  Moment  der  eintretenden  Erschlaffung  der  Glieder  auf- 
gefasst,  noch  ruht  sein  rechter  Arm  rückwärts  an  dem  Haupte  der  Schwester, 
aber  der  andere  hängt  tief  herab  über  dem  linken  Unterarm  derselben ;  von 
den  gestreckten  unteren  Extremitäten  ist  das  rechte  Bein  etwas  näher  ange- 
schoben und  scheint  noch  etwas  auf  den  Boden  sich  zu  stützen,  während  das 
linke  ihn  kaum  berührt.  Das  Haupt  ist  zurückgesunken,  die  Haare  fallen 
hinten  über. 

Wir  werden  sofort  erinnert  an  die  herrliche  Zeichnung  des  Semelespie- 
gels  in  Gerhards  Besitz1)  und  an  die  Darstellung  auf  einem  geschnittenen 
Stein2),  wie  auf  einer  antiken  Paste8).  Im  Wesentlichen  dieselbe  Compo- 
situm und  doch  zeigen  sich  sehr  bezeichnende  Verschiedenheiten.  Zunächst 
ist  die  männliche  Gestalt  bei  dem  ersten  und  dritten  Denkmal  durchaus  kna- 
benhafter, jünger  der  weiblichen,  mehr  matronalen  gegenüber  gebildet;  dann 
fehlt  wenigstens  auf  der  Spiegelzeichnung  jegliches  vom  Knaben,  etwa  auf 


1)  Gerhard  Dionysos  und  Semele.  Progr.  des  archäol.  Instit.  1833;  Mon.  Ined.  I.  t.  50; 
Etrusk.  Spiegel  Taf.  «3  ;  Müller- Wieseler  1).  A.  K.  1.  t.  LXI.  n.  30b ;  G.  Dennis  cities  and 
cemeterie8  of  Etruria.  Vol.  i.  Titelkupfer. 

2)  Guigniaut  Rel.  de  l'anüqu.  pl.  CCXL1I1.  n.  834  nach  Miliin  Pierres  gravees  ine- 
dites, 

3)  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  II.  t.  XXXVI.  n.  430;  Tölken  Verieichn.  d.  geschn. 
Steine  etc.  Bl.  III.  Abth.  3.  n.  967. 


Die  Niobidenreliefs.  169 

den  Arm  der  weiblichen  Gestalt  fallengelassene  Gewand,  auf  dem  geschnit- 
tenen Stein  ist  dies  hingegen  vom  Gewände  jener  zu  unterscheiden.  Aber 
vor  allem  ist  die  ganze  Motivirung  des  Knaben  eine  verschiedene :  anf  dem 
Spiegel  ein  schwärmerischschwelgendes  sich  Hingeben  an  die  geliebte  Mut- 
ter, deren  Hals  mit  rückwärtsgehobenen  beiden  Armen  umschlungen  wird, 
um  so  Gesicht  dem  Gesicht  möglichst  nahe  zu  bringen,  auf  der  Paste  dage- 
gen ein  gerad  Emporheben  beider  Arme,  wie  es  den  Bittenden,  möglicher- 
weise auch  den  freundlich  Emporreichenden  oder  empfangen  Wollenden  be- 
zeichnet ;  auf  dem  geschnittenen  Stein  haben  wir  dagegen  genau  dieselbe 
Lage  der  Arme  des  Jünglings,  wie  auf  unserem  Relief,  auch  das  Armmotiv 
der  weiblichen  Gestalt  zeigt  hier  fast  noch  stärker  die  Aufregung,  mit  der 
es  gilt,  einen  seiner  selbst  nicht  mehr  mächtigen  Körper  zu  halten.  Die  Be- 
wegung derFüsse  ist  nicht  gleich;  verschieden  von  dem  Erschlaffen  der  Kraft 
in  unserer  Darstellung  ist  ein  festeres  Auftreten  des  einen  Fusses  in  der  Spie- 
gelzeichnung, ein  mehr  elastisch  sich  Emporschwingen  auf  der  Paste  ersicht- 
lich* Interessant  ist  es,  dass  auf  dem  geschnittenen  Stein  die  weibliche  Ge- 
stalt sich  fast  auf  die  Zehen  stellt,  um  so  mehr  von  oben  fürsorglich  sich 
über  den  geliebten  Gegenstand  zu  beugen. 

So  werden  wir  es  vollkommen  begreifen,  wie  hier  ein  und  dieselbe 
Grundlage  der  Gruppe  zum  Ausdruck  beseligter  Freude  bei  der  Wiederver- 
einigung von  Mutter  und  Sohn  dienen  kann,  da  ja  auf  jenem  Spiegel  sonstige 
Symbole,  wie  der  Thyrsus  in  der  einen  Hand  der  weiblichen  Gestalt  und  end- 
lich die  Inschriften  die  mythologische  Bezeichnung  sofort  sicher  stellen,  dort 
in  ergreifender  Wahrheit  diese  letzte  liebende  Hülfe  suchende  und  gewährende 
Begegnung  von  älterer  Schwester  und  jüngerem  Bruder  uns  vor  die  Seele 
rückt.  Wir  erhalten  somit  ein  neues  höchst  lehrreiches  Beispiel,  wie  die 
griechische  Kunst  in  feiner  Nuancirung  gewisse  Grundmotive  verschiedenen 
mythologischen  Ausgestaltungen  anpasst.  Interessant  ist  es  aber  auch,  dass 
Guigniaut  in  dem  geschnittenen  Steine  eine  Darstellung  der  den  in  Wahn- 
sinn verfallenden  Bruder  umfangenden  Elektra  fand,  wozu  alle  bezeichnen- 
den Momente  fehlen,  da  wir  bald  einem  andern  Niobidenmotiv  zweier  Brü- 
der auf  zwei  Sarkophagreliefs  begegnen  werden,  welche  allerdings  authen- 
tisch für  eine  solche  Scene  zwischen  Orest  und  Pylades  auch  verwendet  wor- 
den ist.  Die  Darstellung  jenes  geschnittenen  Steines  wird  von  nun  an  als 
ein  herrliches  Motiv  aus  der  Niobidensage  fortan  in  Anspruch  zu  nehmen 
sein,  nicht  mit  gleicher  Gewissheit  doch  Wahrscheinlichkeit  die  der  antiken 
Paste. 

Gehen  wir  weiter  zu  den  zwei  folgenden  einzelnen  Gestalten.  Zunächst 
liegt  ein  Niobide  von  einer  Felsklippe  rücklings  niedergestreckt.  Der  Ober- 
körper ist  dabei  etwas  seitwärts  gewendet.  Die  hochgezogenen  Kniee  sind  noch 
vom  Gewand  zumTheil  bedeckt,  das  die  theilweise  Unterlage  des  nackten  Kör- 
pers auf  dem  harten  Gesteine  bildet.    Beide  Arme  sind  über  den  Kopf  rück- 


170  Zweites  Kapitel. 

wärts  hinaus  noch  gestreckt.  Eine  zwar  kühne,  aber  in  sich  wohlgegründete 
Situation,  die  uns  in  viel  grellerer,  gewaltsamer  Weise  an  dem  rücklings  von 
seinem  Throne  gestürzten  Aegisthos  entgegentritt l) .  Mit  grossem  Geschick 
ist  hier  der  Fels  und  die  Gewandung  benutzt,  um  den  Uebergang  von  der  un- 
mittelbar vorhergehenden  Gruppe  zu  einer  liegenden  Gestalt  zu  vermitteln. 

Noch  bäumt  sich,  darf  man  wohl  sagen,  die  in  der  folgenden  herrlichen 
Jünglingsgestalt  liegende  Kraft  gegen  die  bereits  wirkende  Todesmacht. 
In  voller  Eile  der  Flucht  über  die  Felsklippen  ist  er  im  Rücken  getroffen. 
Das  rechte  Bein  mit  ganz  eingebogenem  Knie  ist  ziemlich  hoch  auf  die  ge- 
bogenen Fussspitzen  eingesetzt,  das  linke  Bein  ist  weit  zurück  auf  die  tie- 
fere Fläche  in  stärkster  Anspannung  der  Eile  gestellt;  der  eingebogene 
Rücken,  das  nach  hinten  fallende  Haupt,  der  gehobene  Ellenbogen  des  zu- 
rückgewendeten rechten  Armes,  der  in  die  Seiten  gestützte  linke,  von  dem 
wehenden  Gewände  umschlungene  Ann,  das  unten  um  das  linke  Bein  noch 
sich  herumschlägt,  entfalten  auf  das  Herrlichste  den  jugendlichen  Körper  und 
stellen  dies  innere  Widerspiel  von  grösster  Eile  und  Hemmung,  von  Vernich- 
tung und  Kampf  dagegen  vor  Augen.  Wir  werden  diese  Gestalt  vollständig 
so  und  auch  in  Verbindung  mit  der  gefallenen  in  dem  Relief  der  Villa  Albani 
wiederfinden,  sehr  ähnlich  auch  bei  einer  als  Relief  an  einem  Sarkophag  an- 
gebrachten Stuccofigur  aus  Kertsch. 

Ein  Ruhepunkt  in  der  Bewegung  des  Ganzen  folgt,  eine  zweite 
Gruppe.  Während  die  erstere  uns  die  älteste  Schwester  den  sinkenden 
Bruder  in  ihre  Arme  auffangend  und  mit  aller  Kraft  stützend  vorfuhrt,  sehen 
wir  hier  Schwester  mit  Schwester  vereint.  Die  ältere,  doch  jugendlicher 
als  jene  erste,  ist  fast  ganz  en  face  ruhiger  gestellt,  zwar  der  an  ihrer  Seite 
zusammensinkenden  Schwester  in  dem  rechten  Oberschenkel  einen  Stütz- 
punkt bietend,  den  linken  Arm  auf  sie  niederstreckend,  aber  an  Schutz,  an 
Hülfe  denkt  sie  nicht  mehr.  Ihr  rechter  Arm  ist  mit  dem  Ausdruck  der 
Wehklage  über  ein  Unabänderliches  gehoben,  der  Kopf  gesenkt.  In  voller 
Ermattung  ist  die  fast  an  das  Mädchenalter  noch  reichende  Schwester  vor 
und  an  ihr  in  beide  Kniee  gesunken,  beide  Arme  hängen  schlaff  herab,  der 
Kopf  ist  ganz  auf  die  rechte  Seite  geneigt.  Der  kurzärmelige,  unter  der 
Brust  gegürtete  Chiton  ist  von  der  rechten  Schulter  ganz  heruntergefallen^ 
der  rechte  Arm  und  ein  Theil  der  rechten  Brust  dadurch  entblösst.  Die  Ge- 
wandung der  Stehenden  bildet  ein  ärmelloser,  über  der  Schulter  zugeknöpfter 
Chiton  mit  Diploidion ;  auch  scheint  ihr  den  Rücken  hinab,  wenigstens  nach 
der  faltigen  Gewandfulle  an  der  Seite  zu  urtheilcn,  noch  ein  Himation  zu 
fallen.    Eine  genauer  zutreffende  gleiche  Motivirung  in  den  bisher  bekannten 


1)  Sarkophagrelief  bei  O verbeck  Galer.  hom.  Bilder.  Taf.  1 ;    Cameo  in  Wien  8.  Oui- 
gnaut  Relig.  de  l'antiqu.  t.  CCXLV.  n.  833 ;  Eckhel  Choix  des  pierres  graväes  pl.  20. 


Die  Niobidenreliefs.  171 

Niobidendarstellungen  fehlt,  dagegen  entsprechen  in  der  Schilderung  des 
Ovid1)  jene  kurzen  Worte :  illa  sorori  immoritur  vollständig,  und  ebenso- 
wohl können  wir  in  entferntere  Vergleichung  jene  Niobetochter  aus  Florenz 
stellen,  die  bei  Müller- Wieseler  Alte  Denkmäler  t.  XXXIII  unter  d  gezeich- 
net2) und  durchaus  auf  eine  engste  Zusammenstellung  mit  Bruder  oder 
Schwester  berechnet  ist.  Die  Bewegung  der  Arme  ist  dort  gerade  umgekehrt 
und  es  kommt  das  wichtige  Motiv  des  gehobenen  Gewandes  hinzu,  das  sie 
dort  der  Mutter  in  so  bedenklicher  Weise  nähert,  und  zugleich  einen  Ver- 
such zum  Schützen  noch  kundgiebt. 

Von  dieser  Gruppe  &us  wenden  die  drei  folgenden  Gestalten  sich  nach 
der  rechten  Seite  für  den  Beschauer,  so  dass  diese  als  ein  Indifferenzpunkt 
angesehen  werden  kann.  Eine  meisterhaft  behandelte  Gestalt  ist  die  im 
Rücken  gesehene  forteilende  Schwester.  Da  prägt  sich  in  den  grossen 
Gesammtlinien,  wie  in  jeder  Falte  der  reichen  Gewandung  nur  Ein  Gedanke 
aus :  fortstürzende  Eile.  Der  nach  vorn  gestreckte  Arm,  das  nach  vorn  ge- 
senkte Haupt,  die  weit  vorwärts  strebende  Richtung  des  ganzen  Körpers  bil- 
den eine  fortgesetzte  Reihe  von  Strebungen,  aber  schon  ist  diese  Bewegung 
im  Moment,  gehemmt  zu  werden ;  das  linke,  sich  auf  einen  Fels  beugende 
Knie  zeigt,  dass  die  Fliehende  im  Boden  selbst  Hemmniss  findet,  bald  wohl 
auch  Stützpunkte  sucht.  Der  Chiton  mit  dem  Gürtel  unter  dem  bauschigen 
Ueberfall ,  mit  dem  Diploidion  darauf,  das  von  dem  gesenkten  linken  Ann 
noch  gehaltene  flatternde  Himation  bieten  dem  Auge  eine  Fülle  der  schwung- 
vollsten wohl  begründeten  Linien.  Eine  entsprechende  Gestalt  kennen  wir 
bisher  unter  den  Niobidendarstellungen  nicht,  allerdings  wohl  auf  Sarko- 
phagreliefs eine  den  Rücken  zeigende,  aber  in  anderer  Bewegung.  An  Schwung 
der  ganzen  Bewegung  wäre  etwa  eine  auch  im  Rücken  gesehene  Amazone 
des  Reliefe  von  Genua  zu  vergleichen,  aber  sie  ist  im  Moment  des  zum 
Schlage  Ausholens  gebildet3).  Der  Schönheit  des  Faltenwurfs  und  dem  gei- 
stigen Ausdruck  am  ebenbürtigsten  steht  das  noch  nicht  sicher  bestimmte 
weiter  unten  zu  besprechende  Marmorfigürchen  aus  Smyrna,  früher  in  Millin- 
gens  Besitz4) .  Das  Ausstrecken  des  Armes  begegnet  uns  in  annähernder  Weise 
bei  dem  einen,  auch  von  dem  Rücken  am  wahrscheinlichsten  gesehenen  flie- 
henden Sohne  der  florentiner  Gruppe,  wobei  Welcker5)  die  richtige  Be* 
merkung  macht,  dass  dies  Ausstrecken  des  Armes  den  Schwung  verstärke. 

Höchst  auffallend  ist  die  Lage  des  darauf  folgenden  zweiten  hinge- 
sunkenen Sohnes.    Er  ist  vorwärts  und  seitwärts  gesunken  und  zwar  an 


1)  Metern.  VI.  295. 

2)  S.  unsere  Tafel  XVII.  1. 

3)  Mon.  ined.  d.  inst.  arch.  V.  t.  1—3. 

4)  Archaol.  Zeit.  1949.  Taf.  I.  II.  3.  4. 

5)  Alte  Denkm.  1.  S.  280.  Taf.  IV.  2. 


1 72  Zweites  Kapitel. 

einer  Felsmasse  hin,  so  dass  sein  Körper  einen  fast  halbrunden  Bogen  bildet. 
Die  Beine  zeigen  in  ihrer  Lage  noch  am  meisten  die  vorwärUeilende,  nun 
längst  gehemmte  Bewegung ;  um  den  linken  Fuss  ist  noch  das  Gewand,  ihn 
umstrickend,  geschlungen,  sonst  bildet  dies  die  Unterlage  auf  dem  Fels. 
Kopf,  Arme,  Brust  hingegen  sind  fast  senkrecht  dem  Boden  zugewendet. 
Unmöglich  kann  der  Körper  lange  so  verweilen,  er  wird  herabgleiten,  ganz 
dem  langstreckenden  Tode  verfallen.  Aber  wie  uns  gerade  diese  kühn  ge- 
zeichnete Situation  in  Friesrcliefs  der  Amazonenkämpfe,  ganz  ähnlich  am 
östlichen  Fries  des  Theseion '),  begegnet,  so  sehen  wir  hier  einen  bestimmten 
Grund  in  dem  Gleichgewicht  der  Compositum.  Bei  beiden  hingestreckten 
Gestalten  ist  das  Bestreben  unverkennbar  durch  den  Felsboden  die  Tiefe  der 
entstehenden  Lücke  auszugleichen,  zugleich  aber  soll  eine  Abwechselung 
eintreten  zwischen  aus-  und  einwärtsgebogenen  Linien. 

Die  letzte  Gestalt  schliesst  mit  einem  heftigen  Schmerzensschrei  die 
Relieftafel,  sie  erinnert  in  der  Heftigkeit  der  Bewegung  an  die  edelsten  bak- 
chischen  Bildungen2).  Auch  sie  strebt  vorwärts,  wie  ihre  vorhergehende 
Schwester,  aber  bricht  getroffen  eben  zusammen.  Das  Obergewand  vom  lin- 
ken Unterarm  zum  rechten  Oberarm  hinten  herumgeführt  ist  im  Sturmwind 
segelartig  gebauscht,  der  Chiton  mit  seinem  Diploidion  in  der  Verwirrung 
der  Flucht  ganz  von  der  linken  Schulter  und  Brust  herabgesunken,  hat  ebenso 
das  rechte  Unterbein  bis  über  die  Waden  entblösst,  während  er  das  linke  ge- 
bogene Bein  ganz  in  seiner  Fülle  birgt.  Der  zurückgeworfene  Kopf,  die  wie 
zum  Himmel  rufende  rückwärts  gehobene  rechte  Hand,  während  die  linke 
auf  der  Brust  schmerzvoll  ruht,  sie  legen  von  diesem  Zustand  des  heftigsten , 
verzweiflungs vollen  Jammers,  wie  im  Bewusstsein  des  eben  eingebrochenen 
Verderbens  ein  sprechendes  Zeugniss  ab. 

Ein  Rückblick  auf  die  im  Einzelnen  soeben  behandelten  Gestalten  er- 
giebt  uns  die  vollste  Wahrscheinlichkeit  für  die  Fortsetzung  der  Darstellung 
auf  anderen  Platten,  so  doch  hier  im  engeren  Bereiche  die  treffendsten  Cor- 
respondenzen ,  eine  fein  abgewogene  Symmetrie,  in  derselben  aber  eigen- 
thümliche  Abwechselung.  Vergleichen  wir  nur  die  zwei  Gruppen,  die  zwei 
liegenden  Söhne,  die  heftigst  bewegten  Brüder  und  Schwestern  mit  zurückge- 
beugtem Kopfe.  Wie  steigen  die  Linien  rhythmisch  auf  und  nieder,  wie  er- 
gänzen sich  die  Flächen  der  einzelnen  Figuren  in  geschicktester  Weise !  Nur 
allein  steht  für  sich  die  herrliche  fliehende  Tochter,  bis  ein  glückliches  Ge- 
schick uns  die  Fortsetzung  des  Frieses  etwa  gewährt. 

Gleichzeitig  werden  also  hier  die  Niobiden,  Söhne  und  Töchter  von  den 
Geschossen  der  erzürnten  Götter  ereilt,  diese  kommen  von  beiden  Seiten,  sie 


1)  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  1.  Taf.  XXI.  109. 

2)  Man  vergleiche  etwa  Müller- Wieseler  A.  D.  I.  Taf.  32.  n.  140,   II.  Taf.  45.  n.  567 ; 
Zoega  bassiril.  ant.  II.  t.  83.  85. 


Die  Niobidenreliefs.  1 73 

werden  überrascht  drausseii  im  Freien  zwischen  den  Felsen  eines  Gebirges, 
des  Sipylos  oder  Kithäron,  wo  sie  im  heitern  Spiel,  die  Söhne  in  frischer 
Jagdlust  begriffen  waren.  Dort  stürzen  sie  nach  verschiedenen  Seiten,  dem 
Tode  zu  entrinnen,  Schutz  und  Hülfe  bei  den  begleitenden  Pflegern,  Päda- 
gogen oder  Wärterinnen,  wie  diese  in  der  Statuengruppe  und  auf  vollständi- 
gen Sarkophagreliefs  noch  zahlreicher  auftreten,  bei  der  Mutter  endlich  mit 
Bewusstsein  nicht  irgend  suchend,  sondern  einzeln  gleichsam  wie  durch  Zu- 
fall in  die  Arme  der  nahenden  Liebe  von  gleich  Bedrohten  sinkend.  Nicht 
in  der  naturalistischen  Ausfuhrung  des  körperlichen  Schmerzes,  der  stecken- 
den Todespfeile,  der  Todeswunden,  des  Aufschreis,  hat  der  Künstler  seine 
Kunst  offenbaren  wollen,  nein,  in  acht  hellenischer  Weise  behandelt  er  nicht 
den  einzelnen  äusserlichen  Akt  des  Tödtens,  Schiessens  oder  Getroffenseins, 
er  stellt  uns  die  volle  Wirkung  desselben  auf  eine  Reihe  edler,  jugendlicher, 
leidenschaftlich  erregbarer  Naturen  dar,  die  aber  auch  des  Selbstvergessen*, 
der  liebevollsten  Fürsorge  für  andere  fähig  sind,  die  zugleich  in  ihrer  kör- 
perlichen  Schönheit  und  Elasticität,  den  vollen,  und  doch  massvollen  Aus- 
druck ihrer  innern  Zustände  geben.  Und  endlich  sind  die  lokalen  imd  per- 
sönlichen Hemmnisse  in  den  Felsen,  in  den  Gewändern  nur  noch  reichere 
Mittel,  um  die  Gedanken  des  Beschauers  von  dem  erschütternden  Gesammt- 
eindruck  auf  die  Fülle  einzelner  interessanter  und  anziehender  Conflikte  zwi- 
schen Jugendkraft,  geistigem  Adel  und  Schönheit  und  mannigfachen  wider- 
strebenden Mächten  abzulenken.  So  wird  auch  hier  ein  hochtragisches ,  ja 
für  unsere  Auffassung  überhartes  Geschick  zur  Quelle  eines  wahrhaft  künst- 
lerischen Genusses. 

Die  Frage  liegt  wohl  nahe,  ob  wir  die  Gottheiten  selbst,  Apollo  und 
Artemis  an  den  Enden  der  Darstellung  erscheinend  zu  denken  haben.  Sie 
ist  von  vorn  herein  nicht  von  einem  ästhetischen  Gesichtspunkt  zu  be- 
antworten, sondern  mitten  heraus  aus  der  künstlerischen  Auffassung  des  Göt- 
terlebens durch  die  Griechen,  fernei  sie  ist  verschieden  zu  stellen  bei  den 
verschiedenen  Gattungen  der  Plastik  und  je  nach  dem  Rahmen  gleichsam, 
in  den  das  einzelne  Werk  gesetzt  erscheint.  Für  die  griechische  Reliefbil- 
dung überhaupt  können  wir  daran  erinnern,  dass  Phidias  die  beiden  Gott- 
heiten bei  dem  Tode  der  Niobiden  am  Throne  des  olympischen  Zeus  wirk- 
lich dargestellt  hatte1}.  Aber  wir  sind  im  Stande  durch  ein  anderes  Denk- 
mal das  Auftreten  der  Gottheiten  auch  auf  dem  weitern  Verlauf  dieser  Dar- 
stellung in  schlagendster  Weise  zu  sichern. 

Ein  längst  bekanntes  treffliches  Relief  der  Villa  Albani  wird  durch 
unser  Relief  nun  auf  einmal  in  hellstes  Licht  gestellt.  Dies  bei  ^oega  zuerst1) 

1)  Paus.  V.  11.  2. 

2)  Bassiril.  ant.  II.  t.  10-1.  p.  203  ff. ;  Fabroni  Stat.  d.  fav.  di  Niobe  t.  17;  Bunsen 
Platner  Beschreib.  Roms  III.  2.  8.  510;  E.  Braun  Ruinen  und  Mus.  Roms  S.  630.  Auf 
unserer  Tafel  unter  No.  3,  ist  nur  der  antike  Theil  gezeichnet. 


\  74  Zweite 8  Kapitel. 

pubiicirte,  danach  öfters  wiederholte  Werk  ist  nur  in  seinem  einen  Theile,  der 
rechten  Hälfte  antik,  zeigt  aber  hier  in  einer  Niobidenfigur  sowie  in  dem 
Reste  einer  andern  liegenden  eine  merkwürdige  Uebereinstimmung  mit  dem 
Relief  Campana,  dagegen  erscheint  neben  dem  Niobiden  eine  schiessende 
Gottheit  Artemis,  während  auf  jenem  dort,  wie  wir  sehen,  nach  der  rechten 
Seite  weiter  Niobiden  folgen.  Wir  haben  also  hier  eine  Gopie,  aber  eine 
Copie  mit  theilweisem  Wechsel  der  Anordnung.  Die  Grössenverhältnisse 
des  Reliefs  sind  gleich,  die  Breite  und  Flüssigkeit  des  Stiles  ebenfalls,  doch 
steht  das  Relief  Albani  durch  eine  mehr  allgemeine  und  glatte  Behandlung 
entschieden  nach.  Vollständig  gleich  ist  also  jener  auf  dem  Felsen  mit  einem 
Bein  knieende,  die  Linke  in  die  Seite  stemmende,  den  andern  Ellenbogen 
hoch  hebende,  verzweifelnd  aufblickende  Jüngling,  gleich  in  allen  Beziehun- 
gen, so  in  dem  einzelsten  Motiv  des  um  den  linken  Arm  flatternden  Mantels. 
Wenn  nicht  in  dem  Original,  scheint  doch  in  der  Zeichnung  die  Länge  des 
ausgestreckten  linken  Armes  das  richtige  Mass  zu  überschreiten.  Wesent- 
lich gleich  sind  ferner  die  dicht  unter  ihm  sichtbaren,  über  den  Kopf  zurück 
ausgestreckten  Arme  nebst  dem  Reste  des  Kopfes,  aber  hier  lässt  die  etwas 
verschiedene  Lage  des  linken  Armes  sowie  die  horizontalere  Lage  des  Kopf- 
restes auf  eine  abweichende  weniger  steile  Gesammtlage  des  Körpers  schlies- 
sen.  Neu  hinzukommt  also  Artemis,  an  Grösse  durchaus  nicht  die  anderen 
Gestalten  überragend.  Im  kurzen  Chiton,  das  Himation  shawlartig  von  der 
rechten  Schulter  schräg  hinab  um  den  Körper  geschlungen,  wie  wir  das  an 
statuarischen  Werken  derselben  auch  kennen,  in  hohen  Jagdstiefeln  erscheint 
sie,  im  Begriff  stehend,  die  Sehne  des  Bogens  zurückzuziehen  und  den  Pfeil 
abzuschnellen.  Ihre  ganze  Haltung  bekommt  dadurch  etwas  fest  in  sich  Zu- 
sammengeschlossenes. Sie  tritt  fest  auf  den  linken  Fuss,  während  der  rechte 
nur  mit  der  Spitze  den  Boden  berührt ;  der  Körper  ruht  elastisch  darauf,  der 
Oberkörper  ist  den  nach  vorn  gestreckten  Armen  gemäss  auch  nach  vorn  ge- 
bogen, das  Auge  fest  auf  das  Ziel  gerichtet.  So  bildet  sie  auch  durch  ihre 
Haltung  einen  natürlichen  Abschluss  der  Darstellung  auf  einer  Seite.  Die 
Apollobildung  an  dem  andern  Ende  haben  wir  uns  ähnlich  zu  denken ;  sie 
wird  uns  durch  die  Bronze  eines  im  Lauf  begriffenen,  schiessenden  Apollo 
aus  Pompeji  anschaulich  vergegenwärtigt1).  Man  würde  sich  sehr  täuschen, 
wenn  man  in  den  beiden  die  ganze  Darstellung  umschliessenden,  sie  ja  be- 
dingenden Gottheiten  irgend  den  Ausdruck  einer  höhern  geistigen  Potenz, 
eines  hochgesteigerten  sittlichen  Unwillens  suchte,  der  jenes  herrliche  mensch- 
liche Pathos  der  Niobiden  überstrahlte  und  also  eine  Lösung  des  im  Nio- 
bidenmythus  tief  liegenden  Räthsels  des  menschlichen  Daseins  und  Strebens 
überhaupt  darböte.  Nein,  diese  Götter  sind  ebenso  jugendlich  schön,  kräf- 
tig, irdisch  als  ihre  Schlachtopfer,  sie  sind  als  treffliche  Jäger  meisterhafte 


1)  Mus.  Borbon.  VIII.  6;  Overbeck  Pompeji.  S.374.  Abbüd,  e. 


Die  Niobidenreliefs.  J75 

Vollstrecker  des  göttlichen  Zornes,  aber  sie  vollstrecken  ihn  auch  nur  unauf- 
haltsam, dieser  göttliche  Zorn  selbst,  das  göttliche  Gericht  liegt  hinter  und 
über  ihnen1). 

Wir  fugen  hier  noch  zwei  Relieffragmente  hinzu,  welche,  jedes  einen 
Niobiden,  das  eine  einen  zu  Boden  niedergestreckten,  das.  andere  einen  in 
die  Kniee  gesunkenen  Jüngling  zeigen.  Wie  sie  an  die  Statuen  der  Niobi- 
den erinnern,  so  finden  sie  unter  den  uns  bis  jetzt  bekannten  Reliefs  nicht  in 
den  eng  mit  Figuren  gehäuften  weiter  unten  zu  betrachtenden  Sarkophag- 
reliefs, sondern  in  den  eben  behandelten  ihre  Analogie.  Das  eine  ist2)  erst 
neuerdings  in  Villa  Ludovisi,  dieser  unausgebeuteten  Schatzkammer  an- 
tiker Werke  wieder  entdeckt  worden8).  E.  Braun  erklärt  die  einzige  Figur 
desselben  für  durchaus  identisch  mit  einem  der  beiden  liegenden  Niobiden 
(welchem?)  auf  dem  campanaschen  Relief.  Das  zweite  Reliefrragment  haben 
wir  hier  heranzuziehen,  welches  im  Palast  Colonna  so  gut  wie  unbeach- 
tet in  ein  Postament  einer  Büste  eingefügt  ist  und  nach  der  flüchtigen  Notiz  in 
der  Beschreibung  Roms  von  Bunsen  Platner  u.  s.  w. 4)  einen  auf  das  eine 
Knie  niedergesunkenen  Niobiden,  also  sichtlich  dem  oben  zweimal  vorkom- 
menden entsprechend  darstellt. 

Sind  wir  schliesslich  aber  nicht  im  Stande,  dieses  Werk  eines  unzweifel- 
haft griechischen  Künstlers  auf  einen  berühmten  Namen,  auf  eine  berühmte, 
literarisch  bezeugte  Composition  zurückzuführen?  Den  Stil  des  Phidias,  auf 
den  man,  wie  wir  erwähnten,  mehrfach  hingewiesen,  vermögen  wir  nicht 
darin  zu  finden ,  wenn  irgend  die  Parthenonsculpturen,  besonders  der  Fries 
des  Parthenon,  darüber  Aufschluss  geben,  wohl  aber  den  der  jüngeren  atti- 
schen, vor  allem  in  Kleinasien  thätigen  und  dort  fortwirkenden  Kunstschule. 
Vor  allem  ist  es  die  pathetische  Durchbildung  der  Gesichter,  ist  es  das  eigen- 
thümlich  Seelenvolle,  ist  es  die  mehr  isolirte  Behandlung  der  einzelnen  Ge- 
stalten, sind  es  endlich  grosse  Kühnheiten,  ja  Wagnisse  der  Motivirung,  die 
uns  von  Phidias  entfernen,  uns  erst  durch  Skopas  und  Praxiteles  hindurch- 
gehen lassen,  ehe  wir  zu  dem  Meister  dieses  Reliefs  gelangen. 


1)  In  einer  Anmerkung  will  ich  auch  eines  Relieffragmentes  derselben  Sammlung  ge- 
denken von  Terracotta,  welches  E.  Braun  auf  den  Niobemythus  bezog  (Ruin.  u.  Mus. 
Roms  S.  6S5) :  ,, Artemis  lang  bekleidet,  einen  Pfeil  aus  dem  Köcher  nehmend,  neben  ihr 
eine  andere  ebenfalls  lang  bekleidete  weibliche  Figur"  (Platner  Auszug  aus  Beschr.  Roms 
S.  421).  Brunn  erklärt  dies  als  Scene  zwischen  der  erzürnten  und  zur  Rache  an  Niobe 
auffordernden  Latona  und  der  rasch  zur  Waffe  greifenden  Artemis.  Schwerlich  möchte 
diese  specielle  Deutung  sich  ohne  parallele,  vollständigere  Denkmäler  rechtfertigen  lassen, 
jedenfalls  verdiente  das  Relief  genaue  Beschreibung  und  Publikation.  Mir  ist  es  nicht 
mehr  aus  der  Anschauung  erinnerlich. 

2)  Builett.  d.  inst.  arch.  184S.  p.  68. 

3)  £.  Braun  in  Builett.  d.  inst,  archeol.  1848.  p.  88. 

4)  III.  3.  S.  170. 


176  Zweites  Kapitel. 

War  das  plastische  Werk  in  der  Felsengrotte  über  dem  grossen  Diony- 
sostheater an  der  Südseite  der  Akropolis,  welches  Apollo  und  Artemis  die 
Feinde  der  Niobe  tödtend  darstellte  \ ,  ein  Relief,  was  aber  durchaus  nicht 
feststeht,  so  würde  ich  der  Zeit  nach,  es  ist  bald  nach  Ol.  115  =  317  v.  Chr. 
dort  aufgestellt  worden,  und  dem  damaligen  Kunststandpunkt  nach  mit 
diesem  Werk  unser  Denkmal  zunächst  in  Vergleich  setzen. 

Müssen  wir  auch  jetzt  noch  auf  eine  genauere  chronologische  und  lokale 
Fixirung  verzichten,  Eines  haben  wir,  abgesehen  von  dem  inneren  Kunst- 
werthe,  von  der  Bereicherung,  die  die  Reihe  bester  griechischer  Reliefs  und 
die  künstlerische  Auffassung  des  Niobidenmythus  überhaupt  dadurch  erhalten 
hat,  gewonnen,  einen  Ausgangspunkt  und  einen  Massstab  für  die  Anordnung 
und  Beurtheilung  der  so  interessanten  Reihe  griechisch-römischer  Sar- 
kophagreliefs, die  uns  denselben  Mythus  vorfuhren,  zu  denen  wir  nun 
fortzuschreiten  haben. 

Für  eine  Uebergangstufe  von  Niobidenreliefs,  die  in  der  Mitte  zu  stehen 
scheinen  zwischen  der  ersten  rein  griechischen  Friesbildung  und  den  späteren 
römischen  Sarkophagreliefs,  die  allerdings  in  ihren  Einzelheiten  durchaus 
auch  auf  griechische  Vorbilder  zurückweisen,  aber  als  Gesammtheit  dem 
mehr  malerischen,  römischen  Reliefstil  folgen,  nehmen  wir  ein  bisher  un- 
publicirtes,  bisher  auch  ganz  flüchtig  besprochenes  Reliefrragment  in  An- 
spruch, welches  in  Bologna  im  Palast  Zambeccari  von  Thiersch  gesehen 
und  kurz  beschrieben2)  ward.  Im  archäologischen  Apparat  (I.  n.  55)  des  Ber- 
liner Museums  existirt  eine  Zeichnung  eines  Reliefe  mit  zwei  Niobiden,  be- 
zeichnet als  aus  Florenz  von  Ceretani  stammend,  von  welcher  eine  Copie  zu 
nehmen  und  zu  veröffentlichen a)  durch  Gerhards  Güte  mir  gewährt  ward. 
Bei  genauerer  Vergleichung  derselben  mit  den  Worten  von  Thiersch  wird  es 
einem  zur  völligen  Gewissheit,  dass  die  Zeichnung  jenes  Bologneser  Fragment 
uns  vorführt.  Es  handelt  sich  um  zwei  Figuren,  nach  Thiersch  um  zwei 
männliche  Niobiden,  von  denen  der  eine  fliehend,  der  andere  niedersinkend, 
auf  den  Knieen,  so  scheint  es,  dargestellt  ist,  in  Wirklichkeit  um  eine -in 
voller  Flucht  begriffene  Tochter  und  einen  in  dieKniee  gesunkenen  Sohn. 

Wir  sehen  eine  jungfräuliche  Gestalt  in  vollen,  starken  und  reifen  For- 
men in  gewaltigster  Eile  von  der  Linken  zur  Rechten,  und  zwar  von  vorn, 
sie  hat  den  linken  Fuss  auf  einen  höheren  Absatz  des  Bodens  fest  aufgesetzt, 
während  der  rechte  hinten  eben  sich  zum  weiten  Schritte  hebt.  Dadurch  ist 
das  linke  Knie  stark  gebogen.  Im  Sturmwind  schlägt  der  faltige  Chiton  mit 
langem  Diploidion  sich  um  die  Glieder,  während  es  von  der  etwas  gesenkten 
rechten  Schulter  und  Brust  herabfällt.  Der  linke  Arm,  welcher  mit  dem  Kopf 


1)  Paus.  I.  21,  5. 

2)  Reisen  in  Italien  seit  1822.  I.  S.  361. 

3)  S.  Tat  IVa. 


Die  Niobidenreliefs.  1 77 

und  der  linken  Schulter  fehlt,  war  bedeutend  gehoben  und  gestreckt.  Das 
ergiebt  sich  aus  den  senkrechten  Falten  des  Diploidion  und  besonders  aus  dem 
bis  über  die  Kniee  nur  herabhängenden,  sichtlich  nach  oben  gezogenen  von 
der  Hand  zusammengefassten  Zipfel  des  Himation,  das  auf  der  anderen  Seite 
weitflatternd  der  Bewegung  des  Körpers  folgt.  Der  rechte  Arm,  in  seinem 
obersten  Theil  erhalten,  ist  schräg  nach  hinten  gesenkt.  In  der  Bewegung 
der  Arme  also  ist  der  lebendige  Ausdruck  der  vollen  Flucht,  weniger  des 
Bestrebens  sich  dabei  noch  durch  das  Himation  zu  schützen  gegeben. 

Neben  der  eilenden,  noch  unverletzten  Schwester  ist  einer  der  jüngsten 
Brüder  bereits  in  die  Kniee  gesunken ;  sein  Gewand  ist  zu  den  Hüften  her- 
abgefallen und  bauscht  sich  auf  der  Erde  auf.  Der  Oberkörper  ist  schmerz- 
lich gedreht  und  zwar  nach  seiner  linken  Seite  mehr  zusammengekauert,  so 
dass  also  hier  auf  dem  Kücken  die  Verwundung  stattgefunden  haben  muss. 
Beide  Arme  sind  rückwärts  gehoben,  schmerzvoll  am  Hinterkopf  sich  begeg- 
nend. Im  Kopf  der  volle  Ausdruck  des  Bewusstseins  und  der  sinkenden 
Kraft.  Noch  wenige  Augenblicke  und  der  Knabe  ruht  hingestreckt  auf  dem 
Erdboden.  Wir  werden  bei  der  Motivirung  des  unteren  Körpers  sofort  an 
den  sogenannten  Narciss  in  der  florentiner  Statuenreihe  erinnert ;  die  Moti- 
virung der  Arme  ist  eine  andere  dort,  da  greift  die  linke  Hand  hinter  in  die 
Gegend  des  Kreuzes,  wo  der  Pfeil  getroffen  hat,  während  nur  der  rechte 
Arm  sich  hoch  nach  hinten  hebt f) . 

Der  Stil  des  von  uns  publicirten  Reliefs  entspricht  entschieden  der  ur- 
sprünglichen Composition  nicht,  er  ist  der  kräftige,  die  Hauptfalten  und  die 
Hauptmuskellagen  überscharf  markirende  römische  Stil,  dem  der  feine  Fluss 
der  Uebergänge,  das  Beseelte  und  voll  in  seiner  Einzelheit  Verstandene  der 
griechischen  Meisseiiuhrung  fehlt.  Ob  wir  aber  nur  die  Schmalseite  eines 
Sarkophages  vor  uns  haben,  die  man  durchaus  flüchtiger,  in  schwächerem 
Relief  auszuführen  pflegte,  das  wage  ich  nicht  zu  entscheiden,  glaube  es  aber 
nicht.  Auf  Einen  Punkt  haben  wir  als  auf  einen  Vorzug  des  Stiles  hinzuwei- 
sen, auf  die  breite  Entwickelung  wie  der  einzelnen  Figur,  so  auf  die  breite  Ne- 
beneinanderstellung der  Figuren ,  worin  das  Relief  sich  wesentlich  von  den 
sonstigen  römischen  Sarkophagreliefs  scheidet  und  der  ersten  Klasse  nähert. 

Unter  der  Zahl  der  entschieden  aus  der  römischen  Kaiserzeit  stam- 
menden Sarkophagreliefs,  welche  den  Niobemythus  in  so  bedeutsamer 
Weise  vorführen,  welche  alle  bis  auf  eines,  so  weit  wir  bis  jetzt  die  Denkmä- 


1)  Thiersch's  Worte  lauten:  —  „dann  Bruchstück  eines  Reliefs  mit  Niobiden,  einer 
fliehend,  der  andere  hält  getroffen  beide  Hände  auf  den  Rücken,  während  sein  Mantel  ihm 
über  die  Hüften  herabsinkt.  Es  ist  verschieden  von  allen  bekannten  Reliefs  dieses  Inhaltes, 
vortrefflich  gearbeitet  und  wäre  bei  einer  Zusammenstellung  alle  diese  Fabel  betreffenden 
Antiken,  deren  dieselben  ebenso  würdig  als  bedürftig  sind,  besonderer  Aufmerksamkeit 
werth". 

Stark,  Nloto.  12 


1 78  Zweites  Kapitel. 

ler  kennen,  in  der  Umgebung  von  Rom  selbst  gefunden  sind,  scheiden  sich 
leicht  auch  schon  bei  oberflächlicher  Betrachtung  zwei  verschiedene 
G  r  u  n  d c  o  in  p  o  s  i  t  i  o  ne  n  von  einander,  die  selbst  in  mannigfachen  Varia- 
tionen uns  vorgeführt  werden.  Man  sieht,  es  lagen  den  Marmorbildnern,  die 
in  geschäftsmässiger  Weise  für  den  Bedarf  der  reichern  Familien  die  Mar- 
morsarkophagc  schmückten  und  dabei  über  eine  Anzahl  stehender,  bedeu- 
tungsvoller Mythen  verfügten,  zwei  Hauptzeichnungen  vor  und  an  diesen 
ward  je  nach  Geschmack  der  Besteller  oder  dem  eigenen  Drange  der  Ab- 
wechselung, je  nach  den  Grössenverhältnissen  der  Sarkophage  und  dem  über 
alle  Theile  sich  erstreckenden  oder  auf  die  Frontseite  sich  beschränkenden 
Auftrage  der  Ausschmückung,  ab-  und  zugegeben,  Gruppen  versetzt  u.  s.  f- 
Welcker  hat  mit  grosser  Lebhaftigkeit ')  die  eine  Composition,  die  wir  nach 
dem  Borghesischen  Relief  benennen  wollen,  gerühmt  und  sie  in  erste  Linie 
gestellt,  ja  er  findet  den  Abstand  zwischen  dieser  und  der  zweiten,  der  der 
Sarkophag  im  Vatican  den  Namen  geben  mag,  ,,uoch  grösser  als  zwischen 
dieser  und  der  Erfindung  und  Haltung  der  Giebelgruppe."  Das  ist  in  der 
That  ein  sehr  starker  Ausdruck ;  für  uns  wird  er  Überhaupt  nicht  zu  brau- 
chen sein,  da  wir  zunächst  nur  Reliefs  zu  vergleichen  haben  und  oben  unter 
diesen  treffliche  Theile  einer  acht  griechischen  Composition  kennen  lern- 
ten, wie  auch  ein  Fragment,  das  dem  griechischen  Reliefstil  bedeutend  näher 
steht,  als  diese  Sarkophagreliefs.  Aber  auch  davon  ganz  abgesehen  können 
wir  Welcker  in  der  Sache  selbst  nicht  beistimmen.  Stellen  wir  hier  nicht  Au- 
torität gegen  Autorität  in  einem  wesentlich  ästhetischen  Streitpunkt  —  wir 
könnten  E.  Q.  Visconti2)  und  Emil  Braun8)  anführen  —  nein  suchen  wir 
möglichst  unbefangen  die  Reihenfolge  in  der  Entwickelung  dieser  Compo- 
sition en  vom  Einfachen,  weniger  Ueberhäuften,  aber  doch  in  sich  Mannig- 
faltigen und  Bedeutungsvollen  auf.  Halten  wir  uns  vor  allem  von  der  vor- 
gefassten  Meinung  frei,  als  verrathe  das  Erscheinen  der  Gottheiten  selbst 
auf  den  Reliefs  eine  spätere,  weniger  ideale  und  geistige  Kunst.  Das  Mach- 
werk an  dem  einzelnen  uns  erhaltenen  Werke  einer  Composition  ist  hier  auch 
nicht  das  Entscheidende,  da  dasselbe  bei  verschiedenen  Exemplaren  einer 
Composition  auf  das  Auffälligste  sich  scheidet.  Wir  geben  gerne  zu,  dass 
das  Borghesische  Sarkophagrelief  das  am  Elegantesten,  am  Glättesten  gear- 
beitete ist,  aber  wieweit  hierin  moderne  L'eberarbeitung  dabei  Statt  gefunden 
hat,  wäre  erst  noch  weiter  zu  untersuchen.  Dagegen  hebt  Braun  an  dem  Va- 
tikanischen Relief  das  Kernhafte,  Kräftige,  durchaus  Zweckmässige  der 
Ausführung  hervor. 

Wir  beginnen  mit  derjenigen  Composition,  in  welcher  die  vierzehn  Kin- 


1)  Alte  Denkm.  1.  S.  31  Off. 

2)  Mus.  Pio  Clement,  t.  IV.  Text  zu  t.  17. 

3)  Ruinen  und  Mus.  Roms.  S.  500.  745. 


Die  Niobidenreliefs.  179 

der  der  Niobe  mit  der  Mutter,  mit  einem  Pädagogen  und  einer  Amme,  mit 
den  schiessenden  Gottheiten  selbst,  deren  einer  wir  ja  auf  dem  Albanisehen 
Fragment  begegneten,  die  wir  beide  auf  dem  Relief  des  Phidias  am  Throne 
des  Zeus  zu  Olympia  ausdrücklieh  dabei  genannt  fanden,  dargestellt  sind 
und  wo  zugleich  in  einem  oberen  Fries  der  Attika  das  Bild  des  vollendeten 
Untergangs  der  der  Bestattung  harrenden  Leichen  vorgeführt  ist.  Die  Scene 
selbst  geht  wesentlich,  um  mit  Homer  zu  reden,  Ivl  [.iey(XQOioi  vor  sich,  im 
Innern  des  Palastes,  führt  aber  auf  der  einen  Seite  in  das  Freie  hinaus. 

Diese  Composition  ist  bis  jetzt  durch  zwei  Sarkophage  vertreten.  Der 
eine  (A)  wurde  vor  Porta  S.  Sebastiano  in  einer  Vigne  der  Familie  Casali, 
einer  Stätte  der  reichsten  und  wohler haltensten  Grabkammern  nahe  der  Via 
Appia  im  vorigen  Jahrhundert  ausgegraben  und  kam  als  Geschenk  an  Pabst 
Pius  VI.  (1775 — 1795)  in  das  Vatikanische  Museum,  wo  er  in  der  Galeria 
dei  Candelabri  aufgestellt  ist.  Visconti  veröffentlichte  ihn  zuerst  in  dem  Ga- 
leriewerk des  Museums1).  Der  andere  (B)  wurde  1824  in  Roma  vecchia, 
also  ebenfalls  nahe  der  Via  Appia,  weiter  ausserhalb  Roms  aufgefunden  und 
bald  darauf  für  München  erworben,  wo  er  sich  im  Römersaal  der  Glypto- 
thek aufgestellt  findet.  Martin  Wagner  gab  nach  dem  Fund  eine  eingehende 
Beschreibung*),  L.  Schorn  in  dem  Katalog  der  Sammlung  eine  kürzere1). 
Durch  die  freundliche  Vermittelung  des  Herrn  Dr.  von  Lützow  erfolgt  hier 
die  erste  Publikation  nach  Photographieen4).  Der  Sarkophag  Casali  ist  der 
grössere  und  zeichnet  sich  auch  durch  treffliche  Erhaltung  aus,  seine  Arbeit 
ist  im  Einzelnen  die  vorzüglichere.  Die  Gestalten  sind  breiter  auseinander 
gehalten,  als  bei  dem  andern. 

Bei  beiden  Denkmalen  haben  wir  das  Hauptrelief  der  Vorderseite,  die 
Reliefe  der  Nebenseiten,  den  schmalen  oberen  Fries  vorn  und  die  kleinen 
Giebelfelder  der  Seitenflächen  ins  Auge  zu  fassen.  Das  Hauptrelief  wird  bei 
beiden  durch  Apollo  und  Artemis  abgeschlossen  und  zwar  durch  Apollo 
rechte,  durch  Artemis  links.  Die  Gottheiten  eilen  im  raschen  Lauf  heran, 
Apollo  im  Begriff  den  Bogen  abzuschiessen,  Artemis  ihn  in  der  vorgestreck- 
ten Linken  haltend,  die  Rechte  rückwärts  hoch  gehoben  mit  Pfeil.  Die 
wesentlich  nackte  Gestalt  des  Apollo  ist  von  der  flatternden  Chlamys  bei  A 
doch  noch  mehr  umschlossen,  als  bei  B.  Artemis  tritt  als  hochgewachsene 
Jägerin,  mit  hochgeschürztem,  die  rechte  Brust  freilassenden  Chiton  und  schräg 


J)  Mus.  Pio  Clement.  IV.  t.  17;  Fabroni  Diss.  d.  stat.  t.  18.  Hl;  Miliin  gal.  mythol. 
141,516;  142,517.  51S;  Guigniaut  Rel.  de  l'ant.  CCXII1.  730;  CCXIV.  730ab.  Mir  liegt 
eine  grosse  römische  Photographie  zur  Vergleich ung  vor.  Vgl.  noch  Beschreib.  Korns  11.  2, 
S.  267 ;  E.  Braun  Ruin.  u.  Mus.  Korns  S.  500—503.    Maass:  Länge  10  1\,  Höhe  3%  P. 

2)  Kunstblatt  1S24.  p.  56. 

3)  Beschreib,  der  Glyptothek  S.  1S6.  187.  Grössenverhältnisse :  Länge  7' 3";  Höhe 
2' 7";  Tiefe  2' 2%". 

4)  Taf.  VI.  1.  2.  3. 

12* 


180  Zweites  Kapitel. 

als  Shawl  geschlungenen  Ilimation  auf.  Köcher  und  Köcherband  sind  bei 
beiden  sichtbar.  Bedroht  also  in  nächster  Nähe  und  zwar  so,  dass  die  Mehr- 
zahl der  Gestalten  auf  die  von  Apollons  Seite  herkommende  Gefahr  in  ihrer 
Angst  gerichtet  ist,  während  Artenus  plötzlich  nun  auch  von  entgegengesetz- 
ter Seite  und  zwar  unmittelbar  neben  dem  sicher  geglaubten  Zufluchtsort  bei 
der  Mutter  auftritt,  sehen  wir  Söhne  und  Töchter,  mit  ihnen  die  Mutter,  den 
Pädagog  und  die  Amme.  Ihre  Zahl  ist  bei  B  je  fünf,  zu  denen  dann  noch 
je  zwei  auf  jeder  Schmalseite  hinzukommen ;  bei  A  dagegen  entdecken  wir 
vorn  nur  4  Söhne,  dagegen  5  Töchter.  Mit  Recht  erklärt  Visconti,  dass  wir 
in  diesem  Fehler  nur  eine  verkürzende  Freiheit,  ja  vielleicht  Versehen  des 
auf  breite  klare  Behandlung  hinarbeitenden  Künstlers  zu  sehen  haben,  den 
sich  der  andere  in  seiner  sehr  gedrängten  B eh andlungs weise  nicht  zu  Schul- 
den kommen  Hess  oder  erlaubte.  Auch  in  der  obern  Friesreihe  hat  uns  der 
Meister  von  A  nur  zweimal  je  fünf  Leichen  vorgeführt,  nicht,  wie  zu  erwar- 
ten, zweimal  je  sieben.  Auch  hierin  ist  der  Meister  von  B  der  genauer  rech- 
nende. An  eine  besondere  Bedeutung  der  Zahl  1 3  hat  man  mit  Braun  gar 
nicht  zu  denken.  Auch  mit  der  Andeutung  des  Raumes  nimmt  es  die  Darstel- 
lung von  B  genauer  und  vollständiger ;  im  Hintergrund  ziehen  sich  Teppiche 
an  mehreren  Punkten  befestigt  über  den  grossem  Theil  des  Reliefs  hin,  nur 
die  letzten  Gestalten  der  Söhne  mit  Apollo  befinden  sich  ausserhalb  derselben, 
also  ausserhalb  des  Innern  des  Hauses.  Bei  A  sind  auf  dem  Erdboden  leichte 
Andeutungen  eines  Wechsels  der  Scenerie  gegeben ;  fast  in  der  Mitte  derScene 
tritt  die  Amme  mit  dem  einen  Fuss  auf  einen  künstlich  gebildeten  Schemel, 
ein  Beweis,  dass  sie  noch  innerhalb  des  Hauses  gedacht  ist,  einer  der  zusam- 
mensinkenden Söhne  greift  dagegen  weiter  rechts  auf  eine  felsige  Erhöhung. 
Auf  den  Seitenflächen  stützt  sich  ebendaselbst  eine  der  zwei  Töchter  auf  ein 
hohes  Postament,  eine  entschiedene  Anschauung  eines  umgränzten  Raumes, 
dagegen  bei  den  zwei  Söhnen  eilt  auf  A  und  B  ein  entzügeltes  Ross  frei  da- 
hin, ein  Beweis  für  das  Ausserhalbsein  aus  dem  weitern  Bezirke  des  Hauses. 
Unter  der  Gesammtzahl  der  Kinder  und  deren  Beschützer  treten  in  bei- 
den Darstellungen  vier  im  Ganzen  gleiche  Gruppen  hervor,  aber  schon  ihre 
Stelle  ist  bei  beiden  nicht  durchgängig  dieselbe.  Es  finden  sich  hier  wie 
dort  von  der  Linken  zur  Rechten  geordnet  die  Gruppe  von  Niobe  und  der 
jüngsten  Tochter ,  der  Amme  und  einer  älteren  Tochter,  des  Pädagogen  und 
des  jüngsten  Knaben,  dagegen  die  vierte  besonders  schöne  Gruppe  zweier 
Brüder,  von  denen  der  eine  den  sinkenden  andern  in  seinen  Armen  hält,  ist 
nur  auf  der  Vorderseite  von  B  weiter  rechts  noch  angebracht,  bei  A  auf  die 
Nebenseite  verwiesen.  Niobe  schreitet  in  gewaltigster  Eile  von  der  Rechten 
zur  Linken,  das  Haupt  nach  rückwärts  nach  Apollo  zu  gewendet,  das  flat- 
ternde Himation  mit  dem  weit  gestreckten  und  gehobenen  Arm  haltend. 
Ihre  rechte  Seite  biegt  sich  stark  zusammen,  um  hier  die  theure  Last  der 
jüngsten  Tochter  aufzuhalten;   diese  hat  sich  über  ihren  rechten  Schenkel 


Die  Niobidenreliefs.  \Q\ 

geworfen  und  wird  von  dem  gesenkten  rechten  Arm  der  Mutter  noch  fest- 
gehalten. Dabei  ist  der  Chiton  von  der  rechten  Schulter  herabgesunken  und 
lässt  auch  die  volle  rechte  Brust  ganz  cntblösst.  Die  ganze  Situation  ist  auf 
B  körperlich  unendlich  heftiger  gefasst  als  in  der  Statuen gruppe ;  auf  A  tritt 
eine  Milderung  unverkennbar  ein,  theils  in  der  geringern  Schräge  der  Hal- 
tung, dann  in  dem  mehr  nach  vorn  und  aufwärts  schmerzlich  gerichteten 
Haupt  und  endlich  kommt  hier  noch  ein  weiteres  ansprechendes  Motiv  hinzu. 
Während  die  Mutter  also  die  eine  sinkende  Tochter  so  noch  erfasst,  eilt  ihr 
die  noch  unverletzte  jüngste  Tochter  nach,  mit  den  Händen  den  gehofften 
Schutz  im  Gewand  der  Mutter  zu  erhaschen,  im  Begriff,  das  Gesicht  ganz  nur 
zurück  nach  dem  allein  beachteten  Ursprung  des  Unheils  gerichtet;  in  die- 
sem unwillkürlichen,  instinctiven  Suchen  und  Finden  der  Mutter,  in  dieser 
neuen  Aufgabe  für  die  mütterliche  Fürsorge  liegt  entschieden  etwas  Mil- 
derndes. 

Die  Gruppe  der  Wärterin  oder  Amme  mit  einer  altern  Tochter, 
der  wir  auch  in  ähnlicher  Motivirung  in  der  andern  Klasse  der  Sarkophag- 
reliefs begegnen  werden,  ist  nicht  ohne  berechneten  Contrast.  Ein  schöner, 
jugendlicher  Körper,  dem  das  Gewand  bis  über  die  Weichen  hinabgesunken 
ist,  welches  sonst  nur  noch  auf  dem  einen  Arme  etwas  ruht,  wird  noch  halb 
vom  Boden  emporgehalten  durch  eine  sorgliche  Alte  von  ausgesprochenster 
Hässlichkeit,  aber  fürsorglichstem  Ausdrucke,  die  mit  einem  schweren  Mantel 
fast  überladen  ist.  Sie  hat  das  linke  Bein  zum  Stützen  höher  gestellt  auf 
den  Schemel,  an  dem  die  Jungfrau  niedergesunken.  Ihre  beiden  Hände 
sind  um  das  sinkende,  edle  Haupt  beschäftigt,  zu  dem  sie  sich  niederbeugt. 
Zugleich  hält  der  eine  Arm  noch  den  schlaff  darüber  herabhängenden  Arm 
der  Jungfrau.  Ein  Bild  voller  Erschlaffung,  Zusammensinken  der  Jugend- 
sohöne  der  adligen  Natur,  gepaart  mit  der  fürsorglichsten  Thätigkeit  des 
Alters  und  der  dienenden  Wärterin ! 

Anders  ist  die  dritte  Gruppe,  die  des  Pädagogen  mit  dem  jüngsten 
Sohne  gefasst.  Dieser  ist  noch  ganz  Kind  und  zugleich  noch  ganz  unver- 
sehrt. Aengstlich,  ja  ganz  verwirrt  durch  die  gewaltige  Bewegung  in  der 
Luft,  den  Sturm,  das  Schwirren  der  Pfeile,  vielleicht  auch  durch  die  neben 
ihm  niederstürzenden  Brüder,  doch  ohne  Bewusstsein  des  eigentlichen  Vor- 
ganges wendet  er  sich  um  zu  dem  altern  Begleiter,  in  seinen  Armen  sich  zu 
schützen ;  doch  der  kleine  Kopf  ist  noch  nach  der  Seite  der  drohenden  Ge- 
fahr unwillkürlich  fragend  gewandt,  obgleich  die  Augen  fast  geschlossen 
sind.  Das  Gewand  mit  Franzen  ist  bei  B  auf  den  Arm  des  Pädagogen  her- 
abgeglitten, weht  oben  geknüpft  bei  A  nach  hinten  hinaus  und  wird  hier 
von  dem  Pädagogen  gefasst.  Dieser  tritt  eilend  heran,  etwas  vorgebeugt. 
Das  lange  Gewand  mit  enganschliessenden  Aermeln,  der  Mantel  darüber, 
sowie  noch  ein  zottiger  Pelz  mit  einer  Art  Kapuze ,  die  hohen  Stiefel  kenn- 
zeichnen hinlänglich  seinen  Stand,  sowie  die  kahle  Stirne,  die  Haare,  das 


]  S2  Zweites  Kapitel. 

Gesicht  das  höhere  Alter.  Auf  B  hat  er  in  der  vorgestreckten  Linken  den 
Knotenstock.  Er  blickt  vorsichtig  und  den  Zusammenhang  wohl  über- 
schauend über  den  Knaben  hinaus  in  die  Ferne. 

Die  vierte  Gruppe  der  zwei  Brüder  gehört  zu  den  wirkungsvollsten 
unter  allen  und  wir  halten  es  für  ein  besonderes  Verdienst  dieser  Composi- 
tion,  dass  sie  uns  nicht  Wiederholungen  derselben  Situation  in  mehreren 
Gruppen  von  Wärtern  oder  Wärterinnen  vorführt,  sondern  diesen  durchaus 
verschiedenen  und  zugleich  doch  nächsten  und  so  natürlichen  Bezug  zur 
Darstellung  bringt.  Dass  ein  fallender  Heldenjüngling  rückwärts  in  die  Anne 
seines  Freundes  und  Kriegsgenossen  sinkt  und  von  diesem  mit  liebender  An- 
strengung langsam  dem  Boden  genähert  unfl  zugleich  in  Schutz  gegen  den 
andringenden  Feind  gebracht  wird,  ist  ein  Motiv,  das  die  griechische  Kunst 
in  ganzen  Gruppen  wie  im  Relief  sich  nicht  hat  entgehen  lassen.  Im  letzteren 
finden  wir  es  zuerst  schön  durchgebildet  auf  der  Westseite  des  Frieses  am 
Tempel  der  Nike  Apteros1).  Ausser  unserer  Benutzung  für  einen  Akt  brü- 
derlicher Hülfeleistung  im  Kampfe  mit  dem  übermächtigen,  göttlichen  Feinde 
finden  wir  es  noch  angewendet  auf  der  Vorderseite  des  einst  im  Palast  Acco- 
ramboni  in  Rom,  nun  in  München  befindlichen  Sarkophages  mit  der  Sage 
von  Orest  und  Iphigenia  in  Tauris2).  Aber  ganz  der  Sache  entsprechend 
ist  die  Einzelbehandlung  bei  den  Niobiden  eine  durchaus  andere,  als  dort  bei 
Orest.  Dort  ist  es  eine  augenblickliche  Schwäche  oder  Starrkrampf,  welcher 
Orest  nöthigt  niederzusitzen,  mit  dem  rechten  Arm,  der  das  gezogene  Schwert 
hält,  den  Boden  zu  berühren,  während  die  Linke,  gehoben  krampfhaft  die 
Scheide  packt  und  so  in  der  Lage  bleibt.  Die  Chlamys  umgiebt  ihn  in  ge- 
ordneter Weise.  Auch  die  Thätigkeit  des  im  Rücken  herbeieilenden  Pylades 
ist  mehr  ein  sorgsames  Behandeln  und  Wahren  als  ein  starkes,  anstrengendes 
Stützen  und  Umfassen. .  Hier  bei  den  Niobiden  ist  der  Körper  des  sinkenden 
Bruders  in  voller  Todeslösung  begriffen;  das  tiefsinkende  Haupt,  der  hän- 
gende Arm,  die  gestreckten  Beine,  sie  sind  ganz  der  vernichtenden  Macht 
anheim  gegeben  und  lasten  schwer  auf  dem  hülfreichen  Arm  und  Knie  des 
Bruders,  der  zugleich  rückwärts  und  aufblickt  nach  der  Gegend,  wo  er  den 
Feind  sieht.  Es  hat  dies  auf  dem  Münchner  Sarkophag,  das  lässt  sich  nicht 
leugnen,  etwas  Fremdartiges,  da  Apollo  auf  der  andern  Seite  so  nahe  dabei 
steht ;  während  auf  dem  vatikanischen  es  sich  auf  dem  Nebenrelief  gut  an 
diese  Eckgestalt  des  Apollo  gerade  anschliesst.  Auch  die  Gewandbehandlung 
ist  bei  uns  eine  andere,  als  dort  in  der  Orestesdarstellung ;  hier  ist  der  Sin- 
kende völlig  eiitblösst,  das  Gewand  hat  nur  noch  auf  dem  linken  Schenkel  einen 
Haltpunkt  gefunden  und  der  Stützende  ist  mit  der  Chlamys  dagegen  noch 


1)  Overbeck  Gesch.  der  Plastik  I.  Fig.  52. 

2)  Winkelmann  Monum.  ined.  140;   Uhden  in  Sehr.  d.  Berl.  Akad.  d.  W.  1SI2-  1813. 
S.  185  ff. ;  Schorn  Glyptothek  S.  193  f. ;  Guigniaut  Kelig.  de  l'antiquite  CCXL1V  bis  n.b37. 


Die  Niobidenreliefs.  183 

umgeben,  die  sich  bei  der  Raschheit  der  Bewegung  bauscht ;  dort  dagegen 
ist  Pylades  der  fast  Entkleidete,  Orest  aber  mit  geordneter  Chlamys  be- 
deckt. »» 

Schon  Visconti1)  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  ein  treffliches 
Relief,  welches  Winkelmann  als  im  Palast  Rondanini  befindlich  auf  Tafel 
1 50  seiner  Monumenti  inediti  herausgab  und  mit  dem  Namen  Orest  und  Py- 
lades bezeichnete,  vollständig  mit  unserer  Darstellung  übereinstimmt  und 
daher  mit  voller  Bestimmtheit  für  die  Niobidendarstellungen  in  Anspruch  zu 
nehmen  ist.  Ob  die  umgekehrte  Richtung  der  Gruppe  in  Wirklichkeit  vor- 
handen ist,  oder  blos  in  dem  Versehen  des  Stiches  beruht,  muss  dahinge- 
stellt bleiben.  Winkelmann  rühmt  den  Stil  als  ,,den  trefflichsten  dieser  Art 
unter  allen  Werken,  die  uns  übrig  geblieben  sind".  Wenn  dies  Relief  wirk- 
lich mit  einem  anderen  schönen  Reliefrragment  in  Bezug  auf  Grösse  und 
Arbeit  stimmt,  welches  aus  dem  Palast  Rondanini  in  den  Vatikan  gelangt  ist 
und  eine  Gruppe  darstellt,  welche  der  anderen  Composition  angehört,  so 
hätten  wir  ein  interessantes  Verbindungsglied  zwischen  beiden.  Jedenfalls 
gehört  jenes  Relief  aber  seinem  Stile  nach  einer  bedeutend  früheren  Zeit  an 
als  unsere  Sarkophagreliefs,  steht  der  Zeit  der  Erfindung  des  Motives  verhält- 
nissmässig  nahe.    Wo  es  jetzt  sich  befindet,  ist  mir  unbekannt. 

Unter  den  einzelnen  Gestalten,  die  neben  den  Gruppen  auftreten, 
haben  wir  zwei  Töchter  und  einen  Sohn,  welche  sich  vollständig  auf  beiden 
Reliefs  entsprechen;  sie  stehen  in  zweiter  Linie,  bilden  gleichsam  den  Hin- 
tergrund zu  den  Hauptgestalten.  Eine  Tochter,  ganz  en  face  sichtbar  eilt 
mit  flatterndem,  mit  der  rechten  Hand  weitab  gehaltenem  Himation  nach 
Links  hin;  die  linke  Hand  ist  mit  dem  Ausdruck  des  Entsetzens  gehoben, 
das  Innere  vollständig  öffnend ;  das  Haupt  schmerzlich  etwas  zur  Seite  ge- 
neigt. Nach  entgegengesetzter  Seite  flieht  die  andere,  von  der  Rückseite 
sichtbar;  sie  bäumt  sich  gleichsam  unter  den  Schmerzen  der  erhaltenen 
Wunde,  das  Haupt  tief  hinabgesenkt,  den  rechten  Ellenbogen  des  zum  Hals 
zurückgebeugten  Armes  hoch  gehoben.  Das  Himation  ist  von  diesem  Arm 
gefallen  und  umgiebt  von  der  Linken  noch  gehalten  shawlartig  den  Körper. 
Ihre  Anordnung  ist  auf  A  und  B  nicht  die  gleiche.  Bei  B  sind  beide  gerade 
in  der  Mitte  unmittelbar  nebeneinander  gestellt,  so  scharf  die  zwei  Hälften 
mit  ihren  Richtungen  scheidend,  bei  A  dagegen  sind  sie  vertheilt  und  zwar 
die  im  Rücken  gesehene  ist  unter  die  Söhne  an  das  rechte  Ende  nahe  dem 
Apollo  gestellt.  Der  A  und  B  gemeinsame  Sohn  ist  eine  höchst  lebendige, 
die  Situation  unmittelbar  bezeichnende  Bildung.  Der  älteste  wohl  unter  den 
Brüdern,  hat  er  zwei  Jagdspeere,  Zeichen  seiner  Beschäftigung,  in  welcher 
er  mit  andern  überrascht  wird,  in  hochgehobener  Linken  über  den  Kopf 
quer  gelegt,  wie  zum  Schutz  gegen  die  drohende  Gefahr  und  zugleich  um 


1)  Text  in  Mus.  Pio-Clement  IV.  p.  36. 


1 84  Zweites  Kapitel . 

von  der  eiligen  Bewegung  jedes  etwaige  Hinderniss  zu  entfernen.  Die  um 
den  Hals  befestigte  Chlamys  hat  sich  in  der  Schnelligkeit  um  den  linken 
Arm  gewickelt,  auch  dadurch  den  Schein  des  Schutzes  gewährend.  Ihre 
Enden  flattern  heftig  in  aufgebauschten  Falten.  Die  gehobene  rechte  Hand, 
das  etwas  gewendete  Haupt  drücken  Entsetzen  und  volle  Erkenn tniss  des 
Ursprunges  der  vernichtenden  Geschosse  aus.  In  gewaltigem  Ausschreiten, 
mit  vorgewendetem  Oberkörper  eilt  er  mehr  aus  der  Tiefe  der  Scene  in  den 
Vordergrund.  Auf  A  tritt  die  ganze  Figur  freier,  bedeutungsvoller  heraus 
als  auf  B.  Sonst  sind  in  der  Motivirung  nur  ganz  geringe  Abweichungen 
zu  bemerken. 

Wir  kommen  nun  zu  den  Gestalten,  die  verschieden  auf  beiden  Re- 
liefs gebildet  sind.  Beginnen  wir  mit  den  liegenden.  Auf  A  haben  wir 
nur  als  solchen  einen  Sohn,  auf  B  dagegen  eine  Tochter  und  zwei  Söhne. 
Unmittelbar  vor  Apollo,  gleichsam  die  Strasse  bezeichnend,  die  seine  Pfeile 
sich  bahnen,  liegt  auf  A  und  zwar  im  Vordergrund  auf  dem  Rücken  hinge- 
streckt, das  Haupt  tief  nach  hinten  gesenkt,  was  in  der  Unebenheit  des  Bo- 
dens auch  motivirt  ist,  eine  edle  Jünglingsgestalt.  Das  rechte  Bein  ist 
krampfhaft  angezogen  in  scharfem  Winkel  des  Kniees,  während  das  andere 
sich  gestreckt  hat.  Die  linke  Hand  ruht  auf  der  Brust,  die  rechte  ist  vom 
Körper  abgeglitten.  Schräg  über  die  Brust  läuft  ein  schmaler  Riemen  oder 
Hand,  um  eine  Waffe  (oder  das  Gewand)  daran  zu  befestigen.  Das  Gewand 
ist  um  die  Weichen  geschlagen,  der  eine  Zipfel  hängt  über  den  linken  Arm 
noch  herab.  Zur  Vergleichung  der  Situation  können  wir  an  eine  ganz  ähn- 
lich motivirte  Leiche  in  den  Kampfscenen  der  Ostseite  des  Frieses  am  The- 
seion verweisen1).  Die  Handbewegung,  die  Lage  des  Oberkörpers  finden 
wir  auch  wieder  in  den  statuarischen  Bildungen.  Die  liegenden  Gestalten 
auf  B  sind  durchaus  unbedeutender ;  zwei,  Tochter  und  Sohn,  auf  der  Vor- 
derseite sind  kaum  kenntlich  vor  Apollo  und  Artemis  unter  andern  Gruppen 
hingestreckt,  wesentlich  die  Zahl  sieben  der  Söhne  und  Töchter  zu  füllen. 
Etwas  bedeutsamer,  doch  auch  wenig  ausgeführt  ist  der  auf  dem  einen  Sei- 
tenrelief liegende  Sohn,  in  Gewand  und  Lage  der  linken  Hand  dem  eben 
beschriebenen  Sohne  analog;  doch  ist  das  Anziehen  des  einen  Knies  nicht 
dargestellt. 

Den  Uebergang  von  den  liegenden  Gestalten  zu  den  stehenden  oder 
in  Bewegungseienden  bildet  eine  treffliche  Figur  auf  Sarkophag  A  :  ein 
Knabe,  der  getroffen  in  beide  Kniee  niedergesunken  ist,  sich  noch  mit  dem 
schräg  vorn  über  gewendeten,  auf  eine  etwas  erhöhte  Felsplatte  gestützten 
Arm  hält,  das  sinkende  Haupt  hinter  dem  vorgehaltenen  linken  Arme  birgt. 
Das  Gewand  ist  nur  noch  auf  dem  linken  Schenkel.  Eine  meisterhafte  Mo- 
tivirung mit  jener  schrägen  Wechselwirkung  der  Bewegung,  die  gewiss  auch 


1)  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  I.  Taf.  21.  n.  109. 


Die  Niobidenreliefs.  185 

statuarisch  durchgebildet  war.  Dies  Bergen  des  Hauptes  hinter  dem  Arme 
wird  uns  an  einer  Tochter  der  Niobe  auf  einer  albanischen  Zeichnung 
auch  erwähnt.  Statt  desselben  weist  Sarkophag  B  einen  seit-  und  rück- 
wärtswankenden Niobiden  auf,  der  mit  der  linken  Hand  nach  dem  in  der 
Seite  steckenden  Pfeile  greift,  während  die  rechte  nach  vorn  gehoben  ist. 
Die  Chlamys  ist  im  Begriff  von  der  Schulter,  wo  sich  ihre  Spangen  gelöst, 
nach  hinten  herabzufallen.    Der  Kopf  ist  ganz  zurückgeworfen. 

Was  endlich  die  zwei  Töchter  betrifft,  welche  auf  beiden  Sarkopha- 
gen die  eine  Nebenseite  bilden,  so  sind  hier  die  Motive  bei  B  beide  neu  und 
von  den  auf  der  Vorderseite  angewendeten  entschieden  abweichend,  bei  A 
dagegen  kehrt  das  eine  bereits  vorn  angewendete  in  einer  Gestalt  durchaus 
wieder.  Hier  eilen  nämlich  zwei  erwachsene  Töchter  in  ihrer  Verwirrung 
auf  einander  zu,  beide  mit  bogenförmig  geschwungenen  Obergewändern,  die 
eine  in  der  Bewegung  beider  Hände  der  einzeln  von  vorn  sichtbaren  fliehen- 
den Tochter  gleich;  an  der  andern  ihr  entgegenstrebenden  ist  die  Entblös- 
sung  des  einen  Beines  vom  wehenden,  geschlitzten  Chiton  charakteristisch. 
Dort  erlahmt  dagegen  die  eine  von  beiden,  wesentlich  von  der  Rückseile 
gesehene  im  Vorwärtsschreiten  durch  den  in  ihrer  rechten  Hüfte  steckenden 
Pfeil,  den  sie  krampfhaft  fasst,  während  der  linke  Arm  vorwärts  gewendet 
die  offene  Hand  erhebt.  Die  andere  stützt  sich,  bereits  schwächer  geworden, 
auf  ein  Postament,  die  Arme  liegen  schon  kraftlos  an,  das  Haupt  sinkt  tief 
herab,  der  Chiton  ist  von  der  linken  Schulter  gesunken,  das  Obergewand 
auf  den  unteren  Körper  herabgesunken.  So  gewinnt  in  der  #That  hier  die 
Darstellung  rechts  und  links  einen  Abschluss.  Zu  beachten  ist  wohl,  dass 
die  Pfeile  selbst  nur  hier  in  der  Nebenseite,  ja  einmal  auf  B  sichtbar  darge- 
stellt werden,  während  wir  sie  bisher  durchaus  auf  allen  plastischen  Darstel- 
lungen nicht  selbst  angebracht  sahen.  Die  andere  Reihe  von  Sarkophagdar- 
stellungen zeigen  sie  uns  viel  häufiger,  gewiss  keine  Empfehlung  einer  älte- 
ren, idealgriechischen  Auffassung. 

Noch  bleibt  uns  übrig  des  schmalen  oberen  Frieses  mit  den  Lei- 
chen der  Niobiden  zu  gedenken.  Dass  ein  solcher,  der  dem  Deckel  ent- 
spricht ,  überhaupt  ausser  der  Inschrift,  die  er  zu  tragen  pflegt,  mit  Orna- 
menten, mit  halbschwebenden  Genien  u.  dgl.  geschmückt  wird,  ist  eine  allbe- 
kannte Form.  Aber  er  wird  auch  und  zwar  an  trefflich  gearbeiteten  Werken 
mit  ganzen  mythologischen  Gestaltenreihen,  die  eine  ruhige  reihenweise  Be- 
wegung darstellen1),  vor  allem  bei  gewaltigen  Kämpfen,  tragischen  Unter- 
gängen mit  dem  Schlüsse  der  Tragödie,  mit  dem  Threnos  um  die  Gefallenen, 
mit  dem  Bilde  des  alles  ausgleichenden  Todes,  analog  der  in  dem  Sarkophag 
ruhenden  Person  ausgestattet.     So  finden  wir   es  bei  dem  Untergange  des 

1)  So  der  Zug  der  Tritonen  und  Nereiden  über  den  Aktaeonsarkophag  s.  Visconti  mon. 
Borghes.  t.  26.  • 


1 86  Zweites  Kapitel. 

Atridenhauses ,  bei  Amazonenkämpfen,  bei  Barbarenkämpfen.  Wir  dürfen 
wohl  dabei  auch  daran  erinnern,  dass  die  lykischen  Grabdenkmäler  des  edel- 
sten Stiles  mit  zwei  Friesreihen  ausgestattet  erscheinen,  dass  auf  den  berühm- 
ten Cameos  des  Augustus  und  Tiberius  zwar  kein  oberer,  aber  ein  unterer 
schmaler  Fries  mit  dem  Bilde  der  Klage  der  unterworfenen  Barbaren  sich 
findet.  Und  bei  den  Niobiden  sind  es  ja  gerade  die  gehäuften ,  daliegenden 
Leichen,  die  nach  der  homerischen  Stelle  erst  die  Götter  bestatten,  oder  ist  es 
deren  feierliche  Ausstellung  und  Bestattung,  die  uns  die  Dichter  vorführen. 

Auf  beiden  Reliefs  ziehen  sich  zwar  Vorhänge  mit  Rosetten  in  regelmäs- 
sigen Zwischenräumen  befestigt  hin,  aber  auf  A  nur  hinter  den  Leichen  der 
Töchter,  auf  B  auch  hinter  denen  der  Söhne.  Damit  hängt  zusammen,  dass 
auf  A  die  Lage  der  Söhne  durch  den  felsigen  Boden  modificirt  erscheint 
Auch  fehlen  Schemel  oder  niedrige  Postamente  als  Ausruhepunkte,  wenig- 
stens für  die  Töchter,  nicht.  An  Zahl  unterscheiden  sich  beide  Darstellun- 
gen wieder,  auf  B  sind  alle  vierzehn  Leichen  wirklich  vereinigt,  aber  nicht 
ohne  dass  je  drei  der  getrennt  geordneten  Töchter  und  Söhne  eine  fast  be- 
dauernswerthe  Unterlage  der  anderen  bildeten.  Auf  A  dagegen  hat  man  sich 
mit  je  fünf  nach  beiden  Seiten  hin  begnügt  und  jene  Aufhäufung  dadurch 
vermieden,  dafür  freilich  wenigstens  bei  den  Töchtern  eine  gewisse  Ein- 
förmigkeit der  Annmotive  eingetauscht.  In  der  Einzelanordnung  treten  wohl 
berechnete  Verhältnisse  einem  entgegen.  Zu  je  drei  wie  zu  je  zwei,  aber  in 
mannigfachem  Wechsel  der  Glieder  sind  entsprechende  Lagen  geordnet  und 
dabei  doch  trefflich  einzelne  Situationen  gewählt.  Hier  ein  herrlicher  Frauen- 
leib in  voller  Entblössung  ausgestreckt  im  ruhigen  Todesschlaf,  dort  eine 
andere  Tochter,  züchtig  bekleidet,  streng  anziehend  die  Kniee,  hier  ein  Sohn 
halb  knieend  vorwärts  gebeugt,  das  Gesicht  mit  den  Armen  verdeckend,  dort 
ein  anderer  in  gekrümmter  Lage  niedergestreckt.  Die  Pfeile  sind  bei  A  an 
den  Söhnen  wenigstens  grossentheils  sichtbar. 

Eine  bemerkenswerthe  Verschiedenheit  findet  sich  in  den  giebelarti- 
gen Aufsätzen  der  Seitenflächen.  Während  Sarkophag  A  ganz  einfach 
Wollkorb  und  zwei  Jagdspeere  mit  Netz  als  Zeichen  der  Beschäftigung  der 
Niobesöhne  und  Töchter,  als  Zeichen  des  Lebens  im  Hause  und  draussen  im 
Freien  aufweist,  sehen  wir  an  der  einen  Seite  von  B  eine  in  tiefer  Trauer 
sitzende  Gestalt;  das  Obergewand  ist  als  Schleier  über  das  Haupt  gezogen, 
der  rechte  Arm  ruht  auf  dem  Knie  des  angezogenen  rechten  Beins  und  stützt 
das  gebeugte  Haupt  an  der  Schläfe ;  der  linke  Arm  ist  quer  über  bis  unter  den 
rechten  gelegt.  Ein  rechtes  Bild  der  trauernden,  in  Trauer  brütenden  Mutter! 
Auf  der  andern  Seite  ist  ein  starker  Kranz  mit  breiten  Bändern  angebracht. 

Nicht  ohne  reichlichen  Gewinn  für'die  Erkenntniss  einer  grundlegenden 
Composition  und  ihrer  nie  ohne  Sinn  und  Verstand,  immer  mit  noch  leben- 
digem Gefühle  für  wirkungsvolle,  wohlabgewogene  Anordnung  gemachten 
Variationen  haben  wir,  hoffe  ich,  diese  ins  Einzelnste  gehende  Vergleichung 


Die  Niobidenreliefs.  1 87 

durchgeführt.  Die  Elemente  selbst,  aus  denen  die  Composition  besteht,  sind 
noch  einfacher  Art ;  in  den  dabei  auftretenden  Personen  haben  wir  keine  Re- 
petitionen,  jede  hat  ihren  besondern  Beruf  gleichsam ;  auch  die  äussere  Si- 
tuation, in  der  die  Kinder  der  Niobe  überrascht  werden,  ist  nur  gerade  hin- 
reichend angedeutet,  greift  nicht  mit  einem  gewissen  Luxus  der  Ausmalung 
der  Scene  in  die  Hauptmotive  ein.  Ueberhaupt  haben  wir  keine  berechnete 
Schaustellungen  dabei  zu  beobachten  gehabt.  Beide  Variationen  haben  ihre 
eigentümlichen  Vorzüge  und  wenn  wir  auch  dem  Sarkophag  Casali  die  bes- 
sere Arbeit  gewiss  zuerkennen,  möchten  wir  dies  für  die  Composition  und 
Wahl  der  einzelnen  Motive  nicht  sagen. 

Die  zweite  Composition  der  Niobidendarstellung  auf  Sarkophagen, 
zu  der  wir  uns  nun  wenden,  ist  uns  mit  Sicherheit  an  drei  grösseren  Monu- 
menten und  ein  Paar  Fragmenten  bekannt.  Voran  steht  an  Werth  des  Stiles 
und  bereits  längerer  Anerkennung  das  Borghesische  Sarkophagre- 
lief (C),  welches  mit  den  Schätzen  der  Villa  Borghese  nach  Paris  kam,  dann 
aber  für  ein  anderes  Werk,  das  in  Paris  zurückblieb,  nach  Venedig  versetzt 
ward  und  dort  in  der  Sammlung  bei  der  Bibliothek  di  San  Marco  sich  befindet. 
Winkelmann  gab  es  zuerst  heraus,  in  genauerer  Zeichnung  dann  Visconti1). 
Ueber  den  Fundort  sind  wir  nicht  unterrichtet,  doch  haben  wir  ihn  wohl  nur 
in  der  Umgebung  Roms  zu  suchen.  Der  Zeit  nach  gehört  die  Auffindung 
bereits  wahrscheinlicherweise  in  die  erste  Hälfte  des  sechzehnten  Jahrhun- 
derts, da  wir  oben  eine  freie  Reproduction  der  darauf  erhaltenen  Motive  in 
einer  Zeichnung  von  Giulio  Romano  fanden.  Es  ist  nicht  der  ganze  Sarko- 
phag mehr  erhalten,  sondern  nur  die  Vorderseite :  die  Reliefdarstellung  ist 
wie  eingesenkt  zwischen  breiten  Leisten  auf  allen  vier  Seiten  und  der  Hin- 
tergrund biegt  sich  oben  und  an  den  Seiten  nach  dem  äusseren  Rande.  Ein 
Perlenstab  bekränzt  oben  diesen  Leisten,  um  wieder  einen  Abacus  zu  tragen, 
nach  unten  ruht  der  Rahmen  auf  einer  mit  aufrechtstehenden  Akanthusblät- 
tern  gezierten  Welle  und  einer  einfachen  Basis.  Wir  sind  daher  durchaus 
nicht  unterrichtet,  ob  nicht  am  Deckel  des  Sarkophags  ein  schmalerer  Fries 
sich  hinzog  mit  einer  weiter  unten  zu  besprechenden  Darstellung,  ebensowe- 
nig über  etwaige  Darstellung  der  Seitenflächen.  Der  Stoff  ist  Marmor  von 
Luna,  die  Verhältnisse  werden  auf  8  Palmi  5  Zoll  Länge,  1  P.  11  Zoll 
Höhe  angegeben. 

Viel  besser  sind  wir  über  die  äussern  Verhältnisse  des  zweiten  hierher- 
gehörigen Denkmals  unterrichtet,  über  den  jetzt  im  Lateranischen  Mu- 
seum befindlichen  Sarkophag  aus  der  Vigna  Lozano-Argoli  (D),  der  1839 


1)  Winkelmann  Mon.  ined.  t.  89  mit  Text  dazu ;  dann  Sculture  di  Villa  Pinciana  1,  16 
und  Visconti  Monum.  scelti  Börghes.  p.  225  ff.  tav.  31  der  Ausgabe  von  Labus.  Mil.  1837. 
Kurz  berichtet  über  das  Relief  in  seiner  jetzigen  Aufstellung  zu  Venedig  Thiersch  Reise 
in  Italien  S.  247. 


\  88  Zweites  Kapitel. 

entdeckt  wurde  und  von  Cav.  Grifi  mit  den  andern  daselbst  gefundenen  Sar- 
kophagen und  einer  weitläufigen  Abhandlung  im  zehnten  Bande  der  Abhand- 
lungen der  päpstlichen  archäologischen  Akademie  herausgegeben  worden 
ist f) .  Der  Fundort  befindet  sich  bei  der  Porta  Viminalis  dem  Prätorianerla- 
ger  gegenüber;  es  wurde  hier  ein  viereckiger  Quaderbau  von  Travertin  30 
Palmen  Breite,  20  P.  Höhe  entdeckt,  auf  dessen  oberer  Corniche  die  Reste 
von  einer  Attica  und  wahrscheinlich  einem  pyramidalen  oder  konischen  Ab- 
schluss  sich  fanden.  Eine  niedere  Eingangsthür  mit  reichgegliederter  Um- 
fassung fuhrt  in  einen  Raum,  der  zwischen  vier  starken  Pfeilern  vier  Nischen 
zeigt ;  die  eine  nimmt  der  Eingang  ein.  Hier  waren  drei  Marmorsarkophage 
aufgestellt,  deren  zwei  in  ihrer  ganzen  Anordnung  und  ornamentistischem 
Detail  sich  genau  entsprechen.  Die  Grössenverhältnisse  sind  9  P.  Länge, 
3  —  3%  P.  Höhe  ohne  den  Deckel,  dessen  Höhe  selbst  noch  1  P.  beträgt. 
Der  erste,  dem  Eintretenden  gegenüberstehende  ist  mit  einer  reichen  von 
zwei  Genien  an  den  Ecken  und  einem  Satyr  in  der  Mitte  getragenen  Frucht- 
guirlande  geziert,  in  deren  Bogen  zwei  Medusenmasken  als  Abwehr  jedes 
bösen,  verderblichen  Einflusses,  jeder  Störung  der  Grabesruhe  angebracht 
sind.  Ein  oberer  Fries  zeigt  ein  sinniges  Bild  eines  von  acht  Knaben  oder 
Genien  auf  verschiedenen  Thieren  veranstalteten  Wettrennens  mit  interes- 
santen Einzelheiten,  ein  Bild  menschlichen  Lebens  und  Ringens.  Die  zwei 
anderen  sind  dagegen  mit  einer  Darstellung  hochtragischer  Stoffe  geschmückt 
und  zwar  ist  hier  die  Niobiden-  und  Orestessage  sich  gegenübergestellt. 
Vorderseite,  Seitenfläche  und  Deckelfries  vorn  und  an  den  Seiten  kommen 
dabei  in  Betracht.  Um  der  Orestesdarstellung  kurz  zu  gedenken,  haben  wir 
im  Hauptbild  die  Ermordung  von  Aegisth  und  Klytämnestra,  die  Mahnung 
des  Vaters,  den  Fluch  der  Mutter  und  die  Flucht  zum  delphischen  Gott,  in 
den  Seitenbildern  das  Einsteigen  der  Schatten  der  Gemordeten  in  den 
Nachen  des  Charon  und  gegenüber  die  furchtbare,  die  Fackel  schwingende 
Erinnys.  Der  schmalere  Fries  enthält  die  letzte  Sühnung  durch  Heimholung 
des  Bildes  der  Artemis  und  der  Iphigenia  ebenfalls  in  drei  scharfgeschiede- 
nen Scenen.  Starke  Fackeln  sind  an  der  Seitenfläche  angebracht,  die  Ecke 
selbst  durch  Masken  mit  phrygischer  Mütze  bezeichnet.  An  den  zwei  Unter- 
lagern des  Sarkophags  befindet  sich  je  ein  die  beiden  Arme  hebender  Atlant. 
Die  Atlanten  kehren  genau  so  am  Niobidensarkophag  wieder,  ebenso  mit 
kleiner  Aenderung  der  Mütze  die  Eckmasken ;  der  obere  Fries  zeigt  aber  nur 
zwei  kleine  Reliefs  mit  je  einer  Gestalt  an  beiden  Ecken,  während  der  Mit- 
telraum frei  gelassen  ist  und  für  eine  Inschrift  sichtlich  bestimmt  war.    Von 


I)  Atti  della  pontificia  academia  rom.  di  archeologia.  Vol.  X.  1842.  p.  223 — 330,  auf 
den  Niobidensarkophag  bezüglich  p.  248 — 292.  tav.  111.  Vgl.  noch  Abeken  in  Bullett.  1839. 
p.  1 — 1.  39;  Notiz  in  Kunstbl.  1*39.  n.  34;  Brunn  ebendas.  1844.  n.  77  eingehend  und 
gründlich ;  E.  Braun  Ruinen  u.  Mus.  Roms  S.  745. 


Die  Niobidenreliefs.  Jg9 

Inschriften  ist  aber  in  und  bei  den  Sarkophagen  nichts  gefunden,  auch  nichts 
von  Gefässen  u.  dgl.  Im  Innern  der  Sarkophage  befanden  sich  mehrere  Ge- 
beine. Aber  es  ist  wichtig,  dass  die  für  das  Innere  des  Raumes  verwendeten 
Backsteine  den  Stempel  tragen:  EX.  PRE.  DOM.  LVCIL.,  d.  h.  was  aus 
zahlreichen  andern  Beispielen  sich  ergiebt  aus  den  Fabriken  der  Domitia 
Lucilla,  der  Mutter  des  M.  Aurel  stammen.  Danach  ist  also  die  Verferti- 
gungszeit  auch  der  Sarkophage  gegen  die  Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts 
n.  Chr.  Geb.  zu  setzen.  Brunn  berichtet  noch  von  einer  Inschrift,  die  das 
dritte  Consulat  des  Servianus,  das  Jahr  134  n.  Chr.  enthält. 

Das  dritte  Beispiel  dieser  Niobidencomposition  bietet  der  sehr  grosse 
Sarkophag  der  alten  Pembrokeschen  Sammlung  in  Wiltonhouse  (E)  bei 
Salisbury  in  England.  Dass  auch  er  aus  Rom  stammt,  ist  sehr  wahrschein- 
lich, da  ein  grosser  Theil  der  Sammlung  aus  der  Versteigerung  der  ersten 
Sammlung  Giustiniani  in  Rom  Ende  des  1 7ten  Jahrhunderts  gebildet  ward. 
Leider  ist  das  Werk  noch  nicht  publicirt,  sondern  in  den  Beschreibungen 
der  dortigen  Sammlung  ungenügend  beschrieben1),  sowie  von  einzelnen  Rei- 
senden, von  Göde2)  und  von  Waagen8)  kurz  besprochen.  Winkelmann 
kannte  dasselbe  und  führt  es  zweimal  an,  bezieht  mit  Recht  eine  Zeichnung 
der  Sammlung  Albani  darauf.  Das  Relief  ist  ausserordentlich  hoch  gehalten, 
so  dass  die  Köpfe  ganz  frei  herausstehen  und  verräth  eine  durchaus  späte 
Entstehungszeit,  wenn  auch  viel  Sorgfalt,  die  sich  in  der  genauen  Bezeich- 
nung eines  waldigen  Hintergrundes  ausspricht.  Es  ist  in  vielen  Theilen 
restaurirt.  Wir  können  daher  bei  der  vergleichenden  Besprechung  dieser 
Composition  nur  die  beiden  ersten  Monumente  genauer  zusammenhalten, 
nur  in  den  allgemeineren  Punkten  das  Pembrokesche  Relief  mit  heranziehen. 
Und  in  seiner  Vollständigkeit  gesichert  ist  uns  nur  der  Lateranische  Sar- 
kophag. 

Auf  der  Hauptdarstellung  erscheinen  zwanzig  menschliche  Gestalten 
und  zwar  sieben  Söhne,  sieben  Töchter,  die  Mutter,  eine  Amme,  zwei  Päda- 


1)  Ich  konnte  nur  benutzen  J.  Kennedy  a  description  of  the  antiquities  andcuriosities 
in  Wiltonhouse.  Salisbury  1769.  p.  103 ;  Welcker  A.  D.  I.  S.308  führt  an  eine  Beschreibung 
aus  dem  J.  1798.  p.  106.  Aus  einem  Katalog  ersehe  ich  die  Existenz  von  Newton  notes  on 
the  sculptures  at  Wiltonhoue.  London  1*49. 

2)  Reise  nach  England  V.  S.  13S;  Welcker  Ztschr.  f.  a.  K.  S.  592  f. 

3)  Kunstwerke  u.  Künstler  in  England  II.  S.  27S.  Leider  war  mir  die  neue  englische 
Bearbeitung  dieses  Werkes  nicht  zuganglich.  Waagen  hat  auch  durchaus  richtig  erkannt, 
dass  das  zweite  Relief  Kennedy  p.  10  selbst  mit  dem  Niobidenuntergang,  gegen  dessen 
Alterthum  auch  Welcker  kein  Bedenken  hat,  ein  Werk  der  italienischen  Renais- 
sance ist,  wahrscheinlich  des  Bildhauers  Benedetto  Rovezzano  aus  Florenz,  der  unter 
Heinrich  VIII.  nach  England  übersiedelte.  Es  ist  ein  Basrelief  in  feinem  weissen  Marmor 
von  zierlicher  Ausführung  mit  den  schiessenden  Gottheiten  in  der  Luft,  mit  sechs  Söh- 
nen zu  Ross  und  fünf  Töchtern  der  Niobe,  die  selbst  knieend  ihre  Hände  zum  Himmel 
erhebt. 


190  Zweites  Kapitel. 

gogen  uud  ein  mit  Recht  längst  als  Amphion  bezeichneter  gepanzerter  Mann. 
In  der  Beschreibung  von  E  wird  uns  neben  diesen  ebenso  aufgeführten  noch 
in  dem  waldigen  Hintergrund  die  Gestalt  einer  sitzenden  Waldesgottheit, 
eines  Sylvanus  genannt,  der  mit  Erschrecken  dem  Vorgang  zuschaut1).  Dass 
eine  theilnehmende  Ortsgottheit  nicht  ungehörig  sei,  leuchtet  von  selbst  ein 
und  wir  werden  auf  sie  bei  der  Betrachtung  der  Seitenfelder  entschieden  zu- 
rückkommen müssen.  Es  kommen  noch  hinzu  eine  Anzahl  Pferde  und  zwar 
bei  C  nur  vier,  bei  D  und  E  dagegen  fünf.  Die  Oertlichkeit  ist  auf  C  mehr- 
fach durch  Felsabhänge  bezeichnet,  in  E  zugleich  als  Wald;  auf/)  tritt  an 
ein  Paar  Punkten  die  Felsandeutung  hervor,  aber  den  Schlusspunkt  bildet  auf 
dem  linken  Ende  eine  starke,  rohdorische  Säule,  eine  entschiedene  Andeu- 
tung des  hier  beginnenden  Königspalastes,  an  dessen  Eingang  also  die  letzte 
Gruppe  zu  denken  ist. 

Die  Gesammtanordnung  ist  in  der  Hauptsache  bei  C  und  D  die  gleiche, 
doch  sind,  wie  das  Verhältniss  der  Höhe  zur  Breite  bei  ihnen  nicht  ganz  das 
gleiche  ist,  das  Borghesische  Relief  sich  mehr  der  Natur  des  Frieses  nähert, 
das  Lateranische  dagegen  höher  im  Verhältniss  zur  Länge  gehalten  ist,  mehr 
einer  gemalten  Tafel  ähnlich  erscheint,  auch  die  einzelnen  Gruppen  bei  Cmehr 
breit  auseinander  gehalten,  bei  D  mehr  steil  gedrängt.  Das  scheint  in  noch 
höherem  Masse  bei  E  der  Fall  zu  sein.  Wir  haben  in  dieser  Composkion 
Mitte  und  beide  Enden  und  dann  zwischen  denselben  je  zwei  Gruppen  zu 
scheiden,  also  sechs  Hauptmotive.  Zu  diesen  kommen  als  begleitende  Mo- 
tive im  höher  gelegten  Hintergrund  oder  tiefer  am  Boden  ebenfalls  noch 
sechs  andere  hinzu. 

In  der  Mitte  sehen  wir  ein  auf  den  Hinterfüssen  sich  aufrichtendes  Ross, 
sichtlich  durch  das  die  ganze  Katastrophe  begleitende  Getöse,  durch  die  viel- 
fache Todesgefahr  in  die  höchste  Aufregung  versetzt.  Noch  hält  sich  krampf- 
haft der  Reiter,  welcher  abgeworfen  ist,  ein  schöner  Jüngling  in  der  Chla- 
mys,  mit  der  Linken  an  den  Zügeln  fest,  aber  seine  Kraft  schwindet,  wäh- 
rend er  vergebens  mit  der  Rechten  den  Pfeil  aus  der  Brust  zu  ziehen  ver- 
sucht und  sein  gestreckter,  jugendlicher  Körper  mit  übergeschlagenen  Füs- 
sen, mit  dem  zurücksinkenden  Haupt  bildet  in  seiner  Linie,  wie  in  seiner 
Passivität  einen  wirkungsvollen  Gegensatz  zu  dem  kraftvollen  Aufsprung  des 
Pferdes.  Auf  Relief  D  ist  der  Niobide  mehr  in  die  Knie  gesunken,  wo- 
durch ein  schärferer  Winkel  gebildet  wird,  sein  Haupt  ist  mit  dem  vollen 
Ausdruck  des  Schmerzes  dem  Beschauer  entgegengerichtet,  die  den  Zügel 
haltende  Hand  hängt  nur  in  ihm ;  das  Pferd  hat  ein  Thierfell  als  Decke. 

Rechts  und  links  stehen  in  sichtlicher  Correspondenz  zwei  sinkende, 


1)  J.  Kennedy  a.a.O. :  and  at  a  distance  by  some  of  the  trees  Sylvanus  the  divinity 
of  the  woods  Bits  looking  on  with  a  grave  concern.  Weiter  unten  werden  Oberhaupt  20 
Figuren  angeführt,  aber  dann  Sylvanus  nebst  den  20  andern  genannt. 


Die  Niobidenreliefs.  191 

an  dem  Boden  mit  den  Füssen  hinstreifende,  fast  schleifende  Töchter,  ge- 
halten von  einem  Pädagogen  auf  der  linken  Seite,  von  einer  Amme  auf 
der  rechten.  Es  geschieht  dies  nicht  ohne  eine  gewisse  Schaustellung  der 
schönen,  bis  auf  den  Unterleib  ganz  entblössten  Körper,  von  da  umhüllt  das 
Obergewand  eng  die  unteren  Theile.  Die  Arme  sinken  auf  C  —  und  wir 
gehen  zunächst  von  diesem  Monument  aus  —  bei  der  einen  beide  matt  herab, 
sie  wird  unter  den  Achseln  vom  Pädagogen  gefasst,  der  mit  dem  einen  Beine 
knieend  von  hinten  nach  vorn  geeilt  ist,  um  sie  aufzufangen  im  Sinken.  Die 
andere  Tochter  hat  noch  den  rechten  Arm  um  den  Nacken  der  von  der  Seite 
herbeikommenden,  sie  sorglich  umfassenden  Alten  geschlungen,  während  der 
linke  niedersinkt.  Die  Köpfe  der  beiden  sinken  je  nach  der  entgegenge- 
setzten Seite,  sowie  die  Linien  des  Körpers  ebenso  nach  zwei  Seiten  ablen- 
ken. Noch  fallen  vom  Haupt  je  zwei  Locken  auf  die  Schulter  und  ein  breites 
Band  umschlingt  die  Haare.  Auch  der  alten  Wärterin,  die  das  Haupt  mit 
dem  bekannten,  fremde  Frauen  und  Kranke  charakterisirenden  Kopftuch  be- 
deckt hat,  ist  der  Chiton  von  den  Achseln  tief  in  den  Arm  herabgefallen,  das 
Obergewand  hat  sie  um  den  Leib  in  einen  Knoten  geschürzt.  Der  Pädagog 
ist  mit  fliegendem  zottigen  Mantel  und  einem  kurzen,  etwas  aufgeknöpften 
Aermelchiton  bekleidet  und  trägt  die  hohen  Stiefel.  Kummervolle  Theil- 
nahme  prägt  sich  auf  den  alten,  charakteristischen  Zügen  aus. 

Die  Auffassung  dieser  zwei  Gruppen  auf  Relief  D  unterscheidet  sich 
durch  grössere  Steilheit  der  Lage,  dadurch,  dass  bei  beiden  Töchtern  der 
tödtliche  Pfeil,  hier  im  Unterleib,  dort  in  der  Brust  sichtbar  ist,  dass  das  Ge- 
wand bei  beiden  über  den  einen  Oberarm  noch  fällt,  bei  der  einen  aber  fast 
den  ganzen  Körper  entblösst  lässt,  dass  hier  die  eine  Hand  noch  wie  mecha- 
nisch an  dem  Pfeile  haftet,  dort  die  eine  auf  dem  Arm  des  Pädagogen  ruht. 

Wir  gehen  weiter  zu  den  zwei  folgenden  Motiven,  die  in  die  Knie 
sinkende  Personen  und  Thiere  in  gleichem  Niedersinken  vorfuhren  und  eine 
sichtliche  künstlerische  Beziehung  zu  einander  haben.  Hier  wird  ein  in  die 
Knie  gesunkener  Sohn  in  der  Chlamys  umfasst  von  einem  ebenfalls  knieen- 
den Pädagogen  in  der  eben  erwähnten  Kleidung.  Der  Kahlkopf  ist  in  ihm 
stark  ausgeprägt,  während  bei  dem  ersteren  die  Haare  in  die  Stirne  fallen. 
Auf  D  drückt  er  zärtlich  das  Haupt  des  Knaben  an  das  seine,  auf  C  blickt  er 
wie  fragend  aufwärts,  während  der  Kopf  des  Verwundeten  sich  zur  Seite 
beugt.  Dort  stürzt  ein  Sohn  mit  seinem  Boss  zusammen;  das  edle  Thier 
will  eben  sich  wieder  aufraffen,  der  Reiter  kauert  darauf,  hat  er  auch  noch 
den  Zügel  mit  der  Linken  gefasst ,  so  sind  seine  Gedanken  doch  wo  ganz 
anders  hingerichtet.  Er  blickt  empor  nach  dem  unsichtbaren  Ausgangspunkt 
des  Verderbens,  Staunen  und  Bitte  um  Verschonung  im  Gesicht.  Die  vom 
Sturmwind  hochgeflatterte  Chlamys  wird  von  der  Rechten  wie  ein  Segel  ge- 
halten. Die  Auffassung  auf  D  unterscheidet  sich  nur  durch  eine  weniger 
glückliche  Behandlung  des  Pferdes,  das  platter  auf  die  Erde  gestürzt  ist. 


192  Zweites  Kapitel. 

Den  Schlusspunkt  der  ganzen  Composition  bilden  die  Eltern  selbst  und 
zwar  rechts  N  i  o  b  e  mit  zwei  noch  unverletzten  Kindern,  Sohn  und  Toch- 
ter, links  A  m  p  h  i  o  n  mit  dem  in  seinen  Armen  sterbenden  kleinen  Sohne. 
Niobe  ist  noch  in  fast  jugendlicher  Schönheit  dargestellt,  im  langen  Chiton, 
mit  Diploidion,  der  aber  von  der  rechten  Schulter  tief  herab  in  den  Arm  ge- 
sunken ist  und  so  die  rechte  Brust  und  Seite  weit  hinab  entblösst.  Die  Linke 
ruht  ihr  auf  dem  Töchterchen,  das  sich  an  sie  anlehnt  und  mit  gehobener 
Linken  empordrängt,  die  gehobene  Rechte  hält  das  in  Bogen  flatternde  Ober- 
gewand. Reiche  Locken  fallen  auf  den  Nacken  nieder.  Das  Haupt  ist  zur 
Seite  und  nach  oben  gerichtet.  Der  kleine  Sohn  zu  der  Mutter  geflüchtet, 
die  rechte  Hand  offen  zum  Zeichen  des  Entsetzens  hebend.  Amphion  ist 
in  lebhaftem  Aussehreiten  und  Abwehr  nach  oben  begriffen.  Im  rechten 
Arme  hält  er  den  zurückgesunkenen  Knaben,  der  linke  hebt  schützend  den 
Schild  empor.  Ein  den  Formen  des  Körpers  genau  an  sich  schmiegender 
Panzer,  eine  hohe  Fussbekleidung  bekleidet  ihn.  Das  bärtige,  ältliche  Haupt 
mit  rückwärts  flatterndem  Haar  schaut  über  den  Schildrand  nach  oben.  Auch 
bei  diesen  Gruppen  begegnen  uns  nicht  uninteressante  Abweichungen  auf  D. 
Da  sind  es  zwei  Mädchen,  die  die  Mutter  zu  schützen  sucht  und  zwar  indem 
sie  auch  den  rechten  Arm  auf  die  Kleinste  legt,  wie  der  linke  auf  der  grös- 
seren auch  auf  C  schon  ruhte ;  ihr  Obergewand  flattert  noch  mächtiger  im 
Halbkreise.  Amphion  trägt  hier  auch  einen  Helm  und  ist  ganz  vom  Schilde 
gedeckt ;  den  nach  der  Seite  nicht  rückwärts  gesunkenen  Sohne  hält  er  mit 
dem  Arm  und  dem  Knie  des  auf  die  Fussspitze  gehobenen  Beines. 

Drei  Relieffragmente  sind  uns  mit  dieser  Gestalt  des  den  jüngsten 
Sohn  in  seinen  Ann  fassenden  Amphion  noch  erhalten :  eines  früher  im  Pa- 
last Rondanini,  jetzt  wahrscheinlich  im  Vatican,  bei"  Guattani f)  veröffent- 
licht, von  Winkelmann  gekannt  und  besprochen2),  ein  zweites  im  Vatican 
irii  Museo  Chiaramonti 8) ,  ein  drittes  von  Visconti  aus  dem  Katalog  von  Mar- 
celli  über  Villa  Albani4)  angeführt.  Auf  dem  ersten  erscheint  dabei  ein  fort- 
sprengendes Ross,  das  ohne  Reiter  wir  in  dieser  Composition  nicht  finden, 
wohl  aber  in  der  erst  beschriebenen ;  wir  erwähnten  bereits  5) ,  dass  ein  ande- 
res Fragment  mit  dem  Brüderpaar  unmittelbar  dazu  zu  passen  scheint ;  das 
würde  auch  das  fortsprengende  Ross  erklären.  Wir  hätten  demnach  Motive 
aus  beiden  Compositionen  vereint.  Das  zweite  weist  neben  Amphion  und 
dem  Sohne  noch  die  Gruppe  der  vom  Pädagogen  gehaltenen  Tochter  mit 
nacktem  Oberkörper  auf,  die  wir  auf  Relief  C  und  D  eben  besprachen ;  es 


1)  Monum.  inedit.  1787.  Dec.  tav.  3.  p.  91.  92. 

2)  Gesch.  d.  Kunst.  IX.  2.  g  30. 

3)  Beschreib.  Roms  II.  2.  S.  68.  n.  455. 

4)  Marcelli  p.  562  bei  Visconti  Mon.  scelti  Borghes.  p.  228.  Not.  6. 

5)  8.  183. 


Die  Niobidenreliefs.  193 

erscheint  diese  Gruppe  also  nur  nahe  an  die  Ecke  gesetzt.     Ueber  das  dritte 
Relief  sind  wir  nicht  näher  unterrichtet. 

Unter  den  sechs  einzelnen  Figuren,  welche  zwischen  die  Haupt- 
gruppen eintreten,  Lücken  des  Raumes  ausfüllend,  Bewegungen  vermittelnd, 
finden  sich  auf  C  zwei  Söhne  und  vier  Töchter,  auf  D  drei  Söhne  und  drei 
Töchter.  Die  Söhne  erscheinen  durchaus  zu  Ross,  im  Hintergrund  in  voller 
Eile  davon  jagend.  Zwei  Motive  finden  sich  bei  ihnen  gleich :  ein  Niobide 
in  die  Brust  getroffen  zur  Seite  vom  forteilenden  Rosse  herabsinkend,  ein 
anderer  in  das  linke  Schulterblatt  getroffen  nach  vorn  über  mit  dem  stolpern- 
den oder  zusammenbrechenden  Pferde  fallend.  Man  hat  mit  Recht  die  ovidi- 
sche  Schilderung  des  Todes  der  beiden  die  Rosse  tummelnden  Söhne,  Ismenus 
und  Sipylus !)  zur  Vergleichung  herangezogen ;  jener 

medioque  in  pectore  fixus 
tela  gerit  frenisque  manu  moriente  remissis 
in  latus  a  dextro  paullatim  defluit  armo ; 
von  diesem  heisst  es : 

summaque  tuinens  cervice  sagitta 
haesit,     dann 
ille  —  pronus  per  colla  admissa  jubasque 
volvitur  — . 
Aber  wie  der  Dichter  in  dichterischer  Weise  den  Verlauf  der  ganzen  Hand- 
lung uns  vorfuhrt,  den  einen  von  einem  bildenden  Künstler  wohl  vor  ihm 
behandelten  Moment  nur  als  Schlusspunkt  setzt,  ja  darüber  noch  hinausgreift, 
so  hat  die  bildende  Kunst  bei  Darstellung  desselben  Moments  doch  auch  ver- 
schiedene Modifikationen  gewählt.     So  hält  sich  auf  Relief  C  der  seitwärts 
sinkende  Jüngling  noch  mit  der  linken  Hand  auf  dem  Kopf  des  Pferdes,  wir 
sehen  sein  allmäliges  Ermatten  und  Weichen,  auf  D  ist  bereits  ein  völliges 
Geknicktsein   im  Kopf  und  der  an  den'  Hals  gelegten  Linken  ausgeprägt. 
Auch  bei  dem  anderen  Reiter  ist  der  Moment  auf  D  greller,  gewaltsamer 
aufgefasst  als  auf  C. 

Der  dritte  allein  auf  D  im  Hintergrund  sichtbare  Niobide  eilt  nach  dem 
entgegengesetzten  Ende  noch  unverletzt  in  hastigster  Flucht  auf  dem  ge- 
streckt jagenden  Ross ;  den  Hals  umfassend,  die  Kniee  an  den  Leib  anzie- 
hend, den  Kopf  vorgestreckt,  die  Chlamys  nach  hinten  flattern  lassend,  bietet 
er  ein  glückliches  Gegenbild  zu  dem  vornüber  stürzenden  Bruder.  Wer 
besonders  darnach  strebt,  aus  Dichterstellen  derartige  Situationen  zu  belögen, 
könnte  sagen,  hier  sei  ein  früherer  Moment  in  der  Schilderung  des  Sipylus 
bei  Ovid  aufgefasst,  jene  Worte : 

frena  dabat  Sipylus. 
Jedoch  haben  wir  dabei  nicht  zu  vergessen,  dass  bei  Ovid  das  Tummeln  der 


I)  Metam.  VI.  222  ff.,  dazu  s.  oben  S.  73. 

Stftrk,  Xiobe.  13 


1 94  Zweites  Kapitel. 

Rosse  eine  Beschäftigung  der  Söhne  neben  anderen  ist,  in  der  nur  zwei  über- 
rascht werden,  auf  unseren  Reliefs  dagegen  die  Beschäftigung  der  grössten 
Zahl  (4  oder  5)  und  dass  sie  in  den  Mittelpunkt  der  Scene  so  recht  gerückt  ist. 

Von  den  Töchtern,  deren  wir  nun  auf  C  vier  allein  gestellt,  auf  D  nur 
drei  haben,  ist  bei  beiden  eine  bereits  todt  niedergesunken,  aber  dort  liegt 
sie  zum  Theil  nur  sichtbar  tief  auf  dem  Boden  im  stillen  Todesschlaf  und 
zwar  mit  dem  Haupte  tiefer  als  mit  dein  Körper;  die  Linke  ruht  auf  der 
Brust.  Chiton  und  Obergewand  bedecken  wohlgeordnet  den  jungfräulichen 
Leib.  Anders  auf  D ;  hier  ist  sie  schräg  rückwärts  auf  den  Felsen  gesunken ; 
ihr  Gewand  ist  im  vorausgegangenen  Todeskampfe  vom  Körper  fast  herab- 
gesunken, ihr  Haar  ist  über  dem  zurückgebeugten  Kopf  tief  rückwärts  ge- 
sträubt ;  noch  hält  sie  krampfhaft  mit  der  Rechten  den  im  Zwerchfell  stecken- 
den Pfeil,  während  die  Linke  tief  herabgesunken  ist. 

Zwei  Töchter  sind  auf  beiden  Reliefs  wesentlich  gleich  motivirt,  die  eine 
von  vorn,  die  andere  auf  der  Rückseite  sichtbar.  Jene  kniet,  wie  von  hinten 
mehr  nach  vorn  fliehend,  mit  ihrem  rechten  Bein  auf  einer  Feklage,  das 
Haupt  schräg  nach  ihrer  linken  Seite  und  oben  gerichtet,  nach  dem  Ursprung 
der  Gefahr  ausschauend ;  das  Obergewand  ist  bogenförmig  geschwrellt,  bei  C 
von  beiden  Händen  gehalten,  bei  D  nur  von  einer,  während  die  andere  ge- 
hoben mit  geöffneter  Innenseite  das  Entsetzen  verräth-  Die  andere  weicht 
rückwärts  zurück,  mit  zurückgebeugtem  Haupte,  mit  ausgebreiteten  Armen, 
welche  das  Himation  ebenfalls  bogenförmig  spannen.  Der  höchste  Moment 
des  Aussersichseins  ist  auf  C  noch  in  dem  von  den  Schultern  herabgefalleneu 
Chiton  ausgeprägt.  Eine  vierte  Tochter  endlich,  welche  Relief  C  allein  auf- 
weist, ist  der  ersteren  von  den  zwei  ebenbeschriebenen  in  der  Haltung  sehr 
ähnlich,  nur  dass  gleichmässig  beide  Arme  gehoben  sind,  das  Himation  ruhig 
herabhängt;  ein  Pfeil  scheint  sie  im  Rücken  getroffen  zu  haben. 

Wie  in  der  eben  noeh  beschriebenen  Gestalt,  weist  in  einer  Anzahl  der 
anderen,  die  wir  bereits  charakterisirt,  das  Aufblicken  nach  oben,  nach  den 
Ausgangspunkten  des  Verderbens  mit  einer  gewissen  Bestimmtheit  bei  dem 
unverkennbaren  Streben  nach  möglichster  Vollständigkeit  der  Darstellung  auf 
das  Erscheinen  der  Gottheiten  selbst  auf  einer  Art  Theologeion  hin,  wenn 
wir  hier  den  Vergleich  mit  der  tragischen  Bühne  näher  durchfuhren  wollen, 
der  ja  bei  diesen  Reliefe  tragischer  Stoffe  so  unmittelbar  sich  aufdrängt.  Und 
in  der  That  fehlen  uns  bei  D  die  vernichtenden  Gottheiten  nicht,  über  C  und 
E  können  wir  darin  nicht  urtheilen,  da  uns  überhaupt  der  Sarkophagdeckel 
nicht  mehr  erhalten  ist.  Dort  sehen  wir  in  verkleinerter  Gestalt  an  den  En- 
den des  obern  Frieses,  auf  der  Linken  Apollo,  auf  der  Rechten  Artemis  in 
eiligem  Lauf  mit  gespanntem  Bogen.  Jener  eilt  gerade  aus  mit  rückwärts- 
flatternder Chlamys.  Hinter  ihm  steht  auf  einer  Basis  der  Dreifuss,  sein  ihm 
heiliges  Symbol,  besonders  in  Delphi,  von  wo  er  also  auszugehen  scheint. 
Artemis  ist  in  langem  Chiton  und  Diploidion;  auch  ihr  Obergewand  weht 


Die  Niobidenreliefs.  195 

nach  hinten.  Sie  eilt  von  einer  mit  einem  Baum  besetzten  Anhöhe  herab. 
Man  kann  bei  derselben  an  Delos  und  den  Kynthischen  Berg  mit  dem  heili- 
gen Lorbeer  dort  denken. 

Werfen  wir  nun  noch  einen  Blick  auf  die  Seitenflächen  des  einen 
uns  vollständig  erhaltenen  Sarkophages  D.  Die  dem  Deckel  angehörigen, 
fast  dreieckfbrmigen  Flächen  enthalten  Symbole  der  beiden  Gottheiten :  hier 
apollinische  in  Köcher  und  Bogen,  Rabe,  Leier,  dort  artemisische  in  Wild, 
Jagdhund,  Köcher  mit  Bogen  und  Jagdspeer.  Darunter  erhalten  wir  aber 
aber  noch  zwei  ruhige  Scenen,  die  eine  friedlicher,  die  andere  tief  elegischer 
Natur,  die  einen  entschiedenen  Contrast  zu  der  gedrängten,  überreichen 
Handlung  der  Vorderseite  bilden.  Unter  den  apollinischen  Zeichen  sehen 
wir  eine  Hirtenscene.  Im  Vordergrund  sitzt  eine  jugendliche  man n  1  i c h e 
Gestalt  in  kurzem  Aermelchiton  der  Arbeiter  mit  einfachem,  auf  der  rech- 
ten Schulter  befestigten  Mantel  darüber,  auf  einem  von  rohen  Steinen  gebil- 
deten Sitz  unter  einem  seine  schattigen  Aeste  verbreitenden  Baum.  Während 
das  linke  Bein  ziemlich  schräg  gestellt  auf  einem  als  Schemel  dienenden 
Stein  aufruht,  ist  das  rechte  hoch  hinauf-  und  eingezogen.  Die  Linke  hält  den 
Hirtenstab  ruhig  schulternd,  die  Rechte  ist  mit  dem  Ausdrucke  eines  lebhaf- 
teren Interesses  nach  einer  weiter  zurück  sichtbaren  weiblichen  Figur  geho- 
ben, der  auch  der  Kopf  zugewendet  ist.  Vor  ihm  ruhen  behaglich  zwei  Stiere. 

Jene  weibliche  Figur  ist  auf  einem  Steinlager,  einer  wie  halbfertigen, 
aus  grossen  Steinen  gethürmten  Mauer  in  behaglicher  Motivirung  gelagert. 
Auch  sie  hat  das  rechte  Bein  angezogen,  das  linke  bequemer  gestreckt,  ihr 
linker  Arm  ruht  auf  einem  etwas  höheren  Mauertheil,  die  rechte  Hand  fasst 
dagegen  an  den  Zweig  des  zu  ihren  Füssen  sich  erhebenden  Baumes.  So 
kann  sie  ihren  Kopf  mehr  nach  vorn  und  umwenden  zu  dem  Jüngling  im 
Vordergrund.  Ihre  Bekleidung  ist  einfach,  lang  hinabreichend,  gegürtet, 
mit  halben  Aermeln,  ein  Obergewand,  auf  dem  sie  wohl  als  Lager,  zunächst 
ruht,  schlägt  sich  um  die  nackten  Füsse.  Das  Haar  ist  einfach,  anschliessend 
an  den  Kopf  geordnet.  Die  Bildung  ist  durchaus  jugendlich.  Wir  werden 
einfach  zunächst  nichts  anderes  in  dieser  Situation  finden  können,  als  einen 
Rinderhirten  im  Gespräch  mit  einer  weiblichen  Ortsgottheit,  wie  diese  halb 
gelagert ,  halb  sitzend  häufig  uns  erscheinen  !) .  Die  Ocrtlichkeit  selbst 
bezeichnen  theils  die  Bäume,  theils  jene  Steinlager,  bei  denen  wir  allerdings 
nicht  gut  blos  an  einen  felsigen  Berg  erinnert  werden. 

Ehe  wir  eine  genauere  mythologische  Beziehung  in  Verbindung  mit  der 
Vorderseite  suchen,  ist  es  gut,  das  zweite  Seitenbild  sich  anzusehen,  da&  in 
sichtbarer  Correspondenz  dazu  gebildet  ist.  Auch  hier  rahmen  zwei  Bäume 
die  Scene  ein,  auch  hier  sitzt  rechts  eine  Gestalt  auf  Steinsitz,  aber  diesmal 


1)  So  bezeichnet  sie  auch,  wie  ich  nachträglich  sehe,  E.  Braun  Kuin.  u.  Mus.  Borns 
8.  746  und  Brunn  bereits  im  Kunstbl.  1844.  n.  77. 

13* 


)  96  Zweites  Kapitel. 

die  weibliche  und  ihr  gegenüber  steht  eine  männliche  Gestalt,  den 
Arm  auf  einen  Stab  gestützt,  sichtlich  auch  in  naher  gemüthlicher  Beziehung 
gedacht.  Zwischen  beiden  im  Hintergründe  erscheint  ein  nicht  sehr  grosser 
Rundbau  auf  Stufen  mit  Kuppeldach,  eine  grosse  wohl  in  Felder  gegliederte 
Eingangsthüre  und  mit  einer  grossen,  über  der  Thüre  sich  hinziehenden 
Guirlande  geschmückt.  Palmetten  umstecken  das  durch  einzelne  Rippen 
gegliederte,  aber  durch  einen  Knopf  bekrönte  Dach.  Wir  haben  hier  ganz 
die  Form  eines  Grabdenkmals,  wie  uns  diese  Form  als  römische  so  viel- 
fach noch  in  grossartigen  Ueberresten  —  ich  erinnere  nur  an  das  Grab  der 
Caecilia  Metella  —  begegnet.  Dazu  passt  vollkommen  die  Auffassung  der 
matronalen  sitzenden  Gestalt ,  sie  erscheint  als  eine  tief  trauernde.  Die 
Beine  übereinandergeschlagen,  die  Arme  auf  den  Knieen  ruhend,  das  Haupt 
zur  Seite  gesenkt,  den  Oberkörper  etwas  vorgebeugt,  das  Obergewand  als 
Schleier  vom  Kopf  herabfallen  lassend  und  die  ganze  Gestalt  in  seine  Falten 
bergend,  endlich  mit  tief  ernstem  Ausdruck  des  Gesichts,  so  giebt  sie  sich  kund 
als  die,  welche  den  Schmerz  um  die  im  Grabmal  Geborgenen  trägt.  Wir  können 
in  ihr  im  Zusammenhang  mit  der  Vorderseite  nur  Niobe  sehen,  sitzend  am 
Grabmale  der  Kinder,  wie  sie  Aeschylos  bereits  auf  die  Bühne  gebracht.  Die 
männliche  Gestalt  ihr  gegenüber  trägt  die  entschiedenen  Zeichen  eines  theil- 
nehmenden,  aber  nicht  unmittelbar  mit  vom  Verlust  betroffenen  Mannes  und 
zwar  aus  der  Sphäre  der  Hirten,  der  im  Freien  lebenden  und  thätigen  Naturen. 
Die  hohen  Stiefel,  der  kurze  Aermelchiton,  der  dicke,  hinten  hinabhängende 
aber  kurze  Mantel,  das  bärtige,  nichtideale  Gesicht,  der  Knotenstock,  auf 
dem  er  sich  mit  der  untergelegten  rechten  Hand  und  linken  Ellenbogen 
stützt,  die  ganze  Stellung  mit  übergesetztem  linken  Bein,  legen  dafür  Zeug- 
niss  ab.  Was  liegt  hier  näher,  als  dass  wir  in  ihm  einen  theilnehmenden 
Hirten  der  Stätten,  wo  das  Grab  der  Kinder  zu  suchen  ist,  dass  wir  in  diesem 
den  Sipylos  selbst,  den  Berggott  erkennen?  An  den  Vater  Tantalos,  an 
den  Bruder  Pelops,  an  Zethos,  kann  nach  dem  ganzen  Costüm  und  Körper- 
bildung, wie  Situation  nicht  gedacht  werden.  Schwerlich  hat  doch  auch  der 
Pädagog,  den  Brunn  meint,  hier  einen  passenden  Platz,  so  allein  und  gleich- 
berechtigt Niobe  gegenüber.  Und  was  bietet  sich  in  der  Einsamkeit  der 
freien,  von  Bäumen  und  Steinen  hinreichend  bezeichneten  Natur  einfacher 
dar,  als  der  schützende,  theilnehmende  Geist  dieser  Stätte  l 

Nun  können  wir  rückwärts  der  anderen  Darstellung  auch  eine  schär- 
fere Bezeichnung  geben.  Wie  diese  trauernde  Niobe  der  noch  jugendli- 
chen ,  die  Kinder  schützenden  Niobe  vorn  fast  Rücken  an  Rücken  sitzt,  so 
dort  umgekehrt  Amphion,  der  jugendliche  Rinderhirt  im  Gebirge  bei  The- 
ben dem  bärtigen,  das  Kind  vertheidigenden  Mann  Amphion.  Es  ist  ein 
Bild  aus  seinem  früheren  Leben.  Und  die  weibliche  Ortsgottheit,  die  auf 
der  Felsenmauer  ihm  gegenüber  ruht,  mit  ihm  spricht,  möchte  ich  nicht  an 
ders  als  Thebe  bezeichnen,  die  ja  zu  ihm  oder  zu  Zethos  in  unmittelbarste 


Die  Niobidenreliefs.  197 

Beziehung  als  Gemahlin  auch  wohl  gesetzt  wird,  deren  Mauerhau  speciell 
Amphion  zukommt,  die  ihn  etwa  hier  ähnlich  einer  Oinone  Paris  gegenüber 
auf  das  tragische  Geschick,  das  seiner  harre  in  der  Ehe  mit  Niobe,  prophe- 
tisch hinweist. 

So  einigen  sich  trefflich  beide  Nebenbilder,  als  mythologische  Pastorajen 
zur  Tragödie  der  Vorderseite.  Die  durchaus  abweichende  Erklärung,  die 
von  Grifi  für  dieselben  aufgestellt  ist  und  auch  von  Welcker1)  nicht  zurück- 
gewiesen wrird,  bedarf  nach  den  obigen  Darlegungen  wohl  nicht  einer  beson- 
deren Bekämpfung.  Grifi  sieht  in  dem  Hirten  den  bei  Admet  dienenden 
Apollo,  der  von  Latona  zur  Rache  an  Niobe  aufgefordert  wurde,  zu  Niobe 
wird  Amphion  oder  noch  lieber  Zethos  gestellt.  Was  des  Apollo^  Hirten- 
dienst bei  Admet  mit  der  Niobesage  zu  thun  habe,  ist  uns  gänzlich  unbe- 
kannt. Eine  zürnende  Leto  wird  schwerlich  Jemand  in  jener  gelagerten 
jugendlichen  Gestalt  erkennen  können.  Weder  Amphion  noch  Zethos  haben 
bei  der  Bestattung  der  Niobiden  noch  bei  ihrer  Betrauerung  an  der  einsamen 
Grabstätte  irgend  etwas  zu  thun.  Viel  eher  könnte  da  an  Pelops  gedacht 
werden  oder  Tantalos,  aber  dass  auch  sie  nicht  in  dieser  Gestalt  erscheinen, 
ward  schon  oben  bemerkt. 

Kehren  wir  noch  einmal  zum  Hauptrelief  an  der  Vorderseite  zurück, 
vergleichen  dieses  mit  der  zuerst  betrachteten  Coinposition  von  Sarkophag- 
relief?, so  wird  sich  uns  entschieden  hier  ein  grösserer  Aufwand  von  künst- 
lerisch wirkenden  Mitteln  wie  dort  zeigen;  denken  wir  nur  an  die  Bedeu- 
tung, welche  die  Rosse,  ihre  Flucht,  sich  Bäumen,  Zusammenstürzen,  die 
Motive  der  Reiter  hier  geltend  machen,  denken  wir  an  die  Vermehrung  der 
agirenden  Personen  um  einen  zweiten  Pädagogen,  um  Amphion,  denken  wir 
endlich  an  die  berechnete  Schaustellung  nackter  Körper,  welche  hier  so  un- 
verkennbar zu  Tage  tritt.  Dass  dagegen  die  Götter  selbst  entweder  gar  nicht 
erscheinen,  oder  auf  einer  oberen  Bühne  gleichsam  in  der  Ferne,  kann  ich 
nicht  mit  Welcker  als  einen  so  hohen  Vorzug  dieses  Reliefe  vor  den  anderen 
betrachten,  im  Gegen theil  ich  glaube,  dass  dem  wahren  griechischen  Reliefstil 
—  und  das  Wrerk  des  Phidias  spricht  für  uns  und  ebenso  jenes  schöne  alba- 
nische Relief  —  es  entsprechend  war  die  Götter  als  real  erscheinend,  wirkend 
in  unmittelbarer  Nähe  darzustellen,  dass  dagegen*  ihre  blos  ideale  Voraus- 
setzung von  der  Statuengruppe  erst  auf  das  Relief  übertragen  ist.  Und  wir 
wissen  ja  nicht,  was  ich  schon  bemerkte,  ob  nicht  das  Borghesische  Relief 
die  Götter  auch  auf  dem  Deckelfries  zeigte.  Was  das  Verhältniss  der  beiden 
Reliefe  C  und  D  unter  sich  betrifft,  so  hat  die  Beschreibung  wohl  die  Wahr- 
heit des  oben  angegebenen  allgemeinen  Unterschiedes  im  einzelnen  Falle 
bestätigt.  Wir  werden  schönere  Formen,  grössere  Anmuth  dem  Relief  Bor- 
ghese  entschieden  zugestehen,   dagegen  stärkeren,  naturalistischeren  Aus- 

1)  A.  a.  O.  S.  311. 


198  Zweites  Kapitel. 

druck  dem  des  Lateran   und  bei  diesem  in  ein  Paar  einzelnen  Punkten  an 
einer  glücklicheren  Motivirung  uns  freuen. 

l'eber  zwei  Reliefs  haben  wir  nur  eine  ganz  unzureichende  Kunde, 
so  dass  ihre  Stellung  zu  den  bisher  behandelten  Denkmälern  sich  nicht  näher 
bestimmen  lässt.  Welcker  fuhrt  zuerst  aus  dem  Werk  von  Dallaway1)  eine 
Sarkophagplatte  an,  die  bei  einem  Herrn  J.  B.  S.  Morrit  in  Rockeby  in 
Yorkshire  sich  befinden  soll  und  aus  Neapel,  nicht  aus  Rom  stammte.  Es 
wird  „als  über  allen  Vergleich  mit  dem  Basrelief  zu  Wiltonhouse  oder  irgend 
einem  von  demselben  Gegenstand  in  England"  bezeichnet.  Der  letzte  Satz 
scheint  darauf  hinzudeuten,  dass  auch  noch  andere  in  englischen  Sammlun- 
gen existiren. 

Winkelmann2)  fand  in  den  Papieren  des  Pirro  Ligorio  (t  1580)  auf 
der  vatikanischen  Bibliothek  die  Notiz,  dass  sich  in  den  Trümmern  der  ehe- 
maligen sallustischen  Gärten,  also  zwischen  Monte  Pincio  und  dem  hinteren 
Theile  des  Quirinal  einige  Figuren  in  erhabener  Arbeit  und  in  Lebensgrösse 
fanden,  die  die  Fabel  der  Niobe  abbildeten  und  von  sehr  schöner  Arbeit 
waren.  Die  Bezeichnung  in  Lebensgrösse  verbietet  uns  an  eines  der  uns  be- 
kannten Reliefs  zu  denken ;  am  ehesten  könnte  man  an  das  der  Villa  Albani 
sich  erinnern.  Ein  Wiederfinden  eines  so  bedeutenden  Werkes  wäre  aller- 
dings für  uns  von  unschätzbarem  Werthe. 

Auch  die  jüngere  etruskische  Kunst,  welche  für  den  Reliefschmuck 
ihrer  kleinen  Aschenkisten  wie  der  grossen  Sarkophage  eine  Anzahl  tragi- 
scher und  besonders  blutig  gewaltsamer  Scenen  aus  der  griechischen  Mytho- 
logie entnahm  und  in  nationaler  Weise,  besonders  was  die  dabei  thätigen 
göttlichen  Mächte  betrifft,  sie  umgestaltete,  hat  den  Niobemythus  nicht  ganz 
bei  Seite  liegen  lassen.  Ein  interessantes  Beispiel  ist  uns  wenigstens  bekannt 
und  in  einer  Zeichnung  auch  unserer  Arbeit  beigefugt3).  Im  J.  1S39  wurde 
von  den  Gebrüdern  Campanari  bei  Toscanella,  dem  alten  Tuscania  eine 
grosse  Grabkammer  entdeckt  mit  siebenundzwanzig  in  zwei  concentrischen 
Kreisen  gestellten  Sarkophagen.  Auf  dem  Deckel  ruht  immer  der  Verstor- 
bene, die  Mehrzahl  Männer,  doch  auch  Frauen  und  Kinder  in  charakteristi- 
scher Auffassung  der  Porträts.  Die  Vorderseite  ist  zum  grösseren  Theil  mit 
Reliefs  geschmückt;  das  bedeutendste  darunter  ist  dasNiobidenrelief4),  sonst 
sind  es  Kanipfsceneu,  Abschied,  Trauerzug,  Tri  tonen  und  Meerungeheuer. 
Das  Material  ist  vulkanischer  Tuff.  Die  Färbung  war  bei  der  Auffindung  eine 
wohl  erhaltene,  die  Reliefs  im  Allgemeinen  roth.    Die  Sarkophage  befanden 


1)  Les  beaux-arts  en  Angleterre,  traduit  de  l'Anglais  de  N.  Dallaway  par  M.  public,  et 
augm.  par  Miliin.  Paris  1S0T.  I.  II ;  die  Stelle  11.  p.  141. 

2)  Gesch.  d.  Kunst  2.  §  30. 

3)  Taf.  XI.  I. 

4)  Die  Lange  des  Sarkophags  betragt  MHi  Palmen,  die  Höhe  ohne  Decke)  1,09  P. 


Die  Niobidenreliefs.  199 

sich  später  in  dem  Garten  von  Campanari.  Unter  den  dabei  gefundenen  son- 
stigen Gegenstanden  wie  Bronze  u.  dgl.  waren  drei  Münzen,  darunter  eine 
mit  dem  Namen  des  Divus  Augustus.  Es  ergiebt  sich  also  die  Zeit  der  Denk- 
mäler als  dem  ersten  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  angehörig.  Der  Name  Velthur 
Velthurus  auf  einer  etruskischen  Inschrift  ward  mit  Veturius  der  Familie  Ve- 
turia  zusammengestellt.  Nach  den  genauen  Nachrichten  über  den  Fund  aus 
demselben  Jahre  von  Otto  Jahn  und  Abeken1)  gab  Dennis  zuerst  eine  kleine, 
für  eine  genauere  Betrachtung  unzureichende  Zeichnung  des  Sarkophages 
seinem  Abschnitte  über  Toscanella  bei2J,  endlich  hat  Secondiano  Campanari 
bereits  1839  eine  kurze  Abhandlung  mit  Abbildung  der  päbstlichen  Akade- 
mie der  Archäologie  in  dem  eilften  Bande  der  Schriften  vorgelegt,  welche 
aber  erst  im  J.  1S52  zur  Publikation  gelangte3)  und  deren  Existenz  bei  der 
Seltenheit  dieser  Schriften  in  Deutschland  und  besonders  der  Seltenheit  xler 
letzten  Theile  kaum  gekannt  ist.  Nach  dieser  Abbildung  ist  daher  unsere 
Tafel  gegeben. 

Auf  dem  Deckel  ruht  eine  männliche  Gestalt,  den  Kopf  auf  dem  lin- 
ken Arm  gestützt,  in  der  Rechten  eine  Schale  haltend.  Der  Kopf  ist  mit 
Kranz  und  anliegender  Kappe  geschmückt.  Das  Gewand  bedeckt  den  Un- 
terkörper und  ist  um  den  linken  Arm  geschlagen.  Die  Füsse  sind  mit  Schu- 
hen mit  hohen  Sohlen  versehen.  Rollenartige  Giebel  bilden  oben  und  unten 
den  Abschluss.  Die  Vorderseite  ist  eingefasst  durch  ionische  Püaster. 
Dass  dadurch  der  ganze  in  der  Mitte  dargestellte  Vorgang  in  das  Innere  des 
Hauses,  d.  h.  etwa  eines  Säulenhofes  des  Palastes  nicht  verwiesen  werde, 
ergiebt  sich  aus  der  genau  als  steinig  dargestellten  Bodenfläche  unter  den 
Gestalten.  An  beiden  Enden  begegnen  uns  die  schiessenden  Gotthei- 
ten, also  die  Urheber  des  tragischen  Untergangs  und  zwar  in  eigen thüm- 
licher  Weise,  nicht  eilend  im  Lauf,  sondern  sitzend,  Artemis  auf  einem  Sessel 
mit  gebogenen  Thierfüssen,  Apollo  zur  Rechten  auf  einem  einfachen  Felsen. 
Beide  sind  mit  grossen  Flügeln  am  Rücken  versehen,  Apollo  noch  mit  klei- 
nen Kopfflügeln.  Apollo  ist  mit  einem  kurzen  Aermelchiton  bekleidet,  über 
den  schräg  nach  der  Zeichnung  bei  Dennis  das  Köcherband  läuft,  und  Jagd- 
stiefeln ;  der  linke  Fuss  ist  ausgestreckt ,  der  rechte  bequem  angezogen ; 
seine  ganze  Gestalt  ist  jugendlich  und  in  ruhiger  Position.  Artemis,  ebenso 
jugendlich,  ist  dagegen  in  lebhafter  Weise  vorwärts  gebeugt,  gleichsam  den 
Pfeilen  folgend;  sie  ist  mit  einem  faltigen  Aermelchiton  bekleidet,  über  den 
das  über  den  linken  Arm  mit  einem  Zipfel  geworfene  Himation  in  reichen 


1)  Bullett.  d.  inst.  arch.  1839.  p.  23—28,  bes.  p.  25,  dann  p.  40.  Erwähnt  ist  das 
Werk  auch  bei  Rathgeber  Arch.  Schrift.  Th.  1.  S.  326.  Anm.  2963;  8.  408.  Anm.  4192; 
Gotth.  d.  Aioler.  Gotha  J861.  S.  366. 

2)  Cities  and  cemeteries  of  Etruria.  Vol.  I.  1S48.  p.  410. 

3)  Atti  della  pontif.  acad.  rom.  di  archeologia.  Vol.  XL  p.  171 — 152  mit  den  entspre- 
chenden Tafeln. 


200  Zweites  Kapitel. 

Falten  auf  den  Schooss  herabgesunken  ist.  Dass  die  Gottheiten  auch  sitzend 
wie  aus  einem  abgelegenen  Verstecke  ihre  Pfeile  senden,  ist  eine  Anschau- 
ung, die  uns  im  Homer  gleich  im  Anfange  der  Ilias !)  entgegentritt  an  Apollo, 
dessen  Pfeile  durch  das  Lager  der  Achäer  gehen  neun  Tage  lang.  Freilich 
liegt  die  Anschauung  darin  nicht  einer  raschen,  gleichzeitigen  Katastrophe, 
sondern  eines  andauernden  Vernichtens.  Die  Beflügelung  ist  der  etruski- 
schen,  an  orientalische  und  altgriechische  Formen  vielfach  noch  spät  sich  an- 
schliessenden, die  Götter  zu  Dämonen,  zu  geschäftigen  Dienern  und  Mittel- 
wesen umwandelnden  Kunst  überhaupt  sehr  geläufig;  die  sogenannte  per- 
sische Artemis,  die  geflügelte  Athene,  die  geflügelte  Atropos  u.  A.  sind  ja  aus 
Denkmälern  bekannt. 

Zwischen  beide  Gottheiten  sind  acht  Gestalten  geordnet,  und  zwar 
so,  dass  zwei  Gruppen  zu  zwei  mit  je  zwei  einzelnen  Figuren  abwechseln. 
Die  Gruppen  bestehen  das  eine  Mal  aus  einem  sinkenden  Niobiden  von  einem 
älteren  Bruder  unterstützt  und  gehalten,  das  andere  Mal  aus  zwei  weiblichen 
Gestalten,  ebenfalls  einer  sinkenden  Tochter  und  einer  hinter  ihr  stehenden 
frauenhaften  Gestalt,  die  sie  zu  schützen  sucht.  Die  vier  einzelnen  Figuren, 
welche  theils  zwischen  beide  Gruppen,  theils  zwischen  die  eine  Gruppe  und 
Apollo  eintreten,  bestehen  dort  in  einer  wahrscheinlich  eine  Tochter  darstel- 
lenden weiblichen  Gestalt  und  einem  bärtigen  als  Pädagog  charakterisirten 
Mann,  hier  in  einer  fliehenden  Tochter  und  einem  Sohne. 

Die  Brüdergruppe  zeigt  den  einen  Niobiden  in  lebendiger  Bewegung 
von  Artemis  wegeilend  mit  flatternder  Chlamys;  an  sein  linkes  Knie  sinkt 
ihm  der  Bruder  mit  untergeschlagenem  einen  Bein ;  mit  dem  rechten  Arm 
tastet  er  noch  nach  dem  Boden,  aber  sein  Haupt  verräth  die  sinkende  Le- 
benskraft. Der  unterstützende  Bruder  hebt  staunend  und  schmerzvoll  den 
rechten  Arm  gegen  Artemis.  Jagdstiefel  und  auch  eine  Kopfbedeckung  (ob 
ein  Helm,  wie  Campanari  meint,  wahrscheinlicher  eine  phrygische  Mütze) 
charakterisiren  ihn.  Die  zwei  folgenden  einzelnen  Figuren,  eine  Niobide 
und  der  Pädagog,  sind  beide  in  einer  von  einander  sich  abwendenden  Be- 
wegung, obgleich  sie  ihre  Gesichter  einander  zukehren.  Jene  schreitet 
der  Gruppe  der  Brüder  zu ;  hoch  hebt  sie  mit  beiden  nackten  Armen  den 
Peplos,  ihr  Gesicht  schmerzvoll  zur  Seite  und  zureük  wendend ;  der  Chiton 
mit  Diploidion  umgiebt  in  den  Falten  der  Bewegung  folgend  die  Gestalt 
bis  zu  den  Füssen.  Ich  hielt  sie  zuerst  für  Niobe  selbst.  Auffallend  ist 
aber  dann  [ihre  Stellung  ohne  irgend  eines  der  Kinder  bei  sich  zu  haben 
und  das  Motiv  des  mit  beiden  Händen  gehobenen  Peplos  lernten  wir  ge- 
rade bei  Töchtern  kennen,  jedoch  ist  ihre  Stellung  eine  sehr  markirte. 
Auch  der  körperlichen  Bildung  nach  eignet  sich  eine  folgende  Gestalt  durch 
Breite   und  Fülle   entschieden  mehr   zur  Niobe.      Von  ihr  tritt  nach   der 

1)  II.  I.  47:  $&t  intii   Kntutv&t  vtiav  fitra  (T  tbr  ?i/x*j'. 


I 


Die  Niobidenreliefs.  20  J 

andern  Seite  der  Pädagog  zurück,  im  kurzen  Chiton,  hohen  Stiefeln,  koni- 
scher Arbeitermütze,  den  Knotenstock,  der  in  der  Zeichnung  fast  einem 
türkischen  Säbel  gleicht,  in  der  Linken,  während  die  Rechte  wie  das 
Schreckliche  abweisend  hoch  gehoben  ist.  Die  ganze  Gestalt  ist  nach  ihrer 
linken  Seite  hin  mehr  zusammengebogen.  Er  naht  sich  so  unmittelbar  der 
Gruppe  der  zwei  weiblichen  Gestalten.  Während  die  zurückstehende  den 
linken  Arm  schmerzvoll  hebt,  vielleicht  auch  das  Obergewand  emporzieht, 
ist  ihr  rechter  gesenkt,  doch  ohne  die  vor  ihr  Hinsinkende  zu  berühren,  der 
auch  das  etwas  vorgebogene  rechte  Knie  sich  nähert.  Die  körperliche  Bil- 
dung mit  sehr  breiten,  vollen,  reifen  Formen,  mit  den  stark  hervorgehobenen 
Brüsten,  die  starke  Haarumwallung,  die  allerdings  sehr  mangelhaft  behan- 
delte Bekleidung,  bei  der  die  rechte  Brust  entblösst  zu  werden  scheint,  die 
Falten  sich  aber  im  Schoosse  zusammendrängen,  das  weite  Ausschreiten,  die 
Motivirung  der  Arme,  die  Wendung  des  Kopfes,  die  das  Gesicht  ganz  en  face 
zeigt,  lässt  sie  als  Niobe  selbst  und  zwar  als  Nachbildung  der  Niobe  in  der 
uns  erhaltenen  Marmorgruppe  deutlich  erkennen.  Die  zunächst  so  nahe  lie- 
gende Deutung  auf  eine  helfende  Schwester  tritt  bei  genauerer  Prüfung  vor 
diesen  Thatsachen  zurück.  Höchst  auffallend  ist  aber  nun  die  völlige  Nackt- 
heit der  vor  ihr  in  die  Kniee  gesunkenen  weiblichen  Gestalt,  die  sich  nach 
ihrer  linken  Seite  schmerzvoll  krümmt  und  der  Erde  nähert,  den  rechten  Arm, 
wie  Hülfe  suchend,  rückwärts  emporhebt.  Man  muss  sich  ihr  Gewand  als 
zu  Boden  gesunken  denken,  das  die  abkürzende  Arbeit  des  Steinmetzen  nicht 
angab.  Zu  ihr  hin  eilt  eine  nach  Apollo  angstvoll  umblickende  dritte  Toch- 
ter, die  ebenfalls  völlig  entblösst  ist,  und  das  Obergewand  mit  der  gehobe- 
nen Linken  hinter  sich  emporzieht.  Unmittelbar  von  Apollo  fort  eilt  ein 
Sohn  das  Haupt  und  den  linken  Arm  zurückgewendet,  die  Chlamys  zurück- 
geschlagen, in  der  Kechten  einen  Stab,  ein  Pedum  haltend,  mit  kurzen  Stie- 
feln, wie  der  Artemis  zunächst  gestellte  versehen.  Auffallend  ist  sein  spros- 
sender Bart. 

Die  beiden  Nebenseiten  stellen  nicht  nahe  zur  Vorderseite  bezügliche 
Gegenstände  dar :  hier  einen  Kentaur  mit  gehobenem  Stein  zwischen  zwei 
Lapithen,  dort  Achill  auf  dem  Viergespann,  die  Leiche  des  Hektor  schlei- 
fend, seine  Waffen  am  Speer  hoch  haltend.  Darüber  zeigt  sich  hier  ein  Gor- 
gonenhaupt,  dort  ein  Haupt  mit  phrygischer  Mütze,  also  ähnlich,  wie  diese 
an  den  Ecken  der  zweiten  Klasse  der  römischen  Sarkophage  sich  zeigten. 
Der  Gesammtcharakter  des  Reliefs  hat  entschieden  von  der  Breite  und  Klar- 
heit der  griechischen  Vorbilder  noch  etwas  behalten  gegenüber  der  aus  einem 
neuen  Stilgefühl  hervorgehenden  gedrängteren  römischen  Behandlungsweise. 
Ebenso  weisen  die  Motive  in  Niobe,  in  dem  Pädagogen,  in  der  einen  Gruppe 
zum  Theil  auf  die  statuarischen  Bildungen,  zum  Theil  auf  andere  Relief- 
darstellungen hin.  Dagegen  wer  wollte  in  der  völligen  Entblössung  zweier 
Töchter,  wie  sie  in  diesem  Maasse  auf  keinem  der  späteren  römischen  Reliefe 


202  Zweites  Kapitel. 

erscheint,  den  eigentümlich  ctruskischen ,  das  Sinnliche,  besonders  in  der 
Entblössung  recht  markircnden ,  am  Nackten  sich  erfreuenden  Gedanken- 
richtung verkennen?  Wer  in  den  Zuthaten  der  Tracht,  in  dem  nicht  eben 
verstandenen  Faltenwurf,  in  der  eigentümlichen  Hässlichkeit,  um  es  offen 
zu  sagen,  der  markirten  Gesichtszüge,  in  der  Haarbehandlung  die  etruski- 
sche  Barbarisirung  der  hellenischen  Gedanken  und  Formen  nicht  zugestehen  ? 
Und  endlich  so  klar  auch  und  symmetrisch  sich  die  ganze  Anordnung  dar- 
stellt, so  haben  wir  doch  nur  eine  äussere  Formensymmetrie,  keine  Ordnung 
nach  inneren  Beziehungen  gesteigerter  oder  abnehmender,  oder  widerstrei- 
tender oder  durcheinander  kunstvoll  verflochtener  Motive.  Und  darin  liegt, 
in  diesem  Mangel  an  Geist,  um  es  kurz  zu  sagen,  ein  so  tiefer  Mangel  aller 
etruskischen  Kunst. 

Interessant  ist  die  mehrfache  auf  das  Leben  in  Wald  und  Berg  bezügliche 
Ausstattung  der  Söhne  mit  Stiefeln  auf  einer  Kopfbedeckung,  die  nur  als 
xvvrj  oder  Petasus  zu  fassen  ist,  mit  dem  gebogenen  Stecken.  Sie  erinnert 
uns  entschieden  an  die  Auffassung  auf  <ler  apulischen  Vase.  Die  Zahl  sechs 
endlich,  drei  Söhne,  drei  Töchter,  stellt  sich  einfach  als  eine  Theilung  der 
homerischen  Zahl  Zwölf  dar :  doch  wäre  auch  die  Zahl  Sieben  durch  Alkman, 
wenn  wir  die  Niobe  noch  als  Niobide  fassen,  bezeugt. 

§  1». 

Uebergang8formen  zur  statuarischen  Bildung.     Terracotten  und  Werke  in  Stuoco. 

Einzeldarstellungen  auf  geschnittenen  Steinen. 

Wir  haben  es  bis  jetzt  mit  Denkmälern  zu  thun  gehabt,  in  denen  uns 
der  Niobidenmythus  in  einer  zusammenhängenden  Scene,  in  bestimmter  An- 
ordnung der  dabei  betheiligten  Gestalten  gegeben  war,  wobei  zugleich  auf 
die  gemeinsame  Lokalität  bestimmte  Erscheinungen  hinweisen  Wir  treten 
jetzt  an  eine  andere,  in  der  That  schwierigere  Aufgabe  heran,  die  einst  zu 
einer  Gcsammtcomposition  gehörigen,  aber  zerstreut,  getrennt  gefundenen 
Einzelfiguren  zu  sammeln ,  zu  vergleichen,  zu  ordnen,  diese  Compositum  erst 
wieder  herzustellen.  Diese  Aufgabe  erhält  ihre  volle  Bedeutung,  aber  auch 
ihre  grösste  Schwierigkeit  im  Bereiche  der  statuarischen  Bildungen,  der  höch- 
sten der  von  uns  zu  erfassenden  bildlichen  Darstellungsweise.  Ein  eigen- 
thümlicher  Uebergang  dazu  ist  uns  aber  gegeben  in  den  den  letzten  Jahr- 
zehnten angehörigen  Funden  von  Hautreliefs  aus  Thon  und  Stuck, 
welche  einzelne  Figuren  für  sich  getrennt  darstellen,  aber  doch  einer  gemein- 
samen tektonischen  oder  architektonischen  Grundlage  und  einem  wenn  auch 
lockeren  Bande  einer  Gesammtordnung  angehören.  Und  auf  der  anderen 
Seite  haben  wir  uns  umzusehen,  welche  Einzelfiguren  oder  kleineren  Grup- 
ken  aus  plastischen  Compositionen  herausgenommen  sind,  um  sie  im  engsten 
Bereiche  des  geschnittenen  Steines  zu  reproduciren ;   sie  werden  sich 


Uebergangsformen  zur  statuarischen  Bildung.  203 

aufbereite  bekannte  zurückführen  lassen,  oder  auf  neue  Verbindungen  hin- 
weisen. 

Zu  den  interessantesten  Gegenständen  der  so  überaus  reichen  und  man- 
nigfaltigen Gräberfunde  von  Kertsch,  dem  alten  Pantikapaeon  gehören  die 
bedeutenden  Reste  hölzerner,  reich  verzierter  Sarkophage  und  sonstiger  aus 
Buchsbaumholz  gebildeter  Gegenstände  l) .  Während  die  Verzierungen  meist 
in  Bezeichnungen,  Ausfüllungen  mit  Ambra ,  reichem  Farbenschmuck  und 
Vergoldung  bestehen,  so  wurden  IS 32  bereits  einzelne  bemalte  Relief- 
figuren aus  Gyps  bei  einem  hölzernen  Sarkophag  gefunden,  welche  als 
Fries  an  demselben  gedient  hatten.  Die  drei  davon  nur  erhaltenen  und  in 
dem  kaiserlichen  Prachtwerk  über  diese  Ausgrabungen  publicirten ,  danach 
auf  unserri  Tafeln  V.  VI.  VII  wiederholten  Denkmäler  gehören  unstreitig 
einer  Niobidencomposition  an  und  reihen  sich  also  in  der  Bestimmung  als  Sar- 
kophagschmuck zu  dienen  unmittelbar  an  die  im  vorhergehenden  Abschnitte 
betrachteten  Denkmäler.  Schon  die  Art  ihrer  Verfertigung  als  Einzelgestal- 
ten  weist  darauf  hin,  dass  wir  es  nicht  mit  einer  Reliefbildung  des  strengen 
Friesstiles  der  hohen  atttischen  Kunst,  noch  mit  den  gedrängten  Gruppen 
römischer  Arbeit  zu  thun  haben,  sondern  mit  einer  noch  lockerern,  breiteren 
Nebeneinanderstellung,  als  sie  uns  auf  dem  Relief  Campana  und  Albani  be- 
reits begegnet.  Dem  Stile  nach  tragen  sie  das  Gepräge  der  Terracotten  in 
der  breiten  Massenanlage,  in  charakteristischen  Hauptlinien ,  aber  flüchtiger 
Ausfuhrung,  jedoch  haben  sie  nichts  von  der  abgeschliffenen  Formengewandt- 
heit so  vieler  derselben,  sondern  besitzen  neben  einem  gewissen  Ungeschick 
einen  Reiz  ausdrucksvoller  Energie.  Die  Bemalung  hat  sich  in  der  rothen 
Farbe  der  Gewänder ,  in  einem  gelben  und  bläulichen  Ton  der  Köpertheile 
noch  hie  und  da  erhalten. 

Von  überraschender,  an  die  Auffassung  einer  christlichen  Pietä  unmit- 
telbar erinnernden  Motivirung  ist  die  Niobe  selbst  mit  einer  Tochter  auf  dem 
Schoosse.  Ruhig  sitzt  sie  mit  etwas  breitgestellten  Beinen,  so  dass  die  Haupt- 
last auf  der  rechten  Seite  des  Körpers  ruht.  Ein  weiter,  faltiger  Aermelchiton 
umgiebt  vom  Hals  bis  zu  den  Füssen  die  ganze  Figur,  die  letzteren  sind  mit 
Schuhen  bekleidet.  Von  besonderer  Wirkung  ist  der  nonnenartig  dicht  um 
den  Kopf  gezogene,  hinten  herabfallende  Peplos,  der  den  ernsten,  gehaltenen 
Ausdruck  des  ganz  en  face  dem  Beschauer  zugewendeten  Gesichtes  ausser- 
ordentlich steigert  und  zugleich,  indem  er  sich  nach  hinten  verbreitert  und 
erhöht,  der  ganzen  Gestalt  eine  besondere  Würde  verleiht.  Die  Tochter  ruht 
in  ihrem  rechten  Arm  und  auf  dem  rechten  Oberschenkel^  noch  gehalten  in 
ihrem  Unterkörper  von  der  mütterlichen  Liebe ;  schon  ist  aber  matt  der  Ober- 


1)  Antiquites  du  bospore  eimmerien  conserv.  au  musee  de  l'Ermitage.  2  Vols.  1S54. 
pl.  79.  80.  Sl.  Darüber  Bericht  in  Archäol.  Anz.  1856.  n.  91.  8.  234 ff. ;  Compte  rendu  de 
lacommission  archeolog.  pour  l'annee  1859.  Petersb.  1860.  p.  29  f. 


204  Zweites  Kapitel. 

körper  und  der  Kopf  tief  zurückgesunken ;  der  linke  Arm  ist  noch  wie  bit- 
tend, flehend  zum  Haupt  der  Mutter  emporgestreckt,  während  der  rechte 
nach  der  Brust,  sichtlich  nach  der  Todeswunde  greift.  Der  Chiton  bedeckt 
den  Unterkörper  bis  zu  den  Füssen  ganz,  während  er  vom  Oberkörper  herab- 
geglitten scheint;  das  Obergewand  bildet  in  bauschigen,  wie  etwas  von  Wind 
bewegten  Falten  die  Unterlage  für  ihn  auf  dem  Schoosse  der  Mutter.  Wir 
haben  hier  Niobe  nicht  mehr  in  gewaltiger  innerer  Bewegung  den  Kindern 
entgegeneilend,  zu  den  strafenden  Göttern  sich  wendend,  das  jüngste  Kind 
noch  bergen  wollend,  wir  haben  sie  sitzend ,  wie  sie  am  Schlüsse  der  Kata- 
strophe sich  niedersetzt  zu  ewigem  Schmerz,  zu  immer  rinnenden  Thränen, 
wie  sie  sitzend  am  Bergabhang  des  Sipylos  vom  ganzen  Alterthum  gedacht 
ward,  aber  auch  da  noch  unwillkürlich  fast  Liebe  erweisend  dem  letzten, 
aber  auch  schon  verlorenen  Kinde. 

Eine  zweite  Figur  (unsere  Taf.  VI)  vergegenwärtigt  einen  in  beide  Kniee 
gesunkenen  Niobiden,  nach  der  für  den  Beschauer  linken  Seite  hingewendet. 
Das  rechte  vorgeschobene  Knie  ist  schärfer  eingebogen,  zugleich  etwas  tiefer 
gesenkt,  so  dass  das  Niedersinken  in  die  Kniee  auf  einem  abschüssigen  Lo- 
kale erfolgt  ist.  Das  ganz  zurückgeworfene  Haupt,  der  hochgestreckte,  dann 
scharf  zum  Kopf  zurückgewendete  rechte  Arm,  während  der  linke  Arm  in 
die  Seite  gestützt  ist,  beurkunden  den  verzweiflungsvollen,  äussersten,  aber 
vergeblichen  Widerstand  gegen  die  Todesmacht,  die  in  einem  Geschosse  im 
Nacken  und  Rücken  ihn  bereits  ereilt  hat.  Beide  Beine,  zugleich  der  linke 
Unterarm  sind  von  dem  herabgefallenen  Gewand  in  glücklicher  Faltenbil- 
dung umwunden.  Das  Ganze  ist  von  einer  wahrhaft  ergreifenden  Wirkung. 
Wir  haben  schon  oben  unsere  Figur  mit  einem  Niobiden  des  Reliefs  Cam- 
pana und  Albani  in  nahen  Vergleich  bringen  können.  Und  doch  zeigen  sich 
auch  hier  interessante  Verschiedenheiten :  dort  ein  schwungvolles,  aber  ge- 
hemmtes Weiterstreben  die  Felsen  hinauf,  hier  ein  Niedersinken  auf  einen 
nach  vorn  abschüssigen  Boden  und  sich  zugleich  Verstricken  im  eigenen 
Gewand,  das  dort  im  Sturmwind  flattert,  hier  die  ganze  Gestalt  mehr  zusam- 
mengeschlossen, dort  eine  freiere,  noch  selbstständigere  Bewegung  der  ein- 
zelnen Extremitäten.  Unsere  Figur  steht  zugleich  näher  dadurch  dem  soge- 
nannten Narciss  in  der  florentiner  Gruppe  und  den  zwei  knieenden  Gestalten 
der  Pompejanischen  Dreinissbilder. 

Wir  kommen  zur  dritten  uns  noch  erhaltenen  Figur.  Ein  bärtiger,  älte- 
rer Mann,  voll  bekleidet,  kehrt  uns  sein  Gesicht  ganz  en  face  entgegen,  wäh- 
rend er  mit  ausschreitenden  Beinen  nach  seiner  rechten  Seite  vorwärts  sich 
bewegt.  Der  rechte  Arm  ist  zum  Kopf  zurückgewendet,  der  Zeigefinger  dem 
Munde  nahe  gebracht.  Die  linke  Hand  fasst  hingegen  ruhig  anliegend  die 
vollen  über  den  Unterarm  geworfenen  Gewandmassen  des  tief  um  die  rechte 
Seite  gezogenen  Himation  zusammen.  Ein  kurzer  Aermelchiton  darunter 
wird  von  einem  breiten  Gurt  um   die  Brust  zusammengehalten.    Das  linke 


Uebergang s formen  zur  statuarischen  Bildung.  205 

Bein  ist  in  der  lebendigen  Bewegung  des  Schreitens  und  Gewandaufnehinens 
hoch  hinauf  entblösst.  Eigen thümlieh  sind  gewisse  flügelartig  über  den 
Schultern  sich  zeigende  Ansätze.  Auf  dem  linken  Oberarm  schliessen  sie 
sich  entschieden  an  eine  stumpfe  Gewandm&sse  an,  die  vom  Himation  noch 
zu  scheiden  ist.  Unter  der  rechten  Schulter  ist  der  Ansatz  ohrartig  gebauscht 
und  innen  zottig.  An  Flügel  ist  entschieden  nicht  zu  denken,  wohl  aber  an 
jenen  zottigen  Hirtenraantel,  mit  einer  Art  Capuze  oder  Kopfbedeckung,  die 
Sisyra,  wie  wir  ihn  den  Pädagogen  der  Niobiden  auf  Reliefs  meist  tragen 
sehen,  auch  noch  über  ein  Obergewand  umgelegt  z.  B.  auf  dem  Münchner 
Sarkophag.  Er  muss  um  den  Hals  irgend  wie  befestigt  sein,  was  unsere  Zeich- 
nung allerdings  nicht  näher  andeutet,  bei  der  Stärke  des  Bartes  aber  auch  leicht 
sich  in  der  doch  immer  flüchtigen  Ausfuhrung  dem  Auge  entziehen  konnte. 
Er  ist  nach  hinten  bauschig  aufgeweht  zu  denken.  Der  Kopf  entspricht  im 
Gesammtausdruck,  im  Schnitt  der  Ilaare,  in  der  Form  des  Bartes  mit  schat- 
tendem Schnurrbart  auffallend  den  Pädagogenköpfeu  auf  den  Reliefs  und 
der  Gruppe  von  Soissons,  da  wir  den  Florentiner  Kopf  als  modern  nicht  ver- 
gleichen können,  so  sehr  er  diesem  Typus  entspricht.  So  haben  wir  allen 
Grund  in  dieser  Figur  einen  Pädagogen  der  Niobiden,  nicht  etwa  Amphion 
zu  erkennen.  Das  Motiv  der  rechten  Hand  weist  mit  der  ganzen  Haltung 
auf  ein  Innehalten  in  der  Eile,  auf  ein  Innewerden  des  einbrechenden  Un- 
glückes hin. 

Hiermit  bricht  leider  die  interessante  Reihe  dieser  Gypsfiguren  im  Ein- 
zelrelief ab.  Ueber  Anordnung  und  weitere  Figuren  ist  es  unnütz  ohne  Grund- 
lagen weitere  Yermuthungen  aufzustellen.  Dass  die  sitzende  Mutter  die 
Mitte  der  Reihe  bildete,  ist  wahrscheinlich,  doch  kann  sie  auch  an  einer 
Schmalseite  allein  angebracht  worden  sein.  Freuen  wir  uns  der  neu  bestä- 
tigten Motive  und  des  neuen  oder  ältesten,  neu  benutzten  Motivs  der  sitzen- 
den Mutter. 

In  reicherer  Zahl  ist  uns  eine  Reihe  von  Niobiden  in  Terracotta  er- 
halten, welche  ebenfalls  bestimmt  waren,  an  einem  Massenkörper,  hier  aber 
an  einem  architektonischen,  nicht  blos  tek tonischen  befestigt  zu  werden. 
Unter  den  in  den  letzten  Jalirzehnten  so  reiche  Ausbeute  an  griechischen 
und  halbgriechischen  Kunstdenkmalen  in  ihrer  Gräberwelt  gewährenden 
Städten  Apuliens ,  der  jetzigen  Basilicata  und  Terra  di  Bari  zeichnet  siöh 
Egnatia  oder  Gnathia,  das  jetzige  Fasano  durch  Schönheit  und  Leichtigkeit 
des  Stiles  und  interessante  Gegenstände  der  Darstellung  besonders  aus1). 
Unter  einem  Haufen  aus  Fasano  stammender ,  bei  dem  Antiquar  Raffaelle 
Barone  in  Neapel  befindlicher,  meist  fragmeutirter  Gegenstände  fand  Miner- 
vini  eine  Anzahl  Terracottafiguren  heraus,  die  unzweifelhaft  zusammen  und 


1)  Minervini  im  Bullettino  napolit.  1S47.  n.  77;  O.  Jahn  Vasensamml.  Kön.  Ludwigs 
p.  XXXVI ;  Moramsen  Inscriptt.  r.  Neapolit.  n.  592 — 59*>. 


206  Zweites  Kapitel. 

zu  einer  Niobideudarstellung  gehörten ;  weiteres  emsiges  Nachforschen  ergab 
später  noch  eine  kleine  weitere  Auswahl.  Minervini  hat  mit  einem  sehr  dan- 
kenswerthen  Aufsätze  die  erste  Anzahl  publicirt  und  in  einem  zweiten  Auf- 
satze den  Rest  besprochen;  auf  seinen  zuerst  ausgesprochenen  Plan  die 
gesammte  Composition  danach  zu  restauriren  und  das  Verhältniss  zu  der  Sta- 
tuengruppe näher  zu  bezeichnen,  verzichtete  er  bei  der  doch  nicht  genügen- 
den Grundlage  in  Fundberichten  und  Ueberresten1). 

Wir  haben  sechs  wohlerhaltene  Terracottafiguren  vor  uns,  ausser- 
dem sind  noch  drei  der  Hauptsache  nach  erhalten  und  von  andern  grössere 
Fragmente.  Die  Figuren  in  Hautreliefs  sind  mit  Basen  und  einem  Hin- 
tergrund in  den  unteren  Theilen  versehen,  während  die  Contouren  des  Ober- 
körpers und  Kopfes  völlig  frei  heraustreten.  Interessant  ist  es,  dass  die  Ba- 
sen und  die  Hinterfläche  entschieden  eine  wenn  auch  weite  Krümmung  bil- 
den. Es  ergiebt  sich  daraus  mit  Bestimmtheit,  dass  die  Figuren  an  einem 
cylindrischen  Körper  angebracht  waren  und  zwar  an  der  Aussen-  nicht  etwa 
der  Hohlseite.  Für  die  Befestigung  sind  in  den  Basen  Löcher  noch  wohl  erhal- 
ten. Wir  können  entweder  daran  denken,  dass  in  einem  grosfeen  umfang- 
reichen Grabe,  denn  es  handelt  sich  hier  durchaus  um  Gräberfunde,  eine 
cylindrische  die  Mitte  bildende  Mauermasse  die  Unterlage  bildete,  oder  dass 
an  der  Aussenseite  eines  cylindrischen  Grabpyrgos  die  Reliefreihe  sich  hinzog. 
Im  Ganzen  wird  der  Stoff  der  Terracotta2;  wenigstens  in  der  jüngeren  und 
doch  wesentlich  griechischen  Kunstperiode  mehr  für  Anwendung  der  innern 
Grabdekoration  als  der  des  als  Hieron  nach  Aussen  sichtbar  sich  erhebenden 
Grabgebäudes  sprechen,  obgleich  wir  dagegen  die  in  Italien  so  allgemein 
und  lange  herrschende  Dekoration  der  Tempel  und  ähnlichen  Gebäude  mit 
Thonbildungen  auch  in  Anschlag  zu  bringen  haben.  Der  Stil  der  Figuren 
ist  flüchtig  gewandt,  aber  etwas  stumpf ;  in  der  Gewandbehandlung  erreicht 
keine  die  Gypstiguren  von  Kertsch.  Man  sieht,  ein  geschickter,  rasch  arbei- 
tender Techniker  hat  nach  bedeutenden  Vorbildern  die  Modelle  zu  diesen 
gemacht.    Farbenreste  sind  auch  hier,  vorzugsweise  das  Weiss  erhalten. 

Fünf  Söhne,  drei  Töchter  und  Artemis  sind  uns  wesentlich  erhalten. 
Davon  ist  ein  Sohn  für  den  Beschauer  rechts  gewandt,  vier  links,  von  den 
Töchtern  zwei  rechts,  eine  links,  Ariemis  ist  rechts  gewandt.  Wir  sehen 
daraus,  dass  von  einem  Mittelpunkt  aus  rechts  und  links  Söhne  und  Töchter 
geordnet  waren,  nicht  etwa  hier  nur  Söhne,  dort  nur  Töchter.  Ebenso  können 


1)  Bullett.  Napolit.  1S47.  N.  77.  p.  49ff.;  N.  S4.  p.lu5ff.  Die  voreilige  Notiz  von 
Lersch  in  Bull.  Inst.  Archeol.  1847,  p.  126.  Unsere  Tafel  VIII.  1— ti  ist  reproducirt  nach 
der  den  ersten  Aufsatz  Minervini' s  begleitenden. 

2)  Der  Thon  ein  dem  Dionysos  und  den  chthomischen  Gottheiten  speci  fisch  geheilig- 
ter Stoff  vgl.  Bachofen  Gräbersymbolik  der  Alten.  S.  50 ff.;  Mutterrecht  8.  157.  422; 
Gerhard  Orpheus  und  die  Orphiker  S.  3S.  93.  Not.  2S5. 


Uebergangsfoimen  zur  statuarischen  Bildung.  207 

wir  mit  Bestimmtheit  gegenüber  Artemis  einen  links  gewandten  Apollon  er- 
warten. Die  Bewegung  der  Köpfe,  die  Richtung  der  Augen  zeigt,  dass  das 
drohende  Verderben,  zum  Theil  wenigstens  als  schräg  von  oben  kommend 
gedacht  ward. 

Die  Söhne  sind  alle  in  wesentlich  gleichem  Alter  gebildet,  mit  kurzem, 
rund  geschnittenem  Haar,  unbekleidet  bis  auf  die  in  der  Hand  gehaltene, 
oder  über  die  Schulter  flatternde  Chlamys.  Auch  bei  dem  sehr  fragmentirten 
fünften  Sohne  weist  eine  Unebenheit  auf  dem  einen  Schulterblatt  auf  das  Vor- 
handensein einer  Chlamys  hin;  Jagdstiefel,  hochhinaufgehend  mit  hängenden 
Zacken  werden  von  zweien  getragen,  Jagdspeere  werden  der  Motivirung  nach 
bei  zweien  in  der  Hand  vorausgesetzt.  Alle  sind  in  Bewegung,  weit  ausschrei- 
tend,  um  vor  der  drohenden  Gefahr  zu  fliehen,  keiner  ist  verwundet.  Drei 
sind  von  ihrer  Hückeuseite  sichtbar,  ausschreitend  nach  entgegengesetzten 
Seiten.  Der  eine  (Taf.  VIII.  3)  hebt  beide  Arme  entsetzt  in  die  Höhe,  indem 
er  zurück  und  aufwärts  den  Blick  gerichtet  hält.  Eine  ähnliche  Motivirung 
wird  uns  von  den  andern  berichtet ,  deren  einem  aber  der  Kopf  und  rechte 
Arm,  ein  Theil  des  linken  sowie  des  linken  Beines  fehlt.  Die  zwei  von  vom 
gesehenen  Söhne  blicken  der  Gefahr  mehr  gerad  entgegen,  die  um  die  linke 
Hand  gewickelte  Chlamys  dient  ihnen  wie  eine  Art  Schutz,  der  eine  hält  den 
rechten  Arm  hoch  gehoben,  wie  um  mit  dem  Jagdspeer  sich  zu  vertheidigen, 
der  andere  hat  die  rechte  Hand  der  Brust  nahe  gebracht.  Von  den  zwei  zur 
Siebenzahl  noch  fehlenden  Söhnen  fanden  sich  noch  Fragmente  vor,  ein  Arm 
mit  Chlamys,  eine  Brust  mit  Chlamys,  ein  Bein  auf  einer  Basis,  ein  gestie- 
felter Fuss. 

Die  drei  uns  ganz  erhaltenen  Töchter  (Taf.  VIII.  4,  5,  6)  unterscheiden 
sich  durch  ihre  Motivirung  unter  einander  auf  das  Wesentlichste  und  bieten 
zugleich  Neues  oder  wichtig  Bestätigendes  für  Niobidendarstellungen  über- 
haupt. Eine  Abstufung  vom  Stehen  zum  sich  Beugen,  zum  Niederknieen 
tritt  in  ihnen  unmittelbar  zu  Tage.  Auch  bei  ihnen  ist  von  einer  Verwun- 
dung nichts  zu  sehen.  Mit  übergesetztem  linken  Bein  steht  die  eine  (Taf. 
VIII.  6)  in  Sturmeswehen  wie  einen  Augenblick  stille  haltend ,  das  Gewal- 
tige über  sich  ergehen  lassend.  Das  Hauptgewand  ist  ganz  vom  Oberkörper 
herabgesunken  und  hält  sich,  die  unteren  Theile  faltig  umkleidend  in  einem 
Wulst  um  die  Weichen.  Um  den  gesenkten  linken  Arm  spielt  einer  der 
Zipfel  des  shawlaftigen  Ueberwurfs,  des  Ampecbonion,  den  wir  auf  den  Sar- 
kophagreliefs besonders  in  so  wirkungsvoller  Anwendung  an  den  Niobiden- 
töchtern  kennen  lernten,  während  die  rechte  gehobene  Hand,  in  der  wir  un- 
ter anderen  Umständen  vielleicht  einen  Spiegel  suchen  könnten,  hier  offen- 
bar den  andern  Zipfel  desselben  segelartig  das  Haupt  umgebenden  Ueber- 
wurfes  gefaxt  hält.  Ein  schöner  jugendlicher  Körper  hebt  hier  sich  aus  die- 
sen Gewandumgränzungen  auf  das  Wirkungsvollste  heraus ;  noch  ganz  un- 
verletzt, aber  wehrlos,  während  in  dem  etwas  geneigten  auch  in  dem  Haar- 


208  Zweites  Kapitel. 

putz  mädchenhaften  Kopf  die  schwere  Bangigkeit  des  nahen  Unterganges 
ausgeprägt  ist.  Auch  hier  haben  wir  ein  lebendiges  Beispiel,  wie  dasselbe 
Motiv  in  feiner  Nuancirung  der  Grundstimmung  scheinbar  sehr  heterogenen 
mythologischen  Charakteren  und  Zuständen  dient.  Ohne  das.  Haupt  konnten 
wir  wohl  an  eine  graciöse  Tänzerin  denken.  Aber  ist  es  nicht  die  Schönheit 
der  Kinder,  das  volle  Glück  in  Spiel  und  Reigen,  das  in  der  Niobesage  den 
Untergang  in  sich  trägt,  zum  Todesreigen  sich  umwandelt? 

Die  zweite  Tochter  (Taf.  VIII.  4)  flieht  in  zitternder  Eile  nach  ihrer 
linken  Seite.  Weit  ist  der  linke  Fuss  gesetzt,  während  der  rechte  kaum  sich 
rasch  genug  nachziehen  kann.  Der  seitwärts  gebeugte  Körper,  die  nach  der- 
selben Seite  gewendeten  Arme,  die  eine  Hand  wie  die  Brust  deckend,  die 
andere  wie  nach  vornhin  greifend,  das  mehr  zurückgewandte,  besonders  edel 
gebildete  Haupt  mit  wohlgeordnetem,  aufgebundenem  Haar,  in  allen  diesen 
Motiven  ist  eine  Vereinigung  von  vorwärtsstrebender  Eile,  von  ängstlichem 
sich  Beugen  unter  die  Gefahr,  von  Rückblicken  auf  dieselbe  gegeben.  In 
geschwungenen  Falten  folgt  der  lange  Chiton  mit  Diploidion  der  Bewegung, 
aber  der  eine  Flügel  desselben  ist  von  der  rechten  Schulter  ganz  herabgesun- 
ken und  auch  der  andere  ist  im  Begriff  sich  zu  lösen,  so  dass  der  Oberkörper 
bis  zum  Brustgürtel  dadurch  ganz  entblösst  wird.  Die  Figur  hat  für  uns 
ein  besonderes  Interesse,  weil  ihre  Motivirung  mit  der  einer  Reihe  Psyche- 
statuen wesentlich  übereinstimmt  und  wir  weiter  unten  über  die  Anerkennung 
derselben  als  Glied  der  Niobegruppe  uns  auszusprechen  haben. 

Die  dritte  Tochter  (Taf.  VIII.  5)  ist  niedergekniet  und  am  Boden  zu 
einem  offenen,  rundlichen  Gefäss  in  Beziehung  gesetzt.  Auch  in  ihr  ist  eine 
Gesammtbewegung  vorwärts,  ein  Fluchtstreben  unverkennbar.  Das  scharf- 
gebogene linke  Knie,  der  fest  aufgesetzte  linke  Fuss,  wrährend  das  rechte 
Unterbein  ganz  am  Boden  flach  aufruht,  der  auf  eine  Art  niedriger  Steinlehne 
aufruhende,  gesenkte  linke  Arm,  während  der  rechte  ebenfalls  in  gleicher 
Richtung  nach  vorn  abwärts  bewegt  ist,  der  gerad  gerichtete,  mehr  der  gan- 
zen Bewegung  folgende  Kopf  weist  nicht  etwa  auf  ein  Niedersinken,  Stol- 
pern oder  dgl.  hin,  sondern  auf  eine  frühere  Beschäftigung  unmittelbar  am 
Erdboden  mit  jenem  Gefäss,  auf  ein  Erschrecktwerden,  zur  Seite  sich  Hin- 
beugen und  auf  den  schliesslichen  Moment  des  rasch  sich  Erhebens  und  Flie- 
hens  hin.  Der  dünnfaltige  ärmellose  Chiton  ist  am  Unterkörper  umbauscht  von 
dem  auf  die  Kniee  herabgesunkenen  Himation.  Die  Arme  sind  auch  hier  wie 
bei  den  zwei  andern  völlig  entblösst.  Auch  auf  eines  mache  ich  als  bei  allen 
drei  beachtenswerth  aufmerksam,  auf  die  Schuhbekleidung.  Man  hat  bei 
diesem  Gefäss  an  Opfergaben  gedacht ;  dem  widerspricht  wie  die  Form  des- 
selben, so  die  ganze  Situation.  Eine  Cista  für  weibliche  Arbeiten  schien  dann 
das  Richtige,  auch  dies  muss  ich  entschieden  zurückweisen ;  die  Wollkörbe, 
wie  wir  sie  ja  vielfach,  z.  B.  neben  oder  unter  dem  Sitze  der  Penelope  ken- 
nen, haben  die  bestimmte  Form  des  Kalathos  und  so  wenig  wie  die  Söhne 


Uebergangsformen  zur  statuarischen  Bildung.  209 

im  Jagdcostüm,  sind  die  mit  ihnen  auf  beiden  Seiten  geordneten  fliehenden 
Töchter  als  bei  Arbeiten  befindlich  im  Hause  hier  aufgefasst.  Die  einfache, 
ja  kindlichrohe  Form  jenes  Behälters  weist  uns  ins  Freie  zum  Suchen  von 
Blüthen  und  Früchten  der  Erde.  Die  grosse  Uebereinstimmung  der  Motivi- 
rung  der  ganzen  Figur  mit  der  blumenlesenden  Koia  oder  einer  ihrer  Ge- 
spielinnen in  dem  Moment  der  Ueberraschung  durch  Hades  liegt  unmit- 
telbar nahe1).  Ob  hier  in  der  That  ein  tieferer  Zusammenhang  zwischen 
den  Sagenkreisen  der  Niobe  und  der  Demeter  mit  Persephone  waltet,  wird 
unten  näher  zu  erörtern  sein.  Erinnern  will  ich  dabei  nur  daran,  dass  auf 
jenem  Vasenbilde  von  Ruvo,  dieser  Nachbarstadt  des  Fundortes  Gnathia  wir 
auch  die  Niobiden  im  Freien,  unter  Grün  der  Bäume  und  auf  grasbewach- 
senem Boden  fanden,  dort  mit  Gefässen  zum  Wasserschöpfen.  Aber  mög- 
licherweise könnte  diese  Figur  gar  nicht  mehr  zu  den  Niobiden,  sondern  eben 
zu  einer  Koradarstellung  gehören. 

Von  vier  anderen  jugendlich  weiblichen  Figuren  fanden  sich  wesentlich 
nur  noch  die  Köpfe  vor,  einer,  der  kleinste,  bestimmt  von  hinten  gesehen  zu 
werden.  Auch  der  Kopf  der  Mutter  in  grossen  Formen,  mit  auf  die  Schulter 
wallendem  Haar  und  schmerzvollem  Ausdrucke  fand  sich  noch. 

Leider  hat  uns  Minervini  die  Figur  der  sehr  fragmentirten  Artemis 
nicht  in  Abbildung  mitgetheilt,  welche  unser  ganz  besonderes  Interesse  er- 
regt. Es  fehlt  der  Kopf,  der  rechte  Ann,  die  linke  Hand,  ein  Theil  des  lin- 
ken Beines  mit  Fuss.  Die  Göttin  erscheint  rechts  gewandt,  in  kurzem  Chi- 
ton und  einem  über  der  Brust  zusammengebundenen  Himation,  wie  wir  das 
an  ihren  Darstellungen  als  Jägerin,  z.  B.  der  Diana  von  Versailles  kennen; 
ihre  Füsse  sind  mit  Schuhen  bekleidet.  Den  linken  Fuss  hat  sie  stark  ge- 
hoben, nicht  unwahrscheinlich  ihn  auf  das  Brett  des  Wagens  setzend,  wie 
sie  dies  auf  dem  Fries  von  Phigalia2)  thut,  nur  schiesst  sie  dann  entschieden 
nicht  zugleich,  sondern  überlässt  dies  dem  daneben  auf  dem  Wagen  stehen- 
den Apollo.  Von  einem  Wagen  selbst  ist  nichts  erhalten,  wohl  aber  von 
einem  Hirsch,  der  mir  schwerlich  als  blosses  Symbol  Artemis  zur  Seite  an- 
gebracht scheint,  sondern  welcher  in  der  That  selbst,  wie  auf  demselben  Fries 
von  Phigalia  den  Wagen  zieht. 

Wir  erhalten  noch  Kunde  von  fünf  mit  den  eben  betrachteten  Terracot- 
ten  an  demselben  Orte  gefundenen,  gleichen  Stil  zeigenden  Figuren,  die  wir 
in  die  Niobidendarstellungen  nicht  mehr  einreihen  können,  die  mir  aber  zu 
einem  Raub  der  Persephone  zu  stimmen  scheinen :  dafür  spricht  besonders 
ein  sich  stark  erhebender  Schlangenkörper  mit  geflügeltem  Haupt,  wie  er 
zum  Wagen  der  Demeter  ganz  passt.  Und  auch  die  zwei  weiblichen  Körper- 
fragmente,  mit  kurz  um  die  Lende  geschürzter  Tunica,  mit  Schlangenresten 


1)  Vgl.  den  Sarkophag  von  Mazzara  in  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  II.  t.  IX.  102. 

2)  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  I.  Taf.  XXVIII.  123  b. 

8tark,  Niobe.  14 


210  Zweites  Kapitel. 

bei  dem  Schulterblatt  des  einen  würden  zu  Angehörigen  des  Hades,  zu  He- 
kate  und  Erinyen  passen.  Es  wäre  doppelt  interessant,  nach  dem  oben  Ange- 
deuteten, wenn  die  Beziehung  einer  Niobidendarstellung  und  eines  Kora- 
raubes  zu  einander  nach  örtlicher  Einheit  oder  Gegenüberstellung,  nach 
Grösse  und  Stil  in  einem  Grabmonument  von  Gnathia  thatsächlich  noch 
nachgewiesen  werden  könnte. 

Welcker  bezieht  in  einer  kurzen  Notiz  zu  Müllers  Handbuch  der  Archäo- 
logie1) eine  Tcrracottafigur  aus  einem  athenischen  Grabe,  welcheSta- 
kelberg2)  herausgegeben,  auf  Niobe  im  Augenblick  ihres  Todes.  Diese  nicht 
bemalte,  in  der  That  bedeutsame  Figur  ist  kauernd  auf  der  rechten  Ferse 
dargestellt,  wie  sie  sich  mit  scharfgebogenem  linken  Knie  zum  Boden  eben 
niedergelassen  hat;  ihre  rechte  gesenkte  Hand  berührt  eben  den  Boden, 
während  der  linke  Arm,  vom  Gewand  mit  umfasst  auf  dem  linken  Oberschen- 
kel ruht.  Der  ernste,  mit  grossen  und  edeln  Zügen  gebildete  Kopf  wendet 
sich  etwas  zur  Seite,  er  ist  mit  einem  strahlenartig  auftretenden  Kranz  von 
Blättern  eines  Zwiebelgewächses,  einer  Lilienart,  oder  einer  Orchidee  ge- 
schmückt; die  Haare  sind  hinten  aufgenommen.  Das  Gewand  ist  schräg 
vom  Oberkörper  herabgefallen  und  lässt  den  rechten  Arm  und  die  rechte  Seite 
des  Oberkörpers  ganz  entblösst,  schlägt  sich  in  grossen  Falten  um  Knie  und 
Schooss.  Eine  ganz  ähnliche,  ebenfalls  nicht  bemalte,  mehr  verstümmelte 
Terracotte  ist  in  die  Heidelberger  archäologische  Sammlung  mit  einer  Anzahl 
von  einem  Herrn  Abresch  in  Attika  gesammelter  Terracotten  und  kleinerer 
Gefässe  gekommen,  ganz  dieselbe  volle  weibliche  Figur,  kauernd  auf  dem 
etwas  über  den  Boden  noch  gehobenen  rechten  Beine,  dieselbe  Bewegung 
der  verstümmelten  Arme,  dieselbe  Entblössung,  nur  dass  unter  dem  Hima- 
tion  doch  noch  ein  Chiton  einen  Theil  des  Oberkörpers  verdeckt.  Die  Deu- 
tung auf  Niobe  ist  sichtlich  durch  jenes  berühmte  Wort  des  Dramas :  SQX°Mat 
%l  ft  aveig;  hervorgerufen;  jedoch  ist,  wenn  wir  auch  das  Schlagen  der  Erde 
dabei  mit  zugeben,  dieser  Zug  ein  sonst  im  Mythus  weiter  gar  nicht  erwähn- 
ter, ja  von  der  herrschenden  Auflassung,  vom  lebendig  Versteinertwerden 
ganz  abweichender.  Mit  demselben  Rechte  könnten  wir  auch  an  Hera  den- 
ken, die  im  homerischen  Hymnus  an  den  delphischen  Apollo  die  Erde  schlägt 
mit  flacher  Hand  und  so  den  Typhaon  empfängt*).  Ja  noch  genauer  schil- 
dert uns  Homer  dieselbe  Situation  {TrQOfYv  xa&etofurrj,  das  Benetzen  des 
xolnog  durch  Thränen,  das  Schlagen  der  Erde)  bei  Althaea,  der  Mutter  des 
Meleager4).  So  kauern  überhaupt  Trauernde,  so  rufen  sie  die  Unterirdischen 
an.    Dazu  kommt,  dass  weder  die  Bekränzung,  noch  die  Haarbildung,  noch 


1)  §417,  2.  S.  721. 

2)  Gräber  der  Hellenen.  Taf.  64. 

3)  Hom.  hymn.  in  Apollin.  333  ff. 

4)  Hom.  IL  IX.  56S. 


Uebergangsformen  zur  statuarischen  Bildung.  211 

die  starke  Entblö'ssung  irgend  Niobe  entspricht.  Wir  haben  entschieden  eine 
auch  in  der  Cultussitte  Attikas  sich  wiederholende  Situation,  die  dem  Be- 
reiche der  eleusinischen  Gottheiten  angehört,  ein  Kauern  der  Trauernden  und 
Aufrufen  der  Todten.  Demeter  selbst  soll  in  Megara  auf  den  Stein  *Ava*Xrj- 
&qcc  die  Tochter  suchend  aufgerufen  haben  und  die  megarensischen  Frauen 
thaten  dasselbe  alljährlich1).  Auch  die  Blätter  der  Bekränzung  weisen  auf 
den  chthonischen  Charakter  hin. 

Uebrigens  glauben  wir  allerdings,  dass  unter  den  zahlreichen  Terracot- 
tenfragmenten  manches  Köpfchen,  manche  gewandflatternde  eilende  Gestalt 
einer  Niobetochter  noch  zu  finden  sein  wird. 

Indem Avir  uns  nun  zu  den  geschnittenen  Steinen  wenden,  um  in 
ihnen  einzelne  Theile  einer  grösseren  plastischen  Composition  des  Reliefe  wie 
der  Statuen,  kleinen  Gruppen,  Einzelgestalten  oder  auch  nur  Köpfe  von  Nio- 
biden  aufzusuchen,  müssen  wir  vorausschicken ,  dass  die  Zahl  der  mit  Sicher- 
heit hierhergehörigen  Denkmäler  bis  jetzt  wenigstens  eine  sehr  kleine  ist. 
Es  lässt  sich  ja  überhaupt  nicht  verkennen,  dass  gewisse  mythologische  Kreise 
in  dieser  speciell  in  hellenistischer  und  römischer  Zeit  blühenden  Kunst  vor- 
zugsweise vertreten  sind,  wie  der  des  Herakles,  Dionysos,  der  Aphrodite,  der 
Musen,  dann  unter  den  heroischen  Sagen  speciell  die  zum  trojanischen  Kriege 
gehörigen  beliebt  waren. 

Von  Niobidengruppen  haben  wir  oben  in  unserer  Behandlung  des  Re. 
liefs  Campana  —  wir  hoffen  in  einleuchtender  Weise  —  die  herrliche  Dar- 
stellung des  in  die  Arme  der  älteren  Schwester  sinkenden  Bruders  auf  einem 
geschnittenen  Steine  zuerst  nachgewiesen2).  Eine  zweite,  eine  andere  Ver- 
sion gleichsam  davon  bildende  Situation  ist  schon  länger  durch  die  Impronte 
gemmarie  des  archäologischen  Instituts3)  bekannt  gemacht  und  von  Otfried 
Müller  für  Verbindung  zweier  Statuen  der  medieeischen  Gruppe  benutzt 
worden4).  Die  Zeichnung  hat  etwas  Trockenes,  absichtlich  Archaistisches 
und  kann  in  dieser  Beziehung  sich  mit  dem  erstgenannten  Stein  und  mit  den 
grösseren  Originalwerken  selbst  durchaus  nicht  messen.  In  geschnittenen 
Steinen  ist  diese  scheinbar  strengere  Form  durchaus  nicht  immer  Beweis  für 
eine  frühe  Entstehung  oder  für  ein  sehr  frühes  Vorbild ,  sondern  ist  eine  be- 
stimmte, in  diesem  Material  und  dieser  Denkmälerform  beliebte  Behandlungs- 
weise  auch  noch  späterer  Zeit.  Wir  sehen  eine  ältere  Frauengestalt  vor  uns, 
welche  beschäftigt  ist,  einen  vor  und  neben  ihr  auf  ein  Knie  gesunkenen 
Niobiden,  der  aber  das  Knabenalter  überschritten  hat,  zu  stützen  und  zu 
schützen.    Sein  rechtes  Knie  ruht  auf  einem  Steine,   so  dass  dadurch  doch 


1)  Paus.  I.  43.   Stakelberg  denkt  mit  Hecht  schon  daran. 

2)  Taf.  III.  2.  S,  168.  169. 

3)  Cent.  I.  n.  74.  Bullett.  1830.  p.  108. 

4)  D.  A.  K.  I.  t.  XXXIV.  D. 

14 


212  Zweites  Kapitel. 

ein  grösseres  Gleichmass  in  der  Bewegung  beider  Körperseiten  ermöglicht 
wird.  Während  der  linke  Arm  mit  krampfhaft  geballter  Faust  als  auf  einer 
Stütze  auf  dem  linken  Knie  ruht,  ist  der  rechte  Arm  mit  weitgeöfrheter  In- 
nenseite der  Hand,  weheklagend,  schmerzvoll  gehoben.  Die  noch  auf  der 
rechten  Seite  des  Halses  befestigte  Chlamys  fallt  über  den  linken  Arm  ge- 
ordnet herab.  Der  Kopf  mit  kurzem,  gewelltem  Haar  ist  etwas  rechts  und 
aufwärts  gewendet.  Die  Frauengestalt,  deren  ganze  Erscheinung  als  eine 
ältere,  verblühte  sich  kund  giebt,  in  einem  eng  gefalteten,  mit  breitem  Gürtel 
gegürteten,  kurzärmeligen  Chiton,  hält  mit  der  Linken  den  einen  Zipfel  des 
Himation  schützend  etwas  weniger  als  wagrecht  hinter  den  Kopf  des  Knieen- 
den, während  dasselbe  den  Rücken  herabfallend  über  das  vorgeschobene  rechte 
Bein  geschlagen  ist  und  in  einem  Wulst  gleichsam  die  Spuren  der  eben  das- 
selbe zusammenfassenden  rechten  Hand  noch  zeigt.  Diese  hat  bereits  sich 
tiefer  gesenkt,  um  den  Schützling  unter  der  rechten  Achsel  zu  fassen.  Das 
um  die  Stirn  in  Löckchen  gelegte  Haar  ist  durch  ein  Band  doppelt  und  dann 
durch  eine  Haube  mit  hängenden  Bändern  gehalten.  Die  ganze  Haltung 
des  Oberkörpers  ist  etwas  vorgebeugt,  sowie  auch  das  Motiv  des  rechten  Bei- 
nes sichtlich  Halt  dem  Sinkenden  gewähren  will.  Das  Auge  ist  aber  nicht 
auf  denselben,  sondern  wie  in  eine  Art  Erstarrung  darüber  hinaus  gerichtet. 
Eine  unbefangene  Betrachtung  kann  in  ihr  unmöglich  eine  gleichfalls  jugend- 
liche, durch  Schönheit  geadelte,  auch  bedrohte  Schwester  erkennen ,  wohl 
aber  eine  hülfreiche,  ältere  Wärterin  bei  einem  sinkenden  Pflegling.  Am 
ähnlichsten  ist  die  Motivirung  der  Niobe  mit  der  Tochter  auf  dem  Pamfili- 
schen  Wandgemälde  ;  in  Beziehung  auf  sie  haben  wir  weiter  unten  ein  Glied 
der  Niobidengruppe  zu  betrachten. 

Noch  eine  dritte  Gruppe  würden  wir  besitzen  und  zwar  von  zwei  Brü- 
dern, deren  einer  die  Leiche  des  andern,  bereits  vom  Todespfeil  Getroffenen 
eben  auf  die  Schulter  sich  zu  laden  und  daher  die  letzte  genossenschaftliche 
Pflicht  zu  erfüllen  im  Begriffe  steht,  wenn  die  von  Tölken  einer  grünen  an- 
tiken Paste  in  der  Berliner  Sammlung  gegebene  Deutung  die  richtige  wäre f) . 
Ich  habe  das  Original  eingesehen  und  mir  liegt  ein  Gypsabguss  davon  vor, 
ich  kann  mich  aber  dieser  Deutung  nicht  anschliessen.  Die  Darstellung  ge- 
hört zu  jener  Reihe,  die  man  mit  dem  allgemeinen  Namen  Pietas  militaris  zu 
bezeichnen  pflegt  und  in  welcher  man  nach  den  Modifikationen  «inen  Aias 
oder  Odysseus  mit  der  Leiche  des  Achill  oder  Menelaos  mit  der  des  Patroklos 
zu  sehen  veranlasst  wird.  Immer  ist  es  eine  vom  Boden,  auf  dem  sie  gekniet, 
mit  dem  einen  linken  Bein  angestrengt  sich  erhebende  männliche  Gestalt,  die 
mit  starkem  linken  Arm  den  hängenden,  in  seiner  Muskelthätigkeit  erschlaff- 
ten oder  eben  erschlaffenden  Körper  eines  Genossen  umfasst  hat  und  über  der 


I)  Tölken  Verzeichn.  d.  geschnitt.  Steine  d.  K.  Pr.  Gemmensamxnlung.  1835.  S.  258. 
IV.  I.  n.7. 


Uebergangsformen  zur  statuarischen  Bildung.  213 

linken  Schulter  trägt,  so  dass  der  Kopf  tief  nach  hinten  herabhängt.  Der 
rechte  Arm  ist  gesenkt  und  auswärts  gebogen,  dadurch  mit  dem  linken  Arm 
correspondirend  und  die  Ilebelkraft  des  Körpers  steigernd.  Da  haben  wir 
nun  Darstellungen,  wo  der  Tragende  ein  bärtiger,  älterer  Mann  ist  mit  Helm 
und  Schwert,  während  der  Getragene  noch  einen  Schild  hat,  da  ist  es  aber 
auch  ein  ganz  nackter  Jüngling,  nur  mit  kurzem  Schwert  in  der  Rechten, 
der  den  jugendlichen  Genossen  trägt !) .  Diese  letztere  Darstellung  ist  ganz 
die  unsere,  nur  dass  hier  noch  Schwert  und  Schild  weggefallen  sind  und  wir 
also  nur  in  einfachster  Darstellung  jene  acht  hellenische  Hülfleistung  der 
Freunde  im  Kriege  sehen.  Gegen  die  Bezeichnung  als  Niobiden  spricht 
aber  entschieden  schon  der  gänzliche  Mangel  einer  Gewandbekleidung,  der 
wir  durchaus  bis  jetzt  begegnet  sind  und  auch  begegnen  werden  und  dann 
zweitens  die  Handlung  selbst.  Es  handelt  sich  nicht  um  die  Hülfleistungen  an 
einem  Niedersinkenden  von  einem,  dem  in  demselben  Augenblick  ein  gleiches 
Geschick  bevorsteht  und  auch  erreicht,  es  handelt  sich  um  ein  Wegtragen 
aus  Feindes  Hereich  zu  nachheriger  Bestattung ;  es  ist  durchaus  keine  An- 
deutung da,  dass  der  Tragende  eine  Gefahr  und  zwar  von  Oben  kommende 
Gefahr  für  sich  zunächst  erwarte.  Aber  wie  dieses  nicht  mit  der  ganzen  künst- 
lerischen Auffassung  des  Niobidenunterganges  stimmt,  so  auch  nicht  diese 
Fürsorge  noch  für  den  Leichnam  und  dessen  Bestattung,  die  ja  der  Sage  nach 
gerade  so  lange  nicht  stattfindet. 

Mit  noch  grösserer  Entschiedenheit  müssen  wir  die  Bezeichnung  einer 
Einzelgestalt  auf  einem  geschnittenen  Sardonyx  mit  fünf  Lagen  aus  derselben 
Sammlung  als  Niobiden  zurückweisen  2) .  Eine  Jüngliugsgestalt,  vollständig 
nackt  steht  fest  auf  dem  rechten  Bein,  das  linke  leicht  gebogen,  gleichsam 
nach  sich  ziehend.  Der  rechte  Arm  ist  zu  dem  etwas  links  und  aufwärts  ge- 
richteten Haupt  hinaufgebogen,  während  der  linke  Arm  mit  Parazonium  zur 
Seite  gesenkt  ist.  Es  ist  eine  Art  Paradestellung  in  Erwartung  eines  kom- 
menden Angriffes.  Weder  das  Schwert,  noch  die  völlige  Nacktheit,  noch  die 
Stellung  selbst  lassen  auf  einen  Niobiden  schliessen. 

Dagegen  glauben  wir  nicht  zu  irren,  wenn  wir  in  einem  trefflichen 
Fragment  eines  Kunstwerkes  in  Chalcedon,  wie  es  scheint,  eines 
rundlichen  Gefässes,  welches  in  der  Wiener  Sammlung  sich  befindet,  eine 
Tochter  der  Niobe  erkennen8;.    Welcher  Schwung  der  Bewegung,  welcher 


1)  Leon.  August,  gemmae  et  sculpt.  depietae  ed.  Oronov.  Ed.  II.  P.  II.  t.  26;  Mus. 
Florent.  II.  t.  26.  n.  3 ;  Raponi  recueil  des  pierres  gravees.  Tav.  27.  n.  9 ;  tav.  68.  n.  8 ; 
Lippert.  Daktylioth.  Zweite  Aufl.  n.  158.  167.  168;  Chahouillet  catalogue  generol  des 
camees  et  pieres  gravees  de  la  biblioth.  imp6r.  Paris,  p.  24 1.  n.  1816«  1818 ;  p.  246.  n.  1835. 

2)  Tölken  a.  a.  O.  n.  7. 

3}  Jos.  Arneth  ant.  Cameen  des  K.  K.  Münz-  und  Antikenkabinets  in  Wien.  1849. 
Taf.  XVII.  8.  Höhe  l"  2%"',  Br.  2"  6%'".  Die  Dicke  der  Masse  nach  den  grössten  Di- 
mensionen. 


214  Zweites  Kapitel. 

Seelenschmerz,  welcher  Adel  ist  in  dieser  jugendlichen,  reich  bekleideten, 
nach  rechts  hin  eilenden  Gestalt  ausgeprägt !  Ein  bis  auf  die  beschuhten  Füssc 
herabreichender  Chiton  mit  Diploidion,  aber  ohne  Aermel  wird  grossentheils 
von  dem  Hiination  verdeckt,  welcher  segelartig  um  Schulter  und  Haupt  sich 
bauscht,  um  den  Unterkörper  in  herrlich  geschwungenen  Falten  sich  schmiegt. 
Haupt  und  die  gehobenen ,  die  innere  Fläche  der  Hände  zeigenden  blossen 
Arme  sprechen  die  innere  Motivirung  der  eilenden  Bewegung  treffend  aus. 
Das  Haupt  mit  einfach,  wellenförmig  wohlgeordnetem  Haar  ist  etwas  links 
zur  Seite  gewendet,  das  Auge  schaut  voll  tiefer  Wehmuth  noch  schräg  nach 
oben,  Entsetzen  und  abwehrende  Angst  tritt  uns  in  jener  Handbewogung 
entgegen.  Und  doch  ist  ein  Mass  der  Schönheit  über  die  ganze  Erscheinung 
ausgegossen,  wie  es  eben  ganz  so  nur  in  den  besten  Niobidengestalten  sich 
findet.  Wie  uns  diese  Motivirung  der  Hände,  dieser  Bogenschwung  des  Hi- 
mation  auf  den  früher  betrachteten  Sarkophagreliefs  wiederholt  begegnet,  so 
werden  wir  bei  dem  dem  Sturmschritt  folgenden  untern  Faltenwurf  auf  das 
lebendigste  an  die  unten  zu  betrachtende  vatikanische  Niobidenstatue  gewiesen. 
Ja  wir  fühlen  uns  leicht  versucht,  hier  das  in  der  Gruppe  fehlende  Gegen- 
stück zu  jener  Niobide  zu  finden.  Dass  diese  Figur  in  einen  Zusammenhang 
einer  ganzen  Niobidendarstellung  gehörte,  dafür  spricht  die  oben  erwähnte 
Form  des  Fragments,  welche  auf  ein  grösseres  Gefass  von  Edelstein  bestimmt 
schlicssen  lässt. 

Von  einzelnen  Köpfen,  welche  irgend  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  Niobe 
oder  Niobiden  zu  beziehen  wären,  ist  uns  auf  geschnittenen  Steinen  kein  Bei- 
spiel begegnet.  Der  weibliche  Kopf,  welcher  von  Reusch  in  der  Ebermayer- 
schen  Sammlung1)  als  Niobe  bezeichnet  wird,  hat  mit  ihr  gar  nichts  zu 
thun ;  er  ist  porträtartig,  aufgeputzt  mit  kleinen  Flügeln,  helmartiger  Silens- 
maske ;  man  könnte  also  eher  an  eine  Meduse  denken.  ^ 

§  20. 
Die  statuarischen  Bildungen.    Ihre  Fundorte  und  Zusammenstellung. 

Nicht  ohne  ein  gewisses  Zagen  trete  ich  an  die  Betrachtung  der  statua- 
rischen Darstellungen  der  Niobesage,  an  die  speeifisch  sogenannte  Niobe- 
gruppe  heran.  Je  wiederholter  man  sich  mit  ihr  beschäftigt,  von  je  ver- 
schiedeneren Seiten  man  sie  auffasst,  um  so  grösser  werden  die  Schwierigkei- 
ten, um  so  mehr  wird  man  versucht  abwechselnd  diese  oder  jene  Grundan- 
schauung auf  sie  anzuwenden,  um  so  mehr  erkennt  man  das  vielfach  Unzu- 
längliche in  der  einfachen  Erkundung  des  Thatsächlichen  in  einem  so  viel 
behandelten,  scheinbar  so  allgemein  bekannten  Gegenstande.  Und  so  kann 
ich  nicht  hoffen  in  gleich  durchgreifender  Weise,  wie  es  in  der  Betrachtung 
der  bisherigen  Kunstdarstellungen  mir  vielleicht  gelungen  ist,    die   ganzen 

1)  Ebermayeri  thes.  gemmar.  affabre  sculpt.  illustr.  Erh.  Reusch.  1721.  t.  III.  n.  73. 


Die  statuarischen  Bildungen.  215 

statuarischen  Bildungen  und  ihren  Zusammenhang  zu  behandeln.  Es  fehlte 
mir  eine  schliessliche,  durchaus  ungestörte,  nun  mit  aller  Detailkemitniss  der 
zu  vergleichenden  Denkmäler  ausgerüstete  Untersuchung  der  iiorentiner  Sta- 
tuen selbst,  so  frisch  auch  mir  der  Eindruck  der  frühem  Besichtigung,  den 
ich  in  Aufzeichnungen  vor  den  Statuen  niedergelegt,  geblieben  ist,  so  sehr 
photographische  Gesammtansichten  jenes  Saales  der  Niobe  diesen  Eindruck 
neu  belebten  und  die  Gypsabgiisse  in  Berlin,  zuletzt  noch  in  Bonn  mich 
wiederholt  beschäftigten.  Von  der  fiorentiner  Gruppe  inuss  naturgemäss  noch 
alle  neuere  Betrachtung  der  statuarischen  Werke  ausgehen,  nicht  von  irgend 
einem  selbstgemachten  Urbild  der  Origiualgruppe.  Es  fehlen  noch  genaue 
Nachrichten,  resp.  gute  Abbildungen  von  einzelnen  Wiederholungen.  Und 
endlich  kann  ein  ganz  glückliches  Resultat  für  die  höchste,  schliessliche  Auf- 
gabe, für  die  Wiederherstellung  der  griechischen  Origiualgruppe  nur  dann 
gehofft  werden,  wenn  Künstler  und  Kunst  gelehrte  vereint  mit  einer  möglichst 
vollständigen  Sammlung  von  Gypsabgüssen  die  Reihe  von  Versuchen  unter 
verschiedenen  architektonischen  Bedingungen  vornehmen,  die  wirklich  ge- 
macht und  geschaut  sein  müssen,  um  zunächst  negativ  alle  nicht  zulässigen 
Formen  für  alle  Zeit  abzuweisen,  wenn  ferner  plastische  Skizzen  unmittelbar 
die  Reconstructionsversuche  veranschaulichen.  Ein  Gedanke,  den  wesentlich 
Spence,  wie  wir  gesehen,  schon  aussprach,  auf  den  Welcker1),  Böttiger2) 
und  besonders  Emil  Braun  3)  dann  eindringlich  hingewiesen  haben. 

Welche  Betrachtungsweisen  an  die  Statuengruppe  herangebracht  sind, 
welche  Phasen  die  Grundansichten  über  dieselbe  durchlaufen  haben  bis  auf 
die  neueste  Zeit,  welche  hochbedeutende  geistige  Kräfte  sich  an  ihr  versucht 
haben,  haben  wir  in  der  Einleitung  dargestellt.  Meine  Aufgabe  soll  es  sein 
zunächst,  möglichst  die  Frage  wieder  auf  den  ursprünglichen  Boden,  von 
dem  sie  zuerst  ausgegangen,  zurückzuversetzen,  das  rein  Thatsächliche  über 
Herkunft,  Zustand,  Motivirung  der  auf  die  Niobiden  bezüglichen  oder  be- 
zogenen Statuen  und  Statuentheile  möglichst  genau  festzustellen,  aus  ihrer 
Vergleichung  und  der  Vergleichung  mit  den  von  uns  behandelten  Kunstdenk, 
malern  für  die  Idealbildung  der  Niobiden  nach  Gesicht,  Gesammtgestalt, 
Gewandung ,  Art  der  Bewegung ,  geistigem  Ausdruck  scharfe  Resultate  zu 
ziehen ;  dann  die  bedeutendsten  aller  Grundansichten  der  Composition,  die 
Frage  nach  der  Giebelaufstellung  eingehend  zu  prüfen  und  schliesslich  die 
uns  wahrscheinlichste  darzulegen,  endlich  die  Stellung  der  Gruppe  in  der 
griechischen  Kunstgeschichte  überhaupt  zu  bezeichnen.  Aesthetische  Be- 
trachtungen allgemeiner  Art,  wie  sie  bereits  so  vielfach  und  zuweilen  in  treff- 
licher Weise  von  dem  Centrum  dieser  Gruppe  über  das  weite  Gebiet  pathe- 


1)  A.D.  1.  S.  223. 

2)  Andeut.  zu  24  Vorles.  über  Archäologie.  Dresd.  1806.  S.  173. 

3)  Ruinen  u.  Museen  Korns  S.  512. 


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216  Zweites  Kapitel. 

tischer  Darstellung  überhaupt  sich  verbreitet  haben,  liegen  von  meinem 
Gange  ab,  ja  es  gilt  diesen  verführerischen  Wegen  zur  Peripherie  recht  fest 
und  bestimmt  auszuweichen  und  der  Hauptaufgabe,  der  Geschichte  dieses  my- 
thologischen Gedankens  auch  in  der  Kunst  treu  zu  bleiben. 

Die  A uf f ind un gs zeit  der  florentiner  Statuen  schien  durch  einen  von 
Meyer1)  angeführten  angeblich  in  den  Papieren  der  mediceischen  Samm- 
lung befindlichen  Brief  des  Bildhauers  Cioli  in  die  erste  Hälfte  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts,  in  das  Jahr  1535  schon  gesetzt  zu  werden,  jedoch  hat 
Martin  Wagner2)  mit  Recht  gegen  die  Richtigkeit  dieser  Zahl  Einspruch 
gethan  und  eine  falsche  Lesung,  was  das  Wahrscheinlichste,  oder  ein  Ver- 
schreiben angenommen.  Schon  der  Name  des  Briefstellers,  Cioli,  wobei  wir 
zunächst  nur  an  den  bekannten  Bildhauer  Valerio  Cioli  aus  Florenz,  ge- 
boren 1542,  gestorben  1600,  Schüler  des  Tribolo  und  Raffaelle  daMontelupo, 
den  Mitarbeiter  am  Grabdenkmal  des  Michel  Agnolo  ;1570),  einen  sehr  ge- 
schickten Restaurator  von  Antiken,  denken  können3),  macht  die  Zahl  1535 
gänzlich  unmöglich.  Und  wahrhaft  wunderbar  wäre  es,  wenn  dieser  herrliche 
Fund  fünfzig  Jahre  vollständig  unbekannt  und  im  Verborgenen  geblieben 
wäre  und  mitten  unter  den  zu  hohem  Ruhm  gelangten  Funden  jener  Zeit 
einem  Michel  Agnolo,  einem  Giov.  Montorsoli,  dem  Schüler  Rafaels  gänzlich 
entgangen  wäre,  während  wir  doch  die  Beschäftigung  mit  dem  Stoffe  der 
Niobe,  schon  früher  bei  Benedetto  Rovezzano ,  ja  die  Benutzung  eines  Re- 
liefs von  Giulio  Romanos  Hand  nachweisen  können.  Wohl  aber  wäre  eine 
neue  Untersuchung  des  Dokumentes  zur  Beseitigung  jener  Zahl  von  grossem 
Werthe.  Es  muss  dann  sich  herausstellen,  ob  jener  Brief  mit  dem  weiter 
unten  zu  besprechenden,  bisher  in  dieser  Frage  noch  gänzlich  unbenutzt  ge- 
bliebenen Briefe  desselben  Cioli  vom  8.  April  1583,  den  wir  Gayes  nicht 
hoch  genug  zu  würdigendem  Forscherfleisse  verdanken ,  nicht  identisch  ist, 
eine  Annahme,  die  sich  uns  auch  ohne  eigene  Anschauung  des  Dokuments 
unmittelbar  aufdrängt. 


1)  Propyläen  II.  1.  S.  48,  13S— 140. 

2)  Kunstblatt  1830.  n.  52.  §  1. 

H)  Valerio  Cioli  aus  Settignano,  einem  ( Mo  bei  Florenz,  Sohn  des  Simone  Cioli,  eines 
für  Loretto  mitbeschäftigten  Schülers  von  Andrea  Sansovino  zeichnete  sich  schon  jung 
durch  Geist  und  Geschick  sehr  aus.  Er  restaurirte  für  Cardinal  Ippolito  von  Este  herr- 
liche antike  Statuen,  die  in  dessen  Garten  auf  dem  Quirinal  aufgestellt  wurden,  war  hier- 
auf in  gleicherweise  für  den  Palast  Pitti  im  Auftrag  des  Grossherzog Cosimo  I  beschäftigt, 
war  bei  der  grossen  Leichenfeier  Michel  Agnolos  thätig  1564  und  ward  dann  J568  mit  der 
Statue  der  Scultura  am  Grabmal  desselben  beauftragt.  Vasari  spricht  von  ihm,  als  jungem 
Gliede  der  florentiner  Akademie,  mit  besonderer  Liebe.  Vgl.  Vasari  übers,  v.  Forster  IV. 
S.  407.  410;  V.  454;  VI.  225.  Aus  einem  Brief  des  Giovanni  da  Bologna  an  Grossherzog 
Ferdinand  ergiebt  sich  der  Tod  des  Künstlers  im  Februar  1600;  in  seinem  Atelier  waren 
viele  unvollendete  Marmorwerke  s.  Gaye  Carteggio  III.  p.  523.  n.  419.  420. 


Die  statuarischen  Bildungen.  217 

Wir  haben  in  der  Einleitung f)  bereits  der  wenigen  Worte  gedacht,  in 
denen  Flaminio  Vacca  unter  einer  Reihe  von  Notizen  über  Fundort  und 
Fundzeit  antiker  Statuen  während  seines  Lebens  von  der  Kindheit  bis  zum 
sechsundflinfzigsten  Lebensjahre  die  Niobidengruppe  bespricht.  Er  giebt 
darin  an,  dass  nicht  weit  vom  Thore  Giovanni  in  Rom,  also  vom  Lateran 
ausserhalb  der  Stadt  eine  Anzahl  Marmorstatuen  gefunden  wurden,  welche  der 
Grossherzog  Ferdinand  von  Toscana  gekauft  habe  und  die  sich  in  dessen  Gar- 
ten bei  S.  Trinitäde'  Monti  befinden,  dass  eben  daselbst  ein  berühmtes  Ringer- 
paar gefunden  ward,  welches  aber  Flaminio  Vacca  mit  den  Niobiden  nicht 
irgend  in  Verbindung  setzt.  Diese  Nachricht  wird  nun  in  interessantester 
Weise  näher  uns  bestimmt  und  berichtigt  durch  die  von  Fabroni  aus  dem 
geheimen  Archive  der  Medici  veröffentlichten,  von  Ramdohr  grundlos  ver- 
dächtigten Originalzettel  über  den  Fund  der  Statuen  im  Frühling  des  Jahres 
1583  und  Ankauf  von  Cardinal  Ferdinand  von  Medici,  dem  nachherigen 
Grossherzog  von  Toscana  seit  1587,  sowie  jetzt  durch  den  von  Gaye  in  sei- 
nem Carteggio  bekannt  gemachten  Brief  des  Valerio  Cioli.  Jene  vier  Papiere 
bestehen  in  zwei  Briefen  von  Stefano  Pernigoni  an  Sr.  Hieroniino  Varese, 
in  einem  Zettel  von  anderer  Hand,  und  dann  in  einem  Schein  (la  polizza) 
für  den  Hieroniino  Varese  mit  der  Rechnung  über  den  Preis  der  Statuen  2) . 

1)  S.  12.  In  den  durch  Fea  in  den  Miscellanea  filologica  critica  e  antiquaria.  1790.  T.  I. 
p.  51  ff.  vollständiger  und  genauer  herausgegebenen,  so  interessanten  Memorie  di  varieanti- 
chitä  trovate  in  diversi  luoghi  della  eitta  di  Roma  scritte  da  Flaminio  Vacca  nel  1594  heisst 
es :  poco  fuori  di  porta  S.  Giovanni  mi  ricordo  che  furono  trovate  molte  statue  di  marmo 
rappresentanti  la  favola  di  Niobe  come  anche  due  lottatori  molte  ben  fatti  e  di  buon  mae- 
stro.  11  tutto  comprö  il  gran  duca  di  Ferdinando  e  sono  nel  suo  giardino  del  monte  Pin- 
cio. Der  Bericht  zeigt  in  der  kurzen  und  ganz  allgemeinen  Art,  wie  er  über  diesen  Fund 
spricht  im  Gegensatz  zu  anderen,  bei  denen  Flaminio  Vacca  selbst  thätig  war,  wenigstens 
mit  Restauriren  des  Gefundenen  sich  beschäftigte,  dass  er  diese  Statuen  erst  nachher  in  der 
Villa  Medici  gesehen,  nicht  an  ihrem  Fundort,  sondern  nur  von  dem  Fund  hat  erzählen  hören. 

2)  Fabroni  dissertazione  sulle  statue  apparten.  alla  favola  di  Niobe.  Firenze.  1779. 
p..20f.: 

1 .  Brief  des  Stefano  Pernigoni :  il  nome  de'  Cavatori  e  Valerio  da  Rieti,  Cecuccio  da  Mo- 
dena  e  Paolo  Milanese.  La  vigna  dove  si  sono  trovate  e  attaccata  alla  vigna  di 
Messer  Jeronimo  Altieri  e  dall*  altra  parte  confina  colla  vigna  di  Messer  Giovan  Bat- 
tista  Argen ti  e  innanzi  la  via  pubblica  che  va  a  Porta  Maggiore  appresso  S.  Giov. 
Laterano.  I  nomi  delli  patroni  della  vigna  e  delle  statue  si  chiamano  Tuno  Gabriele  e 
l'altro  Thomaso  de'  Thomasini  de  Gallese.  Le  dette  statue  si  trovano  in  casa  delli 
detti  Thomasini  in  un  tinello  attaccato  al  giardino  loro  e  cortile. 

2.  Besonderer  Zettel  d'altro  carattere :  Francesco  de'  Lotti  Modenese,  Valerio  de'  Pe- 
doni  da  Rieti,  Bartolomeo  di  Giov.  Antonio  Milanese  Cavatori.  Statue  numero  13  della 
storia  di  Niebia.  La  Lotta  che  sono  senza  testa ;  la  mittä  e  del  patrone  assolutamente 
epor  ne  ha  la  mittä  de  la  mittä  a  tal  che  ne  e  patrona  de'  tre  quarti  et  un  quarto  ne 
resta  alli  Cavatori. 

3.  Brief  des  Pernigoni  an  Sr.  Hieronimo  Varese:  queste  sono  ü  numero  delle  statue  15 
computata  l'AUotta  per  doi  e  la  Niebia  per  doi.  Oltre  alle  45  vi  e  un  towo  quäle  e 


2 1 8  Zweites  Kapitel. 

Valerio  Cioli  giebt  in  einem  Briefe  vom  8.  April  1583  an  Antonio  Ser- 
guidi,  den  Geheimsekretär  (segretario  maggiore)  des  Grössherzogs  Fran. 
cesco  I. f)  einen  Bericht  von  seiner  Ankunft  in  Rom  und  dem  Beginn  der 
Ausführung  der  erhaltenen  Aufträge.  Es  ist  schlecht  Wetter,  es  ist  kein 
grosser  Vorrath  von  Sachen  da,  wie  sonst  und  da  es  nichts  giebt,  ist  man  sehr 
erpicht  darauf.  ,, Seine  Hoheit  weiss  bereits,  dass  vierzehn  Statuen  gefunden 
wurden,  welche  von  guter  Künstlerhand  sind,  die  die  Geschichte  der  Niobe 
darstellen.  Unter  anderen  ist  da  eine  Gruppe  von  zwei  Figuren,  welche  sehr 
schön  sind.  Und  zu  vielen  derselben  hat  man  die  Köpfe  wiedergefunden  und 
auch  Arme.  Sie  haben  alle  schöne  Köpfe,  aber  die  Haare  sind  nicht  allzu- 
schön und  nicht  sehr  vollendet  (ausgearbeitet) .  Aber  der  Besitzer  hat  bereits 
eine  grosse  Meinung  davon,  soweit  ich  von  ihm  es  habe  entnehmen  können, 
als  ich  mit  ihm  in  die  Vigna  ging,  wo  er  sie  gefunden  hat  und  er  lässt  fort- 
während graben,  weil  er  noch  die  ganze  Geschichte  zu  finden  hofft."  Der 
weitere  Inhalt  des  Briefes  bezieht  sich  auf  zwei  florentiner  Marmorarbeiter, 
die  sich  damit  beschäftigten,  kostbare  Marmorarten  auf  dem  Boden  Roms  zu 
suchen  und  sie  zusammenzusetzen  zu  Tafeln.  Am  Schlüsse  erwähnt  er,  dass 
er  wegen  der  Feiertage  (es  ist  Ostern)  den  Cardinal  Ferdinand  noch  nicht  be- 
sucht habe. 

Also  Anfang  April  waren  die  Statuen  bereits  gefunden  und  von  Cioli 
schon  gesehen,  auf  ihren  Ankauf  war  schon  ein  Auge  geworfen.  Jene  Zettel 
erweisen,  dass  am  24.  Juni  desselben  Jahren  es  sich  um  den  Abschluss  des 
Kaufes  handelt,  dabei  wird  aber  Valerio  Cioli  nicht  genannt.    Die  künstleri- 


rimasto  alla  vigna  e  non  poträ  servir  per  altro  che  ad  acconciar  l'altre.  V.  S.  spe- 
disca  quanto  prima  quello  che  s'ha  da  fare  perche  questi  sono  molestati  da  altri  e  non 
Torriano  che  passasse  da  mani  a  dar  fine  al  negozio  —  coli'  intervento  di  Mes.  Celio 
loro  Procuratore  e  le  bacio  le  mani  —  24  Giugno  1 583. 
4.  La  polizza  a  favor  di  Messer  Hieron.  Varese  per  conto  delle  statu e  e  prezze  deile  me- 
desime.  Noi  non  la  riporteremo  —  non  contenendo  esso  altra  notizia  se  non  se  che 
la  terza  parte  del  prezzo  delle  statue  appartenente  ai  Cavatori  e  la  quarta  dei  Lottatori 
fu  rcalmente  di  scudi  450  quantunque  nell'  instrumento  fatto  per  mano  di  Notaro 
pubblico  »i  dica  di  scudi  800. 

1)  Gaye  Carteggio  III.  p.  451.  n.  3S4  aus  den  Manoscritti  c: 
Magco.  Ser.  Antonio. 
La  presente  e  per  che  faciate  noto  a  sua  Alt.  Serma.  come  io  sono  arivato  qua  cho 
mal  tempo  e  va  chontinovando ;  pero  io  non  manch o  che  io  non  facia  diligentia  per  sadis- 
fare  a  Sua  Alt.  Serma.  Qua  non  ce  piü  quella  gran  copia  di  cose  chome  giä  soleva  e 
quando  si  trova  niente  or  sono  asai  vogliolosi.  Sua  Alt.  sa  che  fu  trovato  quatuordici 
figure  che  sono  di  buona  mano,  che  rapresenta  la  storia  di  Niobe  e  infra  laltre  ce  un 
grupo  di  due  figure  che  sono  molto  belle  e  di  molte  di  quele  äno  le  teste  rimese  e  a  che 
(per  anche)  de'  braci  e  äno  tutte  belle  teste  ma  e  capeli  non  sono  troppo  belli  no  sono 
molto  finiti :  ma  el  padrone  ciä  grande  opinione,  per  quanto  6  potuto  intendere  da  lui, 
perche  andai  secho  a  la  vignia  dove  e'  lä  trovate  e  fa  chavare  chontinovo  perche  pensa 
trovare  tuta  la  storia. 


Die  statuarischen  Bildungen.  219 

scheu  Angaben  desselben  sind  uns  von  grossem  Interesse.  Es  ist  sehr  zu 
fragen,  ob  wir  in  Valerio  Cioli  nicht  den  nachherigen ,  so  geschickten  Re- 
staurator der  Statuen  zu  suchen  haben. 

In  einem  Weingarten  der  Gebrüder  Gabriele  und  Thomaso  dei  Thoma- 
sini de  Gallese,  welcher  zwischen  der  Vigna  des  Herrn  Jeronimo  Altieri  und 
Giov.  Battista  Argenti  liegt,  an  der  von  S.  Giovanni  Laterano  auf  Porta  Mag- 
giore  zu  fuhrenden  Strasse  (via  pubblica),  also  der  via  Labicana  und  nahe  bei 
der  lateranischen  Kirche  wurde  der  Statuenfund  gemacht.  Dass  die  Lokali- 
tät zwar  ausserhalb  des  jetzt  bewohnten  Theiles  von  Rom,  aber  nicht  deshalb 
ausserhalb  der  alten  aurelianischen  Stadtmauern,  nicht  vor  den  Thoren  der 
jetzigen  Roms  zu  suchen  ist,  wie  selbst  Welcker  aagt,  nach  ihm  z.  B.  der  Ka- 
talog der Gypsabgüsse  des  Berliner  Museums1),  ergiebt  sich  aus  den  noch  be- 
stehenden Verhältnissen  dort,  die  im  Wesentlichen  auf  die  1575  erfolgte  Er- 
bauung der  Porta  S.  Giovanni  durch  Sixtus  V  (1585  —  1590),  was  Strassen  an- 
läge und  Erneuerung  von  Baulichkeiten  betrifft,  zurückgehen  An  dieser 
Hauptstrasse  nach  Porta  Maggiore  liegt  die  Villa  mit  der  Vigna  Altieri  in  be- 
deutender Ausdehnung.  Neben  derselben  also,  nach  dem  Lateran  zu  haben 
wir  die  Vigna  Thomasini  zu  suchen ;  es  ist  die  nachherige  Vigna  Palombara, 
die  dem  Fürsten  Massimi  gehört. 

Wir  befinden  uns  hier  auf  der  südlichen  Gränze  der  Region  der  Exqui- 
liae  nach  dem  Caelimontium,  speciell  nach  dem  Caeliolus  zu,  bei  jenem  gross, 
ten  alten  und  auch  von  den  bedeutendsten  Familien  noch  zu  Ciceros  Zeit 
benutzten  Begräbnissplatz,  der  seit  Mäcenas  allerdings  durch  Parkanlagen, 
wie  auch  die  horti  Lamiami,  wie  die  späteren  horti  Pallantiani  des  mächtigen 
Freigelassenen  des  Claudius,  Pallas  und  zugleich  durch  einzelne  grosse  Bauten 
wie  mehr  an  der  Nordseitc  durch  die  Porticus  Li  via,  die  Porti  cus  Julia,  wie  weiter 
südlich  durch  das  Nymphaeum  Alexandri,  also  grosse  Kuppelräume  mit  Spring- 
brunnen des  Alexander  Severus,  endlich  durch  das  Sessorium  mehr  und  mehr 
beschränkt  und  herausgeschoben  wurde2).  In  der  Region  des  Caelimontium 
reichen  Prachtbauten  einzelner  Privatleute  mit  Gärten,  wie  die  Aedes 
Lateranorum,  die  Aedes  Vectilianae,  vor  allem  Haus  und  Gärten  des  Marc 
Aurel  und  seines  Grossvaters  Annius  Verus  an  die  Exquilien  heran,  während 
in  diesen  die  bescheidenen  Wohnungen  eines  Virgil,  Properz,  Persius,  Pedo 
Albinovanus  in  der  Nähe  jener  Parkanlagen  sich  fanden8).  In  der  Villa  Al- 
tieri wurden  treffliche  Statuen  bei  einem  achteckigen  Gebäude  auch  schon 
im  sechzehnten  Jahrhundert  gefunden,  die  ein  Nymphaeum  hier  mit  Be- 
stimmtheit ansetzen  lassen4),   in  derselben  sind  die  berühmten  Gräber  der 


1)  Ausg.  1860.  S.  101. 

2)  Becker  röm.  Alterth.  I.  S.  542—563. 

3)  Becker  röm.  Alterth.  I.  S.  505  ff. 

4)  Becker  a.a.  O.  S.  549;  vgl.  bes.  Fea  Miscell.  p.  148.  n.  67. 


220  Zweites  Kapitel. 

Nasonen  mit  ihren  Wandgemälden  1675  aufgedeckt  worden.  Auch  andere 
bedeutende  Familiengräber ,  wie  das  der  Arruntii,  sind  in  der  Nähe  aufge- 
funden. In  der  Yigna  Palombara  selbst  ist  der  berühmte  Discuswerfer  des 
Hauses  Massimi,  ein  trefflicher  Hercules,  treffliche  Husten  der  Faustina  senior, 
der  Minerva,  der  Venus  mit  Brusttheil,  kostbare  Marmorsäulen,  Glasgefässe1), 
ferner  das  ausgezeichnete  Relief  mit  tanzenden  Frauen  im  pentelischen  Mar- 
mor des  Museo  Chiaramonti 2) ,  nahe  bei  jene  gute  Venusstatue  mit  Amor, 
ein  Knabe  mit  Schwan  oder  Gans3),  hinter  der  Scala  Santa  eine  ganze  Reihe 
trefflicher  Werke,  die  eine  kaiserliche  Wohnung  voraussetzen  Hessen,  ge- 
funden4). Dagegen  fehlt  es  in  jener  Gegend  so  gut  wie  ganz  an  grösseren 
Tempelanlagen,  die  vereinzelten  Heiligthümer,  wie  der  Spes  vetus,  des  Her- 
cules Sullanus  sind  lokal  näher  zu  bestimmen,  eben  so  ganz  an  Thermen  oder 
Gebäuden  für  Schauspiele  irgend  einer  Art5).  Wir"  können  demnach  fast  mit 
Bestimmtheit  sagen,  dass  umfangreiche  und  ausgezeichnete  Kunstwerke,  die 
in  jener  Gegend  sich  finden,  entweder  einer  grossen  Gräberanlage  oder  einem 
glänzenden  Privatbaue  und  den  damit  verbundenen  Parkanlagen  angehören. 
Wir  könnten  unter  diesen  letztern  mit  Sicherheit  fast  auf  den  Bereich  der 
Anlagen  der  Familie  Marc  Aureis  oder  der  benachbarten  des  Alexander  Se- 
verus  hinweisen.  Ja  ich  stehe  nicht  an,  ihre  Aufstellung  in  einem  der  Saale 
des  Nymphaeums  des  letzteren,  dabei  jene  Meisterwerke  gymnastischer  Dar- 
stellung für  sehr  wahrscheinlich  zu  halten.  Die  weitere  Untersuchung  wird 
uns  die  nahe  Stellung  der  Niobiden  zu  Quellnymphen,  der  Niobe  selbst  zum 
Wasserquell  darlegen.  Das  steht  nun  unter  allen  Umständen  fest :  der  Fundort 
der  medieeischen  Statuen  hat  nicht  das  Geringste  gemein  mit  dem  Aufstel- 
lungsort der  von  Plinius  in  Rom  gesehenen  berühmten  Gruppe  des  Skopas 
oder  Praxiteles,  auch  wenn  wir  die  Oertlichkeit  des  Tempels  des  Apollo  So- 
sianus  nicht  näher  bezeichnen  könnten,  die  die  obige  Untersuchung  uns  aller- 
dings, ich  hoffe  sicher  genug  dargelegt  hat. 

Also  in  jener  Vigna  der  Thommasini  de  Gallese  fanden  drei  mit  Ausgra- 
ben von  Antiken  sich  beschäftigende  Männer  (cavatori) ,  der  Modenese 
Francesco  dei  Lotti,  der  Mailänder  Bartolomeo  diGiov.  Antonio  und  der  Rea- 
tiner  Valerio  de'  Pedori  zuerst  dreizehn  Statuen,  die  sofort  als  zur  Geschichte 
der  Niobe  gehörig  erkannt  wurden,  dann  noch  zwei,  die  Ringergruppe.  Einen 
Torso  Hess  man  in  der  Vigna,  der  zu  nichts  anderem  dienen  zu  können 
schien,  als  die  anderen  Statuen  damit  zu  ergänzen.    Mit  diesem  kommt  dann 


1)  Fea  Mi 8 cell.  n.  24;  Cancellicri  dissert.  sopra  le  statue  del  discobolo.    Rom    1806. 
p.  42—49;  Bunsen  Beschreib.  Roms  III.  S.  301  f. 

2)  M.  Chiar.  t.  44  ;    Beschreib.  Roms  II.  2.  S.  80.     Auch  das  Parcenrelief  in  Tegel 
stammt  ebendaher. 

3)  Fea  Mise.  p.  152.  n.  70. 

4)  Fea  Mise.  p.  I0fif  n.  125. 

5)  Ueber  die  Lage  des  amphitheatrum  castrense  s.  Becker  a.  a.O.  S.  549  f. 


Die  statuarischen  Bildungen.  221 

die  Zahl  vierzehn  des  Cioli  heraus,  oder  da  es  fast  aus  seinen  Worten  hervor- 
zugehen scheint,  dass  die  Ringergruppe  schon  von  ihm  dabei  gesehen  ward, 
so  miisste  dann  noch  eine  Statue  und  der  Torso  nachträglich  gefunden  sein  ; 
dass  noch  mehr  gesucht  wurde,  sagt  er  ausdrücklich.  Die  Statuen  wurden 
in  einem  an  den  Garten  gränzenden  kleinen  Lokal  aufgestellt  und  die  Ver- 
handlungen in  aller  Stille  und  Eile  — -  man  musste  sich  anderer  Liebhaber 
erwehren  —  durch  Stefano  Pernigoni  mit  Ilieronimo  Varese  für  Ferdinand 
von  Medici  geführt.  Der  Sachwalter  des  Besitzers,  Namens  Celio,  sollte  das 
Formale  des  Kaufes  für  sie  besorgen.  In  einem  Schreiben  vom  24.  Juni  1583 
wird  zur  raschen  Erledigung  des  Formalen  gedrängt  —  man  musste  bereits 
einig  sein.  In  dem  gerichtlichen  Dokument  waren  800  Scudi  für  die  Finder 
genannt,  in  Wirklichkeit  waren  es  nur  450.  Sie  erhielten  ein  Drittel  des 
Preises  für  die  Niobestatue,  ein  Viertel  für  die  Ringer.  Es  muss  dal) er  die 
Betheiligung  der  Besitzer  der  Vigna  an  der  weitern  Ausgrabung  eine  grössere 
gewesen  sein,  als  an  der  ersten,  mit  so  glücklichem  Erfolg  gekrönten.  Die 
höhere  Angabe  de«>  Preises  für  die  Finder  mochte  auf  den  eigentlich  legalen 
Antheil  derselben  sich  beziehen,  oder  überhaupt  sollte  der  Gesammt preis 
nach  Aussen  höher  erscheinen.  Wir  können  den  wirklichen  Gesam in t preis 
auf  14 — 1500  Scudi  nach  jenen  Zahlen  anschlagen. 

Bereits  zwei  Jahre  nach  der  Auffindung  sind  von  den  dreizehn  Niobiden- 
statuen  (Mutter  und  Tochter  als  zwei  gerechnet)  eilf  sowie  die  zwei  Ringer 
gestochen  in  dem  Werke  von  Jo.  Baptista  de  CavalerhV)  auf  Tafel  9 — 19. 
Die  Aufschriften  zeigen,  dass  sie  sich  schon  in  der  Villa  Medicis  auf  dem 
Monte  Pincio  befanden  und  zwar  ein  Theil,  die  Mutter  mit  drei  Töchtern  im 
Garten,  die  übrigen  im  Palast  selbst.  Diese  Zeichnungen  sind  uns  von  un- 
schätzbarem Werth,  da  sie  uns  die  Statuen  wesentlich  noch  ohne  Ergänzun- 
gen zeigen.  Zu  diesen  gehört  bereits  der  Pädagog,  hier  als  Mann  der  Niobe 
bezeichnet,  ferner  die  jetzt  fast  allgemein  ausgeschiedenen  Statuen  der  soge- 
nannten Psyche  und  endlich  eine  Statue  mit  dem  Motiv  des  Aufstützens  des 
Armes,  wie  es  sonst  Polyhymnia  charakterisirt,  an  deren  Stelle  also  erst  nach- 
her die  als  Muse  Melpoinene  oder  Euterpe  bekannte  Statue  trat2).  Dagegen 
fehlen  zwei  über  Felsen  hineilende  Söhne,  es  fehlt  die  das  Gewand  hebende, 
ruhig  stehende  weibliche  Gestalt3)  und  ebenso  die  sog.  Anchirrhoe  oderErato. 
Der  noch  gefundene  Torso,  über  desen  männlichen  oder  weiblichen  Charak- 
ter wir  nichts  erfahren,  kann  keiner  derselben  angehören,  da  er,  wie  es  heisst, 


1)  S.  oben  S.  12.  Ich  benutzte  ein,  wie  mir  schien,  vollständiges  Exemplar  auf  der 
Berliner  Bibliothek,  grössere  und  kleinere  Auswahl  der  Blätter  findet  man  mehrfach  in 
anderen  Exemplaren. 

2)  Auch  Jo.  Jac.  de  Rubeis  insign.  stat.  urb.  Romae  iconea  1. 1 15  hat  die  Polyhymnia 
als  Niobide. 

3)  Bei  Welcker  Taf.  IV.  11  ;  unsere  Tafel  XIII.  1. 


222  Zweites  Kapitel. 

nur  noch  zum  Ausbessern  der  andern  tauglich  schien.  Es  ist  wahrscheinlich, 
dass  Cavaleriis  jene  zwei  Söhne,  die  mit  dem  dritten  so  ähnlich  motivirt  sind, 
in  der  Zeichnung  ausliess  und  so  dann  die  Zahl  des  ursprünglichen  Fundes 
dreizehn  herauskommt.  Die  Ringer  werden  bei  ihm  bereits  als  Söhne  der 
Niobe  bezeichnet,  obgleich  sie  beim  Auffinden  durchaus  für  sich  besprochen 
waren,  auch  erst  nach  den  anderen  gefunden  wurden. 

Mit  der  Ergänzung  der  Gruppe  und  ihrer  malerischen  Aufstellung  auf 
und  an  einer  Felsmasse,  so  ganz  im  Sinne  der  Berninischen  Kunst,  wie  uns 
das  die  Abbildungen  bei  Perrier  und  seinen  Copisten  zeigen,  wie  Richardson 
im  Anfange  des  achtzehnten  Jahrhunderts  sie  sah  und  daran  herumstieg,  ging 
nun  auch  eine  Veränderung  in  den  Bestandteilen  der  Gruppe  vor  sich.  Hin- 
zukam ein  Pferd  auf  Felsengrund,  von  dem  Fabroni  und  Lanzi f)  doch  wohl 
aus  urkundlicher  Ueberlieferung  wussten,  dass  es  an  der  Küste  Latiums,  nahe 
bei  der  Magliana  aus  dem  Wasser  von  Fischern  geholt  war ;  hinzu  kamen  also 
noch  zwei  Töchter  und  die  eine  Gestalt  mit  dem  Polyhymniamotiv  ward  mit 
einer  anderen  vertauscht;  woher  diese  stammten,  wissen  wir  nicht,  natürlich 
aus  dem  Boden  von  Rom.  Man  hatte  nun  Niobe,  Amphion,  wie  man  meinte, 
sechs  Söhne  und  sieben  Töchter,  jedoch  bildete  die  jüngste  mit  der  Mutter 
eine  Einheit,  so  dass  sechs  Töchtei  nur  selbständig  auftreten  und  so  eine 
strenge  Symmetrie  da  war.  Dass  man  die  Ringer  nicht  für  einen  Bestandtheil 
der  Gruppe  hielt,  geht  daraus  hervor,  dass  diese  allein  schon  1(»77  nach  Flo- 
renz gebracht  wurden  und  seitdem  immer  getrennt  blieben2). 

Die  Versetzung  der  Gruppe  aus  dem  Garten  der  Villa  Medici,  wo  inzwi- 
schen ein  eigenes  kleines  Gebäude  für  die  zuerst  im  Freien  aufgestellte  er- 
richtet war,  nach  Florenz  fand  Statt  im  .1. 1775  unter  Grossherzog  Peter  Leo- 
pold, dem  für  Toskana  so  segensreichen  Fürsten.  Ein  eigener  Saal  ward  in 
der  Galeria  degli  Uffizi  gebaut,  um  an  seinen  vier  Wänden  nun  die  Niobiden, 
auf  Postamente  gestellt,  Niobe  und  den  Pädagogen  an  den  schmalen  Seiten 
einander  sich  entsprechend  aufzunehmen.  Die  schliessliche  Aufstellung  er- 
folgte um  1794.  Die  Zahl  der  Statuen  hatte  sich  inzwischen  um  zwei  Wie- 
derholungen zweier  Niobesöhne  vermehrt.  Auf  Thorwaldsens  Vorschlag  ist 
endlich  eine  schon  früher  in  der  medieeischen  Sammlung  zu  Florenz  befind- 
liche Statue,  der  sog.  Narciss  in  den  Niobesaal  eingetreten. 

So  hat  denn  die  jetzige  norentiner  Gruppe  ausser  dem  ursprünglichen 
Bestand  des  Fundes  der  Villa  Palombara,  von  dem  aber  eine  der  Polyhymnia 
ähnliche  Figur  ausgeschieden  ist,  von  also  zwölf  Figuren  sich  um  drei  Töch- 
ter, um  einen  neuen  Sohn,  um  zwei  Wiederholungen  vermehrt,  über  deren 
Fundorte  wir  durchaus  nicht  unterrichtet  sind.  Die  Ringer,  die  den  Fundort 
theilen,  das  Pferd,  dessen  Herkunft  wir  kennen,  sind  von  ihrer  Verbindung 


1)  Giornale  di  Pisa.  t.  XL VII.  p.  3S. 

2)  Oori  Mus.  Florent.  III.  p.  74. 


Die  statuarischen  Bildungen.  223 

mit  der  Gruppe  wieder  gelöst  worden.  Und  so  liegt  schon  darin  die  ent- 
schiedenste Warnung,  die  jetzige  florentiner  Statuenvereinigung  als  ein  ein- 
heitliches Werk  zu  betrachten,  in  Bezug  auf  Material,  Stil,  Motivirung  eine 
Einheit  zu  verlangen.  Nach  dieser  kann  zunächst  nur  bei  den  zusammenge- 
fundenen Statuen  gefragt  werden. 

Nun  haben  wir  in  der  Einleitung  auf  die  so  bedeutend  angewachsene 
Zahl  von  ganzen  oder  theilweisen  Wiederholungen,  Ergänzungen  dieser  Nio- 
bidenstatuen  hingewiesen ;  die  Behandlung  der  Einzelgestalten  wird  sie  uns 
genauer  vorfuhren,  hier  wollen  wir  uns  zunächst  nur  übersichtlich  nach  den 
Fundorten  umsehen.  So  weit  wir  nachkommen  können,  sind  weitaus  die 
meisten  Exemplare  von  Statuen  und  Köpfen  in  oder  bei  Rom  gefunden ; 
ausser  dem,  was  die  römischen  Museen  in  so  bedeutender  Zahl  bieten,  hat 
Dresden  durch  die  Sammlung  Albani  und  Chigi,  Köln,  London,  Oxford,  Ma- 
drid, Petersburg,  wahrscheinlich  auch  München  durch  die  Sammlung  Bevi- 
lacqua  in  Verona,  und  Berlin  aus  llom  Niobiden  erhalten.  Die  dem  Stile 
nach  ausgezeichnetste  Niobide,  die  fliehende  Tochter  des  Vatican  stammt 
speciell  aus  der  Villa  des  Kardinals  Hippolyt  von  Este  auf  dem  Quirinal,  für 
die,  wie  wir  sahen,  Valerio  Cioli  besonders  thätig  war  und  wahrscheinlich 
aus  der  Villa  des  Hadrian  bei  Tivoli.  Andererseits  ist  der  jüngste  Niobide  im 
Vatikan1)  und  ein  trefflicher  Kopf  eines  altern  Sohnes  in  England,  beide  aus 
der  Sammlung  Fagan  stammend,  in  Ostia  gefunden.  Aber  auch  weit  ab  von 
Rom,  bei  Aquileja  und  endlich  in  Soissons  in  Nordfrankreich  sind  sehr  inte- 
ressante Theile  aus  jener  grösseren  Statuenreihe  aufgefunden  worden.  Wir 
erhalten  schon  dadurch  ein  lebendiges  Bild  von  der  grossen  plastischen  Thä- 
tigkeit,  die  wesentlich  nach  Einem  berühmten  in  Rom  befindlichen  Urbilde 
und  in  grösserer  und  kleinerer  Auswahl  in  Beschränkung  auf  einzelne  Figu- 
ren für  die  gegebenen  äusseren  Verhältnisse  und  Bedürfnisse,  auch,  wie  wir 
zeigen  werden,  in  mannigfacher  Variation  arbeitete. 

Die  mediceische  Gruppe  ist  unter  diesen  Wiederholungen  für  uns 
immer  die  relativ  vollständigste ,  aber  für  sie ,  deren  Veränderung  und  Er- 
weiterung nach  der  ersten  Auffindung  wir  oben  näher  nachgewiesen  haben, 
kann  gegenüber  jenen  anderen  Denkmalen  ein  besonderer  Anspruch  der  Ori- 
ginalität aus  der  grössern  Zahl  ihrer  Glieder  nicht  erhoben  werden.  Er  kann 
es  endlich  auch  nicht,  wie  die  Einzelbetrachtung  der  Statuen  uns  lehren 
wird,  in  Bezug  auf  den  Stil  und  die  Technik,  da  in  beiden  sie  durchaus  sich 
nicht  über  die  guten  anderen  Exemplare  erheben,  ja  vielfach  nachstehen  und 
unter  ihnen  selbst  nicht  unbedeutende  Verschiedenheiten  bestehen.  Diese 
aber  für  die  Scheidung  von  Originalen  und  Copien,  wie  dies  besonders  von 
Meyer  versucht  ist,  zu  benutzen,  wird  dadurch  ein  ziemlich  müssiges  Unter- 
nehmen.    Hier  sei  schon  bemerkt,  dass  mit  Ausnahme  eines,  des  ältesten 


1)  Braun  Ruin.  u.  Mus.  Roms  S.  512 ;  Arch&ol.  Anz.  1856.  S.  248. 


224  Zweites  Kapitel. 

Sohnes f)  und  dann  der  als  Anchirrhoe  jetzt  meist  ausgeschiedenen,  nicht  ur- 
sprünglich mit  gefundenen  Tochter,  die  von  parischem  Marmor  sind,  alle  an- 
dern wahrscheinlicher  von  carraiischem  als  pentelischem  Marmor  gebildet2), 
dass  die  Köpfe  bei  den  meisten,  sicher  bei  Niobe,  dem  Pädagogen,  den 
Töchtern  besonders  gearbeitet  sind8),  dass  die  Rückseite  bei  allen  weniger 
ausgearbeitet  ist4),  dass  die  Falten  der  Gewänder  tief  mit  dem  Bohrer  einge- 
furcht  sind,  nicht  blos  mit  dem  Meisel  gearbeitet R) .  Wir  werden  zu  diesen 
allgemeinen  Fragen  von  der  Einzelbetrachtung  zurückkehren  und  dann  auch 
die  Gesichtspunkte  aufstellen  können,  die  uns  ein  gemeinsames  Verhältniss 
zu  jener  hochberühmten,  griechischen  Composition  des  grossen  Meisters  und 
Rückschlüsse  auf  dessen  Stilisirung  und  geistige  Auffassung  gestatten. 

§  21. 
Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke. 

Bei  der  statistischen  Uebersicht  der  Niobidenstatuen ,  so  weit 
solche  allgemein  anerkannt  oder  in  bestrittener  Weise  zu  ihnen  gerechnet 
werden,  wird  uns  Grösse,  Material,  Grad  der  Erhaltung  und  Ergänzung, 
dann  die  Hauptmotivirung,  das  rein  Körperliche  mit  seinen  bleibenden 
Grundformen,  die  Gewandung,  endlich  der  geistige  Ausdruck  interessiren. 
Wir  haben  uns,  abgesehen  von  den  Specialberichten,  für  einzelne  Werke  vor 
allem  an  Cavaleriis,  als  den  ältesten  Abbildner  (Ca.),  an  Fabroni  (F.),  an 
Meyer  (M.)  in  den  früher  citirten  Arbeiten,  an  Zannoni,  den  Herausgeber 
der  Galeria  di  Firenze  für  diesen  Theil  (Z.),  an  Martin  Wagner  (M.  Wa.j,  an 
Cockerell  (C),  an  Clarac  und  dessen  Berichterstatter,  sowie  Fortsetzer  (Cl.), 
an  Müller- Wieseler,  in  der  Erklärimg  der  Denkmäler  alter  Kunst  (M.W.) 6) 
für  das  Thatsächliche  wesentlich  zu  halten,  aber  werden  hier  oft  genug  die 
gewaltige  Differenz  der  Berichte  zu  constatiren  haben,  die  nur  durch  eine 
neue  Untersuchung  ausgetragen  werden  kann.  Was  die  Zusammenstellung 
der  Wiederholungen  betrifft,  so  bedarf  es  wohl  kaum  einer  besonderen  Er- 
klärung, welche  wichtige  Grundlage  mir  Welckers  (W.) 7)  Arbeit  gewesen  ist, 
auf  der  prüfend  fortzubauen  mein  Streben  war. 


1)  Bei  Mallere,  bei  Weicker  4,  auf  unserer  Tafel  XVII.  11. 

2)  Gerhard  drei  Vorles.  S.  52.  Anm.  82;  Cockerell  behauptete  pentelischen  Marmor. 

3)  Winkelmann  G.  d  K.  VII.  1.  12. 

4)  Nur  der  knieende  Sohn  (e  bei  Müller,  14  bei  Weicker,  unsere  Taf.  XVII.  11)  ist 
auf  der  Rückseite  gleichmässig  ausgearbeitet,  aber  da  fehlt  ganz  das  linke  Unterbein. 

5)  Schlegel  zu  No.  11  in  Cockerells  Giebelgruppe  in  den  oben  angeführten  Aufsätzen. 
G)  Th.  I.  t.  33.  34. 

7)  A.  D.  I.  S.  223—231.  Taf.  IV. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  225 

A.  Niobe  mit  der  jüngsten  Tochter. 

Abbildungen:  Ca.  t.  9  ;  Maffei Raccolta di  statue.  Roml704.  t.32;  Kopft.54; 
F.  t.  II ;  Z.  t.  1 ;  C.  n.  7;  Cl.  pl.  583.  n.  1260;  M.  Atl.  Taf.  22  A\  M.-W.  I.  Taf.  33. 
n.  142  A.a;  We.  T.IV.  8;  Miliin  Gal.  mythol.  t.  CXLIII.  n.521;  Overbeck  Gesch.  d. 
gr.  Plastik  Fig.  69,  g  h ;  70  ;  unser  Titelblatt  Taf.  X. 

Ergänzungen:  nach  M.  sind  am  Kopf  der  Niobe  Nase,  Spitze  der  Oberlippe, 
grösster  Theil  der  Unterlippe  ergänzt,  Kinn  beschädigt  und  mit  falschem  Tarter  über- 
schmiert1) ;  ferner  ergänzt  der  linke  Unterarm  mit  entsprechendem  Stücke  Gewand, 
die  rechte  Hand  mit  halbem  Unterarm,  die  ursprünglich  etwas  tiefer  gesenkt  war,  so 
dass  der  Kopf  der  Tochter,  wie  auch  Ca.  beweist,  mehr  über  den  Arm  gedreht  sicht- 
bar wurde.  An  der  letzteren  der  ganze  rechte  Arm,  linke  gehobene  Fuss  mit  um- 
gebendem Bande  des  Gewandes,  ebenso  die  starken  Locken  neu ;  Theile  des  Haa- 
res, Nase  neu,  Unterlippe  abgebrochen,  linke  Schulter  zerbrochen,  linke  Hand  neu, 
lag  tiefer,  wie  Reste  am  Gewand  der  Mutter  ergeben.  Rückseite  so  gut  wie  nicht  aus- 
gearbeitet. 

Grösse  :  mit  Basis  2,305  Metres,  ohne  dieselbe  2,070. 

In  einem  gewaltigen  Ausschreiten  mit  einer  mehr  nach  links  und  zu- 
gleich nach  vorn  gewandten  Richtung  des  Körpers  erhebt  sich  Niobe  vor 
unsern  Augen.  Ihr  linker  Fuss  ist  fest  aufgesetzt,  während  der  rechte  mehr 
auf  den  Spitzen  ruht  und  dadurch  eine  stärkere  Biegung  des  Knies  einwärts 
ermöglicht.  Zwischen  den  einander  nahenden  Knieen,  an  dem  sich  einbie- 
genden Schooss  birgt  sie  das  Kind,  das  an  ihr  gerade  hinaufstrebt  und  ge- 
genüber den  gewaltigen  schrägen,  geschwungenen  Linien  einen  senkrechten 
Mittelpunkt  bildet.  Ihre  rechte  Hand  ruht  abwärts  gesenkt  auf  den  Locken 
der  Tochter,  während  der  linke  seitwärts  gehobene  gerade  im  Ellenbogen  ge- 
brochene Arm  sichtlich  zurück  nach  dem  Haupte  sich  wendet,  und  das  wie 
ein  schützendes  Schild  hoch  gezogene  Obergewand  zuhält,  um  dem  mächtigen 
Körper  zugleich  weiteren  Spielraum,  der  schmerzerfullten  Brust  gleichsam 
Freiheit  zum  schweren  Ausathmen  zu  geben.  Das  Haupt,  auch  der  vorgeneigten 
Wendung  des  Oberkörpers  folgend,  ist  zugleich  stark  seitwärts  nach  Rechts 
gewendet.  So  haben  wir  eine  dreifache  Linienverbindung:  convergirend 
nähern  sie  sich  von  der  Basis  fast  in  einem  Dreieck  dem  Schoosse,  von  da 
öffnen  sie  sich  in  weitem  Bogen  als  langgezogenes  Viereck  und  schliessen  sich 
am  Haupt  und  linken  Arm  in  eine  abgerundete  Form  zusammen,  aber  in 
einer  zu  dem  Mitteltheil  in  Widerstreit  stehenden  Richtung. 

Das  Costüm  erweitert  und  gliedert  in  bedeutsamster  Weise  diese  Grund- 
formen. Wie  drängen  sich  die  Gewandmassen  am  untern  Theile  zusammen ! 
Ueber  das  faltige,  ärmellose  Untergewand,  das  vor  allem  unter  den  Achseln 
bauschig  sich  gestaltet,  senken  sich  die  grossen  Massen  des  Obergewandes,  das 
wie  durch  eine  Art  Riemen  über  dem  Knie  zusammengehalten  wird,  aber 
dann  in  tiefgeschwungenen  Falten  rechts  und  links  sich  ausbreitet,  den  sehr 
kräftigen  Bau  der  unteren  Extremitäten  hervortreten  lassend.    Starke  Schuhe 


1)  Auch  Ramdohr  II.  S.  139  macht  hierauf  aufmerksam. 

8tark,  Niob«.  15 


226  Zweites  Kapitel . 

bilden  die  Bedeckung  der  fest  auf  felsigem  Boden  auftretenden  Füsse.  Dazu 
kommt  noch  der  im  feingekräuselten,  enganliegenden  Chiton  voll  heraustre- 
tende jugendliche  Körper  der  Tochter  mit  ihrem  zu  den  Hüften  herabgesun- 
kenen, in  Faltenmassen  zum  Erdboden  reichenden  Obergewand.  Sie  drängt 
sich  an  der  Mutter  empor,  hängt  fast  zwischen  den  Knieen,  aber  biegt  doch 
den  Kopf  links  auswärts,  wie  mechanisch  die  von  Aussen  drohende  Gefahr 
noch  beachtend.  An  dem  Haupttheil  der  Gestalt  Niobes  tritt  der  Körper  aus 
seiner  weitern  Umhüllung  unmittelbarer  hervor.  Der  ärmellose,  bauschige 
Chiton  wird  durch  einen  Gürtel  unter  der  Brust  zusammengehalten,  die  volle, 
reife  Mutterbrust  tritt  aus  ihm  entschieden  hervor  und  die  nackten,  herrlichen 
Arme  lassen  eine  der  levxiokevog  aHqa  ebenbürtige  Natur  ahnen.  Nicht  um- 
sonst schildert  wohl  Ovid  Niobe  in  ihrem  Schmerze  als  die  bleichen  Arme 
erhebend  [liventia  Irachia  tollens) f),  also  auch  hier  entblösste,  in  ihrer  Farbe 
nur  entstellte  Arme.  Ueber  den  Schultern  wird  der  Chiton  durch  Spangen 
zu8ammengefasst.  Das  Obergewand  von  der  rechten  Hüfte  schräg  über  den 
Kücken  emporgezogen  bildet  auf  der  linken  Seite  eine  ziemlich  gleichförmig 
gefaltete,  leicht  gespannte  Masse,  deren  oberster  Zipfel  aus  der  haltenden 
Hand  wieder  etwas  herabgleitet. 

Von  besonderer  Wirkung  ist  die  reiche  Haar  fülle,  die  vom  Haupte 
herab  über  den  Nacken  fällt  und  in  weiten  Massen  über  die  Schultern  sich 
verbreitet.    Sie  giebt  gegenüber  der  durch  die  Gewandung  noch  so  bedeu- 
tend entwickelten  Masse  des  Körpers  auch  dem  Haupte  einen  weitern  Um- 
fang,   eine  breitere  Basis  neben  und   zu  dem  kräftigen,  matronalen  Halse. 
Und  auch  hier  dürfen  wir  schon  an  das  Homerische  auch  von  Moschos  be- 
nutzte Beiwort  ffuno(Aag%)9  an  die  Schilderung  des  Antipater  von  Sidon3),  au 
die  Worte  des  römischen  Dichters   erinnern,    der  nicht  ohne  künstlerische 
Anschauung,  ohne  einen  festen  Zug  im  mythischen  Bilde  sie  uns  schildert : 
quantum  ira  sinit,  formosa :  movensque  decoro 
cum  capite  immissos  humerum  per  utrumque  capillos 
constitit4). 
Um  das  Haupt  sind  die  Haare  durch  ein  ziemlich  breites  Band  gehalten,  das 
aber  nur  oben  auf  dem  Scheitel  sichtbar  wird,  während  es  rechts  und  links 
unter  den  in  einer  bauschigen  Masse  zurückgestrichenen  Haaren  verborgen 
ist.    Auch  auf  Sarkophagreliefs  bemerkten  wir  die  den  Nacken  bedeckende 
Haarfulle5).    Mit  Recht  hat  schon  Meyer  an  das  Haar  der  ludovisischen  Juno 
erinnert,  aber  zugleich  müssen  wir  sagen,  erinnert  uns  jene  über  den  Nacken 


1)  Metam.  VI.  279. 

2)  IL  XXIV.  602;  Mosch.  Idyll.  IV.  84. 

3)  S.  obenS.  59.  146. 

4)  Metam.  VI.  167. 

5)  S.  oben  S.  162. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  227 

h  verbreitende  Haarfülle  entschieden  an  die  Darstellungen  der  Gaea f)  und 
•wandter  Gestalten,  so  wie  an  bakchische  Bildungen2),  während  das  Haar 
i  Hera  nur  in  einzelnen  starken  Locken  herabfällt,  bei  Athene  in  einem 
ten  Zopf  geeint  ist,  bei  Aphrodite,  wenn  es  nicht  aufgebunden  ist,  entwe- 
r  in  nassen,  gezogenen  Lockenlagen  zum  Busen  sich  senkt,  oder  als  leicht 
kräuselte,  der  zierlichen  Ordnung  entgangene  Enden  auf  den  Nacken  her- 
reicht. 

Seit  Winkelmanns  trefflichen  Bemerkungen  hat  man  der  Betrachtung 
j  Gesichtes  der  Niobe  vor  allem  Aufmerksamkeit  und  Worte  geschenkt, 
er  man  hat  dasselbe  nur  zu  rasch  auf  einen  allgemeinsten  Ausdruck  starrer 
rcht  im  Uebergang  zur  schlaffen  Verzweiflung,  edeln  Stolzes  im  Schmerz, 
i  höchsten  Mutterschmerzes  gebracht,  man  hat  in  ihr  als  der  Schweigen- 
a,  Versteinerten  „die  durchgeführte  tragische  Maske"  (Feuerbach)  erkannt, 
n  hat  ,,das  Nacheinander  der  blitzschnellen  Uebergänge  als  Nebenein  an- 
r"  dargestellt  gefunden ,  so  dass  über  den  Empfindungen  der  von  angst- 
iler  Verzweiflung  erfüllten  Mutter  zugleich  das  Bewusstsein  der  Heroine 
tht  verloren  geht  (Stahr) . 

Winkelmann  8)  macht  auf  die  empfindliche  Schärfe  der  Linie  der  Augcn- 
ochen  und  Augenbrauen  aufmerksam,  die  den  Werken  des  hohen  Stiles 
erhaupt  eigen  sei,  speciell  an  diesem  Haupte  der  Niobe  hervortrete.  Von 
«em  Punkte  geht  Overbeck 4)  in  seiner  Schilderung  aus ;  wir  können  uns 
ne  Worte  vollkommen  aneignen :  ,,hier  ist  das  Zusammenziehen  der  Au- 
lbrauen  nach  der  Mitte  in  Verbindung  mit  der  nach  oben  zuckenden  Be- 
gung  des  innern  Theiles  des  untern  Lides  charakteristisch ;  durch  diese  der 
.tur  unendlich  fein  abgelauschten  Bewegungen  der  das  Auge  umgebenden 
eile  ist  der  Augenblick  ausgedrückt,  in  welchem  ein  heisser  Strom  unwill- 
rlicher  Thränen  von  unsäglichem  Leid  herausgepresst  wird".  In  der  That 
i  dieser  Augenlinie  und  den  Augenhöhlen  aus  ist  der  Ausdruck  des  ganzen 
sichtes  zu  erfassen.  Grossartig  und  energisch  ist  dieser  Bogen  der  Augen- 
ochen  von  Natur  gebildet,  aber  seine  Form  wird  gesteigert  durch  den  mo- 
ntanen Seelenzustand.  Hoch  gezogen  erscheinen  hier  die  beweglichen 
ischigen  Theile  desselben  zu  beiden  Seiten  des  Nasenbeins,  während  sie 
den  äussern  Enden  stärker  über  die  Augenwinkel  sich  legen.  Die  Augen- 
er  lösen  sich  gleichsam  ab  von  dem  gewaltig  geöffneten,  aber  fast  starren 
ige,  um  dem  drängenden  Thränenstrom  Platz  zu  machen.  Es  scheint  die 
[e,  reine  Stirn  etwas  eingesunken  vor  der  Hebung  der  Augenbrauen.  Der 
hem  zieht  sich  in  die  feingebildeten  Nasenflügel  zurück,  die  Nasenwände 


1)  Meine  Schrift  de  Tellure  dea  deque  ejus  imagine  a  Man.  Phile  deseripta  p.  31.40.41 

2)  Man  vergleiche  den  Ausdruck  des  Antipater  h'9tov  atfttaa  xo/uetv. 

3)  Vorlauf.  Abhandl.  f.  K.  III.  §  Gl ;  Gesch.  d.  K.  IX.  2.  27. 

4)  Kunstarchäol.  Vorles.  S.  SO  f. ;  Gesch.  d.  Plast.  IL  8.  48. 

15» 


228  Zweites  Kapitel. 

werden  steiler ;  die  Muskeln  der  Wangen  spannen  sich  sichtlich  nach  Mund- 
winkel und  Oberlippe.  Und  der  etwas  geöffnete  Mund  mit  der  hinauf  sich 
ziehenden  Oberlippe,  mit  der  etwas  vorgeschobenen  Unterlippe,  mit  den  nach 
unten  zuckenden  Mundwinkeln  wird  gleichsam  zum  eben  gespannten  Instru- 
ment im  Moment,  ehe  ihm  Töne  entströmen ;  das  volle  Weinen,  so  erwartet 
man,  wird  auf  diese  Spannung  folgen.  Auch  das  Kinn  endlich  ist  gleichsam 
schmaler,  gerader,  hat  sich  mehr  losgelöst  aus  dem  vollen  schöngeschwunge- 
nen Oval  des  Gesichts,  folgt  auch  jener  in  den  Augen  ihren  Zielpunkt  fin- 
denden Richtung  der  Anspannung. 

So,  sehen  wir,  ist  ein  Moment  vor  dem  gewaltigen  Einbrechen  des  Wei- 
nens zur  Darstellung  gekommen,  ein  Moment  der  Haltung  noch,  begründe! 
in  der  eben  so  gewaltigen  wie  schönen  Natur.  Denn  wie  ist  die  Schönheit 
der  Gesichtsformen  nicht  vernichtet  durch  den  Schmerz,  sondern  bildet  für 
ihn  die  mässigende  Zucht,  füllt  den  Hintergrund  gleichsam  zwischen  den 
pathetisch  hervortretenden  Punkten !  Es  ist  ein  gewaltiges  Wehgefühl,  das 
bald  nichts  als  Weinen,  immerwährendes  Weinen  hervorrufen  wird,  über  eine 
königliche  Natur  gekommen,  die  ihrer  Hoheit,  ihrer  iirsprünglichen  Erha- 
benheit über  das  Irdische  nicht  untreu  werden  kann. 

Fragen  wir,  in  welche  Reihe  von  Gesichtsidealen  gehört  dieser  Kopf  der 
Niobe,  so  möchten  wir  sagen,  er  steht  gleichsam  zwischen  den  Idealen  der 
Juno  und  Venus.  Mengs,  Visconti1)  Wredowu.  a.  haben  auf  die  letztere, 
d.  h.  auf  jene  speeifische  Bildung  der  praxitelischen  Venus,  wie  sie  uns  im 
Vatican,  in  München,  in  Madrid  am  reinsten  entgegentritt,  hingewiesen  und 
mit  Recht,  was  die  weicheren,  fleischigen  Theile  des  Gesichtes  betrifft,  aber 
das  Oval  das  Gesichtes,  die  architektonische  Unterlage  überhaupt,  besonders 
der  Augenknochen,  nähern  sich  in  Festigkeit  und  Grösse  entschieden  dem  in 
der  ludo visischen  Juno  uns  vor  Augen  stehenden  Ideale.  Das  Auge  selbst  hat 
auf  der  einen  Seite  nicht  das  Gewölbte,  Hervortretende  der  stieräugigen 
Hera,  sondern  liegt  tiefer  geborgen,  ähnlich  dem  Auge  der  Venus,  abqr  es 
hat  auch  nicht  das  breit  Gezogene,  Schwimmende  des  letztern,  sondern  öffnet 
sich  aus  der  Tiefe  weit  mit  voller,  grosser  Rundung  des  Augapfels.  In  der 
Behandlung  der  Haare  und  der  Arme  haben  wir  auf  Juno,  aber  auch  auf  das 
von  ihr  Unterscheidende  aufmerksam  gemacht. 

Kehren  wir  von  dem  Haupt  noch  einmal  zur  ganzen  Gestalt  und  ihrer 
Gesammtmotivirung  zurück,  so  können  wir  nun  in  jener  Zusammensetzung 
von  Bewegungen  auch  die  Unterlage  nicht  verkennen.  Noch  ganz  Mutter  in 
den  Bewegungen  ihres  unteren  Körpers,  Schutz  und  Heimath  dem  einzig,  wie 
es  scheint,  geretteten  jüngsten  ihrer  Kinder  in  ihrem  Schoosse  bietend,  erhebt 
sie  sich  in  den  oberen  Theilen  mit  wundervoller  Grösse,  wie  ihr  Herz  geöffnet 
ist  nicht  blos  dieser  Tochter,  allen  ihren  Kindern,  so  dem  über  diese  herein 


1)  Mus.  Pio  Clement.  I.  t.  11.  p.  18. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  229 

brechenden  Unglück  als  Einzige  gewachsen,  um  endlich  im  Ausdrucke  des 
Gesichtes  nicht  körperlichen  Schmerz,  nicht  Bitten  und  Wünsche,  nicht  stolze, 
trotzige  Worte,  nein,  nur  die  mit  der  Naturgewalt  des  reinen  Schmerzes,  mit 
Thränen  ringende  schöne  und  grosse  Geistesnatur  zu  offenbaren. 

Das  hoch  Bedeutungsvolle  und  Grosse  in  den  Gesammtlinien  dieser  Gruppe 
von  Mutter  und  Kind !),  die  Mannigfaltigkeit  in  der  Anlage  der  Gewandung, 
das  Reine  und  Hohe  im  Gesichtsausdruck,  wie  es  uns  so  eben  beschäftigt  hat, 
drängt  die  rein  künstlerische  Betrachtung  gerade  dieses  Marmorwerkes,  gegen- 
über dem  unwillkührlich  darin  vorausgesetzten  Urbild  leicht  zurück,  ja  lässtdie 
erstere  leicht  als  eine  Beeinträchtigung  der  Bewunderung  des  letztern  erschei- 
nen. Und  doch  muss  jeder,  der  rein  griechische,  der  Werke  der  hellenischen 
Periode,  der  die  besseren  Werke  der  römischen,  reproducirenden  Kunst  ver- 
gleichend gesehen  hat,  der  einen  Sinn  für  den  Zauber  eines  reinen  griechi- 
schen Stiles  überhaupt  besitzt,  vor  dieser  Niobe  unmittelbar  es  aussprechen, 
dass  wir  hier  nur  eine  ganz  geschickte  Copie  römischer  Periode,  etwa  der 
hadrianischen  Periode  besitzen,  dass  die  Arbeit  des  Körpers  entschieden  hin- 
ter der  des  eingesetzten  Kopfes  zurücksteht.  So  stumpf  in  der  Behandlung 
der  herrlich  angelegten  Gewandmasse,  so  sehr  in  der  Ausführung  nur  auf 
Einen  Augenpunkt,  auf  die  Hülfe  der  Lokalität  berechnet,  so  flüchtig  und  roh 
in  allen  nicht  gerade  dem  Betrachter  leicht  zugänglichen  Theilen,  so  wenig 
durchdrungen  im  Einzelnen  von  dem  im  Ganzen  und  Grossen  waltenden  Geist 
erscheint  diese  Ausführung.  Aber  wir  dürfen  auch  wohl  sagen,  es  treten  die 
unverwüstlichen  Schönheiten  der  ursprünglichen  Compositionen  um  so  sicht- 
barer dabei  hervor,  nicht  durch  die  Eigenthümlichkeit  des  Reproducenten  ver- 
ändert. Dürfen  wir  einen  Vergleich  aus  der  Musik  entnehmen,  so  haben  wir 
hier  eine  klassische  Symphonie  umgesetzt  aus  dem  meisterhaften  Zusammen- 
wirken einer  Reihe  durch  Künstlerhände  gehandhabter  verschiedener  Instru- 
mente in  ein  nicht  ungeschicktes  Klavierspiel  eines  fertigen  Spielers. 

Fragen  wir  nun  nach  den  Wiederholungen. 

Ein  zweites  Exemplar  dieser  Gruppe  auch  nur  in  annähernder  Weise  ist 
uns  nicht  erhalten,  obgleich  die  grosse  Zahl  der  erhaltenen  Köpfe  der  Niobe, 
doch  weitaus  zum  grössten  Theil  auch  Statuen  voraussetzen  lassen,  zu  denen 
sie  einst  gehörten.  Und  dass  die  Gruppe  als  solche  vielleicht  in  mehrfachen 
Nüancirungen  wiederholt  war,  dafür  giebt  ein  interessantes  zweites  Exemplar 
der  in  den  Schooss  geflüchteten  Tochter  Beweis.  Ehe  wir  den  Kopf  durch- 
mustern, haben  wir  noch  mehrere  Statuen  zu  gedenken,  welche  in  ihrer  Mo- 
tivinuig  mit  der  eben  betrachteten  nichts  zu  thun  haben,  aber  in  der  grössten 
Sammlung  statuarischer  Abbildungen,  bei  Clarac  für  Niobe  erklärt  sind.    Ich 


1)  J.  Dallaway  rühmt  sie  auch  speciell  als  Gruppe  in  Statuary  and  sculpture  among 
the  antients  with  some  aecount  of  speeimens  preserved  in  England.  London  1826.  p.  22t  ff.; 
Über  die  Augen  der  Niobe  ebenda«,  p.  44. 


230  Zweites  Kapitel. 

meine  die  stehende  Figur  in  der  Sammlung  Vescovali  zu  Rom,  mit  beiden 
über  den  fremden  aufgesetzten  Kopf  gehobenen  Armen1),  dann  eine  stehende 
Figur  in  der  Sammlung  Torlonia2),  deren  Kopf,  wenn  auch  davon  getrennt 
gewesen,  ihr  zugehört,  mit  selir  starken  Ergänzungen  beider  Anne  und  Thei- 
len  der  Seiten,  ferner  eine  aus  der  Sammlung  Farnese  in  das  Museo  Borbo- 
nico  übergegangene  Statue3],  endlich  die  beiden  unter  dem  Namen  der 
Ariadne  bekannten  und  als  solche  anerkannten  sitzenden  Frauengestalten  der 
Dresdner  Antikensammlung  und  des  Palastes  Giustiniani  in  Rom 4) .  Keine 
dieser  Statuen  ist  mit  einer  Art  Wahrscheinlichkeit  Niobe  zuzuweisen,  eine 
nur  mit  einer  als  Niobide  vielfach  betrachteten  zusammenzustellen.  Man 
sehe  sich  jene  erst  genannte  weibliche  Gestalt  bei  Vescovali  an  im  langen 
Chiton  und  Diploidion,  aber  ohne  jedes  Obergewand,  mit  durchaus  mädchen- 
haftem, nichts  weniger  als  matronalem  Körper,  ja  auffallend  unentwickelten 
Brüsten,  zugleich  in  einer  Position  völliger  Ausruhe.  Die  zweite  sogenannte 
Niobe  der  Sammlung  Torlonia  wird  uns  sofort  an  die  Münchner  sog.  Leuko- 
thea  erinnern  und  ist  mit  vollem  Recht  von  Friederichs  kürzlich  als  eine  Ka- 
rotrophos  (ob  speciell  Gaea,  darüber  ist  zu  streiten)  mit  jener  abgebildet 
worden5)  ;  in  ihr  ist  von  einer  tragischen  Bewegung  keine  Spur,  nur  von 
einer  milden,  mütterlichen  Innigkeit,  die  Hebung  des  rechten  Armes,  welche 
dazu  so  schlecht  passt,  gehört  mit  ihm  ganz  dem  Ergänzer.  Von  entschieden 
bewegtem,  ernst  und  tief  bewegtem  Ausdruck  ist  die  Statue  des  Museo  Bor- 
bonico,  aber  es  fragt  sich,  ob  wir  dabei  an  Niobe  und  Niobide,  nicht  eher  an 
eine  andere  tragische  Gestalt  zu  denken  haben.  Die  Antwort  wird  für  sie, 
wie  für  die  ihr  entsprechende  Berliner  Niobide6)  gleich  erfolgen  müssen. 
Wie  man  bei  jenen  zwei  in  voller  Enthüllung  der  jugendlichen,  vollen,  aber 
zarten  Formen  des  Oberkörpers  sitzenden  Gestalten,  bei  dem  träumerischen 
Hinausblicken  in  die  Ferne  des  aufgestützten  Hauptes  an  Niobe,  die  Mutter 
einer  bereits  in  jugendlicher  Schönheit  prangenden  Kinderzahl,  an  einen 
stummen  Schmerz  einer  Mutter  hat  denken  können,  wird  man  schwer  be- 
greifen. 

Ueber  Niobeköpfe  hat  uns  Welcker7)  reichhaltige  Auskunft  gegeben, 


1)  Clarac  pl.  5SS  n.  1274.  Carrar.  Marmor.  Grösse  5  P.  3.  Z.  Modern  beide  Arme 
über  dem  Deltoides  und  Theil  der  Gewandung  bei  dem  rechten  Arm.  Kopf  antik  aber  fremd. 

2)  Clarac.  pl.  5S9.  n.  1275.  Höhe  10  P.  Am  Kopf  Nase  und  und  Diadem  modern,  des- 
gleichen rechter  Arm  über  dem  Deltoides,  linker  Arm  mit  Theil  der  Seite,  Theüe  des  Ge- 
wandes, der  Füsse,  der  Basis. 

3)  Clarac  pl.  590.  n.  1276;  Mus.  Borb.  1. 1.  n.  351. 

4)  Clarac  pl.  5S4.  n.  1203;   pl.  590.  n.  1277.    Vgl.  dazu  O.  Jahn  Archäol.  Beitr.   S 
2S2ff.,  Stark  in  Ber.  d.  K.  S.  Ges.  d.  W.  hist.-philol.  Kl.  1S60.  S.  28. 

5)  Archäol.  Zeit.  1S59.  n.  21—23.  Taf.  23. 

6)  Beide  vergleicht  Friederichs  Praxiteles  und  die  Niobegruppe  p.  75. 

7)  Alte  Denkm.  I.  S.  223—225. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  23 1 

dem  wir  daher  wesentlich  folgen  mit  einigen  Zugaben.  Genauere  Kunde 
ist  von  manchen  sehr  zu  wünschen.  In  Rom  selbst  sind  uns  noch  sechs 
Exemplare  bekannt,  welche  aber  an  Kunstwerth  durchaus  unter  sich  nicht 
gleich  stehen.  Der  bedeutendste  (1)  ist  der  Kolossalkopf  des  capi toi  hu- 
schen Museums1),  welcher  in  der  Gallerie  über  einer  Thüre  sich  befindet 
und  von  Meyer2)  zuerst  hervorgehoben  ist  als  vortrefflich  gearbeitet.  Er  ist 
gezeichnet  im.  Museum  Capitolinum 3) .  Ein  zweites  (2)  Exemplar  kleiner 
befindet  sich  in  derselben  Gallerie4).  Im  Vatikan  im  Museo  ühiaramonti 
wird  unter  No.  28  ein  Niobekopf  (3)  von  Gerhard  und  Platner  5)  aufgeführt, 
dagegen  der  Kopf  n.  368  abgewiesen;  Burckhardt  macht  auf  n.  509  einen  als 
Ariadne  bezeichneten,  wohl  hierher  gehörigen  Kopf  aufmerksam  6) .  Welcker7) 
entdeckte  später  auf  der  Treppe  des  Palastes  des  Duca  Massimoa  Araceli 
einen  mittelmassigen  Niobekopf  (4) .  Die  Kataloge  der  nun  verkauften  Samm- 
lung Campana8)  weisen  zwei  Niobeköpfe  von  Marmor  auf,  von  denen  wir 
einen  in  kolossaler  Grösse,  in  Rom  auf  dem  Campus  Martius  (wo?)  gefunden, 
jedenfalls  anzuerkennen  haben  ;  der  andere  dagegen  in  gewöhnlicher  Grösse 
mit  der  Bezeichnung:  „ verschleiert* '  scheint  mir  sehr  unsicher.  Jener  ist 
nach  Petersburg  in  die  Kaiserliche  Sammlung  der  Eremitage  gekommen  und 
ist  nach  Guödeonoff9)  an  Kunstwerth  nur  mit  Venus  von  Milo  und  Ludovi- 
sischer  Juno  zu  vergleichen.  Eine  freundliche  briefliche  Mittheilung  von  Ste- 
phani  bezeichnet  ihn  „als  von  nicht  übler  Arbeit  und  zwar  ohne  Angabe  der 
Augensterne".  Wohin  der  im  J.  1808  in  Aquileja  bei  den  durch  den 
Vicekönig  Eugen  von  Italien  veranstalteten  Ausgrabungen  gefundene  kolos- 
sale Kopf  der  Niobe  (7),  von  dem  eine  Zeichnung  damals  gleich  nach  Paris 
kam,  selbst  gelangt  ist,  ist  unbekannt ;  er  mag  wohl  mit  einem  andern  der 
angeführten  Köpfe  identisch  sein  10). 

Ausserhalb  Italien  sind  zwei  Exemplare  in  Deutschland,  zwei  in  England, 
eines  in  Kusslaud  mehrfach  bezeugt ;  zwei  treffliche  Köpfe  des  Louvre  müssen 
ausserdem  jedenfalls  sehr  in  Frage  kommen,  wenn  sie  auch  vielleicht  richtiger 
einer  Niobide  als  einer  Niobe  zuzusprechen  sind.    Aus  der  alten  brandenbur- 


1)  Beschreib,  Roms  III.  1.  S.  16S.  n.  35  nur  einfach  verzeichnet.    Vgl.  Burckhardt 
Cicerone  S.  505. 

2)  Propyl.  II.  2.  S.  32. 

3)  Vol.  III.  t.  42.  p.  87. 

4)  Beschreib,  lioms  III.  1.  S.  173.  n.  62. 

5)  Beschreib.  Korns  II.  2.  S.  41. 

6)  Cicerone  S.  505.   Auch  n.  50  wird  gewöhnlich  für  Niobe  gehalten,  weicht  im  Haar- 
putz ab. 

7)  Rhein.  Mus.  f.  Philol.  N.F.  IX.  S.  275. 

8)  Class.  VII.  n.  OS.  09. 

9)  Notice  etc.  p.  42 — 14.  Arch.- Anz.  1862.  n.  158. 
10)  Miliin  Magasin  encyclopedique  1809.  II.  p.  231. 


232  Zweites  Kapitel. 

gischen  Sammlung  kam  durch  Ankauf  um  1720  ein  kolossaler  Niobekopf 
nach  Dresden  (8)  *),  welcher  auf  das  Entschiedenste  als  eine  treffliche  Wie- 
derholung des  ^Florentiner  Kopfes  sich  darstellt.  Die  Wendung  des  Kopfes, 
die  auf  die  Schultern  herabfallende  Haarfülle,  das  Band  in  den  Haaren,  der 
geöffnete  Mund,  die  schmalen,  gezogenen  Nasenlöcher,  die  grossen  geöffne- 
ten Augen  sind  dafür  sprechendstes  Zcugniss.  Bei  einer  genauem  Betrachtung 
im  Sommer  1861  bemerkte  ich  deutliche  Reste  einer  schwarzen  Bemalung 
der  Augäpfel;  sonst  manche  Spur  glatter  Ueberarbeitung.  Köln  soll  im 
städtischen  Museum  das  zweite  Exemplar  des  Kopfes  in  Deutschland  besitzen, 
ebenfalls  kolossal,  durch  Wallraff  in  Rom  angekauft,  mit  ergänzter  Nase  und 
Lippen2).  Vergeblich  habe  ich  im  April  dieses  Jahres  die  allerdings  damals 
noch  nicht  beendete  Aufstellung  der  Antiken  des  neuen  Wallraffschen  Museums 
durchmustert  nach  diesem  Kopf.  Ein  grosser,  idealer  Frauenkopf  als  Kleo- 
patra  dort  bezeichnet,  scheint  von  Urlichs  Niobe  genannt ;  das  Gesicht  ist 
geradaus  gerichtet,  ist  oval,  mit  ernstem  Ausdruck,  Nase  und  Kinn  neu.  Das 
Haar  ist  hinten  heraufgenommen  und  unterscheidet  den  Kopf  wesentlich  von 
Niobeköpfen,  ebenso  wie  die  Ruhe.  Noch  weniger  kann  Niobe  ein  nahe  bei 
dem  andern  aufgestellter  jugendlicher,  idealer  Frauenkopf  sein. 

Nach  England  kam  durch  Graf  Arundel  ein  Niobekopf  (9),  welcher  in 
Oxford  unter  den  Resten  der  Arundelschen  Sammlung  aufbewahrt  wird8), 
nach  Welcker  genau  mit  dem  fiorentinischen  stimmend.  Von  ausgezeichne- 
tem Kunstwerth  ist  der  aus  Rom  durch  Nolleken  gebrachte,  zuerst  von  Lord 
Exeter  besessene  Kopf  (10)  in  der  Sammlung  des  Lord  Yarborough  inBrockes- 
leyhouse  (Lincolnshire)  4),  vortrefflich  erhalten  bis  auf  die  Nasenspitze  und 
Brüste.  Auch  die  Oberfläche  der  Haut  ist  fast  ganz  unversehrt.  Das  breite 
Haarband,  die  auf  den  Nacken  reich  in  Locken  sich  auflösende  Haarfullc, 
die  Seitenwendung  des  Kopfes  zeigen  ihre  wesentliche  Uebereinstimmung 
mit  dem  florentincr  Kopf,  den  er  im  Stil  weit  übertrifft.  Am  Hals  sind  die 
die  Matrone  charakterisirenden  Falten  der  Haut  sichtbar.  Die  Augenlinie 
ist  etwas  milder,  weicher  behandelt. 

Winkelmann  bemerkt  in  seiner  Kunstgeschichte  5j  über  einen  Kopf  der 
Niobe  (11),  von  dem  ein  Gypsabguss  in  Rom  existirc :  ves  sind  an  demselben 
der  Augenknochen  und  die  Augenbrauen ,  die  an  der  Niobe  in  Marmor  mit 
einer  empfindlichen  Schärfe  angegeben  werden,  dort  rundlich  gehalten,  wie 


1)  Abbildung  in  Laur.  BegerThesaur.  Brandenburg.  III.  p.  327  $  dann  in  W.  0.  Becker 
Augusteum  Taf.  XXXI.  Vgl.  Katalog  von  Hase  n.  12$;  Katalog  von  Hettner  n.  115. 
Höhe  1  F.  3  Z. 

2)  Jahrbb.  d.  Rh.  Ver.  v.  Alterthumsfr.  III.  196. 

3)  Prichard  Mann.  Oxon.  tab.  54. 

4)  Specim.  of  anc.  sculpt.  I.  pl.  35 — 37 ;  Dallaway  Anecdotes  of  the  arts  in  England. 
T.  II.  p.  136.  386.   Müller- Wieseler.  D.  A.  K.  I,  t.  XXXIV.  C. 

5)  B.  IX.  2.  §  27. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke:  233 

an  dem  Kopf  des  Meleager  im  Belvedere,  welches  mehr  Grazie  hervorbringt 
—  es  sind  auch  die  Haare  mehr  als  an  jenem  ausgearbeitet,  so  dass  dieser 
Kopf  von  einer  Niobe  des  Praxiteles  übrig  geblieben  sein  könnte,  die  in  der 
Sinnschrift1)  gemeint  wäre".  Nach  Fea  war  der  Marmor  nach  England  ge- 
gangen, aus  England  kam  er  1784  nach  Russland  und  ward  im  Schlosse 
Zarskoje  Selo  aufgestellt.  Köhler2)  bestätigt  seine  Identität  mit  dem  Origi- 
nal des  von  Winkelmann  charakterisirten  Gypsabgusses  und  setzt  ihn  über 
den  Florentiner  Kopf,  ja  schreibt  ihn  der  von  Plinius  gesehenen  Original- 
gruppe des  Skopas  oder  Praxiteles  zu.  Nach  mündlichen  Mittheilungen,  die 
Welcker  von  Köhler  gemacht  wurden  ,  ist  er  von  dort  schon  längere  Zeit 
verschwunden  und  soll  sich  auf  einem  Gute  Nemeroff  in  Polen  des  Fürsten 
Radziwill  befinden.  Weitere  Angaben  über  diesen  Kopf  und  seinen  jetzigen 
Aufenthaltsort  fehlen  noch  immer3).  Dem  Schlüsse,  welchen  Winkelmann 
an  die  reicheren,  mehr  anmuthigen  Formen  dieses  Kopfes  in  Bezug  auf  ein 
Werk  des  Praxiteles  dem  des  Skopas  gegenüber,  knüpft,  werden  wir  heutzu- 
tage nicht  mehr  folgen  können,  wo  wir  im  Hinblicke  auf  griechische  Origi- 
nale überhaupt  aus  Jüngern,  griechisch-römischen  Nachbildungen  nicht  mehr 
die  feinen  Nüancirungen  zwischen  diesen  Meistern  zu  bestimmen  wagen. 

Weiter  mache  ich  noch  auf  drei  treffliche  Köpfe  im  Louvre  aufmerk- 
sam, bei  denen  Clarac  mit  vollem  Recht  Anklänge  an  Niobeköpfe  gefunden 
hat,  wie  dies  auch  mir  bei  persönlicher  Betrachtung  lebendig  war.  Der  eine 
ist  ein  grandioser  Kopf  von  parischcm  Marmor  im  Saal  des  Centauren  n.  131*), 
mit  ergänzter  Nase,  Lippe  und  Kinn.  Clarac  bezeichnet  ihn  als  une  heroine 
affligee  qui  lcve  tristement  ses  regards  vers  le  ciel,  lässt  dann  die  Wahl  zwi- 
schen verschiedenen  Heroinen.  Von  wesentlichem  Unterschiede  mit  der  Flo- 
rentiner Bildung  ist  die  Behandlung  des  Haares;  hier  eine  zierliche  Ordnung 
desselben,  indem  die  hinteren  Haare  theilweise  in  einen  Schopf  aufgenom- 


1)  S.  oben  S.  63. 

2)  Journal  in  Ilussland.  1793.  I.  S.  348;  H.  K.  E.  Köhler  gesammelte  Schrift,  her- 
ausgeg.  v.  L.  Stephani  Bd.  VI.  kl.  Abhandl.  Petersb.  1833.  S.  ö — 12.  Die  treffliche  Er- 
haltung bis  auf  das  Bruststück  wird  gerühmt. 

3)  Als  ich  in  diesem  Frühjahr  mit  dem  an  kunstgeschichtlichen  Interessen  so  reichen  und 
einsichtsvollen  Bildhauer,  H.  von  der  Launitz  in  Frankfurt  eingehend  über  die  Florentiner 
Niobiden  sprach,  erwiederte  er  auf  meine  Frage,  ob  er  den  Petersburger  Kopf  gesehen,  er 
erinnere  sich  dessen  mit  Bestimmtheit,  er  habe  ihn  1822  in  der  Eremitage  gesehen ;  man 
müsse  seinen  Stil  durchaus  malerischer ,  flüssiger  nennen,  die  Haare,  die  aufgelöst  über 
die  Schulter  herabfielen,  zeigten  diesen  Charakter  in  besonderem  Grade.  L.  Stephani  ver- 
sichert mir  nun  brieflich,  der  Kopf  sei  nicht  in  der  Eremitage,  auch  nicht  seit  der  Vereini- 
gung aller  Antiken  aus  den  kaiserlichen  Schlössern  in  der  neuen  Eremitage,  auch  die  vier 
Niobidenköpfe  fehlten,  er  zweifle  nicht  an  der  Angabe  Köhlers.  Wie  dieser  Widerspruch 
zu  lösen,  ist  mir  noch  nicht  klar. 

4)  Clarac  Manuel  de  l'histoire  de  Part  I.  p.  61  j'  Bouillon  Musee  des  antiques  III, 
pl.  3 ;  Clarac  Musee  des  sc.  pl.  1085.  n.  2810  F.  Höhe  0,631  -  1  F.  11  Z.  4  L. 


234  Zweites  Kapitel. 

men  sind,  theils  als  starke  Flechte  rückwärts  zum  Scheitel  in  die  Höhe  ge- 
legt sind,  auch  von  vorn,  ähnlich  wie  bei  Erotenbildungen  in  der  Mitte  der 
Stirne  eine  Flechte  nach  hinten  geht ;  von  einem  Hand  durch  die  Haare  ist 
keine  Spur.  Auch  scheint  mir  der  Ausdruck  des  Thränenschweren  nicht  in 
den  Augen  dieses  edeln,  reifen,  weherfüllten  Gesichtes  zu  liegen.  Die  zwei 
anderen  Köpfe1),  einer  in  Bronze  in  kleinem  Massstab  (H.  0,140  Meter),  der 
andere  yon  griechischem  Marmor,  grösser  (die  Angaben  schwanken  zwischen 
0,600  M.  und  0,366  M.)  von  trefflichem  Stile,  als  Venusköpfe  gewöhnlich 
bezeichnet,  offenbaren  eine  Venusbildung,  aber  ganz  in  Bewegung,  Haar- 
bildung und  geistigen  Ausdruck  des  geöffneten  Mundes,  der  Augen  Niobe 
oder  ihren  Töchtern  analog.  Ich  stehe  nicht  an,  sie  als  Wiederholung  des 
Kopfes  der  der  Mutter  am  ähnlichsten,  im  Sturmschritt  eilenden  Tochter  *) 
entschieden  in  Anspruch  zu  nehmen.  Dass  eine  Bronzebildung  von  Niobi- 
den,  speciell  dieser  Tochter  nicht  allein  steht,  werden  wir  weiter  unten 
zeigen. 

So  steht  zu  hpffen,  dass  eine  genauere  Durchmusterung  weiblicher  Ideal- 
köpfe, die  der  Venus  bildung  sich  nähern,  in  den  Museen  Europas  die  Reihe 
der  Niobe-  und  weiblichen  Niobidenköpfe  noch  in  bedeutsamer  Weise  ver- 
mehren wird. 

Aber  auch  von  der  jüngsten  in  den  Schooss  der  Mutter  geflüchteten 
Tochter  ist  uns  eine  etwas  anders  motivirte,  aber  in  den  wesentlichsten 
Punkten  übereinstimmende  Wiederholung  erhalten  und  zwar  in  einem  Ber- 
liner Torso,  einer  zur  sogenannten  Familie  des  Lykomedes  gehörigen,  ge 
wohnlich  als  Psyche  jetzt  bezeichneten  und  mit  Psychestatuen,  die  wir  im 
Folgenden  näher  zu  betrachten  haben,  zusammen  aufgeführten  weiblichen 
Gestalt3).   Levezow  hat  in  so  einfacher  und  einleuchtender  Weise  den  Bezug 


1)  Clarac  Musee  des  antiques  III.  pl.  1096.  n.  27iM  CD. ;  Texte  VI.  p.  15:  ces  t£tes 
ideales  de  femme  dites  Venus,  d'unbeau  style  et  qu'aucun  attribut  ne  caracterise  ont  quel- 
que  rapport  avec  celle  de  Niobe;  Manuel  de  l'hist.  de  l'art  I.  p.  107.  n.  243.  Ein  Kopf 
bereits  bei  Bouillon  Musee  des  ant.  III.  pl.  3. 

2)  Clarac  pl.  582.  n.  1257;  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  n.  142  A.c;  uns.  Taf.  XV.  7. 

3)  Abgebildet  Levezow  Familie  des  Lykomedes  Taf.  IX.  Gerhard  in  Berl.  Ant.  S.  58f. 
n.  60 ;  Verzeichn.  d.  Bildhauerei.  Aufl.  35.  1858.  S.  21.  n.  75  vergleicht  sie  mit  der  Psyche 
unter  den  Niobiden  in  Florenz,  lässt  aber  auch  den  Gedanken  offen,  ein  knöchelspielendes 
Mädchen,  vielleicht  auch  im  Zusammenhang  mit  dem  Niobemythus  in  ihr  zu  finden.  Dass 
alle  statuarischen  Bildungen  von  Knöchelspielerinnen,  von  denen  in  Berlin  auch  ein  so 
treffliches  Exemplar  sich  befindet,  eine  ganz  andere  Situation,  ein  ruhiges  Sitzen  mit  un- 
tergeschlagenen Beinen  zeigen,  ist  bekannt.  Und  auch  die  unserer  ähnliche  Gestalt  auf  der 
herkulanischen  Zeichnung  unterscheidet  sich  wesentlich.  Die  Art,  wie  das  Gewand  her- 
abgesunken ist,  die  nach  vorn  sich  beugende  und  gedrehte  Bewegung  weist  auf  starke 
innere  Eile  und  Erregung  hin.    Dagegen  mache  ich  selbst  aufmerksam  auf  die  gleiche  Mo- 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  235 

dieser  Statue  zur  jüngsten  Niobetochter  dargelegt,  dass  man  sich  sehr  wun- 
dern muss,  dass  derselbe  bis  jetzt  zu  keiner  Anerkennung  gelangt  ist  —  nur 
O.  Jahn  äusserte  die  Wahrscheinlichkeit  der  Sache  und  ist  jetzt  entschieden 
dafür  —  ja  dass  seine  ganze  Ansicht  gänzlich  verschollen  zu  sein  scheint !) . 
Wir  haben  natürlich  nur  den  antiken  Theil  dieser  in  eingebogener  Stellung 
3  F.  hohen  Statue  von  parischem  Marmor  zu  beachten.  Und  neu  ist  Kopf, 
Hals ,  Schultern ,  Brust ,  beide  Arme  und  fast  der  ganze  untere  Theil.  In 
schlagendster  Weise  tritt  uns  an  dem  mittleren  Rumpf  die  bis  ins  Ein- 
zels te  gleiche  Ausführung  der  Gewandung  mit  der  Tochter  der  Gruppe  ent- 
gegen. Ein  Chiton  umschliesst  allein  den  Körper  bis  zu  den  Weichen  in 
striemenartigen  feinen  Falten  und  lässt  darunter  denselben  in  seinen  Formen 
unmittelbar  heraustreten  hier  wie  dort.  Auffallend  ist  es,  dass  sich  über 
den  Hüften  ein  Absatz  um  den  ganzen  Umkreis  des  Körpers  herumzieht, 
der  keine  Folge  von  Verwitterung  ist,  sondern  von  Levezow  wohl  richtig 
erklärt  wird,  der  Künstler  habe  durch  ein  nochmaliges  Ueberarbeiten  an  die- 
sen Theilen  eine  Anzahl  der  kleineren  Falten  zwischen  den  grösseren,  die 
selbst  in  dem  überarbeiteten  Theile  stehen  geblieben  sind ,  vertilgen  wollen, 
sei  aber  damit  nicht  zu  Ende  gekommen.  Das  glatte,  stärkere  Obergewand 
ist  bis  auf  die  Hüften  und  Oberschenkel  ringsum  herabgesunken  und  hier  in 
einem  weiten  Wulst  umgeschlagen.  Hierin  ist  völlige  Uebereinstimmung  mit 
der  Florentiner  Gruppe.  Was  endlich  die  Motivirung  der  ganzen  Gestalt  betrifft, 
so  ist  allerdings  bei  der  Berliner  Statue  ein  stärkeres  Einknicken  der  unteren 
Extremitäten  vorhanden,  das  linke  gebogene  Knie  ist  bedeutend  höher  ge- 
hoben. Ob  die  Spuren  auf  dem  linken  Oberschenkel  von  dem  ihn  berühren- 
den linken  Ellenbogen  oder  von  dem  eng  sich  anschliessenden  Körper  oder 
Gewandtheil  der  Mutter  herrühren,  ist  schwer  zu  sagen.  Auch  der  Mittel- 
körper ist  hier  mehr  nach  der  linken  Seite  gesenkt,  so  dass  eine  eigen- 
tümliche Drehung  derselben  dadurch  hervortritt.  Die  Niobe  in  Florenz 
wirft  sich  gcradaus  mit  voller  Gewalt  in  den  Schooss  der  Mutter  und  strebt 
zu  ihr  noch  empor,  diese  rettet  sich  zusammenbrechend,  in  scheuer  Wendung 
vor  der  Gefahr  in  den  mütterlichen  Schutz.  Wir  haben  übrigens  in  diesem 
Torso  schwerlich  ein  Fragment  einer  aus  einem  Stein  gebildeten  Gruppe,  son- 
dern ein  selbständig  gewordenes  Glied,  das  zur  Gruppe  mit  der  Mutter  zu- 
sammengestellt werden  konnte. 


tivirung  unserer  Statue  mit  einer  Darstellung  auf  einer  spätem  Kupfermünze  von  Nikome- 
dia  (Müller- Wieseler D.  A.  K.  I.  t.LXXII.  n.  404),  auf  welcher  Psyche  in  da«  eine  Knie  ge- 
sunken dem  forteilenden,  abweisenden  Amor  das  Bein  bittend  umfasst.  Es  war  gewiss 
dies  ein  späteres,  berühmtes  Kunstwerk  in  dem  an  Kunstwerken  so  reichen  Nikomedien, 
bei  dem  für  Psyche  in  freier  Weise  ein  bekanntes  Niobidenmotiv  benutzt  war. 

1)  Auch  Welcker  (A.  D.  I.  S.  248  Anm.)  erwähnt  die  Statue  und  Gerhards  Deutung, 
nicht  aber  die  von  Levezow. 


4M  Zwritoit  Kapitel. 

M*    D(M   l'ftilu£o£  und  der  jüngste  Sohn. 

\l%l»ll«luii|t%Mii  r*.  t.  t«K  i:»i  F.  flg.  I.  10:  Z.  t.  II.  15;  Cl.  pl.  5S6.  n.  1270; 
v\  \sv  h  l*Mt  XL  AU,  T.  *i.  0  M"  XtohidC  :  MW.  n.  142  .4.  6.  e.;  W.  12.  1.1; 
Mlllln  UM.  m\th«d.  r  rXI.Ul.  u.  V*t>;  Overbeck  i.  K. ;  unsere  Tafel  XVI. 

^  i  it  a  u  #  n  n  £ **  n  an  dem  l'Adax"g*n :  beide  Arme  scharf  von  der  Achsel  an  neu ; 
Sl  tickt*  in  d**  llonatid  iungo*cUi  i  rvchte*  Knie  verletzt  an  der  Innenseite;  an  der  rech- 
ten WadvKtnck  t%insv«cUI  i  beide  Fusse  überarbeitet .  rechte  Ferse  neu.  Ueber  den 
K**!*f  **nd  die  Vngahen  \  erschieden;  jedenfalls  derselbe  besonders  gearbeitet  und  in 
de«  Unm^f  c-in$v*etrt;  nach  Fahroni  ist  er  aber  antik,  nur  sehr  überarbeitet  bw  auf 
Vhwte  de*  Itarte* ,  nach  Me>rr  ist  dajee^en  der  Kopf  modern  und  die*  wird  durch  die 
Vbhdslntvt  Km  WaWwi*  wdlstandig?  Nwtaftxt.  wo  der  Kopf  noch  sanx  fehlt.  Am  juong- 
x*vm  ^svKm  Vhode  de*  Kopfr«  bc*cba\Ujet ;  neu  «&*  Xa*r,  Nnde  Lippen,  aweb  Hais,  fer~ 
*y*  *W*  *w^*v  Vm,  \i\v  Unke  Haad  *ju*  &ack  i«*waa£.  dae  5ak*  Knicscbeibe.  die  Ge- 

«^tw     t%l*«v«  *trt  R*si>*  */**<  M  .  ;.Vw  KasSs  \*5rf  M.    XxAöde  w6x  Basis 

V.^1  M    aV*v  ^^  *.?»*  M 

XV«  <>*«(***  $tv*v^  ^  WJ^J^tV,  ^Ix^f^ii  kirr  vvrtvceka.  4a  sie  fllr 
^ v  **s  ^*^y  *  ********* AXÄtestt^:  WvVft&tSÄÄ  ^w.  wä*  «£&£..  Iä  Y&stkiB  brfindet 

>&*   ^Hx^*  S«*Y***"  .    «^  >&«  F*pjttVdbttt  Sucn^irr«:  iffiimiml.  in 

vW.  \  *»*\  Wf**  &*  M*vw*.  Vr**C  ä*c  V^fic«:  ü**  Juiwtt  Itanc  mJE  *cwra*  Gr- 

>^  w/.*i>^  \t  Ar  nrt*4>v>Ktn  ^f*i-*r  inr  >5t^M^..  n  die  SStnnr  Ow^nn  -tm 
h>Hw^  ?i*  ^^^>k  «•*t^*r^ii  4to*t  »itw  C*ivt«!r>i  Ir^muidf  imf  "1  jtnatxB  «rar  im  J. 
V*»  >v».  i4jki.  t\t\*.  vtnp&H\hsnm*t*w  \**h»»tti*t  iti*f  v«niitK*aTn^  *  ^ftmasr  umisr  Ann» 
HM^m  ^«  V^ÜHj^Sww  vm  v^vn  uni'.  "»cmswir  'Stau*  .  v*m  ^bimsem»- 
t«^%i  *,.%i  ^  >tv\i«-  \|}  i i  u*m , .  V.* 5c*»^  i  Xltfrtnw^fnajjmpi itr.  A^nttnltt  jvfäannsi,  'wnräsu. 
i^    f*tv  ^«^or^iYK  *V*    ld»|püwi-  5u*v  %»ntii>*fri%*ri^nM   Wt^it?n  .  'int  äf?tt 

^«1%%*    ^^K,  v*«v»  ^MC»    ^r  *h^  X|r«*f^  >evxt  l»tV;     «lv  Xta.r*nnj*;iuiUM ..  -wdlHh*1 


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Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  237 

uns  interessirt,  umgestürzt  am  Fusse  einer  sehr  sorgfältig  gearbeiteten  römi- 
schen Wand,  nahe  einem  kleinen  Postament,  auf  dem  sie  nicht  gestanden  ha- 
ben kann.  Ein  Marmorarm  und  Bein  dabei  gefunden,  gingen  durch  die  Ar- 
beiter verloren ;  sonst  fanden  sich  wieder  Mauerreste ,  Stücke  Marmor  u.  dgl. 
Leider  sind  trotz  aller  guten  Wünsche  nicht  die  Ausgrabungen  methodisch 
nun  fortgeführt  worden,  sondern  der  ganze  Raum  mit  der  Hastion  bedeckt. 
In  der  That  eine  nicht  genug  zu  beklagende  Thatsache ,  da  allen  Anzeichen 
nach  diese  Gruppe  in  diesem  Räume  nicht  das  einzige  Marmorwerk  war  und 
wir  hier  hoffen  konnten  eine  grosse  Zahl  von  Niobiden  vereint  zu  finden. 

Wie  kommt  ein  solches  Werk  nach  Soissons  und  wie  speciell  an  jene 
Stelle?  Soissons  an  der  Aisne  ist  bekanntlich  das  alte  Augusta  Suessionum, 
vorher  schon  als  Noviodunum  bestehend ,  unter  Augusts  Fürsorge  durch  Dru- 
su8 ,  den  Sohn  der  Livia ,  erweitert ,  mit  grossen  baulichen  Anlagen  versehen, 
mit  Tempel  von  Isis  und  Serapis  ausgestattet ,  ein  Kreuzungspunkt  wichtiger 
Strassen,  ein  militärisch  bedeutender  Punkt  mit  Hauptstation  der  XXV.  Legion, 
später  mit  einer  sehr  grossen  Fabrik  militärischer  Bedürfnisse,  Aufenthaltsort 
einzelner  Kaiser  wie  des  Maximianus  Hercules,  der  letzte  Haltepunkt  noch 
lange  Zeit  der  römischen  Herrschaft  in  Gallien,  bis  es  486  von  den  Frauken 
erobert  ward.  Ein  Amphitheater,  ein  grosses  Theater  sind  durch  Funde,  und 
Grabungen  bedeutender,  gewölbter  Räume ,  so  1551  und  1762  nachgewiesen. 
Die  Yolkstradition  römischer  Zeit  haftete  aber  vor  allem  auf  jener  Gegend  des 
oben  genannten  Feldes  und  sprach  von  dem  Chäteau  d'albatre,  dem  Alabaster- 
schloss.  Die  Existenz  eines  grossen  römischen  Gebäudes  ist  durch  Auffindung 
von  den  Fundamenten  der  härtesten  Stein-  und  Cementmassen,  von  Gewölben, 
Gängen,  endlich  durch  die  Fülle  von  Stücken  Marmor,  Porphyr,  Jaspis,  durch 
Architek turtheile,  Münzen  von  Gold,  Silber,  Kupfer,  die  von  Drusus  und  Ti- 
berius  über  Vespasian  und  weiter  abwärts  sich  erstreckten,  ausser  allem  Zweifel 
gesetzt.  Im  J.  1552  hatte  man  eine  bis  auf  den  Kopf  wohl  erhaltene  Marmor- 
statue einer  Frau,  auch  ein  Relief  gefunden.  Elfenbeinnadeln  gehören  auch  zu 
den  dort  nicht  seltenen  Dingen.  In  der  That  muss  also  hier  ein  Prachtbau, 
nahe  dem  Amphitheater  gestanden  haben;  ob  dieses  als  militärischer  und  Re- 
gierungsmittelpunkt, als  Sitz  des  römischen  Legaten  wohl  zu  betrachten  ist, 
oder  als  Therme,  darüber  ist  zunächst  noch  keine  Sicherheit  gegeben. 

Ergänzungen:  am  Pädagogen  neu  der  Kopf,  der  ganze  linke  Arm  mit  sich  an- 
schliessendem Stück  Gewand ,  am  Niobiden  der  Kopf  mit  Hals  und  Nacken ,  die  linke 
Hand  mit  Stückchen  Gewand,  Theile  des  Gewandes,  der  rechte  Arm  nur  gebrochen. 

Grösse:  mit  Basis  1 ,  760  Meter.    Niobide  ? 

Marmor:  griechischer.  Nach  Lenormant  umgiebt  ein  blau  gemaltes  Bracelet  den 
oberen  Theil  des  Armes. 

Die  Technik  ist  eine  später  römische  mit  grösseren  Flächen  und  wieder  klein- 
lichen, unruhigen  Faltenmassen.    Rückseite  gar  nicht  ausgeführt. 

Ich  kann  endlich  noch  ein  drittes  Beispiel  des  Pädagogen  hier  beifügen. 
Unter  den  leider  in  einem  Katalog  noch  nicht  beschriebenen  Bronzen  der 


238  Zweites  Kapitel. 

Sammlung  des  Louvre,  im  Schrank  III  sah  ich  im  J.  1852  eine  den  Marmor- 
statuen entsprechende  Figur :  einen  lebhaft  ausschreitenden  kahlköpfigen,  den 
Kopf  voll  Erstaunen  zurückwendenden  Mann  mit  hohen  Stiefeln,  kurzer,  an- 
schliessender Exomi8,  mit  Stab  in  der  rechten  Hand. 

Weit  schreitet  eine  ältere  männliche  Gestalt  nach  der  rechten  Seite  hin 
aus,  wird  aber  zugleich  durch  einen  Gegenstand,  der  seitwärts  und  über  ihm 
ist ,  in  seiner  Aufmerksamkeit  in  Anspruch  genommen  und  wendet  sich  daher 
mit  dem  Oberkörper  ganz  en  face,  ja  noch  in  stärkerer  Drehung  dem  Beschauer 
entgegen.  Der  Schwerpunkt  ruht  nach  vorn  auf  dem  rechten  Fuss,  während 
der  linke  eben  im  Begriffe  steht  seine  Position  zu  verlassen.  Dieser  rechte  Fuss 
ist  in  der  medieeischen  Statue  aber  auf  der  gleichen  Fläche  als  der  linke  ge- 
setzt, während  unmittelbar  dahinter  ein  Stück  Fels  mit  eingewachsenem  Baum- 
stamm sich  erhebt,  in  der  Gruppe  von  Soissons  ist  der  rechte  Fuss  auf  ein  klei- 
neres vor  dem  grossen  Fels  gelegenes  Felsstück  gesetzt  und  bildet  dadurch 
zwischen  seinen  Beinen  einen  geeigneten  Raum  zur  Aufnahme  eines  Schütz- 
lings, die  rechte  Schulter  ist  entschieden  gesenkt  und  zugleich  vorgedreht,  die 
linke  gehoben  und  zurückgewendet.  So  entwickelt  sich  hier  ein  interessantes 
Gegenspiel  der  Bewegungen  zwischen  unteren  und  oberen  Extremitäten.  Die 
bestimmte  Bewegung  der  Arme  ist  bei  der  medieeischen  Statue  nicht  vollstän- 
dig zu  ermitteln :  wohl  die  Senkung  und  einigermassen  Drehung  des  rechten 
Oberarmes,  die  etwas  mehr  als  horizontale  Hebung  des  linken  Oberarmes  nach 
der  Seite,  aber  die  bestimmte  Richtung  der  Unterarme  ist  damit  nicht  gegeben. 
Jedenfalls  scheinen  die  Ergänzer  den  rechten  Unterarm  etwas  zu  weit  aus- 
wärts, den  linken  zu  steil  gehoben  gebildet  zu  haben.  In  der  Gruppe  von 
Soissons  ist  uns  aber  der  rechte  Arm  des  Pädagogen  vollständig  erhalten,  wir 
sehen  ihn  in  scharfer  Wendung  des  Ellenbogens  sich  zurückdrehen,  um  auf 
den  Oberarm  des  vor  ihm  befindlichen  Niobiden  die  Finger  zu  legen.  Vom 
linken  Arm  ist  dagegen  gar  nichts  mehr  erhalten.  Auch  für  die  Bewegung  des 
Kopfes  sind  wir  bei  beiden  Exemplaren  nur  an  die  Anfänge  des  Halses  und  an 
die  aus  der  Gesammtmotivirung  sich  ergebenden  Anforderungen  gewiesen. 
Die  Wendung  des  Kopfes  mehr  nach  links  ist  durch  die  Anspannung  des  Kopf- 
nickers gegeben ,  sie  scheint  aber  uns  und  ganz  besonders  die  Richtung  nach 
oben  in  der  medieeischen  Statue  übertrieben. 

Die  ganze  Gestalt  hat  gedrungene,  kräftige,  nicht  griechischideale  For- 
men ,  wie  dies  vor  allem  an  den  nackten  Theilen  der  Beine  sich  zeigt.  Hohe 
Stiefeln  mit  übergeschlagenen,  gezackten  Krampen,  vorn  geschnürt,  mit  star- 
ken Sohlen,  dann  ein  Aermelgewand ,  welches  aufgeschürzt  bis  oberhalb  der 
Kniee  durch  einen  breiten  Gürtel  gehalten  wird ,  endlich  ein  über  der  linken 
Schulter  zusammengeknüpfter  Mantel,  der  über  der  rechten  Schulter  bauschig 
zurückgeschoben  ist,  bilden  die  Bekleidung.  Der  Stoff  des  Gewandes  erscheint 
schwer  anliegend  und  sehr  wenig  faltig,  der  Mantel  dagegen  folgt  der  Biegung 
mit  seinen  Zipfeln  in  tief  geschwungenen  Falten  nach.    Der  Kopf  mit  seinen 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  239 

rund  geschnittenen,  in  die  Stirne  hereinfallenden  Haaren,  dem  starken  Schnurr- 
bart und  mehr  spitz  aber  doch  in  eine  gespaltene  Spitze  zulaufenden  Kinnbart, 
mit  den  fleischigen,  zusammengezogenen  Hautmassen  der  Augenlinie,  entspre- 
chender Nase  kann  für  uns  kein  Gegenstand  eingehender  Betrachtung  sein, 
da  er  bei  beiden  Exemplaren  ursprünglich  gefehlt  hat,  bei  dem  mediceischen, 
wenn  auch  antik ,  doch  erst  später  darauf  angepasst  ist.  Die  Jiehandlung  des 
Ganzen  hat  bei  demselben  etwas  Manierirtes ,  Haar  und  Bart  erscheinen  pe- 
rückenartig. Jedenfalls  sind  wir  nicht  berechtigt  diesen  Kopf  als  Masstab  für 
die  Bildung  in  dem  Original  werk  anzuwenden. 

Die  drei  Exemplare  des  fliehenden  jüngsten  Sohnes  entsprechen  sich 
in  ihrer  Motivirung  durchaus,  nicht  aber  in  Grösse  und  Stufe  der  körperlichen 
Entwickelung.  Hierin  wie  im  Stile  stehen  sich  wesentlich  die  Exemplare  des 
Vatican  und  von  Florenz  sehr  nahe;  während  der  Niobide  von  Soissons  jünger 
und  kleiner  gebildet  ist,  in  specifisch  untergeordnetem  Verhältnisse  zum  Päda- 
gogen. Die  Motivirung  steht  in  sichtlichem  Parallelismus  und  doch  berech- 
netem untergeordnetem  Contrast  zu  dem  des  Pädagogen.  Im  Ganzen  ein  Fort- 
eilen nach  der  rechten  Seite,  ein  auf  die  Spitze  gehobener  linker  Fuss,  fest  auf- 
gesetzter rechter  Fuss,  gebogenes  rechtes  Knie,  angespanntes  linkes  Bein,  aber 
während  der  Pädagog  schräg  das  rechte  Bein  vorschiebt,  liegt  die  Bewegung 
der  Haupttheile  beim  Niobiden  in  Einer  Fläche.  Der  Oberkörper  dreht  sich, 
dieser  Bewegung  nach  rechts  folgend,  ebenfalls  mehr  nach  dieser  Seite.  Dies 
wird  dadurch  noch  unterstützt,  dass  der  rechte  Arm  nach  rechts  sich  vorwärts 
streckt,  gleichsam  Richtung  gebend,  der  Bewegung  voreilend,  während  der 
linke,  schräg  gesenkte,  einen  Gewandzipfel  fasst  und  der  Bewegung  gleichsam 
nachfolgt.  So  ist  im  Wesentlichen  in  der  ganzen  Gestalt  eine  einzige  grosse, 
durchgehende  Gedanken  rieh  tu  ng  in  drei  Stadien  gleichsam  ausgesprochen. 
Nur  im  Kopf  tritt  uns  wieder  eine  andere  bewegende  Macht  entgegen.  Die 
Köpfe  der  beiden  alleinstehenden  Exemplare,  wenn  auch  mehrfach  verletzt, 
am  Hals  gebrochen ,  sind  doch  die  dazugehörigen  und  sind  uns  allein  Grund- 
lage, während  der  moderne  Kopf  und  Hals  der  Gruppe  von  Soissons  in  seiner 
andern  Wendung  uns  nicht  berühren.  In  voller  Rückwendung  nach  links  und 
etwas  aufwärts  erscheint  der  Kopf  bei  der  Ansicht  von  vorn,  für  die  die  Statue 
allein  berechnet  ist  (die  Rückseite  ist  hier  nur  roh,  schalenförmig  ausgearbeitet) , 
im  Profil.  Es  wendet  sich  in  voller  Fluchteile  der  Blick  auf  die  verfolgende 
von  oben  kommende  Macht. 

Die  Gewandung  besteht  aus  einem  einzigen  Stück,  einem  Himation,  wel- 
ches von  der  linken  Hand  mit  dem  einen  Zipfel  gehalten,  um  den  linken  Arm 
geschwungen,  in  grossen  gebauschten  Falten  nach  unten  und  hinten  sich  zieht, 
um  dann  in  seiner  Hauptmasse  zum  Theil  umgeschlagen  über  das  rechte  Bein 
nach  vorn  herabzufallen  und  auf  dem  Erdboden  noch  etwas  fortzuschleifen.  In 
der  That  eine  höchst  wirkungsvolle  Motivirung,  die  das  linke  Bein  in  voller 
elastischer  Rundung  frei  heraustreten  lässt  aus  der  um  dasselbe  sich  concentri- 


240  Zweites  Kapitel. 

renden  Gewandfülle,  die  auch  hier  jene  schräge  Wechselbeziehung  der  Glieder 
in  den  ganz  frei  entblössten  und  den  vom  Gewand  bedeckten  Thcilen  offen- 
bart, jedoch  so  zugleich,  dass  obere  und  untere  Extremitäten  ihrem  Wesen 
gemäss  verschieden  vom  Gewand  in  Anspruch  genommen  sind.  Die  Füsse 
sind  mit  wohlgeordneten  Sandalen  versehen. 

Vergleichen  wir  nun  die  isolirt  gebildeten  florentiner  Statuen  und  die 
Gruppe  des  Louvre  mit  einander ,  so  ergiebt  sich  sofort ,  wie  in  der  That  die 
beiden  Gestalten  auf  einander  berechnet  sind.  An' dem  allein  stehenden  Pä- 
dagogen ist  unverkennbar  eine  eigen thümliche  Leere,  Einförmigkeit,  etwas 
unter  der  Mitte  des  Körpers  in  dem  zur  Seite  gewehten  Obergewand,  in  den 
zwischen  den  auseinandergesetzten  Beinen  gespannten  Theilen  vorhanden,  die 
nun  durch  die  reich  gegliederte  Knabengestalt  trefflich  erfüllt  wird.  Die  un- 
mittelbare Vereinigung  als  eine  strenge  Gruppe  hat  aber  auch  rückwärts  die 
reichere  Faltenentwickelung  am  Knaben  auf  eine  ähnliche  am  Pädagogen 
dringen  lassen ,  während  an  der  Einzelstatue  eine  berechnete  Einfachheit  der 
Formen  durch  die  ganze  Gewandung  geht.  Dass  in  der  Bewegung  der  Arme, 
in  der  Wendung  des  Körpers,  beide  Gestalten  passend  in  einander  greifen, 
brauche  ich  wohl  nicht  besonders  hervorzuheben. 

Fragen  wir  endlich  nach  der  inneren  Bedeutung  dieser  Gestalten ,  nach 
dem  in  ihrer  Gruppirung  ausgeprägten  geistigen  Inhalt ,  so  werden  wir  zu- 
nächst in  jener  männlichen  Gestalt  schon  ihrer  Körperbildung  und  ihrem  Co- 
stüm  nach  mit  der  jetzt  herrschenden  Ansicht  nicht  den  Amphion,  den  Vater 
der  Kinder,  sondern  eine  begleitende,  führende  Persönlichkeit  aus  halb-  oder 
ganz  ungriechischem  Stamme  zu  sehen  haben.  Als  Amphion  ward  er  zuerst 
bezeichnet  und  es  lag  ja  dies  auch  nahe  genug ,  aber  seit  Winkelmann  ist  die 
Auffassung  eines  Pädagogen  durchgedrungen.  Wir  kennen  ja  überhaupt  die 
Stellung  des  griechischen  Pädagogen  als  des  Begleiters  der  Kinder ,  besonders 
der  Knaben  ausserhalb  des  Hauses ,  zu  allem  Unterricht ,  su  allen  Uebungen 
und  Spielen ,  zur  bescheidenen  Theilnahme  an  irgend  einem  grösseren  öffent- 
lichen Vorgange,  wir  haben  in  dem  Ajax  und  der  Elektra  des  Sophokles, 
in  den  Phönissen  und  der  Medea  des  Euripides  treffende  Beispiele  und  in  der 
Elektra  ist  uns  der  Charakter  eines  Pädagogen  in  schönster  und  eingreifend- 
ster Weise  entwickelt.  Pädagogen  sind  uns  endlich  bei  den  Niobiden  in  den 
andern  Denkmälergattungen  begegnet.  Die  leibliche  Bedeutung  des  Lehens 
und  Führens,  wie  sie  die  Worte  der  Tekmessa f) 

devQO  jtQOonohav 
ayy  avtov  o<m€Q  %sqgIv  evdvvwv  xvqsiq 
aussprechen,  sie  zeigt  sich  uns  in  unserer  Gruppe  unmittelbar  verkörpert.  Wir 
haben  durchaus  nicht  ein  Gegenbild  zur  Niobe  mit  der  Tochter  im  Schooss, 
wie  man  dies  wohl  ausgesprochen,  keinen  neuen  Mittel-  und  Haltepunkt.  Von 


1)  Soph.  Aj.  541. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  225 

A.  Niobe  mit  der  jüngsten  Tochter. 

Abbildungen:  Ca.  t.  9;  Maffei  Kaccolta  di  statue,  Roml704.  t.  32;  Köpft.  54; 
F.  t.  II;  Z.  t.  1 ;  C.  n.  7;  Cl.  pl.  583.  n.  1260;  M.  Atl.  Taf.  22  ^j  M.-W.  I.  Taf.  33. 
n.  J42  A.a;  We.  T.IV.  8;  Miliin  Gal.  mythol.  t.  CXLIII.  n.521;  Overbeck  Gesch.  d. 
gr. Plastik  Fig.  69,  gh;  70;  unser  Titelblatt  Taf.  X. 

Ergänzungen:  nach  M.  sind  am  Kopf  der  Niobe  Nase,  Spitze  der  Oberlippe, 
grösster  Theil  der  Unterlippe  ergänzt,  Kinn  beschädigt  und  mit  falschem  Tarter  über- 
schmiert1) ;  ferner  ergänzt  der  linke  Unterarm  mit  entsprechendem  Stücke  Gewand, 
die  rechte  Hand  mit  halbem  Unterarm,  die  ursprünglich  etwas  tiefer  gesenkt  war,  so 
dass  der  Kopf  der  Tochter,  wie  auch  Ca.  beweist,  mehr  über  den  Arm  gedreht  sicht- 
bar wurde.  An  der  letzteren  der  ganze  rechte  Arm,  linke  gehobene  Fuss  mit  um- 
gebendem Rande  des  Gewandes,  ebenso  die  starken  Locken  neu ;  Theile  des  Haa- 
res, Nase  neu,  Unterlippe  abgebrochen,  linke  Schulter  zerbrochen,  linke  Hand  neu, 
lag  tiefer,  wie  Reste  am  Gewand  der  Mutter  ergeben.  Rückseite  so  gut  wie  nicht  aus- 
gearbeitet. 

Grösse  :  mit  Basis  2,305  Metres,  ohne  dieselbe  2,070. 

In  einem  gewaltigen  Ausschreiten  mit  einer  mehr  nach  links  und  zu- 
gleich nach  vorn  gewandten  Richtung  des  Körpers  erhebt  sich  Niobe  vor 
unsern  Augen.  Dir  linker  Fuss  ist  fest  aufgesetzt,  während  der  rechte  mehr 
auf  den  Spitzen  ruht  und  dadurch  eine  stärkere  Biegung  des  Knies  einwärts 
ermöglicht.  Zwischen  den  einander  nahenden  Knieen,  an  dem  sich  einbie- 
genden Schooss  birgt  sie  das  Kind,  das  an  ihr  gerade  hinaufstrebt  und  ge- 
genüber den  gewaltigen  schrägen,  geschwungenen  Linien  einen  senkrechten 
Mittelpunkt  bildet.  Ihre  rechte  Hand  ruht  abwärts  gesenkt  auf  den  Locken 
der  Tochter,  während  der  linke  seitwärts  gehobene  gerade  im  Ellenbogen  ge- 
brochene Arm  sichtlich  zurück  nach  dem  Haupte  sich  wendet,  und  das  wie 
ein  schützendes  Schild  hoch  gezogene  Obergewand  zuhält,  um  dem  mächtigen 
Körper  zugleich  weiteren  Spielraum,  der  schmerzerfüllten  Brust  gleichsam 
Freiheit  zum  schweren  Ausathmen  zu  geben.  Das  Haupt,  auch  der  vorgeneigten 
Wendung  des  Oberkörpers  folgend,  ist  zugleich  stark  seitwärts  nach  Rechts 
gewendet.  So  haben  wir  eine  dreifache  Linienverbindung:  convergirend 
nähern  sie  sich  von  der  Basis  fast  in  einem  Dreieck  dem  Schoosse,  von  da 
öffnen  sie  sich  in  weitem  Bogen  als  langgezogenes  Viereck  und  schliessen  sich 
am  Haupt  und  linken  Arm  in  eine  abgerundete  Form  zusammen,  aber  in 
einer  zu  dem  Mitteltheil  in  Widerstreit  stehenden  Richtung. 

Das  Costüm  erweitert  und  gliedert  in  bedeutsamster  Weise  diese  Grund- 
formen. Wie  drängen  sich  die  Gewandmassen  am  untern  Theile  zusammen  1 
Ueber  das  faltige,  ärmellose  Untergewand,  das  vor  allem  unter  den  Achseln 
bauschig  sich  gestaltet,  senken  sich  die  grossen  Massen  des  Obergewandes,  das 
wie  durch  eine  Art  Riemen  über  dem  Knie  zusammengehalten  wird,  aber 
dann  in  tiefgeschwungenen  Falten  rechts  und  links  sich  ausbreitet,  den  sehr 
kräftigen  Bau  der  unteren  Extremitäten  hervortreten  lassend.    Starke  Schuhe 


1)  Auch  Ramdohr  II.  S.  139  macht  hierauf  aufmerksam. 

8tark,  Niobe.  15 


226  Zweites  Kapitel. 

bilden  die  Bedeckung  der  fest  auf  felsigem  Hoden  auftretenden  Füsse.  Dazu 
kommt  noch  der  im  feingekräuselten,  enganliegenden  Chiton  voll  heraustre- 
tende jugendliche  Körper  der  Tochter  mit  ihrem  zu  den  Hüften  herabgesun- 
kenen, in  Faltenmassen  zum  Erdboden  reichenden  Obergewand.  Sie  drängt 
sich  an  der  Mutter  empor,  hängt  fast  zwischen  den  Knieen,  aber  biegt  doch 
den  Kopf  links  auswärts,  wie  mechanisch  die  von  Aussen  drohende  Gefahr 
noch  beachtend.  An  dem  Haupttheil  der  Gestalt  Niobes  tritt  der  Körper  aus 
seiner  weitern  Umhüllung  unmittelbarer  hervor.  Der  ärmellose,  bauschige 
Chiton  wird  durch  einen  Gürtel  unter  der  Brust  zusammengehalten,  die  volle, 
reife  Mutterbrust  tritt  aus  ihm  entschieden  hervor  und  die  nackten,  herrlichen 
Arme  lassen  eine  der  XevxwXevog  "Hqcc  ebenbürtige  Natur  ahnen.  Nicht  um- 
sonst schildert  wohl  Ovid  Niobe  in  ihrem  Schmerze  als  die  bleichen  Arme 
erhebend  [liventia  brachia  tollens)  *),  also  auch  hier  entblösste,  in  ihrer  Farbe 
nur  entstellte  Arme.  Ueber  den  Schultern  wird  der  Chiton  durch  Spangen 
zusammengefasst.  Das  Obergewand  von  der  rechten  Hüfte  schräg  über  den 
Kücken  emporgezogen  bildet  auf  der  linken  Seite  eine  ziemlich  gleichförmig 
gefaltete,  leicht  gespannte  Masse,  deren  oberster  Zipfel  aus  der  haltenden 
Hand  wieder  etwas  herabgleitet. 

Von  besonderer  Wirkung  ist  die  reiche  Haar  fülle,  die  vom  Haupte 
herab  über  den  Nacken  fällt  und  in  weiten  Massen  über  die  Schultern  sich 
verbreitet.    Sie  giebt  gegenüber  der  durch  die  Gewandung  noch  so  bedeu- 
tend entwickelten  Masse  des  Körpers  auch  dem  Haupte  einen  weitern  Um- 
fang,  eine  breitere  Basis  neben  und   zu  dem  kräftigen,  matronalen  Halse. 
Und  auch  liier  dürfen  wir  schon  an  das  Homerische  auch  von  Moschos  be- 
nutzte Beiwort  rjvxofiog2),  an  die  Schilderung  des  Antipater  von  Sidon1),  an 
die  Worte  des  römischen  Dichters   erinnern,   der  nicht  ohne  künstlerische 
Anschauung,  ohne  einen  festen  Zug  im  mythischen  Bilde  sie  uns  schildert : 
quantum  ira  sinit,  formosa :  movensque  decoro 
cum  capite  immissos  humerum  per  utrumque  capillos 
constitit4). 
Um  das  Haupt  sind  die  Haare  durch  ein  ziemlich  breites  Band  gehalten,  das 
aber  nur  oben  auf  dem  Scheitel  sichtbar  wird,  während  es  rechts  und  links 
unter  den  in  einer  bauschigen  Masse  zurückgestrichenen  Haaren  verborgen 
ist.    Auch  auf  Sarkophagreliefs  bemerkten  wir  die  den  Nacken  bedeckende 
Haarfulle5).    MitReeht  hat  schon  Meyer  an  das  Haar  der  ludo visischen  Juno 
erinnert,  aber  zugleich  müssen  wir  sagen,  erinnert  uns  jene  über  den  Nacken 


1)  Metam.  VI.  279. 

2)  IL  XXIV.  602;  Mosch.  Idyll.  IV.  84. 

3)  S.  oben  S.  59.  1 46. 

4)  Metam.  VI.  167. 

5)  S.  obenS.  162. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  227 

sich  verbreitende  Haarfiille  entschieden  an  die  Darstellungen  der  Gaea1)  und 
verwandter  Gestalten,  so  wie  an  bakchische  Bildungen2),  während  das  Haar 
bei  Hera  nur  in  einzelnen  starken  Locken  herabfällt,  bei  Athene  in  einem 
festen  Zopf  geeint  ist,  bei  Aphrodite,  wenn  es  nicht  aufgebunden  ist,  entwe- 
der in  nassen,  gezogenen  Lockenlagen  zum  Busen  sich  senkt,  oder  als  leicht 
gekräuselte,  der  zierlichen  Ordnung  entgangene  Enden  auf  den  Nacken  her- 
abreicht. 

Seit  Winkelmanns  trefflichen  Bemerkungen  hat  man  der  Betrachtung 
des  Gesichtes  der  Niobe  vor  allem  Aufmerksamkeit  und  Worte  geschenkt, 
aber  man  hat  dasselbe  nur  zu  rasch  auf  einen  allgemeinsten  Ausdruck  starrer 
Furcht  im  Uebergang  zur  schlaffen  Verzweiflung,  edeln  Stolzes  im  Schmerz, 
des  höchsten  Mutterschmerzes  gebracht,  man  hat  in  ihr  als  der  Schweigen- 
den, Versteinerten  ,, die  durchgeführte  tragische  Maske"  (Feuerbaeh)  erkannt, 
man  hat  „das  Nacheinander  der  blitzschnellen  Uebergänge  als  Nebeneinan- 
der" dargestellt  gefunden ,  so  dass  über  den  Empfindungen  der  von  angst- 
voller Verzweiflung  erfüllten  Mutter  zugleich  das  Bewusstsein  der  Heroine 
nicht  verloren  geht  (Stahr) . 

Winkelmann  3)  macht  auf  die  empfindliche  Schärfe  der  Linie  der  Augen- 
knochen und  Augenbrauen  aufmerksam,  die  den  Werken  des  hohen  Stiles 
überhaupt  eigen  sei,  speciell  an  diesem  Haupte  der  Niobe  hervortrete.  Von 
diesem  Punkte  geht  O verbeck 4)  in  seiner  Schilderung  aus ;  wir  können  uns 
seine  Worte  vollkommen  aneignen :  ,,hier  ist  das  Zusammenziehen  der  Au- 
genbrauen nach  der  Mitte  in  Verbindung  mit  der  nach  oben  zuckenden  Be- 
wegung des  innernTheiles  des  untern  Lides  charakteristisch;  durch  diese  der 
Natur  unendlich  fein  abgelauschten  Bewegungen  der  das  Auge  umgebenden 
Theile  ist  der  Augenblick  ausgedrückt,  in  welchem  ein  heisser  Strom  unwill- 
kürlicher Thränen  von  unsäglichem  Leid  herausgepresst  wird".  In  der  That 
von  dieser  Augenlinie  und  den  Augenhöhlen  aus  ist  der  Ausdruck  des  ganzen 
Gesichtes  zu  erfassen.  Grossartig  und  energisch  ist  dieser  Bogen  der  Augen- 
knochen von  Natur  gebildet,  aber,  seine  Form  wird  gesteigert  durch  den  mo- 
mentanen Seelenzustand.  Hoch  gezogen  erscheinen  hier  die  beweglichen 
fleischigen  Theile  desselben  zu  beiden  Seiten  des  Nasenbeins,  während  sie 
an  den  äussern  Enden  stärker  über  die  Augenwinkel  sich  legen.  Die  Augen- 
lider lösen  sich  gleichsam  ab  von  dem  gewaltig  geöffneten,  aber  fast  starren 
Auge,  um  dem  drängenden  Thränenstrom  Platz  zu  machen.  Es  scheint  die 
edle,  reine  Stirn  etwas  eingesunken  vor  der  Hebung  der  Augenbrauen.  Der 
Athem  zieht  sich  in  die  feingebildeten  Nasenflügel  zurück,  die  Nasenwände 


1)  Meine  Schrift  de  Tellure  dea  deque  ejus  imagine  a  Man.  Phile  descripta  p.  31.40.41 

2)  Man  vergleiche  den  Ausdruck  des  Antipater  h'&tov  atpsioa  xopav. 

3)  Vorlauf.  Abhandl.  f.  K.  III.  §  61 ;  Gesch.  d.  K.  IX.  2.  27. 

4)  Kunstarchäol.  Vorles.  S.  80  f. ;  Gesch.  d.  Plast.  II.  S.  48. 

15* 


228  Zweites  Kapitel. 

werden  steiler ;  die  Muskeln  der  Wangen  spannen  sich  sichtlich  nach  Mund- 
winkel und  Oberlippe.  Und  der  etwas  geöffnete  Mund  mit  der  hinauf  sich 
ziehenden  Oberlippe,  mit  der  etwas  vorgeschobenen  Unterlippe,  mit  den  nach 
unten  zuckenden  Mundwinkeln  wird  gleichsam  zum  eben  gespannten  Instru- 
ment im  Moment,  ehe  ihm  Töne  entströmen ;  das  volle  Weinen,  so  erwartet 
man,  wird  auf  diese  Spannung  folgen.  Auch  das  Kinn  endlich  ist  gleichsam 
schmaler,  gerader,  hat  sich  mehr  losgelöst  aus  dem  vollen  schöngeschwunge- 
nen Oval  des  Gesichts,  folgt  auch  jener  in  den  Augen  ihren  Zielpunkt  fin- 
denden Richtung  der  Anspannung. 

So,  sehen  wir,  ist  ein  Moment  vor  dem  gewaltigen  Einbrechen  des  Wei- 
nens zur  Darstellung  gekommen,  ein  Moment  der  Haltung  noch,  begründet 
in  der  eben  so  gewaltigen  wie  schönen  Natur.  Denn  wie  ist  die  Schönheit 
der  Gesichtsformen  nicht  vernichtet  durch  den  Schmerz,  sondern  bildet  für 
ihn  die  mässigende  Zucht,  füllt  den  Hintergrund  gleichsam  zwischen  den 
pathetisch  hervortretenden  Punkten !  Es  ist  ein  gewaltiges  Wehgefuhl,  das 
bald  nichts  als  Weinen,  immerwährendes  Weinen  hervorrufen  wird,  über  eine 
königliche  Natur  gekommen,  die  ihrer  Hoheit,  ihrer  ursprünglichen  Erha- 
benheit über  das  Irdische  nicht  untreu  werden  kann. 

Fragen  wir,  in  welche  Reihe  von  Gesichtsidealen  gehört  dieser  Kopf  der 
Niobe,  so  möchten  wir  sagen,  er  steht  gleichsam  zwischen  den  Idealen  der 
Juno  und  Venus.  Mengs,  Visconti1)  Wredowu.  a.  haben  auf  die  letztere, 
d.  h.  auf  jene  speeifische  Bildung  der  praxitclischen  Venus,  wie  sie  uns  im 
Vatican,  in  München,  in  Madrid  am  reinsten  entgegentritt,  hingewiesen  und 
mit  Recht,  was  die  weicheren,  fleischigen  Theile  des  Gesichtes  betrifft,  aber 
das  Oval  das  Gesichtes,  die  architektonische  Unterlage  überhaupt,  besonders 
der  Augenknochen,  nähern  sich  in  Festigkeit  und  Grösse  entschieden  dem  in 
der  ludo  visischen  Juno  uns  vor  Augen  stehenden  Ideale.  Das  Auge  selbst  hat 
auf  der  einen  Seite  nicht  das  Gewölbte,  Hervortretende  der  stieräugigen 
Hera,  sondern  liegt  tiefer  geborgen,  ähnlich  dem  Auge  der  Venus,  aber  es 
hat  auch  nicht  das  breit  Gezogene,  Schwimmende  des  letztern,  sondern  öffnet 
sich  aus  der  Tiefe  weit  mit  voller,  grosser  Rundung  des  Augapfels.  In  der 
Behandlung  der  Haare  und  der  Arme  haben  wir  auf  Juno,  aber  auch  auf  das 
von  ihr  Unterscheidende  aufmerksam  gemacht. 

Kehren  wir  von  dem  Haupt  noch  einmal  zur  ganzen  Gestalt  und  ihrer 
Gesammtmotivirung  zurück,  so  können  wir  nun  in  jener  Zusammensetzung 
von  Bewegungen  auch  die  Unterlage  nicht  verkennen.  Noch  ganz  Mutter  in 
den  Bewegungen  ihres  unteren  Körpers,  Schutz  und  Heimath  dem  einzig,  wie 
es  scheint,  geretteten  jüngsten  ihrer  Kinder  in  ihrem  Schoosse  bietend,  erhebt 
sie  sich  in  den  oberen  Theilen  mit  wundervoller  Grösse,  wie  ihr  Herz  geöffnet 
ist  nicht  blos  dieser  Tochter,  allen  ihren  Kindern,  so  dem  über  diese  herein 


1)  Mus.  Pio  Clement.  I.  t.  11.  p.  18. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  229 

brechenden  Unglück  als  Einzige  gewachsen ,  um  endlich  im  Ausdrucke  des 
Gesichtes  nicht  körperlichen  Schmerz,  nicht  Bitten  und  Wünsche,  nicht  stolze, 
trotzige  Worte,  nein,  nur  die  mit  der  Naturgewalt  des  reinen  Schmerzes,  mit 
Thränen  ringende  schöne  und  grosse  Geistesnatur  zu  offenbaren. 

Das  hoch  Bedeutungsvolle  und  Grosse  in  den  Gesammtlinien  dieser  Gruppe 
von  Mutter  und  Kind !) ,  die  Mannigfaltigkeit  in  der  Anlage  der  Gewandung, 
das  Keine  und  Hohe  imGesichtsausdruck,  wie  es  uns  so  eben  beschäftigt  hat, 
drängt  die  rein  künstlerische  Betrachtung  gerade  dieses  Marmorwerkes,  gegen- 
über dem  unwillkührlich  darin  vorausgesetzten  Urbild  leicht  zurück,  ja  lässtdie 
erstere  leicht  als  eine  Beeinträchtigung  der  Bewunderung  des  letztem  erschei- 
nen. Und  doch  muss  jeder,  der  rein  griechische,  der  Werke  der  hellenischen 
Periode,  der  die  besseren  Werke  der  römischen,  reproducirenden  Kunst  ver- 
gleichend gesehen  hat,  der  einen  Sinn  für  den  Zauber  eines  reinen  griechi- 
schen Stiles  überhaupt  besitzt,  vor  dieser  Niobe  unmittelbar  es  aussprechen, 
dass  wir  hier  nur  eine  ganz  geschickte  Copie  römischer  Periode,  etwa  der 
hadrianischen  Periode  besitzen,  dass  die  Arbeit  des  Körpers  entschieden  hin- 
ter der  des  eingesetzten  Kopfes  zurücksteht.  So  stumpf  in  der  Behandlung 
der  herrlich  angelegten  Ge wandmasse ,  so  sehr  in  der  Ausfuhrung  nur  auf 
Einen  Augenpunkt,  auf  die  Hülfe  der  Lokalitat  berechnet,  so  flüchtig  und  roh 
in  allen  nicht  gerade  dem  Betrachter  leicht  zugänglichen  Theilen,  so  wenig 
durchdrungen  im  Einzelnen  von  dem  im  Ganzen  und  Grossen  waltenden  Geist 
erscheint  diese  Ausfuhrung.  Aber  wir  dürfen  auch  wohl  sagen,  es  treten  die 
unverwüstlichen  Schönheiten  der  ursprünglichen  Compositionen  um  so  sicht- 
barer dabei  hervor,  nicht  durch  die  Eigentümlichkeit  des  Reproducenten  ver- 
ändert. Dürfen  wir  einen  Vergleich  aus  der  Musik  entnehmen,  so  haben  wir 
hier  eine  klassische  Symphonie  umgesetzt  aus  dem  meisterhaften  Zusammen- 
wirken einer  Reihe  durch  Künstlerhände  gehandhabter  verschiedener  Instru- 
mente in  ein  nicht  ungeschicktes  Klavierspiel  eines  fertigen  Spielers. 

Fragen  wir  nun  nach  den  Wiederholungen. 

Ein  zweites  Exemplar  dieser  Gruppe  auch  nur  in  annähernder  Weise  ist 
uns  nicht  erhalten,  obgleich  die  grosse  Zahl  der  erhaltenen  Köpfe  der  Niobe, 
doch  weitaus  zum  gross ten  Theil  auch  Statuen  voraussetzen  lassen,  zu  denen 
sie  einst  gehörten.  Und  dass  die  Gruppe  als  solche  vielleicht  in  mehrfachen 
Nüancirungen  wiederholt  war,  dafür  giebt  ein  interessantes  zweites  Exemplar 
der  in  den  Schooss  geflüchteten  Tochter  Beweis.  Ehe  wir  den  Kopf  durch- 
mustern, haben  wir  noch  mehrere  Statuen  zu  gedenken,  welche  in  ihrer  Mo- 
tivirung  mit  der  eben  betrachteten  nichts  zu  thun  haben,  aber  in  der  grössten 
Sammlung  statuarischer  Abbildungen,  bei  Clarac  für  Niobe  erklärt  sind.    Ich 


1)  J.  Dallaway  rühmt  sie  auch  speciell  als  Gruppe  in  Statuary  and  sculpture  among 
the  antients  with  some  aecount  of  speeimens  preserved  in  England.  London  1826.  p.  221  ff.; 
über  die  Augen  der  Niobe  ebendas.  p.  44. 


246  Zweites  Kapitel. 

Ohren  aufmerksam,  ebenso  auf  den  gemässigtercn  edleren  Ausdruck  gegenüber 
dem  Kopfe  des  ersten  fliehenden  Sohnes. 

Wenden  wir  uns  zum  dritten,  jüngsten  und  kleinsten  der  in  eiliger 
Flucht  begriffenen  Söhne.  Hier  tritt  uns  nun  zunächst  die  Frage  entgegen, 
von  welcher  Seite  hat  der  Beschauer  ihn  aufzufassen?  Die  volle  Vorderfläche 
der  Gestalt  ist,  wie  wir  schon  oben  bemerkt,  viel  weniger  ausgeführt  als  die 
volle  Rückseite;  von  den  beiden  Seitenflächen  bietet  die  linke  sehr  wohl  und 
interessant  entwickelte  Formen ,  am  wenigsten  ist  die  rechte  Seitenfläche  auf 
eine  Beschauung  angelegt.  Dazu  kommt,  dass  das  rechte  Bein  hinter  ein  Fels- 
stück auf  einen  Absatz  gesetzt  ist,  daher  ganz  von  vorn  betrachtet  dasselbe 
ganz  verschwindet,  von  der  linken  Seite  immer  noch  ein  grosser  Theil  dessel- 
ben. Es  sind  daher  nur  zwei  Standpunkte  der  Betrachtung  überhaupt  möglich, 
aber  beide  haben  wieder  ihre  eigenen  Bedenken.  Gestalten  ganz  vom  Rücken 
gesehen  gehören  schon  auf  den  Reliefs  zu  den  sehr  seltenen  Erscheinungen 
und  durchgehend  ist  das  Streben  sichtbar  einen  Theil  des  Gesichtsprofils  zu 
zeigen ;  unter  den  uns  erhaltenen  Statuen  möchten  wir  kaum  ein  Beispiel  da- 
für finden.  Wie  wirkungsvoll  allerdings  eine  solche  Rückenansicht  einer  in 
voller  Eile  fortstürzenden  Gestalt  sein  kann ,  haben  wir  bei  dem  Relief  Cam- 
pana und  zugleich  dafür  wenige  ähnliche  Beispiele  kennen  gelernt ') .  Etwas  an- 
deres ist  es  aber  doch  noch  bei  einer  freien  Statue ,  selbst  wenn  sie  auch  wie 
die  hiesige  zugleich  mit  einem  Stück  Hintergrund  und  für  eine  entschiedene 
räumlich  umgränzte  Aufstellung  componirt  ist.  Da  hat  es  doch  sein  grosses 
Bedenken,  wenn  nur  die  Rückseite  sich  zeigt,  vom  Kopf  nicht  einmal  ein  äus- 
serstes  Seitenprofil,  sondern  der  volle  runde  Hinterkopf  zu  sehen  ist.  Und  dazu 
kommen  die  bedenklichsten  leeren  Stellen,  die  fast  mathematisch  regelmässigen 
Figuren,  welche  durch  die  übermässige  Auseinanderspannung  der  Beine,  durch 
den  horizontal  gestellten  rechten  Oberschenkel  und  den  rechten  Arm  gebildet 
werden.  Ein  einfacher  Vergleich  mit  den  zwei  eben  betrachteten  Statuen  er- 
giebt  darin  den  durchgreifenden  Unterschied;  bei  diesem  ist  durch  Gewandung 
und  Armbewegung  doch  immer  eine  geschickte  Zusammenbildung  der  Figuren 
gegeben,  hier  mehr  eine  Art  telegraphischer  Zusammenstellung. 

Entschieden  werden  diese  Uebelstände  mehr  beseitigt  durch  eine  derar- 
tige Aufstellung,  dass  dem  Beschauer  wesentlich  eine  linksseitliche  Anschauung 
gegeben  wird.  Wir  erhalten  dadurch  auch  einen  eilenden  Niobiden,  der  in 
Üorrcspoudenz  mit  einem  der  beiden  betrachteten  treten  kann.  Otfr.  Müller 
und  Zanuoni  haben  sie  so  zuerst  angenommen.  Während  die  Gesammtbewe- 
gung  des  Körpers  dadurch  bedeutend  gemildert  wird,  tritt  dagegen  die  Bedeu- 
tung der  Gewandung  viel  reicher  hervor.     Die  noch  um  den  Hals  befestigte 


I)  Als  ein  Beispiel  vollständigen  Abkehrens  des  Kopfes  linde  ich  unter  einer  grossen 
Reihe  von  Darstellungen  nur  einen  Krieger  auf  dem  späten  Fries  von  Magnesia  (Clarac 
pl.  117.  J.  n.  133). 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  247 

Chlamys  bedeckt  bauschig  die  obere  linke  Seite ;  sie  ist  in  breitem  Umschlag 
hinauf  geschoben  und  zugleich  packt  krampfhaft  die  liuke  Hand  noch  den  um 
sie  geschlungenen  Zipfel  fest,  dadurch  möglichst  jedes  Hemmniss  der  Flucht 
entfernend.  Eines  bleibt  immer  dabei  bedenklich ,  die  schräge  Richtung  in  die 
Scene  gleichsam  hinein,  während  die  andern  Gestalten  durchaus  auf  eine  Brei- 
teil  ansieht  berechnet  sind. 

Ueber  die  Richtung  des  Kopfes  und  des  rechten  Armes  haben  wir  bei  jeder 
Aufstellung  aber  zu  bemerken,  dass  sie  in  der  jetzigen  Ergänzung  nicht  als  die 
ganz  entsprechende  anzuerkennen  ist.  Meyer  sprach  es  bereits  aus,  dass  der 
Kopf  des  bekannteren,  besser  erhaltenen  Exemplars  nicht  gut  auf  den  Hals 
alifgepasst  sei,  dass  der  der  Replik,  welcher  sich  auch  in  dem  Stil  auszeichnet, 
nicht  so  viel  nach  links  von  der  Hauptrichtung  abgewandt  ist.  Dies  ist  ent- 
schieden auch  das  Richtigere.  Wie  in  der  ganzen  Gestalt  vollste  Fluchteile 
sich  ausprägt,  durchaus  nicht  irgend  ein  eingetretenes  Hemmniss ,  so  kann 
demgemäss  auch  das  Haupt  nicht  mit  einer  gewissen  Absichtlichkeit  stark 
nach  vorn  gedreht  sein ,  sondern  folgt  der  Hauptbewegung.  Diese  veränderte 
Wendung  des  Kopfes  würde  dann  auch  für  die  Rückenansicht  günstig  wirken. 
Was  aber  den  ausgestreckten,  ganz  ergänzten  rechten  Arm  betriff);,  so  glaube 
ich  entschieden,  dass  er  nicht  in  solcher  Steilheit  ausgestreckt  war,  die  durch- 
aus nicht  in  der  Natur  der  bewegenden  Empfindung,  sondern  nur  in  einem 
äusseren  Haltepunkt  ihre  Erklärung  finden  könnte.  Man  vergleiche  nur  den 
ausgestreckten  Arm  der  Tochter  auf  dem  Relief  Campana.  Der  Kopf  selbst  ist 
nach  Meyer  dicker,  fleischiger,  runder,  die  Augen  kleiner  gebildet,  als  es  sonst 
die  Niobidenköpfe  zeigen,  der  sehr  beschädigte  Kopf  der  Replik  wird  au  idealer 
Haltung  über  ihn  gestellt.  Die  kurzgeschnittenen  Haare  zeigen  auch  den  all- 
gemeinen Ephcbencharakter ;  sie  sind  aber  entschieden  etwas  perückenartig 
auf  der  Vorderseite  gebildet. 

Unmöglich  kann  aber  der  rohe  Fels,  der  den  Theil  des  rechten  Heines 
verdeckt,  unmöglich  darüber  die  langgestreckte  Linie  des  Oberkörpers  und 
rechten  Armes,  einfach  nach  der  rechten  Seite  den  Abschluss  gebildet  haben. 

Martin  Wagner  verlangte  aus  einem  richtigen  Gefühle  eine  Verbindung 
mit  einer  andern  Figur,  er  hatte  den  wunderlichen  und  durchaus  schon  mit 
der  Motivirung  des  Niobiden  selbst  unvereinbaren  Einfall  ihn  mit  dem  längere 
Zeit  zur  Gruppe  gerechneten  Pferde1)  in  Verbindung  zu  setzen.    Nein,  wir 


1)  Ich  füge  hier  gleich  die  thatsächlichen  Bemerkungen  über  dasselbe  an,  dessen  Fund- 
ort wir  bereits  schon  erwähnten  und  welcher  schon  nach  diesem  nicht  die  geringste  Bezie- 
hung zum  Niobidenfund  auf  dem  Esquilin  hat.  Letzte  Abbildung  bei  Zannoni  Gal.  di  Fir. 
Ser.  IV.  t.  I.  tav.  SU.  Länge  1 1  P.  3%  Zoll.  Neu  die  Beine,  der  Schwanz,  die  unter  dem 
Bauche  befindliche  sie  unterstützende  Masse ,  die  für  aufgewirbelten  Staub  gehalten  wurde 
(Winkelmann  zu  D.  A.  K.  n.  *<>,  Thl.  VIII.  S.  34ff.).  Auf  dem  Rücken  ein  Stück  Zügel. 
Das  Pferd  ist  im  Verhältniss  der  florentiner  Statuen  zu  schmächtig  und  klein.  Nach  Schle- 
gel ist  es  für  einen  Wagen  bestimmt.    Die  Hinzufügung  zu  der  Niobidenreihe  verdankt  es 


248  Zweites  Kapitel. 

verlangen  vielmehr  eine  in  diesen  leeren  gestreckten  Dogen  sieh  einfügende,  im 
Gegensatz  zur  grossen  Spannung  des  Niobiden  eher  sich  zusammendrängende, 
den  Fels  mit  verdeckende  Figur ,  die  noch  nicht  eine  unmittelbare  Verbindung 
in  einer  Gruppe  voraussetzt ,  aber  einer  solchen  sich  nähert.  Und  ich  glaube 
wir  können  sie  finden  in  jener  als  Psyche  bekannten  Gestalt ') ,  über  deren 
Wesen  und  künstlerische  Bedeutung  wir  weiter  unten  die  Untersuchung  zu 
führen  haben.  Dass  sie  räumlich  sich  sehr  wohl  nahe  bringen  lässt,  ergiebt 
eine  einfache  Vergleichung  der  Grössen  Verhältnisse :  das  des  Niobiden  beträgt, 
wie  wir  sahen,  ohne  Basis  1,312  M.,  das  jener  Psyche  1,008  M. 

Ist  auf  diese  Weise  der  zweite  und  dritte  fliehende  Niobide  nicht  in  eng- 
ster Verbindung,  fast  einander  auf  den  Fersen  folgend  zu  denken,  sondern  ha- 
ben wir  dem  letztern  eine  entgegengesetzte  Gesammtrichtung,  mithin  auch  eine 
Stellung  eher  gegenüber  in  Contraposition  zuweisen  müssen,  ja  zugleich  auch 
in  der  eben  angedeuteten  Verbindung  eine  dem  ersten  fliehenden  Niobiden  mit 
der  Schwester  mehr  entsprechende  Situation ,  so  wäre  auch  schon  an  dieser 
Stelle  einfach  zu  fragen ,  nun  sind  dann  nicht  wenigstens  der  erste  und  zweite 
fliehende  Sohn  in  unmittelbarer,  naher  Aufeinanderfolge,  ja  fast  Berührung  zu 
denken?  Wird  dies  nicht  durch  den  oben  dargestellten  Contrast  in  der  Motivi- 
rung  bei  gleicher  Grundlage  entschieden  empfohlen?  Eine  unbefangene  Be- 
trachtung beider  neben  einander  muss  auch  hier  mit  einem  Nein  antworten. 
Der  Contrast  ist  der  Art ,  dass  er  neben  einander  eine  durchaus  störende  Wir- 
kung hat;  ich  mache  nur  auf  die  beiden  Bogenlinien  der  Gewänder,  auf  die 
scharfe  Abweichung  der  Köpfe  aufmerksam ,  während  die  griechische  Kunst 
so  ausserordentlich  fein  und  wohl  abgewogen  dem  Auge  sich  ergänzende  Li- 
nien und  Formen  an  einander  fügte,  dass  dasselbe  mit  Wohlgefallen  von  Höhen 
zu  Tiefen,  von  Tiefen  zu  Höhen  weiter  gleitet.  Die  Form  des  Antispast,  wenn 
man  so  sagen  darf,  bringt  sie  nur  da  an ,  wo  auch  geistig  ein  solches  Zusam- 
mentreffen zweier  gegnerischer  Kräfte ,  ein  sich  Losreissen  von  einander  dar- 
gestellt werden  soll.  Dies  ist  aber  hier  durchaus  nicht  der  Fall.  Dagegen  ha- 
ben die  zwei  Statuen  als  sich  correspondirend  gedacht ,  in  dieser  Weise  ver- 
theilt  und  zwar  so  dass  der  zweite  Sohn  dem  Beschauer  rechts,  der  erste 
mehr  links  gestellt  wird ,  eine  durchaus  treffliche ,  sich  ergänzende  Beziehung 
unter  einander.  Dann  aber  entsteht  die  Frage,  ob  wir  alle  drei  Figuren  Einem 
künstlerischen  Gedanken,  Einer  Gruppe  zuschreiben  dürfen,  ob  wir  nicht  viel- 
leicht die  dritte  Gestalt  besser  als  eine  spätere  Variation  und  zwar  auf  die 
Rücken  ansieht  berechnet  auszuscheiden  haben.  Ich  wage  nicht  dafür  mich  zu 
entscheiden,  aber  glaube,  diese  Frage  ist  zu  stellen. 


entschieden  der  ovidischen  Schilderung  und  der  Kenntnis»  der  Seitendarstellung  eines  Sar- 
kophagreliefs (vgl.  oben  S.  192). 
I)  Tafel  XVII.  13. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  249 

I).  Gebeugte  und  in  die  Knie  gesunkene  Niobidensöhne. 

a.  Der  Diskobolos  unter  den  Niobiden. 
Indem  wir  der  natürlichen  Reihe  der  Motive  unter  den  Niobiden  folgen 
und  so  von  aufrechtstehenden,  forteilenden,  unverletzten,  ja  noch  hülfreichen 
zu  den  gebeugten,  in  die  Knie  sinkenden,  endlich  zu  den  bereits  der  Todes- 
macht erliegenden,  ausgestreckten  Gestalten  fortschreiten ,  haben  wir  zu- 
nächst einer  Statue  zu  gedenken,  welche  in  Florenz  und  zwar  im  älteren  Be- 
sitz befindlich,  von  Lanzi  unter  die  Niobiden  eingereiht  war,  von  Visconti 
aber  als  Diskobolos  nun  schon  seit  lange  richtig  erkannt  ist.  Es  ist 
dies  die  früher  als  E  n  d  y  m  i  o  n  oder  Adonis  bezeichnete,  in  den  Extremitäten 
sehr  ergänzte  Statue  mit  antikem,  vielleicht  nicht  dazu  gehörigem  Kopfe ;  sie 
ward  von  Gori1)  publicirt,  dann  von  Zannoni  in  derGaleria  di  Firenze2)  und 
von  Clarac3)  wiederholt  Die  eigenthümliche  Drehung  des  Oberkörpers  ge- 
genüber den  im  Moment  der  Fortbewegung  begriffenen  unteren  Theilen,  der 
erhaltene  linke  Unterann  auf  dem  rechten  Schenkel,  die  volle  Hebung  des 
rechten  Armes  lassen  an  dieser  Bezeichnung  als  Diskobolos  nach  dem  Myro- 
nischen  Original  ebensowenig  einen  Zweifel,  als  umgekehrt  der  gänzliche 
Mangel  eines  Kleidungsstückes  gegen  einen  Niobiden  spricht.  Auch  die 
Bildung  des  Haares  so  wie  der  Gesichtsausdruck  an  dem  antiken,  aber  zur 
Statue,  so  scheint  es,  nicht  gehörigen  Kopf  weicht  sehr  von  den  Niobi- 
den ab.  Ich  verweise  in  der  Auffassung  des  Diskobolos  und  in  Bezug  auf  die 
zahlreichen  Wiederholungen  ganz  auf  Welckers  Abhandlung*).  Zugleich 
aber  kann  ich  dabei  Welckers  Verzeichniss  von  Niobidenwiederholungen  von 
einem  ihnen  nicht  zugehörigen  Exemplar  befreien,  welches  seine  Stellung 
bereits  unter  den  Diskobolen  gefunden.  In  einem  der  früheren  Kataloge  der 
kaiserlichen  Sammlung  der  Antiken  zu  Wien  wird  unter  N.  13S  eine  kleine 
Marmorstatue  eines  Niobiden,  2  F.  10  Z.  hoch  angeführt  und  darnach  von 
Welcker5)  mit  Vorbehalt  angeführt.  Diese  Statue  ist  aber,  wie  ich  durch 
briefliche  Mittheilungen  meines  Freundes,  des  Prof.  Vogel,  erfahren,  wel- 
cher auf  meine  Anfrage  persönlich  der  Sache  nachging  und  von  Baron  Sacken 
darin  freundlich  unterstützt  ward,  keine  andere,  als  der  von  O.  Jahn  schon 
im  J.  1852  richtig  erkannte  und  in  seinem  Berichte  über  die  Wiener  Samm- 
lung besprochene  Diskos werfer6)  ;  die  siebente  Auflage  des  Katalogs  vom 
J.  1859  hat  ihn  darnach  auch  benannt.  Die  Identität  dieser  beiden  Statuen 
war  bis  jetzt  noch  nirgends  hervorgehoben. 

1)  Mus.  Florent.  III.  t.  21. 

2)  Ser.  IV.  T.  I.  t.  14. 

3)  Mus.  de  sculpt.  pl.  579.  n.  1251. 

4)  Alte  Denkm.  I.  S.  417—429.  Vgl.  dazu  Abbildungen  bei  Clarac  pl.  829.  n.  2085  A ; 
S60.  n.  2194  B;  863.  n.  2194  A. 

5)  A.  D.  I.  S.  227.  No.  6. 

8)  Archäol.  Anz.  1854.  S.  454.  n.  138. 


250  Zweites  Kapitel. 

b.  Der  Florentiner  in  das  eine  Knie  gesunkene  Niobide. 
Wir  kommen  jetzt  zu  der  gleich  dem  Hauptfiinde  vom  J.  1583  angehö- 
rigen,  damals  bereits  veröffentlichten  Statue  eines  in  das  eine  Knie  gesun- 
kenen, sich  aufstemmenden  Niobiden,  Von  dem  zwei  Wiederholun- 
gen seit  längerer  Zeit  bekannt  sind,  die  eine  ebenfalls  in  Florenz,  über 
deren  Herkunft  natürlich  auf  römischem  Boden  wir  nicht  näher  unterrichtet 
sind,  die  andere  in  Rom,  im  capitolinischen  Museum.  Vielleicht  können 
wir  ein  viertes  Werk,  welches. im  Besitze  des  Herzogs  von  Alba  in  Madrid 
ist,  aber  nicht  unwichtige  Abweichungen  zeigt,  noch  daneben  stellen.  End- 
lich kennen  wir  vom  Kopf  eine  Wiederholung  in  der  Oxforder  Sammlung. 

Abbildungen:  Ca.  1. 1 2 ;  Perrier  t. 33 ;  Maflei Racc. di stat. ant.  t. 33 ;  F.  fig.  9  ; 
Z.  t.  4  (dies  die  Keplik) ;  Clarac  pl.  585.  n.  12ti5;  MW.  142  B.e;  We.  n.  14;  Over- 
beck  fig.  69  m ;  unsere  Tafel  XVII.  1 1 .  Das  capitolinische  Exemplar  Bottari  Mus. 
Capitol.  t.  III.  pl.  42;  Clarac  pl.  588.  n.  1273.  Der  Kopf  in  Oxford  in  Marmora  Oxo- 
niens.  t.  55. 

Ergänzungen:  bei  Cavaleriis  fehlt  die  Basis,  es  fehlt  das  linke  Bein  vom  Knie 
an  nebst  Fuss,  der  Bruch  ist  jetzt  überarbeitet,  sonst  sehr  wohl  erhalten  in  Kopf, 
Arme,  rechtem  Bein  und  Fuss.  Am  rechten  Bein  sind  einzelne  ergänzte  Stellen,  be- 
sonders auch  die  Zehen  des  Fusscs.  Beide  Beine  sind  sehr  durch  Ueberarbeitung  ge- 
glättet, haben  etwas  Gläsernes.  Im  Gesicht  die  Nasenspitze  nur  neu.  Nach  Meyer  ist 
die  rechte  Schulter  so  wie  die  rechte  Hand  neu.  Die  Keplik  in  Florenz  ist  bedeutend 
mehr  ergänzt,  überhaupt  sehr  überarbeitet,  jedoch  die  äussere  Seite  des  rechten  Beins, 
der  rechte  Fuss  und  Arm  unbeschädigt.  An  dem  capitolinischen  Exemplar  ist  der  Kopf 
mit  Hals,  der  linke  Arm  von  der  Mitte  des  Bicepsmuskels,  ein  Stück  an  dem  linken 
Oberschenkel,  das  linke  Bein  vom  Knie,  die  rechte  Hand  mit  Handgelenk,  das  rechte 
Bein  von  der  Mitte  des  Oberschenkels,  endlich  die  ganze  Basis  mit  Baumstamm  und 
Gewand  neu. 

Grösse:  1,311  Meter  mit  Basis,   1,263  Meter  ohne  Basis. 

Ueber  die  florentiner  Keplik  wie  das  capitolinische  Exemplar  liegen  mir  nicht  ge- 
naue Messungen  vor. 

Marmor  an  dem  florentiner  Exemplar  sehr  geglättet,  an  der  Keplik  tritt  schief- 
riger  Charakter  hervor,  der  Marmor  der  capitolinischen  Statue  ist  lunensischer.  Die 
Arbeit  an  dem  ersten  elegant,  doch  nicht  ohne  Härten,  das  linke  Auge  ist  beträchtlich 
kleiner  gebildet  als  das  rechte ;  das  wesentlich  moderne  Gewand  sehr  stumpf  ausge- 
führt. 

Die  griechische  Kunst  hat  das  Motiv  des  in  die  Kniee  Fallens  in  der 
mannigfaltigsten  Weise  und  mit  feiner  Ausprägung  verschiedener  geistiger 
Zustände  und  körperlicher  Kraftanstrengungen  durchgeführt.  Da  finden  wir 
ein  volles  Niedcrknieen  auf  beiden  Knieen,  da  ein  Nachschleifen,  oder  doch 
Nachziehen  des  einen  Heines  unmittelbar  auf  der  Erde  hin  oder  nur  wenig 
noch  gehoben,  da  ein  mühsames  sich  Erheben  oder  noch  Erhalten  auf  der 
Ferse  des  einen  knieenden  Fusses,  während  das  andere  Hein  nahe  gesetzt 
und  stark  in  der  Kniekehle  eingebogen  ist,  wie  dies  besonders  bei  Bogen- 
schützen sich  zeigt,  da  ein  Ausstrecken  des  anderen  nicht  in  das  Knie  ge- 
sunkenen Heines  nach  vorn,  um  so  balancirend  einen  Halt  zu  gewrinnen,  da 
bei  starker  Hebung  des  Knies  auf  einen  höheren  Gegenstand,  z.  B.  auf  den 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  251 

Rücken  eines  Thieres,  ein  Verstärken  der  elastischen  Kraft  durch  das  hinter- 
gestreckte, den  Boden  noch  berührende  andere  Bein,  da  endlieh  ein  Aus- 
strecken des  letzteren  nach  der  Seite  mit  auswärtsgehender  Wendung  und 
zugleich  ein  Aufstemmen  und  Widerhaltsuchen  des  letzteren.  Dies  letzte 
Motiv  fiuden  wir  bei  unserer  Statue  in  wirksamster  Weise  durchgeführt, 
indem  zugleich  noch  die  felsige  Natur  des  Terrains  benutzt  ist,  um  dem  in 
das  Knie  gesunkenen  linken  Bein  ein  höherliegendes  Unterlager  zu  geben 
und  dadurch  auch  dem  rechten  ausgestreckten  Bein  diese  Lage  zu  erleichtern. 
Im  vollen  Zusammenhang  damit  steht  es,  dass  auf  der  linken  Seite  noch  ein 
zweiter  Stützpunkt  dem  gesunkenen  Körper  gegeben  wird,  indem  die  linke 
Hand  niedergestreckt  auf  einen  Felsblock  sich  aufstützt,  ja  stemmt.  Es  wird 
dadurch  die  linke  Schulter  gehoben  und  überhaupt  eine  interessante  Gegen- 
wirkung zweier  Kräfte  auch  an  der  linken  Seite  des  Oberkörpers  sichtbar, 
ein  Emporziehen  und  ein  Niedersinken ,  und  dadurch  eine  Biegung  dessel- 
ben bedingt.  Gegenüber  der  straffen  Anspannung  auf  der  linken  Seite  ist 
eine  grössere  Entwickelung  der  Körperbewegungen  auf  der  rechten  Seite 
ausgesprochen,  eine  Entwickelung  von  Kräften,  die  aber  in  sich  gleichsam 
zurückläuft;  schon  in  dem  ausgestreckten,  im  Knie  leicht  gebogenen,  mit 
der  Ferse  und  der  Fusssohle  gegen  eine  angedeutete  Felsfläche  gestemmten 
Bein,  dann  in  der  Senkung  und  Einbiegung  des  rechten  Armes ,  welcher  mit 
der  geschlossenen  Hand  auf  dem  Beginn  des  Oberschenkels  aufruht,  also 
nicht  auswärts  einen  Haltpunkt  sucht,  auch  nicht  irgend  eine  nach  Aussen 
gehende,  abwehrende,  gegemvirkende,  oder  auch  Hülfe  suchende  Bewegung 
macht.  Das  ganz  herabgesunkene  Gewand  bildet  ein  einigendes  Glied  zwi- 
schen den  untern  Extremitäten  und  dem  die  Stütze  bietenden  Fels :  über  den 
rechten  Oberschenkel  vorn  überhängend  zieht  es  sich  hinten  um  den  linken 
Schenkel  herum  und  senkt  sich  nieder,  um  dann  mit  dem  andern  Ende  die 
weichere  Unterlage  der  linken  Hand  zu  bilden.  Nur  in  dem  links  und  zugleich 
nach  oben  gewendeten  Kopfe  ist  die  volle  Beziehung  zur  gegnerischen,  nie- 
derwerfenden Macht  gegeben,  ein  schmerzvolles  Aufschauen,  ein  krampfhaf- 
tes sich  Zusammenfassen  im  Unterliegen,  nichts  von  verbissenem  Trotz,  aber 
auch  nichts  von  Gnadcflehen.  So  drängen  sich  in  dieser  Gestalt  in  glück- 
lichster Weise  künstlerisch  wirkende  Momente  zusammen  und  dabei  ist  doch 
so  gar  nichts  spiritual istisch  Gesteigertes,  nichts  speeifisch  das  Gemüth  Erre- 
gendes ausgeprägt :  ein  Jüngling  im  lebhaften  Ausschreiten  der  Flucht,  dem 
die  Chlamys  schon  von  der  Schulter  gefallen,  bricht  durch  ein  unsichtbares 
Geschoss  in  die  Seite  verwundet  zusammen,  das  linke  Knie  ist  eingeknickt, 
der  rechte  Arm  wird  mühsam  in  die  Seite  gesetzt,  aber  noch  strebt  das  rechte 
Bein  Widerhalt  zu  gewinnen,  ein  sich  Aufrichten  zu  ermöglichen  oder  doch 
das  Zusammensinken  zu  hindern,  noch  steift  sich  der  linke  Arm  auf  die 
Stütze,  um  sich  aufrecht  zu  erhalten  und  doch  empfinden  wir  im  gewendeten, 
zurückfallenden  Haupt   die   volle  Unmöglichkeit  eines  längeren  Widerstan- 


252  Zweites  Kapitel. 

des,  die  volle  Aussichtslosigkeit  mit.  Das  tiefste  Mitgefühl  regt  sich  heim 
Anhlick  dieser  äusserlich  ganz  wehrlosen,  sichtbar  verlorenen  und  doch  inner- 
lich gehaltenen ,  bis  auf  den  letzten  Athemzug  sich  beherrschenden  Persön- 
lichkeit ,   der  der  ganze  Zauber  jugendlicher  Schönheit  innewohnt. 

Um  sich  der  specifischen  Natur  dieses  Eindruckes  recht  bewusst  zu  wer- 
den, ist  es  wichtig,  den  künstlerischen  Bildungen  etwas  nachzugehen,  in 
denen  die  griechische  Plastik  wesentlich  dasselbe  Motiv  ausgeprägt  hat.  Wir 
haben  es  mit  Amazonen  und  Kriegern,  auch  einmal  dem  Minotauros  in  Sta- 
tuen und  Reliefs  zu  thun :  die  häufigere  Erscheinung  ist  das  Einsinken  in 
das  rechte  Knie  und  das  Ausstrecken  des  linken  Beines,  so  bei  einer  Amazo- 
nenstatue der  Sammlung  Pembroke1),  so  bei  einer  mit  ganz  gleichem  Ge- 
wandmotiv, wobei  die  rechte  Brust  frei  bleibt,  ausgestatteten  Überlebens- 
grossen  Kriegerstatue  in  Villa  Albani2),  so  unter  den  Reliefs  bei  einem  Perser 
auf  dem  Friese  des  Tempels  der  Nike  Apteros8),  bei  einem  hellenischen  Krie- 
ger des  Amazonenfrieses  von  Magnesia4).  Auch  zwei  Amazonengestalten 
des  Frieses  von  Phigalia  möchte  ich  anführen,  die  die  ganz  gleiche  Bewegung 
des  ausgestreckten  Fusses  zeigen,  dagegen  bereits  auf  dem  andern  in  das 
Knie  gefallene  Bein  sitzen 5)  ;  dagegen  zeigt  uns  derselbe  Fries  von  Phigalia 
zwei  Lapithen  ganz  gleich  unserem  Niobiden  motivirt,  den  Schild  zugleich 
in- der  linken  Hand8),  derselbe  Amazonenfries  von  Magnesia  zwei  Ama- 
zonen, welche  beide  auf  das  linke  Knie  eingesunken,  mit  dem  rechten  aus- 
gestreckten Bein  sich  noch  zu  halten  suchen7),  und  eine  Miuotaurosstatue  in 
Villa  Albani,  die  mit  Theseus  gruppirt  ist,  hat  dieselbe  Motivirung8).  Die  Arm- 
bewegung ist  in  den  meisten  Fällen  darin  eine  der  unsern  ähnliche,  dass  der 
dem  knieenden  Bein  entsprechende  Arm  gesenkt  ist,  direkt  oder  durch  einen 
Schild  eine  Stütze  auf  der  Erde  sucht,  während  der  andere  gehoben  wird9), 
jedoch  kommt  es  auch  vor,  dass  beide  Arme  nach  einer  Seite  hin  abwehrend 
gewendet  sind.  Dagegen  bleibt  es  ein  wesentlich  unterscheidendes  Merkmal 
unserer  Statuen,  dass  der  aufgestemmte  linke  Arm  durch  die  Höhe  der  Un- 
terlage doch  zugleich  selbst  gehoben  wird,  dass  der  andere  obgleich  seitwärts 
gehoben  doch  wieder  zu  dem  Körper  sich  senkend  zurückkehrt.  Eine  sehr 
zahlreiche  Gruppe  von  Darstellungen  mit  ganz  ähnlichem  Motiv  sind  die  auf 


1)  Clarac  pl.  810  A.  n.  2031  C. 

2)  Clarac  pl.  S54  C.   n.  221!  C. 

3)  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  1.  Taf.  XXX.  121  A. 

4)  Clarac  pl.  117.  H.  n.  26  a. 

5)  Müller- Wieseler  a.  a.O.  Taf.  XX VIII.  123  a. 

6)  Stakelberg  Tempel  zu  Bassae  t.  28.  23. 

7)  Clarac  pl.  117  D.  n.  6b;  pl.  117  F.  n.  14. 

8)  Clarac  pl.  811  A.  n.  2071  R. 

9)  An  der  Pembrokeschen  Statue  ist  dies  freilich  anders,  aber  auch  der  linke  Arm  mit 
Schulter  und  Stück  Brust  neu. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  253 

und  an  einen  Altar  geflüchteten,  dort  sich  festhaltenden,  zugleich  auch  dro- 
henden Gestalten,  wie  Kassandra,  Telephos,  Diomedes,  Orestes. 

Unter  den  Niobidendarstellungen  sind  wir  dem  Motiv  des  einen  auf  einer 
erhöhten  Unterlage  in  das  Knie  gesunkenen  Beines  und  des  mehr  nachge- 
zogenen, den  Boden  berührenden,  ausgestreckten  anderen  Beines  bisher 
schon  mehrfach  begegnet,  so  zweimal  allein  auf  der  Vase  von  Ruvo1),  so 
je  zweimal  bei  den  Söhnen  und  Töchtern  des  pompejanischen  Bildes2),  so 
auf  dem  Relief  Campana  und  Albani8),  annähernd  auch  bei  einer  Tochter 
des  etruskischen  Sarkophags4),  aber  nirgends  begegnet  uns  jene  auswärts- 
gehende Wendung  und  der  darin  ausgedrückte  Widerstand  des  gestreckten 
einen  Beines,  die  wir  in  diesem  Niobiden  und  den  oben  aufgeführten  Bildun- 
gen fanden. 

Wir  fugen  hier  zuletzt  die  Beschreibung  der  oben  erwähnten  Statue  der 
Sammlung  des  Herzogs  von  Alba  in  Madrid  an,  die  wir  wörtlich  den  Mit- 
theilungen Hübners  entnehmen  :  ,  ,Es  besitzt  der  Herzog  von  Alba  die  etwas  über 
„lebensgrosse  Statue  eines  zu  Boden  gesunkenen  aus  griechischem  Marmor, 
„wahrscheinlich  in  Rom  zu  Anfang  des  Jahrhunderts  erworben,  welche  sich 
„mir  am  einfachsten  als  ein  Niobide  zu  erklären  schien.  Eine  ihr  genauer 
„entsprechende  kann  ich  unter  den  bisher  bekannten  nicht  nachweisen :  am 
„nächsten  kommt  noch  die  bei  Clarac  Tafel  585,  1265  abgebildete.  Doch 
„ist  die  Madrider  Statue  nach  der  andern  Seite  hin  gewendet  und  auch  in 
„der  Bewegung  verschieden.  Kopf  und  Arme  fehlen ;  der  Körper  ist  nackt, 
„nur  auf  der  linken  Schulter  liegt  ein  Stück  der  Chlamys.  Er  ist  auf  das 
„rechte  Knie  gesunken  und  streckt  das  linke  Bein  fast  gerade  von  sich.  Die 
„Bewegung  des  Oberkörpers  zwingt  fast  zu  der  Annahme,  dass  der  Kopf 
„nach  oben  gewendet  und  die  Arme  wie  abwehrend  erhoben  waren.  Die 
„Behandlung  ist  breit  und  nicht  sehr  ausgeführt,  aber  edel  und  eines  grie- 
chischen Originals  durchaus  würdig."  Wir  haben  darnach  eine  sehr  inte- 
ressante Bildung,  deren  Publikation  mit  so  vielen,  bisher  noch  unveröffent- 
lichten Schätzen  aus  Spanien,  wir  mit  der  Zeit  wohl  hoffen  können.  Ich 
trage  auch  kein  Bedenken,  sie  für  einen  Niobiden  zu  erklären ;  das  Vorhan- 
densein der  Chlamys  bei  durchaus  knabenhafter  Körperbildung  ist  dafür  be- 
zeichnend. Es  ist  also  in  den  unteren  Körpertheilen  dieselbe  Motivirung,  nur 
auf  die  entgegengesetzten  Glieder  übertragen,  wie  wir  ja  oben  bei  dem  Krieger 
und  Amazonen  denselben  Wechsel  gewahr  wurden.  Die  Motivirung  der  Arme 
und  des  Kopfes  aber  scheint  ganz  dem  Münchner  sogenannten  üioneus  zu 
entsprechen,  den  wir  weiter  unten  zu  betrachten  haben :  ein  flehendes  Ab- 


1)  Taf.  II  und  S.  155. 

2)  S.  161. 

3)  laf.  III,  dazu  S.  170.  174. 

4)  Taf.  IX.  2,  dazu  S.  200. 


254  Zweites  Kapitel. 

wehren  ist  darin  ausgesprochen.  Die  Hebung  beider  Arme  neben  jenem 
Beinmotiv  erwähnten  wir  schon  oben ,  so  bei  dem  Perser  des  Nikefrieses ; 
Amazonen,  auch  Lapithen  zeigen  bei  ähnlichen  Motiven  auch  beide  Arme 
gehoben.  Man  muss  staunen,  welche  Scala  von  verwandten  Bildungen  sich 
immer  mehr  vor  unseren  Augen  aufthut,  wie  schwer,  ja  oft  wie  unmöglich 
ist  es,  jetzt  schon  auszusprechen,  dass  dies  die  in  jener  Gruppe  des  Apollo- 
tempels von  Roms  angewandte,  jene  sie  mcht  war,  welche  Fülle  von  Varia- 
tionen schliessen  sich  an  gewisse  gleiche  Grundmotive  an ! 

c.   Der  sogenannte  Narciss  vonFlorenz. 

Hat  uns  Canovas  Künstlerauge  die  Gruppe  von  Cephalus  und  Procris  im 
Vatikan  für  die  Niobiden  gewonnen,  so  entdeckte  Thorwaldsen  in  einer  schö- 
nen knieenden,  von  Gori  bereits  aus  dem  älteren  Vorrath  der  florentiner 
Sammlung  unter  dein  Namen  des  Narciss  veröffentlichten  f )  Statue  einen  Nio- 
biden. Und  diese  Bezeichnung  hat  bei  allen,  die  die  Gruppe  behandelten, 
so  bei  Zannoni,  Wagner,  Thiersch,  Welcker  u.  s.  w.  volle  Anerkennung  ge- 
funden. Wir  haben  jetzt  auch  eine  kurze  Notiz  von  einer  Wiederholung  der- 
selben Gestalt  im  Museum  der  Familie  Este  zu  Catajo,  welches,  so  viel 
ich  weiss ,  aus  Italien  eben  entfernt  wird 2) :  eine  Zeichnung  derselben  ist 
noch  nirgends  veröffentlicht.  Wir  haben  uns  daher  zunächst  auf  die  Betrach- 
tung der  florentiner  Statue  zu  beschränken. 

Abbildungen:  Gori  Mus.  Florentin.  pl.  71  ;  Zannoni  R.  G.  di  Fir.  IV.  2.  pl. 
74.  75;  Clarac  pl.  587.  n.  1271  ;  pl.  5SS.  n.  1272;  MW.  Taf.  34.  N.  142.  B.n\  W.  15; 
Overbeck  fig.  69  a;  unsere  Tafel  XIII.  3. 

Ergänzungen:  Kopf  und  rechter  Arm  ganz  neu. 

Grösse:  nach  Zannoni  4  Palmi  10  Zoll  3  Lin.f  nach  Clarac  4  Palmi  7  Zoll. 
Technik:  die  Rückseite  ist  ebenfalls  wohl  ausgearbeitet,  so  dass  O.  Müller  ihn 
wesentlich  von  hinten  betrachtet  wissen  wollte.    Ueber  den  Marmor  fehlt  mir  nähere 
Auskunft. 

Ein  Jüngling,  fast  ganz  entblösst,  ist  in  beide  Kniee  gesunken;  die 
Linke  greift,  schmerzhaft  auf  den  Rücken  gelegt,  nach  einem  aber  plastisch 
nicht  näher  charakterisirten  Punkt ,  von  wo  der  den  ganzen  Körper  erfüllende 
tödt liehe  Schmerz  ausgeht,  der  rechte  Ann  ist  dem  Ansehen  nach  gehoben 
im  einfachen  Ausdruck  der  Wehklage,  das  Haupt  ist  ebenfalls  dem  Ansehn 
nach  etwas  links,  aber  nicht  in  dem  Maasse,  als  die  Ergänzung  zeigt,  und 
vorwärts  gesenkt.  Die  Stellung  der  Heine  ist  für  die  ganze  Situation  sehr 
bezeichnend.  Die  Kniee  sind  nämlich  nicht  nahe  an  einander  geschlossen, 
wie  bei  den  demüthig  Hfüfeflehenden,  sondern  ziemlich  weit  auseinander  ge- 
rückt und  zugleich  ist  das  rechte  Knie  nicht  unbedeutend  vorgeschoben.   Wir 


1)  Mus.  Florentin.  pl.  71. 

2)  Cavedoni  Indicaz.  di  prineip.  mon.  ant.  del  mus.  Estense  del  Catajo.  Modena,  1842. 
p.  111  ff. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  255 

erhalten  so  den  Eindruck  einer  kräftigen  Gestalt,  die,  wenn  auch  in  ihren 
unteren  Extremitäten  erschüttert  und  zusammensinkend,  doch  nach  einer 
möglichst  breiten  Widerstandsfläche  sucht,  und  auch  durch  die  Vorschiebung 
eines  Kniees  sich  in  dieser  Lage  noch  länger  zu  halten  strebt.  Das  herabge- 
sunkene Obergewand  ist  mit  seinem  einen  Zipfel  über  den  grösseren  Theil 
des  linken  Oberschenkels  vornüber  zurückgeschlagen  und  bildet  hier  nach- 
schleifend die  Unterlage  des  rechten  Beines.  Das  linke  Knie  ist  dadurch 
faltig  umhüllt.  Es  senkt  sich  dann  hinten  hinab,  um  das  ganze  rechte  Unter- 
bein mit  Fuss  vollständig  und  reich  zu  umziehen.  Es  kann  in  dieser  Lage 
nicht  lange  verharren,  sondern  würde  bald  vom  linken  Oberschenkel  herab- 
rutschen ;  für  den  Augenblick  wird  es  aber  durch  die  eigenthümliche  Ver- 
flechtung und  gegenseitige  Spannung  gehalten.  Es  entsteht  dadurch  eine 
interessante  Verschiedenheit  der  beiden  unteren  Extremitäten  und  die  Wehr- 
losigkeit  und  Hoffnungslosigkeit  der  ganzen  Situation  spricht  sich  in  der 
vollen  Entblössung  des  vorgerückten  rechten  Beines  und  Kniees  aus.  Der 
Rumpf,  der  überhaupt  reife  jugendliche  Formen  zeigt,  wird  durch  die  con- 
trastirende  Bewegung  der  Arme  in  seiner  Motivirung  bedingt:  die  rechte 
Seite  ist  in  voller  Entfaltung  ihrer  Muskeln,  die  linke  eingezogen  mit  er- 
schlaffter Muskelthätigkeit.  Die  ganze  volle  Entwickelung  der  doch  auf  eine 
breite  Flächenansicht  berechneten  Gestalt  ist  nur  auf  der  Vorderseite  gege- 
ben, daher  auch  diese  die  dem  Beschauer  gegenübergestellte  gewesen  sein 
wird  und  zwar  kommt  demselben  ein  Standpunkt  etwas  nach  der  rechten 
Seite  der  Statue  zu. 

Die  wesentliche  Gleichheit  unseres  Motives  mit  den  von  uns  bereits  be- 
trachteten Darstellungen  des  in  die  Kniec  gesunkenen  Niobiden  in  dem  Gyps- 
hautrelief  aus  Kertsch1)  und  in  dem  Relieffragment  aus  Bologna2)  fallt  in 
die  Augen  und  doch  ergiebt  die  nähere  Vergleichung  interessante  Verschie- 
denheiten sowohl  in  dem  herabgesunkenen  Gewand,  wie  in  der  Bewegung 
der  Arme.  Ob  der  rechte  Arm  unserer  Statue  nicht  auch  annähernd  dem  der 
beiden  andern  Beispiele  mehr  im  Ellenbogen  gebogen  war,  ist  hier  eine  für 
eine  richtige  Restauration  zu  erörtende  Frage. 

d.  Der  sogenannte  Ilioneus  von  München. 

Unwillkürlich  wird  man  in  Gedanken  von  dieser  knieenden  florentiner 
Statue,  die  wir  den  Niobiden  mit  aller  Sicherheit  einreihen  konnten,  weiter 
geführt  zu  jenem  herrlichen  knieenden  Knaben torso  3) ,  der  sicher  aus  Italien 
stammend,  einst  der  Sammlung  Kaiser  Rudolphs  II.  in  Prag  angehörte, 
dort  das  Schicksal  der  Verschleuderung  mit  den  anderen  Gegenständen  der- 


1)  Tafel  VI. 

2)  Tafel  IV  «. 

3)  Die  erste  Notiz  über  den  Torso  gab  wohl  Hirtin  den  Hören.  Jahrg.  1797.  10.  St.  3.20. 


256  Zweites  Kapitel. 

selben  Sammlung  theilte,  von  dem  Kunstsammler  Dr.  Barth  in  Wien  einem 
Steinmetzen  abgekauft  und  aus  dessen  Besitz  um  einen  hohen  Preis  vom  Kö  • 
nig  Ludwig  von  Bayern  für  die  Glyptothek  erworben  ward.  Der  Niobiden- 
name  Ilioneus  haftet  ihm  als  populäre  Bezeichnung  schon  an,  über  seine 
Aufnahme  unter  die  Niobiden  sind  noch  heute  die  Ansichten  getheilt. 
Thiersch1),  Martin  Wagner2),  neuerdings  Ad.  Stahrs),  Bursian4),  Friede- 
richs 5)  sprechen  sich  mit  mehr  oder  weniger  Bestimmtheit  dafür  aus ;  Martin 
Wagner  neigt  sich  dazu,  die  Statue  einer  anderen  Niobidengruppe,  der  des 
Praxiteles,  zuzuschreiben.  Vergeblich  sucht  man  in  dem  neuesten  Schrift- 
chen, welches  den  Namen  Ilioneus6)  und  zwar  in  Bezug  auf  die  Münchener 
Antike  trägt,  eine  eingehende  Schilderung  und  Charakterisirung  derselben ; 
noch  weniger  ist  die  Frage  der  Begründung  zu  dieser  Bezeichnung  erörtert. 
Auf  S.  51  wird  der  Vorschlag  gemacht,  die  Figur  mit  der  das  Gewand  heben- 
den Schwester  zu  gruppiren.  Dagegen  haben  Schorn,  dem  wir  die  erste  aus- 
führliche und  zugleich  vortreffliche  Charakterisirung  der  Statue  verdanken7), 
Otfried  Müller8)  und  Welcker9),  der  letztere  mit  einer  kurzen  Angabe  tref- 
fender Gründe  die  entschiedenen  Zweifel  an  der  Zugehörigkeit  zu  der  uns 
erhaltenen  Niobidenreihe  ausgesprochen.  Overbeck  glaubt,  indem  er  die 
bisher  angenommene  Beziehung  gänzlich  ablehnt,  eine  ganz  zutreffende 
Deutung  gefunden  haben,  indem  er  in  ihm  den  vom  Pferde  gerissenen,  vom 
Achill  mit  dem  Tode  bedrohten,  dagegen  ringenden  Knaben  Troilos  er- 
kennt10). Wieseler11)  stimmt  demselben  bei,  indem  er  aber  die  besonderen 
Motive,  die  ihn  als  Troilos  von  Overbeck  aufTassen  lassen,  gegenüber  dem 
eines  vor  dem  Apollaltar  schutzflehend  Knieenden  abweist. 

Abbildungen:  Kunstbl.  1S28.  2  Tafeln  zu  S.  245;  Müller- Wieseler  D.  A.  K. 
Taf.  XXXIV.  E;  Clarac  pl.  580.  n.  1280. 

Grösse:  3  F.  (welches  Maass?)  5  Zoll,  genauer  die  Höhe  der  antiken  Theile  mit 
Armstumpf. 

Erhaltung:  es  fehlt  der  Kopf  mit  grösstem  Theile  des  Halses,  beide  Arme  und 
zwar  der  rechte  bis  zum  unteren  Ende  des  Deltamuskels,  der  linke  bis  in  die  Mitte 
desselben,  ferner  fehlen  die  Zehen  des  rechten  Fusses,  jedoch  sind  die  Ansätze  zu  der- 
selben noch  auf  der  Basis  sichtbar,  am  linken  Fusse. 


1)  Epochen  d.  bild.  Kunst.  II.  Aufl.  S.  370  Anm. 

2)  Kunstbl.  1830.  S.  222.  240. 

3)  Torso  I.  S.  382. 

4)  NIbb.  f.  Philol.  etc.  LXXVII.  S.  108. 

5)  Verz.  d.  Samml.  der  Abgüsse  d.  Kön.  Museen  zu  Berlin.  1860.  S.  105. 
G)  L.  Oerlach,  Ilioneus.  Archäol.  Plaudereien.  Zerbst  1S62. 

7}  Kunstbl.  1828.  n.  45 j  Beschreib,  d.  Glyptothek  1837.  S.  Ulf. 

s)  D.  A.  K.  Text  zu  Taf.  XXXIV.  E. 

9)  A.  D.  I.  S.  243  f. ;  Katal.  d.  Kunstmus.  zu  Bonn.  Anm.  66. 

10)  Gallerie  hero.  Bildw.  S.  363.  364;  Kunstarchäol.  Vorles.  S.  81. 

11)  D.  A.  K.  a.a.O. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  257 

Marmor:  parischer.  Die  Oberfläche  ist  fast  glasig  geglättet.  Die  Arbeit  zeigt 
die  feinste  Durchbildung  eines  jugendlichen  Körpers  und  ist  gl eichm aasig  für  alle 
Standpunkte  der  Betrachtung  durchgeführt. 

Ein  auf  beide  Kniee  niedergeworfener,  eben  zum  Jüngling  heranreifen- 
der Knabe  biegt  sich  angstvoll  auf  d«r  linken  Seite  ein ,  während  er  mit 
den  gehobenen  beiden  Armen  und  dem  aufwärts  gewandten,  zur  Seite  gebo- 
genen Haupte  flehend  und  abwehrend  einer  rechts  von  oben  kommenden 
Gefahr  zu  begegnen  strebt.  Die  linke  Ferse  bildet  den  Stützpunkt  des  ein- 
gebeugten Unterkörpers,  unter  dessen  Last  der  Fuss  stark  sich  biegt,  die 
Zehen  sich  ausspreizen.  Die  Füsse  nähern  sich  fast  ganz  einander,  während 
die  Kniee  aber  in  gleichmässigem  Vorschieben  divergirend  sich  stellen.  Die 
starke  Drehung  nach  links  und  starke  Senkung  nach  derselben  Seite,  die 
Hebung  der  rechten,  die  Einbiegung  zugleich  ergeben  ein  reiches  anziehendes 
Linienspiel  auf  dem  herrlichen,  von  feinstem  Lebenshauch  erfüllten  Körper. 
Der  linke  Arm  schliesst  sich  in  seinem  Ansatz  eng  an  den  Körper  an,  wäh- 
rend der  rechte  frei  und  höher  gehoben  ist.  Von  trefflichster  Wirkung  ist  der 
gebogene  Rücken.  Ueberhaupt  treten  uns  von  allen  Seiten  die  glücklichsten 
Linien-  und  Flächenverbindungen  entgegen. 

Schon  hierin  muss  ich  einen  sehr  wesentlichen  Unterschied  von  allen 
uns  bekannten  Niobidenstatuen  finden,  die  alle,  allerdings  mehr  oder  weni- 
ger, auf  eine  Hauptvorderansicht  berechnet  sind ;  keine  ladet  nur  irgend  zu 
einer  solchen  allseitigen  Betrachtung  ein,  wie  dies  auch  bei  der  gleich  nach- 
her kurz  zu  erwähnenden  Ringergruppe,  wie  dies  bei  der  mediceischen  Venus, 
bei  dem  Torso  von  Belvedere  u.  a.  der  Fall  ist.  Ferner  haben  wir  eine  durch- 
aus unbekleidete  Gestalt  vor  uns,  nirgends  eine  Spur,  dass  z.  B.  auch  nur 
über  einem  der  Arme  ein  Gewand  gehangen  habe ;  während  nicht  allein  alle 
Statuen  von  Niobiden,  sondern  wie  wir  sahen,  auch  alle  sonstigen  bildlichen 
Darstellungen  irgend  einen  Rest  von  Gewandung  uns  bei  ihnen  zeigten1).  Es 
wäre  nun  sehr  verwunderlich,  wenn  ein  so  ausgezeichnetes  acht  griechisches 
Werk,  wie  dieses,  darin  nicht  allein  die  ganze  Tradition  verliesse,  sondern 
auch  dasjenige  aufgäbe,  was  in  allen  sonstigen  Niobidenstatuen  eine  so  be- 
sondere Quelle  von  Schönheiten  geworden  ist.  Schorn  macht  ferner  mit 
Recht  darauf  aufmerksam,  dass  ,,eine  süsse  Ruhe  und  Behaglichkeit  in  allen 
Theilen  herrscht,  die  an  einen  Amor  erinnere,  oder  an  einen  Hyakinthos 
denken  lasse ,  dass  das  Convulsivische ,  den  höchsten  Affekt  Verrathende, 
das  sonst  allen  Niobidensöhnen  zukomme,  hier  gerade  fehle".  Das  ist  ge- 
wiss richtig ;  jener  Sturm,  der  gleichsam  durch  die  ganze  Kinderreihe  hin- 


])  Die  einzige  Ausnahme  findet  sich  auf  dem  etruskischen  Sarkophag  bei  einer  hinsin- 
kenden Tochter  (Taf.  IX,  2 ;  S.  20] .),  aber  auch  da  würde  eine  genaue  Untersuchung  auf  dem 
Hoden  oder  an  der  dahinterstehenden  Figur  wohl  noch  eine  Andeutung  des  herabgesunke- 
nen Gewandes  finden. 

Stark,  Niobc.  17 


258  Zweites  Kapitel. 

durchbraust,  der  sie  in  lebhafteste  Bewegung  der  Flucht  gesetzt  hat,  der  auch 
in  den  eben  betrachteten  zusammenbrechenden  Gestalten  sich  im  Reflex,  im 
convulsivischen  Widerstand  offenbart,  er  berührt  diesen  Körper  nicht.  Dieser 
durchgreifende  Unterschied  tritt  recht  grell  hervor,  wenn  wir  den  sogenann- 
ten Narciss  und  diese  Statue  nebeneinander  stellen,  die  für  den  oberfläch- 
lichen Betrachter  so  gut  als  Gegenstücke  zu  passen  scheinen.  Welch  innere, 
feste,  widerstrebende  Haltung  ist  in  jenem  zum  Tode  Verwundeten,  welche 
Hingabe  in  diesem  noch  ganz  Unverletzten  an  die  bedrohende  Persönlich- 
keit !  Auch  die  Alterstufe  ist  eine  sehr  verschiedene,  der  sogenannte  IlioneuF 
ist  noch  jünger  als  der  vom  Pädagog  geschützte  Niobide. 

Der  letzte  Hauptpunkt  spricht  auch  entschieden  gegen  eine  Darstellung 
des  Troilos,  der  in  jagender  Hast  auf  dem  Rosse  verfolgt,  herabgerissen,  zum 
Altar  sich  flüchtend  an  den  Haaren  von  dem  mörderischen  Feinde  gefasst, 
hingeschlachtet  wird  trotz  alles  Widers trebens.  Das  Bild  des  rührendsten 
kindlichen,  wehrlosen  Flehens  um  Abwendung  der  Vernichtung,  der  Todes- 
gefahr ist  hier  ausgeprägt,  keine  vorausgehende  längere  Flucht,  kein  An- 
streben gegen  einen  wohlgekannten,  wenn  auch  noch  so  übermächtigen 
Feind.  Man  wird  gewiss  mit  Wieseler  sehr  dazu  sich  getrieben  fühlen,  die- 
sen Flehenden,  in  sich  so  Wehrlosen  an  geheiligter,  geschützter  Stelle,  an 
einem  Altar,  vor  allem  am  Altarheerd  des  Hauses  in  die  Kniec  gesunken  zu 
denken.  Er  betet  nicht  überhaupt  zu  den  Göttern,  wie  dies  der  ovidische 
Ilioneus  thut,  welcher  alle  mit  gehobenen  Händen  anruft,  er  betet  überhaupt 
nicht,  nein,  er  bittet  flehentlich  eine  gegenwärtig,  sichtbar  gedachte  Persön- 
lichkeit. 

Soll  ich  noch  weiter  gehen  und  diese  nennen,  die  er  wohl  anfleht  ?  Nun 
es  sei  gewagt,  hier  ohne  lange  Begründung  meine  Deutung  auszusprechen. 
Es  ist  der  gewaltige,  vom  Wahnsinn  ergriffene,  mit  den  Geschossen  bedro- 
hende Vater,  es  ist  der  rasende  Herakles,  zu  dem  der  zum  Altar  geflüchtete 
Sohn  auf  den  Knieen  um  Schonung  fleht.  Die  Schilderung  des  Euripides 
giebt  uns  dies  Motiv  unmittelbar  an  die  Hand.  Der  zweite  der  Söhne  ist 
wie  ein  Vogel  an  den  Altar  des  Zeus  Herkeios  hin  gescheucht;  als  er  den 
Vater  das  Geschoss  auf  sich  richtend  sieht,  da  kommt  er  ihm  zuvor,  fallt  ihm 
zu  Füssen,  reckt  Hand  und  Hals  nach  dem  Kinn  des  Vaters : 

„o  Liebster,  spricht  er,  Vater  wirst  mich  tödten  nicht, 
Dein  bin  ich  ja,  Dein  Kind,  nicht  des  Eurystheus  Sohn." 
Doch  der  Vater  mit  Gorgonenblick  schwingt  die  Keule  wie  einen  Hammer 
über  dem  Haupt  und  lässt  sie  auf  des  Kindes  Haupt  sinken,  die  Glieder 
zerschmetternd ') . 


1)  Hercul  für.  960  ff. ;  besonders  964 : 

ulXog  d^  ßtafibv  OQvig  a>g  ÜnTrj?  vno; 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  359 

e.  Die  Ringergruppe  von  Florenz.    Niobidenköpfe. 

Die  Geschichte  der  Auffindung  der  mediceischen  Niobidengruppe  hat 
uns  die  Entdeckung  der  Lotta,  der  zwei  auf  dem  Erdboden  Ringenden  an 
demselben  Orte  und  um  dieselbe  Zeit  gezeigt,  aber  eben  so  entschieden,  dass 
sie  von  den  Niobiden  getrennt  und  besonders  gefunden,  besonders  im  Preise 
behandelt  wurden.  Wie  viel  früher  sie  als  die  andern  Statuen  nach  Floren« 
gewandert  sind,  haben  wir  ebenfalls  gezeigt.  Ebenso  erfuhren  wir  ja  auch, 
dass  eine  der  berühmtesten  Statuen  des  gymnastischen  Lebens,  der  Diskobo- 
los  in  derselben  Villa  Massimi  Palombara  später  gefunden  wurde,  den  zu 
Niobiden  zu  rechnen  man  nie  gedacht  hat. 

Trotzdem  ist  die  Ringergruppe  durch  die  Ergänzer  und  in  den  Abbil- 
dungen zu  Niobiden  alsbald  gestempelt  worden.  Wenn  Winkelmann1)  die- 
selben unter  der  Benennung  Söhne  der  Niobe  in  einem  seltenen  Kupferstich 
vom  J.  1557  gesehen  haben  will  und  dabei  auf  die  Aehnlichkeit  des  Stiles 
mit  den  Niobiden,  besonders  in  den  Köpfen  resp.  auch  den  Haaren  aufmerk- 
sam macht,  so  hat  er  sich  entschieden  in  der  Jahreszahl  geirrt.  Er  spricht  an 
einer  anderen  Stelle2)  von  dem  vor  der  Ausbesserung  gestochenen  Kupfer 
dieser  Figuren.  Dies  ist  der  Stich  bei  Cavalleriis  (Taf.  11),  wo  sie  bereits 
Niobiden  genannt  sind :  hier  fehlen  die  Köpfe,  die  Unterbeine  und  ein  Theil 
der  Arme.  Ergänzt  finden  wir  sie  dann  bei  Perrier8),  Ulrich  Kraus4)  und  in 
den  andern  Abbildungen5).  In  neuerer  Zeit  war  es  wohl  nur  Martin  Wagner, 
der  sie  in  einer  gewissen  Bizarrerie  zu  den  Niobiden  zählte  und  sie  in  der 
Mitte  der  Sehne  des  von  ihm  zur  Aufstellung  gewählten  Kreisbogens  aufge- 
stellt wissen  wollte.  Von  Feuerbach8)  hören  wir  jedoch,  dass  man  auch 
daran  dachte,  sie  in  eine  Ecke  des  vorausgesetzten  Giebelfeldes  zu  stellen. 


974  ff. :     aXXy  <T  incT/f  Tof  og  *p<fl  ßtophtv 
tmnZt  xQr\nW%  mg  XtXtjd-frai  <foxm>. 
if&dvei  cT  6  rirj/uMV  yovaai  nQoantoiüv  nurgog 
xul  7tQog  ytvuov  %fi(/tt  x«'  fVpiji'  ßaXatv 
ta  tfCXzaf,  av$t$,  ^J?/u*  anoxTtCvyg  narfQ. 
(Sog  ttfti  abg  natg,  ol  rbv  EvQvafritag  6XfTg. 
6  cT  ayQiwnby  ofi/ua  FoQyorog  OTQ&fiov 
tag  frrbg  fOTff  mag  XuyQou  To£(Vfi(trog 
^vdQ0XTvn(or  fi (pr^t   vkIq  xi'tQtt  ftuXwr 
%vXov  xa&rjxi  naidog  ttg  £uvO-w  xa(ta 
(QQriSe  J"  oora. 

1)  Geschichte  d.  Kunst  B.  IX.  2.  §  2S. 

2)  Denkm.  d.  alt.  Kunst.  Erklär,  zu  Taf.  s9. 

3)  Segm.  nobil.  stat.  t.  35.  36. 

4)  Signor.  veter.  icones  t.  9.  10. 

5)  Mus.  Florent.  III.  t.  73.  74;  Zannoni  R.  G.  ser.  IV.  vol.  3.  t.  121.  122;  Clarac  pi. 
858  A.  n.  2176;  Wicar  tableaux  statues  etc.  de  la  gal.  de  Flor.  I.  pl.  61 ;  Müller- Wieseler 
D.  A.  K.  I.  Taf.  36.  n.  149. 

6)  Der  vatikanische  Apollo.  S.  229. 

17* 


260  Zweites  Kapitel. 

Es  bedarf  meinerseits  keiner  Ausführung-,  dass  die  Ringer  nicht  zu  den 
Niobiden  gehört  haben.  Alles  was  gegen  Ilioneus  zu  erinnern  war,  trifft  hier 
in  erhöhtem  Maasse  zu :  die  Bestimmung  von  allen  Seiten  betrachtet  zu  wer- 
den, in  der  Mitte  eines  gleichmässig  von  allen  Seiten  zugänglichen  Raumes 
zu  stehen,  die  gänzliche  Gewandlosigkeit,  endlich  der  Mangel  nicht  allein 
jeder  Sturmeseile,  jeder  nach  Aussen  gewendeten  pathetischen  Ergriffenheit. 
Diese  Gestalten  sind  gänzlich  mit  sich  beschäftigt,  in  der  grössten  körper- 
lichen Verschlingung,  im  Höhepunkt  der  körperlichen  Anstrengung  und 
der  dieser  entsprechenden  geistigen  Erregung,  aber  es  ist  nichts  Transcen- 
dentes,  nichts  von  sittlichem  Conflikt,  nichts  von  tragischer  Stimmung  darin 
zu  entdecken.  So  herrlich  sie  als  Glieder  der  griechischen  Falästra  erschei- 
nen ,  so  gänzlich  unpassend  sind  sie  unter  den  Niobekindern.  Und  auch 
selbst  die  Schilderung  Ovids,  welche  sichtlich  auf  diese  Deutung  einen  so 
grossen  Einfluss  geübt  hat1),  trifft  mit  der  Gruppe  durchaus  nicht  zu;  dort 
bei  dem  Dichter  erfolgt  das  gemeinsame  Sinken  der  eben  im  Ringen  sich 
umschlingenden  infolge  des  beide  durchdringenden  Pfeiles,  hier  haben  wir 
von  dem  gemeinsamen  Tode  keine  Spur,  sondern  eine  bestimmte  Art  des 
Ringens,  das  Ringen  am  Boden  (ällvdyoig,  xvliaig) . 

Von  Interesse  für  uns  bleiben  die  K  ö  p  f  e ,  welche  nicht  also  mit  den 
Körpern  zusammengefunden  wurden,  sondern  erst  aufgesetzt.  Sie  gehören 
in  der  That  in  den  Bereich  der  Niobidenbildung,  nur  fragt  es  sich,  ob  sie 
modern  oder  antik  sind.  Das  Erstere  wird  ohne  Weiteres  z.  B.  von  Wiese- 
ler2) angenommen,  jedoch  ist  mir  dasselbe  bei  der  wiederholten  Betrachtung 
von  Gypsabgüssen  durchaus  unwahrscheinlich  erschienen.  In  Florenz  selbst 
wird  der  Kopf  des  Unterliegenden  ohne  alle  Widerrede  für  antik  gehalten, 
der  des  Siegers  für  überarbeitet.  Meyer3)  hat  über  die  Köpfe  sich  sehr  ein- 
gehend ausgesprochen,  ihm  sind  sie  auch  entschieden  antik,  wenn  auch  über- 
arbeitet, natürlich  zum  Zwecke  der  Anpassung  an  die  Gruppe.  Die  Bildung 
der  Augen,  des  Stirnknochens,  von  Mund  und  Kinn,  dann  vor  allem  der 
Haare  stimmt  sehr  mit  Niobidenköpfen,  die  Nasen  sind  ergänzt.  Die  rechte 
Seite  der  Haare  ist  besonders  fleissiger  ausgearbeitet  als  Scheitel  und  linke 
Seite.  In  dem  Kopfe  des  Besiegten  ist  ein  heftigerer  Grad  des  Schmerzes, 
besonders  in  der  zusammengezogenen  Stirne  ausgeprägt,  aber  auch  der  an- 
dere zeigt  ein  „stilles  und  erhabenes  Leiden".  Ich  zweifle  durchaus  nicht 
daran,  dass  wTir  zwei  Wiederholungen  der  Köpfe  der  fliehenden  Söhne  vor 
uns  haben,  der  eine  mit  dem  Ausdruck  heftiger  Anstrengung  auf  der  Stirne4). 

Wir  schliesscn  hier  gleich  die   Erwähnung  der   sonst  noch  bekannten 


1)  Metam.  VI.  24Qff.,  oben  S.  73. 

2)  D.  A.  K.  I.  S.  27. 

3)  Anmerk.  316  zu  Winkelraann  G.  d.  K.  IX.  2.  §  2S. 
A)  S.  oben  S.  244. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  261 

Niobide n köpfe  an.  Auch  sie  liefern,  wie  die  Köpfe  der  Niobe  selbst  und 
die  der  Töchter,  den  JJeweis,  in  welcher  Fülle  die  griechisch-römische  Kunst 
berühmte  Originale  in  ganzen  Statuenvereinen,  einzelnen  Statuen,  endlich 
Büsten  reproducirt  hat.  Aus  dem  Vatican  werden  uns  zwei  jugendliche, 
männliche  Köpfe  als  im  Niobidencharakter  bezeichnet,  einer  im  Museo  Chia- 
ramonti1),  der  andere  in  Belvedere,  Tor  dei  Venti2).  Li  Berlin  befindet 
sich  im  Götter-  und  Heroensaal  ein  Kopf  eines  Niobiden  aus  älterem,  im 
Schloss  einst  befindlichem  Kunstbesitz,  von  griechischem  Marmor,  flüchtiger 
Arbeit  des  Haares,  glattem  Gesicht 3) .  Ferner  beschreibt  Köhler*)  zwei  Köpfe 
von  Niobesöhnen  in  der  kaiserlichen  Sammlung  von  Sarskoe  Selo,  über 
die,  zunächst  schon  über  deren  jetzigen  Aufenthaltsort  uns  jede  neuere  Kunde 
fehlt.  Ueber  Marmor,  Ort  der  Erhaltung,  Grösse  und  Stil  bleiben  wir  im 
Dunkebi.  Köhler  nennt  den  einen  Kopf  das  Bild  eines  kraftvollen,  griechi- 
schen Jünglings,  der  geübt  ist  im  Gymnasion,  mit  Herakles  Aehnlichkeit 
hat,  von  dessen  Ideal  sich  besonders  im  Untergesicht  unterscheidet.  Das 
Oval  des  Gesichtes  soll  von  grosser  Schönheit  sein,  die  Arbeit  gefällig  und 
geschmackvoll.  Der  zweite  Kopf  steht  um  nichts  nach,  gehört  einem  jün- 
geren, zarteren  Jüngling.  Endlich  befindet  sich  in  der  Sammlung  zu  Ox- 
ford ein  Niobidenkopf,  in  welchem  Welcker  den  des  auf  das  Knie  gefallenen 
Niobiden  erkannte5). 

E.   Der  todte,  ausgestreckt  liegende  Niobide. 

Der  Schluss  des  gewaltigen  Dramas  ist  der  Tod,  der  ausgleichende,  da- 
hinstreckende ,  Stille  verbreitende.  Wir  haben  von  Stufe  zu  Stufe  bei  der 
Betrachtung  der  Niobesöhne  uns  ihm  genähert.  In  zwei  unbezweifelt  zur  Ge- 
sammteomposition  gehörigen  Werken  empfanden  wir  bereits  mit  die  Wir- 
kung der  Todeswunde,  in  beiden  noch  Widerstand,  in  dem  einen  mehr  ein 
sich  Entgegenstemmen,  in  dem  andern  ein  mühsames,  edles  sich  Aufrecht- 
erhalten. Der  Kampf  ist  geendet,  auf  dem  Boden  ruht  ausgespannt  ein  edler, 
jugendlicher  Körper,  noch  dient  ihm  die  Chlamys  zur  Unterlage  auf  dem  har- 
ten Felsenbette,  noch  ruhen  die  Arme  in  der  Lage  der  letzten,  schützenden, 
tastenden,  nach  Weitem,  nach  Stützpunkten  strebenden  Bewegung. 

Drei  Exemplare  kommen  für  uns  zur  Vergleichung  in  Betracht,  zwei 
sicher,  eines  wahrscheinlich  aus  Rom  stammend.  Das  Florentiner,  zu- 
gleich mit  der  Hauptzahl  der  Florentiner  Gruppen  gefunden,  ein  zweites  in 


1)  Beschr.  Roms  II.  2.  S.  74.  n.  509. 

2)  beschr.  Roms  II.  2.  S.  111.  n.  772. 

3)  £.  Gerhard  Verz.  d.  Bildhauerw.  Aufl.  35.  1S5S.  n.  139.  S.  52.  Grösse  1  F.  4  Zoll. 
Nach  meiner  Erinnerung  der  des  in  das  eine  Knie  gesunkenen  Sohnes  s.  oben  B.  b, 

4)  Gesammelte  Schriften.  VI.  S.  11.  12. 

5)  Marmor.  Oxon.  t.  55. 


262  Zweites  Kapitel. 

Dresden,  aus  der  Sammlung  Albani  stammend,  ein  drittes,  das  vorzüg- 
lichste von  allen  in  der  Münchner  Sammlung  aus  dem  Hause  Bevilacqua 
in  Verona  erworben. 

Abbildungen:  das  Florentiner  Exemplar  Ca.  1. 15;  Kraus  t.  5 ;  Fabroni  fig.  3. 
Zannoni  Ser.  IV.  t.  1.  pl.  2;  Clarac  pl.  580.  n.  1269;  MW.  t.  XXXIV.  n.  142  B.g\ 
AVelcker  n.  16 ;  Overbeck  Fig.  69.  n ;  unsere  Tafel  XIII.  2.  Die  Münchner  Statue  ist 
allein  gezeichnet  bei  Clarac  pl.  587.  n.  1279.  Die  Dresdener  bei  Leplat  pl.  217;  Au- 
gusteum  Taf.  32;  Clarac  pl.  5S7.  n.  116S. 

G  r  ö  8  s  e :  die  Florentiner  Statue  lang  1 ,587  Meter ;  die  Münchner  5  F.  6  Zoll ;  die 
Dresdener  6  F.  6  Z. 

Ergänzungen:  an  der  Florentiner  neu  rechter  Arm  bis  zur  Schulter,  rechter  Fuss 
bis  über  das  Gelenk,  vier  Zehen  am  linken  Fuss,  die  Geschlechtstheile,  Haupttheil  der 
Basis  mit  Gewand.  An  der  Münchner  neu  die  rechte  Hand,  der  rechte  Fuss  von  der 
Wade  an,  der  linke  Vorderfuss,  der  vordere  Theil  der  Basis  sammt  dem  ihn  bedecken- 
den Gewand.  An  der  Dresdener  der  linke  Oberarm  alt,  von  dem  rechten  Oberarm 
nur  der  Ansatz ;  das  linke  Bein  unter  dem  Knie  neu,  am  rechten  Bein  schon  Theil  des 
Oberschenkels  neu  (nach  eigener  Untersuchung).  * 

Marmor:  nur  der  des  Münchner  Exemplars  ist  entschieden  griechisch.  Die  A  r- 
b  eit  an  dem  Florentiner  zeigt  Härte,  Frostiges,  Steifes,  die  des  Münchners  ist  vor- 
trefflich ;  die  Haare  des  zurückliegenden  Kopfes  sind  aber  nur  angelegt  und  hängen 
noch  roh  mit  dem  übrigen  Block  zusammen ;  an  der  Dresdener  ist  die  Arbeit  in  der 
Gewandung  und  auf  der  ganzen  rechten  Seite  auffallend  stumpf,  überhaupt  die  Statue 
nur  von  der  linken  Seite  zu  sehen,  von  der  rechten  erscheint  der  vordere  Theil,  wie  das 
Gesicht  geradezu  carrikaturartig. 

Wir  haben  uns  zunächst  darüber  klar  zu  werden,  für  welchen  Stand- 
punkt des  Beschauers  ist  dieser  liegende  Niobide  gearbeitet?  An  dem  Dres- 
dener Exemplar  zeigt  die  Arbeit,  dass  dasselbe  nur  von  Einer  Seite  betrachtet 
werden  konnte  und  zwar  von  der  linken,  dass  die  andere  also  ganz  unzu- 
gänglich sein  musste.  Uebrigens  ist  die  Leiche  ganz  auf  den  Rücken  gelegt. 
Dies  ist  bei  dem  Münchner,  dem  bestgearbeiteten  Exemplar  nicht  der  Fall, 
im  Gegentheil  haben  wir  hier  allerdings  eine  etwas  schräge  Lage  nach  der 
einen  Seite  zu  constatiren,  so  dass  nach  dieser  eine  reichere  Entfaltung  der 
Körperformen  eintritt,  wenn  auch  die  andere  wohl  ausgearbeitet  ist.  Es  er- 
giebt  sich  daraus,  dass  wir  nicht  uns  diesen  Niobiden  für  die  Mitte  eines 
Raumes,  oder  auch  nur  für  einen  von  allen  Seiten  gleich  zugänglichen  Platz 
bestimmt  denken  können,  sondern  auch  hier  die  Breitenausdehnung  und  ein 
architektonischer  Hintergrund  für  den  Künstler  bestimmend  war.  Weiter 
ist  aber  nach  der  Höhe  oder  Tiefe  des  Standpunktes  des  Beschauers  zu  fra- 
gen :  hier  ist  nun  eben  so  sehr  ein  ganz  niedriger  wie  ein  hoher  abzuweisen. 
Man  versuche  es  nur  unmittelbar  vor  den  Originalen  in  Dresden,  München, 
Florenz  möglichst  tief  unmittelbar  von  'der  Erde  aus  dieselben  zu  beschauen : 
gerade  die  entwickeltsten,  schönsten  Theile  des  Körpers  verschwinden  gänz- 
lich, nur  die  Unterhöhlungen  treten  hervor,  die  den  Körper  vom  Gewand 
loslösenden  Linien,  endlich  in  höchst  greller  Weise  das  leere  Dreieck,  wel- 
ches die  in  scharfem  Winkel  angezogenen  Beine  bilden.    In  viel  höherem 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  263 

Maass  ist  dies  noch  der  Fall,  wenn  wir  diese  Statue  hoch  oben,  also  etwa 
in  ein  Giebelfeld  uns  gestellt  denken.  Ebensowenig  aber  ist  eine  Beschauung 
entschieden  von  oben  herab  auf  ein  vor  und  unter  unseren  Augen  liegendes 
Objekt  die  richtige.  Abgesehen  von  der  Frage  nach  einem  durchgehenden  den 
Beschauer  etwas  überragenden  Aufstellungsorte  für  alle  Glieder  der  Gruppe, 
ist  auch  speciell  zu  sagen,  dass  der  liegende  Niobide  auch  nicht  einen  tiefen 
Einschnitt  in  die  ganze  Liniencntwickelung  gebildet  haben  kann,  sondern  der 
Höhe  der  anderen,  zunächst  der  zusammensinkenden  näher  gebracht  war.  Dies 
aber  geschah  wohl  einfach  durch  die  Felsunterlage,  deren  oberste  Platte  uns 
ja  noch  zum  Theil  erhalten  ist.  Wir  besitzen  in  dem  Relief  Campana  aber 
ein  zweifaches  interessantes  Beispiel,  wie  ein  Künstler  trefflich  die  felsige 
Unterlage  zur  Hebung  niedergestreckter  Gestalten  und  darin  zur  Herstel- 
lung einer  ästhetisch  sehr  wirksamen  Linienführung  benutzen  konnte. 

Treten  wir  nun  an  die  Gestalt  selbst  näher  heran.  Der  Mittelkörper 
ruht  auf  der  Höhe  des  Felsenlagers,  das  Haupt  ist  zurück  und  etwas  nach 
rechts  gesenkt,  an  dem  Haare  dadurch  auch  ein  Zurückfallen  bewirkt,  eben 
so  ruhen  die  Füsse  auf  einem  tieferen  Stützpunkt.  Der  rechte  Arm  ist  zu- 
rück über  den  Kopf  gedreht,  wie  tastend  und  schützend  über  sich  ausgrei- 
fend, während  der  linke  eng  an  den  Körper  sich  anschliesst,  die  Todeswunde 
deckend,  die  linke  Hand  auf  der  Mitte  derselben,  auf  der  Zwerchfellgegend 
ruht.  Das  rechte  Unterbein  ist  über  das  linke  geschlagen  und  wird  so  von 
demselben  Stützpunkt  gehalten.  In  dieser  Motivirung  der  Arme  und  Beine 
ist  wieder  ein  feiner  Chiasmus  durchgeführt  und  doch  zugleich  die  lang- 
streckende Todesmacht  ausgeprägt.  Der  Körper  tritt  in  völliger  Nacktheit 
auf  der  Gewandunterlage  hervor,  der  einzige  unter  allen  Statuen  der  Gruppe. 
Gerade  hierin  macht  sich  eine  treffliche  Stufenreihe  der  Motive  geltend ;  bis- 
her waren  immer  noch  einzelne  Theile  vom  Gewand  umschlungen,  hier  der 
Todte  ist  jeder  Umhüllung  baar,  aber  er  ruht  doch  noch  auf  dem  Gewände 
als  weicher  Unterlage;  es  ist  als  ob  die  ganze  Schönheit  der  Niobekinder 
nun  gerade  an  dem  bereits  dem  Tode  Verfallenen  mit  aller  Macht  zu  Tage 
treten  sollte.  In  der  That  ist  der  Münchner  Niobide  von  herrlich  zarter  und 
lebendiger  Ausführung  des  in  schönen  Verhältnissen  gebildeten  Körpers;  er 
zeigt  auch  nicht  die  Todeswunde  selbst,  welche  an  dem  Florentiner  Exemplar 
auf  der  Brust  sehr  bestimmt  angegeben  ist.  Der  Kopf  ist  an  ihm  mit  beson- 
derer Vollendung  gearbeitet,  der  Ausdruck  des  Gesichtes  ist  ein  vortrefflicher. 
„In  dem  krampfhaft  lächelnden  Munde,  in  den  gebrochenen  Augen  ist  der 
Schmerz  des  Sterbenden  ausgedrückt,  jedoch  ohne  die  mindeste  Verzerrung" 
(Schorn).  So  sehen  wir  in  diesem  edeln  Todten  noch  nicht  das  blosse  Objekt  für 
anderer  Trauer  oder  Verteidigung ,  sondern  noch  durchzucken  die  letzten 
Regungen  des  tragischen  Confliktes  den  soeben  ersterbenden  Sohn  derNiobe. 


264  Zweites  Kapitel. 

F.    Zwei    fliehende   Töchter,    in    ihrer  Zugehörigkeit 

unbestritten. 

Abbildungen:  Ca.  t.  IS.  19;  J.  J.  Bubeis  t.  65;  Perrier  t.  59.  60;  Bischop 
sign.  vet.  ic.  t.  33;  Ulr.  Kraus  t.  14;  F.  fig.  12.  13;  Z.  10.  13;  M.  Abbild,  z.  Kunstg. 
Taf.22.  B.  C;    MW.  t.Ä;    Cl.  pl.  5S2.  n.  1257.  125S;    W.  6.  7;    unsere  Taf.  XV.  7.  8. 

Ergänzungen:  an  Figur  7  modern  der  rechte  Arm  bis  auf  einen  kleinen,  die 
Richtung  bestimmenden  Theil  an  der  Schulter;  wie  viel  von  dem  gehaltenen  Gewand- 
zipfel auf  dem  Kücken,  ist  mir  unbekannt ;  neu  ferner  linke  Hand  und  Theil  des  Un- 
terarms mit  dem  darüber  hängenden  Gewandtheil ;  der  linke  Fuss  von  oberhalb  des 
Knöchels  an,  am  rechten  Fuss  die  Zehen,  unteres  Ende  des  Unterkleides  beschädigt, 
ebenso  das  Profil,  in  dem  Nase  und  Oberlippe  neu  sind. 

An  Figur  S  neu  der  rechte  Arm  vom  unteren  Ende  des  Deltamuskels  an  mit 
dem  von  der  rechten  Hand  gefassten  Stück  Gewand,  der  linke  Arm  von  oberhalb  des 
Ellenbogens  beim  Aufhören  des  Gewandes  mit  Stück  des  gehaltenen  Gewandzipfels, 
Theil  des  Halses  und  des  Busens,  die  entblösstenTheilederFüsse.  Kopf  wohl  erhalten. 

Grösse:  von  Figur  7  mit  Basis  J ,722  Meter,  ohne  Basis  1,585  M.;  von  Figur  8 
mit  Basis  1,7SS  M.,  ohne  Basis  1,613  M. 

Zwei  jungfräuliche  Gestalten  treten  uns  hier  entgegen,  beide  in  gleicher 
Richtung  nach  ihrer  linken  Seite  hin  bewegt,  beide  ausschreitend,  die  Arme 
einer  jeden  verschieden,  bei  beiden  in  schräg  correspondirender  Weise  moti- 
virt,  beide  im  langen,  der  Bewegung  folgenden  Chiton  und  geschwungenen 
Himation,  beide  in  ähnlich  geistiger  Erregung  und  doch  wieder  so  verschie- 
den. Die  etwas  grössere  und  reifere  unter  ihnen  (Fig.  8)  ist  im  Moment 
schmerzvollen  Erlahmens  in  der  Flucht  aufgefasst.  Schon  in  den  unteren 
Extremitäten  ist  eine  die  vorwärtsgehende  Bewegung  hemmende,  die  Kraft 
des  Ausschreitens  in  den  Knieen  gleichsam  lösende  Macht  ausgeprägt,  wäh- 
rend der  Mittelkörper  mehr  mechanisch  dem  Schwünge  nach  vornhin  folgt ; 
in  dem  zurücksinkenden  und  dabei  mehr  noch  en  face  sich  drehenden  Kopfe 
mit  schmerzvollem  Ausdrucke,  in  dem  tief  herabsinkenden  rechten  Arme,  dem 
in  schärfster  Wendung  nach  dem  Nacken  zurückfahrenden ,  den  Gewand- 
zipfel haltenden,  frei  hebenden  linken  Arm  ist  endlich  die  volle  Ausprägung 
des  körperlichen  und  geistigen  Vorganges  gegeben. 

Eine  Verwundung  zum  Tode  im  Nacken  hemmt  die  fliehende  Gestalt. 
Der  Kopf,  wohlerhalten,  ist  von  ergreifendem  Ausdrucke  des  Schmerzes  in 
der  scharf  gezogenen  Stirnlinie ,  den  zusammengezogenen  Hauttheilen  auf 
derselben,  den  tiefeingesenkten  Augen,  dem  geöffneten  Mund,  den  hinauf- 
gezogenen Lippen  und  doch  noch  von  jungfräulicher  Reinheit  und  Schönheit, 
besonders  in  der  feinen  Stirnbegränzung  mit  dem  gewellten,  hinten  in  ein 
umschliessendes  Tuch  (xexQvcpaXog,  odxxog)  eingesteckten  Haar,  so  wie  in 
den  Flächen  der  Wangen  und  Bildung  des  Kinnes.  Der  Schmerz  ist  noch 
schärfer  ausgeprägt,  als  in  der  Mutter,  aber  ein  Schmerz  um  die  eigene  Exi- 
stenz, zugleich  mehr  Hingabe  an  denselben.  Um  so  mehr  Erbarmen  und 
Rührung  weckt  er  im  Beschauer,  weshalb  ja  dieser  Kopf  in  der  Schule  Guido 
Renis  besonders  studirt  ward.     Der  ärmellose  Chiton  ist  unter  der  Brust 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  265 

mit  einem  Band  zusammengehalten,  um  das  ausschreitende  linke  Bein  legt 
er  sich  fast  platt  an,  während  er  in  Falten  schräg  um  das  nachgesetzte,  sich 
hebende  rechte  Bein  vorwärts  zieht.  Die  Brust,  in  deren  Mitte  der  Chiton  sich 
senkt,  und  der  Leib  sind  trefflich  behandelt.  Das  Obergewand  fällt  mit  dem 
einen  faltig  umgeschlagenen  Ende  über  den  linken  Oberschenkel,  wird  von 
der  rechten  gesenkten  Hand  berührt,  zieht  sich  dann  auf  dem  Bücken  schräg 
empor,  um  von  der  linken  Hand  gehoben  mit  seinem  anderen  Endzipfel 
über  den  linken  Oberarm  zu  fallen.  Unverkennbar  ist  in  der  Gesammtmo- 
tivirung  der  Gestalt  viel  Aehnliches  mit  Niobe  selbst  und  doch  in  der  Wir- 
kung etwas  durchaus  Verschiedenes ,  gegenüber  dem  auf  einander  sich  auf- 
bauenden Reichthum  und  der  Grösse  der  Empfindungen  etwas  sehr  Einfaches 
und  Naives ;  wir  möchten  sagen,  es  tönt  unter  den  gewaltigen  Lauten,  die 
dort  zusammen  einen  herrlichen  Mollakkord  bilden,  nur  ein  einziger  hier 
laut  und  vernehmlich  fort,  aber  auf  einem  anderen,  feineren  Instrument. 

Gehen  wir  nun  zu  der  zweiten  fliehenden  Tochter  weiter,  die  wir 
von  vorn  herein  als  parallele  Erscheinung  unter  den  Florentiner  Statuen  hin- 
stellten. Wir  besitzen  von  ihr  durch  ein  günstiges  Geschick  noch  eine  Wie- 
derholung und  zwar  im  trefflichsten,  das  Florentiner  Exemplar  weit  überragen- 
den Stile  und  Materiale  entschieden  griechischen  Marmors,  wesentlich  glei- 
cher Grösse  (7  Palmen  6  Zoll  mit  Basis)  und  einzelnen  bemerkenswerthen 
Abweichungen.  Der  herrliche  Torso  befindet  sich  jetzt  in  der  langen  Galerie 
des  Museo  Chiaramonti  im  Vatikan  und  ward  aus  dem  päbstliehen  öarten 
des  Quirinal  dahin  versetzt ;  wir  gedachten  schon  früher  der  Bildung  der  dor- 
tigen Sammlung  durch  Cardinal  Ippolito  von  Este  im  sechszehnten  Jahrhun 
dert  und  der  Villa  Hadriana  als  einer  Hauptrundstätte  für  dieselbe ') .  Wag- 
ner2) und  Gerhard8)  machten  auf  sie  aufmerksam  und  fassten^sie  frühem 
Namen  als  Diana,  Ariadne  u.  dgl.  gegenüber  mit  Bestimmtheit  als  Niobiden, 
was  jedem,  der  die  florentiner  Statue  kennt  und  vergleicht,  gar  keinem  Zweifel 
unterliegt.  Als  Niobe,  nicht  als  Niobide  ist  sie  im  Museo  Chiaramonti4)  gut 
publicirt,  während  im  Musee  de  sculpture  von  Clarac  als  Diana  eine  leichte 
Skizze  zuerst  von  ihr  gegeben  ward5).  Wir  haben  auf  Taf.  XII  nach  einer 
guten  Photographie  vom  Original  eine  ausgeführte  Darstellung  gegeben,  da 
sie  wenn  irgend  eine  Niobidenstatue  von  der  schwungvollen ,  meisterhaften 
Darstellung  des  einstigen  Originals  eine  Anschauung  giebt.  Welcker9)  und 
Emil  Braun7)    haben  länger  bei  ihrer  Besprechung  verweilt;   der  letztere 


1)  S.  S.  223. 

2)  Kunstbl.  1830.  n.  52.  8.  207. 

3)  Beschreibung  Roms  I.  S.  288,  II.  2.  S.  50. 

4)  II.  37. 

5)  PI.  578.  n.  1245. 

6)  D.  A.  K.  S.  228 f.,  dann  noch  einmal  Rh.  Mus.  N.F.  IX.  S.  275. 

7)  Ruinen  und  Museen  Roms  8.  266  f. 


266  Zweites  Kapitel. 

macht  hier  vor  allen  darauf  aufmerksam,  wie  das  Werk  so  nur  in  Marmor 
gedacht  und  ausgeführt  sein  könne ;  das  Durchleuchten  des  Marmors  an  den 
fast  freischwebenden  Theilen  des  Gewandes  sei  vom  Künstler  unmittelbar 
mit  gedacht  und  berechnet.  Wichtig  ist,  dass  die  Plinthe  uns  grossentheüs 
erhalten  ist  und  sie  durchaus  auf  eine  Längenausdehnung  berechnet  ist,  die 
Vorderseite  ist  mit  feinem  Rundstab,  Hohlkehle,  Abakus  gegliedert;  die 
schmalen  Seiten  sind  abgebrochen  und  dann  abgerundet.  Auch  die  Rück- 
seite der  Statue  mit  dem  segeiförmig  gewölbten  Gewand  weist  auf  eine  Auf* 
Stellung  an  einer  Fläche  oder  in  einer  Nische  hin.  Ganz  dieselbe  Erschei- 
nung, die  wir  bei  Niobe,  beim  Pädagogen  von  Soissons  fanden. 

Eile,  Flucht  aus  der  Todesgefahr  zu  einem  Rettungshafen,  betäubtes  Vor- 
wärtsstreben mitten  im  sausenden  Sturm,  das  ist  in  dieser  Gestalt  ausgeprägt. 
Wie  fest  und  glatt  setzt  sich  der  mit  starken  Sandalen  ausgerüstete  Fuss  des 
linken  vorwärtsstrebenden  Beines  ausschreitend  auf  den  Boden,  wie  kräftig 
erhebt  sich  der  rechte  zurückgebliebene  Fuss  vom  Boden !  Wie  wühlt  sich 
der  Wind  in  das  weite,  zu  den  Füssen  herabreichende  Untergewand,  dessen 
Falten  die  Gesammtbewegung  vervielfältigt  wiederspiegeln !  In  diesen  kön- 
nen wir  so  recht  die  Vorzüglichkeit  der  vatikanischen  Statue  vergleichend 
erkennen.  Während  der  Verfertiger  der  florentiner  Statue  darnach  strebte, 
einen  dünneren  und  zugleich  steiferen  Stoff  in  einer  Fülle  scharfer,  feiner, 
paralleler  Brüche  darzustellen  und  dadurch  entschieden  den  Gesammtein- 
druck  der  Bewegung  beeinträchtigt,  ihn  zu  sehr  zerspaltet,  hat  der  Meister 
des  vatikanischen  Torso  dem  Stoffe  den  Charakter  der  Stärke  und  der  Ela- 
sticität  gegeben  und  wirkt  durch  grosse  Massen  und  durch  eine  freie  und 
kühne  Behandlung  der  aus  der  Tiefe  herausquellenden  Falten.  Damit  stimmt 
es  nun  auch,  wenn  über  den  Füssen  sich  dort  das  Gewand  in  berechnet  zier- 
licher Weise  scharf  bauschig  in  die  Höhe  geschoben  hat  und  dadurch  die- 
selben aus  der  ganzen  unteren  Masse  übermässig  heraustreten  lässt,  während 
hier  dagegen  auch  dieser  Theil  nur  im  Zusammenhange  des  ganzen  Falten- 
wurfs behandelt  ist. 

Die  Mitte  des  Körpers  wird  in  beiden  Statuen  durch  den  breit  horizontal 
wogenartig  flatternden  Peplos  markirt.  Auf  dem  gesenkten  und  zugleich  der 
Gesammtbewegung  gemäss  vorwärts  gestreckten  linken  Arm  ruht  Anfang 
und  Ende  des  um  den  Oberkörper  geschwungenen  Obergewandes.  In  ge- 
schwungenen Massen  folgt  der  Anfang  desselben  dem  Körper  und  das  Ende 
ist  zuletzt  eng  um  den  Körper  gezogen  und  fällt  als  schwerer  von  Luft  erfüllter 
Zipfel  senkrecht  über  der  Handwurzel  herab.  Verschieden  ist  der  um  den 
Rücken  gezogene  Theil  des  Gewandes  in  beiden  Statuen  aufgefasst:  in  der 
vatikanischen  flattert  dasselbe  über  der  rechten  Schulter  in  weiten  Aushöh- 
lungen rückwärts  und  der  rechte  Arm,  von  dem  der  Anfang  uns  erhalten  ist, 
wesentlich  wagrecht  und  etwas  nach  vorn  gestreckt,  hielt  segelartig  die  äus- 
serte Spitze.    Der  allerdings  ganz  ergänzte  Arm  der  Florentiner  Statue  fahrt 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  267 

dagegen  zurück  über  die  Schulter  und  fasst  hier  nur  einen  Gewandzipfel, 
ähnlich  wie  Artemis  in  berühmten  Statuen  nach  dem  Pfeil  greift.  Ob  hier 
die  antiken  Theile  des  Gewandes  nicht  auch,  wenn  gleich  in  viel  beschränk* 
terem  Maasse  auf  ein  Wehen  des  Gewandes  schliessen  lassen,  wäre  näher  zu 
untersuchen. 

Diese  Verschiedenheit  der  Motivirung  des  Peplos  hängt  aber  weiter  mit 
einer  durchgreifenden  Verschiedenheit  des  Oberkörpers  zusammen.  In  der 
Florentiner  Statue  folgt  derselbe  durchaus  der  Bewegung  nach  links  und  so 
ist  der  Kopf  für  den  Beschauer  von  vorn  ganz  in  Profil  gestellt,  dagegen  in 
der  vatikanischen  ist  eine  entschiedene  Drehung  nach  vorn  erfolgt :  es  zeigt 
sich  das  in  der  Hebung  der  linken  Schulter  gegenüber  der  Senkung  dort,  in 
der  Sichtung  des  linken  Armes  nach  vorn,  in  der  weiten  horizontalen  Aus* 
Spannung  des  rechten  Armes,  in  den  Ansätzen  zum  Hals,  die  Nibby  unrich- 
tig auf  ein  Rückwärtswenden  des  Kopfes  bezogen  hat,  die  der  Wendung  en 
face  zukommen.  Es  lässt  sich  nicht  verkennen,  dass  dadurch  die  ganze  Ge- 
stalt breiter,  für  sich  selbständiger  wird  und  mehr  auf  sich  eine  verweilende 
Betrachtung  concentrirt.  Damit  stimmt  es,  dass  der  ganze  Körperbau,  be- 
sonders auch  die  Brustbildung  ein  vollerer,  reiferer  ist.  Und  es  wird  dem 
Beschauer  nicht  allein  das  Bild  eiliger  Flucht,  sondern  eines  Momentes  be- 
trübten Innehaltens  im  Kampfe  zugleich  mit  dem  Sturme  gegeben.  \Vir 
werden  dabei  an  einzelne  Niobiden  auf  den  Reliefs  und  besonders  an  jenen 
schönen  Wiener  Cameo  oder  vielmehr  Gefässbruchstück  erinnert. 

Ich  mache  noch  auf  die  Detailverschiedenheit  in  der  Behandlung  des 
Chiton  am  Oberkörper  aufmerksam.  Hier  wie  dort  ist  derselbe  unmittelbar 
unter  der  Brust  durch  ein  Band  gegürtet.  Dazu  kommen  aber  noch  bei  dem 
Florentiner  Exemplar  zwei  Schulterbänder,  die  scharf  unter  der  Schulter  ein- 
schneiden und  das  eine  über  dem  nackten  Nacken  sich  spannt,  indem  von  der 
linken  Schulter  das  Gewand  sich  etwas  gesenkt  hat.  Ob  diese  Bänder,  die 
wir  ja  bei  Niken  und  bei  Iris  besonders  häufig  finden ,  dazu  dienen,  zugleich 
die  Aermel  festzuhalten,  welche  hier  vom  Chiton  getrennt  gebildet  sind  und 
eng  anliegend  —  so  zeigt  es  doch  der  antike  Theil  des  linken  Unterarmes  — 
die  Arme  bedeckten,  ist  eine  weitere  Frage.  Die  vatikanische  Statue  hat 
auch  Aermel,  aber  durchaus  im  Zusammenhang  mit  dem  Chiton  und  nur  für 
die  Oberarme ;  in  trefflichen  Falten  hängt  der  eine  derselben  weit  vom  linken 
Oberarm  herab. 

Die  Bewegung  der  Hände  ist  uns  bei  beiden  Statuen  nicht  mehr  erhal- 
ten. Dass  die  linke  Hand  gehoben  war,  geht  mit  Sicherheit  aus  den  antiken 
Armtheilen  hervor,  dass  sie  geöffnet  war  mit  ihrer  innern  Seite,  entspricht 
dem  Motive  des  Schreckens  und  der  Eile.  Die  Niobidenreliefs,  jener  Wiener 
Cameo,  die  Darstellungen  flüchtender  Nymphen,  z.  B.  beim  Raube  der  Orei- 
thyia  geben  dafür  Belege.  Ueber  die  rechte  Hand  sprachen  wir  bereits,  sie 
hat  auch  in  der  vatikanischen  Statue  das  Gewand,  nur  weiter  hinaus  gehalten. 


268  Zweites  Kapitel. 

Der  Kopf  ist  uns  nur  von  der  Florentiner  Statue  erhalten ;  wie  sehr  er 
gelitten  hat,  haben  wir  schon  erwähnt,  überhaupt  hat  er  die  feine  Individuali- 
sirung  dabei  verloren.  Zur  Seite  und  etwas  aufwärts  gestellt,  mit  feinem  ge- 
welltem, von  einem  Band  durchzogenem,  hinten  wohl  aufgebundenem  Haar, 
spricht  er  die  Familienähnlichkeit  mit  der  Mutter,  mit  den  Brüdern  einfach 
und  bestimmt  aus ;  er  nähert  sich  am  meisten  dem  Venusideal  und  giebt  uns 
ein  edeles  Durchschnittsbild  der  Niobe  und  Niobidenköpfe.  Von  der  Seelen- 
grosse  der  Mutter  im  geistigen  Kampf,  von  der  Ausprägung  des  vollen,  be- 
sonders leiblichen  Schmerzes  in  der  Schwester  unterscheidet  sich  dieses  fra- 
gende Zagen,  dieser  Hinblick  auf  einen  rettenden  Mittelpunkt  sehr  bestimmt. 
Dass  der  Kopf  der  vatikanischen  Statue  bedeutender,  geisterfullter,  indivi- 
dueller gewesen  sein  wird,  ist  aus  dem  Stile  des  Erhaltenen  gewiss  zu  folgern. 

Von  diesen  zwei  Florentiner  Niobidenköpfen  und  dem  der  Mutter  aus 
müssen  wir  das  Kriterium  für  die  zahlreich  sich  findenden  einzelnen  weiblichen 
Niobidenköpfe  entnehmen,  welche  in  den  Samminngen  zerstreut  sind  und 
wahrscheinlich  nicht  unbedeutend  zu  vermehren  wären,  aber  vor  allem  jeder 
einzeln  einer  Prüfung  unterworfen  werden  müssten.  Bei  der  Uebersicht  über 
die  Niobeköpfe  haben  wir  bereits  oben  zwei  des  Louvre  als  Niobiden  zu- 
gehörig erkannt.  In  Rom  hat  der  Va(ikan  und  zwar  das  Museo  Chiara- 
monti  zwei  solche  aufzuweisen,  über  die  mir  aber  einfe  nähere  Charakteristik 
fehlt*}  :  vielleicht  kommen  zwei  andere  noch  hinzu,  ein  weiblicher  Kopf 
„dessen  Ausdruck  an  eine  Niobide  erinnert"1),  ein  anderer  in  einem  Zimmer 
der  Tor  de'  Venti,  „vielleicht  eine  Niobide"*;.  In  der  älteren  nach  Paris 
gewanderten  Sammlung  der  Villa  Borghese  rühmt  Meyer  zwei  schöne 
Köpfe,  davon  einer  einem  Torso  einer  Hekate  oder  Diana  aufgesetzt  war,  der 
andere  einer  Büste  mit  vielen  gekräuselten  Falten ;  er  sah  in  ihr  Copien  spe- 
ciell  seiner  zweiten  Tochter,  die  wir  noch  nicht  betrachtet  haben,  da  sie  nicht 
ohne  Weiteres  als  solche  anzuerkennen  ist.  Die  eine  ist  wohl  der  in  den  Soul- 
ture  del  palazzo  della  Villa  Pinciana4)  veröffentliche  Kopf,  und  beide  haben 
wir  im  Louvre  wieder  zu  suchen,  wo  wir  schon  auf  schöne  Köpfe  im  Niobi- 
dencharakter  aufmerksam  machten9)  und  einen  rsals  Nymphe  bezeichneten 
Kopf*)  antreffen,  der  in  derThat  mit  jenem  Niobidenkopf  zu  Florenz  die  ent- 
schiedenste Aehnlichkeit  hat.  Auch  einen  weiblichen  Kopf  des  Museum 
Kircherianum7)  müssen  wir  hier  anfuhren,  der  als  Bacchantin  bezeichnet 


1)  Gerhard  in  Beschr.  Roms  II.  2.  8. 71.  n.  502 ;  8.  82.  n.  667. 

2)  Betchr.  Roms  II.  2.  S.  74.  n.  555. 

3)  A.  a.0.  S.  112.  n.  827. 

4)  Rom  1796.  St.  V.  t.  13.    Leider  ist  mir  dieses  Werk  nicht  iur  Uand  gewesen. 

5)  S.  oben  S.  233. 

6}  Clarac  pl.  1096.  n.  2693  B. 

7)  Mus.  Kirch  erian.  ed.  Phil.  Bonanni.  1709  Rom.  t.  XI.  n.  4. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  269 

wird,  aber  dem  Kopf  der  zweiten  fliehenden  Tochter  ganz  entspricht.  Erhalten 
ist  ausser  dem  Kopf  noch  Hals  und  ein  Stück  der  entblössten  linken  Schulter, 
was  also  auch  mit  der  Florentiner  Statue  stimmen  würde.  Der  Kopf  ist  etwas 
aufwärts  und  schräg  gewendet,  der  Mund  geöffnet,  die  Augen  nach  oben  ge- 
richtet; im  zurückgestrichenen  Haar  zieht  sich  eine  Binde,  die  Haarenden  flat- 
tern in  lebhafter  Bewegung  nach  hinten;  an  den  Ohren  sind  Ohrringe  er- 
halten. Der  Ausdruck  heftiger,  geistiger,  schmerzlicher  Bewegung,  körper- 
licher Eile  ist  in  dem  Gesicht  gegeben.  Zu  einer  Bacchantin  fehlt  sonst  jedes 
weitere  Kennzeichen,  wie  Auflösung  des  Haares,  wenn  auch  die  Stimmung  als 
eine  verwandte  zu  bezeichnen  ist. 

Ausserhalb  Rom  bietet  Berlin  zwei  sichere  und  theilweis  ausgezeichnete 
Köpfe  weiblicher  Niobiden  dar.  Einer  von  griechischem  Marmor1) ,  mit  Theil 
der  Büste,  als  Fragment  einer  Statue,  dadurch  sich  sicher  erweisend,  wie  dies 
bei  den  meisten  Köpfen  zu  vermuthen  ist,  früher  im  Schlosse  zu  Berlin,  jetzt 
im  Hauptsaal  der  Antiken  des  alten  Museums  ziemlich  versteckt  aufgestellt, 
leider  an  Nase ,  Mund  und  Kinn  verletzt  und  ergänzt ,  aber  sonst  vom  Zauber 
acht  griechischer  Schönheit  übergössen;  er  gehört  zu  einer  der  den  Kopf 
schmerzhaft  zurückbiegenden  Tochter  (unserer  N.  8  auf  Tafel  XV,  h  bei  Müller) 
entsprechenden  Statue;  er  übt  auf  den  aufmerksamen  Betrachter  einen  immer 
grössern  Zauber  aus  und  verdiente  eine  Publikation.  Der  zweite2)  Kopf,  eben- 
daselbst ,  aus  dem  Charlottenburger  Schloss  stammend ,  ist  bedeutend  grösser, 
auf  einer  modernen  Büste  aufgesetzt,  mit  einer  Biegung  nach  Hechts,  abge- 
stossener  Nase,  geöffnetem  Munde,  schmerzlichem  Ausdrucke  der  Augen,  die 
Haare  hinten  in  einen  Schopf  zusammengefasst ,  also  im  Wesentlichen  auch 
derselben  Figur  wie  der  erste  entsprechend,  aber  von  ungleich  geringerem 
Kunstwerth,  eine  römische  Arbeit.  In  Dresden  begegnet  uns  ein  in  seinem 
Material  sehr  auffälliger  weiblicher  Niobidenkopf,  er  ist  von  Bronze  und  auf 
ein  Bruststück  von  Kalksinter  gesetzt,  gehörte  also  zu  einer  Bronzestatue8).' 
Wir  lernten  schon  oben  eine  kleinere  Bronzenachbildung  des  Pädagogen  ken- 
nen, hier  aber  sehen  wir  eine  Reproduktion  einer  ursprünglich  in  Marmor  aus- 
geführten, für  den  Marmor  wenigstens  in  den  Hauptgestalten  ganz  berechneten 
Composition  in  dem  schärferen  und  sprödem  Material  in  Lebensgrösse.  Ich 
erinnere  an  die  Darstellung  der  Bronzegestalten  und  an  die  Dreifüsse  der  pom- 
pejanischen  Bilder.  Ein  rechter  Beweis ,  mit  welcher  Vorliebe  man  die  ein- 
zelnen Niobiden  für  die  verschiedensten  Lokalitäten  und  in  verschiedenem  Ma- 


il Berl.  Antik.  S.  135.  No.  405 ;  Gerhard  Verz.  der  Bildhauerw.  1858  S.  13.  II.  n.  38. 
Höhe  1'  1%".  Friederichs  (Praxiteles  und  die  Niobegruppe  S.  75)  hebt  ihn  schon  hervor. 

2)  Berl.  Antik.  S.  89.  N.  138;  E.  Gerhard  Verz.  der  Bildhauerw.  S.  63.  n.  237.  Höhe 
1'  5%". 

3)  Hase  Verzeichn.  d.  alten  u.  neuen  Bildw.  zu  Dresden.  1839.  S.  39.  n.  129;  Hettner 
Bildw.  d.  kön.  Antik ensamml.  1856.  S.  28.  n.  116;  im  Augusteum  Taf.  XXXI  abgebildet 
aber  mit  verkehrter  Wendung  des  Kopfes.  Höhe  1 1  Zoll. 


270  Zweites  Kapitel. 

terial  reproducirte.  Früher  befanden  sieb  in  der  Nähe  dieses  Kopfes  noch  zwei 
Niobidenköpfe,  die  aber  als  moderne  Copien  jetzt  entfernt  sind f) .  Der  Kopf 
stammt  auch  aus  Rom  und  ist  von  zierlicher,  doch  nicht  ausgezeichneter  Ar- 
beit, er  entspricht  ebenfalls  der  Niobide  n.  8  unserer  Tafel,  unterscheidet  sich 
aber  durch  noch  jüngere  Bildung,  durch  eine  aus  den  aufgebundenen  Haaren 
sich  ablösende,  herabfallende  Locke,  auch  sind  die  Augen  eigen thümlich  lang 
gezogen. 

Ueber  die  zwei  Köpfe  von  Töchtern,  die  sich  in  der  kaiserlichen  Samm- 
lung zu  Sarskoe-Selo  bei  Petersburg  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  mit 
dem  Kopf  der  Niobe  befanden ,  sind  wir  auch  ganz  nur  auf  die  fast  enthusia- 
stische ,  aber  uns  in  Hauptpunkten  im  Dunkeln  lassende  Beschreibung  Köh- 
lers angewiesen ,  dessen  Worte  wir  hier  folgen  lassen ,  da  auch  sie  nach  den 
neusten,  durch  die  Güte  L.  Stephanis  mir  gemachten  Mittheilungen ,  nicht  in 
der  kaiserlichen  Sammlung  der  Eremitage  sich  befinden.  Köhler  sagt2) :  »ein 
anderes  sehr  schönes  Werk  ist  der  Kopf  einer  Tochter  der  Niobe  und  zwar 
einer  der  schönsten  aus  ihrer  Familie.  Auch  dieser  Kopf  besitzt  unzweifelhafte 
Vorzüge  vor  demjenigen,  der  sich  auf  der  Florentiner  Bildsäule  dieser  Tochter 
(welcher?)  befindet,  welcher  sehr  beschädigt  und  an  dem  die  Nase  schlecht  er- 
gänzt ist.  Der  Kopf  des  hiesigen  Museums  ist  sehr  gut  erhalten ,  der  Marmor 
etwas  gelb  geworden  und  die  Oberfläche  vom  Verwittern  etwas  angegriffen, 
der  Marmor  ist  auf  allen  Seiten  gleich  und  nur  in  etwas  rauh  geworden ,  so 
hat  keine  Form  von  ihrer  Schönheit  verloren.  Zeichnung  und  Ausfuhrung  ist 
an  diesem  Kopfe  gleich  trefflich,  die  Umrisse  der  Backen  von  ausserordentlich 
reizenden  Linien  beschrieben.«  Von  dem  zweiten  Kopf  sagt  er:  »Kopf  einer 
andern  Tochter,  auch  sehr  schön ,  aber  dem  vorigen  nicht  gleich  zu  schätzen ; 
die  Haare  wie  an  dem  florentiner  Kopf  (welchem?)  gelegt,  nur  scheinen  sie 
etwas  bestimmter  ausgeführt.« 

Wir  stehen  nicht  an  einen  Marmorkopf  des  brittischen  Museums  in 
London,  welcher  aus  Rom  stammt  und  unter  dem  Namen  des  Apollo  Musagetes 
oder  einer  Muse  geht,  mit  Bestimmtheit  einer  Niobetochter  zuzuschreiben,  der 
Text  zu  ihrer  Abbildung  *)  kann  nicht  umhin  die  Aehnlichkeit  mit  dem  Nio- 
bidentypus  zu  erwähnen.  Es  ist  eine  Reproduction  der  zweiten  fliehenden 
Tochter  (No.  7  unserer  Tafel ,  i  bei  Müller)  in  einer  grossartigeren  Formbe- 
handlung und  trefflichstem  Stile.  Dafür  spricht,  abgesehen  von  den  Gesammt- 
umrissen,  die  etwas  links  und  aufwärts  gerichtete  Biegung  des  Kopfes,  der  ge- 
öffnete Mund,  die  wie  ernst  fragenden,  weit  geöffneten  Augen,  die  einfach  ge- 
rollten, von  den  Wangen  zurückgenommenen,  in  der  Mitte  gescheitelten,  hin- 
ten zierlich  aufgebundenen  Haare.    Im  schön  geformten  Kinn  ist  ein  leichtes 


1)  Hase  Verzeiohn.  N.  39.  t.  131.  132. 

2)  Gesammelte  Schrift.  VI.  S.  11.  12. 

3)  Descript  of  anc.  marbles  in  the  Brit.  Mus.  Vol.  X.  t.  13. 


Statistik. und  Einzclhetrachtung  der  statuarischen  Werke.  271 

Grübchen  sichtbar.  Der  Hai*  ist  von  besonderer  Zartheit  und  Jungfräulichkeit.  . 
Der  Erklärer  macht  darauf  aufmerksam ,  dass  die  Haare  hinten  durch  ein  me- 
tallenes Band  noch  gehalten  waren ,  dessen  Lager  erhalten  ist.  Derselbe  ver- 
gleicht damit  einen  Kopf  des  capitolini sehen  Museums1]  auf  einen  zum 
Apollo  Musagetes  ergänzten  Torso  gesetzt,  mit  dem  er  aber  nach  Untersuchung 
des  franzosischen  Zeichners  gar  nichts  zu  thun  hat  *] .  Wir  hätten  diesen  dann 
auch  für  uns  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Ueber  zwei  weibliche  Köpfe  im  königlichen  Sculpturenmuseum  zu  Ma- 
drid, die  Niobiden  zuzuschreiben  sind,  theile  ich  die  sehr  dankenswert  hen 
Notizen  mit,  die  ich  durch  Gerhards  Vermittlung  Herrn  Dr.  E.  Hübner  ver- 
danke. Sie  lauten  wie  folgt:  »Der  erste  (N.  1 1 6  meiner  Beschreibung ,  alte 
Nummer  des  Inventars  370,  hoch  0,84  M.)  8)  ist  auf  ein  Bruchstück  von  orien- 
talischem Alabaster  gesetzt  worden,  welches  zwar  antik  ist,  aber  gewiss  nicht 
ursprünglich  zu  dem  Kopf  gehört.  Das  Haar  ist  mit  einem  doppelten  Hand 
aufgebunden ,  neu  ist  nur  die  Nasenspitze.  Sonst  ist  alles  vorzüglich  erhalten 
und  von  schöner  Arbeit.  Ich  vermuthe,  dass  es  der  ähnlich  beschriebene  Kopf 
aus  des  spanischen  Gesandten  in  Born,  Don  Jose  Nicolas  de  Azara  Besitz  ist, 
den  Fea  zu  Winkelmann  (Werke  5,  408)  anführt:  man  hielt  ihn  danach  für 
ein  Kildniss  der  älteren  Antonia.  Mir  schien  er  unzweifelhaft  ideal  zu  sein. 

»Der  zweite  (N.  117  meiner  Beschreibung;  alte  Nummer  456,  hoch  0,64 
M.)  ist  auf  ein  modernes  Bruchstück  mit  Gewand  gesetzt.  Neu  ist  die  Nasen- 
spitze, die  Unterlippe  und  ein  Flecken  über  dem  linken  Auge.  Das  Haar  in 
zierlichen  Wellen  gescheitelt,  wird  von  einem  doppelten  Bande  gehalten.  Die 
Züge  erinnerten  mich  lebhaft  an  den  Typus  der  Niobiden.  Er  stammt  wahr- 
scheinlich aus  der  Sammlung  der  Königin  Christine  von  Schweden,  o 

Aus  der  Beschreibung  ist  nicht  zu  ersehen,  welchem  Kopfe  unter  den 
sichern  Niobidenköpfen  die  oben  beschriebenen  am  nächsten  stehen.  Zu  be- 
merken ist  bei  beiden  das  Aufbinden  mit  doppeltem  oder  zweimal  um  den 
Kopf  gelegten  Bande;  dies  haben  wir  bis  jetzt  noch  nicht  gefunden,  treffen  es 
dagegen  bei  einer  weiter  unten  zu  betrachtenden  hoch  interessanten  Niobiden- 
statue  an.    - 

Blicken  wir  auf  diese  ganze  Reihe  zurück,  so  müssen  wir  auch  hier,  wie 
bei  Niobe  die  Fülle  zum  Theil  hoch  ausgezeichneter  Wiederholungen  bewun- 
dern, welche  meist  nicht  allein  Köpfe,  nein,  wie  es  bei  den  meisten  aus  den 
erhaltenen  Theilen  erhellt,  Statuen  von  Niobetöchtern  vorführen  und  die  alle, 
so  weit  nachzukommen  ist,  auf  Born  und  Umgebung  als  Fundort  zurückweisen. 


1)  III.  t.  15. 

2)  Clarac  pl.  482.  n.  928  A,  Text  Hl.  p.  210. 

3)  Diese  bedeutende  Grösse  also  wohl  mit  Büste  ? 


272  Zweites  Kapitel. 

G.    Stehende   und   in   leichter  Bewegung  begriffene   weibliche 
Statuen,    als    Niobetöchter    bestritten    oder    erst    neuerdings 

herangezogen. 
Unsere  frühere  Untersuchung  hat  uns  den  ursprünglichen  Bestand  der 
zusammengefundenen  Florentiner  Statuen,  ihre  Erweiterung  und  Vermehrung 
kennen  gelehrt,  sowie  auf  die  Fälle  ihrer  Reproductionen  hingewiesen.  Be- 
sonders zahlreich  sind  die  weiblichen  Statuen ,  die  zur  Gruppe  hinzukommen 
oder  andererseits  ihr  dann  wieder  abgesprochen  wurden,  um  wieder  anderen 
Platz  zu  machen.  Die  Cockerellsche  und  dann  die  Welckersche  Aufstellung 
führt  uns  fast  vollständig  vor,  was  mehr  oder  weniger  bestimmt  dazu  gerechnet 
wurde.  Es  gilt  sie  von  Neuem  zu  durchmustern  und  vergleichend  zu  beurtheilen. 

a.  Stehende,  das  Gewand  hebende  Niobidentochter  oder  Trophos. 
Schon  an  Grösse  überragt  die  von  uns  eben  betrachteten  Gestalten  sowie 
den  Pädagogen  eine  weibliche  Statue1),  welche  als  der  florentiner  Gruppe 
von  Anfang  an  zugehörig  bisher  betrachtet  wurde.  Wir  fanden  sie  nich  t  unter 
den  ältesten  Abbildungen  von  Cavaleriis,  dagegen  erscheint  sie  bereits  bei  Per- 
rier  im  J.  1638  als  Niobide  abgebildet2) .  Sie  ist  gekennzeichnet  durch  den  sorg- 
lich vor  sich  gesenkten  Blick  und  das  mit  der  linken  Hand  gehobene  Gewand. 

Abbildungen:  nach  Perrier  F.  f.  5.;  Z.  3;  Cl.  pl.  583.84.  n.  1261;  MTV.  d. ; 
W.  1 1  ;  unsere  Tafel  XIII.  I . 

Material:  nach  dem  entschiedenen  Urtheil  des  H.  v.  d. Launitz  griech.  Marmor. 

Ergänzungen:  der  Kopf  von  trefflicher  Erhaltung  bis  auf  die  untere  Hälfte  der 
Nase  und  Unterlippe;  der  rechte  Arm  mit  Schulter  und  Stück  Brust  neu,  nach  Fabroni 
und  Clarac  ganz  neu,  doch  nach  Meyer  trefflich  gearbeitet ;  nach  Müller  dagegen  ist  der 
obere  Ansatz  des  Armes  mit  dem  grösseren  Theile  des  Deltoideus  antik ;  der  linke  Arm 
ist  nach  Fabroni  und  Clarac  bis  auf  kleinen  Ansatz  neu,  nach  Meyer  und  Müller  zum 
Theil  alt ,  mit  ihm  ein  Stück  Peplos  ergänzt.  Neu  grösster  Theil  des  rechten  Fusses 
und  ein  Stück  der  Falten  des  Chiton.  Eine  genaue  Untersuchung  des  Originals  mit  sei- 
nen Brüchen  und  Ergänzungen  ist  daher  dringendes  Bedürfhiss. 

Eine  reife  jungfräuliche  Gestalt  steht  vor  uns  in  einer  sehr  charakteristi- 
schen, vom  lebendigsten  Antheil  des  Gemüthes  zeugenden  Situation.  Den  lin- 
ken Fuss  fest  aufsetzend,  den  rechten  auf  die  vorderen  Hallen  hebend,  das 
Knie  leicht  biegend,  ruht  sie  in  ihrem  unteren  Theil  des  Körpers  ganz  auf  der 
linken  Seite.  In  den  Oberkörper  tritt  aber  eine  aus  doppelter  Motivirung  ent-  ' 
springende  Wendung  ein,  theils  eine  Senkung  nach  der  rechten  Seite  und 
Liebung  der  linken  Schulter  und  des  linken  Armes ,  theils  eine  leise  Senkung 
vorn  über,  die  sich  noch  bestimmter  in  dem  ebenfalls  etwas  links  gedrehten 
Kopf  ausspricht.  Ein  zu  dem  Boden  in  ruhigen,  senkrechten  Falten  herabfallen- 
der, aber  doch  der  Vorderspitze  des  linken,  dem  grösseren  Theile  des  rechten  mit 
Sandalen  versehenen  Fusses  freien  Baum  lassender  Chiton  wird  von  einem 


1)  Höhe  1,925  M.  mit  Basis;  1,808  M.  ohne  Basis. 

2)  Segmenta  nobil.  »tat.  t.  59. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  273 

Diploidiou  am  Oberkörper  aberdeckt  oder  hat  von  den  Schultern ,  auf  denen 
er  mit  einem  starken  Saumstück  zusammengehalten  wird ,  noch  einmal  sich 
als  Diploidion  herabgesenkt.  Ein  einfaches  Band  mit  herabhängender  Schleife 
fasst  das  also  verdoppelte  Gewand  unter  der  Brust  zusammen.  Auf  Busen  und 
in  den  Nacken  senkt  sich  das  Gewand  tiefer  hinab  und  bildet  so  einen  Aus- 
schnitt. Um  das  rechte  Bein  geschlagen  und  zwar  mit  der  Hauptmasse  über  dem 
oberen  Theile  des  Oberschenkels  ruhend  zeigt  sich  das  Obergewand,  welches 
dann  hinten  herum  und  in  einer  schlanken  Masse  durch  den  gehobenen  linken 
Arm  in  die  Höhe  gezogen  ist.  Bauschig  fällt  der  eine  Zipfel  zwischen  den 
Füssen  zur  Erde  nieder.  Während  das  rechte  Bein  durch  die  schräg  gezogenen 
flachen  Falten  in  seinen  Formen  sich  ausprägt ,  entwickelt  das  Gewand  an  der 
Begränzung  derselben  sehr  selbständige  Massen.  Es  ist  im  obern  Theile  um- 
geschlagen und  stark  in  einen  dichten  Wulst  gewunden,  in  einer  scharfen  Ecke, 
welche  ohne  eine  bestimmte  Einwirkung  eines  fassenden  eigenen  oder  fremden 
Körpertheiles  ganz  unverständlich  ist ,  entladet  es  sich  dann  im  senkrechten 
Herabfallen  zu  spiralartig  sich  entwickelnden  tiefen  Falten.  Friederichs,  wel- 
cher mit  Recht  auf  diesen  Knick,  diese  scharfe  Wendung  aufmerksam  gemacht 
hat *)  und  welcher  auch  Fingereindrücke  im  Scheitelpunkte  jenes  Winkels  am 
Gypsabguss  bemerkt  hat,  will  doch  die  jetzige  Ergänzung  der  Armlage  richtig 
finden  und  glaubt  jene  Thatsache  durch  eine  berechnete  künstlerische  Absicht 
zu  erklären ,  es  solle  der  Eindruck  erregt  werden ,  als  ob  die  Hand ,  welche  so 
eben  noch  das  Gewand  haltend,  tiefer  gelegen  habe,  durch  ein  Ereigniss  plötz- 
lich im  Ausdruck  des  Staunens  gehoben  sei  und  das  Gewand  daher  momentan 
die  bisher  wohlbegründete  Lage  behalten  habe.  Er  beruft  sich  dabei  auf  eine 
Bemerkung  von  Mengs  über  Rafael  und  auf  die  Gewandung  auf  der  Brust  der 
liegenden  weiblichen  Statue  vom  Parthenon.  Er  behauptet  zugleich,  nach  dem 
erhobenen  Rumpf  des  Armes ,  den  man  sich  dann  gerade  verlängert  denken 
müsste,  käme  die  Hand  viel  weiter  nach  unten  zu  liegen. 

Ich  halte  dies  durchaus  für  unrichtig.  Erstens  ist ,  wie  wir  oben  zusam- 
mengestellt, eine  grosse  Differenz  in  den  Angaben  der  antiken  Theile,  gute 
Autoritäten  lassen  ja  die  ganze  Schulter  und  Stücke  der  Brust  auch  ergänzt 
sein ;  jedenfalls  sind  diese  Theile  abgebrochen  gewesen  und  es  steht  noch  dahin, 
welche  feine  Lagen  Veränderung  bei  der  Ergänzung  eingetreten  ist.  Aber  auch 
diese  Lage  des  obersten  Theiles  des  Oberarms  mit  einem  Theil  des  Deltoideus  zu- 
gegeben, so  ist  damit  noch  gar  nicht  die  Biegung  des  Ellenbogengelenkes,  die  in 
der  Anspannung  oder  Erschlaffung  des  Biceps  brachii,  des  Triceps  und  des  innern 
Armmuskels  sich  kundgiebt,  bestimmt,  noch  viel  weniger  die  Biegung  des  Hand- 
gelenkes und  endlich  wäre  bei  jenen  Spuren  am  Gewand  erst  nachzuweisen,  wel- 
che Theile  der  Hand  die  Stelle  berührt  haben.  Weiter  aber  halte  ich  die  voraus-, 
gesetzte  Motivirung  für  durchaus  unbegründet  in  der  Gesamniterscheinung  det 


1)  Praxiteles  etc.  S.  79.  Anm.  13. 

Stark,  Niotw.  18 


274  Zweites  Kapitel. 

Gestalt:  es  ist  kein  plötzliches  Zusammenfahren  weder  in  der  Stellung  noch 
im  Gesicht,  noch  vor  allem  in  dem  linken  Arm  mit  gehobenem  Gewand  sichtbar, 
im  Gegent  heil  ein  theilna  hm  volles  Auffassen  und  schützend  Umfassen  eines 
geliebten,  dem  Untergänge  anheimfallenden  Gegenstandes.  Und  endlich  auch 
die  Plötzlichkeit  eines  eintretenden  Ereignisses  zugegeben,  so  ist  dieser  berech- 
nete Gegensatz  des  freiliegenden  scharfen  Faltenwinkels  zu  den  daran  grän- 
zenden  Gewandflächen  geradezu  künstlerisch  unerträglich.  Weder  der  rafae- 
lische  und  rein  malerisch  gedachte  Faltenwurf  eines  Correggio  und  Tizian, 
noch  die  Gewandbehandlung  an  den  Parthenonstatuen,  die  allerdings  noch 
ganz  eigenen ,  nicht  vom  Körper  wesentlich  bedingten  Stilgesetzen  folgt ,  ge- 
ben eine  wirklich  passende  Analogie.  Ich  möchte  am  liebsten  dann  jene  Sta- 
tuen der  Venus  Victrix  vergleichen,  deren  Reihe  in  der  Venus  von  Milo  ihren 
Höhepunkt  hat.  In  diesen  kann  das  Gewand  um  den  Unterkörper  und  über 
dem  gesenkten  linken  Oberschenkel  geschlagen,  unmöglich  lange  so  verharren, 
auch  da  ist  die  Frage  ob  ein  Gegenstand  wie  der  Schildrand  des  aufgestützten 
Schildes  dieselbe  mit  gehalten  habe.  Aber  selbst  bei  diesem  Gewände  ist  eine  we- 
sentlich gleichmässige  Durchfuhrung  der  um  den  Körper  geschwungenen  Falten- 
massen, nicht  annähernd  eine  so  scharfe  Brechung  wie  hier.  Nach  alledem  halte 
ich  es  für  eine  Noth wendigkeit,  dass  der  rechte  Arm  sich  zu  jener  Gewand- 
stelle herabgesenkt  habe  und  sie  berühre,  wenn  dort  die  Fingerspuren  ihm  zu- 
gehören. Wir  sehen  ja  auch  an  der  Niobemutter,  dass  die  Ergänzer  den  Un- 
terarm höher,  als  er  ursprünglich  lag,  gerückt  haben.  Stellen  die  Spuren  bei 
genauester  Untersuchung  des  Originales  sich  vielleicht  in  anderer  Art  dar, 
dann  können  wir  denken,  dass  ein  Körpertheil  einer  unmittelbar  zu  dieser 
Statue  gehörigen,  ihr  gleichsam  eingeordneten  andern  Gestalt  die  Stelle  be- 
rührt und  damit  jenen  Gewandbausch  gehalten  habe. 

Die  wagrechte  Richtung  des  linken  Oberarmes ,  das  Halten  des  in  seinen 
Falten  regelmässig  hinaufgezogenen  Gewandes  ergiebt  sich  aus  den  antiken 
Theilen  mit  Sicherheit,  natürlich  ist  eine  Modifikation  im  unteren  Arm  damit 
nicht  ausgeschlossen.  Weder  die  höhere  entwickeltere  Biegung  des  Armes,  wie 
sie  Niobe  selbst  zeigt,  noch  die  etwas  nach  vorn  gestreckte,  mehr  umfassende 
Armwendung,  wie  wir  sie  auf  einem  geschnittenen  Steine  kennen  lernten,  ist 
nach  dem  Erhaltenen  möglich. 

Der  Kopf  in  seiner  starken  Senkung  nach  vorn  und  leichten  Seitwärts- 
wendung, in  der  Reinheit  seiner  Formen,  in  dem  tiefen  theilnehmenden  Ernst 
übt  einen  besonderen  Zauber  auf  jeden  Beschauer  aus;  an  Trefflichkeit  und  Un- 
versehrtheit der  Arbeit  übertrifft  er  alle  andern  Köpfe  der  florentiner  Gruppe. 
Aber  er  unterscheidet  sich  auch  nicht  unwesentlich  von  ihnen.  Das  Oval  des 
Gesichtes  ist  ein  etwas  anderes;  im  Kinn,  in  den  Lippen,  vielleicht  auch  im 
Winkel  von  Nase  und  Augenlinien  sind  schärfere,  bestimmtere  Formen.  Der 
Kopf  erinnert  mehr  an  die  sogenannte  Psyche  von  Neapel,  doch  gehört  auch 
diese  wesentlich  in  die  grössere  Klasse  von  venusartigen  Bildungen,  denen  wir 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  275 

die  Niobiden  als  angehörig  betrachteten.  Das  fein  gerollte,  einfach  gescheitelte 
Haar  ist  zweimal  von  einem  breiten  Bande  umwunden  und  hinten  in  einem 
Wulst  aufgesteckt. 

Zwei  Fragen  drängen  sich  nun  bei  einem  Gesammtüberblick  zur  Beant- 
wortung auf:  ist  diese  Statue  für  sich  allein  gestellt  zu  denken  oder  setzt  sie 
nothwendig  eine  Verbindung  mit  einer  anderen  voraus?  Zweitens  kann  sie 
auch  bei  verschiedener  künstlerischer  Behandlungsweise  als  ein  Glied  in  der 
Niobidendarstellung  betrachtet  werden,  die  der  sichere  Kern  der  florentiner 
Gruppe  uns  vorführt  oder  nicht,  kann  sie  eine  Tochter  der  Niobe  dann  sein 
oder  muBS  sie  als  ein  anderes  weibliches  Glied  betrachtet  werden,  etwa  als  eine 
Wärterin?  Ich  schicke  voraus,  dass  die  erste  Doppelfrage  im  Sinne  des  zweiten 
Gliedes  von  allen  frühern  Untersuchern,  wie  Ramdohr,  Wagner,  Schlegel, 
Meyer,  Gerhard,  A.  Müller,  Feuerbach,  neuerdings  von  Friederichs  beantwortet 
wurde,  dass  dagegen  Welcker  nachdrücklich  die  Einzelstellung  derselben  be- 
tonte und  erklärte,  Trendelenburg  ihm  wesentlich  darin  gefolgt  ist  und  psy- 
chologisch sie  weiter  motivirt  hat,  indem  er  die  von  Müller  verbundenen  Sta- 
tueri  zwar  neben  einander  aber  ohne  Beziehung  zu  einander  setzte.  Die  zweite 
Frage  ist  zuerst  vonThiersch  aufgeworfen  und  von  Friederichs  von  Neuem  auf- 
genommen worden. 

Zunächst  ist  zu  sagen,  wir  haben  eine  Gestalt  vor  uns,  die  nicht  aus  einer 
raschen  Bewegung  in  eine  augenblickliche  Ruhe  übergegangen  ist  infolge  eines 
plötzlichen  Zwischenfalls  um  dann  weiterzueilen,  aber  auch  nicht  eine  solche, 
deren  innere  Natur,  deren  Beruf  es  mit  sich  bringt  sinnend  zu  stehen.  Nein, 
man  hat  den  Eindruck,  sie  ist  an  etwas  herangetreten,  das  vor  und  unter  ihren 
Augen  liegt  und  diesem  sind  ihre  Gedanken,  aber  auch  noch  die  eigentümli- 
chen Bewegungen  ihrer  Glieder  zugewendet.  Während  auf  ihrer  rechten  Seite 
das  Auge  unmittelbar  ausruht  an  den  wohl  abgeschlossenen  Formen  des  ge- 
senkten Hauptes,  des  rechten  Armes  und  Beines,  hier  nichts  auf  etwas  Dane- 
benstehendes, auf  etwas  Folgendes  hinweist,  so  öffnet  sie  sich  ganz  nach  ihrer 
linken  Seite  einem  Gegenstand  entgegen.  Hebt  sie  das  Obergewand  so  hoch 
gezogen  zur  Seite,  um  sich  zu  schützen?  Das  gewiss  nicht;  es  wäre  ein  sehr 
ungeschickter  Schutz  in  dieser  Weise  für  ihren  eigenen  Körper.  Ebenso,  wozu 
hat  sie  es  auf  der  anderen  Seite  herabsinken  lassen  auf  den  Oberschenkel  und 
hält  es  hier  momentan  fest?  durch  Eile,  durch  plötzlichen  Schrecken,  durch 
ein  blosses  Anstandsgefühl  ist  das  doch  nicht  hier  erklärt.  Und  wie  senkt  das 
Haupt  sich  mütterlich  und  doch  nicht  matronal  theilnehmend !  Das  ist  kein 
Innewerden,  kein  auftretendes  Bewusstsein  eigener  Schuld  oder  Unschuld  oder 
Ahnen  des  göttlichen  Verhängnisses,  wie  Trendelenburg  meinte,  nein  auch  hier 
richten  sich  die  Augen  auf  ein  Objekt.  Dieses  muss  niedriger,  in  unmittelbar- 
ster Nähe,  im  Bereiche  ihres  unwillkürlich  noch  deckenden  und  schützenden 
Körpers  und  Gewandes  gedacht  werden.  Und  sehen  wir  nur  auf  die  einer  Säu- 
lencannelirung  ähnlichen  Falten  des  Chitons  an  der  ganzen  linken  Seite  auf 

18» 


276  Zweites  Kapitel. 

dies  unentwickelte  Aufctossen  desselben  auf  den  Erdboden  und  die  daneben 
ebenfalls  gleichförmigen  lang  gezogenen  des  Peplos.  Glaubt  man  im  Ernst, 
dass  ein  Meister,  der  einen  solchen  Kopf  geschaffen ,  der  mit  solchem  Reich- 
thum  im  Faltenwurf  die  rechte  Seite  gebildet  hat ,  dass  der  diesen  weiten  lee- 
ren,  einförmig  gegliederten  Raum  den  Beschauer  dargeboten  haben  werde  ?  Nie 
und  nimmermehr.  Nein,  wir  müssen  hier  hinein  und  hieran  eine  sich  an- 
schliessende Gestalt  fordern. 

Sehen  wir  uns  nach  analoger  Gruppirung  unter  den  von  uns  bereits  be- 
trachteten Bildwerken  um,  so  können  wir  drei  Verbindungen  zur  Vergleichung 
heranziehen.  Auf  dem  Relief  Campana  die  Gruppe  der  zwei  Schwestern ,  die 
Gruppe  von  zwei  Schwestern  oder  von  Niobe  und  Tochter  auf  dem  Wandge- 
mälde der  Villa  Pamfili  und  die  Darstellung  des  geschnittenen  Steines  bei  De- 
midofF,  mit  Schwester  und  Bruder,  von  O.  Müller  benutzt  für  unsere  Statue. 
Dort  auf  der  ersten  Darstellung  sinkt  die  Schwester  mit  erschlafften  Gliedern 
am  linken  Bein  der  stehenden  Schwester  zusammen ,  der  Kopf  ruht  noch  auf 
dem  rechten  Oberschenkel.  Sehen  auch  wir  ab  von  der  der  unsrigen  entgegen- 
gesetzten Motivirung  der  Arme,  von  dem  mangelnden  Motiv  des  emporgezogenen 
Peplos,  so  ist  die  Verschiedenheit  der  untern  Theile  doch  bei  näherer  Betrach- 
tung in  die  Augen  fallend :  dort  ist  das  linke  Bein  vorgeschoben,  gebogen  und 
trägt  wesentlich  den  Körper,  hier  bei  uns  tritt  er  zurück  und  steht  säulenartig 
senkrecht.  Es  ist  daher  die  Annahme  einer  ähnlich  zusammensinkenden  Toch- 
ter oder  Sohnes  an  unserer  Statue  nicht  statthaft.  Auf  dem  in  der  Einzelaus- 
führung allerdings  sehr  flüchtigen  Wandgemälde  der  Villa  Pamfili  fallt  die 
jüngste  noch  fast  Kind  zu  nennende  Tochter  im  Vorwärtseilen  an  die  ältere 
Schwester  oder  Mutter  heran.  Hier  ist  es  jedenfalls  das  rechte  Bein ,  welches 
einen  Haltepunkt  gewährt,  aber  der  Faltenwurf  an  demselben,  der  bei  unserer 
Statue  so  berechnet  ist,  würde  gerade  hier  durch  die  kleinere  Gestalt  verdeckt 
werden ,  die  Haltung  der  Arme  ist  eine  ähnliche ,  wenn  auch  der  rechte  Arm 
entschieden  weiter  zurückgeschoben  ist,  der  Gesammtausdruck  und  besonders 
die  Motivirung  des  Kopfes  ist  aber  eine  andere,  der  der  Mutter  Niobe  unter 
den  Statuen  ganz  analoge.  Otfried  Müller  hat  mit  richtigem  Takte  jenen  ge- 
schnittenen Stein  zur  Vergleichung  herangezogen1),  kein  zweites  Denkmal,  so- 
weit wir  sie  jetzt  kennen ,  giebt  die  fragliche  Statue  mit  dem  eigen thümlichen 
Wulst  und  Gewandkniff  und  mit  der  Bewegung  der  Arme  so  ähnlich  wieder, 
wenn  auch  hier  im  linken  Arm  mit  dem  Gewände  und  in  der  Richtung  und 
Ausdrucke  des  Kopfes  eine  Modification  besteht.  Und  hier  befindet  sich  vor 
ihr  eine  in  die  Knie  gesunkene  Gestalt,  die  mit  dem  schmerzhaft  bittend  ge- 
hobenen rechten  Arm,  mit  der  fast  senkrecht  gestreckten  rechten  Seite,  mit 
der  dagegen  in  schräger  Linie  entwickelten  linken  Seite  trefflich  sich  der  ste- 
henden Gestalt  einfügt.   Dazu  kommt,  dass  im  geistigen  Ausdrucke  beide  Ge- 


ll S.  oben  S.  211 j  Müller- Wieseler  D.  A.  X.  I.  t.  XXXIV.  n.  142  D. 


Statistik  und  Einzclbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  277 

stalten  zusammenpassen :  es  ist  kein  plötzliches  Auffangen  einer  zustürzenden 
Gestalt,  es  ist  keine  irgend  starke  körperliche  Unterstützung,  sondern  ein 
mildes  Umfahen  des  bereits  dem  Untergange  Verfallenen,  hier  im  Stein  mehr 
ein  Flehen  um  Erbarmen  nach  Aussen  und  Oben ,  in  der  Statue  ein  sich  Ver- 
senken in  den  geliebten  Gegenstand. 

Weiter  können  wir  nun  aber  Müller  nicht,  wie  Cron  *)  z.  B.  thut,  folgen, 
wenn  er  auf  diesen  geschnittenen  Stein  gestützt,  unsere  Statue  mit  dem  Sohn 
zusammenstellt,  welcher  in  das  eine  Knie  gesunken,  die  linke  Hand  auf  den 
Felsen  krampfhaft  legt,  das  rechte  Bein  zur  Seite  ausgestreckt  hat2).  Gerade 
da  greifen  die  Linien  beider  Statuen  nicht  in  einander,  im  Gegentheil  entsteht 
ein  sehr  unangenehmer  Contrast  derselben  und  jener  Faltenwinkel  und  das 
gebogene  rechte  Knie  wird  nicht  im  Mindesten  erklärt  durch  die  eingefügte 
Figur.  Auch  scheint  mir  die  Hebung  des  rechten  Armes  des  Niobiden  auf  dem 
Steine  für  den  Oberkörper  der  dahinter  stehenden  weiblichen  Gestalt  und  die 
Richtung  des  gesenkten  Armes  derselben  keine  sehr  glückliche.  Ich  stehe  daher 
jetzt  auch  nicht  an  unter  den  im  Folgenden  näher  zu  betrachtenden  Niobidensta- 
tuen  den  sogenannten  Narciss3)  mit  unserer  Statue  zu  gruppiren.  In  ihr  erfüllen 
sich  alle  die  äussern  Bedingungen,  welche  wir  kennen  gelernt  haben.  In  ihr  scheint 
mir  auch  der  geistige  Aussdruck  der  entsprechendste.  Da  ist  nichts  von  Trotz, 
von  Bekämpfen  der  Todesmacht,  sondern  ein  reiner  Schmerzenslaut  einer  ge- 
brochenen edeln  Jugend,  auf  ihn  wird  um  so  innerlich  bewegter,  concentrirter 
der  Blick  liebender  Fürsorge  und  Mitgefühls  sich  richten.  Auch  die  Grössen  Ver- 
hältnisse passen  sehr  gut  zusammen  (1,311  M.  zu  1,925  M.).  Hiermit  ist  na- 
türlich nicht  im  Entferntesten  behauptet,  dass  diese  in  Florenz  erst  zur  Gruppe 
hinzugefügte  Statue  für  jene  weibliche  Gestalt  ausgearbeitet  war;  im  Gegen- 
theil haben  wir  auch  hier  nur  ein  neues  Beispiel ,  wie  bei  dem  Pädagogen  und 
jüngsten  Sohn,  dass  einzelne  Glieder  solcher  Gruppen,  die  sich  wohl  abschei- 
den lassen ,  auch  für  sich  allein  gebildet  und  neben  andere  dann  gestellt  wer- 
den konnten.  Ich  erinne  selbst  daran,  dass  eine  ganz  ähnliche  Bildung  auf 
dem  Relief  in  Bologna  neben  eine  erschreckt  eilende  Niobide  gestellt  ist.  Wir 
können  uns  bei  so  hoch  berühmten  und  beliebten  Motiven  die  spätere  Be- 
nutzung nicht  frei  und  unbefangen  genug  denken. 

Ich  will  dabei  nicht  verhehlen,  dass  mich  eine  andere  Verbindung  länger  für 
sich  eingenommen  hatte,  jedoch  nicht  sowohl  als  Resultat  einer  rein  objeetiven 
Vergleichung  beider  Statuen,  als  aus  dem  vorausgehenden  Wunsche  zugleich  der 
einen  eine  passende  Stellung  in  der  Gesammtgruppirung  zu  geben.  Es  ist  jene 
früher  vielfach,  so  von  Meyer,  Zannoni  und  Wagner  angenommene,  von  Cock- 
erell  in  seine  Giebelgruppe  mitten  hineingesetzte  Verbindung  dieser  Statue  mit 
dem  liegenden  todten  Niobiden.    Nur  war  damit  unmittelbar  die  Forderung 

1)  Reccns.  v.  Gerhards  drei  Vorlesungen  in  Münchner  gel.  An«.  1844.  S.  956. 

2)  Taf.  XVII.  11  (e). 

3)  Taf.  XIII.  3  (ii). 


278  Zweites  Kapitel. 

verbunden,  die  wir  als  eine  überhaupt  zu  stellende  erwiesen  zu  haben  glauben, 
den  Todten  sich  bedeutend  höher  auf  ein  Felsstück  gelegt  zu  denken.  Auf  un- 
serer Tafel  XIII  ist  auch  diese  Zusammenstellung  gegeben ,  allerdings  ohne 
diese  nothwendige  Hebung  des  Todten.  Es  würde  dann  die  zurückgelegte 
rechte  Hand  jene  Stelle  des  Gewandes  berührt  haben.  Man  mochte  dabei  an 
jenen  zweiten  Abschnitt  in  der  ovidischen  Schilderung1)  denken,  wie  die  Schwe- 
stern trauernd  bei  den  ausgestellten  Leichen  der  Brüder  standen,  nur  mit  einer 
unmittelbaren  Anfügung  an  die  eigentliche  Todesscene.  Aber  weder  die  in  der 
weiblichen  Gestalt  gegebenen  Anhaltspunkte  für  eine  mit  ihr  gruppirte  Figur 
sind  dadurch  vollständig  erfüllt  noch  scheint  mir  der  geistige  Ausdruck  jener 
einer  Todtenklage  oder  Betraurung  zu  entsprechen.  Es  handelt  sich  noch  um 
die  letzte  Fürsorge,  um  die  Theilnahme  des  Schmerzes  an  einem  noch  schmerz- 
erfüllten, noch  lebenden  Wesen.  Ob  endlich,  um  über  unsern  nächsten  Stand- 
punkt hinauszugreifen,  eine  solche  Fürsorge  um  den  bereits  Todten,  eine  Tod- 
tenklage in  die  gewaltige,  mit  unendlicher  Schnelligkeit  fortlaufende  Gesammt- 
handlung  hineinpasst,  wäre  erst  zu  fragen. 

Wie  wenig  eine  andere  Combination,  welche  in  der  Aufstellung  der  Gyps- 
abgüsse  in  der  Villa  Medicis  zu  Rom  praktisch  versucht  ist,  nämlich  mit  der  als 
Psyche2)  meist  jetzt  ausgeschiedenen  Statue,  eine  glückliche  Wirkung  hervor-, 
bringt,  darauf  hat  Welcker3)  schon  aufmerksam  gemacht.  Wir  können  noch 
hinzufügen ,  dass  die  Richtung  der  Bewegung  in  dieser  wie  gescheucht  flie- 
henden und  flehenden  Gestalt  durchaus  zuwiderläuft  der  Gesammtwendung 
unserer  Statue,  welche  vielmehr  von  der  anderen  Seite  ein  sich  Hercinflüchten 
erwartet,  wenn  überhaupt  eine  bewegte,  und  nicht  schon  eine  zusammengesun- 
kene Gestalt  an  ihrer  Stelle  wäre. 

Die  bisherigen  Betrachtungen  haben  uns  den  Weg  zur  Beantwortung  der 
zweiten  Frage  schon  wesentlich  gebahnt.  Es  ist  also  zu  gestehen,  ein  äusserer 
Grund  für  die  Zusammengehörigkeit  dieser  weiblichen  Statuen  zur  Niobo- 
gruppe  in  der  gemeinsamen  und  gleichzeitigen  Auffindung  fällt  hinweg;  die 
Statue  ist  möglicherweise  bald  darauf  in  ähnlicher  Gegend  gefunden ,  sie  ist 
jedenfalls  erst  aus  dem  Gesichtspunkt  ihrer  Motivirung  der  Niobidenreihe  früh- 
zeitig eingefügt  worden.  Die  Gesammtmotivirung  entspricht  trefflich  einer 
Niobidencomposition ,  wie  wir  dies  aus  anderen  Gattungen  der  Plastik  nach- 
gewiesen und  auch  unter  den  jetzt  unbestritten  in  den  Niobidenkreis  gezoge- 
nen Statuen  haben  wir  eine  das  räumliche  und  innere  Bedürfniss  der  Ergän- 
zung erfüllende  gefunden.  Weiter  müssen  wir  aber  sagen ,  diese  Statue  kann 
unmöglich  in  der  nächsten  Nähe  der  Mutter,  mit  der  sie  auffallende  Analogien 
darbietet,  unmöglich  in  den  Bereich  der  gesteigertsten  Eile  gestellt  werden, 
im  Gegentheil  kann  sie  nur  von  jener  entfernt,  dem  Schlusspunkt  der  Scene  nahe 

1)  Met.  VI.  289. 

2)  Unsere  Taf.  XVII.  13. 

3)  A.  a.  O.  S.  274. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  279 

ihren  Platz  finden.  In  ihrem  geistigen  Ausdrucke  fällt  vor  allem  auf,  dass 
der  Gedanke  an  eigene  Gefahr  und  sowohl  die  damit  verbundene  Erregung  wie 
etwa  die  daraus  hervorgehende  Thätigkeit  sich  zu  schützen  durchaus  in  ihr 
sich  nicht  abspiegelt.  Sie  unterscheidet  sich  dadurch  wesentlich  von  den  vor- 
her betrachteten  zwei  Töchtern,  sowie  von  den  allgemein  als  zur  Gruppe  ge- 
hörig anerkannten  Söhnen,  sie  steht  zugleich  zu  dem  Pädagogen,  den  sie  an 
Grösse  auch  noch  überragt,  in  einem  entschiedenen  Contrast,  in  beiden  ist 
ein  Schützen  ausgeprägt,  dort  aber  ein  ganz  nach  Aussen,  nach  der  drohen- 
den Gefahr  Gekehrtsein,  während  die  Hand  wie  unwillkürlich  schützend 
fasst,  hier  bei  unserer  Statue  eine  scheinbare  Nichtbeachtung  des  noch  Dro- 
henden, völlige  Concentration  auf  das  bereits  eingetretene  Unglück. 

Man  kann  daher  sehr  wohl  auf  den  Gedanken  kommen,  dass  wir  die 
Gestalt  einer  Trophos,  einer  Wärterin  vor  uns  haben  in  Correspondenz 
mit  dem  Pädagogen,  jedoch  gestehe  ich,  dass  dem  die  ideale  Bildung  der 
Gestalt,  besonders  der  treffliche  Kopf  zu  widersprechen  scheint.  Alle  Wär- 
terinnen, die  die  Reliefs  und  gerade  auch,  wie  wir  sahen,  Niobidenreliefs 
uns  geben,  tragen  einen  alten,  absichtlich  hässlich  markirten  Typus ,  auch 
in  der  dicken  Kleidung  oder  dem  Kopftuch  wird  ihre  fremdartige  Natur 
der  dienenden  Stellung  beurkundet.  In  wieweit  dies  freilich  bereits  in  den 
Compositionen  der  edelsten  griechischen  Kunst  vorauszusetzen  ist,  wäre 
näher  nachzuweisen ;  vorerst  muss  man  sich  hüten,  der  idealen  Auffassung  zu 
enge  Gränzen  zu  setzen.  Auch  ist  es  wahr,  der  Doppelchiton  und  das 
doppeltumwundene  Haarband  kommen  so  nicht,  weder  bei  Niobe  noch  den 
anderen  Töchtern  vor,  aber  wir  finden  den  ersteren  auf  unserem  Relief  Cam- 
pana ,  bei  der  Niobide  des  Reliefs  von  Bologna ,  bei  der  einen  Figur  von 
Fasano.  Das  Gesicht  ist  allerdings  nicht  dem  oben  mehrfach  nachgewie- 
senen Ideal  der  Niobidentöchter  genau  entsprechend,  aber  fällt  doch  in  den 
allgemeinen  Charakter  dieser  Bildung,  ist  von  grosser  Reinheit  der  reifen 
Formen  und  ist  eben  vor  allem  Träger  einer  anderen  Stimmung.  Nach  alle 
dem  ist  zu  sagen,  die  Statue  gehört  nicht  zu  dem  Statuen  verein ,  der  auf  dem 
Esquilin  gefunden  ward,  unterscheidet  sich  im  Stile  und  in  einzelnen  Eigen- 
tümlichkeiten des  Costüms  von  demselben,  aber  sie  findet  in  Analogie  mit 
den  trefflichsten  Reliefs  in  einer  Niobegruppe  überhaupt  ihre  wohlberech- 
tigte Stellung  und  bildet  mit  einem  anderen  uns  erhaltenen,  unzweifelhaften 
Niobiden  eine  engere  Gruppe. 

b.  Florentiner  älteste  Tochter  als  Muse,  Melpomene  oder  Euterpe 

jetzt  fast  allgemein  ausgeschieden. 

Abbildungen  nach  den  Gesammtbildern  von  Perrier  und  Montfaucon  F.  fig. 
XI ;  Zann.  R.  G.  di  Fir.  S.  IV.  t.  1.  pl.  4 ;  Cockereil  n.  6 ;  GL  pl.  583.  n.  1259. 

Grösse:  1 ,837  Meter  mit  Plinthe,  1 ,779  ohne  dieselbe. 

Ergänzungen  und  Erhaltung  nach  Fabroni  und  Meyer :  neu  sind  Hände, 
vordere  Theile  der  Füsse ;   Brüste  abgearbeitet,  ganz  flach,  die  linke  Hüfte  und  das 


280  Zweites  Kapitel. 

linke  Bein  mit  Chiton  schlimm  behandelt,  der  rechte  Arm  stark  überarbeitet  könnte 
alt  sein;  der  Kopf  ganz  modernisirt,  oder  vielleicht  modern. 

Wir  haben  schon  früher  bemerkt,  dass  auch  diese  Statue  nicht  unter  den 
von  Cavaleriis  gleich  nach  dem  Funde  auf  dem  Esquilin  gezeichneten  sich 
findet,  im  Gegentheil  eine  andere  weibliche  Gestalt,  welche  ganz  die  auf 
einen  Felsen  mit  dem  Ellenbogen  aufgestützte,  aus  Statuen  in  Madrid,  Paris, 
Berlin,  Petersburg  und  Basreliefs  vielfach  bekannte  Polyhymnia  uns  vor- 
führt, als  Filia  Niobes  ihre  Stelle  einnimmt.  Sie  ist  dann,  wir  wissen  nicht 
woher,  in  die  Gruppe  eingeschoben  an  Stelle  jener  so  offenkundigen  Muse, 
welche  gar  keine  Andeutung  irgend  einer  tragisch  bewegten  Persönlichkeit 
enthält  und  wenn  sie  wirklich  unter  die  Niobiden  in  jener  Anlage  des  Aure- 
lischen  Hauses  gestellt  war,  den  Beweis  von  den  rein  äusserlich  dekorativen 
Gesichtspunkten  liefert,  die  bei  jener  Zusammenstellung  gewaltet  haben. 
Seitdem  befindet  sich  unsere  Statue  nun  unter  den  Niobiden  von  Florenz. 
Dass  sie  für  diesen  Zweck  sichtlich  sehr  hergerichtet  ist,  ergeben  die  obigen 
Thatsachen  der  Ergänzung  und  Ueberarbeitung.  Meyer  nennt  sie  übrigens 
ein  wahres  Original  und  meint,  sie  sei  von  Einer  Hand  mit  der  Mutter,  drei 
Schwestern  und  dem  jüngsten  Bruder  gearbeitet.  Seit  Schlegel  und  Martin 
Wagner  sind  die  entschiedensten  Zweifel  an  ihrer  Zugehörigkeit  erhoben ; 
bei  den  neueren  Besprechungen  und  Versuchen  einer  Reconstruction  der 
Gruppe  kommt  sie  gar  nicht  mehr  in  Betracht ;  erst  in  der  neuesten  Zeit  hat 
L.  Gerlach  in  seinen  archäologischen  Plaudereien  über  den  Ilioneus1)  die- 
selbe wieder  neben  die  Mutter  als  Niobide  gestellt,  er  meint,  man  müsse  nicht 
nach  einer  vorgefassten  Meinung  von  der  Unfehlbarkeit  des  Künstlers  Statuen 
mit  Athetese  belegen,  die  zu  der  Zahl  der  dreizehn  ächten  gehörten.  Nun, 
dieser  ganze  Abschnitt  des  sonst  in  seinen  allgemeinen  Betrachtungen  nicht  ohne 
Einsicht  und  Geist  geschriebenen  Büchleins  über  die  Niobidengruppe  erweist 
sich  als  eine  wahre  Plauderei  eines  flüchtigen  Augenblickes  und  nimmt  auf 
die  Geschichte  des  jetzigen  florentiner  Statuen  Vereins  so  gut  wie  keine  Rück- 
sicht. Diejenigen  dreizehn  ächten  Statuen,  auf  die  Gerlach  als  Axiom  hin- 
weist, sind  gar  nicht  die  zuerst  zusammengefundenen;  vielmehr  so  wenig 
wie  der  sogenannte  Narciss,  so  wenig  hat  die  im  Vorhergehenden  betrachtete, 
so  wenig  unsere  Statue  zu  dem  ursprünglichen  Funde  gehört.  Unsere  Frage 
kann  also  nur  die  sein,  hat  man  mit  Recht  diese  weibliche  Statue  nach  son- 
stigen Analogieen  als  Niobide  betrachtet  und  reiht  sie  sich  passend  ein  unter 
die  übrigen  sichergestellten  Bildungen?  Die  blosse  Angabe,  dass  sie  einer 
Musenbildung  ähnlich  sei,  ist  noch  kein  Beweis  dagegen,  da  wir  ja  die  Be- 
nutzung gleicher  Motivirung  für  verschiedene  mythologische  Gestalten,  in 
denen  allerdings  eine  innere  Verwandtschaft  nicht  zu  fehlen  pflegt,  gerade 


1)  S.  50. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  281 

im  Bereiche  des  Niobemythus  schon  kennen  gelernt  haben  und  ihr  auch  wie- 
der begegnen. 

Zunächst  haben  wir  zu  constatiren,  dass  die  Statue,  obgleich  eine  völlig 
reife  jungfräuliche  Gestalt  darstellend,  dem  Alter  nach  von  Meyer  als  erste 
bezeichnet  unter  den  Niobiden,  nach  einem  bedeutend  kleineren  Massstabe 
gearbeitet  ist,  als  die  zwei  eilenden  Töchter,  in  noch  höherem  Maasse  als  die 
soeben  untersuchte,  ja  dem  jüngsten  Sohne  an  Grösse  entspricht.  Sehen  wir 
sie  uns  nun  näher  an,  so  weit  wir  durch  Ueberarbeitung  und  Ergänzung  noch 
das  Ursprüngliche  beurtheilen  können.  In  einer  ruhigen  Position  steht  sie 
vor  uns,  von  einem  langen  mit  anschliessenden  Aermeln  versehenen,  unter  der 
Brust  einfach  von  einem  schmalen  Band  gehaltenen,  zu  den  Füssen  herab, 
reichenden  Chiton  bekleidet.  Der  linke  Fuss  ist  höher  und  weiter  vor  auf 
ein  (ob  antikes '()  felsiges  Stück  gesetzt,  das  Knie  bildet  dadurch  einen  mar- 
kirten  Punkt,  um  den  die  Falten  concentrisch  sich  drehen,  auch  dem  schräg 
liegenden  Oberschenkel  schliessen  sich  schräg  laufend  die  Falten  an .  Da»  rechte 
Bein  ist  senkrecht  gestreckt,  da  in  ihm  die  Schwerpunktslinie  des  Körpers  ruht, 
die  rechte  Hüfte  ist  mit  einer  gewissen  ausruhenden  Bequemlichkeit  etwas 
ausgebogen.  Der  Oberkörper  ist  in  fast  gleichmässiger  Richtung  nach  vorn 
gerichtet,  doch  die  linke  Schulter  wenig  mehr  gehoben.  Bemerkenswerth  ist 
die  an  der  linken  Seite  unter  dem  Gürtel  etwas  herausgezogene  Bauschfalte. 
Der  linke  Arm  hebt  sich  vom  Körper  freier  in  der  Richtung  nach  vorn  ab 
und  bildet  mit  dem  Ellenbogen  einen  fast  rechten  Winkel.  Das  Himation 
ruht  mit  seinen  Enden  auf  demselben  und  fallt  dann  nach  dem  Rücken  sich 
ziehend  tiefer  hinab  ;  auf  der  linken  Schulter  bildet  es  in  sich  zurückge- 
schlagen einen  kleinen  Wulst.  Der  rechte  Arm  scheint  auch  ursprünglich 
ruhig  an  dem  Schenkel  angelegen  zu  haben.  Ueber  die  Bewegung  der  Hände, 
deren  eine  mir  entschieden  etwas  gehalten  zu  haben  scheint,  ist,  da  sie  ganz 
modern  sind  und,  wie  gesagt,  der  rechte  Arm  vielleicht  auch,  nichts  zu  sagen, 
als  dass  sie  keinesfalls  so  voll  Erstaunen  geöffnet  waren.  Ebenso  müssen 
wir  verzichten  den  Kopf,  der  in  seiner  jetzigen  Erscheinung  ein  Niobiden- 
kopf  mit  einfach  gescheiteltem,  welligen  von  einem  Bände  gehaltenen,  hinten 
hinauf  genommenen  Haare  ist,  näher  zu  beurtheilen ;  er  ist  etwas  links  und 
aufwärts  gewendet.  Da  er  jedenfalls  ganz  überarbeitet  ist,  kann  er  vielleicht 
ein  wirklicher  Niobidenkopf  sein,  den  man  auf  einen  fremden  Körper  aufge- 
setzt hat  bei  der  Restauration  für  die  Niobidengruppe. 

Eine  unbefangene  Betrachtung  kann  in  der  ganzen  Situation  durchaus 
nicht  ein  augenblickliches,  plötzliches  Innehalten,  kein  momentanes  Erstau- 
nen, noch  weniger  ein  etwa  selbstgefuhlvolles  Widerstehen  finden.  Eine 
Beziehung  auf  ein  anderes  Objekt,  wie  wir  dies  in  der  vorhergehenden  Statue 
so  unmittelbar  ausgeprägt  sahen,  ist  ebensowenig  gegeben.  Wir  haben  viel- 
mehr in  den  ruhig  und  edel  herabfliessenden  Gewandfalten,  in  der  Hebung 
des  einen  Fusses,  in  der  der  Arme,  vielleicht  in  der  Stellung  des  Kopfes,  in 


282  Zweites  Kapitel. 

der  Gesammtstellung  einen  Ausdruck  innerer  Würde,  gehobener  Stimmung, 
ruhiger,  gesicherter  Stellung  in  einer  Reihe  ähnlicher  Gestalten.  So  locker 
wir  uns  auch  das  geistige,  das  künstlerische  Band  denken  wollen,  welches 
die  Niobiden  verknüpfte,  diese  Position  bringen  wir  unmöglich  in  die  sich 
gleichsam  drängenden  Wellen  der  gewaltigen  fortlaufenden,  steigenden  und 
fallenden  Bewegung,  es  ist  kein  Ausruhepunkt,  nein,  eine  ganz  andere  Art 
der  Hebung  und  Steigerung. 

Und  sehen  wir  uns  um  unter  der  Fülle  der  an  uns  vorübergegangenen 
Niobidendarstellungen ;  zu  dieser  finden  wir  keine  Analogie.  Auch  jene  an 
der  Seitenwand  des  Münchner  Sarkophags,  die  sich  behend  auf  ein  Posta- 
ment stützt  und  nach  oben  schaut,  sie  könnten  uns  für  den  ersten  Augen- 
blick auch  an  eine  Muse,  an  eine  Urania  erinnern,  und  doch  wie  ganz  anders 
ist  sie  durchgebildet,  welcher  Ausdruck  der  Ermattung,  des  Hinschwindens 
und  ergreifenden  Aufschauens  nach  all  den  Schrecken  der  Flucht  ist  darin 
niedergelegt!  Nein  mit  vollem  Recht  hat  man  bei  unserer  Statue  an  die 
Musenbildung,  speciell  an  die  der  Melpomene  erinnert.  Ich  möchte  noch 
weiter  gehen  und  sagen,  wir  haben  diejenige  Bildung  vor  uns,  die  uns  im 
Apollo  Musagetes  und  auch  in  der  Melpomene  vielfach  begegnet.  Unter- 
scheidend ist  nur  hier  der  schmale  Gürtel  dem  regelmässigen  breiten  Gürtel 
gegenüber,  der  zur  pythischen  Stola  oder  Palla  gehört;  jedoch  möchte  ich 
fast  vennuthen,  dass  der  obere  Theil  des  Gürtels  hier  weggearbeitet  ist,  wo- 
für gerade  jene  eine  starke  bauschige  Falte  zu  sprechen  scheint,  welche  bei 
den  von  uns  zu  erwähnenden  Beispielen  fast  immer  direkt  über  dem  Gürtel 
auftritt  und  wovon  auch  noch  eine  durchgehende  Linie  durch  die  andern  Falten 
Spuren  zeigt.  Die  Brust,  wie  sie  jetzt  uns  erscheint,  ist  eine  weibliche  nicht 
zu  nennen ;  es  steht  dahin,  ob  sie  wirklich  abgemeißelt  ist,  oder  ob  wir  nicht 
hier  den  Körper  eines  Apollo  Musagetes  besitzen,  bei  dem  auch  dies  massige 
Erheben  des  linken  Beines  auf  einen  Fels  oder  Stufe,  um  zugleich  das  In- 
strument zu  stützen,  vollkommen  begründet  ist.  Ich  verweise  zur  Verglei- 
chung  auf  den  Apollo  Musagetes  auf  der  Apotheose  des  Homer1),  auf  den 
Torso  der  Insel  Santorin*),  auf  die  Statue  früher  in  Rom  bei  Cavaceppi8), 
auf  das  Motiv  des  linken  Fusses  und  auch  den  Chiton  des  Apollo  in  der  Villa 
Albani4),  auf  die  kolossale  Melpomene  in  Paris5),  auf  die  Melpomene  von 
Stockholm6),  bei  welcher  dieselbe  Motivirung  des  Obergewandes  auf  der  einen 
Schulter  und  über  dem  andern  Arm  sich  findet,  als  bei  unserer  Statue.    Auch 


1)  Clarac  pl.  496.  n.  968.   Vgl.  jetzt  Arth.  Kortegang  de  tabula  Archelai.  Bonn  1862. 
Acced.  tab.  lithogr.  p.  9  f.  wo  auch  Münzen  und  Vasenbilder  verglichen  sind. 

2)  Clarac  pl.  498  JE.  n.  963.4. 

3)  Cavaceppi  t.  III.  n.  24 ;  Clarac  pl.  496.  n.  969. 

4)  Clarac  pl.  481.  n.  969  Ä 

5)  Clarac  pl.  315.  n.  1046. 

6)  Clarac  pl.  513.  n.  1045. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  283 

die  Sarkophage  geben  in  Bezug  auf  die  Gewandung  wie  Fusshebung  und 
Annbewegung  noch  mehrfache  Analogie1)' 

Nach  alledem  können  wir  nun  mit  aller  Sicherheit  difeser  Statue  ihre 
bleibende  Stellung  unter  den  Musen,  am  liebsten  als  Musagetes,  oder  auch  als 
eine  Muse  anweisen.  Diese  für  uns  untergeordnete  Frage  muss  durch  eine  ge- 
naue Untersuchung  des  Marmors  sich  erledigen.  Unter  den  Niobiden  wird  sie 
hoffentlich  durch  kein  flüchtiges  Raisonnement  mehr  festgehalten  werden. 

c.  Sechste  florentiner  Tochter  der  Niobide,  als  Nymphe  Anchirrhoe 

ausgeschieden. 

Abbildungen:  nach  dem  Gesammtbild  bei  Perrier  und  Montfaucon  F.  fig.  14 ; 
Z.  pl.  8;  C.  n.  11 ;  Cl.  pl.  585.  n.  1267. 

Grösse:  1,526  Meter  mit  PLinthe. 

Ergänzungen:  der  ganze  linke  Arm,  der  rechte  bis  an  die  Schulter  mit  dem 
Stück  von  der  rechten  Hand  gefassten  Gewand,  ferner  der  Hals  neu. 

Auch  bei  dieser  Statue  müssen  wir  davon  ausgehen,  dass  sie  nicht  zu 
dem  ursprünglichen  Statuenfund  gehörte,  sondern  erst  mit  den  zwei  vorher 
behandelten  in  den  ersten  Decennien  nach  dem  Funde  zur  Gruppe  hinzuge- 
bracht ist.  Ferner  steht  auch  ihre  Grösse  den  Verhältnissen  der  zwei  fliehen- 
den Töchter  entschieden  nach,  ist  nicht  nach  demselben  Massstabe  gearbeitet. 
Was  die  Behandlung  des  Marmors  betrifft,  so  macht  sich  ein  sehr  gefälliger, 
leichter,  gewandter  Ausdruck  darin  geltend,  verschieden  von  der  eigenthüm- 
lichen  Strenge,  die  uns  die  Haare  und  die  Stirnknochen  der  anerkannten 
Niobidengesichter  zeigen :  das  Haar  ist  sehr  lockig  und  weich  gearbeitet,  dis 
Falten  des  Gewandes  trefflich  ausgeführt,  aber  durchaus  nicht  gefurcht  mit 
dem  Bohrer,  sondern  nur  mit  dem  Meisel  behandelt. 

Endlich  trat  bei  einer  mit  Monumentenkenntniss  angestellten  Verglei- 
chung  die  Uebereinstiinmung  mit  anderen  als  Musen  oder  Nymphen  be- 
zeichneten Statuen  hervor.  So  wollte  Meyer  sie  für  eine  Erato  schliesslich 
halten,  so  hat  Schlegel  gegen  ihre  Zugehörigkeit  zur  Niobegruppe  sich  ent- 
schieden ausgesprochen,  so  hat  Martin  Wagner  zu  ihr  als  tändelnden  Muse 
oder  Nymphe  mehrere  Wiederholungen  genauer  bezeichnet.  Für  uns  möchte 
es  daher  zuerst  kaum  noch  einer  eingehenden  Besprechung  zu  bedürfen,  um 
diese  Statue  auszuschliessen ;  aber  je  rascher  die  Sache  abgethan  zu  sein 
scheint,  um  so  mehr  ist  es  Pflicht,  die  charakterisirenden  Motive  und  zwar 
mit  der  Bezeichnung  der  Variationen  scharf  herauszuheben  und  sich  die  Frage 
auch  vorzuhalten,  kann  diese  Composition,  welche  für  eine  Nymphe  bestimmt 
angewendet  erscheint,  nicht  auch  bei  einer  Niobide  benutzt  sein  oder  umge- 
kehrt ?    Es  kommt  noch  hinzu,  dass  wir  eine  mit  dem  Namen  einer  Niobe- 


1)  Vgl.  Clarac  pl.  205.  n.  45,  auch  das  Relief  pl.  139.  n.  141  mit  dem  Apollo  Kitharoe- 
dos  neben  bacchischen  Gestalten. 


284  Zweites  Kapitel. 

tochter  bezeichnete,  als  solche  auch  aufgeführte,  aber  bis  jetzt  einer  nähern 
Betrachtung  nicht  gewürdigte  Statue  des  Dresdener  Museums  als  dieser  Bil- 
dung angehörig  hier  zunächst  publicieren  können. 

Eine  jugendliche,  jungfräuliche  Gestalt  ist  in  einer  seitwärts  gehenden, 
schwebenden  Bewegung  begriffen.  Der  rechte  wie  linke  Fuss  ist  ganz  ent- 
blösst,  ohne  jede  Bekleidung,  beide  sind  auf  die  Ballen  mehr  oder  wreniger 
gehoben  und  zwar  so,  dass  der  rechte  vorstehende  Fuss  soeben  niederge. 
setzt  wird,  der  linke  noch  im  Moment  den  Hauptschwerpunkt  des  Körpers  in 
sich  trägt,  um  aber  sofort  ihn  selbst  auf  den  anderen  Fuss  zu  übertragen. 
Demgemäss  ist  die  linke  Seite  die  den  senkrechten  Halt  gebende,  während  das 
rechte  Knie  leicht  gebogen  ist  und  nach  der  rechten  Seite  überhaupt  eine 
leicht  vorwärts  sich  senkende,  doch  im  Oberkörper  wie  zurückgehaltene  Be- 
wegung sichtbar  wird.  Ein  langer  ärmelloser,  über  beiden  Schultern  be- 
festigter Chiton  fällt  in  schönen,  reichen  Falten  herab  und  zwar  so,  dass 
er  um  die  beiden  unteren  Extremitäten  wie  etwas  geweht  sich  anschmiegt, 
unmittelbar  über  den  Fuss  etwas  in  die  Höhe  gezogen  ist,  dagegen  rechts 
und  links  auf  den  Boden  niederfallend  sich  in  seinen  Falten  ausbreitet. 
Er  ist  mit  einem  Diploidion  versehen,  wird  durch  einen  schmalen  Gürtel  ge- 
halten und  öffnet  unter  den  Achseln  in  bescheidener  Weise  etwas  die  offene 
Seite.  Darüber  ist  das  Himation  schräg  geschlagen  und  zwar  so,  dass  es  mit 
dem  Anfangszipfel  über  der  linken  Schlüter  hinten  hinabhängend,  vorn  schräg 
über  Brust  und  Leib  gezogen  wird,  die  freie  Bewegung  des  rechten  Armes 
nicht  hemmend  und  dann  von  hinten  nach  vorn  über  derselben  linken  Schul- 
ter mit  seinem  Endzipfel  herabfällt,  diesen  aber  unter  den  reich  abgestuften 
Randfalten  des  Haupttheiles  vorstreckt.  Es  bildet  sich  dadurch  ein  sehr  wir- 
kungsvoller Contrast  der  gehäuften  Gewandmassen  an  der  linken  Seite  neben 
den  einfachen,  senkrechten  Formen  des  bis  hinauf  hier  sichtbaren  Chiton 
und  den  mehr  flach  kreisförmig  geschwungenen  Falten  an  der  rechten  Seite, 
die  zugleich  am  oberen  und  unteren  Rande  vermannigfaltigt  werden,  oben 
durch  Umschlagen  des  Randes,  unten  durch  ein  hier  eingreifendes  Hand- 
motiv. 

Die  rechte  Hand  des  leise  am  Körper  und  schräg  nach  vorn  gesenkten 
Armes  fasst  nämlich  hier  den  Rand  des  Himation  und  hebt  ihn  etwas  in  die 
Höhe,  so  rechts  und  links  eine  Art  Kolpos  bildend.  Der  linke  Arm  ist  zu- 
nächst wagrecht  zur  Seite  gehoben;  welches  weitere  Motiv  besonders  der 
Hand  sich  dann  anschloss,  ist  uns  zunächst  unbekannt.  In  der  florentiner 
Statue  hat  man  eine  schmerzvolle,  die  Hand  öffnende  Bewegung  gebildet, 
natürlich  um  sie  als  Niobide  zu  charakterisiren.  Was  weiter  nun  Kopf  und 
Hals  betrifft,  so  sahen  wir  oben,  dass  der  Hals  ganz  neu  eingesetzt  sei,  daher 
über  die  ursprüngliche  Bewegung  des  Kopfes  durchaus  nichts  Bestimmtes 
gesagt  werden  kann;  man  hat  ihm  hier  eine  Drehung  nach  rechts  und  Sen- 
kung rückwärts  gegeben,  so  dass  das  Gesicht  schräg  nach  oben  schaut.    Der 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  285 

Kopf  selbst,  den  Angaben  nach  antik,  unterscheidet  sich  auf  das  Wesent- 
lichste von  den  von  uns  früher  charakterisirten  unter  sich  zusammenstimmen- 
den Niobidenköpfen  durch  Rundung  des  Gesichtes,  durch  ein  etwas  markir- 
tes  Kinn,  vor  allen  durch  eine  leisere,  weichere  Augenlinie  und  die  fast  lockig 
welligen,  reichen  Haare,  die  das  Gesicht  umgeben. 

In  den  Verzeichnissen  der  Dresdner*  Antikensammlung  wird  sowohl  bei 
Hase1)  als  zuletzt  bei  Hettner2)  „eine  Tochter  der  Niobe"  aufgeführt,  „eine 
kleine  antike  Statue  von  roher  oder  gewöhnlicher  Arbeit,  grössten  Theils  er- 
halten, mit  ergänztem  Kopf  und  Armen,  noch  nirgends  abgebildet".  -  Sie 
stammt  aus  der  Sammlung  Chigi  und  ihre  Grösse  beträgt  3  F.  9  Zoll.  Ich 
war  begierig,  dieselbe,  die  mir  wie  auch  allen,  die  mit  der  Niobegruppe  sich 
beschäftigt,  bei  früheren  Besuchen  der  Sammlung  entgangen  war,  auf  die 
Welcker  zufolge  des  Katalogs  aufmerksam  gemacht  hatte,  zu  sehen.  Im 
Sommer  1861  sah  ich  sie  in  dem  siebenten  Saale  der  Sammlung,  an  der  den 
Fenstern  gegenüberstehenden  Wand  in  einer  Ecke,  wodurch  ihre  Beschau- 
ung erschwert  wird.  Es  musste  sofort  die  Ueberzeugung  sich  aufdringen, 
dass  wir  hier  eine  freiere  Wiederholung  der  als  Anchirrhoe  jetzt  ausgeschie- 
denen florentiner  Statue  vor  uns  haben.  Durch  Hettners  freundliche  Ver- 
mittelung  ward  eine  Zeichnung  angefertigt,  welche  ich  hier  auf  Taf.  XI  ver* 
öffentliche.  Sehen  wir  sie  uns  nun  unter  Berücksichtigung  der  an  Ort  und 
Stelle  gemachten  Bemerkung  näher  an. 

Wir  haben  also  eine  weibliche  Statue  unter  Lebensgrösse  vor  uns,  von 
ziemlich  stumpfer,  oder  vielmehr  dekorativer  Arbeit,  in  welcher  aber  bei  dem 
Mangel  der  Einzelausfuhrung  die  Gesammtmotive  des  Körpers  wie  der  Ge- 
wandung um  so  klarer  hervortreten.  Ergänzt  ist  der  ganze  linke  Arm  mit 
Stück  Schulter  und  Stück  des  hinten  herabhängenden  Gewandes ;  der  Bruch 
geht  schräg,  so  dass  unter  der  Achsel  der  Armansatz  doch  noch  erhalten  ist. 
Der  rechte  gesenkte  Arm  ist  in  seinen  oberen  Theilen  bis  über  dem  Ellen- 
bogen antik  und  nie  getrennt  gewesen.  Ob  ein  Theil  der  Hand  mit  dem 
obersten  Stück  des  gehaltenen  Gewandes  nicht  auch  noch  antik  ist,  ist  mir 
entgangen. 

Es  begegnen  uns  hier  in  der  Motivirung  wesentlich  dieselben  Erschei- 
nungen wie  an  der  Florentiner  Statue,  aber  dabei  im  Einzelnen  nicht  uninteres- 
sante kleine  Abweichungen ;  gleich  die  nackten  Füsse,  der  rechte  vortretend, 
doch  ist  derselbe  bereits  gleichmässiger  aufgesetzt  und  zugleich  höher  hinauf 
bis  an  die  Wadengegend  entblösst,  das  Untergew  and  mit  Diploidion,  ziemlich 
breitem  Gürtel,  an  der  ganzen  rechten  Seite  sich  zeigend,  die  Faltenlagen, 
das  sich  Umbiegen  am  Boden  ist  wesentlich  gleich,  dagegen  ist  die  Achselge- 
gend  nicht   entblösst,   im  Gegentheil  hat  der  Chiton  unmittelbar  sich  an- 


1)  Verz.  d.  alt.  u.  neuen  Bildw.  d.  K.  Antikensamml.  in  Dresden  1S39.  S.  39. 

2)  Bildwerke  d.  K.  Antikensamml.  in  Dresden  1856.  S.  G7.  n.  279. 


286  Zweites  Kapitel. 

schliessende,  den  grösseren  Theil  des  Oberarmes  bedeckende  Aennel.  Die  Lage 
desHimation  ist  wesentlich  gleich,  so  wie  die  Hauptfaltenmassen,  aber  gerade 
hier  tritt  der  Mangel  einer  klaren  Anschauung  des  Künstlers,  z.  B.  über  den  nach 
vorn  überfallenden  Theil  hervor.  Die  rechte  Schulter  ist  etwas  gesenkter 
wie  dort  und  die  Richtung  des  Armes,  das  Fassen  des  Gewandes  genau  be- 
stimmt, von  dem  linken  Arm  ist  nach  der  Achselgegend  eine  über  das  \Vag- 
rechte  hinausgehende  Richtung  indicirt.  Ueber  die  ursprüngliche  Wendung 
des  Kopfes  lässt  sich  nichts  bestimmen,  da  der  Hals  auch  modern  ist.  Und 
doch  wie  verschieden  wird  unwillkürlich  der  Eindruck  des  Ganzen  durch 
die  andere  Wendung  des  Kopfes,  wie  bei  der  üorentiner  Statue !  Dort  ein 
schmerzvolles  Aufsehen,  als  ob  der  Fuss  etwa  in  einen  Dorn  getreten  wäre, 
als  ob  das  schwebende  Gehen  Folge  einer  Verwundung  schon  sei,  hier  bei 
der  Dresdner  Statue  eine  der  Handbewegung  gleichsam  folgende  Wendung 
des  Hauptes  mehr  nach  Links,  ein  erschrecktes  Abweisen  einer  drohenden 
Gefahr. 

Wesentlich  dieselbe  Composition  finden  wir  nun  mit  verschiedenartigen 
Ergänzungen  und  unter  verschiedenen  Namen  mehrerer  Exemplare  wieder 
und  in  dem  einen  zugleich  noch  versehen  mit  einem  antiken  Namen  auf  der 
Plinthos.  Martin  Wagner  führte  bereits  eine  Statue  aus  Villa  d'Este  bei 
Tivoli,  jetzt  in  der  Sammlung  Blundell  in  England1),  dann  die  Statue  aus 
dem  Garten  von  Versailles,  jetzt  im  Louvre*),  dann  eine  dritte  in  Stockholm8), 
aus  Rom  dahin  gekommen,  eine  vierte  in  der  Sammlung  der  Familie  von  Hum- 
boldtin Tegel4),  dann  noch  drei  in  Villa  Albani5),  je  eine  im  Palast  Altieri 
und  Colonna6)  zu  Rom  an.  Wir  können  nun  noch  zwei  freiere  Wiederholungen, 
eine  Statue  zu  Rom  der  Sammlung  Marconi7)  und  eine  im  Vatikan8)  hinzu- 
fügen; überall  dieselbe  Bewegung  schräg  vor  mit  vorgesetztem  rechten 
Fuss,  mit  Ausnahme  der  Statue  der  Sammlung  Marconi,  in  welcher  der  linke 
Fuss  vorschreitend  gebildet  ist.  Ueberall  gänzliche  Nacktheit  der  Füsse  und 
grössere  Entblössung  des  vorgesetzten  Fusses.  In  der  Grundlage  des  rechten 
Fusses  ist  mehrfache  Variation,  je  nachdem  der  Boden  mehr  abschüssig  oder 
eben  gebildet  ist;  auffallend  ist  die  Unterlage  einer  Kugel  an  der  Statue  des 
Louvre,  deren  Aechtheit  wohl  noch  genauer  zu  untersuchen  wäre,  um  so 


1)  Zuerst  besprochen  von  Visconti  im  Mus.  Pio  Clement.  III.  p.  56.  Annot.  d;  p.  73. 
n.  9  und  abgebildet  tav.  A,  dann  bei  Clarac  pl.  750.  n.  1828.  Grösse  5  P.  6  Zoll. 

2)  Mus.  Napol.  II.  pl.  42,  Clarac  pl.  324.  N.  1834.  Grösse  1,63  M.  =  5  F.  1  Z.  5  L. 

3)  Guattani  Mon.ined.  1784.  t.3 ;  Mus.  reg.  Suec.  1794  unter  dem  Namen  Erato;  Mül- 
ler-Wieseler  D.  A.  K.  II.  T.  59.  n.  746. 

4)  G.F.Waagen  Schloss  Tegel  u.  seine  Kunstwerke.   Berlin,  1859.  S.  10.    Unter  Le- 
bensgrösse,  höchst  zierliche  Statue  von  guter  Arbeit,  gefunden  vor  Ponte  Molle  bei  Rom. 

5)  Gal.  Giustin  I.  t.  149,  Visconti  a.  a.  O.  p.  56.  Ann.  d. 

6)  Angeführt  von  M.  Wagner  im  Kunstbl.  1830.  S.  213. 

7)  Clarac  pl.  689.  n.  1620.  Grösse  9  P.  8  Z. 

8)  Clarac  pl.  697.  n.  1644.   Grösse  5  P.  11  Z. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  287 

mehr,  da  die  Statue  früher  zur  Fortuna  ergänzt  war.  Gemeinsam  ist  ferner 
der  lang  herabreichende  Chiton  mit  Diploidion  und  breiterem  Gürtel.  In  Be- 
zug auf  Aermel  und  Aermellosigkeit  ist,  soweit  mir  darüber  Abbildungen  oder 
Notizen  vorliegen  die  letztere,  die  vorherrschende,  aber  die  Stockholmer  Statue 
und  die  Statue  Marconi  haben  wie  die  eben  beschriebene  Dresdner  den  Oberarm 
deckende  Aermel.  Die  Lage  des  Obergewandes  mit  dem  Offenlassen  der  linken 
Seite,  dem  reichabgestuften  Herabhängen  der  beiden  Zipfel  auf  dieser  Seite, 
mit  der  hier  gelassenen  Bewegung  des  rechten  Armes  und  endlich  dem  von 
der  rechten  Hand  aufgenommenen  Bausch  über  dem  rechten  Oberschenkel 
kehrt  überall  wieder.  Nur  bei  der  sogenannten  Bacchante  im  Vatikan  wird 
man  durch  die  Zeichnung  nicht  recht  klar,  ob  das  Diploidion  von  der  rech- 
ten Hand  gefasst  sei  oder  ein  weitgezogenes  Himation,  dagegen  aber  sicher, 
dass  das  letztere  nicht  fehlt,  sondern  an  der  linken  Seite  auf  dem  Kücken 
herabhängt.  Die  Bewegung  der  Arme  ist  überall,  soweit  die  antiken  Theile 
in  Betracht  kommen,  dieselbe,  Senkung  und  leichtes  sich  Anschmiegen  des 
rechten  Armes  an  den  Körper,  wagrechte  oder  noch  etwas  gesteigerte  He- 
bung des  linken  Armes.  Die  Handbewegung  selbst  ist  uns  nirgends  mehr 
erhalten,  eben  so  wenig  wie  das  gehaltene  Attribut;  je  nach  den  verschiede- 
nen Deutungen  begegnen  uns  daher  sehr  verschiedene  Auffassungen,  bei 
jenen  zwei  Niobiden  das  Emporstrecken  der  flachen  Hand,  bei  dem  Exem- 
plar der  Sammlung  Blundell  ein  hochgehaltenes  lekythosartiges  Gefass,  in 
Stockholm  sogar  ein  Heben  eines  Gewandzipfels,  sonst  wohl  ein  einfaches 
Zurückbiegen  des  Unterarmes.  Eine  unbefangene  Betrachtung  der  wirklich 
antiken  Theile  weist  fast  mit  Notwendigkeit  darauf  hin,  dass  auf  dem  reich 
gehäuften  Polster  gleichsam  des  faltig  aufliegenden  Himations  der  linken 
Schulter  sich  ein  Gegenstand  befunden  habe.  Die  Statue  des  Louvre  hat 
nun  hier  eine  Amphora  oder  Hydria,  die  schwerlich  antik  sein  wird,  aber  es 
werden  doch  wohl  Spuren  des  Aufliegens  in  der  antiken  Schulter  sich  befun- 
den haben. 

Nun  aber  weist  schon  die  durchgehende  Nacktheit  der  Füsse  auf  Wesen 
hin,  die  zum  Wasserleben  in  naher  Beziehung  stehen,  etwa  auch  auf  Darstellung 
bakchischer  Ekstase,  jedoch  der  letzteren  widerspricht  die  durchaus  züchtige 
und  wohlgeordnete  Bekleidung  des  Körpers.  Diese  Beziehung  zum  Wasser 
wird  aber  in  dem  etwas  vorsichtig  gleitenden  Gang,  wie  auf  schlüpfrigem  Bo- 
den, in  dem  Hinaufziehen  des  unteren  Gewandes  vom  vorschreitenden  Fuss, 
in  dem  zierlichen  Hinaufnehmen  des  Saumes  vom  Obergewand  noch  viel 
stärker  betont,  noch  mehr  entwickelt.  Gerade  dieses  letzte  Motiv  aber,  wel- 
ches den  Charakter  des  Zierlichen  und  Weiblichen  *)  mit  anderen  verwandten 


1)  Das  Tanzmotiv  des  Gewandfassens  gehört  wesentlich  der  linken  Hand  oder  beiden, 
vgl.  die  Beispiele  unter  den  Terracotten  vor  allen  z.  lt.  in  der  Karlsruher  Sammlung  bei 
W.Fröhner  griech.  Vasen  u.  Terracotten  n.  437 — 147  und  die  Citat.  auf  S.  85.  Note  3.  Die 


288  Zweites  Kapitel. 

Motiven  des  Gewandfassens  theilt,  kelirt  wieder  bei  entschieden  dem  Wasser- 
lebcn  angehörigen  Gestalten,  so  bei  der  sogenannten  Thetis  mit  entblösstem 
Oberkörper  aus  Villa  Borgliese  im  Louvre1),  so  bei  einer  auf  Urne  und  Stamm 
mit  dem  linken  Arm  sich  stützenden,  an  der  linken  Brust  entblössten  Statue 
der  Sammlung  Torlonia2).  Wir  werden  daher  auch  in  Beziehung  auf  die  Ge- 
wandung auf  die  Bestimmung  als  Nymphen  geführt,  deren  züchtige  Doppei- 
bek leidung  uns  z.  B.  in  dem  bekannten  Felsrelief  des  Adamas  auf  Paros3) 
begegnet.  Und  damit  stimmt  dann  trefflich  jene  Bereitimg  gleichsam  der  lin- 
ken Schulter  zur  Aufnahme  eines  Gefasses.  Diese  Auffassung  ist  nun  durch 
die  antike  spätrömischc  Inschrift  der  Statue  in  der  Sammlung  Blundell 
ANCHYKRHOE  ausser  Zweifel  gesetzt,  einals^y^cpoiy  in  sich  verständlicher, 
zugleich  für  die  Stammmutter  der  Danaiden,  für  die  Tochter  des  Neilos,  des 
speeifischen  Flusses  hinlänglich  charakteristischer  Name4).  Und  eine  An- 
chirrhoe  mit  einer  Hydria  als  (po^fia,  als  getragenem  Gegenstand  nennt  aus- 
drücklich Puusanias  im  Relief  an  dem  heiligen  Tisch  im  Tempel  der  Demeter 
und  Kora  zu  Megalopolis  5) . 

Die  weitere  Frage  wäre  nun  die,  ist  dieselbe  Darstellung  auch  für  eine 
Muse,  speciell  für  Erato  verwendet  worden,  wofür  z.  B.  die  Stockholmer  Sta- 
tue immer  gehalten  wird  ?  Es  liegt  scheinbar  nahe  genug  dabei,  sofort  an  die 
ursprüngliche  Verwandtschaft,  ja  vielleicht  Identität  von  Nymphen  und  Mu- 
sen, an  jenem  bekannten  Sprachgebrauch  in  Lydien  Musen  für  Nymphen  zu 
erinnern.  Aber  hüten  wir  uns  wohl,  irgend  verdunkelte  Grundanschauungen 
oder  vereinzelten  Sprachgebrauch  der  historischen  Zeit  auf  die  so  bestimmt 
und  fein  entwickelte  Charakteristik  der  bildenden  Kunst  der  jüngeren  Zeit 
anzuwenden.  Wir  müssen  vielmehr  erklären,  wir  halten  diese  unmittelbare 
Uebertragung  eines  das  Wasserleben  bezeichnenden  Nymphenmotivs  auf 
Musen  für  sehr  unwahrscheinlich.  Man  sehe  sich  nur  unter  der  grossen  Zahl 
der  Musenstatuen  um,  ob  hier  nicht  die  Beschuhung  geradezu  Regel  ist,  ob 
nicht  die  einzelnen  Beispiele  des  Mangels  davon  durchaus  zweifelhaft  in  ihrer 
Musenbenennung  sind,  ob  den  Musen  dieser  schüchterne ,  gleitende  Gang, 
dieses  Aufnehmen  des  Gewandes  sonst  zukommt.  Doch  ein  Beispiel  ist  doch 
wohl  schlagend  für  diese  Verwendung  unseres  Motivs  für  eine  Muse  und  zwar 
für  Erato,  jene  herabtanzende  Muse  der  Apotheose  Homers6)  !    Gewiss  bietet 

linke  Hand  hebt  auch  den  Gewandzipfel  aber  hoch  empor,  zugleich  auf  das  MaaHS  in  den 
senkrechten  Unterarm  hinweisend  in  der  Statue  des  Nemesis  (Clarac  pl.  770  o.  n.  1S02^.). 

1)  Clarac  pl.  336.  n.  1803. 

2)  Clarac  pl.  752.  n.  1831. 

3)  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  II.  t.  LXIII.  n.  814.  ■ 

4)  Vgl.  über  denselben  Visconti  mus.  Pio  Clem.  111,  p.  73. 

5)  Paus.  VIII.  31.  2:   '4yxiQ6rtg  (var.  lect.  liQxiQorjg)  <f2  xai  MvQtwfoaqq  ela)v  vdgfai 
ra  (fOQrjfiara  xal  vdtoQ  firj&ev  «7r'  avTtfiv  xttrsiaiv. 

7)  Vgl.  Arth.  Kortegarn'de  tabula  Archelai  Bonn  1S62.  p.  19.  Die  Gestalt  allein  bei 
Clarac  pl.  534.  n.  I0SI. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  289 

diese  Figur,  die  von^den  Höhen  des  Musenberges  in  bakchischer  Begeiste- 
rung} im  Tanzschritt  hei  abeilt,  an  welcher  der  nach  hinten  hochflatternde 
Gewandzipfel  und  auch  der  sehr  steil  in  die  Höhe  gehobene  linke  Arm  zu 
einer  Ergänzung  der  ganzen  Ecke  der  Marmortafel  zu  gehören  scheinen,  Ana- 
logieen  mit  den  bisher  von  uns  betrachteten,  denn  die  Füsse  scheinen  nackt 
zu  sein,  was  übrigens  erst  näher  noch  am  Original  zu  constatiren  wäre ;  die  der 
anderen  Musen  wenigstens  haben  Sandalen  oder  Schuhbekleidung.  Das  Motiv 
des  Fassens  des  Obergewandes  mit  dem  rechten  Arme  ist  auch  hier  charakteri- 
stisch, aber  in  welch  verschiedener  Gesammtbewegung !  In  einem  weiten 
Sprung  abwärts  ist  das  rechte  Bein  gehoben  und  der  rechte  Fuss  schwebt  noch 
über  dem  Boden,  berührt  ihn  gar  nicht ;  er  ist  aber  gerade  nur  so  viel  ent- 
blösst,  als  dies  natürlich  beim  Heben  dea  Beines  und  bei  dem  Zwecke  ihn 
tanzend  wieder  auf  den  Boden  zu  setzen  erfordert  wird f) ;  die  rechte  Hand 
reicht  daher  zum  Obergewand  bis  an  das  Knie  hinab  und  dieses  breitet  sich 
überhaupt  mit  seinem  Flügel  bis  hinab  zu  dem  linken  Fusse  aus.  Die  rechte 
Schulter  ist  ganz  entblösst,  das  Obergewand  bis  in  die  EHenbogongegend 
herabgesunken;  das  Haupt  gleich  dem  der  sogenannten  Psyche  nach  die- 
ser Seite  sehr  gesenkt.  Wir  haben  es  hier  mit  einer  Muse  des  bakchi 
sehen  Lebens,  mit  Thalia,  wie  auch  jetzt  allgemein  anerkannt  ist,  nicht 
Erato  zu  thun ;  aus  dieser  bakchischen  Natur  haben  wir  dann  auch  die  blos- 
sen Füsse  zu  erklären.  Aber  kein  aufmerksamer  Beschauer  kann  wie  die 
einzelnen,  bezeichnenden  Unterschiede  in  der  Motivirung,  so  den  Unter- 
schied des  Gesammtcharakters ,  dort  ein  ängstliches,  zartes,  von  einer  Last 
leicht  gedrücktes,  prüfendes  Vorschreiten,  hier  einen  gewaltigen  Sprung  von 
den  Berghöhen  herab  verkennen. 

Nun  aber  zurück  zu  dem  Ausgangspunkte  unserer  Betrachtung.  Sind  wir 
veranlasst  und  berechtigt  zwei  in  dieser  ganzen  Reihe  der  in  allen  wesent- 
lichen Punkten  übereinstimmenden  Statuen,  die  als  Nymphen  sonst  erwiesen 
sind,  als  Niobiden  in  Anspruch  zu  nehmen?  Gewiss  nicht,  so  wenig  wir  auch 
leugnen,  dass  wir  hier  wie  dort  einzelne  gleiche  Motive  rinden  können.  Bis 
jetzt  sind  wir  unter  den  anerkannten  und  auch  den  bestrittenen  Niobiden  nur 
solchen  mit  einer  Fussbekleidung  begegnet.  Dass  es  durchaus  unzulässig 
sei,  auch  Niobetöchteru  mit  blossen  Füssen  unter  Statuen  zu  begegnen,  wie 
solche  uns  in  andern  Denkmälergattungen  nicht  entgangen  sind,  werden  wir 
nicht  behaupten,  aber  wohl,  dass  wir  darin  eine  Modification  der  Gesammt- 
bildung  der  Niobiden  sehen,  die  schwerlich  in  Einer  Breihe  mit  jenen  andern 
Bildungen  und  von  Einer  reproducirenden  Hand  sich  befand,  dass  ferner  diese 
Modification  überhaupt  mit  einer  stärkern  Entblössung  des  Körpers,  beson- 


1 )  Man  vergleiche  auch  die  das  Knie  hebende,  mit  der  Hand  herabreichende  Gestalt 
auf  dem  Marmorrelief  in  München  bei  Lützow  Münchn.  Antik.  Taf.  9. 

Stark,  Niobe.  19 


290  Zweites  Kapitel. 

ders  von  Schulter  und  Brust  zusammenhängt  und  den  Gestalten  einen  mehr 
bakchischen  oder  aphrodisischen  Charakter  verleiht.  Nun  aber  ist  gerade 
züchtigste  Verhüllung  nach  oben  mit  jener  absichtlichen  Entblössung  der 
Füsse  verbunden,  wie  sie  ihre  vollste  Erklärung  im  Wesen  der  Quellnymphen 
findet.  Das  aber  kann  liier  auf  die  Niobiden  nach  jenen  literarischen  Zeug- 
nissen, wie  den  bildlichen  durchaus  nicht  ohne  Weiteres  übertragen  werden. 
Dazu  kommt,  dass  dieser  zarte,  weiche,  zierlich  ängstliche  Gang  jener  Nym- 
phen mit  den  entsprechenden  Gewandmotiven  durchaus  nicht  dem  gewaltigen, 
wenn  auch  erlahmenden  Ausschreiten,  dem  Schwünge  der  Gewänder  der  sichern 
Niobidenstatuen  entspricht,  dass  wir  vor  allem  das  ängstliche  Schauen  und 
Erschrecken  in  einer  ganz  anders  energischen  und  wieder  schwungvollen 
Weise  auf  Niobidendenkmälern  ausgeprägt  finden.  So  haben  wir  ausserdem 
durch  die  Thatsachen  der  erst  späteren  Einfügung  und  des  Stiles,  wie  der 
Grösse  noch  unterstützt  mit  voller  Sicherheit  jene  Statue  in  Florenz  wie  in 
Dresden  aus  der  Niobidenreihe  auszuschliessen ,  sie  aber  als  ein  schönes, 
glückliches,  sehr  bekanntes  und  beliebtes  Motiv  einer  Nymphe,  speciell  An- 
chirrhoe  zu  beanspruchen,  zu  dem  wir  nicht  abgeneigt  sind  mit  Visconti  das 
Original  unter  den  Danaiden  in  der  Säulenhalle  des  palatinischen  Apollohei- 
ligthums  aufzusuchen. 

d.  Die  Berliner  Niobide. 

Unter  den  Berliner  Antiken  erregt  eine  im  Götter-  und  Heroensaal  be- 
findliche, aus  der  Baireuther  Sammlung  stammende,  wenig  über  Lebens- 
grösse  hervorragende  weibliche  Statue  durch  den  Ausdruck  tragischer  Be- 
wegung, wie  auch  durch  vorzügliche  Ausführung  in  griechischem  Marmor 
ein  besonderes  Interesse.  Als  Tochter  der  Niobe  von  Levezow  bezeichnet, 
zu  einer  der  florentinischen  ähnlichen  Gruppe  gerechnet1),  ebenso  in  den 
Verzeichnissen  vonTieck  und  Gerhard  genannt,  ward  sie  doch  erst  im  J.  1S44 
von  Gerhard  in  der  archäologischen  Zeitung2)  abgebildet  und  eingehender 
besprochen,  was  sie  so  sehr  verdient,  vor  allen  auch  in  ihrer  Stellung  zu  der 
Niobklengruppe  gewürdigt.  Welcker8)  nahm  sie  mit  Gerhard  übereinstim- 
mend nun  in  seine  Restauration  der  Giebelgruppe  auf  und  stellte  sie  unmit- 
telbar neben  die  Mutter,  indem  er  in  ihr  und  der  darauf  bei  ihm  folgenden, 
das  Gewand  hebenden  Gestalt  den  vollen  Gegensatz  unerschütterter,  alle 
Kraft  aufbietender  Grossheit  und  der  den  Muth  sinken  lassenden  Bestürzung 
fand.   Seitdem  haben  sich  Stahr4)  und  Friederichs5)  in  selbstständiger  Weise 


1)  In  Böttigers  Amalthea  II.  8.  366. 

2)  Jahrg.  1844.  Taf.  XIX. 

3)  A.  D.  I.  S.  281—283. 

4)  Torso  1.  S.  380.  381. 

5)  Praxiteles  und  die  Niobegruppe  S.  75.  76. 


i 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  291 

über  diese  Statue  ausgesprochen,  beide  zugleich  von  dem  Bildhauer  Wredow 
angeregt  oder  bestärkt ;  jener  fasst  sie  mit  Wredow  als  tragische  Amme  und 
zu  den  Niobiden  gehörig  auf,  dieser  spricht  nur  das  Eine  mit  Bestimmtheit 
aus,  dass  sie  keine  Tochter  der  Niobe  sei  und  macht  treffend  auf  eine  wesent- 
liche Wiederholung  der  Statue  im  Museo  Borbonico1)  aufmerksam.  Wir 
können  noch  eine  dritte  Statue  als  wesentlich  übereinstimmend  nachweisen, 
die  sogenannte  Ilekabc  oder  Zauberin  im  capitolinischen  Museum2;,  welche 
Martin  Wagner  ohne  diese  Uebereinstimmung  zu  ahnen,  als  Amme  in  seine 
Niobegruppe  aufnehmen  wollte.  Betrachten  wir  sie  alle  drei  nebeneinander 
in  ihren  gemeinsamen  und  abweichenden  Zügen  und  in  der  fraglichen  Ein- 
reihung unter  die  Niobiden,  als  Tochter  oder  Amme. 

Die  Grösse  der  Berliner  Statue:  5  F.  9  Zoll;  ob  preuss.  Maass? 
der  Neapolitaner :  5  Par.  F.  5  Zoll, 
der  Capitolinischen :  5  Palm.  8  Zoll. 

Material  bei  allen  drei  griechischer  Marmor;  bei  der  dritten  wird  speciell  pen- 
telischer  angegeben.  Die  Arbeit  der  dritten  ist  entschieden  am  wenigsten  zu  loben, 
ein  Vergleich  der  zwei  andern  ist  vor  den  Originalen  oder  den  Gipsabgüssen  erst  an- 
zustellen. 

Ergänzungen:  an  der  Berliner  neu  Hals,  Nase,  Hinterkopf,  die  beiden  Unter- 
arme, Theile  am  Oewand. 

An  der  Neapolitaner  neu  der  Hals,  der  ganze  linke  Arm  von  der  Schulter  an,  der 
grössere  Theil  des  rechten  vom  Aufhören  des  kurzen  Aermels  an,  Theile  des  Gewan- 
des, Theile  des  linken  Fusses ;  Kopf  ganz  überarbeitet. 

An  der  Capitolinischen  neu  Kopf  mit  Hals,  rechter  Unterarm,  vier  Finger  der  lin- 
ken Hand,  rechter  Fuss ;  in  die  Gewandfalten  Stücke  eingesetzt. 

Eine  weibliche  ältere  Gestalt  in  einem  zu  den  Füssen  herabreichenden, 
einfachen  Chiton  und  dem  in  bestimmter  Weise  umgeworfenen  Obergewand 
tritt  mit  den  Zeichen  fragenden  Erstaunens  und  abweisender  Entschieden- 
heit aus  einer  fest  eingenommenen  Position  einen  Schritt  zurück.  Die  rechte 
Seite  des  Körpers  zieht  sich  dabei  enger  zusammen,  die  rechte  Schulter  wird 
gesenkt,  die  rechte  Hüfte  biegt  sich  etwas  auswärts,  das  Auftreten  des  rech- 
ten Fusses  ist  ein  festes,  im  Boden  gleichsam  wurzelndes,  während  der  linke 
Fuss  sich  mehr  auf  die  Spitze  hebt,  die  ganze  linke  Seite,  besonders  die 
Schulter,  sich  mehr  hoch  zieht  und  einen  freien  Spielraum  gewinnt.  Bei  den 
zwei  erstgenannten  Exemplaren  ist  auch  der  rechte  Fuss  entschieden  seit- 
wärts zurückgezogen,  bei  dem  capitolinischen  tritt  er  in  gleicher  Linie  seit- 
wärts und  auswärts.  Bezeichnend  ist  die  Fussbekleidung :  bei  jenen  sind  es 
Sandalen  von  auffallender  Stärke  der  Sohlen,  bei  dieser  Lederschuhe.    Die 


1)  Clarac  pl.  590.  n.  1276. 

2)  Mus.  Capitol.  t.  III.  pl.  62  j  Clarac  pl.  780.  n.  1947,  dazu  Winkelmann  Mon.  ined. 
tratt.  prelim.  p.  XL  VI;  Guattani  Memor.  178S;  It.  Rochette  Mon.  ined.  p.  312;  Welcker 
A.D.  1.  S.  251  f.  Anm.  32;  Rhein.  Mus.  f.  Phil.  N.F.  IX.  S.  278 f.  j  Gerhard  in  Beschreib. 
Roms  III.  1.  S.  237.  n.  29. 

19» 


\ 


292  Zweites  Kapitel. 

Motivirung  der  Arme  ist  bei  allen  drei  wesentlich  gleich :  beide  Arme  sind 
gesenkt,  aber  der  linke  wendet  sich  zunächst  schräg  vom  Körper  ab,  um  dann 
in  etwas  mehr  als  rechtem  Winkel  sich  ihm  wieder  zu  nähern  und  nahe  dem 
Beginn  des  linken  Oberschenkels  den  Wulst  des  vorn  um  den  Leib  geschla- 
genen Obergewandes  zu  fassen,  der  rechte  hingegen  senkt  sich  gleichmässig 
wenig  seitwärts  vom  Körper  mit  einem  wohl  richtig  ergänzten,  sprechend  ab- 
weisenden Gestus.  Der  Unterarm  der  sogenannten  Hekabe  ist  mit  einem 
Schwertgriff  in  der  Hand  fast  horizontal  gehoben,  wrozu  durchaus  kein  An- 
lass  vorlag.  Der  Kopf  folgt  naturgemäss  der  Gesammtbewegung  des  Kör- 
pers in  einer  Drehung  nach  Links  und  zugleich  aufwärts.  Bei  dem  Zustand 
der  Ergänzung  in  Hals  und  Kopf  sind  die  Nüancirungen  nicht  zu  beachten  ; 
entschieden  ist  der  Kopf  der  dritten  Statue  zu  stark  gewendet  und  auf  eine 
Seite  gesenkt. 

Was  die  Gewandung  und  die  Körperbildung  betrifft,  so  stimmen  die  bei- 
den ersten  Statuen  fast  genau  überein,  bei  der  dritten  treten  bei  der  Gleich- 
heit im  Ganzen  bezeichnende  Unterschiede  hervor.  Der  Chiton  von  feinem 
Wollenstoff  fällt  ruhig,  aber  faltig  auf  die  Füsse  herab,  unter  der  Brust  ist  er 
bei  allen  drei  mit  einem  Bande,  vorn  durch  eine  Schleife  zusammengehalten. 
Die  Brust  ist  an  der  Berliner  Statue  auffallend  flach  und  trocken  gebildet. 
Der  Chiton  legt  sich  ihr  einfach  an  und  zieht  sich  über  die  Schultern  als  ein 
schmaler  Streifen  hin ;  aus  der  Armöflhung  treten  mit  Knöpfen  besetzte,  fein- 
faltige,  aber  anschliessende  Aermel  hervor ,  den  Oberarm  zu  decken.  Die- 
selbe Bildung  findet  sich  bei  der  Neapolitaner  Statue,  doch  sind  die  Falten 
über  der  Brust  reicher.  Bei  der  sog.  Hekabe  hängt  aber  der  Chiton  bauschig 
von  der  mehr  dürren  knochigen  Brust  ab.  Auch  bei  ihr  treten  Aermel  unter  dem 
Chiton  hervor,  weiter  als  die  des  anderen  und,  wenn  der  linke  Arm  wirklich 
antik  ist,  bis  zum  Handgelenk  reichend.  Das  Obergewand  hängt  mit  dem 
einen  Endzipfel  von  hinten  nach  vorn  über  der  linken  Schulter  in  breiten 
Falten  herab,  senkt  sich  dann  schräg  über  den  Rücken  und  unter  den  rechten 
Arm  hin,  von  der  Hüfte  etwas  gehalten  spannt  es  sich  dann  weit  über  die 
Vorderseite  der  Gestalt.  Charakteristisch  ist  dabei  die  schräg  sich  senkende 
untere  Linie  des  Gewandes  und  der  stark  gedrehte  Wulst  des  um  den  Leib 
sich  ziehenden  oberen  umgeschlagenen  Randes,  welcher  über  der  linken 
Hüfte  von  der  linken  Hand  gehalten  wird,  um  sich  in  Falten  dann  wieder  zu 
senken.  Dazu  kommt  noch  wenigstens  entschieden  bei  den  zwei  ersten  Sta- 
tuen ein  kleiner  runder  Wulst  unter  dem  rechten  Arm,  sichtlich  entstanden 
durch  ein  Heraufnehmen  und  Unterstecken  des  Gewandes.  Bei  der  dritten 
Statue  giebt  die  Abbildung  darüber  keinen  bestimmten  Aufschluss,  ein  Bausch 
ist  jedenfalls  auch  sichtbar. 

Die  nähere  Bezeichnung  der  Kopfbildung  ist  kaum  zu  geben.  Für  die 
sog.  Hekabe  kann  derselbe  mit  seinem  Kopftuche  und  den  heftig  erregten 
Zügen  gar  nichts  beweisen,  da  er  ganz  modern  ist.     Und  wir  sahen  oben, 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  293 

wie  sehr  die  zwei  andern  Köpfe  durch  Restauration  und  Ueberarbeitung  ge- 
litten haben,  allerdings  erscheinen  die  beiden  Köpfe  unter  sich  als  ähnlich  in 
der  Form  des  Gesichtes,  im  Schnitt  der  Augen,  in  dem  von  einem  Band  ge- 
haltenen, gewellten  Haar,  jedoch  fallen  bei  der  Berliner  Statue  zwei  Locken 
rechts  und  links  noch  auf  die  Schulter  herab,  wovon  die  Neapolitaner  nichts 
zeigt.  Der  Mangel  aller  Jugendlichkeit  zeigt  sich  stark  in  der  harten,  grossen 
Linie  der  Kinnbacken  und  der  Wangen.  Ganz  abweichend  von  aller  Nio- 
bidenbildung,  ja  abweichend  von  rein  griechischer  Bildung  ist  die  Augen- 
linie, die  etwas  langgezogenen  Augen  und  die  Bildung  der  Stirn. 

Ueberschauen  wir  noch  einmal  die  ganze  Gestalt  in  allen  drei  Statuen, 
so  ist  unverkennbar  ein  Moment  aus  einem  tragischen  Vorgang,  der  Rück- 
schlag derselben  auf  eine  dabei  mittelbar  betheiligte  Persönlichkeit  darge- 
stellt: ein  Zurücktreten  in  unwilligem  Staunen,  ein  Ansichhalten  und  sich 
Zusammenfassen,  ein  fragendes  Hinausblicken  und  doch  sich  Zurückziehen. 
Das  Gewandmotiv  prägt  dies  neben  der  Körperlbewegung  in  deutlichster  und 
zugleich  grossartiger  Weise  aus.  Was  ist  das  aber  für  eine  Persönlichkeit, 
in  der  [diese  Bewegung  hervortritt?  Dem  Alter  nach  Matrone,  der  Körper- 
bildung nach  aber  nicht  mütterlich,  sondern  vielmehr  heib  in  sich  zusammen- 
gezogen, wie  es  der  älteren  Jungftaunbildung  etwa  entspricht.  Eine  fremde 
nationale  Bildung  spricht  sich  leise  in  den  beiden  ersten  Statuen,  stärker 
und  zugleich  in  höherem  Alter  in  der  dritten  Statue  aus.  Was  dort  in  der 
Bekleidung,  z.  B.  den  starken  Sandalen,  vielleicht  auch  in  der  schweren, 
nicht  eben  edeln,  mehr  kräftigen  und  handfesten  Motivirung  des  Oberge- 
wandes, in  den  nicht  ganz  griechischen  Gesichtezügen  mehr  angedeutet  ist, 
ist  durchaus  greller  und  auffallender  in  der  sog.  Hekabe  ausgesprochen. 

Nach  alledem  muss  ich  es  als  eine  Unmöglichkeit  bezeichnen,  in  dieser 
Bildung  eine  Tochter  der  Niobe  überhaupt  und  speciell  ein  Glied  in  der 
Reihe  der  sichern  Niobetöchter  Einer  Gruppe  zu  sehen.  Wenn  Gerhard  und 
Welcker  dieselbe  mit  der  von  uns  unter  a  betrachteten,  das  Gewand  heben- 
den Gestalt  unmittelbar  zusammenstellen,  so  hat  sie  allerdings  einerseits  ein 
richtiges  Gefühl  geleitet  einer  gewissen  Uebereinstimmung  zwischen  beiden, 
die  entschieden  dem  Charakter  einer  Trophos  sich  nähern,  dagegen  von  dem 
einer  Tochter  und  unmittelbar  vom  Tode  Bedrohten  sich  entfernen,  anderer- 
seits aber  muss  jedem,  der  unbefangen  die  Anordnung  überblickt,  der  unan- 
genehme Contrast  bei  dieser  Aehnlichkeit  in  die  Augen  springen,  zwischen 
erstauntem  Ansichhalten  hier  und  dort  hingebender,  gleichsam  noch  suchen- 
der Fürsorge.  Wir  haben  oben  die  Gruppirung  der  einen  Statue  mit  einem 
Niobiden  genauer  nachweisen  können  und  zugleich  auf  die  Wahrscheinlich- 
keit ihrer  Einordnung  in  eine  grosse  Gruppe  und  zwar  als  Abschluss  einer 
Seite  aufmerksam  gemacht.  Der  Nachweis,  den  wir  hier  geliefert  über  diese 
Statue  und  die  nachweisbare  Steigerung  zu  einem  mehr  ungriechischen,  älte- 
ren und  Wärterinnencharakter,  lässt  uns  für  jene  die  Bezeichnung  als  Trophos 


294  ^  Zweites  Kapitel. 

sehr  wahrscheinlich  erscheinen.  Erst  die  spätere  plastische  Kunst,  welche 
in  der  pergameuischen  Schule  besonders  fremde,  vor  allem  nordische  Natio- 
nalitäten scharf  und  individuell  darstellte ,  hat  auch  in  die  heroische  Welt 
jene  charakteristisch  häuslichen  und  barbarischen  Gestalten  von  Ammen  und 
Pädagogen  eingeführt,  so  wie  sie  z.  B.  die  Amazonen  aus  ihrer  Idealität  ganz 
in  keltische,  germanische,  skythische  Weiber  umsetzt.  Sind  wir  aber  für  jene 
Statue  sehr  geneigt,  sie  in  die  Niobegruppe  aufzunehmen,  um  so  weniger  ist 
dann  Platz  für  diese,  die  in  der  physischen  Grundlage  und  gesellschaftlichen 
Stellung  nur  eine  Rcpetition  wäre  und  doch  nicht  die  geringste  Beziehung 
zu  den  bedrohten  und  zu  schützenden  Pfleglingen  zeigt. 

Was  sie  nun  aber  in  Wahrheit  ist,  in  welchen  tragischen  Conflikt  wir 
sie  zu  setzen  haben,  ist  eine  Frage,  die  uns  zunächst  nicht  weiter  berührt.  Der 
Spielraum  ist  hier  ein  nicht  unbedeutender.  An  eine  Medea  zu  denken,  wie 
dies  von  Gerhard  als  Vcrmuthung  im  Katalog  ausgesprochen  ist,  werden  wir 
im  Hinblick  auf  die  uns  erhalfenen  Medeendarstcllungen,  vor  allem  das  treff- 
liche Relief  im  Hofe  des  Palazzo  di'  Malta  schwerlich  im  Ernste  veranlasst ; 
auch  würde  aus  dem  ganzen  Medeamythus  schwer  eine  hierauf  ganz  passende 
Situation  zu  finden  sein.  Eher  erinnert  sie  mich  an  die  Elektia  oder  Merope 
der  schönen  Gruppe  in  der  Villa  »Ludovisi,  an  der  auch  jener  hervorgezogene 
Gewandzipfel  über  dem  Ann  uns  begegnet.  Welcker  kann  sich  die  capito- 
linische  Statue  nicht  als  eine  Hekabe,  eher  als  eine  klagende  Barbarenfürstin 
denken,  jedoch  Wehklage  ist  durchaus  nicht  der  Charakter  dieser  Position 
und  Armbewegung  und  ein  nationaler  nordischer  Zug  ist  auch  in  dieser 
Statue  nicht  stark  ausgesprochen ;  wenn  wir  auch  gern  eine  Verwendung  eines 
gegebenen  tragischen  Motivs  auf  eine  Barbarenfürstin  annehmen  wollten,  im- 
mer wäre  dies  doch  erst  in  einem  tragischen  Mythus  nachzuweisen.  Ich  ge- 
stehe, dass  mir  der  Name  Hekabe  auch  durchaus  nicht  unpassend  auf  jene 
zwei  andern  Statuen  angewendet  werden  zu  können  scheint,  doch  verzichte 
ich  bis  jetzt  auf  jede  bestimmte  Deutung. 

H.  Heftig  bewegte  und  gebeugte  Niobetöchter. 

<i.  Kleine  Tochter  der  Niobe  im  Louvre.    Die  Smy maische  Marmor- 
figur. 

Bis  jetzt  waren  es  durchaus  weibliche  Gestalten  von  wesentlich  ruhiger 
Stellung  oder  doch  nur  massiger  Bewegung,  die  man  zu  der  Zahl  der  Niobi- 
den  zählte.  Es  liegt  durchaus  in  dem  Mythus  selbst,  in  der  Erscheinung  der 
anerkannten  Niobetöchter  wie  in  der  Motivirung  der  Söhne  begründet,  dass 
wir  uns  nach  Bildungen  umsehen,  in  denen  jener  Schwung  der  Gesammtbe- 
wegungen,  vor  allem  der  Gewänder,  jener  Ausdruck  angstvoller  Eile  und 
geistiger  Erregung  sich  ausprägt  und  die  zugleich  einen  Adel  der  körperlichen 
Form  wie  des  geistigen  Charakters  offenbaren,  den  wir  an  Niobe  und  denNio- 
bideu  bereits  kennen. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  295 

Bereits  Bouillon1)  veröffentlichte  unter  den  heroischen  Personen  eine 
kleine  Marmorstat uc  des  Pariser  Museums,  welche  dann  bei  Clarac  neu 
gezeichnet  und  als  Tochter  der  Niobe  aufgefasst  ist2).  In  der  That  weht 
uns  aus  dieser  im  kleinen  Maassstabe  (0,902  Meter)  gebildeten  Figur  ein 
hoher  künstlerischer  Geist  entgegen,  den  wir  als  den  des  Skopas  in  der 
Kunstgeschichte  zu  bezeichnen  pflegen  und  für  den  wir  in  den  besten 
Niobidendarstellungen  im  Relief,  wie  in  der  vatikanischen  Tochter  so  herr- 
liche Beispiele  besitzen.  Wie  im  Sturmwind  wehrlos  gemacht  steht  eine 
jungfräuliche,  jugendliche  Gestalt  vor  uns,  indem  sie  vorwärts  schreiten 
will  mit  dem  linken  Fuss  und  doch  durch  eine  links  von  oben  kommende 
Macht  gehalten  wird.  Während  der  durch  das  Gewand  umkleidete  Un- 
terkörper durchaus  im  Profil  uns  entgegentritt,  wendet  sich  der  Oberkör- 
per in  angstvoller  Biegung  ganz  en  face  dem  Beschauer  entgegen ;  die  rechte 
Schulter  ist  gesenkt  und  mehr  nach  vorn  gedreht,  der  rechte  jetzt  ergänzte 
Arm  folgte  natürlich  dieser  bestimmenden  Bewegung,  die  linke  Schulter  ist 
gehoben  und  der  Armansatz  aufwärts  und  zurückgedreht,  die  Achselhöhle 
voll  zeigend.  Der  Kopf,  der  ebenfalls  modern  ist,  muss  eine  schräge  auf- 
wärts gewendete  Richtung  gehabt  haben,  wahrscheinlich  nicht  so  grell,  als 
die  Ergänzung  zeigt.  Der  Körper  ist  jugendlich  frisch  und  voll,  aber  edel 
rein.  Er  hebt  sich  heraus  wie  ein  Edelstein  aus  der  herrlichsten  Fassung, 
so  aus  dem  mit  vollster  Freiheit,  ja  Kühnheit  behandelten  Gewände.  Dieses 
umweht  hier  noch  vom  linken  Schenkel,  dort  vom  gekrümmten  Rücken  kaum 
sichtbar  noch  gehalten  in  bauschigen  Formen  die  Figur.  Rückwärts  weht 
das  eine  Ende  dieses  Peplos  oder  Himation  —  denn  es  ist  nur  Ein  und  zwar 
ein  Obergewand  vorhanden  —  über  das  linke  Bein,  zieht  sich  dann  vorn  hin- 
auf, die  Schulter  selbst  frei  lassend,  leicht  noch  am  obern  Theile  des  Rückens 
gehalten,  dann  aber  in  weiter  Bauschung,  um  in  massigem  wie  zusammenge- 
drücktem Bausch  wieder  auf  dem  linken  Bein  zu  enden.  Ich  glaube,  wir 
können  mit  Bestimmtheit  sagen,  dass  der  rechte  Arm  sich  weiter  rückwärts 
bog  und  die  rechte  Hand  jenen  Bausch  berührte,  so  auch  in  dieser  Gefahr, 
dieser  Sturmesgewalt  nicht  ganz  die  feine  Scheu  weiblichen  Gewandschutzes 
vergessend.  Bouillon  rühmt  die  mit  Gefiihlswärme  durchgeführte  Behand- 
lung des  Nackten,  die  Eleganz  nnd  den  leichten  Schwung  in  der  Gewandung. 

Wahrlich,  eine  Gestalt,  die  geistig  und  körperlich  durchaus  in  eine  Nio- 
bidenkatastrophc  passt,  zu  der  die  entschiedensten  Analogien  wir  auf  unserer 
bisherigen  monumentalen  Musterung  gewonnen !  Ich  erinnere  an  jene  Ter- 
racotta  von  Fasano3),  an  die  entblössten  Gestalten  auf  den  Sarkophagreliefs, 


1)  Mus.  des  Antiqu.  1. 111.  pl.  17,  dazu  Text  p.  21. 

2)  Mus.  de  sculpt.  pl.  323.  n.  1262;    Man.de  Thist.  del  art.  1.  pl.  168.  n.  441.    Wel- 
cker  äussert  sich  dagegen  A.  D.  I.  S.  247.  Anm.  30**. 

3)  Taf.  VIII.  n.  6. 


296  Zweites  Kapitel . 

um  von  dem  etruskischen  Sarkophag  gar  nicht  zu  reden ;  vor  allem  an  die 
fast  durchgängig  am  Oberkörper  entblösste ,  in  ihren  Motiven  treffliche  Nio- 
betochter  als  Bronze  an  dem  pompejanischcn  Gemälde  eines  Drcifusses.  Und 
trägt  man  kein  Hedenken,  die  am  Knie  ihres  Bruders  hinsinkende  Gestalt  der 
vatikanischen  Gruppe  mit  gleicher  EntblÖssung  und  nur  dem  feinen  und  zwar 
dem  Obergewand  gelten  zu  lassen,  so  ist  kein  Grund  da,  hier  die  EntblÖssung 
gegen  die  Bezeichnung  als  Niobide  zu  benutzen.  Eine  andere  Frage  ist 
es,  ob  wir  in  derselben  Reihe  jene  doppelt  bekleideten,  mit  Sandalen  ver- 
sehenen Niobidentöchter  und  auch  diese  kühnen  Entblössungen,  wobei  aber 
das  Gewand  immer  eine  so  hervorragende  Rolle  spielt,  anerkennen  können, 
oder  ob  wir  nicht  dieselben  Grundmotive  in  verschiedenen  freien  Copieen  in 
freier  und  strengerer  Gewandung  durchgeführt  glauben  wollen.  Ich  will  dar- 
über nicht  von  vornherein  entscheiden,  doch  zur  Vorsicht  mahnen.  Wie  ist 
in  den  wenigen  Gestalten  unseres  Niobidenreliefs  Campana  die  letzte  Figur 
rechts  darin  frei  behandelt,  ohne  Fussbekleidung,  entblösst,  ganz  anders  als 
die  anderen,  wie  ziehen  sich  auf  den  Sarkophagrcliefs  beide  Behandlungsweisen 
neben  einander  hin  !  Und  wäre  nicht  zu  fragen,  ob  ein  künstlerisches  Auge 
nicht  zwischen  den  vollbekleideten  Töchtern  und  den  wesentlich  nackt,  wenn 
auch  immer  in  einer  Gewandumgebung  behandelten  Söhnen  Zwischenstufen 
eher  sucht  als  vermeidet? 

Jedoch  liegt  für  diese  Statue  nicht  eine  Bezeichnung  noch  näher,  als  die 
einer  Niobide?  Man  wdrd  zuerst  an  eine  Man  ade  oder  Bakche  denken  und 
Welcker  thut  dies,  indem  er  zugleich  hinzusetzt  „eine  einem  Satyr  sich  ent- 
windende Mänas".  Geben  wir  nun  gern  zu,  dass  der  edelste  Charakter 
einer  Mänade  in  Körperform  und  flatterndem  Gewand,  wie  ihn  Skopas  ge- 
schaffen1), auch  hier  in  dieser  Gestalt  seine  Analogie  findet,  so  fehlt  doch 
ein  durchaus  charakteristisches,  auf  der  Fülle  der  Bildwerke  in  Enthusiasmus 
versetzter  Bakchen  nicht  fehlendes  Merkmal ,  jede  Andeutung  des  frei  wal- 
lenden, selbst  mit  von  Leben  erfüllten  Haares;  nothwendig  mussten  sich 
Spuren  davon  auf  Schulter  und  Rücken  finden.  Die  Motivirung  selbst  aber 
ist  ohne  eine  von  Aussen  einwirkende  Macht  nicht  erklärbar,  ist  nicht  Aus- 
druck innerer  subjeetiver  Stimmung.  Es  ist  auch  nicht  etwa  ein  begeistertes 
Emporheben  eines  heiligen  Symbols  oder  eines  Götterbildes  selbst  in  der 
Körper-  und  speciell  Armbewegung  möglich2).  Nun  aber  wäre  dann  nur  an 
eine  gewaltsame,  körperlich  berührende,  in  Sinnlichkeit  glühende  Persön- 
lichkeit zu  denken,  wie  sie  in  allen  Stufen  von  den  Satyrn  repräsentirt  wird. 
Aber  auch  hierfür  fehlen  uns  alle  Anhaltepunkte  in  der  Gestalt ;  da  ist  kein 
Abweisen  einer  frechen  Hand,  kein  Ringen,  kein  sich  Festhalten  und  An- 


1)  Caliistr.  Stat.  c.  2. 

2)  Vgl.  z.  B.  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  II.  T.  XLV.  n.  507—571.  573    Taf.  XLV1. 
n.  583, 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  297 

klammern  zu  erkennen,  nur  ein  schreckenvolles,  das  tiefste  Mitgefühl  erre- 
gendes Zurückscheuchen  vor  einer  unsichtbaren,  überlegenen,  von  oben  kom- 
menden Macht.  Derselbe  Grund  spricht  auch  entschieden  dagegen,  wozu 
man  sonst  wohl  geneigt  sein  könnte,  eine  Kassandra  fliehend  vor  der  rohen 
Hand  des  Aias  Oiliades  in  ihr  zu  sehen !) .  Bei  dieser  ist  gerade  dies  Anklam- 
mern an  einen  geheiligten,  schützenden  Punkt,  wohl  auch  das  schöne  Ab- 
wehren der  rohen  Hände  das  Bezeichnende.  Hier  haben  wir  gerade  das 
Schutz-  und  Wehrlose  des  Menschen  und  noch  dazu  einer  so  jugendlichen 
Schönheit  und  Reinheit  vor  einer  allesüberragcnden  höheren  Gewalt  vor 
uns ;  mitten  in  Furcht  und  Mitgefühl  empfinden  wir  doch  den  alles  ausglei- 
chenden, überwältigenden  Eindruck  der  reinen,  unbefleckten  Schönheit. 
Und  das  ist  ja  gerade  der  Eindruck,  den  wir  aus  allen  wahren  Gliedern  einer 
Niobcgruppe  immer  in  neuer  Weise  empfangen. 

Glauben  wir  somit  durch  diese  kleine  Marmorstatue,  die  natürlich  die 
Copie  eines  bedeutenden  und  beliebten  grösseren  statuarischen  Werkes  war, 
die  Zahl  der  plastischen  Bildungen  der  Niobiden  wahrhaft  bereichert  zu 
haben,  so  können  wir  gleichzeitig  einer  anderen  ebenso  anziehenden,  geistig 
durchaus  verwandten  Gestalt  der  Marmor figur  aus  Smyr na,  einst  in  Mil- 
lingens  Besitz,  ihre  Stellung  mit  Sicherheit  ausserhalb  der  Niobiden,  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  unter  den  Bakchen  anweisen.  Gerhard  hat  bei  der  Ver- 
öffentlichung derselben2)  mit  richtigem  Blick  die  Bildung  einer  Bakchantin  und 
der  Niobiden  als  die  zwei  Pole  bezeichnet,  in  deren  Axe  diese  Statuette  falle, 
er  hält  aber  dann  die  bei  dem  sichtbar  abgestossenen  Gegenstand  unten  an 
der  Rückenseite  herabhängende  Löwentatze  für  ein  einem  Verfolger  zuge- 
höriges Attribut  und  weist  schliesslich  auf  eine  von  einem  Kentaur  ver- 
folgte Lapithen  braut  oder  auf  die  von  Herakles  erfasste  schöne  Priesterin  Auge 
hin.  Jeder,  der  dies  kleine  Marmorbild  in  der  Abbildung  oder  noch  besser 
im  Gypsabguss  aufmerksam  betrachtet,  wird  lebhaft  zu  einer  bestimmteren 
Fassung  dieses  interessanten,  schwungvollen  Werkes  angeregt  werden.  Eine 
jungfräuliche,  kräftige  Gestalt  mit  schwellenden,  spitzen  Brüsten,  vorwärts 
nach  links  und  aufwärts,  höher,  sichtlich  über  einem  aufsteigenden  Boden 
strebend,  im  wehenden  langen,  ärmellosen  aber  mit  zierlichem  Diploidion 
versehenen  Chiton,  den  linken  Arm  nach  vorn  und  etwas  aufwärts  gestreckt, 
den  rechten  rückwärts  gesenkt  nach  den  erhaltenen  Resten ,  so  eilt  sie  an  uns 
vorüber.  Und  wie  erhebt  sich  gen  Himmel  das  Haupt,  wie  reich  wallen  die 
um  das  Haupt  rund  durch  eine  Binde  gehaltenen  Haare,  vorn  über  der  Stirn 
sich  fast  maskenanig  aufbauend,  weit  hinab  über  Rücken  und  rechte  Schul- 
ter !    Wie  ist  in  dem  nur  an  der  Nase  verletzten  Antlitz  der  Mund  und  das 


1)  Vgl.  die  Darstellungen  beiOverbeck  Galler.  heroischer  Bildw.  Taf.  XX VII.  n.  1— 7, 
besonders  auch  Chirac  pl.  117.  n.  246. 

2)  Archäol.  Zeitung  1849.  n.  1.  S.  1—5.  Taf.  1.  II.  ^ .  5. 


298  Zweites  Kapitel. 

Auge  geöffnet,  wie  zieht  sich  die  Augenlinie  nach  oben  in  die  Höhe !  Es  liegt 
eine  unwiderstehliche  aufwärtstreibende  Gewalt  in  dieser  Natur,  wohl  auch 
eine  Wolke  des  Ernstes,  des  Tiefsinns  ruht  über  dem  Antlitz,  noch  mehr 
der  Hingabe  an  eine  enthusiastische  Macht,  aber  es  spricht  sich  in  ihr  keine 
Seelenangst,  keine  hülfesuchende  Verlassenheit,  keine  jungfräuliche  Schüch- 
ternheit aus.  Dazu  kommen  noch  manche  von  der  Niobidenbildung  abwei- 
chende Erscheinungen  schon  in  den  Augen,  in  den  hochgezogenen  Augen- 
winkeln, selbst  in  Mund  und  Kinn,  dann  in  der  Behandlung  des  Haares  als 
starker,  mehr  strangartiger  Massen,  in  jenem  die  Stirne  umgebenden,  hohen 
Aufbau  der  Haare,  dann  in  dem  gänzlichen  Maugel  eines  Peplos,  den 
man  auch  schwerlich  sich  mit  den  fehlenden  Theilen  verschwunden  denken 
kann. 

Und  vergleichen  wir  unsere  Figur  mit  der  Darstellung  eines  Vasenbildes 
der  Hamiltonischen  Sammlung  *) ,  welche  in  dorischem  Dialekt  die  Namen 
beigeschrieden  hat:  Kä[iog,rQaMa9  Tlo&og^  Evita  (Evota),  Ölvog,  da  tritt 
ganz  dieselbe  uns  in  dieser  vom  Komos  keck  gefassten  Thalia  entgegen. 
Dasselbe  stürmische  Aufstreben  bergauf,  ganz  dieselbe  Bekleidung,  dieselbe 
Biegung  des  Kopfes  und  Haarbehandlung,  dieselbe  Motivirung  der  Arme, 
die  nun  hier  bakchisch  durch  die  von  ihnen  getragenen  Attribute  charakteri- 
sirt  sind.  Vom  linken  vorgestreckten  Arm  hängt  eine  Nebris  flatternd  herab, 
der  rechte  gesenkte  Arm  fuhrt  eine  theilweis  verdeckte  Fackel.  Der  rechte 
Unterarm  ist  gefasst  von  dem  begehrlichen,  nackten,  eine  Binde  hochhalten- 
den Satyr  Komos.  Aber  durch  diese  Zudringlichkeit  ist  sichtlich  nur  eine 
kleine,  mehr  scherzhafte  Nebenbeziehung  gegeben,  die  die  Gesammtbewegung 
nach  oben  und  vorwärts  ebensowenig  bestimmt,  wie  bei  der  entsprechenden,  von 
der  Höhe  herab  tanzend  eilenden  Evia  die  Begegnung  mit  Oinos  ihre  Bewe- 
gung bestimmt.  Ich  glaube,  dass  wir  mit  gutem  'Rechte  auch  diese  Statue 
als  eine  bakchischc  Thalia  fassen  können  und  dass  jene  herabhängenden 
Thierklauen  dem  vom  linken  Arme  ursprünglich  wehend  hängenden  Thier- 
fell  angehören*).  Ob  sonst  noch  ein  Gegenstand  sich  unten  an  der  Seite  be- 
fand, etwa  ein  Stück  Fels,  ist  nicht  sicher  zu  bestimmen ;  gewiss  aber  stand 
da  nicht  eine  männliche,  Gewalt  brauchende  Person,  diese  kann  der  ganzen 
Bewegung  nach  nur  auf  der  rechten  Seite,  nacheilend  gebildet  sein.  So 
können  wir  uns  wohl  eine  jener  speciflsch  Thyaden  genannten  bakchischen 


1)  Tischbein  Collect,  of  engravings  etc.  t.  II.  tob.  41;  M üller- Wieseler  D.  A.  K.  II. 
Taf.  XLI.  n.  473;  besprochen  von  Welckcr  A.  D.  III.  S.  125.  234 

2)  Ich  freue  mich  in  der  Hauptsache  mit  Urlichs,  worauf  mich  derselbe  so  eben 
aufmerksam  macht,  in  der  von  ihm  in  seinem  Skopas  in  Attika  S.  19.  20  ausgesprochenen 
Ansicht  zusammenzutreffen,  welcher  auch  die  Gestalt  als  Man  ade,  vielleicht  mit  Zeus  als 
Satyr  verbunden  auffasste  und  sie  im  Geiste  des  Skopas  gebildet  findet.  Die  Thier klaue 
schreibt  er  dem  verfolgenden  Satyr  zu.  Die  völlige  Uebereinstimmung  mit  der  oben  beschrie- 
benen Figur  des  Vasenbildes  giebt  aber  erst  die  bleibende  Sicherung  der  Deutung. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  299 

Gestalten  denken,  die  von  Silenen,  Maenaden,  Karyatiden  als  berühmte  Werke 
des  Praxiteles  in  den  Anlagen  des  Asinius  Pollio  aufgestellt  waren  *) . 

b\  Fünfte  Florentiner  Tochter  der  Niobc,  als  Psyche  auch  sonst 

bekannt  und  ausgeschieden. 

Abbildungen:  Ca.  t   16;  Gesammtbilder  von  Perrier  und  Montfaucon j  F.  fig. 
XV;  Z.  t.  7;  Cl.  pl.  5*4.  n.  1264. 

Wir  haben  bis  jetzt  bei  unserer  Durchmusterung  der  als  Niobetöchter 
mit  mehr  oder  weniger  Recht  bezeichneten,  auszuscheidenden  oder  anzuer- 
kennenden jungfräulichen  Statuen  es  nur  zu  thuii  gehabt  mit  ruhig  stehenden, 
schreitenden,  eilenden  oder  in  lebendigster  Bewegung'gehemmten  Figuren. 
Die  zuletzt  betrachteten  haben  uns  bereits  eine  mehr  oder  weniger  starke 
Biegung  des  Oberkörpers  dabei  vorgeführt.  Wir  können  nach  der  Mannig- 
faltigkeit der  Situationen,  in  die  eine  von  den  Pfeilen  der  Gottheit  bedrohte 
oder  getroffhe  Kinderzahl  versetzt  wird,  die  uns  in  den  übrigen  Gattungen 
der  bildenden  Kunst  in  ihren  Abstufungen  bis  zum  gänzlichen  Gelagertsein  im 
Tode  so  reich  vorgeführt  ist,  die  in  den  unzweifelhaften  Statuen  der  Niobc- 
söhne  uns  entgegentritt,  nicht  umhin  auch  unter  den  weiblichen  Gestalten 
nach  weiteren  künstlerischen  Abstufungen  zu  fragen.  Wohl  ist  uns  in  der 
jüngsten,  der  Mutter  in  den  Schooss  sich  werfenden  Tochter  ein  sich  Empor- 
raffen  aus  einem  Straucheln  auf  der  Erde,  aus  einem  Einsinken  in  die  Kniee 
gegeben.  Umsomehr  haben  wir  noch  andere  Modifikationen  der  körperlichen 
Erschütterung,  der  zusammenbrechenden  Kräfte,  des  der  Erde  sich  Nahens 
zu  erwarten. 

Nun  befindet  sich  bereits  vom  Anfang  an  unter  der  medieeischen  Gruppe 
als  Theil  des  ursprünglichen  Fundes  eine  weibliche  Statue  mit  wankenden 
Knieen,  mit  angstvoll  sich  bückenden,  flehenden  Gebchrden,  in  einer  Ge- 
wandung, die  der  der  Niobetöchter  durchaus  ähnlich  ist.  Restaurirt  in  ihren 
fehlenden  Theilen,  im  Kopfe  den  Niobiden  nachgebildet  galt  sie  unbestritten 
bis  gegen  das  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  als  Niobidc.  Die  Wiederho- 
lung derselben  Bildung  in  anderen  Exemplaren  zu  Rom,  aber  mit  unzweifel- 
haften Flügelresten  liess  ihre  Bezeichnung  als  sehr  gefährdet  erscheinen. 
Schon  Fabroni  berichtet,  dass  es  in  seiner  Zeit  nicht  an  solchen  fehlt,  die  sie 
für  eine  Psyche  hielten.  Meyer,  Cockerell,  Schlegel,  Martin  Wagner, 
Thiersch,  Otfr.  Müller,  fast  alle  Neuern  schieden  dieselbe  als  Psyche  nur  ein- 
fach aus.  O.  Jahn  nahm  in  seiner  ebenso  reichhaltigen  als  feinsinnigen  Be- 
handlung der  Monumente  von  Eros  und  Psyche2)  die  sog.  Niobide  von  Flo- 
renz als  Psyche  in  Anspruch,  während  er  mit  Levezow  die  auch  Psyche  ge- 


ll Plin.  XXXVI.  §  23;  vgl.  dazu  O.  Jahn  in  Ber.  d.  K.  S.  Ges.  d.  W.  philos.-histor. 
Kl.  1S01.  II.  III.  S.  JI2. 

2)  Archäol.  Beitr.  S.  121—197,  hierzu  S.  178. 


300  Zweites  Kapitel. 

nannte  Berliner  Statue  als  Niobide  fasste.  Zannoni1)  und  Guignaut2)  be- 
hielten sie  subsidiarisch  zur  Ausfüllung  einer  bestimmten  Lücke  in  ihrer  An- 
ordnung, auch  Gerhard3)  nahm  sie  mit  Zweifeln  in  seine  Abbildung  auf. 

Es  kann  nun  gar  kein  Zweifel  sein,  dass  wir  die  fragliche  Bildung  in 
mehrern  Exemplaren  als  Psyche  zu  bezeichnen  haben,  aber  die  weitere  Fol- 
gerung ist  nun  nicht,  dass  sie  deshalb  keine  Niobide  sein  kann,  vielmehr 
fragt  sich  nur ,  ob  sie  nicht  früher  als  Niobide  gebildet  war,  ehe  man  sie  in 
hellenistischer  Zeit  als  Psyche  in  einer  bestimmten  Situation  benutzte.  Und 
diese  Frage  hat  schon  der  Herausgeber  der  Sculture  della  Villa  Borghese  detta 
Pinciana4)  wesentlich  sich  vorgelegt,  indem  er  eine  Verwendung  derselben 
Composition  für  zweierlei  Inhalt  hier  erkannte.  Welcker5)  hat  nun  eine 
Reihe  von  ^Beispielen  für  diese  verschiedene  Verwendung  zusammengestellt 
und  zugleich  aus  dem  Werke  selbst  einzelne  Züge  herausgehoben,  die  für 
seine  Bestimmung  als  Niobide  sprechen,  er  glaubte  dadurch  früher  die  Psyche 
mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  für  die  Familie  der  Niobe  zu  retten,  bei  der 
späteren  Bearbeitung  seiner  Abhandlung  erschienen  ihm  die  Zweifel  und  Be- 
denken so  gross,  dass  er  die  Figur  in  seine  Zeichnung  nicht  aufnahm.  Da- 
gegen hat  Elster6)  entschieden  die  Statue  als  Heroine,  speeifisch  als  Niobide 
erklärt  und  geläugnet,  dass  sie  für  eine  Psyche  ursprünglich  componirt  sein 
könne.  Nach  alle  dem  sind  wir  in  der  That  veranlasst,  die  ganze  Frage  auf 
Grundlage  einer  unbefangenen  Betrachtung  der  Statue  in  Vergleich  mit  ihren 
verschiedenen  Wiederholungen  von  Neuem  aufzunehmen. 

Florentiner  Statue : 

G  r  ö  8  8  e ;  1 ,234  Meter  mit  Basis,    1 ,008  Meter  ohne  dieselbe. 

Erhaltung:  bei  Cavalleriis  fehlen  ganz  der  Kopf,  rechter  Arm  vom  Aufhören 
des  kurzen  Aermels  am  Oberarm,  drei  Finger  der  linken  Hand,  dagegen  Basis  und 
Füsse  mit  Schuhbekleidung  unversehrt.  Nach  Meyer  sind  am  Kopf  Nase,  Unterlippe, 
die  im  Nacken  geschürzten  Haare  neu,  der  Kopf  sonst  alt,  aber  auf  die  Brust  erst  ein- 
gefügt ;  beide  Arme  für  neu  erklärt.  Ferner  wird  jetzt  allgemein  ein  viereckiges  Stück 
Marmor  als  in  den  Kücken  eingesetzt  bemerkt. 

Marmor  wird  nicht  näher  bezeichnet,  ist  wahrscheinlich  lunensischer. 

Arbeit  steht  allen  Wiederholungen  nach,  wird  von  Meyer  in  die  Antoninenzeit 
gesetzt. 

Zur  Vergleichung  sind  zunächst  zwei  Statuen  des  capitolinischen  Mu- 
seums heranzuziehen,  die  eine  früher  als  Gruppe  mit  dem  in  das  eine  Knie 
gesunkenen  Niobiden  zusammengestellt,  nun  wieder  getrennt,  die  andere  mit 


1)  R.  Oall.  di  Fir.  Ser.  IV.  tab.  7.  p.  22. 

2)  Relig.  de  l'antiquite  IV.  1.  p.  330. 

3)  Drei  Vorles.  S.  63,  dagegen  S.  51. 
-I)   1796.  t.  111.  4. 

5)  A.D.  LS.  245  f. 

6)  Fabel  von  Amor  und  Psyche.  Leipzig.  S,  177,  Abbild.  4. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  301 

bedeutenden  Flügelresten.  Jene,  von  Bottari1)  veröffentlicht,  darnach  bei 
Clarac*)  abgebildet,  ist  vielfach  ergänzt,  aber  ohne  jede  Spur  der  Beflü- 
gelung. 

Modern  sind  Kopf  und  Hals,  der  linke  Arm  vom  Aufhören  des  auf  der  Schulter 
liegenden  Gewandes,  der  rechte  Arm  von  der  Mitte  des  Deltoides  an,  sonst  noch  Ge- 
wandstücke, besonders  das  von  der  modernen  linken  Hand  gefasste,  sowie  ein  Theil 
des  rechten  Fusses.  Wichtig  ist,  dass  auf  dem  Rücken  nicht  die  geringste  Spur  einer 
Abraspelung  sich  zeigt'). 

Marmor  ist  lunensischer. 

G  rosse  (doch  wohl  mit  Basis?)  betragt  5  Palm.  9%  Zoll. 

Die  andere  capitolinische  Statue4),  früher  in  Villa  d'Este  bei  Ti- 
voli, sicher  aus  der  Villa  Hadriani  stammend,  ist  sehr  gut  erhalten  und  durch 
einen  Theil  von  Schmetterlingsflügeln  als  Psyche  unzweifelhaft  bestimmt. 

Der  Kopf  ist  hier  erhalten,  die  Bewegung  der  Arme  ebenfalls,  indem  am  rechten 
Arm  nur  die  Hand  mit  Handgelenk,  am  linken  der  Unterarm  fehlt.  Die  Grösse  wird 
angegeben  auf  6  Palmen  6%  Zoll.  Braun  hält  sie  für  eine  Copie  zweiter  oder  dritter 
Hand  eines  herrlichen  Urbildes. 

Ferner  tritt  in  die  Vergleichung  ein  die  einst  in  Villa  Borghese  befindli- 
che, nun  im  Louvre  aufgestellte  Statue5),  nach  welcher  ein  Saal  den  Namen 
erhalten  hat.  Dagegen  berührt  uns  die  meist,  so  noch  von  Welcker  zugleich 
mit  genannte  Psyche  derselben  Sammlung  hier  nicht,  welche  knieend  neben 
Eros  dargestellt  ist8)  und  in  ihrer  Stellung,  wie  Gewandbehandlung  vielmehr 
auf  die  jüngste,  in  den  Schooss  der  Mutter  gesunkene  Tochter  hinweist.  An 
Grösse  sowie  an  Maass  der  Erhaltung  steht  jene  der  Florentiner  Stafue  am 
nächsten,  jedoch  sollen  bestimmte  Spuren  von  antiken  Flügeln  vorhanden 
sein.    Ihre  Ausführung,  besonders  die  Draperie  wird  gerühmt. 

Grösse:  1,300  Meter. 

Erhaltung:  der  Kopf  ist  antik,  aber  überarbeitet,  schlecht  aufgesetzt  auf  einen 
zu  starken  Hals ;  der  rechte  Arm  ist  bis  zur  Schulter  neu,  ebenso  der  linke  Unterarm 
zum  Theil  und  linke  Hand,  sowie  linker  Fuss,  so  weit  er  sichtbar  ist;  der  untere  Theil 
des  rechten  Beines  mit  Stück  Gewand  ebenfalls. 

Auf  einem  felsigen  ungleichen  Boden  strebt  eine  gescheucht  sich  bückende 
weibliche  Gestalt  nach  der  linken  Seite  hin.    Das  linke  Hein  ist  etwas  höher 


1)  Mus.  Capitol.  111.  pl.  142. 

2)  Mus.  de  sculpt.  pl.  5S7.  n.  1273. 

3)  Welcker  A.  D.  I.  S.  247.  Anm.  30*.  Vgl.  noch  Platner  in  Beschreib.  Roms  III.  I. 
S.  169.  n*  41. 

4)  Righetti  Descriz.  del  Campidoglio  1. 1.  tav.  66;  Clarac  pl.  654.  n.  1500.4.  Vgl.  dazu 
Platner  a.a.  O.  n.  32  ;  £.  Braun  Ruinen  u.  Mus.  Roms  S.  149.  n.  128. 

5)  Scult.  d.  villa  Borghese  detta  Pinciana  T.  111.  4 ;  Bouillon  Mus.  d.  ant.  t.  III.  pl. 
10,  5;  Clarac  pl.  331.  n.  1500;  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  11.  T.  LIV.  n.  6S7.  Vgl.  dazu 
Clarac  Manuel  I.  p.  153.  n.  3S7. 

6)  Bouillon  Mus.  des  Ant.  III.  pl.  9;  Clarac  pl.  266.  n.  1499;  Müller- Wieseler  a.a.O. 
n.  6SS. 


302  Zweites  Kapitel. 

gesetzt,  die  Knicbeugung  tritt  daher  noch  schärfer  und  frei  hervor,  während 
das  rechte  Bein,  zugleich  von  starken  Gewandmassen  gedeckt,  mehr  leicht 
und  zögernd  der  gleichen  Bewegung  folgt,  der  rechte  Fuss  auf  die  vorderen 
Ballen  gehoben  ist  und  wie  über  dem  Boden  stolpernd  streift.  Indem  nun  zu- 
gleich der  Oberkörper  noch  nach  der  linken  Seite  stark  sich  einsenkt,  so  ent- 
steht dadurch  eine  höchst  bezeichnende  doppelt  eingeknickte  Umrisslinic. 
Unwillkürlich  wird  das  Auge  von  den  leereren  in  weiteren  Verhältnissen  aus- 
einandergezogenen  rechten  Begränzungsflächen  zur  linken  intensiver  gestal- 
teten Seite  herübergezogen. 

In  der  Bewegung  der  Arme,  in  der  Richtung  des  Kopfes  zeigen  sich  sehr 
bedeutende  Verschiedenheiten ,    die  aber  der  Hauptsache  nach  der  Willkür 
der  Ergänzer  verdankt  werden.    Nach  den  erhaltenen  antiken  Theilen  ist  die 
Bewegung  des  linken  Armes  wesentlich  gleich  bestimmt ;  er  senkt  sich  mit 
der  linken  Schulter  steil  abwärts  ein  wenig  vor,  bildet  einen  scharfen  Winkel 
mit  dem  Ellenbogen,  um  dann  die  Hand  mit  einer  sprechenden,  angstvollen 
Bewegung  emporzuheben ;  die  genaue  Drehung  derselben  ist  nicht  mehr  zu 
bestimmen.     Wenn  in  dem  einen  capitolinischen  Exemplar  der  ganze  Arm 
gesenkt  ist  und  ein  bauschiges  Stück  Gewand  fasst,  so  ist  dies  eine  durchaus 
willkürliche  Ergänzung,  da  auch  jener  Bausch  modern  ist  und  keinen  Sinn 
in  der  Gewandmotivirung  hat;  man  hat  den  ganzen  Arm  sichtlich  so  ergänzt, 
um  die  einmal  beschlossene  Gruppirung  mit  dem  Bruder  durchzuführen,  wel- 
cher durch  die  sonst  bezeugte  Motivirung  unmöglich  würde.    Auch  für  den 
liukcn  Arm  können  wir  über  die  Hauptrichtung  durchaus  nicht  in  Zweifel 
sein :   der  Oberarm  ist  schräg  nach  vorn  gestreckt  und  nur  wenig  gesenkt, 
der  Unterann  wendet  sich  dann  in  einem  scharfen  Winkel  zurück  und  nähert 
sich  der  Brust.    Möglicherweise  ist  er  an  der  einen  capitolinischen  Gestalt 
etwas  mehr  gesenkt  und  fasst  einen  Gewandbausch  über  dem  rechten  Knie, 
jedoch  wird  erst  hier  noch  genauer  zu  ermitteln  sein,  wie  viel  auch  hierin  die 
schar  thätig  gewesene  Restauration  willkürlich  gebildet  hat.     Der  Ergänzer 
der  Florentiner  Statue  hat  die  im  erhaltenen  Reste  des  mit  Gewand  bedeck- 
ten Oberarmes  eingeleitete  Richtung  ganz  missverstanden,   indem   er   den 
ganzen  Arm  ganz  zur  Seite  und  dann  aufwärts  richtete  und  so  ein  durchaus 
fremdes,  störendes  Element  in  die  Gesammtmotivirung  brachte,  nämlich  eine 
thätige,  bittende  oder  abwehrende,  die  Gestalt  gleichsam  öffnende  Aktion, 
gegenüber  der  gefürchteten,  vernichtenden  oder  doch  strafenden  Macht,  wäh- 
rend in  allen  andern  Linien  ein  scheues  Fliehen,  sich  Zusammenziehen,  Aus- 
weichen gegeben  ist. 

Den  verschiedenen  Auffassungen  der  Ergänzer  gemäss  ist  der  Kopf,  wel- 
cher ja  nur  bei  zwei  Exemplaren  antik  ist,  davon  bei  dem  einen  ganz  über- 
arbeitet, auf  ganz  verschiedene  Weise  gestellt:  hier,  um  zu  dem  daneben 
gestellten  Bruder  eine  Beziehung  zu  geben,  ganz  nach  links  und  abwärts  ge- 
richtet, dort  sehr  stark  rechts  und  aufwärts,  hier  sehr  zurückgebeugt,  dort 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  •  303 

sehr  zur  Seite  gebogen  zum  Ausdruck  des  Jammers.  Auch  hier  kann  nur  aus  der 
Ge8ammtmotivirung  die  Richtung  bestimmt  und  vor  allem  muss  jede  beson- 
dere sich  vordrängende  Gefühlsausprägung  zurückgewiesen  werden;  der  Kopf 
folgt  im  Wesentlichen  der  Gesammtrichtung  des  Körpers  schräg  nach  Links, 
aber  wendet  naturgemäss  das  Gesicht  mehr  zurück,  der  Ursache  der  Flucht 
entgegen,  ohne  irgend  bestimmt  dabei  etwa  einen  höhern  Punkt  zu  fixiren, 
vielmehr  in  dem  Ausdruck  einer  die  ganze  Seele  erfüllenden ,  aller  Reflexion 
und  der  daraus  entspringenden  Augenrichtung  fremden  Angst ,  derselben  die 
Bewegung  hemmenden  Angst,  welche  dem  Oberkörper  eine  solche  Einsenkung 
nach  Links  gegeben  hat. 

Ueberschauen  wir  die  Gesammtbewegung  der  Gestalt,  so  tritt  uns  in  der- 
selben jene  acht  griechische  Kunst  der  Symmetrie  im  Chiasmus,  des  Wechsels 
contrastirender  Bewegungen  und  ihrer  schliesslich en  Verschmelzung  lebendig 
entgegen:  Unterkörper,  Mittelkörper,  obere  Extremitäten,  ähnlich  der  Kopf, 
bilden  selbständige  Glieder,  alle  durch  eine  Gesammtrichtung  bedingt,  aber  in 
ihr  entsprechen  sich  die  Glieder  1  und  3 ,  2  und  4  wesentlich  und  ebenso  ist 
zwischen  den  beiden  Seiten  mit  ihren  Hauptgliedern  eine  schräge  Correspon- 
denz,  so  des  rechten  Armes  mit  dem  linken  Beine  und  umgekehrt. 

Was  nun  die  Gewandung,  diese  bei  allen  bisherigen  Betrachtungen 
über  Niobidenstatuen  so  wichtige  Seite  der  künstlerischen  Conception  betrifft, 
so  erregt  sie  bei  dieser  uns  vorliegenden  Bildung  ein  ganz  besonderes  Interesse. 
Mit  Recht  hebt  es  E.  Braun  bei  der  Charakter isirung  der  capitolinischen 
Psyche  hervor,  dass  die  Bedeutsamkeit  der  Bewegungen  durch  die  trefflich 
angeordneten  Gewandmassen  wahrhaft  prachtreich  in  dem  Originalwerk  her- 
vorgehoben gewesen  sein  muss.  Sehen  wir  sie  uns  näher  an  und  beachten  zu- 
gleich die  feinern  Unterschiede  der  einzelnen  Exemplare.  Zunächst  ist  die 
Schuhbekleidung  zu  beachten,  welche  gerade  bei  den  beiden  als  Niobiden 
bezeichneten  Exemplaren  sich  findet,  dagegen  nicht,  wie  es  nach  den  Abbil- 
dungen wenigstens  erscheint,  bei  der  capitolinischen  Psyche  und  der  des 
Louvre:  nämlich  starke  einfache  Lederschuhe  mit  starken  Sohlen,  während 
unsere  sonstigen  Niobetöchter  Sandalen  mit  reichem  Riemenwerk  aufweisen. 
Jedoch  wir  haben  schon  früher  auf  die  durchaus  nicht  abzuweisende  Darstel- 
lung einzelner  Töchter  mit  entblössten  Füssen  hingewiesen  und  hier  gilt  es 
wohl  nur  an  die  ganz  gleiche  Schuhbekleidung  der  Mutter  zu  erinnern  mit 
denselben  starken  Sohlen  und  einfachem  Oberleder,  ferner  an  die  Terracotten 
von  Fasano,  wo  alle  Töchter  solche  Schuhe  haben,  um  darin  keinen  besondern 
Anlass  zum  Zweifel  an  eine  Zugehörigkeit  dieser  Bildung  zur  ganzen  Reihe  zu 
finden. 

Ein  anschliessender  Chiton  von  feinem  gefälteltem  Stoffe  umgiebt  den 
Körper.  Er  ist  ohne  Diploidion ,  bei  den  zwei  sogenannten  Niobiden  aber  in 
bestimmter  Weise  einfach  unter  der  Brust  gegürtet,  in  derselben  Weise,  als 
wir  bei  den  ganz  gesicherten  Töchtern  gefunden ,  während  bei  den  zwei  durch 


304  Zweites  Kapitel. 

Flügelrcste  als  Psychen  sich  erweisenden  der  Chiton  ohne  Gürtel  freier  her- 
abfällt. Das  Letztere  zeigt  sich  auch  sonst  häufig  bei  Psychedarstellungen, 
wohl  aber  immer  durch  das  besondere  Motiv  der  Trauer  bestimmt.  Der  Chiton 
hat  bei  zwei,  der  Florentiner  und  der  Statue  im  Louvre  offne,  weite,  kurze, 
durch  zwei  oder  mehr  Knöpfe  oben  besetzte  Aermel,  bei  den  zwei  andern  geht 
nur  ein  breites  Achselstück  über  die  Schulter  und  ist  hier  mit  einer  Spange 
befestigt. 

Der  Peplos  oder  das  Himation  von  starkem  Stoff  ist  nun  mit  trefflicher 
Kunst  hier  gehäuft ,  dort  mehr  gespannt  um  die  Gestalt  gelegt  und  verviel- 
facht gleichsam,  indem  es  den  Oberkörper  ganz  frei  lässt,  vorn  über  das  rechte 
Knie  bauschig  zur  Erde  fällt  und  auf  derselben  schleift,  den  zur  Erde  ziehen- 
den Druck,  der  auf  die  ganze  Persönlichkeit  geübt  wird.  Der  linke  Oberarm 
hält  noch  den  einen  Zipfel  von  demselben  auf,  während  auch  schon  von  die- 
sem Ende  der  bei  weitem  längere  Theil  zum  Boden  herabfallt,  doch  ist  die 
Hauptmasse  nach  der  rechten  Seite  gezogen. 

Ueber  die  Köpfe  zu  urtheilen  hat  nach  den  oben  angegebenen  Ergän- 
zungen seine  Schwierigkeit.  Wesentlich  wohl  erhalten  ist  ja  nur  der  Kopf  der 
capitolinischen  Psyche ,  welcher  im  Allgemeinen  an  die  Niobidenbildung  erin- 
nert, aber  einen  grösseren  Grad  schmerzlicher  Erregung  besonders  in  der  Au- 
genlinic  zeigt,  als  wir  bei  jener  gefunden.  Der  Kopf  der  florentiner  Statue 
ward  nicht  ursprünglich  dabei  gefunden,  ist  er  antik,  so  hat  man  einen  Niobi- 
denkopf  benutzt;  der  der  Statue  im  Louvre  ist  überarbeitet  und  gehört  wesent- 
lich der  Niobidenbildung,  der  der  andern  capitolinischen  Statue  ist  modern 
und  mit  dem  doppelt  das  Haar  umschlingenden  Hand  nach  dem  Kopf  der  von 
uns  am  Beginn  dieser  Reihe  unter  a  besprochenen  Statue  gearbeitet. 

Ueberschaut  man  unbefangen  die  ganze  Gestalt ,  so  wird  die  Einfügung 
derselben  unter  die  verschiedenen  Situationen  bedrohter,  getroffener,  fliehen- 
der, Schutz  suchender  Niobetöchter  in  jeder  Beziehung  als  eine  durchaus  na- 
türliche erscheinen.  Und  haben  wir  nicht  schon  früher  gerade  den  eigcnthüm- 
lichen  Zug  des  sich  erschreckt  Duckens ,  des  die  Kniee  beugenden  Zurück- 
schauens,  in  dem  zugleich  ein  solches  Moment  innigstes  Erbarmen  weckender 
Hingabe  gegeben  ist,  in  den  literarischen  Zeugnissen,  wie  auch  in  einer  Dar- 
stellung kennen  gelernt  *)  ?  Ich  erinnere  in  jener  von  uns  bereits  besprochenen2) 
Schilderung  des  Meleager  an  die  Worte:  er  d*  in  oiazolg  mwooei,  an  die 
Worte  des  Ovid:  illam  trepidare  videres8),  endlich  an  die  Terracottafigur  von 
Fasano,  an  die  vierte  auf  Tafel  VIII,  welche  in  der  Bewegung  dieser  Gestalt 
so  nahe  kommt,  auch  in  der  Bewegung  der  Arme  mit  den  erhaltenen  Armthei- 
len  stimmt,  wenn  sie  auch  in  der  Gewandung  sich  unterscheidet.    Ich  kann 


1)  S.  obenS.  60.  14G. 

2)  Anthol.  gr.  I.  p.  33.  n.  CXVTI.  V.  10,  dazu  oben  S.  60.  146. 

3)  Met.  VI.  296,  dasu  oben  S.  74. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  305 

nicht  glauben,  dass  dies  Motiv  erst  für  eine  Psyche  in  römischer  Zeit  erfunden 
ist,  wie  überhaupt  diese  Periode  nichts  Ideales  erfunden,  nur  höchst  geschickt 
Vorhandenes  benutzt  hat.  Und  so  stehe  ich  nicht  an ,  besonders  da  wie  wir 
sahen ,  die  eine  capitolinische  Statue  gar  keine  Spur  von  irgend  Flügeln  hat, 
da  an  der  Florentiner,  also  doch  nachweisbar  mit  denNiobiden  gefundenen  Sta- 
tue das  Stück  im  Rücken  sehr  wahrscheinlich  im  Alterthume  bereits  eingesetzt 
war,  dieses  Exemplar  überhaupt  an  Stil  den  andern  nachsteht,  rasch  für  jene 
Auswahl  auf  dem  Esquilin  zurecht  gemacht  war,  diese  Psychemotivirung  als 
die  einer  Niobide  mit  Entschiedenheit  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Ich  habe  auf  Tafel  XVII  sie  mit  dem  einen  fliehenden  Niobiden  zusam- 
mengestellt, indem  so  ungesucht  der  zitternd  Schutz  suchenden  ein  Rückhalt 
sich  zu  bieten  scheint.  In  der  Zusammenstellung  ist  dabei  wohl  zu  beachten, 
dass  wir  dem  rechten  Arm  der  sogenannten  Psyche  eine  andere  mehr  dem  lin- 
ken Arm  parallele  Richtung  anzuweisen  hatten  und  dadurch  jede  unange- 
nehme Gleichförmigkeit  mit  dem  ausgestreckten  Arme  des  Bruders  wegfallt, 
endlich  dass  sie  in  ihrer  zusammengebeugten  Situation  sehr  gut  die  eigen- 
tümliche Lücke  und  Leere  vor  dem  Niobiden  ausfüllt.  Auch  die  Maasse 
beider  Statuen  empfehlen  eine  solche  Verbindung. 

/.    Niedersinkende  und  auf  dem  Erdboden  sitzende  oder 

liegende  Niobetöchter. 

a.  Die  an  das  Knie  des  Niobiden  gesunkene  Schwester  der  vatikanischen 

Gruppe,    auch  Frocris  genannt. 

Abbildungen:  Thiersch  Epoch.  d.  bild. Kunst  unter  d. Griechen  2.  Aufl.  Taf.  3. 
zu  S.  315;  Clarac  pl.  808.  n.  203S,  mit  der  Ergänzung  durch  den  florentiner  Sohn  MW. 
t.  XXXIII.  n.  142  A.  k ;    Overbeck  Gesch.  d.  Plast,  fig.  69.  c.  d,  unsere  Tafel  XIV.  5—6. 

Wir  haben  bereits  bei  Gelegenheit  des  ältesten  Sohnes  das  wichtige  vati- 
kanische Bruchstück  einer  Gruppe  der  an  das  Knie  einer  ausschreitenden 
männlichen  Gestalt  niedersinkenden  jugendlichen  weiblichen  Gestalt  und  seine 
schlagende  Uebereinstimmnng  in  den  Ueberresten  des  männlichen  Körpers  mit 
jenem  Niobiden,  somit  auch  die  Berechtigung  diese  Gruppe  als  eine  Geschwi- 
stergruppe von  Niobiden  aufzufassen  besprochen.  Uns  interessirt  jetzt  die  Auf- 
fassung der  weiblichen  Gestalt  in  ihrer  Stellung  unter  der  Reihe  sicherer  oder 
wahrscheinlicher  Niobetöchter.  Gerade  dies  ist  eine  Seite,  welche  bei  einer 
ängstlichen  und  einseitigen  Behandlung  dieses  ganzen  Gegenstandes  entschie- 
dene Hedenken  gegen  die  Bezeichnung  als  Niobiden  erregen  müsste ,  ja  viel- 
leicht auch  erregt  hat.  Gerhard  gab  ja  diese  Tochter  für  die  ursprüngliche 
Compositum  auf,  betrachtete  sie  nur  als  eine  spätere  Zusammenstellung,  was 
in  dem  stilistischen  Charakter  derselben  allerdings  ein  scheinbares  Gewicht  er- 
hält; Braun1)  führt  nicht  einmal  die  Deutung  auf  die  Niobiden  an. 


1)  Ruinen  und  Mus.  Roms  S.  344. 

Stark,  NioU.  20 


306  Zweites  Kapitel. 

Eine  sehr  jugendliche ,  weibliche  Gestalt  ist  zum  Tode  in  der  Brust,  wo 
ein  tiefes,  rundes  Loch  sich  zeigt,  verwundet,  an  der  Seite  des  Bruders  zusam- 
mengesunken. Mit  der  rechten  Achsel  aufgelehnt,  in  das  rechte  Knie  gefallen 
scheint  sie  mit  dem  zur  Seite  aufgesetzten  linken  Fuss,  dem  gebogenen  linken 
Knie  noch  einen  schwachen  Versuch  zu  machen  sich  aufrecht  zu  erhalten. 
Aber  der  linke  Arm  hängt  schon  schlaff  zur  Seite  über  die  Weichengegend 
herab  und  auch  im  rechten,  besonders  in  der  Hand  tritt  uns  die  wirksame  To- 
desmacht entgegen.  Mit  einem  Chiton  war  sie  nicht  bekleidet  und  so  zeigt 
sich,  da  der  Peplos  auf  den  Unterkörper  herabgesunken,  gerade  nur  noch  auf 
der  linken  Seite  etwas  höher  um  die  Weichen  und  Kücken  gezogen  ist  und  zu- 
gleich der  gehobene  Oberschenkel  eine  natürliche  Unterlage  bildet,  der  ganze 
Oberkörper,  und  an  der  rechten  Seite  Unterleib  und  Schamgegend  unverhüllt. 
Der  Peplos  ist  in  breiten  Massen  rückwärts  über  das  linke  Bein  geschlagen, 
dann  vorn  um  den  Körper  mit  breitem  Ueberschlag  gezogen,  um  endlich  wie- 
der nach  vorn  mit  seinem  Endzipfel  auf  dem  linken  Oberschenkel  zurückzu- 
kehren und  noch  lang  auf  den  Felsboden  herabzuhängen.  In  dem  Faltenwurf 
tritt  uns  durchaus  der  in  grossen,  nicht  gehäuften  Linien  arbeitende  Stil,  den 
wir  an  den  besten  Niobidenstatuen  beobachten ,  entgegen ,  nichts  Kleinliches, 
Unruhiges,  Effekthaschendes,  eher  eine  gewisse  Magerkeit  und  noch  Befan- 
genheit. Der  linke,  ganz  sichtbare  Fuss  ist  ohne  alle  Bekleidung,  aber  auffal- 
lend sind  die  gedrehten  Armspangen  an  den  Handwurzeln  (enixdQntcu  o<peig) . 
Was  den  Stil  der  nackten  Theile  betrifft ,  so  berufe  ich  mich  hier  auf  das  Ur- 
theil  des  Herrn  von  der  Launitz*  der  die  feinen  Contouren  und  dazwischen  lie- 
genden weichen,  flachen  Massentheile  hervorhebt,  wie  sie  ganz  ähnlich  an  Wer- 
ken, die  so  eben  dem  Archaischen  seh  entringen,  mehrfach  hervortreten.  Der 
Kopf,  welcher  nicht  gleich  mit  gefunden  wurde,  hat  noch  strengere,  archai- 
schere Züge.  Die  Haare  sind  fein  gewellt  und  von  einem  Band  umzogen.  In 
ihm  ist  das  uns  sonst  geläufige  Niobidenideal  nicht  ausgeprägt.  Nach  dem 
Urtheil  Martin  Wagners  ist  der  Kopf  auch  von  anderem  Marmor,  als  der  übrige 
Körper.  Jedenfalls  scheint  die  Neigung  desselben  in  der  Ergänzung  nicht  die 
richtige. 

Leider  sind  auch  wir  nicht  im  Stande  über  eine  angebliche  Wiederho- 
lung dieser  weiblichen  Gestalt,  aber  ohne  Armbänder ,  welche  ebenfalls  im 
Vatikan  sich  befinden  soll,  Auskunft  zu  geben,  deren  Welcker  nach  einer 
schriftlichen  Mittheilung  gedenkt  *) . 

Nach  unseren  früheren  Betrachtungen ,  die  wir  unter  e  besonders  anstell- 
ten ,  im  vergleichenden  Rückblick  auf  die  andern  Denkmälergattungen  kann 
an  und  für  sich  weder  die  starke  Entblössung,  speciell  die  Entblössung  des 


1)  A.  D.  I.  S.  240.  Anm.  24.  Sollte  sie  ein  Relief  sein,  wie  uns  die  Beschreibung  Roms 
II.  2.  S.  43  unter  No.  60  ein  solches  beschreibt,  nämlich  als  eine  an  einen  männlichen 
Schenkel  gelehnte  weibliche  trauernde  sitzende  Gestalt  in  langem  ärmellosem  Chiton  ? 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  307 

Fusses,  noch  der  angebrachte  Schmuck  noch  die  Todeswunden  gegen  die  Auf- 
fassung dieser  Statue  als  Niobide  sprechen ,  wir  fanden  alle  diese  Erscheinun- 
gen vielfach  an  Niobiden  angewandt.  Etwas  anderes  ist  es  natürlich,  ob  sie  in 
dieser  bestimmten  künstlerischen  Behandlung  in  den  Stilcharakter  der  Floren- 
tiner Statuenreihe  hineinpasst.  Da  werden  wir  nicht  die  Entblössung,  wohl 
aber  den  Schmuck,  die  Angabe  der  Wunde,  endlich  die  ganze  Flächenbehand- 
lung als  eine  Eigentümlichkeit  eines  Bildhauers,  welcher  allerdings  nach  der 
Originalgruppe,  aber  nicht  für  die  Florentiner  Copie  oder  eine  ihr  im  Stile 
gleiche  arbeitete,  zu  betrachten  haben.  Dieser  strengere,  an  das  Archaistische 
erinnernde  Hauch,  der  über  die  ganze  Gestalt  verbreitet  ist,  findet  doch  in  der 
Behandlung  der  besten  Niobiden  köpfe,  besonders  der  Augenlinie  und  Haare, 
auch  einiger  Gewänder  schon  eine  Analogie  und  man  muss  wohl  glauben,  dass 
theils  das  Vorbild  selbst,  aus  welchem  im  Vergleich  zu  den  glatten  römischen 
Copien  eine  eigenthümliche  einfache  Grösse  und  wenn  man  will  Strenge  oder 
Präcision  des  künstlerischen  Gedankens  hervorleuchtete,  theils  der  ja  in  Au- 
gusteischer und  darauf  folgender  Zeit  vor  allem  in  religiösen  Statuen  wie  Re- 
liefs bestimmt  hervortretende  Archaismus  hier  zusammengewirkt  haben. 

Was  die  Gesammtmotivirung  betrifft,  so  bedarf  es  wohl  kaum  der  Worte, 
wie  herrlich  dies  Niedersinken  der  jungen  bereits  getroffenen  Schwester  am 
Knie  des  vorwärtseilenden ,  sie  gleichsam  auffangenden  Bruders  gedacht  ist. 
Ich  erinnere  dabei  an  die  sinkende  Schwester  im  Relief  Campana ,  an  die  in 
der  Wärterin  oder  des  Pädagogen  Armen  noch  aufgehaltenen  Töchter  der  Sar- 
kophagreliefs,   endlich   an    den   Ausdruck  Meleagers:    inl  yovvaaiv  —  %i- 
xAiYcrt1).    Aber  zugleich  mache  ich  darauf  aufmerksam,  dass  in  denselben  nur 
ein  Gegenstück  zu  dem  sich  aufstemmenden  Bruder  gegeben  zu  sein  scheint, 
jedoch  nicht  ein  einfaches,  sondern  durch  den  weiblichen  Charakter  und  die 
Gruppirung,  sowie  durch  den  Grad  der  bereits  wirksam  gewordenen  Todes- 
macht eigenthümlich  contrastirendes.    Damit  ist  zugleich  auch  gar  nicht  ge- 
sagt, dass  sie  lokal  streng  symmetrisch  sich  entsprechen,  im  Gegen theil  haben 
wir  auch  darin  ein  chiastisches  Verhältniss  eher  zu  erwarten.  Dort  ein  Einsin- 
ken auf  das  linke  Knie,  hier  auf  das  rechte,  dort  ein  schräg  Aufsetzen  und 
Anstemmen  im  rechten  Bein,  hier  im  linken  Bein,  dort  ein  höheres  Heben  der 
linken,  hier  der  rechten  Schulter,  dort  ein  straffes  Anspannen  des  linken  Ar- 
mes, hier  ein  völliges  schlaffes  Hängenlassen  derselben,  dort  ein  Ausruhen 
mehr  des  rechten  Armes  auf  dem  rechten  Oberschenkel ,  hier  ein  festes ,  fast 
steif  erscheinendes  Anlehnen  des  rechten  Armes  an  einen  fremden  Körper. 

6.  Die  As  tragalenspielerin  als  angebliche  Niobide. 
Die  Frage  kann  man  sich  wohl  aufwerfen ,  ob  nicht  schliesslich  auch  eine 
auf  die  Erde  gesunkene,  irgend  gelagerte  oder  liegende  Niobetochter  unter  dem 


1)  S.  obenS.  60.  146. 

20 


308  Zweites  Kapitel. 

Vorrath  der  antiken  Marmorwerke  aufzufinden  sei,  um  so  mehr  als  uns  ja  ein 
liegender  Sohn  in  mehrfachen  Exemplaren  und  zwar  nach  einem  augenschein- 
lich so  ausgezeichneten  Original  bekannt  ist.  In  der  That  hat  man  früher  eine 
mädchenhafte,  mit  einem  Arm  auf  die  Erde  gestützte,  auf  derselben  mit  einge- 
zogenen Beinen  halbgelagerte  Gestalt ,  welche  jetzt  in  einer  ganzen  Reihe  von 
zum  Theil  freien  Wiederholungen  in  Marmor  nachgewiesen  ist,  als  Niobetoch- 
ter  bezeichnet.  Und  jetzt  hat  Welcker  und  mit  ihm  die  meisten  der  Neuem 
eine  ganz  gelagerte  todte  Niobide  als  zugehörig  zur  Gruppe  verlangt. 

Dass  das  liebliche  Bild  einer  unbefangenen ,  im  Spiel  mit  Astragalen  oder 
Muscheln  ganz  beschäftigten  Mädchennatur,  wie  sie  uns  die  Statuen  von  Tyn- 
daris,  jetzt  in  Neapel,  des  Palazzo  Colonna  in  Rom,  des  Louvre  in  Paris,  des 
brittischen  Museums,  der  Sammlungen  von  Dresden,  Berlin  und  Hannover 
vorführen,  wobei  der  Porträtauffassung  ein  freier  Spielraum  gegeben  war1), 
eine  Niobetochtcr  darstellen  könne,  hat  rein  als  Gedanke  gefasst  mannigfach 
Ansprechendes,  wie  ja  die  poetische  Erzählung  wohl  die  plötzliche  Ueberra- 
schung  der  Niobiden  in  den  ihrem  Alter  angemessenen  Beschäftigungen  oder 
Erholungen  berichtet.  Dazu  kam  noch  jene  von  uns  näher  betrachtete3)  her- 
culanensische  Zeichnung  mit  der  Gruppe  von  den  Astragalen  spielenden  Hi- 
leairia  und  Phoibe  bei  Leto  und  Niobe,  die  man,  wie  wir  gesehen,  ohne  allen 
Grund  für  Niobetöchter  erklärte.  Und  so  dachten  sich  Lanzi  und  Fea8)  jene 
Astragalen  Spielerin  zur  grossen  Niobidengruppe  gehörig;  um  so  mehr  als  das 
Exemplar  im  Palast  Colonna  durch  den  ergänzten  linken  Arm  ein  Erschrecken 
aus  dem  Spiele  auszuprägen  schien.  Selbst  Avellino  und  Gerhard  haben  den 
Gedanken  an  eine  Astragalen  Spielerin  unter  den  Niobiden  nicht  ganz  aufgege- 
ben, wie  wir  schon  oben  für  den  letzteren  bei  Gelegenheit  der  Replik  der  jüngsten 
Tochter  unter  der  Familie  des  Lykomedes  sahen  4) .  Visconti 5),  Levezow  8) ,  zuletzt 
in  umsichtigster  Weise  Welcker7)  haben  diese  Beziehung  auf  Niobiden  zurück- 
gewiesen. In  der  That  sprechen  auch  alle  Momente  dagegen:  und  vor  allem  be- 
steht ein  unauflöslicher  Widerspruch  zwischen  einer  in  sich  wohl  abgerundeten 
Genrebildung  und  einer  hoch  tragischen,  durch  verschiedene  Stufen  immer  sich 
erneuenden ,  auf  eine  hoch  darüber  waltende  Gottesgewalt  sich  beziehenden 
Situation.  Dass  jenes  Bild  nicht  für  die  Möglichkeit  zeugen  kann  ,  liegt  nach 
unserer  Behandlung  desselben  auf  der  Hand.  Aber  auch  jene  Terracotta  von 
Fasano,  in  der  doch  Unruhe,  Hast  ausgeprägt  ist,  wovon  in  jenen  Statuen 


1)  Vgl.  Müller  Hdb.  d.  Archäol.  3.  Aufl.  §.  430.  Anm.  1 ;  Panofka  in  Abhdl.  d.  Berl. 
Akad.  d.  W.  hist.-philos.  Kl.  1S53.  Taf.  III.  IV.  V.  S.  176—181. 

2)  S.  158. 

3)  Winkelmann  Kunstgesch.  ital.  Uebers.  T.  II.  p.  200. 

4)  Bull.  Napolet.  I.  p.  116;  Verz.  d.  Berl.  Antik.  1858.  S.  21.  n.  75. 

5)  Mus.  Napol.  IV.  4  (?)  nach  "Welckers  Anführung. 

6)  Böttigers  Amalthea  I.  S.  194. 

7)  A.  D.  I.  S.  248.  Anm. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  309 

keine  Spur  sich  zeigt,  kann  nach  unserer  Darlegung  nicht  dafür  angewendet 
werden,  da  sie  ja  selbst  als  Niobide  nicht  feststeht.  Und  kein  Relief,  kein  Va- 
senbild giebt  uns  bei  der  viel  grösseren  Freiheit,  die  diesen  Gattungen  zusteht, 
eine  Analogie  zu  einer  so  in  naivster  Unwissenheit  fortspielenden  Tochter  mit- 
ten in  der  Katastrophe  ihrer  Familie. 

c.   Eine  liegende  Niobetochter  als  Forderung. 

Wie  steht  es  aber  mit  einer  liegenden  Niobetochter,  die  Welcker  für 
das  eine  Ende  seiner  Aufstellung  verlangt f)  ?  Wir  sehen  hier  natürlich  zu- 
nächst ganz  ab  von  den  Bedingungen  eines  Giebels,  denn  diese  lassen  über- 
haupt nur  eine  zweite  gelagerte  Statue,  nicht  gerade  eine  weibliche  wünschen. 
Zunächst  ist  einfach  zu  antworten ,  wir  kennen  unter  dem  grossen  Vorrath  ru- 
hender weiblicher  Statuen,  unter  denen  neben  der  Hauptmasse  schlafender 
oder  gelagerter  Nymphen2)  doch  auch  eine  todt  ausgestreckte  Amazone  nicht 
fehlt8),  bisher  keine  einzige  einer  Niobide  ähnliche  Bildung.  Ferner  bei  der 
Ueberschau  der  Niobidendenkmäler  sind  uns  einzelne  hingestreckte  Niobe- 
tochter kaum  begegnet,  indem  wir  natürlich  dabei  von  dem  einmal  vorkom 
menden  oberen  Fries  absehen,  wo  die  Leichen  der  Söhne  und  Töchter  getrennt, 
auf  einander  gehäuft  uns  wie  ein  Threnos  am  Schlüsse  der  Tragödie  begegne- 
ten. Während  wir  sonst  im  Relief  Campana  und  Albani  so  treffliche  einzelne 
hingestreckte  Söhne  der  Niobe  fanden ,  während  uns  an  der  Nebenseite  der 
Sarkophage  nur  einer  hingestreckt  oder  auch  in  die  Arme  niedergesunken  be- 
gegnet, so  sehen  wir  nur  einmal  auf  dem  Münchner  Relief  eine  schwache, 
flüchtige  Andeutung  einer  liegenden  Tochterleiche,  die  auf  dem  vatikanischen 
geradezu  ausgelassen  ist  und  sichtlich  dazu  dient  die  Zahl  voll  zu  machen, 
nicht  künstlerisch  zu  wirken.  Meleager4)  sah  allerdings  in  dem  ihm  vorschwe- 
benden Kunstwerk  eine  Tochter  auf  die  Erde  gelehnt,  gesunken,  wenn  auch 
schwerlich  aber  ausgestreckt  liegen.  Ich  glaube  daher,  es  ist  kein  blosser  Zu- 
fall, dass  wir  einer  derartigen  statuarischen  Bildung  noch  nicht  begegnet  sind, 
im  Gegentheil  ein  feines  künstlerisches  Gefühl  hat  die  Griechen  überhaupt  ab- 
gehalten in  dieser  Weise  markirt  für  sich  eine  wehrlose,  zarte  Frauengcstalt 
dem  Tode  verfallen,  ohne  irgend  thätige,  helfende  Liebe,  zur  Schau  gleichsam 
auszustellen.  Natürlich  bei  den  kämpfenden,  männermordenden  Amazonen  fiel 
dieses  Bedenken  weg,  im  Gegentheil  hier  sollte  ihre  männliche,  im  Barbaren- 
tbum  mit  begründete  Natur  gerade  wirken.  Und  bei  der  Klytemnästra,  deren 
auf  der  Erde  ausgestreckter  Leiche  wir   auf  unsern  Sarkophagreliefs  begeg- 


1)  A.  D.  I.  S.  286. 

2)  Ich  citire  nur  aus  Clarac  pl.  324.  n.  1666;  pl.  749  c.  n.  1825  A.  n.  1801  D;  pl.  750. 
n.  1829  A.  B.  C.  I);  1835;  pl.  751.  n.  1826.  1827. 

3)  Clarac  pl.  810  A.  n.  2035. 

4)  S.  S.  146. 


310  Zweites  Kapitel. 

nen1),  ist  es  gerade  das  Unerhörte  dieses  Mordes  aber  zugleich  ihre  eigene, 
über  alles  weibliche  Gefühl  hillausgeschrittene  Natur,  welche  zur  Anschauung 
gelangen  soll.  Endlich  haben  wir  uns  bei  grössern  Gruppiruugen  und  zwar 
Werken  der  zur  grössten  Freiheit  durchgedrungenen  Kunst  wohl  zu  hüten 
einfach  mechanische  Gegengewichte  überall  zu  verlangen,  im  Gegentheil  wird 
es  eine  Quelle  neuer  Schönheiten  das  äusserlich  Unsymmetrische  und  schein- 
bar Unvollständig«  durch  eine  innere  Wechselbeziehung  und  durch  auch 
räumlich  wirkende  Unterordnung  uuter  eine  höhere  Kunstidee  auszugleichen. 

K.    Statuen  der  strafenden  Götter  und  des  Amphion  in  der 

Niobi  den  reihe. 

Ueberhaupt  die  Frage  sich  aufzuwerfen,  ob  in  die  Reihe  der  Niobiden- 
statuen,  die  wir  in  ihren  mannigfaltigen  Motiven  und  in  der  Fülle  ihrer  Wie- 
derholungen so  eben  kennen  lernten,  nicht  schliesslich  auch  noch  die  Statuen 
der  schiessenden,  strafenden  Götter  aufzunehmen  seien,  ist  gewiss  in  der  Ana- 
logie der  anderen  Denkmälergattungen  und  in  dem  mythischen  Stoffe  als 
solchem  begründet.  Diese  Frage  ist  aber  nicht  allein  aufgestellt,  sondern 
auch  bejaht  worden  von  Männern  anerkannten  Kunsturtheils,  so  von  Azara2), 
von  Aloys  Hirt3)  und  Martin  Wagner4) ;  ja  man  fand  in  dem  Apoll  von  Hel- 
vedere  den  gesuchten  Apollo,  in  Diana  von  Versailles  die  entsprechende  Göttin. 
Welcker5)  und  Feuerbach0)  haben  in  eingehender  Weise,  jener  die  allgemeine 
Annahme,  dieser  die  specielle  Verwendung  jener  zwei  Statuen  bekämpft  und 
zurückgewiesen.  Fassen  wir  daher  nur  kurz  die  entscheidenden  Momente 
zusammen. 

Es  handelt  sich  für  uns  nicht  um  die  Frage,  ob  überhaupt  bei  einer  statu- 
arischen Niobidendarstellung  die  Götter  anwesend  gedacht  werden  können  — 
wir  sahen  bereits  früher,  dass  jenes  Werk  in  der  Grotte  über  dem  Dionysos- 
theater zu  Athen,  bei  dem  die  Götter  ausdrücklich  erwähnt  werden,  mög- 
licherweise als  Statuenreihe  aufzufassen  ist,  auch  Welcker  führte  mit  Hecht  eine 
Bronzestatue  aus  Pompeji  an,  welche  in  ihrer  ganzen  Motivirung  mit  dem  schies- 
senden Apollo  der  zwei  Niobidensarkophage  stimmt,  auf7)  —  es  handelt  sich 
darum,  ob  dieser  Statuenverein  in  Marmor,  den  wir  in  seinen  Bestaudtheilen 
kennen  gelernt  haben,  uuter  sich  oder  neben  sich  Statuen  des  Apollo  und  der 


1)  Overbeck  Gallerie  heroisch.  Bilder.  S.  fix«)  ff.  n.  26— 3-J.  Taf.  XXIX.  1. 

2)  Note  zu  Itaff.  Mengs  Opere  p.  305. 

3)  Schon  in  den  Hören  Jahrg.  17117.   10.  St.  S.  20,  dann  in  Wolfs  literar.  Analekten  1. 
S.  1  IG,  Mythol.  Bilderb.  I.  S.  32  und  noch  in  Jbb.  f.  wissensch.  Kritik  JS27.  S.  2 IS. 

4)  Kunstbl.  1830.  n.  5S.  S.  231. 

5)  Alte  Dcnkm.  I.  S.  255  ff. 
0)  Vatikan.  Apollo  S.  215  ff. 

7)  A.  D.  I.  S.  255 ;  Mus.  Borb.  VIII.  0 ;  Overbeck  Pompeji  S.  374.  e. 


Statistik  und  Einzelbetrachtung  der  statuarischen  Werke.  311 

Artemis  dulde,  ob  die  Worte  des  Plinius  für  oder  gegen  die  Anwesenheit  der- 
selben in  der  berühmten  Gruppe  des  Skopas  oder  Praxiteles  sprechen.  Da 
müssen  wir  entschieden  sagen,  die  ganze  Motivirung  der  oben  über  sich  die 
drohenden  und  vernichtenden  Mächte  suchenden  Gestalten  widerspricht  einer 
Nebenaufstellung  derselben  verkörperten  Mächte ;  widerspricht  allen  sonsti- 
gen künstlichen  Versuchen  der  Aufstelluug  davor  oder  darüber.  Neben  dem 
immer  gesteigerten,  in  der  Mutter  gipfelnden  dramatischen  Miterleben  der 
geistigen  und  körperlichen  tiefsten  Erregungen  dieser  idealen  Menschen  fin- 
den wir  keinen  Platz  mehr  für  die  künstlerische  Wirkung  eines  körperhaft 
erscheinenden  Götterzornes  oder  die  Erscheinung  kalter  ruhiger  Todesvoll- 
strecker. Dem  SagenstofF  nach  bilden  sie  die  nothwendige  Voraussetzung, 
aber  künstlerisch  ein  zweites,  das  vorhandene,  rein  menschliche  beeinträch- 
tigendes Centrum  der  Betrachtung.  Und  gerade  der  Marmor  als  Stoff  und 
die  Meisterschaft,  mit  der  seine  eigenthümliche  Natur  für  das  pulsirende 
Leben  der  Körper  uud  den  lebenerfüllten  Schwung  der  Gewandung  von  dem 
Meister  des  Urbildes  erkannt  und  benutzt  ist,  widerspricht  noch  besonders 
einer  schlichten,  religiösen  oder  mehr  epischen,  vollständigen  und  breiten 
Hinzufügung  der  Götter.  Endlich  würde  schwerlich  Plinius  den  so  bezeich- 
nenden Ausdruck Niobes  liberos  morientis  gebraucht  haben,  wenn  er  oder  das 
Publicum  die  vernichtenden  Götter  dabei  vor  Augen  gesehen  hätte.  Wie 
bestimmt  nennt  Pausanias  diese  dabei  bei  den  zwei  von  ihm  gesehenen  pla- 
stischen Werken  *)  ! 

Eine  andere  Frage  wird  schliesslich  neben  der  eben  behandelten  auch 
eine  Beantwortung  suchen ;  wie  kommt  es,  dass  uns  der  Vater  der  Kinder, 
Amphion  ,  nicht  unter  den  Statuen  begegnet  und  haben  wir  ihn  nicht  noch 
als  fehlend  vorauszusetzen  (  Wir  sahen,  dass  man  den  Pädagogen  zuerst  für 
Amphion  hielt,  aber  auch,  dass  er  es  nicht  ist,  noch  sein  kann.  Bei  der 
Durchmusterung  der  Denkmäler  trat  uns  überall  die  reiche  künstlerische  Ver- 
wendung der  Pädagogen  und  Wärterinnen  neben  der  hoch  über  ihnen  stehen- 
den Mutter  entgegen,  nur  in  einer  und  zwar  der  späteren  Klasse  der  Sarko- 
phagreliefs ist  uns  neben  der  Mehrzahl  jener  Gestalten  zuerst  Amphion 
und  zwar  schützend  und  ankämpfend  gegen  Oben  wie  eine  Art  Episode  be- 
gegnet. Gewiss  ein  Beweis,  dass  auch  künstlerisch  wie  poetisch  die  Mutter 
und  wesentlich  nur  die  Mutter  mit  und  in  ihren  Kindern  als  den  Götterzorn 
herausfordernd  und  leidend  gedacht  ward,  dass  der  Untergang  der  Kinder 
vor  ihren  Augen  um  sie  erfolgt,  während  der  Gemahl  als  abwesend,  als  zur 
Seite  stehend,  als  nur  halb  zum  Kreise  gehörig ,  gleichsam  einen  anderen 
Lebensweg  gehend  gefasst  ward.  Wenn  er  erscheint,  konnte  er  nicht  dul- 
dend, fliehend,  jammernd,  nein  nur  kämpfend,  mit  den  Göttern  ringend 
erscheinen.    Und  würden  wir  uns  ihn  als  solchen  in  diese  Reihe  der  durchaus 


1)  Dies  hebt  auch  Feuerbach  schon  treffend  hervor. 


312  Zweites  Kapitel. 

ähnlich  gestimmten,  wenn  auch  von  der  vollen  Ergebung  zum  edelsten  Selbst- 
gefühl sich  erhebenden  pathetischen  Naturen  einreihen  können?  Gewiss 
nieht.  Damit  ist  allerdings  nicht  gesagt,  dass  Amphion  mit  dem  Söhnchen 
im  Arm  ankämpfend  gegen  die  Götter  als  eine  treffliche  Einzelgruppe  oder 
auch  als  Glied  einer  mehr  realistisch-historisch  gefassten  Gesammtscene  nicht 
gedacht  werden  könne.  Ihm  fehlt  durchaus  der  Hauch  geistiger  Grösse  bei 
dem  Mangel  aller  irdischen  Hülfe,  der  die  von  uns  als  zu  den  Niobiden  ge- 
hörig erkannten  Statuen  durchdringt. 

§  22. 

Die  Oesanftntgrappirung  der  Statuen.    Künstlerischer  Charakter.    Skopas  oder 

Praxiteles  ? 

Unsere  bisherige  Untersuchung  über  die  statuarischen  Werke  der  Niobe- 
sage  ist  analytisch  von  den  sicheren  einzelnen  Hauptpunkten,  vergleichend 
und  suchend  durch  die  zur  Einreihung  sich  darbietenden  Denkmäler  fort- 
geschritten. Ungesucht  ergab  sich  dabei  ein  Fortgang  künstlerischer  Motive 
vom  höchsten  Leben  zur  Kühe  des  Todes,  von  grossartiger  Entfaltung  der 
ganzen  Gestalt  zum  völligen  Zusammenbrechen  derselben,  es  ergab  sich  eine 
grosse  Analogie  und  doch  wieder  bezeichnende  Abweichungen  für  männ- 
liche und  weibliche  Naturen.  Wir  stehen  nun  an  dem  Punkte,  wo  die  Syn- 
these einzutreten  hat,  wo  ein  Grundschema  herangebracht  werden  soll,  dem 
die  einzelnen  Glieder  sich  in  ihrer  Ordnung  fügen,  welches  zugleich  massge- 
bend sei,  um  Lücken  in  dem  Vorhandenen  oder  auch  nothwendige  Ausschei- 
dungen zu  constatiren. 

Dieses  Schema  erwächst  einerseits  aus  der  Verbindung  mehrerer  plasti- 
scher, runder  Werke  selbst  in  der  Forderung  der  Symmetrie,  in  dem  Gleich- 
gewicht der  Glieder  um  einen  oder  mehrere  Mittelpunkte,  in  der  Vervielfälti- 
gung und  Verschlingung  dieser  symmetrischen  Elcmentargruppen ,  in  der 
Gleichmässigkeit  des  Rhythmus,  der  alle  Theile  schliesslich  beherrscht.  Aber 
das  Schema  wird  auch  gegeben  durch  die  Kaumverhältnisse,  in  welche  eine 
Statuenreihe  eintritt,  durch  die  bestimmte  Beziehung,  nicht  blos  zu  einem 
architektonischen  Rahmen,  sondern  auch  zu  architektonischen  Gliederungen, 
denen  sich  die  Plastik  fugt.  Und  mit  der  Architektur  erwächst  sofort  auch 
eine  nicht  blos  künstlerische,  sondern  auch  ethische  Bedingtheit  für  das  pla- 
stische Werk. 

Für  unseren  Gegenstand  erhält  die  Prüfung  der  verschiedenen,  versuch- 
ten und  durchgeführten  Grundformen  eine  cigenthümliche  Schwierigkeit  und 
Bedeutsamkeit  noch  dadurch,  dass  wir  not h wendig  Beides  ins  Auge  zu  fassen 
haben,  hier  die  literarischen  Zeugnisse  für  jene  Originalgruppe  des  Skopas 
oder  Praxiteles  und  die  von  uns  daraus  gewonnenen  Resultate  für  deren 
Geschichte,  dort  die  sichtbaren   Glieder  einer  ausserordentlich  oft  und  in 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  313 

grösserer  und  kleinerer  Vollständigkeit,  mit  sichtbaren  Modifikationen,  mit 
mehr  oder  minderem  Geschick  wiederholten,  aber  auch  nur  in  solchen  Co- 
pieen  erhaltenen  Gruppe,  die  wir  allerdings  alle  Ursache  haben  mit  jenem 
Werk  der  höchsten  griechischen  Kunst  für  identisch  zu  erklären.  Es  liegt 
durchaus  in  den  erhaltenen  Statuen  kein  innerer  Grund  vor,  sie  als  aus  ver- 
schiedenen Originalcompositionen  entnommen  zu  denken.  Darauf  hinzie- 
lende Behauptungen,  wie  die  Böttiger's  über  drei  Statuenvereine1),  oder  von 
Raoul  Hochette*)  über  fünf  sind  bis  jetzt  durch  nichts  begründete  Vermu- 
thungen. 

Wir  haben  es  historisch  bereits  darzulegen  versucht,  welche  Fülle  von 
GesammtaufTassungcn  an  die  Niobidengruppe  herangebracht  ist,  wie  an  ihr 
überhaupt  das  Wesen  der  Gruppe  so  recht  in  ihrem  Reichthum  von  möglichen 
Formen  zum  Bewusstscin  gekommen  ist.  Jetzt  gilt  es  nebeneinander  diese 
Grundschemen  sich  vorzulegen  und  in  ihrem  Werthe  für  unsere  Gruppe  zu 
prüfen.  Voran  tritt  nach  Begründung  und  herrschender  Geltung  die  Auf- 
fassung als  einheitliche  Giebelgruppe  an  einem  Apollotempel.  Hierbei 
hält  die  strengere  Ansicht  fest,  dass  die  Statuen  auch  in  Rom  im  Giebel  des 
Tempels  des  Apollo  Sosianus  aufgestellt  waren,  eine  mehr  vermittelnde  lässt 
die  Aufstellung  in  Rom  unbestimmt,  ja  giebt  eine  solche  irgendwo  im  Tem- 
pelbereich mit  entsprechenden  Modifikationen  zu.  Noch  weiter  entfernen 
sich  Vermuthungen,  wie  die  von  E.  Braun3),  dass  die  vorhandenen  Statuen 
nur  in  zwei  Giebelfeldern,  dem  einen  mit  Niobe,  dem  anderen  mit  dem  Päda- 
gogen zu  vertheilen  seien,  oder  wie  die  umgekehrte  von  Burckhardt 4) ,  die 
ursprünglich  einheitliche  Giebelgruppe  sei  durch  einen  römischen  Copisten, 
der  den  Pädagogen  geschaffen,  in  zwei  Gruppen  getheilt  worden  und  so  auch 
in  Rom  aufgestellt. 

Gegenüber  stehen  alle  älteren  und  wieder  die  zuletzt  ausgesprochenen 
Ansichten.  Sie  theilcn  sich  wesentlich  wieder  danach,  je  nachdem  der  Be- 
griff der  Gruppe  als  einer  einheitlichen  und  zwar  von  einem  dramati- 
schen Grundgedanken  getragenen  Compositum  scharf  gefasst  wird  oder 
möglichst  locker  gehalten  und  mehr  ein  Statuen  verein,  bei  dem  das  Haupt- 
gewicht auf  die  einzelne  Statue  fällt,  gefunden  wird.  Der  Hauptrepräsentant 
der  letzteren  Anschauung  H.  Meyer  dachte  sich  die  Statuen  in  einzelnen 
Nischen  eines  runden  oder  halbrunden  Tempelraumes  vertheilt.  Bei  der 
Durchführung  der  ersteren  wurden  zwei  architektonische  Hauptformen  zu 
Grunde  gelegt :  hier  die  Aufstellung  an  einer  Wandfläche  auf  derselben  oder 
auf  unterbrochener  Basis,  dort  die  Aufstellung  malerischer  Natur  im  Freien  in 
einem  Halbkreis  mit  Vertheilung  auch  auf  dem  Mittelraum  (M.  Wagner). 

1)  Andeut.  zu  24  Vorles.  S.  174. 

2)  Monum.  ined.  p.  427. 

3)  Kuin.  u.  Mus.  Roms  S.  502. 

4)  Cicerone.  S.  500. 


314  Zweites  Kapitel. 

In  der  Mitte  zwischen  beiden  steht  wieder  ein  Versuch,  der  von  Ramdohr 
gemacht,  von  Levezow  wesentlich  adoptirt  ist,  die  Statuen  an  eine  Wand- 
flache  zwar  anzulehnen,  aber  sie  rechts  und  links  davon  gleichsam  nach  Vor- 
dergrund, Mittelgrund,  Hintergrund  in  Abstufungen  abzulösen.  Noch  weiter 
musste  die  Frage  bei  der  Annahme  einer  Längenaufstellung  vor  einem  Wand- 
hintergrund sich  specialisiren :  haben  wir  an  die  Celle  des  Tempels,  an  den 
'  Pronaos,  an  die  den  Teinpelhof  umgebenden  Säulenhallen  zu  denken,  haben 
wir  die  Statuen  zwischen  die  Säulen  eingeordnet,  oder  sie  ohne  Rücksicht 
auf  diese  hart  an  der  hintern  Wand  stehend  aufzufassen  ? 

Die  Grundfrage  für  uns  bleibt :  ist  die  Niobidengruppe  im  engsten,  un- 
tergeordneten Verhältniss  zur  Architektur  und  zwar  für  den  Giebel  eines 
Apollotempels  vom  Künstler  entworfen  und  ausgeführt  worden  ?  Alle  vermit- 
telnden Vorschläge  erledigen  sich  mit  ihr.  Im  Fall  ihrer  Verneinung  wird 
eine  eingehende  Kritik  der  anderen  Reihe  von  Ansichten  kaum  nöthig  sein, 
wenn  ein  Weg  gefunden  wird,  der  methodisch  fortschreitend,  die  sonstigen 
Bedenken  beseitigend  zu  einem  festen  Ziele  unter  den  verschiedenen  gelangt. 
Die  Beantwortung  der  Hauptfrage  kann  nur  dann  auf  bleibende  Geltung  An- 
spruch machen,  wenn  sie  von  der  Vergleichung  der  uns  bekannten  Giebel- 
gruppen und  von  den  festgestellten  Verhältnissen  einer  solchen  zum  griechi- 
schen Tempelbau  ausgehend  in  allen  Hauptgesichtspunkten  die  vorhandene 
Niobidenreihe  und  die  hinter  ihr  liegende  literarisch  bezeugte  Original- 
gruppe prüfend  untersucht.  Wir  müssen  aber  nun  sagen,  die  Erwägung  der 
literarischen  Zeugnisse  über  die  Aufstellung  in  Rom,  die  Thatsachen  der 
copirenden  Kunstthätigkeit,  die  T e c h n i k  der  Ausführung ,  die  in 
den  Statuen  gegebenen  linearen  Verhältnisse  der  Zusammenordnung, 
die  Ausprägung  des  geistigen  Lebens,  endlich  auch  der  Gegenstand 
der  Behandlung  selbst  widersprechen  der  Annahme  einer  Giebelcomposition. 
Ja,  wir  haben  schliesslich  zu  fragen,  werden  wir  der  eigen thümlichen  Stel- 
lung des  S  k  o  p  a  s  und  Praxiteles  in  der  Kunstgeschichte  gerecht,  wenn 
wir  dieses  Werk  des  Niobidenunterganges  als  eine  Giebelgruppe  fassen  ? f) 


1)  Ueber  Giebeldarstellungen  überhaupt  hat  nach  Cockereli  (Quarterly  Journal  of 
litter.  science  and  the  arte  VI.  p.  329  f.,  Brit.  Mus.  VI.  p.  20)  und  Bröndstedt  (Reisen  und 
Untersuchungen  in  Griechenland  II.  S.  156  ff.)  am  eingehendsten  Welcker  in  der  schönen 
Einleitung  zu  den  Giebelgruppen  (A.  I).  I.  S.  3  -29)  gehandelt,  dazu  kommen  jetzt  noch 
die  interessanten  Bemerkungen  von  Brunn  über  römische  Giebelgruppen  in  Annali  XXIII. 
1851.  p.  2S9— 297  ;  XXIV.  1S52.  p.  33«— 345.  Es  fehlt  aber  bis  jetzt  an  einer  das  vorhan- 
dene Material  umfassend  bearbeitenden  Darstellung,  es  kommen  dabei  Reliefs,  Grabmäler, 
Münzen  vor  allem  auch  in  Betracht.  Wir  verzeichnen  im  Folgenden  die  von  uns  hier  ver- 
glichenen Giebeldarstellungen  von  Tempeln ,  dann  eine  Zahl  kleinerer  Monumente  mit 
Aetomata,  indem  wir  die  unmittelbar  erhaltenen  und  literarisch  bezeugten  voranstellen : 
1.  2.  Gicbelgruppen  des  Athcnetempels  zu  Aegina:  Gegenstand:  Heroenkämpfe  der 
Aeakiden  und  Trojaner  unter  Athenes  Schutz.   Vgl.  AVelcker  A.  D.  I.  S.  30 — 66. 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  3 1 5 

Unsere  frühere  Untersuchung  im  fünfzehnten  Paragraph  hat  aus  dem 
Plinianischen  Sprachgebrauch  die  volle  Unwahrscheinlichkeit  der  Aufstellung 
der  Niobidengruppe  im  Tempelgebäudc  des  Apollo   Sosianus  selbst,    noch 


3.  4.  Dsgl.  des  Parthenon  zu  Athen.  Gegenstand:  die  Geburt  der  Athene  uritt 
Streit  der  Athene  und  des  Poseidon  um  Attika  (Paus.  I.  24.  5).  Vgl.  Welcker 
A.  D.  I.  S.  67—150. 
5.  O  estlich  er  und  nach  Koss  auch  westlicher  Giebel  des  Theseion  mit  sieben 
Spuren  von  sieben  Figuren.  Vgl.  Koss  das  Theseion  und  der  Tempel  des  Ares. 
1852.  S.  10.  Anm.  32;  Welcker  a.  a.  O.  S.  15.  Anm.  16. 

6.  7.  Zwei  Giebelfelder  in  Delphi  am  Apollotem  pel.  Gegenstand  Apollo, 
Leto,  Artemis  mit  den  Musen;  Dionysos  mit  denThyaden  (Paus.  X.19.  3).  Vgl. 
Welcker  a.a.  O.  S.  J51 — 17K. 

8.  9.  Zwei  Giebelfelder  wahrscheinlich,  nicht  eines  imHerakleion  zu  Theben. 
Gegenstand  (Paus.  IX.  1 1.  -1) :  eilf  Kämpfe  des  Herakles.  Vgl.  Welcker  a.a.O. 
S.  207  f. 

10.  11.  Dsgl.  am  Heraeon  bei  Argos.  Gegenstand:  Zeusgeburt  und  Gigantenkampf, 
Trojanischer  Krieg,  Einnahme  von  llion.  Möglich  bleibt  bei  dem  Ausdruck : 
6770a«  vnk(>  roig  x(ovag  —  tl{tynafiira  (Paus.  II.  17.  3)  die  Beziehung  auf  Metopen 
oder  Fries,  oder  auf  Metopen  und  Giebel.  Vgl.  Welcker  a.a.O.  S.  191  —  194. 
Statuenfragmente  s.  Bursian  in  N.  Jbb.  f.  Philol.  LXXVII.  S.  100  f. 

12.  13.  Dsgl.  am  Zeustempel  zu  Olympia.  Gegenstand:  Wettkampf  von  Pelops 
und  Oinomaos  vor  Zeus  und  Lapithen-  und  Kentaurenkampf  (Paus.  V.  10.  2). 
Vgl.  Welcker  a.a  O.  S.  179—190. 
14.  Giebel  am  Thesauros  der  Megarenser  in  Olympia.  Gegenstand:  Gigan- 
ten- und  Götterkampf.  Ob  das  tntliyyaoTtti  rw  attM  nothwendig  ein  Uautrelief 
bezeichne  bei  Pausanias  (VI.  19.  9),  scheint  mir  nicht  erwiesen.  Vgl.  Welcker 
a.a.O.  S.  13.  Anm.  11. 

15.  16.  Zwei  Giebelfelder  am  Tempel  der  AthenaAlea  bei  T  e  g  e  a.  Gegenstand  nach 
Pausanias  (VIII.  45.  4)  :  Jagd  des  kalydonischen  Ebers  und  Kampf  des  Telephos 
mit  Achill  in  der  Kaikosebene.  Vgl.  Welcker  a.  a.  O.  S.  199—206. 

17.  18.  Zwei  Giebelfelder  am  Olympieion  zu  Agrigent.  Gegenstand:  im  Ostgie- 
bel Gigantomachie ,  im  Westgiebel  Einnahme  Trojas  (Diod.  XIII.  82).  Vgl. 
Welcker  a.  a.  O.  S.  195—198. 

19.  20.  Zwei  Giebel  am  Nereidendenkmal  zu  Xanthos  in  Lykien  mit  Hautreliefs. 
Gegenstand :  sechs  Götter  zum  Theil  thronend  mit  nahenden,  verehrenden  Jüng- 
lingen und  Mädchen,  und  Kampf  von  Hopliten  und  Reitern.  Vgl.  Fellows  aecount 
of  the  ionic  trophy  monum.  at  Xanthus.  Lond.  184$.  Tav.  j  Urlichs  in  Vhdl.  d. 
Philol.  u.  Schulm.  1860.  S.  61  ff. 

21.  Giebel  einer  ionischen  Grabfacade  im  Fels  bei  Antiphellos  in  Lykien.  Haut- 
relief mit  sieben  Personen :  auf  dem  Lager  Ruhender,  Stehender,  Sitzender  in 
Abstufung.  Vgl.  Texier  Asie  mineure  Part  III.  vol.  3.  pl.  198. 

22.  Giebel  einer  Grabfacade  im  Fels  ebendaselbst.  Hervorragender  Kopf  eines 
Thieres  (wahrscheinlich  Wolfs).  Vgl.  Texier  a.  a.  O.  pl.  199. 

23.  Dsgl.  einer  Grabfacade  von  Myra.  Darin  Löwe  und  Stier  sich  an  den  Köpfen 
packend.  Vgl.  Texier  a.  a.  O.  pl.  225. 

24.  Dsgl.  einer  Grabfacade  von  Aspendos.  Dargestellt  Greife  in  Fischschwans 
endend.  Vgl.  Texier  a.  a.  O.  pl.  240. 


3 1 6  Zweites  Kapitel. 

mehr  in  dem  Giebel  desselben  erwiesen;   sie  führte  weiter  aus,  dass  aller- 
dings Giebel-,  wahrscheinlicher  Akroterienstatuen  nach   Rom   auf  Tempel 


25.  26.  Zwei  Giebelfelder  von  Grabfacaden  im  Fels  dorischen  Stiles  in  No  rchi  a  (Etru- 
rien).  Darstellung  in  dem  einen  :  drei  hochragende  Figuren  in  der  Mitte,  acht 
link 8,  sechs  rechts  sich  abstufend  bis  zum  Liegen ;  in  dem  anderen  Giebel  zwei 
niedergestreckte,  eine  knieende,  eine  kämpfende  Figur  erkennbar.  Vgl.  Monum. 
ined.  d.  inst,  archeol.  1.  t.  48 ;  Annali  1832.  p.  289—295;  1833.  p.  18—56. 

27.  28.  Grabfacaden  im  Fels  bei  Sovana  in  Etrurien.  In  dem  einen  Giebel  Kopf  mit 
Tuch  umwunden  zwischen  Arabesken;  in  dem  anderen  weibliche  nackte  geflü- 
gelte fischleibige  Figur  auf  je  einem  männlichen  Körper  zur  Seite.  Vgl.  Monum. 
ined.  III.  t.55.  57.  Ann.  1S43.  p.  223  ff. 

29.  Kelief  aus  dem  Giebel  eines  Herculestempels  bei  Tibur  mit  stehendem 
Hercules,  Köcher,  Schwein  und  Scyphus  zur  Seite.  Im  Vatican,  Cortile  di 
Belvedere. 

Giebelfelder  mit  plastischen  Werken  auf  Reliefs  und  Münzen: 

30.  Relief  mit  Besuch  des  D  i  o  n  y  s  o  s  bei  dem  sog.  I  k  a  r  i  o  s.  Korinthischer  Tem- 
pel mit  Giebel  dabei,  darin  Maske  Seeungeheuer  zu  beiden  Seiten.  Vgl.  Müller- 
Wieseler  D.  A.  K.  II.  t.  50.  n.  624. 

31.  Relief  bruchstück  mit  Giebeldarstellung  nach  Piranesi  bei  Müller  -  Wieseler. 
D.  A.  K.  II.  t.  2.  n.  13;  zu  vergleichen  mit  Relief,  Opfer  vor  Tempel  darstel- 
lend. Mon.  ined.  V.  t.  36,  dazu  Brunn  in  Annali  1851.  p.  289—297,  ferner  mit 
Sarkophagdeckel  8.  Ann.  1844.  p.  196 f.,  ferner  mit  Bronzemünze  des  Vespasian 
beiDonaldson  Architectura  numismatica  n.  3  ;  M üller- Wieseler D.  A.K.  II.  1. 1. 
n.  IIa.  Darstellung:  die  Skulpturen  im  Giebel  des  Jupiter  Capitolinus- 
tempeU :  drei  thronende  Götter,  Nebengötter,  Sol  und  Luna  auf  Gespannen. 

32.  Relief  der  Villa  Medici,  veröffentlicht  Mon.  ined.  V.  t.  40,  Brunn  in  Ann.  1851. 
p.  2S9 — 297.  Ach tsäuliger  Tempel  (des  M.  Aurel?)  mit  sieben  Göttergestalten, 
darunter  drei  stehenden,  zwei  sitzenden,  zwei  liegenden. 

33.  Relief  ebendaher,  veröffentlicht  Ann.  1851.  tav.  agg.  R.  S.  Giebel  eines  Cybe- 
1  e  t  e  m  p  e  1 8  mit  Thron  in  der  Mitte,  zu  den  Seiten  gelagerter  Gallus  und  Löwe 
in  der  Ecke. 

34.  Relief  mit  Giebel  des  Tempels  der  Venus  und  R  o  m  a  in  Rom.  Mars  zur  Rhea 
Silvia  niedersteigend  dargestellt.   Vgl.  Raoul  Rochette  Monum.  ined.  I.  pl.  8. 

35.  Relief  an  einem  Sarkophagdeckel  mit  drei  Giebelfeldern.  In  dem  mittleren  Pluto 
und  Proserpina  thronend  mit  Cerberus  und  Amor,  rechts  sitzendes  Ehepaar, 
links  drei  stehende  Paare  mit  zwei  flehend  Knieenden.  Vgl.  Müller- Wieseler 
D.  A.  K.  II.  T.  68.  n.  858. 

36.  37.  Reliefs  vom  Denkmal  der  Haterii  mit  Bauten  an  der  Via  Sacra.  Im  Giebel  eines 
J  u  pi  tertempels  Kranz  mit  Bändern.  Grabtempel  mit  Frauenbüste  und  auslau- 
fenden Zweigen  zur  Seite.   S.  Mon.  ined.  V.  t.  7.  8. 

38.  Münze  des  Claudius  mit  kl.  Tempel  der  ephesischen  Artemis.  Im  Giebel 
drei  Tische  oder  Throne,  zwei  Männer  Schild  haltend,  in  der  Ecke  Thiere.  Do- 
naldson  Architect.  numism.  n.  24. 

39.  Münze  des  Gordianus  mit  Tempel  der  ephesischen  Artemis.  Im  Giebel  Tisch 
mit  Diskus .,  andere  abgestufte  Gegenstände.    Donaldson  a.a.O.  n.  3  und  41. 

40.  Münze  der  Erennia  Etruscilla  mit  kl.  Tempel  der  SamischenJuno.  Im  Giebel 
Kranz  mit  Bändern.  Donaldson  a.  a.  O.  n.  23. 


Die  Ge8ammtgruppirung  der  Statuen.  317 

versetzt  wurden,  dagegen  die  Aufstellung  von  Giebelgruppen  unten  in  Hallen 
oder  sonst  an  andern  Orten  etwas  durchaus  Unbezeugtes,  ja  dem  römischen 
Sinn  für  architektonische  Raumanordnung  Widersprechendes  sei,  dass  Gie- 
belstatuen überhaupt  in  Rom,  weil  der  Beschauung  ferner  gerückt,  auch 
wenig  dort  beachtet  wurden. 

Zweitens  sahen  wir  aber,  in  welcher  Fülle  von  Wiederholungen  die 
Niobidengruppe  seit  ihrer  Aufstellung  auf  den  Boden  Roms  nachgebildet 
und  aufgestellt  wurde,  wie  geradezu  dieselbe  ein  Lieblingsthema  für  plasti- 
schen Schmuck  wahrscheinlich  der  Prachtanlagen  der  Gräber,  aber  auch  der 
Prachtsääle  der  Villen,  der  Nymphäen,  z.  B.  geworden  war.  Kennen  wir 
aber  ein  zweites  Beispiel  für  eine  solche  Nachbildungslust  von  Giebelgrup- 
pen und  zwar  für  grössere  und  kleinere  Zusammenstellungen  daraus  ?  Wie 
steht  es  denn  mit  den  herrlichsten  Gruppen  im  Giebel  des  Parthenon  ?  wie 
mit  denjenigen  von  Aegina,  Olympia,  Delphi,  dem  Heräon?  Ja,  man  trage 
sich  nur  selbst  vor  den  herrlichen  Gestalten  der  Elgin-marbles,  ist  ein  solcher 
Theseus,  Ilissos ,  eine  solche  Gruppe  der  drei  ruhenden  Göttinnen  oder  der 


41.  Münze  von  Mylasa  unter  Oeta.  Tempel  des  Zeus  Labrandeus  mit  Ku- 
gel oder  Kranz  im  Giebel.    Vgl.  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  II.  T.  2.  n.  30. 

42.  Münze  des  Elagabal.  J  upiter  tempel  zu  Emesa  mit  Tisch  oder  Thron  im 
Giebel.  Donaldson  a.a.O.  n.  19. 

43.  Neokorenmünze  aus  Pergamonmit  Kranz  im  Giebel  von  zwei  Tempeln.  Do- 
naldson a.  a.  O.  n.  40. 

44.  Dsgl.  von  Perinthus.  Undeutliche  Gegenstände  in  den  Giebeln.  Donaldson  a. 
a.O.  n.  38. 

45.  Münzen  des  M.  Aurel  mit  Tempel  des  Mercur,  Umschrift  K.  E.  LIG- AVG.  Im 
Giebel  Schildkröte,  Widder,  Hahn,  Caduceus,  Sack,  Hut.  Donaldson  a.  a.  O. 
n.  25. 

|  46.    Münze  des  Antoninus  Pius  mit  Tempel  der  DivaFaustina.   Im  Giebel  ste- 

hende Gestalt,  sitzendes  Thier  (Pfau  ?]  und  eine  ausgestreckte  Gestalt  Donald- 
son a.  a.  O.  n.  4. 

47.  Münze  des  Trajan  mit  achtsäuligem  Tempel.  Im  Giebel  thronende  Gestalt,  zwei 
gelagerte  männliche  Gestalten.   Donaldson  a.  a.  O.  n   7. 

48.  Münze  des  Hadrian  mit  zehnsäuligem  Tempel.  Im  Giebel  drei  stehende  Figuren 
(Götter),  zwei  gelagerte. 

49.  Münze  des  Maxentius  mit  viersäuligem  Romatempel.  Im  Giebel  säugende 
Wölfin. 

Die  Zahl  der  Grabstelen  und  Cippen  mit  förmlichen  Aetomaten,  welche  überhaupt  auf 
Grabstelen,  nicht  blos  auf  die  wirklich  heroisirter  Todter  zu  setzen  die  Sikyonier  zuerst 
zur  Sitte  machten  (Paus.  II.  7.  3),  ist  überaus  gross.  Neben  der  Rosette  oder  Rose,  welche 
der  früheste  Schmuck  der  Grabstele  ist,  finden  sich  Schalen,  Kränze  mit  breiten  Bändern, 
Vögel  mit  Zweigen,  Gorgonenmasken,  dann  die  Köpfe  der  Verstorbenen,  auch  Symbole 
des  Hermes  Chthonios;  man  vergleiche  nur  Clarac  pl.  250.  251.  z.B.  102.  343.  503.  536. 
582.  605.  614.  618;  pl.  654  n.  541.  607;  Mann.  Taurin.  n.  96.  102.  103;  L.  Beger  Thes. 
Brandenb.  III.  p.  468 ;  Gerhard  Vers.  d.  Berl.  ant.  Bildw.  n.  485.  488. 


318  Zweites  Kapitel. 

zwei  sitzenden  ganz  für  sich  aufgestellt  ein  für  sich  befriedigendes,  unser 
ganzes  Interesse  in  Anspruch  nehmendes,  vor  allen  ein  verständliches  Werk? 
Weisen  sie  nicht  vereinzelt  durch  ihre  Linien  auf  jene  aufsteigende  oder  sich 
senkende  Dreieckslinie,  anf  jene  Breitenentwickelung  der  Linien,  so  sorgfäl- 
tig auch  die  nicht  sichtbaren  Theile  der  Gestalten  gearbeitet  sein  mögen? 
Wir  können  wohl  dies  und  jenes  Motiv  als  ursprünglich  für  jene  Stelle  zuerst 
gefunden  oder  ausgeführt  glauben,  aber  Copieen  jener  Werke  begegnen  uns 
nirgends.  Ist  nicht  schon  die  geringe  Zugänglichkeit  zu  den  Werken,  die 
Entfernung  des  Beschauers  ein  grosses  Hinderniss  gegen  so  häufige  Ver- 
vielfältigungen ? 

Und  nun  denke  man  sich  ein  römisches  Kunstpublikum  der  kaiser- 
lichen Zeit  dazu?  Wie  weit  ab  stand  es  von  jenem  religiös  und  künstlerisch 
gleich  lebhaften  und  unmittelbaren  Verständnisse  für  die  grossen,  tiefsinni- 
gen und  idealen  Compositionen  der  griechischen  Heiligthümer !  Es  war  das 
Pathetische,  das  durch  Frauenschönheit  oder  Kraft  unmittelbar  Ueberwäl 
tigende ,  es  war  das  technisch  Bewundernswerthe ,  das  im  Stoff  Kostbare, 
welches  die  gebildete  Welt  für  das  einzelne  Kunstwerk,  die  Statue  oder  auch 
die  kleine  oder  umfangreiche  Gruppe  interessirte  und  wohl  auch  noch  hie 
und  da  begeisterte.  Die  Plastik  im  Dienste  der  Architektur  galt  ganz  und 
gar  als  prächtige,  oder  illustrirende  Dekoration,  daneben  beanspruchte  sie 
aber  im  einzelnen  Marmor  oder  Bronze  ihre  ganz  speeifische  Beachtung. 
Und  so  liegt  es  auch  bei  den  Niobiden  auf  der  Hand,  waren  sie  als  Giebel- 
gruppe je  componirt,  der  Römer  hat  sie  als  solche  nicht  verstanden,  nicht 
sieji  für  die  Gesammtidee  im  Dienste  des  Heiligen  begeistert;  es  war  der 
Geist,  der  gleichsam  von  dem  allgemeinen  religiösen  oder  ethisch-politischen 
Gedankenkreis  losgebunden  Fleisch  und  Blut  geworden  ist  im  einzelnen  In- 
dividuum, in  dessen  Schmerz  und  Angstgefühl,  in  dessen  Ankämpfen  gegen 
das  Uebermächtige,  welcher  zu  den  Niobiden  hinzog  und  sie  immer  neu  wie- 
derholen liess. 

Vielleicht  aber  ist  es  doch  möglich,  dass  dieselben  Statuen,  welche  nur 
als  streng  einheitliches  Ganzes  in  dem  Giebel  des  Tempels  geschaffen  waren, 
zugleich  so  individuell  gebildet  waren,  so  auch  sich  von  einander  und  von 
ihrem  Rahmen  lösen  liessen,  dass  sie  nun  in  ihrer  Lösung  und  Isolirung  und 
dem  Beschauer  viel  näher  gebracht  einen  anderen  aber  neuen  Zauber  aus- 
übten. Nun,  da  müssen  wir  die  Statuen  selbst  befragen,  das  Gemeinsame 
und  Bezeichnende  in  ihnen  aufsuchen  und  zur  Giebelform  in  ein  Verhältniss 
setzen.  Von  Seiten  der  technischen  Ausführung  scheint  zunächst 
eine  nicht  unwichtige  Empfehlung  einer  Giebelaufstellung  darin  gegeben  zu 
sein,  dass  weitaus  der  grösste  Theil  der  Statuen  nicht  blos  der  medieeischen 
in  ihrer  Rückseite  verhältnissmässig  wenig  ausgeführt  sind,  ja  ganz  sichtlich, 
z.  B.  die  Niobe  selbst,  so  wie  die  vatikanische  Niobide  als  eine  etwas  convex 
gewölbte  Masse  sich  kundgeben,  die  also  einen  Wandhintergrund  und  viel- 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  319 

leicht  sogar  eine  etwas  gebogene  Wand  voraussetzen.  Selbst  der  liegende 
Niobide  ist  in  zwei  Exemplaren  entschieden  nur  für  die  Betrachtung  von  Ei- 
ner Seite  berechnet.  Bei  dem  einen  fliehenden  Sohn  giebt  der  Fels  hinter  dem 
ausschreitenden  Bein  den  schon  angewachsenen  Hintergrund,  bei  dem  ande- 
ren bietet  er  neben  der  flüchtigeren  Bearbeitung  der  Vorderseite  die  eigen- 
tümliche Schwierigkeit  für  eine  Aufstellung  auch  schräg  von  der  Seite. 
Daneben  haben  wir  freilich  auch  in  den  knieenden  Söhnen  Statuen  mit  sorg- 
faltiger ausgearbeitetem  Rücken  und  das  fehlende  Unterbein  des  einen  ist  als 
ursprünglich  vorhanden  sicher  vorauszusetzen.  Aber  auch  sie  sind  doch  nicht 
als  rund  von  allen  Seiten  zu  umgehende  und  zu  besehende  Statuen,  wie  derllio- 
neus  in  München  vom  Künstler  gedacht.  Es  bedarf  meinerseits  keiner  neuen 
Auseinandersetzung,  dass  auf  der  einen  Seite  die  griechische  Kunst  des  stren- 
gen und  hohen  Stiles  auch  die  Bearbeitung  der  von  unten  unsichtbaren  Rück- 
flächen ihrer  Giebelstatuen  nicht  vernachlässigte,  auf  der  anderen  die  spätere 
griechisch-römische  Technik  auch  bei  einzelnen  Statuen,  besonders  grösseren 
Massstabes,  die  einen  architektonischen  Hintergrund  irgend  einer  Art  hatten, 
nicht  für  allseitige  Beschauung  berechnet  waren,  sofort  der  Rückseite  eine 
geringere  Ausführung  gaben,  sie  oft  nur  roh  anlegte.  Aus  der  grösseren 
oder  geringeren  Ausführung  der  Rückseiten  aber  Schlüsse  ziehen  zu  wollen, 
wie  Martin  Wagner  that,  für  die  Aufstellung  unmittelbar  an  der  Wand  oder 
weiter  davon  abgerückt,  ist  bei  der  grossen  Verschiedenheit  der  Arbeit  wie 
des  Marmors  selbst  durchaus  unzulässig.  Das  ist  vielmehr  als  Resultat  durch- 
aus festzuhalten,  die  Niobidenstatuen  sind  wesentlich  als  neben  einander  in 
einer  Längenaufstellung  und  mit  einem  architektonischen  Hintergrund  ge- 
bildet. 

Dagegen  widerspricht  die  Bildung  des  liegenden  Niobiden  durchaus 
einer  Aufstellung  in  bedeutender  Höhe,  in  einer  Giebelecke1) ;  wir  bemerk- 
ten schon  früher  bei  der  Besprechung  desselben,  welch  unangenehmer  leerer 
Winkel  von  unten  gesehen  zu  Tage  tritt,  während  von  der  Schönheit  des 
ganz  zurück-  ja  abwärtsliegenden  Körpers  auch  nichts  gesehen  werde;  auch 
vom  Kopf  sind  wesentlich  dann  nur  die  zurückfallenden  Haarmassen  zu  sehen« 
Und  endlich  ist  es  das  Machwerk  aller  Statuen,  diese  Schlankheit  und  Fein- 
heit der  Gestalten,  diese  weitgestreckten  Glieder,  wobei  nur  zum  kleineren 
Theile  ein  Ineinandergreifen  zweier  Gestalten  sich  findet,  diese  feine  Ent- 
wickelung  der  Gesichter,  welches  nicht  allein  durch  eine  Giebelaufstellung 
entschieden  an  Wirkung  verlöre,  sondern  auch  einen  dünnen,  magern  Ein- 
druck hervorrufen  würde*).  Man  vergleiche  nur  die  untersetzten  Körper,  die 
ineinandergreifenden  gedrängten  Glieder  des  Aegineten,  man  verjgleiche  vor 
allem  die  Parthenonsculpturen  in  ihrer  Breite ,  Mächtigkeit  und  Gedrängt- 


1)  Vgl.  Martin  Wagner  im  Kunstblatt  1830.  n.  5S. 

2)  Auch  Friederichs  8.  87  macht  auf  diesen  Punkt  aufmerksam. 


320  Zweites  Kapitel. 

heit,  man  vergleiche  andererseits  die  römischen  Dekorationsstatuen  an  den 
Triumphbogen  und  sonst  für  hohe  Standpunkte  berechnete  Werke.  Da  kann 
man  nicht  einwenden,  es  spreche  sich  in  den  Maassverhältnissen  der  Körper 
die  Verschiedenheit  der  Kunstepochen  aus ;  die  Kunst  eines  Skopas  und  Pra 
xiteles  hat  feinere,  schlankereStatuen  gebildet,  alsPhidias  oder  gar  die  Schule 
von  Aegina.  Nun  ein  Skopas,  der  Erbauer  des  schönsten  Tempels  der  Pelo- 
ponues,  der  Leiter  der  Ausschmückung  des  Mausoleum  zu  Halikarnass  und 
Praxiteles,  der  das  Herakleion  zu  Theben  mit  Giebelstatuen  schmückte,  haben 
auch  die  architektonischen  Verhältnisse  und  ihre  Einwirkung  auf  Sculptur- 
werke  gekannt,  um  diese  für  ihren  Aufstellungsort  genau  zu  bemessen. 

Wie  steht  es  weiter  mit  den  Gesammtlinien  der  Statuenreihe  im  Ver- 
hältnisse zur  Giebelform?  Wir  haben  hier  zweierlei  ins  Auge  zu  fassen: 
sowohl  die  absteigenden  Höhenmaasse  gemäss  den  sich  senkenden  Seiten  des 
gleichschenkligen  Dreiecks  und  die  abnehmenden  Körpermaasse  als  die  Ver- 
änderung der  Körperlagen  aus  senkrechten  zu  wagrechten  im  Verhältnis«  zur 
Axe  der  ganzen  Aufstellung  und  zu  den  beiden  Endpunkten.  Wohl  haben 
wir  eine  Abstufung  der  Höhenmaasse  sowohl  nach  Alter  als  nach  der  Motivi- 
rung  in  ihrem  Fortschritt  vom  Stehen  und  Eilen  bis  zum  Niedergestrecktsein 
unmittelbar  auf  unserer  Wanderung  durch  die  Reihe  der  in  Frage  kommen- 
den Statuen  wahrgenommen;  über  die  sonst  herrschenden  Massverhältnisse 
hinaus  aber  ist  allein  die  Mutter  gebildet.  Es  ist  damit  noch  nicht  ausge- 
sprochen, dass  keine  Hebung  und  Senkung  in  der  bilateralen  Aufstellung 
stattgefunden  habe.  Im  Gegentheil  weisen  die  gesicherten  drei  engen  Grup- 
pirungen  jüngerer  und  auch  als  kleiner  motivirten  Gestalten  mit  grösseren 
auf  solche  Hebungen  hin.  Nun  aber  ist  mit  den  sicher  gestellten  Statuen 
wenigstens  ohne  grosse  Lücken  und  dadurch  zugleich  ohne  eine  ausserordent- 
liche Längenausdehnung  eines  flachen  Giebels  eine  durchgehende  einem 
Dreiecke  sich  fugende  Anordnung  nicht  durchzufuhren.  Ich  kann  mich  hier 
zunächst  auf  den  mathematischen  Nachweis  von  Friederichs1)  berufen,  wel- 
cher für  die  allgemeine  als  glücklich  und  relativ  sicher  anerkannte  linke  Flü- 
gelaufstellung durchgeführt  ist.  Es  muss  danach  der  kleinste  der  drei  fliehen- 
den Söhne  bis  nahe  in  die  Mitte  dieser  Giebelhälfte  geiückt  werden,  wenn  er 
überhaupt  darin  Platz  finden  soll ;  hinter  ihm  sind  also  noch  mehrere  Figuren 
einzureihen,  oder  der  Giebel  3teigt  in  einer  Steilheit  empor,  dass  die  mittle- 
ren Figuren,  besonders  die  Mutter,  darin  ganz  verschwinden.  Und  die  auf- 
steigende Linie  von  jenen  über  die  drei  Söhne  und  die  zwei  Töchter  ist 
dabei  eine  ausserordentlich  kleine  (von  1,400  M.  bis  1,788,  also  Differenz 
as  0,388  M.),  während  dagegen  der  Abstand  der  nächsten  Tochter  zur  Mut- 
terauffallend gross  ist  (1,788—2,305,  also  =  0,517  M.). 


I)  Praxiteles  und  die  Niobegruppe  S.  81  f. 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  321 

Die  Mitte  des  Giebels  zeigt,  abgesehen  von  der  Höhe,  die  die  Grösse 
der  Mutter  nicht  ausfüllt,  eine  sehr  bedenkliche  Leere1) ;  man  erwartet  hier 
durchaus  eine  grössere  Concentration  der  Figuren.    Vergleichen  wir  nur  die 
Mitte  derAegineten  mit  der  Göttin  und  dem  vor  ihr  stattfindenden  Kampf  um 
die  Leiche,  oder  die  des  westlichen  Parthenongiebels  mit  den  aus  einander  tre- 
tenden Gestalten  der  Athene  und  des  Poseidon  und  dem  Oelbaum  in  der  Mitte 
oder  um  die  kurzen  für  diese  Frage  nicht  genügenden  Beschreibungen  be- 
rühmter Giebelgruppen  nicht  zu  benutzen,  obgleich  sie  auch  wesentlich  für 
uns  sprächen,  das  merkwürdige  Giebelfeld  des  einen  als  Tempel  gebildeten 
Felsengrabes  von  Norchia2),  wo  drei  hochragende,  offenbar  göttliche  Gestal- 
ten, eng  zusammenstehend  die  Mitte  füllen,  während  bedeutend  kleinere  in 
geschickter  Abstufung  sich  zu  den  Giebelecken  senken,  oder  das  Giebelfeld 
des  capitolinischen  Jupitertempels  mit  dem  sitzenden  Jupiter,  Juno  und  Mi- 
nerva, dem  auf-  und  niedersteigenden  Sol  und  Luna,  der  kleinen  hockenden 
Arbeitergruppe  um  Vulcan  und  ihrem  Gegenstück  8) ,  oder  das  ganz  ähnliche 
merkwürdige  Reliefbruchstück  mit  Giebelfeld,  dessen  Zeichnung  in  der  vati- 
kanischen Bibliothek  erhalten  ist,  wo  Jupiter,  Juno,  Ceres  (?)  in  der  Mitte 
thronen,  Gottheiten  des  Tages  und  der  Nacht  auf  ihren  Gespannen  sie  um- 
geben4), oder  das  Reliefeines  Tempels  wahrscheinlich  des  M.  Aurel  in  Villa 
Medici,  ebenfalls  mit  drei  stehenden,  zwei  sitzenden,  zwei  liegenden  Gestal- 
ten5).    Jedenfalls  hätten  wir  wenigstens  die  zwei  Niobe  selbst  an   Grösse 
und  Umfang  am  nächsten  stehenden  Statuen  auch  der  Mitte  des  Giebels  von 
zwei  Seiten  am  nächsten  zu  bringen:  es  ist  dies  der  Pädagog  (1,758  M.)  und 
die  ruhig  stehende,  das  Gewand  hebende,  vor  sich  blickende  weibliche  Ge- 
stalt, oben  unter  G.a.  behandelt  (1,925  M.).    Welcker  hat  sie  beide  neben 
einander  auf  die  rechte  Seite  geschoben  und  von  der  Niobe  selbst  noch  ge- 
trennt.   Aber  sie  können  gerade  unmöglich  in  der  Mitte  stehen,  indem  die 
Motivirung  der  Arme  eine  unerträgliche  Gleichförmigkeit  mit  Niobe  selbst 
zeigen  würde  und  der  Contrast  der  ausgeprägten  Stimmung  wie  der  Idealbil- 
dung ein  den  Eindruck  der  Mutter  geradezu  vernichtender  sein  würde. 

Von  der  rechten  Giebelseite  in  Bezug  auf  die  lineare  Abstufung  zu 
reden,  wird  nicht  nöthig  sein ;  sie  ist  bei  Cockerell  und  auch  bei  Welcker  die 
am  wenigsten  befriedigende,  man  versucht  es  bisher  vergeblich  sie  mit  den 
vorhandenen  Mitteln  zu  ordnen.  Nur  Eines  sei  erwähnt :  während  die  drei 
ersten  Statuen  an  Grösse  fast  ganz  gleich  sind,  fallt  dann  das  Grössenmaass 


1)  Auch  Michaelis  zur  Niobegruppe  S.  16  fühlt  diesen  Mangel. 

3)  Mon.  ined.  d.  inst,  archeol.  1. 1.  48,  dazu  Ann.  1832.  p.  289— 295 ;  1833.  p.  18—56, 
speciell  p.  41. 

3)  Mon.  ined.  V.  1851.  t.  36. 

4)  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  II.  Taf.  2.  n.  13. 

5)  Mon.  ined.  V.  t.  40. 

Stark,  Niobe.  21 


322  Zweites  Kapitel. 

vom  Pädagogen  zum  knieenden,  sieh  aufstemmenden  Niobiden  plötzlich  von 
J,758  zu  1,311  M.,  also  um  tt,447  ab. 

Noch  ein  zweites  Linienverhältniss  aber  wollten  wir  beachten,  das  der 
Richtung  der  einzelnen  Glieder  der  Gruppe  zur  Mitte  oder  zu  den  zwei  End- 
punkten. Hier  muss  nun  jedem  einfachen  Beschauer  der  durchgehende  we- 
sentliche Parallelismus  der  einzelnen  Statuen  entgegentreten :  fünf  Figuren 
der  linken  Seite  hängen  alle  gleichsam  nach  derselben  Seite,  wie  Wagner 
treffend  von  drei  derselben  sagt,  „gleich  Bäumen  am  Abhänge  des  Waldes, 
die  der  Sturmwind  umgelegt  hat".  Und  auch  in  den  anderen  Gestalten  ist 
entweder  dieselbe  Schrägheit,  wenn  auch  von  der  anderen  Seite  oder  ein 
senkrechtes  in  sich  Ruhen  ausgeprägt.  Wir  werden  diesen  Parallelismus, 
der  an  ein  oder  mehrere  Centren  sich  rechts  und  links  anlehnt,  weiter  unten 
trefflich  verwerthen  können,  für  eine  Giebelaufstellung  wirkt  er  höchst  un- 
günstig, „atomistisch  zersplitternd".  Mit  Recht  hat  Michaelis1)  auf  die  ge- 
forderte plastische  Anakrusis  in  den  untern  Giebelecken  aufmerksam  gemacht; 
sie  ist  in  allen  Giebelfeldern  gegeben  in  den  gelagerten,  aber  sich  erheben- 
den Gestalten,  meist  Repräsentanten  des  Ortes,  der  Gewässer,  in  den  auf-  und 
niedersteigenden  Mächten  von  Tag  und  Nacht.  Der  liegende  Niobide  bietet 
nichts  davon  dar,  und  zu  ihm  fanden  wir  also  kein  Gegenstück.  Die  voll- 
endete Kunst  eines  Phidias  vermittelt  nun  aber  auch  auf  eine  höchst  interes- 
sante Weise  die  Wendung  der  Glieder  der  Gruppe  zum  Centrum  und  zu  den 
Enden :  hier  lebendiges  Hereilen  vom  Hauptvorgang,  theilnehmendes  Ent- 
gegenbewegen, dort  schon  behaglicheres  sich  Umwenden,  sich  Ausstrecken 
den  Enden  entgegen.  Eine  frühere  Kunststufe  concentrirt  wohl  bis  zur  Ana- 
kruse alles  auf  den  Hauptvorgang.  Spätere  Künstler  lassen  dagegen  unmit- 
telbar in  Seitengruppen  den  Rücken  dem  Mittel  Vorgang  drehen.  Aber  wie 
mannigfaltig  sind  die  Motive  der  Körper :  Stehen,  Eilen,  Vorbiegen,  Sitzen, 
Knieen,  Liegen  durchgängig  in  den  Giebelfeldern !  Auf  dem  Giebelfeld  von 
Norchia,  um  vom  Parthenongiebel  abzusehen,  fügen  sich  Gruppen  von  auf 
der  Erde  Ringenden,  von  den  eine  Leiche  Niederlegenden,  von  sich  Anfassen- 
den höcht  geschickt  dem  abnehmenden  Räume  ein. 

Nein,  bürden  wir  nicht  dem  grossen  Meister  der  Niobegruppe  ein  man- 
gelndes Verständniss  für  die  Gesetze  der  Giebelgruppen,  nicht  ein  absicht- 
liches Zersplittern,  Auseinanderziehen,  eine  gewisse  Einförmigkeit  der  ein- 
zelnen Glieder  auf!  Die  kurzen  Angaben  über  die  Giebelfelder  des  Skopas 
am  Tempel  der  Athene  Alea  mit  jenen  hochbelebten,  mannigfaltigen  Kampf- 
und Jagdscenen,  wie  über  die  von  Praxiteles  gefertigten  Heraklesthaten  in 
Theben,  wrobei  künstlerisch  sehr  fein  berechnet  der  Ringkampf  zwischen 
Herakles  und  Antäos  auch  gegen  sonstige  Analogie  angebracht  war,  sprechen 


1)  A.  a.  O.  S.  IS. 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  323 

entschieden  für  ihre  specielle  Kenntniss  dieser  Art  Aufgaben,  aber  auch  für 
ihr  Verbleiben  in  der  früher  schon  entwickelten  Behandlungsweise. 

Aber  wir  müssen  noch  weiter  diese  Grund  ansieht  prüfen,'  auch  nach  der 
geistigen,  idealen  Seite  der  Darstellung,  ja  nach  dem  Darstellungs- 
objeet  selbst.  Wie  wir  linear  einer  grossen  Gleichmässigkeit  der  Bewegun- 
gen in  der  Gruppe  begegneten,  dazwischen  allerdings  mehrere  Knoten-  und 
kürzere  Haltpunkte  sich  finden,  endlich  ein  gewaltiger  Höhepunkt  uns  ent- 
gegen tritt,  so  ist  im  geistigen  Gebiet  durch  alle  Glieder  gleichartig  ein  sehr 
hoher  Grad  des  individuellsten  Pathos  ausgegossen,  das  seinen  Gipfel,  aber 
auch  seine  innere  Aasgleichung  in  der  Gruppe  von  Mutter  und  dem  jüngsten 
Kind  findet.  Wir  leiden  und  bangen  mit  jedem  einzeln  und  zwar  auf  seine 
eigenthümliche  Weise ;  allen  ist  der  Tod  so  unmittelbar  nah,  alle  sind  von 
so  edler  Art.  Da  giebt  es  keinen  eigentlichen  Hauptvorgang  und  keine  theil- 
nehmenden  Zuschauer  und  schliesslich  auch  ruhige  Zeugen,  jeder  ist  Spieler 
in  der  gewaltigen  Tragödie.  Die  Tochter  im  Schoosse  der  Mutter  ist  an  und 
für  sich  nicht  bedeutsamer ,  nicht  mehr  beklagenswerth ,  als  all  ihre  Ge- 
schwister, und  in  der  Mutter  spiegelt  sich  noch  einmal  das  ganze  gesammte 
Leid  der  Reihe  ihrer  Kinder  ab. 

Dieses  durchgehend,  so  wunderbar  fein  und  ergreifend  in  jedem  einzeln 
entwickelte  Pathos  kann  aber  überhaupt  kein  Vorwurf  (Objekt)  einer  Giebel- 
darstellung den  äusseren  Bedingungen  wie  dem  inneren  Wesen  einer  solchen 
nach  sein,  und  es  fehlt  ihm  jegliche  Analogie  in  den  antiken  Giebelgrup- 
pen. Wie  ruhig,  wie  gleichmüthig  möchte  ich  sagen,  laufen  in  ihnen  die 
grossen  und  bewegten  Akte  aus,  wie  sind  sie  gleichsam  ausgeleitet,  in  einen 
Rahmen  gefasst  durch  die  Repräsentanten  der  immer  gleichen  Naturordnung 
oder  auch  durch  einfache  Beschäftigungen  des  Menschenlebens !  Und  auch 
der  Todte  in  der  Ecke,  er  soll  nicht  das  lebendigste  Mitleid  erregen,  wie  jene 
herrliche  Niobidenleiche,  nein  gleichsam  nur  das  Naturgesetz  des  Kampfes 
verkünden. 

Ja,  und  konnte  überhaupt  der  Untergang  der  Niobiden  und  gerade  diese 
so  rein  innerliche,  vergeistigte  Auffassung  desselben  eine  Aufgabe  für  den 
Giebel  eines  Tempels  und  spcciell  der  Letoiden  sein  ?  Bis  jetzt  scheint  man 
allerdings  diesen  Gedanken  entschieden  zu  hegen.  Welcker  spricht  es  aus : 
„in  dem  Giebel  eines  Apollotempels  giebt  sie  (die  Gruppe)  das  schönste,  be- 
friedigendste Seitenstück  ab  zu  dem  Gigantensieg  in  dem  Giebel  des  Zeus- 
tempels zu  Agrigent  und  dem  des  Heräon  zu  Argos.  Sie  zeigt  uns  über  dem 
Eingang  in  den  Tempel  des  Apollo  ihn  selbst  mit  seiner  Schwester  in  der 
Furcht  und  Ehrfurcht  gebietenden  wunderbarsten  Ausübung  ihrer  Gewalt, 
als  die  göttlichen  Rächer  des  Uebermuthes  und  dieselbe  Vorstellung  war  nach 
dem  gleichen  Gedanken  an  der  Pforte  eines  anderen  Apollotempels  in  Rom". 

21» 


324  ZweitesKapitel. 

Sowohl  Friederichs1;  wie  O verbeck2)  fanden  in  diesem  Gedanken  eine  sehr 
entschiedene  Empfehlung  der  Giebelaufstellung.  Und  wer  möchte  nicht 
zunächst  in  allgemeiner  idealistischer  Fassung  von  ihm  angesprochen  werden  ? 
Anders  stellt  sich  aber  die  Sache  bei  schärferer  Erwägung  des  wirklich,  sicht- 
bar Dargestellten,  nicht  blos  des  dahinter  Gesuchten,  und  bei  Vergieichung 
der  sicher  gestellten  Gegenstände  von  Giebelcompositionen. 

Dass  der  Schmuck  in  den  Giebelfeldern  (6  iv  zolg  derolg  xoofiog)*)  die 
Herrlichkeit  und  Macht  der  im  Tempel  verehrten  Gottheit  und  der  etwa  mit 
ihr  in  demselben  eng  verknüpften  Heroen  gleichsam  an  der  Stirne  des  Bau- 
werkes, gerade  in  demjenigen  Bautheile,  der  ganz  speciell  Schmuck  und  Er- 
habenheit [kni  xoo/ncp  xal  ae^ivotrjti)  ausprägen  sollte  4) ,  offenbaren,  dass  er  den 
Namen  des  Gottes  im  Symbol,  in  seinem  Bilde,  in  seinen  Thaten  selbst  nenne 
dem  Beschauer  und  Herantretenden,  darüber  ist  man  wohl  allgemein  einver- 
standen. Ist  es  damit  nicht  geradezu  ausgeschlossen,  dass  aber  auch  irgend- 
wo auf  der  Spitze  des  Tempels  ein  Apotropaion,  eine  Abweisung  alles  Unheili- 
gen, Unreinen,  Widerstrebenden  angebracht  sei,  wie  dies  oben  am  Giebel  des 
Zeustempels  zu  Olympia  durch  namentliche  Stiftung  eines  Schildes  mit  Gorgo- 
nenhaupt  geschah,  so  ist  dies  an  jener  Stelle  durchaus  sekundär,  während  es  an 
den  dem  Eintretenden  unmittelbar  die  Stirn  bietenden  Thüren  der  durchgän- 
gige wesentliche  Schmuck  ist.  Aus  den  Giebelfeldern  soll  wie  aus  olympi- 
scher Höhe  ein  Abglanz  der  göttlichen  Macht  herableuchten  und  diesen  weit- 
hin verkünden. 

Durchmustern  wir  die  Reihe  der  uns  irgendwie  bekannten  Giebeldar 
Stellungen,  so  tritt  uns  eine  ganze  Reihe  von  Abstufungen  von  der  entwickelt- 
sten Gruppe  zum  abgekürzten  Symbol  entgegen,  aber  doch  durchgehend  der 
obige  Gedanke.  Da  sind  es  einestheils  die  Hauptscenen  in  der  Geschichte 
des  Gottes,  seine  Geburt,  sein  Sieg  und  Anerkennung,  die  Kämpfe  der  von 
ihm  geliebten,  gerade  an  diesen  Stätten  mit  verehrten  Heroen  meist  unter 
seiner  sichtbaren  Assistenz;  anderntheils  treten  uns  ruhiger  thronend  die 
Göttervereine  entgegen,  die  zu  dem  einen  oder  der  Mehrzahl  der  hier  ver- 
ehrten Götter  in  besonders  naher  Beziehung  stehen,  so  die  Musen  zu  dem 
apollinischen  Götterverein,  die  Thyiaden  zu  Dionysos,  oder  es  sind  die  ste- 
henden oder  sitzenden  Gottheiten  allein,  nur  umgeben  von  ihren  Symbo- 
len, es  sind  in  Abkürzungen  nur  ihre  Brustbilder,  ja  nur  ihre  Köpfe  oder 
Masken,  es  sind  endlich  ihre  Symbole  allein,  wie  ihre  Thiere,  oder  deren 
Köpfe,  Thronsitze,  ja  schliesslich  nur  die  allgemeinen  Zeichen  der  siegrei- 
chen Macht  im  Kampf,  der  Verehrung  im  Cultus,  so  der  mit  Tänien  gezierte 


1)  Praxiteles  etc.  S.  SS. 

2)  Gesch.  d.  gr.  Plastik  IL  S.  45. 

3)  Paus.  IL  J9.  3. 

4)  Plut.  v.  Caes.  43.  Vgl.  dazu  Bötticher  in  Progr.  zu  Schinkels  Geburtstagfeier,  1S46. 
p.  31,  später  in  Philol.  XIX.  1.  S.  17f.  Note  44. 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  325 

Kranz  oder  die  Opferschale  dargestellt.  Für  unseren  Zweck  interessiren  uns  zu- 
nächst jene  Giebelfelder  der  Götter-  und  Heroenkämpfe :  in  den  Giebeln  des 
Tempels  von  Aegina  erscheint  Athene  selbst  ruhig  waltend  zwischen  den  strei- 
tenden Helden,  deren  eine  Partei,  die  Aeakiden,  ihre  Schützlinge  sind.  In 
Olympia  sind  Pelops,  der  specifische  Heros  des  Zeus  an  dieser  Stelle,  Oino- 
maos  gegenüber,  beide  mit  ihrer  Begleitung  um  das  Agalma  des  Zeus,  wei- 
ches die  Mitte  bildet,  geordnet,  unmittelbar  vor  Beginn  des  Wettrennens. 
In  dem  Kampfe  der  Götter  und  Giganten  im  Giebelfelde  des  Heräon  zu 
Argos,  des  Olympion  zu  Agrigent,  des  Thesauros  der  Megarenser  zu  Olympia 
sind  die  ersteren  ausdrücklich,  darunter  natürlich  die  Häupter  der  olympischen 
Götter  als  Kämpfende  dargestellt.  Am  Herakleion  zu  Theben  erschien  Hera- 
kles selbst  in  vielfacher  Wiederholung.  Im  Ostgiebel  des  Tempels  der  Athene 
Alea  zu  Tegea  tritt  zwischen  den  zwei  Heroengruppen,  die  auf  der  Jagd  des 
kalydonischen  Ebers  begriffen  sind,  allerdings  die  Göttin  nicht  selbst  auf, 
sondern  der  Eber  bildet,  wie  Pausanias  besonders  erwähnt,  die  Mitte.  Aber 
derselbe  hat  ausdrücklich  in  der  Tempelsage  dieses  Heiligthums  eine  ganz 
hervorragende  Rolle  gespielt :  das  Heiligste,  was  aus  dem  Tempel  entnom- 
men werden  konnte,  waren  neben  dem  alten  Cultusbild  der  Göttin  die  rie- 
senhaften Zähne  des  Ebers,  Augustus  entführte  beide  nach  Rom4);  wir  haben 
es  hier  mit  einem  alten,  mächtigen  Natursymbol  zu  thun,  das  zur  Athene 
Alea,  der  wärmenden  Lichtgöttin  in  strengster,  wenn  auch  gegensätzlicher 
Beziehung  steht.  In  den  Westgiebeln  der  Tempel,  die  ja  mit  der  Westseite 
überhaupt  dem  heroischen  Wesen  zugewendet  sind,  begegnen  uns  mehrfach 
berühmte  Heroenkämpfe,  bei  denen  die  Göttergegenwart  nicht  erwähnt  wird, 
so  der  Kentauren-  und  Lapithenkampf  zu  Olympia,  der  Kampf  um  Troja  in 
Argos  und  Agrigent,  die  Schlacht  am  Kaikos  zwischen  Telephos  und  Achill 
in  Tegea,  Kämpfe  «zwischen  Reitern  und  Fussgängern  am  Nereidenmonument 
zu  Xanthos. 

Wie  verschieden  von  allen  diesen  Darstellungen  ist  die  Niobidengruppe ! 
Da  haben  wir  zunächst  nicht  und  können  nicht  haben  die  im  Tempel  verehr- 
ten Gottheiten,  aber  wir  haben  auch  nichts,  was  sie  repräsentirt,  nicht  heroi- 
sche Gestalten,  die  in  ihrem  Schutze  stehen,  die  für  sie  kämpfen,  nicht  irgend 
ein  Symbol,  um  das  sich  die  Gestalten  gruppiren.  Ja  wir  haben  überhaupt 
keinen  äussern  Kampf,  kein  sichtbares  Ringen  und  Gegenstreben  von  zwei 
Seiten.  Nein,  wir  haben  nur  die  eine  Seite  unter  dem  Einflüsse  unsichtbarer 
Gewalten  und  zwar  die  den  apollinischen  Gottheiten  fremde,  von  ihnen  ver- 
folgte. Unser  wahres  Interesse  wird  nicht  geweckt  für  jene  vorauszusetzende 
göttliche  Macht,  nicht  für  die  Vollziehung  eines  göttlichen  Strafgerichts,  für 
die  Machterweisungen  des  Apollo,  nein  unser  Herz  schlägt  nur  für  diese  in 
Jugendschöne  und  Geistesadel  dahin  sinkende  Familie,  für  diese  immer  sich 


1)  Paus.  VIII.  46.  lff. 


326  Zweites  Kapitel. 

steigernden,  in  der  Mutter  gipfelnden  Seelenkämpfe.  Diese  Niobe  in  der 
Mitte  ist  kein  Apotropaion  gegen  Verächter  des  Heiligthumes ,  nicht  die 
Rückseite  gleichsam  einer  Apollomünze,  sie  gewinnt  für  sich,  für  ihre  psy- 
chologische Stellung  unsere  künstlerische  Bewunderung,  unsere  menschliche 
Theilnahme.  Nein,  diese  Niobiden  sind  nicht  als  Motto,  als  Ueberschrift,  als 
eine  religiöse  officielle  Ermahnung  gebildet,  nicht  sollen  wir  erst  einen  sub- 
limirten  Gedanken  herausziehen,  sie  sind  nur  in  ihrer  vollen  Wesenheit,  von 
ihrem  eigenen  Standpunkte  aus  zu  verstehen  und  zu  würdigen.  Für  jene  Stirn- 
seiten der  Tempel  hat  der  Grieche  keine  psychologischen  feinen  Gemälde, 
wenn  ich  so  sagen  darf,  verwendet,  sondern  zeichnet  die  ruhige  Majestät  oder 
den  Conflikt  gewaltiger  Kräfte  hinein. 

Die  Niobidengruppe  ward,  wie  wir  früher  sahen1),  von  Plinius  in  dem 
über  Skopas  handelnden  Abschnitte  erwähnt  und  zugleich  auch  das  Schwan- 
ken unter  den  Kunstverständigen  ausgesprochen,  ob  sie  dem  Skopas  oder 
Praxiteles  zuzuschreiben  sei.  Sie  erscheint  überhaupt  an  jener  Stelle  in 
einer  Reihe  auserlesener  und  hochberühmter  Marmorwerke,  die  wesentlich 
in  Rom  und  zwar  auf  einem  einander  benachbarten  Territorium  aufgestellt 
waren.  In  nächste  Beziehung  mussten  wir,  was  Gelegenheit,  Zeit  und  Ort 
der  Aufstellung  betrifft,  die  als  hochbewunderte  Kunstleistung  des  Skopas 
bezeichnete  Gruppe  der  Meerdämonen  mit  Poseidon,  Thetis,  Achill  setzen, 
welche  in  einem  eignen  Neptuntempel  im  Bereiche  des  Circus  Flaminius  auf- 
gestellt war.  Nun  hat  allerdings  Welcker2)  gerade  diese  auch  als  Giebel- 
gruppe in  Anspruch  zu  nehmen  gesucht,  obgleich  er  ihre  Aufstellung  in  Rom 
im  Innern  des  Tempels  zugesteht  und  O.  Jahn8)  sowohl  wie  Brunn4)  haben 
seiner  schönen  Auseinandersetzung  nicht  erhebliche  Bedenken  entgegensetzen 
zu  können  erklärt,  obgleich  der  letztere  eine  andere  Art  der  Aufstellung  für 
sehr  wohl  denkbar  hält ;  noch  später  hat  O verbeck  den  'Wclckerschen  Ge- 
danken ganz  von  Neuem  und  zwar  ausführlich  dargelegt5).  Wir  wollen  nicht 
leugnen,  dass  der  Schein  für  diese  Annahme  hier  ein  grösserer  ist  als  der  für 
die  Niobidengruppe  sowohl  was  das  Objekt  der  Darstellung,  das  wir  entschie- 
den nicht  in  den  specieilen  Akt  der  Darbringung  der  Waffen  an  Achill  finden 
können,  als  was  die  Motive  zur  Gruppirung  betrifft,  aber  dennoch  liegt  durch- 
aus in  der  kurzen  Beschreibung  dieser  so  mannigfaltigen  Gestahenreihe  kein 
bestimmender  Grund  für  dieselbe  vor;  im  Gcgentheil  spricht  dieselbe  für 
eine  gleichförmige  Längenaufstellung,  die  von  dem  Centrum  aus  rechts  und 
links  sich  erstreckte,  wie  sie  uns  auch  die  in  Beziehung  zu  dieser  Schöpfung 


1)  S.  119. 

2)  Alte  Denkm.  I.  8.  204— 2W>. 

3)  Ber.  d.  K.  S.  Ges.  d.  Wissensch.  1S51.  S.  176.  HM. 

4)  Gesch.  d.  gr.  Künstler  1.  S.  322. 

5)  Gesch.  d.  gr.  Plastik  II.  S.  10  f. 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  327 

des  Skopas  gesetzten  plastischen  Werte  vorführen.  Und  alle  anderen  histo- 
rischen Bezüge  der  Versetzung  nach  Rom  und  Aufstellung  sind  bei  dieser 
Gruppe  wie  der  der  Niobiden  entschieden  ungünstig  für  eine  Giebelgruppe. 
Vermuthungen  über  den  Ort  ihrer  ursprünglichen  Bestimmung  näher  zu  be- 
gründen unterlassen  wir,  da  wir  der  Veröffentlichung  der  Untersuchungen 
von  Urlichs  über  Skopas  in  Asien  in  der  nächsten  Zeit  entgegenzusehen 
haben  *) . 

Worin  liegt  aber  die  eigen thümliche  Bedeutung  und  der  gemeinsame 
Ruhm  von  Skopas  und  Praxiteles  im  Bereiche  der  Marmorbildnerei !  Ent- 
schieden in  der  Herausbildung  der  freien,  gelösten,  nicht  von  dem  architek 
tonischen  Schema  oder  einer  hieratischen  Forderung  wesenlich  bedingten 
Gruppe2),  in  der  vollen  Ausarbeitung  eines  mythologischen  Gedankens  durch 
eine  Reihe  die  Hauptpersonen  begleitender,  deren  Stimmungen  ausprägender 
dämonischer  Wesen.  Bis  zu  ihnen  hat  der  Marmor  in  einzelnen,  aus  den 
Akrolithen  allmälig  herauswachsenden  Götterstatuen  oder  in  der  als  Bestand- 
teile der  Architektur  geschaffenen  Giebel-  und  Akroterienstatuen  und 
Reliefs  seine  künstlerische  Verwendung  gefunden,  während  das  Erz  neben 
der  Fülle  athletischer,  historischer,  heroischer  Einzelgestalten  auch  schon 
umfangreiche,  symmetrische  Gruppen  von  heroischen  Kämpfern  für  die  Auf- 
stellung im  freien,  unbedeckten  Tempelbezirk  darstellte.  Bei  Skopas  und 
Praxiteles  begegnen  uns  zum  ersten  Male  und  zwar  in  mannigfaltigsten  Bei- 
spielen theils  kleinere,  durch  feine,  lebensvolle  Bezüge  verbundene  Gruppen 
von  Gottheiten  und  den  ihnen  dienenden  Gestalten,  wie  Leto  und  Ortygia 
mit  Apollo  und  Artemis,  wie  Aphrodite,  Pothos,  Phaethon  von  Skopas,  wie 
noch  zahlreichere  Werke  von  Praxiteles  aus  dem  Kreise  des  Apollo,  der  De- 
meter, des  Bakchos,  der  Aphrodite,  theils  grossartige,  ausgedehnte  Marmor- 
werke, in  denen  eine  ganze  Reihe  verwandter  Gestalten  aus  Einem  Grund- 
gedanken hervorgegangen  und  daher  jede  zu  einem  selbständigen  Gliede 
geworden,  künstlerisch  wirksam  geordnet  waren. 

Oder  wie  sind  denn  jene  berühmten  Werke  des  Praxiteles  anders  zu 
bezeichnen,  die  Reihe  der  Mänaden,  Thyiaden,  Caryatiden,  Silene,  die  in 
Rom  in  Pollionis  Asinii  monumentis8),  d.h.  in  dem  prachtvollen  mit  Statuen 
gezierten  Atrium  Libertatis,  mit  dem  die  Bibliothek  verbunden  war,  aufge- 
stellt waren,  wie  jene  Nymphen  mit  Pan  und  Danae,  wie  die  reizenden  Thes- 


1)  Mir  scheint  das  Achilleion,  das  Heiligthum  und  Denkmal  des  Achill  bei  Sigeion  in 
Troas  am  meisten  in  Frage  zu  kommen,  vgl.  Strabo  XIII.  1 .  32 ;  Plin.  H.  N.  V.  30.  33 ;  Phi- 
lostr.  Hero.  XIX.  p.  741.  Aus  dem  benachbarten  Aianteion  hatte  Antonius  eine  berühmte 
Statue  nach  Aegypten  entführt. 

2)  Vgl.  Stark  archäol.  Stud.  S.  18  f. ;  Friederichs  Praxiteles  und  Niobegruppe  S.  57. 

3)  Plin.  XXXVI.  5.  5.  5.  23 ;  vgl.  dazu  Becker  röm.  Alterth.  I.  S.  460.  Anm.  957. 


328  Zweites  Kapitel. 

piaden ,  bei  dem  Tempel  der  Felicitas  aufgestellt ')  i  Und  man  sieht ,  die 
jüngere  attische  und  ionische  Schule  hat  mit  Vorliebe  diesen  Weg  weiter  ver- 
folgt; die  Nymphen  tragenden  Centauren  des  Arkesilas,  die  Thespiaden  des 
Kleomenes,  die  Hippiaden  des  Stephanos,  die  Hermeroten  des  Trallianer  Tau- 
riskos2),  alle  mit  jenem  erst  genannten  Werke  des  Praxiteles  an  Einem  Orte 
in  Rom  aufgestellt,  müssen  entsprechend  gewesen  sein.  Und  wer  möchte 
nun  nicht  jenen  Meerthiasos  des  Skopas  mit  seinen  auf  Delphinen  getragenen 
Nereiden,  seinen  Tritonen,  seinem  Phorkyschor  als  durchaus  ähnliche  Com- 
positum aufTassen? 

Vor  allem,  glaube  ich,  müssen  wir  auch  die  berühmte  Reihe  der  Danai  - 
den  heranziehen8),  die  zwischen  den  Säulen  des  Tempelhofes  des  Apollo 
Palatinus  mit  ihrem  Vater  und  doch  wohl  zu  beiden  Seiten  desselben  aufge- 
stellt waren  und  welche  wie  die  andern  Werke  an  diesem  Denkmal  der  neuen 
Weltära  unter  Augustus,  aus  dem  griechischen  Osten,  vielleicht  aus  Lindos 
auf  Rhodos  und  zwai  von  ausgezeichneter  Künstlerhand  stammen  werden. 
Aus  der  einen  Stelle  des  Ovid  ergiebt  sich  die  durchaus  pathetische  Auffas- 
sung des  Danaos  selbst  mit  gezogenem  Schwert.  Kann  man  glauben,  dass 
das  Danai  agmen,  dass  die  Töchter,  an  die  der  Vater  sich  mit  dem  Schwert 
wendet,  um  sie  zur  grausamen  That  an  den  in  Liebe  sie  Verfolgenden  aufzu- 
fordern, blos  ruhig,  dekorativ,  in  anmuthigen  Situationen  gebildet  waren? 
Wird  nicht  durch  ihre  Reihe  in  verschiedenster  Weise  der  tragische  Mahnruf 
fortgeklungen  haben  ?  Wir  sehen,  könnte  man  sich  die  Verschiedenheit  jener 
bakchischen,  neptunischen,  erotischen  Statuenreihen  gegenüber  der  Niobi- 
dengruppe  übermässig  scharf  zuspitzen  und  zwar  mehr  in  einer  spiritualisti- 
schen  Neigung  als  in  lebendiger  Kenntniss  der  künstlerischen  Darstellung, 
bei  den  Danaiden  ist  dies  nicht  möglich.  In  ihnen  ist  ein  hoch  tragisches 
Element  unmittelbar  ausgesprochen. 

Nun  aber  haben  wir  diese  ausserordentliche  Erweiterung  der  Aufgaben 
für  den  Marmorbildner,  diesen  Aufschwung  zugleich  der  technischen  Seite 
wie  der  höchsten  künstlerischen  Gedanken  nothwendig  mit  der  Entwickelung 


1)  Vgl.  Brunn  über  die  Doppelheit  ihrer  Erwähnung  unter  Erz-  und  Marmorgruppen 
in  Gesch.  d.  gr.  K.  I.  S.  342. 

2)  Plin.  H.  N.  XXXVI.  1.1. 

3)  Prop.  II.  31.  3:  porticus  tota  erat  in  speciem  Poenis  digesta  columnis,  inter  qua« 
Danai  femina  turba  sui ;  Ovid.  Amor.  I.  2.  4 :  illa  quae  Danai  porticus  agmen  habet ; 
Trist.  III.  1.  02 :  signa  peregrinis  ubi  sunt  alterna  columnis  Belides  et  stricto  barbarus  ense 
pater ;  Schol.  Pers.  2,  6 :  Acron  tradit,  quod  in  porticu  Apollinis  Palatini  fuerunt  Danai* 
dum  effigies  et  contra  °as  sub  divo  totidem  equestres  filiorum  Aegypti.  Vgl.  dazu  Becker 
röm.  Alterth.  I.  S.  420;  O.  Jahn  Archäol.  Aufs.  S.  22—30  und  oben  S.  141.  Jahn  erklart 
sich  gegen  eine  dramatische  Auffassung  der  Danaiden,  giebt  aber  das  Pathos  des  Danaus  zu. 

4)  Dies  vermuthete  Visconti  (Mus.  Pio-Cleraent.  II.  p.  32  ff.)  gestützt  auf  Herod.  II« 
182;  Diod.  V.  58;  Strabo  XIV.  2. 11. 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  329 

des  Bedürfnisses  dafür  bei  dem  Auftraggeber,  der  dafür  geeigneten  Räum- 
lichkeiten und  des  Sinnes  diese  in  entsprechender  Weise  plastisch  auszustat- 
ten in  Verbindung  zu  setzen.  Und  dies  ist  in  der  That  gerade  auch  für  die 
Zeit  des  Skopas  und  Praxiteles  und  für  diese  speciell  nachzuweisen.  Die 
inneren  Räume  der  Tempel,  des  Sekos,  wie  der  Vorhallen  wurden  statt  der 
Fülle  kleiner  und  mannigfaltiger  tek tonischer  Weihgeschenke,  die  vorzugs- 
weise von  Metall  gebildet  waren,  nun  mit  Marmorstatuen  verwandter,  die 
Gesellschaft,  die  Umgebung  des  verehrten  Gottes  bildender  geschmückt. 
Vor  allem  boten  aber  die  Säulenhallen  um  den  Naos  im  engern  Sinne,  die  ja 
nun  beim  Dipteros  und  vorzugsweise  bei  der  so  fein  berechneten,  in  Ionien 
im  vierten  Jahrhundert  erfundenen  Form  d^s  Pseudodipteros  zu  so  bedeuten- 
den Räumlichkeiten  heranwuchsen,  dann  die  neue  Anlage  von  solchen  inner- 
halb und  ringsum  längs  der  \>Qiyxol,  der  Gränzgehege  der  Heiligthümer,  was 
durchaus  als  jüngere  Einrichtung  den  einzelnen  Leschen  der  älteren  Zeit  ge- 
genüber zu  bezeichnen  ist,  dann  grosser  daran  sich  schliessender  Propyläen, 
endlich  eigener  Saale  und  Exedren  hinter  jenen  Stoen,  ebenso  der  glänzende 
Aufbau  grosser,  reich  abgestufter  Altäre,  wie  grosser  Heroengräber  (/up^/uara), 
um  von  den  mit  den  Heiligthümern  vielfach  verbundenen  agonistischen  Bau- 
werken nicht  zu  reden,  nun  eine  früher  nicht  gekannte,  nicht  in  ihrem  Um« 
fang  geahnte  Aufforderung  zu  plastischer  Thätigkeit  dar.  Die  kleinasiati- 
schen Städte  sind  entschieden  hier  dem  Mutterlande  noch  vorausgegangen 
und  hier  haben  auch  Skopas  und  Praxiteles  zuerst  diese  umfassenden  Mar- 
morwerke ausgeführt.  Das  M  a  u  s  o  1  e  i  o  n  zu  Halikarnass,  dieses  Wunderwerk 
der  alten  Welt,  ist  als  ein  solcher  Mittelpunkt  einer  neuen  ihren  Schmuck 
über  alle  Theile,  besonders  die  offenen  Hallen  ausbreitenden  Marmorbild- 
nerei  zu  betrachten,  wie  ausdrücklich  von  den  vier  plastischen,  dabei  be- 
schäftigten Meistern  ihre  dortigen  Werke  als  ein  Höchstes  ihres  Könnens 
anerkannt  ward.  Erst  durch  die  Ausgrabungen  und  Funde  Newtons  werden 
wir  uns  der  Mannigfaltigkeit  der  plastischen  Werke  dabei  bewusst.  Und 
Skopas  war  es  ja,  dem  ein  hervorragender  Antheil  neben  Bryaxis,  Leochares, 
Timotheos  oder  Praxiteles1),  wahrscheinlich  die  Leitung  selbst  dabei  gege- 


1)  Plin.  XXVI.  8.  9;  Vitruv.  VII.  Praef. ;  Gell.  X.  18.  Man  hat  den  Ausdruck  des 
Plinius  caelaverunt  fälschlich  zunächst  auf  Reliefbildung  bezogen  und  daher  früher  von 
Friesen  allein  gesprochen,  schwerlich  würden  die  Meister  id  gloriae  ipsorum  artisque  mo- 
numentum  erachtet  haben.  Caelare  bezeichnet  hier  die  künstlerisch  feine,  vollendete  Ar- 
beit, es  ist  ein  absichtlich  gratiöser  Ausdruck  des  Plinius,  entsprechend  dem  des  Vitruv 
ad  ornandum  et  probandum.  Lukianos  (Dial.  mort.  24,  2)  hat  entschieden  bei  den  Worten 
ovdkovttag  ig  xaXXos  i^ijaxijfiiytov  xal  tnjnovxal  avögtov,  tgio  axQißtararov  ttxaOfjttrtov  U&ov 
tov  xalMorov  olov  ovöl  rtior  (vqoi  rig  av  fadlios  nicht  an  Reliefs,  sondern  an  grosse  Mar- 
morstatuen gedacht.  Würde  er  bei  Friesreliefs  vom  herrlichen  Steinmaterial  gesprochen 
haben  ?  Dass  Friese  bei  dem  plastischen  Schmucke  der  vier  Seiten  des  Baues  auch  mit 
inbegriffen  waren,  versteht  sich  von  selbst,  sie  bilden  aber  durchaus  keinen  Gegenstand  so 
lebhafter  Bewunderung. 


330  Zweites  Kapitel . 

ben  war.  Entschieden  verrathen  aber  die  statuarischen  Funde  männlicher  und 
weiblicher  Statuen  einen  vollendeteren  Stil,  als  die  sehr  ungleich  gearbeiteten 
Friestheile;  sie  gehören  dem  Pteron,  den  von  36  Säulen  getragenen  weiten 
Halle  an,  die  den  Mittelkörper  des  Grabmals  oder  Grabtempels  umgaben. 

Von  dem  Mausoleion  in  Karien  werden  wir  unmittelbar  weiter  geführt 
zu  dem  kleineren  Vor-  oder  Nachbild  desselben,  zu  dem  wunderbar  zierlichen 
und  anziehenden  sogenannten  Nereidenmonument  in  der  Nähe  der  Agora 
von  Xanthos.  Ich  kann  mich  dabei  auf  den  trefflichen  Vortrag  von  Urlichs 
in  der  Philologen  Versammlung  zu  Braunschweig  beziehen,  in  dem  diese  künst- 
lerische Analogie  so  schlagend  hervorgehoben,  eine  historische  Deutung  auf 
einen  siegreichen  Kampf  von  Xanthos  gegen  Telmessos  um  Ol.  102  so  all- 
seitig begründet  ist2).  Ua  haben  wir  nun  „zehn  weibliche  fast  lebensgrosse 
, 'Gewandstatuen,  die  in  der  lebhaftesten  Bewegung  nach  verschiedenen 
„Seiten  gewendet  einen  Reichthum  von  Motiven,  eine  Kühnheit  der  Bewe- 
„gung,  eine  Schönheit  der  Formen  zeigen,  wie  sie  nur  in  der  Niobide  des 
„Museo  Chiaramonti  und  in  den  Resten  des  Mausoleums  in  gleicher  Art  wie- 
derkehren". Und  diese  Statuen  konnten  in  der  mit  genauer  Benutzung 
aller  architektonischer  Theile  gemachten,  im  Wesentlichen  allgemein  gebil- 
ligten Restauration  Falkeners  nur  ihre  Stelle  finden  in  dem  ionischen,  brei- 
ten Säulenperistyl  des  eigentlichen  Heroons  über  dem  massigen  Ueberbau. 
Hier  lernen  wir  erst  diesen  Reichthum  und  Mannigfaltigkeit  der  plastischen 
Ausschmückung  von  den  Akroterienfiguren  zu  dem  als  Hautrelief  gebildeten 
Giebelfeld ,  zu  dem  oberen  Fries  und  zwei  unteren  Friesen  am  Krepidoma 
kennen,  wir  werden  uns  recht  bewusst,  wie  aber  jene  herrlichen  Statuen  der 
Säulenhalle  nun  das  künstlerische  Centrum  bilden ,  daher  auch  an  Stil  alle 
anderen  Theile  übeitreffen,  wir  sehen  endlich  schwungvolle,  hoch  erregte, 
durchaus  ideale,  ob  nun  als  Nereiden  oder  Stadtgöttinnen  zu  fassende  Ge- 
stalten vertheilt  in  den  ausgleichenden  Rhythmus  einer  freilich  selbst  so 
zierlich  gebildeten  ionischen  Säulenreihe. 

Nun  sollen  wir  diesen  Anschauungen  gegenüber  uns  noch  scheuen  auch 
die  Niobiden  uns  eingeordnet  zu  denken  in  eine  herrliche  Säulenhalle,  die 
ein  wichtiges,  nothwendiges  Glied  in  einem  reichen  Heiligthum  mit  einem 
baulichen  Centrum,  einem  Tempel  des  Heroen  und  fivrj/ua  bildete?  Im  Gre- 
gentheil, ich  glaube  wir  gewinnen  dadurch  für  die  künstlerische  Wirkung 
derselben  bedeutend;  die  relative  Selbständigkeit  der  einzelnen  Glieder  ge- 
langt dadurch  erst  zur  Anerkennung,  die  von  andern  schon  erkannte  Not- 
wendigkeit, die  Gestalten  bei  der  theilweis  bedeutenden  Excentricität  der 
Bewegung  weiter  von  einander  zu  stellen,  was  für  den  Giebel  so  ungünstig 
wirkt,  vollzieht  sich  hier  von  selbst,  der  starke  Parallelismus  einzelner  Glieder 


1)  Verhandl.  d.  Versamml.  deutscher  Philologen,  Schulmänner  u.  Oriental.  in  Braun- 
schweig 1861.  S.  61  ff. 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  33 1 

wird  zwischen  den  Säulen  ein  natürlicher  und  doch  fasst  das  Auge  entweder 
die  ganze  Gruppe  oder  dächten  wir  sie  uns  an  mehrere,  selbst  an  alle  vier 
Seiten  eines  solchen  Heroons  vertheilt,  immer  gewisse  kleinere  Complexe 
darin  einheitlich  in  Einem  Rahmen  zusammen ;  im  letztern  Falle  müsste 
natürlich  dann  Niobe  selbst  das  Centrum  der  Hauptfrontseite  bilden.  Wir 
haben  zugleich  für  die  Betrachtung  einen  Standpunkt  gewonnen,  der  der  auf 
einem  Unterbau  sich  erhebenden  Halle  gegenüber  tiefer  liegt,  aber  um  einen 
massigen  Abstand,  der  nur  die  Vorderseite  ins  Auge  fasst,  der  aber  auf  einer 
gleichbleibenden  Linie  sich  fortbewegen  kann,  um  so  die  in  der  Betrachtung 
geforderten,  verschiedenen  Richtungen  gegenüber  den  einzelnen  Statuen  an- 
zunehmen. Wir  haben  die  volle  straffe  Einheit  einer  Giebelgruppe  verloren, 
aber  sie  existirte  auch  wahrhaft  nur  als  Forderung  einer  durch  die  Begeiste- 
rung für  die  neu  entdeckten  oder  erst  zur  Anschauung  gebrachten  Giebelgrup- 
pen von  Aegina  und  Athen  beherrschten  Kunstansicht,  wir  haben  aber  einen 
freiem,  selbständig  und  reichgegliederten,  von  Einer  Grundstimmung  getra- 
genen, sie  nur  steigend  und  fallend  in  den  Hauptnüancirungen  nach  Ge- 
schlechter, Alter,  Individualität,  Graden  der  Gefahr  oder  Verwundung  wun- 
derbar mächtig  und  individuell  ausprägenden  Statuen  verein  gewonnen. 

Unsere  früheren  Untersuchungen  haben  uns  aber  nach  Seleukeia  am  Ka- 
lykadnos,  zu  dem  Sarpedonion  mit  dem  Heiligthum  des  Apollo  als  der  Stätte 
hingeführt,  woher  C.  Sosius  mit  dem  cedernen  Apollo  auch  die  Niobiden- 
gruppe  entführte.  Ist  es  nun  nicht  eine  schöne  Bestätigung  dieses  Resulta- 
tes, dass  wir  hiermit  in  dem  Mausoleion  in  Karien,  in  dem  Nereidenmonu- 
ment in  Lykien,  in  dem  Sarpedonion  in  Kilikien  plastische  Schöpfungen  der- 
selben Meister,  in  gleicher  architektonischer  Anordnung,  in  gleichem  Geist 
componirt  finden,  Werke  attischer  Kunst  aber  für  die  eigenthümlichen  reli- 
giösen Anlagen  kleinasiatischer  Hellenen  und  mit  dem  Reichthum  dortiger 
Mittel  ausgeführt? 

Der  Erwägung  einer  Frage  können  wir  hier  schliesslich  nicht  aus  dem 
Wege  gehen,  welche  als  eine  offene  für  die  Kenner  seiner  Zeit  von  Plinius 
hingestellt  wird,  ja  ohne  welche  wir  überhaupt  von  der  Existenz  eines  den 
Untergang  der  Niobiden  statuarisch  behandelnden  grossen  Kunstwerkes 
nichts  wissen  würden.  Hat  Skopas,  hat  Praxiteles  die  Gruppe  ver- 
fertigt? Die  Frage  hat  bekanntlich  mit  einer  gewissen  Vorliebe  seit  Winckel- 
mann  die  Kunsthistoriker  beschäftigt;  man  muss  sagen,  je  einfacher  und 
sparsamer  noch  die  Grundlagen  der  Kunstgeschichte  waren,  je  mehr  man 
nur  die  einzelnen  zunächst  im  Plinius  verzeichneten  Höhepunkte  der  griechi- 
schen Kunstentwickelung  und  die  kurzen  an  sie  geknüpften  Urtheile  kannte, 
um  so  leichter  niusste  es  dem  Archäologen  erscheinen  und  erscheint  es  heute 
noch  der  ganzen  dilettantischen  Welt  Fragen  wie  die  obige  zu  erledigen. 
Ganz  anders  steht  aber  jetzt  der  besonnene  Forscher  ihnen  entgegen,  in  der 
Mitte  einer  Trümmerwelt,  die  ihm  immer  neue  Schätze,  Zeugnisse  wahrhaft 


332  Zweites  Kapitel. 

griechischer  Kunst  aber  auch  neue  Fragepunkte  öffnet,  unter  abgerissenen, 
zerstreuten  literarischen  Notizen,  die  er  durch  glückliche  Combinationen  zur 
Herstellung  eines  Künstlerlebens  verwenden  soll. 

Winckelmann1),  Meyer2),  Fabroni3),  Waagen4),  Kugler5),  Feuerbach6), 
Brunn7),  Overbeck8),  Gerhard9)  entschieden  sich  für  Skopas,  dagegen  Vis- 
conti10), Lanzi,  Fea11),  Heyne12),  Böttiger13),  zuletzt  noch  Stahr14)  Praxi- 
teles als  Künstler  den  Vorzug  gaben.  Welcker15)  hat  dagegen  auf  die  Un- 
sicherheit aller  derartiger  Entscheidungen  aufmerksam  gemacht  und  die 
Frage  als  eine  durchaus  für  uns  auch  offene  hingestellt;  Friederichs16)  ist 
ihm  hierin  schliesslich  gefolgt,  nachdem  er  in  einer  Reihe  von  Bemerkungen 
für  Praxiteles  Berechtigung  lebhaft  eingetreten  ist.  Auch  wir  wagen  eine 
Entscheidung  nicht,  um  so  mehr  auch  nicht,  als  es  uns  im  Vorhergehenden 
hoffentlich  gelungen  ist,  die  Niobidenreihe  als  ein  interessantes  Glied  in 
einer  Reihe  von  Kunstschöpfungen  nachzuweisen,  bei  deren  gross ter  noto- 
risch ein  Zusammenwirken  von  Skopas,  Praxiteles  und  noch  anderer  Meister 
derselben  attischen  Schule  stattgefunden  hat.  Immerhin  wird  jene  eigen- 
thümliche  Grösse,  jener  Rest  von  Strenge  in  der  Gesichtbildung,  jene  Ein- 
fachheit und  Schlichtheit  des  Faltenwurfes  neben  der  Tiefe  und  Gewalt  der 
durch  das  Ganze  durchgehenden  geistigen  und  körperlichen  Bewegung  lieber 
an  den  bahnbrechenden  altern  Meister,  also  an  Skopas  denken  lassen,  von  dem 
ausserdem  eine  viel  ausgedehntere  Thätigkeit  als  von  Praxiteles  auf  kleinasiati- 
schem Boden  nachzuweisen  ist17).  Ferner  ist  zu  beachten,  dass  Plinius  nicht 
bei  Besprechung  des  Praxiteles,  sondern  des  Skopas  der  Gruppe  und  des  Zwei- 
fels ihrer  Urheberschaft  gedenkt,  allerdings  in  einem  kurzen  Exkurs,  der  aber 
veranlasst  ist  durch  die  unverdiente  geringere  Berühmtheit  einer  in  Rom  be- 


1)  Gesch.  d.  K.  IX.  2.  §  25. 

2)  Propyläen  II.  1.  S.  60  f. 

3)  Dissert.  s.  1.  statu e  d.  fav.  appart.  alla  fav.  di  Niobe.  p.  9. 

4)  Kunstw.  u.  Künstler  in  Engl.  u.  Paris.  III.  S.  1 11  ff. 

5)  Handb.  d.  Kunstgesch.  I.  S.  165. 

6)  Der  vatik.  Apollo.  I.  Aufl.  S.  252.  Not.  4. 

7)  Gesch.  d.  gr.  Künstl.  I.  S.  357  f. 

8)  Kunstarch.  Vorles.  S.  141 ;  dagegen  lfisst  O.  den  Zweifel  bestehen  in  Gesch.  d.  gr. 
Plast.  II.  S.  42. 

9)  Drei  Vorles.  8.  65. 

10)  Mus.  Pio-Ciement.  Lp.  11.  18.  IV.  p.  35. 

11)  Zu  Winkelmann  Kunstgesch.  ital.  Uebers.  IL  p.  199D. 

12)  Antiqu.  Aufs.  I.  S.  S.  235. 

13)  Böttiger  Andeut.  S.  173. 

14)  Torso  I.  S.  373. 

15)  A.  D.  I.  S.  218—220. 

16)  Praxiteles  etc.  S.  93  ff. 

17)  Urlicha  observatt.  de  arte  Praxitelis.  Wirceb.  1858.  p.  13. 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  333 

findlichen  Venus  des  Skopas  im  Vergleich  zur  hochberühmten  knidischen  des 
Praxiteles.  Ueberhaupt  war  ja  der  Name  des  Praxiteles  für  Marmorwerke 
populärer,  gleichsam  typischer  als  der  des  Skopas.  Was  das  Verhältniss  bei- 
der Künstler  zur  Aufgabe  betrifft,  so  ist  dasselbe  darin  ein  zunächst  rein 
stofflich  genommen  für  beide  gleich  nahes,  da  wir  von  beiden  berühmte 
Bildungen  der  Gottheiten,  in  deren  Kreis  speciell  die  Sage  gehört,  der  Leto 
mit  ihren  zwei  Kindern  kennen1).  Ja,  wir  können  von  Praxiteles  ein  anderes, 
ein  oder  zwei  Niobekinder  mit  Leto  darstellendes  Werk  anfuhren,  welches  aber 
sichtlich  den  feierlich  gehaltenen  Charakter  eigentlicher  Tempelbilder  an  sich 
trug.  Leider  geben  uns  die  Worte  des  Pausanias  2)  bei  dem  Mangel  aller  Präzi- 
sion in  der  Gesammtbeschreibung  der  Kunstwerke  nicht  volle  Klarheit.  Er  er- 
wähnt das  Letoon  am  Markt  in  Argos,  dann  das  Agalma,  das  Prachtbild  der 
Leto  als  Werk  des  Praxiteles,  dann  die  daneben  stehende  Statue  der  Niobide 
Chloris,  die  mit  ihrem  Bruder  Amyklas  den  Tempel  erbaut  habe.  Es  scheint 
darnach  fast,  dass  der  letztere  auch  dargestellt  war.  Jene,  Chloris  wenig» 
stens,  war  als  Flehende  in  nächster  Beziehung  zur  Letostatue  gedacht  und 
es  liegt  daher  nahe  genug,  sie  auch  von  Praxiteles  gebildet  zu  glauben,  um 
so  mehr,  als  im  Bereich  der  von  Praxiteles  behandelten  Aufgaben  diese  freien 
Gruppen  von  wenig  Gestalten,  der  Gottheiten  und  der  mit  ihnen  verbunde- 
nen Heroen  lagen.  Sie  ist  natürlich  ihrer  Auffassung  nach  sehr  verschieden 
gewesen  von  irgend  einer  der  uns  erhaltenen  Niobetöchter. 

.  In  wie  weit  innerlich  genommen  das  Verhältniss  des  einen  oder  des  andern 
Meisters  zu  dieser  hochtragischen,  unendlich  bewegten  und  doch  so  maassvol- 
len Darstellung  ein  näheres  und  glücklicheres  gewesen  sein  wird,  wer  mag  es 
bestimmen  (  Hier  jener  feierlich  bewegte  Apollo  Palatinus,  hier  die  rasende 
Bacchantin,  hier  die  Nereiden  undTritonen  im  bewegten  Zuge  mit  jener  eigen- 
thümlichen  Schwärmerei  der  Meereswesen,  dort  ein  Raub  der  Proserpina, 
dort  Mänaden,  Thyiaden,  Silene,  dort  Nymphen,  dort  Dionysos  und  Methe. 
Und  beiden  Künstlern  lag  der  mythologische  Stoff  vor,  durchgebildet  durch 
alle  Phasen  der  Poesie,  auf  dem  Theater  durch  die  grossartigen  Dichtungen 
des  Aeschylos  und  Sophokles  vergegenwärtigt,  ein  Gegenstand  bereits  der 
melodramatischen  Darstellungen  des  Timotheos,  mehr  und  mehr  ein  Lieb* 
lingsthema  kleinerer  orches  tisch  er  und  musikalischer  Scenen.  So  gross  wir 
überhaupt  den  Einfluss  der  orchestischen  und  mimischen  Darstellungen  auf 


1)  Von  Skopas  Leto  mit  dem  Scepter,  Ortygia  mit  den  zwei  Kindern  der  Leto  auf  dem 
Arme  in  einem  Tempel  des  Haines  Ortygia  bei  Ephesos  (Strabo  XIV.  1. 20);  von  Praxiteles 
zweimal  der  Dreiverein  der  Gottheiten  in  Mantinea  und  in  Megara  (Paus.  I.  44.  2 ;  VIII. 
9.  1). 

2)  II.  21.  10:  10  dk  Uqov  rijg  At\tqv<:  taxi  (xhv  ov  (xaxQav  rov  tQona(ov,  rfavt)  ük  16 
ayaXfxa  TTgct^T^Xovg.  tt)v  <f£  ttxova  naQa  ry  &ap  rrjs  naQ&ivov  XXcjqiv  ovo/udCovoi  Nioßrjg 
/nh  &vyariQa  (Jai  Xtyovug,  MtMßotav  dk  xctXua&cu  i£aQXW  —  rovrovg  (Chloris  und 
Amyklas)  dif  qaaiv  A(>yuoi  xo  iiagxijs  otxodofxrjaai  rjj  Aipel  rov  vaov. 


334  Zweites  Kapitel. 

die  jüngere  attische  Kunst,  speciell  auf  jene  freien  Vereine  hochbewegter 
Statuen  anschlagen,  so  wenig  haben  wir  Anlass  eine  bestimmte  Scene  des 
Sophokles  hier  in  die  Plastik  übertragen  zu  sehen,  eine  Scene,  die,  wie  wir 
oben  zeigten,  nur  in  der  Erzählung  existirte,  nicht  unmittelbar  geschaut 
wurde,  selbst  getheilt  war  in  zwei  Ereignisse,  einen  anderen  Grund  und  Bo- 
den als  den  vom  plastischen  Künstler  gegebenen  voraussetzt. 

Sollen  wir  aber  so  mit  diesem  allgemeinen  Resultat  von  der  Betrachtung 
der  Niobidengruppe  Abschied  nehmen,  nachdem  wir  atomistisch  ihre  einzel- 
nen Glieder  für  sich  betrachtet  und  dabei  nur  Hinzugehöriges  und  Fremdes 
geschieden  haben?  Ist  es  nicht  ein  sehr  undankbares  Geschäft,  ein  schönes 
Gewebe,  das  mit  Geist  und  Tiefsinn  gewoben  war,  einfach  wieder  aufzu- 
lösen, wohl  ein  allgemeines  Schema  aufzustellen,  wonach  man  etwa  ein  neues 
beginnen  könnte,  aber  an  diesem  selbst  sich  gar  nicht  zu  versuchen  ?  Wel- 
ches Zusammenwirken  von  Künstlern  und  Archäologen,  welche  Reihe  prak- 
tischer Versuche  dazu  nöhig  sei,  haben  wir  aber  bereits  früher f)  hervorge- 
hoben. Hier  seien  nur  einige  Punkte  als  Resultate  jener  Einzelbetrachtung 
und  der  allgemeinen  Ansicht  der  Aufstellungsart  bezeichnet. 

1)  In  der  Bestimmung  der  Zahl  der  Kinder  halten  auch  wir  mit  Wel- 
cker*)  die  Siebenzahl,  resp.  ihre  Verdoppelung,  für  die  durchaus  wahrschein- 
lichste als  die  dem  apollinischen  Wesen  und  Cultus  entsprechende  und  in 
der  Blüthezeit  der  attischen  Kunst  herrschend  gewordene.  Neben  der  Mut- 
ter und  dem  Pädagogen  erscheint  die  Annahme  einer  Trophos  aus  innerer 
Correspondenz,  im  Hinblick  auf  die  Tragödie  und  endlich  auf  die  Sarkophag- 
reliefs als  durchaus  wahrscheinlich,  wir  glauben  in  einer  der  Florentiner  Nio- 
biden  eine  solche  in  edelster  Bildung  zu  finden. 

2)  Welckers8)  Annahme,  dass  der  idealisch  oder  symbolisch  gefasste 
Raum,  in  dem  die  Niobiden  gedacht  sind,  der  Raum  unmittelbar  vor 
dem  Eingang  des  Königshauses  ist,  dass  Niobe  in  der  Pforte  stehend  dies 
furchtbare  Schauspiel  überschaue,  die  zum  schützenden  Dach  fliehenden 
Kinder  empfange,  dass  die  Felsmassen  bei  den  flüchtenden,  niederstürzen- 
den Söhnen  nur  die  Flucht  über  Stock  und  Pflock  bezeichnen,  ist  ent- 
schieden abzulehnen.  Im  Gegen thcil  haben  wir  uns  im  Einklang  mit 
allen  Kunstdenkmälern  und  bestimmten  literarischen  Ueberlieferungen 
den  Vorgang  im  Freien  und  zwar  im  Einklang  mit  den  meisten  in  fel- 
siger Umgebimg,  in  einem  Gebirgsbereiche  zu  denken,  am  Kithäron  oder 
Sipylos.  Die  eine  Tochter  sinkt  ja  in  der  vatikanischen  Gruppe  an  einem 
Felsen  nieder,  während  ein  Sohn  auf  ebenem  Boden  in  die  Kniee  gefallen 
ist.  Auch  an  der  starken,  schweren  Beschuhung  der  Mutter  glaubten  wir  die 
Beziehung  zum  Aufenthalt  im  Freien,  speciell  in  felsiger  Natur  zu  finden, 

1)  S.  215. 

2)  A.  D.  I.  S.  235—238. 

3)  A.  D.  I.  S.  278.  281.  287. 


Die  Gesammtgruppirung  der  Statuen.  335 

damit  stimmt  auch  die  Basis  selbst,  über  deren  Ergänzung  uns  allerdings 
näherer  Nachweis  fehlt.  Natürlich  ist  diese  Felsnatur  der  künstlerischen  Com- 
positum, den  Geeammtlinien  untergeordnet,  es  hat  ein  Wechsel  zwischen 
Fläche  und  Fels  Statt  gefunden,  daher  ein  Zusammendrängen  der  Felsen  auf 
die  eine  Seite,  in  einer  Reihe  wie  bei  den  fliehenden  Söhnen  durchaus  un- 
wahrscheinlich ist.  Das  Relief  Campana  giebt  uns  davon  eine  lehrreiche 
Anschauung. 

3)  Neben  der  Gruppe  Niobes  mit  der  jüngsten  Tochter  erscheint  die 
des  Pädagogen  mit  dem  jüngsten  Sohne  und  die  der  das  Gewand  hochziehen- 
den Gestalt,  mag  sie  nun  als  älteste  Tochter  oder  wahrscheinlicher  als  Tro- 
phos  gelten,  mit  dem  in  die  Knie  gesunkenen  Sohne  als  bedeutsamste  und 
in  sich  selbständigste  Nebengruppen.  Es  ergab  sich  uns  früher1),  dass 
beide  unmöglich  nach  linearer  Gestaltung  und  innerer  Auffassung  in  die 
Nähe  der  Mittelgruppe  gestellt  werden  können,  im  Gegentheil,  dass  sie 
gleichsam  zwei  Endpole  der  Bewegung  charakterisiren,  hier  ein  Hereineilen 
in  die  verhängnissvolle  Scene,  ein  Gewahrwerden  soeben  der  wie  unmittel- 
bar dahinter  folgenden  bedrohenden  Macht,  ein  volles  Hinausschauen  und 
mehr  unwillkürliches  Fliehen,  dort  ein  Inne-  und  Stillhalten,  eine  Versen- 
kung in  das  bereits  voll  eingebrochene  Unglück,  ein  schmerzvolles,  gleich- 
sam resignirtes  Schützen  und  Helfen.  Denken  wir  uns  daher  die  ganze  Sta- 
tuenreihe in  Eine  Säulenhalle  vor  Einer  Wand  gestellt,  so  werden  diese  bei- 
den Gruppen  die  Endpunkte,  die  Mutter  die  Mitte  der  Reihe  gebildet  haben. 
War  sie  für  die  Intercolumnien  einer  um  einen  mittleren  Kern  an  vier  Seiten 
herumlaufenden  Halle  bestimmt,  dann  haben  wir  diese  Gruppen  in  die  Mitte 
verschiedener  Seiten  zu  vertheilen. 

Im  letzteren  Falle  erscheint  es  sehr  natürlich  als  entsprechende  engere 
Gruppe  der  vierten  Seite  sich  den  eilenden  Sohn  mit  der  an  sein  Knie  fallen- 
den Schwester  zu  denken.  Im  ersteren  würden  wir  für  diese  nach  einer  ent- 
sprechenden Statuenverbindung  uns  umzusehen  haben ;  wir  haben  eine  solche 
aber  bereits  in  dem  dritten  fliehenden  Sohne  mit  der  in  seinen  Schutz  ge- 
scheucht sich  gleichsam  flüchtenden  sogenannten  Psyche  angedeutet*). 

4)  Was  die  einzelnen  Gestalten  der  Niobiden  betrifft,  so  ist  gegen- 
über der  herrschenden  Nebeneinanderstellung  ähnlich,  ja  gleichmotivirter 
ein  grösserer  Wechsel  zwischen  denselben  nach  Geschlecht  und  Motivirung 
wahrscheinlich.  Schwerlich  haben  zur  Seite  der  Mutter  dem  Beschauer  zur 
Linken  jene  zwei  eilenden  Töchter  immittelbar  nebeneinander  gestanden, 
während  allerdings  zu  beiden  Seiten  der  Mutter  zunächst  eine  Tochter  vor- 
auszusetzen ist.  Für  die  bei  der  angenommenen  Siebenzahl  noch  fehlenden 
zwei  Töchter  schien  sich  uns  in  einer  hochbewegten  kleinen  Statue  des  Louvre 


1)  S.  241.  278. 

2)  S.  24S. 


336  Zweite«  Kapitel. 

eine  sehr  geeignete  Ergänzung  darzubieten  und  wir  dachten  wohl  an  eine 
weitere  Statue  im  Motiv  der  herrlichen,  wesentlich  den  Kücken,  den  Kopf 
im  Profil,  zeigenden  Niobide  des  Reliefs  Campana.    Die  entschiedensten  Be- 
denken gegen  die  unmittelbare  Zusammenstellung  der  zwei  älteren  fliehen- 
den Niobesöhne  mussten  von  linearem  Standpunkt,  wie  dem  in  ihnen  liegen- 
den Contrast  ausgesprochen  werden f) ,  sie  sind  entweder  auf  zwei  Seiten  zu 
stellen,  so  dass  der  eine,  wenn  in  eine  Linie  mit  der  Mutter  gestellt,  von  ihr 
wegflieht,  oder  durch  eine  Schwester  zu  trennen.    Uass  der  in  das  eine  Knie 
sinkende  Niobide  und  der  sogenannte  %Narciss  nicht  neben  einander  zu  ord- 
nen sind,  um  so  mehr,  da  uns  dann  jede  Correspondenz  fehlt,  ist  schon  län- 
ger gegen  Welckers  Aufstellung  bemerkt  worden;  uns  fügte  sich  der  letztere 
zur  Gruppe  mit  jener  Trophos  oder  ältesten  Schwester.    Endlich  tragen  wir 
kein  Bedenken,  den  liegenden  Niobiden  auf  einer  höhern  Felsunterlage  in 
die  Reihe  aufzunehmen  und  zwar  als  den  einzigen  Todten,  vor  dem  entsetzt 
einer  der  fliehenden  Brüder  davon  eilt.    Nicht  ohne  feinsinnige  Berechnung 
scheint  die  Stellung  der  Geschlechter  zu  den  Abstufungen  der  Todesnähe  als 
eine  verschiedene  aufgefasst;  dort  bei  den  Töchtern  schliesst  sie  mit  dem  Zusam- 
menbrechen einer  der  jüngsten  Gestalten  aber  doch  unter  brüderlichem  Schutz, 
hier  durchläuft  sie  noch  weitere  Stadien  bis  zur  völligen  einsamen  Todesruhe. 
Immer  neue  und  feine  verschlungene  Bezüge,  aufgelöste  Contraste  kleinerer 
Vereine  werden  in  dem  Gesammtrhythmus  der  Statuenreihe  der  wiederhol- 
ten,  aufmerksamen  Betrachtung  sich  erschliessen,.  welche  also  immer  von 
Neuem  vom  Umfassenden  und  Allgemeinen  sich  der  unvergänglichen  Schön- 
heit und  dem  Geistesschwung  des  einzelnen  Gliedes  in  der  Reihe  mit  ge- 
steigerter Freude  zuwenden  wird. 

1)  S.  24$. 


DRITTES  KAPITEL. 

Der  Niobeiitythiin  in   Heiner  ethnographischen  Stellung   und 

inneren  Bedeutung. 

§  23. 
Niobe  in  der  argivischen  Sage.   Sparen  in  anderen  Theilen  der  Peloponnesos. 

Der  Name  der  Niobe  erscheint  auf  acht  griechischem  Hoden  zuerst  in 
der  Ebene  von  Argos  und  zwar  mitten  hinein  gesetzt  in  die  Sage  der  ältesten 
Ureinwohner,  in  den  Hereich  der  pelasgi sehen  Urzeit. 

Wie  noch  neuerlich  Curtius1)  einfach  und  scharf  hervorhob,  kennen  wir 
für  die  argivische  Ebene  drei  wichtige  Cultur-  und  zum  Theil  auch  national 
geschiedene  Stufen,  denen  gemäss  sich  bestimmte  Sagenkreise  gegliedert 
haben :  die  Periode  der  P  e  1  as  g  c r ,  die  der  1)  ana  e r  oder  A  c  h  äer  mit  man- 
nigfachem Verkehr  nach  Aussen,  zu  den  Inseln,  nach  Lykicn  und  an  die  von 
Phönikern  beherrschte  Küste  des  unterägyptischen  Landes  und  endlich  die 
der  Dorer.  Drei  Namen  von  Stadtgründern  und  ältesten  Königen  treten 
demgemäss  an  die  Spitze:  Phoroneus,  Danaos  und  Tcmenos;  ebenso  schei- 
den sich  drei  ilauptkulte  der  Hera,  des  lykischen  Apollo  und  des  pythischen 
Apollo. 

Der  Charakter  der  argivischen  Sage  ist  aber  abgesehen  von  einzelnen, 
aus  der  Fremde  angesetzten  astralen  Hezügen  durchaus  auf  das  Wesen  des 
argivischen  Landes  und  seiner  Cultivirung  basirt,  trifft  aber  bei  der  Gemein- 
samkeit der  urgriechischen  religiösen  Anschauungen  und  der  alten,  hervor- 
ragenden Culturstellung  des  argivischen  Landes  mit  anderen  Ursagen  an- 
derer pelasgischer  Mittelpunkte  zusammen.  In  den  Vordergrund  treten  dabei 
die  eigentümlichen  Hezügc  des  trockenen  Landes  zur  Feuchtigkeit,  der  es 
so  sehr  bedarf:  es  handelt  sich  um  die  kleinen  im  Sommer  ganz  wasscrlosen 
Winterströme  vom  Gebirg,  wie  Inachos,  Oharadros,  Cheimaros,  um  das  an 
der  Küste  sich  stauende  und  häufig  sie  überschwemmende  Meer  mit  ein- 
zelnen, starken,   hart   am  felsigen  Ufer  oder  im  Meere  selbst  auftretenden 


1)  Peloponnesos  II.  S.  55S. 
Stark,  Niobe.  22 


338  Drittes  Kapitel. 

Süsswasserquellen ,  wie  sie  vor  allem  der  Fürs  des  Pontinosgebirges ,  die 
Gegend  von  Lerna  aufzuweisen  hat,  es  handelt  sich  um  den  ersehnten,  hciss 
mit  Opfern  auf  dem  Arachnaiongcbirge  von  Zeus  und  Hera  erflehten  liegen  *} . 

Wie  diese  tiefeingreifenden  Naturverhaltnis.se  als  vorzügliche  Wirkung 
der  göttlichen  Mächte  erscheinen,  ihrem  Wesen  sich  hier  in  Argos  unmittel- 
bar einbilden,  so  hat  die  älteste  Ileroensage  die  menschlichen  Culturanlagen 
zur  Veränderung  schädlicher,  gefürch teter  Naturzustände,  zur  Regelung,  Be- 
wältigung, Benutzung  des  Wassers,  zur  Begründung  eines  geregelten,  Früchte 
tragenden  Ackerbaues  und  zur  geordneten  Weide,  zur  Errichtung  fester,  ge- 
schützter Wohnsitze  und  damit  eines  geordneten  Familienlebens  mit  beson 
derem  Interesse  behandelt.  Natürlich  gehen  mit  diesen  mehr  objeetiven 
Erscheinungen  die  Erinnerungen  früherer  in  mannigfaltiger  Thatkraft  wie 
unmittelbarer  Frömmigkeit  hervortretender,  zu  einem  Vorbild  der  späteren 
Welt  gewordener  Geschlechter  Hand  in  Hand.  Je  jünger  die  Sage  wird,  um 
so  mehr  nimmt  sie  einen  historisirenden  Charakter  an,  wenn  auch  oft  noch 
einmal,  in  veränderter  Gestalt  schon  mythisch  gefasste  Naturverhältnisse  zu 
Tage  kommen. 

Niobe  erscheint  in  Argos  so  recht  in  der  Mitte  eines  Sagenkreises,  wel- 
cher jenen  Naturcharakter  des  Landes  und  zugleich  die  Uranfänge  der 
menschlichen  Cultur  hochbedeutsam  ausgeprägt  hat.  Für  den  Hellenen,  sagt 
Plato  im  Tiinäos2),  giebt  es  nichts  Aeltercs  in  menschlicher  Tradition  als  zu 
reden  von  Phorone us,  der  der  Erste  genannt  wird,  und  von  Niobe;  sie 
gehen  voraas  der  deukalionischen  Fluth3}.  So  hatte  Akusilaos  der  Logo- 
graph und  der  alte  Verfasser  des  epischen  Gedichtes  der  (Dogcovlg  zuerst 
schriftlich  die  Sage  fixirt.  Phoroneus  ist  der  Vater  der  sterblichen  Men- 
schen, der  speeifiseh  Erste,  der  Begründer  geselliger  Verbindung  auf  einem 
bestimmten,  festen  Ort  (to  aaxv  Ooqwvmov) ,  der  Bringer  des  Feuers4),  der 
Darbringer  des  ersten  Opfers  und  zwar  an  die  ächte,  altverehrte  Landesmut- 
tei  von  Argolis,  an  Hera,  der  erste  richterliche  Schlichter  des  Streites,  er  ist 
der  milde,  freundliche5)    Repräsentant   der  ältesten  Cultur,   bis  in  späteste 

1)  Paus.  II.  25.  8. 

2;  JIt(jl  *l>0Qtor£tos  rov  jiquIxov  lex&fvrog  xa\  Nioßrjs.  Cap.  22.  p.  70Gb.  ed.  Baiter  mit 
Schol.  LI.  p.<M7. 

3)  Apollod.il.  1.  I;  Paus.  11. 15.  -J ;  10.  1;  Schol.  Eur.  Orest.  930 ;  Tat.adv.gent.tiO; 
Clera.  Alex.  Strom.  1.  p.  .10.  1)21  ed.  Sylb.  Dazu  vgl.  bes.  Schubart  Quaest.  genealog. 
histor.  Marb.  IS32.  p.  25,  20,  2\  41  und  Böttieher  Tektonik  11.  S.  310. 

4)  Kuhn  (Herabbringun^  des  Feuer»  S.  IG)  hat  den  Namen  in  einem  Beinamen  des 
Agni,  in  bhuranyu  nachgewieften.  In  Argos  nahe  der  Statue  des  Biton :  nvo  xtttovatr 
ovofjiutoviti  •i>0()tov(üi£  ih'«i'  ov  y<<Q  rot  opoXoyovat  üovrttt  Jivy  llQOfir\il£a  är^Qtiuoig  Ulla 
i{  4'0(joji'la  rov  nvQös  tAudytiv  l&ikovai  trjy  *7(>tatr.  Auch  das  Grab  des  Phoroneus 
zeigte  man  in  Argos  nahe  dem  Heiligthum  des  Zeus  Nemeios  und  brachte  ihm  noch  zu 
Pausanias  Zeit  Todteuopfer. 

5;  Mitis,  placidus  (Stat.  Theb.  IV.  219,  5S9;. 


Niobe  in  der  argivischen  Sage.  H39 

Zeit  geehrt,  er  ist  der  argivische  Prometheus,  aber  ohne  jenen  titanenhaften, 
der  neuen  Götterherrschaft  widerstrebenden  Charakterzug. 

Seine  Abstammung  weist  ihn  zunächst  auf  Inachos  und  Melia;  jener 
der  Gott  des  mit  seinem  Kiesbette  in  weitem  Uogeu  die  Hohlebene  von  Argos 
durchziehenden,  im  Sommer  meist  wasserlosen  Hauptflusses,  zugleich  älte- 
ster Landesherr  und  Schiedsrichter  im  Besitz  des  Landes  zwischen  Hera  und 
Poseidon  giebt  seinem  allgemeinen  und  ursprünglichem  Wesen  nach  wie 
Acheloos  als  himmlischen  Regenstrom,  als  Vater  der  nährenden  Quellnym- 
phen sich  zu  erkennen !) .  Melia  dagegen  ist  ein  der  ältesten  Nymphenreihe 
angehöriger  Name,  auf  die  in  feuchter  Niederung  wachsende  Esche  be- 
züglich, jenen  bedeutungsvollen  Weltenbaum,  der  zugleich  als  Lanzenschaft 
auf  Kampf  und  Krieg  hinweist,  aus  dem  das  Menschengeschlecht,  speeifisch 
das  kriegerische  eherne  Geschlecht  nach  einer  weit  auf  griechischem  Hoden 
verbreiteten  Sage  hervorging2).  Man  hat  bei  ihr  an  die  in  Deutschland  noch 
übliche  Bezeichnung  des  Regen  verkündenden  Wetterbaumes  erinnert,  mit 
Recht  jedenfalls  auf  die  Natur  himmlischer  regengebender  Wolkenjungfrauen 
hingewiesen. 

Die  beiderseitigen  Grosseltcrn  des  Phoroneus  sind  bereits  die  an  den 
Anfang  des  göttlichen  und  irdischen  Werdens  gestellten  Urwassermächte, 
Okeanos  und  Tethys.  Als  Geschwister  kennen  wir  nur  Aigialos  oder 
Aigialeus,  den  Ureingeborenen  des  nördlichen  peloponnesischen  Küsten- 
landes, von  Sikyon  besonders  in  Anspruch  genommen3)  und  Phegeus,  den 
Eichelmann,  den  Repräsentanten  der  ältesten,  aber  nicht  mehr  rohesten 
menschlichen  Nahrung,  den  Gründer  von  Phegai  im  Thalkesscl  von  Psophis, 
von  dem  aus  in  den  Namen  der  Söhne  Spar  ton  und  Messon,  des  Enkels 
Mykeneus  älteste  Land-  und  Stadtheroen  der  Peloponnesos  ausgehend 
gedacht  werden  4) . 

Niobe  wird  nun  nach  der  herrschenden  Tradition  als  Tochter  des  Pho- 
ioneus  bezeichnet,  eine  abweichende  Nachricht  aber  macht  sie  zur  Mutter 
desselben,  setzt  sie  oft  ganz  an  Stelle  der  Melia5)  und  giebt  ihr  in  vorzüg- 
lichem Sinne  den  Charakter  einer  ürmutter  des  menschlichen  zur  Cultur  sich 
erhebenden  Geschlechtes.  Der  Name  der  Mutter  Niobes  wird  verschieden 
angegeben:  am  häufigsten  wird  Laodike  genannt,  aber  daneben  tritt  auch 


1)  Aesch.  Xantr.  Fr.  102.  (Nauck  Tragg.  gracc.  frgmta  p.  42):  oQtootyovotoi  NvfUfutg 
XQijvtdatv  xvfiyaiai  ötciiatv  (\)i(qü)  'itti/ou'jJQyttov  nojafjov  naialv ßioJcoQoig. 

2)  'Exfittkiuv  lies.  Opp.  et  Dies  115,  dazu  Preller  in  Philolog.  VII.  S.  lüff.  Stellen- 
sammlung über  Melia  bei  Unger  Theb.  Parad.  p.  227  ff.  Deutung  bei  Kuhn  Herabbringung 
des  Feuers  S.  15,  dann  bei  Schwartz  Ursprung  der  Mythologie  S.  130  f. 

3)  Paus.  II.  5.  5. 

4)  Apollod.  III.  7.  5. 

5)  Euseb.  Praep.  evangel.  p.  55.,  Chron.  p.  278  ed.  A.Mai;  Gervas.  Tilleber.  Otia 
imper.  bei  Leibnitz  Scriptor.  rer.  Brunsv.  1707.  p.  901. 


340  Drittes  Kapitel. 

Telodike,  Peitho  und  Kerdo  auf.  Sehen  wir  sie  uns  etwas  näher  an. 
Der  erste  Name  bezeichnet  Volksrichterin,  Landesherrschaft  und  zwar  mit 
geordnetem  Rechtsleben,  eine  treffende  Bezeichnung  der  von  Phoroneus  aus- 
geübten Herrschaft  und  Rechtspflege !) .  Derselbe  Hegriff  liegt  natürlich  der 
weithin  Richtenden,  der  Telodike  zu  Grunde.  Der  letztere  Name  Trjlodixrj2) 
fuhrt  uns  zugleich  in  ihrem  Vater  Xuthos  auf  den  Vertreter  des  ionischen 
und  achäischen  Stammes ,  insofern  er  in  der  Peloponnesos  und  zwar  auf  der 
Nordküste  Aigialeia  wohnt  und  erinnert  uns  so  an  den  obengenannten  Bru- 
der des  Phoroneus,  Aigialeus. 

Schwieriger  erscheint  für  den  ersten  Anblick  der  Name  neid-w.  Es 
kommt  dabei  auch  vor,  dass  neben  der  direkten  Ableitung  von  Peitho,  auch 
die  sonst  als  Schwester  der  Niobe  genannte  Europa  eingeschoben  wird3). 
Aber  Peitho  gehört  auch  zu  den  den  himmlischen  Gewässern  und  irdischen 
Flüssen  entsprechenden  und  wohlthätigc  Männer  grossziehenden  Töch- 
tern des  Okeanos  und  der  Tethys,  ja  ihr  Name  wird  von  Hesiod  unter 
den  Okeaninen  zuerst  genannt4).  Und  in  menschlicher,  sittlicher  Beziehung 
ist  sie  die  sanfte  die  ungebändigte ,  spröde,  jungfräuliche  Natur  zu  fester, 
ehelicher  Verbindung  bewegende  Macht,  sie  ist  selbst  die  Ehegöttin;  mit 
nctQrjyOQOQ  ist  sie  die  Begleiterin  der  als  IlQä^ig,  als  Vollendung  der  Ehe 
verehrten  Aphrodite  im  Tempel  zu  Megara Ä)  und  erscheint  auf  Reliefs,  ge- 
schnittenen Steinen,  Vasenbildern  in  solcher  Verbindung  und  Thätigkeit, 
meist  mit  dem  speeifischen  Motiv  der  Entschleierung6)  ;  die  Chariten  sind 
ihre  Beisitzerinnen  7),  ja  sie  wird  selbst  oft  eine  Charis  von  Hermesianax  ge- 
nannt8). So  gesellt  sich  auch  hier  Peitho  trefflich  zu  dem  Stifter  fester 
menschlicher  Verbindung,  zu  Phoroneus,  wie  Theseus,  der  Vereinigei  der 
attischen  Demen  in  ein  einheitliches  Gemeinwesen,  der  Stifter  des  Dienstes 
der  Aphrodite  Pandemos  und  der  Peitho  war9).  Und  auch  jene  Naturseite 
der  Peitho  einigt  sich  wohl  mit  dem  Sohne  des  Inachos  und  der  Melia. 

1 )  Eine  andere  Laodike  Frau  des  arkadischen  Urherrschers  Elatos,  Sohn  des  Arkas 
(Apoll.  III.  9.  1) ;  eine  andere  ist  Tochter  des  Priamos  (Apoll.  III.  12.  .">;.  Andere  Zusam- 
mensetzungen mit  ähnlichem  Begriff  sind  Demodike  (Find.  Fr.  25),  Eurydike  (Apoll.  III. 
G.  4;  12.  3),  Fhilodike  (eine  Inachostochter  Apoll.  111.  10.  I),  Xenodike  Apoll.  II.  6.  3j, 
Kallidike  (Euganim.  Telegon.  bei  Proklos  s.  Welcker  Epi.  Cyklus  II.  S.  514). 

2)  Schol.  Plat.  Tim.  1.  1. 

3)  Schol.  Eurip.  Or.  1)20. 

4)  Hes.  Theog.  -M9.  Vgl.  dazu  die  schönen  Bemerkungen  von  Em.  Braun  griech.  Göt- 
terlehre. 1S54.  S.  IM)  ff. 

5)  Paus.  I.  43.  ü. 

ü)  Müller- Wieseler  D.  A.  K.  11.  Taf.  27.  n.  2»ti;  T.  57.  n.  727.72s-,  Ov erbeck  Galerie 
hero.  Bildw.  Taf.  XIII.  2;  XXVI.  12.  üeberhaupt  vgl.  O.  Jahn,  Peitho  die  Göttin  der 
Ueberredung.    Greifsw.  H40. 

7)  Hes.  Opp.  et  Dies  73;  Orph.  h.  IX.  13. 

S)  Paus.  IX.  35.  !. 

9)  Paus.  I.  22.  3. 


Niobe  in  der  argivischen  Sage.  341 

Suchen  wir  eine  specielle  Beziehung  zu  argivischem  Culte,  so  begegnet 
uns  daselbst  eine  Artemis  Peitho  und  zwar  lag  ihr  Heiligthum  nahe  dem 
Grabmal  der  Frau  des  Phoroneus,  der  Kerdo1).  Es  war  der  Sage  nach  ge-  v 
stiftet  von  Hypermnestra,  der  Danaostochter,  der  einzigen,  die  ihrem  Gatten 
Treue  und  Liebe  hielt  und  im  Gericht  deshalb  gegen  den  Vater  siegte.  Der 
Sieg  dieser  Gattenliebe  war  aber  in  jener  Cultusstiftung  verewigt  und  zu- 
gleich in  der  Stiftung  eines  Aphroditebildes  und  zwar  einer  vrArjqioQOQ  in  das 
Heiligthum  des  lykischen  Apollo  und  genauer  unmittelbar  neben  jenes  ewige 
Feuer  des  Phoroneus.  So  sehen  wir  deutlich,  wie  die  Gestalt  der  Ehegöttin,. 
Artemis  Peitho2)  nahe  verbunden  ist  schon  dem  ältesten  Sagenbereich  des 
Phoroneus. 

Der  Name  KsQdw  für  die  Frau  des  Phoroneus  und  Mutter  der  Niobe  ist 
durch  ein  eigenes  Grabmal  derselben  an  der  Agora  zu  Argos  in  der  Richtung 
nach  dem  Theater  zu  3)  festgestellt  und  wird  auch  in  der  sonst  unerklärten 
Notiz  des  Hyginus  *)  :  ex  Phoroneo  et  Cinna  nati  Apis  et  Niobe  dem  unver-  s 
ständlichen  Cinna  zu  Grunde  liegen.  Es  bezeichnet  die  Gewinnsuchende, 
Schlaue  und  war  ein  Heiname  des  Fuchses,  wie  auch  der  Eidechse5).  Als 
Name  der  Ehe  und  Hausfrau  vertritt  er  den  Begriff  des  Erwerbes,  des  Be- 
sitzes in  den  innern  Räumen  des  Hauses,  aber  mag  zugleich  eine  Beziehung 
zu  den  Erdmächten  enthalten,  die  von  dem  Sonnenlicht  gelockt  aber  auch 
vernichtet  werden.  Wir  haben  dabei  an  den  Hermes  Kegdtpog,  welcher  mit 
dem  Hermes  Chthonios  identisch  ist,  zu  erinnern6),  ebenso  an  die  seltene 
Bezeichnung  des  Apollo  Kegöyog  bei  der  Schlucht  in  dem  Ady ton  zu  Delphi, 
welcher  das  Grab  des  Dionysos  bei  sich  hat7). 

Nach  alledem  finden  wir  unter  den  verschiedenen  Traditionen  über  die 
Frau  des  Phoroneus  und  Mutter  der  Niobe  die  Begriffe  der  Landesherrschaft, 
der  ehelichen  Vereinigung,  der  Gründung  eines  Hausstandes  ausgeprägt,  zu- 
gleich nach  der  Naturseite  hin  eine  Beziehung  zu  den  Mächten  des  Urwas- 
sers  und  der  Erde. 

Sehen  wir  uns  nach  den  Geschwistern  der  Niobe  um.  Meist  erscheint 
nur  ein  Bruder  derselben,   Apis  ^Anig  mit  Genitiv  "Anidog  und  "Anewg)  8). 


1)  Paus.  II.  21.  1  ;  O.  Jahn  Peitho  S.  17. 

2)  Ebenso  ist  Artemis  Eukleia  als  Ehegöttin  bekannt  (Plut.  Aristid.  c.  20) ;  Evxlticc 
ist  mit  Tfu&d)  auf  einem  Vasengemälde  um  eine  sitzende  Frau,  die  ein  Geschenk  in  der 
Hand  hat,  beschäftigt  (Müller- Wieseler  D.  A.  K.  II.  n.  728;  O.  Jahn  Peitho  S.  26), 

3)  Paus.  II.  21.  1. 

4)  Fab.  145. 

5)  Etymol.  M.  s.  v.  ;  Ar.  Eq.  1063  ;    Artemidor  III.  28. 

6)  O.  Müller  Ürchomenos  S.  156;  Petersen  Hausgottesdienst  S.  52.  54. 

7)  Lycophr.  Cass.  207 ;  Tzetz.  ad  Plut.  ls.  Üsir.  35. 

S)  Apollod.  II.  1,  1 ;  in  1.  7,  6  vermischt  er  sichtlich  den  Sohn  des  Phoroneus  mit 
Apis,  dem  Sohne  des  Jason  (Paus.  V.  1.6);  ferner  Hygin.  Fab.  145. 


342  Drittes  Kapitel. 

Abgesehen  von  der  durch  Namenspielerei  entstandenen  Combination  mit  dem 
ägyptischen  Apis1)  und  Sarapis  ist  er  einfach  Repräsentant  des  alten  Namens 

*  jtnia  yrp  des  ältesten  Gesammtnamens  für  die  Peloponnes.  Er  erscheint  als 
Herr  des  Landes  und  zwar  als  ein  harter,  der  schliesslich  von  Thelxion  und 
/  Teichin,  Repräsentanten  ältester  handwerklicher  Kunst,,  besonders  der  Me- 
tallarbeit, gestürzt  wird.  Die  Verbindung  dieses  alten  Landesnamens  mit  der 
Phoroneussage  war  übrigens  keine  ganz  allgemeine.  In  Sikyon2),  dieser 
ältesten  mit  Argos  wetteifernden  Culturstätte,   gelangt  die  Genealogie  vom 

/  Ureingeborenen  Aigialeus  durch  Europs,  Teichin  zum  Apis  und  sein  Sohn  ist 
Thelxion.  Also  hier  wird  er  von  denselben  Namen  als  denen  des  Vaters 
und  Sohnes  umgeben,  von  denen  er  dort  gestürzt  wird.  Aeschylos3)  dagegen, 
lässt  im  Munde  des  Königs  Pelasgos  den  Namen  %(i*Qag  Idniag  nidov  von 
einem  mit  Sehergabe  und  Heilkunst  ausgestatteten  Sohn  des  Apollo  ableiten, 
welcher  von  Naupaktos  herüberkommend  die  Halbinsel  reinigt  von  Unge- 
thümen  und  für  die  Wunden  Heilmittel4)  fand.  Hier  findet  gar  kein  Zu- 
sammenhang mit  der  obigen  Sagenbildung  statt.  Näher  steht  es,  wenn  man 
auch  in  derUrsage  von  Arkadien,  an  der  Stätte  Pallantion,  einen  Apis  kannte, 
Sohn  des  Jason,  der  von  Aetolos  unfreiwillig  im  Wettkampf  getödtet  war8). 

Neben  Apis  werden  aber  auch  Europa  und  Aigialeus,  ja  Spar- 
ton, der  Vater  des  Mykeneus  nach  argivischer,  was  den  letzten  Namen  be- 
trifft, von  den  Spartanern  durchaus  nicht  getheiltcr  Lokalsage  Kinder  des 
Phoroneus,  Geschwister  der  Niobe  genannt,  üass  EvQüjnt],  der  wir  bereits 
nach  einer  Version  als  Mutter  Niofres  und  Tochter  der  Peitho  begegneten, 
eine  alte,  acht  griechische  Auffassung  der  weitgeöffneten,  breit  gelagerten  Erde 
ist,  daher  als  Demeter  Europa,  als  Amme  des  Zeus  Trophonios  verehrt  war, 
dass  sie  bei  Hesiod8)  zu  den  ältesten,  Männer  nährenden  Okeaninen  gehört, 
dass  sie  dann  im  Gegensatz  zur  \inia  yfj9  zur  Peloponnesos  das  griechische 
Festland,  speciell  Böotien7)  bezeichnete,  dass  ihre  Verschmelzung  mit  der 
phönikischen,  wandernden  Mondgöttin  in  Kreta8)  und  an  Stätten  phöniki- 
schen  Handelsverkehres  erfolgte,  bedarf  wohl  hier  keines  Beweises  mehr. 

Auch  das  männliche  Gegenbild  der  Europa,  Europs,  der  Vater  des 
Gründers  von  Hermione  wird  Sohn  des  Phoroneus  genannt,  unebenbürtig 
allerdings  nach  Herophanes  von  Troizene,  der  aber  überhaupt  keine  andere 
eheliche  Descendenz  des  Phoroneus  als  in  Niobe  anerkannte. 

1)  Vgl.  *Ant*  ßoüiig  schon  bei  Aesch.  Suppl.  12S.    Zu  Serapis  Eus.  Chron.  II.  p.  272. 

2)  Paus.  V.  5.  5. 

3)  Suppl.  263  ff. 

4)  Hier  spielt  die  Aehnlichkeit  von  tjnta  und  nntf  herein. 

5)  Paus.  V.  1.6;  Apollod.  1.  7.  6. 

6)  Theog.  350. 

7)  Hom.  hymn.  in  Ap.  250.  290. 

8)  Herod.  I.  2.    Vgl.  Welcker  über  eine  kretische  Colonie  etc.  S.  16.  21  ff. 


Niobe  in  der  argmschen  Sage.  343 

Dem  Aigialeus,  dem  Vertreter  des  nördlichen  Uferlandes  der  Halbinsel, 
wie  schon  oben  als  Oheim  nun  als  Bruder  der  Niobe  zu  begegnen  wird  uns 
nicht  Wunder  nehmen,  wenn  wir  einmal  an  dies  freie  Auf-  und  Abrücken  in 
der  Genealogie  der  Sage  gewöhnt  sind. 

Von  besonderem  Interesse  für  uns  ist  die  Beziehung  anderer  Phoroneus- 
kinder  in  der  Sage  von  Hermione  und  von  Megara  zu  Demeterdienst,  zu 
dem  ganzen  Complex  der  von  den  Dryopern  hochverehrten  chthonischen 
Götter,  den  Mächten  des  in  der  Tiefe  waltenden  Erdensegens.  Es  war  ein- 
heimische Sage  in  Hermione,  dass  Klymenos  und  Chthonia,  die  Kinder 
des  Phoroneus  aus  Argos  gekommen,  den  Tempel  der  Demeter  Chthonia 
dort  gegründet  hatten.  Pausanias  muss  sich  wohl  selbst  gestehen,  dass  Kly- 
menos der  unterirdische  Zeus,  der  Todtenkönig  selbst  ist  und  Chthonia  seine 
Gemahlin1;,  also  dieselbe,  die  in  Hermione  ausdrücklich  mit  dem  Namen 
Meliboia  verehrt  ward2).  Wir  begegnen  diesem  Namen  bald  unter  den  Kin- 
dern der  Niobe  gerade  in  Argos.  In  Megara  ward  der  mythische  Stifter  der 
Burg  Karia,  Kar,  also  Repräsentant  ältester  karischer  Stadtgründung  Sohn 
des  Phoroneus  genannt  und  man  schrieb  ihm  die  Stiftung  des  Demeterheilig- 
thums,  des  sogenannten  MeyctQOv  auf  der  Burg  zu3). 

In  einem  solchen  mehrfach  wechselnden  Geschwisterkreis,  der  aber 
durchaus  auf  der  idealen  Auffassung  des  Grund  und  Bodens,  überhaupt  und 
speciell  der  Peloponnes,  der  ältesten  Landescultur  im  Ackerbau  und  des  auf 
die  Oberwelt  kommenden  Erdensegens  steht  Niobe. 

Was  ist  an  ihr  nun  das  Bezeichnende?  Sie  ist  das  erste  sterbliche 
Weib,  der  Zeus  sich  in  Liebe  genaht  hat4);  sie  steht  an  der  Spitze 
einer  Reihe,  als  deren  letzte  und  jüngste,  als  sechzehnte  nach  den  Auf- 
zählungen der  Mythographen  Alkmene  erscheint.  Wie  Phoroneus  als  der 
erste  wahre  Mann  an  die  Spitze  der  ganzen  menschlichen  Cultur  tritt,  80 
Niobe  als  Frau.  Erst  durch  sie,  durch  ihre  Vereinigung  mit  Zeus  wird  gleich- 
sam die  menschliche  Natur  geadelt,  der  Stempel  einer  göttlichen  Begnadi- 
gung derselben  aufgeprägt.  Mit  ihr  erreichen  die  göttlichen  Erzeugungen 
von  untergeordneten,  dämonischen  Wesen  ihr  Ende  und  beginnt  die  Reihe 


1)  II.  35.  3:  tovTo  tu  iiQov  'Equiovijs  uh  KXvpcror  4>oqmv(iüs  netida  xai  a^fltfr^v 
KlvfLiivov  Xöovtav  rovg  irfQvOccfiivovs  (faa)v  tlvat.  -—  4:  X&ov(a  cf  ovv  fj  O-tog  te  avTij 
xctXiiTai.  —  5:  KXv/nttov  dt  ovx  üvÖQnuiQytlov  $X&tiv  tytoyt  ig  'EQfjuova  ryyovuai,  tov  6-eov 
iU  farir  inlxltiois,  or  rivn  tytt  Xoyog  ßnaiXtu  vno  yrjv  ilvtu.  Vgl.  noch  Aelian.  H.A.  XI.  4; 
Inschrift  aus  Hermione  an  Demeter,  Klymenos,  Hera  herausgegeben  von  Baumeister  in 
Philol.  X.  I.  S.  179.  n.  1.  2;  andere  Böckh  C.  J.  n.  1193—1211. 

2)  Lasos  aus  Hermione  bei  Athen.  XIV.  (»21  c:  dauctTQct  piXno)  Koquv  xt  KXvpirov 
aXo%ov  MtXCßoiav. 

3)  Paus.  I.  10.  5. 

4)  Apollod.  II.  1.  7:  5  ntHoty  yvvaixi  Ztvg  xh'tjTrj  t(ilyr)\  Dion.  Halic.  I.  11  und  17; 
Diod.  IV.  14  ;  Hyg.  Fab.  145  ;  Schol.  Stat.  Theo.  IV.  589. 


344  Drittes  Kapitel. 

göttlicher,  gottbegnadigter  Menschen.  13er  Gegenwart  menschlicher  Noth 
gegenüber  erschien  jene  Urzeit  als  die  einer  wahren  Lebensgemeinschaft  zwi- 
schen Göttern  und  Menschen  zu  Tisch  und  Bett.  Erhalten  ist  uns  wenigstens 
nicht  in  der  argivischen  Sage,  dass  Niobe  wie  lo,  wie  andere  Heroinen  der 
Verfolgung  weiblicher  Gottheiten  ausgesetzt  ist,  dass  sie  in  dieser  Liebe  der 
Götter  zugleich  einen  schweren  Stachel  des  Unglückes  mit  sich  trägt. 

Ehe  wrir  an  die  Beachtung  der  sterblichen  Kinder  der  Niobe  aus  dieser 
Verbindung  und  ihres  Schicksals  gehen,  haben  wir  noth  wendig  einer  hesio- 
deischen,  von  Strabo1)  angeführten  Stelle  zu  gedenken,  welche  wenn  auch 
in  einem  wichtigen  Worte  verderbt  doch  ganz  ausdrücklich  eine  Verbindung 
der  Phoroneustochter  —  und  dies  für  sich  allein  gesetzt  ist  nur  Niobe  —  mit 
einem  Gotte  ausspricht,  deren  Frucht  fünf  Töchter  seien,  die  Mutter  der 
Bergnymphen ,  der  nichtsnutzigen  Satyrn  und  der  scherzenden  Kureten. 
Welcher  Name  des  Gottes  in  'Exazegco  steckt,  ist  bis  jetzt  noch  nicht  sicher 
gestellt;  man  hat  'dii^Exarng  d.h.  Apollo,  an  den  Thraker 'ExtjTOQog,  den  Ur- 
bewohner  von  Naxos2),  man  hat  an  'Axaxrjowg,  den  Beinamen  des  Hermes, 
man  hat  ix  2azvQOv,  lesend  aa  den  Satyrvatcr,  der  in  Arkadien  vorkomme, 
gedacht.  Man  könnte  wohl  wünschen  ex  ding  zu  lesen  im  Hinblick  auf  die 
Nymphen  als  Zeustöchter  und  auf  die  Kureten  als  diog  zQoq)elg,  doch  ist 
dabei  diese  eigentümliche  Verschreibung  nicht  erklärt.  Auch  die  nähere 
Bestimmung  jener  fünf  Töchter  fehlt  uns  gänzlich,  dagegen  ist  die  Verbin- 
dung der  Bergnymphen,  der  Satyrn  und  der  bewaffneten  Tänzer  im  Waldge- 
birge, der  Kureten,  die  wohl  auch  die  Satyrumgebung  des  Zeus  [olovei  2cctvq€Q 
%iveg  ovreg  n€gi  zov  dia)  genannt  werden3),  unter  sich  ebenso  verständlich 
als  ihre  Beziehung  zur  Niobe  eine  interessante  Ich  darf  hier  an  die  home- 
rische Stelle  erinnern,  wo  der  Sipylos  ausdrücklich  als  Lagerstätte  der  vom 
Tanze  ausruhenden  Nymphen  genannt  wird4) ,  ich  darf  an  die  Verbindung 
mit  Zeus  und  voraus  greifend  an  die  Einheit  der  Niobestätten  in  Kleinasien 
mit  Hauptcultstätten  der  Muttergöttin,  näher  Rhea,  was  die  Kureten  betrifft, 
erinnern,  ich  kann  die  von  Preller5)  passend  herangezogene  Version,  wonach 


1)  Strabo  X.  3.  111:  *HaMog  [iiv  ya^'Exar^Qb}  (ExuriUov  in  einer  Handschrift;  *Exa- 
TtQov  und  ExqTonog  Conjecturen;  xa\  rrjg  'fiootorftog  0-vynr^bg  <f  rjah' 

f£  tov  ovnartt  NvfAifat  &fni  i^fyivavro 

xcei  yivog  ourififcrtöv  2.'(t7VQüjy  xa)  dfATjXttvofyyow 

KovQtiTfg  T€  &fol  (ftXonaly [tov fg  OQ/riOjrjQtg. 
Vgl.   dazu  die  Anmerkung  in  der  Ausgabe  von  Müller  und  Dübner.  Paris,  Didot  1S53. 
p.  1010;  Welcker  Nachtrag  zur  Aeschyl.  Trilogie  p.  212  und  jetzt  Griech.  Götterl.  III. 
S.  145  ;   Lobeck  Aglaoph.  p.  1110;  Hesiod.  ed.  Göttling.  frgt.  29;  Preller  griech.  Mythol. 
1.  S.  441).  Anm.  l.Ausg. 

2)  Diod.  V.  50;  Parthen.  Erot.  c.  119. 

3)  Strabo  1.  1.  17.    Zu  den  Kureten  vgl.  Lobeck  Aglaoph.  111.  c.  1. 

4)  Hom.  11.  XIV.  613  f.,  dazu  oben  S.  27  f. 

5)  Griech.  Mythol.  I.  S.  449  aus  Memn.  Heracl.  41. 


Niobe  in  der  argivischen  Sage.  345 

die  Satyrn  auch  Kinder  der  Naiade  Nikäas  in  Bithynien  genannt  werden, 
umsomehr  betonen,  als  wir  früher  aus  Nonnos1)  die  Beziehung  Niobes  zu  • 
derselben  kennen  lernten  und  überhaupt  uns  die  lokale  und  innere  Verbin- 
dung der  Niobesage  mit  dem  bakchischen  Thiasos  diesseit  und  jenseit  des 
ägäischen  Meeres  entgegentreten  wird.  Wichtig  aber  ist  es  für  uns,  dass 
gerade  Niobe  als  Phoroneustochter  in  diese  mütterliche  Verbindung  zu  den 
dämonischen  Wesen  der  Berge  und  des  Waldes  gesetzt  wird. 

Das  sterbliche  Kind  der  Niobe  von  Zeus  im  eminenten  Sinne  ist  Argos, 
welcher  die  Königsherrschaft  des  Landes  von  seinem  Grossvater  Phoroneus, 
gestützt  auf  seinen  Zeusursprung  und  daher  bevorzugt  vor  den  Erben  der 
männlichen  üescendenz,  überkam  und  den  Namen  "AQyog  der  Stadt,  der 
Inachosebcne,  der  ganzen  Peloponncs 2)  gab.  Argos  ist  bekanntlich  die  be- 
stimmte Bezeichnung  pelasgischer  agrarischer  Niederlassungen  in  fruchtbaren 
Ebenen,  welche  als  Geschenk  des  Flusses  meist  erscheinen.  Die  ausgebil- 
dete Sage  unterschied  zwischen  diesem  Argos  durchaus  und  dem  Argos  Pa- 
noptes,  dem  Hüter  der  Jokuh  im  heiligen  Haine  der  Mykcnäer 8) .  Sein 
Name  knüpfte  sich  an  ein  Grabmal  in  Argos  und  und  au  den  zwischen  Argos 
und  dem  Meere  gelegenen,  von  Klcomenes  freventlich  verwüsteten  Hain 4)  ; 
jenes  befand  sich  zwischen  dem  Tempel  des  Poseidon  Prosklystios,  des  das 
Land  mit  seinen  Wogen  bedrohenden,  aber  von  dieser  Stätte  an  zurückwei- 
chenden Gottes  und  dem  Tempel  der  Dioskuren5;. 

Neben  Argos  ward  von  Akusilaos  auch  Pelasgos8)  als  Niobesohn  vom  v^ 
Zeus  genannt,  welcher  sonst  als  Autochthone,  als  Sohn  des  Palaichthon7) ,  des 
Altansässigen  bezeichnet  wird.  Wir  haben  in  ihm  den  Vertreter  der  ältesten, 
Ackerbau  treibenden ,  jene  Argosebene  eultivirenden  Bevölkerung.  Seine 
Tochter  Larissa8}  kennzeichnet  ihn  als  Erbauer  der  ersten  Herrschersitze  mit 
gewaltigen  Mauerringen. 

Pelasgos  besass  ebenfalls  ein  Grabmal   in  Argos  und  zwar  neben  dem 
Heiligthume  der  Demeter  Pelasgis*),    welcher  mit    der  oben   erwähnten      * 
Demeter  Chthonia  auf  gleicher  Stufe  steht;  in  seiner  Nähe  war  ein  Schlund, 
in  den  man  der  Kora  Fackeln  warf. 


1)  S.  oben  S.  ßß. 

2)  Paus  II.  16.  I  ;  Schol.  Eur.  ()r.  1239:  öXrjr  tijv  firbg  rou'fafruov  l4{ryttnv\  Euseb. 
Chron.  1.  27.  p.  130  ed.  A.Mai. 

3;  Bei  Soph.  El.  5:  (ikaos'fvd/ov  xÖQtjg  oder  tb  jVlvxrjVtt^tav  äkaog  (Apollod.  II.  I.  3). 
1)  Paus.  II.  20.  7  :  rb  ttkaog  rov  vA{tyovg ;  III.  4,  1  :  akaog  hgov  "A(ryov  rov  Nioßrjg . 
5)  Paus.  II.  22.  0:  rtirpog  —  !koyov  <1ibg  (hat  öoxouvtog  xttl  rrjg  <f>0Q<oi,(iüs  Nioßtjs. 
tt)  Apollod.  III.  s.  |  ;  Dionys.  Halic.  I.  11. 
7)  Aefch.  Suppl.  239  j  Schol.  Eur.  Or.  1239. 
b)  Paus.  II   23.  9. 
9)  Paus.  II.  22.  2. 


346  Drittes  Kapitel. 

Endlich  auch  Apis  wieder  als  Kindesname  der  Niobe  zu  begegnen  bei 
der  Quelle  des  Hieronyinus  ')  darf  uns  nicht  wundern. 

Eine  ganz  vereinzelte  Notiz  bei  Tzetzes2)  führt  den  Namen  O^olwi'g  als 
den  einer  Tochter  dieser  argivischen  Niobe  an.  Wir  begegnen  ihm  später  in 
Theben  unter  den  Niobidennanicn  und  haben  dort  von  ihm  näher  zu  han- 
deln. Die  Beziehung  auf  ein  ältestes  Hundes-  und  Einigungsfest  der  Ort- 
schaften einer  Landschaft  im  Dienste  des  Zeus  liegt  klar  darin  gegeben. 

Sind  es  bis  jetzt  immer  nur  einzelne,  wenn  auch  bedeutungsvolle  Namen 
von  Kindern  gewesen,  in  denen  Niobe  als  Stammmutter  zu  Tage  tritt,  so 
wird  diese  Stellung  durch  wenige,  bis  jetzt  unbeachtet  gebliebene  Worte 
einer  guten  Quelle3]  in  reichster  Weise  angedeutet.  Da  heist  es  nämlich  : 
,, nachdem  Phoroneus  gestorben  war  und  die  Kinder  der  Niobe  zerstreut 
waren  oder  sich  zerstreut  hatten,  übernahm  ihr  Sohn  Argos  die  Herrschaft". 
Mithin  wird  eine  grosse,  zahlreiche  Nachkommenschaft  vorausgesetzt  und 
eine  solche,  die  sich  weit  über  das  Land  verbreitet  hat ;  ob  durch  besondere 
Ereignisse,  ob  als  Zeichen  der  Machtentwickelung,  oder  erschütternder  Vor- 
fälle, wird  uns  nicht  angedeutet.  Ganz  derselbe  Ausdruck  bezeichnet  das 
Auftreten  und  Verbreiten  der  Pelopidenmacht,  infolge  dessen  aus  der  *Anla 
yfj,  aus  dem  y'Aqyog  eine  IlekoTrowrjaos  ward ;  da  heisst  es  auch :  „als  die 
Kinder  des  Pelops  sich  von  Elis  aus  über  die  ganze  Halbinsel  zerstreut 
haben"4). 

In  der  Sage  von  Argos  besteht  eine  sichtliche  Kluft  zwischen  diesem 
alten  Geschlechte  der  Niobe  und  dem  des  Danaos,  welches  allerdings  durch 
lo  aber  erst  über  andere  auswärtige  Gegenden  und  Zwischenglieder  auszu- 
füllen gesucht  wird.  Danaos  tritt  in  Gelanor  ein  alteinheimischer  König 
überhaupt  entgegen,  der  ihm  die  Herrschaft  übergiebt. 

War  nun  in  Argolis  neben  der  Fülle  bedeutungsvoller  Zeichen,  Grab- 
stätten, Heiligthümer  nicht  irgend  ein  Punkt,  an  den  sich  die  Gestalt  dieser 
Niobe,  dieser  so  hochangesehnen  Urmutter  der  Heroenzeit  dauernd  knüpfte, 
in  dessen  Eigentümlichkeit  zugleich  eine  Andeutung  ihres  Wesens  gegeben 
war?  Bis  jetzt  schien  dieser  Name  nur  in  den  flüchtigen  Klängen  einer  in 
Gedichten  wie  den  Eöen  Hesiods,  der  Phoronis  oder  den  Aufzeichnungen 
des  Akusilaos  behandelten  Sage  fortgelebt  zu  haben.  Und  doch  giebt  uns 
eine  Stelle  des  Plinius5)    den  allersichersten  und  interessanteste!!  Anhalte- 


1)  Euseb.  Chron.  p.  272. 

2)  Schol.  Lycophr.  520. 

3)  Schol.  Eur.  Or.  1230  :  xal  rriiv  nttCdtm'  kov  Nioßrjg  tiiuaxttiuad-lriwv  —  . 

4)  Paus.  V.  8.  1  :  iHXonog  cf£  nur  ntttöutv  axifiaafrtijwv  {|"//A*cfoc  dra  näaav  t})V 
alXrjv  Il6lo7i6vrt]Oov. 

5)  Hist.  natur.  IV.  5.  9  (T.  1.  p.  27S  ed.  Sillig).  Aufgeführt  wird  hier  tue  einzige 
Variante  und  zwar  des  Cod.  Reg.  Paris.  (571)7  aus  sec.  XIII:  in  cobeam  minore ;  neben 
Psamathe  kommt  auch  vor  Psamathera. 


Niobe  in  der  argi vi  sehen  Sage.  347 

punkt.  Derselbe  führt  bei  der  kurzen  Besprechung  des  argolischen  Landes 
trocken  nach  einander  Städte,  Flüsse,  Berge  auf,  zuletzt  die  Quellen  und 
nennt  hier  drei:  Niobe,  Amymone,  Psamathe.  Iigend  eine  Veran- 
lassung in  der  handschriftlichen  Ueberlieferung  den  Namen  zu  bezweifeln, 
liegt  nicht  vor1).  Alle  drei  Namen  haben  mythologisch  ihre  Beziehung  zu 
Geliebten  olympischer  Götter,  des  Zeus,  Poseidon,  Apollo. 

Amymone,  die  Danaide,  wird  von  einem  Satyr  verfolgt,  von  Poseidon 
von  ihm  befreit,  am  Meeresufer  in  Liebe  umworben  und  gewonnen,  erfahrt 
durch  denselben  die  in  Lerna  enthaltenen,  auch  im  Sommer  nicht  vertrock- 
nenden Quellen  oder  erhält  von  ihm  als  Liebesgeschenk  mit  dem  Dreizack  aus 
dem  Felsen  geschlagen  die  immerfliessendc  Quelle,  die  ihren  Namen  trug2). 
In  acht  Oeffinmgcu  tritt  die  starke  Hauptqucllc  aus  dein  Felsen  und  fliesst 
noch  heute  durch  den  künstlich  gedämmten  Teich  in  das  Meer  ab8).  Nahe 
stand  der  Quelle  ein  Tempel  des  Poseidon  Genesios  und  weiterhin  waren  die 
Apobathmoi  der  Danaiden. 

Psamathe  wird  Tochter  des  Krotopos  von  Argos  genannt,  wird  von 
Apollo  geliebt  und  von  ihm  Mutter  des  Linos,  welcher  ausgesetzt  auf  der 
Weide  von  den  Hunden  des  Krotopos  zerrissen  wird4;  ;  infolge  dessen  sendet 
Apollo  die  die  Kinder  den  Müttern  raubende  Poine  und  nach  ihrer  Tödtung 
durch  Koroibos  eine  verheerende  Pest,  bis  endlich  von  Delphi  aus  eine  Süh- 
nung durch  Stiftung  von  Tripodiskos  erfolgt.  Das  Grab  des  Koroibos  zeigte 
man  in  Megara,  wie  es  scheint  auch  mit  religiösem  Bezug  auf  Psamathe,  das 
des  Linos  war  in  Argos  auf  dem  Marktplatz,  darüber  unmittelbar  stand  Apol- 
lon  Agyieus  und  ein  Altar  des  Regenzeus  (Z.  cY£tioq)9  auch  ein  jtivrj/na  des 
Krotopos  bei  den  Tempeln  zweier  von  Kreta  ausgegangener  Culte  des  Dio- 
nysos und  der  Aphrodite  Urania5).  Von  Psamathe  kennen  wir  kein  (.ivrjfjia, 
um  so  wichtiger  ist  die  ausdrückliche  Erwähnung  als  Quelle.  Der  Natur- 
charakter des  Linosmythus  liegt  klar  vor:  das  Hlüthenleben  der  Erde  im 
Frühling,  vom  Lichtgott  hervorgelockt,  die  vernichtende  Gluth  der  Som- 
merhitze6). Psamathe  ist  aber  Name  einer  Meeresnymphe,  einer  Nereide 
und  bezeichnet  als  solche  die  den  weisssandigen  Strand  bespülende  Welle ; 
sie  steht  mit  XxTCcitj,  'Hiovrj  darin  auf  derselben  Linie 7)  ;    auch  auf  Vasen- 

1)  Auch  der  Namo  einer  anderen  berühmten  Quelle  an  der  Gränze  von  Argolis,  der 
von  Nemea  mit  dem  Todtendienst  des  Opheltes,  Attyykttt  oder  Attyxkla,  Langia  ist  uns 
nur  im  Statius  IV.  710  (f.,  in  Pausanias  111.  21.  2,  Nicander  Alexiph.  105  und  Vibius  Se- 
quester erhalten. 

2)  Paus.  II.  15.  5;  Apollod.  11.  1.  5;  Luc.  dial.  marin.  6;  Hygin.  fab.  109.  Ueber 
die  Kunstdarstellungen  s.  Müller  Handb.  d.  Archäol.  §  350.  3. 

3)  Vgl.  Buttmann  Mythologus  II.  S.  93 — 107 ;  jet*t  Curtius  Peloponnesos  11.  S.  365. 

4)  Paus.  1.  43.  7;  II.  19.  7. 

5)  Paus.  IL  23.  S. 

6)  Lauer  System  d.  Mythol.  S.  272;  Preller  Mythol.  1.  S.  310. 

7)  Hes.  Theog.  249.  256.  261. 


348  Drittes  Kapitel. 

bildern  erscheint  sie  unter  den  Nereiden1).  Die  Sage,  welche  ihre  Verbin- 
dung mit  Proteus  an  der  Küste  des  Nildelta  betrifft,  wollen  wir  hier  nicht 
verfolgen,  obgleich  ihre  griechische  Grundlage  offen  liegt,  aber  der  Stätte 
oder  den  Stätten  nachgehen,  wo  sie  in  Hellas,'  an  der  Peloponnes  und  sonst 
üxirt  ist.  Da  begegnen  uns  zwei  solche,  die  eine  nicht  speciell  in  Argos, 
aber  doch  im  Bereiche  der  altargivischen  Herrschaft,  am  Vorgebirge  Tai- 
naron,  das  erst  später  Minycr  besetzen  und  die  andere  in  Böotien. 

Noch  heute  sprudelt  in  reicher  Fülle  ein  herrlicher  Quell  auf  der  durch  - 
aus  öden,  wasserloscn  Landspitze  des  Tainaron2)  ;  seine  Wunderkraft  Häfen 
und  Schiffe  zu  zeigen  hatte  bereits  zu  Pausanias  Zeit  aufgehört3).  Von  ihr 
redet  Valerius  Flaccus,  wenn  er  von  dem  Poseidonsohn  Euphemos,  dem  miny- 
eischen  Stammesheros  sagt : 

qui  tenet  undisonam  Psamathen  semperque  patentem 
Taenaron. 
Von  ihr  hat  der  Hafen  am  Tainaron  VafiaO-ovg*)  den  Namen  getragen.  Da 
uns  in  Argolis  selbst  durchaus  keine  Psamathequelle  —  und  ihr  Charakter 
liegt  eben  in  jenem  Aufsprudeln  am  Strande  selbst  —  begegnet,  jene  aber 
eine  hochberühmte  war,  können  wir  also  die  Psamathe  der  argivischen  Sage 
wohl  mit  allem  Recht  als  die  dort  lokalisirte  und  verehrte  annehmen. 

Der  Name  der  Psamathe  für  eine  Quelle  erscheint  noch  einmal  in  Böo- 
tien  und  da  zugleich  spielt  derselbe  in  der  Geschichte  des  Stammesheros  der 
Phokenser,  des  Phokos  eine  Rolle.  Die  Quelle  gehört  in  die  Umgebung  des 
Kopaissees,  in  die  Nähe  von  Orchomenos  und  ist  von  Nikander  und  Plinius 
bezeugt5).  Psamathe  ist  Geliebte  des  Aiakos  und  Mutter  des  Phokos,  dessen 
Sage  reich  ausgebildet  und  lokalisirt  war 8) . 

Mit  gleichem  Rechte  wie  für  Amymone  und  Psamathe  haben  wir  auch 
für  Niobe  die  Realität  einer  und  zwar  in  ihrer  Art  eigenthümlichen  und  aus- 
gezeichneten Quelle  anzunehmen  und  zugleich  eine  Beziehung  in  Zeichen, 


1)  Mon.  ined.  d.  inst.  arch.  I.  38. 

2)  Cur tiu 8  Peloponn.  II.  S.  278 ;   Bursian  über  das  Vorgebirge  Tänaron  in  Abhdl.  d. 
Bayer.  Ak.  d.  W.  philos.-philol.  Kl.  VII.  S.771  ff. 

3)  Paus.  111.  25.  5. 

4)  Richtig  conjicirt  auch  Stiehle  dies  fürW/ua£o«5«  in  Philo!.  X,  1.  S.  726,  der  vergleicht 
Skyl.  Kar.  p.  17,  47,  Artemidor  bei  Steph.  Bys.  s.  v. 

5)  Nicand.  Ther.  887  ff. : 

i}£  a(dag  Wapa&ritdas  ag  re  Tgoytitt  (T(*£tfita  conj.  Meineka) 

Kanal  re  Xifxvatov  vns&QiiftnvTo  ttclq  vJujq 

yntQ  Zxoivrjog  rf  $6og  Kvtonoio  rt  ßciXXtt. 
Der  Scholiast  erklärt  bei  der  Frage,  ob  ifjufia&rftJag  als  Ortsnamen  zu  fassen  sind  :  Wafifirj 
yag  XQijrr)  iarl  rijg  Bot  (or  lag  —  *<m  dk  ndXtp  ronog  r^g  Bot  cor  lag  Wdfia&og  Xvyopsvog.  Zur 
Stelle  8.  Unger  Theb.  Parad.  p.  158  ff.  Plinius  IV.  12  nennt  unter  den  fontes  in  Boeotia 
einfach:  Oedipodia,  Psamathe,  Dirce,  Epicrane,  Arethusa,  Hippocrene,  Aganippe,  Garga- 
phia. 

6)  Apollod.  111.  12.  6;  Paus.  X.  1.  1 ;  30.  3  und  a.  a.  O. 


Niobe  in  der  argivischen  Sage.  349 

Sage  und  Cultus  zur  Landesherrin  Niobe.  Da  es  mir  noch  nicht  gelungen 
ist,  die  Lokalität  derselben  nachzuweisen,  so  wäre  es  vergeblich,  weitere 
Vermuthungen  über  die  Natur  derselben  ausfuhrlich  darzulegen.  Nur  hin- 
weisen will  ich  auf  die  allgemeine  Eigenschaft  der  anderen  argi  vischen  Flüsse, 
die  nicht  in  den  Lernäischen  Sumpf  messen  —  und  dazu  gehören  vor  allem 
Inachos  und  Kephissos,  jener  der  mythische  Grossvater  Niobes  —  dass  sie 
nur  in  der  Regenzeit  des  Jahres  Wasser  haben,  im  Hochsommer  wasserlos 
sind1),  dass  man  aber  doch  an  einer  gewissen  Stelle  der  Stadt  Argos  noch 
das  Wasser  des  Kephissos  rauschen  zu  hören  glaubte  und  daher  ein  Heiligthum 
desselben  bestand2].  Unmittelbar  dabei  aber  war  ein  Medusenhaupt  gebildet, 
dies  Zeichen  versteinernder  Macht.  Und  wir  haben  doch  wohl  die  Stätte  der 
Niobequelle  in  diesem  Hereiche  des  Argos  im  engsten  Sinne  nämlich  des 
Inachos  und  Kephissosgebietes,  in  Verbindung  mit  den  geheiligten  Stätten 
aller  ihr  verwandten  mythologischen  Gestalten  zu  suchen. 

So  stellt  sich  uns  also  die  argivische  Niobe  in  die  bedeutungsvolle  Unv 
gebung  der  ältesten  religiösen  Mächte  des  Wassers,  des  zur  Erde  herabge- 
kommenen Feuers,  der  Erde  mit  ihrem  Wechsel  der  Wintertrauer  und  der 
Freude  an  der  Wiederkehr  der  Saaten  und  ist  selbst  an  die  Erscheinung  des 
Wasserquelles  geknüpft. 

Und  in  der  menschlichen  Natur  ist  sie  an  die  Spitze  menschlicher  Cultur, 
wie  Phoroncus  gestellt,  von  ihr  hebt  die  Reihe  von  den  Göttern  begnadigter 
Heroiuen  an,  alle  älteste  Cultur  mit  Ackerland  und  festem  Wohnsitz  knüpft 
sieb  an  sie  an.  Giebt  es  in  Argos  aber  nicht  auch  noch  Spuren  der  anderen3),  ^ 
der  bekannten  Tantalostochter  Niobe,  die  von  den  spätem  Mythogra- 
phen,  von  dem  gläubigen  Pausanias  mit  Nachdruck  von  der  Phoroneustoch- 
ter  geschieden  ist  und  für  uns  vorerst  geschieden  bleiben  mag?  Allerdings 
ist  uns  ein  interessantes  Zeugniss  für  dieselbe  und  ihre  Kinder  aufbewahrt 
in  der  Stiftungssage  und  den  Kunstdarstellungen  des  von  uns  zweimal  er- 
wähnten Letoon4).  Der  Letostatuc  von  Praxiteles  gedachten  wir  oben  be- 
reits5) und  dass  es  möglich  sei,  dass  die  dabeistehende  Statue  eine  betende 
Jungfrau,  vielleicht  auch  die  eines  Knaben  von  demselben  Meister  herrührten. 
Diese  Jungfrau  ward  in  Argos  Chloris  genannt  und  für  eine  Niobetochter 
erklärt,  ihr  ursprünglicher  Name  sei  Meliboia  gewesen,  sie  sei,  während  die 
Amphionskinder  durch  Apollo  und  Artemis  getödtet  wurden,  allein  mit  Amy- 
klos  am  Leben  geblieben  und  das  sei  geschehen,  weil  sie  zur  Leto  beteten. 


1)  Paus.  II.  15.  5. 

2)  Paus.  II.  20.  5.  Ueber  Kephissos,  der  vom  Lyrkeios  herkam,  vgl.  Strab.  IX.  3.  16, 
dazu  Curtius  IVlop.  II.  S.  357  ff. 

*    Sehol.  Stat.  Theb.  IV.  5S9  :  quin  alia  Tantali  est. 
4)  Paus.  II.  21.  1. 
5j  o.  3o. 


y 


350  Drittes  Kapitel. 

„Meliboia  ward  vor  Schrecken  sofort  bleich  (xXtoQog]  und- blieb  es  ihr  ganzes 
Leben  hindurch,  so  dass  sie  deshalb  den  Namen  Chloris  erhielt.  Diese,  erzäh- 
len die  Argiver,  haben  ursprünglich  der  Leto  den  Tempel  erbaut." 

Es  ist  wichtig,  dass  für  den  Namen  XlwQtg,  dem  wir  unter  den  Niobe- 
töchtern  auch  sonst  mehrfach !)  begegnen  und  der  uns  weiter  unten  noch  spe- 
ciell  beschäftigt,  dessen  Bedeutung  durch  die  gelbgrüne  blasse  Farbe  des 
ersten  zarten  aufspriessenden  Frühlingsgrases  {x^cc}  hinlänglich  gekennzeich- 
net wird 2) ,  hier  ausdrücklich  als  argivische  Tradition  der  Name  MeXißoia 
erscheint,  die  heerden versorgende,  sie  nährende  Trift,  dass  aber  Meliböa  eben- 
daselbst Kora,  die  Tochter  der  Demeter  und  Klymenosgemahlin  im  Cultus 
bezeichnet3).  Unverkennbar  tritt  hier  die  Analogie  zwischen  der  Niobetoch- 
ter  und  Kora  auch  darin  hervor,  dass  sie  die  einzige  überlebende  Tochter 
bleibt,  eine  Tochter,  die  dem  Tode  verfallen  wieder  dem  Leben  geschenkt  wird. 
In  Amyklas  begegnet  uns  zunächst  ein  topographischer  Name,  wie  sie  uns 
schon  früher  in  Sparton,  Mykeneus  vorkommen,  bezüglich  auf  den  uralten 
Königsitz  in  Lakedämon  und  zugleich  auf  den  Cult  des  amykläischen,  mit 
der  Sonnenscheibc  den  Sohn  des  Amyklas  llyakinthos  tödtenden  Apollo4). 
Dies  stimmt  aber  sehr  wohl  damit,  dass  dort  in  Argos  Amyklas  mit  Meliboia 
als  Stifter  des  Letoon,  d.  h.  des  Ileiligthumes  der  mit  ihren  zwei  Kindern 
Apollo  und  Artemis  und  in  ihnen  verehrten  Mutter  genannt  werden. 

Noch  eine  andere  Spur  zwar  nicht  direkt  der  Niobe  als  Tantalostochter, 
aber  eines  Tantalos  haben  wir  in  Argos  hervorzuheben,  bei  der  sich  freilich 
der  Eifer  des  die  mythischen  Traditionen  in  historischer  Strenge  nehmenden 
Pausanias  sehr  bemüht  diesen  Tantalos  und  den  berühmten  des  Sipylos  aus- 
einander zu  halten.  Pausanias  Äj  berichtet,  dass  in  der  Nähe  des  Tempels  der 
Hera  Antheia  wie  der  Demeter  Pelasgis  in  Argos  ein  nicht  umfangreiches 
%aX/.eiov,  ein  eherner  Untersatz,  Gefass,  überhaupt  Gegenstand  sich  befinde, 
welcher  die  Statuen  oben  darauftrage  avixu)>  die  der  Artemis,  des  Zeus  und 
der  Athena.  Der  Epiker  Leukeas  liess  das  Bild  des  Zeus  dem  Zeus  Mechaneus 
angehören  und  versetzte  hierhin  den  Schwur  der  griechischen  Heerführer 
beim  Zuge  nach  Troja.    Von  anderen  aber  wurde  erzählt,  dass  die  Gebeine 

1)  S.  oben  S.  96.     % 

2)  Kaoul  Rochette  im  Joum.  des  Sav.  1842.  Avr.  p.  221  will  die  Naturbedeutung  von 
dieser  Chloris  fernhalten  und  den  Namen  von  jener  abgeschmackten,  euhemerisirenden  Er- 
klärung des  Bleichwerdens  vor  Schrecken  im  Ernst  ableiten. 

3)  Lasos  bei  Athen.  XIV.  G24c,  dazu  oben  S.  31.  Der  Name  Meliboia  gehört  auch  einer 
Okeanostochter  und  Frau  des  Pelasgos,  der  ja  auch  Niobesohn  genannt  wird,  die  Mutter 
des  Lykaon  heisst,  des  Landesherrn  von  Arkadien  (Apollod.  III.  7.  H). 

4)  Nach  Apollod.  (III.  10,  1)  und  Pausanias  (III.  1.1)  ist  er  Sohn  des  Zeussohnes 
Lakedaimon  und  der  Sparte,  Enkelin  des  Autochthoneu  Lelex,  sein  Sohn  ist  Hyakinthos. 
Eine  Leaneira,  Tochter  des  Amyklas  verbindet  sich  mit  Arkas  (Apollod.  III.  9.  1).  Vgl. 
Dehnung,  Leleger  S.  118. 

5)  IL  22.  3. 


Niobe  in  der  argivischen  Sage.  351 

• 

des  Tantalos  in  diesem  ehernen  Behälter  ruhen1).  Dass  der  Sohn  desThye- 
stes  oder  der  des  Hroteas  (beides  erzählt  man  nämlich)  welcher  früher  als  Aga 
meinnon  Klytämnestra  geheirathet,  hier  begraben  sei,  dagegen  hat  Pausanias 
nichts  einzuwenden,  von  dein  Tantalos  aber,  den  man  Sohn  des  Zeus  und  der 
Pluto  nenne,  von  dem  hat  er  selbst  in  Sipylos  das  schauenswerthe  Grabmal 
gesehen  und  der  habe  auch  noch  gar  nicht  die  Notwendigkeit  gehabt,  wie 
sein  Sohn  Pelops,  von  Sipylos  zu  fliehen.  Der  letzte  Zusatz  wäre  ganz  unnö- 
thig,  wenn  nicht  Pausanias  dadurch  eine  auch  herrschende  Tradition  von  die- 
sem Tantalosgrab  hätte  beseitigen  wollen.  Tantalos  als  Knabe  und  Sohn  des 
Thyestes  begegnet  uns  auch  in  andern  Merichten  und  zwar  als  der  von  Atreus 
zuerst  geschlachtete 2) .  Davon  weicht  Pausanias  selbst  ab,  wenn  er  denselben 
Klytämnestra  zuerst  heirathen  aber  von  Agamemnon  ermorden  lässt3).  Aber 
dieser  Klytämnestragemahl  sollte  auch  Sohn  des  Bruders  der  Niobe,  des  Bro- 
teas sein,  dessen  wir  schon  oben  gedachten,  dessen  Spuren  wir  aber  nur  am 
Sipylos  finden  *;  und  unten  weiter  zu  verfolgen  haben.  Welcher  Erzählung 
Euripides  folgte,  welcher  zuerst  die  frühere  Verheirathung  der  Klytämnestra 
und  zwar  mit  einem  Tantalos  erwähnt,  geht  aus  seinen  Worten  nicht  hervor5). 
Auffallend  bleibt  diese  Beziehung  immer  auf  den  Thyestessohn  oder  auf  den 
Gemahl  der  Klytämnestra;  jenes  Gebeine  werden  mit  denen  des  Bruders, 
Pleisthenes,  ja  durchaus  vereint  nur  genannt  beim  grausen  Thyestesmahle, 
dieses  selbst,  sowie  die  Denkmale  der  Tantalidenherrschaft,  Schatzkammer 
und  Grabmal  des  Atreus,  des  Agamemnons,  des  Aegisthos,  der  Klytämnestra 
gehören  nicht  nach  Argos,  sondern  nach  Mykenä  und  auch  das  Widderdenk* 
mal  des  Thyestes  befand  sich  kurz  vor  Mykenä  auf  der  Strasse  nach  Argos. 
Ueberhaupt  gehörte  ja  Argos  gar  nicht  zum  Reiche  des  Atreus  wie  des  Aga- 
memnon. So  erwartet  man  gewiss  nicht  das  vereinzelte  Grab  dieses  jungen 
Tantalos  mitten  in  der  Stadt  Argos.  Dagegen  weist  die  unmittelbare  Umge- 
bung jener  Tantalosgebeine,  das  Heiligthum  der  Leto,  der  Hera  Antheia,  der 
Demeter  Pelasgis,  der  Kora,  das  Grab  des  Pelasgos,  endlich  die  Götter,  deren 
Statuen  sich  auf  dem  Erzgrabmal  befanden,  besonders  des  Zeus  Mechaneus, 
aber  auch  der  Athena  und  Artemis,  auf  einen  Kreis  religiöser  Vorstellungen 
und  Stiftungen,  zu  welchem  jene  Urgestalt  des  Tantalos  die  vielfachste  Ver- 


1)  PaiiB.  a.  a.  O. :  ir^on  64  iariv  tlQrj/utvov  ootcc  iv  rtp  /ailxfty  xua&ai  Tuvralov. 

2)  Sen.  Thyest.  IV.  TIS;  Hygin.  fab.  bS.  244.  246. 

3;  Paus.  II.  IS.  2:   rj  7iQov7ti\Q^iyjiyttfji4fJivovi  fporog  Tuvralov  rov  Butaiov. 

4]  Die  Stelle  bei  Pausanias  (III,  22.  4),  welche  von  Gerhard  (griech.  Mythol.  §  834.  1} 
dafür  angeführt  wird,  dass  dieser  Broteas  in  Akriä  in  Lakonika  das  alte  Bild  der  Mrjxrifj 
fteaiv  eingesetzt  habe,  besagt  dies  nicht ;  inv  Gegen theil  sie  scheidet  dies  Bild  von  Akriae 
als  das  älteste  nur  in  derPeloponnes  ausdrücklich  von  dem  überhaupt  ältesten  des  Broteas 
am  Sipylos. 

6,  Eurip.  Iphig.  Aulid.  1160: 

toi'  nnoofrev  aro*(itc  Tarralov  xr<TttxTai'(bv — . 


352  Drittes  Kapitel. 

wandtschaft  hat.  Und  ist  es  nicht  auch  bezeichnend,  dass  die  Gebeine  des 
Pelops  ebenfalls  in  einem  ehernen  liehälter,  einem  Kasten  von  Erz  (xißuTog 
Xalxfj),  nahe  dem  Heiligthume  der  Artemis  Kordaka  in  Olympia  aufbewahrt 
wurden f)  ?  Und  endlich  wird  nicht  in  einem  Verzeichniss  der  ältesten  argi vi- 
schen Könige  einfach  Tantalus  Jupiters  Sohn  mit  Pelops,  dann  Atreus  als 
Nachfolger  nach  Phoroneus,  Argus,  Peranthus,  Triopas,  Pelasgus  aufgeführt2) ! 
Gehen  wir  ausserhalb  Argolis  den  Spuren  der  Niobe  in  der  Peloponnesos 
nach,  so  begegnen  sie  uns  vereinzelt  im  Zusammenhang  mit  Pelops  und  sei- 
ner Einwanderung.  Auf  der  Westseite  der  Taygetoshalbinsel,  welche  ursprüng- 
lich mit  Messene  in  gleicher  lelegischer  ] Bevölkerung  verbunden  war  und  auf 
welcher  die  Messenier  immer  die  kleine  Gerenische  Landschaft  bis  zum  klei- 
nen Pamisos  beanspruchten,  lag  innerhalb  dieser  Gränze  die  Stadt  Thala- 
mai  oder  Thalamoi  3y,  nahebei  der  Hafenort  Pephnos,  weiter  seitlich  Oity- 
lo8,  nördlich  Leuktron  und  Charadra.  Zu  Strabos  Zeit  wurde  Thalamoi  mit 
dem  Namen  ol  Boiwzoi  bezeichnet.  Leuktron  leitete  sich  unmittelbar  von 
Leuktra  ab ;  überhaupt  sah  sich  die  Bevölkerung  als  böotisch  und  zwar  hierher 
verpflanzt  an.  Man  berichtete,  Pelops  habe,  als  er  seine  Schwester 
Niobe  an  Amphion  zur  Frau  übergab,  einige  Böotcr  von  dort  mit 
fortgeführt  und  hier  in  diese  Orte  verpflanzt 4) .  Wir  finden  also  hier  entschie- 
den die  Pelopssage  im  Zusammenhange  mit  einer  bestimmten,  von  den  lele- 
gischen  Bewohnern,  deren  Spuren  z.  B.  in  der  Hafenstadt  Pephnos,  in  der 
augeblichen  Geburtsstätte  der  Dioskuren,  im  Dienste  des  Karneischen  Apollo, 
wie  im  Heiligthume  der  Ino  und  Selene  oder  Pasiphae  mit  Helios  und  Aphro- 
dite Paphia*)  noch  später  vorhanden  waren,  verschiedenen  Ansiedelung  der 
Achäer6)   und  Böoter  haftend.    Ob  nun  jene  Beziehung  auf  Niobe  eine  erst 

1;  Paus.  VI.  22.  1. 

2)  Hygin.  fab.  124;  Serv.  Virg.  Aen.  003;  Mythogr.  Vat.  ed.  Bode  II.  102;  III.  ISO; 
Malal.  Chron.  p.  SO. 

3)  Beide  Formen  kommen  vor.  Man  trennte  früher  falsch  ein  spartanisches  und  ein 
messenisches  Thalamoi,  Curtius  (Pelop.  II.  S.  2V> — 320)  giebt  zuerst  eine  einheitliche  Orts- 
bestimmung, die  eine  vollständigere  Vergleich ung  der  Stellen  ganz  bestätigt,  vgl.  Strabo 
VIII.  4.  4  ;  Paus.  III.  21.  7;  20.  1  ;  Polyb.  XVI.  10;  Theopompos  bei  Steph.  Byz.  s.  v. 
Ein  zweites  Thalamoi  lag  in  Elis  und  hier  giebt  Polybios  die  richtige  Erklärung  aus  der 
Natur  des  Ortes  'IV.  15;. 

4)  Strabo  VIII.  4.  4:  olxioai  6k  Xfyfrai  //ttoi/'  16  if  Atvxr(tor  xu\  X«(Mc'tf()tti'  xtt)  Ö«- 
kapovq  iov$  %>vv  HoiwTovg  xuXoupivous,  n]v  (iJtXifrjv  Nioßqv  Movsl4[Ay(ovi  xttl  ix  rrjg  Botto- 
i(aq  ayofxtvog  Ttva$. 

5}  Paus.  III.  25.  7 ;  26.  1  ff.  Zur  Pasiphae  vgl.  die  von  Preller  zu  Mythol.  II.  S.  S4 
angeführten  Stellen. 

0;  Achäer  als  dabei  betheiligt  zu  denken,  darauf  führt  die  allgemeine  Anschauung, 
dass  phthio tische  Achäer  mit  Pelops  nach  Lakonika  kamen  und  es  zu  einem  Argos^/ruxor 
machten  vStrabo  VIII.  5.  5),  ferner  dass  der  Gründer  von  Oitylos  ein  Argiver  genannt  ward 
(Paus.  III.  25.  7).  Die  Achäer  nennen  sich  inschriftlich  in  Olympia  fyyovot  avri&iov  Tav- 
xaX(9u  IUXonos  (Paus.  V.  25.  6). 


Niobe  in  der  argivischen  Sage.  353 

künstlich  durch  gelehrte  die  Sagen  verknüpfende  Thätigkeit  hereingebrachte 
ist,  will  ich  nicht  entscheiden.  Sie  war  wenigstens  die,  in  welcher  Pelops  ge- 
rade mit  den  Böotern  sich  begegnet«. 

Auch  in  Olympia  können  wir  im  Zusammenhang  mit  der  hervorragen- 
den Stellung,  die  gerade  dort  Pelops  einnimmt,  welcher  allen  Heroen  vor- 
anstand, wie  Zeus  der  Olympier  den  Göttern *)  ,  entschiedene  Spuren  der 
Niobesage  und  zwar  angeschlossen  an  bestimmte  Lokalitäten  und  Hand- 
lungen finden.  Ich  stelle  voran  die  allgemeine  Nachricht2),  dass  Pelops  von 
Sipylos  in  Kleinasien  mit  grossen  Reichthümern  ausziehend  seine  Schwester 
Niobe  mit  sich  führte,  diese  an  Amphion  nach  Theben  verheirathete,  selbst 
aber  nach  Pisa  in  die  Peloponnes  ging.  Also  auch  hier  dieselbe  Verknü- 
pfung der  Niobehochzeit  mit  dem  Auftreten  des  Pelops  auf  peloponnesischem 
Boden,  wie  wir  sie  in  Thalamoi  fanden.  Weiter  aber  haben  wir  hieY  doch 
die  Darstellung  des  Niobidenunterganges  durch  Apollo  und  Artemis  neben 
einem  andern  thebanischen  Vorgang  am  Thronsitze  des  olympischen  Zeus 
zu  erwähnen,  der  uns  früher  vom  künstlerischen  Standpunkte  aus  beschäf- 
tigte s) .  Immerhin  steht  der  Tempel  des  Zeus  in  allernächster  Beziehung  zu 
Pelops,  dessen  heiliger  Bezirk  (rö  Jl€l6/iiov9  %6  te/nevog  tov  üiXorcog)  unmit- 
telbar daneben  sich  befand4),  der  im  Vordergiebel  als  eine  Hauptgestalt  er- 
schien Ä) .  Allerdings  erscheint  hier  fast  ein  absichtlicher  Contrast  zwischen 
dem  gottgeliebten  Pelops  und  der  von  der  Götter  Zorn  im  Glück  so  hart 
heimgesuchten  Niobe.  Immerhin  braucht  man  die  zwei  ebengenannten 
Punkte  nicht  speciell  für  eine  Fixirung  der  Niobesage  in  Olympia  anzuer- 
kennen;  anders  steht  es  aber  mit  der  dritten  Nachricht8).     Bei  dem  alten 


1)  Paus.  V.  13.  1  :  r;(>a>W  cW  im>  tv'OXi'fxnitt  tooovtov  nQOJtJi/Lttifiiveg  iorlv  b  IHloif/ 
vTio  *HXt(tav  oaor  Ztvg  rdSv  aXXtov  öftdr.  Religiöse  Institutionen,  die  an  Pelops  angeknüpft 
wurden,  sind  ausser  dem  Agon  für  Zeus  Olympios  Opfer  an  Athene  Kydonia  (Paus.  VI. 
21.  5),  Siegesopfer  und  Tanz  der  Artemis  Kordake  (VI.  22.  1),  Todtenopfer  am  Grabhügel 
der  Freier  der  Hippodameia  (VI.  21.  7),  Sühnopfer  an  Hermes  [Paus.  V.  1.  5). 

2)  Nicol.  Damasc.  bei  Müller  Frgmta  histor.  grr.  III.  p.  307.  17:  6  <f  inil  ayCxtxa 
avv  noXX(j>  nXouty  rijv  ttdfXfphv  Nioßijy  uytav  tQ^rjÜtls  jfXtviatov  ix  2i.nvXov  iavir\v  pkv 
iöwxe  'dfbUftori  ry  Grjßattp,  uvtbg  ö*  rfjs  IItXonowt]aov  rjX&tv  flg  fltoav.  Auf  ein  von  Am- 
phion dem  Thebaner  an  Pelops  mitgetheiltes  Zaubermittel  bezog  man  auch  von  einer  Seite 
den  Taraxippos  im  Stadion  (Paus.  VI.  20.  S). 

3)  Paus.  V.  11.2.  dazu  oben  S.  110. 

4)  Paus.  V.  13.  1  (Opfer  der  jährliehen  Archonten ;  Keliquie  der  to^onlarrj) ;  14.  6; 
24.  1 ;  2(>.  (>.  Die  uä^aiQa  des  Pelops  mit  goldenem  Handgriff  im  Schatzhaus  der  Sikyonier 
(Paus.  VI.  19.  3).  Der  eherne  Koffer  mit  den  Gebeinen  bei  dem  Heiligthum  der  Artemis 
Kordake  (VI.  22.  1). 

5,  Paus.  V.  10.  2:  IliXonog  fj  nybg  Ohopaov  ttSv  Xnntav  ttjuiXXa  fri  fifXXovaa.  Statue 
des  Pelops  mit  Zeus  und  Alpheios  V.  24.  1 ;  desgl.  mit  Hippodameia  VI.  20.  10. 

0)  Paus.  V.  26.  3  :  juvTjfiovevovoi  eft  xal,  er*  XXtÜQig  vtx^antv  *A(ju[>lovog  &vyariiQ  ftovr) 
Xfiifd-eTaa  rov  otxov  •    avv  <f£  avry  xal  h>a  ntqtytvtad-cu  (faol  twv  aqaivtov  *    a  6 k  ig  rovg 
Nioßijg  naidag  naQtararo  avr$  fiot  yiyrwoxttv,  iv  rotg  fxovatr  &  Xpytfovg  iSijXtoOa. 
Stark,  Niobe.  23 


354  Drittes  Kapitel. 

Heiligthum  der  Hera  zu  Olympia  ward  an  den  alle  vier  Jahre  eintretenden 
Heräen  ein  Wettlauf  von  Jungfrauen  gehalten,  sechzehn  Frauen  waren  da- 
hei  Agonotheten.  Dies  sollte  Ilippodameia  eingerichtet  haben  als  Dank  für 
die  Hochzeit  des  Pelops  und  sie  sollte  zuerst  die  Heräen  gehalten  haben. 
Da  erzählte  man  auch,  dass  Chloris,  die  Tochter  des  Amphion,  die  einzige 
vom  Hause  Uebriggebliebene  gesiegt  habe.  Mit  ihr  sei  auch  einer  der  Söhne 
am  Leben  geblieben.  Also  hier  dieselbe  Tradition,  wie  bei  dem  Letoon  zu 
Argos,  die  Kettung  zweier  Niobekinder ;  ihre  Namen  sind  Chloris  und  Am- 
phion, wie  wir  aus  Apollodor  entnehmen  können1].  Zugleich  wird  also 
Chloris  als  Jungfrau  noch,  aber  bereits  nach  der  Katastrophe  vorausgesetzt. 
Ihr  Erscheinen  auf  dem  Hoden  von  Olympia  als  solches  wird  nicht  beanstan- 
det im  Zusammenhange  mit  Pelops.  Wir  werden  einer  Chloris  aus  Böotien, 
die  mit  der  Niobetochter  zusammen  verschmolzen  ist,  auch  gleich  in  dem 
Nachbarland,  im  minyeischen  Pylos  begegnen.  Allerdings  erscheint  hier 
Chloris  nicht  direkt  in  Verbindung  mit  einem  Letoon,  sondern  Heraeon,  aber 
es  ist  doch  zu  beachten,  dass  als  die  altertümlichsten  im  Tempel  aufgestell- 
ten Götterbilder  Kora  und  Demeter,  Apollon,  Artemis,  Leto  neben  Tyche, 
Nke  und  Dionysos  genannt  werden  *j . 

Ehe  wir  die  Peloponnesos  verlassen,  ist  es  wohl  auch  der  Mühe  werth 
hervorzuheben,  wie  in  den  Namen  der  Niobiden  uns  peloponnesische  Spuren 
entgegentreten,  so  in  dem  Sohne  Argeios  bei  Pherekydes,  in  dem  durch- 
gehenden Namen  Pelopia,  auch  den  Namen  Archemoros  möchte  ich  als  spe- 
ziell argivisch  in  Anspruch  nehmen  3j . 

8  24. 
Fiobe  in  der  böotischen  Ursage.    Ohloris  und  die  Minyer. 

Keine  Landschaft  in  Mittelgriechenland  spielt  durch  seine  eigenthüm- 
liche  Naturbeschaffenheit,  besonders  der  Wasser-  und  atmosphärischen  Ver- 
hältnisse4), wie  durch  die  ältesten  Culturanlagen  der  Bewohnereine  so  be- 
deutsame Rolle  als  das  nördliche  Böotien,  die  Umgebung  des  Kopaissees.  Die 
Blüthe  vonOrchomenos  geht  der  von  Theben  voraus,  die  heiligen  Stätten  von 
Onchestos,  von  Alalkomenae,  von  Lebadeia  fuhren  in  älteste  religiöse  An- 
schauungen zurück.  Als  der  wahre  Urmensch  dieser  Gegend  tritt  uns  aus 
einer  Reihe  zersplitterter  Notizen  AlalkomeneusB)  entgegen,  während  der 


]}  III.  4.  5;  dazu  8.  oben  8.  *4. 

2j  Paus.  V.  17.  1. 

:t,  Die  Stellen  r.  oben  S.  90. 

4    Vgl.  die  treffliche  Schilderung  von  Forchhammer  in  Hellenika  S.  159 — 192. 

5)  Die  Form ytXnXxou^rji  kommt  auch  vor  Hom.  11.  IV.  *>;  XXIV.  Gü2. 


Niobe  in  der  böotischen  Ursage.  355 

allgemeine  Name  Ogygos  dafür  mehr  an  Theben  haftet,  aber  mit  diesem 
entschieden  wechselt !) . 

Pausanias2)  berichtet  uns,  dass  Alalkomenä,  diese  in  der  Ebene  am 
Fusse  eines  massigen  1  Jorges  gelegene  specifisch  heilige  Stadt3)  die  Geburt- 
stätte der  Athene  am  Fliisschen  bedeutungsvollen  Namens,  des  Triton,  den 
Namen  erhalten  habe  von  Alalkomeneus,  dem  Autochthonen  und  dieser  habe 
Athene  grossgezogen.  Andere  sprachen  dagegen  von  Alalkomenia4),  einer 
der  Töchter  des  Ogygos.  Nach  einer  Tradition,  die  uns  Stephanos  von 
Byzanz5)  aufbewahrt,  ward  Athenais,  die  Tochter  des  Hippobotas,  Enkelin 
des  Glaukopos  seine  Gattin ;  wir  haben  hier  also  wesentlich  die  Göttin  selbst, 
Glaukopis  Athene  in  dieser  Verhüllung.  Wie  es  aber  auch  einen  Zeus  und 
eine  Hera  mit  diesem  Beinamen  Alalkomeneus8)  gab,  also  den  Dreiverein  von 
Zeus,  Hera,  Athene,  der  uns  auch  in  Athen  begegnet,  so  ist  es  wichtig,  dass 
der  Autochthon  Alalkomeneus  zuerst  dem  wegen  der  zürnend  sich  der  ehe- 
lichen Verbindung  entziehenden  Hera  bei  ihm  Rath  suchenden  Zeus  denselben 
dahin  ertheilt,  ein  Daidalon,  ein  Bild  der  bräutlichen  Hera  von  Eichenholz  fer- 
tigen zu  lassen  und  mit  ihr  die  Scheinhochzeit  auf  dem  Kithäron  zu  halten, 
dass  die  fortwährend  lebendige  Sitte  bei  den  Daedala  von  Platää  es  verlangte, 
ein  Holzbild  aus  dem  Eichenhain  von  Alalkomenä  von  einem  durch  Vogel- 
zeichen bezeichneten  Baume  zu  holen 7) .  Ein  Beweis,  wie  also  der  Name  des 
Autochthonen  und  diese  Stätte  mit  der  Bildung  des  ältesten  Götterbildes,  wie 
mit  dem  uralten  Mvthus  der  Hochzeit  von  Zeus  und  Hera  und  der  Geburt 
der  Athena  am  Vrwasser,  dem  Triton  in  enger  Verbindung  stand.  Nun  aber 
ist  uns  durch  das  herrliche  lyrische,  wahrscheinlich  pindarische  Fragment 
bei  Origenes  oder  Hippolytos8)  über  die  erste  Erschaffung  des  Menschen  als 
eines  eulturfahigen,  gottgeliebten  Wesens  (rjfieQOv  xal  &€oq>iXeg  £<oov)  durch 


1)  Paus.  IX.  5.  J  :  [laötltu  dl  tlvtti  t(ov  '/.xrifrcoi'  arJ(ta  uvrö/ttovct  "Slyiyov  xal  cctiu 
tovtov  rotg  noXXoTg  rtov  notrjTün'  ln(xXi\aig  lg  tag  Oqßag  lailr  'ilyvytat. 

2)  Paus.  IX.  33.  4  :  y€v£o&ai  cf£  avr^  ?o  ovo  im  ph'  und  ^AXaXxofiivitag  ardpog  nvtox&o- 
vogf  vno  tbvtov  J£  yilhp'nv  TQayrjvai  Xiyoimiv  of  tf£  (h'tti  un)  tijf  y/4XaXxofitv(av  rtov*£lyvyov 
&iryaT£()tüv  qaaCr. 

3)  Strabo  IX.  2.  3ti :  (die  Bewohner  der  Stadt;  Infidrj  UqoI  Svrte  nageivro  rijg  otqu- 
itCut'  xal  ytxQ  xal  dnoyOrjjog  ae)  flitriXtatv  r\  nokig  —  Ttjv  cte  S-tby  otßofitvoi  «7F«(^ot'To 
ndorjg  ßCag, 

4;  Eine  Quelle  Alalkomenia  erwähnt  Pausanias  (VII.  12.  4)  bei  Mantinea.  Auch  hier 
ist  eine  solche  im  heiligen  Bezirk  der  Athene  anzunehmen.  Nach  Suidas  s.  v.  IlgaSiöfar) 
ist  sie  eine  der  drei  böo tischen  Praxidiken. 

5]  S.  v.  *AXaXxofj£viov. 

H)  Etymolog.  Magn.  547.  1. 

7)  Plutarch  Daedal.  Frgm.  bei  Euseb.  Praep.  evang.  HI.  1.  p.  85;  Paus.  IX.  3.  3; 
Hermanns  Lehrb.  der  g  riech.  Antiquit.  II.  S.  443.  2.  Aufl. 

s)  Philosoph.  V.  p.  96  ed.  Miller;  Schneidewin  Philol.  I.  S.  424 f.;  Bergk  Poetae 
lyrici  graeci  p.  1059  f. 

23» 


356  Dritte«  Kapitel. 

die  Gaea  Alalkomeneus  als  Autochthone  so  recht  in  den  Vordergrund  gerückt 
worden  und  zwar  als  ein  dem  Binnensee  Entstiegener.  Da  heisst  es 1)  : 
„das  zu  erkunden  ist  schwierig,  ob  den  Böotern  Alalkomeneus  über  dem 
Kephisischen  See  als  erster  Mensch  sich  emporhob,  oder  ob  es  Idäische 
Kureten  waren,  Göttersprösslinge ,  oder  phrygische  Korybanten  u.  s.  w." 
Es  folgt  dann  eine  Reihe  anderer  Autochthonen  wie  Pelasgos  in  Arkadien, 
Diaulos  in  Eleusis,  Alkyoneus  in  Pellene,  der  Garamant  in  heisser  libyscher 
Wüste,  endlich  der  Neilos,  der  in  feuchter  Wärme  menschliche  Körper  her- 
vorgebracht. Die  Reihe  beginnt  und  schliesst  also  mit  der  Geburt  aus  dem 
Süsswasser  des  Sees  oder  des  Stromes.  Alalkomeneus  tritt  an  die  Spitze,  Ogy- 
ges  oder  Ogyges,  welcher  ja  wohl  Sohn  des  Boiotos  genannt  wird,  durch 
diesen  oder  direkt  von  Poseidon  abstammt2),  wird  dagegen  gar  nicht  ge- 
nannt, wir  haben  diesen  mit  jenem  für  der  Sache  nach  identisch  zu  halten, 
aber  jener  als  die  specifischere  Bezeichnung  des  ersten  dem  Wasser  entstiege- 
nen Menschen. 

Was  hat  aber  Alalkomeneus  für  unsere  Untersuchung  für  ein  Interesse  ? 
Nun  ein  sehr  bestimmtes,  denn  ausdrücklich  wird  auch  er  als  Mann  der 
v.  Niobe  genannt3).  Also  Niobe  gehört  auch  in  die  Ursage  von  Alalkomenä, 
/  überhaupt  Böotien,  auch  hier  ist  sie  die  Eva  des  menschlichen  Geschlechts, 
auch  hier  steht  sie  zu  dem  im  Winter  von  Wasser  bedeckten,  im  Sommer 
trockenen,  fruchtbaren  Lande  in  Beziehung:  auch  hier  mussten  wir  eine 
heilige  Quelle  (die  der  Alalkomenia)  annehmen.  Und  Zeus  spielt  gerade 
auch  dort  als  Gemahl  der  Hera,  als  Vater  der  Athene  eine  so  hervorragende 
Rolle,  dem  wir  in  Argos  Niobe  als  Geliebte  verbunden  sahen. 

Die  Gestalt  der  Chloris  ist  es  ferner,  welche  auch  zwischen  O  rc  hö- 
rn enos,  dem  ältesten  Culturmittelpunkt  jener  Landschaft  und  dem  Niobe- 
mythus  eine  Brücke  schlägt.  In  der  Nekyia  der  Odyssee4),  welche  sichtlich 
in  der  Aufzählung  berühmter  Heroen  und  Heroinen   die  äolisch-böotischen 


1)  T©  <f  i£cvQfu'  xttltnbv 

tlri  BoiatroiOiv  *  AXttXxofitvtvs  Xtyirttg  vjiIq  Ka<fto(Joe 
ngtÖTOi  ttvd-QtoTum'  «rio/ev 
tttt  KovQtjrts  fonr  yivo$  7rf«fo#  £fc5i' 
1}  4>Qvytoi  KoQvßavttg  xrX. 


i   "v  / —  — "• * 

2)  Schol.  Apoll.  Rh.  III.  1 1 79  ;  vgl.  sonRt  Gerhard  gr.  Mythol.  8  242.  4. 

3)  Schol.  II.   24,  602 :    rrjf  Nioßrjy  oi  pli  IT  fron  oq  ol  eft  Tavrdlov  ol  dt  Zy&ov  ol  dt 
'AXaXxopivto*  ywaix(t(f«ot. 

4)  Hom.  Od.  XI.  281  : 

xnl  XXtoQtv  tMor  MQixaXXiu,  rijr  noxt  NtjXfve 
yrjjutr  lor  Jta  xaXXog,  intl  nogf  fiv^t  $fdva 
onXorarrjv  xovqijv  'Ajuiftoroc  >lna(dao, 
os  noi  fv  'OQXoutvqi  MtvvtCy  Itfi  ävaoatr, 

ij  dl  TTvXov  ßaolXfvt  xfxtv  dt  ot  ayXaa  xfava  xiX. 
Die  Sage  deutet  Schwende :  drei  griech.  Mythen  im  Rh.  Mus.  N.  F.  X.  3.  S.  369—392. 


Niobe  in  der  böotischen  Ursage.  357 

Sagenkreise  in  den  Vordergrund  stellt  und  daher  schon  einem  böotischen 
Dichter  zugeschrieben  ward,  wird  nach  Tyro,  Antiope,  Alkmene,  Epikaste 
auch  aufgeführt  „die  sehr  schöne  Chloris,  die  einst Neleus  heirathete  um  ihrer 
Schönheit  willen,  nachdem  er  gegeben  unzählige  Brautgeschenke,  die  jüngste 
Tochter  des  Iasiden  Amphion,  welcher  einst  in  Orchomenos  dem  Minyeischen 
gewaltig  herrschte,  sie  aber  ward  Königin  von  Pylos  und  gebar  ihm  edle 
Kinder." 

Also  hier  haben  wir  eine  Chloris,  Tochter  eines  Königs  im  minyeischen 
Orchomenos,  des  Iasossohnes  Amphion,  der  in  jener  Stelle  von  dem  theba- 
nischen,  kurz  vorher  genannten  Amphion  geschieden  wird,  welche  dann  in 
das  minyeische  Pylos  verpflanzt  wird.  Während  Eustathios ')  zur  Stelle  trotz 
des  langen  Exkurses  doch  nichts  beibringt,  was  nicht  in  ihr  selbst  schon 
gegeben  wäre,  so  fuhren  die  Scholien  den  Pherekydes  kurz  an,  welcher  die 
von  Homer  nicht  genannte  Mutter  nenne,  nämlich  0€QOeq>6vrj,  Pausanias') 
fugt  an  der  Stelle,  wo  er  das  Herrschergeschlecht  von  Orchomenos  von  Hol- 
mos  bis  zu  Orchomenos  hinabfuhrt8),  sichtlich  auf  Homer  sich  beziehend 
hinzu :  das  Ansehen  der  M inyer  war  aber  so  gestiegen,  dass  auch  Neleus, 
Sohn  des  Kretheus,  König  von  Pylos  eine  Frau  aus  Orchomenos  hatte,  Chloris 
die  Tochter  des  Iasiden  Amphion 4) .  König  nennt  ihn  Pausanias  nicht,  da 
er  mit  seiner  Genealogie  in  keiner  sichtlichen  Verbindung  steht.  Diese  ver- 
räth  übrigens  in  den  vielen  mit  %(ivg6s  beginnenden  Namen,  wie  in  den 
rein  ethnographischen  und  lokalen  Beziehungen  seinen  jüngeren,  klügelnden 
Ursprung.  Eine  Verbindung  stellt  ein  Scholion  des  Tzetzes  her,  wenn  er 
Chloris  geradezu  Tochter  des  Orchomenos  nennt5). 

Amphion,  der  Vater  der  Chloris  ist  ein  Iaside,  Iasos  aber  oder 
Iasios  oder  Iasion6)  ist  ein  in  den  ältesten  pelasgischen  Geschlechtern 
vielfach    erscheinender    Name,    dem    wir    in   Argos7),   in   Arkadien8),    in 


x/ 


1;  Ed.  Lips.  I.  p.  415—417. 

2)  IX.  36. 

3)  Müller  Orchomenos  S.  134,  der  die  Unmöglichkeit  zeitlicher  Ordnung  dieser  Genea- 
logien nachweist. 

4)  So  bereits  Sylburg  richtig  für  das  handschriftliche  "dtüQtv  *Ap<ftovo$  rov  'Ilaotov. 
5j  Tzetz.  ad  Lycophr.  881 . 

6,  Vgl.  überhaupt  O.  Müller  Orchomenos  S.  265.  419,  Hock  Kreta  S.  332,  Lobeck 
Aglaopham.  p.  1223,  Klausen  Aeneas  1.  S.  333.  378— 3M,  Preller  gr.  Mythol.  1.  S.  479, 
Welcker  gr.  Götterl.  1.  S.  693. 

7)  Dan"l«oor"AQyog  Hom.  Od.  XVIII.  246.  Eust.  ad  1.  1.  und  zu  DioH.  Perieg.  410), 
die  Peloponnes  zunächst  bezeichnend  und  abgeleitet  von  Iasos,  Sohn  der  I  o.  Ein  Iasos 
auch  Vater  der  Io  (Paus.  II.  16. 1},  ein  Iasos  auch  Sohn  des  Argos  (Apollod.  II.  1.  1.  u.  3). 

5)  In  Arkadien  Städte  Iasos  (Paus.  VII.  13.  5)    und  Iasaia  Paus.  VIII.  27.  3).  Iasos    S 
Bruder  des  Ankaios,  Sohn  des  Lykurgos,  Urenkel  des  Arkas   Apollod.  III.  9.  1).   Auch 
Kepheus,   Vater  der  Andromeda,   der  ursprünglich    nach   Tegea   gehört,    wird  %Ia<sldr\$ 


358  Drittes  Kapitel. 

EhV;,  in  Böotien  bei  Tanagra2),  in  Athen8),  am  kretischen  Ida4;,  in  Samo- 
thrake  wie  im  troischen  Lande5)  begegnen.  Seine  agrarische  Bedeutung  als 
Dämon  und  Heros,  als  Begründer  des  Getreidebaus,  als  Erzeuger  des  aus 
der  Erde  hervorgehenden  Reich th ums,  aber  auch  frevelnden  Uebermuths 
eines  auf  diesen  Reichthum  pochenden  Menschen  ist  in  jenem  alten  Mythus 
klar  gegeben,  da  .wir  in  der  Odyssee  wie  der  hesiodeischen  Theogonie8) 
lesen,  dass  Demeter  auf  dreifach  gepflügtem  Brachfelde  in  Kretas  fettem 
Gau  (Hesiod)  mit  Iasios  (Hesiod)  oder  Iasion  (Homer)  sich  in  ersehnter 
Liebeslust  begattet  und  den  Plutos  geboren  habe,  aber  dass  er  dieses  Glückes 
sich  nicht  lange  erfreute,  sondern  von  Zeus  mit  dem  Blitze  getroffen  wurde. 

Diese  agrarische  Urbedeutung  des  Iasos  oder  Iasios  springt  uns  aber 
entschieden  auch  in  Orchomenos,  in  der  Verbindung  seines  Sohnes  Amphion, 
wenn  wir  hier  zunächst  von  der  Bedeutung  dieses  Namens  absehen,  die  uns 
im  Folgenden  beschäftigen  muss,  mit  Persephone  hervor.  Gerade  so  ver- 
bindet sich  der  Arkader  Iasos  mit  Klymene,  Tochter  des  Minyas7, ;  Kly- 
mene  ist  aber  das  Correlat  zu  Klynienos,  d.  h.  Pluto,  ein  Klymenos  begegnet 
uns  aber  auch  unter  den  Minyerkönigen  ö  .  Die  Minyer  aber  haben  im  Dienste 
des  Zeus  Trophonios  mit  seiner  Nährerin  Demeter  Europa  und  mit  Herkyna 
einen  Mittelpunkt  dieser  den  Erdgottheiten  und  ihrem  Segen  zugewandten 
Culte. 


genannt  (Arat.  Phaenom.  179;  ürig.  Philos.  IV.  4*s  p.  SO  ed.  Miller'.  Ein  'fuertog  irt-w 
'Aoxag  erster  Sieger  xfXtjTt  in  Olympia  (Paus.  V.  S.  1 },  aus  Tegea  zu  Herakles  Zeit  (Paus. 
Vlll.  4*.  Ij. 

Ij  Nach  Ueberlieferung  der  Kleer  heisst  einer  der  fünf  Kureten  Iasos  und  hat  einen 
Altar  in  Elis  (Paus.  V.  7.  4;  14.  5). 

2)  Die  Tanagrfter  nennen  den  Gründer  von  Delion  am  Meer  Poimandros,  Enkel  des 
Iasios,  Gemahl  der  Tanagra  Paus.  IX.  20.  1  . 

3}  Iasos,  Sohn  des  Sphelos,  Enkel  des  Bukolos ,  ein  ay/bg  \i&nva(iov  gefallen  vor 
Troja  11.  XV.  331  mit  Schol.:. 

4)  Hes.  Theog.  9<>9f.  ?  Apollod.  111.  12.  I  ;  Theokr.  Id.  III.  50  mit  Schol. ;  Ovid.  Am. 
III.  10.  19 ff.  Er  ist  nach  Schol.  Theokr.  1.  1.  Sohn  des  Minos  und  König  von  Kreta;  nach 
Hermippos  bei  Hygin  Poet,  astron.  II.  4,  Sohn  des  Thuscus  ;  nach  Petellides  Gnosius  von 
Ceres  Vater  von  Plutus  und  Philomelus. 

5)  Hauptstelle  Diod.  V.  |s.  49,  vgl.  sonstServ.  Virg.  Aen.  III.  168;  Conon.  21;  Strabo 
VII.  fr.  49.  Er  ist  Sohn  des  Zeus  und  der  Elektra,  auch  des  Korythos,  Bruder  von  Dar- 
danos  und  Harmonia  ;  Demeters  Liebe  an  der  Hochzeit  der  Harmonia;  er  wird  auch  mit 
Kybele  verbunden ,  Vater  des  Korybas  genannt.  Seine  Liebe  zu  Demeter  wird  auch  als 
eine  (ig  ^frjf*fjr()a  apagritt  gefasst,  daher  das  vom  Blitz  Erschlagen  werden. 

6)  Hom.  Od.  V.  125 — 12S;  Hes.  Theog.  9H9f.  Als  yqnovog  «vw  —  zf^rjTQog  duol- 
loroxoto  mt{>nxo('ir\g  bezeichnet  ihn  Nonn.  Dion.  XL VIII.  tf7S.  Nach  Hygin.  Poet.  Astron. 
11.  22  verstehen  einige  unter  den  Gemini  Triptolemum  et  Iasiona  a  Cerere  dilectos  et  ad 
sidera  perlatos. 

7)  Apollod.  III.  9.  2. 
b)  Apollod.  II.  4.  10. 


Niobe  in  der  böotischen  Ursage.  359 

Chloris  also,  die  jugendlich  zarte ,  dem  ersten  Frühlingsgrün  entspre- 
chende Gestalt,  ist  die  jüngste  Tochter  ihrer  Eltern  und  besonders  schön. 
Sie  wird  von  Neleus,  dem  ächten  Aeoliden  umworben,  welcher  aus  Iolkos 
verdrängt  in  das  messenische  Pylos f)  gewandert  war  und  dort ,  wohin  auch 
bereits  sein  Grossvater  Salmoncus  vor  ihm  .versetzt  wird,  ein  mächtiges  durch 
Handelsverkehr  wie  Viehzucht  blühendes  Reich  gegründet  hatte.  Der  Name 
der  Minyer  haftet  dort  an  dem  Flusse  Minyeios2),  die  Pylier  erscheinen  als 
Anverwandte  (olxelot)  der  Orchomenier  in  den  Kämpfen  mit  Theben  und 
Herakles.  So  ist  auch  diese  Verbindung  des  Neleus  mit  Chloris,  der  orcho- 
menischen  Königstochter  eine  im  historischen  Stammeszusammenhange  wohl 
begründete.  Es  ist  interessant,  dass  eine  Sagenbildung  auch  den  Pelias,  den 
Bruder  des  Neleus  und  Herrn  von  Iolkos  sich  eine  Tochter  eines  Amphion 
holen  lässt,  Philomache  und  wir  dabei  zunächst  an  diesen  Amphion  zu  den- 
ken haben  3) . 

Chloris  erscheint  in  Pylos  zunächst  als  reiche,  glückliche  Mutter.  Wäh- 
rend die  Odyssee4)  nur  drei  Söhne  und  die  Tochter  Pero  aufrührt,  redet  in 
der  Ilias5)  Nestor  ausdrücklich  von  zwölf  Söhnen  des  Neleus,  von  denen  er 
allein  am  Leben  geblieben  sei.  Die  Vermittelungsversuche ,  welche  hier 
gegen  die  Schlüsse  der  Chorizonten  von  Seiten  der  Aristarcheer  gemacht 
werden,  interessiren  uns  dabei  nicht.  Das  Wichtige  für  uns  ist  das  schwere 
Unglück,  welches  Chloris  als  Mutter  trifft,  indem  sie  alle  ihre  Söhne  bis 
auf  einen  verliert.  Und  zwar  wirkt  hier  der  alte  Gegensatz  zwischen  Orcho- 
menos  und  Theben,  zwischen  Minyern  und  Herakles,  welcher  die  pylische 
Macht  vernichtete  (exdxwoe)  und  die  Besten  tödtete.  Auf  Seite  der  Pylier 
steht  unter  den  Göttern  besonders  Hades  neben  Hera  und  Poseidon,  er  wird 
im  Kampf  gegen  Herakles  verwundet6).  Also  hier  in  Pylos  unterstützt  auch 
Hades  die  Söhne  der  Chloris,  der  Persephonetochter. 

Die  Sage  lässt  dann  Chloris  durch  den  Verlust  ihrer  Kinder  zum  Selbst- 
mord getrieben  werden,  indem  sie  nach  Heroinenart  durch  den  Strick  sich 
das  Leben  nimmt7).     Soweit  stände  die  Chlorissage  für  sich  selbst  selbstän- 


1)  Curtius  (Pelop.ll.  S.  171)  weist  mit  triftigen  Gründen  das  messenische  Pylos  als  das 
ursprüngliche  nach,  das  tri phy Hache  hält  er  für  die  spätere  Gründung  der  durch  die  Do- 
rier  gedrängten  Pylier  (II.  S.  S7). 

2)  II.  XI.  722;  Hesych.  s.  v.  Mwv$os>,  Strabo  VIII.  3.  19. 

3)  Apollod.  I.  9.  10. 

4)  Od.  XI.  285—  2S7. 

5)  IL  XI.  692. 

6j  Apollod.  II.  7.  3.    Westlich  vom  triphylischen  Pylos  lag  der  Berg  M(v&tj,  genannt  ^ 

nach  der  naXXaxlg  des  Hades  und  ein  Heiligthum  des  Hades  (Strabo  VIII.  3.  14)  und  in 
Triphylien  waren  hochgehalten  t«  rfjg  JyprjTQog  xnl  i%  K6qv\s  ftpa  —  x«\  t«  tovvAöov. 

7)  Schol.  II.  XI.  692:  koyog  ti£  lartv  ort  XXÜQts  inl  rjj  ttltvirj  ttiy  na(6<ov  «y/oVi; 


360  Drittes  Kapitel. 

dig  im  Bereiche  der  minyeischen  Stammsagen,  zugleich  mit  dem  Hintergründe 
der  göttlichen  Gestalten  des  chthonischen  Lebens,  ohne  sichtbare.  Verbin- 
dung mit  Niobe.  Wir  hatten  die  gleiche  Kinderfulle  wie  dort,  den  gleichen 
Tod  bis  auf  ein  Kind  und  zwar  durch  Eine  Hand,  wir  hatten  den  Namen 
Amphion  hier  wie  bei  Niobe,  der  Name  Chloris  war  derselbe  mit  dem  pelo- 
ponnesischen  Namen  einer  Niobetochter.  Aber  dabei  blieb  man  nicht  stehen 
in  der  Fortbildung  der  Sage,  der  Iaside  Amphion  von  Orchomenos  ging  auf 
in  den  Antiopesohn  Amphion  von  Theben.  Weder  Pherekydes  noch  Hella- 
nikos  fuhren  den  Namen  Chloris  auf  unter  den  Kindern  der  Niobe,  dagegen 
nennt  Apollodor  1J  bereit«  ohne  Angabe  seiner  Quellen  Chloris  als  gerettete 
Tochter  von  Amphion  und  Niobe  und  als  Gemahlin  des  Neleus,  obgleich  sie 
in  seinem  Verzeichnisse  der  Töchter  nicht  vorkommt;  er  bezeichnet  sie  als 
die  ältere  (fj  aQeoßvieQa) ,  doch  wohl  zum  Unterschiede  der  attischen  Nymphe 
Chloris,  der  Geliebten  des  Zephyros.  Hygin2)  sowohl,  wie  die  Iliasscholien 
des  Venetus  B  und  Codex  Lipsiensis3)  kennen  nur  diese  Niobide  Chloris 
als  Gemahlin  des  Nestor  und  der  Name  Chloris  kehrt  in  allen  jüngeren  Nio- 
bidenverzeichnissen  wieder. 

Unverkennbar  haben  wir  hier  eine  Verschmelzung  einer  in  der  Pelopon- 
nesos,  in  Argos,  in  Pylos,  in  Olympia,  in  Orchomenos  ureinheimischen,  mit 
Niobe  auf  gemeinsamer  Grundanschauung  allerdings  stehenden,  aber  doch  in 
der  ältesten  Sage  nicht  unmittelbar  verbundenen  mythologischen  Gestalt,  der 
Chloris  mit  der  auf  dem  Boden  von  Theben  und  f^leinasien  in  bestimmtester 
Weise  entwickelten  Niobesage.  Dieser  Verschmelzung  kam  zu  Hülfe  der 
humane  Wunsch  das  Schicksal  der  Niobe  zu  mildern,  an  sie  eine  weitere  Ge- 
schlechtsentwickelung zu  knüpfen. 

Der  Name  Chloris,  welcher  uns  auch  in  Thessalien  im  Lapithenbereich 
als  Gemahlin  des  Ampyx4),  Mutter  des  Sehers  Mopsos5)  begegnet,  ist  in  sei« 
ner,  wie  wir  oben  schon  bemerkt,  offen  daliegenden  Beziehung  zum  Früh- 
lingsgrün, zum  ersten  vegetativen  Leben  des  Frühlings  durch  die  uns  aus 
Ovid  mehr,  als  aus  griechischen  Quellen  näher  bekannte,  aber  acht  grie- 
chische Erzählung  von  der  Liebe  des  Zephyros,  des  lauen  Frühlingswindes 
zu  ihr  und  ihrer  Vermählung,  von  ihrer  Herrschaft  über  die  Blüthenpracht  des 


1)  I.  9.  9 :  xal  NqXtve  —  yapti  XXtoQida  i^vApylovos  —  j  III.  5.  6 :  io<6&r)  <tt  —  xt&v 
cf£  d-flXtitav  XXtoQtg  ij  nQtoßvxtya  y  Nrjltvg  ovvifixrjae. 

2)  Fab.  10:  Chloris  Niobes  et  Amphionis  filia,  quae  ex  Septem  superaverat,  hanc  ha- 
buit  in  conjugem  Neleus  14  :  Periclymenus  Nelei  et  Chloridis  Amphionis  et  Niobes  filiae 
filius. 

3}  II.  XI.  692  :  ix  NijXitog  rov  Tuqovs  xal  JloatiötSvog  xid  ix  XXwquJoc  ttjc  * Apyhovos 
xal  Xioßfjs  yivovrai  naiätc  ofJt  — . 

4)  "Aftnvl  bezeichnet  die  Stirnbinde,  den  Schmuck  der  Stirne,  wie  die  Hören  XQV' 
adfinvxfs  sind,  auch  hier  ein  passender  Name  für  den  Qemahl  des  Frühlingsgrüns. 

5}  Schol.  Apoll.  Argon.  I.  65  ;  Hygin.  f.  14;  Umgekehrt  ist  Chloros  Sohn  des  Pelas- 
gos,  Vater  des  Haemon  in  Thessalien  (Steph.  Byz.  s.  v.  'Aifiovta). 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion.  361 

Frühlings  '),  über  Saaten,  über  Honig,  über  die  Culturbäume  auf  das  Reichste 
entwickelt;  sie  ist  eine  Frühlingsgöttin,  eine  Auffassung  der  im  Frühling 
aufsteigenden,  wieder  erscheinenden  Kora  oder  Persephone2).  Daher  steht 
auf  der  heiligen  Strasse  nach  Eleusis  der  Altar  des  Zephyros  in  dem  Bereiche 
eines  Heiligthumes  der  Demeter  und  Kora*).  Wesentlich  dieselbe  Bedeu- 
tung hat  sich  uns  von  dieser  Chloris  aus  den  bisherigen  Untersuchungen  er- 
geben, wenn  sie  Tochter  der  Persephone  ist,  wenn  sie  Meliboia  heisst,  wenn 
sie  die  einzige  Ueberlebende  unter  den  Töchtern  der  Niobe  genannt  wird, 
wenn  sie  in  Olympia  das  Urbild  jungfräulicher  Gewandtheit  und  Jugendlich- 
keit ist,  wenn  ihr  eigenes  Schicksal  in  ihren  Kindern  sich  wiederholt,  sie  nur 
Einen  Sohn  behält. 

§25. 
Biobe  im  thebanischen  Sagenkreis  nnd  Amphion. 

In  den  Verlauf  der  thebanischen  Mythenreihe,  wie  sie  sich  anschliesst 
an  das  Geschlecht  des  Autochthonen  Ogygos  und  an  Kadmos,  den  Zuge- 
wanderten ,  tritt  auf  einmal  wie  störend,  in  einem  ganz  anderen  Charakter 
gebildet,  der  Sagenkreis  des  Amphion  und  des  Zethos  und  ihres  Ge- 
schlechtes herein.  Allerdings  hat  man  dieselben  chronologisch  einzuschie- 
ben gewusst,  bald  lange  vor,  bald  in  die  Zeit  des  Kadmos,  bald  —  und  das 
wurde  die  herrschende  Erzählung  —  während  der  Abwesenheit  des  Laios  in 
der  Peloponnes.  Otfried  Müller4]  hat  auf  ihre  ursprüngliche  lokale  Bezie- 
hung zu  einer  andern  Oertlichkeit,  zu  Hyriä  oder  Hysiä  hingewiesen,  hat  ge- 
zeigt, wie  sie  an  verschiedenen  Orten  Böotiens  eingebürgert  erst  später  dem 
speciell  thebanischen  Kreise  sich  ganz  einfügen ;  er  hat  zugleich  auf  den  ver- 
schiedenen Charakter  ihrer  Herrschaft,  auf  den  als  Kriegsftirsten  {nöXipi(XQ%og) 
gegenüber  dem  geheiligten,  Opferdienst  vollziehenden  Könige  (ßaaiXevg)  auf- 
merksam gemacht.  Auf  der  andern  Seite  hat  die  die  Denkmäler  ihrer  Sage 
zunächst  durchmusternde  Forschung  von  O.  Jahn5)  in  behutsamer  und  feiner 
Weise  auf  die  offenbaren  Kennzeichen  der  Naturbedeutung  hingewiesen,  die 
dann  in  mythologischen  Gesammtdarstellungen,  allerdings  vielfach  schwan- 
kend vorangestellt  sind6). 


1)  Ovid.  Fast.  V.  195 — 275:  Chloris  eram  quae  Flora  vocor,  corrupta  latino  nominis 
est  noatri  littera  graeca  sono  etc.;  Pseudo-Plut.  flum.  5.  3  ist  Chione  iu  lesen. 

2)  Vgl.  Gerhard  die  Anthesterien  S.  Jtfl.  199.  Preller  (gr.  Mythol.  I.  S.  275)  nennt  sie 
eine  Nebenfigur  der  Aphrodite  'Av&t£a  und  der  Libera.  * 

3)  Paus.  I.  38.  1. 

4)  Orchomenos  S.  99.  227  ff. 

5)  Antiope  und  Dirke  in  der  Archaolog.  Zeitung  I  bb'd.  n.  56. 

6)  Preller  gr.  Mythol.  II.  S.  21  ff.,  Gerhard  gr.  Mythol.  IL  g  739—741. 


362  Drittes  Kapitel. 

Die  Sage  der  Niobe  und  ihrer  Kinder  tritt  nun  gerade  mit  den  Gestalten 
von  Amphion  und  Zethos  in  den  thebanischen  Sagenkreis  ein:  sie  wird 
durch  keine  andere  Bande  dort  gehalten.  Um  so  wichtiger  ist  es  für  uns 
überhaupt,  die  charakteristischen  Punkte  in  der  Amphioosage,  die  Sphäre, 
in  der  sie  sich  bewegt,  ins  Auge  zu  fassen  und  dann  die  einzelnen  Züge  der 
Sage  in  den  Vordergrund  zu  stellen,  in  denen  Amphion  und  Niobe  wie  die 
Niobiden  zusammen  wirken. 

Das  Geschlecht  Amphions  von  Theben,  des  seit  Hesiod  vielleicht  schon 
in  der  Poesie  zur  Geltung  gekommenen  Gemahls  der  Niobe,  weist  nach  der 
Nekyia  der  Odyssee1)  einfach  auf  Zeus  und  auf  As opos,  den  alteinheimi- 
schen Flussnamen  iiöotiens,  der  überall,  wo  altionisches  Wesen  gewurzelt, 
vor  allen  in  Sikyon,  in  dem  benachbarten  Theile  Arkadiens,  in  der  südlichen 
Phthiotis  bei  den  Thermopylen,  in  Aegina,  in  Paros  erscheint*).  Asopos  der 
böotische  ist  der  Sage  nach  König  von  Platää,  seine  Tochter  trägt  diesen 
Namen  *) .  Hier  in  der  quellenreichen,  vielfach  sumpfigen  Fläche  der  Para- 
sopia  ist  sein  Hauptsitz,  er  trennt  ja  nach  Pausanias  4)  die  Thebais  von  der 
Platäis5).  Hier  an  dem  Fusse  des  Waldgebirges  Kithäron,  der  schroff  nach 
Norden  und  gleichmässig  abfällt,  liegt  Hyria  oder  Hysiä,  eine  Colonie  (anoi- 
xo?),  so  heisst  es,  von  dem  Hyria  bei  Aulis,  eine  Gründung  des  Nykteus, 
des  Vaters  der  Antiope,  wie  die  spätere  gäng  und  gäbe  Sage  nun  abweichend 
von  Homer  meldet8). 

Auch  die  Mutterstadt  also,  die  Hyria  im  unteren  Asoposthal,  im  Be- 
reich der  Tanagraia,  wo  Tanagra  selbst  eine  Tochter  des  Asopos  genannt 
wird7),  ist  Geburtsstätte  der  Antiope  und  zwar  nach  Hesiodos8). 

Antiope  tritt  als  Asopostochter  durchaus  in  den  Bereich  von  Orts- 
göttinnen und  zwar  quellreicher  Orte ;  neben  Platää,  Tanagra  ist  vor  allem 
Thebe9)  Asopostochter,  dann  auch  Aigina,  Nemea,  Kerkyra,  Harpinna10), 
die  letzteren  wesentlich  von  dem  sikyonischen  aber  mit  dem  böotischen  genea- 
logisch ganz  verflochtenen  Asopos11),  abgeleitet  mit  demauch  Antiope  lokal  in 


1)  Hom.  Od.  XI.  260—265.    Vgl.  auch  'Avtionri  *Aotonts  Apoll.  Rhod.  I.  735. 

2)  In  Lakonika  war  eine  altachäische  Stadt,  später  den  Eleutherolakonen  gehörig,  am 
Meer  Asopos  (Paus.  III.  21.  6;  22.  7);  Strabo  IX.  2.  23  sagt  nach  mehreren  Anführungen: 
tlal  <f£*ai  aXloi  noTttpol  o/ntovvfioi  xtji  notn/Lup  toistqj. 

3)  Paus.  IX.  1.  2;  3.  1. 

4)  Paus.  II.  6.  2. 

5)  Das  kleine  Flüsschen  *£Uq6t)  daselbst  ist  auch  des  Asopostochter  (Paus.  IX.  4.  3). 

6)  Apollod.  III.  5.  5;  Dio  Chrysost.  Or.  XV.  p.  447  ff. ;  Paus.  11.6.2;  Hygin.  Fab.  7. 

7)  Paus .  IX.  20.  2. 
*»)  Steph.  Byz.  s.  v. 

9)  Paus.  II.  5.  2.  Frau  des  Asopos  wird  sie  genannt  Ov.  Amor.  III.  6.  33 ;  Arsen, 
hist.  p.  132. 

10)  Alte  Stadt  des  Oinomaos  in  Elis  s.  Curtius  Peloponn.  II.  S.  50.  108. 
11]  Paus.  II.  5.  2;  V.  22.  5. 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion.  363 

Zusammenhang  tritt.  Als  Tochter  des  Nykteus  sehen  wir  sie  ihr  Geschlecht 
auf  Poseidon  und  Nymphen ! )  oder  auf  einen  ächten  Erdmann  (Chthonios), 
einen  Sparten  zurückführen2).  Ihr  Grossvater  ist  dann  Hyrieus,  der  Gründer 
von  Hyria  3  ,  der  Gemahl  der  Nymphe  Klonia,  der  selbst  Kind  des  Poseidon 
und  der  Plei'ade  Alkyone  genannt  wird,  Gestalten,  die  auf  Meeresfluth, 
stürmisches  Meergewölk,  den  gewaltigen  Jäger  am  Himmel,  den  man  an  das 
Sternbild  anknüpfte,  hinweisen.  Die  Bedeutung  des  Nykteus,  des  Nächt- 
lichen, zeigt  sich  in  Gegenwart  des  Bruders  Lykos,  dessen  Name  auf  Früh- 
licht, Tageslicht  hinweist ;  er  selbst  hat  daher  auch  eine  Nykteis  zur  Toch- 
ter4). Ein  analoges  Verhältniss  begegnet  uns  in  der  arkadischen  Ursage,  im 
Nyktimos,  Sohn  des  Lykaon,  Bruder  der  Kallisto,  deren  Vater  wohl  auch 
Nykteus  genannt  wird  5) . 

Wenn  die  Mutter  Antiopes  Polyxo  (üolv^io)  genannt  wird,  so  ist  sie, 
die  Zahlreiche ,  viel  und  viele  Besitzende  euphemistisch  dadurch  als  eine 
dem  Todten  und  nächtlichen  Schattenreiche  angehörige  Natur  bezeichnet8). 
Im  Rhodos  sendet  eine  Polyxo  ihre  als  Erinnyen  gekleideten  Dienerinnen  zur 
Vollziehung  der  Strafe  an  Helena  aus 7) . 

Antiope  gehört  also  nach  ihrem  Ursprünge  durchaus  den  Erdmächten 
an,  hier  mehr  in  der  lokalen  Betonuug  der  wasser-  und  wiesenreichen  Um- 
gebung eines  Flusses,  dort  in  ihrem  Zusammenhange  mit  Nacht,  die  im  Tag 
ihr  nothwendiges  Gegenbild  hat,  mit  dem  der  Erdtiefe  entsteigenden  Segen. 
Ihr  Name  selbst,  in  die  grosse  Zahl  der  auf  onrj  endenden  heroischen  Namen 
gehörig,  in  denen  das  Aussehen,  Erscheinen  in  bestimmter  Weise  sich  aus- 
prägt, wird  einfach  als  die  Entgegentretende,  die  dem  speeifischen  Auge, 
dem  Himmels-  und  Sonnenlicht  Entgegenstehende  zu  fassen  sein,  eine  Be- 
zeichnung, die  der  Erde  wahrscheinlicher  wie  dem  Monde  zukommt8)  • 

Sie  ist  wie  die  anderen  Asopostöchter  heimlich  oder  gewaltsam  einem 
Gotte  vermählt,  sie  wie  Aigina  und  auch  nach  der  Auffassung  Pindars  Thebe, 
wohl  auch  Nemea  dem  Zeus,  während  Kerkyra  dem  Poseidon,  Haqrinna  dem 
Ares  zugeführt  wird.    Die  Frucht  dieser  Verbindung,  die  wohl  auch  zwischen 


1)  Apollod.  III.  10.  1 ;  Nykteus  wird  auch  gleich  Sohn  des  Poseidon  und  der  Kelaeno 
genannt  Hygin.  f.  157. 

2)  Apollod.  III.  5.  5. 

.'*)  Auch  6  BoKorbi  wird  Gründer  von  Hyria  genannt  (Schol.  IL  II.  496). 

4)  Apollod.  III.  5.  5. 

5)  Apollod.  III.  s.  1.  2. 

6)  Eine  IJoXv$(o  als  Nais  oder  Nymphe  bezeichnet  ist  Frau  des  Danaos  (IL  1.  5); 
JloXvxrcjn  heisst  ein  Sohn  des  Aigyptos  (Apoll.  II.  1.  5j.  Man  denke  an  IloXvd^xrrjg,  IJo- 
ludfyfim;  ot  nlifovtg,  flXovrtav. 

7)  Paus.  III.  19    10;  Hygin.  f.  15.  192. 

*)  Es  heisst  daher  ihr  irdischer  Gemahl  der  König  Entomie  von  Sikyon,  es  ist  Helios 
selbst  nach  Eumelos  mit  ihr  Erzeuger  zweier  Söhne.   Vgl.  Preller  Mythol.  II.  S.  22.  Anm. 


V'' 


364  Drittes  Kapitel. 

Zeus  und  Epopeus  getheilt  wird,  ist  das  Zwillingspaar  Amphion  und  Zethos. 
Die  Hauptstätte  dieser  Vereinigung  wie  der  späteren  Schicksale  ist  der  K  i  - 
thäron :  dort  naht  sich  ihr  Zeus  als  Satyr,  dort  gebiert  sie  bei  Eleutherä  in 
einer  Grotte  bei  einer  besonders  kalten  Quelle,  dort  wachsen  ihre  Söhne  als 
Hirten  auf,  dort  flieht  sie  vor  Dirke,  findet  die  Kinder,  rächt  sich  an 
Dirke. 

Der  Kithäron  spielt  aber  in  der  griechischen  Mythenwelt  eine  sehr 
bedeutsame  Rolle ')  und  wie  der  Berg  selbst  den  majestätischen  Hintergrund 
für  die  Asoposebene  und  für  die  daran  sich  schliessende  Thebais  bildet,  so 
lassen  sich  in  ihm  gleichsam  die  Reflexe  der  zahlreichen  und  bedeutsamen 
mythologischen  Gestalten,  die  vor  allem  auf  dem  Boden  Thebens  sich  her- 
ausbildeten, nachweisen.  Er  wird  in  späterer  Zeit  specifisch  der  Berg  des 
Bakchos  Eleutherios  genannt  im  Gegensatz  zu  Helikon  und  Parnass,  apolli- 
nischen Bergen  und  wie  er  erschallt  von  der  Festfeier  des  thebanischen  Bak- 
chos2), wie  ihn  die  Kunst  epheubekränzt  zur  Geburt  des  Dionysos  stellt8), 
wie  die  wichtige  Stätte  'Ekw&eQat  den  jüngeren  Dienst  desselben  für  Attika 
vermittelte,  so  kann  man  sehr  geneigt  sein,  auch  die  ältesten,  mit  Kithäron 
verbundenen  Sagen  alle  auf  das  specifisch  bakchische  Element  und  zwar  die 
jüngere,  mystische  Form  des  Bakchosdienstes  zurückzufuhren.  Und  doch  ist 
dem  nicht  so.  Kithäron,  auch  Asterion  genannt  gehört  einer  älteren  religiösen 
Schicht  gleichsam  an,  den  Urgedanken  von  Vermählung  von  Himmel  und  Erde 
in  Zeus  und  Hera4),  den  Mächten  des  Waldes,  den  kecken,  neckischen, 
schreckenden  Waldgeistern,  den  Satyrn  wie  weissagenden  Quellnymphen s), 
der  keuschen  Jägerin  am  kühlen,  zum  Bade  einladenden  Teiche  und  dem  sich 
demselben  zudringlich  im  Hochsommer  nahenden  Hirsch6).  Er  ist  Aufent- 
haltsort einzelner  wilder  Thiere,  selbst  des  Löwen7),  Hauptweideplatz  für 
Sikyon,  Korinth  und  Theben ;  er  ist  der  väterliche  Pfleger,  nährende  Mutter 
für  in  Verborgenheit  dort  aufwachsende  Kinder8),  wie  Öedipus,  wie  Amphion 


1)  Strabo  I.  2. 19:  ta  ntgl  xov  Kt&aiQtova  xal'EXixma  xal  JlaQvaoobv  xctl  üijliov  (sc. 
Ixv&svofAira). 

2)  Arist.  Thesmoph.    995 :  afxql  &  öol  xrvntirm  Kt&aiQtivioe  ty(b  jdilä/utfvlXa  x  ogq 
äaöxia  Mal  vawat  ntTQtifiie  ßgifAortat. 

3)  Philostr.  Im.  I.  14. 

4)  Der  Festzug  derDaedala  hqos  axQov  xbv  Ki&aiQtuva  Paus.  IX,  3 ;  Plut.  V.  Arist.  11. 

5)  Paus.  IX.  3.5:    vvptftov  avrpov  Ki&aifttovltitov  —  fiavztvto&ai  di  tmg  vv/uuf-ag  ib 
BQxatov  avro  fyei  Xoyog. 

6;  Quelle  und  Fels  des  Aktäon  Paus.  IX.  2.  3. 

7;  Apoll.  II.  4.  10;   Paus.  I.  41.  4,  5.    Ja  die  Sphinx  sollte  da  grossgesogen  sein. 
Schul.  Eur.  Phoen.  806. 

S)  Soph.  Oed.  R.  1026;  bes.  V.  1089 ff.: 

antlqtov  a»  Ki&<ti()(bv  ovx  fo&t  rav  avQtov 
navailtpw,  (IT)  9v  otyt  xal  nax  Qitatav  OlSinov 
xai  TQQtpbv  ««ipjfrli   avfuv  ntl. 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion.  365 

und  Zethos,  aber  auch  die  ernste  Todtenstätte  von  Helden f ) .  Auch  Antiope 
ist  keine  ursprünglich  bakchische  Gestalt,  sie  steht  ja  im  vollen  Gegensatz 
zur  eifrigen  Dienerin  des  Dionysos,  der  die  Trieteriden  feiernden  Dirke ;  ob 
Zeus  nach  der  ursprünglichen  Sagenförm,  als  Satyr  sich  ihr  genaht,  steht 
noch  dahin,  Euripides  *)  hatte  es  berichtet  und  auch  hierin  wohl  eine  beson- 
dere mythologische  Liebhaberei  zum  Unbekannten,  Eigentümlichen  bewie- 
sen. Und  dazu  sind  die  Satyrn  Gestalten,  die  als  Weide-  und  Waldgeister8), 
als  Repräsentanten  der  Hocksnatur,  als  nächste  Verwandte  der  Nymphen  und 
Kureten,  wie  wir  oben  sahen,  auch  weit  hinaufgreifen  über  die  Ausbildung 
des  grossen  bakchischen  Thiasos. 

Welche  Bedeutung  die  Schleifung  der  Dirke  durch  das  Waldgebirge4) 
durch  die  Söhne  der  Antiope  und  in  Vollziehung  ihrer  Rache  für  die  ausge- 
standenen Qualen  habe,  kann  schwerlich  noch  in  Frage  kommen,  wenn  wir 
die  daran  sich  anschliessende  Entstehung  der  starken  Quellen  Dirke,  wenn 
wir  die  Bezeichnung  des  Berges  selbst  als  mons  Dircaeus,  wenn  wir  den 
wüthend  fortstürmenden  Stier  als  das  Bild  reissender  Bergströme5)  im  Auge 
behalten,  wie  sie  im  Frühjahr  bei  geschmolzenem  Schnee  besonders  gewaltig 
herabstürzen. 

Die  Beziehung  zur  Erde  und  deren  Fruchtbarkeit  im  Frühjahr  ist  end- 
lich für  Antiope  in  ihrem  Verhältniss  zu  den  Söhnen  klar  gegeben,  in  jenem 
späteren  Cultusbrauch  der  Phokier,  welche  in  Tithorea  den  Grabhügel 
der  Antiope  und  ihres  späteren  Gemahles,  des  Sisyphiden  Phokos,  der 
selbst  den  Beinamen  Poseidon  führte6),  besassen  und  im  Frühjahr,  wenn  die 
Sonne  in  das  Zeichen  des  Stiers  tritt  (im  April7),  unter  Todtenopfern  Erde 
von  dem  Grabhügel  des  Amphion  und  Zethos  abzulösen  und  zu  jenem  Grab- 
hügel zu  führen  suchten,  was  dieThebaner  auf  jede  Weise  verhinderten6) ;  es 
schien  dadurch  die  Fruchtbarkeit  Theben  entzogen,  für  Phokis  gesichert  zu 
werden.    Die  offenliegende  Beziehung  des  dirkeischen  Stieres  auf  das  Stern- 


1)  Oedipus  nennt  ihn  seinen  xvqioc  niqos  Soph.  Oed.  R.  1453 ;  Todtenstätte  des  Pen- 
theus  Paus.  IX.  2.  3 ;  Strabo  IX.  2.  23 ;  Aesch.  Eumen.  26  mit  Schol.  Grabstatte  der 
von  Theseus  den  Thebanern  abgekämpften  Leichen  der  argivischen  Helden  oxim&w  #f£* 
'Elcv&tgli  niTQa  Kur.  Suppl.  761 ;  vgl.  Plut.  V.  Thes.  29,  Paus.  I.  39.  2.  Erinyenwinkel 
der  Kithäron  genannt  Pseudoplut.  de  fluv.  2. 

2)  Io.  Malal.  p.  49;  Georg.  Cedr.  I.  p.  44. 

3)  Preller  gr.  Mythol.  I.  8.  447  ff. 

4}  Ueber  Dirke  Stellensammlung  bei  Unger  Theb.  Paradoxa  p.  82—103. 

5)  Hauptstelle  Ael.  V.   Hist.  II.  33 :  ©I  <ft  ßoüv  tISos  avrotg  ntQti&rtxav  mit  einer 
Reihe  von  Beispielen,  wozu  auch  Asopos  und  Kephissos.     Acheloos  als  raüfos  ir<x(>yys   *- 
Soph.  Trach.  9 ;  Bezeichnung  und  Darstellung  als  TavQopoQipoi,  TaufoxQavo» ,  ßovxQavot, 
ßovTTQWQot  vgl.  Preller  gr.  Mythol.  I.  S.  340,   O.  Müller  Handb.  d.  Arch.  %  403,  1.  2. 

6)  Paus.  II.  4.  3. 

7)  Ov.  Fast.  IV.  716;  V.  603  ff. 
S)  Paus.  IX.  17.  3.  4. 


366  Drittes  Kapitel. 

bild  des  Thierkreises,  welches  bald  männlich  als  Stier  der  Europa,  bald  weib- 
lich als  Kuh  der  Io  gefasst  ward,  ist  natürlich  weit  jünger,  aus  einer  Zeit,  wo 
man  am  Himmel  die  ganze  Amplüonsage  fixirte.  Man  berief  sich  dabei  auf 
Orakelverse  des  Hakis,  die  erst  in  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges 
recht  in  Aufschwung  kamen  durch  die  Industrie  jener  in  der  Demokratie 
so  wirksamen  Wanderpropheten. 

Die  Frucht  der  Verbindung  von  Zeus  und  Antiope,  das  Jünglingspaar 
Amphion  und  Zethos  wird  nun  für  unsere  Untersuchung  von  grösster 
Wichtigkeit.  Einer  von  ihnen  —  und  nicht  blos  wird  Amphion  hier  genannt, 
sondern  ausdrücklich  stattdessen  auch  Zethos1)  —  ist  Gemahl  der  Niobe 
und  der  Name  des  Amphion,  welcher  überhaupt  in  der  Poesie  ganz  und 
gar  in  den  Vordergrund  tritt,  ist  mit  der  Niobesage  für  die  herrschende 
Auffassung,  wie  sie  seit  Pherekydes  von  Leros  und  Sophokles  durchdringt, 
durchaus  verbunden. 

Wir  haben  iu  ihnen  entschieden  eine  göttliche  Potenz  als  Grundlage 
und  eine  sagenhafte  Auffassung  historischer  Thateachen  als  Einschlag  in  das 
ursprüngliche  Gewebe  zu  scheiden.  Ein  Zwillingspaar  von  Göttersöhnen 
ist  wie  überhaupt  bei  den  indogermanischen  Völkern,  so  speciell  bei  den 
Griechen  eine  mehrfach  vorkommende,  bedeutsame  Erscheinung.  Die  Dop- 
pelheit,  welche  nothwendig  doch  einen  einheitlichen  Grundgedanken  vor- 
aussetzt, weist  auf  die  zwei  Pole  gleichsam  hin  von  Auf-  und  Niedergehen, 
Anfang  und  Ende,  im  zeitlichen  Leben  Morgen  und  Abend,  möglicherweise 
auch  Frühling  und  Herbst ;  im  psychologischen  Leben  werden  entsprechende 
Gegensätze  bei  persönlicher  Durchbildung  sich  entfalten,  wie  geistige  und 
körperliche  Kraft,  wie  theoretisches  und  praktisches  Leben,  wie  entgegen- 
gesetzte Arten  des  Kampfes  u.  dgl. 

Die  Gestalten  von  Kastor  und  Polydeukes  als  ächten  Zeussöhnen 
Jiooxovqoi),  zunächst  auf  dem  altachäischen,  ja  noch  lelegischen  Boden  von 
Lakonika  sind  dafür  bezeichnende  Typen  und  zwar  mit  der  bestimmten  Be- 
ziehung zu  Abend-  und  Morgenstern,  als  den  leuchtenden  Symbolen  des  ver- 
gehenden und  kommenden  Tageslichtes;  in  ihnen  können  wir  unter  dem 
langen  Uebergewicht  des  spartanischen ,  sittlichen ,  kriegerischen  Wesena 
und  politischen  Einflusses  eine  besonders  reiche  Ausbildung  sowie  eine  mehr- 
fache Verschmelzung  mit  ähnliehen  Gestalten,  wie  den  Anakten  von  Athen, 
den  Kabiren  von  Samothrake  verfolgen*).  Die  messenischen  Apharetia- 
den  Idas  und  Lynkeus  sind  ihr  Gegen  bild.  Auch  Herakles  und  Iphi- 
kles,  die  Pindar8)  dtdv/nwy  xQairjoifiiaxov  o&dvog  $£ü>v  nennt,  kommen  hier 
in  Vergleich. 


1}  Schol.  II.  XXIV.  602  :  r^r  Ntoß^  —  ot  eft  Z>>ou  —  yvvttix«  qaotv. 
2]   Vgl.  Welcker  grieeh.  Götterl.  I.  8.  BOG — t» 1 4 .  II.  S.  416 — 429. 
3)  Pyth.  IX.  S7. 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion.  397 

Amphion  und  Zethos,  welche  in  ihrer  Thätigkeit,  z.B.  der  Gründung  von 
Theben  im  Unterschied  von  der  Kadmea  und  Mauerbau  gemeinsam  aber  auch 
wieder  verschieden  auftreten,  welchen  also  ein  und  dieselbe  Gattin  gegeben 
wird,  die  gemeinsam  im  Grabmal  ruhen  und  welche  doch  zu  scharfen  Cha- 
raktergegensätzen ausgebildet  worden,  seilen  wir  geradezu  als  %<jj  Xevxon<iXa>9 
Jiög  xovqoi  XevxonwXoi  oder  d'Bol  oi  XevxonwXoi,  als  die  Zeussöhne  oder 
Götter  mit  weissglänzenden  jungen  Rossen  bei  Pherekydes  und  Euripides f) 
bezeichnet.  Damit  können  wir  in  Verbindung  bringen,  dass  Pindar2)  den 
Amphitruo  sich  verpflanzen  lässt 

XevxLniiOLOi  Kad/ueiwv  —  dyviaig, 
also  in  die  von  weissen  Rossen  durchzogenen  Feststrassen  der  Kadmeer, 
wird  ja  Theben  auch  sonst  eine  Rossepeitschende  genannt8].  Als  Asvxo- 
niäXto  erscheinen  sie  durchaus  als  Götter  und  Heroen  des  Tageslichtes,  denn 
die  Hemera  ist  die  wahre  X€vxo7i(oXog*) .  Sie  werden  dadurch  den  Dioskuren, 
sie  werden  dem  messenischen  Leukippos,  dessen  Töchter  die  Glanz-  und  Ta- 
geslichtnamen Hileaira  und  Phoibe  haben,  wesentlich  gleich  gestellt.  Be- 
zeichnend ist  es  auch,  dass  Amphion  und  Asterios  als  lirüderpaar  ausdrück- 
lich uns  auch  bei  dem  Argonautenzug  genannt  werden,  als  Söhne  des  Hype- 
rasios  und  der  Hypsoa),  also  Kinder  der  Höhe  in  dem  achäischen  Pellene, 
welches  doch  ursprünglich  durchaus  ein  ionisches  war  in  der  Nachbarstadt 
von  Sikyon  und  Korinth  ist  und  am  korinthischen  Meerbusen  dem  Kithäron 
gegenüberliegt.  Hier  also  scheint  die  Beziehung  zum  Morgenstern  noch  klar 
vorzuliegen.  Der  Name  /i^npiwv  bezeichnet  nun  die  Doppelseitigkeit,  die  v 
Doppelheit  überhaupt,  er  ist  daher  auch  der  Repräsentant  des  Brüderpaares 
als  solchen  6j .  Im  Namen  Zethos  wird  die  eigentümliche  Natur  der  Brüder 
ausgeprägt  sein;  man  wird  eher  an  £«co  als  tpw  dabei  denken.  Die  be- 
stimmte individuelle  Ausbildung  dieser  Gestalten  des  jungen  Tageslichtes, 
der  steigenden  Lichtzeit  des  Jahres  können  wir  aber  nur  in  gewissen  Grund- 

1)  Heracl.  für.  29: 

TU)  XtVXOTTCtiXü)  7TQlv  TUQCCWrjOCti  X&OIOS 

*AfA(f(ov   ijJl  Zi\&ov  ixyorto  Jiog. 
Phoen.  006  :    /Tb.  xai  ötiör  rdür  XevxonaiXcuv  ötofjafr'.  Et,  oV  aTiyovol  at. 
Vgl.  Pherekydes  bei  Schol.  Od.  19.  523,  Hesych.,  Phavor.  s.  v.  /ftooxovQOf. 
2;  Pind.  1.  1.  S3. 

3)  Pind.  Ol.  VI.  S5:  nX^mnov  -   Gjßtty.  / 

4)  Aesch.  Pers.  386:  inetyt  pivTot  Xtvxonwkog  ifyu/p«  näoav  xaria/f  yaiar  fif(ftyyr^ 
löftv  — .  Soph.  Aj.  673 :  tJ  Xevxo7i(oX(p  tfiyyog  tyi/p?  <flfytir. 

5)  Apoll.  Khod.  Argon.  I.  176  mit,  Schol. ;  Valer.  Flacc.  Argonaut.  I.  365  ff.  nennt 
Amphion  und  Deucalion  und  bezeichnet  sie  zugleich  als  entgegengesetzt  im  Wesen  und 
Waffen ;  Deukalion  erinnert  auch  an  HoXvJivxrji.  v 

6)  Die  Ableitung  des  Euripides  naga  to  naga  Tijv  u/uifoöov  ijyouv  netpa  to  ap<fl  Ttjv 
6o*6v  ytvvTjfrrjrni  (fr.  1S2  bei  Nauck  Frgmta  tragg.  gr.  p.  328)  wie  die  des  Zethos  von 
CfjTfTr  (f.  1S4  a.a.O.]  haben  nur  als  Wortspiele  ihr  Interesse.  Ueber  die  Bedeutung  von 
&t»  =  skrt.  Jas  s.  Curtius  griech.  Etymol.  I.  S.  345.  II.  S.  195  f. 


368  Drittes  Kapitel. 

zügen  der  Sage  selbst  erkennen,  die  zugleich  sie  und  vor  allem  Amphion  in 
enge  Beziehung  zu  Niobe  und  den  Niobekindern  stellen. 

Den  historischen  Bestandtheil  der  Sage  von  Amphion  und  Zethos  müs- 
sen wir  in  dem  Auftreten  einer  kriegerischen,  usurpatorischen  Herrscher- 
macht,  die  vielleicht  als  ein  Doppelkönigthum  auch  sich  darstellte,  auf  den 
Boden  von  Theben  finden,  welches  in  dem  Asoposthal  und  deren  Bewohner 
ihren  vollen  Rückhalt  hatte,  welche  in  Eutresis,  einer  Korne  von  Thespiä1) 
sich  festsetzte  in  einer  Befestigung,  von  da  aus  die,  so  scheint  es,  innerlich 
durch  den  Steit  des  wesentlich  priesterlichen,  von  Aussen  zugewanderten 
Kadmosgeschlechtes  mit  den  altherrschenden  heimathlichen  Geschlechtern, 
denSpartoi  zerrüttete,  von  Aussen  durch  die  räuberischen,  kühnen  Anwohner 
des  Parnassosfusses,  die  Phlegyer*)  und  wohl  auch  durch  Minyer  bedrängte 
Kadmea  gewannen  und  nun  zu  der  alten  Burg  der  noXig  Kadpeia  eine  um- 
fangreiche Neustadt,  die  'Yno&rjßv*)  oder  auch  Gyßr]  durch  Vereinigung 
mehrerer  xtSpai  hinzufügten.  Diese  Doppelstadt  wird  nun  durch  ein  starkes, 
mit  Thürmen  Wohl  versehenes  Befestigungswerk4)  geschützt,  dessen  Technik 
auch  als  eine  kunstvollere  wie  die  bisher  dort  gekannte  und  wohlgegliederte 
sich  kundgiebt,  wie  wir  im  Polygonalbau  schon  eine  primitive  und  eine  jün- 
gere sehr  kunstvolle  Weise  scheiden,  wie  der  Quaderbau  neben  dem  Polygo- 
nalbau als  ein  wichtiger  Fortschritt  erschien.  Zugleich  tritt  mit  dieser  Herr- 
schaft, die  im  Asoposthal  und  der  Küstengegend  zwischen  Asopos  und  Euri- 
pos  bei  wesentlich  ionischer  Bevölkerung  ihre  Heimath  und  Stütze  hat,  eine 
lebendige  Beziehung  zu  den  achäischen  Staaten  und  deren  Cultur  ein,  wobei 
Einflüsse  der  vorgeschrittenen  Cultur  der  kleinasiatischen  Küste  nicht  fehlen. 
Am  entschiedensten  macht  sich  dies  wie  in  jener  architektonischen  Kunst, 
so  in  den  musikalischen  Formen  geltend. 

Vielleicht  schon,  wie  wir  früher  andeuteten0),  hatte  Hesiod  diesen  Am- 
phion als  Gemahl  der  Tantalostochter  Niobe  gedichtet.  Seit  Pherekydes  von 
Leros  können  wir  als  bei  den  Dichtern  herrschende  Erzählung  diese  Verbin- 
dung betrachten,  woneben  aber  mehr  vereinzelt  also  auch  Zethos  als  Gatte 


1 )  Strabo  IX.  2.  2fc ;  Steph.  Byz.  s.  v. ;  Kurt.  Hom.  11.  II.  502. 

2)  Pherekydes  bei  Schol.  Apoll.  Argon.  1.  735. 

3)  Paus.  IX.  5.  3. 

4)  Hom.  Od.  XL  263  ff. : 

61  7iQÜToi  &yßfic  £tfoc  hertoar  kntanvXoio 
nv^ytoaurty  intl  ov  (ihv  anvpytoTor  yi  dvravro 
vmifiev  tvgvxoQov  fhfßijr  XQareyto  neq  iovri. 
Apoll.  Rhod.  I.  735  ff. : 

anvQytoTOs  $*  £r#  Srfßrj 
xtiro  71  (lag  tvfs  otyt  vfov  ßaXXorto  dopttiovs 
///ufrot. 

5)  S.  30. 


Niobe  im  thebaniftchen  Sagenkreis  und  Amphion.  369 

erscheint.  Dagegen  kannte  man  auch  einen  andern  Namen  für  die  Gattin 
des  Amphion,  nämlich  Hippomedusa  und  Eustathios  bezeichnet  diesen  als 
homerische  Tradition  im  Gegensatz  zur  nachhomerischen.  Wie  gut  die  Boss- 
gewaltige  zu  dem  Held  auf  weissem  Rosse  passe,  liegt  auf  der  Hand  l) .  Es 
muss  entschieden  auffallen,  dass  eine  Verbindung  zwischen  dem  thebanischen 
Heros  und  der  Königstochter  von  Sipylos  in  Kleinasien  ohne  alle  innere  Mo- 
tivirung  für  dieselbe  berichtet  wird.  Die  spätere  Geschichtschreibung2) 
weiss  allerdings  zu  berichten,  dass  Pelops,  da  sein  Vater  Tantalos  vor  Hos 
weichen  musste,  mit  einem  Heere,  Reich thüment  und  seiner  Schwester  Niobe 
nach  Hellas  gekommen  sei  und  sie  dabei  an  Amphion  in  Theben  gegeben 
habe,  wie  ja  sein  Aufenthalt  auch  in  Achaia  in  Thessalien  vorher  erwähnt 
wird,  l'ausanias  dagegen  weiss  genau,  dass  Tantalos  nicht  von  Ilos  angegrif- 
fen sei  und  dass  er  in  einem  prächtigen  Grabe  bei  seinem  Königssitze  bestattet 
sei3).  Nun,  wie  uns  Niobe  als  Gemahlin  des  Alalkomeneus  am  Kephisos- 
oder  Kopaissce  zu  Haliartos  begegnet  ist,  bei  der  Niemand  an  die  von 
Sipylos  mit  Pelops  eingewanderte  denken  kann,  so  wäre  ja  doch  auch  zu 
fragen,  ob  wir  die  Tantalostochter  Niobe  zu  Theben  nicht  auch  zunächst  in 
der  Nähe  des  Kithäron  heimisch  zu  suchen  haben. 

Da  begegnet  uns  die  merkwürdige  Stelle  bei  Servius  im  Commentar  zur 
Aeneis4/,  wo  Tantalus  rex  Corinthiorum  genannt  wird  und  er  als  derselbe 
Freund  abei  auch  Versucher  der  Götter  erscheint.  Von  einer  Verschreibung 
oder  Verwechselung  kann  hier  keine  Rede  sein,  wir  haben  einfach  auch  Ko- 
rinth,  die  uralte  Ephyra  als  Stätte  auch  des  Zeussohnes  Tantalos  hinzu- 
nehmen und  von  dort  Niobe  von  Amphion  oder  Zethos  heimfuhren  zu  las- 
sen. Wie  aber  Korinth  zu  dem  Kithäron  lokal  zunächst  steht,  wie  korin- 
thische Hirten  am  Gebirge  weiden,  so  weisen  die  ältesten  Genealogien  die 
nahe  Verbindung  zwischen  Korinth  und  den  Kindern  der  Antiope  nach. 
Epopeus,  der  sterbliche  Gemahl  der  Antiope,  ist  auch  Grossvater  des  Korin- 
thos  durch  Marathon,  derselbe  Helios  herrscht  auf  der  Burg  von  Sikyon  wie 
von  Korinth,  Asopos  lässt  die  Quelle  Peirene  aufsprudeln  auf  Akrokorinth. 
Ueberhaupt  tritt  uns  ja  die  wesentliche  Stammesverwandtschaft  der  Bewoh- 
ner der  Aegialea,  des  Isthmos  mit  Athen  und  dem  böotischen  Asoposthal 
vielfachst  entgegen.  Die  poetische  Ausgestaltung  gemeinsamer  Ursagen  hat 
erst  die  einzelnen  Gestalten  auf  einzelne  berühmte  Lokalitäten  concentrirt, 
vor  denen  andere  verblassten. 

In  der  Ehe  selbst  weiss  die  Sage  von  einem  tragischen  Gegensatze  zwi- 


1)  Hom.  Od.  p.  1S75,  wo  ol  nt(it  xov  no^rfiv  den  ot  pstf  "OjurjQov  gegenübergestellt 
werden. 

2)  Nicol.  Damasc.  a.a.O.  s.  oben  S.  35,  Strabo  VIII.  4.  4  s.  oben  S.  352. 

3)  Paus.  II.  22. 

4)  Ad  1.  VI.  GOT.  Vgl.  auch  Mythogr.  Vat.  II.  102  j  III.  6,  21. 

Stark,  Niobe.  24 


S 


s 


^ 


370  Dritte»  Kapitel. 

sehen  Aniphion  und  Zethos,  jener  ist  der  reich  mit  Kindern  gesegnete,  dieser 
hat  nur  Ein  Kind  und  dies  eine  verliert  er  in  unseliger  Yerirnmg  der  Mutter. 
In  jenem  herrlichen  alten  homerischen  Liede  der  NtniQa  und  X)dvaa£tog  xai 
IJtjvsXonrjQ  Ofulia*)  vergleicht  Penelope  ihren  Kummer,  die  Heftigkeit  des- 
selben in  der  Nacht  mit  den  tiefen  Klagetönen  der  Nachtigall  im  Frühjahr, 
die  diese  %haqrfig  Avfiixyv ,  die  Tochter  des  Pandareos,  im  dichten  Laube 
sitzend  ergiesst,  bejammernd  ihren  liehen  Sohn  Itylos,  den  sie  einst  im  Un- 
verstand mit  dem  Schwerte  tödtete,  den  Sohn  des  Herrschers  Zethos.  Die 
kurzen  aber  bezeichnenden  Worte  setzen  die  Kenntnis»  der  Sage  mit  wesent- 
lich denselben  Zügen  voraus,  welche  uns  die  Scholiasten  berichten.  Aedon 
hat  nur  ein  einziges  Kind,  Itylos  und  beneidet  den  Kinderreichthum  des  Am- 
phion,  der  so  viele  Kinder  hatte  von  Niobe  oder  Hippomedusa.  Itylos 
pflegte  mit  diesen  zu  spielen  und  mit  ihnen  auf  demselben  Lager  sich  zur 
Ruhe  zu  begeben.  Da  befiehlt  Aedon,  dass  er  sich  besonders  bette  oder  nach 
anderer  Version,  dass  er  den  inneren  hinteren  Theil  des  Lagers  wähle ;  sie 
selbst  wollte  bei  Nacht  zu  ungewöhnlicher  Zeit  hereingekommen  den  ersten 
(wohl  auch  ältesten  der  Amphionsöhne  tödten ;  dies  war  Amaleus2)  oder 
Amphialcus.  Da  Itylos  es  vergessen  hat  oder  sonst  nicht  gehorchte,  so 
mordet  Aedon  bei  Nacht  sich  einschleichend  ihren  eigenen  Sohn,  indem  sie 
glaubt  in  Amaleus  ihr  Schwert  zu  tauchen.  Da  nun  das  Verderben  des  Nei- 
des so  hereingebrochen  auf  Itylos,  so  bittet  die  Mutter,  vom  Leid  überwältigt, 
die  Götter,  aus  dem  Kreise  der  Menschen  zu  verschwinden  (*£  dv&Qto/no» 
ysvtG&ai).  Und  in  eine  Nachtigall  der  äusseren  Erscheinung  nach  umge- 
wandelt hat  sie  das  Leid  um  Itylos  doch  nicht  ausgetauscht,  sondern  trägt 
es  im  Munde  ihn  besingend.  Andere  berichten  nach  dem  Scholiasten,  dass 
Aedon  den  Itylos  nicht  unwissend,  sondern  mit  Absicht  getödtet  habe ;  sie 
habe  nämlich,  als  sie  den  Sohn  des  Amphion  getödtet,  dann  aus  Furcht  vor 
jenem  Weibe,  welche  als  eine  sehr  mächtige  und  wohl  schwere  Strafe  übende 
Frau  erschien,  auch  den  eigenen  Sohn  hinzugeschlachtet,  um  so  der  von  dort 
erwarteten  Rache  zuvorzukommen.  Pausanius3)  fügt  noch  hinzu,  dass  Ze- 
thos aus  Schmerz  über  den  Tod  des  Itylos  auch  gestorben  sei. 

Also  hier  erscheint  die  Gattin  des  Amphion  als  Hochbeglückte,  an  ihr 
und  ihrem  Glück  geht  der  Schwager  und  sein  Haus  zu  Grunde.    Und  es  ist 


I,  Od.  XIX   517.  524;  Kirchhoff  homerische  Odyssee  8.  s«.  V.  20*4  ff. 
Besonders : 

naid'  oXotf  vQopfrrj^/rvXor  tflXor  or  nort  %(tXx(p 
xrih't  J/'  u(fQttö(tts  xovqov  Zrj&oto  avuxTog. 
2;  ^AfdaXtvg  ist  der  Garbenbinder  von  äftuXXa.    Die  andere  Namenform  wird  von  Eu- 
stathios  in  der  anderen  Version  genannt.    Jener  Name  passt  wohl  in  den  Naturcharakter 
der  Sage. 

3)  IX.  5,  5 :  Zrj&(p  Jl  rbr  nitida  anixxurkv  q  itxoiroa  xatd  tfrj  tu«  afiUQtiav,  Irt&vrjxei 
Ji  vno  Iv^ijg  xnl  kvtos  o  Zijfroi  -  . 


Niobe  im  thebanischen  Hagenkrei»  und  Amphion.  371 

Aedon  also  die  Verkörperung  jener  tiefen,  musikalischen  Klagetöne,  die  das 
Frühlingsleben  in  seiner  Pracht  durchzittern,  in  denen  der  Mensch  mitfühlt, 
mitleidet,  vor  allem  mit  dem  seine  Gesellschaft  suchenden,  im  dichten  Laub 
flötenden  Vogel,  mit  der  Nachtigall.  Auch  der  Niobe  harrt  ein  ähnliches  Leid, 
aber  sie  klagt  nicht,  sie  weint  nur  ewig.  So  sehen  wir  Niobe  und  die  Nach- 
tigall oder  die  Schwalbe,  die  Schwester  der  Nachtigall,  von  Sophokles,  von 
dem  Anakreontiker,  von  Straton,  von  Propertius  zusammengestellt2). 

Aedon  wird  bei  Homer  eine  der  drei  Töchter  des  Milesiers  Pandareos  v 
genannt,  des  Sohnes  des  Merops.  Milct  ist  hier  nach  des  Pausanias  Zeug- 
niss  *)  nicht  die  berühmte  Stadt  am  Mäander,  sondern  deren  Muttei Stadt  in  / 
Kreta,  die  zu  Strabos8)  Zeit  nicht  mehr  existirte;  nur  ein  Hinweis  auf  die  in 
die  Urzeit  zurückgehende,  dem  kretisch-lykischen  Stamme  gemeinsame  Natur 
der  Sage.  Von  andern  Pandareos  Töchtern  weiss  ja  .auch  die  homerische 
Penelope4)  freilich  in  einem  entschieden  jüngeren  Einschiebsel  ihres  Gebetes 
an  Artemis  und  zwar  von  solchen,  die  ihre  Eltern  früh  verloren,  von  den 
olympischen  Göttinnen  mit  allen  Gaben  ausgestattet,  von  den  Harpyien  ge- 
raubt wurden  und  den  Erinnvcn  dienen  müssen.  Auch  hier  also  das  Bild 
früh  zerstörter  Jugcndblüthe. 

Pandareos  und  Tantalos  sind  aber  nahe  verbundene  Gestalten; 
jener  erscheint  als  Mithelfer  des  Frevels  an  Zeus  durch  Diebstahl  des  golde- 
nen Wächterhundes  der  Amalthea  und  geleisteten  Meineid  in  der  Ableug- 
nung5). Er  zeigt  sich  in  Kreta,  am  Sipylos,  dann  aber  auch  in  Athen  und 
Sicilien. 

Aber  die  andere  und  zwar  in  Köotien  und  Attika  alteinheimische  Sage 
von  Itys,  von  der  klagenden  Aedon  fasst  diese  nicht  als  Tochter  des  Panda- 
reos, sonderndes  Pandion,  eines  attischen  Königs.  Beide  Namen  weisen  v 
auf  gemeinsame  Wurzel  hin.  In  dieser  Sagenform  spielt  bekanntlich  Tereus 
der  Thraker ;  das  Verhältnis}*  der  zwei  Schwestern  zu  ihm  und  der  in  Rache 
mit  Vorbedacht  vollzogene  Mord  des  Itys  wie  sein  Vorsetzen  als  Speise  ist 
das  Wesentliche  des  Vorganges,  das  Resultat  bleibt  dasselbe,  nämlich  die  Ver- 
wandlung in  die  klagende  Nachtigall,  wie  in  die  Schwalbe  und  der  alle  Früh- 
jahr erneuerte  Schmerz  um  das  Kind8).  Der  Name  Epops  für  Tereus  den  Ver-  * 
wandelten  erinnert  uns  entschieden  an  Epopeus,  den  König  von  Sikyon  und 
zeitweisen  Gemahl  der  Antiopc.     Die  eine  Lokalität,  welche  hier  vor  allen 


1)  Soph.  Kl.   I47ff.,  ».  oben  S.  44 ;  Anacr.  Od.  22  (20)  dazu  oben  S.  5S;   Anthol.  gr. 
II.  p.  395  n.  II,  dazu  8.  «2;  Prop.  Elep.  III.  10.  7  ff.,  dazu  S.  77. 

2)  X.  30.  1  ;  Hom.  11.  II.  047. 

3)  X.  4.  14;  XII.  S.  5;  XIV.  1.  0. 

4)  Hom.  Od.  XX.  05— 7S;  Kirchhoff  a.  a.  O.  S.  290. 

5)  Paus.  X.  30.  1  ;  Anton.  Liberal.  30. 

6;  Paus.  I.  41.  S  braucht  den  Ausdruck:  &Qt]roü<jiti  Ji  —  vnb  Sttxnvtov  üiaqfttloovmi 

24» 


372  Drittes  Kapitel. 

in  Betracht  kommt,  ist  Daulis1),  am  Eingang  des  Parnassos  und  von  Pho- 
kis  gelegen.  Auch  das  Grab  der  Antiope  fanden  wir  in  diesem  Bereich  bei 
Tithorea  und  Daulis  wird  von  Antiope  Tochter  des  Kephissos  genannt2}. 
Die  dort  ansässigen  Phlegyer  stehen  in  einem  ähnlich  feindlichen  Yerhält- 
niss  zu  Apollo  und  zu  den  Kadmeern  wie  Amphion.  Auch  Tereus  wird  als 
Helfer  der  Athener  gegen  Labdakos  genannt.  Die  andere  Stätte  mit  dem 
Grabmal  des  Paudion,  mit  dem  des  Tereus  ist  auf  der  Südseite  des  Kithäron, 
wo  wir  Eleutherä,  die  Geburtsstätte  der  Autiopesöhne  fanden,  in  Megaris, 
diesem  altionischen  Lande,  bei  Megara,  nahe  bei  dem  Felsen  der  AI  heue 
jfibvia  (der  Taucherente)  3)  undPegai4). 

In  augenfälligster  Weise  sind  die  beiden  Haupt  Wendungen  der  Sage  von 
der  Nachtigall  in  einander  verschmolzen  und  zugleich  noch  zwei  Momente 
hereingeführt,  nämlich  der  Wetteifer  menschlicher  Kunstthätigkcit  und  die 
Ueberhebung  menschlicher  ehelicher  Liebe  gegenüber  der  in  der  heiligen 
Ehe  des  Zeus,  durch  Boios  in  der  Ornithogonia  5) .  Da  bilden  Ephesos  und 
Kolophon  die  Lokalität;  Pandareos,  der  durch  Demeters  Gunst  nie  mit 
Getreidefrucht,  so  viel  er  geniesst,  Uebersättigte,  ist  Vater  von  Aedon  und 
Chelidon.  Gemahl  ist  der  Kunstreiche,  Polytechnos,  Verfertiger  eines  Wa- 
gens ;  Aedon  ist  Weberin.  Die  Geschichte  selbst  verläuft  wie  bei  den  Pan- 
dionstöchtem.  Die  Verwandelung  dehnt  sich  ausüber  die  ganze  Familie : 
zu  Schwalbe,  Nachtigall,  Wiedehopf  kommen  die  Pelikane,  Seeadler  und 
Eisvogel  hinzu.  Wir  sehen  so  die  attisch-ionische  Stammsage  auf  dem  Boden 
der  ionischen  Colonien  mit  anderen  Fäden  verwebt  und  wie  hier  modificirt 
durch  den  Culturstand  derselben  in  JJodcnscgen  und  Industrie. 

Doch  kehren  wir  zurück  zu  unserem  Ausgangspunkt.  Es  bleibt  uns  also 
eine  uralte  verwandtschaftliche  Beziehung  zwischen  der  Niobesage  und  der 
von  Aedon  und  Itylos,  auf  böotisch-attischem  Boden ,  wie  dann  auf  klein- 
asiatischem ;  hier  die  Mutter  vieler  Kinder,  da  die  Mutter  zweier  oder  nur 
eines  einzigen  Kindes,  dieses  einzige  Kind  zu  Grunde  gehend  im  Hinblick 
auf  jene  vielen,  wie  diese  zu  Grunde  gehen  durch  das  einzige  Kinderpa«ir  der 
strafenden  Göttin,  ewig  sich  erneuernder  Jammer  um  die  dem  Tode  verfalle- 
nen, die  Mütter  beide  aus  menschlichem  Bereiche»  entrückt,  die  eine  im  thrä- 
nenden  Fels,  in  der  Quelle  des  Felsens ,  die  andere  im  Frühlings vogel  mit 
melodischem  Gesänge.  Aber  auch  im  Niobidenmythus  fehlt  uns  diese  musi- 
kalische Beziehung  nicht. 


1)  Thukyd.    II.  29,  wo  die  Nachtigall  als  Jctvliitg  ofivn  der  Dichter  genannt   wird 
Strabo  IX.  ».  LS;  Apollod.  III.  11.  S. 

2)  Paus.  X.  4.  5. 
'Aj  Paus.  I.  5.  3. 

4)  Paus.  1.  3«.  1;  41.  S. 

5)  Anton.  Liber.  Metam.  1 1 . 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion.  373 

Amphions  eigenste  Natur  wird  im  Mythus  durch  zwei  künstlerische  Sei- 
ten, welche  als  zusammenwirkend  betrachtet  werden,  bezeichnet,  er  ist  Mu- 
siker, Spieler  der  Leier,  ja  wohl  der  erste  menschliche  Kitharöd  und  er  ist 
Mau  erbau  er,  Zusammenfüger  der  Steine  in  Harmonie.  Sehen  wir  sie 
uns  näher  an  und  fragen  vor  allen,  ob  und  wie  Niobe  und  Niobiden  zu  diesen 
zwei  Hauptzügen  seines  Wesens  in  Beziehung  stehen. 

Musikalisches  Wesen  wird  auch  in  den  Dioskuren  von  Sparta  voraus- 
gesetzt, sie  werden  in  dem  Hymnus  des  Theokrit1)  angerufen  als  iTtnrjeg, 
xi&ctQioiai,  äefrktfitJQeg,  doidoiy  als  Ritter  und  Kitharaspieler,  Siegträger  im 
gymnistheii  Kampf  und  Sänger,  wie  ja  die  Spartaner  unter  den  Tönen  der 
Kithara  zu  Felde  zogen2].  Mythologisch  aber  entwickelt  scheint  diese  Seite 
nicht  weiter  bei  ihnen.  Von  Amphion  aber,  dem  thebanischen  Otoskur,  wird 
in  dem  nachhomerischen  Epos  der  Europeia  [int]  %a  ig  EvQujnrjv)  und  in 
dem  der  Minyas 3)  berichtet,  dass  er  seiner  Musik  wegen  berühmt  war,  dass 
er  zuerst  der  Leiersich  bediente  und  zwar  von  Hermes  gelehrt,  dass  er  Thiere 
und  Steine  im  Singen  mit  sich  fortriss  {qdiov  rjye).  Die  Minyas  stellte  ihn 
mit  Thamyris  zusammen  und  zwar  beide  als  für  den  Uebermuth  in  der  Unter- 
welt Strafe  leidende  Kitharöden.  Amphions  Name  war  in  den  alten  musikali- 
schen Ucberlicferungcn  von  Sikyon,  wo  wir  ja  die  Antiopesage  auch  wurzeln 
sahen,  an  die  Spitze  der  Kitharöden  gestellt*).  Vereinzelt  wird  er  wohl  auch 
mit  Orpheus  als  Schüler  neben  Linos  in  Verbindung  gesetzt5),  während  er 
allgemeiner  als  der  erste  Kitharöd  überhaupt  gefasst  ward. 

Wichtig  ist  für  uns  die  Frage,  woher  hat  Amphion  die  Kithara  erhalten, 
ist  er  eiu  von  Apollo  gelehrter  und  geliebter  Heros/  Dies  ist  durchaus 
nicht  der  Fall.  Erst  Dioskorides,  ein  jüngerer  Epigrammatiker,  lässt  Amphion 
die  Leier  von  Apollon  erhalten6)  und  in  der  späten  Rhetorik  begegnet  uns 
wohl  eine  solche  allgemeine,  phrasenhafte  Angabe7),  die  sich  dann  bei  den 
Byzantinern  neben  der  andern  Tradition  fortpflanzt8).  Noch  am  meisten 
hatte,  so  scheint  es,  eine  wirkliche  Grundlage  in  der  Sage,  dass  der  Mauer- 
bau der  Stadt  von  den  Brüdern  bis  zum  Grab  der  Semele  „auf  Befehl  des 
Apollo"  erfolgt  sei9). 

Dem  entgegenstehen  alle  älteren  Ueberlieferungen,  welche  die  Kitharo- 


J)  Idyll.  XXII. 

2)  Welcker  gr.  Göttcrl.  II.  S.  421. 

3)  Paus.  IX.  4.  4  ?  Düntzer  Frgmte  ep.  Poesie  S.  S. 

4)  Plut.  de  mus.  c.  3.  p.  1132. 

5}  Nikomachos  Harmon.  in  Mus.  gr.  II.  p.  29  ed.  Meibom. 

6)  Schol.  Apoll.  Rhod.  I.  741. 

7)  Menand.  n.  fmJeixr.  XVI.  p.  327,  12. 

v  Eustath.  Hom.  p.  16S2,    14  cd.  Rom.;  Eudoc.  Viol.  p.  IS;  auch  Jul.  Valer.  de  reb. 
gest.  Alex.  I.  66. 

9)  Hygin.  fab.  9 :  jussu  Apollinis. 


374  Dritten  Kapitel. 

dik  des  Amphion  auf  Zeus1;  selbst,  auf  die  Musen2;,  vor  allen  auf  Her- 
mes zurückfuhren;  er  steht  daher  Apollo  gleichberechtigt,  nicht  von  ihm 
abhängig.  Auch  die  Musen  sind  ja  überhaupt  und  speciell  in  liöotieu  nicht 
erst  aus  dem  Wesen  Apollos  hervorgehende,  ihm  nur  dienende  Mächte,  son- 
dern wesentlich  Quelhiympheu,  als  solche  musikalischer  Natur,  hier  lei- 
bethrische,  später  dem  Apollodienst  angeschlossen  und  angeartet. 

Die  Stellung  zu  Hermes  ist  vor  allem  reich  entwickelt  und  am  popu- 
lärsten geworden  V  So  ruft  Horaz  Mercurius  und  die  siebensaitige  Leier 
an,  jenen 

nam  te  docilis  magistro 
movit  Amphion  lapides  canendo4}. 
Myro  von  Byzanz5)  erzählt,  dass  Amphion  zuerst  demselben  einen  Altar 
geweiht  und  dafür  zum  Dank  die  Leier  erhalten  habe  Er  tritt  dadurch 
in  eine  interessante  Parallele  zu  Pelops»  seinem  Schwager,  dem  ersten  Er- 
bauer eines  Hermestempels  nach  Tradition  der  Eleer*) .  Hermes  war  es  auch 
gewesen,  welcher  die  Jirüder  vom  Morde  des  Lykos  zurückgehalten  und 
diese  aufgefordert  hatte,  die  Herrschaft  dem  Amphion  abzutreten7).  Und 
wie  Hermes  im  homerischen  Hymnos  auf  der  von  ihm  gefertigten  Leier  in 
Gegenwart  des  Apollo  neben  den  Göttern  auch  die  dunkele  Erde  [rata* 
8Q€fiyfjv)  besingt 8) ,  so  ist  es  ein  feiner  Zug  des  sein  Bild  deutenden  Rhetors 
Philostratos"},  dass  er  Amphion  mit  seiner  Leier  speciell  als  Sänger  der 
Erde  darstellt,  wie  sie  die  Gebär erin  und  Mutter  von  allem  ist  und  wie  sie 
selbst  Mauern  (also  Berg  und  Hügel)  erhebt.  In  dem  Bereiche  der*göttlichen 
Auflassung  der  Erde,  ihrer  Trauer  im  Winter,  ihres  Schaffens  und  Wirkens 
im  Frühjahr,  ihrer  stürzenden  Bergwässer  und  ihrer  nährenden  Quellen,  hat- 
ten wir  ja  gerade  das  mütterliche  Geschlecht  des  Amphion  zu  suchen,  ihn 
selbst  andererseits  als  einen  Spross  des  der  dunkeln  Erde  in  Liebe  sich  nahen- 
den Himmelsgottes,  als  ein  Bild  des  jugendlich  wachsenden,  aber  immer 
wechselnden  Tageslichts  im  Frühling,  als  einen  Ritter  des  Frühlings  zu  fas- 


1,  Herakleides  bei  Plut.  Mus.  c.  3.  Eudocia  Viol.  p.  18,  Eust.  1.1. 

2,  Pherekydes  fr.  104.  bei  Sc  hol.  Hom.  II.  XIII.  301 ;  Armenid.  Theb.  in  Frgmta 
histor.  gr.  ed.  Müller  IV.  p.  339. 

3)  Panyasis  und  Alex.  Aetol.  bei  Prob,  in  Virg.  Eclog.  II.  24 ;  Apollod.  III.  5.  5 ; 
8chol.  Eur.  Phoen.  115;  Lact,  ad  Stat.  Theb.  I.  10;  Achill.  1.  13;  Mythogr.Vat.il.  f.  74. 

4)  Od.  III.  II.  1. 
5}  Paus.  IX.  5.  4. 
<>:  Paus.  V.  1.  5. 

7)  Hyg.  f.  s;  Schol.  Apoll.  Rhod.  IV.  1090. 

S;  Hom.  h.  in  Merc.  27. 

9;  Imagg.'l.  10  mit  Brunn  die  philostrat.  Gemälde  in  N.  Jbb.  f.  klass.  Philol.  IV.Sup- 
plementbd.  S.  191.  Die  betreffenden  Worte  lauten  :  ort  ndvnov  ytvtntQa  xal  ptJTijQ  ovaa 
Mal  avroftata  rj&tj  Tttyl  öMwotr. 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion.  375 

sen.  Auch  die  musikalische  Seite  seines  Wesens  stellt  ihn  in  einen  altern,  der 
pelasgischen  Culturstufe  mehr  entsprechenden  Bereich,  nicht  in  die  Nähe  des 
reinen  Lichtgottes,  des  Repräsentanten  der  ethischen  Musik,  des  Apollo,  son- 
dern nahe  den  uralten  freundlichen  Mächten  rauschender  Quellen,  den  Musen 
und  besonders  zu  dem  im  Nebel,  im  strömenden  Regen  waltenden  befruch- 
tenden, auf  Weiden,  unter  den  Heerden  immer  thätigen,  in  sinnigem  Ge- 
schick die  Menschen  belehrenden  und  auch  sittigenden  zeugerischen  Natur- 
geiste. 

Zwiefach  aber  stellt  sich  die  musikalische  Weise  des  Amphion  dar  und 
zwar  zunächst  gerade  in  Hezng  auf  Antiope  und  die  Erfüllung  der  Kindes- 
pflicht gegen  sie:  sprichwörtlich  war  der  Threnos  der  Antiope,  ihre  bit- 
tende  Wehklage,  als  sie  vom  Tode  bedroht  sich  an  die  ihr  unbekannten  Hir- 
ten flehend  gewandt  und  er  ward  immer  wieder  gebraucht  für  ungerecht  Lei- 
dende, endlich  Befreiung  Erlangende1)  und  auf  diesen  folgte  der  Sieg  es - 
päan  des  Amphion  nach  vollzogener  Rache. 

Zwiefach  tritt  auch  im  Yerhältniss  Amphions  zu  Niobe  und  den  Kindern 
die  musikalische  Natur  hervor.  Einmal  handelt  es  sich  um  das  H  o  c  h  z  e  i  1 8- 
fest,  das  hochbeglückte,  dem  von  Peleus  und  Thetis,  vonKadmos  und  Har- 
monia2),  ja  von  Zeus  und  Hera  wohl  vergleichbare,  das  andere  Mal  um  das 
Klagelied  für  das  vernichtete  Glück,  um  die  zu  Grabe  geführten  Kinder. 
Pindar3;  sahen  wir  früher,  hatte  in  einem  Päan  gedichtet,  dass  bei  Niobes 
Hochzeit  zuerst  die  lydische  Harmonie  gelehrt,  d.  h.  lydische  Weisen 
zur  Aufführung  gekommen  seien.  Amphion,  hiess  es,  hatte  die  lydische  Har- 
monie vermöge  seiner  mit  Tantalos  eingegangenen  Verwandtschaft  gelernt4). 
Wir  haben  natürlich  hier  nicht  die  Klagweise  der  lydischen  Harmonie,  son- 
dern überhaupt  die  erregende ,  heftig  auch  in  Freude  bewegende  Macht  und 
Weise  der  Flötenmusik  zu  verstehen,  wie  sie  als  aus  Kleinasien  übertragen 
angesehen  ward  und  auf  böotischem  Boden  die  trefflichste  Pflege  auch  bei 
dem  günstigen  Material  des  Schilfes5)  vom  Kopaissee  fand6). 

Aber  wie  die  Trauerklage  um  die  Leichen  der  Niobiden  als  das  Höchste 
des  die  Herzen  bewegenden  Jammers  erschien7),  so  wird  ein  eigenes  Carmen 

• 

1;  Suidas  g.  v.  \4vnont\\  Apostol.  III.  14.  I  ;  Arsen,  p.  61  ff.  Propertius  (El.  11.  13. 
39;  sagt:  —  victorque  canebat  Paeana  Amphion  rupe,  Aracynthe,  tua. 

2)  In  Theben  zeigte  man  auf  der  Agora  der  Burg  noch  den  Plats,  wo  einst  die  Musen 
zur  Hochzeit  gesungen  (Paus.  IX.  12.  3). 

3}  Plut.  de  mus.  15.  p.  1136,  22;  Lyr.  gr.  ed.  Bergk  p.  238,  dazu  oben  S.  32. 

I)  Paus.  IX.  5.  4 :  (Amphion)  ii\v  nQpovtav  rifv  Avddbv  xara  xrfiog  rb  Tavxalov  nag 

€(VT(iSv  (JlCtOdiV. 

5)  Pind.  Pyth.  Xll.  45 :  dovdxtov  jol  ntiQa  xalXi/önm  valotoi  noXti  Xaq(j*)r  Kcuftol- 
dog  tt>  xtpivti  niOToi  xootvjav  uaorirQte;  Plut.  Sulla  2(1:  ntol  ov  /uttXiCTa  tonov  ij  X(uvr) 
öoxii  ib v  uuXrjTixbv  ixtffyav  xtiXttfuor. 

6)  Vgl.  K.F.  Hermann  Lehrb.  d.  gr.  Antiquit.  III.  §  35.  II. 
7    Stat.  Theb.  III.  191  ff.;  Ovid.  Metam.  VI.  401  ff. 


376  Drittes  Kapitel. 

exequiale,  ein  Todtenfeierlied  erwähnt,  welches  Pelops  zuerst  gelehrt  habe 
nach  der  Trauerweise  der  Phryger  mit  Hegleitung  *  der  Flöte  mit  gekrümm- 
tem Endstück,  unter  dessen  Klängen  Niobc  die  Asche  der  Todten  zum  Sipy- 
los  getragen  habe.  Diese  Weise  wird  als  die  spätere  Todtenlied weise  be- 
zeichnet *) . 

Das  Wesentliche  und  Bezeichnende  ist  auch  hier  die  Macht  der  Töne 
als  höchsten  Jubel  und  höchsten  Schmerz  begleitend,  welche  an  Amphion 
wie  Niobe  festhaftet.  Es  treten  in  ihnen  gleichsam  die  zwei  Grundinstru- 
men tc  der  ganzen  antiken  Musik,  Saiteninstrument  und  Flöte  zusammen. 
Interessant  ist  es,  dass  auch  bei  den  Niobiden  die  Musik  und  zwar  die  der 
Kithara  geübt  wird  auf  dem  apulischen  Vasenbild2).  Dazu  kommt  das  be- 
stimmte Bewusstsein  einer  musikalischen  Erweiterung  und  Fortbildung  unter 
einem  von  Kleinasien  ausgehenden  und  zwar  von  dem  Achäer  Pelops  weiter- 
getragenen Anstoss,  der  Aufnahme  der  lydischen  und  phrygi sehen 
Harmonie  auf  rein  hellenischem  Boden  3j . 

Amphion  ist  aber  auch  Mauerbauer,  vereint  mit  seinem  Bruder  Ze- 
thos4).  Der  historischen  Unterlage  dieser  Seite  seines  Wesens  sind  wir  oben 
bereits  nachgegangen,  es  kann  keine  Frage  sein,  dass  diese  Thätigkeit  auch 
mit  seiner  Naturbedeutung  in  Zusammenhang  steht.  Auch  die  Bewohner 
von  Epidamnos  oder  Dyrrhachion  rühmten  sich  von  Amphion  erbauter 
Mauern5)  und  eine  athenische  Inschrift  einer  trefflichen  Mauer,  welche 
Göttling  auf  die  Stoa  Poikile  bezieht,  stellt  die  gesangeszauberischc  Kunst 
des  Amphion  und  Kyklopenhände  zusammen  6) .  Als  gewaltige  Mauerbauer 
erscheinen  vor  allem  die  Kyklopen,  die  Kiesen,  die  Blitz  und  Donner  schmie- 
den, die  die  Gewittermacht  am  Himmel  repräsentiren,  dort  Wolkenburgen 
thürmen,  es  sind  aber  auch  die  gewaltigen  Mächte,  die  in  den  Vulkanen  der 
Erde,  wie  in  den  sich  thürmen  den,  Steindämme  häufenden,  Felsen  losspülen- 
gen  Wogen  des  Meeres  thätig  sind 7) . 

Diese  Doppelheit  der  bauenden  Mächte  zeigt  sich  interessant  in  den  ge- 
meinsam thätigen  Mauerbauern,  bei  der  Burg  Trojas,  in  Apollo  und  Posei- 
don; jener  erscheint  hier  noch  in  seiner  allgemeineren,  in  Kleinasien  vor 
allem  gepflegten  Bedeutung  als  ebenso  wohlthätiger,  Cultur,  Gedeihen,  Ord- 


1)  Stat.  Theb.  VI.  120  ff.,  dazu  s.  S.  7>.  70. 

2)  S.  oben  S.  151. 

3)  Welcker  über  eine  kret.  Kolonie  in  Theben.  S.  SS — 00. 

-1)  Reichste  Stellensammlung  bei  Unger  Theb.  Paradoxa  I.  3.  p.  20— 56. 

5]  Stellen  bei  Unger  1.1.  43—52. 

0)  Göttling  in  Her.  d.  K.  S.  Ges.  d.  W.  1S53.  Mai.  Die  fragmentirte  Inschrift:  ov 
rttde  #*Aff/ufAq?  'AfAyCoroq  rjoa    -  ntifrovg  ovJe  Kvxk<o:itln  yt\(t 

7)  Preller  gr.  Mythol.  I.  S.  301.  Schwarz  .' Ursprung  d.  Mythologie)  S.  Jfi.  203  giebt 
interessante  Analogien,  nur  fasst  er  auch  hier,  wie  überhaupt  den  Gewittersturm  zu  ein- 
seitig als  die  einzige  Mythusgrundlage  auf. 


I 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion.  377 

nung  schaffender  wie  Zerstörung  bringender  Gott  des  Lichthimmels  und  der 
Wärme,  der  auch  mit  der  Aegis  des  Zeus  droht  und  in  der  Gluth  verzehrt. 
Aber  es  spricht  sich  zugleich  schon  eine  Doppelheit  in  der  bauenden  Thätig- 
keit  aus,  die  Macht  der  Ordnung,  der  die  Steine  harmonisch  fugenden  Gei- 
stesthätigkeit,  die  der  musikalischen  Harmonie  der  Töne  analog  ist  und  die 
materielle,  hebende,  tragende  Kraft. 

Und  in  Apollo  ist  es  die  Kitharistik,  die  ausdrücklich  bei  jener  Fügung 
der  Steine  wirksam  genannt  wird.  Auf  der  Burg  von  Megara  zeigte  man 
später  den  Steine  auf  den  Apollo  seine  Leier  niedersetzte,  als  er  dem  Pelo- 
piden  Alkathoos  bei  dem  neuen  Mauerbau,  im  Gegensatz  zu  dem  alten  kariv 
sehen,  von  den  Kretern  abgetragenen  Peribolos  half;  ward  jener  Stein  von 
einem  kleinen  Steinchen  geworfen,  so  klang  er  wie  ein  angeschlagenes  Sai- 
teninstrument1). Derselbe  Alkathoos  erlegte  den  Löwen  im  Kithäron,  opferte 
dann  Apollon  oben  auf  der  neuen  Burg  und  gründete  dem  in  dreifacher 
Gestalt  verehrten  Gott  ein  Heiligthum. 

Auch  Amphion  und  Zethos,  die  Heroen  des  die  Wolken  umsäumenden, 
Wolkengebilde  bauenden  Morgen-  und  Abendlichtes,  die  im  Frühling  be- 
sonders mächtigen,  Wind  mit  sich  bringenden,  die  rauschenden  Ströme  und 
in  ihnen  Steinmassen  vom  Gebirge  sendenden  Mächte,  sind  als  Mauerbauer 
wohl  zu  verstehen.  Und  in  Zethos,  dem  heftigeren,  härteren  Charakter,  wie 
ihn  Euripides  besonders  entwickelt,  haben  wir  speciell  den  Träger  der  Steine, 
den  Untersucher  ihres.  Gewichtes,  während  Amphion  analog  dem  Apollo 
durch  die  ihm  innewohnende  musikalische  Seite  auf  das  Fügen  (aQfiäCeiv) 
der  Steine  zum  schönen,  harmonischen  Ganzen  sich  versteht. 

Zwei  Beziehungen  sind  es  nun,  in  denen  die  Kinder  Amphions  und 
der  Niobe  zu  der  Lokalität,  speciell  zu  dem  Mauerbau  von  Theben  stehen : 
ein  Denkmal  derselben,  welches  noch  im  Bereiche  der  am  weitesten  nach 
Nordost  ausgedehnten  Mauern  steht  und  die  Zahl,  sowie  ein  Theil  der  Na- 
men der  Thore  Thebens,  welche  von  Niobiden  abgeleitet  werden. 

Theben  war  sehr  reich  an  Heroengräbern  und  Ileroenkulten,  jene  lagen 
der  Sitte  gemäss  an  den  aus  den  Thoren  herausführenden  Hauptstrassen,  in 
der  Nähe  der  Thore  ausserhalb,  einige  auch  innerhalb.  Besonders  ist  es  die 
Nordseite  der  Stadt  mit  den  drei  an  derselben  gelegenen  Thoren,  dem  Nei- 
tischen  [nvlav  Nr/tzai,  NrjiOTai,  Nrjhideg),  dem  Thore  der  Quellen  (Xgij- 
valai,  auch  BoQQeiat)  und  dem  östlichsten,  dem  Prötischen  (IIqo it ideg) , 
welche  hier  in  Betracht  kommt.  So  kannte  man  das  Denkmal  des  Menoi- 
keus  vor  dem  erstgenannten  Thore,  weiterhin  die  Pyra  des  Eteokles  und  Po- 


I;  Paus.  I.  12.  1  :  Jtjs  <W  karlag  fyyvg  rai/rqt  lotl  IC&og,  ty?  ou  xaTtt&tirttt  Xfyovaiv 
\4n6kktarn  Tty'  xiftaQttrXlxafrq)  rb  rti/og  ovrtQynyoptrov.  —  fjr  ök  ti'/ij  ßaXtar  xif  i/'Jjffftf«, 
x«t«  tttvia  avrog  rt  W*!0*  xa^  **  &<*(>**  XQOvotitiOa. 


378  Drittes  Kapitel . 

lyneikes'j,  so  drängten  sich  förmlich  um  die  Prötischen  Thore  die  Denk- 
mäler; noch  innerhalb  zeigte  man  das  der  Senicle2),  das  der  Töchter  des 
Antipoinos  in  dem  an  der  Agora  gelegenen  Heiligthum  der  Artemis  Eukleia'), 
ausserhalb  das  Grab  des  Mclanippos  *] ,  des  Tydeus  mit  drei  rohen  Sieinen 
darauf,  die  Denkmäler  der  Oedipuskinder,  die  Oedipusquellc,  das  Grab  des 
Hektor5),  des  Asphodikos,  weiter  nach  der  Mitte  der  Nordseite  das  Heroon 
des  lolaos  bei  dem  Gymnasion  und  Hippodrom  desselben. 

Fu  diesem  Bereiche  liegen  auch  die  für  uns  wichtigen  Denkmäler,  hier 
haftet  auch  der  Name  %6  X  nqttlov  an  einer  grössern  Oertlichkeit,  welche 
als  ein  militärisch  wichtiger,  höherer  Punkt  bezeichnet  werden  muss.  So 
werden  nach  Ermordung  der  thebanischen  Tyrannen  die  bewaffneten  Ge- 
fangenen von  der  Kadmea  dorthin  gefuhrt  und  müssen  dort  ihre  Waffen  nie- 
derlegen, von  da  aus  wird  dann  weiteier  Kriegsbefehl  gegeben8).  Bei  der 
Belagerung  Thebens  durch  Alexander  wenden  sich  die  über  zwei  Gräben 
von  Süden  in  die  Kadmea,  in  die  feste  Oberstadt  eingedrungenen  Makedoner 
von  da  theils  gegen  das  Ainpheion,  theils  stürzen  sie  im  Lauf  zur  Agora 
herab,  auf  dem  Ampheion  macheu  die  Thebaner  den  letzten  Versuch  sich  zu 
halten,  die  Reiterei  entkommt  von  da  in  die  Ebene1).  Es  kann  keine  Frage 
sein,  dass  wir  hier  unter  Ampheion  jene  ostnordöstlich  der  Kadmea  gelegene 
feste  Höhe,  zwischen  Ismenos  und  der  Kadmea,  zunächst  dem  Hohlweg  zu 
suchen  haben,  welche  durch  den  Mauerbau  des  Amphion  und  Zethos  in  den 
Stadtbereich  gezogen  ist  und  als  Veste  der  'Yno&rjßt]  bei  Homer  bezeichnet 
ist,  auf  welcher  das  Heiligthum  des  Dionysos  und  das  Theater  sich  befand. 
Forchhammer8)  setzt  dasselbe  viel  zu  südlich,  in  der  Mitte  der  Stadt  an,  aber 
auch  Bursian9)  fasst  sie  nicht  ganz  richtig  nur  als  nördlichen  Vorhügel  der 
Kadmea  auf  und  benennt  jene  bedeutsame  Höhe  gar  nicht.  So  bekommt 
auch  die  vereinzelte  Notiz  bei  Hyginus ,0) ,  dass  die  Brüder  um  Theben  die 
Mauer  gebaut  haben  usque  ad  Semelae  bustum ,  auf  Apollos  Geheiss,  ihren 
Sinn,  indem  auf  jenem  nordöstlichen  Hügel  ausdrücklich  ein  zweites  Semele- 
heiligthum  uns  genannt  wird,  verschieden  von  ihrem  Thalamos  auf  der  Kad- 
mea, welches  einmal  im  Jahre  geöffnet  ward. 

Mit  dem  Ampheion  steht  lokal  wie  der  Sage  nach  in  naher  Beziehung 
der  Grabhügel  des  Amphion,  auch  der  des  Zethos  genannt,   als  das 

1)  Paus.  IX.  25.  1. 

2)  Paus.  IX.  IG.  1. 
3}  Paus.  IX.  17.  1. 

4)  Paus.  18.  1. 

5)  Piut.  Sulla.  1». 

♦>;  Xenoph.  Hell.  V.  4.  8. 
7;  Arr.  Anab  Alex.  1.  S.  6. 

S)  De  topographia  Thebarnm  heptapylarum  IS54. 
9)  Geographie  von  Griechenland  Thl.  1.  S.  TIS. 
10;  Fab.  9;  Paus.  IX.  16.  4. 


Niobe  im  thebanisehen  Sagenkreis  und  Amphion.  379 

gemeinsame  Grab  beider  angesehen.  Pausanias,  welcher  das  Ampheion  als 
solches  nicht  erwähnt,  ebensowenig  wie  die  angrenzende  Agora,  aber  das 
Theater,  den  Tempel  des  Dionysos,  das  Denkmal  der  Semele,  welche  eben 
jener  Höhe  der  Nordostseite  von  Theben  angehören,  dann  Ileiligthümer  und 
Götterbilder  an  der  Agora,  fugt  diesen  unmittelbar  an  das  gemeinsame  Denk- 
mal des  Amphion  und  Zethos,  als  einen  nicht  grossen  Erdaufwurf  (geu/ua  yijg 
%i  ov  [liya) ,  dessen  alljährlich  versuchte  Beraubung  an  Erde  durch  die  Titho- 
reer  erzählt  wird.  Bei  demselben  erwähnt  er  aber  die  nicht  sehr  genau  bear- 
beiteten, als  Unterlage  oder  Grundmauer  benutzten  Steine,  die  der  Volks- 
sage nach  diejenigen  seien,  welche  dem  Gesänge  des  Amphion  gefolgt  seien. 
Das  heisst  also  doch,  hier  in  diesen  Substructionen  glaubte  man  den  Anfang 
des  Mauerbaus  des  Amphion  zu  sehen. 

Von  Aesehylos1)  vernehmen  wir,  dass  Parthcnopäos,  einer  der  Sieben, 
an  dem  Borrhäischen  Thore  aufgestellt  war,  ,, unmittelbar  bei  dem  Grabe  des 
Zeusentsprossenen  Amphion".  Und  nach  demselben  fragt  Antigone  bei 
Euripides2)  mit  den  Worten  :  „wer  dringt  da  vor  bei  des  Zethos  Denkmal*4  ? 
Und  im  Kampfe  des  Theseus  gegen  die  Thebaner  greift  Theseus  seibat  von 
Osten,  dem  Ufer  des  Ismenos  an,  die  Reiterei  von  der  Quelle  des  Ares  auf 
der  Südwestseite,  die  Kampfwagen  der  Athener  aber  stehen  „unter  den  heili- 
gen Denkmälern  des  Amphion"3).  Mit  Bestimmtheit  geht  die  Lage  dieses 
Amphiongrabcs  bei  dem  Nordthor  hervor,  zugleich  eine  höhere,  hervorra- 
gende Lage ;  dass  es  ausserhalb  des  Thores  sich  befunden  habe,  ist  nirgends 
ausgesprochen,  im  Gegentheil  berichtet  Pausanias  so,  dass  es  im  Bereiche  der 
Mauer,  hart  an  oder  zwischen  derselben,  sie  überragend  gelegen  haben  wird. 

In  demselben  Stadttheil,  aber  näher  bei  dem  Prötischen  Thore,  in  der 
Nähe  des  Dionysion,  des  zweiten  lleiligthums  der  Semele,  der  Hausreste  des 
Lykos,  des  Oheims  der  Antiope,  zeigte  man  auch  das  Grab  oder  die  Denk- 
mäler der  Kinder  des  Amphion4}  und  zwar  getrennt  das  der  Söhne  und 
der  Töchter.  Ein  halbes  Stadion  davon  wollte  man  von  der  Pyra  derselben 
noch  in  Pausanias  Zeit  Asche  bewahren.  Schon  die  Worte  des  Pausanias, 
genau  erwogen,  weisen  auf  den  jungen  Charakter  dieser  Lokalsage,  was  die 
Niobiden  betrifft,  hin :  zunächst  ist  zu  beachten,  dass  hier  von  den  Kindern 
des  Amphion  speciell,  nicht  umgekehrt  mit  dem  sonst  herrschenden  Aua- 


J)  Sept.  c.  Theb.  527  :  —  nifimaiai  nQoqj«x^VTtt  Booiiulaiq  nvlatq  xvpßov  xat  avrbv 
Jioytvovq  jifJHfiovog. 

2)  Phoen.  14<>: 

t/V  <T  ovroe  ä/uifi  fivrjfta  ib  Zrj&ov  7fi(Ht; 

3)  Furip.  Suppl.  0Ü5  :  —  ivtQ&e  atpviov  [tvrjfitttiov  ' siptfCovog. 

\\  Paus.  IX.  16.  4:  Qtißafots  6h  irravSa  xttl  tit  urijpata  ntnoltjXcu  iti>r\4p<f(orog 
naidwv,  X(oqI$  /uiv  rdüv  iiQatvtov  ld(a  61  raig  naq&ivotg.  17.  i  :  vitt/tt  61  >/  nvgn  ttüy  ' Afi- 
tifovog  7iat<J(ov  rj/uiav  ota6(ov  pahora  anb  rtov  Ttttfttr'  [ttru  6h  rj  räf<p«c  xctl  ig  1 66t  hi 
anb  rrjg  nvgäg. 


^ 


380  Drittes  Kapitel. 

drucke  von  den  Kindern  Niobes  gesprochen  wird.  Wir  werden  weiter  unten 
sehen,  wie  die  Kinder  des  Amphion  mit  dem  weitern  Begriff  oi  n€Qi  /ip- 
(piova,  worunter  auch  Zethos  verstanden  wird  und  überhaupt  eine  den  alten 
Kadmeionen  entgegenstehende  Partei,  nahe  zusammengehören.  Weiter  sagt 
Pausanias,  dass  die  Thebaner  diese  ^vtjpiaxa  gemacht,  errichtet  haben.  Eu- 
ripides  bereits  gedenkt  derselben,  mitbestimmtem  Bezug  auf  Niobe,  entschie- 
den hierin  neuernd  und  die  Tradition  umgestaltend;  er  lässt  Polyneikes 
neben  Adrastos  stehen  und  zwar  ist  nach  dem  Gange  der  Rundschau  zu  sagen, 
am  Prötischen  Thore,  dem  auf  das  Nordthor  folgenden  „nahe  dem  Grabe 
der  sieben  Mädchen  Niobes" f) .  Wir  haben  also  hier  ein  gemeinsames  Grab 
der  Niobetöchter. 

Dass  aber  dies  thebanische  im  Volke  begründete  Sage  war,  läugnet  Ari- 
stodemos,  der  Verfasser  der  Thebaika  auf  das  Entschiedenste,  er  sagt,  nir- 
gendswo ist  in  Theben  ein  Niobidengrab ;  der  Scholiast  des  Euripides  setzt 
hinzu:  und  das  ist  wahr2).  Wir  sehen  also,  nicht  die  Existenz  jenes  Grab- 
mals der  Amphionskinder  wird  geläugnet,  wohl  aber  eines  der  Niobiden. 
Beides  ist  im  Volksbewusstsein  nicht  dasselbe.  Wie  man  dort  ein  Grab  der 
zwei  Brüder  hatte,  so  mochte  auch  hier  die  Doppelheit  sich  zuerst  auf  die 
Kinder  beider  Brüder  beziehen. 

Interessant  ist  jene  Erwähnung  der  natürlich  vor  den  Thoren  gelegenen 
Pyra  der  Amphionskinder.  Wir  haben  mit  ihr  als  wesentlich  identisch 
die  sieben  Todtenscheiterhaufen  nahe  dem  Ismenosfluss  zu  betrachten ,  von 
welchen  Armenidas8),  auch  ein  Verfasser  von  Thebaika,  spricht:  ernennt 
sie  sieben  Scheiterhaufeu  (nvqai)  auf  sieben  Steinen  und  Erdunterlagen  (fy- 
fiata) :  man  schrieb  sie  entweder  den  sieben  Helden  gegen  Theben  oder  den 
sieben  Kindern  oder  Kinderpaaren  der  Niobe  zu.  Die  erstere  Auffassung, 
welche  wohl  die  ältere  und  ursprünglichere  ist,  kam  in  Conflikt  mit  der  für 
Athens  Ruhm  so  eifrig  wirkenden  poetischen  Sagenbehandlung,  besonders 
der  Tragödie,  welche  jene  Heldenleichen  von  den  Thebanern  nicht  bestattet, 
von  den  Athenern  abgewonnen  und  auf  attischem  Boden  begraben  lässt. 
Aber  die  Ilias 4)  kannte  den  aufgeschütteten  Grabhügel  des  Tydeus  bei  The- 
ben und  Pausanias  sah  vor  dem  Prötischen  Thore  drei  rohe  Steine,  die  noch 
als  seine  Grabstätte  dort  galten.  Dagegen  waren  einmal  die  Amphionskin- 
der auch  als  Niobekinder  gefasst,  waren  sie,  wie  wir  sehen  werden,  an  die 
Mauern  und  Thore  Thebens  geknüpft,  wirkte  dabei  die  apollinische  Sicben- 


1)  Kur.  Phoen.  Iß2: 

txtivog  inxtt  nuQd-ivtov  inq-ov  ntlac 
Nioßtjs  *AdQaOrtp  nltjotov  naQuoraru. 

2)  Schol.  Eur.  Phoen.  1  ol>,  Müller  Frgmta  histor.  gr.  III.  p.  309:    ovdttfiov  fr  Tttig 
Grjßaig  (ftjal  itov  Ntoßiötüf  flrnt  triff  ov,  oney  iarlv  aXf\d-4g. 

3)  Schol.  Pind.  Ol.  VI.  23 ;  Müller  Frgmta  histor.  gr.  III.  p.  329. 

4)  XIV.  115. 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Arophion.  381 

zahl  mit,  so  war  es  dem  thebanischen  Patriotismus  sehr  genehm,  auch  die 
sichtbare  Todesstätte  der  Niobiden  zu  besitzen.  Statius  berichtet  in  der  frü- 
her besprochenen  Stelle1)  doch  wohl  schon  noch  Antimachos  vom  Leichen- 
zug durch  die  Thore  Thebens  der  bina  funera,  also  der  getrennten  Todteu- 
bahren für  Söhne  und  Töchter  vor  ihrer  Verbrennung  und  Bestattung,  und 
weist  damit  entschieden  auf  die  Pyrai  auch  hin.  Ob  die  Ausführung  des 
Scholiasten  im  Sinne  des  griechischen  Vorbildes  wenigstens  lag,  dass  durch 
jedes  der  sieben  Thore  zwei  Leichen  herausgetragen  seien  und  also  damit  die 
Vierzehnzahl  bezeichnet  sei,  möchte  ich  bezweifeln. 

Diese  Erklärung  führt  uns  aber  unmittelbar  hinüber  zu  dem  zweiten 
Punkte  der  Beziehungen  zwischen  den  Am phionk indem,  die  also  die 
poetisch  entwickelte  Sage  als  Niobiden  fasste,  und  Theben,  nämlich 
ihrem  Verhältniss  zu  dem  Mauerbau  und  speciell  zu  den  Thoren  und  deren 
Namen.  In  einem  Scholion  des  Euripides2)  wird  als  Tradition  die  Betheili- 
gung  überhaupt  der  Kinder,  zunächst  der  Söhne  bei  dem  Mauerbau  des 
Amphion  und  seiner  Genossen  (ol  7i€Qt  Ji^iq>lova)  hingestellt,  wobei  also 
auch  hier  der  Begriff  des  Amphion  weiter  gefasst  ist,  wie  wir  ihn  schon  ken- 
nen lernten  und  unten  noch  wieder  finden  werden. 

Es  lag  ziemlich  nahe,  wie  das  ganze  Werk  der  Heroen,  die  Befestigung 
und  Erweiterung  Thebens3)  unter  dem  Bilde  verwandtschaftlicher  Beziehung 
zu  fassen,  indem  Thebe  Frau  oder  Tochter  des  Amphion  oder  Zethos  wird, 
so  die  berühmten  sieben  Thore  der  Stadt  —  und  Thore  waren  zugleich 
Hauptbollwerke  der  Stadt  —  als  Schöpfungen,  als  Kinder  der  Gründer  auf- 
zufassen. So  spricht  es  der  Auszug  aus  Hygin  allgemein  aus  (f.  69) :  Am- 
phion enim  qui  Thebas  muro  cinxit,  septem  fUiarum  nomine  portas  constituit, 
aber  unter  den  darauf  folgenden  Namen  ist  nur  der  einzige  Name  Ogygia, 
welcher  mit  einem  bekannten  Thornamen  stimmt.  Daneben  begegnet  uns 
aber  bei  zufälliger  Erwähnung  thebanischer  Thore  hie  und  da  die  Zurück- 
führung  derselben  auf  Kinder  des  Amphion  oder  des  Zethos  —  ganz  verein- 
zelt wird  Niobes  Name  dabei  genannt  —  und  zwar  nicht  allein  auf  Namen 
von  Töchtern. 

Am  bedeutungsvollsten  ist  darunter  aber  jener  Name  Ogygia,  welcher 
zuerst  bei  Hellanikos,  dann  durchgängig  in  der  Tradition,  so  bei  Apollodor, 


1)  Theb.  III.  191  ff. ;  oben  S.  79. 

2)  Schol.  Eur.  Phoen.  1119  (die  Homoloischen  Thore  genannt):  ano'Ofioltaitag  rov 
'  Afjq  (ovos  •  rovg  yaQ  nt{t\' Apytova  tfaai  avv  ro*V  ncual  apa  Kadpqi  Ttix(Oai  ujr  noXiv. 
Das  apet  KilJ/uq)  ist  hier  ganz  unverständlich ,  da  ja  die  älteste  Gründung  des  Xadmos 
durchaus  von  dem  Mauerbau  Amphions  geschieden  wird,  doch  mag  auch  dies  später  ein- 
mal zusammengeworfen  sein. 

3)  Statius  braucht  an  vielen  Stellen  Amphionius  und  Thebanus  für  identisch,  so  res 
Amphionias  Theb.  XL  <>49,  Amphionis  terrU  ebendas.  X.  772,  Amphion»  arces  IV.  010, 
X.  573  u.  öfters. 


382  Drittes  Kapitel. 

Hygin,  Tzetzcs,  wohl  auch  verschrieben  als  Ogime  einer  Niobetochter  gege- 
ben wird.  Er  entspricht  durchaus  dem  Namen  eines  Sohnes,  ^lalkomeneus, 
dessen  wir  oben  gedachten :  er  führt  uns  zurück  in  die  Urzeit  Böotiens,  zu 
dem  dem  Wasser  entstiegenen  Urmenschen,  der  in  seinem  Namen  diese  Was- 
sernatur bewährt,  er  stimmt  also  ganz  mit  dem  ältesten  Charakter  der  Niobe- 
gestalt  auf  dem  Boden  Böotiens.  Das  Ogygische  Thor  in  Theben,  auf  der 
Südwestsei te  des  Kadmeion ,  mit  dem  ünkäischen  identisch ,  sichtlich  das 
älteste  der  Altstadt,  hatte  nach  allgemeiner  Tradition  seinen  Namen  von 
Ogygos  selbst,  dem  Urböoter  und  Urgründer  von  Theben,  die  seine  Gattin 
auch  genannt  wird  und  man  zeigte  und  verehrte  sein  Grab  in  unmittelbarer 
Nähe  des  Thores  *). 

Auch  das  Eicktrathor  ("HkexTQai  nvkai),  welches  direkt  nach 
Süden,  nach  Platää  und  Athen  führte,  desse  Namen  auf  das  Strahlende,  Son- 
nige hinweist,  nach  Nonnos  dem  Helios,  specieil  dem  Phaethon  geheiligt, 
wird  von  dem  Scholiasten  des  Euripides2}  auch  von  Elektra,  einer  Amphions- 
tochter  abgeleitet.  IWe  bekanntere ,  auch  sichtlich  ältere  Tradition  brachte 
den  Namen  mit  der  Umgebung  des  Kadmos  in  Verbindung ;  Elektra  galt  als 
Mutter  der  Harmonia  oder  als  Frau  des  Kadmos3). 

Am  entwickeltsten  ist  diese  Sagcnbildung  bei  den  Namen  des  Neiti- 
schen  Thores  (NrjiTai,  Nrfioxai,  Nrftvtdeg  nvXai)  nachzuweisen.  Der  Name 
stellt  das  Thor  einfach  in  Gegensatz  zu  dene'YipiotaiA) ,  als  das  unterste  und 
letzte,  demgemäss  auch  das  erste ;  eine  rein  lokale,  durchaus  gerechtfertigte 
Bezeichnung  für  das  unten  am  Nordende  des  kadmeischen  Hügels  an  dem 
Dirkebach ,  nach  der  Niederung  zu  gelegene  Thor.  War  nun  einmal  Mauer- 
bau und  musikalische  Kunst,  die  erste  Behandlung  des  Saiteninstrumentes 
und  zwar  des  siebensaitigen  im  Mythus  des  Amphion  in  innerliche  Beziehung 
zueinander  gesetzt,  so  lag  es  nahe  genug, das  untere  Thor  mit  dem  unteren 
Ton  (*ij*i?)  im  Gegensatz  zum  obersten  Ton  zu  fassen,  ja  unmittelbar  das  Thor 
nach  dem  Ton  benannt  sein  zu  lassen Ä) .  Auf  der  anderen  Seite  lockte  den 
im  Etymologisiren  so  fruchtbaren  Mythen  drang  die  unmittelbare  Aehniichkeit 
mit  einem  Frauennamen,  mitNeis  (Nr/tg)  und  selbst  dem  abgeleiteten  NeaiQct. 
Neis  aber  war  nach  Pherekydes6)  die  einzige  Tochter  des  Zethos,  wie  Itylos 


1)  Aristodemos  Thebaika  hei  Schol.  Eur.  Phoen.  1113;  Lactant.  Stat.  Theb.  VII. 
34S.  Zu  den  Ogygischen  Thoren  vgl.  überhaupt  die  Sammlung  der  Stellen  bei  Unger 
Theb.  Paradoxa  p.  257—267. 

2)  Phoen.  1120:  änb  *JIXtxTQttg  rijs  'Aptftoiiis  'fttas  tw>»  'AfitfforoQ  Siyttriftw  cod. 
Taurin.). 

3)  Paus.  IX.  S.  3,  andere  Stellen  bei  Unger  Theb.  Parad.  p.  270  ff. 

4)  Heaych.  ».  v.  Nfjtoi  ims  nvlais  raTg  nQuirtug  xtt)  Tflfvrafate.  N^'t'ara  faltetet  *«- 
TMtara. 

5)  Paus.  IX.  S.  3. 

6}  Schol.  Eur.  Phoen.  J104;  Schol.  Hom.  Od.  XIX.  523. 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion.  383 

der  einzige  Sohn  war,  die  Beziehung  auf  den  neuen,  frischen  Frühling  (viov 
i'aQ)  ist  bei  der  Schwester  der  Klagetöne  der  Nachtigall  unverkennbar.  Ob 
es  dieselbe  Nei's  ist,  welche  als  Gattin  des  schönen  Hirten  und  Schläfers  En- 
dynüou  genannt  wird1],  wollen  wir  dahin  gestellt  sein  lassen.  Auch  hier 
tritt  endlich  der  Wechsel  der  Brüder  wieder  ein  und  Nei's  ward  zur  Tochter 
Amphions  und  der  Niobe2).  Nun  kennen  wir  aber  unter  den  Namen  der 
Niobiden  eine  Nei's  nicht,  wohl  aber  eine  Neaera  und  diese  ist  offenbar 
dann  in  jener  Ableitung  gemeint.  Dieser  mehrfach  bezeugte  Name  ist  aus 
Verschreibungen,  wie  Lerta,  Thera  wieder  herzustellen3). 

Das  vierte  Thor  endlich,  welches  hier  in  Betracht  kommt,  ist  das  Ho- 
moloische  (O/ttolwideg  nikm).  Ueber  den  Namenszusammenhang  mit 
dem  in  Theben  bezeugten  Dienst  des  Zeus  cO{iok(pog*) ,  welcher  in  Thessalien, 
in  der  Landschaft  Magnesia  als  ein  Gott  der  Festversammlung,  des  Bundes 
auf  der  Höhe  cO/moAjj  verehrt  ward  und  von  Thessalien  nach  Theben  übertra- 
gen scheint,  kann  kein  Zweifel  sein.  Auch  hier  fand  man  einen  Amphioni- 
den  lOpol(0€vg  als  Namengeber,  indem  bei  dem  Thore  jenes  Homoloon  der 
Zeus  zu  einem  Heroon  5)  herabsank,  oder  wie  so  häufig  den  Gottesbeinamen 
als  besonderen  Heros  in  sich  einschioss.  Ob  nun  nicht  jener  Name  Amaleus, 
den  wir  früher  iu  der  Itylossage  für  einen  Amphioniden  gebrauqht  sahen, 
mit  Homoloeus  identisch  ist,  liegt  sehr  nahe  zu  fragen.  Aber  damit  nicht 
genug ;  auch  hier  wird  dem  Wortgeschlechte  des  Thores  entsprechend  statt 
des  religiös  doch  irgend  begründeten  Homoloeus  eine  Homolois  als  Niobe- 
tochter  nun  eingedrängt 6) .  Aristodemos,  den  wir  als  scharfen  Kritiker  der 
jungen  lokalisirenden  Ausbildung  der  Niobesage  im  thebanischen  Interesse 
keimen  gelernt  haben,  nennt,  die  solches  behaupten,  Leute,  die  die  Unwahr- 
heit sagen  wollen. 

Sehen  wir  uns  noch  weiter  unter  den  Namen  der  Niobekinder  um,  inwie- 
fern sich  in  ihnen  speeifisch  thebanische  Anknüpfungspunkte  finden  und 
vielleicht  bestimmte,  sie  mit  Theben  verknüpfende  Sagen,  so  fällt  uns  zu- 
nächst der  Name  Ismen os  (lofiyvog)  ins  Auge,  welcher  von  Apollodor, 
Ovid,  Hygin  u.  A.  uns  genannt  wird7).  So  hiess  der  kleine  Fluss,  welcher 
an  der  ganzen  Ostseite  Thebens  hinfliesst,  hochverehrt  war  mit  den  in  und 
bei  ihm  waltenden  Nymphen  (NvfMpai  UapipriisQ)*),   Ismenios  der  Hügel 

1)  Apollod.  I.  7,6. 

2y  Schol.  Eur.  Phoen.  1104:  tj  «710  Ntfldog  rlqqyf^iovog  xal  Nioßrjs. 

3)  S.  oben  die  Uebersicht  S.  96. 

4)  Vgl.  Unger  Theb.  Paradoxa  p.  323.      Ueber  Theben   s.  Hesych.  «.  v.  'Ouolmtog 
Ztvi. 

5)  Aristodemos  in  Schol.  Eur.  Phoen.  1119;  Frgmta  histor.  gr.  III.  p.  309.  2. 

0)  Schol.  Aesch.  Sept.  c.  Theb.  567;  Schol.  Eur.  Phoen.  1119;  Tzeti.  in  Lycophr.520. 
7)  S.  oben  S.  96. 

Vi  Unger  Theb.  Parad.  p.  204 ff.,  auch  im  attischen  Phlya  ein  Dienet  dieser  Nym- 
phen Paus.  I.  31.  2. 


384  Drittes  Kapitel. 

unmittelbar  vor  den  Südthoren  der  Stadt  zur  Seite,  von  dem  eine  starke 
Quelle  zum  Ismenos  horabfliesst,  mit  dem  berühmten  Heiligtimm  des  Apollo 
Ismenios  darauf.  Der  Name  kehrt  in  Theben  öfter  wieder,  so  in  Ismene,  der 
Oedipustochter,  im  Flötenspieler  Ismenias.  Wir  haben  eine  Gestalt  in  Ismenos, 
welche  zu  Apollo  ganz  ähnlich  wie  Linos,  Hyakinthos,  Skephros  steht,  er  ist 
geliebt  und  doch  vernichtet ;  eine  Gestalt  aus  einer  älteren  religiösen  Natur- 
erscheinung, umgewandelt,  eingefügt  der  jüngeren  Entwickelung  des  Apollo- 
dienstes. Ismenos  ist  als  Sohn  des  Asopos  ächter  Flussgott1),  Enkel  des  Ladon, 
der  auch  für  den  thebanischen  Fluss  als  uralter  Name  bezeugten  bedeutungs- 
vollen Stromesmacht.  Aber  er  ist  auch  Sohn  des  Apollo  und  der  von  ihm 
geliebten,  in  Besitz  genommenen  Melia,  der  Quellnymphe  am  Ismenion2;, 
Bruder  des  Sehers  Tencros,  des  Repräsentanten  des  tenerischen  Gefildes. 
An  diese  Verbindung  knüpft  sich  dann  der  frühe  Tod  des  Bruders  der  Melia, 
Kaanthos,  dessen  wir  noch  zu  erwähnen  haben.  Endlich  ist  Ismenos  der 
Niobide,  welcher  nach  Sostratos  in  seiner  Schrift  über  die  Flüsse  a)  den  Na- 
men dem  Flusse  gab,  indem  er  von  Apollons  Pfeilen  getroffen,  von  Schmer- 
zen gepeinigt  sich  in  den  Fluss  stürzte;  derselbe  sollte  früher  Kadmosfuss 
(Kddpov  7tovg)  geheissen  haben. 

Auch  der  Name  Melia,  welcher  jener  Quelle  am  Ismenion  anhaftet4), 
dessen  allgemeinere  Bedeutung  als  Okeanine  wir  in  Argos  auch  im  Niobe- 
bereich  kennen  lernten,  kehrt  nicht  bedeutungslos  wieder  unter  den  Niobe- 
töchtern  des  Pherekydes5). 

Endlich  möchte  ich  auch  noch  in  zwei  Namen  von  Niobesöhnen  eine 
specifisch  thebanische  Färbung  erkennen,  in  Damasichthon  und  Eupi- 
ny  tos.  Jener  begegnet  uns  im  thebanischen  Königsgcschlecht  und  zwar  als 
Enkel  des  zum  Führer  (a^wvj  für  den  Zug  gegen  Troja  während  der  Min- 
derjährigkeit des  Enkels  des  Polyneikes  gewählten  Pcneleos  und  als  König6) 
Dieser  Name  ist  entschieden  aus  der  Palästra  entnommen  und  mit  evnivrjg, 
vom  Fettschmute  der  Palästra  überzogen,  gleichbedeutend,  er  weist  daher  auf 
diese  hervorragende  Beschäftigung  und  Kunst  der  Böoter  hin7)  und  führt 
uns  in  den  Bereich  des  berühmtesten  Gymnasiums  von  Theben,  in  das  Jola- 
eion  ein,  in  welches  wir  von  Ovid,  vielleicht  schon  von  Sophokles  den  Un- 
tergang der  Niobiden  versetzt  sahen  und  dabei  das  opus  nitidae  palaestrae 
geübt8) . 


1)  Apollod.  III.  12.  6- 

2)  Paus.  IX.  10.  6. 

3)  Pseudoplutarch  de  fluv.  2. 
I)  UngerTheb.  Parad.  227  ff. 
5)  S.  oben  S.  97. 

<»)  Paus.  IX.  5.  <». 

7)  K.  F.  Hermann  Lehrh.  d.  gr.  Antiquit.  III.  §.  n.  21. 

8)  S.  oben  S.  73. 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion.  3g5 

Ein  neues  und  sehr  bedeutsames  Interesse  bietet  uns  bei  der  Unter- 
suchung derVerbindung  zwischen  der  thebanischen  Amphion-  und  der  Niobe« 
sage  die  Stellung  zu  dem  Apollocult  und  zwar  zu  seiner  von  Delos  zuerst 
und  später  von  Delphi  ausgehenden  Organisation  mit  der  Dreieinheit  von 
Apollo,  Leto  und  Artemis.  Die  Gründung  und  Anerkennung  des  Heiligthums 
des  Apollo  Ismenios,  des  Hauptgottes  von  Theben  neben  Dionysos  in 
historischer  Zeit !)  bildet  aber  in  der  Geschichte  der  apollinischen  Culte  ein 
wichtiges  Mittelglied  und  für  unsere  Frage  den  wahren  Ausgangspunkt.  Für 
Niobe  giebt  uns  die  ausgeführte  Schilderung  Ovids,  welche  wir  oben  darlegten 
und  für  die  wir  in  der  Niobe  des  Sophokles  ein  sehr  wahrscheinliches,  wenn 
auch  nicht  genau  zu  erweisendes  Vorbild  anerkannten2),  interessante  Züge. 
Da  ist  es  Manto,  die  Tochter  des  Teiresias,  die  Zukunftkundige,  deren  Seher* 
sitz  *)  zu  Pausanias  Zeit  noch  als  ein  vor  dem  Eingang  des  Ismenion  lie- 
gender Stein  gezeigt  ward,  welche  von  den  Argeiern  d.  h.  den  Epigonen 
dem  Gott  von  Delphi  geweiht  und  von  ihnen  nach  Kolophon  in  das  apolli- 
nische Heiligthum  entsendet  ward4),  die  im  Namen  Letos  zu  ihrer  und  ihrer 
Kinder  Verehrung  mit  Weihrauchspende  und  Lorbeerschmuck  „die  Ismenie* 
rinnen"  einladet.  Diese  beiden  Weisen  und  Mittel  des  Cultus  sind  bezeich- 
nend, der  Lorbeer  erinnert  speciell  an  die  feierliche  Daphnephorie  der  The- 
baner  an  den  grossen  Apollofesten,  die  in  das  Ismenion  Statt  fand5) ;  der 
Weihrauch  ist  ein  im  Dienst  des  Lichtgottes  wie  der  Aphrodite  aus  Lydien 
und  über  Kreta  und  Kypros  aus  Phönikien  eingeführter  Opferbestandtheil9), 
Dieser  neu  eingerichtete  Gottesdienst  wird  gewaltsam  von  Niobe  gestört,  aber 
die  Folge  des  Unterganges  ihrer  Familie  ist  eine  um  so  eifrigere  Veiehrung 
der  Letoiden.  Wir  haben  hierin  im  thebanischen  Sagenbereich  eine  ent- 
schiedene Parallele  zu  der  auch  zuerst  gewaltsam  zurückgewiesenen  Einfuh- 
rung des  Dionysosdienstes.  Im  Ovid 7)  ist  der  Kynthos  auf  der  Insel  Delos, 
diesem  wichtigen  Mittelpunkte  der  neuen  Entwickelung  de»  Apollokultes,  die 
Stätte  der  Berathung  zwischen  Leto,  Apollo  und  Artemis.  Wir  wollen  da- 
neben auch  nicht  vergessen,  dass  der  Kithaeron  als  specifischer  uralter 
Sitz  der  Leto  und  zwar  in  ihrer  Verbindung  mit  Zeus  genannt  wird,  dass 
sie  in  Platää  noch  besondere  Ehren  vor  der  jüngeren  Gemahlin,  der  Hera  im 
Culte  genoss  und  daher  der  Kithaeron  um  so  passender  den  Schauplatz  ihrer 


1)  Paus.  IV.  27.  4. 

2)  S.  45.  71  ff. 

3)  Manovs  ötopQos  Paus.  IX.  10.  3. 

4)  Paus.  IX.  33.  1. 

5)  K.  F.  Hermann  Lehrb.  d.  gr.  Antiquit.  II.  §  63,  28. 

6)  Mein  Zusatz  zu  K.  F.  Hermann  ebendas.  {25,  II. 

7)  Met.  VI.  205 ;  oben  S.  72. 

Stark,  Niobe.  25 


386  Drittes  Kapitel. 

Bache  und  Strafe  an  Niobe  und  deren  Kindern  darbietet1).  Dies  möchte 
auch  wohl  die  ältere  religiöse  Beziehung  sein. 

Auch  in  Amphion,  sahen  wir  oben,  war  seinem  inneren  Wesen,  wie  seiner 
Thätigkeit  nach  ein  ursprunglicher  Gegensatz  zu  der  entwickelten  Apollo- 
natur begründet.  Er  steht  in  wesentlichen  Beziehungen  ihm  gleich,  aber 
gehört  einer  älteren,  auf  die  Unmittelbarkeit  des  religiösen  Naturgefühls  be- 
gründeten Schicht  von  göttlichen,  gleichsam  herabgesetzten  Gestalten  an, 
die  sich  eben  der  Anerkennung  jener  neuen  Superiorität  nicht  fugen.  Darin 
lag  für  die  Ausbildung  seines  Mythus  die  Möglichkeit  des  Uebermaasses,  des 
Mangels  an  sittlicher  Hoheit  und  Zucht,  des  Wahnsinnes,  welcher  von  dem 
Gotte  der  Klarheit  und  geistigen  Gesundheit  ab  Strafe  den  Gegnern  gesen- 
det wird,  gleichsam  zubereitet  da. 

In  der  Minyas  *)  wird  schon  erzählt ,  dass  Amphion  im  Hades  Strafe 
leide  für  die  Worte,  die  er  selbst  gegen  Leto  und  deren  Kinder  ausgestossen 
(ärttQQiiftw)'  Wir  haben  also  hier  eine  Verschuldung  durch  Worte  von  Sei- 
ten des  Amphion  selbst,  nicht  ein  blosses  Mitdulden  der  Strafe  Niobes,  viel- 
leicht überhaupt  zunächst  gar  keine  Beziehung  zu  seinen  und  NioJ>es  Kin- 
dern, Sein  Schicksal  wird  dort  gemeinsam  mit  dem  des  Thamyras  behan- 
delt, da  in  beiden  Herausforderung  der  Götter  im  Selbstgefühl  des  Menschen, 
dort  der  Musen,  hier  des  Apollo  sich  aussprach.  Es  ist  zu  vermuthen, 
dass  auch  Amphions  Worte  mit  seiner  musikalischen  Natur  zusammenhän- 
gen, dasa  sein  Rühmen  Apollo  gegenüber  wohl  auf  die  die  Steine  bewe- 
gende Macht,  auf  die  Erfindung  der  siebensaitigen  Leier  statt  der  älteren 
vierseitigen  sich  bezogen  haben  wird.  Das  sprichwörtliche  „Thamyris  rast 
(/jaiVtrat) "  wird  auch  auf  Amphion  angewendet.  Auch  Antiope,  Amphions 
Mutter»  verfallt  der  Sage  nach  wegen  der  masslosen  Bache  an  der  bakchi- 
schen  Dirke  durch  Dionysos  Zorn  in  zum  Herumirren  treibenden  Wahnsinn*) . 
Wie  bekannt  diese  Wendung  in  der  Amphionsage  gewesen  sein  muss,  ergiebt 
des  Lukianoa*)  Zeugnis*,  welcher  unter  den  beliebten  Stoffen  des  mimischen 
Tänzers  nach  dem  Mauerbau  den  Wahnsinn  des  Mauerbauers  (ßiccvia  %ov 
%4i%07iQU>v)  und  zwar  noch  vor  der  Prahlerei  Niobes  nennt. 

Dieser  Wahnsinn  erscheint  aber  selbst  gesteigert  bis  zu  dem  unmittel- 
baren Versuche  Amphions  den  Tempel  Apollos  zu  stürmen  und  zu 


1)  uitjTu  Mv%la  oder  Nvxta  rj  opoßto/uiog  und  avvvaog  mit  Hera;  dieser  ward  voraus- 
geopfert,  dann  erst  der  Hera  Ttltta  xal  ra/uijlios.  Kithaeron  laset  die  suchende  Makris 
nicht  nahen,  w?  toi;  4iog  Ixet  rg  Aipol  awavanavofiivov  x«i  owöiaTQtßorjoe.  Binige  mein- 
ten, Leto  sei  selbst  die  Hera  vor  den  avaxalvnx^Qia.  Vgl.  Plutarch.  frgmt.  ntf>\  tüv  iv 
niav.  JtuddXw  in  Mor.  ed.  Wyttenbach  t.  V.  p.  502  ff. 

2)  Paus.  IX.  5.  4. 

3)  Paus.  IX.  17.  4. 

4)  De  sahst,  o.  41. 


Niobe  im  thebaniachen  Sagenkreis  und  Amphion.  387 

vernichten1).  Dabei,  heisst  es,  wird  er  von  Apollons  Pfeilen  getroffen, 
während  in  der  specifischen  Niobesage  kaum  seines  Schicksals  gedacht  wird 
oder  er  sich  verzweiflungsvoll  in  sein  eigenes  Schwert  stürzt  (Ovid).  Dieser 
Apollotempel  kann  zunächst  nur  das  Ismenion,  in  zweiter  Linie  der  Tempel 
von  Delphi  sein.  Amphion  tritt  dadurch  auf  eine  ganz  gleiche  Linie  mit 
dem  von  uns  bereits  erwähnten  Kaanthos  und  mit  den  Phlegyern  oder 
deren  Heroen,  Phlegyas;  Gestalten,  deren  Analogie  in  der  Bedeutung 
ihrer  Namen  klar  ausgesprochen  ist.  Kaanthos,  der  Sohn  des  Okeanos,  Bru- 
der der  Nymphe  Melia,  ausgesandt  diese  zu  suchen,  findet  Apollon  in  ihrem 
Besitz  und  kann  sie  ihm  nicht  wieder  entreissen,  da  wirft  er  den  Feuerbrand 
in  das  Ismenion,  wird  dafür  nach  thebanischer  üeberlieferung  von  den  Pfei- 
len Apollos  erlegt.  Phlegyer,  diese  Bedränger  der  Kadmeer  waren  es, 
welche  nach  Pherekydes  immer  grössere  Frevelthaten  wagten,  endlieh  den 
Apollotempel  in  Delphi  anzündeten  und  nach  des  Zeus  Rathschluss  von 
Apollo  niedergeschmettert  in  den  Tartaros  gestürzt  wurden  (xaTtrograpfti- 
xhjoav)  2) .  Die  Naturbedeutung  des  mit  der  Quelljungfrau  verbundenen,  dem 
himmlischen  Wasserstrom  entstammenden  Blitzes1),  welche  den  hellen  Licht- 
himmel in  Brand  setzt,  ist  hier  sichtbar  mit  historischen  Thatsachen  der  älte- 
sten Cultur-  und  Religionszustände  verschmolzen.  Aehnliches  ist  auch  bei 
Amphion  in  diesem  Gegensatz  zu  Apollon  zusammengeflossen. 

Haben  wir  aber  nun  Amphion  und  die  Amphionskinder  und  Niobe  auf 
thebanischem  Boden  in  speciellste  Beziehung  zu  dem  andern  Hauptgott  von 
Theben,  zu  Bakchos  zu  stellen?  Burmeister  hat  in  seiner  so  fleissigen  und 
verständigen  Schrift  über  die  Fabel  der  Niobe  den  durchaus  bakchischen 
Charakter  des  ganzen  Mythus  und  zwar  am  Sipylos  wie  in  Böotien  zu  erwei- 
sen gesucht.  Der  Kampf  des  apollinischen  und  bakchischen  Cultus  und  die 
versuchte  Ausgleichung  soll  auf  dem  Boden  von  Theben  in  ihm  speciell  dar- 
gestellt sein.  Er  fuhrt  eine  Reihe  einzelner  ganz  beachtenswerther  Punkte 
dabei  auf,  wie  den  bakchischen  Charakter  der  Dirke,  des  Kithäron,  die  Statte 
von  Eleutherä  als  Geburtstätte  von  Amphion  und  Zethos,  als  Ort  einer  *ra- 
tQiKTj  9vola,  d.  h.  also  eines  auf  ihre  Eltern,  speciell  den  Vater  und  ihre  Ge- 
burt bezüglichen  Opfers,  welches  aber  nur  für  den  ersten  Anschein  sich  leicht 
als  ein  Opfer  an  Dionysos  Eleuthereus  auffassen  lässt,  wie  die  lokale  Nähe  in 
Theben  des  Ampheion,  des  Denkmals  der  Niobiden  mit  dem  Tempel  des 
Dionysos  Lysios  und  dem  zweiten  Heiligthum  der  Semele.  Ueber  die  älteste 
religiöse  Bedeutung  das  Kithäron  haben  wir  uns  schon  ausgesprochen,  haben 
gezeigt,  wie  Antiope  einer  älteren  religiösen  Naturanschauung  angehört,  die 


1)  Hygin.  fab.  9.  10;  Mythogr.  Vat.  I.  156. 

2)  Hom.  h.  in  Apoll.  279;  Schol.  Hom.  11.  XIII.  302;  Eustath.  ad  lliad.  p.933;  Paus. 
IX.  36. 

3)  Vgl.  Schwarte  Ursprung  d.  Mytholog.  S.  131. 

25» 


388  Drittes  Kapitel. 

in  Zeus,  Hera,  Nymphen,  Hermes,  Gottheiten  des  Wassers  und  des  Sternen- 
himmels, wie  als  alter  Name  des  Kithäron  auch  Asterion  bezeugt  ist1),  ihren 
Schwerpunkt  hat,  wie  der  Dienst  des  Dionysos  von  Theben,  des  Lysios  oder 
Eleuthereus,  welcher  als  eine  neue,  unter  Ans toss  von  Aussen  erfolgende  reli- 
giöse Reform  und  Fortbildung  sich  kundgiebt,  erst  den  Kithäron  zu  seiner 
specifischen  heiligen  Stätte  umgestaltete  und  allerdings  auch  die  älteren 
dort  waltenden  Gestalten  an  sich  gleichsam  heranzog.  Auch  in  Eleutherä 
ist  die  Waldeseinsamkeit,  das  Hirtenleben  mit  Hermesdienst,  der  Fels,  die 
kalte  hochverehrte  Quelle,  der  mit  Antiope  in  Satyrgestalt  sich  verbindende 
Zeus  älter  als  der  Dienst  des  Eleuthereus.  Ja,  was  für  uns  wichtig  ist,  Eleu- 
ther  (EXev&fjQ),  der  Gründer  von  Eleutherä,  der  Stifter  des  ersten  Bildes  des 
Liber  pater*),  welches  von  dem  kleinen  Gränzort  dann  nach  Athen  über- 
geführt war,  ist  selbst  Sohn  des  Apollo  und  der  Aithusa,  der  Poseidon tochter*) 
und  steht  mit  Antiope  in  naher  verwandtschaftlicher  Beziehung ;  also  auch 
von  dieser  Seite  tritt  Apollo  in  ursprüngliche  lokale  Nähe  zu  Amphion  und 
Zethos.  Und  die  Fortpflanzung  dieses  bakchischen  Cultes  erfolgte  unter 
ausdrücklicher  Autorität  des  delphischen  Gottes4).  Selbst  der  Name  des 
mythischen  Einfuhrers  desselben  in  Athen,  Pegasos  weist  auf  die  rtrjyrj  von 
Eleutherä  und  weiter  auf  das  himmlische  Quellen  strömen  lassende  Blitz-  und 
Gewitterross  des  höchsten  Gottes  hin8). 

In  Antiope  tritt  ein  hervorragend  bakchischer  Charakter  nicht  hervor, 
wohl  aber  in  ihrer  Gegnerin  Dirke.  Die  spätere  Sage  lässt  im  Wahnsinn, 
welcher  zum  Herumirren  treibt,  den  Zorn  des  Dionysos  auf  ihr  ruhen*).  Es 
ergiebt  sich  darin  eine  interessante  Parallele  mit  denProetiden,  den  Töchtern 
des  Proetos,  welche  durch  den  Zorn  des  Dionysos,  dessen  Weihen  sie  nicht 
annahmen,  in  Raserei  versetzt,  von  Melampus  gereinigt  und  geheilt  werden7) . 
Nun  aber  spielt  ihre  Sage  vorzugsweise  in  Argos  und  Sikyon,  aber  sie  knüpft 
sich  auch  an  Theben  und  zwar  an  jenes  Thor,  in  dessen  Umgebung  wir  das 
Dionysosheiligthum  wie  die  Denkmäler  des  Amphion  und  der  Amphioniden 
fanden.  Amphion  und  Zethos,  haben  wir  gesehen,  haben  Dionysoscult  nicht 
gestiftet,  aber  den  des  Hermes.  In  ihrem  Mauerumfang  schliessen  sie  aller- 


1)  Pseudoplut.  de  fluv.  2. 

2)  Hygin.  fab.  225 :  Eleuther  primua  simulacrum  Liberi  patris  constituit  et  quemad- 
modum  coli  deberet  ostendit.  Eleutherä  wollte  daher  auch  Geburtsstätte  des  Bakchos 
sein  (Diod.  111.  66). 

3)  Apollod.  III.  10.  1  $  Paus.  IX.  20.  1. 

4)  Paus.  1.  24.  Auch  Eleuther  ward  in  Delphi  genannt  als  einer  der  ersten  Sieger 
im  musikalischen  Agon  durch  sein  y&v  xal  pfya  iftavttv  Paus.  X.  7.  2. 

5)  Paus.  I.  2.  4. 

6)  Paus.  IX.  17.  4. 

7)  Apollod.  II.  2.  2  j  Diod.  IV.  69;  Paus.  II.  7.  7;  IX.  S.  3  (von  einem  thebanischen 
Proetosj.    Vgl.  Unger  Theb.  Parad.  p.  298.  458 ff. 


Niobe  im  thebanischen  Sngenkreiß  und  Amphion.  389 

dings  das  Semelae  bustum,  damit  auch  das  jüngere  Dionysosheiligthum  ein, 
aber  es  geschieht  dies  auf  Apollos  Befehl«  Und  in  jenem  Stadttheil,  der  ihre 
und  ihrer  Kinder  Denkmale  trug,  war  vor  allen  Apollo  als  Boedromios,  war 
Artemis  Eukleia,  die  Schützerin  des  Marktes,  deren  innere  Verwandtschaft  mit 
Peitho  wir  hervorhoben1),  war  Hermes  verehrt,  also  göttliche  Gestalten,  die 
in  ihrem  Mythus  die  tiefgreifendste  Rolle  spielen.  Und  würde  es  denkbar 
sein,  dass  Amphion  als  Dionysosverehrer  in  der  Unterwelt  Strafe  litt?  Aber 
er  ist  auch  ebensowenig  Apolloverehrer,  der  mit  Niobe,  als  Repräsentantin 
des  bakchischen  Dienstes  sich  eint.  Man  muss  sich  in  der  That  hüten,  eine 
religiöse  Sphäre,  die  in  eine  andere  eingreift,  mit  ihr  ein  gemeinsames  Gräns» 
gebiet  hat,  für  wesentliche  Erklärung  von  Gestalten  zu  benutzen,  die  der 
andern  Sphäre  entschieden  angehören ,  aber  mit  ihr  auch  jenes  Gränage- 
biet  mit  berühren,  es  wird  daduich  der  richtige  Gesichtspunkt  ganz  ver- 
rückt. Für  unsere  Aufgabe  stellt  es  sich  dagegen  als  ein  interessantes  Re- 
sultat heraus,  dass  der  Mythus  von  Amphion  und  Niobe  in  Theben  für  das 
Bewusstsein  der  attischen  Zeit  und  ihrer  Dichter  in  einen  wichtigen  Wende- 
punkt der  religiösen  Umgestaltung  eintritt,  in  welchem  der  Apollocult  und 
mit  ihm  in  Beziehung  stehend,  von  ihm  zur  Anerkennung  gebracht,  der  jün* 
gere  Dionysoscult  ihren  alle  älteren  religiösen  Gedankenkreise  beherrschen- 
den Einfluss  gewonnen  haben.  Und  es  lag  dabei  in  der  bestimmten,  von  Niobe 
und  ihren  Kindern  vertretenen  Naturseite  wie  der  entwickelten  Beziehung 
zu  phrygischer  Musik  begründet,  dass  sie  künstlerisch  wie  poetisch  eine 
mehr  bakchische  Ausgestaltung  erhielten,  wie  auch  in  Theben  selbst  der 
späteren  Zeit  Dionysos  Apollo  weit  überstrahlte.  Vergessen  wir  endlich  bei 
der  religiösen  Rundschau  auf  dem  Boden  von  Theben  auch  nicht  die  uralte 
Bedeutsamkeit  des  Demeter-  und  Kor  adienstes  daselbst,  bezeugt  auf  der 
Kadmea  durch  das  Heiligthum  der  Demeter  Thesmophoros,  das  als  Wohnung 
des  Kadmos  galt2),  durch  das  Fest  der  Demeter  Achaia*),  durch  die  Auflas- 
sung Thebens  als  Brautgeschenk  von  Zeus  an  bestimmte  Wechselbeziehun- 
gen zu  Kora4). 

Können  wir.  aber  weiter  für  das  letzte  Schicksal  der  Niobe  selbst,  für 
die  im  Volksglauben  wurzelnde  Verbindung  ihres  Namens  mit  einem  Natur- 
symbol, einer  fliessenden  Quelle,  einem  wasserüberströmten  Fels  auf  dem 
Boden  Böotiens,  speciell  Thebens  und  des  Kithäron  keine  Spuren  nachwei- 
sen?   Das  scheint  nun  zunächst  nicht:   in  der  dichterisch  entwickelten  Sage 


1)  S.  obenS.  341.  Anm.  2. 

2)  Paus.  IX.  16.  3,  dazu  Eurip.  Phoen.  688 1  Sv  dimvvfioi  &al,  IleQOttfxtfHta  xal 
tfda  slttfidrriQ  &ta  navttov  avaooa,  nuvTuv  di  7«  TQO<fbg  txtyoavro. 

3)  Plut.  Is.  Os.  69. 

4)  Schol.  Eur.  Phoen.  6SS;  Poll.  1.  37.  Dazu  Preller  Demeter  S.  123,  Gerhard  gr. 
Mythol.  I.  §  4 OS.  Demeter  und  Kora  aber  greifen  hier,  wie  in  Orchomenos  und  Hermione 
es  der  Fall  war,  nicht  in  den  Niobemythus,  ein. 


390  Dritt©«  Kapitel. 

spielt,  wenn  auch  in  dem  böotischen  Theben  Niobe  als  Amphiongemahlin 
und  Mutter  lebt,  wenn  auch  dort  der  Frevel  an  Leto  und  die  Strafe  erfolgt, 
doch  der  letzte  Akt  ihres  eigenen  Schicksals  am  Sipylos;  sie  kehrt  nach 
Kleinasien  zurück  und  wird  dort  verwandelt.  So  stellte  es  Pherekydes,  so  So- 
phokles, Apollodor  und  andere  dar.  Eine  andere] Auffassungsweise  ist  es  aber, 
wenn  Ovid  die  Felserstarrung  Niobes  bereits  in  Theben  erfolgen  lässt  und 
sie  dann  nicht  durch  eigene  Kraft,  sondern  durch  einen  gewaltigen  Sturm- 
wind an  den  Sipylos  versetzt  wird1).  An  und  in  thebanischem  Boden  ge- 
bannt denken  sich  doch  auch  Seneca  und  Statius  Niobe,  wenn  sie  sie  bei 
Todtenbeschwörungen  des  Teiresias  oder  der  Manto  am  Quelle  Dirke  oder 
im  Hain  der  Hekate  erscheinen  lassen  2) .  Und  wenn  in  einem  inhaltrei- 
chen, homerischen  Scholion  des  Victorianus1)  es  heisst,  dass  andere  die 
Stadt  Sipylos  nicht  nach  Lydien  versetzen,  sondern  als  zu  Theben  gehörig 
betrachten,  da  sie  auch  dort  %a  negl  Nioßt]*,  d.  h.  doch  das  bleibende  Schick- 
sal Niobes,  ihre  Verwandelung,  ihr  Ende  kennen,  denn  dies  ist  für  Sipylos 
das  Bezeichnende,  so  ist  dies  Letztere,  was  nicht  als  Schlussfolgerung  er- 
scheint, sondern  als  begründende  T hatsache,  wichtig  genug.  Es  hat  also 
auch  an  Theben  oder  thebanischem  Gebiet  irgendwo  die  Niobegestalt  als 
bleibende  gehaftet.  Wir  werden  später  sehen,  ob  nicht  in  Sipylos  selbst, 
wie  in  Theben  eine  ideale  mythologische  Bedeutung  steckt. 

Wie  steht  es  aber  überhaupt  mit  sagenhafter  Stein  Verwandlung  in 
Böotien  und  seiner  mythologisch  verknüpften  Nachbarschaft  und  wie  zweitens 
mit  der  Bedeutung  der  Quellen?  Auch  Alkmene  hat  nach  thebanischer4), 
von  der  megarensischen8)  abweichenden  Sage  kein  Grabdenkmal,  sie  ist  aus 
einem  Mensch  zu  Stein  geworden6).  Wo,  an  welcher  Stelle  sie  gesucht 
werde,  erfahren  wir  nicht.  In  dem  böotischen  Heiligthume  der  Athena  Itonia 
galt  Iodama,  die  Priesterin,  welche  bei  Nacht  in  das  Heiligthum  getreten  war 
und  welcher  Athene  erschien,  als  durch  den  Anblick  des  Gorgonenhauptes 
versteinert 7) .  Unmittelbar  aus  der  thebanischcn  Ebene  erhebt  sich  das  Teumes- 
sosgebirge :  in  ihm  war  nach  alter,  von  den  Verfassern  der  Thebaika  berich- 
teter Sage,  der  von  Dionysos  zur  Strafe  den  Thebanern  genährte  Fuchs  und 
sein  Verfolger,  der  von  Artemis  an  Prokris  geschenkte  Hund  zu  Stein  ge- 
worden8).   Zeus,  der  LiebhaJ>er  der  schönen  Asopostochter  Aegina,  durch 


1)  S.  obenS.  75. 

2)  8.  78.  79. 

3)  Ad  II.  XXIV.  615,  s.  oben  S.  96. 

4)  Paus.  IX.  16.  14 ;  Anton.  Liberal.  Transf.  33. 

5)  Paus.  I.  41.  1. 

6)  Paus.  1.  c. :  yiv£o&ai  dl  avrrjv  tos  ani&avt  li&ov  tfaalv  /£  ay&fKonov  — . 

7)  Paus.  IX.  34.  1 ;  Forchhammer  Heilenika  8.  149. 

8)  Paus.  IX.  19.  1 5  Hesych.  s.  v.  Tev^ijoaof;  Suid.  Phot.  s.v.;  Hygin.  Poet.  Astron. 
11.  35;  Erat.  Catast.  33;  Mythogr.  Vat.  I.  22. 


Niobe  im  thebanischen  Sagenkreis  und  Amphion.  391 

Sisyphos  in  seinem  Versteck  zu  Phlius  errathen,  verwandelt  sich  selbst  iü 
einen  Fels1).  In  altattischer  Sage  wird  Aglauros,  die  Todes-  und  Winterseite 
der  Athene  selbst2),  als  priesterliche  Heroine  die  Kekropstochter,  die  sich  an 
Athene  vergangen,  und  Gegnerin  des  Hermes,  dagegen  Geliebte  des  Ares 
ist,  erst  zu  flüssigem  Eis  und  Schnee,  dann  von  tödtlicher  Kälte  durchdrun- 
gen zu  bluterstarrtem  Felsen8).  Und  der  schöne  Kithäron,  geliebt  von 
Tisiphone  wird  durch  eine  Gorgonenlocke,  die  auf  seine  Brust  fallt,  getödtet 
und  zum  Berg  erstarrt4). 

Böotien  istanQuellen  ebenso  reich,  als  diese  ihre  mythologische  Ver- 
klärung gefunden  haben;  eine  Quelle  mit  dem  Namen  der  Niobe  zu  finden  ist 
uns  bis  jetzt  nicht  gelungen,  aber  die  Wahrscheinlichkeit  einer  solchen  nur 
später  verdunkelten  Verbindung  dieses  Namens  mit  einer  Quelle  auch  in  Böotien 
ist  eine  sehr  grosse.  Die  Umgebung  des  Kopaisses  ist  überreich  an  zu  form* 
liehen  Teichen  und  kleinen  Seen  anwachsenden  Quellen;  bo  wird  uns  von 
Plinius  jene  bereits  erwähnte  Psamathe  genannt5),  welche  auch  in  deih 
Scholion  des  Nikauder6)  ausdrücklich  bezeugt  wird.  Eben  aus  Nikan- 
der,  Strabo  und  Stephanos  von  Byzanz  ergiebt  sich  eine  Quelle  Trepheia 
oderTrapheia  mit  gleichnamiger  Stadt  am  Kopaissee7)*  Die  Quelle  Tilphossa 
oder  Delphusa  bei  Haliartos8),  die  Quelle  Herkyna  am  Trophoniaion  bei 
Lebadeia,  die  Quelle  Akidalia  bei  Orchomenos 9) ,  die  Quelle  Kissussa  bei 
Haliartos10)  stehen  zu  bestimmten  Gottheiten  in  unmittelbarer  mythischer 
Beziehung.  Dass  auch  in  Alalkomenä  neben  dem  Flüsschen  Triton  ein« 
Quelle  Alalkomenia,  wie  bei  Mantinea  existirte,  fanden  wir  früher  schon  sehr 
wahrscheinlich.  Der  Quellen  am  Gebirge  Leibethra,  das  seinen  Namen  eben 
von  ihrem  Wasser  als  netzenden  Thränen  trägt,  wie  der  berühmten  am  He* 
likon  erwähnen  wir  hier  nur  im  Allgemeinen.  Die  Quelle  Gargaphie  mit  der 
Aktäonsage,  die  kalte  Felsenquelle  bei  Eleutherä  mit  der  Antiopesage  ward 


1)  Schol.  II.  I.  180.   Vgl.  auch  die  versteinerte  Schlange  von  Aulis  Hom.  II.  II.  319. 

2)  Vgl.  K.  F.Hermann  Lehrb.  d.  gr.  Antiquit.  II.  g  27.  12;  $  35.22;  mein  Znsati  iü 
§61.  3. 

3)  Ov.  Met  am.  II.  709  ff.,  dazu  Forchhammer  Hellen.  8.  107  ff.      Die  Schlnssworto 
lauten : 

saxum  jam  colla  tenebat 
Oraque  duruerant :  signumque  exangue  sedebat 
nee  lapis  albus  erat. 

4)  Leo  Bysant.  Boeoticm  bei  Paeudoplut.  fluv.  2. 

5)  Flin.  H.  N.  IV.  12,  s.  oben  S.  348. 

6)  Ther.  887  mit  Schol. 

7    Vgl.  Meineke  ad  Callim.  hymn.  1861.  p.  183. 
S)  Hom.  h.  in  Apoll.  Pyth.  67;  Paus.  IX.  33.  1. 
9;  Serv.  V.  Aen.  I.  720;  Etymol.  M.  48,  21. 
10)  Plut.  v.  Lys.  28. 


392  Drittes  Kapitel. 

früher  besprochen ,  auch  der  Name  Dirke  für  Fels  und  die  Quelle  ist  dem 
Kithäron  selbst  eigentümlich !) . 

Und  endlich  zeichnet  sich  der  Boden  Thebens  noch  heute  durch  seine 
fortdauernde,  im  Winter  überströmende  Wasserfälle  aus.  Dirke,  Ismenos, 
Melia  lernten  wir  in  ihrer  Beziehung  zur  Amphion-  und  zur  Jüngern  Niobe- 
sage  kennen ;  die  Quelle  Oedipodia  ist  mit  Oedipus  verknüpft,  in  den  älte- 
sten lokalen  Sagen  Thebens  erscheint  als  hochwichtig  die  Aresquelle  (Xqtj- 
Jiag  xqtjvt])  auch  statt  Arethusa  bei  Plinius  wohl  herzustellen*),  deren  Ver- 
hältnis« zur  Dirke,  Melia  oder  einer  anderen  im  Alterthum  selbst  später  nicht 
mehr  sicher  stand ,  das  Thor  Crenaeae  (Kf>f)vaiai  nvkai) ,  das  Nordthor 
Thebens ,  am  Ausgange  des  die  Stadt  theilenden  wasserreichen  Hohlweges 
(xoity  6S6g)  und  nahe  mehreren  hier  am  Hügelabhang  aufsprudelnden  Quel- 
len*) gelegen,  weist  auf  noch  andere,  nicht  die  sonst  berühmten  Quellen  hin. 
Wohin  gehört  die  von  Plinius  neben  einer  Psamathe,  Dirce,  Arethusa  oder 
Aretias  genannte  Epicrane  ?  Wohin  die  von  Kallimachos  mit  Dirke  vereint 
und  mit  „dem  Vater"  Ismenos  genannte  JSTQOcplt],  deren  vorgeschlagene 
Umänderung  in  Tfoqtit]  durch  diese  Umgebung  ganz  unwahrscheinlich  wird4)? 

Nach  alledem  werden  wir  kein  Bedenken  tragen  gegenüber  dieser  Fülle 
und  hoch  alterthümlichem  Charakter  der  Quellenverehrung  in  Böotien,  spe- 
ciell  in  Theben  auch  der  böotischen  Niobe,  der  Gemahlin  des  dem  Wasser 
entstiegenen  Alalkomeneus,  wie  eines  der  vom  Gebirge  im  Frühlinge  Bäche 
herabsendenden,  die  Musik  in  dem  Naturleben  in  sich  darstellenden,  Wolken- 
burgen am  Himmel  bauenden  Helden  des  Tageslichtes,  der  glücklichen,  im 
Kinderreichthum  beneideten,  aber  plötzlich  ganz  vereinsamten  Mutter  eine 
unversiegbare  Thränenquelle  am  Felsen  zuzuschreiben. 

Bei  dem  Beginne  dieser  so  schwierigen  und  verwickelten  Untersuchung 
über  die  Stellung  der  Niobesage  im  Bereiche  des  ganzen  böotischen,  wie  des 
näher  thebanischen  Mythenkreises  wiesen  wir  schon  darauf  hin,  wie  an  The- 
ben selbst  erst  nach  und  nach  alle  die  Fäden  verschieden«,  lokal  ausserhalb 
Thebens  ursprünglich  fixirter  Mythen  sich  ansetzten  und  unter  sich  mehrfach 
verknüpft  worden  sind.  Theils  die  politischen  Verhältnisse,  das  tatsäch- 
liche Uebergewicht  Thebens,  theils  und  besonders  die  Entwickelung  des  epi- 
schen Gesanges  und  der  folgenden  vom  Epos  mitbedingten  Poesie  haben 
dies  Resultat  mit  herbeigeführt.  Zwei  grosse  achäische  Sagenkreise,  der 
vom  trojanischen  Krieg  wie  der  vom  Kampf  um  Theben  treten  in  die  Mitte 


1)  Unger  Theb.  Parad.  p.  97.  Es  ist  eine  Unbegreiflichkeit,  wie  Unger  glauben  kann, 
vom  Kithäron  ströme  die  Dirke  herab,  durchmesse  quer  die  Parasopia ,  den  Asopos  selbst, 
komme  so  nach  Theben,  um  dies  dann  westlich  zu  begränsen.  Ein  rechter  Beweis,  wie  die 
blosse  Gelehrsamkeit  ohne  geographische  Anschauung  su  grossen  Irrthflmern  führt. 

2)  Unger  1.  c.  p.  106. 

3)  Bursian  Geographie  v.  Griechenland  I.  S.  227. 

4)  H.  in  Del.  76. 


Niobe  im  thebanischen  »Sagenkreis  und  Amphion.  393 

aller  poetischen  Stoffe.  Die  Niobesage  wird  ein  Bindeglied  zwischen  dem 
Pelopidenhaus  und  dem  Herrscherhaus  von  Theben.  Die  volle  Blüthe  dieses 
epischen  Gesanges  entfaltet  sich  aber  auf  der  klein  asiatischen  Küste  und 
wirkt  zurück  auf  Hellas.  In  ihm  tritt  nun  auch  für  Böotien  der  Hintergrund 
des  kleinasiatischen  Culturlandes  in  vollem  Glänze  auf.  Gestützt  auf  tat- 
sächliche religiöse  und  Culturcinwirkungen  Kleinasiens  auf  Böotien  wandelt 
man  die  altheimische,  aus  Korinth,  wie  wir  andeuteten,  an  den  Kitharon, 
nach  Theben  als  Gattin  geführte  Heroine  nun  zur  stolzen,  reichen  Fremden 
um,  die  asiatische  Herrschermacht  und  Reichthum  umgiebt. 

Aber  noch  ein  Moment  dürfen  wir  nicht  ganz  für  die  hervorragende  Be- 
deutung Thebens  in  der  Niobesage  mit  Stillschweigen  übergehen,  das  uns 
ebenfalls  am  Sipylos  entgegentritt.  Thebe,  die  böotische,  giebt  sich  in 
zahlreichen  Spuren  ältester  religiöser  Anschauung  als  eine  Art  Götterstadt 
kund,  als  einen  irdischen  Abglanz  des  Olympos  und  olympischen  Lebens,  in 
ihm  ist  die  ursprüngliche  Einheit  des  menschlichen  Lebens  mit  dem  göttlichen 
in  Mythen  verkörpert1).  Die  junge  philosophische  Ausdeutung  und  spielende 
Zahlensymbolik  hat  auf  dieser  Grundlage  nun  ganz  künstliche  Annahmen 
über  Theben  wie  die  Niobiden  erbaut.  Ob  der  Name  schon  auf  Götterberg 
etwa  hinweise,  sei  unentschieden.  Qrßtj  oder  äolisch  Trjßrj  bezeichnet  nach 
dem  Zeugnisse  des  Varro  bei  den  Böotern  Hügel,  aufsteigende  Höhen2).  Es 
gab  dort  und  zwar  bei  dem  Prötischen  Thore  eine  Geburtsstätte  des  Zeus, 
genannt  Jiog  yovai*),  sie  und  somit  Theben  ward  ausdrücklich  Inseln  der 
Seligen  (MaxaQiov  vrjoot)  genannt,  wie  auch  Lykos,  der  Amphion  und  Zethos 
die  Herrschaft  abtritt,  von  Poseidon  auf  die  Inseln  der  Seligen  verpflanzt 
wirdj4).  Dort  war  der  Name  Ladon,  die  Bezeichnung  des  heiligen  Götter- 
stromes als  der  ältere  für  den  Fluss  Ismenos  bezeugt*).  Dort  ist  die  Geburts- 
stätte der  beiden  in  den  olympischen  Götterkreis  aufgenommenen  Heroen, 
Dionysos  und  Herakles.  Die  Hochzeit  von  Kadmos  und  Harmonia  in  dem 
siebenthorigen  Theben6)  gefeiert  repräsentirt  neben  der  des  Pcleus  und 
der  Thetis  die  höchste  einem  Menschen  zu  Theil  gewordene  Seligkeit  (ß(>o- 
rußv  oXßov  VTTBQtaTOv) ;  alle  Götter  verlassen  den  Himmel  und  feiern  auf  der 


1)  Schwarte  Ursprung  der  Mythol.  S.  16  f.  Anm.  5  macht  bereits  darauf  aufmerksam. 

2)  K.  R.  III.  1 .  6  j  andere  Ableitungen  s.  Unger  Theb.  Parad.  p.  70  ff.  Nach  Hesych. 
ist  &ijßa  xißtouov. 

3)  Schol.  Hom.  II.  XIII  1 :  die  Thebaner  überführen  die  Gebeine  des  Hektor  ttg  rov 
7i ttQ*  avroTg  xaXovfj.lv ov  ronov  4tb$  yovas. 

4}  Tzetz.  ad  Lycophr.  1194:  aW  tial  Mnxngcav  vrjooi  tontQ  rbv  'ctQtOTov  Zrjva  dttuv 
ßnaiXrja  Pin  rixt  t^cP  in  x<*>Q<p;  Apollodor  III.  10.  I. 

5)  Paus.  IX.  10.  6;  vgl.  dazu  Preller  gr.  Mythol.  I.  S.  349  und  die  schöne  Auseinan- 
dersetzung von  Bergk  Geburt  der  Athene  etc.  in  NIbb.  f.  Philol.  u.  Pftdag.  1860.  Bd.  81. 
S.  518. 

6)  Dies  betont  Pindar  sichtlioh  Pyth.  III.  90. 


394  Dritten  Kapitel. 

Kadmeia  die  Hochzeit,  die  Musen  singen  das  Hochzeitlied !).  Also  in  der 
That  ein  Götterhimmel  auf  Erden !  Dort  wird  auch  wie  Ogygos ,  der  Ur- 
mensch, der  Altvater  des  menschlichen  Geschlechtes,  so  auch  Niobe,  die 
älteste  von  Zeus  geliebte  Sterbliche ,  die  Eva  der  mit  den  Göttern  in  Ver- 
bindung stehenden,  göttlichen  Anspruch  in  sich  tragenden  Menschheit,  ihre 
Stätte  gefunden  haben. 

Die  Siebenzahl  der  Thore  steht  aber,  seitdem  sie  feste  Ueberlieferung 
ward,  mit  der  Bedeutung  der  Siebenzahl  überhaupt  im  Apollodienst,  speciell 
mit  den  musikalischen  Grundzahlen  des  griechischen  Saiteninstruments  und 
mit  den  entsprechenden,  von  Pythagoras  aufgestellten  Verhältnissen  der  Him- 
melskörper in  naher  Beziehung.  Aristoteles2)  fuhrt  schon  im  Kampfe  gegen 
die  pythagorische  Zahlenlehre  an,  wie  nach  ihr  im  Wesen  zusammenfallen 
müssten  die  sieben  Vokale,  die  sieben  Saiten,  Harmonien,  Plejaden,  die 
sieben  Zähne  und  die  Sieben  gegen  Theben.  Die  sieben  Saiten  des  Hep- 
tachords ,  welches  Amphion  also  zuerst  gespielt  auf  Erden  und  damit  die 
Steine  zu  Mauern  gefugt,  entsprechen  nun  den  sieben  sich  bewegenden  Him- 
melskörpern, Planeten,  Sonnen  und  Monde8).  Nonnos  fuhrt  nun  förmlich 
das  Bild  des  siebenzonigen  Olympos  an  Theben  durch  und  weist  jedem  Pla- 
neten, Sonne  und  Mond  mit  Geschick  sein  Thor  zu4).  Natürlich  sind  nun 
auch  die  sieben  Niobidenpaare,  wie  mit  den  Thoren  Thebens  und  Saiten 
Amphions,  so  mit  den  sieben  Himmelszonen  in  Beziehung  gekommen,  wobei 
jeder  begründete  Zusammenhang  mit  dem  Mythus  selbst  aufgehört  hat. 

Ehe  wir  den  Boden  von  Hellas  selbst  für  den  Mythus  der  Niobe  mit 
Theben  verlassen,  sei  es  uns  gestattet  noch  an  Athen  und  an  Thessalien 
und  zwar  an  Phthia,  an  das'ldQyog  Jlelaoyixöv  mit  der  Halbinsel  Magnesia 
mit  ein  Paar  Worten  zu  erinnern.  Wie  der  Niobemythus  aus  dem  südlichen 
Böotien,  aus  dem  Asoposthal,  von  dem  Kithäron  in  das  angrenzende,  der 
Bevölkerung  nach  und  politisch  nahe  verbundene  Nachbarland  seine  Banken 
getrieben  haben  wird,  liegt  auf  der  Hand.  Die  Itys-  oder  Ity lossage,  die  wir 
mit  der  thebanischen  Niobesage  so  eng  verknüpft  sahen ,  hat  ja  in  Attika 
ebenso  sehr  ihre  Heimath,  wie  in  Böotien.  Und  fanden  wir  nicht  früher 
schon  eine  sichtliche  Beziehung  zwischen  der  Niobidendarstellung  in  jener 
Giotte  über  dem  Theater  mit  dem  Apollo  Parnopios  darüber,  auf  der  Akro- 
polis,  d.  h.  jenem  in  Kleinasien  verehrten,  auf  das  Leben  und  Gedeihen  der 
Erde  und  ihrer  Kinder,  der  Pflanzen  so  einflussreichen  Sommergott,  wie  dem 
Dionysosheilig thum?  Und  dort  in  Phthiotis  begegnet  uns  ein  Thebae, 
wie  in  Böotien,  dort  knüpft  eine  Fülle  gemeinsamer  Sagen  von  Argos,  Meli- 

1)  Apollod.  III.  4.  2:   xal  navres  &tol  xataXinovxts  tov  ovQavbv  iv  rjj  Kaifutif  tbr 
ytipov  ivmxQVfiWo  t  Ävupvtjaav. 

2)  Metaphya.  XIII.  6. 

3    Stellen  bei  Unger  Theb.  Parad.  p.  340  ff. 

4)  Dionya.  V.  63.  87;  VIII.  52 ;  XL  VI.  67,  daiu  Köhler  Dionya.  S.  16. 


•  Kleinasiatische  Statten  der  Niobesage  überhaupt.  395 

boia,  Homole  u.  a.  an,  die  in  Böotien,  wie  in  der  Peloponnes  uns  in  Bezie- 
hung zu  Niobe  beschäftigt  haben.  Dass  gerade  Achill,  dieser  ächte  Sohn  der 
thessalischen  Achaia,  dem  Priamos  Niobe  als  tröstendes  Heispiel  vorführt, 
haben  wir  früher  schon  als  beachtenswerth  hervorgehoben,  als  einen  Beweis, 
wie  ihm  diese  Gestalt  und  zwar  nicht  als  etwas  Fremdartiges  im  Bewusstsein 
war1).  Der  Stellung  von  Magnesia  endlich  am  Sipylos  zum  thessalischen 
Magnesia  haben  wir  weiter  unten  zu  gedenken. 

§  26. 
Kleinasiatische  Statten  der  Niobesage  überhaupt    Die  Kiliker  und  Theben  am 

Idagebirg. 

Man  hat  sich  bis  in  die  neueste  Zeit*)  begnügt,  im  Hermosthaie  Lydiens 
an  dem  Nordabhange  des  Sipylos,  bei  Magnesia  die  Ileimathstätte  der  Niobe 
anzunehmen  und  je  nach  der  Verschiedenheit  der  Ansichten  von  der  ältesten 
Bevölkerung  daselbst  und  je  nach  der  Neigung  Griechisches  aus  griechischem 
Wesen  oder  um  jeden  Preis  aus  fremdem  abzuleiten,  sie  für  phrygisch,  lydisch 
oder  für  urgriechisch,  überwiegend  für  das  Erstere  erklärt.  Unsere  bisheri- 
gen Untersuchungen  haben  uns  nun  Niobe  an  den  ältesten  und  wichtigsten 
Culturstätten  von  Hellas,  selbst  vor  allem  in  Argolis  und  Böotien  und  zwar 
in  der  Mitte  der  ältesten  griechischen  Mythenkreise  und  mit  diesen  durchaus 
analogen  und  hochalterthümlichen  Zügen  aufgewiesen.  Wir  haben  dabei 
allerdings  einige  Fäden  auch  aufgefunden,  in  Argos,  wie  in  Olympia  und  in 
Theben,  die  hinüberleiten  an  die  kleinasiatische  Küste  und  an  den  dortigen 
Kultur-  und  religiösen  Kreis  anknüpfen.  Wir  werden  aber  auch  hier  zunächst 
eine  Rundschau  zu  halten  haben  und  nicht  von  dem  Gedanken  ausgehen, 
als  ob  nur  an  einem  einzigen  Punkt  ein  so  hochbedeutsamer  Mythus  festhafte, 
sondern  vielmehr,  dass  er  in  erweislich  denselben  oder  einander  nahe  ver- 
wandten Volkskreisen,  unter  ähnlichen  Naturbedingungen  und  unter  dersel- 
ben religiösen  Entwickelung  mehrfach  zu  Tage  treten  wird.  Es  ist  damit 
sehr  wohl  vereinbar,  dass  schliesslich  Ein  Lokal  unter  besonders  wirksamen 
Natur-  wie  geschichtlichen  Verhältnissen  und  unter  dem  Einflüsse  der  das- 
selbe in  das  Licht  stellenden  epischen  Poesie  zur  eigentlichen  Heimath  des 
Mythus  gemacht  wird. 

Aeschylos  giebt  uns  in  den  Fragmenten  seiner  Niobe  eine  interessante 
geographische  Bezeichnung  der  Heimathstätte  des  Tantalos  und  der  Niobe 
noch  mitten  aus  der  Fülle  der  älteren   mythologischen  Anschauung.     Und 


1)  S.  oben  S.  28.    Zu  dortigen  Sagen  vgl.  Kretschmann  Her.  Magnes.  spec.  p.  23 — 35. 

2)  Auch  Welcker,  sehe  ich  so  eben ,  hat  in  dem  neuesten  Heft  seiner  griechischen 
Götterlehre  (Bd.  III),  wo  er  S.  124—129  von  Niobe  handelt,  durchaus  Sipylos  in  Lydien 
als  Heimath  gefasst  und  sie  erst  von  da  in  die  Sagen  von  Böotien  und  Peloponnes  abertra- 
gen sein  lassen. 


396  Dritten  Kapitel. 

auf  der  andern  Seite  wird  das  jüngste  Glied  in  der  Reihe  der  Dichter,  Non- 
nos  durch  seine  lokale  Auffassung  der  Niobe  wichtig.  Dazu  kommt  eine 
schon  von  uns  hervorgehobene  Stelle  des  Athenagoras,  welche  im  Zusammen- 
hang mit  den  andern  ihre  volle  Bedeutung  erhält.  Aeschylos  spricht  von 
„Sipylos  im  Idäischen  Lande"  (Idaiav  ava  x&6va,x);  einAusdruck, 
den  Sophokles  in  seiner  Polyxena2)  auch  auf  den  mysischen  Olympos  aber  in 
Bezug  auf  Troja,  der  allgemeine  Sprachgebrauch  für  Troas  selbst  auwendet. 
An  einer  zweiten  Stelle,  deren  wir  früher  gedachten3),  ist  es  das  Tantalos- 
geschlecht,  das  dem  Zeus  nahe,  welchem  auf  I  da  is  eher  Höhe  (xorr'  'Idalov 
7rayov)  der  Altar  ihres  Stammvaters  Zeus  gehört.  Und  an  der  dritten4)  erhal- 
ten wir  die  ausgefuhrtere  Schilderung  des  Landbesitzes  von  Tantalos :  es  ist 
das  Ackerland  in  der  Ebene  und  die  Weiden  am  Gebirge,  jenes  wird  als 
berekynthißches  Land  um  den  Sitz,  d.  h.  die  heilige  Wohnstätte  der  A d ra- 
st ea  bezeichnet,  es  erstreckt  sich  zwölf  Tagereisen  weit,  also  in  sehr  weiter 
Ausdehnung,  dieser  Berg  als  der  Ida  Nun  aber  begreift  der  Name  Adra- 
steia  oder  Jiiqain&iag  nedlov  das  fruchtbare  Gelände  unter  den  weitverzweig- 
ten Nordabhängen  des  Ida  am  Hellespont  und  der  Fropontis,  welches  vom 
Granikos  durchströmt  wird  und  bis  zum  Aisepos  und  darüber  hinaus  sich 
erstreckt;  das  dort  uralte  Heiligthum  der  Nemesis  oder  Adrasteia,  welches 
Adrastos  gestiftet  haben  sollte,  war  später  verschollen  oder  von  dem  der  be- 
rühmten, die  Ebene  grossentheils  beherrschenden  Nachbarstadt  Kyzikos  ganz 
überstrahlt,  wie  auch  eine  alte  Orakelstätte  des  Apollo,  wie  Heiligthum  der 
Artemis  später  geschwunden,  der  Dienst  des  Apollo  nach  Parion  verpflanzt 
war.  Eine  bestimmtere  Lokalität  kannte  Strabo  unter  BtQ&ivvta  %u>qov  nicht, 
während  Xanthos  Lydios  Berekyntos  und  die  Landschaft  Askania8),  welche 
an  dem  See  Askania  zwischen  der  Propontis  und  Sangarios  liegt,  verband, 
Plinius')  uns  einen  Berecynthius  tractus  im  nördlichen  Karien  bei  Tralles 
nennt,  Stephanos  von  Byzanz  einer  phrygischen  Stadt  BeQexvg  erwähnt. 
Deimling 7)  macht  mit  Recht,  besonders  auf  Hesychios  gestützt,  darauf  auf- 
merksam, dass  der  Name  überhaupt  nicht  einer  einzelnen  Lokalität  oder 
einem  Zweige  der  Phryger  angehöre,  sondern  den  Phrygern  überhaupt  aber 
in  ihrer  Beziehung  als  Dienern  der  Bergmutter,  der  Kybele.  Aeschylos 
braucht  diese  Bezeichnung  für  die  Ebene  Adrasteia  vom  Standpunkte  seiner 


1)  Strabo  XII.  S.  20,  Tragg.  gr.  frgmta  ed.  Nauck  p.  41.  n.  15S. 

2)  Strabo  X.  3.  14,  Tragg.  gr.  frgmta  ed.  Nauck  p.  195.  n.  477 : 

fft'cf  avd-t  [itfivtav  nov  xttt  *Itfte{av  %&6v« 
no(fivag  'Olvpnou  avvayaytov  &vr\nolti. 

3)  S.  39  mit  Anm.  3. 

4)  S  40.  Anm.  1. 

«* )  Strabo  XIV.  5.  28 :  ix  Bcqixuvtuv  xal  *Aaxav(aq. 

6)  H.  N.  V.  29  j   XVI.  2S. 

7)  Die  Leleger  S.  79. 


Kleinasiatische  Stätten  der  Niobesage  überhaupt.  397 

Zeit;  in  der  homerischen  Zeit  ist  sie  noch  von  Troern  und  Lykiern  bewohnt, 
aber  später  bei  dem  gewaltigen  Vordringen  des  phrygischen  Stammes  nahe 
zur  Westküste  Kleinasiens ') ,  kam  sie  ganz  in  die  Hände  der  Pliryger  und 
erhielt  den  specifischen  Namen  der  Phrygia  am  Hellespont. 

Adrasteia  aber  steht,  soweit  sie  in  ihrer  Besonderheit  von  der  auf 
ihren  Cult  mit  dem  Vordringen  des  phrygischen  Volkselementes  übermächtig 
einwirkenden  Kybele  nachzuweisen  ist,  zum  Zeuskult  und  zwar  zu  dem 
idäischen  in  engster  Beziehung,  sie  ist  Schwester  der  Ide,  Tochter  des 
Melisseus,  selbst  eine  Melissa,  eine  nährende  Bergnymphe,  die  das  Zeuskind 
wartet  und  nährt  mit  der  Milch  der  Amalthea,  ihm  den  Ball  zum  Spielzeug 
fertigt2).  Im  Hintergrund  liegt  allerdings,  dass  sie  eine  der  das  Leben  be- 
stimmenden Schicksalsgöttinnen  ist,  besonders  bedeutsam  bei  Geburt  und 
Werden  des  Herrn  der  Welt.  Sie  gehört  ebensowohl  nach  Kreta  an  den  Ida 
wie  an  den  Ida  der  troischen  Landschaft. 

Tantalos  gehören  neben  dem  weiten  Blachfelde  der  Adrasteiaebene  aber 
auch  die  Triften  am  Ida.  Das  Hirtenleben  auf  den  vielen  wasserreichen  Ab- 
hängen des  von  Strabo  mit  einem  Vielfussler  verglichenen  Idagebirges  er- 
scheint im  Alterthum  durchaus  als  das  Ideal  alles  Hirtenlebens :  Paris,  An- 
chises,  Ganymed  sind  dafür  Beweise ;  Euripides  schildert  uns  die  in  Schlaf 
wiegende  Musik  der  Syringen  von  den  Hirten  am  Ida8).  Auf  dem  Gipfel  des 
Ida,  diesem  Sitze  des  Zeus  in  der  Dias,  dieser  Stätte  seiner  heiligen  Hochzeit 
mit  Hera4),  da  wird  uns  in  Homer  ausdrücklich  ein  Heiligthum  und  ein 
opferreicher  Altar  des  Zeus  bezeugt5).  Noch  heute  sind  die  Spuren  einer 
heiligen  Strasse  auf  dem  Gipfel,  noch  kyklopische  Substructionsmauern  der 
künstlich  geebneten  Area  auf  diesem  Gipfel  nachweisbar8).  Die  ausgezeich- 
nete Stellung  eines  Priesters  des  Zeus  Idaeos  bei  den  Troern  ist  uns  im 
Homer  bezeugt7). 

Nach  alledem  werden  wir,  wenn  wir  auch  die  Worte  des  Aeschylos  nichts 
weniger  als  ängstlich  nach  der  heutigen  oder  nach  der  damaligen  Geographie 
auffassen,  vielmehr  den  idealen,  göttlichen  Hintergrund  des  Mythus  immer 
in  Betracht  ziehen,  wenn  wir  auch  die  Bezeichnung  des  Ida  bei  den  Dichtern 
sehr  weit  gefasst  sehen8),  Tantalos  und  Niobe  zu  dem  troischen  Ida,  zu  dem 


1)  Strabo  X.  3.  22. 

2)  Apollod.  I.  1.  6;  Apollon.  Rhod.  Argon.  III.  131 ;  Kallim.  H.  in  Jov.  47  ff. 

3)  Bhes.  540  ff. 

4)  IL  XIV.  292  ff. 

5)  II.  VIII.  47  : 

V/Jijv  tf*  Txavfv  noXvnlöaxa  pTjTfya  &ijq<ov 

raQyttQov,  tv&a  r£  ol  xifitvog  ßatfiog  re  &vrjetg. 

6)  Klausen  Aeneas  u.  die  Penaten.  I.  S.  178.  557. 

7)  11.  XII.  605. 

8)  So  l&83t  Bakchylides  Kaikos  noch  vom  Ida  entspringen ,  Euripides  den  Marsyas 
Kelänä  bewohnen  ia/arots^iStig  ronoig  Strabo  XIII.  2.  70. 


y 


398  Drittes  Kapitel. 

Altai  des  Zeus  auf  seiner  Spitze,  als  ihres  nazQyos,  in  unmittelbare  Beziehung 
stellen.  Ja  wir  dürfen  uns  auch  nicht  scheuen,  Sipylos,  die  Heimathstadt 
derselben  in  der  Auffassung  des  Aeschylos  in  den  Bereich  des  Idäischen 
Berglandes  zu  ziehen.  Daran  erinnern  will  ich  auch,  dass  unter  den  Namen 
y  der  Niobiden  uns  ein  Ilioneus1)  begegnet,  welcher  unmittelbar  auf  Ilion, 
als  Heimath  hinweist.  In  der  Ilias  begegnet  uns  ein  junger  Troer  Ilioneus, 
Sohn  des  reichen,  von  Hermes  geliebten  Phorbas2). 

Nun  aber  treten  uns  gerade  da  selbst  für  den  Niobemythus  höchst  inter- 
essante ethnographische  und  religiöse  Verhältnisse  und  wichtige  Namen  auf. 
In  der  homerischen  Welt  lernen  wir  hier  neben  den  Troern,  mit  denen  der 
jüngere  Namen  Teukrer  identisch  ist,  die  Dardaner  kennen,  die  zunächst 
zusammengehören,  aber  gleichsam  als  zwei  mit  dem  Körper  verbundene,  von 
einander  ihr  Antlitz  abwendende,  nach  Asien  diese,  nach  Europa  jene  ge- 
richtete Individuen  sich  darstellen3) ;  es  sind  diese  die  ältere,  im  weiteren 
Sinn  urgriechische  oder  pelasgische,  mit  Phrygern  stark  sich  mischende,  in 
das  Gebirge  mehr  zurückgedrängte  Bevölkerung,  während  in  Troern  oder 
Teukrern  die  Einwirkung  von  der  See  aus  und  zwar  von  dem  kretisch-lyki- 
schen  Stamme,  der  von  Kreta  aus  eine  sehr  weitgreifende  Wirkung  auf  die 
kleinasiatischc  Küste  geübt  hat,  auf  dieselbe  Urbevölkerung  nicht  allein  aus- 
drücklich bezeugt  wird,  sondern  im  Namen  und  besonders  Culten,  vor  allen 
dem  des  lykischen  Apollo  noch  später  lebendig  ist.  Wie  diese  Zuwanderung 
bei  Hamaxitos  und  dem  späteren  berühmten  Smintheion  des  Apollo  nahe  der 
in  die  See  weitragenden  Landspitze  des  Lekton,  in  dem  angränzenden  Ge- 
biet von  Larissa  uns  von  Kallinos  und  vielen  andern  bezeugt  wird4),  wie  sie 
auf  Ilion  selbst  entschieden  gewirkt  hat,  so  kennen  wir  aus  Homer  am  Nord- 
fusse  des  Ida  eben  in  jener  Ebene  Adrasteia  ein  Sminthion5),  angränzend 
ferner  bei  Zeleia  ein  Lykien6;  mit  einem  Heiligthume  desselben  Apollo, 


1)  S.  oben  S.  96. 

2)  Hom.  IL  XIV.  469  ff.  501. 

3)  Die  Darstellung  von  Deimling  Lel«ger  S.  87 — 95,  wonach  die  Dardaner  ein  griechi- 
scher Stamm,  die  Troer  ein  phrygischer  war,  ist  durchaus  falsch  und  widerspricht  allen 
ältesten  Zeugnissen  seit  Kallinos,  wie  der  religiösen  und  geschichtlichen  Stellung  beider. 

4)  Strabo  XIII.  1. 48 1  roig  yag  ix  rrje  Apij'f  ijf  aifiiypivoig  Tivxqoic  (otfc  ngÜToe  nttQtfto- 
xtv  KaXXlvoQ  6  T»jf  iXeyetas  noiTjTrtf,  rjxolov&iioay  Jk  nollol)  XQ^h0^  Vv  auto&i  nmiyCaofrai 
Trp>  fiovrjv  onov  av  ol  ytiyevttg  avroig  int&tSvrai  xrl. 

5)  Strabo  XIII.  I.  4S:  xnl  iv  rjj  ITaQtnvy  6*  lorl  xta^lov  xa  Sptv&ta  xal*vptvov; 
ebendas.  XIII.  1.  13.  Dort  ist  Merops  der  treffliche  pdvxis,  der  Vater  von  Amphion  und 
Admetos  zu  Hause.  II.  II.  830 — 35. 

6)  Hom.  II.  II.  824  mit  Schol. :  tav  rriv  plv  x^Qar  xaXft  AvxCav,  tovg  dk  o/xijropac 
Trakts'  V.  103  mit  Schol.:  ort  rj  vno  TjVtfj  AvxCa  to  nalaibv  ZiXtiu  IxaUtro  Sta  io  xov 
*AnoHmra  h  avrij  liav  tvaeßfTa&at, 


Kleinasiatische  Stätten  der  Niobesage  überhaupt.  390 

des  Apollo  ^VHtjyevrjg1),  seinem  Helden  Pandaros  und  den  Troern  als  Be- 
wohnern. 

In  unmittelbarer  Nähe  des  Gargaron,  der  Idaspitze  aber,  an  seinem  gan- 
zen Südabhange  begegnen  uns  drei,  ja  vier  wichtige  Stammnamen  nahe  bei- 
sammen, nämlich  Kilik  er,  Leleger  mit  Kaukonen2)  und  Pelasger. 
Die  Mittelpunkte  ihrer  Macht  waren  Thebe  und  Lyrnessos*)  für  die  ersten, 
Pedasos4)  für  die  Leleger,  Antandros*),  weiter  Larissa*)  für  die  dritten.  Sie 
stehen  in  enger  Wechselwirkung  mit  einander  und  in  den  Genealogien  gehen 
sie  in  einander  über.  Bei  ihnen  allen  ist  ein  gemeinsamer,  von  den  speci- 
fisch  kleinasiatischen  Stämmen  verschiedener,  urgriechischer  Bestandtheil, 
bei  allen  die  von  Aussen,  über  die  See  gekommene  religiöse  Cultur  mit  dein 
Dienste  des  Apollo  und  der  Artemis  unverkennbar. 

In  besonderer  Blüthe  erscheinen  unter  ihnen  die  Kilik  er,  die  die  herr- 
liche, noch  heute  wie  ein  prächtiger  Garten  erscheinende ,  reichbewässerte 
Ebene  von  Adramyttion  oder  das  Thebegefild  hart  am  Südrand  des  östlichen 
Ida,  des  Piakos  bewohnten.  Da  lag  die  zu  Strabos  Zeit7)  ganz  zerstörte 
Stadt  Thebe  Hypoplakie,  die  hoch  thorige,  ummauerte,  heilige  Stadt  des 
Eetion8].  Thebe  selbst  wird  bald  als  Tochter  des  Kilix  genannt8),  bald  die 
Tochter  eines  Pelasgers  Granikos,  Adrameus  oder  Adramystes,  des  Gründers 
von  Adramyttion  und  als  Preis  im  gymnischen  Wettkampfe  von  Herakles  ge- 
wonnen, welcher  dann  die  Stadt  Thebe  gegründet  habe 10) .  Also  auch  hier 
ist  die  Heraklesgestalrmit  Thebe  wie  in  Böotien  verbunden.  Endlich  begeg- 
net uns  auch  hier  eine  Ebene  Apia11).,  also  ein  Name,  der  der  Urzeit  der 
Peloponnesos  angehört  und  den  wir  in  Argos  mit  Niobe  in  specieller  Verbin- 
dung fanden. 


1)  11.  IV.  119.    Zeleia  ist  eine  Uqij. 

2)  11.  X.  429;  dazu  Strabo  XII.  S.  4  und  Deimling  Leleger  S.  95  ff. 

3)  Hom.  II.  11.  69  ;  XIX.  60  ;  XX.  92.  191.  Strabo  X11I.  1.  7:  ij  rifr  KiXtxuv  Jittj/, 
ff  fih  OTjßatxr),  ff  <J£  stvQvyooCs. 

4)  Hom.  II.  XXI.  84;  XXII.  51.  Die  Gegend  von  Assos,  Gargaris,  Andeira,  Pioniai 
1  elegisch.  Strabo  XIII.  1.  55. 

5)  Herod.  Vll.  42 :  "Avtov&qov  tiiv  Iltkaoytöa. 

6)  Schol.  Hom.  II.  XVII.  301  ;  Strabo  IX.  5.  19;  XIII.  1.  47. 

7)  Strabo  XIII.  161 :  Ivtav&a  yttQ  xal  r\  &nßi  xal  ri  AvQvrjaaog  tyvprov  xmqlov  •  tQifftot 
<T  a/LHfoTtQai.  Auch  Schol  11.  I.  366  :  Syjßtj  /(OQtoy  tyifuoy.  Pliniut  H.  N.  V.  30.  32  rech- 
net sie  su  den  Städten,  die  interiere.  Vgl.  Mela  I.  18.  2,  Steph.  Bys.  s.  v.,  Virg.  Aen.  IX. 
697  mit  Servius. 

8)  11.  I.  366;  II.  691  ;  VI.  396,  416,  425,  Schol.  ad  Xlll.  172;  XXII.  479.  Ein  Troer 
&lßa7osl\.  VIII.  120.   Stellen  der  Lexikographen  etc.  bei  Unger  Theb.  Farad,  p.  74—76. 

9)  Diod.  V.  49. 

10)  Dikaearch  bei  Schol.  11.  VI.  396.  Interessant  die  Notiz,  dass  in  Adramyttion  neben 
anderen  Ortschaften  auch  die  Cilioes  Mandacadeni  in  Troas  ihre  Geschäfte  machen,  neben 
die  Pionitae  aus  Gargara  gestellt.  Plin.  N.  n.  V.  32. 

11)  'Anlag  nitov,  o  vniQxujat  iv  t$|  fitaayata  xov  O^ßtjg  mdCov  Strabo  XIII.  I,  70. 


400  Dritte«  Kapitel. 

Die  Ebeue  von  Thebe  war  bald  ein  Streitapfel  der  vordringenden  Myser 
aus  Teuthrania  und  der  Lyder  oder  eigentlich  Maeoner,  später  der  Aeoler1), 
die  enteren  haben  sie  beherrscht,  daher  Teuthras  auch  König  der  Kiliker 
genannt  wird  und  durch  sie  ist  der  phrygische  Dienst  der  Kybele  in  diesem 
Gefilde  wie  dann  auf  der  Spitze  des  Ida  zur  Herrschaft  gekommen,  wo  er 
mit  dem  Dienst  der  alteinheimischen  Mater  Idaea2),  wohl  zuerst  einer  näh 
renden  Nymphe  des  Berges,  der  Ide,  dieser  Mutter  der  Thiere  und  auch  mit 
der  Zeusgemahlin  Hera  verschmolz.'  So  kennt  man  in  jüngerer  Zeit  auf  dem 
Ida  ein  Doppelheiligthum  von  Zeus  und  der  Göttermutter s)  und  Thebe  wird 
Gemahlin  des  Korybas,  des  Einfuhrers  des  Dienstes  der  Göttermutter4). 

Für  uns  entsteht  nun  die  einfache  Frage,  haben  wir  für  die  kleinasiati- 
sche Lokalisirung  der  Niobe  und  ihres  Geschlechtes  ausdrücklich  in  dem 
Aeschyleischen  Drama  die  Beziehung  zur  Landschaft  von  Troas,  speciell  zu 
dem  Adrasteagefilde  und  zum  Ida ,  zu  dem  Zeusheiligthum  auf  demselben, 
zeigt  sie  sich  hier  im  Bereich  urgriechischer,  unter  kretisch-lykischem  Ein- 
flüsse stehender  Bevölkerung,  ist  da  nicht  auch  die  Thebe  der  Niobe  von 
Sipylos  einfach  zunächst  in  jener  Thebe  Hypoplakie  der  Kiliker  zu 
suchen.'  Wir  haben  also  hier  uralten  Zeuskult,  daneben  den  Gült  einer  müt- 
terlichen Gottheit,  wir  haben  ausdrücklich  Nymphencult  in  reichster  Weise 
mit  der  Quellenfulle  am  Ida,  zugleich  mit  Silenen  und  Hermes  bezeugt5), 
wir  haben  endlich  andererseits  an  der  Küste  im  Bereiche  der  Thebe  die  hoch- 
berühmten Stätten  des  Apollodienstes  in  Chryse  und'  in  Killa,  und  zwar  als 
des  bogenschiessenden,  vernichtenden,  zu  versöhnenden  lykischen,  mit  Leto 
und  Artemis  verehrten6]  Apollo,  als  des  die  sommerliche  Landplage  der 
Mäuse  sendenden  und  davon  befreienden,  Orakel  durch  die  Neokoros  Sibylla7) 
gebenden  Smintheus,  als  des  in  der  Wärme  zeugenden,  durch  Eselopfer  wie 


1)  Strabo  XIII.  1.61 :  Otjßrjg  ntMut,  o  dt«  rrfv  aQtrijv  ntQtj^äxfjtov  ytvta&at  ifaol  Mv- 
oole  fth  xalAvöois  rotg  nQoreQov,  rotg  cT  "EXXrjotv  vOTfqor  rotg  inotxqaaatr  ix  rijg  AloM&og 
Mal  rijg  Aiaßov. 

2)  Gerhard  gr.  Mythol.  I.  1*10.  2;  141  scheidet  sie  mit  Recht  zuerst  ab  von  den  ver- 
wandten Gestalten. 

3)  Pseudoplut.  fluv.  13.  3:  r«Qy«Qov  onov  dtbg  *a\  MtjTgbe  #<o>>'  ßtopol  xvyxavovatv, 
Inschrift  vielleicht  auch  auf  Khea  bezüglich  bei  Clark e,  Trav.II.  1.  p.  12b,  Klausen  Aeneas 
etc.  I.  S.  1 28  ff.  Die  mit  Apollo  Smintheus  und  Asklepios  daselbst  verehrten  Mo^vvtTxm 
wahrscheinlich  Korybanten  von  Mosyna  Böckh  C.  1.  n.  3577. 

4)  Diod.  V.  49.  Auf  Dardan  os,  Sohn  des  Idaios  führte  man  auch  später  die  Grün- 
dung des  Heiligthums  der  Göttermutter  auf  dem  Ida  und  seine  Weihen  zurück  (Dion. 
Halic.  I.  61). 

5)  Man  vergleiche  bes.  Hom.  h.  in  Ven.  9$ ff.,  254 ff.,  285.  Die  QQtla  pttrrjQ  &tt»v, 
kommt  zu  xunro&Qififiovag  'Iduiäv  Nuftifäv  anonlaq  (Eur.  Hei.  1321  ff.). 

6)  Hesych.  s.  v.  jiuxaiov, 

7)  Paus.  X.  12.  3. 


Kleinasiatische  Statten  der  Niobesage  überhaupt.  401 

von  den  Hyperboreern  geehrten  Heerdengottcs  Apollo  Killaeos1),  endlich  wir 
haben  daneben  ausdrücklich  Dienst  der  Artemis  in  Thebe  selbst,  wie  unmit- 
telbar dabei  in  Astyra2;.  Und  dass  Leto  mit  Apollo  Smintheus  in  engster 
Beziehung  steht,  ergiebt  sich  daraus,  dass  ihre  Verwandlung  in  eine  Spitz- 
maus, das  Symbol  des  Smintheus,  bezeugt  ist  *) . 

Das  Schicksal  des  Königshauses  von  dieser  Thebe4)  erinnert  auffallend 
an  das  der  Niobe.  Der  Vater  der  Andromache,  Ection,  wird  von  Achill  ge- 
tödtet,  ihm  ein  Grabmal  errichtet,  um  das  die  Jtergnyinphen,  diese  Töchter 
des  Zeus,  Ulmen  gepflanzt  haben.  An  Einem  Tage  fallen  allen  sieben  Söhne 
des  Eetion,  wehrlos  als  Hirten  bei  den  Heerden  am  Ida  getödtet,  die  verein- 
samte Mutter  wird  losgegeben,  aber  im  Hause  ihres  Vaters  von  der  pfeil- 
frohen Artemis  getroffen.  Andromache  bleibt  allein  übrig  von  der  ganzen 
Familie. 

Spuren  der  Pelopssage  sind  uns  auch  in  der  Ebene  von  Theben  gegeben 
in  dem  Namen  Kilikia,  dem  Berg  und  Heiligthum  Killaion,  dem  Fluss  Kil- 
los,  indem  man  bei  dem  K Maischen  Heiligt hume  ein  grosses  Grabmal  eines 
Heros  Killos  oder  Killas5)  kannte,  der  Wagenlenkcr  des  Pelops  gewesen  und 
diese  Gegend  beherrscht  habe0),  welcher  auch  zur  Gründung  des  Apollo- 
heiligthumes  gemahnt  habe 7) . 

Endlich  können  wir  hier  zu  jener  Stelle  desAthenagoras,  die  wir  bereits 
früher  besprochen8),  zurückgreifen,  nach  welcher  die  Kiliker  Niobe  als  Göt- 
tin geweiht  und  verehrt  haben.  Sie  gewinnt  erst  ihr  volles  Licht,  wenn  wir 
unter  deiiKilikern  ursprünglich  jene  troischen  Kiliker  am  Ida,  die  Genossen 
der  Lykier,  Leleger  und  IVlasger  zu  verstehen  haben,  wenn  wir  an  die  kili- 
kische  Thebe  uud  den  Ida  Niobes  Gestalt,  ihre  Verehrung  anknüpfen  und  sie 
neben  einer  Mater  Idaea,  einer  Adrastea,  neben  den  Qucllnymphen  der  Ge- 
gend und  zugleich  in  Bezug  zu  Zeus  und  gegenüber  jenem  lykischen  Apollo 
und  Artemis  hinstellen. 


1)  Strabo  XIII.  1.  62  u.  03;  dazu  Klausen  Aeneas  u.  Penaten  I.  S.  323;  Philol.  VII. 
S.  505. 

2)  lphinoe  Schwester  des  Eetion,  zu  welcher  Chryse  flüchtet,  opfert  der  Artemis 
s.  Schol.  II.  I.  300.  Hain  der  Artemis  Astyrene  zwischen  Antandros  und  Adramyttion, 
Strabo  XIII.  I.  51  u.  05. 

3)  Anton.  Liber.  23 :  —  elx«£tTM  —  piyuXr)  Ji  Aipia.         • 
4;  Hom.  II.  VI.  415—428. 

5;  Paus.  V.  10.  2  nach  den  Exegeten  von  Olympia. 

0)  Strabo  XIII.  1.  Gl :  lau  dl  xul  KiXXov  prijpa  nfnl  rb  tfQor  rov  XiXXttfov  'JnoXXw- 
vog  /w^«  f*€)  «i*  rjvfoxov  Jl  touxor  IUXonog  (fttoiv  »/yijaw/ifi'oi'  rar  lonuti;  «#/"  ov  Tautg  i/ 
KiXtxfa  rj  ifjtnuXiv. 

7)  Theopomp  bei  Schol.  11.  I.  3S,  wonach  Killos  auf  dem  Zuge  des  Pelops  nach  Hel- 
las bei  Lesbos,  welcher  auch  zur  Gründung  des  Apollo  heiligthum  es  gemahnt,  plötzlich 
stirbt  und  Pelops  im  Traume  erschien.        ' 

S;  S.  137. 

Stark,  Niobe.  26 


402  Drittes  Kapitel. 

Nun  sind  aber  zahlreiche  Spuren  einer  Verbindung  der  in  weiterem  Sinne 
urgriechischen,  mit  den  Lykiern  zunächst  verwandten  Küstenbevölkerung 
Kilikiens  und  Pamphyliens1),  die  wir  von  den  vordringenden,  die  Haupt- 
masse des  Landes  besetzt  haltenden  Semiten  2)  scharf  zu  scheiden  haben,  mit 
den  eben  genannten  Punkten  von  Troas  in  Namen  und  Culten  nachzuweisen. 
Man  kannte  ein  später  auch  verschollenes  Thebe  mit  einer  Quelle  Amymone 
und  Lyrnessos  in  Pamphylien  ebenso  wie  in  dem  östlichen  Kilikien  verbun- 
den mit  dem  Aleiongefilde3),  auf  den  Cult  des  lykischen  Apollo  mit  Sarpedon 
verbunden  und  Artemis  haben  wir  früher  bei  Besprechung  des  Sarpedonion 
hingewiesen,  die  dem  Sarpedonion  benachbarte  Grotte  der  Nymphen  und  des 
Apollo  mit  Namen  Korykion4)  war  hier  hochberühmt,  wie  wir  ihr  in  Pam- 
phylien, Kreta,  bei  Erythrä  in  Jonien,  am  Parnass  begegnen,  apollinische 
Propheten,  wie  Kalchas,  Mopsos,  Manto,  Amphilochos  spielen  bei  Stadtgrün- 
dungen eine  Rolle ö) .  In  diesem  ethnographischen  und  religiösen  Bereiche 
haben  wir  daher  auch  Niobe  in  Kilikien  zu  suchen. 

Wie  wir  das  phrygische  Volks-  und  Religionselement  in  der  eben  be- 
trachteten Idalandschaft  die  Herrschaft  gewinnen  sehen  über  die  lykisch- 
kretische  Macht  und  Cultur,  die  erst  später  von  Lesbos  aus  durch  äolische 
Colonisation  wieder  bekämpft  wird,  wie  uns  dieselbe  Erscheinung  im  Her- 
mosthal  am  bekannten  Sipylos  begegnen  wird6),  wie  daher  der  Sprachge- 
brauch der  späteren  Zeit  Phrygien  auf  Troja  so  gut  wie  auf  Sipylos  aus- 
dehnt7) und  religiös  die  volle  Verschmelzung  der  älteren  Religionserschei- 
nungen und  Gestalten  am  Ida  mit  phrygischen  sich  geltend  macht,  so  wan- 
dert Niobe  in  der  Auffassung  des  Nonnos8)  weit  landeinwärts  an  die  Mittel- 


1)  Deimling  Leleger  S.  14.  15. 

2)  Das  spricht  die  eine  Ansicht,  die  Strabu  (XIII.  4.  fi)  anführt,  richtig  aus :  ol  <f £  — 
tovg  cf£  KfXixag  tovg  iv  TqoIu  ptTavaariivrag  dg  Zugtav  avtpxtofiivovg  anotffiia&ai  naQct 
tu))'  ZvQtov  rrj)'  rvv  Xtyoutvrjv  KiXixCar.  Man  vergleiche  auch  den  ältesten  Namen  'Yna^aiol, 
der  von  Kilix  als  Phönicier  verdrängt  ward  s.  Herod.  VII.  01  mit  Bährund  Scholl,  zur  Stelle. 

3)  Strabo  XIV.  4.  1  :  yaol  J'  iv  plv  riji  ficra^v  ^aörjUiSos  xal  'AtraUag  ötCxvvo&at 
Srißf^v  tt  xal  Avovi\Qabv  ixntoovrtür  ix  rot)  Tquhxov  Stjßrig  nedlov  xtäv  TgtoixtSv  KtXtxwv 
fig  rijv  ITa/MpoXfav  ix  pfyovg,  dtg  fTQtjxt  KaXXtO&tvrjg. 

3)  Ders.  XIV.  5.  21  :  xwv  <T  iv  Tyoltt  KtXtxtov,  (ov  "OfirjQog  fttfirtitat  noXv  dttono- 
rcur  dnb  rtSv  ££fti  rov  TavQov  KiXixtov  ol  filv  anoq  «tvovaiv  «i'XrjyiTag  tovg  iv  rrj  TQotq  tov- 
ttav  xal  dtixvvovot  tivag  ronovg  xavtavda  SaniQ  iv  Tij  IfafKf'vXta  Sfißrjv  xal  AvQVrjoabv, 
ol  <T'  ifinaXiv  xal  *AXr\iov  ti  nitiov  xaxfT  Jiixvvovot.  Lyrnessos  inCilicien  als  bestehend  be- 
zeugt von  Avien.  Descr.  orb.  terrar.  1040 :  Lyrnessusque  dehinc,  hie  Mallos  et  Anchialea. 
Wahrscheinlich  auch  Vib.  Sequest.  flum. :  Amymone  Lyciae  non  longe  a  Thebis. 

4)  Strabo  IX.  3.  1 ;  VIII.  5.  1  ;  XIV.  4.  1  ;  1.  32. 

5)  Vgl.  bes.  Strabo  XIV.  5.  Iti  u.  17. 

6)  Anacreont.  Od.  22 :  ff  TautaXov  not  foty  Xt&og  4>Qvyüv  iv  ox&ate. 

7)  Strabo  XII.  3. 

S)  Vgl.  oben  S.  61— «6. 


Niobe  am  Sipylos.  403 

punkte  Phrygiens.  Sie  begegnet  uns  am  Sangarios  in  der  Mitte  des  reichen 
phrygischen  Ackerlandes,  im  ächten  Lande  Askania,  ebenso  bei  dem  benach- 
barten Nikaea  oder  Astakos,  sie  wird  mit  der  am  Rhyndakos  am  Fusse  des 
Didymaherges  aufgewachsenen  Aura  unmittelbar  zusammengestellt.  Ihre 
Beziehungen  zur  Adrasteia  treten  auch  hier  hervor.  Es  ist  im  Wesentlichen 
\^  die  östliche  Fortsetzung  des  Adrasteiagefildes  am  Hellespont,  das  acht  bere- 

kyn tische  Land,  in  dem  nun  Niobe  und  zwar  mit  dem  Sipylos  versetzt  wird. 

Aus  derselben  Anschauung  geht  es  hervor,  wenn  auch  Niobe  mit  Pelops 
und  Tantalos  nach  Paphlagonien  versetzt  wird1).  Es  kam  hier  noch 
dazu,  dass  an  der  paphlagonischen  Küste  am  Flusse  Parthenios  Kaukonen, 
ein  pelasgischer,  urgriechischer  Stamm  der  Sago  nach  ansässig  waren,  der- 
selbe, welcher  in  Pylos,  in  ganz  Elis  und  in  Westachaia  bei  dem  mythisch 
für  Pelops  bedeutsamen  Olenos  die  älteste  Bevölkung  bildete*). 

§  27. 
Uiobe  am  Sipylos  und  im  Zusammenhang  mit  der  Sage  des  Tantalos  und  Pelops. 

Unter  den  vier  grösseren  Flussthälern,  welche  von  dem  kleinasiatischen 
Mittelplateau  sich  wesentlich  westlich  nach  der  Meeresküste  zu  erstrecken  und 
von  schroff  aufsteigenden  Parallelzügen  von  Gebirgen  eingeschlossen  werden, 
in  ihrem  Hereiche  herrliche,  eine  üppige  Fruchtbarkeit  bezeugende  Tiefebenen 
umfassen,  ist  das  Hcrmosthal  an  Ausdehnung  und  an  historischer  Bedeut- 
samkeit entschieden  das  bedeutendste.  In  seinem  oberen  Theile  sich  zer- 
fasernd gleichsam  in  eine  Reihe  kleinerer  Wassergebiete  und  so  zur  Hoch- 
ebene aufsteigend,  zwischen  denselben  eine  als  Katakekaumene,  „das  ver- 
brannte Land"  bekannte,  ganz  aus  vulkanischer  Asche  und  Lava  bestehende, 
trefflichen  Wein  erzeugende  llügellandschaft  umfassend  wird  es  von  Sardes 
an  und  dem  einst  durch  die  Kunst  geregelten  und  umgränzten  SeeKoloe  oder 
Gygäischen  See  zu  einer  breiten  mit  weichem  Alluvialboden  [no%a^i6%(ji(nog) 
aasgestatteten  Ebene,  welche  als  Sardianische,  als  Kyros-  und  dann  Hermos- 
ebenen  im  Alterthum  bekannt  war3)  Im  Süden  erhebt  sich  hier  majestä- 
tisch der  von  uns  oben  näher  charakterisirte  Sipylos  und  bildet  mit  einem 
Jiergzug  am  Meer  den  Eugpass,  durch  den  der  Mennos  sich  drängt  um  auf 


1)  Diod.  IV.  74  mit  oben  S.  S4,  vgl.  dazu  für  Pelops  Apoll.  Khod.  Argon.  II.  35*  mit 
Schol. ;  Istros  bei  Schol.  Pind.  Ol.  I.  37,  IX.  15;  Tzetz.  ad  Lycoph.  150  und  Krahner  in 
Ersch  u.  Gruber  Encyclop.  d.  W.  Art.  Pelops.  S.  2*4. 

2)  Strabo  VIII.  3.  17;  7.  5  ;  XII.  3.  5. 

3)  Strabo  XIII.  4.  5:  vnoxfirtti  Jl  ry  nokti  ro  xt  ZttyStavov  ntöior  xttl  ro  iov  Kvgov 
xa)  ro  tov  "fifjfiov  xal  to  KavOTQinrby,  avrt%ij  te  ovra  xttl  narrmv  uQiaitt  ntttttov.  Der 
Name  Kvftov  tth}(ov  war  ein  von  den  Persern  gegebener  Strabo  XIII.  4.  13.  Die  Kayster- 
ebene  gehört  aber  jenseit  des  Tmolos,  sie  war  durch  einen  kurzen  PasR  mit  Sardes  ver- 
bunden. 

26* 


404  Drittes  Kapitel. 

einem  Deltavorland  in  das  Meer  sich  zu  ergiessen.  Auf  der  Nordseite  steigt 
die  Ebene  allmälig  zu  den  Vorbergen  des  Temnos  auf  und  ist  von  Neben- 
bächen und  Flüsschen,  wie  dem  Phrygios  durchzogen. 

Diese  an  Getreidebau,  Fruchtbäumen,  Wein  hochgesegnete  Landschaft, 
welche  in  den  vom  Tmolos  und  wie  bezeugt  wird,  auch  vom  Sipylos  herab- 
kommendent  kleinen  Bächen  auch  einst  eine  Ausbeute  an  Goldsand  dar- 
bot f) ,  ist  aber  im  Alterthum  wie  in  der  neuesten  Zeit  durch  gewaltige  Erd- 
erschütterungen heimgesucht,  die  im  Zusammenhange  mit  jenen  jungen,  in 
historischer  Zeit  noch  thätigen  Vulkanen  der  Katakekaumene  wie  der  älter  vul- 
kanischen, trachy  tischen  Natur  der  Westseite  des  Sipylos  und  der  Küstenberge 
stehen.  Und  ganz  besonders  ist  die  Gegend  von  Magnesia  hart  am  Sipylos- 
abhange  von  denselben  betroffen  worden.  Wir  lernten  ihre  Wirkungen  in 
den  jähen  zerrissenen  Felsabstürzen  wie  dem  eigen thümlichen  Sumpfsee  am 
Fusse  des  nordöstlichen  Sipylos  kennen.  Dass  ebendaselbst  die  Windstösse 
einen  sehr  heftigen  Charakter  annehmen,  liegt  in  der  Natur  des  Ortes  und 
ward  auch  von  neuern  Reisenden  beobachtet,  wie  man  sie  im  Alterthume 
gern  mit  den  Erdbeben  in  Beziehung  setzte2;.  Das  berühmteste  Erdbeben 
der  späteren  Zeit  des  Alterthums  war  jenes  unter  Tiberius,  welches  Magnesia 
nächst  Sardes  unter  zwölf  Städten  am  meisten  betroffen  und  wobei  Tacitus 
von  der  sich  öffnenden,  Menschen  verschlingenden  Erde,  von  gesenkten  Ber- 
gen, steilen  Hebungen,  von  Feuerflammen  berichtet3)  ;  in  einem  berühmten 
Denkmal  zu  Rom,  dessen  Basis  in  einer  Copie  in  der  Puteolanischen  Basis 
uns  erhalten  ist,  hatte  es  seine  Dankbarkeit  für  die  kaiserliche  Munificenz 
dabei  ausgesprochen  *) .  Strabo  schliesst  daher  mit  Recht,  dass  auch  der  Un- 
tergang einer  Stadt  Sipylos  in  unmittelbarer  Nähe  von  Magnesia,  wenn  auch 
in  eine  vorhistorische  Zeit  fallend,  durchaus  nicht  als  Mythus  anzusehen  sei 5) . 
Schon  früher  weist  Aristoteles  auf  diesen  Untergang  von  Sipylos  bei  Bespre- 
chung der  Erdbeben  hin  und  hebt  hervor,  wie  dabei  ähnlich  dem  Schütteln 


1 )  Die  Stellen  in  Bezug  auf  den  Paktolos  sind  zahlreich ;  die  genaueste  wohl  bei  Phi- 
lostr.  V.  Apoll.  Tyan.  VI.  57.  p.  127.  24  ed.  Kayser :  XQvaiu  Y"Q  ^Vtti  nove  JtP  Tprilip  \pap- 
fiüiJrj  xa)  rovg  o/ußpovi  (({qhv  avTU  is  tov  HnxTtuXbv  xttittavQorTttQ,  XQ0V(^  ^  —  IniXinttv 
uviit  itnoxXvaiHvra.  Für  Sipylos  kenne  ich  nur  die  nicht  sehr  genaue  bei  Strabo  XIV.  5. 
2s :  (nach  Kallisthenes)  wf  6  pfo  TttrrnXou  tiXovkx;  x«)  nur  IltXo7ii8uiy  and  rdav  nty)  *i>Qu- 
yiar  xal  ZtnvXov  pnnXlior  tytvtro. 

2)  Paus.  VU.  24.  0 . 

3)  Ann.  II.  47  mit  Anmerkung  von  Nipperdey,  Strabo  XII.  8.  IS ;  XIII.  3.  5  j  4.  S. 

4)  O.  Jahn  in  Ber.  d.  K.  Sachs.  Ges.  d.  W.  philo*. -histor.  Kl.  1S51.  S.  119—151,  wo 
zugleich  über  das  Erdbeben  selbst  die  Stellen  am  vollständigsten  angeführt  sind. 

5}  Strabo  I.  3.  17  (aus  Demetrios  von  Skepsis):  —  £</*  £p  {oho /naiv)  xal  x£>f*txi  xan- 
7i6{>T]0(xv  xal  ZinvXog  xctTtOT(>ci(f  i  xaiit  rqv  TuviuXov  ßaotXtCav,  XII.  8.  18:  —  xal  to 
7itQ\  £(nvXov  xu\  afttTQonijr  uvrov  [av%>ov  ov  ött  ilfttaüut. 


I 

( 


Niobe  am  Sipylos.  4Q5 

im  Siebe  Massen  von  Steinen  nach  Oben  kamen1).  Plinius  giebt  uns  mit 
Pausanias3)  die  genaueste  Auskunft  über  Art  und  Weise  und  die  Stelle,  an 
welcher  die  Stadt  versunken  sei  und  zugleich  über  eine  mehrmalige  Wieder- 
holung, er  sagt  nämlich,  dass  die  Erde  selbst  sich  geöffnet  habe,  der  Sumpf- 
see Saloe,  den  wir  mit  der  unten  zu  besprechenden  Tantalissee  für  identisch 
zu  halten  haben,  an  die  Stelle  der  in  den  Erdschlund  versunkenen  Stadt  ge- 
treten sei,  wie  dies  auch  von  der  Stadt  auf  der  Insel  Ischia  bezeugt  wird8) ; 
nach  Pausanias  brach  an  der  Stelle  des  Berges,  wo  der  Einsturz  geschah,  ein 
Wasserstrom  los,  bildete  den  See  und  zerstörte  jede  Spur  der  Stadt.  Plinius 
berichtet  auch,  dass  Sipylus  oder  die  Tantalis,  die  Tantalusstadt  erst  unterge- 
gangen sei,  dann  die  an  ihre  Stelle  getretenen  Archaeopolis,  Colpe  (Coloe? 
Calpe?)  und  endlich  Libade1).  Hier  haben  wir  jedenfalls  zu  fragen,  ob  dies 
nicht  zum Th eil  wenigstens  verschiedene  Namen  derselben  Stadt  waren.  Aber 
auch  das  spätere  Magnesia  in  der  Diadochenzeit  hat  bereits  neben  sich  einen 
festen  Platz,  die  Palai  Magnesia5),  worüber  zwischen  ihr  und  den  Sntyrnäern 
verhandelt  wird,  wie  jaauchSmyrnaundAltsmyrna  lokal  stundenweit  getrennte 


I;  Meteorol.  II.  8:  onov  J*  uv  y^ytjiai  joiovrog  aaGfibg,  tninoXtt&i  7rXrjd-og  Xfötav 
SantQ  tq>?  h>  rots  Xixroig  araßQttTTo/utrcüv  •  tovtov  yetQ  rbv  tQonov  ytvopivov  OitO/uov  ra 
ntQi  2l(tivXov  ai'tTQanr]. 

2)  Pausanias  entwickelt  bei  der  Besprechung  von  der  in  das  Meer  versunkenen  Stadt 
Helike  genau  drei  Hauptarten  [iMai, ,  unter  denen  Erdbeben  auftreten ;  die  letzte  und 
schlimmste,  welche  geradezu  menschliche  Wuhnstätten  verschwinden  lässt,  zeigt  er  an 
Helike  und  an  Sipylos  [VIT.  21.  (>ff.).  Er  sagt:  toiovto  yt  Öy  xurfXitßtv  trfQov  rrjv  l&tav 
[xal  if\v  ex  conj.)  IvZinvXu  noXiv  ^/««r/i«  aif>ttvto9ijr<um  i£orou  tf£  r/  id£a  (jjete  conj.  Kuhn) 
xarttiyri  tov  oqovs ,  vömq  nöio&fv  iQ{tvrj  xal  Xifirr]  it  otouaCoptvr]  Z«X6i]  rb  /«Opa  fytvtro 
xal  l^t-inia  noXttog  dtjXtt  ttv  £r  ifj  M(JV\],  tjqXv  rj  16  vÖcoq  untxQvxptv  uvia  tov  xtifidnQou. 
Mit  Hecht  ist  aus  dieser  Stelle  jetzt  ldea  als  Stadtname  entfernt;  Tijr  löiav  bezeichnet  die 
Art  des  Erdbebens.  Ob  das  zweite  //  lobt  wirklich  in  Jjtf*  zu  ändern  sei,  scheint  mir  noch 
zweifelhaft,  man  erwartet  eher  einen  auf  den  Bergabhang,  Bergtheil  bezüglichen  Ausdruck, 
wie  xXuvg,  ntTQtt,  xoQvtfi].  Zur  Kritik  der  Stelle  vgl.  die  Anmerkung  bei  Schubart  und 
Walz  II.  p.  034  und  Kayser  in  Ztschr.  f.  Alterthumsw.  1S50.  n.  -IS. 

3)  Plin.  H.  N.  IL  bS. 

4)  Plin.  H.  N.  11.  DJ :  ipsa  se  comest  terra;  devoravit Cybotum altissimum montem  cum 
oppidü  Curita,  Sipylum  in  Magnesia  et  prius  in  eodem  loco  clarissimam  urbem,  quae  Tan- 
talis vocabatur;  V.  20.  21  :  intcriere  intus  Daphnes  et  Hermesia  et  Sipylum  quod  ante 
Tantalis  vocabatur  caputMaeoniae,  ubi  nunc  est  stagnum  Saloe  :  obiit  et  Archaeopolis  sub- 
stituta  Sipylo  et  inde  Uli  Colpe  et  huic  Lebade.  Saloe,  nicht  wie  noch  bei  Sillig  steht  Säle, 
ist  mit  dem  trefflichen  Codex  Hiccardianus  (11)  und  der  die  Abschreiberfehler  nach  deren 
Archetyp  verbessernden  Hand  (R*)  zu  lesen;  auch  der  Cod.  ine.  von  Snakenburg  hat 
Saloe.  Der  Namen  Colpe  ist  verschrieben  aus  Coloe,  so  dass  von  Plinius  dieser  für  den  Gy- 
gäi sehen,  weiter  aufwärts  am  Hermosthai  gelegenen  See  nach  Strabo  geltende  Name  auf 
die  Tantalis  bezogen  ward  oder  in  Calpe  zu  ändern,  einen  auch  in  Bithynien  wohlbekann- 
ten, auf  Quellen  bezüglichen  Städtenamen.  Der  letzte  Name  Libade  weist  entschieden  auf 
die  Xißas  7i4tqu  der  Stätte  hin. 

5)  Böckh  C.  1.  n.  3137. 


406  Drittes  Kapitel. 

Stätten  waren.  Nicht  bedeutungslos  ist  es  ferner,  dass  als  früherer  Name  des 
y  Sipylosberges  ausdrücklich  %6  Ksqccvviov  oqos,  das  Blitzgebirge  erscheint6). 
Und  manches  mineralische  Vorkommen,  so  des  weissen,  den  ßimstein  ähn- 
lichen Magneteisens 7),  wie  nicht  näher  bezeichnete  cylinderförmige  Steine,  die 
man  sorgfältig  in  einem  Heiligthum  daselbst  niederlegte,  scheinen  auf  diese 
gewaltsamen  Naturereignisse  hinzuweisen3).  Es  wäre  wahrhaft  wunderbar, 
wenn  diese,  die  also  in  früher  Zeit  notorisch  den  blühenden  Mittelpunkt  einer 
Landschaft  zerstörten,  nicht  in  der  Erinnerung  der  Umwohner,  der  verwand- 
ten Stämme  einen  tiefen  Eindruck  hinterlassen,  in  der  frommen,  dichterisch 
fortbildenden  Volkssage  eine  bedeutsame  Gestalt  gewonnen  hätten. 

Aber  wer  waren  die  Bewohner  dieses  unteren  Hermosthaies,  wer  die 
Herrscher  am  Sipylos?  Haben  wir  es  hier  nicht,  so  scheint  es,  mit  einer 
durchaus  ungriechischen  Bevölkerung,  mit  Mäonen,  Phrygern,  Lydern,  zu 
thun,  mit  ganzen  oder  Halbsemiten4)  ?  Und  haben  die  späteren  griechischen 
Colonisten  nicht  erst  gerade  hier  eine  ausländische  historische  Erinnerung, 
einen  fremden  Mythus  recipirt  und  sich  angeeignet,  oder  haben  sie  umge- 
kehrt eine  griechische  Vorstellung  auf  eine  fremde  Grundlage  angewendet? 
Wenn  irgendwo,  gilt  es  hier  nicht  von  diesem  oder  jenem  Ausdruck  eines 
Dichters,  wenn  auch  von  der  bessern  Zeit  ausgehend,  nur  diesen  für  wahr, 
alles  andere  für  falsch  erklären,  vielmehr  auf  das  ausserordentlich  Schwan- 
kende im  Sprachgebrauche  gerade  dieser  kleinasiatischen  Völkernamen  mit 
Strabo 5) ,  der  in  dem  hierauf  bezüglichen  Abschnitte  seinen  ausgezeichneten 
historischen  Sinn  bewährt,  hinzuweisen  und  durch  allseitige  Vergleichung 
der  sonst  daselbst  auftretenden  Namen,  Culte,  Sitten,  Volksbezüge  Schritt 
für  Schritt  die  Bevölkerungsschichten  von  einander  zu  lösen  und  ihre  Auf- 
einanderfolge, ihre  theilweise  Vermischung  zu  erkennen6).  Wir  haben  bis  jetzt 


1)  Pleudoplut.  de  fluv.  9,  4. 

2}  Plin.  U.  N.  XXXVI.  25  bezeichnet  das  Magneteisen  von  Magnesia  Asiae  als  candi- 
dus  neque  attrahens  Ferrum  similisque  pumici.  In  Lydien  wird  er  auch  gefunden  bei  Hera- 
klea,  hiess  daher  Xvöfa  XOog  und  Heracleon  vgl.  Hesych  s.  v.  'HQtixfoia  Xtöog. 

3)  Pseudoplut.  de  fluv.  1),  5.  ytvvnrat  dk  Iv  ctvro)  Xtäog  nctQopoioi  xvXivÖQtp,  ov  oltvat- 
ßttg  vlol  oTttv  tÜQtoaiv,  Iv  u?i  ikpivki  rrjg  {urjTQog  ruiv  Ötaiv  rtdtootv  — . 

4)  So  nennt  Sophokle«  El.  82'i  Niobc  eine  Phrygierin  und  Fremde  [lyttfibv  &vav),  wie 
im  Aias  Teukros,  um  die  Atriden  zu  schmähen,  von  aQ/uioy  ovra  JliXojm  ßaQßagov  'hpvya 
( 1 292)  redet,  wie  Achill  in  der  Iphigenia  Aulidensis  des  Euripides  (956)  Sipylos  als  oQiopa 
ßanfiantny  Phthia  gegenüberstellt. 

5)  Strabo  XII.  S.  2 :  (über  Myser  und  Phryger)  ovita  Ji  tvrjXXaxTai  xavta  lv  aXXrjXoig 
iog  itoXXnxig  Xfyofitv,  wart  xcci  xi(v  imqI  rrjv  ZtnvXor  *l*Qvy(av  ol  naXaiol  xaXovotr  —  y  nal 
iov  Tdi'jaXor  *l>Qvya  xttl  ihv  UiXona  xal  rrjv  Ntoßrjv  bnoitytog  '6*'  av  I/o*  rj  tnaXXng'ig  y«- 
vtQ(t  xrX.,  xal  ol  Avtio)  xrcl  ol  Mnloi'tg  —  iv  aiyyvaa  no>g  ttal  xal  nQog  rovrovg  xal  TiQog 
nXXtjXovg  xrX.  Vgl.  auch  Eustath.  ad  Dion.  Perig.  *09  und  Stellen  wie  Eur.  Bacch.  141, 
Ale.  üS7,  Iph.  Aul.  792. 

6)  Neuere  Forschungen  und  Uebcrsichten   über  die  ethnographischen   Verhältnisse 


Niobe  am  Sipylos.  407 

diese  Methode  an  den  anderen  Stätten  der  Niobesage  durchzuführen  gesucht ; 
hier  an  diesem  Völkerthore,  wo  griechisches  und  asiatisches  Wesen  sich  fort- 
während begegnet  sind,  gilt  es  besonders,  ihr  treu  bleiben. 

Deutlich  scheiden  sich  an  dieser  Stätte  drei  ethnographische  Epochen : 
wir  haben  es  nach  ausdrücklichen  Zeugnissen  zuerst  zu  thun  in  dem  unte- 
ren Hermosthai  mit  Pelasgern,  d.  h.  Urgriechen  und  ihrer  Hauptstadt 
Larissa  und  pelasgischer  Cultur  und  Gottesdiensten  neben  Le legem,  als 
Küstenbewohnern !)  und  anderseits  einem  an  sie  angränzenden  asiatischen, 
aber  indogermanischen,  den  Phrygern  am  nächsten  stehenden  Stamme  der 
Ma  eoner,  der  sich  auch  über  die  Südseite  des  Tmolos  in  das  Kaysterthal 
und  nördlich  über  einen  Theil  Mysiens  hinzog2) ;  das  pelasgische  Element 
hat  eine  Zeitlang  einen  weitreichenden  Einnuss  geübt,  wir  haben  in  der  Stadt 
Sipylos  den  Mittelpunkt  einer  wesentlich  griechischen,  auf  Mäonen  gestütz- 
ten8) ,  durch  Reich  th um  an  edeln  Metallen  und  mannigfache  Industriezweige  be- 
deutenden Herrschaft  zu  suchen.  Uic  zweite  Periode  wird  eingeleitet  durch 
Zerstörung  dieser  Herrschaft  infolge  von  Kämpfen  mit  einem  Nachbarstaat, 
der  in  sich  wahrscheinlichen  Tradition  nach,  mit  der  troischen,  nach  He- 
gemonie im  weiten  Kreise  strebenden  Dynastie4),  durch  Herausdrängen 
der  Pelasger  auf  die  See  oder  grosse  Schwächung,  wobei  gewaltige  Natur- 
ereignisse zerstörend  einwirkten.  Zugleich  oder  sehr  bald  darauf  dringt  wie 
in  der  Idalandschaft  so  im  Hermosthai  eine  den  Mäonen  ohnehin  naheste- 
hende phrygischc  Bevölkerung  vor  und  mit  ihnen  sie  beherrschend 
hier  eine  semitische  Dynastie,  vielleicht  mit  semitischem  Kriegsadel 
und  Priesterschaft,  der  Name  der  Lyder  erscheint  mit  ihnen  und  die  assyri- 
schen Herakliden  herrschen  von  dem  neugegründeten  Sardes  aus5).     Auch 

dieser  Gegend  bei  Abel  Phrygien  in  Kealencyclop.  d.  klass.  Alterth.  V.  S.  1569—1580. 
Gerhard  Volksstamm  der  Achäcr  in  Abhdl.  Berl.  Akad.  d.  W,  1**53,  bes.  S.  426,  446. 
E.  Curtius  die  Ionier  etc.  1SV>,  G.  Curtius  d.  Sprache  der  Lyder  in  Höfer  Zeitschr.  f.  W. 
d.  Spr.  II.  S.  220,  Hupfeld  Quaest.  Herod.  Diss.  IL,  Duncker  Gesch.  d.  Alterth.  2.  Aufl. 
1.  S.  229—63,  Deimling  Lcleger  S.  13—25.  80  f. 

1)  Strabo  XIII.  3.  2 ff.  Larisa  Phrikonis  Hauptpunkts.  Hom.  IL  II.  S41.  XVII.  2**. 
301.,  vgl.  noch  Plin.  IL  N.  V.  32;  Piasos  mit  lasos  zusammenzustellen  und  seine  Tochttr 
I^arissa  Leleger  in  Smyrna  (Strabo  XIV.  1  ff.). 

2)  Strabo  XIII.  4,  5;  Plin.  H.  N.  V.  29.  30. 

3)  Plinius  nennt  zwar  Sipylus  caput  Maeoniae,  dies  war  es  auch  wohl  politisch,  aber 
ethnographisch  ist  der  eigentliche  Sitz  der  Maeoner  weiter  östlich  am  Hermos,  Cogamos, 
unter  dem  Tmolos  und  Homer  nennt  Hyde  als  Mittelpunkt  II.  IL  804  ff. ;  VII.  221.  Dort 
lag  auch  die  spätere  Stadt  Maeones. 

4}  Dargestellt  in  den  Kämpfen  des  Tros  oder  Hos  mit  Tantalos  oder  Pelops  beiDio» 
dor,  Nicol.Damaskenos,  Pausanias  s.  oben  S.  84  ff. ;  Tzetz.  Lycophr.  355,  Kuseb.  Chron.  II. 
p.  123,  Syncell.  p.  103,  (lazu  Krahner  im  Allg.  Encyclop.  im  Art.  Pelops  S.  288.  Die  Pe- 
lasger und  Maeoner  vom  Hermos  sind  in  der  troischen  Symmachie. 

5)  Herod.  1.  27.  2*s  VII.  74  mit  Noten  von  Bahr;  nach  Strabo  XIII.  4.  5  ist  Sardes 
ausdrücklich  jünger  als  ra  Ttywix«.  Vgl.  dazu  Duncker  Gesch.  d.  Alterth.  I.  S.  285  ff.. 


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408  Drittes  Kapitel. 

am  Sipylos  setzen  nun  rein  phrygisehe  Culte,  wie  am  Ida  sich  fest  und  es 
bildet  sich  eine  specifisch  lydische,  semitische  Sage  von  Niobe. 

Es  erfolgt  nun  ein  Rückschlag  von  Griechenland  aus  in  äolisch-achäi- 
scher  und  ionischer  Colonisation ;  von  Kyme  an  der  See  wird  von  Aeolern 
aus  Thessalien  unter  Pelopidenabkömmliugen  und  unter  anderen  auch  von 
Magneten1)  wieder  die  Mündung  und  der  untere  Theil  des  Hermosthales  ge- 
wonnen, der  Rest  der  pelasgi*chen  Elemente  herangezogen,  zum  Theil  ver- 
setzt nach  Kyme  und  nun  am  Sipylos  neue  griechische  Niederlassungen  viel- 
leicht in  mehrmaligen  Versuchen  gegründet,  die  so  scheint  es  zunächst  als 
Gegend2],  dann  als  eine  Stadt  den  Namen  Magnesia  erhielt. 

Eine  eigene  Gründungsage  von  diesem  Magnesia  am  Sipylos,  wie  die 
wichtige  an  Apollo  hängende  von  dem  Jüngern  am  Mäander  giebt  es  nicht, 
es  mag  dies  in  den  eben  angedeuteten  Verhältnissen  der  Ansiedelung  liegen. 
Ihre  Bezeichnung  wird  durchaus  von  Sipylos  entlehnt  (Mdyvrjzeg  oi  %ov  2i- 
nvkov  oixovvreg,  o'i  %a  nQog  ßo^qäv  vifionai  tov  ~invXovy  Mayvrjoia  fj  vnb 
2V/rtUy,  fj  71qoq2mvXovz),  Mdyvtjteg  dnb  Sinvlov*),  Magnesia  ad  Sipylum, 
Magnetes  a  Sipylo ;,  selten  vom  Hermosfluss 5) .  Umgekehrt  wird  auch  der 
Sipylus  in  Magnesia  gesetzt. 

Diese  Magneten  treten  nun  ein  in  die  religiöse  Erbschaft  gleichsam  einer 
frühem  urgricchischen  Zeit  aber  auch  der  bereits  hier  nun  fixirten  phrygischen 
und  innerasiatischen  Einflüsse ;  sie  bringen  zugleich  aus  Thessalien  eine  hoch- 
alterthümliche,  heldenhafte  Sitte,  eine  mit  Gebirge  und  Walduatur,  mit  Ver- 
ehrung in  Grotten,  auf  Gipfeln,  an  Quellen  verwachsene,  an  Zeus,  so  den  Ho- 
moloios  und  Akraios,  an  Apollo  als  Licht-  und  sommerlichen  Weidegott,  oder 
Waldgott  (Ykdtr^g),  aber  auch  als  Spieler  der  Kithara  und  Heilgott,  an  Ar- 
temis die  Jägerin,  aber  auch  die  Mondgöttin,  vor  allen  sich  anschliessende 
religiöse  Anschauung  mit6) ;  mit  ihnen  wandert  die  specifisch  achäische  Hel- 
^      densage,   die  an  Deukalion   und  Pyrrhas  Namen   genealogisch  angeknüpft 


1)  Nach  Pseudoherod.  V.  Hom.  I.  kommen  in  Kyme  zusammen  iravtotittna  ithta'/CX- 
Xrjvtxa  xat  ih)  xtä  fx  Mayrrjotae;  ein  Magnesier  von  Thessalien  ist  Melampos  der  Grossvater 
Homers.  Mtiyiyg  der  Stammheros  von  Acolos  abgeleitet  Paus.  VI.  21.  7.  Strabo  nennt  die 
Magnesia  ad  Maeandrum  nobg  Atoktg  (XIV.  I.  39),  spricht  von  Aloktiov  rm>  tv  Mayrrjafff 
(XIV.  1.  -12).  Jedoch  nehmen  die  Magneten  eine  selbständige  Stellung  neben  den  Aeolern 
ein.  Ich  erinnere  auch  an  den -.V/auu»'  Xiprjv  an  äolischer  Küste.  Ueber  Magnesia  in  Thes- 
salien s.  Kretschmann  Her.  Magnesiar.  speciraen.  Berol.  IS  17.  Zu  den  Aeolern  vgl.  Völcker 
Wander.  d.  äol.  Kolon,  in  Allg.  Schulzeit.  1*31.  n.  39—42. 

2)  Plin.  H.  X.  II.  9  t  nennt  Sipylum  in  Magnesia. 

3)  Ptolem.  V.  2,  Münzen  s.  Hasche  Lexic.  r.  numm.  111.  1.  p.  107. 

4)  Böckh  C.  I.  IL  n.  33S1 :   Tatia)  Mayy^ng  ttnb  Smvlov. 

5)  Paus.  X.  4.  4;  ttvrjQ  Muyvi\g,  o'i  Ttp"E(ifiiß  nQogotxovaiv. 

b)  Gerhard  gr.  Mythol.  I.  §  67 ;  Kretschmann  1. 1.,  K.  F.  Hermann Lehrb.  d.  gr.  Antiqu. 
II.  $  64.  20. 


Niobe  am  Sipylos.  409 

ward,  die  in  Iulkos,  Pagasae,  von  Pthia  aus  sich  zur  See  besonders  verbreitet 
hatte,  die  Sage  von  Lapithen,  von  Jason,  von  Achill,  von  den  achäischen 
Königen  in  der  Peloponnes  in  das  Hermosthai  und  findet  dort  überall  alte 
Anknüpfungspunkte  in  jener  pelasgischen  Vorzeit1),  findet  in  den  aufblühen- 
den nachbarlichen  Städten,  wo  die  verschiedensten  griechischen  Stämme  und 
Geschlechter  wie  in  Smyrna,  z.  H.  als  Colonisten  sich  freundlich  und  feind- 
lich berührten,  eine  farbenreiche  Ausbildung  im  Munde  der  epischen  Sänger. 
Gleichzeitig  damit  fällt  die  in  einem  grossen  auch  priesterlichen  Zusammen- 
hange geförderte  Entwickelung  des  Apollodienstes,  die  von  den  lykisch-kre- 
tischen  Culten  anhebend  bei  den  Ion  er  n  und  dann  den  Dorern  ihn  mit  Leto 
und  Artemis  zu  einer  Dreieinheit  ausbildet  mit  besonderer  Hervorhebung 
göttlicher  Allmacht  und  Heiligkeit  gegenüber  dem  Menschen  und  aller  irdi- 
schen Kraft.  Und  die  Magneten  spielen  erweislich  hierbei  eine  sehr  bedeut- 
same Rolle,  wie  dies  die  Magneten  in  Kreta ,  wie  ihr  Führer  Leukippos,  der 
Abkömmling  des  Bcllerophon,  wie  dies  endlich  ihre  Colonisation  an  dem 
Mäander  als  heiliger,  zu  besonderer  Gastlichkeit  z.  H.  verpflichteter  Men- 
schenzehnten des  Apollo  von  Delphi  erweist2). 

Und  jenen  Sängern  zu  Smyrna,  Phokäa,  Kyme,  Neonteichos,  Larissa 
lag  immer  der  majestätische  Sipylos  vor  Augen  mit  seinen  Felsenhöhen  und 
Abgründen,  mit  seinen  Quellen  und  kleinen  Seen,  mit  der  Erinnerung  und 
Mahnung  grosser  Erdrevolutionen  und  Zerstörung  reichen  irdischen  Segens 
und  menschlichen  Glückes.  So  ist  denn  hier  das  Bild  eines  Himmels  auf 
Erden,  eines  zum  Himmel  strebenden  Menschenglückes,  aber  auch  das  Bild 
eines  überkühnen  Hochinuthes  und  göttlichen  Strafgerichtes  vor  allen  lokal 
befestigt  worden. 

Zugleich  aber  hat  der  überwiegende  Einfluss  der  phrygischen  Götter- 
mutter  und  ihrer  speeifischen  Trauerfeste,  des  phrygischen  Sabazios,  der  in 
den  griechischen  Dionysos  einging,  sich  gerade  dem  Sagenkreis  von  Tanta- 
los,  Pelops  und  Niobe  bedeutsam  erwiesen,  der  aber  selbst  nicht  aus  ihnen 
erklärt  werden  kann.  Wir  können  auch  zeitlich  denselben  vor  allem  seitdem 
datiren,  als  in  Lydien  zu  Sardes  ein  neues  und  zwar  national  mäonLsches  oder 
im  weiteren  Sinne  phrygisches  Geschlecht  mit  Gyges  zur  Herrschaft  kam  und 
dieses  verschieden  von  dem  auf  das  Hinterland  sich  stüztenden  assyrischen  Kö- 
nigsgeschlecht seine  Macht  zur  Küste  auszudehnen  und  sich  auf  griechischen 
Reichthum,  Handel,  aber  auch  griechische  Bildung  zu  stützen  strebte.    Mag- 


1)  So  wird  Kyme  auch  als  Stiftung  des  von  Elis  heimkehrenden  Pelops  betrachtet 
nach  Pompon.  Mela  1.  IV  Der  Name  Pelops  in  Kyme  inRchriftlich  bezeugt  Bock h  C.  1. 
n.  3525. 

2)  Die  Beweisstellen  bei  Gerhard  d.  Volkstamm  der  Achäer  S.  426.  446.  bes.  Athen. 
IV.  74,  Parthen.  c.  5,  Conon  29,  Schol.  Pind.  Plato  Legg.  IX.  860 E. 


410  Drittes  Kapitel. 

nesia  aber  war  naturgemäss  die  erste  Stadt,  die  hier  mit  den  Lydern  in  lang- 
jährigen Kampf  gerieth  und  endlich  überwältigt  ward  *) . 

Die  späteren  Schicksale  von  Magnesia  zu  verfolgen  liegt  ausserhalb  un- 
serer Aufgabe ;  sie  bieten  des  Interessanten  genug  zu  einer  eingehenden  Un- 
tersuchung, deren  dasselbe  bis  jetzt  noch  nicht  theilhaftig  geworden  ist2). 
Nur  darauf  will  ich  aufmerksam  machen,  wie  auch  noch  in  ganz  historischer 
Zeit  in  die  Hermosebene  sehr  starke  Elemente  fremder  Volksart  angesiedelt 
sind,  durch  die  Perser  in  dem  Kyrosfeld  und  in  der  Hyrkaniaebene  am  Phry- 
gios  eine  Bevölkerung  aus  Persien  und  Hyrkanien  am  kaspischen  Meere8) 
sichtlich  zur  militärischen  Sicherung,  dann  durch  Alexander  oder  einen  der 
Diadochen,  eine  Militärcolonie  von  Makedonen,  Reiter  und  Fussvolk  in  eben 
jener  Hyrkaniaebene  und  auch  in  Stadt  und  Land  Magnesia  gelegt  ward4). 
Daher  uns  ganz  barbarische  Götternamen,  daher  uns  Reste  der  Anaitis  in  der 
Gegend  begegnen  und  andererseits  militärische  Gottheiten  Makedoniens  wie 
Ares  Aithene  und  die  Tauropolos 5) .  Die  Verschiedenartigkeit  der  Bevölke- 
rung der  Bestandteile  Magnesias  ist  in  der  hochwichtigen  Urkunde  des  Bünd- 
nisses zwischen  Smyrna  und  Magnesia  scharf  ausgesprochen,  aus  der  zugleich 
die  Neustadt  Magnesia  neben  der  ziemlich  verlassenen  aber  festen  Altstadt 
erhellt6).     Andererseits  ergiebt  sich  ein  langes  Bestehen  magnetischer  Son- 


1)  Nikol.  Damask.  bei  Müller  Frgmta  hist.  grr.  111,  p.  396.  fr.  62:  noXXdxit  *lg  iip> 
Mayrrjriüv  yijv  trfßnXt  *  itXog  öl  xn)  xetQovjtti  T171*  noXiv^  tnaveX&wv  6*  ttg  ZttQÖtig  ntti'rjyv- 
Qtig  {7iotT,aaTo  [itynXonQtntTg.  Mit  Recht  bezieht  Duncker  Gesch.  des  Alterth.  I.  S.  582. 
Anm.  2  diese  Stelle  auf  Magnesia  am  Sipylos. 

2)  Inschriften  s.  Böckh  C.  I.  II.  n.  3407 — 341 1.  Ueber  die  sehr  interessante  Reihe  der 
autonomen  und  kaiserlichen  Münzen  s.  Mionnet  Descr.  des  medaill.  IV.  p.  66 — 83.  Sup- 
plem.  VII.  p.  371—389. 

3)  Strabo  XIII.  1.  J3:  —  tha  tb*YQxdviov  nidlov  HtQOäv  inovo/uoadpKov  xa\  Inofoovg 
ayayovriov  txti&tr  {öjuoiiog  6i  xa\  tb  Kvqov  ntJfov  IltQOai  xctnorofdooar).  'YQxariiv  na- 
Xtg  in  der  Nähe  von  Smyrna  Böckh  C.  I.  n.  31*1. 

-1)  Die  Macedones  Hyrcani  neben  den  Magnetes  a  Sipylo  genannt  Plin.  H.  N.  V.  36, 
auch  Tac.  Ann.  II.  47.  Thyatira  Colonie  der  Macedonicr  Strabo  XIII.  4.  4;  auch  Nakrasa 
nach  Böckh  C.  1.  n.  3522:  ij  Maxtdovtov  NtcxQttottTtov  ßovlrj.  Vgl.  überhaupt  Droysen 
Gesch.  der  Hellen.  II.  S.  234,  674  f.;  O.  Jahn  in  Ber.  S.  Ges.  d.  W.  hist.-phil.  XI.  1851 
S.  148.  Nach  der  Inschrift  von  c.  245  v.  Chr.  Böckh  C.  I.  n.  3137.  au%eführt  ol  iv  May- 
trjotcc  xdroixoi  ol  7t  xaitt  noXtv  Innilg  xal  ntyol  xai  ol  iv  rotg   vnai0(toig  xttl  ol  aXXoi  ofxrj- 

5)  In  Philadelphia  t«  utydka  oeßaota  Avatdua  Böckh  C.  I.  n.  342S ;  nach  Paus. 
III.  16.  6  bei  den  Lydern  Heiligthum  der  "AQitfitg  'Avatttg.  Die  Schwurgottheiten  bei 
Böckh  C.  I.  n.  3137.  1.  60. 

6)  Böckh  C.  1.  n.  3137. 1.  14.  18.  34.  51.  74.  *7.  161.  Es  wird  gesprochen  von  ol  aXXoi 
ol  oixovrug  iv  Ma^t^aUt  0001  ti&iv  iXtu&tQot  xalHEXXtjvtgf  also  geschieden  von  ansässigen 
Nichtgriechen,  ferner  von  ol  ngortQov  ovrtg  iv  Mttyvrjotof  xdxotxoi. 


Xiobe  am  Sipylos.  4t  1 

derstellung  neben  dem  Hunde  der  äolischen  und  dem  der  ionischen  Städte  *) . 
Unter  Pergamenern  und  unter  Rom  genoss  Magnesia  freie  Selbständigkeit2), 
besuchte  als  Glied  den  Städtetag  von  Smyrna8),  zu  dem  äolische  Städte 
gehörten,  aber  auch  jene  Makedoner  der  Hyrkania. 

Was  sind  nun  die  an  und  um  den  Sipylos  festwurzelnden  Götterculte 
und  Sagenstoffe  ?  Welche  sichtbaren  Zeichen  für  den  Niobemythus,  für  Pe- 
lops  und  Tantalos  kannte  man  noch  später  dort?  Und  wie  ist  nun  Niobe  dort 
genealogisch  fixirt?  Welches  sind  die  dort  eigenthümlichen  Züge  in  der 
Sage  {   Das  sind  die  Fragen,  die  uns  hier  zu  beschäftigen  haben. 

Der  Sipylos  galt,  wie  der  Olymp,  wie  Ida,  als  ein  Vaterland  der  Göt- 
ter (ftatQig  &£<vv) ;  dorthin  sollte  Khea  vor  den  Drohungen  des  Kronos  sich 
mit  ihren  Töchtern  zurückgezogen  haben,  dort  war  ein  Heiligthum  von  ihr; 
dort  sollte  Zeus  mit  Semele,  der  Erdgöttin,  zusammen  geruht  haben4).  Die 
Stadt  Sipylos  ist  aber  nicht  überhaupt  eine  berühmte,  alte  Stadt,  nein  der 
in  Smyrna  z.  B.  einheimischen  Sage  nach  ist  sie  die  erste  Stadt  (fj  7rQcitrj 
noXtg)  an  und  für  sich,  der  Ursitz  der  menschlichen  Cultur  und  des  Glückes  ft) . 

Voran  steht  aber  Zeus,  der  Götterkönig,  welcher  nachEumelos  von  Ko- 
rinth  oder  dessen  Fälscher6)  auf  demTmolos,  dem  östlichen  Nachbargebirge  des 
Sipylos  und  zwar  als  'Yitiog  geboren  war,  am  Sipylos  als  Vater  des  Tantalos, 
als  Gastgenosse  desselben,  aber  auch  als  gewaltiger,  mit  dem  vom  Adler  ge- 
tragenen Blitz  und  Donner  strafend  vernichtender  Gott7)  erscheint.  Der 
ganze  Tantalosmythus  hängt  im  Glaubenskreise  des  Zeus.  Wie  in  Smyrna 
der  Zeus  Akraios  verehrt  war,  wie  wir  im  pelasgischen  Larissa  den  Zeus 
Larissenos  nicht  vermissen  können,  so  ergeben  die  Münzen  auch  für  Magne- 
sia und  gerade  die  autonomen,  der  Kaiserzeit  voraufgehenden  sehr  häufig  die 
Darstellung  des  und  zwar  mit  Lorbeer  bekränzten  Zeuskopfes,  des  stehenden 
oder  sitzenden  Zeus  durchaus  als  Aetophoros,  mit  Blitz  und  Speer  und  wohl 
auch  Adler8).  Im  Bündniss  zwischen  Smyrna  und  Magnesia  wird  Zeus  mit 
Hera  und  Helios  zuerst  und  beiderseitig  angerufen,  wie  zwischen  Achäern 


1)  Herod.  IV.  90:  dnb  fitv  cfij  lüvwv  xal  M«ynji iov  räiv  iv  T^Anly  xal  Alolitov  xal 
KftQMV  xtL  in  Bezug  auf  Tributzahlung. 

2)  Liv.  XXXVII.  50.  App.  Mithrid.  «1 ;  Strabo  XIII.  3.  5. 

3)  Plin.  H.  N.  V.  29.  31. 

4)  Schol.  Hom.  II.  XXIV.  «15. 

5)  Aristid.  Smyrn.  I.  p.  270  ed.  Jebb  :  bezeichnet  als  t«  naXaia  stiog  rt  yivktiiv  xal  /o- 
Qtfag  KovQtJTMv  xal  TarrriXou  xal  IKkonoq  oixiGfAOV  irjg  nQ(6rr)<;  7tolnaq  iv  Zinvltp  y*ro- 
fiivr\v  — . 

6)  Vgl.  Job.  Lyd.  de  menss.  p.  96,  dazu  Welcker  gr.  Götterl.  II.  S.  221. 

7)  Vgl.  oben  S.  40. 

S)  Mionnet  descript.  des  medaill.  T.  IV.  p.  ÖSff.  n.  361.366.  405.  433.  Suppl.  T.  VII. 
p.  371  ff.  n.  247—250.  329. 


412  Drittes  Kapitel. 

und  Troern !) .  Die  Gründung  eines  Heiligthuins  von  Zeus  und  Hermes  bei 
einer  von  Mauern  umgebenen  uralten  Eiche  und  Linde  am  Berge  oberhalb  des 
Sumpfes  mit  der  versunkenen  Stadt  in  den  Felopeischen  Gefilden,  also  sicht- 
lich Sipylos  aus  dem  Munde  des  Lelex,  des  Lelegers  erzählt,  bildet  den  rea- 
len Hintergrund  der  schönen  Erzählung  von  Philemon  und  Baucis  bei  Ovid2), 
welche  weiter  nach  Osten,  nach  Tyana  in  Kappadokien  unter  den  Argaeos- 
berg  verpflanzt  ist.  Von  des  Sipylos  Gipfeln  lässt  Nonnos  den  Zeus  Hypatos 
die  Phrygien  überschwemmenden  Gewässer,  die  er  als  Regengott  gesandt, 
wieder  verlaufen*3).  Auch  auf  eine  eigene  A  die  rar  t  am  Sipylos  in  der  Nähe 
des  Tantalissees,  nämlich  auf  weisse,  macht  Pausanias  aufmerksam  4) . 

In  der  ältesten  Erwähnung  des  Sipylos  als  Stätte  der  Niobe  tritt  uns  fer- 
ner die  Bedeutsamkeit  der  göttlich  verehrten  Wasser-  und  nährenden  Erd- 
mächte hervor.  Arn  Sipylos5)  befinden  sich  Lagerstätten  der  Nymphen, 
dort  halten  sie  ihren  Reigen  um  den  Acheloos.  Noch  Claudian6)  erzählt 
von  den  Nymphae  Maeoniae,  die  Hermos  nährt,  die  den  Bakchos  feiern  unter 
der  Theilnahme  des  Flussgottes.  Acheloos  ist  durchaus  ein  Repräsentant 
fliessenden  Wassers  überhaupt,  der  Götterstrom  als  solcher  im  Himmel  wie 
dann  auf  Erden,  er  ist  eine  Gestalt  wie  Okeanos,  Ladou,  wie  der  schon  spe- 
cieller  gefasste  Kephissos  und  Asopos.  Seine  Verehrung  ist  im  altpelasgi- 
schen  Religionskreise  von  Dodona  ausdrücklich  ausgesprochen.  Wir  begeg- 
nen ihm  auch,  wie  an  anderen  ältesten  pelasgischen  Stätten  von  Hellas,  in 
Thessalien,  am  Lykaion  in  Arkadien,  bei  Dyme  in  Achaia,  im  Bereiche  der 
kleinasiatischen  Pelasger,  so  bei  dem  troischen  Larissa7),  wir  begegnen  ihm 
also  hier  am  Sipylos  südlich  und  nördlich  und  zwar  in  der  älteren  Namens- 
form Jix&krjg  s) .  In  der  lydisch-asyrischen  Heraklessage  wird  er  zum  Sohne 
des  Herakles  und  der  Omphale  gemacht  und  alten  König  des  Landes 9) . 

Es  ist  zu  beachten,  dass  auch  in  jüngerer  Zeit  Verehrung  der  Flussgötter 
an  den  Seiten  des  Sipylos  ausdrücklich  bezeugt  ist,  so  Hermos,  dieser  gött- 
liche Strom,  der  Sohn  des  Zeus15),  so  Meles,  der  Vater  Homers,  dieses  Bad 


1)  Hom.  II.  III.  104.  105.  276. 

2)  Metam.  VIII.  621—724. 

3)  Nonn.  Dion.  XI11.  534. 

4)  Paus.  VIII.  17.  3. 

5)  S   oben  S.  27—29. 

6)  De  raptu  Proserp.  II.  67  ff. 

7)  Schol.  Hom.  II.  XXIV.  616:  ol  dt}i/fXwov  bfAtovvpov  Tifi  Alitolw  tlval  rc  xal  allor 
7i (q\  Jvfxr\v  rrjg  si%alas  xtil  nklov  nfQl  Adgtooav  i%  Tgtotedog  xal  näv  vdtOQ  ut%kl<p6v 
tfttoiv.  6  ynq  iv  Jtodiovy  &edg  naQ^vtaev  ^/tloio)  Öveiv  — . 

8)  Bergk  Geburt  der  Athena  in  N.  Jbb.  f.  Philol.  1860.  Bd.  Sl.  S.  397,  welcher  auch 
die  StadtJix&qf  aus  Stephanos  von  Byzanz  anführt. 

9)  Schol.  Hom.  1.  1. 

10)  Getos  nojctfjog  —  ov  a&aptttos  ttxtio  Ztvg  im  Homer.  Gesänge  von  Neonteichot 


Niobe  am  Sipylos.  413 

der  Nymphen  an  den  als  errettenden  Gott  eine  Dankinschrift  gerichtet  ist1), 
so  Hyllos,  den  man  als  Sohn  des  Herakles  betrachtete3).  Ich  mache  darauf 
aufmerksam,  dass  in  den  Gegenden,  in  welchen  altgriechische  und  phrygi- 
sche  Anschauung  sich  stark  durchdrungen  haben,  die  männlichen  Quell-  und 
Flussgeister  mythisch  zu  jugendlichen,  ins  Wasser  gestürzten,  versunkenen,  in 
Wasser  ihr  Blut  ausströmenden  beklagten  und  klagenden,  Flöte  spielenden 
Gestalten  mit  starker  Hervorhebung  milder  Trauer  werden  ;  so  ist  es  Hylas, 
ttormos,  Askanios,  Daskylos,  Mariandynos,  Daphnos,  Marsyas8),  dass  eben- 
daselbst Naiaden  mehrfach  als  Mütter  kämpfender  Helden  genannt  werden  4j . 
Als  eine  Nymphe  am  Sipylos  wird  uns  von  Quintos  Smyraeos5)  speciell 
Neaera  und  zwar  in  der  Gegend  des  Niobebildes  genannt,  ihr  Lager  und 
Heilager  kommt  dort  in  Betracht.  Ausdrücklich  hören  wir  dabei,  dass  die 
Gewässer  des  Hermos  klagend  rauschen. 

Wir  sahen  bereits ,  wie  Sipylos  als  die  Stätte  aufgefasst  wurde,  wohin 
Rhea  vor  Kronos  sich  geflüchtet.  Specifisch  ward  Rhea  als  Mutter  des 
Zeus  und  ihre  Umgebung  von  Kureten  auch  dort  verehrt6) .  Dies  erweist  uns, 
wie  die  eben  betrachteten  religiösen  Gestalten  von  Zeus,  Acheloos,  den  Nym- 
phen entschieden,  dass  in  der  Götter mutter,  welche  als  Sipylene  nun  am 
Sipylos  in  jüngerer  Zeit  geradezu  in  den  Mittelpunkt  des  Cultus  trat,  welche 
in  Magnesia  wie  in  Sniyrna,  hier  im  glänzenden  M^tq^ov1)  verehrt  war, 
durchaus  eine  griechische  Grundlage  zu  suchen  ist,  aber  hier  allerdings  den 
entschiedenen  Einfluss  der  phrygischen  Kybele,  von  dem  benachbarten  Sar- 
des8),  weiter  aber  vom  Dindymagebirge  im  Quellgebiete  des  Hermos  er- 
fuhr. In  der  lydischen  Sage  von  Attes  dem  Phryger,  der  die  oqyia  Mi}%q6$> 
den  Dienst  der  Mutter  mit  Selbstverstümmelung  u.  s.w.  in  Lydien  einführte, 
ist  ausdrücklich  der  Zorn  des  Zeus,  der  sich  in  seiner  Verehrung  beeinträch- 
tigt sieht,  hervorgehoben9).  Und  wenn  Sophokles  im  Philoktet  die  Lemnier 
anrufen  lässt,  die  bergbewohnende,  allnährende  Gaea,  die  Mutter  des  Zeus 
selbst,  die  an  dem  grossen  goldreichen  Paktolos  wohnt,  die  erhabene  Mutter, 


Pseudoherod.  V.  Hom.  9.  Hesiod.  Theog.  3-15  zählt  ihn  unter  den  Söhnen  des  Okeanos 
auf.  Auf  Münzen  von  Magnesia  erscheint  er  mehrfach,  s.  Mionnet  Uec.  des  med.  IV. 
p.  GS  ff.  n.  361.  39S.  399;  VII.  p.  371  ff.  254.  263.  61.  65. 

1)  Böckh  C.  I.  n.  3165.    Aristid.  Smyrn.  p.  232:  avraTg  Xovtqov  qvtov — . 

2)  Schol.  Hom.  1.  1. 

3)  S.  bes.  Klausen  Aeneas  1.  S.  10S.  110.  11«  ff. 

4)  Ed.  Müller  Gyges  u.  gyg&ische  See  in  Philol.  VII.  S.  239  ff. 

5)  8.  oben  S.  63.  64. 

6)  Aristid.  Smyrn.  XV.  p  229  ed.  Jebb;  XX.  p.  260. 

7)  Aristides  p.  232  nennt  sie  rfjg  etlij/vtcts  &tov  ii(V  noliv. 

S]  Herod.  V.  102:  h  ft  aurrjot  xal  Iqov  ?nix(oQ(qg  &tov  Kvß^ßtjg. 
9)  Paus.  VII.  IT.  5. 


414  Drittes  Kapitel. 

die  auf  stiertödtenden  Löwen  sitzt1),  so  ist  hier  für  den  Athenieraer  gegen 
Ende  des  peloponnesischen  Krieges  die  Einheit  von  Gaea,  von  der  Mutter 
des  Zeus,  von  der  Kybele  von  Sardes  mit  Löwensymbol  unmittelbar  ausge- 
sprochen. Strabo  fasst  daher  die  Sipylene  in  gleicher  Linie  auf  mit  der  Mater 
Idaea,  Dindymene,  Pessinuntia,  Kybele*). 

Die  Smyrnäer  nennen  sie  einfach  Mqiyq,  vollständig  MtjttjQ  d*u>v  2g- 
7Tvlrjvrj9  sie  bezeichnen  sie  als  ihre  aq%vjyivig9  rufen  sie  an  wie  die  Magnesier 
bei  ihrem  liündniss8),  zur  Sicherung  der  Grabdenkmäler  wird  ein  Strafgeld 
wegen  Verletzung  an  die  Sipylenische  Mutter  bestimmt 4) .  Aber  neben  die- 
ser Göttermutter  verehren  sie  auch  eine  Mehrheit  von  Nemesis  gestalten  8), 
Töchter  der  Nacht,  ihrem  Wesen  nach  Nymphen,  wie  Adrasteia,  aber  durch- 
aus in  den  Bereich  des  Artemisbegriffes  gestellt,  viel  früher  im  Gebirge  an 
einem  Quell  verehrt,  ehe  sie  in  den  Stadtbereich  durch  Alexander  den  Gros- 
sen eintreten.  Gerade  hierin  in  dieser  Mehrheit,  in  der  Nymphennatur,  in 
der  sittlichen  Bedeutung  der  Weltregierung  und  Ausgleichung  spricht  sich 
ein  acht  griechischer  fortgebildeter  Charakter  dieser  mit  der  Göttermutter 
sichtlich  in  Beziehung  stehenden  Göttinnengruppe  aus. 

Wie  stellt  sich  aber  diese  Göttermutter  vom  Sipylos  im  speciellen  Be- 
reiche von  Magnesia  und  dem  alten  Sipylos?  Pausanias  giebt  uns  aus 
eigener  Kenntniss  seiner  Heimath  zwei  interessante  Nachrichten,  deren  einer 
wir  schon  oben  kurz  gedachten  6) .  Bei  Gelegenheit  eines  Tempels  und  alten 
Steinbildes  der  Göttermutter  zu  Akriae  an  der  lakonischen  Küste  wird  das 
Bild  (ob  Hautrelief?)  derselben  auf  dem  Felsen  des  Koddinos,  das  den  Mag- 
neten am  Sipylos  gehörte  als  das  absolut  älteste  t>etrachtet  und  dem  Tantalos- 
sohn  Broteas  zugeschrieben.  Also  hier  wird  ausdrücklich  Cult  und  Darstellung 
der  Tantaloszeit  und  dem  Tantalosgeschlecht  zugeschrieben.    Die  Verwandt- 


1)  V.  391  ff.: 

'Oatorljpa  7i a /Li ßüJTt  /Vf,  [ittTfQ  ttVToi  stiog, 
a  ibv  fifyuv  IlaxiiaXbr  tv/Qvaov  rfpug 

f4UT(Q  71071'!*  — 

iio  fj.dxai{ta  iuvqoxjohov 

XfOVJtüV  tytdQt  . 

Vgl.  bes.  Gerhard  über  das  Metroon  zu  Athen  und  die  Göttermutter  der  griech.  Mythol. 
in  Abhd.  d.  Berl.  Akad.  d.  W.  1S49.  S.  459— 490,  bes.  S.  4SI.  477.  Note  15. 

2)  Strabo  XIV.  1.  37. 

3)  Böckh  C.  1.  n.  3137.  Z.  00. 

4)  Böckh  C.  I.  n.  3193.  3200.  3285.  SG.  87.  3402.  3411. 

5]  Paus.  VII.  5.  1 ;  Böckh  C.  .1  II.  n.  3161.  63.  64.  Ich  mache  auf  die  oben  S.  66 
angefahrte  Stelle  des  Nonnos  aufmerksam,  wo  Nemesis  über  dem  Sipylos  mit  dem  Greifen- 
wagen hält. 

6)  S.  109.  136.  Paus.  III.  23.  4 :  ifitl  Mdyvr\ol  yt  oV  i«  n^bg  Boqquv  vifiorrat  rov  2%t- 
irvXou,  rovTovf  inl  KoBdlvov  n£iQq  MtjtqÖs  [ort  &füv  uQ/ttiottttoi'  antirttov  ayaXu«.  Ob 
KöStnog  mit  xorra,  xorrf*  -  Kopf  zusammenhängt? 


/.' 


Niobe  am  Sipylos.  4]  5 

schaft  dieser  ältesten  plastischen  Felsbildung  mit  dem  doch  davon  durchaus 
von  Pausanias  geschiedenen  Niobebild  hoben  wir  bereits  hervor. 

Und  noch  ein  zweites  Heiligthum  einer  Muttergöttin  wird  uns  von  Pau- 
sanias1)  am  Sipylos,  unterhalb  des  Gipfels  genannt  und  zwar  wieder  in  Ver- 
bindung mit  dem  Tan talos geschlecht,  mit  Pelops,  dessen  Thronsitz,  wie  ja 
derartige  in  den  Felsen  gearbeitete  Sitze  auf  Berghöhen  mit  reichen  Aus- 
sichten uns  auch  sonst  im  Alterthum,  besonders  auch  bei  Persern,  liier  gleich 
auf  dem  Tmolos  begegnen,  auf  der  Spitze  des  Sipylos  unmittelbar  darüber 
sich  befand.  Die  Handschriften  geben  den  Beinamen  nXaa%r)rq9  eine  JZÄa- 
otdvf],  welcher  unmöglich  so  richtig  sein  kann.  Siebeiis  sah  hier  schon  lange 
das  Richtige,  indem  er  IlXaxi^yrj  oder  Ilkaxtavrj  vorschlug,  ein  bereits  aus  ^ 
Kyzikos  wohlbekannter  Beiname  der  Göttermutter,  dorthin  aus  dem  benach- 
barten pelasgischen  Plakia  übergeführt 2) .  Wir  werden  aber  hier  am  Sipylos 
noch  an  eine  näherliegende  Stätte  zu  denken  haben,  an  jene  Thebe  Hypo- 
plakie  und  die  hohe  und  frühe  Verehrung  der  Göttermutter  in  dem  Piakos- 
gebirge bei  ihr.  Ich  mache  darauf  aufmerksam,  dass  die  Beinamen  der  Göt- 
termutter wesentlich  von  Bergen,  nicht  von  Städten  entnommen  sind,  dass 
bei  jenem  Plakia,  in  dessen  Hintergrund  der  mysische  Olymp  lag3),  auch 
wohl  ein  Berg  Piakos  zu  suchen  sein  wird.  So  laufen  also  die  Fäden  im  reli- 
giösen Gebiete  unmittelbar  vom  Ida  zu  Sipylos ,  von  Thebe  zur  Stadt  Sipylos 
und  Magnesia. 

Weiter  haben  wir  aber  an  und  um  den  Sipylos,  speciell  in  Magnesia  noch 
diesen  Naturmächteu  des  Erdenlebens  Aphrodite,  Dionysos  und  auch 
Hermes  beizufügen.  Die  Stiftung  eines  Aphroditebildes  in  Temnos  jen- 
seit  des  Hermos  und  zwar  gefertigt  aus  einem  grünenden  oder  wirklichen 
Myrtenstamme  wird  auf  Pelops  zurückgeführt  und  zwar  speciell  auf  seine 
Werbung  um  Hippodameia4).  Bedeutsam  ist  hier  natürlich  und  nicht  ohne 
asiatischen  Einfluss  die  Bildung  aus  der  Myrte,  wie  diese  mit  Aphroditen- 
dienst in  den  Westen,  so  nach  Rom  wandert,  so  wie  uns  zugleich  ein  weiteres 
Beispiel  gegeben  wird,  dass  in  jene  urgriechische  Herrschaft  am  Sipylos  die 
Anfange  der  bildlichen  Götterdarstellungen  in  Holz  und  Stein  gegenüber  der 


1)  V.  13.  4  :  TTikonog  $1  IvZtnvlu)  (jttv  &Qorog  (v  xoQuqrj  tov  OQOvg  iorlv  07iIq  jijg  ItXtt-    . 
orr,vrjs  /litjtqos  rb  Uqov.    Goldhagen  conjicirt  AfoaTi/i'iys,  Böse  2ui\)Xt\vr\q. 

2)  Vgl.  Böckh  C.  I.  n.  3657.  Z.  10:  nccQa  Ttj  /lit]TqI  rj  ITXaxtavrj,  weiter  /utjTQog  rijg  tx      v 
HXaxCag.    Dazu  Marquardt  Cyzicus  und  sein  Gebiet  p.  100  ff. 

3)  Mela  I.  19 ;  Plin.  H.  N.  V.  39. 

4)  Paus.  V.  13.  4:  titaßdvn  dk"EQ(AOV  norapov  yi(fQoJirrjg  «yaXp*  iv  Tijpvtp  ntnotii- 
pivov  ix  (ÄVQOlvr\g  re&rjlvtag,  ava&iivai  cf£  IliXona  avtb  naQuXrj<fafAiv  jurjjpTj,  nQoiXnoxo- 
fievov  Tf  rrjv  &{6v  xal  yevtofrai  ol  tov  yajiov  rijg  %l7i7ioöa(iiCng  aUovfitvov,  Der  Ausdruck 
Tf&rjlvtag  kann  nur  so  verstanden  werden,  dass  das  Bild  aus  einem  lebendigen  Myrten- 
stamm hermenartig  gearbeitet  ward,  ähnlich  wie  älteste  Dionysosbilder  aus  dem  lebendi- 
gen aber  absterbenden  Weinstocke  gebildet  sind. 


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* 


416  Drittes  Kapitel. 

reinen  Unbildlichkeit  ältester  Gottesverehrung  gesetzt  werden.  Für  den  Dio- 
nysosdienst am  Sipylos  zeugt  die  Nähe  des  Tinolos  als  berühmter  Geburtstätte 
de*  Dionysos1),  zeugt  die  Sage  von  dem  Beilager  des  Zeus  und  der  Semele 
an  dem  Sipylos  selbst,  zeugt  der  Name  der  Dione,  deren  wir  als  Gemahlin 
des  Tantalos  ausführlicher  zu  gedenken  haben,  zeugt  authentisch  der  grosse 
Altar  des  Dionysos  auf  dem  Markte  von  Magnesia,  bei  dem  und  den  dazu 
gestellten  Statuen  der  Seleukiden  der  Vertrag  mit  Smyrna  auf  eine  Stele  ein- 
gegraben aufgestellt  werden  soll2),  zeugen  endlieh  Münzen3). 

Den  Dienst  des  Hermes  auch  hier  am  Sipylos4)  und  zwar  in  Verbin- 
dung mit  dem  Geschlecht  des  Pelops  zu  vermuthen,  dazu  werden  wir  durch  die 
Stellung  veranlasst,  die  Pelops  überhaupt  zu  Hermes  einnimmt  und  speciell 
durch  die  schon  in  dem  asiatischen  Ausgangspunkt  vorausgesetzte  Bedeutung 
des  Wagenlenkers  für  Pelops  und  das  mehrfache  Vorkommen  des  Namens 
Myrtilos  im  Bereiche  der  Lyder.  Nach  Homer  wird  ja  der  von  Zeus  stam- 
mende, wunderbare  Herrscherstab  von  Zeus  an  Hermes,  von  Hermes  an  Pe- 
lops gegeben  5) .  Ein  Scholion  6)  dazu  meldet  uns,  dass  Pelops  selbst  für  einen 
Sohn  des  Hermes  und  der  Aeolostochter  Kalyke  (Knospe,  Auge)  gelte.  Dass 
in  Elis  auf  Pelops  der  erste  Hermestempel  und  sein  Dienst  aber  als  Abwen- 
dung des  Zornes  in  Bezug  auf  Myrtilos  zurückgeführt  ward,  erwähnten  wir 
bereits.  Der  Wagenlenker  MvQiikog,  der  späteren  Sage  nach  der  des  Oino- 
maos  und  gegen  diesen  verrätherisch ,  von  Pelops  selbst  dann  ins  Meer  ge- 
stürzt ist  durchgängig  Sohn  des  Hermes7).  Auf  Vasenbildern  der  Pelopssage 
spielt  Hermes  eine  hervorragende  Rolle.  Wie  der  Flügelwagen  des  Pelops 
aber  gerade  in  Kleinasien  gekannt  ist,  so  auch  ein  Wagenlenker ;  wir  lernten 
einen  Namen  von  ihm  in  Killas  oderKillos,  der  die  zeugerische  Natur  des  Esels 
in  sich  darstellt,  bei  Thebe  am  Ida  und  auch  in  Lesbos  kennen 8) .  Aber  auch 
der  Name  Myrtilos  war  wie  in  Lesbos9)  so  in  Lydien  wohl  bekannt  und  hier 
wird  er  ausdrücklich  dem  lydischen  und  karischen  Königs-  aber  auch  däino- 


1)  Eurip.  Bacch.  55.  65.  152.  227.  560.  Der  Ort  Kerassai  genannt,  wo  Dionysos  Rhea 
zuerst  den  Becher  Weins  gemischt  Dion.  Nonn.  XIII.  -16S  ff. 

2)  Böckh  C.  I.  n.  3137.  Z.  84.  85. 

3)  Mionnet  T.  IV.  p.  66 ff.  n.  420.  VII.  p.  371  ff.  n.  256. 

4)  Auf  Münzen  von  Magnesia  s.  Mionnet  IV.  n.  378.  VII.  n.  254. 

5)  Hom.  11.  II.  104. 

6)  Schol.  Hom.  1.  I. :  'EQfiov  yaQ  (jrjoiv  avrbv  xctt  KaXvxfjg  *  rj  cfia  rbv  xuya  7iinXaaratt 
iog  roTg  vtioiiQQis  r«  mq\  Olvopaor  xal  rrjv  %Qvai\v  ugvtt. 

7)  Schol.  Soph.  El.  504  ff. ;  Schol.  Apoll.  Rhod.  I.  752.  Mit  Recht  ist  schon  von  Pa- 
pasliotis  (Arch.  Zeit.  1853.  p.  39)  erinnert,  dass  in  Athen  das  uralte  Bild  des  Hermes  in 
Myrten  versteckt  war  (Arch.  Zeit.  a.a.O.  Taf.  53  u.  a.). 

8)  S.  oben  S.  401. 

9)  Tyrann  in  Mitylene  wie  Geschichtschreiber  von  Lesbos  s.  d.  Stellen  bei  Pape  Wör- 
terb.  d.  gr.  Eigen n.  s.  v. 


Niobe  am  Sipylos.  4 1 7 

irischen,  einem  Kerkopen  gegebenen % Namen  Kandaules  gleichgestellt1), 
Kandaules  aber  für  den  mäonischen  Namen  des  Hermes  von  Hipponax  er- 
klärt2). 

Wie  steht  es  aber  nun  mit  denjenigen  Gottheiten,  die  auf  die  Niobesage 
den  tiefeingreifendsten  Einfluss  geübt  haben,  welche  von  vornherein  nicht 
gegensätzlich,  sondern  gleichstehend  und  gleichberechtigt  gedacht  zur  Niobe 
den  Anspruch  ihrer  gebietenden  Macht ,  ihrer  absoluten  Ueberlegenheit  an 
ihr  und  ihrem  Geschlechte  geltend  machen,  mit  Leto,  Apollo  und  Arte- 
misf  Von  Apollo  hören  wir  in  einem  Fragment  eines  homerischen  Hym- 
nos3),  dass  er  neben  Lykien  die  liebliche  Maeonia  besitzt;  daneben  wird 
zunächst  noch  Miletos  und  Delos  genannt.  Gewiss  ein  Beweis  für  die  Be- 
deutung seines  Dienstes  gerade  im  Hermosthai  und  dessen  Verwandtschaft  mit 
dem  in  Lykien.  VonLarissaPhrikonis  an  demHermos  sagt  zwar  Strabo  nicht 
ausdrücklich,  dass  es  ein  Apolloheiligthum  habe,  aber  wo  er  von  ihr  und  den 
zwei  anderen  kleinasiatischen  Larissen  spricht,  erwähnt  er  für  das  noch  süd- 
licher nahe  am  Tmolos  gelegne  einstige  Dorf  Larissa  ausdrücklich ,  es  habe 
auch  ein  Heiligthum  des  Apollo  Larisenos4),  natürlich  also,  wie  dieses  bei 
den  anderen  bekannt  ist.  Dazu  kommt,  dass  bei  dem  Larissa  am  Hermos 
ein  alter  Sitz  von  teukrischen  Gergithiern  war,  die  später  nach  Troas  nahe 
dem  Helles pont  ausgewandert  sein  sollten  und  welche,  wie  überhaupt  die 
Gergithier  specifische  Apollo  Verehrer  sindR).  Welche  Bedeutung  aber  das 
berühmte  Heiligthum  des  Apollo  an  der  äolischen  Küste  in  nächster  Nähe  des 
Hennosthaies,  das  Gryneion  für  die  Magneten  von  Sipylos  hatte,  geht  daraus 
heivor,  dass  der  Vertrag  zwischen  ihnen  und  den  Smyrnäern  von  den  Magne- 
ten in  Gryneion  in  dem  Apolloheiligthum  auch  an  einer  Stele  aufgezeichnet 
und  aufgestellt  wird 6) .  Aus  derselben  Stelle  hören  wir  aber  auch,  dass  die 
Magneten  ihn  in  einem  andern  Apolloheiligthum  aufstellen,  nämlich  in  dem 
zu  Panda  oder  Pandoi7).  Und  dieser  selbe  Apollo  wird  von  den  Magneten 
zu  ihrem  besonderen  Zeugen  angerufen,  wie  von  den  Smyrnäern  die  Aphrodite 


1)  Herod.  I.  7;  auch  Herod.  Vll.  98.  Die  Kerkopen  bezeichnet  ala  "Waaaerdämonen 
nicht  ohne  Grund  Guhl  Ephesiaca  p.  136  ff. 

2)  Hippon.  Fr.  1  bei  Bergk  Lyr.  gr.  p.  5SS :  'EQ/urj  xvydy/a  MyoviOil  KaväalXa. 

3)  Hom.  h.  in  Apoll.  179  (II.  1) : 

w  nvtt  xal  Avxlrp  xa\  ATr)or{tp>  IfHttfivrjy 
xal  MiXrjjov  tytt£  — . 

4)  XIII.  2.  2:  Tp/rq  <T  iarl  AaQtaa  xto/nri  Tr,$  'Eiffotos  ?>>  *ol  KavojgiavQ  ntd(y,  yv 
<(«oi  noXtv  v7TaQiai  tiq6t€qov  fyovaav  xal  Itobv  jinoXXtavoQ  AaQiorjvov,  nXtioiatovoar  t$ 
TfnaXbi  (lüXlov  rj  rtj  yEt\iat{}  — . 

5)  Strabo  XIII.  1.19:  rjv  J*  xal  noXis  rfyyifr«  h  twv  h>  rjj  Kvfiatq  7>pyf#<or  —  xal 
vvv  tri  ti*(xvvTtti  ronog  ir  rjj  Kv/uatu  rtQyffriov  7iqo£  Aa^toarj  ;  dazu  oben  S.  142.  Anm.  7. 

6)  Böckh  C.  I.  n.  3137.  Z.  85. 

7)  Böckh  1. 1.  xa)  tu  TTanfoig  ir  ry  ttQqi  rov  AnoXXavog. 

Stark,  Xiolie.  27 


418  Drittes  Kapitel. 

Stratonikis1).  Ein  Ort  Panda  oder  Paudoi  ist  sonst  in  Lydien  und  Klein- 
asien überhaupt  unbekannt,  der  Name  wird  uns  für  eine  Stadt  in  Sogdiana  2) 
genannt  und  man  denkt  vielleicht  an  die  Ildvdai  der  Pandus  Indiens.  Man 
könnte  glauben,  dass  dieser  Name  mit  der  persischen  Colonie  der  Hyrkaner 
in  das  Hermosthai  gewandert  sei.  Jedoch  liegt  es  gewiss  näher  an  Bildung 
von  Städtenamen  wie  Karyanda,  Alabanda,  Arykanda  und  an  den  lykisch- 

^  troischeu,  specifisch  mit  Apollo  verbundenen  Heldennamen  Pandaros  und  Pan- 
dareos  zu  erinnern.  Für  den  Apollocult  in  Magnesia  selbst  ist  abgesehen  von 
diesen  Zeugnissen  der  religiöse  Charakter  der  Magneten  überhaupt  der  ent- 
schiedenste Beweis ;  für  seine  Bedeutsamkeit  sprechen  endlich  die  Münzen, 
die  ihn  sitzend  mit  Leier,  sühnendem  Zweig,  Köcher,  Vogel,  aber  auch  in 
fast  weiblicher  Tracht  mit  Schale  und  Leier  vorführen3). 

Neben  dem  Apollo  lykischer  Art  und  der  entwickelten  griechischen  Ver- 
ehrung auch  Artemis  am  Sipylos  zu  erwarten  liegt  an  und  für  sich  schon 
nahe  genug,  aber  es  fehlt  auch  nicht  an  ausdrücklichen  Zeugnissen  für  die 
acht  griechische  Artemis  und  zugleich  an  Spuren  einer  besonderen  specifisch 
mäonisch  gefärbten  Verehrung  derselben.  Wenn  im  homerischen  Hymnos 
„Artemis,  die  Schwester  des  Hekatos,  die  pfeilfrohe  Jungfrau  ihr  Gespann 
am  Flusse  Meles  tränkend  gelabt  hat  und  nun  durch  Smyrna  ihren  goldenen 
Wagen  jagt,  hin  zur  weinreichen  Klaros,  wo  ihr  Bruder  sie  erwartend  sitzt", 
so  denkt  sie  der  Dichter  und  Zuhörer  sich  vom  Sipylos  ausgehend  4) .  Quin- 
tos  Smyrnaeo8a),  sahen  wir  schon  früher,  gedenkt  aus  seiner  Jugend  der 
Weiden  bei  dem  Tempel  der  Artemis  am  Hermos  auf  massiger  Höhe  noch 
im  Gebiete  von  Smyrna  und  dabei  eines  Gartens  der  Freiheit.  In  eigen- 
thümlicher,  landschaftlicher  Färbung  erscheint  uns  Artemis  Kordake  am 
Sipylos*),  sichtlich  ihrem  Wesen  nach  mit  manchen  benachbarten  Artemis- 

•  ebensten,  so  der  Artemis  Koloene  oder  Gygaia7),  der  Artemis  am  See  Gygaea, 
sowie  der  zu  Sardes8),  vom  Tmolos9),   der  Artemis  in  dem  auf  Pelops  als 


1)  Böckh  1.  1.  61  :  xaVAnollu  tbv  tp  Tldvöoif. 

2)  Steph.  Byz.  8.  v. 

3)  Mionnet  IV.  n.  375.  397.  434.  VII.  n.  251—253.  288.  323. 

4)  Hom.  h.  IX.  3.  4. 

5)  Posthorn.  XII.  312,  dazu  s.  oben  S.  63. 

6)  Paus.  VI.  22.  1  :  —  atifitla  iatlv  Uqov  KoQÖaxag  tnUXtjOiv  '^T^u*<foc,  ort  ol  rov 
Iltlonog  axoXou&oi  td  inivUta  rjyayov  naga  xjj  &(($  Tavry  xttl  eu(#ija«fTO  (m/togiov  rote 
7i€Ql  rby  Zinvkov  KoQÖaxa  Öq/^oiv. 

7)  Strabo  XIII.  4.  5;  dazu  bes.  Curtius  Artemis  Gygaia  in  Archäol.  Zeit.  1853.  n. 
60.  A.  B. 

8)  Böckh  C.  I.  n.  3460  :  Jrjg  ZaQÖiavrje  *Aqt£uiöos. 

9)  Heiligthum  am  Tmolos  s.  Pseudoplut.  de  fluv.  7,  5.  Die  interessante  Stelle  aus 
der  Semele  des  Diogenes  bei  Athen.  XIII.  p.  GM  A  Nauck  Tragg.  gr.  Frgmta  p.603)  schil- 


Niobe  am  Sipylos.  419 

Gründer  zurückgeführten  Thyatira1)  zusammengehörig.  Es  sind  Tänze  aus- 
gelassener Art,  wohl  dem  Kordax  der  Komödie  vorbildlich,  im  Siegesjubel, 
welche  wie  am  Sipylos  so  bei  Olympia  die  Begleiter  des  Pelops  aufgeführt 
hatten  zu  Ehren  der  auch  dort  nun  in  einem  Heiligthum  verehrten  Göttin. 
Von  grosser  Strenge  und  Heiligkeit,  aber  auch  von  Tänzen  der  schilfgefloch- 
tenen Körbe  wird  bei  der  Artemis  Gygaia  gesprochen.  Diese  Göttin  ist  ent- 
schieden ihrem  ursprünglichen  Wesen  nach  nicht  zunächst  als  Schwester  des 
Apollo,  sie  ist  vielmehr  als  eine  dem  Wasserleben  und  seinem  Einfluss  auf  die 
Vegetation  und  Bewohner  der  Landschaft  angehörige,  nymphenartige  Ortsgott- 
heit gedacht,  aber  sie  ward  wie  die  Artemis  von  Ephesos  doch  von  dem  grie- 
chischen Anwohner  mit  der  Apolloschwester  geeint.  Im  Bereiche  der  anderen 
kleinasiatischen  Magneten  tritt  eine  ganz  entsprechende,  durch  die  besondere 
Natur  des  Wassers  eines  dortigen  Sees  im  Beinamen  auch  bezeichnete  Artemis 
geradezu  in  den  Mittelpunkt  des  religiösen  Kreises,  ihr  zur  Seite  tritt  auch 
da  Apollo,  als  dessen  heiliges  Eigenthum  diese  Magneten  sich  betrachteten. 

Dieser  Artemis  haben  wir  auch  eine  nymphenartige  Athene,  die  als 
Minerva  Berecynthiain  Ankyra  verehrt  war2),  im  lydischen  Hermos- 
gebiet  zur  Seite  zu  stellen,  die  Erfinderin  und  Verbreiterin  des  Flötenspie- 
les, dessen  Entwickelung  in  Böotien,  wie  wir  sahen,  auf  Pelops  und  Niobe 
zurückgeführt  ward.  Ihre  Beziehung  zu  Marsyas3),  dem  rauschenden  Quell- 
gott ist  bekannt,  gehört  aber  nicht  unmittelbar  in  den  lokalen  Kreis,  den  wir 
zunächst  festgehalten.  Auch  hier  ist  die  Umsetzung  einer  kleinasiatischen, 
wesentlich  phrygischen  Naturmacht ,  an  die  musikalische  Natur  des  Wassers 
wie  des  Schilfrohres  angeschlossen,  in  die  ethische  griechische  Himmelsgott- 
heit und  der  dadurch  stark  ausgeprägte,  nicht  ursprüngliche  Gegensatz  zu 
anfänglich  verwandten  Naturmächten  nachweislich.  Eine  andere  Seite  die- 
ser lydischen  Nymphennatur  der  Athene,  nämlich  als  Weberin  spricht  der  an 
den  Tmolos  nach  Hypaepa  gehörige  Mythus  von  Arachne  aus,  dessen  Verbin- 
dung mit  dem  der  Niobe  wir  früher  im  Ovid  nachwiesen  4) . 

Endlich  ist  auch  zu  fragen,  können  wir  am  Sipylos  nicht  von  L  e  t  o  selbst, 
dieser  einst  lieben  Freundin ,  wie  die  Lesbierin  Sappho,  die  Nachbarin  vom 
Sipylos  sie  nannte,  dann  furchtbaren  Gegnerin  Niobes  bestimmte  Spuren  nach- 
weisen ?    Im  Allgemeinen  versteht  es  sich  ja  von  selbst,  dass  Apollo  und  Ar- 


dert  die  Feier  der  Tp<okla  öebg,  der  Artemis  im  Lorbeerhain  von  lydischen  und  baktri- 
schen  Mädchen  mit  der  Harfe  und  Flöte  nach  persischer  Weise,  also  unter  Einfluss  der 
Anahitis. 

1)  Böckh  C.  I.  n.  3477;  'AqUpiöi  ßoQtiTtivrj;  3507. 

2)  Vgl.  oben  S.  153  Anm.  4. 

3)  Böttiger  Kl.  Schriften  1.  S.  1—450;  Preller  griech.  Mythol.  I.  S.  454  ff.  Die  Bei- 
namen  als  Musica,  Bombylia,  Salpinx  gehören  hierher,  vgl.  Gerhard  gr.  Mythol.  I.  S.  250, 
10.  255,  I.    Die  Arundo  Tritoniaca  des  Marsyas  Ov.  Met.  V1.3S4. 

4)  S.  69.  70. 

27  • 


420  Drittes  Kapitel. 

temis  am  Sipylos  als  Kinder  der  Leto  gefasst  werden,  dass  jener  lykisch-kre- 
tische  Religionskreis  in  Troas  und  an  der  äolischen  Küste,  mit  dem  wir  auch 
den  Apollocult  der  Magneten  so  übereinstimmend  fanden,  auch  am  Sipylos 
die  Mutter  Leto  hervorhebt.  Ist  aber  nicht  ausdrücklich  ein  Letoon,  wie  an 
der  lykischen  Küste  mehrfach,  so  das  berühmteste  bei  Patara1)  am  X authos, 
bei  Kalynda,  bei  Physkos  *  in  der  rhodischen  Peraea,  wie  in  der  Ortygia  bei 
Ephesos3),  in  Tripolis  am  Mäander4),  in  Phaestos  auf  Kreta5),  auf  Delos6), 
weiter  inArgos7),  in  Amphigeneia  inTriphylien8)  uns  auch  hier  bezeugt?  Bis 
jetzt  ist  mir  kein  Zeugniss  dafür  bekannt,  aber  erinnern  will  ich  doch  daran, 
dass  uns  in  Smyrna  die  einst  im  Gebirge  verehrten  Töchter  der  Nacht,  die 
Nemeseis  begegneten,  wie  die  Nemesis  auf  dem  Sipylos,  dass  aber  Leto  die 
gleichsam  in  das  Persönliche  und  Ethische  umgesetzte  Nacht,  speeifisch  eine 
strafende  Macht  ist  nach  der  Anschauung  der  Alten,  wie  der  übereinstimmen- 
den Auffassung  der  Neuern9).  Auch  das  scheint  mir  hervorzuheben,  dass 
Letos  strafender  Zorn  sich  besonders  in  Sumpfseen  und  deren  Bewohnern 
zeigt,  dass  in  Lykien  ihr  Altar,  von  Schilf  umgeben,  mitten  in  einem  Sumpf- 
see stand,  dass  aber  die  Stadt  Sipylos  in  dem  Sumpfsee  Saloe  untergegangen 
geglaubt  wurde,  dieses  als  die  die  Katastrophe  von  Tantalos  und  Niobe  gleich- 
sam abschliessende  Erscheinung  galt,  dass  an  die  Schillinseln  der  lydischen 
Seen  sich  speeifischer  Artemisdienst  knüpfte t0) . 

So  haben  wir  die  ethnographische  und  Culturstellung  der  Landschaft  am 
Sipylos,  so  den  Kreis  der  Götterculte  an  demselben  in  ihren  Gruppen  und 


1)  App.  Mithridat.  c.  27;  Strabo  XIV.  3.  5.     Leto  und  die  Kinder  speciell  angerufen 
auf  lykischen  Inschriften  C.  I.  III.  n.  4259.  4360  h. ;  Fellows  Lycia  App.  n.  145. 

2)  Strabo  XIV.  2.  2  und  4 :   beide  Male  ein  ukaog  jir\i$ov,  das  eine  Mal  bei  einem 

3)  Strabo  XIV.  1.  20;  dazu  Guhl  Ephesiaca  p.  119. 

4)  Auf  Münzen  Latoeia  als  Fest  s.  Welcker  gr.  Oötterl.  II.  345. 

5)  Antonin.  Liberal.  17:  Latoon  mit  Leukipposstatue  und  der  Leto  Phytia. 

6)  Semos  bei  Athen.  XIV.  2.  6. 

7)  S.  Paus.  IL  21.  10,  dazu  oben  S.  349. 

8)  Strabo  VIII.  3.  25.  Andere  Stätten  in  Kreta,  Attika,  Böotien.  Arkadien,  Epirua  s. 
Welcker  gr.  Götterl.  IL  S.  339.  344  f. 

9)  Hes.  Theog.  404  :  -^rw  xvavontnXog ;  Eust.  ifom.  II.  p.  22,  29;  Od.  p.  1883.  64  : 
Antto  jJ  rt/£.  Statue  der  Nacht  im  Artemision  zu  Ephesos  Paus.  VIII.  38. 6.  Dazu  Schwenck 
Andeut.  S.  192;  Lauer  Syst.  d.  Mythol.  S.  159.  256;  Preller  Mythol.  I.  S.  153;  Gerhard 
gr.  Mythol.  I.  g  210,  1.  Welckers  Ansicht  gr.  Götterlehre  I.  S.  239:  „Leto  und  Maia  sind 
nie  Naturgöttinnen  gewesen,  sind  nicht  schon  früher  vorhandene,  auch  nicht  in  die 
Sprache  übergegangene  Namen,  sondern  eigens  ausgedacht  worden,  um  die  genannten 
Götter  von  Zeus  abzuleiten",  kann  ich  durchaus  nicht  theilen.  In  Lykien  ist  Leto  durch- 
aus uralte,  in  sich  begründete  Gottheit,  wie  jene  Ausdrücke  bei  Grabentweihungen :  n  yfrjrw 
avtov  IniTQtxl'H  (C.  I.  III.  n.  4360  h)  zeigen. 

10)  Ovid  knüpft  unmittelbar  an  die  Niobesage  die  Erzählung  der  lykischen  Bauern,  die 
der  durstenden  Leto  das  Trinken  gewehrt  oder  das  Wasser  verdorben  haben  und  dafür 


Niobe  am  Sipylos.  421 

verschiedenen  nationalen  Abstufungen  genauer  umschrieben.  Wie  stellt  sich 
nun  der  Niobemythus  in  diese  Umgebung,  welches  sind  die  Fäden,  die  ihn 
hier  halten  und  mit  andern  Mythen  verknüpfen?  Zunächst  ist  es  Niobes 
Herkunft,  ihr  Geschlecht,  das  uns  interessirt1).  Aber  auch  hier  haben 
wir  im  Voraus  denselben  Wechsel  in  der  Verbindung  wahrzunehmen,  der 
uns  in  der  argivischen  Sage  so  entschieden  entgegentritt,  nämlich  den  von 
Vater,  Bruder  und  Gemahl.  Niobe  ist  in  der  herrschenden  Tradition  wie  sie 
seit  Phcrekydes,  Aeschylos  und  Sophokles  uns  sich  ausspricht,  Tochter  des 
Tantal os,  nach  einer  abweichenden2)  ist  sie  seine  Gemahlin.  Tantalos 
selbst  wird  wieder  allgemein  als  Sohn  des  Zeus  und  der  Pluto  (IIIovtiu), 
nach  einer  vereinzelten  Version  als  Sohn  des  Tmolos  und  der  Pluto3)  be- 
trachtet. Eine  ganz  abweichende  national-lydische  Erzählung  macht  ihn 
zum  Sohn  des  Hymenaeos  und  Bruder  des  Askalos4).  Wir  haben  in  Pluto 
eine  acht  griechische  Gestalt  des  Segen  gebenden  Erdbodens,  insofern  er 
vom  alles  ernährenden  Urwasser  durchzogen  und  befeuchtet  wird.  Die  stier- 
äugige  Pluto  (ßocümg  wie  Hera)  ist  eine  jener  heiligen  Töchter  des  Okeanos 
und  der  Tethys5),  in  deren  Bereich  wir  an  anderen  Stätten  die  für  Niobe 
wichtigen  Gestalten  Peitho,  Klymene,  Europe  kennen  lernten.  Sie  wird  uns 
unter  den  blumensuchenden  Freundinnen  Persephones  genannt6).  Gewiss 
eine  Anschauung  des  weiblichen  Gegenbildes  zum  Himmelsgott,  die  in  jenen 
gesegneten  Fluren  des  Hermosthales r) ,  unter  dem  Eindruck  von  den  lang 
schneercichen  Gipfeln  des  Tinolos  und  Sipylos  mit  rinnenden  Bächen  ihre 
natürliche  Unterlage  hatte.  Nonnos  nennt  sie  die  Zeusbraut  (Jiog  vvp<prj), 
Pluto,  die  unselig  gebärende  Berekynterin,  aus  deren  Lager  Tantalos  entspross. 


in  Frösche  verwandelt  sind  Met.  VI.  315— 3S2.  vgl.  Virg.  Georg.  I.  378  mit  Serv. ;  Anton. 
Liber.  35.   Ueber  den  Altar  s.  Ovid:  1.  1.  325  ; 

ecce  lacu  medio  sacrorum  nigra  favilla 

ara  vetus  stabat  tremulis  circumdata  cannis. 
Die  Bedeutung  der  Schilfinseln  in  lydischen  Seen,  besonders  der  Gygaia  mit  dem  tanzen- 
den Schilfe  und  musikalischen  Weisen  bei  gewissen  Festen  stellt  andererseits  gut  heraus 
Ed.  Müller  a.a.O.  S.  243.    Sumpfleben  und  Mutterthum  s.  Bachofen  Mutterrecht.  S.  69. 
70  u.  a.a.O. 

1)  Vgl.  oben  die  Uebersichtstafel  mit  den  Belegen  S.  94.  95. 

2)  Schol.  Hom.  II.  XXIV.  602. 

3)  Nicol.  Daniasc.  bei  Müller  Frgmta  histor.  grr.  III.  p.  367.  17. 

4)  Xanth.  Lyd.  4  bei  Steph.  Byz.  s.  v.  liaxalwv  bei  Müller  Frgmta  histor.  grr.  III. 
p.  372.    Hymenaeos  spielt  übrigens  auch  in  die  magnesische  Ursage. 

5)  Hes.  Theog.  355.  Eine  andere  Tradition  macht  sie  zur  Tochter  des  Kronos  (Schol. 
Pind.  Pyth.  111.),  noch  eine  andere  bei  Hygin.  (fab.  155)  zu  Himantis  filia,  wofür  jedenfalls 
Mimantis  zu  lesen  ist.  Mimas  ist  als  Gigant,  als  ein  dem  Sipylos  benachbarter,  schneereicher 
Berg  mit  Kybeleheiligthum  (Kallim.  h.  Cer.  92,  Strabo  XIV.  133),  endlich  als  Aeolide  und 
König  in  Thessalien  (Diod.  IV.  67)  bekannt. 

6)  Hom.  h.  in  Cerer.  423. 

7)  Sardische  Ammen  des  Plutos  nennt  Nonnos  (Dionys.  X11I.  463). 


422  Drittes  Kapitel. 

Dass  einmal  Tmolos,  der  Geist  des  Gebirges,  auf  den  die  Geburt  des  Zeus 
lokal  gern  verlegt  ward,  statt  des  Zeus  selbst  genannt  wird,  weist  auf  den 
Anspruch  wohl  hin  die  Macht  vom  Sipylos  sich  vom  Tmolos,  dem  Centrum 
Mäoniens  ausgegangen  zu  denken.  Eine  späte  Sage1)  macht  diesen  zum  Sohn 
des  Ares  und  der  Theogone,  in  Ares  wird  hier  der  den  Lydern  mit  Mysiern 
und  Karern  auch  gemeinsame  kriegerische  Zeus  Kariös  zu  verstehen  sein. 

Ehe  wir  die  Bedeutung  des  Tantalos  nach  seiner  mythologischen  und 
historischen  Seite,  denn  beide  laufen  in  ihm  sichtbar  parallel,  näher  umschrei- 
ben, ist  der  Mutter  Niobes  nachzugehen,  da  durch  sie  auch  auf  ihn  und  auf 
Niobe  Licht  fällt.  Ein  höchst  bedeutsamer  Name  tritt  uns  hier  als  der  in  der 
herrschenden  TJeberlieferung  recipirte  auf,  nämlich  Dione  und  zwar  Dione 
•  als  Tochter  des  Atlas2).  Daneben  tauchen  ganz  vereinzelt  auf  Sterope,  Pe- 
riope  und  ein  anderer  Name  variirt  in  Euryanassa,  Euryto ,  auch  Eurythe- 
miste,  Euryprytane,  welche  beide  letzten  für  Pelops  zunächst  nur  genannt 
werden3). 

Dione  ist  ein  mythologischer  Name  und  Begriff,  welcher  auf  die  ver- 
schiedenste Weise  in  den  urgriechischen,  specifisch  pelasgischen  Religions- 
kreis eingreift.  Wir  finden  den  Namen  unter  den  Oke aninen,  sie  wird 
von  Hesiod  als  liebliche  [iQaxrj]  *)  bezeichnet,  auch  unter  den  Nereiden 
begegnet  uns  ihr  Name  neben  anderen,  welche  wie  Proto,  Kranto,  Erato, 
Euagore  u.  a.  durchaus  nicht  mit  der  specifischen  Natur  des  Meeres,  über- 
haupt nur  der  flüssigen  Natur  zusammenhängen5).  Als  Okeanine6)  eine  dem 
himmlischen  TJrwasser,  seiner  nährenden,  befruchtenden,  alle  Vegetation 
schaffenden  Kraft  angehörigc  Gestalt  tritt  sie  für  sich  allein  in  eine  hohe  und 
ehrwürdige  Stellung  zu  Dodona  als  Genossin  des  Zeus7)  und  zwar  des  Zeus 
Naios8).  Diese  Verbindung  mit  Zeus  und  für  Dodona  höchste  Stellung 
unter  den  Göttinnen,  wo  sie  an  Stelle  vonGe  oder  von  Hera9)  getreten  ist,  hat 
sichtlich  sie  in  der  nachhesiodeischen  Auffassung  in  die  Reihe  der  Kroniden 


1)  Pseudoplut.  de  fluv.  7,  5. 

2)  Hygin.  fab.  9 :  Niobam  Tantali  et  Diones  filiam.  Ebenso  f.  83 :  Pelops  Tantali  et 
Diones  Atlantis  filiae  filius  und  fab.  S2  :  Tantalus,  Iovis  et  Plutonis  filius  procreavit  ex 
Dione  Pelopem. 

3)  S.  oben  S.  94. 

4)  Theog.  352. 

5)  Apollod.  1.  2.  6. 

6)  Die  Dodonäische  Dione  als  Okeanine  ausdrücklich  genannt  von  Thrasybulos  und 
Akestodoros  bei  Eudoc.  Viol.  p.  127. 

7)  Strabo  VII.  7.  II :  Infi  ötj  xttl  rtvrvaog  rtp  /In :  nQoattntöity&l  *"*  4  *4'wi^. 

S)  Ueber  das  Wesen  Diones  s.  Klausen  Aeneas  und  Penaten  I.  S.  409—416 ;  Gerhard 
gr.  Mythol.  I.  §  139.  207,  1 ;  190,  4  ;  193,  3;  Welcker  gr.  Götterl.  I.  S.  352— 35S;  zum 
Namen  s.  Ahrens  in  Ztschr.  f.  vgl.  Sprachforsch.  1S53.  S.  175. 

9)  Apollodor  in  Schol.  Odyss.  III.  91. 


Niobe  am  Sipylos.  423 

eintreten  lassen !) .  Im  Homer  finden  wir  sie  im  Olymp  nahe  dem  Zeus  als 
eine  göttliche  unter  den  Göttinnen  2)  und  in  ihren  Schooss  flüchtet  Aphrodite, 
diese  xovQt)  Jiiüvtjq*).  Wie  trefflich  Aphrodite,  die  Göttin  des  Frühlings- 
lebens in  der  vegetativen  Natur  nach  altgriechischer  Auffassung,  die  dem 
Wasser  entstiegene,  alles  beherrschende  Liebesmacht,  in  der  späteren,  vom 
Orient  befruchteten  Vorstellung,  zur  Dione  als  Tochter  sich  stellt,  liegt  auf 
der  Hand.  Und  ebenso  folgerichtig  gedacht  ist  es,  wenn  dem  Dionysos  von 
Euripides4)  Dione  als  Mutter  gegeben  wird,  wie  diese  Beziehung  auch  in 
der  Auffassung  des  Götterpaares  zu  Dodona  als  Liber  und  Libera  später  aus- 
gesprochen ist,  wie  auf  Vasenbildern  Dione  Dionysos  unmittelbar  gegen- 
übergestellt wird5). 

Nun  aber  wird  Dione  die  Mutter  der  Niobe  von  Hygin6)  eine  Tochter 
des  Atlas,  Niobe  selbst  von  Ovid 7)  eine  Enkelin  des  Atlas,  ihre  Mutter  eine 
Schwester  der  Pleiaden  genannt.  Wir  werden  hiermit  in  einen  Kreis  mytho- 
logischer Gestalten  gefuhrt,  der  Atlas töch ter ,  Pleiaden  und  Hyaden, 
welche  hochbedeutsam  für  den  Heroenmythus  aber  im  Alterthum  selbst  in 
verschiedenen  Landschaften  und  in  verschiedenen  Zeiten,  unter  dem  Vor- 
walten bestimmter  religiöser  Grundanschauungen  einen  sehr  grossen  Wechsel 
in  Namen,  Zahl  und  Thätigkeit  aufzuweisen  haben,  dabei  aber  in  uigriechi- 
schen  Lokalitäten,  in  Arkadien,  Möotien,  Dodona  zunächst  wurzeln.  An 
einer  durchgreifenden,  auf  der  Sichtung  der  Quellen  ruhenden  Untersuchung 
fehlt  es  bis  jetzt  noch8). 

Für  unseren  Zweck  genügt  es  daraufhinzuweisen,  dass  wir  in  den  Hya- 
den —  zu  diesen  gehört  Dione  —  eine  Gruppe  nährender  Nymphen  in  Um- 
gebung und  Dienst  des  Zeuskindes  zu  Dodona  und  zu  Kreta9),  weiter  eine 

1)  Apollod.  I.  1.  3. 

2)  IL  V.  381 :  tta  teawv. 

3)  Eur.  Hei.  1108. 

4)  Antigone  bei  Schol.  Pind.  Pyth.  III.  177. 

5)  S.  Welcker  gr.  Götterl.  I.  S.  357.  Note  10. 

6)  A.  a.  O. 

7)  Ov.  Met.  VI.  174:  „ 

mihi  Tantalus  auetor, 

cui  lieuit  soll  superorum  tangere  mensas  ; 
Pleiadum  soror  est  gen  e  tri  x  mea ;  maximuB  Atlas 
est  avus,  aethereum  qui  fert  cervieibus  axem. 
S)  Die  vollständigste  Uebersicht  giebt  Völcker  Mythologie  des  Iapet.  Geschlechtes. 
S.  2 15 — 249.     Ueber  das  Astronomische  vgl.  Ideler  Untersuch,  über  Ursprung  u.  Bedeu- 
tung der  Sternnamen  1809.  S.  136  ff.  und  Buttmann  über  Entsteh,  d.  Sternnamen  in  d.  gr. 
Sage  in  Abhdl.  Berl.  Akad.  d.  W.  hist.-philol.  Kl.  1826.  S.  20.  32.  Sonst  vergleiche  Preller 
gr.  Mythol.  1.  S.  311  ff.;  Gerhard  gr.  Mythol.  §  458,  3.  486,  3—7;  547. 

9)  Hyg.  f.  182 :  Oceani  filiae  Idothea  (Ida?),  Althaea  (Amalthea?) ,  Adrasta  (1.  Adrastea); 
alii  dieunt  Melissei  filias  esse  Iovis  nutrices  quae  nymphae  Dodonides  dieuntur ;  Poet,  as- 
tron.  II.  13. 


424  Dritte«  Kapitel. 

andere  Gruppe  specifischer  Quellnymphen  (Naiaden)  Nährerinnen  des  Diony- 
soskindes  auf  Zeus  Hefehl  in  Nysa  in  Hellas  wie  in  Kleinasieu1),  endlich  eine 
Gruppe  von  Namen  zu  scheiden  haben,  die  als  wahre  Atlastöchter  mehr  mit 
dem  Luftkreisc  .und  den  Himmelserscheinungen  es  zu  thun  haben ,  als  eine 
ethische  Charakterisirung  erhielten  und  welche  daher  auch  wohl  am  frühsten 
mit  jener  Sterngruppe  im  Hilde  des  Stieres,  an  dessen  Stirne  verknüpft  wur- 
den, deren  'Frühauf-  und  Niedergang  die  Regenzeit  des  beginnenden  Winters 
wie  den  Ausgang  des  Frühlings  verkündeten  2) .  Ihre  Zahl  wechselt  zwischen 
zwei,  drei,  fünf,  sechs,  sieben ;  die  gewöhnliche  Zahl  blieb  fünf,  so  dass  von 
zwölf  Atlastöchtern  sieben  den  Pleiaden  zugerechnet  wurden.  Und  jene  l)o- 
donaeischen  Zeusnymphen  werden  als  Okeaninen  selbst  oder  als  Töchter  des 
Kreters  Melisseus,  die  bakchischen  Nährerinnen  als  Naiaden,  d.  h.  als  Zeus- 
töchter bezeichnet ;  in  den  Vordergrund  trat  mit  der  dritten  Auffassung  als 
Vater  Atlas,  aber  die  Mutter  bleibt  eine  Okeanide  Pleione  oder  Aithera ;  hin- 
zutritt ein  Bruder  Hyas,  welcher  nach  einem  libyschen  Mährchen  auf  der 
Jagd  von  einer  Schlange  getödtet  und  von  den  Schwestern  betrauert  wird8), 
sonst  mit  Dionysos  ganz  verschmolzen  ist4).  Ja  eine  Nachricht  macht  Hyas 
zum  Vater  der  Hyaden  mit  der  Boeotia  5) . 

Der  Name  Dione  wird  uns  unter  den  Hyaden  und  zwar  speciell  als  dodo  * 
näischen  Nymphen  nur  von  Pherekydes  aber  mithin  aus  guter  Zeit  nach  dem 
Scholion  des  Homer6)  genannt,  an  seine  Stelle  ist  ein  anderer,  aber  ganz 
ähnlich  lautender:  Thyenc  auch  ausdrücklich  nach  demselben  Pherekydes 
bei  Hyginus7)  gesetzt  und  zugleich  die  Zahl  überhaupt  auf  sieben,  dort  auf 
sechs  angegeben,  indem  noch  die  hesiodeische  Phaeo  hinzugefugt  ist.  Ganz 
dasselbe  Schwanken  zeigt  sich  uns  in  der  Ueberlieferung  des  Textes  bei  Ovid 
in  den  Fasti8),    wo  zum  9.  Juni,    den  Vestalia   die  Dodonis  Thyene   oder 

1 )  Hyg.  f.  182:  alii  Naiades  vocant  —  consecutaeque  postea  inter  sidera  Hyades  appel- 
lantur ;  f.  192:  quod  fuerint  nutrices  Liberi  patris,  quas  Lycurgus  ex  insula  Naxo  ediderat 
(1.  ejeeerat; ;  Or.  F.  V.  16S.  Als  acht  bakchische  Namen  begegnen  uns  unter  den  Hyaden : 
Bromie,  Kisseis,  Nysa,  Eriphie ;    auch  Erato  und  Polyhymna  sind  hierher  zu  ziehen. 

2)  So  die  Namen  bei  Hesiod  ifr.  bO  ed.  Göttling)  im  Schol.  Arat.  Phaenom.  172:  Phai- 
syle  (l.  Aisyle),  Koronis,  Kleeia,  Phaio,  Eudore,  von  denen  drei  bei  Pherekydes  uns  auch 
begegnen  (Schol.  11.  XVIII.  4S6) :  Aisyle,  Koronis,  Eudore. 

3)  Timaeos  nennt  zwölf  Atlastöchter  und  den  Sohn  Hyas,  nach  dessen  Tode  gehen 
fünf  in  Thränen  unter,  sieben  werden  zu  Sternen  und  Hyaden  (Schol.  Hom.  II.  XVIII.  4S«i). 
Zu  Hyas  bes.  Ovid.  F.  V.  109 — 1S2. 

4)  Hesych.  s.  v.  "Ytj. 

5)  Hygin  Poet,  astron.  II.  21. 
Ü)  Schol.  Hom.  11.  XVIII.  4S6. 
7)  Poet.  Astron.  IL  21. 

Sj  Ov.  F.  VI.  705: 

tertia  lux  veniet,  qua  tu  Dodoni  Thyene 
stabis  Agenorei  fronte  videnda  bovi. 
Die  Lesarten  s.  bei  Merkel. 


Niobe  am  Sipylos.  425 

Dione  in  der  Stirne  des  Stieres  vor  allen  sichtbar  ist.  Neben  einander  er- 
scheinen beide  Namen  auf  einem  Vasenbild,  und  zwar  Thyone  Dionysos, 
Dione  dem  Satyr  Simos  gegenübergestellt !)  ;  auf  einem  anderen  finden  sich 
Dione  und  Mainas  in  der  Umgebung  eines  alferthümlichen  Dionysosbildes, 
jene  aus  einer  Amphora  in  ein  Trinkgefäss  in  feierlicher  Weise  schenkend2). 
Wir  haben  hier  an  Dione  ein.  recht  auffälliges  Beispiel,  wie  eine  Gestalt, 
die  ursprünglich  durchaus  dem  Zeuskreise  angehört  und  zwar  dem  von  Dodona 
und  entweder  allein  als  ebenbürtige  Genossin  oder  als  eine  der  nährenden 
Nymphen  neben  einer  Ambrosia,  Eudora,  Dodona 3,  oder  Ida,  Amalthea, 
Adrastea  erscheint,  die  dem  Zeus  alljährlich  Nahrung  bringen  vom  Westen, 
aus  dem  göttlichen  Garten  am  Okeanos4),  unter  dem  mächtigen  Einflüsse 
des  von  Lydien  und  Phrygien  aus  gesteigerten  und  in  den  religiösen  Mittel- 
punkt gestellten  Dionysoscultes  sich  diesem  an-  und  einfugt,  entweder  auch 
nur  als  einzelne  dionysische  Nymphe  oder  zur  Mutter  oder  Geliebten  des  Dio- 
nysos, zur  Thyone  wird.  Wie  trefflich  nun  diese  Dione  als  Mutter  Niobes 
zu  dem  Ideenkreise  passt,  in  dem  wir  den  Niobemythus  an  den  verschieden- 
sten Punkten  von  Griechenland  nachgewiesen,  liegt  auf  der  Hand.  Auch 
die  ganze  Stimmung  mütterlicher  Fürsorge  wie  in  fliessenden  Thränen  sich 
aussprechender  Wehmuth  —  trauern  die  Ilyadcn  doch  also  um  Hyas,  be- 
weinen nach  Aeschylos5)  die  Atlantiden  die  Leiden  ihres  Vaters  —  entspricht 
sehr  wohl  dem  bleibenden  Hilde  Niobes.  Und  endlich  hat  auch  die  astrale 
.Deutung  Diones  sie  mit  dem  Stiere  Antiopes  und  Dirkes,  mit  dem  Zwillings- 
paar Amphion  und  Zethos  in  Beziehung  gesetzt. 

Wenn  der  Name  Sterope  (der  Blitz)  einmal  für  die  Frau  des  Tantalos 
und  Mutter  von  Niobe  und  Pelops  bei  einem  spätem  Mythographen  genannt 
wird6),  zugleich  aber  Tantalos  ein  Sohn  des  Zeus  und  und  einer  Atlantide 
unter  vier,  deren  Namen  nicht  überliefert  seien,  so  ist  hier  vielleicht  an  keine 
besondere  Tradition,  nur  an  eine  ungenaue  und  verwirrte  Behandlung  derselben 
zu  denken,  obgleich  ihre  Bedeutung  als  Blitzjungfrau  neben  Tantalos  sehr 
wohl  begreiflich  ist.  Sterope  oder  auch  Asterope  ist  selbst  eine  Atlastoch- 
ter, eine  Pleiade  und  wird  ebenso  wie  Taygete  und  Maia  von  Dichtern  für 


1)  Welcker  alte  Denkm.  T.  XIII. 

2)  Müllcr-Wieselcr  D.  A.  K.  II.  n.  5S3. 

3)  Dodone  die  Okeanide  neben  Zeus  von  Deukalion  verehrt  oder  auch  mit  diesem  ver- 
bunden s.  Schol.  Hom.  II.  XVI.  233. 

4)  Vgl.  die  wichtige  Stelle  bei  Hom.  Od.  XII.  <>2ff. 

5)  Schol.  Hom.  II.  XVI,  4SG:  rag  Jl^rlartog  aTV%tag  xkatovOag  nvritg  xccTaOTtQtoVfj- 
val  tfqaiv  jila/vkog. 

t>;  Mythogr.  Vatic.  I.  1.  3,  204 :  idem  Jupiter  coneubuit  cum  una  de  quatuor  filiabus 
Atlantis,  quarum  nomina  non  leguntur  genuitque  ex  ea  Tantalum.  Tantalus  de  Sterope 
genuit  Nioben  et  Pelopem. 


426  Dritte»  Kapitel. 

die  Pleiaden  überhaupt  gesetzt1).  Pleiaden  und  Hyaden  sind  beide  Atlanti- 
den.  Ob  der  Name  Periope  bei  Lactantius2)  richtig  gelesen  ist,  steht  noch 
dahin ;  er  ist  auch  sonst  gänzlich  unbekannt  und  in  seiner  Abstammung  und 
Bedeutung  unklar.  Des  Hoccaz  Lesung  Penelope  ist  wohl  nur  Correctur  der 
verderbten  Lesart.  Wir  werden  auch  an  dieser  Stelle  am  einfachsten  an  Ste- 
rope  denken. 

Die  Namen  Euryanassa,  Euryto  avaooa,  Euryprytane,  Eury- 
themiste,  welche  vereinzelt 3) •  uns  als  Gemahlin  des  Tantalos,  wesentlich 
nur  als  Mutter  des  Pelops  genannt  werden,  sind  in  ihrer  Bedeutung  als  Be- 
zeichnung der  grossen  Landesherrschaft  klar,  wie  uns  in  Argos  auch  eine  Te- 
lodike  als  Mutter  Niobes  begegnete.  Ihre  Ableitung  von  Paktolos4)  oder 
von  Xanthos  5)  zeigt  die  Lokalitat  in  Mäonien  und  der  idäischen  Landschaft. 

Die  vereinzelte,  aber  an  und  für  sich  werthvolle  Genealogie  bei  Phere- 
kydes,  welche  Pelops  auch  zum  Sohne  des  Tantalos  und  Kly  tia,  der  Toch- 
ter des  Amphidamas  macht,  eines  Heroen  in  der  ältesten  Ilerrscherreihe  in 
Arkadien ,  eines  Bruders  oder  Sohnes  des  Lykurgos  und  der  Auge,  möchte 
ich  für  Niobe  nicht  ebenso  benutzen,  da  Pelops  auch  lokal  mit  Niobe  nicht 
immer  verbunden  ist,  in  der  Sage  geradezu  neben  Niobe  als  unächter  Sohn 
(nothusj  bezeichnet  wird6),  wie  wir  eine  gleiche  hervorragende  Stellung  der 
Niobe  als  einzigen  ächten  Phoroueustochter  früher  kennen  lernten.  Dass 
Klytia  sonst  als  eine  Okeanine  aber  zugleich  Geliebte  des  Helios  erscheint, 
will  ich  dabei  nur  erwähnen. 

Endlieh  darf  es  uns  auch  nicht  wundern,  wenn  einmal  Pluto,  dieKronos- 
tochter  aus  der  Mutter  des  Tantalos  zu  seiner  Gemahlin  und  Mutter  der  Tan- 
taliden  geworden  ist 7) . 

Kehren  wir  zu  Tantalos,  dem  Vater  oder  Gemahl  Niobes  zurück,  von 
dem  sie  in  der  gewöhnlichen  Sage  ausgeht,  um  mit  Pelops  in  das  entfernte 
Böotien  zu  ziehen ,  zu  dem  sie  mit  den  Leichen  ihrer  Kinder  zurückkehrt, 
um  zugleich  aber  inzwischen  auch  diesen,  einst  ein  Bild  des  Glücks  und  der 
Herrschermacht,  gestürzt,  in  schwerem  Verhängnisse  unter  dem  schweben- 
den Felsblocke  zu  finden.  In  Tantalos,  über  den  wir  wohl  Stellensammlun- 
gen  und  Erörterungen  einzelner  Punkte8),  aber  noch  keine  durchgreifende 

1)  Ovid.  Trist.  I.  11.  14: 

saepc  minax  Steropes  sidere  pontus  erat. 

2)  Ad  Stat.  Theb.  IV.  576. 

3)  S.  oben  S.  94. 

4)  Tzetz.  Chil.  IV.  141.  V.  416. 
5J  Schol.  Eur.  Or.  11. 

6)  Lact.  Plac.  ad  Ov.  Metam.  VI.  f.  6. 

7)  Scbol.  Pind.  Ol.  III.  72:  Ttrig  tii  KqovCov  /Klanos —  ort  Jllovtdt  &vydrr)Q  Kqoiov 
tyfi'iTo,  tj  auyxoiurjfrels  6  TtivrnXoe  £<r/f  JTilonn. 

h)  S.Tafel  Pindari  Olymp,   et  Pythia  1.   p.  215—43;     Pauly  Realencyclop.  VI.  2. 
S.  J  5112  ff.  Art.  Tantalos ;  Preller  gr.  Mythol.  II.  8.  267  f. ;  Gerhard  gr.  Mythol.  §  869.  Die 


Nfobe  am  Sipylos.  427 

Untersuchung  besitzen,  liegen  parallel  gehend  uns  mythologische  Urgedan- 
ken  im  Naturleben  und  den  Anfängen  und  Wesen  des  menschlichen  Lebens 
vor,  zugleich  individualisirt  auf  das  Interessanteste  durch  die  besonderen 
Geschicke  jener  urgriechischen  Stätte  am  Sipylos  und  endlich  auslaufend  in 
ein  mahnendes,  ethisch  wirkendes  Bild.  Wir  können  nachweisen,  wie  die- 
selbe Gestalt  in  der  himmlischen  Welt,  im  Kosmos  überhaupt  im  Verhält- 
niss  zu  dem  auf  Säulen  gleichsam  ruhenden  Himmel  mit  seinen  Lichtkör- 
pern, seiner  sich  aufthürmenden  Wolkenwelt,  mit  dem  Segen  strömenden  Re- 
gen und  befruchtenden  Gewitter,  gleich  den  in  die  Wolken  ragenden  Gipfeln 
der  Erde,  lebendig  schwebend  gedacht  wurde,  wie  derselbe  historisch  an  den 
Fuss  und  und  in  das  mäonische  Sipylos,  bedroht  vom  Bergsturz  und  am 
Rande  des  Sumpfsees  versetzt  ward,  wie  der  nämliche  endlich  in  der  Unter- 
welt mit  Fels  und  Wasser  und  lockenden  Früchten  Strafe  leidet  als  einer  der 
grossen  Sünder  und  mahnenden  Beispiele  der  Hybris. 

Der  Name  TdvTalog  bezeichnet  speciell  den  Träger,  Dulder  und  Frev- 
ler und  ist  nur  eine  andere  Bildung  aus  demselben  Stamme  wie^TAcr?1). 
Diesem,  dem  alten  arkadischen  König  und  Bergriesen,  dem  in  den  Westen 
der  Erde  versetzten  duldenden  Träger  des  Ilimmelsdaches 2)  entspricht 
auch  Tantalos ,  der  König  von  Akrokorinth,  von  Argos,  von  der  Bergstadt 
Sipylos  im  Osten  von  Hellas,  angeknüpft,  verwachsen  mit  dem  in  den  Him- 
mel ragenden,  ihn  tragenden  Berg  selbst.  In  Lesbos,  wo  wir  auch  den  Na- 
men Olympos  finden,  hiess  eine  Bergspitze  ausdrücklich  Tantalos8).  Weiter 
östlich  jenseit  Lesbos  ragt  also  der  schneeige  Sipylos,  auf  dessen  Höhen  Tan- 
talos seinen  Sitz  hatte,  über  dessen  Gipfeln4)  er  den  Zeus  zu  Gaste  lud. 
Man  hat  ja  wohl  auch  mit  Wahrscheinlichkeit  in  Sipylos  „die  Götterpforte"0) 
gefunden,  wie  in  2ißvlla  ,,den  Gotteswillen". 


Stellen  der  Lyriker  behandelt  Welcker  fragmentum  Alcmanis  de  Tantalo  im  Rhein.  Mus. 
n.  1S55.  S.  242—64,  jetzt  Kl.  Sehr.  III.  S.  37  ff. ;  sonst  vgl.  Nitka  de  Tantali  nominis  ver- 
borumque  cognator.  origine  et  significationc.  Regiom.  1846.  4;  Car.  Theis  dissert.  de  pro- 
verbio  TavrdXov  rdXniTa  tartaXl^txai,    Nordhus  1855. 

1)  Vgl.  Völker  Mythol.  d.  lapet.  Geschl.  S.  64.  66,  welcher  aber  selbst  eine  andere, 
durchaus  unzulässige  Etymologie  von  9dXXtü,  &dkog  billigt  (S.  112.  355)  und  ihn  zum  Auf- 
blühenden macht* 

2)  Hes.  Theog.   577  ff.     Ertragt  xQareQfjg  un    ttvayxtjg  —  xi<fttkyTt  xal  axa/iduaai     y/ 
Xfytooi.    Zeus  hat  diese  Würde  ihm  zugetheilt. 

3)  Steph.  Byz.  s.  v. 

4)  Nonn.  Dion.  XVIII.  24  : 

vnty  Zmvkov  6k  xaQqvcay 
TavTctXog,  wg  Ivtnovoi,  rtov  £t(viom  Toxr^ct. 

5)  Das  Himmelsthor  und  die  Pforte  zweier  Berge  für  die  aufgehende  Sonne  weist  Berg k 
nach  aus  Apollon.  Argon.  III.  15$  ff.  in  N.  Jbb.  f.  Philol.  Bd.  81.  S.  403.    Zu  Sipylos    „ 
ders.  S.  395. 


428  Drittes  Kapitel. 

Nonnos  *)  nennt  Tantalos  mehrmals  gleich  dem  hohen,  von  Wolken  um- 
hüllten Berggipfel  den  im  Nebel  Wandelnden  (rj€QO(poiT7jg) .  Wenn  Tantalos 
ein  Vater  des  Kyklops,  ein  Grossvater  des  mit  Triton,  dem  Urwasser  identi- 
ficirten  gewaltigen  Stromes  Neilos  genannt  wird  von  Hermippos,  was  ist  er  da 
anders,  als  die  göttliche  Macht  des  um  den  Götterberg  gelagerten  Gewitters 
mit  Blitz  und  Donner  und  dem  strömenden  Wasserquell1)?  Da  begreifen 
wir  auch,  wie  ihm  die  Sterope  zur  Gemahlin  gegeben  werden  kann,  beson- 
ders wenn  wir  jenes  homerischen  Vergleiches  gedenken,  in  dem  der  das  Ge- 
witter sammelnde  Zeus  [axeqonrjyeqixa  Zevg)  die  feste  dichte  Wolke  vom 
hohen  Haupte  des  grossen  lterges  abrückt  und  nun  alles  sichtbar  wird  ,,und 
aufbricht  am  Himmel  der  unermessliche  Lichtraum"3).  Entweder  wird  er 
selbst  in  seiner  ewigen  Pein,  Verstössen  aus  dem  Leben  im  Himmel,  aufge- 
hängt gedacht  und  schwebend  an  dem  hohen  Berge  mit  gebundenen  Hän- 
den4), ja  weitausgespannten  Armen  den  Himmel  tragend5),  oder  er  schwebt 
in  der  Luft  oder  sitzt  auf  seinem  Sitz  in  ewiger  Angst  ob  des  über  ihm 
schwebend  aufgehängtem  Felsens 6) .  Wir  haben  dasselbe  grossartige  Natur- 
bild, das  uns  im  Homer  begegnet  bei  der  Fesselung  Heras 7) ,  welche  hoch 
zwischen  Aether  und  Wolken  hängt,  die  Anne  umwunden  von  goldenen  Fes- 
seln, an  die  Füsse  zwei  Ambosse  gehängt :  ein  Bild  der  gewitterschwülen,  in 
unheimlicher  Stille  gleichsam  gebannten  Luft  bei  einem  Gewitterhimmel 
mit  zuckenden  Blitzen.  Und  eine  verwandte  Anschauung  bietet  jene  goldene 
Kette,  vom  Himmelsgewölbe  ausgehend,  an  der  die  Götter  ziehen  sollen,  die 
aber  Zeus  um  den  Gipfel  des  Olympos  schlingend  alle  sammt  Erde  und  Meer 
schwebend  erhalten  wolle8).  Wir  begreifen  aber  auch  vollständig,  wie  die 
ältere  Dichtung  eines  Alkman  u.  a.,  worauf  Welcker  besonders  hingewiesen, 
nicht  sowohl  den  Felsen  selbst  als  das  Scheinbild  desselben  über  Tantalos 
voraussetzt ;  es  ist  das  Scheinbild  jene  drohende  scheinbar  feste,  hartgeballte 


1)  Dion.  XVIII.  32;  XXXV.  295. 

2)  Schol.  Apoll.  Rhod.  IV.  209  (Müller  Fragm.  bist.  gr.  III.  p.  53,  77). 

3)  IL  XVI.  296—300 : 

(bg  d*  ot  «(f  viprjXrjg  xo{tviftjg  ogeog  /utydXoto 
xivrjor)  nvxtv^v  vttftXriv  aT6(tonrjytQ^ra  Ztvg  — 

—  ovQ(tv6&ev  cf '  «(»'  vrrtQQayr)  rtontrog  ttldfjQ. 
I)  Asklepiad.  Tragil.  in  Schol.  Hom.  II.  XI.  5S2  (Müller  Frgmta  bist.  gr.  III.  p.305) : 
—  Tor  JCa  ixßaXfTv  avibv  xr\g  Iv  ovQctrm  öiatTTjg  *ttl  l£ctoTT)Oai  In   OQOvg  vyrjXov  txätdififrtov 
ttöv  xttocSv  xal  ttjv  JlCttvXov,  er&a  txtxr]dtvTo  avttTQtyat. 

5)  Schol.  Or.  9S0:  iiXX*  r\  ph  IotoqU  Xfyit  tov  TdrritXov  «vartiafiivaig xeQa^  <f  £(**<>' 
top  ovqhvov.  * 

6)  Eur.  Or.  4  ff. :  o  yng  ftaxanioe  —  Jtbg  nttfvxtog  (bg  XtyovUi  TuvraXog  xoQvtfijg  v/i*p- 
rttXovTtt  Stuiairnn'  tt^tqov  afQi  7ror«r«i  — .  Vgl.  die  Stellen  der  Nostoi,  des  Archilochos, 
Alkman  (fr.  S3  Bergk),  Alkaios,  Pindar  bei  Welcker  a.  a.  O. 

7)  Hom.  11.  XV.  \H ff.  Dazu  Prcller  Mythol.  I.  S.  109.  Schon  Nonnos  ist  dieser  Ver- 
wandtschaft inne  geworden  s.  Dionys.  XXXV.  279  ff. 

*)  Hom.  II.  VIII.  13—27,  dazu  Preller  Mythol.  1.  S.  27. 


Niobe  am  Sipylos.  429 

Wolke,  gerade  wielxiou  das  Scheinbild  der  Hera,  die  Wolke  umarmt.  Aus 
der  Schule  des  Anaxagoras  ging  eine  veränderte,  aber  gesteigert  kosmische 
Anschauung  dieses  schwebend  zwischen  Himmel  und  Erde  an  goldenen  Ket- 
ten gehaltenen  Tantalosfelsens  hervor,  es  ward  ab  die  glühende  Sonnenkugel 
gedacht  *) . 

Sank  aber  Tantalos  mit  jener  alten  Urwelt  der  Götter  und  Menschen  in 
der  Anschauung  auf  und  unter  die  Erde  herab,  so  war  es  sehr  natürlich,  dass 
man  nun  diesen  Felsen  in  dem  Berge  Sipylos  selbst  fand,  der  über  ihn  ge- 
wälzt sei2),  dass  man  historisirend  seinen  Namen  an  ein  altes  Herrschergrab 
am  drohenden  Abhänge  des  Sipylos,  wie  wir  die  Reste  solcher  ja  kennen  ge- 
lernt3], anknüpfte4) ;  ja  der  Fels  wanderte  schliesslich  in  den  Hades  mit  hinab 
als  bleibende  Pein  des  grossen  Sünders. 

Zur  Vervollständigung  dieser  göttlichen  Seite  des  Tantalos,  in  dem  wir 
also  eine  irdische  Abspiegelung  des  Himmelsgottes,  des  Zeus  Hypsistos  selbst 
haben,  wie  er  auf  dem  Götterberge  thronend  in  Wrolken,  die  diesen  umlagern, 
gleichsam  schwebend  gehalten  wird,  diese  in  Gewitter  sammelt  und  entladet, 
reflektirt  zunächst  in  einer  religiösen  Anschauung  majestätischer,  wolkenumla- 
gerter, von  JJlitz  und  Donner  umzogener,  den  Himmel  scheinbar  stützender  oder 
keck  in  ihn  ragender  Bergspitzen,  haben  wir  aber  noch  zwei  eigenthümliche 
Züge  hinzuzufügen:  es  ist  die  Beziehung  zur  Götterspeise  und  Trank,  es 
ist  die  Beziehung  zum  Götterg  arten  und  dessen  Wachen.  Nach  einfach- 
ster und  wohl  auch  ältester  Sage,  die  Pindar  ausdrücklich  hervorhebt,  wird 
Tantalos,  der  mit  den  Göttern  die  Mahle  wechselt,  strafbar,  dass  er  Nektar  und 
Ambrosia,  durch  die  er  unsterblich  geworden,  seinen  irdischen  Zechgenossen 
mitgetheilt5).  Er  ist  also  selbst  ein  Geniessender  von  Nektar  und  Ambrosia 
und  theilt  diesen  den  Sterblichen  mit,  wie  Prometheus  das  Feuer.  Von  die- 
ser Anschauung  aus  haben  wir  eine  merkwürdige  Nachricht  über  eine  Tan- 
talosstatue  in  Indien,  von  da  seine  nahe  Beziehung  zu  Ganymedeszu  be- 
trachten.   Philostratos  lässt  im  Leben  des  Apollonios  von  Tyana8)  den  Inder- 

1)  Eur.  Or.  980  ff.  ;  uoXoiui  j«v  ovqkvov  xal  ptaov  x&ovbe  iiittjifoav  aiioorjpaoi  ni- 
tquv  aXvOtoi  xovotaig  tfiQopfvav  äivatai  ßdüXov  l£  'OXv/unov,  $  iv  ÖQ^roiotv  avaßoaoopat 
yfyont  tmtqI  TavraXot.  Vgl.  dazu  Schol.  Tzetz.,  Chil.  V.  4*3,  462,  Schol.  Find.  Ol.  I.  97. 
JaTantalos  ward  selbst  zum  (fvoioXoyog,  der  die  Sonne  als  jävöqos  erklärte  Schol.  Pind.  1. 1. 

2)  Schol.  Find.  Ol.  I.  97  :  ol  /ah'  yaQ  avtov  (fccaiv  vnoxiio&ai  JEini'Xtp  i$  Avtilag  o(tei. 

3)  S.  obenS.  102. 

4)  Paul.  II.  22:  —  tötav  oftf«  iv  ZinvXqt  tdifov  &£ag  a&ior. 

5)  Find.  Ol.  I.  (>0  ff. :  itOavdi(av  ort  xXfyatg  dXtxtooi  avfinoraig  vtxray  apßfjootttv  tf      ^ 
tSioxtr  oiaiv  dtfOiror  Zfrtour.  Asclepiades  in  Schol.  Hom.  Od.  XI.  589:  xXityai  yitQ  ro  vixiaq 
xal  Ttjv  a/uß(>oo{av  ovx  l£6v  avitp  W<oxe  rotg  ofirjX&v.   Zu  d.  Begriff  von  Nektar  u.  Am- 
brosia vgl.  Bergk  Geburt  d.  Athen.  VII.  u.  N.  Jbb.  f.  Fhil.  u.  Fäd.  LXXXI.  Hft.  6 

(»}  Fhilostr.  V.  Apoll.  III.  25 ff.  (ed.  L.  Kays.  p.  54 ff.).  Man  beachte  die  Ausdrucke: 
&e£tp  xal  dya&qt  artig)  —  dyaOov.  c.  32  :  noiovvrai  til  avrov  oiro^oov  TdvraXov  intitirj  qtXi- 
XioTctTog  uv&Q(on<nv  t£tiol*t-v. 


430  Drittes  Kapitel.         , 

könig  Jarchas  sich  beklagen  über  die  griechischen,  ungerecht  die  Heroen - 
sagen  behandelnden,  verdrehenden  Dichter,  so  gehe  es  auch  mit  dem  angeb- 
lich so  hart  gestraften  Tantalos,  der  ein  göttlicher  und  trefflicher  Mann,  ein 
wahrhaft  menschenfreundlicher,  den  Menschen  den  Göttertrank  in  reichem 
Maasse  zutrinkender  gewesen  sei.  Die  Inder  verehren  ihn  als  Weinschenker 
(olvoxoog)  und  der  König  zeigte  eine  vier  Ellen  hohe  Statue  in  seiner  Nähe, 
mit  der  Inschrift  Tdrtakog,  eines  fünfzigjährigen  Mannes  in  argolischer 
Tracht,  mit  zurückgeschlagener  Chlamys,  welcher  eine  Schale,  genügend  für 
einen  Durstigen  hinreichte,  in  der  immer  neu  ungemischter  Wein  aufspru- 
delte, wie  eine  immer  emporspiudclnde  Quelle ;  an  dieser  füllt  der  König  und 
seine  Genossen  die  Schale.  Welche  mythologische  Gestalt  der  Inder  hierbei 
im  Spiele  war,  wollen  wir  nicht  weiter  verfolgen,  wichtig  ist,  dass  also  für 
den  hellenistischen  Inder  dieser  Weinschenk  mit  der  Schale  als  Tantalos  sich 
darstellte,  also  in  dem  Wesen  desselben  vollsten  Anhalt  fand. 

Und  dieser  lag  ja  abgesehen  von  jener  einfachen  Ueberlieferung  der  Mit- 
theilung von  Nektar  in  dem  engen  Verhältnisse,  in  dem  Tantalos  zu  6a- 
ny  medes,  dem  wahren  Schenkknaben  von  Nektar  stand.  Entweder  nämlich 
ist  es  Tantalos  selbst,  der  den  Ganymedes  raubt  als  sein  Liebhaber  und  dar- 
über in  blutigen  Streit  mit  Tros  und  Ilos  geräth  *) ,  oder  sein  eigner  Sohn  Pe- 
lops  wird  in  den  Himmel  als  schöner,  weinschenkender  Knabe  von  Poseidon 
entfuhrt,  dann  aber  wieder  entlassen,  ausdrücklich  als  Vorgänger  des  Gany- 
medes bezeichnet2).  Was  aber  im  glücklichen  gottgeliebten  Tantalos  als 
besonderer  Zug  des  Genusses  uud  Ueberflusses  sich  zeigt,  was  er  anderen 
mittheilt,  das  wird  im  gestraften,  gepeinigten  zum  furchtbarsten  Entbehren, 
zum  nie  erfüllten  Bedürfhiss,  daher  das  Sprüchwort  fj  Tavzdkov  ditpa,  daher 
die  lebendige  Schilderung  des  Tantalos  in  der  Nekyia3j  von  dem  bis  zu  den 
Knieen  im  See  stehenden  Greise,  der  vergeblich  sich  bückt  nach  dem  Labe- 
trunk,  das  Wasser  schwindet  ihm  wie  verschluckt  und  schwarz  erscheint  die 
trockene  Erde  um  die  Füsse.  Sehr  interessant  ist  hier  die  vereinzelte  Notiz 
des  Mythographen  Vaticanus  II.4),  Tantalos  stehe  als  Verurtheilter  in  Eri- 
dano  inferoruin,  Eridanos  aber,  auch  selbst  Phaetthon  genannt,  ist  ein  idealer 
Strom  des  hyperboreischen  Lichtlandes  und  bei  ihm  wohnen  die  Nymphen 
des  Zeus  und  der  Themis  5) . 


1)  Phanokles  bei  Sync.  Chronogr.  p.  305  Dind.  (Müller  Frgmta  hist.  gr.  IV.  p.  473): 
rayvjirjöriv  6  TdvtnXog  aqndaai  vlbv  rot)  Tyiooe  vn  avrov  xaienoktfAtlto  Tqojos  <oq  ioroQft 
JldvfjLog  iv  ioTOQta  Ztvy  xal  <t>avoxlrjg ;  Mnaseas  in  Müller  1.  I.  III.  p.  154.  Vgl.  dazu 
Stiehle  in  Philol.  IX.  S.  503  und  reichhaltiger  Tafel  Pindari  Olymp,  et  Pyth.  I.  p.  27  mit 
anderen  Stellen. 

2)  Pind.  Ol.  1.40 ff.  (65),  bes.  die  Worte:  tv&a  ötvityq  xQovy  tjl&e  xal  ravujAtjdrjs 
Zqvl  Ttovr  Inl  XQtoS' 

3)  Hoin.  Od.  XI.  582  ff. 

4)  Fab.  102. 

5)  Preller  gr.  Mythol  I.  S.  297  Anm.  ;  Schol.  Apoll.  Argon.  IV.  1397. 


Niobe  am  Sipylos.  431 

Und  auf  Erden  selbst  ist  es  jener  Sumpfsee  Saloe,  in  den  die  Stadt  Sipy- 
los  mit  dem  Bergabhang  und  dem  Königsitze  des  Tantalos  hinabgesunken 
war,  der  an  dem  Fusse  des  Sipylos  hart  sich  hinzieht,  welcher  als  die  lifivrj 
TavtaXov  oder  der  See  Tantalis  für  den  rein  historisirenden  Ausleger  des  My- 
thus bekannt  war1). 

Wir  werden  die  Beziehung  des  Trank  an  die  Menschen  spendenden, 
selbst  durstigen  oder  lustig  zechenden  Tantalos  aber  leicht  mit  jener  unserer 
Grundauffassung  desselben  in  Einklang  bringen,  wenn  wir, an  den  befruch- 
tenden Regen  aus  dem  um  das  Gebirge  gelagerten  Gewitter,  wenn  wir  an 
den  Segen,  der  auf  die  Bergwiesen  mit  ihren  honigreichen  Kräutern,  mit 
ihren  Rinder  nährenden,  Milch  erzeugenden  Triften  sich  vom  Himmel  senkt, 
denken.  Und  Honig,  Milch,  fliessendes  Wasser  war  die  älteste  Götterspende, 
der  alte  Meth,  so  dachte  man  sich  ursprünglich  Nektar  und  Ambrosia2).  Ist 
doch  auch  Ganymedes  für  die  befruchtenden  Ströme  der  Erde  als  Ausgangs- 
punkt, als  vÖQOxdog  in  guter  Zeit  so  von  Pindar8)  gefasst  worden,  hat  man 
von  seiner  Riesenstatue  gesprochen,  deren  Fussbewegung  das  Anschwellen 
des  Nils  veranlasse  und  ist  daher  er  mit  dem  Sternbilde  des  Aquarius  un- 
mittelbar verknüpft  worden.  Aber  wir  begreifen  auch,  wie  dieser  Nektar 
spendende  Tantalos  vor  allem  da  im  Volksglauben  lebendig  sein  musste,  wo 
die  Heimath  des  Weinbaues,  dieses  Nektars,  wie  ihn[Dichter  geradezu  nennen, 
für  den  Griechen  gesucht  ward,  wo  wie  in  Mäonien  am  Tmolos  oder  Sipylos 
selbst  Dionysos  geboren  war,  von  wo  er  seinen  Zug  über  die  Erde  begann. 

Diese  nahe  Stellung  zum  Dionysoscult  und  zwar  zu  der  orgias tischen, 
von  Phrygien  stark  beeinflussten  Feier  der  Agrionia  mit  dem  Opfer  des  zer- 
rissenen, zerstückten  Knaben  hat  auch  etwa  seit  dem  siebenten  Jahrhundert 
dem  Gastmahle  des  Tantalos,  dem  Bilde  des  ersten  Brandopfers  jenes  fremd- 
artige Bild  des  zerstückten  und  neu  belebten  Pelops  gegeben,;  welches  in  der 
Pelopidensage  ethisch  gefasst  Schuld  auf  Schuld  gleichsam  fortgezeugt  hat4). 

Noch  eine  zweite  Seite  bleibt  uns  am  Tantalos  hervorzuheben,  die  Be- 
ziehung zum  Göttergarten,  deren  Schätzen  und  Bewachung.  In  der 


1)  Paus.  V.  13.  4;  VIII.  17.3. 

2)  S.  Bergk  a.a.O.  S.  3*2  ff. 

3)  Pindar.  bei  Philostr.  V.  Apoll.  Tyan.  VI.  2t>,  fr.  267  (110)  bei  Bergk.  Lyr.  gr.  Vgl. 
dazu  Philostr.  Imagg.  1. 5  und  die  bezeichnende  Stelle  des  Schol.  Arat.  Phaen.  2S2:  vS^o^oog 
Ji  ovrog  iSoxh  xixXrjo&m  anb  rrjg  n Qa^tios •  fytov  ya(t  eorrjxiv  ohoxorjV  xal  lx%voiy  noXXrjy 
Ttotiiiai  vyQov  qr<?  tixa&xai  tw  vixtaQi  tov  ravvfi^öovg  xiX. 

4)  Gerhard  im  Rhein.  Mus.  N.  F.  X,  3.  S.  440 — 42.  Rhea  oder  Hermes  ist  es,  welche 
den  in  den  Kessel  wieder  gethanen  zerstückten  Pelops  belebt  und  gesund  macht.  Schol. 
Pind.  Ol.  T.  37. 


\s' 


< 


432  Drittes  Kapitel . 

homerischen   Stelle   der   Nekyia   bilden   neben   dem    Wasser  die  reizenden 
Früchte  die  Qual  des  Tantalos l) : 

Ragende  Bäum1  auch  neigten  ihm  fruchtbare  Aest'  um  die  Scheitel 
Voll  der  balsamischen  Birne,  der  süssen  Feig'  und  Granate 
Auch  voll  grüner  Oliven  und  rothgesprenkelter  Aepfel, 
Aber  sobald  aufstrebte  der  Greis,  mit  den  Händen  sie  haschend, 
Schwang  ein  stürmender  Wind  sie  empor  zu  den  schattigen  Wolken. 

Offenbar  ist  das  kein  Einfall  eines  einzelnen  Dichters,  sondern  ein  allgemein 
als  gekannt  vorausgesetztes  mythologisches  Jtild.  Wir  haben  auch  hier  nicht 
einen  einzelnen  Baum,  sondern  einen  reichen  Baumgarten  der  reichsten  und 
seltensten  Früchte,  wie  sie  im  Homer  sonst  nur  und  ganz  mit  denselben  Wor- 
ten bei  dem  idealen  Alkinoospalast  geschildert  werden  *) ,  wie  sie  vor  allem 
aber  im  Göttergarten  [näyxaQnog  dltofj),  in  dem  der  Hesperiden,  amOkeanos 
und  nahe  dem  Atlas  sich  finden,  in  dem  Garten,  wo  die  Quellen  Ambrosias 
strömen  bei  dem  Lager  des  Zeus8).  Also  Tantalos,  der  Gestrafte  und  Ge- 
peinigte, sieht  immer  den  lockenden  Göttergarten  und  seine  Früchte,  aber 
schattige  Wolken,  auch  dies  nicht  ohne  Bedeutung,  entziehen  jeden  Genuss. 
Damit  stimmt  nun  eine  andere  Sage  des  Tantalos  und  bekommt  ihr 
rechtes  Licht,  die  vom  gestohlenen  goldenen  Hunde,  dem  Wächter  des 
Zeusheiligthumes  auf  Kreta  und  die  Version  vom  goldenen  Widder.  Es 
wird  erzählt4),  nach  Rheas  Willen  ist  ein  goldener  Hund  Wächter  der  den 
kleinen  Zeus  nährenden  Amalthea  im  Verstecke  des  kretischen  Idagebirges. 
Zeus  macht  ihn  dann  zum  Wächter  seines  Heiligthums  in  Kreta,  Pandareos 
stiehlt  ihn  und  bringt  ihn  nach  Sipylos  zum  Tantalos;  dieser  läugnet  dann, 
den  Hund  entweder  dem  Pandareos  selbst  mit  Meineid  ab  oder  dem  Zeus, 
welcher  Hermes  zu  ihm  geschickt.  In  anderer  Wendung  spielt  dieser  Hund 
des  Zeus,  aber  aus  Erz,  nicht  aus  Gold  gebildet,  in  der  Europasage  als  Wäch- 
ter und  ist  in  die  böotische  Sage  dann  verflochten.  Wichtig  aber  für  uns, 
dass  auch  dem  Atlas  ein  Hund  und  zwar  in  Beziehung  zu  dem  Hesperiden- 
garten  zugeschrieben  wird5),  derselbe,  welcher  als  Orthros  zu  dem  westlichen 


1)  Hom.  Od.  XI.  587: 

J&'ctyf«  J*  vifft7i4jr\Xa  xttt  ttxQtj&ey  x&  x«Q7iov 

oy%vai  xa\  (toi  cd  xtt\  ur]Xiai  aylttoxagnot 

Ouxtai  T€  yXuxeoa)  xal  IXnTat  TrjXeSoatOaj' 

luv  onur  t&vOfi'  ytotov  Inl  %tQ(*l  fiaöctofrcti 

t«S  J*  iivffiog  (tlntaaxt  tiotX  vttfca  oxCotvia. 
Daher  Tantalea  poma  Prop.  El.  II.  1 .  66  und  jener  egens  benign ae  TantaluR  »emper  dapis 
Hör.  Epod.  XVII.  67. 

2)  Hom.  Od.  VII.  114—116. 

3)  Eur.  Hippol.  737 ff.    Vgl.  dazu  Preller  gr.  Mythol.  1.  S.  3!Sff.  und  Bergk  a.a.O. 
XII.  Garten  der  Götter.   Atlas  und  Hesperiden  etc. 

4)  Antonin.  Liber.  c.  36;  Schol.  Pind.  Ol.  I.  90.  97. 
b)  Schol.  Apoll.  Argon.  1399. 


Niobe  am  Sipylos.  433 

Riesen  Geryoneus  tritt.  Wir  werden  bei  dem  goldenen  Hunde,  dem  Wächter 
der  Heiligthümer,  wo  jene  himmlischen  Nährerinnen  mit  Milch  und  Honig 
den  Himmelsgott  genährt,  den  die  astronomische  Deutung  auch  an  den  Him- 
mel versetzte,  aber  auch  leicht  den  Uebergang  erkennen,  der  von  dem  Gar- 
ten des  Zeus,  des  Okeanos,  der  Hera,  der  Hesperiden,  des  Apollon,  wie  er 
verschieden  genannt  wird,  und  wie  er  nicht  allein  in  den  Westen,  auch  in  den 
Osten  in  das  Morgenglühn  versetzt  wird,  zu  einer  idealen  Weide  mit  goldeneu 
He  erden  fuhrt;  ein  Uebergang,  welcher  für  den  Griechen  in  dem  Doppelsinn 
der  firjla  xqvobcx,  goldenen  Aepfel  und  Lämmer  so  verführerisch  nahe  lag1). 
Daran  reiht  sich  dann  weiter,  dass  auch  jener  goldene  Widder,  ,  jenes  Wun- 
derlamm  mit  goldenem  Vliesse",  den  die  gewöhnliche  Tradition  von  Hermes  an 
Pelops  oder  Atreus  gegeben  sein  lässt,  bereits  an  Tantalos  geschenkt  wurde2). 
Wer  wollte  auch  hier  das  einfach  schöne  und  grosse  Naturbild  verken- 
nen des  lichten  Himmels  mit  seinen  goldenen  Wolkenlämmern,  der  um  den 
ragenden  Götterberg  sich  spannt,  nachdem  die  lastenden  dunkeln,  regen- 
strömenden Wolken  sich  aufgelöst  und  zerstreut  haben?  Aber  wer  auch 
zweifeln,  dass  auf  Erden  diese  Anschauung  in  einem  reich  gesegneten,  ge- 
rade mit  Fruehtbäumen  edelster  Art  geschmückten  Thale  hart  unter  dem 
drohenden  Abstürze  des  Gebirges,  wo  zugleich  Gold,  dieses  „Kind  des  Zeus", 
um  mit  Pindar  zu  reden,  einst  die  Bäche  in  reichem  Maasse  führten,  bei 
einem  einst  blühenden,  dann  plötzlich  zerstörten  Königsitze  eine  besonders 
reiche  Ausgestaltung  erfuhr? 

So  schliesst  sich  endlich  Tantalos  und  Dione  wahrhaft  naturgemäss  an 
einander,  beide  haben  im  Begriffe  des  Zeus  als  Himmelsgottes  ihre  Wurzeln, 
in  ihrer  Vereinigung  stellen  sie  die  im  Gewitter  drohende,  im  Regen  Segen 
niederströmende,  die  Erde,  zunächst  Wald  und  Wiese  am  Berge  befruchtende 
Himmelsmacht  dar,  beide  reichen  Nektar  und  Ambrosia  und  stehen  zu  dem 
Göttergarten,  als  Wahrer  und  Verschliesser  gleichsam  in  Beziehung.  Auch 
in  dieser  religiös  aufgefassten  Naturseite  haben  wir  die  eine  ursprüngliche 
Beziehung  von  Niobe  als  wahre  Tantalide,  als  Tantalis  zu  Tantalos  zu  suchen. 
Aber  dieser  Naturseite  geht  eine  menschliche  zur  Seite  und  sie  fuhrt  uns 
in  die  griechische  Auffassung  des  Urzustandes  der  Menschheit.  Tantalos  ist 
in  wesentlichen  Beziehungen  das  Bild  des  Urmenschen  in  seiner  Herrlichkeit, 
aber  auch  in  seinem  Fall,  er  scheint  wie  ein  Gebirge  der  Erde  in  den  Himmel 
zu  ragen  *)  und  ihm  zu  trotzen,  steht  daher  zu  Prometheus  in  entschiedener 
Wesensverwandtschaft  und  doch  eigen thümlichem  Gegensatz,  wir  können  ihn 


1)  Schol.  Apoll.  Rhod  Argon.  IV.  V.  1396  :  %AyQolj«q  dl  fv  y  Aißvxüv  y  ijcri,  pri  jii}X« 
ilvai  aXXa  ngoßaia  xaXXior«  S  XQvaä  (ovofiaofrrj  •  fjfftv  dt  lavta  noifi^va  ayQtov,  ov  Jiä  to 
dv7j/u(QOu  Sgdxovtt  atvo/daa&ai. 

2)  Schol.  Eur.  Or.  996. 

3)  Ougavip  xvqun>  ovo»  wird  das  Geschick  des  Tantalos  genannt  •.  oben  8.  39. 

8tark,Niobe.  28 


434  Drittes  Kapitel. 

mit  Phoroneus,  mit  Alalkomeneus,  mit  dem  Opferer  Lykaon  vergleichen, 
aber  dann  wird  er  auch  in  die  Reihe  der  grossen  Frevler,  eines  Tityos,  Sisy- 
phos,  Salmoneus,  Ixion,  Erysichthon  u.  a.  eingefügt.  Die  volle  Entwickelung 
dieser  Auffassung  gehört  entschieden  erst  der  sittlichen  Vertiefung  des  grie- 
chischen religiösen  Lebens,  der  Poesie  eines  Pindars  und  der  Tragiker.  Wir 
sehen  ihn  in  engster  Lebensgemeinschaft  mit  den  Göttern  inGenussundRath, 
wie  dies  als  ältester  Zustand  der  Menschen  überhaupt  aufgefasst  wird1),  in  ihm 
lebt  das  volle  Bewusstsein  göttlichen  Ursprungs,  göttlicher  Verwandtschaft, 
aber  ,,er  vermochte,  um  mitPindar2)  zu  reden,  nicht  zu  verdauen  das  gewaltige 
Glück  und  in  Uebersättigung  wählt  er  die  übergewaltige  Ate,  die  Zeus  über 
ihn  verhängte  in  dem  mächtigen  Stein,  von  dem  immer  erwartend,  das«  er 
das  Haupt  ihn  treffe,  er  verlustig  geht  aller  Freude  (am  Mahl)  und  er  hat  ein 
solches,  nicht  zu  bewältigendes,  von  Mühsal  fest  bedrängtes  Leben,  neben 
dreien  die  vierte  Arbeit".  Unsere  Wanderung  durch  die~griechische  Literatur 
im  ersten  Theil  hat  uns  Niobe  und  Tantalos  fortwährend  gemeinsam,  als  Bil- 
der höchsten  Glückes  aber  auch  furchtbarsten  Sturzes  im  Uebermuth  dessel- 
ben aufgewiesen. 

Worin  besteht  nun  aber  der  Frevel  des  Tantalos  ?  Es  ist  entweder  der 
Missbrauch  der  göttlichen  Gaben,  der  Speisen  wie  des  Rathes  oder  der  Ver- 
such die  Gottheit  zu  täuschen  im  Meineid  oder  im  Opfer.  Tantalos  hat  in 
einer  die  göttliche  Gabe  nicht  achtenden  Vergeudung  Nektar  und  Ambrosia 
seinen  Zechgenossen  unter  den  Menschen  mitgetheilt*)  oder  er  hat  die  Pläne 
des  Zeus,  die  dieser  ihm  anvertraut,  die  „göttlichen  Mysterien"  den  Men- 
schen in  Plauderhaftigkeit  verrathen,  er  hat  eine  zügellose  Zunge4),  oder  er 
hat  mit  Meineid  den  Besitz  des  goldenen  Hundes  geläugnet,  oder  er  hat  end- 
lich beim  Mahle  die  Götter  zu  täuschen  versucht,  indem  er  seinen  eigenen 


1)  Hesiod.  frgm.  fr.  119  ed.  Göttling: 

£vva\  yitQ  ton  öatuc  fattv%  {woi  M  &6*>xot 
a&araToiOi  &£oioi  xaiaihr^toi^  t  ttv&Qtinotg9 
Vgl.  dazu  Hermann  Lehrb.  d.  gr.  Antiquit.  II.  §  I,  7.  S.  4. 

2)  Od.  I.  55—60  (87-95): 

aXXa  yag  xatanfycu 
piyav  oXßov  ovx  täwaofh},  xoQtp  <T  %X$v 

arav  vniqonXov  av  ol  natijQ  vnfQXQ^/uaat  xaQieQov  avrq  XC&ov 
thv  atil  (Atvoivtiv  xufalas  ßaXfTv  tvtfQoovvag  aXürai, 
ty(t  $'  andXapov  ßtov  iovtov  i/untdopox&or 

/Atta  TQKÜV  titttQJOV  novov. 

3)  Pindar  1.  1.  61  mit  Schol. ;  Hygin  fab.  82. 

4)  Eurip.  Or.  10: 

axolaürov  fojft  yXaiooav,  aia^arrjv  vooov. 
Diod.  IV.  74  :  (tnqyyeXXe  tote  av&qtünoic  tu  napa  rote  i&ayatoif  uniQ^ta. 


Niobe  am  Sipylos.  435 

# 

Sohn  zerstückeln,  in  den  siedenden  Kessel  werfen  liess  und  den  Göttern  vor- 
setzt ') . 

Tantalostund  Dione  sind  die  bedeutungsvollsten  Gestalten,  in  deren 
Mitte  Niobe  gestellt  ist,  am  Sipylos,  deren  Wesen  sie  selbst  am  meisten  ver- 
wandt ist.  Unter  den  Niobesöhnen  sind  daher  die  Namen  Sipylos  undTantalos 
fast  durchgängig  bezeugt2),  und  auchAgenor  mag  als  ein  zu  Sipylos  als  dessen 
Vater  gehöriger  Name  hier  genannt  sein  *) .  Ehe  wir  das  Wesen  von  Niobe 
selbst  nun  an  dieser  specifischen  Stätte  aus  den  bestimmten  Merkmalen  gleich- 
sam herauslesen,  haben  wir  aber  ihrer  Verbindung  mit  zwei  Geschwistern, 
Pelops  und  Broteaszu  gedenken.  Pelops  tritt  unter  diesen  beiden  ganz  in 
den  Vordergrund,  wie  überhaupt,  so  speciell  im  Verhältniss  zu  Niobe;  in 
Broteas  haben  wir  vielleicht  nur  ein  schwächeres  Gegenbild  des  Pelops.  Dieser 
erscheint  durchgängig  als  Bruder4),  wohl  auch  als  Halbbruder  Niobes,  wird 
aber  auch  einmal  ihr  Gemahl5)  genannt.  Wir  sind  bei  unserer  Wanderung 
durch  die  griechischen  Stätten,  an  denen  Name  und  Sage  der  Niobe  und  Nio- 
biden  irgendwie  haftete,  in  Argos,  an  lakonischer  Küste,  in  Elis  vor  allen, 
im  westlichsten  Achaia8),  auch  in  Theben  und  der  thessalischen  Achaia,  in 
Theben  am  Ida  Pelops  überall  begegnet,  in  seinem  Gefolge  zeigen  sich  be- 
stimmte Stamm  es  ein  flüssc  und  zwar  der  Achäer,  bestimmte  Culte  wie  des 
Hermes,  der  Göttermutter,  der  Artemis  vom  Sipylos,   der  kleinasiatischen 


1)  Mythogr.  Vat.  II.  102:  Tantalus  rex  Corinthiorum  amicus  numinibus  fuit,  quae 
cum  frequenter  suseiperet  et  quodam  tempore  defuissent  epulae,  volens  divinitatem  eorum 
temptare,  invitatis  filium  suum  Pelopem  oeeidens  epulandum  proposuit.  Die  symbolische 
Bedeutung  dieses  Aktes  überwiegt  früher  durchaus  die  ethische. 

2)  S.  oben  8.  97. 

3)  Pseudoplut.  flu?.  9,  4. 

4)  So  bezeichnet  Ovid  Ib.  588  einfach  Niobe  mit  soror  Pelopis. 

5)  Schol.  Ven.  alt.  und  Lips.  zu  Hom.  IL  XXIV.  602. 

6)  Ich  muss  hier  nachträglich  auf  eine  Lokalität  mit  einer  Fülle  bedeutsamer  Namen 
und  Mythen  daselbst  aufmerksam  machen,  an  welcher  Pelops,  aber  auch  Chloris  eine 
wichtige  Rolle  spielt :  ich  meine  0 1  e  n  o  s  und  die  0 1  e  n  i  a  p  e  t  r  a.  Nach  dem  Schol. 
Pind.  Ol.  I.  37;  IX.  15  ist  nach  dem  Schriftsteller  Autesion  Pelops  ein  Achäer  aus  der 
Stadt  Olenos,  welcher  auch  Homer  gedenke  (IL  11.  639).  Diese  nennt  er  allerdings  in  Aeto- 
lien  neben  Pleuren  und  Pylene,  aber  er  kennt  auch  eine  nitQ^  'ttlfvCt)  im  nördlichen  Elis 
bei  Bupraaion  und  dem  Hügel  Aleision  (IL  XI.  757).  Der  Name  haftete  später  in  Olympia 
selbst  an  dem  Taraxipposstein,  welcher  als  Grab  eines  Autochthonen  und  trefflichen  Roste- 
lenkers Olenios  bezeichnet  ward,  von  dem  auch  ein  Fels  den  Namen  habe  (Paus.  VI.  20. 8). 
Ein  uralter  Ort  Olenos  wird  uns  aber  von  Strabo  (VIII.  3,  S.  II;  7,  5)  und  Pausaniaa 
(VII.  22, 1)  nördlich  an  Elis  angranzend  dem  Meere  nahe,  zwischen  Dyme,  Patvae  und  Pharae 
genannt  und  jener  Fels  wird  als  das  Gebirge  Skollis  bezeichnet.  Dort  finden  wir  nun  aber  einen 
Acheloos,  einen  andern  Fluss  Pieros  oder  Peiros,  einen  dritten  Kaukon,  wie  der  autoch- 
thone  Volkstamm  dort  hiess,  dort  auch  einen  Larisos ;  dort  nahe  auch  eine  Quelle  Dirke. 
Ein  uralter  Hermesdienst  in  Pharai  mit  altem  Platanenhain ,  ein  H eilig th  um  der  Mater 
Dindymene  in  Patrae  sind  sichtlich  nicht  ohne  Beziehung  zu  Pelops.   Aber  der  Name  Ole- 

28* 


436  Drittes  Kapitel. 

Athene  und  vor  allem  des  Zeus,  eudlich  bestimmte  Cultureinflüsse  von  Klein- 
asien in  Reich thum,  vor  allem  an  edlem  Metall,  in  Pflanzen,  so  der  Pla- 
tane,1), in  Grabdenkmälern,  in  Musik  lydischer  und  phrygischer  Weisen ; 
wir  haben  auch  in  der  Sipylosgegend  bestimmte  Culte,  so  der  Aphrodite  und 
des  Hermes  an  seinen  Namen  geknüpft  gefunden,  ebenso  kennen  wir  in 
Thyatira2)  eine  Stadt,  die  als  Pelopia  als  seine  Gründung  galt.  Ein  Thron- 
sitz des  Pelops,  wie  schon  früher  erwähnt  ward,  war  von  Pausanias  *)  auf  dem 
Sipylosgipfel  über  dem  Heiligthum  der  Mater  Piakiene  gekannt ,  aber  auch 
das  einzige  sichtbare  Merkmal  des  Pelops  am  Sipylos. 

Die  Gestalt  des  Pelops,  über  den  wir  jetzt  mehrere,  eingehende  und  be- 
sonders seine  ethnographische  Stellung  im  Bereiche  des  urgriechischen,  spe- 
ciell  achäischen  Wesens  sichernde  Abhandlungen4)  besitzen,  hat  nur  einen 
Theil  ihrer  wesentlichen  Züge  gemeinsam  mit  Niobe,  ein  anderer  Theil  liegt 
daneben  in  einem  zwar  verwandten,  aber  doch  in  sich  selbständigen  religiö- 
sen Kreise,  dem  nämlich  des  Poseidon,  Hades  und  der  Demeter.  Wir  haben 
schon  früher  darauf  hingedeutet Ä) ,  dass  Chloris  oder  Meliboia  jene  in  Her- 
mione,  Olympia,  Pylos,  Olenos,  Orchomenos  auftretende  und  Niobe  verbun- 
dene Gestalt  ihr  ursprünglich  nicht  zugehört  habe,  sondern  aus  einem  ver- 


nos  und  Olenie  hat  eine  speeifische  Beziehung  zu  der  GeburtsRtatte  des  Zeus,  zu  den  näh- 
renden Zeusnymphen  und  endlich  zum  Göttergarten  und  mit  diesem  zu  Chloris.  Es  wird 
nämlich  die  göttliche  Ziege,  von  der  das  Zeuskind  genährt  ward,  von  Ära  tos  die  Olenische 
genannt  (Phaenom.  163  ff.,  Straho  VIII.  7.  5),  Aegac  oder  Aega,  die  nachher  verlassene 
achäische  Stadt  ward  als  Stätte  dieser  «f|  betrachtet.  Nach  Hyginus  (Poet,  astron.  II. 
13)  ist  Olenus  Sohn  des  Vulcan  und  der  Vater  der  zwei  Zeus  nährenden  Nymphen  Aega 
and  Helike  und  von  diesen  sind  jene  Städte  genannt  worden.  Chloris  endlich,  die  Nymphe 
jenes  glücklichen  Gefildes,  wo  einst  vom  Glück  begnadigte  Menschen  lebten  (Chloris- 
nymphe  campi  felicis,  ubi  audis  rem  fortunatis  ante  fuisse  viris  Ov.  Fast.  V.  179),  hat  in 
ihrem  Garten  eine  Blume,  einzig  in  ihrer  Art,  gesandt  von  olenischen  Gefilden  (Oleniis  ab 
arvis  Ov.  1.  1.  251),  deren  Berührung  befruchtet  und  Hera  ohne  Umarmung  des  Zeus  den 
Ares  schenkte.  Dass  wir  Chloris  auch  in  Olympia  begegnen,  haben  wir  damit  wohl  in  Be- 
ziehung zu  setzen. 

1)  Böttcher  Baumkult  S.  116  ff. 

2)  Steph.  Byz.  s.  v.  öi/«t£#(#«. 

3)  V.  13.  4;  s.  oben. 

4)  Ich  nenne  Völcker  Mythol.  des  Japet.  Geschlechtes  S.  75.  351  ff.,  welcher  Pelops 
mit  'iloip,  $Xo$  =  Wasser  (!)  zusammenbringt  und  mit  fXXol,  dann  dens.  in  Zimmermann 
Allg.  Schulzeit.  1*31.  n.  39—42,  ferner  Tafel  Pindar.  p.  43—58,  dann  bes.  Krahners  Arti- 
kel in  Ersch  u.  Gruber  Encyclopädie  111.  Sect.  lli.Thl.  S.  282—294,  und  Klausen  in  ders. 
Encyclop.  III,  2.  S.97ff.  und  noch  Philologus  VII,  495  ff.,  endlich  G.  üietr.  Müller  My- 
thol. d.  griech.  Stämme  1.  S.  S.  95 — 1  lü :  Pelops.  Kürzere  Urtheile  in  Niebuhr  Kl.  Schrift. 
I.  S.  370,  Löbell  Weltgesch.  in  Umr.  u.  Ausführ.  I.  S.  595  f.,  Curtius  Peloponnes.  II. 
S.  559.  Anm.  0,  Gerhard  gr.  Mythol.  II.  $  $"°»  Preller  gr.  Mythol.  II.  S.  207 ff.  Die 
Kunstdarstellungen  sind  zusammengestellt  von  Papasliotis  in  Arch.  Zeit.  1853.  n.  53  ff. 

5)  S.  obenS.  359-361. 


Niobe  am  Sipylos.  437 

wandten  Kreise  der  Demeter  und  Kora  herübergenommen  sei.  In  Pelops 
haben  wir  vor  allem  ein  solches  Bindeglied  zu  suchen,  an  ihn  hat  Chloris 
wohl  früher  als  an  Niobe  sich  gleichsam  angesetzt.  Mit  Niobe  verbindet  ihn 
seine  auf  Zeus  als  auf  den  Berghöhen  thronenden  oder  verehrten  Himmels- 
gott, auf  Hermes  als  zeugerischen,  den  Weiden  am  Gebirge  und  deren  Thie- 
ren  zunächst  angehörigen  Gott,  endlich  auf  Aphrodite,  die  Tochter  Diones, 
die  in  der  Myrte  verehrte,  uralle,  alle  Ehen  und  Völkervereinigungen  stiftende 
Macht  gegründete  Natur.  Pelops  und  Niobe  ziehen  zusammen  aus,  um  jeder 
einen  Ehebund  zu  seh  Hessen,  Reichthum  und  Kindersegen  begleitet  sie  beide, 
beide  sind  wahre  Urbilder  königlicher  Herrlichkeit,  beide  freveln  in  der  ethi- 
schen Fortentwickelung  der  Sage,  aber  in  ganz  anderer  Weise  und  mit  anderen 
Folgen,  in  Niobe  offenbart  sich  die  im  Tantalos  auch  vorausgesetzte  Selbst- 
überhebung gegenüber  einer  höhern,  nur  als  gleichstehend  betrachteten 
göttlichen  Potenz,  gepaart  mit  Offenheit  und  Hoheit,  in  Pelops  der  Sinn  des 
Betrugs,  der  Undankbarkeit  und  Hinterlist,  die  wir  auch  in  Tantalos  nach 
einer  Seite  finden,  gegenüber  dem  scheinbar  untergeordneten,  aber  doch 
entscheidend  hülfreichen  Hermessohne1),  vereint  mit  dem  unvertilgbaren 
Reize  der  Schönheit  und  Gewandtheit.  In  den  Kindern  beider  rächt  sich  der 
Frevel,  dort  durch  gewaltsamen  plötzlichen  Untergang  in  sich  geeinter  blü- 
hender Kinder,  hier  in  der  päderastischen  Verführung  des  Kindes  (Chrysip- 
pos)  oder  dem  furchtbaren  Zwiespalt  der  Kinder  und  gegenseitig  sich  vernich- 
tender Ueberlistung ;  dort  wird  die  Mutter  ganz  zur  Trägerin  nie  endender 
Trauer  und  Thräncn,  hier  sühnt  der  geschickte  Heros  den  Frevel  zunächst 
durch  Cultuseinrichtungen,  flucht  den  Kindern  und  zerstreut  sie  dadurch2), 
in  seinen  Nachkommen  wirkt  durch  Geschlechter  der  Rachegeist,  der  Alastor 
fort,  er  selbst  aber  bleibt  das  Bild  königlichen  Glückes.  Unter  den  Niobe- 
kindern  weisen  wohl  ausser  Pelopia  und  Chloris  auch  noch  Namen  wie  Da- 
mippe,  Lysippos,  Damasichthon  auf  die  Pelopische  Verwandtschaft  hin. 

Neben  Pelops  taucht  in  ein  Paar  Stellen  eine  zweite  Gestalt  noch  als 
Sohn  des  Tantalos  und  Bruder  Niobes  auf,  deren  mythologische  Eigentüm- 
lichkeit kaum  hinlänglich  aus  ganz  vereinzelten  Zügen  zu  erkennen  ist,  Bro- 
te as8).  Als  ein  Sohn  des  Tantalos4),  als  ein  Vater  eines  Tantalos  und  zwar 
mit  Klytemnestra,  ehe  diese  mit  Agamemnon  sich  vermählt,  als  Verfertiger 
des  ältesten  Steinbildes  der  Göttermutter  am  Sipylos  wird  er  uns  genannt. 


1)  Dies  ist  bei  Paus.  II.  18.  2  :  rb  jiiaafta  rb  TTtXonog  xal  b  MvqjUov  7jQoajQ6naiog. 

2)  Maut.  prov.  cent.  11.  1)4  in  Paroemiogr.  gr.  IL  ed.  Schneidewin  et  Leutach  p.  773. 

3)  Ueber  Broteas  vgl.  Preller  in  Philol.  VII.  S.35,  bes.  Gerhard  im  Rhein.  Mus.  N.F. 
VIII.  1851.  S.  130—132,  gr.  Mythol.  II.  g  874. 

4)  Paus.  II.  22.  4 ;  111.  22.  4 ;  Mant.  prov.  cent.  II.  94,  in  Paroemiogr.  gr.  II.  p.  772. 
Bei  Pausanias  ist  handschriftliche  Lesart:  Bqwiias.  , 


438  Drittes  Kapitel. 

Der  Name  begegnet  uns  bei  Ovid  dreimal,  zweimal  unter  Heroen  und  Gast- 
genossen ,  die  beim  Mahle  paarweise  getödtet  werden,  bei  Perseus  Hochzeit- 
mahl1) und  bei  dem  des  Peirithoos2).  Das  dritte  Mal  tritt  uns  ein  sehr  be- 
deutsamer Zug  an  einem  Broteas  auf:  er  habe  im  Wunsch  zu  sterben  sich 
selbst  lebendig  auf  den  brennenden  Scheiterhaufen  begeben  *) .  Das  Scholion 
dazu  nennt  diesen  einen  Sohn  des  Vulcan  und  der  Minerva  und  zwar  einen 
missgestalteten.  Hier  werden  wir  geneigt  6 ein,  Bronteas  als  ursprünglichen, 
in  Broteas  aus  etymologischem  Interesse  gewandelten  Namen  aufzufassen, 
wenn  auch  die  Beziehung  zu  Bqotog  als  erdgeborenem  Menschen  *}  in  dem 
Namen  des  Sohnes  oder  Pfleglings  derselben  Verbindung,  Erichthonios  vor- 
liegt. Die  Selbstverbrennung  erinnert  an  assyrisch-lydische  religiöse  Auffas- 
sung der  Neubelebung  und  Apotheose.  Der  Name  Bqotiag  kann  aber  nicht 
mit  Gerhard  von  ßfHooxsiv,  ßqwzSg  oder  direkt  von  ßqotog  d.  h.  Blut  abge- 
leitet werden,  sondern  ist  durch  ßQoteog,  ßqoteiog,  Nebenform  von  ßQorog, 
d.  h.  der  sterbliche  Mensch.  Broteas  wäre  danach  der  specifische  Mensch 
als  Sterblicher,  als  Techniker  und  Götterbildner,  in  dieser  Beziehung  miss- 
gestaltet wie  Hephästos  gebildet,  der  sich  selbst  Verbrennende  endlich  ana- 
log dem  lydischen  Herakles.  Jedenfalls  haben  wir  hier  eine  in  den  Bereich 
der  ersten  Menschen  und  ihres  göttlichen  Ursprunges  hereingehörige  Gestalt. 
Noch  einem  Nebenpfade  haben  wir  unter  den  die  Niobe  am  Sipylos  um- 
gebenden Sagengestalten  nachzugehen,  der  lydischen,  aber  bereits  ganz  hel- 
lenistisch gefärbten,  unter  griechischem  Einflüsse  stehenden  Erzählung;  sie 
ist  von  uns  nach  ihren  Gewährsmännern  bereits  früher5)  vorgeführt  worden. 
Dass  es  sich  für  uns  nicht  darum  handeln  kann,  hierin  die  ursprüngliche 
Sagenform  zu  erkennen  und  alle  bisher  betrachteten  als  freie  griechische  Um- 
bildungen einer  fremden  Sage,  wie  Welcker  es  früher  aufgefasst  hat6),  dafür 
giebt  die  ganze  Reihe  unserer  bisherigen  Untersuchungen,  dafür  die  Natur 
der  Gewährsmänner  und  die  Form  der  Erzählung  Zeugniss.  Der  Name  des 
Vaters  der  Niobe,  Assaon  oder,  wie  er  einmal  in  hellenischer  patronymischer 


1)  Metam.  V.  107:  hinc  gemini  fratres  Broteasque  et  caestibus  Ammon 
invictus  —  cecidere  manu  — .   Mit  ihnen  wird  ein  Cerespriester  Ampykos  genannt. 

2)  Metam.  XII.  262 :  depressitque  duos  Brotean  et  Orion. 

3)  Ibis  517 :  quodque  ferunt  Brotean  fecisse  cu pidine  mortis 

dextera  succensae  membra  cremanda  pyrae. 

4)  In  Etymol.  M.  s.  v.  ßQorbs  leitet  Euhemeros  es  ab  anb  Bqotov  nvbq  aviox&ovos, 
Hesiod  kennt  einen  JJqojos  6  Ai&iQog  xal  'H/diftas. 

5)  S.  5(>.  57. 

6)  Aeschyl.  Trilogie  S.  J53f.  Ob  Welcker  noch  heute  dies  festhält,  geht  aus  den  treff- 
lichen, gedankenreichen  Worten  desselben  über  Niobe  in  d.  griech.  Götter!.  III.  S.  124  ff. 
nicht  hervor;  hier  behandelt  er  nur  die  griechische  Auffassung.  Schwenck  hat  diese  Irdi- 
sche Sage  als  ursprüngliche  behandelt,  mit  griechischen  Etymologien  aber  Hinweis  auf 
semitische  Anschauung  im  Rhein.  Mus.  N.  F.  XI.  4.  S.  4S4. 


Nlobe  am  Sipylos.  439 


FormAsonides1)  heisst,  mochte  den  Griechen  wohl  an  aaäv  kränken  erinnern, 
aber  wird  eher  eine  semitische  Wurzel  haben3).  Der  Gemahl  der  Niobe, 
welcher  als  in  Sipylos  wohnender  Assyrer8),  d.  h.  als  ein  Glied  der  assy- 
risch -lydischen  Dynastie  bezeichnet  wird,  wird  Philottos  genannt,  ein 
Name,  der  wohl  äusserlich  an  die  mit  <pil  zusammengesetzten  Namen  erin- 
nert, aber  sicher  auch  eine  nichtgriechische  Wurzel  hat,  ebenso  wie  der 
mannweibliche  Phrygier  Androkottos4),  wie  der  assyrische  Statthalter  de6 
Ninos  in  Paphlagonien  Kottas ö) .  In  der  Erzählung  selbst  wird  eines  Strei- 
tes mit  Leto  auch  gedacht,  ebenso  des  grossen  Kinderreichthums  (zwanzig 
Kinder).  Der  eigentliche  Schwerpunkt  liegt  aber  theils  in  dem  Tode  des 
Mannes  auf  der  Jagd  durch  einen  Bären6),  ein  Symbol  winterlicher,  zerstö- 
render Natur7),  analog  Adonis  und  Attis,  die  durch  den  Eber  auf  der  Jagd 
umkommen,  theils  in  der  unnatürlichen  Lust  des  Vaters  zur  Tochter,  wie  wir 
sie  umgekehrt  in  Myrrha  oder  Smyrna,  der  Mutter  des  Adonis  zu  ihrem  Vater, 
dem  Assyrer  Theias  oder  Kinyras  finden 8) .  Auch  die  Verbrennung  der  zum 
Frühstück  gerufenen  Kinder  weist  auf  semitischen  Molochdienst.  Endlich 
Niobe  stürzt  sich  vom  höchsten  Fels,  ähnlich,  der  von  Minus  verfolgten  Bri- 
tomartis  auf  Kreta,  einer  auch  wesentlich  semitischen  Sage. 

Treten  wir  nun  zur  Niobe  selbst  auf  dem  Boden  von  Sipylos  heran 
nachdem  wir  den  ganzen  Umkreis  der  Gestalten,  die  mit  ihr  hier  in  Verbin- 
dung gesetzt  sind,  betrachtet  und  gleichsam  von  ihr  abgelöst  haben.  Auch 
bei  ihr  ist  wie  bei  Tantaloe  dem  Hellenen  der  höchsten  künstlerischen  Ent- 
wickelung  seines  Volkes,  einem  Sophokles9),  noch  nicht  das  Bewusstsein 
erloschen,  dass  er  es  mit  einer  göttlichen  Gestalt  zu  thun  hat,  hoch  erhaben 
über  die  idealisirten  Gestalten  einer  menschlichen  frühem  Periode,  dass  ihr, 
wenn  sie  auch  keine  Anbetung  mehr  empfängt,  doch  eine  solche  ihr  gemäss 
ist.  Aber  wir  sehen  dieselbe  wie  Tantalos  gleichsam  herabsinken  aus  dem 
Götterkreise,  aus  dem  Bereiche  jener  göttlich  verehrten  Welt,  die  hinter  den 
Erscheinungen  der  Natur  vorausgesetzt  wird,  auf  die  Erde,  in  die  bestimmte 


1)  So  heisst  auch  ein  Aeginet  Herod.  VII.  181. 

2)  Ist  nicht  in  v?,  das  Gestirn  des  Bären  und  an  das  Verbuni  yöy  =  rauchen,  entbren- 
nen zu  denken  ? 

3)  Schol.  Eur.  Phoen.  1,  59 :  —  ix  4»ilortov  TOVjioovQfou,  og  tpxti  Iv  2invXy. 

4)  Athen.  XII.  p.  530  c:    'AvÖQoxorios  6  <Pqv£,  der  mit  Sardanapallos  gleichgestellt 
wird. 

5)  Diod.  II.  226. 

6)  Dies  giebt  der  Zusatz  des  Cod.  Florent.  in  Schol.  Eur.  Phoen.  159:  of  avyQ&ri  h 
xvvijytüiqt  vnb  ctQXiov. 

7)  Gerhard  gr.  Mythol.  §  40,  2. 

8)  Apollod.  111.  14.  4 ;  Ov.  Met.  X.  298ff.;  Serv.  Virg.  Ecl.  X.  18. 

9)  S.  obenS.  42  ff. 


440  Drittes  Kapitel. 

Lokalität  und  da  an  festhaftende  Zeichen,  selbst  an  historische  Denkmä- 
ler sich  als  Heroine  anknüpfen.  Ja  wir  horchen  mit  ihr  des  Rufes,  der  sie 
unter  die  Erde  ruft1),  steigen  mit  ihr  in  die  Unterwelt  hinab2),  dort  ihr  be- 
gegnend wie  sie  die  Zahl  ihrer  Kinderschatten  überzählt*).  Und  wie  in  Tan- 
talos  ist  in  ihr  jener  innere  Parallelisinus  zwischen  Naturleben  und  den  Ur- 
yerhältnissen  der  Menschheit  ausgesprochen,  die  noch  fortwirken  in  der  gan- 
zen sittlichen  Existenz  der  nachkommenden  Geschlechter. 

Niobe,  die  Tochter  des  Tantalos  und  der  Dione,  ja  auch  Gemahlin  des 
ersteren  gehört  in  den  Bereich  des  Götterberges,  der  Götterstadt,  des  Götter- 
gartens, an  die  nährenden  himmlischen  Quellen,  sie  ist  selbst  das  Produkt 
gleichsam  dieser  im  strömenden  Regen,  auf  quellenreichen  Gründen  sich  offen- 
barenden Vereinigung  des  hochthronenden  Himmelsgottes  und  der  weiblichen 
auf  der  Erde  gelagerten  Himmelsfrau,  sie  ist  selbst  diese  Erde,  die  in  Man- 
nigfaltigkeit, Schönheit  und  Zahl  ihrer  Kinder  diesen  Segen  bewährt,  unmit- 
telbar darstellt,  sie  die  da,  wie  wir  früher  sahen,  nach  des  Tragikers  Wor- 
ten4) glaubte  „in  immer  blühendem  Leben,  von  den  Sprossen  ihrer  Kinder 
strotzend  das  süsse  Tageslicht  zu  schauen".  Wir  haben  hier  wohl  die  ein- 
zelnen, durchaus  gleichbleibenden  Züge  festzuhalten.  Es  ist  baare  Willkür, 
wenn  Schwende5)  meint,  die  wahre  Niobe  könne  nur  Einen  Sohn  haben,  wie 
Kybele  den  Attis,  ebensowenig  als  der  Sohn  der  Leto  sie  verfolge  und  Apollo 
und  Artemis  die  Kinder  tödten ;  die  Mehrzahl  der  Kinder,  dies  ganze  Ver- 
hältniss  zu  Apollo,  Artemis  und  Leto  sei  reine  Hinzudichtung  auf  thebani- 
schem  Boden.  Das  heisst  einen  Mythus  seiner  eigentümlichen  Züge  ent- 
kleiden und  gewaltsam  einen  anderen,  ihn  etwa  berührenden  eines  anderen 
Volkstammes  an  die  Stelle  setzen.  Nein,  gerade  am  Sipylos  ist  die  Fülle, 
die  grosse  Zahl  der  Kinder  durchaus  constant,  man  denke  an  die  Zwölfzahl 
des  Homer,  an  die  Zahlen  zwanzig  in  der  specifisch  lydischen  Tradition  wie 
bei  Mimnermos6),  zehn  des  A lkm an.  Ebenso  fest  steht  in  aller  Ueberliefe- 
rung,  dass  beide  Geschlechter,  Söhne  und  Töchter  unter  den  Kindern  und 
zwar  möglichst  in  gleicher  Zahl  sich  befanden.  Weiter  ist  die  Schönheit  eine 
specifische  Eigenschaft  Niobcs  selbst,  wie  ihrer  Kinder :  ihre  Schönheit  trägt 
ausdrücklich  ein  göttliches  Gepräge7)  in  denselben  Beinamen,  so  wird  sie 
wie  Leto  von  der  Schönheit  des  Haares  genannt.    Auf  die  evtsxvla  und  xcrJU 


1)  S.  3S  au 8  Aeschylos. 

2)  Niobe  und  Charon  im  Epigramm  S.  60.  Note  3. 

3)  Statius  s.  oben  S.  SO.  Not.  1. 

4)  S.  IS. 

5)  Rhein.  Mus.  N.  F.  XI.  S.  401. 

6)  S.  31. 

")  Digna  dea  facies  Ov.  Metam.  VI.  182,  dazu  s.  oben  S.  228  ff. 


Niobe  am  Sipylos.  441 

kittxvia*),  nicht  blos  auf  die  Kinderzahl  ist  sie  stolz.  Dazu  kommt  noch 
der  spezifische  Hegriff  des  oXßo§9  des  Reichthums  an  Gütern  und  Gaben,  so 
wie  der  der  Herrschaft  und  deren  Anerkennung  der  Niobe  wie  Tantalos  zu 
gehört.  Auch  sie  ist  Genossin  und  Freundin  von  Göttern,  wie  Tantalos  des 
Zeus,  so  Niobe  der  hehren  Göttin  der  Nacht,  aus  der  das  Licht  geboren  wird, 
derLeto  und  freundlicher  Mächte  des  Tageslichtes,  wiePhoibe  undHilaeira*). 

Das  sind  keine  Züge,  wie  wir  sie  in  der  phrygischen  Göttermutter,  der 
Kybele  suchen  können,  der  der  Wölfe  und  muthiger  Löwen  Gebrüll,  der 
hallende  Berge  und  waldige  Schluchten  gefallen,  der  Castagnetten  und  Tam- 
burin und  Flötengepfeife  ertönt3).  Dagegen  werden  wir  unmittelbar  durch 
einen  anderen  homerischen  Hymnus4)  an  die  Allmutter  Gaia  gewiesen,  die 
alles  auf  Erden  nährt,  was  es  giebt,  aus  ihrem  Beichthum  (okfiog).  „Von  dir  t 
werden  sie  glücklich  in  Kindern,  glücklich  in  Frucht,  du  Erhabene,  von 
dir  hängt  es  ab  zu  geben  Lebensbedarf  und  zu  nehmen  den  sterblichen  Men- 
schen. Glücklich  der,  den  du  wohlgesinnt  ehrst,  dem  ist  in  Fülle  alles  vor- 
handen. Ihnen  pranget  von  Gaben  das  Fruchtfeld,  auf  den  Auen  gedeihen 
die  Heerden,  das  Haus  füllt  sich  mit  edeln  Gaben,  sie  selbst  herrschen  in 
Ordnung  über  eine  Stadt  voll  schöner  Frauen,  viel  Glück  und  Beichthum 
folgt  ihnen  nach.  Die  Söhne  frohlocken  in  jugendlich  irischer  Festlust,  die 
Jungfrauen  hüpfen  in  blühendem  Reigen,  heitern  Sinnes  scherzend  auf  dem 
Blumenteppiche  der  Wiese,  denen,  die  du  ehrst,  erhabene  Göttin,  an  Gaben 
überreiches  Wesen."  Ist  es  nicht  Niobe  selbst,  in  welcher  diese  Gaben  der 
Gaea  alle  vereint  sich  zeigen  / 

Aber  sie  repräsentirt  nicht  dieses  Bild  der  Mutter  Erde  in  ihrer  Allge- 
meinheit, sie  ist  wie  ihre  Mutter  Dione  individualisirt  als  Nymphe,  als  eine 
dieser  gleichsam  gebundenen ,  nicht  zu  freier  Vollendung  gekommenen  Ge- 
stalten und  prägt  als  solche  diese  eine  bestimmte  Seite  der  Kinderfülle  im 
Leben  der  Pflanzen  wie  der  Thiere  und  vor  allem  der  Menschenwelt,  der  Schön- 
heit der  irdischen  Erscheinung  vollständig  aus  und  zwar  ebenso  sehr  in  ihrem 
Besitz,  in  ihrem  Bestehen,  wie  in  ihrem  nothwendigen  Vergehen,  in  ihrem 


1 )  S.  84.  85. 

2)  S.  oben  S.  159. 

3)  Hom.  h.  XIV. 

4)  Hom.  h.  XXX  :     elg  rfjv  t*tjT£(ta  nttvtiav. 
Ich  mache  aufmerksam  auf  die  Stelle : 

raSi  yfyßtrai  ix  ot&tv  olßov 
fx  <s(o  S*  tvnuiSig  it  xal  toxagnoi  Ttktdovot, 
noma,  Otv  <T  fytreu  öovvai  ßlov  i)<f  *  d(f(X£o&tti 
9i'tiTols  av&Q<»7ioic  *  o  <T  olßtog  ov  xt  ab  #c//uqf> 
7TQO(fQwv  rtfiqafts'  rtji  r  aq&iTa  navxa  naQtartv. 
ßQlfrtt  /iiv  oifiv  «qqvq*  ijCQtoßiog  ttfl  xar  dygovg 
xtrptoiv  tv&firu,  olxog  9*  ipntnlanu  io&Xühr  xrl. 


•    L 


442  Drittes  Kapitel. 

immer  sich  wiederholenden  Verlust.  So  breitet  sich  über  diese  Repräsentantin 
des  Glückes  und  Reichthums  die  Decke  nie  endender  Wehmuth.  Und  ge- 
rade diese  Seite  der  Vergänglichkeit,  der  Vernichtung  und  der  Trauer  in  all 
der  Pracht  und  Herrlichkeit,  am  Sipylos  in  jener  grossen  Katastrophe  einer 
blühenden  Königstadt  und  Landschaft  unauslöschlich  ausgeprägt ,  gab  der 
rein  menschlichen,  ethischen  Betrachtung  den  reichsten  Stoff  und  Hess  unter 
der  Hand  ausarbeitender  Dichter  und  unter  dem  Einflüsse  der  apollinischen 
Religionsstufe  nun  das,  was  einen  im  Wesen  der  Dinge  begründeten  Cha- 
rakterzug Niobes  bildete ,  als  einen  freien  Akt  sittlicher  Verschuldung  er- 
scheinen. Umgekehrt  aber  auch  erblickte  in  ihr  der  irrende,  fehlende,  aus 
höchstem  Glück  in  Vereinsamung  und  Unglück  gestürzte  Mensch  ein  trösten- 
des Bild,  das  des  Mitleidens  der  Natur,  aber  ebenso  ursprünglich  göttlicher, 
auch  im  Leiden  noch  erhabener  Menschennatur. 

Was  sind  nun  die  charakteristischen  Züge  dieser  Niobe,  was  ihre  lokalen 
Symbole  am  Sipylos?  Es  sind  die  Thränen  und  der  Fels.  Von  Homer 
bis  in  die  letzten  Ausläufer  der  antiken  Literatur  werden  uns  diese  zwei  Haupt- 
züge und  Merkmale  immer  neu  vorgeführt,  an  welche  zwei  andere  jedoch  un- 
tergeordnet anschliessen.  In  mannigfachen  Abstufungen  vom  Allgemeinen  zum 
Lokalen  und  Historischen  wird  der  Fels  aufgefasst.  In  Homer  erscheint  die  Ver- 
steinerung als  ein  allgemeines  weit  sich  erstreckendes,  die  Menschheit  über- 
haupt betreffendes  Ereigniss  und  das  Grab  der  Kinder  von  Götterhand  ist  als 
ein  gewaltig  aufgethürmterBerg  zu  fassen.  In  dem  jüngeren  Zusätze  wird  erst 
Niobes  eigene  Versteinerung  unter  den  Felsen  des  Sipylos  bestimmt  angegeben. 
An  diese  ältere  Anschauung  vom  Gebirg  als  Grab  der  Kinder  schliesst  sich  sicht- 
lich auch  Aeschylos  an,  wenn  er  Niobe  sitzend  auf  dem  Grab  der  Kinder  ein- 
fuhrt. Bei  Sophokles ')  in  der  Elektra  ist  sie  selbst  in  dieses  Felsengrab  ein- 
geschlossen und  weint  dort  ewig,  in  der  Antigone  giebt  uns  der  Dichter  da« 
Bild :  wie  Epheu,  so  habe  sie  am  Sipylos  der  Fels  umrankt,  umschlossen  und 
Schnee  und  Regen  verlassen  sie  nie,  sie  selbst  netze  mit  ihren  Thränen  den 
Bergnacken.  Sie  selbst  also  waltet  dämonisch  in  dieser  Bergumhüllung,  der 
rinnende  Quell,  genährt  an  Regen  und  Schnee  ist  die  Offenbarung  ihres  Le- 
bens, ihrer  Empfindung.  Das  regelmässig  in  schwermüthigem  Takt  abtro- 
pfende Nasseiner  Quelle  an  einer  nach  Norden  gerichteten,  den  Sonnenstrahlen 
nicht  ausgesetzten  steilen  Bergwand  war  für  die  griechische  Anschauung  das 
unmittelbar  verständliche  und  ergreifende  Symbol  der  im  Winter  trauernden 
Erdmutter.  Kein  Wunder,  dass  auch  wohl  in  dem  zu  Eis  erstarrten  Quell 
einige  die  Verwandlung  Niobes  erkannt');     In  einem  Namen  der  Tochter, 


1)  S.  oben  S.  42  ff.    Noch  bei  Palaephatus  de  incred.  9  (p.  279  ed.  Westerm.)  heisst 
es :  tfaalv,  tag  Ntoßtj  ymoa  ll&oi  tyiviio  inl  i(j>  zvpßtp  ttüv  naiöetv. 

2)  Schol.  Hom.  11.  XXIV.  602 :  uvls  9k  tk  K^iataXlov  ttvtjv  puTaßißlrjo&tu  tpaotp. 


Niobe  am  Sipylo«.  443 

Chione,  Chiade  oder  Chias  ist  die  Beziehung  zum  Schnee,  der  nach  Sopho- 
kles nie  Niobes  Haupt  neben  des  Zeus  Regen  verlässt,  gegeben. 

Meist  geht  durch  diese  Schilderungen  der  versteinerten,  weinenden  Niobe 
am  Sipylos  noch  der  Gedanke  einer  idealen  Natur,  wie  sie  an  den  verschie- 
densten Orten  der  sichtbaren  zu  Tage  treten  könne.  Erst  die  spätere  entwe- 
der in  strenger  Altgläubigkeit  den  Mythus  als  reine  Historie  fassende  Richtung 
eines  Pausanias  oder  die  alles  natürlich  aus  Zufälligkeiten  oder  Berechnung 
erklärende  Anschauung  später  Grammatiker  knüpft  die  Versteinerung  Nio- 
bes ganz  allein  an  die  Existenz  jenes  alten  merkwürdigen  Steinreliefs  am  Si- 
pylos, das  sogar  zum  reinen  Naturspiel  gemacht  wird.  Dass  dieses  aber,  wie 
es  als  ein  Werk  einer  verschwundenen,  urgriechischen  Culturperiode,  kaum 
als  von  Menschenhand  gefertigt  die  späteren  Geschlechter  wunderbar  an- 
muthete,  dazu  in  einer  Umgebung,  die  laut  Zeugniss  ablegte  von  jener  Zer- 
störung einer  blühenden  Erdstätte,  mit  dazu  beigetragen  hat  gerade  hier  die 
sitzende,  versteinerte  Niobe  zu  fixiren,  liegt  ebenso  auf  der  Hand,  als  in  jenem 
über  das  Bild  rinnenden  Quell,  in  jenen  strömenden  Quellen  am  Fusse  des  Ge- 
birges, wie  wir  ja  noch  eine  in  hochbedeutsamer,  uralter,  in  ein  Giebeldach 
endender  Fassung  kennen  lernten,  hier  vor  allem  Niobes  Thränen  zu  rinnen 
schienen,  umsomehr,  wenn,  wie  Hellauikos  berichtet1),  eine  Quelle  daselbst, 
eine  incrustirende,  mit  Stein  überziehende  Wirkung  ausübte. 

Unsere  Durchmusterung  der  religiösen  Anschauungen  und  Culte  in  der 
Umgebung  des  Sipylos  hat  aber  die  ausserordentliche  Bedeutsamkeit  der  Ur- 
mächte  des  Wttsers  in  Flüssen,  Quellen,  kleinen  Seen,  den  Nymphencharak- 
ter der  weiblichen  Göttergestalten  neben  dem  hehren,  aber  auch  in  Gewitter 
drohenden,  in  Regen  sich  herabsenkenden  Himmelsgott,  neben  dem  zeuge- 
rischen,  befruchtenden  Hermes  ins  Licht  gestellt,  wir  tragen  kein  Bedenken, 
auch  Niobe  ihrer  ältesten  Auffassung  nach  vollständig  hier  hineinzustellen. 
Aber  wie  wir  dort  die  Mischung  einer  griechischen  Muttergöttin  und  auch  Mutter 
aller,  der  Gaea  mit  der  phrygischen  Bergmutter,  einen  sehr  grossen  Einfluss 
ihres  Cultes  kennen  lernten,  kann  es  durchaus  nicht  verkannt  werden,  dass 
gerade  jene  Felsnatur  Niobes  durch  denselben  so  in  den  Vordergrund  ge- 
schoben ist,  dass  die  Verwandelung  in  ein  bestimmtes  Felsstück  des  Sipylos 
erst  unter  diesem  Einfluss  erfolgt  zu  sein  scheint. 

Der  phrygische  Göttermythus  ist  getragen  gleichsam  von  der  Heiligkeit 
der  Felsgipfel,  von  der  Empfangniss  der  petra,  speciell  des  Agdos  und  deren 
Kind  Agdestis  2) ,  die  Namen  der  grossen  phrygischen  Göttin  erweisen  diesen 
speeifischen  Cult  waldiger  und  felsiger  Berggipfel.  So  ward  Pyrrhos,  der  zu 
Rhea,  jener  mit  Kybele  in  jüngerer  Zeit  ganz  vermischten  Gestalt,  in  Liebe 


1)  S.  obenS.  34. 

2)  Arnob.  V.  5—7;  Paus.  III.  17,  5.    Vgl.  dazu  Gerhard  gr.  Mythol.  §146}  Preller 
gr.  Mythol.  1.  8.  402.  404;  Duncker  Gesch.  des  Alterth.  I.  8.  245 ff. 


444  Drittes  Kapitel. 

entbrannte ,  in  Phrygien  in  einen  Stein  verwandelt  und  als  Niobes  Nachbar 
genannt').  So  hat  Euripides  Demeter  und  die  Bergmutter  der  Götter  in  der 
Helena  ganz  identincirt  und  lässt  diese,  da  sie  ihre  Tochter  Deo  sucht,  auf 
ihrem  von  Thieren  des  Waldes  bespannten  Wagen  fahrend  von  Artemis  und 
Gorgo  begleitet  zu  den  schneegenährten  Warten  idäischer  Nymphen  kom- 
men, Steine  in  den  Wald  schleudern  und  so  auf  allen  Gefilden  der  Erde  das 
Grün  und  die  Quellen  aufhören3). 

Zwei  begleitende,  aber  untergeordnete  und  nicht  allgemein  angenom- 
mene Züge  im  Mythus  der  Niobe,  nämlich  ihr  aber  doch  auf  eine  gewisse 
Zeit  beschränktes  Fasten,  sich  Enthalten  aller  Speise,  ein  Punkt,  welcher 
gerade  Veranlassung  giebt  Niobe  Priamos  in  der  Ilias  gegenüberzustellen  und 
ferner  ein  vom  Sturmwind  Versetztwerden  finden  in  verwandten 
Mythenkreisen  ihre  genügende  Bestätigung.  Das  Erstere  ist  bekanntlich  auf 
rein  griechischem  Boden  im  Bereiche  der  Erdgottheiten,  besonders  der  De- 
meter, ein  wesentlicher  Best  andtheil  des  Mythus  wieCultus,  ein  unmittelbares 
Innewerden  der  Früchte,  besonders  des  Getreides  als  freundlicher  Gaben  der 
Gottheit ,  welche  zürnend,  selbst  trauernd  sie  auch  entziehen  kann  3) .  Dass 
auch  im  Dienste  der  Magna  Mater  Phrygiens  das  Fasten  eine  Rolle  spielte4), 
wie  es  überhaupt  im  Orient  eine  ganz  anders  durchgreifende  religiöse  Bedeu- 
tung hatte,  ist  ebenso  natürlich,  als  damit  noch  nicht  wahrscheinlich,  dass 
dieser  Zug  gerade  von  Phrygien  in  die  Niobesage  gekommen  sei.  Der  zweite 
Punkt  in  der  Niobesage,  den  z.  B.  Ovid&)  hervorhebt,  findet  in  dem  Küsten- 
bereiche des  griechischen  Archipels  und  gerade  in  Mythen,  die  mit  Niobe  in 
enger  Beziehung  stehen,  volle  Analogie,  so  wird  Ganymedes,  so  auch  Pelops 
in  die  Höhe  gerafft6),  so  werden  die  Pandareostöchter  in  Milet  oder  Lykien 
von  den  Harpyieen  hinweggerafft7),  so  wünscht  Helena8)  von  einem  Sturm- 


1)  Nonn.  Dionys.  XII.  82: 

—  *nl  iooirat  ttvroOi  ytdwv 
JIvQQog  tQ<üfiav4(oi>  ^»Qvyiog  X(&og,~t1a(ii  Ptit]g 
olaiqov  fyov  uStfxioiov  avvfHftvrtov  ufitvatatv. 

2)  Eurip.  Helen.  132t  ff. 

3)  Neun  Tage,  wie  Niobe,  geniesst  Demeter  nicht  Ambrosia  und  Nektar  Hom.  h.  in 
Cerer.  49.  50.  Vgl.  129.  200:  «naorog  Mrjrvog  »Jett  noi7\xog,  470  ff.  Zum  Cultus  vgl.  K.  F. 
Hermann  Lehrb.  d.  gr.  Anüquit.  11.  g  43,  4;  55,  33;  56,  17;  6S,  6. 

4)  Preller  röm.  Mythol.  S.  736,  4. 

5)  Met.  VI.  310:  validi  circumdata  turbine  venti  in  patriam  rapta  est.   S.  oben  S.  75. 

6)  Hom.  11.  XX.  232  ff.  mit  Schol.,  h.  in  Ven.  202;  Pind.  Ol.  1.  40.  ^Qnaytia  kannte 
man  an  mehreren  hohen  Punkten  von  Troas. 

7)  Hom.  Od.  XX.  66—  78. 

8)  11.  VI.  346 :  &g  (a  oytl*  ij/nati  jqt  ort  pt  n^üiiov  r&c  /uifrjy(> 

otxeo&cti  ngotptyovoa  xaxrj  arffioto  &vill(t 
ttg  oQog  rj  tfg  xv/ua  nolvtfloiaßoto  &ala00tjg. 


Niobe  am  Sipylos.  445 

wind  auf  einen  Berg,  oder  in  das  Meer,  Penelope1)  zum  Okeanos  entrafft  zu 
werden. 

Und  endlich  der  plötzliche,  keines  verschonende  Tod  der  Kinder 
Niobes,  ist  er  nicht  ganz  im  Sinne  jener  bogengewaltigen  Gottheiten  gedacht, 
mit  denen  und  deren  Mutter  Niobe  in  Conflikt  gerathen,  die  den  plötzlichen 
Tod  senden,  deren  Pfeile  als  Pest  durch  ganze  Heere  gehen,  wie  wir  sie  gerade 
an  der  kleinasiatischen  Küste  im  Bereiche  der  lykisch-kretischen  Einflüsse, 
speciell  inTroasund  der  Aeolis  in  so  hervorragender  Stellung  kennen  lernten? 
Und  liegt  hier  nicht  zu  Grunde  jener  Gegensatz  in  der  Natur  zwischen  dem 
ßlüthenschmuck.  der  Fülle  und  Schönheit  der  Erdoberfläche  unter  der  freund- 
liehen,  in  befruchtendem ,  Quellen  schaffenden  Regen  herab  sich  senkenden 
Himmelsmacht,  aber  auch  dem  herrlich  über  der  erfrischten  Erde  sich  öffnen- 
den Himmelsglanz  und  jener  dunkeln,  verborgenen,  der  Erde  ewig  fernen  Ster- 
nennacht, aus  der  zunächst  nur  zwei  gewaltige,  hoch  am  Himmel  wandelnde 
Leuchten  hervortreten,  Tag  und  Nacht  scheidend,  den  Umlauf  der  irdischen 
Dinge  inessend  und  bestimmend,  nieder  auf  die  Erde  ihre  mächtigen,  segnen- 
den, aber  auch  vernichtenden  Strahlen  sendend  ?  Scheinen  sie  es  nicht,  die 
den  Wechsel  alles  Irdischen  bedingen  und  deren  Zorn,  jene  Nemesis,  die 
hoch  an  dem  Sipylos  verehrt  ist,  alle  Erdenpracht  vergehen  lässt  und  nur 
Eines  übrig  lässt,  Thränen  ewiger  Wehmuth,  auf  kahlem,  felsigem  Boden  die 
kalte,  schnee-  und  eisgenährte  Quelle  ? 

Diese  selbe  Niobe  ist  sie  nicht  auch  ein  Urbild  des  Menschen,  ist  sie  nicht 
ganz  naturgemäss  die  Urmutter  des  menschlichen  Geschlechtes,  wie  wir  sie 
in  Argos,  in  Böotien  kennen  lernten,  wie  sie  hier  neben  einem  Tantalos  und 
Pelops  sich  uns  darstellt?  Ihrem  Ursprünge  nach  göttlichen  Geschlechtes, 
einst  lebend  in  dem  Reichthume,  der  Gabenfulle  eines  himmlischen  Gartens, 
in  Verkehr  mit  göttlichen  Wesen,  umgeben  von  Kinderfulle  wird  sie  gestürzt 
durch  Selbstüberhebung,  durch  das  Gefühl  unantastbarer  Sicherheit,  durch 
das  herausfordernde  Wort ;  in  dem  Tode  ihrer  Kinder  in  schönster  Jugend- 
blüthe,  in  dem  Untergange  ihres  olftog  sieht  sie  das  Gericht  sich  rasch  voll- 
ziehen und  nur  durch  den  Threnos,  in  der  ewig  rinnenden  Thräne  der  Weh- 
muth, durch  sein  Fortleben  im  Liede  und  der  Musik  ist  Linderung,  ist  eine 
Ausgleichung  zwischen  dem  Gefühle  ursprünglicher  Gottverwandtschaft  und 
der  strengen  Nemesis  menschlicher  Sicherheit  und  Stolzes  gegeben.  Wir 
stehen  hiermit  vor  einem  der  ältesten  und  tiefsten  Urgedanken  des  griechi- 
schen Alterthums,  in  dem  das  Gefühl  der  Pracht  und  Schönheit  der  irdischen 
Welt  und  specinsch  des  Menschen  wie  in  gleichem  Maasse  nirgend  sonst 
lebendig  war,  aber  auch  um  so  tiefer  der  Klageton  der  Nichtigkeit  und  Ver- 
gänglichkeit sich  durchzieht,  welches  diesen  Zwiespalt  nur  in  jüngerer  Zeit 
und  in  engen  Kreisen  der  orphischen  Lehre,  wie  der  Philosophie  der  tief- 


1)  Od.  XX.  60. 


446  Drittes  Kapitel. 

sinnigsten  Geister  überwindet  in  der  Ausschau  auf  eine  über  das  irdische 
Leben  hinausliegende  höhere  Existenz,  die  allerdings  an  jenen  ersten  Aus- 
gangspunkt des  Menschen  anknüpfen  konnte  und  dies  auch  gethan  hat  ver- 
möge einer  Art  Neugeburt  durch  besondere  Weihe,  analog  der  Rückkehr 
irdischer  Blüthe  im  Frühjahr.  Auch  in  dem  Niobemythus  ist,  wie  wir  früher 
sahen,  durch  die  Verbindung  mit  dem  Demetermythus  in  Chloris,  wohl  auch 
in  Amyklas  und  Chloris  ein  Ausgang  gleichsam  aus  der  Vernichtung,  aus  der 
Klage  gefunden  durch  das  Neuaufleben  eines  Niobekindes  im  zarten  Früh- 
lingsgrün. 

§  28. 
Der  Haine  der  Hiobe  und  seine  Bedentang. 

Das  Ziel  unserer  Aufgabe  ist  erreicht.  Es  bedarf  wohl  keiner  Probe  die- 
ser Grundauffassung  an  all  den  durchwanderten  Sagenkreisen.  Sie  ist  uns 
ja  wie  eine  reife  Frucht  schliesslich  zugefallen,  indem  wir  durch  alle  ver- 
schlungenen Pfade  griechischer  Sage  und  Poesie,  auseinanderlegend  und  ver- 
gleichend der  Spur  Niobes  gefolgt  sind.  Und  von  ihr  aus  werden  wir  mit  nur 
gesteigertem  Interesse  der  künstlerischen  Durchbildung  des  Mythus  in  Poesie 
und  Plastik  uns  wieder  zuwenden  und  hier  noch  Spuren  genug  entdecken  der 
ursprünglichen,  so  einfachen  und  tiefeinnigen  Natursymbolik  wie  eine  volle 
Entfaltung  jener  religiösen  und  ethischen  Grundempfindung,  die  wir  mit  ihr 
verknüpft  sahen.  Wohl  mag  es  aber  verstattet  sein,  nun  hier  endlich  den 
Namen  selbst  uns  anzusehen  und  zu  fragen,  ob  ihm  mit  Sicherheit  etwas  zu 
entlocken  sei.  Es  gelingt  vielleicht  den  Bereich  der  Stammwörter  zu  finden, 
in  welchen  er  gehört  und  die  Begriffe  derselben  mit  dem  gefundenen  mytho- 
logischen Kerne  in  Einklang  zu  setzen. 

Die  durchaus  herrschende  Form  ist  Nwßrj  und  in  ihrem  Accent  als  Paro- 
xytenon  durch  die  Zeugnisse  der  Allen  gesichert1).  Clemens  von  Alexan- 
drien  *)  hat  bei  der  argivischen  Niobe  einmal  die  Form  Newßrj.  Daneben 
kommt  einmal  auf  der  Midiasvase  für  eine  weibliche  mythologische  Gestalt 
der  Name  Niornj  vor8).  Wir  haben  zunächst  zu  constatiren,  dass  die  Form 
auf  07*17,  wenn  sie  nicht  blos  ein  Schreibfehler  eines  einzelnen  Vasenmalers 
ist,  was  ohne  weitere  Beispiele  für  diese  Form  anzunehmen  wir  wohl  be- 
rechtigt sind ,  zunächst  der  durchaus  überlieferten  Form  auf  oßtj  gegenüber 
nicht  Ausgangspunkt  sein  kann,  dass  wir  dagegen  für  diese  Formen  wie  'Exdßtj, 


1)  Herod.  xa&oL  xqoovö.  rec.  M.  Schmidt  IV.  29.  p.  31  führt  Nnfle  als  Oxytonon  an, 
dagegen  XII.  404.  p.  119,  7:  ra  tle  ßr\  vntQÖutauXXnßa  prj  naQctXrjyotra  üiydiyyip  ßagv- 
virai,  'AXvßy  xaXvßrj  Nioßrj  «OTQaßi)  'Excißrj  •  rb  cft  dfioißr)  ofi/vf  r«i.  Barytona  sind  auch  die 
Eigennamen  auf  oißrj  wie  <f>o(ßr),  BoCßri  und  ebenso  rjßrj,  &Tjßr),  aiCßri. 

2)  Strom.  I.  p.  321.  -ö. 

3)  S.  oben  S.  160.  Anm.  1. 


Niobe  am  Sipylos.  447 

KvßrjßTjSHßrj,  ©jj/fy,  Q>oißi},Boißt),o%ißf),Jikvßri  (Stadt  in  Bithynien),  endlich 
auch  JtQioßrjy  Qioßrjy  äkioßrj  zu  vergleichen  haben,  die,  was  zu  beachten  sein 
dürfte,  vorzugsweise  in  dem  Sprachgebiete  des  mit  Phrygischer  sich  berüh- 
renden kleinasiatischen  Griechisch,  aber  auch  an  so  uralten  Culturstatten  wie 
Magnesia  und  Böotien  uns  begegnen.  Das  ß  dieser  Endungen  ist  nachG.  Cur- 
tius  als  eine  Verhärtung  eines  zum  Stamm  gehörigen  F  durch  das  nachfol- 
gende in  allen  indogermanischen  Sprachen  vorkommende  Suffix  j'ä  zu  fassen1}. 

Es  bieten  sich  uns  nun  zwei  Wege  zur  Auffassung  des  Stammes  selbst 
dar,  denn  ein  dritter,  von  Pyl2)  betretener,  welcher  Niobe  zur  Nvxtont],  zur 
Nach tschauerin  macht,  ist  etymologisch  noch  unzulässiger  als  er  es  auch  mytho- 
logisch ist.  Welcker8),  welchem  Völcker4)  und  Gerhard5)  folgen,  leitet  Niobe 
abvon  viog  und  sieht  es  als  gleichbedeutend  mit  NectiQa  an  und  er  fasst  sie  dar- 
nach als  verjüngte  Natur,  Gerhard  eher  als  Neulicht,  als  jungen  Mond.  Von 
Hahn6)  ist  unabhängig  davon  zu  wesentlich  gleicher  Ansicht  gekommen, 
indem  er  mit  Niobe  das  albancsische  v/ope  d.  h.  feucht,  zart,  besonders  von 
jungen  Pflanzen  trieben  gebraucht  zusammenstellt  und  das  Wort  von  veoeyv*i6g, 
sanskritisch  navas,  lateinisch  novus,  gothisch  niujis,  mittelhochdeutsch  niutce 
ableitet7).  Ich  gestehe,  dass  mich  diese  Ableitung  nicht  befriedigt;  es  ist 
doch  sehr  auffallend ,  dass  für  den  im  Griechischen  in  allen  Ableitungen 8) 
constanten,  erst  im  Neugriechischen  in  vjo  umgebildeten  Stamme  veF  hier 
nun  in  einem  notorisch  dem  ältesten  Gedankenbereiche  angehörigen  Namen 
durchgehend  vio  eingetreten  sein  soll,  um  so  mehr  als  auch  das  o  das  Di- 
gamma  selbst  gar  nicht  mehr  zu  ersetzen  hat,  welches  ja  in  ß  schon  steckt. 
Dazu  kommt,  dass  die  Bedeutung  des  für  Niobe  ursprünglich  Charakteristischen 
entbehrt;  dass  eine  NiaiQa  ein  ige  Male  unter  den  Niobetöchtern  genannt  wird, 
aber  z.  B.  bei  Pherekydes  nicht,  ist  für  die  Mutter  nicht  entscheidend  und 
gerade  für  sie  mussten  wir  nachweisen,  dass  diejenige  Gestalt,  die  das  Neu- 
aufleben im  Frühling  bezeichnet ,  die  verschonte  Chloris  erst  in  den  Niobe- 
bereich  jünger  aus  einem  anderen  Kreise  eingetreten  ist. 

Ein  zweiter  Weg  aber  zeigt  sich  uns  in  der  That  und  zwar  ein  solcher, 
auf  dem  das  bezeichnendste  Merkmal  Niobes,  die  rinnende  schneegenährte, 
netzende  Quelle  schlagend  heraustritt.  Es  ist  der  Stamm  viy,  viß,  sanskri- 
tisch nig  und  ning,  welcher  mit  nigc,  ning,  viq>  ursprünglich  snigh  entschieden 


1)  Grundz.  d.  g riech.  Etymol.  II.  S.  1 62  ff. ;  für  (foißog  aus  yoF-jos  8.  224. 

2)  Mythol.  Beitrage.  1856.  S.  130  f. 

3)  Schwenck  Andeut.  S.  298;  Aeschyl.  Trilog.  S.  192;  gr.  Qötterl.  III.  8. 124.  Anm.  1. 

4)  Mythol.  d.  Japet.  Geschl.  S.  356. 

5)  Gr.  Mythol.  §  476. 

6)  Albanes.  Stud.  S.  274.  Anm.  254. 

7)  Ueber  den  Stamm  s.  G.  Curtius  Grundz.  I-  S.  27S  ff. 

8)  Man  sehe  diese  verzeichnet  bei  Curtius  a.  a.  O. 


448  Drittes  Kapitel. 

zusammenhängt1).  Von  vltsivy  vimsiv,  netzen,  gab  es  Niifß,  vißog  als  Name 
einer  Quelle2),  Ntßag  einen  Ort  bei  Thessalonike 3)  und  eine  Glosse  bei  He- 
sychios4)  erklärt  ausdrücklich  vißa  %tova  xai  xqtjvtjv.  Ich  will  nur  als  Paral- 
lele, nicht  als  sicher  im  Stamme  zusammengehörige  Namen,  die  von  snuy  w, 
vea),  vdw  abstammenden  anfuhren,  wie  Ntjtgy  Natg,  Naidg  und  vor  allem  die 
in  Sicilien  verehrte  Göttin  Nyong,  von  welcher  Empedokles  sagt5) : 

Nrjorig  JJ  daxQvoig  tiyyet  xQOvvwfia  ßQOtsiov 
also  eine  eigentliche  Thränengöttin.  Die  Bildung  Nioßrj  selbst  möchte  aber 
wohl  aus  vtxFrjy  viyßrjy  vtbßrj  erfolgt  sein.  Und  hier  kommt  uns  jene  Herbei- 
ziehung des  Albanesischen,  eines  ja  für  das  Altgriechische  so  wichtigen  Restes 
der  alten  Sprache  von  Epirus,  Südillyrien  und  Westmacedonien  durch  v.  Hahn 
auf  das  Trefflichste  zur  Hülfe;  dort  existirt  ja  das  Verbum  vfop  =  befeuchte, 
netze,  wässere,  tränke  und  davon  ist  yfofis  =  feucht,  frisch  abgeleitet,  wel- 
ches also  überhaupt  nicht  zunächst  mit  v&og,  novus  als  dem  Stamme  nach 
gleich  zusammengestellt  werden  kann.  Wie  m  ein  b  und  p  in  dem  andern 
albanesischen  Dialekte  ersetzt,  dafür  sind  zahlreiche  Beispiele  da6)  und  es 
entspricht  dies  einer  allgemeinen  sprachlichen  Erscheinung. 

Jedoch  ich  überlasse  die  genauere  Durchfuhrung  dieser  Ansicht  den  ver- 
gleichenden Sprachforschern  von  Fach ,  indem  es  für  mich  nur  darum  sich 
handeln  konnte,  den  Boden  anzugeben,  auf  dem  dieser  hochehrwürdige  Name 
für  einen  in  seiner  Stellung  in  Mythologie,  Literatur  und  Kunst  allseitig 
erkundeten  Urgedanken  des  griechischen  Volkes  zu  suchen  sein  wird. 


1)  Grassmann  in  Ztschr.  f.  vergleich.  Sprachkunde  IX.  S.  27  ;    G.  Curtius  Grundz.  I. 
8.  2S1  und  II.  S.  67 ;  der  Uebergang  von  gh  in  (f  setztAeine  Mittelstufe  ghv  voraus. 

2)  Herod.  xaftoX.  n^oatad.  XIV.  126.  p.  145,  IS :  ovofia  xq^vtiq. 

3)  Ael.  H.  A.  XV.  20;  Arsen.  Cent.  XIII.  13  in  Paroem.  Gr.  ed.  Leutsch  II.  p.  573. 

4)  S.  v. 

5)  Empedocl.  704.  p.  549 ff.  ed.  Sturz;  Photius  s.  v.  JVijarqt;  Eust.  II.  p.  1180,  14. 

6)  Albanes.  Stud.  Grammat.  §  3,  26—28. 


Verzeichniss 

der  beigegebenen  Tafeln. 

Taf.    I.     Das  Niobebild  am  Sipylos.    Nach  Stewart,  Description  of  some  an- 
cient  monuments  still  existing  in  Lydia  and  Phrygia.     London 

1842.  tav.  2. 

Taf.    II.     Vase  aus  Ruvo  mit  Niobidenscene.     Nach  Uullettino  napolettmo 

1843.  I.  tav.  2. 

Taf.  III.     1)   Niobidenrelief  Campana  nach  einer  Photographie  vom  Original» 

gestochen  von  Lödel. 

2)  Geschnittener  Stein  publicirt  von  Miliin.  NachGuigniaut  Relig. 
de  l'antiquite  pl.  CCXLI.  No.  834. 

3)  Relieffragment  der  Sammlung  Albani.    Nach  Zoega  bassirilievi 
antichi  di  Roma.  II.  t.  104. 

Taf.  IV.     Münchner  Niobidensarkophag.    Nach  einer  Photographie  vom  Ori- 
ginal. 

1.  Vorderseite. 

2.  3.  Nebenseite. 

Taf.  IV  \    1)  Marraorbild  einer  sitzenden  Kybele  aus  Kleinasien.    Nach  Ph. 

Lebas  Voyage  archeologique  en  Grece  et  en  Asie  mineure.  An- 
tiquit.  pl.  44.  n.  1,  2. 
2)  Relieffragment  mit  Niobiden  aus  Bologna.    Nacb  Originalzeich- 
uung  von  Ceretani  in  Gerhards  archäologischem  Apparat. 

Taf.  V.  VI.  VII.  Drei  Stuccofiguren  von  einem  hölzernen  Sarkophag  aus  einem 
Grab  zu  Kertsch,  jetzt  in  Petersburg.  Nach  Antiquites  du  bospore 
cimmörienconserv. au musee etc.  del'Ermitage.  1854.  pl.  79. 80. 81. 
V.  Niobe  mit  Tochter.     VI.  Sohn  der  Niobe.     VII.  Pädagog. 

Taf.  Vm.    Terracotten  von  Fasano:    1  —  6  Niobesöhne  und  -Töchter.     Nach 
Bulletino  napolet.   1847.  n.  77  mit  Tafel. 

Taf.    IX.     1)  Wandgemälde  aus  einem  Grabe  der  Villa  Pamfili  bei  Rom: 

Apollo  und  Artemis  schiessen  die  Niobiden  nieder.  Nach  den 
Copieen  in  den  Münchner  vereinigten  Sammlungen  des  Hof- 
gartens und  der  Tafel  zu  O.  Jahn  in  Abhdl.  d.  Münchn.  . .  kad. 
d.  Wissensch.  philos.-philol.  Kl.  VII.  S.  231  — 2S4. 
2)  Etruskisches  Sarkophagrelief  aus  Toscanella.  Nach  Atti  della 
pontif.  acad.  rom.  di  archeologia.  Vol.  XI.  p.  171 — 185  mit 
Tafel. 

Stark,  Niobe.  29 


450  Verzeichnis»  der  heigegebenen  Tafeln. 

Taf.  X.  Niobe  mit  der  jüngsten  Tochter.  Nach  der  photographischen  Auf- 
nahme eines  Gypsabgusses  der  florentiner  Gruppe  zu  Berlin. 

Taf.  XI.  Angebliche  Niobetochter.  Marmorstatue  in  der  K.  Antikensamm- 
lung zu  Dresden.    Nach  einer  Originalzeichnung. 

Taf.  Xu.  Niobetochter  des  Museo  Chiaramonti  im  Vatikan.  Nach  der  pho- 
tographischen Aufnahme  des  Originals. 

Taf.  Xm.  Fig.  1-3.  Drei  Niobiden  in  Florenz:  1)  (d)  Tochter  oder  Tro- 
phos;  2)  liegender  Sohn ;  3)  sog.  Narciss.  Nach  der  Galeria  di 
Firenze  Ser.  IV.  t.  1.  pl.  2.  3;  t.  2.  pl.  74.  75 

Taf.  XIV.  Fig.  4—6.  Zwei  fliehende  Söhne  der  Niobe,  der  eine  mit  der  an 
das  Knie  sinkenden  Schwester.  Nach  Gal.  di  Fir.  Ser.  IV.  t.  1. 
pl.  9.  12.  mit  Müller- Wieseler  D.A.K.  I.  Taf.  XXXIII.  n.  142. 
H.  L  k. 

Taf.  XV.  Fig.  7.  8.  Zwei  fliehende  Töchter  der  Niobe  in  Florenz.  Nach 
Gal.  di  Fir.  Ser.  IV.  t.  1.  pl.  10.  13. 

Taf.  XVI.  Fig.  9.  10.    Der  Pädagog  und  der  jüngste  Sohn  in  Florenz.    Nach 
Gal.  diFir.  Ser.  IV.  t.  1.  pl.  11.  15. 
Fig.  10*.  Gruppe  von  Soissons  im  Louvre.    Nach  Clarac  Mus.  de 
sculpt.  pl.  589.  n.  1278. 

Taf.  XVH.  Fig.  11.  12.  13.  Zwei  Söhne  der  Niobe  und  sog.  Psyche  in  Flo- 
renz.  Nach  Gal.  di  Fir.  Ser.  IV.  t.  1.  pl.  4.  13.  7. 

Taf,  XVIII.  Fig.  1 .   Giebelanordnung  nach  Cockerell. 

Fig.  2.   Dsgl.  nach  Welcker  in  Alt.  Denkm.  I.  Taf.  4. 

Taf.     XIX.     Sarkophagrelief  Lozano-Argoli   im  Lateran.     Vorderseite  und 

zwei  Nebenseiten.   Nach  Atti  della  pontif.  acad.  rom.  di  archeo- 
logia.  X.  1842.  t.  III. 


Allgemeines  Sachregister. 


A. 

Abbildungen  der  Niobegruppe  12. 

Aheken,  Keiften otiz  über  den  Sipylos  101  ; 
über  das  etruskische  Sarkophagreücf  aus 
Toscanella  199. 

Acheloos ,  Götterstrom ,  Verehrung  am  Si- 
pyloa 4)2. 

Achill  und  Niobe  bei  Dichtern  27-29.  37. 

Achilles Tatio s,  Erwähnung  d.  Niobes.  Ob.  91 . 

Adler  auf  Münzen  v.  Magnesia  411. 

Adlerart  am  Sipylos  4 1 2. 

Adramyttion,  sein  Handel  399. 

Adrasteia   396  f.      %AdQanih(tt$   ntöloy   396. 

Aedes  Lateranorum,  Vectilianorum,  des  L. 
Verus  219. 

Aedon»  zusammengestellt  mit  Niobe  44.  5b. 
77.  87;  ihr  Schicksal  370.  371. 

Aegialos  oder  Aegialeus,  Bruder  des  Phoro- 
neus  339  ;  Sohn  desselben  342. 

Aegina,  Giebelfelder  des  Tempels  314.325. 

Aegis  mit  der  Gorgone  über  dem  Theater  in 
Athen  Ulf.  117. 

Aelian,  über  die  verschiedenen  Zahlenanga- 
ben der  Kinder  der  Niobe  K\. 

Aeschylos,  Behandlung  der  Niobesage  35 — 
42.  396. 

Agatharchides ,  Auslegung  de«  Niobemy- 
thus  91. 

Agenor  als  Niobide  96.  435. 

Aglaia,  ihre  Bedeutung  15*S.  159. 

Alalkomenae  355. 

Alalkomeneus,  Gemahl  der  Niobe  354 — 356. 

Alciati,  Behandlung  des  Stoffes  der  Niobe- 
sage  11. 

Alexandras  von  Athen,  Zeichner  des  hercu- 
lanischen  Bildes  mit  der  Niobe  157.  J5S. 

Algardi,  Niobidenköpfe  12. 

Alk  man,  Behandlung  d.Niobemythus  31 .446. 

Alphenor,  Niobide,  73.  96. 

Amaleus  oder  Amphialeus,  Sohn  des  Am- 
phion  370.  3S3. 

Ampheion  in  Theben  37S. 

A  mp h  i  o  n ,  Sohn  der  Antiope,  Gemahl  der 
Niobe,  seine  Stellung  in  der  böo tischen 
Sage  357  f.,  in  der  thebischen  Sage  361  — 
389 ;  seine  Abstammung,  Wesen  und  Na- 
men 366 — 36b ;  als  Musiker  und  Mauer- 
bauer 373  ff.  j  sein  Grabhügel  379;  s.  Ver- 
hältnis» zum  Apollocult  3S5ff.,  zum  Bak- 
choscult  3S7  f. 

Amphion  der  Iaside  v.  Orehomenos  357  f. 


Amphion,  geretteter  Niobide  S4. 

Amphionskinder,  ihre  Grabmäler  in  Theben 
379 f.;  ihr  Verhältniss  zu  den  Namen  der 
thebischen  Thore  3b  1  f. 

Amyklas,  ein  Niobide  33.  349  f.  446. 

Amynione,  Quellnymphe  in  Argos  347;  Orts- 
name bei  Lykien  402. 

Anakreontiker,  Erwähnung  der  Niobe,  58. 

Antiope,  Tochter  des  Asopos  oder  Nykteus 
und  der  Polyxo,  Mutter  des  Amphion  und 
Zethos  362  ff.  365  f.  372. 

Antipater  von  Sidon,  Epigramme  59.  146. 

Antipaterv.Thessalonike,  Epigramme  60.  61. 

Antonius,  Kunsträuber  133    144. 

Aphroditecult  am  Sipylos  415. 

Aphthonios,  Besprechung  derNiobesage  67. 

Apia,  Name  für  Peloponnes  342;  Ebene  in 
Kleinasien  399. 

Apis,  Bruder  der  Niobe  341.342;  Sohn  der- 
selben 346. 

Apollinare  oder  lucus  Apollinaris  auf  den 
prata  Flaminia  125  f. 

Apollo  u» Saltos  112;  Boedromios  3S9  ;  Is- 
menios  3b5;  Killaeos  401 ;  Larisenos  417; 
Lykeios  337—399.  400;  Palatinus  13b. 
141  ff. ;  Parnopios  112.117.  143;  Sarpedo- 
nios  135. 331 ;  Sosianus  121  ff. ;  Smintheus 
400.401;  sein  Cultam  Sipylos  41 7.  f;  seine 
Heiligthümer  und  Statuen  in  Rom  1 24  ff. 

Apollo  mit  Leier  als  Mauerbauer  377. 

Apollodoros,  seine  Erzählung  des  Niobemy- 
thus  83.  S4. 

Apotropäa,  an  Tempeln  324. 

Arachnemythus  69.  70.  419. 

Argivische  Niobesage  337—352. 

Argos,  Sohn  des  Zeus  und  der  argivischen 
Niobe  345. 

Aristarchos  von  Tegea,  Verfasser  eines  Tan- 
talos  35. 

Aristias,  Verf.  eines  Tantalos  35. 

Aristodemos,  Verf.  von  Thebaika  3*0.  3*3. 

Aristophanes,  sein  Niobos  54. 

Aristoteles,  das  Unrecht  der  Niobe  93. 

Artemidoros,  s.  Kritik  des  Niobemythus  90. 

Artemis,  Astyrene  401  ;  Eukleia  341.  389; 
Gygaea  41b  f.  j  Kordake  am  Sipylos  418. 
419;  Leukophryene  112.117.  113;  Peitho 
341. 

Asopos,  altionischer  Flussname,  Vater  der 
Antiope  362  f. 

Asopostöchter  362.  363. 

Assaon,  Vater  d.  Niobe  nach  Simmias  56.  43h. 

29* 


452 


Allgemeines  Sachregister. 


Asterios,  Bruder  eines  Amphion  367. 

Athen,  sein  Verhältniss  z.  Niohemythus  394. 

Athenagoras  über  Niobecult  94.  i:i7.  401. 

Athene  Alea,  Tempel  in  Tegea,  Giebeldar- 
stellung 315.  325. 

Athenecuit,  lydischer,  im  Hermosgebiet  419. 

Atlas,  mythologisch  427. 

Aura,  der  Niobe  gegenübergestellt  bei  Non- 
nos  05.  403. 

Ausonius,  Erwähnung  der  Niobesage  M. 


Bachofen,    Deutung  deB   Niohemythus   22. 
Bär  in  symbolischer  Bedeutung  4311. 
Bakchyhdes,  über  den  Niohemythus  31. 
Banier,  Behandlung  der  Niobesage  10. 
Bassus,  Verfasser  einer  lateinischen  Niobe  51 . 
Bause,  Stiche  von  Köpfen  d.  Niobegruppe  1 6. 
Beilügelung  in  etrusk.  Kunst  200. 
Boccaccio,  Behandlung  der  Niobesage  8. 
Böotische  Ursage  mit  Niohemythus  354— 361 . 
Boios,    Verf.    der    Ornithogonia ,    über  die 

Aedonsage  372. 
Botryas,  Behandlung  des  Niohemythus  85. 
Braun,  Emil,  über  die  Niobegruppe  22.313. 
Bronze  für  Niobedarstellungen  162. 234. 269. 
Broteas,   Bruder  (Oemahlj   der  Niobe  351. 

435.  437.  43S. 
Bupalos    und    Athenis,     Versetzung    ihrer 

Werkenach  Rom  132. 
Burkhardt,  über  die  Niobegruppe  22.  313. 
Burmeister,  über  die  Niobesage  21.  387. 
Bursian,  über  die  Niobegruppe  24  ;  über  den 

Ilioneus  256. 

c. 

C.  =  Cockerell  224  etc. 

Ca.  =  Cavaleriis  224  etc. 

Caelare,  seine  Bedeutung  329. 

Campanari,  über  das  etruskische  Särkophag- 

relief  aus  Toscanella  198  ff. 
Caravaggio,  Niobefries  11. 
Cavaleriis,    erste  Zeichnung  der  florentini- 

schen  Statuen  12.  221. 
Chandler,  über  das  Niobebild  am  Sipylos  1 00. 
Chishull,  über  das  Niobebild  am  Sipylos  100. 
Chloris,  gerettete  Tochter  der  Niobe  81.  SS. 

350.  446 ;   in  der  Niobesage  von  Olympia 

351.  436.  437;    in  der  böo tischen  Ursage 
356-360;  in  Thessalien  360. 

Chorikios  aus  Gaza,  Behandlung  der  Niobe- 
sage 68.  91. 

Chthonia,  Tochter  des  Phoroneus  343. 

Cicero,  Auslegung  des  Niohemythus  0 1 . 

Cioli,  Valerio,  aus  Florenz,  über  Auffin- 
dungszeit der  florentinischen  Statuen  216. 

Circus  Flaminius  126. 

Cl.  *  Clarac  224  etc. 

Clemens  v.  Alexandria,  Erwähnung  der  Nio- 
besage 68. 

Cockerell,  über  die  Niobegruppe  1 7. 

Cultusmythen  3. 

Cumae  in  Italien,  Apollotempel  139. 


D. 

Daedalon  in  Plataa  355. 

Daktyliotheken  141.  142. 

Damasichthon,  Niobide  73.  384.  437. 

Danaos  337.  346. 

Dante,  Behandlung  der  Niobesage  8. 

Demetercult  in  Hermione  343,  in  Theben 
389  ;  Cult  der  D.  Pelasgis  in  Argos  345. 

Dichtung,  ihr  Verhältniss  zu  Mythus  und 
Sage  1. 

Dirke,  ihre  Schleifung,  Bedeutung  derselben 
365,  ihr  Wahnsinn  3S8. 

Diodoros  von  Sicilien,  Erzählung  des  Niohe- 
mythus 84.  S5. 

Diogenes  von  Athen,  seine  Arbeiten  versetzt 
in  das  Pantheon  des  Agrippa  132. 

Dione,  Tochter  des  Atlas,  Mutter  der  Niobe 
94.  422—425. 

Dionysoscult  am  Sipylos  4 1 5  f. ;  und  der  Nio- 
hemythus 387. 

Dio  Chrysostomos ,  Erwähnung  der  Niobe- 
sage 53. 

Dithyrambiker,  ihre  Behandlung  des  Niohe- 
mythus 52  ff. 

Dreifuss  des  Aischraios  im  Theater  zu  Athen 
115. 

Dreifüsse,  apollinische,  geschmückt  mit  Dar- 
stellungen im  Zwischenräume  d.Füsse  162. 

Dreifüssin  Schriften  116. 

E. 

Eber  im  Mythus  439. 

Eberzahn  im  Tempel  der  Athene  Alea  325. 

Elektrathor  in  Theben  3s2. 

Eleuther,  Gründer  von  Eleutherä  3S8. 

EntblössungderNiobiden  in  der  Kunst  161. 
164.  201.  213.  295.  296. 

Epigrammatiker,  ihre  Behandlung  des  Nio- 
bemythus  58  -  63. 

Epopeus,  sterblicher  Gemahl  der  Antiope 
364.  371. 

Erdbeben  am  Sipylos  404. 

Eridanos  idealer  Strom  430. 

Este,  Ippolito  da,  Kunstsammler  216. 

Etymologie,  ihre  Bedeutung  in  mythol.  For- 
schungen 5. 

Euphorion,  Behandlung  der  Niobesage  56. 

Eupinytos,  Niobesohn  96.  384. 

Euripides,  seine  Tragödie  Niobe  49  ;  Erwäh- 
nung der  Niobesage  50.  51.  Nachtr.    462. 

Europa  340 ;  Schwester  der  Niobe  342. 

Europs,  Sohn  des  Phoroneus  342. 

Euryanassa,  Euryto,  Euryprytane,  Eurythe- 
miste,  Gemahlin  des  Tantalos  426. 

F. 

F.  =  Fabroni  221  etc. 

Fabroni,  über  die  Niobegruppe  14. 

Fasten  im  Mythus  und  Cultus  444. 

Fea,  über  die  Niobegruppe  15. 

Fels,  drohender,  des  Tantalos  42b.  429. 


Allgemeines  Sachregister. 


453 


Feuerbach,  über  die  Niobegruppe  19.  23.  227. 

über  ein  Wandgemälde  163. 

Friederichs,  über  die  Niobegruppe  24. 

über  die  Niobe  des  Sophokles  16  f. 

über  einzelne  Niobiden  273.  256. 

Fritzsche,  über  die  Niobe  des  Sophokles  20. 

41. 
Furtwängler,  Deutung  der  Niobesage  21. 
Fussbekleidung  der  Niobiden  303. 

G. 

Gallier  vor  Delphi  13«;  in  Kleinasien  143. 
Ganymedes  in  Verbindung  mit  Tantalos  430. 

431. 
Gaye,   Veröffentlichung  eines    Briefes    von 

üioli  2J(if. 
Gellius,  über  die  Zahl  der  Niobiden  S3. 
Gereis,  Gergithier  142.  417. 
Gerhard,  Niobemythus  21.  23. 

über  einzelne  Niobiden  300.  30S. 

Gerlach,  C,  über  die  Niobegruppe  25. 
über  den  sog.  Ilioneus  256. 

über  Melpomene  2S0. 

Giebelaufstellung    der  Niobegruppe    131  f. 

314  ff. 
Giulio  Romano,  Zeichnung  11. 
Göttergarten  431  f. 
Göttermutter,  ihre  Verehrung  am  Ida  400; 

am  Sipylos  1 1 3  f. 
Gräberwelt  und  Niobidensage  14!). 
Grabhügel  der  Antiope  und  des  Phokos  365. 

372;   des  Amphion  37S;    der  Kinder  des 

Amphion  379  t. 
Grvneion,  Apolloheiligthum  417. 
Guido  Keni,  Studien  der  Niobegruppe  1 1 . 

IL 

Hederich,  Behandlung  der  Niobesage  10. 

Heffter,  Niobemythus  21. 

Hellanikos,  Erzählung  der  Niobesage  34. 

Herakleion  in  Theben  320.  325. 

Hermann,  Gottfr.,  de  Aeschyli Niobe  diss.  20. 

Hermes,  seine  Stellung  zu  Amphion  374. 

Hermescult  am  Sipylos  415  f. 

Hermos,  Flussgott,  am  Sipylos  verehrt  412. 

Hermosthai,  seine  natürliche  Beschaffenheit 

99  f.  403.  401;  seine  Bewohner  406  f. 
Herodoros  Pontikos,  Niobemythus  30.  83. 
Hesiod,  Niobemythus  30. 
Heyne,  über  die  Niobegruppe  15;   über  den 

Niobemythus  16. 
Hieronymus,  Erwähnung  der  Niobesage  68. 
Hileaira  s.  Leukippiden. 
Hippomedusa,  Gattin  des  Amphion  369. 
Holmoi  in  Kilikien  134.  Nachtr.  403. 
Homer,  Erwähnupg  des  Niobemythus  26 — 

30.  4 10 ;  die  Tantalosstrafc  432. 
Homolois,  Niobetochter  383. 
Homoloisches  Thor  in  Theben  3S3. 
Horaz,  Erwähnung  der  Niobesage  76. 
Hübner,  E.,  über  Niobiden   in   spanischen 

Sammlungen  253.  271.  Nachtr.  463. 


Hund,  goldener,  432. 

Hyaden,  ihre  Bedeutung,  Zahl  423.  424. 

Hyginus,  Darstellung  des  Niobemythus  87. 

Hyrkania  in  Lydien  410. 

I. 

Iasos  oder  lasios,  oder  Iasion  357  f. 

Idagebirg,  seine  topographischen  u.  mytho- 
logischen Verhältnisse  396  f. 

Ilioneus,  jüngster  Sohn  der  Niobe  73.  398. 

Inachos,  339. 

Inghirami,  über  die  Niobegruppe  IS. 

Iolaeion,  Gymnasium  in  Theben  73.  384. 

Ismenos,  Niobide  und  Flussgott  73. 383.  3S4. 

Itylos,  Sohn  des  Zethos  und  der  Aedon  87. 
96.    370.  394. 

J. 

Jahn,  Otto  25.  163.  199.  299.  32*. 
Julianos,  Epigramm  auf  die  Niobe  63.  147. 
Juvenal,  Erwähnung  der  Niobe  SO.  81. 

K. 

Kaanthos,  Sohn  des  Okeanos  3S7. 

Kallimachos,  Erwähnung  der  Niobesage  57. 

Kandaules  lydischer  Hermes  417. 

Kapp,  über  die  Niobegruppe  19. 

Kar,  Stifter  der  Burg  in  Megara,  Sohn  des" 

Phoroneus  343. 
Kacaro/urj  in  dem  Theater  zu  Athen  1 14  f. 
Kaukonen  und  Pelopssage  403. 
Kennedy,  Deutung  des  Niobemythus  10. 
Kerdo,  Mutter  der  Niobe  340.  341. 
Af(>(?<>5o$r,  Beinamen  des  Hermes  und  Apollo 

34  r. 

Kiliker  mit  Niobesage  399  ff. 

Killos,  Wagenlenker  des  Pelops  401. 

Kithaeron,  seine  Bedeutung  in  der  griechi- 
schen Mythenwelt  361.  3S7. 

Klymenos,  Sohn  des  Phoroneus  343. 

Klytia,  Gemahlin  des  Tantalos,  Mutter  des 
Pelops  426. 

Komiker,  ihre  Behandl.  des  Niobemythus  54. 

Komos,  Satyr  298. 

Krokosblume,  in  der  Niobe  des  Sophokles  18. 

Kugler,  über  die  Niobegruppe  23. 

Kunst,  die  antike,  ihr  wesentlicher  Inhalt  2. 

Kunstraub  133.  114. 

Kureten,  Ursprung  31 1. 

Kybele,  ihre  Darstellungen  verglichen  mit 
dem  Sipylosbilde  der  Niobe  107  f. 

Kybelecult  am  Ida  400 ;  am  Sipylos  413  f. ; 
in  Achaia  435. 

Kybele  und  Niobe  440. 

Kyme,  das  äolische  142  f. 

L. 

Ladon,  Name  für  Israenosfluss  393. 
Lanzi,  über  die  Niobegruppe  15. 
Laodike,  Mutter  der  Niobe  339.  340. 
Lasos,  seine  Zahlangabe  der  Niobekinder  31. 


454 


Allgemeines  Sachregister. 


Launay,  Behandlung  der  Niobesage  10. 

Lebrun,  seine  Schule  behandelt  die  Niobe- 
sage 12. 

Leleger  in  Troas  399 ;  im  unteren  Hermos- 
thäle   107. 

Leonidas  von  Alexandria,  seine  Epigramme 
61.62. 

Leto,  Bedeutung  420. 

Leto  und  die  Spitzmaus   10 1. 

Letoa  überhaupt  420. 
T/etoon  in  Argos  33.  349  f. 

in  Olympia  351. 

Letoverehrung  am  Kith&ron  3^5. 

am  Sipylos  419.  120. 

Leuktron  in  Lakonien  mit  Pelopssage  352. 
Levezow,  über  Anordnung  cler  Niobegruppe 

K»;  seine  Deutung  eines  Berliner  Torso 

als  Niobetochter  234  f. 
Libanios,  Besprechung  der  Niobesage  07. 
Ligorio,  Pirro,  Notiz  in  den  Papieren  über 

ein  Niobidenrelief  198. 
Lokalsagen  S.  3. 
Lübke,  über  die  Niobegruppe  20. 
Luci IIa  inschriftlich  auf  Ziegeln  1S9. 
Ludi  Apollinares  1 25. 
Lyder,  das  Hermosthai  erobernd  407  f. 
Lydische  Ebenen  403. 

Harmonie,  eingeführt  von  Amphion375. 

Lykier  in  Troas  398  f. 


M.  =  Meyer  224  ete. 

M.-W.  ss  Müller- Wieseler,  Denkmäler  alter 

Kunst  224  etc. 
M.  Wa.  =  Martin  Wagner  22 1  etc. 
Mac  Farlan,  über  das  Niobebild  am  Sipylos 

100. 
Mänadendarstellungen  296. 
Maeoner  am  Sipylos  407. 
Magnesia  am  Sipylos  408  f. 

in  Thessalien  395. 

Makedonien,  Behandlung  der  Niobesage  62. 

Marmorarten  121.  221. 

Maturino,   sein  Entwurf  eines  Niobefrieses 

mit  Caravaggio  1 1 . 
Mausoleion  zu  Halikarnass  329. 
Megara,  Mauerbau  377. 
Meleager  von  Gadara,    Niobeepigramm  60. 

146.  304.  307.  309. 
Meles,  s.  Verehrung  am  Sipylos  412. 
Melia,  Mutter  des  Pnoroneus  339 ;  Quell  am 

Ismenion,  Niobetochter  384. 
Meliboia,  eine  Niobide  33.  350. 
Meli  ton,  seine  Tragödie  Niobe  51. 
Merope  in  der  Villa  Ludovisi  294. 
Messon,  Sohn  des  Phegeus  339. 
Meyer,  seine  Behandlung  der  Niobegruppe 

J5.  313  a.a.O. 
Michaelis,  über  die  Niobegruppe  25. 
Michelet,  über  die  Niobegrupne  23.  32  i. 
Mimnermo8,  Erwähnung  der  Niobesage  31. 


Minervini,  über  Terracotten  mit  Niobiden- 

darstellung  205  f. 
Montfaucon,  Abbildung  der  Niobegruppe  1 2. 
Moschos,  Erwähnung  der  Niobesage  58. 
Müller,  sein  lyrisches  Drama  Niobe  16. 
Müller,  Otfr.,  über  die  Niobegruppe  19. 
Musen,  ihre  Darstellung  288. 
Mykeneus,  Enkel  des  Phoroneus  339. 
Myrtilos,  Sohn  des  Hermes,  416. 
Myrte  und  Idole  von  Aphrodite  und  Hermes 

415. 
Mythologie,  die  vergleichende  5. 
Mvthus,  seine  Verbindung  mit  Poesie  und 

Kunst  1. 

,  seine  Geschichte  in  der  Literatur  2. 

,  sein  Nachwirken  in  der  modernen  Welt 

6  f. 
,  der  wesentliche  Inhalt    de»   antiken 

Kunst  2. 
,  wurzelt  im  Cultus  und  im  Symbol  4. 


N. 

Nataiis  Comes,  über  die  Niobesage  9. 

Neaera,  Niobetochter  383.  413.  447. 

Xeis,  Tochter  des  Zethos  382  f. 

Neitisches  Thor  in  Theben  382  f. 

Neleus,  Gemahl  der  Chloris  357  f. 

Nemesis,  ihre  Verehrung  bei  Srayrna  4J4. 
420. 

Nero,  alsCitharöd  in  der  Rolle  der  Niobe  51. 

Nibby,  über  die  Niobegruppe  18. 

Nikolaos  v.  Damaskos,  Erzählung  des  Nio- 
bemythus  85. 

Niobe,  Namen  einer  Quelle  in  Argos  347  ff. 

,  ihre  Abstammung  94.  121 — 439. 

,  ihre  Heimath  95. 

,  ihre  Hochzeit,  Mann,  Kinder  95. 

,  ihr  Endschicksal  97.  442. 

,  ihr  Name  446—448. 

,  ihreThränen  442  f. 

,  zusammengestellt    mit  Aedon   Philo- 

mele  44.  58.  77.  87.  96.  370  f. 

mit  Leto  zusammengestellt  (tabella- 
risch) 97. 

„Niobes  Leiden",  tfioßng  ttk&t),  sprüchwört- 
lich 68. 

Niobedarstellungen  in  der  attischen  Schule 
109  ff. 

Niobemythus,  seine  Behandlung  in  der 
modernen  Welt  8—25. 

,  seine  Entwicklung  in  der  antiken  Li- 
teratur 26—97. 

,  bei  Homer  26—30. 

,  bei  Hesiod  30. 

,  bei  Herodoros  Pontikos  30. 

,  bei  Alkman  31. 

,  bei  Mimnermos  31. 

,  beiPindar  31.  32. 

,  bei  Bakchylides  3 1 . 

,  bei  Sappho  31.  32. 

,  bei  Lasos  31. 

,  bei  Telesilla  32. 


Allgemeines  Sachregister. 


455 


Niobem ythus,   bei  Logographen  33.34. 

,  bei  Fherekydes  33. 

»  bei  Hellanikos  34. 

,  bei  Tragikern  34 — 51. 

,  in  der  späteren  Mimik  und  Orchestik 

52  ff. 


— ,  bei  den  Dithyrambikern  52  ff. 
— ,  parodirt  von  den  Komikern  54. 
— ,  in  der  alexandrinischen  Poesie  50 — 58. 
— ,  bei  den  Epigrammatikern  5S — 63. 
— ,  im  späteren  Epos  63 — 66. 
— ,  in  rhetorischen  Uebungen  67 — 6b. 
— ,  bei  lateinischen  Dichtern  69 — 82. 
— ,  bei  Historikern,  Antiquaren  und  My- 
thographen  82 — 89. 

— ,  Kritik  und  Auslegung  im  Alterthume 
89  ff. 

— ,  tabellarische  Uebersicht  nach  den  ver- 
schiedenen Berichten  93  ff. 

in  Argos  337—352;    in  Böotien  354— 


361 ;  am  Ida  in  Troas  395  f. ;  in  lydischer 

Form  438.  439 ;  in  Olympia  353  f. ,  in  Pa- 

phlagonien  403;     am  Sipylos    421—446; 

in  Theben  361  ff. ; 
Niobiden,  Zahl  derselben  28.  30.  31.  34.  50. 

79.  83.  95.  96.    152.   156.   161.   163.  168. 

180.  189.  200.  206.  334.  382.  150. 
Niobidengräber  in  Theben  3*0. 
Niobidenuntergang    gegenübergestellt   dem 

der  Gallier  bei  Delphi  138. 
auf  Schildern  dargestellt  nach  Statius 

147. 
Niobo8,  Drama  des  Aristophanes  54. 
Nonnos,  Behandlung  der  Niobesage  64.  65. 

66. 
Norchia,  Felsengrab  von,  316.  321.  322. 
Nykteus,  Vater  der  Antiope  302  f. 
Nymphen,  schlafend,  gelagert  309. 

,  ihr  Ursprung  344. 

,  ihre  Darstellung  28S. 

Nymphendienst  am  Sipylos  412. 

o. 

Ogygia,  Niobetochter  und  Thor  in  Theben 
381.  382. 

Ogygos,  identisch  mit  Alalkomeneus  355  f. 

Okeanos,  Grossvater  des  Phoroneus  339. 

Olenos  und  die  Olenia  petra  435. 

Olympia,  die  dortige  Niobesage  353  f. 

Olympiodor,  seine  Statue  auf  der  Akropolis 
aufgestellt  112. 

'OuoXwtg,  Tochter  der  argivischen  Niobe  346. 

Orestessage,  der  Niobidensage  gegenüber- 
gestellt 188. 

Overbeck,  über  die  Niobegruppe  24.  227. 

Ovid,  seine  Behandlung  der  Niobesage  69 
-76. 

P. 

Palaephatos  über  das  Niobebild  9*. 
Palladas,  verspottet  Memphis,  einen  unge- 
schickten Tänzer  der  Niobe  53. 
Palma  giovane  1 1 . 


Panda  oder  Pandoi,  Ort  in  Lydien  417. 

Pandareos,  Vater  der  Aedon  370.  371  f. 

Pandion,  Vater  der  Aedon  371. 

Paphlagonien,  mit  Niobesage  95.  403. 

IIaQ9JyoQog,  Begleiterin  der  Aphrodite  340. 

Parthenios,  abweichende  Darstellung  des 
Niobemythus  56.  458. 

Pausanias,  seine  Darstellung  des  Niobemy- 
thus «4.  86. 

seine  Beschreibung  der  Erdbeben  405. 

Pegasos  von  Eleutherä  388. 

Peitho,  Mutter  der  Niobe  340.  341. 
Pelasger  am  Sipylos  407. 

m  Troas  399. 

Pelasgos,  Niobesohn  von  Zeus  345. 

Pelops,  sein  Verhältniss  zu  Hermes  416. 

Pelopssage,  Spuren  in  der  Ebene  von  The- 
ben in  lüeinasien  401 ;  am  Sipylos  435 — 
437. 

und  die  Achfter  in  Thalamai  352 ;    in 

Achaia  zu  Olenos  435  f. 

in  Olympia  353  f. ;  in  Böotien  376. 

Pelops,  sein  Thronsitz  auf  dem  Sipylos  415. 
Pentadius,  Erwähnung  der  Niobe  81.  82. 
Perrier,   seine  Abbildung  der  mediceischen 

Gruppe  12. 
Perser,  colonisirt  in  Lydien  410. 
Persephone,  Mutter  der  Chloris  357  f. 
Petersen,  Vortrag  über  den  „Niobidenmy- 

thos"  24. 
Phaedimus,  Niobide  73. 
Phegeus,  Bruder  des  Phoroneus  339. 
Pherekydes,  Niobesage  33. 
Philemon,  Deutung  der  Niobesage  55.  90. 
Philemon  und  Baucis  am  Sipylos  412. 
Philologie,  ihre  Stellung  zur  Mythologie  6. 
Philomele,  zusammengestellt  mit  Niobe  44. 

5s.  77.  »7.  370.  371. 
Philottos,  Gemahl  der  Niobe  nach  Simmias 

56.  439. 
Phlegyer,  von  Apollo  bestraft  387. 
Phoibe  mit  Leto,  Niobe  und  Leukippiden 

15S.  159. 
Phoko8,  späterer  Gemahl  der  Antiope  365. 
Phoroneus  337.  338  ff.  434. 
Phryger  am  Sipylos  407. 

in  Troas  396.  402. 

Phryges,  Drama  des  Aeschylos  37. 
Phrvnichos,  Verf.  eines  Tantalos  35. 
Phthiotis,  ihr  Verhältniss  zur  Niobesage  394. 
Pietas    militaris    auf  geschnittenen  Steinen 

2l2f. 
Pindar,  Niobemythus  31.  32.  375. 
Plato,  Urtheil  über  den  Niobemythus  92. 
Pleiaden  423. 
Plinius,  sein  Sprachgebrauch  in  Betreff  der 

Wörter  aedes,  delubrum,  templum  128— 

130. 

Zusammenhang  der  Aufzählung  119. 

Plutarch,  Urtheil  über  den  Niobemythus  92. 
Pluto,  Mutter  des  Tantalos  421. 

Polyxo,  Mutter  der  Antiope  363. 


456 


Allgemeines  Sachregister. 


Pomey,  Erwähnung  der  Niobesage  10. 
Pompeji,  Hausanlagen,  Haus  del  Questore 

160—163. 
Porticus  Metelli  oder  Octaviae  1 26  f. 
Pradier,  Niobide  in  Marmor  22. 
//p«J*C,  Aphrodite  340. 
Praxiteles,  sein  Kunstcharakter  326  ff. 
Praxiteles  oder  Skopas,  Verfertiger  der  Nio- 

beg nippe  ?  33 1  ff. 
Preller,  rhobemythus  21. 
Proetidensagen  auch  in  Theben  38*. 
Prokesch -Osten,  über  das  Niobebild  am  Si- 

pylos  100  ff. 
Prometheus  und  Niobe  163  ff.  41. 

und  Phoroneus  330. 

und  Tantalos  433. 

Properz,  Erwähnung  der  Niobe  76. 
Psamathe,  Quelle,  geliebt  von  Apollon  317. 

34S. 
Psychebildung  und  Niobidenvorbilder  221. 

234  f.  248.  299  ff. 
Pyra  der  Amphionskinder  bei  Theben  380. 

Q. 

Quatremere  de  Quincy  J  *. 
Quellen,  mythologisch  wichtige,  in  Böotien 
391  f. 

in  Argos  347. 

am  Ida  401. 

am  Sipylos  412. 

Quellgeister,  männliche  413. 

Quintos  Smyrnaeos,  Behandlung  der  Niobe- 
sage 63.  64. 

R. 

Kafael  Mengs,  Briefe  über  die  Niobegruppe 

14. 
Ramdohr,  über  Anordnung  der  Gruppe  15. 

313. 
Raoul  Kochette  IS. 
Rehberg,  sein  Gemälde  der  Niobe  16. 
Rhea,  am  Sipylos  verehrt  4 1 3  f. 
Richard son,   seine  Bemerkungen    über  die 

Niobegruppe  12. 
Rovezzano,  Benedetto  da,  florent.  Künstler 

189.  Nachtr.  472. 

S. 

Saloe,  Sumpfsee  am  Sipylos  404.  420.  431. 
Sappho,  ihre  Behandlung  des  Niobemythus 

31.  32.  419. 
Sarpedon  136  Anm.  2. 
Sarpedonion  1 34  f.  33 1 . 
Satyrn,  ihr  Ursprung  344  f. 

am  Kithäron  365. 

Schlagen  der  Erde  210.  211. 
Schnaase,  über  die  Niobegruppe  28. 
Schwartz,  Deutung  des  Niobemythus  22. 
Schwenck,  Auffassung  des  Niobemythus  2 1 . 
Seleucia  in  Syrien  133 ,   am  Kalykadnos  in 

Ki'ikien  134 ff.  137  f.  331. 


Semele,  Aschenstätte  in  Theben  378.  389. 

ihr  Beilager  mit  Zeus  411.  416. 

Seneca,  der  Philosoph,  seine  Behandlung  des 

Niobemythus  77.  78. 

der  Khetor  s.  Nachtraff.  462. 

Sidonius  Apollina ris,  Behandlung  der  Niobe- 
sage 82. 

Siebenzahl  im  Apollodienst  394. 

Simmias  von  Rhodos,  seine  Behandlung  der 
Niobesage  56. 

Sipylene,  die  Göttermutter  413  f. 

Sipylos,  Niobide  73.  435. 

Sipylos,  alte,  untergegangene  Stadt  404  f. 

Sipylosgebirge,  seine  natürliche  Beschaffen- 
heit 99—109.  403  ff.  406;  das  Niobebild 
daselbst  17.  99  ff. ;  die  mit  ihm  verknüpf- 
ten Culte  41 1  f. ;  Niobemythus  421 — 146 ; 
seine  lokalen  Beziehungen  zu  diesem  442. 
443. 

Skopas,  sein  Kunstcharakter  326  ff. 

seine  Thätigkeit  in  Kleinasien  137. 

Skopas  oder  Praxiteles,  Verfertiger  der  Nio- 
begruppe? 331  ff. 

Soissons,  mit  seinen  römischen  Denkmalen 

236  f. 
Sophokles,  seine  Tragödie  Tantalos  35. 

seine  Behandlung    des    Niobemythus 

42—49. 

Auffassung  Niobes  439. 

Sosius,  C,    als  Feldherr  und  Triumphator 

121  ff.  331. 
Sparton,  Sohn  des  Phegeus  339 ;    des  Pho- 
roneus, 342. 
Spence,  seine  Behandlung  der  Niobegruppe 

13. 
Sprachforschung,  die  vergleichende,  in  ihrer 

Bedeutung  für  Mythologie  5.  41 7  f. 
Springer,  über  die  Niobegruppe  23. 
Stahr,  A.,  über  die  Niobegruppe  22. 

über  die  Berliner  Niobide  290. 

Statius,  Behandlung  des  Niobemythus  7S — 

80.  147  f. 
Steinbüchel,  Behandlung  des  Niobemythus 

16. 
Stein  Verwandlungen  in  Böotien  390  f. 

in  Kleinasien  444. 

Sterope,  Gemahlin  des  Tantalos,  Mutter  der 

Niobe  422.  425. 
Steuart,  über  das  Niobebild  am  Sipylos  100  f. 
Strabo,  über  die  Lage  von  Sipylos  85.  404. 

,  über  Ethnographie  406. 

Strasse,  heilige,  auf  den  Ida  397. 
Straton,  Erwähnung  der  Niobesage  62. 
Stratonikos  von   Kyzikos,    wahrscheinlich 

Verfertiger  der  elfenbeinernen  Thüren  des 

Apollotempels  in  Rom  144. 
Sturmwind,  wegraffender  144. 
Sumpfseen  im  Cult  420. 

T. 

Tantalos,  ein  Niobide  73.  435. 

in  der  argivischen  Sage  3 


in  iNiooiae  m.  *öo. 
argivischen  Sage  349  ff. 


Allgemeines  Sachregister. 


457 


Tantalos  in  Korinth  369.  435. 

am  Sipylos,  «ein  Name,  Schicksale,  my- 
thologische Erklärung  426— 435. 

Telesilla,  ihre  Erzählung  des  Niobemythus 
42. 

Telodike,  Mutter  der  Niobe  310. 

Temenos  337. 

Tereus,  Gemahl  der  Aedon  371.  372. 

Tethys  339. 

Thalamai,  mit  Pelopssage  352. 

Thalia,  auf  der  Apotheose  Homers  2S9  f. 

Theater  in  Athen ;  Grotte  mit  Niobidendar- 
stellung  111  ff. 

Theatrum  Com.  Balbi  12«. 

Theatrum  et  proscenium  ad  Apollinis  126. 

Theatrum  Marcelli  ad  aedem  Apollinis  1 26. 

Thebe,  als  Heroine  381.  399. 

Theben,  das  böotische,  in  seiner  mythologi- 
schen Bedeutung  393;  Siebenzahl  der 
Thore  394. 

Thebe  Hypoplakie,  Hauptstadt  der  Kiliker 
399  f.  415. 

Thebe  in  Pamphylien  462. 

Theben  in  Thessalien  394. 

Theben 's  Heroenden kjnäler  377  f. 

Thore  381. 

Thekla,  heilige,  bei  Seleucia  136. 

Theodoridas,  seine  Epigramme  61. 

Thyone,  Thyene  424.  425. 

Thrasyllos,  Gründer  eines  choragischen 
Denkmals  über  dem  Theater  zu  Athen 
116  f. 

Timagoras,  seine  Darstellung  der  Niobesage 
S6. 

Timokles,  Erwähnung  der  Niobesage  55. 

Timotheos,  Behandlung  der  Niobesage  52. 

Tmolos,  Vater  des  Tantalos  421.  422. 

Tölken,  Deutung  einer  Paste  in  Berlin  als 
Niobidengruppe  bestritten  2 1 2  f. 

Trendelenburg  22. 

Triumph,  Ertheilung  und  Denkmäler  in 
Rom  125  ff. 

Tzetzes,  Johannes,  seine  Erzählung  des  Nio- 
bemythus 19. 

u. 

Urlichs,  über  das  Nereidenmonument  zu 
Xanthos  330;  über  Skopas  327. 


V. 

Vacca,  Flaminio,  Notiz  über  Fundort  und 
Fundzeit  der  florentinischen  Statuen  217. 

Vaison  in  Provence,  Niobe  als  Heilige.  Nach- 
trag. 464. 

Venetianer  Sammlungen  166. 

Virgil,  Beziehung  auf  den  Niobemythus  76. 

w. 

W.  =  Welcker  224  etc. 

Waagen ,  Bemerkungen  über  die  Niobe- 
gruppe  14. 

Wagner,  Martin,  über  die  Auffindungszeit 
der  florentinischen  Statuen  216. 

,  über  die  Aufstellung  der  Niobestatuen 

18.  313. 

,  über  das  Pferd  in  der  Niobegruppe 

247. 

Welcker,  über  die  Aufstellung  der  Meerdä- 
monengruppe des  Skopas  326. 

—  ,  über  aie  Compositum  der  Niobegruppe 
als  Giebelgruppe  18.  321  ff. 

—  ,  Zusammenstellung  von  Niobeköpfen 
230  f. 

Widder,  goldener,  der  Pelopiden  432  f. 
Wilson,  Richard,  Niobegemälde.  Nachtrag 

462. 
Winkelmann,  über  die  Niobegruppe  13. 
Wraske,  Behandlung  der  Niobesage  in  einem 

Oelgemälde  22. 

X. 

Xanthos,  Nereidenmonument  315.  325.  330. 

Z. 

Z.  =  Zannoni,  Herausgeber  der  Galeria  di 

Firenze  224  etc. 
Zannoni,  über  die  Niobegruppe  18. 
Zethos  in  der  thebischen  Sage  s.  Amphion ; 

Bedeutung  des  Namens  367. 
Zeus  'Ofioltpog  383. 

Zeus,  seine  Vereinigung  mit  Antiope  364.365. 
Zeuscult  am  Sipylos  411.  412. 
Zeusgeburt  bei  Theben  393. 
Zeustempel  von  Olympia,  Giebelfelder  315. 

324.  325. 
Zimmermann,  seine  ästhetische  Würdigung 

der  Niobegruppe  22. 


Register  der  Denkmäler. 


Abkünungen:  8t.  a  Statue,  M.  b  Marmor,  Br.  =  Broiue,  T.  =  Terracotu,  Gr.  m  Gruppe,  K.  =■ 
Kopf,  Bei.  s  lelltf,  8.-Jlel.  m  8arkoplMgreti>f,  V.  =  Vatenbild,  G.  =  Gemälde,  W.-G.  «  Wandgemälde,  G.  8V 
m  geschnittener  8tein,  P.  »  Glatpaste,  Z.  s  Zeichnung,  Mii.  =  Münzen. 


Achill,  Hektor  schleifend,  etrusk.  Kel.  201. 

Grab  mit  Tempel  bei  Sigeion  327. 

Gruppe  de  Skopas  32b. 

Aglaia,  hercul.  Z.   159. 
Aias  St.  inRhoiteion  133. 
Altar  des  Kephisodot  130. 
Amazonen-Reihe  von  St.  in  Athen  III. 
Amazone  St.  in  Mus.  Pembroke  322. 

liegend  St.  309. 

Rel.  in  Genua  171. 

Fries  v.  Magnesia,  in  Paris  252. 

Fries  v.  Phigalia,  in  London  252. 

Amphion  auf  Sarkophagreliefs  192.  196;  ob 

in  der  Niobidengruppe  ?  31 1  ff. 
Antonius  M.-St.  auf  a.  Akropolis  v.  Athen 

112. 
Aphrodite  G.  des  A pelle«  1 29. 

-  St.  im  Friedenstempel  zuRom  119.  121. 

St.  mit  Eros  220. 

St.  aus  Myrten  415. 

Nikephoros  St.  in  Argos  341. 

Apollo  Comeus  St.  aus  Seleucia  123. 

Caelispex  St.  in  Rom  125. 

Citharoedus  als  Augustu*  138. 

St.  v.  Elfenbein  125. 

und  Hera  St.  in  Rom  129. 

Br.-St.  des  Kaiamis  125.  129. 

M.-St.  des  Kaiamis  in  hortis  Servilia- 

nis  125. 
Br.-St.  des  Myron  133. 

Musagetes  St.  2S2. 

nudus  M.-St.  126. 

und  Artemis   bei  den  Niobiden    HO. 

114.  150.  151.  154.  155.  174.  179.  191.  199. 
310  —  312. 

Palatinus  M.-St.  14.  333. 

Parnopios  Br.-St.  112. 


Apollo  des  Philiscus  M.-St.  126.  130. 

Sandaliarius  8t.  124. 

schiessend  Br.-St.  174.  310. 

Tortor   124. 

des  Timarchides  130. 

Tuscanicus  125.  129. 

Apotheose  Homers  Rel.  2SS  f. 
Artemis  bei  Niobiden  s.  Apollo. 

mit  Leto  auf  Relief  v.  Albani  1 75. 

Athene:  Catulina  M.-St.  121. 

Kopf  220. 

Astragalenspielerin  M.-St.  307—^09. 

Bakchische  Scene  mit  Inschriften  V.  29S. 

Chiron  und  Achill  M.-Gr.  119. 

Danaiden  im  Heilig th.  des  Apollo  Palat.  M.- 
Gr.  328. 

Dionysosbilder  aus  Weinstock  415. 

M.-St.  auf  d.  Südmauer  d.  Akropolis 

112. 

Diskoswerfer  M.-St.  in  Florenz  249. 

M.-St.  in  Rom  (Massimij  220. 

M.-St.  in  Wien  249. 

Dreifasse  des  Aeschraeos  1 1 5. 

-  des  Gitiadas,  des  Kallon,  der  Tripo- 
denstrasse  162. 

Elektra  u.  Orest  (?)  M.-Gr.  294. 

Elephant  St.  v.  Obsidian  129. 

Erato  sog.  M.-St.  v.  Stockholm  286.  2SS. 

auf  der  Apotheose  d.  Homer  Rel.  288  ff. 

Faustina  sen.  K.  220. 
Felsreliefs  in  Griechenland  103. 
in  Kleinasien  104. 

v.  Nymphi  105. 

auf  Paros  103. 

Gallierschlachten  in   M.-St. -Gruppen    111. 

112.  139.  140. 

Rel.  an  einer  Tempelthüre  138. 


Register  der  Denkmäler. 


459 


Giebelgruppen  in  Uebersicht  3 1 1 — 3 1 6. 

u.  ihre  Bedeutung  322. 

griechische  in  Rom  131. 

des  capitol.  Tempels  321. 

des  T.  des  M.  Aurel  321. 

des  Praxiteles,  des  8kopas  322.  325. 

Gorgonenhaupt  an  d.  Akropolis  111. 

im  Giebelfeld  3 1 7. 

Hekabe  an*.,  M.-St.  291  ff. 
Helios  M.-St.  auf  Giebel  13b. 
Hera  Br.-St.  des  Myron  133. 
Herakles  Br.-St.  des  Myron  133. 

-  u.  Prometheus  W.  163. 

Sullanus  M.-St.  121. 

Musarum  M.-8t.  127. 

M.-St.  aus  Villa  Palombara  22«. 

Hermes  auf  Pelopsdarstell.  116. 

St.  neben  Ares  129. 

Heroenkämufe  in  Westgieljeln  325. 
Hileaira  aur  hercul.  Z.  15$.  1511. 
lanus  pater  M.-St.  119.  12b. 

Br.-St.  angebl.  des  Numa  12b. 

Kauernde  weibliche  Gestalt  T.-St.  2 In. 
Kentauren  u.  Lapithen.  Etr.-Rel.  201. 
Klytämnestra  liegend.  Kel.  310. 
Kleopatra  M.-St.  auf  d.  Akropolis  112. 
Knabe  mit  Gans  St.  220. 

Kora  Blumen  lesend.  T.-St.  209. 
Kriegergestalt  M.-St.  der  Villa  Albani  2ö:t. 
Kühe  goldene  St.  141. 
Kurotrophos  M.-St.  in  d.  Samml.  Torlonia 

230. 
Kyklopische  Bauten  am  Ida  397. 
Kybele :  ältestes  Bild  am  Sipylos  109. 35 1 . 
Darstellungen  Überhaupt  107. 

sitzend  M.-St.  im  Garten  d.  Vatican  los. 

im  Mus.  Wildianum  10*. 

Lampe,  eherne,  in  Baumform  142. 
Lapithen  auf  d.  Fries  v.  Phigalia  252. 
Leto  M.-St.  im  Letoon  zu  Argos  333.319. 

im  Palatin.  Apollotempel  129. 

M.-St.  des  Philiskos  126. 

auf  hercul.  Z.  159. 

auf  Rel.  der  V.  Albani  1 75. 

Leto  u.  Letoiden  gebildet  v.  Skopas)  ...... 

desgl.  v.  Praxiteles/ 
Liegende  weibliche  Gestalten  M.-St.  309. 
Marathonschlacht,  M'-Gr.  auf  der  Akropolis 

111. 
Medeas  Kindermord  G.   161.  162. 
Melpomene  M.-St.  282. 
Michel  Agnolos  Grabmal  216. 
Minotauros  u.  Pasiphae  Rel.  auf  Tempelt  hur 

139. 

M.-St.  252. 

Musen,  eine  M.-St.  des  Philiskos  126. 
Nereidenmonument  zu  Xanthos  315.  325. 

330. 
Nil  St.  v.  Basalt  129. 

Niobe  und  Niobiden: 
Aquileja  :  Niobek.  jetzt  wo  ?  231 . 


Athen:  Niobe  angeblich  T.-St.  210. 
Niobidenreihe  Rel.?  oder  Gruppe?  einst 
über  d.  Theater  des  Dionysos   111 — 
HS.  Nachtr.  463. 

Berlin  :  Kon.  Museum:  Niobetochter oder 
Trophos  M.-St.  290—294. 

Jüngste  Niobide  als  Psyche  ergänzt  M.- 
St.  231.  235.  301. 

Männlicher  Niobidenkopf  M.  261. 

Zwei  weibliche  Niobidenköpfe  M.  269. 

Niobetochter  und  Niobesohn  P.  16S. 
169. 

Angebl.  zwei  Niobesöhne  P.  212.  213. 

Angebl.  Niobide  G.-St.  213. 

Truhe  mit  Niobidenrelief,  modern. 
Nachtrag.  462. 

Bologna:  Palast  Zambeccari. 

Niobiden     Rel.    Fragment     176  f.  255. 
277.  279. 
Catajo :  Sammlung  Este,  jetzt  wo? 

Der  sog.  Narciss  M.-St.  254. 

Dresden :  Niobekopf  M.  232. 
Liegender  Niobide  26 1|— 263. 
Angebl.  Niobetochter,  Anchirrhoe  285. 

2S6. 
Niobetochter  Br.-K.  269. 

England  ausser  London : 

Brock  es leyhouse  Niobekopf  M.  232. 
Oxford,  Arundeliana :  Niobekopf  M. 232. 

M&nnl.  Niobidenkopf  M.  261. 
Rokeby,  im  Bes.  v.  Morrit,  zwei  Niobi- 

denreliefs  19b. 
Wiltonhouse : 
antikes  Niobid.  Rel.  189. 
modernes  Niobid.  Rel.   189.  Nachtr. 
462. 

Florenz  Gal.  d.  Uffizj  : 

Mediceische  Gruppe: 
Fund  derselben  10.  21 7  f. 
Schicksale  217  f. 

Mutter  mit  Tochter  M.-Gr.  225—235. 

Pädagog.  Jüngster  Sohn.  M.-St.  221. 
236—241. 

Drei  fliehende  Söhne,  einer  doppelt  M.- 
St.  171.  241—248. 

In  das  Knie  gesunkener  Niobide  dop- 
pelt M.-St.  250  ff.  336. 

Sog.  Narciss  M.-St.  222.  336. 

Liegender  Niobide  M.-St.  461—263. 336. 

Niobidenköpfe  auf  d.  Ringergruppe  260. 

Aelteete  Tochter  Gewand  hebena  M.-St. 
171.  273—279. 

Zwei  fliehende  Töchter  M.-St.  264- 
268.  335. 

Muse  Melpomene,  auch  Niobe  M.-St. 
279—283 

Sog.  Psyche  M.-St.  221.  278.  299— 
305.  335. 

Niobide,  Anchirrhoe  M.-St.  283—290. 

Köln,  Museum: 
Angebl.  Niobekopf  M.  232. 


460 


Register  der  Denkmäler. 


London,  britt.  Museum : 
Faganscher  M.-K.  eines  Niobiden  244. 

245. 
Niobetochter  M.-K.  270.  271. 

Madrid,  Kön.  Museum : 

Zwei  Köpfe  v.  Niobetöchtern  271. 

Sammlung  Alba:    in  die  Knie  gesunke- 
ner Niooide  253. 
München : 

Liegender  Niobide  M.St.  261—263. 

Sog.  llioneus  M.-St.  253. 255—258. 

Neapel,  Mus.  Borbonico: 
Niobe?  M.-St.  230.  291  oder  Niobide? 
Zwei  Dreifüsse    mit   Niobiden  W.-G. 

160-163.  253.  297. 
Niobe  mit  Gespielen,   Herkul.  Z.  157. 

158. 
Samml.   von  Raff.  Barone:    Niobiden, 

acht  Terracottafiguren  205—211.  295. 

304.  308. 
Samml.  von  Jatta:  Krater  aus  Kuvo  mit 

Niobiden  W.-G.  153—157.  253. 
Paris,  Louvre : 

Pfidagog  mit  Niobiden  M.-Gr.  aus  Sois- 
sons  223.  236.  237. 

Pädafog  kl.  Br.-St.  238. 

Zwei  Köpfe  der  Niobe  oder  Niobetöch- 
ter  M.  233  f.  268. 

Weibl.  Niobidenkopf  Br.  234. 

Niobide  in  flatterndem  Gewände  kl.  M.- 
St.  294  ff.  335. 

Niobetochter  mit  Bruder  G.-St.  168. 
169.211. 

Schale  Durand  mit  Niobiden  150 — 153. 

Petersburg,  Eremitage: 

Niobekopf  aus  Samml.  Campana  231. 

276. 
Stuccofiguren    aus    Kertsch    170.  203. 

205.  255. 
Neue  Reihe  dgl.  ebendaher  s.  Nachtrag 

463. 
Relief   Campana    M.     165—174.   253. 

307.  336. 
Sarskoe  Selo:     früher  Niobekopf  aus 

Rom,   zwei  mannl.  und  zwei  weibl. 

Niobidenköpfe,  jetzt  wo?    233.  262. 

270. 
Tempel  des  Apollo  Palatinus : 

Elfenbeinreliefs  138  ff. 
.   des  Apollo  Sosianus : 

Gruppe  des  Skopas  oder  Praxiteles 
119ff. 
Thermen  des  Titus : 

Angebl.  Niobidenbild  W.-G.  163. 

Rom,  Mus.  Capitolinum : 

In  das  Knie  gesunkener  Niobide  M.- 
St.  250. 

Sog.  Psyche  M.-St.  301. 

Zwei  Niobeköpfe  231. 

Kopf  einer  Niobide,  ang.  Apollo  Mu- 
sagetes  271. 


Rom:  Mus.  Kircherianum : 

Kopf  einer  Niobidentochter,  angebl. 
Bacchantin  269. 
Vatican : 
Fliehende  Niobide  M.-St.  Mus.  Chi* 

aram.  265. 
Sohn  mit  Tochter  an  Bein.  M.  Torso 

242.  305-307. 
Jüngster  Sohn.  M.-St.  236. 
Kopf  desselben  236. 
Zwei  Köpfe  von  Niobesöhnen  261. 
Zwei  Köpfe  von  Niobetöchtern  268. 
Sarkophagen  Casali:    Niobiden  -Rel. 

I79ff. 
Fragment  aus  Pal.  Rondanini   Rel. 

IS3. 
Fragment  mit  Amphion,    Rel.   Gal. 

Chiaramonti  16.  192. 
Zeichnung  v.  P.  Ligorio  von  einem 
Rel.  198. 
Mus.  Lateranense : 
Sarkophag  Lozano  -  Argoli    M.-Rel. 
187  ff. 
Palazzo  Colonna : 

Relieffragment  M.  175. 
Pal.  Massimi : 

Niobekopf  M.  231. 
Pal.  Rondanini: 

Relieffragment  16.  183. 
Pal.  Torloma: 

Angebl.  Niobe  230. 
Samml.  Vescovali: 

Angebl.  Niobe  230. 
Villa  Albani : 
Relieffragment  M.  16.  173f.  253. 
Dsgl.  mit  Amphion.  Zeichn.  192. 
Relief  von  Thon,  Leto  und  Artemis  ? 
175. 
Villa  Ludovisi : 

Relieffragment  M.  175. 
Villa  Pamfili  t 
Wandgemälde    aus    Grabmal    163  ff. 
276. 
Sammlung  des  Prinzen  Canino,  wo  jetzt  ?     / 
Schale  aus  Nola  mit  Niobiden   151. 
376. 
Sipylos:    Felsrelief  17.98—109  .Nach- 
trag. 433. 
Toscanella  in  Südetrurien  bei  Campanari : 
Etrusk.   Niobidensarkophag    M.-Rel. 
199. 
Venedig :  Samml.  d.  Bibliothek  Marco. 

Sarkophagrelief  Borghese  M.  14. 187  ff. 
Wien: 
Angebl.  Niobide,  ein  Discobolus  249. 
Fliehende  Niobide,  Gefassfragment  von 
Chalcedon  213.  214. 

Nymphaeum  Alexandri  Severi  219  f. 
Nymphe  Anchirrhoe-Statuen  in  Rom,  Paris, 

Stockholm,  Tegel,  England  286. 
Orest  u.  Pylades  Rel.  in  München  182. 
Peitho  in  Kunstdarstellungen  340. 


Register  der  Denkmäler. 


46t 


Pelops  Darstellungen  353. 

Perseus  und  Andromeda  W.-G.  161. 

Perserkämpfe,  Fries  vom  T.  d.  Nike  Apte- 

ros  252. 
Phoibe  auf  herkul.  Z.  159. 
Polyhymnia  unter  der  Niobiden  M.-St.  221. 

2S0. 
Psyche  sog.  v.  Neapel  M.-St.  274. 

Statuen  in  Rom  u.  Paris  301. 

sog.  in  Berlin  M.-St.  234.  235.  301. 

Prometheus  u.  Herakles  W.-G.  163.  164. 
Ringergruppe  M.  217.  220.  259.  261. 
Satyrn,  vier  Statuen  119. 

Semele  auf  Spiegelzeichnung  168. 
Sipylos  bei  Niobidengrab  Rel.  196. 
Skyphos,  eiserner,  129. 
Smyrnäische  Marmorfigur,  früher  bei  Mil- 
hngen  171.  297—299. 


Stiere  des  Mvron  Br.  13S.  141. 
Sylvanus  auf  Niobidenrelief  190. 
Tanzende  Frauen.  Rel.  in  Mus.  Chiaramonti 

220. 
Thalia  unter  dionysischen  Gestalten   V.-G. 

29$. 
Thebe  bei  Amphion  Rel.  196. 

Wärterin  oder  Hekabe?  M.-St.  in  Mus.  Ca- 
pitol.  291. 

Wärterinnencharakter,  künstler.    279.  294. 
334. 

Urania  unter  den  Niobiden  M.-St.  2S2. 
Aetophoros  auf  Münzen  Magnesia  411. 

Zeus :  Thronsitz  in  Olympia  110.  111. 
Athene,  Demeter  Br.-Gr.  129. 
Athene,  Herakles  Br. -Kolosse.   141. 


Nachträge  und  Berichtigungen. 


Zu  S.  10.  Z.  2  v.  u.  füge  hinzu:  „als  der  erste  ltaliäner,  der  die  Niobiden  plastisch  dar- 
stellte, ist  wohl  Benedetto  da  Rovezzano  zu  betrachten,  ein  Florentiner  aus 
dem  ersten  Drittel  des  16.  Jahrhunderts,  unter  Heinrich  VIII.  nach  England  gerufen, 
in  Anmuth  und  Milde  des  Stiles  noch  an  Majano  und  Ghiberti  erinnernd.  Ueber  das 
ihm  von  Waagen  zugeschriebene,  zweifellos  nicht  antike  Relief  in  Marmor  in  Wilton- 
house  s.  weiter  unten  (S.  189).'* 

Ebendas.  Anmerk.  3.  Ein  interessantes  Werk  italienischer  Sculptur  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  ist  die  hölzerneTruhe  in  der  Kunstkammer  im  neuen 
Museum  zu  Berlin  mit  einem  Niobidenrelief  an  der  Vorderseite,  je  einem  gebundenen 
Barbaren  an  den  Ecken.  Das  Verh&ltniss  derselben  zu  den  erwähnten  Compositionen 
ist  mir  nach  einer  flüchtigen  Beschauung  anzugeben  nicht  möglich.  Wenn  Richard 
Fischer  (histor.  krit.  Beschreibung  der  Kunstkammer  etc.  1859.  S.  75)  die  Truhe  in 
die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  setzt  und  doch  ein  Werk  aus  der  Schule  des  Oiov.  da 
Bologna  (geb.  1524,  gestorben  1608)  sein  lässt,  so  ist  das  ein  innerer  Widerspruch. 

S.  12.  Z.  20  v.o.  1.  1704  f.  1504. 

S.  16.  Z.  10  v.  o.  Zu  erwähnen  ist  hier  noch  ein  berühmtes,  oft  wiederholtes  Gemälde 
des  englischen  Claude  Lorrain,  Richard  Wilson  (1714—1 782 j  in  der  National  Gal- 
lery  in  London.  Ein  gewaltiger  Sturm  durchbraust  darauf  eine  grossartige  Felsen- 
gegend mit  Wasserfall,  in  welcher  als  Staffage  Apollo  mit  Diana  Niobes  Kinder  nieder- 
schiessen.   Ein  Stich  von  Woollett  und  Smith  aus  dem  J.  1661  liegt  mir  vor. 

S.  17.  Anm.  1  fuge  zu:  „abgedruckt  in  A.  W.  v.  Schlegel  Oeuvres  ecrits  en  francais 
publ.  par  Böcking  II.  1846.  p.  1  -29." 

S.  21.  Z.  5  v.  u.  fuge  zu:  ,,Welcker  (schon  1823  zu  Schwenck  etymol.  Andeut.  S.  298, 
dann  äschyl.  Trilog.  S.  192  und  jetzt  griech.  Götterl.  III.  S.  124  ff.)  fasst  sie  als 
Neaera,  als  neue,  sich  verjüngende  Natur." 

S.  29,  Z.  8  v.  u.  1.  3  f.  4. 

S.  32.  Z.  12  v.  o.  1.  nach  Päan :  „versetzt  uns  mitten  in"  und  Z.  13.  14  für:  „von  Kadmos 
erschienenen"  1.  „der  von  Kadmos  gefeierten". 

S.  49.  Anm.  1.  Für  eine  euripideische  Niobe  könnte  die  unmittelbare  Zusammenstellung 
mit  den  Troaden  sprechen,  die  von  einem  Metrodoros  (ob  dem  Epikureer?)  gemacht 
wird,  in  Bezug  auf  das  Gemälde  Prometheus  des  Parrhasios.  Vgl.  Seneca  Controv. 
1.  X.  34  ed.  Bursian :  sed  nihil  est  quod  minus  ferri  possit  quam  quod  a  Metrodoro 
dictum   est:    ujj    uoi   Tgtoädag  [*rjJi>  .Vio/fr/r .   lnC&fg  tq  tivq.  ovnio  uoi  rov  17pouiyd/fc 


Nachtrüge  und  Berichtigungen.  463 

S.  58.  Z.  6  v.  u.  Flüchtig  sind  die  auf  Niobe  bezüglichen  Epigramme  behandelt  von 
Heyne  in  Comment.  II. :  priscae  artis  opera  ex  epigrammat.  graec.  part.  erata  part. 
illustrata  in  Comment.  soe.  orient.  Gotting.  X.  p.  51  ff. 

S.  71.  Z.  3  v.  o.  1.  Kriegsbeute  f.  Kriegsleute. 

S.  90.  Z.  10  v.  o.  füge  ein :  „zu  entscheiden"  vor  ,,im  Stande". 

S.  96.  Z.  8  v.  u.  ergänze:  „Stratos"  zu  „Mene". 

S.  99.  Z.  7  v.  o.  füge  nach  „Zeichnung"  noch  „hinaus44  hinzu. 

S.  101.  Z.  11.  Eine  photographische  Abbildung  des  ganzen  Felsens  ist  von  dem  Contul 
Spiegelthal  dem  königlichen  Museum  zu  Berlin  übergeben  worden  und  lag  kürzlich 
der  archäologischen  Gesellschaft  daselbst  vor,  s.  Archäol.  Anze'.g.  1SG3.  März.  S.  34. 

S.  105.  Z.  17  v.  o.  1.  „und44  f.  ,,ist4f. 

S.  114.  Z.  9  v.  u.  Bursian  (Geographie  von  Griechenl.  1.  1S62.  S.  298)  sagt  von  dieser  Dar- 
stellung: „wohl  nur  ein  Relief,  keine  Statuengruppe,  für  welche  in  der  Höhle  kaum 
Platz  ist44. 

S.  116.  Anmerk.  3.  Eine  neue  Inschrift  ebendaselbst  über  Weihung  von  Dreifüssen  von 
einem  PeUonianos  und  Nigrinot  s.  Arch.  Anz.  1855.  n.  76 — 78.  S.  58  und  Bursian  in 
Leipz.  Ber.  d.  K.S.Ges.  d.  W.  hist.-phil.  Kl.  1860.  S.208.  Aehnliche  sind  noch  mehr 
dort  eingegraben. 

S.  124.  Z.  2  v.  o.  1.  „des44  f.  „den44  und  Z.  2  v.  u.  „der44  f.„den'4. 

S,  127.  Z.  2  v.  u.  1.  „seinen44  f.  „steinernen44. 

S.  128.  Anm.  Z,  3  v.  u.  1.  383  f.  283. 

S.  130.  I.  7  v.  o.  1.  „braucht44  f.  „berührt44. 

S.  134.  Z.  9  v.  o.  1.  „Seleukeia44  f.  „Seleikeia". 

S.  135.  Z.  1  v.  u.  Auch  der  Name  "OXpoi  weist  auf  den  Apollodienst,  ist  es  ja  der  apolli- 
nische Dreifuss,  dessen  Einsatztheil  olfiog  bezeichnet,  ward  "OJ^uo?  als  mythischer 
Wahrsager  gefasst  bei  Zenob.  Prov.  III.  63. 

S.  150.  Anm.  Z.  11  v.  u.  1.  „retourne44  f.  „retouvre44. 

S.  160.  Z.  13  v.  u.  1.  1)  f.  8)  und  Z.  1  v.  u.  1.  2)  f.  1). 

S.  199.  Anm.  Z.  2  v.  u.  1.  185  f.  152. 

S.  206.  Z.  3  v.  u.  Anm.  1.  „chthonischen"  f.  „chthomischen44. 

S.  205.  Z.  12  v.  u.  Eine  soeben  erhaltene  dankenswerthe  briefliche  Mittheilung  von  L.  v. 
Stephan!  in  Petersburg  giebt  Kunde  von  einem  Ende  1S62  in  Kertsch  gemachten 
Funde  einer  neuen  Anzahl  Niobiden  in  Gyps  oder  Terracotta.  Sie  schmückten  eben- 
falls ursprünglich  die  Seitenfläche  eines  Sarkophags.  Ausser  einer  sitzenden  Figur, 
wie  es  scheint  der  Mutter,  in  deren  Schooss  sich  ein  Solrn  flüchtet,  sind  Fragmente 
von  vier  andern  Söhnen,  fünf  Töchtern,  von  dem  Pädagogen^  und  der  Amme  erhalten. 
Sie  werden  im  Compte  rendu  des  Jahres  1863  veröffentlicht  werden. 

S.  212.  Anm.  Z.  2  v.  u.  1.  1831  f.  IS.'lo  und  füge  hinzu:  ,,es  ist  ein  schwarzer  Achat  der 
Sammlung  Demidoff44. 

S.  253.  Z.  13  v.  o.  Kürzere  Notiz  davon  ist  jetzt  gedruckt  in  E.  Hübners  antiken  Bild- 
werken in  Madrid.  Berlin  1862.  S.  246.  n.  569. 

S.  256.  Anm.  7  füge  hinzu:  „jetzt  gut  gezeichnet  und  gestochen  in  C.  v.  Lütsow  Münch- 
ner Antiken.  Liefer.  III.  Taf.  15.  16.  17.  mit  Text  S.  28.  29. 44  Zu  den  Angaben  der  Er- 
haltung füge  hinzu :  „es  fehlt  die  kleine  Zehe  des  linken  Fusses  grossentheils,  Brüche 
an  demselben  Fuss,  wie  ein  Riss  durch  den  rechten  Unter-  und  Oberschenkel  sind 
sichtbar44. 

S.  262.  Z.  7  v.  o.  füge  hinzu  :  „jetzt  neu  publicirt  von  C.  v.  Lützow  in  den  Münchner  An- 
tiken. Lief.  III.  Taf.  14.  Text  S.  26.  27  mit  seiner  Bemerkung  über  die  die  Contouren 
bildende  Wellenlinie44. 

S.  271.  Z.  1 1  v.  o.  s.  jetzt  E.  Hübner  ant.  Bildw.  in  Madrid  S.  95  und  auch  227.  n.  503. 


464  Nachträge  und  Berichtigungen. 

S.  272.  Z.  11  v.  o.  1.  „Niobetochter"  f.  „Niobidentochter". 

S.  277.  Z.  11  v.  u.  1.  , »erinnern"  f.  „erinnen". 

S.  2S1.  Z.  5  v.  o.  1.  „grösseren"  f.  „kleineren"  und  streiche:  „ja  dem  jüngsten  Sohne  an 
Grösse  entspricht". 

S.  2S3.  Z.  S  v.  o.  1.  „Niobe"  f.  „Niobide". 

S.  288.  Z.  2  v.  u.  1.  6)  f.  7). 

S.  304.  Anm.  Z.  2  v.  u.  1.  Anth.  gr.  II.  f.  Anthol.  gr.  1. 

S.  315.  Anm.  Z.  4  v.  o.  1.  sichern  f.  sieben. 

S.  344.  Anm.  Z.  2  v.  o.  füge  ein  nach:  „£f}'aT(j6f"  ,,ni\it  ytvfadat  &v)'ai£(>as11. 

S.  351.  Anm.  Z.  2  v.  u.  1.  5)  f.  6). 

S.  3GS.  Z.4  v.  u.  Dieser  Gegensatz  eines  nicht  thebanischen,  ionisch  -  achäischen  Herr- 
schergeschlechtes zu  den  Spartoi  Thebens  ist  in  jener  historisirenden  Erzählung  vom 
Untergang  der  Niobiden  durch  einen  Hinterhalt  der  Spartoi  auf  dem  Wege  nach  Eleu- 
therä,  die  wir  S.  8G  behandelten,  klar  ausgesprochen. 

Zu  8.  442.  Es  mag  hier  eine  merkwürdige  Notiz  noch  Platz  erhalten  über  eine  auf  Niobe 
bezogene  Statue  einer  weinenden,  liegen  gebenden  Heiligen  in  der  Provence.  Die 
Nachricht  ist  von  Salvagne  gegeben  zu  Ovid.  Ibis  5S5  (Ov.  ed.  Burm.  IV.  p.  149)  und 
lautet :  mirum  illud  apud  Vocontios  nostros  Nioben  divinos  honores  consecutam  esse, 
cujus  statuam  plorantis  instar  in  sacello  cujusdam  vici  non  longe  a  Vasione  oppido  in 
comitatu  Venascino  pontificiae  ditionis  positam  vicani  sub  nomine  sanetae  Nieblae  me- 
moria etiam  nostra  colere  et  superstitiose  ad  eliciendam  pluviam  circumferre  solebant, 
donec  re  cognita  Jos.  Suaresius  episc.  Vasiensis,  vir  antiquitatis  peritisaimus  ante  ali- 
quot annos  statuam  confringendam  et  superstitionem  abolendam  curavit. 


Druck  von  Breitkopf  und  Hftrtcl  in  Leipzig. 


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