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AUS DER
"BIBLIOTHEK"
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NIOBE UND DIE NIOBIDEN.
NIOBE
UND
DIE NIOBIDEN
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IHRER LITERARISCHEN, KÜNSTLERISCHEN UND
MYTHOLOGISCHEN BEDEUTUNG.
VON
D* K. B.iSTAEK,
OltD. »OPRMOR AN DU UNIV. HRIDRLBRRU, ORD. AUVW. MITGLIED DER K. S. GBXKLLSOH. D. WISXINftCH.
XU LRIFIIO UND DBS ARCHÄOLOG. 1NITITUTS XU ROM.
— nam quis tton Niolen ttvmtroso funeri mo0»tmm
jam ctcinit?
MIT ZWANZIG TAFELN.
LEIPZIG,
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN.
Das Recht der Uebersetzung in die englische und französische Sprache hat sich
der Verfasser und der Verleger vorbehalten.
EDUARD GERHARD
IN LIEBE INI) VEREHRUNG
ZUGEEIGNET.
M901780
Verehrter Freund!
Ahnen diese langsam unter mannigfachsten Unterbrechungen gereifte
Frucht von Lieblingsstudien zuzueignen, sollte mich schon Ihre freundliche
Hinweisung auf dieselbe reizen, die sie im Jahre IS 55 Ihrer griechischen
Mythologie eingefügt haben.
Noch mehr aber treibt mich dazu die fortwährende Theilnahme, die Sie
dieser Arbeit geschenkt und durch freundliche Hülfeleistung verschiedenster
Art, besonders durch Bereicherung der monumentalen Beigaben bewährt
haben. Jede neue Begegnung, hier auf schattigen Berggängen an den schö-
nen Ufern des Neckar, oder dort unter den reichen Schätzen des Berliner Mu-
seums hat unser Gespräch auf Niobe und Niobiden zurückgeführt und Sie
haben meinen Gedanken, Zweifeln und weitergehenden Combinationen über
dieselben stets ein williges Ohr geliehen.
Aber im letzten Grunde ist es doch noch etwas Anderes, das mich dazu
drängt, Ihren Namen gerade dieser Arbeit vorzusetzen. Ich bin nicht ihr
persönlicher Schüler gewesen. Die wissenschaftliche, specifisch mythologische
Anschauungsweise , in welcher sich zuerst Ihre so fruchtbare und hochaner-
kannte Thätigkeit bewegte, war eine durchaus andere, als diejenige, welche
mehr als zwei Jahrzehnte später auf mich in den Jahren meiner ersten wissen-
schaftlichen Entwicklung bestimmend eingewirkt hat. Und dennoch haben
wir uns nicht blos äusserlich literarisch oder allgemein menschlich zusammen-
gefunden. Wie ich Ihnen die vielfachste Belehrung, Erweiterung der Ge-
sichtspunkte und Kenntnisse verdanke, so glaube ich in dem immer festeren
Ergreifen des Einheitspunktes antiker Kunst und Literatur im Mythus, in
der allseitigen Betrachtung desselben und seiner Zurückfuhrung auf das reli-
Vin Vorwort.
giöse Bewusstsein der alten Welt, in dem vergleichenden Ausschauen auf
verwandte Culturkreise Ihnen und Ihrer wissenschaftlichen Betrachtungweise
immer näher gekommen zu sein. Eine gewisse Verschiedenheit der Gedan-
kenbewegungen — ich möchte sie als historisch genetische der mehr syste-
matischen gegenüberstellen — wird ja wohl bleiben, aber ohne irgend das
Gefühl der Dankbarkeit und Verwandtschaft zu schmälern, das ich Ihnen
gegenüber so lebhaft in mir trage.
Sie werden in den Untersuchungen, die durch so mannigfaltige, scheinbar
sich fremde Gebiete ihre Wurzeln ausgebreitet haben, gern die durchgehende
Hauptrichtung anerkennen, Sie werden bei der Reihe von Ruhepunkten, von
denen sich mir auf andere wissenschaftliche Fragen Aussichten eröffneten, es
sich gefallen lassen mit mir zu verweilen. Sie werden nicht allein die Ein-
zelheit, die einzelne neue Kunde oder einzelne glückliche oder verfehlte Com-
bination herausheben, sondern das Ganze als zusammenhängende Kette von
Betrachtungen und Untersuchungen fassen und beurtheilen.
Und gerade in diesem Sinne wünsche ich, unter dem freundlichen Schutze
Ihres Namens für eine Arbeit, die ein mit Recht so hochberühmtes Thema
behandelt, nach deren Durchfuhrung und Abrundung ich redlich gestrebt
habe, ohne freilich in jedem einzelnen Punkte die wünschenswerthe Sicher-
heit herstellen zu können , für deren würdige Ausstattung und Veröffent-
lichung der hochachtbare Verleger eine so dankenswerthe Sorge getragen hat,
mir Leser im weiten Kreise aller derer, die für das Altcrthum und seine
Kunst- und Ideenwelt noch Empfänglichkeit und Wärme besitzen. Möchte
das Buch aber auch geeignet erscheinen in jungen Studirenden ein nicht blos
äusseres und oberflächliches Interesse für antike Kunst und Mythologie zu
befriedigen sondern sie auf einem nicht unwichtigen Punkte dieses weiten
Gebietes in die Werkstätte der wissenschaftlichen Arbeit unmittelbar einzu-
führen und die Erkenn tniss der inneren Zusammengehörigkeit von Philologie
im engeren Sinne und Archäologie an seinem Theile zu fördern !
Ostern 1863.
K. B. Stark.
Inhaltsverzeichniss.
Einleitung S. 1—25.
§ i. Stellung der Aufgabe S. 1 — 7.
Verhältniss von Mythus, Poesie, bildender Kunst unter einander im Allgemeinen,
speciell bei den Griechen S. J — 2. Geschichte des Mythus in der Literatur S. 2.
Einfluss der letzteren auf die bildende Kunst S. 3. Lokalsagen und Cultusmythen
S. 3. Grosser selbständiger Werth der Künstdenkmale für Erkenntniss des My-
thus S. 3 — J. Grundbegriff des Mythus S. 4. Bedeutung und Gränzen der Ety-
mologie in der Mythenerklärung S. 5. Die vergleichende Mythologie und ihre Ge-
fahren S. 6. Nachwirken des antiken Mythus in der modernen Geistescultur S. (> — 7.
Der Niobemythus in seinem allseitigen Interesse S. 7.
§ 2. Literarische, künstlerische und gelehrte Behandlung des Mythus der
Niobe in der modernen Welt. Der jetzige Stand der Forschung
S. 8—25.
Dante S. 8. Des Bocaccio genealogiae deorum gentilium und deren Quellen, bes.
Theodontius S. 8 — 9. Natalis Comes S. 9 — 10. Mythologische Handbücher bis
Banier S. 10. Niobe und die Künstler des 10. und 17. Jahrhunderts: Polidoro da
Caravaggio,, Giulio Romano, Guido Reni u. a. S. 10 — 12. Abbildungen der Niobi-
dengruppe S. 12. Beginn der ästhetischen Würdigung: Spence S. 13. Winkel-
mann 8. 13 — 14, Fabroni, Raf. Mengs S. 14. Heyne, Ramdohr, Levezow, H.Meyer
S. 15. Niobe in Poesie und Malerei des 1 8. Jahrhunderts S. IG. Astronomische
Deutung der Niobesage S. 16. Neue Methoden angebahnt durch Entdeckungen und
durch Kritik und Geschichte der antiken Poesie S. 17. Cockerell, Schlegel, Welcker
u.a. und dieNiobiden als Giebelgruppe S. 1 7 — IS. Entgegnung von Martin Wag*
ner S. IS. 19. Feuerbach, Otfr. Müller S. 19. Welckers Abhandlung S. 20. Be-
handlung der Niobedramen durch G. Hermann, Droysen, Fritzsche S. 20. 21. Mo-
nographie von Burmeister S. 21. Die neuesten Mythologen über Niobe S. 21. 22.
Neuste Aestetiker und Reisende S. 22. 23. Niobe in der neuesten Kunst S. 22.
Archäologische Urtheile : Gerhard, Brunn u.a. S. 23. 21. Zweifel an der Giebelauf-
stellung bei Friederichs S. 24. Michaelis S. 25.
Erstes Kapitel S. 26-97.
Der Niobemythus nach seiner Entwickelung in der antiken
Literatur.
§ 3. Das griechische Epos S. 26—31.
Niobe im 24. B. der Ilias S. 26— 30 : älterer Bestandteil S. 27 ; jüngerer S. 27. 28.
Götterbestattung S. 28. 29. Hesiodos S. 30. Jüngere Epiker S. 30. 3 1 .
§ 4. Die Lyriker S. 31— 33.
Alkman, Mimnermo«, Bakchylides, Lasos S. 31. Sappho S. 31. 32. Findaros S.32.
Telesilla S. 32.
§ 5. Die Logographeii S. 33. 34.
Pherekydes y. Leros S. 33. 34. Hellanikos S. 34.
X Inhaltsverzeichniss.
§ 6. Die Tragiker S. 34 -51.
Allgemeine Stellung des Stoffes zur Tragödie S. 34. Tantalosdramen S. 35. Niobe
des Aeschylos S. 35—42 : Frage der Trllogie S. 30, Fragmente S. 36—40, auftre-
tende Personen und Chor S. 40 — 12. Niobe bei Sophokles S. 42 — 19: Stellen in
Elektra und Antigone S. 42 — 44 , Tragödie Niobe des Sophokles S. 44 — 49. Hat
Euripides eine Niobe gedichtet? S. 49. Euripideische Stellen über Tantalos und
Niobe S. 49 — 51. Spätlingzeit der griechischen Tragödie: Meliton und Bassus S. 51.
§ 7. Dithyrambiker. Spätere Mimik und Orchestik S. 52—55.
Niobe des Timotheos S. 52. Glanzpartien für Schauspieler S. 52. Niobe Liebling-
stoff des pantomimischen Tanzes: Nero, Ans ton, Memphis S. 53. Parodie der
Niobe : Aristophanes S. 54 — 55. Die Komiker Timokles und Philemon S. 55. 56.
§ 8. Die alexandrinische Poesie. Die Epigrammatiker. Das spätere Epos.
Die rhetorische Uebung S. 56 — 68.
Euphorion S. 56. Simmias von Rhodos S. 56. 57. Nikander? S. 57. Kallimachos
Moschos S. 57. 58. Anakreonteen S. 5S. Epigrammatische Dichtung S. 5S — 63 :
Antipater von Sidon S. 59 — 60, Meleagros von Gadara S. 60, Antipater von Thessa-
lonike S. 60— 61, Theodoridas, Leonidas von Alexandria S. 61 — 62, Straton aus
Sardes S. 62, Makedonios S. 62, Julianos mit dem Uebersetzer Ausonius S. 62. 63.
Das jüngste Epos: Quin tos Smyrnaeos S. 63 — 64. Nonnos: Hamadryade und
Niobe S. 64 — 65, Opora und Niobe S. 65, Aura und Niobe S. 65 — 66, Nikaea und
Niobe S. 66. Niobe in den rhetorischen Uebungsstücken S. 66 — 67. Aphthonios,
Libanios S. 67. Chorikios S. 68. Achilles Tatios S. 6S. Clemens von Alexandria
und Hieronymus S. 68. Sprichwörtliches S. 68.
§ 9. Ovid und die übrige lateinische Dichtung S. 69 — 82.
Popularität des Stoffes in der lateinischen Poesie : Nemesianus und Sidonius Apol-
lin ans S. 69. Ovid und die Niobesage S. 69 — 75. Darlegung der Hauptstelle Ovid
Metam. 1. VI. Einordnung Niobes zwischen anderen Mythen S. 70, Geschlecht und
Stellung Niobes, Niobe und Manto in Theben S. 71. 72. Götterscene auf Delos
S. 72, Tod der Söhne S. 73, des Amphion S. 73, der Töchter S. 74, Umwandlung
Niobes und Versetzung an den Sipylos S. 75, Trauer um die Todten S. 75. Bedeu-
tung der ovidischen Schilderung S. 75. Andere ovidische Stellen S. 76. Horaz,
Virgil, Properz S. 76. Seneca S. 77. 78. Statius S. 78—80. Juvenal S. 80. 81.
Ausonius S. 81. Pentadius S. 81. Sidonius Apollinaris S.82.
§10. Die Historiker, Antiquare und Mythographen S. 82—89.
Poetische Natur des Niobemythus S. 82. Prosaische Behandlung S. 82. 83. Hero-
doros Pontikos S. 83. Apollodor S. 83. 84. Diodor und Strabo S. 84. 85. Niko-
laos von Damaskus S. 85. Botryas von Myndos S. 85. Pausanias S. 85. 86. The-
banische Fassung der Niobesage : Timagoras S. 86. Niobe und die Ityssage S. 87.
Hyginus S. 87. 88. Lactantius Placidus zu Ovid und Statius S. 88. Tsetzes und
Eustathios S. 89.
§11. Die philosophische Kritik und Auslegung des Mythus im Alterthume
S. 89—93.
Frühe Reflexion und Kritik bei Behandlung des Mythus S. 89. 90. Artemidoros
S. 90. Philemon der Komiker S. 90. Erklärungen der Versteinerung S. 91. Plato
und Plutarch gegen den Mythus der Niobe S. 92. Aristoteles und die sittliche Stel-
lung Niobes S. 93.
Inhaltsverzeichnis 8. XI
§12. Tabellarische Uebersicht über die Niobesage nach den verschiedenen
Berichten S. 93—97.
Abstammung der Niobe: Voreltern, Eltern, Geschwister S. 94. Heimath S. 95.
Auszug, Hochzeit, Mann und Kinder S. 95. 96. Niobe und Aedon S. 96. Niobe
und Leto 8. 97. Todtenbestattung, Niobes Endschicksal 8. 97.
Zweites Kapitel S. 98—336.
Der Mobemythus in der bildenden Kunst.
§ 13. Das Niobebild am Sipylos S. 98-109.
Lokale Fixirung der Niobe in einem Felsenbilde am Sipylos neben der allgemeinen
idealen Vorstellung S. 9S. Ist diese Niobe Naturspiel oder menschliches Werk?
S. 99. Naturbeschaffenheit der weiteren Umgegend von Smyrna, speciell des Sipy-
los S. 90. Magnesia am Sipylos und Weg an der Nordseite des Gebirges nach den
neuesten Reisebeschreibern S. 100 — 102. Das Niobebild selbst S. 102. 103. Felsen-
reliefs nicht häufig in Griechenland S. 103; ihre Bedeutung in Kappadokien, Phry-
gien, Lykien S. 104. 105. Felsrelief bei Nymphi S. 105. Stilistische Vergleichnng
des Niobebildes mit dem Relief von Nymphi u. a. S. 100. 107. Verhältniss zu den
Kybeledarstellungen S. 107. 10S. Aeltestes phrygisches Bild der Kybele ein schwar-
zer Stein S. 10S. 109 ; erste plastische Darstellung derselben am Sipylos durch Bro-
teas S. 109. Bedeutung der anderen Denkmäler an der Nordseite des Sipylos S. 109.
S 14. Plastische Werke der attischen Schule in Hellas S. 109—1 18.
Bedeutung Attikas für die ganze künstlerische wie poetische Durchbildung des
Niobemythus S. 109. 110. Relief am Thronsitze des Zeus zu Olympia S. 110. 111.
Kunstwerke bei und auf der Südmauer der Akropolis zu Athen S. 111. 1 12. Höhle
über dem Dionysostheater das. mit Niobidendarstellung S. 1 12. War diese im Drei-
fuss oder in der Grotte? S. 112. 113. Statuen oder Relief? Marmor oder Erz?
S. 113. Entstehungszeit und Stifter dieser Darstellung S. 114-116. Dreifuss des
Aischraios S. 115. Zeit desselben S. 115. 116. Denkmal des Thrasyllos S. 116.
Bedeutung dieser Darstellung im lokalen Zusammenhang S. 117. HS. Kunststil
des Werkes S. 118.
§ 1 5. Berühmte griechische Werke des Niobidenmythus auf dem Boden von
Rom S. 118—144.
Zwei Hauptwerke von Niobedarstellungen in Rom S. 113. Stelle des Plinius über
die Niobidengruppe im Tempel des Apollo Sosianus zu Rom S. 119. Art und Ver-
anlassung der Aufzählung S. 119. 120. Apollo Sosianus S. 121. C. Sosius S. 121
—123. Der Triumph desselben und Weihestiftung dafür S. 122. 123. Wo war der
Tempel des Apollo Sosianus? S. 123. A polloh eilig thümer und Statuen in Rom
S. 124. 125. DasApoUoheiligthum auf den prata Flaminia und die Triumphe S. 125*
Ludi Apollinares und Theaterbauten S. 125. 126. Triumphale Prachtbauten ad
aedem Apollinis S. 126. 127. Gleichzeitige Prachtbauten des Sosius und Domitius
Ahenobarbus S. 127. Was bedeutet in templo Apollinis bei Plinius? S. 128 — 130.
Können die Worte auf das Giebelfeld des Tempels bezogen werden? S. 130 — 132.
Woher kam die Gruppe nach Rom? S. 133—138. Bedenken bei Seleucia in Syrien
S. 133. 134. Seleucia am Kalykadnos in Cilicien und die ältere Stadt Holmoi S. 134.
Sarpedon und das Sarpedonion daselbst S. 134. 135. Apollodienst und Sarpedon
S. 134. 135. Seleucia unter den Römern S. 135. Die h. Thekla und das Sarpedo-
nion S. 136. Die Niobiden, Apollo Sarpedonios und Sarpedons Grab S. 136. 137.
Niobe als Göttin bei den Kilikern S. 137. Ciliciens, speciell Seleucias Stellung zu
Antonius und dessen Feldherrn S. 137. 13S.
XIT Inhaltsverzeichnis«. •
Die Niobiden an den Elfenbeinthüren des Tempels des Apollo Palatinus 8. 13S.
Gestalt der Reliefflächen. Thürreliefs überhaupt S. 13S. 139. Untergang der Gal-
lier bei Delphi S. 139. Griechische religiöse Auffasssung desselben S. 139. Ur-
sprung der Werke im Tempel des Apollo Pal. wesentlich in Kleinasien S. 141. 142.
Apollo Palatinus und die troische Sage S. 142. Das äolische Kyme, Apollotempel
und die Gallier S. 143. Die pergamenische Kunst und die Gallierschlachten S. 143.
144. Die Elfenbeinthüren wahrscheinlich aus Kyme stammend S. 144. Ihr Unter-
gang S. 144.
§10. Rückblick. Sonstige Zeugnisse über Kunstdarstellungen der Niobe
S. 145—148.
Vier historisch bezeugte selbständige Niobidencompositionen griechischer Kunst
S. 145. Einfluss der plastischen Werke auf die römischen Dichter S. 145. Bezug
des Epigramms des Meleager wahrscheinlich auf ein Niobidenrelief S. 146. Ob An-
tipater von Sidon dasselbe Werk vor sich sah ? S. 146. 147. Epigramme und die be-
rühmte Niobestatue S. 147. Niobidenuntergang als Schilddarstellung S. 147. ;Niobe-
gemälde späterer Zeit S. US.
§17. Die erhaltenen Monumente. Allgemeines. Vasenbilder und Wand-
gemälde S. 148—165.
Denkmälergattungen in ihrem Verhältniss zur Niobesage S. 148. 149. Schmuck der
Gräberwelt und die Niobiden S. 149. Weg der Untersuchung zu den Statuen hin
S. 149. Vasengemälde S. 150 — 157: Schale schönen Stiles aus Vulci, früher im
Cabinet Durand S. 150. 151. Zweite Schale aus Nola mit nicht sicherer Niobiden-
darstellung S. 151. Resultate der Betrachtung S. 152. Krater aus Ruvo, in der
Sammlung Jatta mit grossem Niobidenbild S. 152 — 157: Bedeutung der dargestell-
ten Gottheiten für die Niobiden S. 153, Beschreibung S. 151-156, Resultate S. 156.
157. Zeichnung aus Herculanum mit Niobe unter Heroinen S. 157. 1 5*S. Bedeut-
samkeit dieser Zusammenstellung S. 159. Niope auf der Midiasvase S. 160. Pom-
pejanisches Wandgemälde mit Dreifüssen und Niobidenuntergang daran S. 160 — 163.
Ausschmückung des Hauses del Questore S. 160. Gruppirung und Motivirung der
vierzehn Niobiden S. 161. Schmuck der Dreifüsse S. 162. Grabwandgemälde der
Villa Pamfili S. 163. Innere Beziehung der Niobiden- und Prometheusdarstellung
S. 164. 165.
§18. Die Niobidenreliefs S. 165—202.
Relief Campana S. 165 — 175: Schicksale und bisherige Besprechung S. 165 — 167.
Tek tonische Gestalt S. 167. Stil des Reliefs S. 167. 168. Beschreibung der Dar-
stellung S. 16S — 173. Niobidenscene auf geschnittenem Stein S. 168. Die Götter
auf den Reliefs S. 173. Relief der Villa Albani S. 173. 174. Fragmente in Villa
Ludovisi und Pal. Colonna S. 174. 175. Zeitliche Stellung der Composition S. 175.
176. Uebergangsstufen zu den Sarkophagreliefs S. 176. 177. Relief in Bologna
S. 176. 177.
Römische Sarkophagreliefs S. 177 — 198. Zwei Hauptcompositionen S. 1 78. Erste
Gattung : Relief Casali und Relief in München in vergleichender Einzelbeschreibung
S. 179—187. Gruppe der zwei Brüder und die des Orest und Pylades S. 182. Relief
Rondanini S. 1S3. Oberes Friesrelief mit den Leichen der Niobiden S. 1S5 — 1*7.
Giebelartige Seitenreliefs der Sarkophage S. 186. 187. Zweite Composition vertre-
ten im Sarkophag Borghese, dem des Lateran, dem in Wiltonhouse S. 187 — 198. Die
Relieffragmente mit der Gruppe des Amphion und eines Sohnes S. 192. 193. Die
Rosse der Niobiden S. 193. Die strafenden Gottheiten S. 191. 195. Seitenflächen
S. 195 — 197. Vergleich beider Hauptcompositionen S. 197. 19s. Zwei nicht naher
Inhaltsverzeichniss. XIII
bekarfhte Sarkophagreliefs in llockeby S. 19b. Nachricht des Pirro Ligorio S. 19*.
Niobiden auf einem etruskischen Sarkophag S. 19* — 201. Nebenseiten desselben
S. 201. Vergleichende Charakteristik S. 202.
§ 19. Uebergangsformen zur statuarischen Bildung. Terracottcn u. Werke in
Stucco. Einzeldarstellungen aufgeschnittenen Steinen 6.202 — 214.
Hölzerne Sarkophage mit Stuckreliefs aus Kertsch S. 203. Drei Figuren daher:
Niobe mit Tochter, Sohn und Pädagog S. 203 — 205. Terracottafiguren aus einem
Grab bei Fasano, dem alten Gnathia S. 205 — 210. Stoff und tektonische Form
S. 2015. Beschreibung S. 200 — 209. Figurenfund dabei, auf Koraraub bezüglich
S. 209. 210. Angebliche Niobe aus einem attischen Grabe S. 210. 211. Geschnit-
tene Steine S. 211 — 214. Stein der Sammlung Demidoff mit schützender weiblicher
Gestalt und Sohn S. 21J. 212. Angebliche Niobiden auf einer Berliner Paste S. 212.
213. Fliehende Niobide auf einem Gcfassfragment vonChalcedon in Wien S. 213.214.
§ 20. Die statuarischen Bildungen. Ihre Fundorte und Zusammenstellung
S. 214—224.
Schwierigkeit und Unzulänglichkeit der Hülfs mittel in Behandlung der Niobegruppe
S. 214. 215. Gestecktes Ziel S. 215. 210. Auffindungszeit, Fundort und Fund-
berichte S. 210 — 219. Der Bildhauer und Restaurator Valerio Cioli und sein Brief
über den Fund S. 210 -218. Fundort auf dem Ksquilin und die dortigen antiken
Anlagen und Funde S. 219—220. Preis S. 221. Erster Kupferstich S. 221. Auf-
stellung in Villa Medici in Rom, dann in Florenz S. 222. Fundorte der Wiederho-
lungen und sonstiger Niobidenstatuen S. 223. Das Material und die Stilverschie-
denheiten S. 223. 224.
§21. Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke S. 224 — 312
Allgemeines S. 224. Niobe mit der jüngsten Tochter in Florenz S. 225 — 235. Ge-
sammtmotivirung S. 225. Arme, Haarfülle S. 226. Gesichtsidcal S. 220—228.
Massige Ausführung des Florentiner Exemplars S. 229. Andere angebliche Niobe-
statucn S. 229. 230. Niobeköpfe S. 231 - 23 1. Wiederholung der jüngsten Tochter
in Berlin S. 234 - 236. Der Pädagog und der jüngste Sohn in Florenz S. 236—241.
Wiederholungen. Die erhaltene Gruppe von Soissons S. 230. 237. Charakteristik
des Pädagogen S. 23S. 239, des jüngsten Sohnes S. 239. 240. Bedeutung des Päda-
gogen gegenüber Niobe und einem vorausgesetzten Amphion S. 240. 211. Fliehende,
eilig ausschreitende Xiobesöhne S. 241 — 24 S. Aeltester fliehender Sohn S. 243. 244.
Idealbildung des Kopfes der Niobesöhne S. 244. Der Fagansche Kopf S. 244. 245.
Zweiter fliehender Sohn S. 245. 246, dritter S. 246. 247. Notwendigkeit einer er-
gänzenden Gestalt zu dem letzten. Das Pferd? S. 247. Ob die sog. Psyche? S. 24S.
Frage nach Verbindung oder Trennung der drei Brüder S. 248. Gebeugte und in
die Knie gesunkene Niobesöhne S. 249-261. Der Diskobolos unter den Niobiden
in Florenz und in Wien S. 249. Der florentiner in das eine Knie gesunkene Niobide
S. 250 — 254. Wiederholung in Florenz und Kom S. 250. Motive des in die Knie
Sinkens S. 250 — 253. Niobidenstatuc des Herzogs von Alba in Madrid S. 253. Der
sogenannte Narciss von Florenz S. 254 — 255. Wiederholung in der Sammlung Este
zu Catajo S. 254. Der sogenannte Ilioneus von München S. 255—258. Schicksale
und bisherige Deutung der Statue S. 256. Gründe gegen Bezeichnung als Niobiden
S. 257. Deutung auf Sohn des Herakles S. 25S. Kingergruppe von Florenz S. 259.
260. Männliche Niobidenköpfe S. 260. 261. Der todte, ausgestreckt liegende Nio-
bide S. 261—263. Zwei fliehende Töchter in ihrer Zugehörigkeit unbestritten S. 264
—270. Weibliche Niobidenköpfe S. 26S — 271. Stehende oder in leichter Bewe-
gung begriffene weibliche Statuen, als Niobiden bestritten oder erst neuerdings her-
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Inhaltsverzeichnis s. XV
des Phoroneus : Inachos, Melia, Okeanos, Tethys S. 339. Geschwister : Aigialos,
Phegeus S. 339. Die Mutter Niobes : Laodike oder Telodike S. 339. 340, Peitho
S. 340. 341, Kerdo S. 341. Geschwister der Niobe: Apis S. 341. 342, Europa,
Aigialeua, Sparton, Europs S. 342. 343. Das Geschlecht des Phoroneus in Megara
und Hermione S. 343. Niobe als Geliebte des Zeus S. 343. 344. Niobe als Gross-
mutter der Bergnymphen, Satyrn, Kureten S. 344.345. Niobekinder: Argos S. 345,
Pelasgos S. 345, Apis S. 346, Homolois S. 346. Zerstreuung der Niobekinder 8. 346.
Niobe als argivische berühmte Quelle neben Amymone und Psamathe S. 347 — 349.
Die argivische Niobe in der Natur und im Menschenleben S. 349. Das Letoon in
Argos und Chloris oder Meliboia so wie Amyklas S. 349. 350. Tantalos in Argos,
der alte und ein jüngerer S. 350 — 352. Niobe, Pelops und Achäer in Thalamoi
S. 352. Niobe und Niobiden mit Pelops in Olympia S. 353. 354. Peloponnesische
Niobidennamen S. 354.
§ 24. Niobe in der böotischen Ursage. Chloris und die Minyer S. 354 — 36t.
Alalkomeneus und Ogygos S. 354 — 356. Alalkomeneus Gemahl der Niobe S. 356.
Chloris in Orchomenos, Amphion, der Jaside und Persephone S. 356 — 358. Chloris
und Neleus in Pylos, Schicksal ihrer Kinder S. 359. 369. Chloris als Niobide S.360
Chloris in Thessalien S. 360. Naturbedeutung S. 360. 361 .
S 25. Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion S. 361—395.
Amphion- und Zethossage neben der des Ogygos- und Kadmosgeschlechtes S. 361.
Das Geschlecht Amphions : Zeus, Asopos, Nykteus, Antiope, Chthonios, Polyxo
S. 362. 363. Der Kithäron älteste Statte der Antiope- und Amphionsage und seine
allgemeine mythologische Bedeutung S. 364. 365. Dirke S. 365. Mythologische
Bedeutung von Amphion und Zethos parallel anderen Götterjünglingspaaren S. 366
— 36S. Historischer Bestandteil S. 368. Amphions Gattin auch Hippomedusa S. 369.
Niobe in Theben und der korinthische Tantalos S. 369. Niobe und Aedon als Schwä-
gerinnen S. 370. 37 J . Pandareos der Mileaier in enger Beziehung zu Tantalos S. 371 .
Pandion, Tereus, Aedon mit Antiope, Amphion, Niobe in Beziehung S. 371 372. Am-
phion als Musiker nicht apollinisch, sondern in engster Beziehung zu Hermes und zu
den älteren Naturmächten S. 373 — 375. Threnos und Siegespäan des Amphion 8. 375.
Hochzeitlied Niobes und die Todtenklage als erste Beispiele lydischer und phrygischer
Musik in Hellas S. 375. 376. Musikalisches Band zwischen Amphion und Niobe S. 376.
Amphion Mauerbauer S..376. Mauerbau und Musik S. 377. Die Mauer Thebens,
der Hügel Ampheion, Grabhügel des Amphion !und Zethos und Niobidendenkmäler
S. 377— 380. Pyra der Amphionskinder S. 380. 3S1. Die sieben Thore Thebens
und Namen von Niobiden S. 381 — 384. Bedeutung des Ismenos S. 383. 384. Zwei
sonstige thebanische Namen unter den Niobiden S. 384. Bedeutung der Einführung
des Apollodienstes in Theben für die Niobesage S. 3S5. Alter Letokult auf dem Ki-
thäron S. 386. Wahnsinn, Tempelsturm und Untergang Amphions S. 386. 387.
Verwandtschaft mit Kaanthos und Phlegyas 387. Ist die Beziehung zum Bakchos-
kult eine die Niobe- und Amphionsage beherrschende ? S. 387 — 389. Die Reform
des älteren thebanischen Keligionskreises durch Apollo- und Bakchosdienst S. 389«
Niobes Steinverwandlung auch auf thebanischem Boden erfolgt S. 390. Steinver-
wandlungen in Böotien S. 390. 39!. Quellensagen ebendaselbst S. 391. 392. Ge-
aammtentwickelung der Niobesage auf thebanischem Boden S. 392. 393. Theben
als Götterstadt S. 393. 391. Die Siebenzahl in Theben und im Weltall S. 394. Athen
und die Niobesage S. 391. Spuren in der achäischen Phthiotis und Magnesia S. 394.
395.
XVI Inhaltsverzeichnis*.
§ 26. Klein asiatische Stätten der Niobesage überhaupt. Die Kiliker und
Theben am Idagebirge S. 395-403.
Der Niobemythu8 wie in Hellas selbst so auch in Kleinasien nicht nur an Eine Loka-
lität geknüpft S. 395. Aeschylos geographische Anschauung vom Sitz und Reiche
des Tantalos S. 396. 397. Tantalos und der Zeuscult auf dem Ida S. 397. Der Name
Ilioneus S. 39S. Ethnographische Verhältnisse in Troas und weiter an kleinasiati-
scher Küste : Bedeutung der lykisch-kretischen zuwandernden Volks- und Cultur-
elemente S. 39S. 399. Die troische Lykia S. 398. 399. Kiliker, Leleger, Pelasger
S. 399. 400. Das kilikische Theben 8. 400. 40J. Spuren der Pelopssage daselbst
S. 401. Alte Beziehungen dieser troischen Kiliker zu den Küstenorten Kilikiens
S. 402. Phrygischer Einfluss S. 402. 403. Niobe, Pelops, Tantalos nach Phrygien
und Paphlagonien versetzt S. 403.
§27. Niobe am Sipylos und im Zusammenhang mit der Sage des Tantalos
und Pelops S." 403- 446.
Das Flussgebiet des Uermos S. 403. 404. Vulkanische Natur der Gegend S. 404.
Erdbeben und Städte Untergang daselbst S. 404 — 106. Völkerverhältnisse am Sipy-
los : Pelasger, Mäoner, Phrygier, Lyder, Magneten S. 406— 40S. Die Magneten und
Aeoler S. 40S. 409. Die homerischen Sänger in der Sipylosgegend S. 409. Phrygi-
scher religiöser Einfluss S. 409. 110. Spätere Colonisation aus Persien und Make-
donien S.410. Keligiöser Kreis des Sipylos S. 411— 420: Zeus S. 411. 412, Ache-
loos, Nymphen, Flussgötter S. 412. 413, Göttermutter S. 413 — 415, Aphrodite S.
415. 416, Hermos S. 416, Apollo zu Larissa, Pandae, Magnesia S. 417.418, Artemis
am Sipylos in Lydien S. 418. 4l0, Athene in Mäonien S. 419, Leto S. 419. 420.
Niobes Geschlecht und Wechsel der Glieder darin S. -121. Tantalos Eltern Zeus und
Pluto, oder Tmolos S. 421. 122. Mutter Niobes Dione und andere Namen S. 422.
Dione in ihren verschiedenen Stellungen S. 422. 423. Atlastöchter Pleiaden und
Hyaden S. 423. 424. Dione und Thyene S. 424. 425. Sterope als Mutter Niobes
S. 425. Euryanassa und ähnliche Namen S. 426. Klytia S. 426. Die Tantalossage
S. 426—435. Tantalos im Himmel, auf Erden, unter der Erde S. 427. Tantalos
und Atlas S. 427. Berggipfel und die daraufgelagerte Gewitterwolke S. 428. Tan-
talos Beziehung zu Götterspeise und Trank S. 429. 430. Tantalosstatue als olvo^oog
S. 430. Beziehung zu Ganymed S. 430. 431. Tantalos und die Zerstückelung des
Pelops unter dionysischem Einfluss S. 431. Der Göttergarten und sein Wächter der
goldene Hund S. 432. Der goldene Widder des Tantalos S. 432 — 133. Naturbe-
deutung der Verbindung von Tantalos und Dione S. 433. Tantalos Urbild des Men-
schen 8. 433. 434. Frevel desselben S. 434. 435. Geschwister Niobes, Pelops und
Broteas S. 435—438. Pelops, Chloris und das achäische Olenos S. 435. 436. Pelops
Stellung in den Religionskreisen S. 436. 437. Vergleich von Pelops und Niobe S. 437.
Broteas in Lydien und Lakonika S. 437. 438. Lydische Niobesage 4on Assaon und
Philottos S. 438. 439. Niobe am Sipylos verschieden vonKybele, in dem Bereiche des
Gaeabegriffes S. 440 — 442. Symbol der thränende Fels S. 442 — 444. Felsverehrung
und Einfluss der Kydele S. 443. 444. Fasten und Versetztwerden vom Sturmwind
S. 444. Der Kindertod S. 445. Niobe weibliches Urbild des Menschen S. 445. 446.
Trost in Thronen S. 445. Trost im neuen Leben der Kinder S. 446.
§ 28. Name der Niobe und seine Ableitung S. 446 — 448.
Die Form Nioßtj, Nitoßri, Ntln*i S. 446. Entsprechende Formen S. 446. 447. Bis-
herige Ableitungen S. 447. Nioßrj von Wo? abgeleitet S. 44V. Stamm vinrtn; das
albanesische rjofi und Nioßt] S. 448.
EINLEITUNG.
Stellung der Aufgabe. Methode der Bearbeitung.
Mythus, Poesie und bildende Kunst bilden, wenn bei irgend einem
Volke, bei dem hellenischen eine in sieh mit Notwendigkeit verbundene
Gruppe unter den Faktoren des höheren Culturlebens, ja sie haben, dasselbe
überhaupt lange Zeit in sieh dargestellt, ehe die nüchterne Auffassung des
Geschichtlichen, wie des Naturobjektes , ehe die methodische Bearbeitung
der Begriffe zu einer selbständigen Geltung gelangt sind. Aber erst das letzte
Jahrhundert hat die innere Zusammengehörigkeit jener drei Goistesthätig-
keiten des Volkes und dabei die innere Natur jeder einzelnen zum wissen-
schaftlichen Bewusstsein und zwar nur sehr allmälig gebracht. Der Mythus
erschien wesentlich nur als Poesie, als Produkt der Dichter; man begnügte
sich, seine Variationen aus dem Munde der Dichter und Fabelsammler in
bunter Reihe zusammenzustellen ohne Rücksicht auf Zeit und Culturstellung
derselben, und ihn mit Zugrundelegung eines Ovid und Hygin in all seiner
Buntheit als ein reiches Phantasiespiel an sich vorüberziehen zu lassen. Erst
seitdem die Poesie in ihrem Verhältnisse zu dem Nationalgeiste des einzelnen
Volkes, seitdem der Gegensatz von Kunst- und Yolkspoesie, antiker und
moderner Dichtung von einem Herder, Goethe, Schiller erkannt und be-
handelt worden ist, seitdem man von der Copic zu den Originalen, von der
späteren Kunstpoesie zu dem irrquell der nationalen Poesie, zu Homer und
überhaupt zu den grössten Meistern jeder Gattung sich zurückgewandt, seit-
dem das Studium der neueren Literaturen vor allem der germanischen grosse
und treffende Parallelen zur Seite gestellt , ist das Verhältniss der ältesten
• Dichtung zu Mythus und Sage, ist der Gedanke an eine Fortbildung dessel-
ben Grundstoffes mit dem Heranziehen mannigfachster Nebenquellen, mit
dem freien Ausdichten des im Volksmunde Gegebenen, der Gedanke einer
Geschichte des poetischen Stoffes, dos Mythus lebendig geworden. Und wir
müssen es vor allem als ein nicht hoch genug anzuerkennendes Verdienst
Welckers bezeichnen, dass er den Mythen- und Sagenetoff des griechischen
Stark, Siobe. 1
2 Einleitung.
Epos uns auseinandergelegt, dass er die Fortbildung und Umgestaltung des-
selben in der griechischen Tragödie uns nachgewiesen hat ; und wie zwischen
Epos und Drama die Lyrik dieselben Stoffe nur von ganz anderem Ausgangs-
punkt aas behandelt, ihrer Mibjectiven »Stimmung angeeignet hat, i>t heutzu-
tage nach Böckhs , Dissens , Welekers , Hergks Arbeiten kein Geheim-
ii ins mehr. Und bis in die spätesten Ausläufer der griechischen Poesie und
der von ihr abhängigen lateinischen geht man heutzutage den Quellen der
Dichter und der Art ihrer Benutzung, ihrer Veränderung nach.
Wer daher gegenwärtig die Erforschung eines einzelnen antiken Mythus
zur Aufgabe sich stellt, der muss noth wendig von der Geschichte des
Mythus in der Literatur, von dem Nachweise seiner Umgestaltung
durch die ganze antike Poesie ausgehen. Nur dadurch kann er hoffen zu
der Urquelle dieses meist so breiten Stromes zu gelangen, dass er rückwärts
Punkt für Punkt schreitet, dass er alle Seitenquellen gleichsam abfasst, dass
er den sich verändernden Charakter, die verschiedene Färbung dieses Stro-
mes je nach dem Culturboden, in den er eintritt, nach der persönlichen Rich-
tung des Dichters, durch den er fortgeleitet wird, genau sich markirt. Un-
willkürlich, indem der Untersuchende die Reihe der Dichter an dem ein-
zelnen gemeinsamen Stoffe studirt, wird er über den Dichter hinaus auf die
landschaftliehen und Stammesüberlieferungen geführt, aus denen dieser ge-
schöpft, wird er der verschiedenen historisirenden, ethischen, physischen,
speculativreligiösen AufTassungs weisen sich bewusst, die an den mythischen
Stoff herangebracht werden , wird er der grösseren oder geringeren poeti-
schen Befähigung, wenn man so sagen darf, des mythischen Stoffes inne.
Und von dem Mittelpunkte der Poesie aus gilt es dann den dünneren ab-
geleiteten Bächen des Mythus in die geschichtliche Erzählung, in die philo-
sophische Deutung oder Anwendung zum Beispiel, in die moralisirende
oder politisirende Redeübung, oder endlich in die Yorrathskammern emsig
sammelnder Antiquare und Grammatiker auch nachzugehen, um neben den
Goldkörnern alter ächter Ueberlieferung auch das Aeusserste oberflächlicher
oder abgeschmackter Besprechung des innerlich ganz fremd gewordenen
Stoffes kennen zu lernen.
Es war eine im Gebiete der ganzen Altert bums Wissenschaft Epoche
machende That Winkelmaniis, als er für die Erklärung der antiken bild-
lichen Denkmäler gegenüber der regellosen Willkür und besonders dem
Streben überall griechische und römische Geschichten und geschichtliche
Personen zu finden den Grundsatz aufstellte, dass der griechische Mythus
der wesentliche Inhalt der antiken Kunst sei und dieser daher als ein
idealer zu fassen sei. Damit war zugleich das Band zwischen den Trägern
und Fortbildncrn des Mythus, den Dichtern und den bildenden Kunst-
lern hergestellt. Dass es dabei aber nicht um eine einfache Umsetzung der
poetischen Darstellung in eine bildliche sich handelt, dass der speeifische
Stellung der Aufgabe. Methode der Bearbeitung. 3
Unterschied sprachlicher und bildnerischer Darstellung bei diesem Zusam-
menhang recht lebendig erkannt werden -müsse, hat Lessing sofort bemerkt
und zum Gegenstand seiner berühmten Abhandlung über Laokoon gemacht.
Seitdem sind nun in der methodischen .Behandlung der Denkmäler, in ihrer
Erklärung im Zusammenhange mit den poetischen Werken der entsprechen-
den S^ilstufe die grössten Fortschritte gemacht und die erfreulichsten Resul-
tate gewonnen worden. »Ta wir können sagen, dass der literarhistorische
Gang bis zum Uebermasse in der Behandlung des archäologischen Stoffes
sich geltend gemacht hat, denselben heutzutage fast noch beherrscht. Noth-
wendig wird die Frage, inwieweit der mythische Stoff in epischer, lyrischer
oder tragischer Forin dem Künstler und dem Kunstpublikum lebendig vor
Augen stand, bei jedem freien Kunstwerke gestellt werden. Welcher Ge-
winn den Denkmälern für die Erkenntniss ganzer, literarisch nur aus dürftigen
Resten des Epos oder der Tragödie bekannter Mythen entlockt werden kann,
haben die Arbeiten Welckers und (). Jahns besonders gezeigt.
Aber daneben hat eine besonnene Forschung auf die Stellung besonders
untergeordneter Kunstzweige gewisser Zeiten oder auch in gewissen Stoffen
zu rein lokalen Sagen oder zu Cultusmy then, die nicht in denFluss der
poetischen Behandlung gekommen sind, aufmerksam gemacht. Und endlich
konnte sie sich den Beobachtungen nicht entziehen, dass die Darstellung des
mythischen Stoffes durch Lebenssitte und Geschmack, sowie religiöse An-
schauung der nur gräcisirten Völker, wie der Etrusker oder unteritalischen
Stamme auf da« Redeutendste bedingt worden Ist.
Nur unter der allseitigen Erwägung dieser verschiedenen Gesichts punkte
kann die Verfolgung eines Mythus in seiner Darstellung durch die bildende
Kunst zu festen und förderlichen Resultaten gelangen. Wir dürfen sagen,
je mehr wir uns die künstlerischen Gesichtspunkte, unter denen ein Werk
entstanden ist, aneignen, je unbefangener wir nach allen Richtungen das ein-
zelne Denkmal im Vergleich zu verwandten, zur Stufe des Stiles, zu Zeit und
Ort der Entstehung betrachten, um so mehr wird der geistige Gehalt, der
Mythus in seinen idealen Gestalten und Situationen schliesslich dabei zu
Tage kommen. Viel höher als den äusseren Gewinn mythologischer That-
sachen, den die Denkmäler ergeben, schlagen wir jene Unmittelbarkeit an,
aus der ganz besonders in der Plastik, aber auch in der Malerei die Idee und
die Ideale des Mythus uns entgegentreten. Der Schöpfer des Kunstwerkes ist
gleichsam der Schöpfer des Mythus immer von Neuem. Hierin giebt uns die
bildende Kunst ausserordentlich viel mehr, als die Poesie. Und dass der grie-
chische Mythus diese plastische und malerische Durchbildung neben und
nach der literarischen erlebt hat, sichert ihm eine so absolute, für alle Zeiten
wirkungsvolle Stellung unter den Mythenkreisen alter und neuer Völker.
Nirgends ist die Durchsichtigkeit und die allseitige massvolle Auseinander-
legung des Stoffes so erreicht, wie bei ihm. Und so wirken gerade diejenigen
1*
4 Einleitung.
Mythen auf uns noch heute so anziehend und mächtig, für die uns aus der
Pracht hellenischer Kunst noch herrliche Reste gebliehen sind.
Wer diesen beiden Wegen durch die Literatur und durch die bildende
Kunst für die Auffassung eines Mythus möglichst vollständig und mit mög-
liclister Versenkung nachgegangen ist, nur der kann hoffen, endlich den
Mythus selbst in seiner Urspünglichkeit, in seiner Nacktheit gleicjhsam,
in seiner das Volksbewusstsein dunkel und doch mächtig beherrschenden
Macht zu erfassen. Er hat bereits die lokalen und staminesartigen Ausgangs-
punkte für die einzelnen modificirenden Züge im Mythus bei der Unter-
suchung kennen gelernt, ihm sind schon gemeinsame Grundzüge desselben
dabei herausgetreten. Jetzt gilt es, diesen lokalen und ethnographischen
Hereich allseitig auszubeuten, das ganze Gewebe dabei in einfachere Ele-
mente aufzulösen und zugleich den Nachweis ihrer Verwebung aus den histo-
rischen Verhältnissen dieser Lokale und Stämme, sowie aus der inneren Ver-
wandtschaft der Mythenkreise zu fuhren. Sehr mannigfaltige Einschlags-
fäden können dabei aufgefunden werden, aber immer einfacher wird dabei
der Aufzug des ganzen Gewebes heraustreten. Was ist aber dieser einfache
Aufzug, dieser Kern, um den sich alles andere angesetzt ( Nie und nimmer-
mehr ist ein Mythus aus einer merkwürdigen Naturerscheinung, aus einer
historischen Fiktion, aus einer bedeutenden Persönlichkeit, aus einein allmä-
lig missverstandenen bildlichen Ausdruck zufällig herausgewachsen, nein sein
Ursprung ist ein idealer, er ruht im Gemüth des Volkes, in der religiösen
Hingabe an eine in der Naturerscheinung oder im Menschenleben sich offen-
barende göttliche Potenz, in dem Drange dieses göttliche Wirken als einen
geschichtlichen Vorgang, als ein Vorbild eigner Erlebnisse auszusprechen.
So wird es immer ein Doppeltes sein, das wir als Residuum des Mythus aufzu-
suchen haben, die eigentümliche religiöse Stimmimg, in der er wurzelt, und
zweitens das einfachste Mild eines Naturvorganges — und wir begreifen den
Menschen nach seiner körperlichen Erscheinung mit darunter — , an dem diese
religiöse Stimmung, diese Idee im höchsten Sinne des Wortes zum Ausdruck
gekommen ist. Und in diesem Doppelten liegt es zugleich ausgesprochen,
dass der Mythus im Oultus und im Symbol zunächst seine Wurzeln hat.
Er geht aber mit dem Drange der Darstellung, der Auffassung des göttlichen
Wirkens als menschlichen Vorgang über beide hinaus und wirkt schliesslich
künstlerisch gestaltend, bereichernd auf Cultus und Symbol zurück.
Hier stehen wir an einem Punkte der ältesten Geistesrichtung eines Vol-
kes, der nicht zart und behutsam genug, nicht warm genug gefasst werden
kann. Da gilt es, unsere Betrachtungsweise der Dinge, die immer geschie-
den neben einander herlaufen, wenn wir auch einen endlichen Einheitspunkt
postuliren, einmal aufzugeben und den Einheitspunkt, den ein Volk relativ
zwischen Naturvorgang und Seelen Vorgang, zwischen Welt und Gottheit ge-
funden, in sich wissenschaftlich zu reproduciren.
Stellung der Aufgabe. Methode der Bearbeitung. 5
Hier ist es auch, wo die Etymologie, bestätigend oder beschränkend
eintritt, widerlegen kann sie das auf dem eben geschilderten Wege Gefun-
dene nicht. Sie hat nicht am Anfang, nur am Ende der Untersuchung ihre
Berechtigung. Gewiss haben schon inzwischen die Namen uns als treffliche
Wegweiser in den engeren Hereichen, aus denen der Mythus Nahrung gezo-
gen, gedient ; ihre Ableitung selbst hat auch dabei glücklich Licht gebend
mitgewirkt, wo sie wissenschaftlich sicher stand. Aber die meisten Namen,
die die Träger des Kernes eines Mythus sind, ragen mit demselben in eine
Urzeit zurück, deren sprachliche Bildung weit über die ältesten literarischen
Deukiuäler hinausreicht, wo speeifisch die hellenische Sprache einen viel
weiteren Volkskreis umfasste und durchaus nicht nach dem attischen Sprach-
gebrauch, auch nicht nach dem Jüngern Aeolismus, Dorismus, Ionismus ab-
gemessen werden kann. Es begegnen uns Sprachformen, die nur in den
Resten epirotischen, makedonischen s. g. Dialekts, lykischer, phrygiseher
Sprache, oder auch des Lateinischen oder unteritalischcr Sprachen ihre Bestä-
tigung oder Analogie finden. Ja es gilt, von da weiter zurück in den gemein-
samen Bestand der nächst höheren Sprachfamilie, endlich des Indogermani-
schen überhaupt zu greifen. Und hier bekennt sich der klassische Philolog gern
als Schüler des allgemeinen Sprachforschers, insoweit dieser auf festem, all-
gemein anerkanntem Boden bleibt1). Nur verlange man von ihm nicht, sich
zum Schildträger einer für den ersten Augenblick scheinbaren Ableitung und
Bedeutung zu machen, die der nächste sprach vergleichende Versuch sofort
wieder über den Haufen wirft, für eine Ausdeutung, die vielleicht eine Ne-
bensache berührt im Mythus, den methodisch gewonnenen Mittelpunkt des
helleiüsc hen Mythus hinzugeben. Gut, sage man wir geben zu, der Name ist
bereits als ein in seiner Urbedeutung nicht mehr gekannter von dem mythen-
bildenden Griechen aus der Urheimath mitgebracht und auf etwas ganz ihm
Fremdartiges angewandt worden. Ins interessirt nicht jenes Fossil einer Ur-
periode in erster Linie, uns beschäftigt das, was eine schöpferische Hand aus
"Nil als Rohmaterial mit Tiefsinn, Phantasie und Kunst gemacht hat.
Neben dem Sprachvergleicher, ja oft in ihm tritt heutzutage der ver-
gleichende Mytholog uns auch entgegen. Er geht nicht von dem Indi-
viduellen, sondern von dem Allgemeinen aus, er stellt sich nicht an die brei-
ten Mythenströme und folgt ihnen sorgsam aufwärts bis zur Quelle, nein von
euier Vogelperspective aus überschaut er die Quellengebiete des Mythus aller
* ölker und zwar nicht allein einer Familie, nein meist des Erdballs. Wer
wollte läugnen, dass die Menschheit ein Urgemeinsames religiöser Ideen und
1) Ich verweise auf die besonnenen, trefflichen Worte von Curtius über die Etymologie
der Kigennamcn in seinen Grundzügen der griech. Etymologie I, S. M — 9s, besonders auf
den Ausspruch : ,,die etymologische Wissenschaft kann sehr oft nur die Sphäre angeben,
unterhalb welcher die Deutung liegen kann, nicht diese selbst bieten."
6 Einleitung.
Stimmungen hat, das«? das Gemeinsame in allen Naturerscheinungen auch
der verschiedensten Zonen noth wendig grade da hervortritt, wo der Mensch
in ihnen göttliches Walten unmittelbar ausgesprochen findet! l'nd so muss
es uns freuen, diesen Ureleincnten in Mexiko, bei Negern oder Polarbewoh-
nern sogut wie in Aegypten oder Hellas zu begegnen. Gewiss ist es förder-
lich darauf zu achten, vor allein sein Auge zu schärfen fiir Anschauungen im
Volke, die uns noch heute tagtäglich begegnen — und die klassische Mytholo-
gie verdankt in dieser Beziehung ihrer jüngeren Schwester, der germanischen
die allerfrucht barste Anregung ; aber damit ist fiir die Erforschung eines My-
thus in seiner reichsten Gestaltung, wie er in Hellas auftritt, noch sehr, wenig
gewonnen. Auf jener schwindelnden Höhe scheint fast alles alles werden zu
können, oder das Auge sieht nur zu leicht alles entweder im Glänze des Son-
nenlichts oder im liegeiunantel und Dunstkreis oder unter dem schwarzen
Gewölk des Gewitters mit Blitz und Donner. Nur ein Mann, in dein eine
reiche allseitige Naturanschauung und zwar in allen Gebieten der Himmels-
wie Erderscheiinuigeii, des vegetativen wie thierischen Lebens lebendig ist,
der den .Bedürfnissen des menschlichen Herzens, den eigenthümlichen Gän-
gen der Phantasie, den sittlichen Richtungen und Yerirrungen fortwährend
lauscht, er wird eine vergleichende Mythologie der Menschheit von bleiben-
dem Werthe auf einer Ungeheuern Detailkcnntniss und mit wissenschaftlicher
Schärfe aufzubauen vermögen.
Der klassische Philolog verfolgt hierin ein bescheidneres Ziel: für
ihn handelt es sich um die möglichst intensive Durchdringung eines nationa-
len mythologischen Stoffes, wie er dabei die lokalen und Stammesverhältnisse
scharf ins Auge fasst, wird er prüfend den ausländischen Einflüssen verwand-
ter, aber auch ganz fremder in einem grossen Gegensatz stehender Nationali-
täten, wie der Aegyptcr, der Semiten nachgehen, vielmehr um zu sondern,
als um zu mischen, er wird schliesslich die parallelen Mythen der grössern
Völkerfamilie, in welcher das hellenische Volk steht, wenn sie ähnlich sorg-
fältig erforscht und auf ihren ältesten Ausdruck gebracht sind, mit Freuden
dem Gefundenen zur Seite stellen, um nun nicht noch weiter alle Unter-
schiede auszugleichen, zu verwischen, nein im Gegentheil um so lebendiger
das speeifisch Hellenische dabei herauszustellen, welches gerade diesem my-
thologischen Gedanken eine so reiche und glückliche Entwickelung gegeben
hat.
Dieser Rückblick von der erreichten Höhe auf den historischen Ent-
wiekelungsgang des Mythus, auf seine specifischreligiöse, ethische, poetische,
plastisch künstlerische, allegorisirende Behandlung wird fiir uns den Schluss-
punkt bilden, l'nd haben wir über den .Bestund des griechischen Volkes
hinaus aufwärts auf die l'rgedanken der grösseren Yölkcrfamilie unseren Blick
geworfen, so sind wir ebensosehr berechtigt, das Nachwirken dieses mytho-
logischen Stoffes in der Literatur und Kunst der modernen Völker, die in die
Stellung der Aufgabe. Methode der Bearbeitung. 7
Erbschaft der antiken Cultur eingetreten sind, wenigstens im Anhang oder
Eingang zu berühren ; ist ja doch die alte Welt für uns nicht blos als ein
wohl abgeschlossener Kreis einer vergangenen grossen Nationalentwickelung,
sondern als eine Fülle noch heute wirksamer Gedanken und Formen ein Ge-
genstand des Studiums.
Dies sind die Gesichtspunkte, unter denen eine allseitige monographi-
sche Behandlung eines antiken Mythus, wie ich glaube, erfolgen muss; sie
sind für die nachfolgenden Untersuchungen über den Mythus der Niobe
mir massgebend gewesen. Sie hier darzulegen schien geboten, da einerseits
mit seltenen Ausnahmen — ich hebe darunter die Abhandlung von Fr. Wiese-
ler über Narkissos, Göttingen 1S5(> hervor — die grosse Zahl tüchtiger, ja
ausgezeichneter philologischer Arbeiten über einzelne Mythen nur die literar-
historische und archäologische Aufgabe behandeln, die mythologische Frage
nur kurz im Eingang oder gelegentlich mit scheuer Hand berühren, anderer-
seits die specirischen Mythologen sofort ohne jene feste und allseitige Grund-
lage aus einzelnen Schriftstellen und Bildwerken das Material zu ihren lufti-
gen Bauten entnehmen'und rasch mit einem einzelnen Mythus dabei fertig
smd. Noch immer scheint daher es keine feste Methode für derartige Unter-
suchungen zu geben und das sorgsam Erarbeitete nur zu rasch durch einen
geistreichen Einfall in Frage gestellt zu werden. Gerade jetzt, wo uns in
Gerhards, Prellers, Welckers Gesammtdarstellungen der griechischen
Mythologie die reiche Uebersicht über das Ganze und die fruchtbarsten Ge-
sichtspunkte gegeben sind, werden besonnene und allseitig geführte Detail-
arbeiten das nächste Bedürfniss.
Wohl eignen sich nicht alle Mythen für eine gleichmässige Bearbeitung
nach den obigen Gesichtspunkten bei dem fragmentarischen Zustande der
Denkmäler und Ueberlieferungen und bei der Unerkenn barkeit oder auch der
für uns geringen Bedeutsamkeit eines Mythenkrciscs. Den Mythus der Niobe
trifft dies nicht, in ihm wird unser literarhistorisches, unser archäologisches,
unser mythologisches Interesse in gleich hohem Masse in Anspruch genom-
men und über alles hinaus geht ein rein menschliches von dieser Darstellung
eines immer sich erneuernden (Konflikts des Menschen mit göttlicher Allmacht,
der herrlichen Fracht der Erde, der Fülle ihrer Kinder mit dem Gesetze der
Vernichtung, das der Lauf der die Zeiten bestimmenden Gestirne des Tages
und der Nacht immer erfüllt Dass die bisherigen Behandlungen desselben der
von uns dabei gesteckten Aufgabe noch nicht genügt, und welche Bausteine
sie dazu beigetragen haben, ergiebt die folgende Uebersicht. Inwieweit es
dem Verfasser dieser Arbeit, der die Forderung des nonum prämatur in annum
bald schon erfüllt hat, damit gelinge, mögen die mitstrebenden Fachgenos-
sen beurtheilen.
8 Einleitung.
§ 2.
Die literarische, künstlerische und gelehrte Behandlung des Mythus der Niobe in der
modernen Welt. Der jetzige Stand der Forschung.
Dante (t 1321), der den grossen Wendepunkt des mittelalterlichen Gei-
steslebens bildet und zuerst wieder an das Alterthiim mit dem Hewusstsein
einer neuen nationalen und sittlich religiösen Bildung frei herantritt, hat in
wenig Zeilen seines Purgatoriums zuerst wieder der Niobe ihre Stelle gegeben
im .Bereiche sittlich mahnender Vorbilder und sein Ncudurchleben des My-
thus angedeutet. Im zwölften Gesang beschreibt der Dichter die auf dem
Boden des am ersten Absatz des Fegefeuerberges sich hinziehenden Weges
gezeichneten Bilder, die Grabtafeln ähnlich hervorscheinen und von den ge-
beugten Hauptes einherziehenden Wanderern betrachtet werden. Es sind
lauter Bilder der superbia, der Selbstüberhebung Gott gegenüber und zwar
zwölf in (Jorrespondenz alttestamentlicher und heidnischer Geschichten : Sa-
tan und Briareus, Giganten undNimrod, Niobe und Said, Arachne und Jero-
beam, Eriphyle und Sanherib, Cyrus und Ilolophernes entsprechen sich hier.
Niobe widmet er die einfachen, tief ergreifenden Worte :
O Niobe con che occhi dolenti
Vftdera io te seynaia in su la slradu
Fra sette e sette tuoißgluwli sjyenti.
Diese trauernden Augen des Beschauers reden ergreifend von dem Jammer-
bild der unter sieben und abermals sieben hingestreckten Kindern sitzenden
Mutter. Die bestimmte Situation entnimmt der Dichter demOvid (Metam. VI.
301), dem orba resedit czanhnes inter natos natasque; auch dass Arachne un-
mittelbar folgt, zeigt die Quelle im Ovid, der beide Gestalten ebenfalls neben-
einander stellt.
Boccaccio (f 1375) hat in seinem merkwürdigen Werke: genealogiae
deorum gentilium*) , das er König Hugo von Cypern und Jerusalem dedicirte
und welches in das letzte Jahrzehnt seines Lebens fällt, den Mythus der
Niobe mit besonderer Ausführlichkeit behandelt. Lib. V. c. 30 2j berichtet
de Amphionc rege Thebarum — qtti Septem gcnuitßlios et totidem ßlias , c. 31
de XIV ßliis Amphionis ; Lib. VII. c. 25 de Niobe ßlia Phoronei quae peperit
Apin; lib. XII. c. 2 de Nyobe Tantali ßlia et Amphionis conjuge. Seine
Quellen sind Ovid, Statius mit Lactantius i'lacidus dazu, Cicero [Tttsvulanae
Quaest III. 215), Eusebius im liber tetnporum (also Chronica), Homer, welcher
aber ganz ungenau citirt wird, endlich Theodontius. Dieser letztere, aus
dem er den sichtlich aus Pausanias stammenden Bericht über das Niobcbild
I; Ein Work, das einer genauen philologischen Analyse so sehr bedürfte, eine gerechte
Würdigung aber selbst in dem neuesten Werke über die Wiederbelebung des klassischen
Alterthums von G. Voigt (Berlin I^.VJ S. |<M» ff. nicht gefunden hat.
2; Die Ausgabe von 1-107 J'etwtm jwr Munfredum deStrecv de. Montferrato liegt mir vor.
Der jetzige Stand der Forschung. 9
amSipylus entnimmt, kannte Boccaz nur aus dem ingcns liber collectionum des
Paulus Perusiuus, dos Bibliothekars König Roberts von Neapel, welches un-
ter Beistand des bekannten Mönches Barlaam aus lateinischen und griechi-
schen Quellen gesammelt war. Boccaz erzählt, dass er aus diesem Werke
als junger Manu schon viel ausgeschrieben praecipue ea quae sub nomine Theo-
dontii apposita sunt (Geneal. 1. XV.c.(i). Dieser ist daher jedenfalls ein By-
zantiner, der dem IL Jahrhundert vorausgeht. Boccaz macht auf die Diffe-
renzen in den Ueberlieferungen über Abstammung, Kinderzahl, Namen be-
reits aufmerksam und spricht zuerst Deutungen aus, deren manche später als
neu immer wieder vorgebracht sind. Den raschen Tod der Kinder fuhrt er
auf eine Pest zurück, da Apollo der Vertilger [exterminator) sei, das nicht
Jiestatten erklärt er auf dreierlei Weise : entweder habe es in der Pest an
Menschen gefehlt, die bestatten konnten, da sie selbst in Stein [in Utpidem
i. e. ptdeerem) verwandelt waren, oder, was er für richtiger erklärt, sie seien
verhärtet {Malis durato) gewesen, aus zu grossem Schmerz könnte man oft
nicht, was man sollte, oder endlich die Niohiden seien bei der einbrechen-
den Pest nur in bürgerlicher Weise ijwpulari ritu) bestattet, später erst regio
more lapideis urnis immissos. Auch über die weinend hinschwindende Niobe
am Sipylus hat er eine natürliche Erklärung bereit : zum Andenken an Niobe
sei eine Statue am Sipylus aufgestellt worden und da das Bild von kalter Be-
schaffenheit sei, lösten die feuchten aus der Erde zu ihm aufsteigenden Dünste
sich in Wassertropfen auf und erschienen so als Thränen.
Natalis Com es giebt in seinem nach Boccaz zuerst Epoche machen-
den, umfassenden, auf lange Zeit hin herrschenden Werke mythologiae s. ex~
plicalianis fabularum libri X, zuerst 15GS in Venedig erschienen1), in lib.
VI. cap. 13 eine fleissige Zusammenstellung der Stellen über den Mythus
der Niobe, aber ohne genaue Scheidung der argivisehen und sipylenischen
oder thebanisehen Niobe. Er bezeichnet als huec fabulosa quae de Niobe
passim circumferuntur und fuhrt dann bei dem Ergründen der sententia den
sittlichen Gesichtspunkt aus. Die Alten hätten durch dies Beispiel von
l'ebcrmuth und Keckheit die Menschen zurückziehen und zu einem gleich-
miithigen Ertragen der Schicksalsschlägc hinwenden wollen. Tautalus ist
ihm aoaritia , Euryanassa opulentia, ihr Kind die superbia. Der Grund-
gedanke sei der Spruch : d'sov fxev exiög ovdttg evtvxel fioottor. Dann wendet
er sich zu der h i s t o r i s ir cn d e u Deutung mit den Worten : fuerunt qiti rem
ad hisioriam referre conati sint und berichtet, dass man von einer Pest in
Phrygien rede, von Sonne und Mond als deren Urhebern; Niobe sei im
Schmerz verstummt. Die Steiu Verwandlung der Menschen wird dann aus
der Thatsache erklärt, dass die Menschen in solcher Zeit der Furcht und
1) Mir liegt vor die zweite 1Ü02 in Genf erschienene, vom Verf. revidirte Auflage.
10 Einleitung.
Noth gegen jede Rücksicht auf andere verhärtet werden, kein .Band der
Freundschaft oder Verwandtschaft dann etwas gelte.
Irgend ein Fortschritt in Benutzung der Stellen der Alten oder in der
Auffassung ist in den mythologischen Büchern der zwei Jahrhunderte fast
seit dem ersten Erscheinen des Werkes von Natalis Comes nicht zu bemerken ;
V omey Panlheum mythicum. 1700. p. 171, Hederichs Lcxicon mythologi-
cum (Leipz. 1741. 2. Aufl.), C. L. de Launay theo-mythologia historica (Prag
1710) p. 110 ff. liefern dafür den traurigen, dürren Beweis. Die Aehnlich-
keit des Steins ist nach dem letzten schon hinreichend für die Poeten gewe-
sen, um die ganze Fabel zu dichten. Erst in Baniers berühmter Erläute-
rung der Götterlehre und Fabeln aus der Geschichte (Paris 1710, deutsch von
Schlegel und Schröckh Leipzig 1701) finden wir Bd. Hl. S. 112 -420 d. d. A.
eine lebendigere und auf den Kern der Sache gerichtete, zugleich von Ovids
fruchtbarer Einbildiuigskraft angewehte Darstellung. Der Kern der Sage ist
für ihn freilich ein rein historischer: Niobe ist mit reichem Heirathsgut
an Amphion von Theben von dem einwandernden Pelops gegeben, damit die-
ser in Hellas eine Stütze gewinne. Der Tod der Kinder ist eine Pest, Niobe
ist trauernd in dielleimath gegangen und hat ihr Leben am Sipylus beschlos-
sen. Die bestattenden Götter bei Homer sind Priester. Zum ersten Male wird
hier am Schlüsse in einem mythologischen 1 landbuche der Niobegruppe ge-
dacht, aber rein äusserlich und ungenau wird aus Montfaucon von dem ,, alten
Denkmal" berichtet. Als ein Curiosum mythologischer Auslegung, wie sie
allerdings auch heute noch nicht unmöglich wäre, führe ich hier noch die
von James Kennedy !) gegebene an : dass die Fabel der Niobe eine jährliche
Nilüberschwemmung bedeute. Die Beleidigung Latonas ist die Notwendig-
keit, sich auf die höhern Lokale zurückzuziehen, die vierzehn Kinder sind
die vierzehn cubiti des Nilmessers, Apollo und Diana sind Arbeit und Ge-
werbrleiss unter dem Einflüsse der Nomen, die Herr der Ueberschwemmung
werden .
Schon seit bedeutend länger als einem Jahrhundert war eines der herr-
lichsten Werke des Alterthums, die Gruppe der Niobe, aufgefunden ;
es geschah dies im J. 15S3 in Rom, die näheren Umstände dabei werden uns
weiter unten eingehender beschäftigen. Damit war ein ganz neuer Weg der
Ketraehtung dieses antiken Stoffes vorgezeichnet, eine neue Welt gleichsam
eröffnet. Aber es hat sehr lange gedauert, ehe die Gelehrsamkeit nur Notiz
davon nahm, länger, ehe sie mit Freude und Wärme davon sprach, noch län-
ger, ehe eine wissenschaftliche Betrachtung dafür eintrat. Schon lange vor 1 583
hatte aber dieser antike Stoff die ausübende Kunst grosser Meister beschäftigt
und war auch von antiker Kunst darin berührt worden. In der Schule Rafaels
hatte P o 1 i d o r o Caldara da C a r a v a g g i o (f 1 5 13) mit Maturino di Fircnze
1) Descript. of the antiqu. and cur tos. in IViltonhouse 17t>9. p. 16.
Der jetzige Stand der Forschung. 1 1
vor 1527 einen Fries davon entworfen, der an einem Haus in Rom (in der
Via della maschera d'oro n. 7) als Sgraffito , in Schwarz und Weiss, sowie in
einer Federzeichnung im Palast Corsini noch erhalten und zugleich auch
durch alte Kupferstiche bekannt ist1). Eine gewaltige Compositum, als eines
der besten Werke der ganzen Schule anerkannt2), interessant, weil ohne alle
Berührung mit der Gruppe, in einzelnen der Motive aber an Sarkophagreliefs
erinnernd, deren doch wohl eines sehr bald darauf gekannt war. Dies wird
jetzt in interessantester Weise uns vor die Augen gerückt durch eine Tusch-
zeichnung von Giulio Romano, welche in der trefflichen Sammlung von
Handzeichnungen vom Maler Grahl in Dresden sich befindet und uns nicht
ganz vollständig mehr eine freie, meisterhafte Auffassung der borghesischen
Reliefdarstellung giebt3). Auch Jac. Palma giovane, der an Polidoro Cal-
dara vor allem sich gebildet, hat den Stoff behandelt *) . Dagegen erscheint
\ das Emblem bei der superbia, für welches Alciati (f 15W); in seinen berühm-
k teil, oft seit 1563 im Druck wiederholten Emblemata 5) die Fabel der Niobe be-
nutzte und mit zwei Distichen versah, als ein sehr naiver zeichnender Versuch :
i vor einem Felsen Niobe mit gehobenen Händen in die Knie gesunken, um-
) geben von 6 hingesunkenen Kindern, von diesem stürzt sich taucherartig Am-
phion, in der Luft Apollo und Diana und ein blasender Windgott. Die Auf-
stellung der in Rom gefundenen Gruppe, in welcher man die von Plinius er-
wähnte zu besitzen nicht zweifelte, im Garten Medici hatte sofort auf die
Meister der eklektischen Schule einen grossen Einfluss. Guido Reni
J1575 — 1622) war es, der den Kopf der Mutter und vor allem der einen Toch-
ter für seine Mater dolorosa studirte und überhaupt für die gleichförmige
\
1} Zuerst auf acht grossen Blättern 15tM nach einer Zeichnung von II. Goltzius von
H.Saenredam und noch später von Giov. Batt. Galestruzzi in fünf Blättern gestochen. Auf
derKönigl. Kupferstichsammlung zu Berlin sah ich drei Blätter von dem letztem mit der
entern Bezeichnung in Koma da Amelio van Westerhout also die dritte Ausgabe) mit
Utebischen auf den Vorgang bezüglichen Distichen, ein Blatt mit einer Erdgöttin und Dar-
bringenden, ein zweites, auf der die Königin dem Opferzuge Halt gebietet, ein drittes das
tyfer der Leto mit Tiresias. Ein viertes Blatt in grossem Format mit der Unterschrift
Niobbe stellt den Untergang selbst dar, Apollo und Diana von den Wolken aus schiessend,
»echs Rosse, Söhne und Töchter und Niobe unter einem Baume sitzend ein Kind im Schooss
deckend. Blatt fünf zeigt Leto klagend vor Apollo und Diana.
2) Burckhard, Cicerone S. 293; Vasari Leben der ausgez. Maler. 111. 2. S. 7^f. der
deutsch. Ausg. ; Lanzi Stör, pittor. II. p. *U sagt von Caldara vi distinse in imitttre gli
**Mi bassirilievi.
3; Ich sah sie durch die Güte des Besitzers im August 1^1» I. Sie enthält fünfzehn Per-
sonen, sechs Söhne, davon vier mit Bossen, vier Töchter, drei Pädagogen, den das Schild
erhebenden Amphion. Vgl. unten den Abschnitt über die Keliefs.
4) Ein Stich von Ossenbek existirt davon.
5; Mir liegen die Ausgaben vor von 1577, 1591, von Iti02 in Paris per Claud, Mitwem
JurixotwtUum; ebenso die deutsche Uebersetzung von 15G0.
1 2 Einleitung.
Idealbildimg seiner Kopfe die Niobidenköpfe nützte1), welcher da« Motiv der
einen Tochter mit gebauschtem Gewand direkt auf eine Höre in seinem be-
rühmten Deckengemälde der Aurora im Gartenhaus Rospigliosi anwandte.
Die französische akademische Schule des Lebrun hat den Stoff selbst male-
risch behandelt, unter dem Einfluss der Antike in einem Bild des Francois
de Troy aus Toulouse (HM 5 — 1730) zu Montpellier in der Galerie, und einem
des Francois Verdier (1051 — 1730) im Museum zu Orleans. Ein anderer
jüngerer Schüler des Lodovieo Caracci, Alessandro Algardi (1508 — 1654)
bildete bewunderte Niobidenköpfe (nach Heyne Vorles. S. SSO solche bei
dem Grafen Walmodcn) und seine weiblichen Idealköpfe stehen unter dem
Einfluss der Niobidentöchter2).
Die medieeische Gruppe wurde sofort nach ihrer Auffindung von Jo.
B a pst. de ( ' a v a 1 c r i i s im Antiquarum staUiarum urbis Romae I. et II. liber.
A.D. I5S5. t. 0 — 11), dann von Perricr in seinen Scgmenta nobil. signor. et
stadtar. Rom 103S t. 33-30. 5S — 00. S7 abgebildet. J. J. de Rubeis
(Insign. sUUuar. urbis icones. Romae 101 5) t. 05, J. Episcopius [Signor, vet.
icones. 1030) mit trefflichen hollandischen Zeichnern, t. 0. 7. 33, J. Ulr. Kraus
(Signor. vvler.icofies. Aug. VindeL 1000) t. 1. 5. 1 1, Domen, de Rossi in der
von Maffei mit Erklärungen versehenen HaccoUa di staute andche e moderne.
Rom 1501. t. 32. 33 gaben nur einzelne ausgewählte Statuen aus jener Zahl.
Aus Perrier entnahm Montfaucon in seiner Antiquitc expliquee (II. Ausg.
Paris 1722) t. I. pl. 55. p. 207 f. die Zeichnung. Auf einem landschaftlichen
Hintergrund sind die Statuen in die Tiefen acht berninesk malerisch gruppiit;
Niobe selbst in der Mitte am höchsten und entferntesten; Apollo und Diana
in den Lüften fehlen nicht. Die Erklärung dazu giebt nur eine Anzahl my-
thologischer Notizen und den kurzen Ausdruck : c'est un des plus beaux restes
d'antiquitcs qtCil y ai( ä Romc. Genauer äussert er sich im Diarium italicum
1702. p. 230: in horlo parvum aedificium exs(a( locandae Niobes historiae
paratum ; nihil figuris hisce elegantius, eae non corporeos modo habitus molus-
que sed etiam affectus animi doloris formidinis furoris variis in vultibus ex-
primunt, cetera fieta. An einer andern Stelle p. 130 erwähnt er zuerst den
Fundort der Statuen aus einer Stelle in dem Manuscript des 1591 noch leben-
den Bildhauers und eifrigen Antiquars Flaminio Vacca, dessen wir in der
Untersuchung genauer gedenken müssen.
Wie die beginnende ästhetische Reiseliteratur die Niobidengruppe auf-
fasste, zeigt uns Richardson 3) in ganz interessanter Weise ; er macht recht
gute Einzelbemerkungen , der Massstab der Heurtheilung liegt für ihn im
Laocoon, Gladiator, Hercules Farnese, der medieeischen Venus.
1) Kugler, Gesch. der Malerei. II. S. 300.
2) Als ,, Kunstschänder** in der Restauration bezeichnet ihn Martin Wagner im Kunst-
blatt (IS.'iii. S. 220), ich weiss nicht mit welchem Rechte.
'S) Description de diverses tablcaux dessins statttes qui sc trouvent en Italic. T. III. p. 202 ff.
Der jetzige Stand der Forschung. 13
Speiice, dieser so bedeutsame Vorläufer Wiiikelmaims in der künst-
lerischen Auffassung der antiken Werke und ihrer wechselseitigen Beziehung
zu der antiken Poesie hat in seinem jetzt ganz vergessenen, aber immer noch
interessanten Werke Polymetis1) S. 90—99 die Niobidengruppe in Bezug auf
Perriers Anordnung behandelt. Seine Bemerkungen über das Fehlen der
beiden Gotter , über sonstige Unterschiede von Ovids Erzählung, über den
Kunstwerth einzelner Statuen, dann vor allem seine Itadeiikcn gegen die
Krcisaufst eilung Perriers, während eine Anordnung auf einer Linie auch
mehr im Sinne der Alten sei, behalten noch heute ihre Wahrheit. Er macht
schliesslich den Vorschlag, die Pariser Akademie möge als Preisaufgabe die
Frage stellen, welcher Platz für jede Figur in der Gruppe nach ihrer Eigen-
tümlichkeit beabsichtigt war.
Alit Winkelmann (1717 — 176 S) beginnt auch für die Niobedarstellung
erst die nachhaltige ästhetische und archäologische Würdigung. Er hat zwar
eine Ausscheidung einzelner Statuen aus der medieeischen Gruppe noch
nicht vorgenommen, er rechnet das Pferd noch dazu, aber er spricht
die Zugehörigkeit der Kingcrgruppe nur als eine durch die gleiche Oert-
lichkeit des Fundes zunächst veranlasste Vcnmithung aus2), er hebt die Ver-
schiedenheit der Arbeit an einzelnen Statuen der Gruppe hervor3), er kennt
I einzelne Wiederholungen von Statuen schon in Rom, er lässt die Frage offen,
I ob wir hier das von Plinius gerühmte Original eines Skopas oder Praxiteles
wirklich besitzen, oder eine Copie und zwar von verschiedenen Händen vor uns
haben. Ihm ist das innere Wesen der dargestellten Seelenzustände, die Natur
der Träger derselben aufgegangen und mit meisterhaften, für alle Zeit klas-
«Hchen Worten schildert er diese gegenüber dem grossen pathetischen Werke
desLaocoon4) ,,Niobe und ihre Kinder sind und bleiben ihm die höchste
Idee der Schönheit", Musterbilder des hohen Stiles griechischer Meister, der
hohen himmlischen Grazie5). Und gewiss hatte Winkelmann ein Recht, dies
*u sagen, da ihm noch keine Parthenoiisculpturen bekannt waren. Erweist
dies nach in einer Reihe feinsinniger Bemerkungen über Bildung einzelner
Theile, besonders des Kopfes, über Hehandlung der Haare, der Hände, der
Gewänder. Mit diesem Begriff des hohen Stiles wendet er sich zur Beant-
wortung der Frage, ob die Gruppe Skopas oder Praxiteles zuzuschreiben
i
lj Polymelie or an enqtiiry concerning (he agremeiU hettrevn the works of the romait poets
•• *he remaifts of the ancient artists hviny an attempt to i Uns träfe them mutually from one
*t*h$r. (In lo Büchern). Ed. I. 1747. Kd. 11. London, Duclley 1755. Auf p. 111 gute
Abbildung der Niobe mit Tochter.
2) Text zu Denkm. d. Kunst des Alterth. p. s<). Tbl. VIII. S. 35 in derDonauösch. Ausg.
3) Gesch. d. Kunst. Bd. IX. Kap. 2. § 2<>.
4) Gesch. d. K. Bd. V. K. 3. g 13. Vorl. Abhdl. von d. Kunst d. Griechen. K. 4. § 33.
5, Gesch. d. K. Bd. V. K.3. g 13. Bd. VIII. 2. § 10.
1 4 Einleitung.
sei und während er hier eine Entscheidung trifft1), die hi.s in die neuesten
Zeiten die bedeutendsten Archäologen und Kunstkenner (ich hebe vor
allem die feiueu .Bemerkungen von Waagen hervor;2) auf ihrer Seite hat, sucht
er an einem anderen Exemplar eines Niobekopfes die Kunst des Praxiteli-
sehen Stiles der des Skopas gegenüber zu stellen.
Neben den Statuen hat Winkelmann zuerst die Relief bildungen der
Niobesage ins Auge gefasst und zu dem von ihm in den Monumenti inediti
t. b\) herausgegebenen Sarkophagrelief der Villa Borghese zwei andere in
nähere Yerglciehung gestellt3).
An Winkelmann sich anschliessend, von seinem l'rtheil wesentlich be-
dingt, seine Bemerkungen ergänzend und berichtigend sind die Arbeiten des
folgenden halben Jahrhunderts für die archäologische Auffassung der Niobe*) .
Die Versetzung der Gruppe und ihre Aufstellung in den Uffizj zu Florenz
veranlasste die Arbeit von Fabroni, dem Curator der Universität Pisa und
Prinzenerzieher : dissertazione sullc slatue appartenenti alla favola di Niobe.
Firenze 1 779. Sie ist für uns durch die darin aus dem medieeischen Archiv ver-
öffentlichten Documente über Fund und Erwerbung der Statuen, sowie durch
Abbildung und JSeschreibung der einzelnen Statuen mit ihren Ergänzungen
unschätzbar, die wissenschaftlichen Fragen sind nicht weiter gefördert, im
Gegen theil ist durch unmittelbaren Anschluss an Ovids Schilderungen eher
hinter Winkelmann zurückgegangen. Interessant sind die zwei Briefe, welche
Raf. Meng $ an Fabroni als Erwiderung auf die Schrift an diesen gerichtet
hat5). In feiner Weise tadelt er lobend die Art und Weise des Schriftstellers,
als ,,die beste, um Dinge, welche grossen Herren angehören und den Reifall
des Publikums bereits erhalten haben, zu beschreiben", er bezeichnet sie als
Lobrede. In kurzen Bemerkungen widerspricht er Beobachtungen Winkel-
manns; er selbst hält die medieeischen Statuen ,,für Copieen, welche nach
bessern griechischen Originalen gefertigt sind, obgleich das Verdienst der
Meister an denselben sehr verschieden ist", er behauptet ferner, ,,dass sie in
schlechtem Zeiten restituirt und theilweise neu gemacht sind, woher sich auch
die grosse Ungleichheit der Arbeit und ihrer Theilc erklären lasse". Wir
besitzen überhaupt nach Mengs nicht Originalwerke der berühmtesten grie-
chischen Meister.
Im Wesentlichen in dem Kreise der Ansichten und Beobachtungen Win-
1) Gesch. d. Kunst. Bd. IX. 2. § 20—30.
2j Kunstwerke und Künstler in England u. Paris. III. S. 1 11 ff.
\\, Text zu d. Denkm. d. K. d. Alterth. Th. VIII S. 234 ff.
4; Einer der Ersten, die in Winkehnanns Sinne auf Niobe als das Werk der höchsten
Schönheit hingewiesen, ist der deutsche Uebersetzer von Daniel Webb, Untersuchung des
Schönen und Malerischen. Zürich I7W». p. Vlllff.
5) R. Mengs sämratl. hinterl. Schrift, herausgeg. v. Schilling. Bonn 1S44. II. S. 110
—123.
Der jetzige Stand der Forschung. 15
kelmaims und Fabroiiis, bald mehr bewundernd, bald die einzelnen Statuen
schärfer kritisirend, halten sich die folgenden Archäologen, so Lanzi, Fea1),
so Heyne in verschiedenen Auslassungen2;, so dessen Schüler J. Ph. Sie-
benkees3). Ein anderer Schüler Heynes, F. W. IL v. Kaiudohr , hat in sei-
nem Werke über Malerei und Bildhauerarbeiten in Rom 4) eine scharfe und
genaue Besprechung der einzelnen Statuen dieser „mit so vieler Parteilichkeit
beurtheilten" Gruppe gegeben, Ungehöriges richtig ausgeschieden; er lässt
sieh auch auf eine bis dahin noch nicht erörterte Frage ein, auf die Art der
Anordnung zu einer Gruppe ; er nimmt die Aufstellung an einer Wand
an, aber in wunderlicher Weise nicht in einer Linie, sondern entsprechend
den römischen Basreliefs mit dem Vorschieben einzelner Figuren ganz in den
Vordergrund, anderer in den Mittelgrund, der todte Sohn wird z. B. vor der
Mutter liegend gedacht. Diese Anordnung Ramdohrs hat auch K.Levezow
in seiner so verdienstlichen und auch noch heute mit Nutzen zu lesenden Ab-
handlung über die Familie des Lykomedcs in der K. Prcussischen Antiken-
sammlung (Berlin IS04) wesentlich angenommen, indem er die Niobegruppe
als entschieden nicht auf einer Basis stehend, mehr der gesellschaftlichen als
dramatischen Form sich nähernd auffasst; wir verdanken ihm zugleich eine
glückliche Heranziehung einer Statue jenes Berliner Statuenvereins zu den
Niobiden 6) .
Dagegen zweifelte H. Meyer6) , dessen Beschreibung und künstlerische
Würdigung der einzelnen Statuen, sowie Angabe der ergänzten Theile
bleibenden Werth für uns hat, daran, dass diese Statuen jemals eine Gruppe,
d. h. ein künstlich zusammenhängendes, auf einmal zu übersehendes Ganze
ausgemacht haben, er meinte, dass sie in einem halbrunden oder runden
Tempel, an der Wand umher, oder in Nischen wahrscheinlich ohne ein ma-
lerisches Ganze zu bilden aufgestellt waren.
Inzwischen ward die Zahl der die Niobe und ihre Kinder darstellenden
Denkmäler bedeutend vermehrt : ausser Köpfen und Statuen, die in Rom
selbst vor allem, in Dresden, Wien, München, Berlin, England auftauchten,
welche am vollständigsten, freilich nur relativ vollständig und mit Ungehöri-
gem verbunden bei Clarac 7) gezeichnet sind, sind vor allem die R e 1 i e f s
lj Lanzi, Anmerkk. zur italienischen Uebersetzung Winkelmanns; Fea, Miseell. filo-
log. I. p.S5ff.
2) Handbuch d. Archäologie. Bd. II. Isoo. S. :*«« — 370.
Akad. Vorles. über Archäol. d. Kunst. S. 371 — 3bl .
3) Antiquar. Aufs. I. S. 235, Observationes ad Apollodori bibliothecam . p. 23$ — 241,
4) Leipzig 17S7. II, S. 137— 117.
5) S. 30 f. 60 f.
6} Propyläen. 1799. Th. II. St. 1. S. 49— 91. St. 2. S. 123-140; Böttigers Amalthea I.
S. 371— 3*»S; Gesch. d. bildend. Künste bei d. Griechen. I. S.291. Taf. 22.
7; Mus. desculpturc. III. IV. pl. 323. 5*1—590.
] g Einleitung.
eine für die Kcuntniss'des Ganzen wesentliche Bereicherung, so aus Palazzo
Rondanini bei Guattaiii1), in Villa Albani, im Museum Chiaramonti bei
Zoega2), im Vatican3) und in Wiltonhou.se bei Salisbury nach .1. Kennedy4).
Der Einfluss der von Winkelmann so hoch und begeistert gepriesenen
Gruppe zeigte sich auch praktisch in deutscher Poesie und Malerei. Wir be-
sitzen vom Maler Müller ein lyrisches Drama Niobe, Mannheim 177S er-
schienen, aber in ihm tritt nirgends eine Benutzung der feineren Züge des
Mythus, nur ein dunkles Verstiindniss fiir seine Urbedeutung hervor. Dass es
gerade Neptun« Enkel und Enkelinnen sind, die mit Niobekindern verlobt er-
scheinen, ist nicht unpassend. Der Maler Friedrich Uehberg [175S —
is:t:>), in Rom ganz in dem von Winkelmann und Mengs Bestrebungen und
Urtheilc bestimmten Kreise eines Azara, Reiffenstein u. A. lebend und der
Antike zugewandt, machte im Wetteifer mit Davids Brutus Niobe zum Ge-
genstand seines ersten grossen Gemäldes ; er hatte aus Homer das Lokal, aus
Ovid die Situation entnommen, in einzelnen Gestalten, so in der des Päda-
gogen mit dem Jüngsten tritt das Studium der Gruppe hervor5). Durch einen
Kupferstecher wie Hause wurden einzelne zu der Niobegruppe gehörige
Köpfe meisterhaft gestochen.
Dem ausserordentlichen ästhetischen und kunsthistorischen Fortschritt,
den Winkelmann für die Niobedarstellungen begründet, geht ein entsprechen-
der literarhistorischer und mythologischer noch nicht zur Seite. Allerdings
ist es wichtig, dass man von der einfachen Anwendung der ovidischen Schil-
derung auf die griechischen Quellen, auf Homer schon mehr zurückgeht,
aber man hat dabei neben „der Willkür der Tragiker in der Behandlung des
Stoffes*' nur Interpolationen und Vermeidungen verschiedener mythischer
Personen auf äusserliche Weise im Auge, so Heyne1'). Die astronomische,
die ganze griechische Götter- und Heroensage auf Gestimbeobachtungen und
Jahresrechnung zurückführende Erklärungsweise, die Dupuis auf alle alten
Religionen anwandte, M. G- Ilerrmann für die griechische (Handb. d. ganzen
Mythol. I7S7) durchführte, hat noch spät in Steinbücheis AbrissderAlter-
thumskunde7) an Niobe sich versucht: ,, Niobe ist das »Jahr, Sonne und Mond
tödten durch ihren wechselnden Umlauf ihre Kinder, die zwölf Monate, diese
\) Memoric I7S7. Decb. p. 01.92. tnv. '\.
2) Rassiril. t. 10-1.
.**; Museum Pio-Clementinum IV. 17.
1) Descript. of tho antiquit. and curios. in Wiltonhotisc 1 7l>9. p. KM. M>3. und in Ro-
keby nach Dallaway Antidotes of the art.x in England, p. .'t^s.
5} Vgl. Nagler Künstlerlexikon Art. Rchberg, ein fliegendes Blatt : Professor Reh-
bergs Ausstellung.
6) Observatt. in Apollod. p. 23S f.
7) Wien 1S29. S.276.
Der jetzige Stand der Forschung. 1 7
bleiben durch 9 Tage, um welche das Jahr durch Einschaltung verlängert
wird, unbeerdigt und die Mutter erstarrt".
Die grossen Entdeckungen auf dem i Joden Griechenlands, die Par-
thenonsculpturen, die Aegineten, der Fries von Phigalia gaben einerseits
den Anstoss zu einer neuen fruchtbaren archäologischen Behandlung unseres
Gegenstandes, auf der andern Seite waren es die kritischen und literar-
historischen Arbeiten über das griechische Epos und die Tragiker, die
für die Entwicklung des Mythus erst Grund und Boden geschaffen und
zugleich den Einfluss der dichterischen Vorbilder auf den bildenden Künst-
let uns nahegeführt haben. Interessante und in der Gattung wie in der Com-
positum eigentümliche Funde bereicherten zugleich unsere Kenntniss der
verschiedenen künstlerischen Auffassungen auf das bedeutendste. Reisen in
Kleinasien sicherten das so hochalterthümlichc Bild der Niobe am Berge
Sipylos gegen alle Zweifel und gaben zuerst eine Anschauung davon. End-
lich hat die mythologische Forschung in dem Zusammenwirken zweier an-
fangs gegensätzlich sich stellenden Richtungen auf die lokalen und stammes-
gemässen Ursprünge der Sage und auf die tiefeu und gemeinsamen religiö-
sen Naturerscheinungen einer Urzeit eine richtige und allseitige Erfassung
des Mythus angebahnt, wenn auch noch nicht gegeben. So sind denn die
Fragen vielseitig gestellt, im Einzelnen schon gründlich behandelt worden,
die wir in ihrem vollen Zusammenhang zu behandeln gedenken.
Der englische Architekt C ockereil, aus Griechenland und von der
t Entdeckung der Aegineten zurückgekehrt, gab im J. 1 S 1 CS in Rom ein gros-
ses Blatt heraus mit dem Giebelfeld eines dorischen Tempels und der Ein-
otdnung der Niobidengruppc von Florenz in denselben, dedicirt an Bartholdy,
der zuerst die Idee dazu ihm an die Hand gegeben. Kurze Bemerkungen
rind beigefugt zur Erläuterung, die die Berechnung der Gruppe für einen Au-
genpunkt, für einen Anblick mehr von unten, ihre Ausarbeitung wesentlich
•n der Vorderseite , die absteigenden Grössenverhältnisse hervorheben, und
sogleich die Zahl zwölf für die Kinder aus Homer entnehmen. Die Ecken
wurden für Ortsgotthciten allenfalls leer gelassen. Damit war ein wichtiger
und fruchtbarer Grundgedanke zuerst ausgesprochen , dass es sich um die
künstlerische Einheit einer grossen dramatischen Gruppe handele, dass die
Bedeutung und der Werth der einzelnen Statuen zunächst an dieser Ge-
sammtidee bemessen werden müsse. Dieser Grundgedanke, aber auch die be-
stimmtere Fassung als Gicbelgruppe fand ihren ebenso beredten wie
feinsinnigen und besonnenen Verkünder in A. W. v. Schlegel durch seinen
Aufsatz: de la composition originale des statues de Niobe et de ses enfans
feuille gravee par C. R. Cockerell in der Bibliothdque universelle de Geneve*).
Dieser Aufsatz erschien auch in deutschen und italienischen Zeitschriften
1) T. 111. Litterature. Genhte 1S2Ö. p. 109— -132.
Stark, Niobe.
18 Einleitung.
ganz oder im Auszug1). Durch Schlegel wurde der CockerelPsche Entwurf
wesentlich gereinigt von Ungehörigem und durch eine Nebengruppe berei-
chert . Die allgemeinen Fragen über die nur relative Hedeutungder Florentiner-
Gruppe, über Originalität undCopien wurden besonnen behandelt. Im Jahre
1817 trat Welcker unabhängig von dem bereit* Veröffentlichten mit dem
gleichen Gedanken einer Composition als Giebelgruppe auf2). Bei Italienern
und Franzosen fand der Gedanke entschiedenen Heifall. Zannoni, der
Herausgeber und Erklärer der Statuen in der Galeria di Firenze3) bekannte sich
im zweiten Theile des Werkes Taf. 74. 75. p. 87 — 94 und in einem besondern
Abdruck mit Abbildung : le statue de IIa favola di Niobe nella I. et R. Gate-
ria di Firenze 1821 entschieden dazu, mit einer sehr glücklichen Bereiche-
rung um eine Statue auf Thorwaldsens Vorschlag ; ebenso Inghirami4) ;
N i b b y ging in seinen Onaertazioni artistieo-antiquarie sopra la statua vol-
y armen te appellata il yladiator moribondo so gar soweit, anzunehmen, dass in
den Giebelfeldern des palatinischen Apollotempels die Niobiden und eine
Gallierschlacht, zu der jene Statue gehören sollte , sich entsprochen hätten,
mit falscher Auffassung einer lateinischen Dichterstelle. Unter den Franzo-
sen sprachen sich QuatremeredeCJuincyR), RaoulRochette6), L e -
n o r m an t7) , G u i g n i au t h) dafür aus.
Dagegen trat der Bildhauer J. Martin Wagner, mit dem in der Ne-
gation Thorwaldsen, wie aus gelegentlichen Aeusserungen sich ergiebt, und
auch der treffliche Kenner der Antiken, Emil WolfP) , ganz übereinstimmte10),
mit voller Entschiedenheit auf. Seine Abhandlung wurde bereits im Kunst-
blatt 1S24. p. 1)3 in einer Anmerkung angekündigt, erschien aber erat eben-
daselbst 1S30. n. 51—63 unter dem Titel: ,,Ueber die Gruppe der Niobc
und ihre ursprüngliche Aufstellung".. Durch Wagner wurden die bereits von
Schlegel bezeichneten Statuen aus der Florentiner-Gruppe mit treffenden künst-
lerischen Gründen ausgeschieden, dagegen tritt er in auffälligster Weise für
andere Hcstandtheile der älteren traditionellen Aufstellung wieder als Schützer
ein ; ja er glaubt die Gruppe durch die zwei Götter und Anderes noch erwei-
1) Kunstblatt lsl 7. 8t. 13 ; Isib von Oken 1 Sl 7. p. S6 — SS. Miliin Annales encyloped.
1*17. I. p. 141 ; Giom. Enciclop. di Xapoli T. II. 1SI7. Aprile; Memor. sulle antiehitä e
belle arti di Koma IS17. Apr-Ott. p. 77. t. 12.
2) Zeitschr. f. a. Kunst. 1S1 7. St. 2. S. 205 f. St. 3. S. 5S9.
3) Scr. IV. l.tav. 1 — 15. p. I— 31.
1) Galeria Omerica t. 240..
5) Lettres a Mr. Canova.
ü; Monum ined. p. 315. Not. 2, Addit. p. 527.
7) Bull. d. inst. arch. 1*32. p. 147.
s) Kelig. de l'antiquite IV. 1. p. 330 ff.
0) Bull. d. i. di corr. areheol. 1*43. p. 91.
10) v. Mitzowski in Zeit. f. d. eleg. Welt 1830. p. 47.
Der jetzige Stand der Forschung. 19
teni zu müssen. Gegen die Giebclanordnung, eine» Hypothese, die eine ver-
führerische Aussenseite habe, von der er sieh aber niemals habe völlig über-
zeugen können, macht er einzelne sehr triftige künstlerische Einwendungen ;
allerdings will er die Gruppe nicht wieder in schöne einzelne Statuen auf-
lösen, nein sie bildet ihm ein zusammenhängendes Ganze, eine dramatische
Handlung, eine Art theatralische Darstellung, sie ist ihm nicht blos ein Werk
architektonischer Verzierung, er versucht es sie in einer halbrunden Aufstel-
lung mit einzelnen frei vortretenden Statuen in einem den Tempel umgeben-
den Temenos anzuordnen. Fr. Thiersch1) erklärte sich mit der negativen
Seite der Wagnerschen Ansicht wesentlich einverstanden. A n s e 1 m Feuer-
bach hat in der Reihe seiner archäologisch - ästhetischen Betrachtungen
über den vatikanischen Apollo (I. Aufl. IS33. II. Aufl. IS55) die Niobiden-
gruppe von den verschiedensten Gesichtspunkten zum Vergleich herangezo-
gen"f), er geht vor allem von der Frage aus, ob der Apollo zur Gruppe gehört
haben könne. Ihm ist sie ein Werk des Skopas, die Florentiner Statuen
sind theils Originale, theils zuverlässige Copieen (S. 221), mit unbefangener
Ruhe mustert er die verschiedenen Gesammtauffassungen durch, ihm bilden sie
aber eine für Einen Augenpunkt berechnete Gesammtgruppe, die Aufstellung
im Giebel scheint ihm nach inneren und nach formalen Gründen wahrschein-
lich, er findet aber die rechte Seite der Cockerellschen Restauration durchaus
ungenügend. Er hat zuerst und mit besonderer Vorliebe die Wirkung dramati-
scher Vorbilder an den Sfatuen betont und erklärt die Niobe für die des
Aeschylus. Kapp8) schliesst sich an Feuerbach wesentlich an, er billigt die
wesentlich trianguläre, starkgebrochene Linie der Aufstellung, aber nicht die
Aufstellung im Giebelfelde. Otfried Müller hat mit feinem Takt im
Handbuch der Archäologie § 120, in der Anordnung der Statuen auf Tafel
XXXIII. XXXIV. der Denkmäler der alten Kunst nebst dem Text, endlich
in dem Jahresbericht in der Halleschen Allgem. Literaturzeitung 1835. p. 108.
8.236 — 238 die ihm sicheren Resultate in der Auschcidung von Statuen und
Einfügung anderer, in der Anerkennung kleinerer Gruppen in der grossen
und eine zweitheilige in der Mitte gipfelnde Gesammtordnung angenommen,
aber zu einer Giebelaufstellung oder der von Wagner gewählten, oder sonst
einer anderen seine Zustimmung zurückgehalten.
Da trat F. G. Welckcr in einer Zunächst gegen Wagner gerichteten
Abhandlung im Rheinischen Museum f. Philologie4) über die Gruppirung
der Niobe und ihrer Kinder für die von ihm bereits 1817 vertretene Auffas-
sung als Composition für den Giebel eines Apollotempels ein, und unterwarf
1) Epochen der bildenden KunBt. Aufl. 2. S. 31 7 ff. 3<>S— 371.
2) S. 142. 143. 107. 174. 21s— 23ti. 341—343. 349 der I.Auflage.
3, Italien. Berlin 1S37. S. 125—132.
4) N. F. 1836. IV. S. 233—309.
20 Einleitung.
die ganze archäologische Frage von der Darstellung des Niobeinythus einer
Revision mit so umfassender Gelehrsamkeit, so warmem Gefiihl fiir das einmal
Erkannte, mit so feinem Sinne für das Bedeutungsvolle und zugleich wahrhaft
Künstlerische, dass seine Arbeit seitdem der Mittel- und Ausgangspunkt an-
derer archäologischen und ästhetischen Behandlungen geworden ist. Sie
konnte dies noch mehr werden, als sie im J. 1849 in den alten Denkmälern1)
mit sehr reichhaltigen, ja modificireuden Zusätzen erschien, und zwar als
Schluss seiner Abhandlungen über die wichtigsten Giebelgruppen der grie-
chischen Kunst. Die kunstgeschichtliche Streitfrage ob Skopas oder Praxi-
teles der Urheber der Giebelgruppe sei zu entscheiden hielt er bei unserer
unzureichenden Kenntniss der Stile Beider für unzulässig. Durch Welcker
wurden wir uns zuerst der Fülle nicht allein der weit zerstreuten Wiederho-
lungen einzelner Theile der Gruppe, sondern auch der Darstellungen in an-
dern Kunstgattungen bewusst, er hat für diese zuerst ein vergleichendes,
sichtendes Auge gehabt. Ich habe damals versucht die Welcker'schen Dar-
legungen befreit von ihrer polemischen und etwas fragmentarischen Form
gedrängt darzustellen in der Zeitschrift f. Alterthumsw. 1850. N. 65. G6.
Ehe wir die neuem und neuesten ästhetischen und archäologischen Ar-
beiten verfolgen, die unter dem Einflüsse von Welckers Arbeit stehen und zu
einzelnen Bedenken, schliesslich zu entschiedenen Zweifeln an seinem Grund-
gedanken geführt haben, müssen wir der so wichtigen parallelen Thätigkeit
in der literargeschichtlichen Behandlung des Mythus gedenken. Es waren
die Fragmente der Tragödien des Aeschylos und Sophokles, die den Titel der
Niobe führen, welche nun zuerst einer zusammenhängenden, auf einer be-
stimmten Auflassung des Grundgedankens basirenden Behandlung unterwor-
fen wurden. Gottfried Hermann schrieb eine Abhandlung im J. 1S23:
de Aeschyli Niobe dissertatio, welche in seine Opuscula 2) aufgenommen ist
und in seiner Ausgabe des Aeschylos zu Grunde gelegt ist ; auch die Niobe
des Sophokles und die Frage über eine solche des Euripides war dabei be-
handelt. Welcker versuchte von beiden Stücken und zwar für Aeschylos
von der ganzen Trilogie eine Reconstruction in der Aeschyleischen Trilogie 8)
und in den griechischen Tragödien 4) , D r o y s e n, an Welcker sich anschlies-
send in seiner Uebersetzung des Aeschylos5) ebenfalls, sowie Fritzsche in
Rostock mit der Ausbildung einer von Hermann kurz hingeworfenen Ansicht
über die Niobe des Sophokles sich beschäftigte. Als eine sehr erfreuliche Frucht
dieser literarhistorischen Richtung und überhaupt philologischen Fleisses und
1) Tbl. I. S. 209— 314.
2} Vol. III. p. 37— 5S.
3) S. 341—353. Nachtr. S. 143.
4) I. S. 2SÜf.
5) Berlin 1832. II. 8. 231—235.
Der jetzige Stand der Forschung. 21
philologischer Genauigkeit erschien im J. 1836 zu Wismar die Preisschrift
von dem seitdem zu früh verstorbenen C. E. J. Burmeister de fabula quae
de Niobe e/usque liberisagit. 94 S. Der erste Theil hat mit grosser Selbstän-
digkeit den literarischen Stoff gesammelt und systematisch unter gewisse Ge-
sichtspunkte, die im Mythus auftreten, geordnet; der zweite behandelt die
Auffassung der Tragiker, wie des Homer und endlich der Epigrammatiker;
der dritte Theil versucht eine Ausdeutung des Mythus aus der lokalen Grund-
lage von Lydien und Böotien und findet sie in dem Gegensatze des bakchi-
schen und apollinischen Glaubenskreises. Der archäologische Gesichtspunkt
selbst oder die Benutzung der Denkmäler für den Mythus ist vom Verf. ganz
zur Seite liegen gelassen und die Entwickelungsgeschichte des Mythus nur
sporadisch berührt, als Aufgabe kaum erkannt.
Nach Burmeister ist bis jetzt eine methodische und umfassende Un-
tersuchung des mythologischen und religiösen Gehalts des Mythus, sowie
seiner nationalen und lokalen Ursprünge nicht geführt worden ; allerdings
macht Heffter in MützelPs Zeitschr. f. Gymnasialwesen IS 55 den Anspruch
darauf in einem Aufsätze von fünf Seiten (S. 702 — 70B) unter dem Titel ,,der
Mythos der Niobe" ,,jede Einzelheit im Mythus nach ihrem wahren Grund
aufgestellt und das Verständniss bis zur völligen Durchsichtigkeit hergerichtet
zu haben**. Und was ist das Zauberwort, das die Thore des Verständnisses
erschlossen ? Das Ganze muss rein als Produkt der künstlerischen Phantasie
betrachtet werden, die ein nicht griechisches Steingebilde in Kleinasien aus-
gedeutet hat. Glückliche, freischaltende Phantasie, die einem missverstande*
nen Gestein solchen Tiefsinn, solche Zaubermacht über die grössten griechi-
schen Künstler zu entlocken verstand ! Im vollsten Gegensatze dazu findet
Furt wän gier in seiner Idee des Todes ') in der in Stein verwandelten Niobe
ein Bild der zur Strafe in den Grund der Materie versenkten und darin trotzig
beharrenden Seele. Im Bereiche ältester religiöser Naturerscheinung suchen
besonnene Mythologen die Stelle der Niobe, aber fassen sie meist als Ilelle-
nisirung fremder, phrygischer Gottheit und ihr Auftreten in den ältesten
Sagenkreisen von Argos z. B. als späteres Einschiebsel durch den Einfluss
der Pelopssage; Schwenck2) nennt sie in dieser Beziehung die grosse Le-
bensmutter, Prell er8) die Rhea dieser Berge und dieser Thäler kleinasiati-
schen Ursprungs4) . Gerhard, über den nationalen Ursprung sich nicht näher
äussernd5), stellt sie in den Bereich ursprünglicher Licht- und Mondgöttin-
nen, als ,, neues Licht", daher neben Io6). In allerjüngster Zeit haben
1) Freiburg 1S54. 8.229.
2) Rhein. Mus. f. Philol. N.F. XL S. IS<>.
3) Griech. Mythol. IL S. 2H7ff. der 1. Auflage.
4) I. S. 409. IL S. 25.
.V Griech. Mythol. § .H7(i.c.
6) § 792. 1 .
22 Einleitung.
F.B.W. Schwanz1) und Baehofen2) gelegentlich und in beachtenswer-
ther Weise sich geäussert, jenem ist Niobe eine Art Winterkönigin, Mutter
der sieben winterlichen Monde, im Sommer als Regen sich manifestirend ;
diesem ist sie ein Bild der Urmuttcr Erde.
Mit dem Gewinne der Erkennt niss von der Bedeutung der dichterischen
Durchbildung des Mythus bei den zwei grössten Tragikern sind daher alle
neueren ästhetischen und archäologischen Betrachter der Niobegruppe an
dieselbe herangegangen, deren Giebelaufstellung nach Welckers Darlegungen
nicht mehr bezweifelt wurde. Unter jenen nenne ich Hob. Zimmer-
mann3), der die Vereinigung von Furcht uud Mitleid mit und für uns selbst
als Ursache ihres eingreifenden Eindruckes bezeichnet, und Trendelen-
burg. Dieser machte die Sage und deren bedeutendste uns erhaltene Ver-
körperung , die Gruppe nach Welckers Aufstellung, aber ohne zu verken-
nen, dass wir uns ,,auf dem Boden der Vermuthung" (S. 6) befinden zur
Grundlage einer trefflichen Darlegung über das Verhältniss des Erhabenen
zum Schönen4). Durch diesen Vortrag ist ein jüngerer Künstler, Wraske
zu einer neuen malerischen Composition mit angeregt worden, einem Oel-
bilde, welches für die Hamburger öffentliche Gemäldegalerie erworben
wurde. Von sonstigen poetischen oder künstlerischen Behandlungen der
Niobesage in neuerer Zeit ist mir nur eine Jugendarbeit von Pradier, dem
begabten Schüler der Griechen in jugendlicher und weiblicher Schönheit, ein
Niobide in Marmor im Musee Luxembourg aus dem Jahre 1820 aus eigener
Anschauung und ein Gedicht aus der jungen, aber so isolirten, zum ernsten,
einfachen Gehalt und zu klassischer Form sich zurückwendenden französischen
Schule eines Ponsard, eine Niobe von Leconte deLisle, dem Namen nach
bekannt.
Die Zahl der auf dem allgemeinen kunstgeschichtlichen Boden stehen-
den Periegeten Italiens, sowie der Verfasser kunstgeschichtlicher Handbücher
ist natürlich der Betrachtung der Niobegruppe und sonstiger Niobedenkmäler,
den dabei auftretenden und hin und her erwogenen Fragen nicht aus dem Wege
gegangen ; wesentlich gefördert sind aber die Hauptfragen, soweit ich sehe,
nirgends. Was A. Stahr in seinem Jahr in Italien*), in seinem Torso8),
was besonders Emil Braun in den Ruinen und Museen Roms an verschie-
denen Stellen7), Burkhardt im Cicerone8) durch die Anschauung neu An-
geregtes oder verständig Erwogenes gewähren, wird seine Berücksichtigung
1) Ursprung der Mythologie. Berlin 1S60. S. 106.
2) Versuch über Gräbersymbolik. Basel 1S59. S. 360.
3) Ueber das Tragische und die Tragödie. Wien 1 SSO. S. 7 ff. und 1 7 ff.
4) Niobe. Berlin 1S46.
5) I, S. 107—111.
0) I. S. 375— 3S5.
7) S. 302. 500—503. 511. 630. 0S5. 745.
S) Basel 1S55. S. 504— 50s.
Der jetzige Stand der Forschung. 23
im Einzelnen finden. Hier sei nur Uurkhardts schliesslich« Grundansicht her-
vorgehoben, dass das verschwundene Original des Skopas oder Praxiteles als
eine Tempelgiebelgruppe gearbeitet sei, dass dagegen die ergänzte florentiner
Gruppe, ein Werk römischer Kunst, nie in einer Giebelgruppe zu vereinigen
sei, dass der Pädagog für eine zweite Gruppe als Mittelpunkt von einem römi-
schen Wiederholer geschaffen sei, und dass diese zwei Gruppen schwerlich Gic-
belgruppen waren. An zwei Giebelgruppen mit Niobe und dem Pädagogen hatte
Emil Braun gedacht. Das Oberflächlichste und Unrichtigste, was die neueste
Zeit über diesen Gegenstand geliefert, findet sich in der italienischen Reise von
Micheie t1). Nach ihm ,, haben wir an dem Original der Gruppe schwerlich
viel verloren". Die florentiner Statuen sind aber an der Porta Osticnsis2) (!)
gefunden, wo ein Tempel eines Apollo Medicus lag. Nach Sehn aase3)
ist kein Zweifel an der Bestimmung des Originals für ein Giebelfeld, die er-
haltene Gruppe wiederholt das Original durchaus, ist es möglicherweise zum
Theil selbst ; Niobe als die rührende und edelste Erscheinung des Schmerzes
beschäftigt den Verf. länger. Kugler4) spricht sich mit Zurückhaltung
über die Giebelaufstellung der Gruppe, mit Wärme über den Skopascharakter
der Composition aus, betont dabei den Widerspruch in der Ausführung der
florentiner Statuen mit der Grösse der Composition. Aehnlichcs nur kürzer
äussern Springer5) und Lübke6). Hettner hatte in seiner Vorschule
zur bildenden Kunst der Griechen7) sich wesentlich an Welcker angeschlossen.
Kehren wir nun zu den eigentlichen archäologischen Arbeiten zurück.
Schon langer vor dem zweiten Erscheinen der erweiterten Welckerschen Ar-
beit hatte Gerhard in seinen drei Vorlesungen über Gypsabgüsse. Berlin
IS4I, die dritte8) der Niobe gewidmet, von der sophokleischen Tragödie und
einer Giebelgruppe dabei ausgehend. Feuerbach9) hat im Wesentlichen
das bereits im Apoll von Belvedere von ihm Ausgesprochene festgehalten,
in der Giebelgruppe sucht er das unmittelbarste rhythmische Widerspiel der
tragischen Darstellung nachzufühlen und die Niobe, die ,, Mater dolorosa'* des
Alterthums (S. 137) ist ihm ganz die versteinerte Niobe des Acschylus.
Brunn10) konnte dem von ihm festgehaltenen Staudpunkte gemäss auf die
Niobedenkmäler nicht näher eingehen, er hat für die speeifisch kunstge-
schichtliche Frage der Autorschaft vonSkopas oder Praxiteles der pathetischen
1) Berlin 1S56. S. 2Sf.
2) 8. 224 ff.
3) Gesch. d. bild. Künste. IL S. 2*7—290.
4) Handb. der Kunstgesch. 3. Aufl. 1. S. 155.
5) Handb. der Kunstgesch. Stuttgart 1S55. S. S5.
«) Grundr. d. Kunstgesch. ISISO. S. 142 f.
7) l.Thl. S. 223 ff.
v S. 49—67. Anm. t». S. 72 ff.
fl; Gesch. der griech. Plastik. Tbl. IL S. 134 - 140.
10) Gesch. der griech. Kunstler I. 8. 357 f.
24 Einleitung.
Auffassung des Gegenstandes im (Gegensatz zu dem aus der Schönheit der
Form an sich entspringenden Behagen treffende Betrachtungen gewidmet.
Es ist ein Verdienst von Fried erichs, in seiner Schrift: Praxiteles
und die Niobegruppc !) die künstlerische Seite der Frage der Niobegruppe
einer scharfen und zum Theil neuen Untersuchung unterworfen zu haben.
Wir meinen damit weniger den ersten Abschnitt, der den bereits mehrfach
ausgesprochenen Gedanken, dass die Gruppe unter dem Einflüsse der Tra-
gödie des Sophokles gebildet sei, nur so erweitert, dass er die ganze Scene
mit dem nicht allein gleichzeitig, sondern auch lokal vereint eintretenden
Tode der Söhne und Töchter dem Sophokles genau entnommen sein lässt,
vielmehr den zweiten. liier werden gegen die Forderung Welckers vierzehn
Kinder zur Gruppe zu haben sowie gegen zwei Glieder seiner Gruppe Bedenken
erhoben, vor allem aber aus der geringen Höhenabstufung der Statuen, aus den
angenommenen Eckfiguren, aus der Motivirung derselben, sowie ihrer Mas-
senverhältnisse und Behandlung die Unmöglichkeit diese Statuen wenigstens
passend in einen Giebel zu ordnen abgeleitet, obgleich Friederichs die Dar-
stellung des Mythus im Giebel überhaupt schön und poetisch findet. Die
Seitenhalle einer Tempelcelle scheint ihm ein passender Ort der Aufstellung.
Wenn auch Friederichs geneigt ist dem Charakter des Praxiteles das Werk *n'ahe
zu bringen, weist er mit Welcker einverstanden jede definitive Scheidung der
Streitfrage ab. Bursian hat diesem Bedenken und Gründen wesentlich bei-
gestimmt, als passenden Platz der Aufstellung den Pronaos eines Tempels
vorgeschlagen2). Nachdem Overbeck in seinen kunstarchäologischen Vor-
lesungen 3j an der Welcker'schen von ihm befolgten Aufstellung Einzelnes als
unwahrscheinlich bezeichnet hatte, beschränkt er in seiner Geschichte der
Plastik4) mit Friederichs die Zahl der sichern Statuen und verändert gegen
Welcker die Stellung einzelner, aber er hält die Giebelaufstellung für die
entschieden wahrscheinlichste fest, und übt gegen Friederichs sonstige An-
sichten, besonders vom Drama des Sophokles, von der Zahl der Kinder, von
der Tempelcelle eine wohlbegründete Kritik. Der Vortrag über den ,,Niobi-
denmythos", welchen Chr. Petersen zunächst in Rücksicht auf das in Ham-
burg ausgestellte Gemälde des Malers Wraske gehalten und veröffentlicht
hat,6) , giebt in grosser Vollständigkeit eine populäre Uebersicht über die Ent-
wickelung des Mythos in der Literatur ihrem historischen Gange nach und
in den Denkmälern, vor allen der Statuengruppe. Neue fordernde Momente
zu dem von Welcker, Overbeck und Friederichs Erörterten sind nicht gege-
1) Leipzig 1855. S.67— 104.
2) Neue Jahrbb. f. Philol. u. Pädag. LXXVII. S. 107.
:*) S. 79— si.
4) II. S. 42—49. 112 f. vgl. auch Jahrb. f. Philol. LXX1. S. 694 ff.
5) Hamburg ls59.bei A. F. M. Kumpel.
Der jetzige Stand der Forschung. 25
ben« Die allcrneuste Zeit hat endlich einen ersten Theil „ archäologisch -
ästhetischer Andeutungen zur Niobcgruppe" von G\ L. Michaelis1) ge-
bracht. Der Verf. sieht den tiefern Hintergrund für das schmerzerstarrte
Angesicht der Niobe in „dem, wenn auch unbewussten Ausdruck messiani-
scher Sehnsucht eines Geschlechtes, welchem aus dem Schilde seines hoch-
sten Gottes nur das versteinernde Medusenhaupt einer vernichtenden Ge-
rechtigkeit entgegenstände". Die ästhetische Betrachtung geht von S. 1 1
wesentlich von der Thatsache aus, dass die florentiner Statuen alle Oopieen
römischer Zeit sind, allerdings als Verein an dem bestimmten Punkte Roms
xusammengeordnet, aber dass dadurch die Frage, ob sie einer oder mehrern
()riginalgruppen angehörten, nicht beantwortet sei; unter den bisherigen
Gruppirungsversuchen wird die Giebelgruppirung nach Welcker eingehend
von ästhetischen Gesichtspunkten geprüft und in der atomistischen Zersplit-
terung der Mittelgestalten wie in dem liegenden Niobiden von formeller und
poetischer Seite gewichtige Bedenken aufgestellt. Soeben hat auch C. Ger-
lach in dem Schriftchen „Ilioneus" über Statuenzahl und Ordnung der
Gruppe sich geäussert 2) .
So stehen wir heute der Niobegruppe wieder in einer ungünstigen Situa-
tion gegenüber: eine durchgreifende Grundansicht ist wesentlich adoptirt,
sieht sich aber von Zweifeln und Bedenken aller Art umringt. Es laufen
eine Menge traditionelle Ansichten imd neue Zweifel neben und durcheinan-
der. Die Notwendigkeit gerade diese Frage ganz von Neuem zu unter-
suchen, nach allen Seiten auf die Elemente zurückzugehen, ist mir und nicht
allein mir, sondern auch Männern wie Otto Jahn lebendig entgegengetreten.
Und sie fugt sich für uns nur ein als wichtiges Glied in jene im ersten Ab-
schnitt gezeichnete Gesammtaufgabe , die wir im Folgenden zu behandeln
unternehmen.
V Neustrelitz, Hellwig. 1*60. 2.H S. 4. mit Tafeln.
2) Ilioneus, Archäolog. Plaudereien. Zerbst 1M>2. S. 47 ff.
ERSTES KAPITEL.
Der Niobemythus nach seiner Entwickelnng in der antiken
Literatur.
§ 3.
Das griechische Epos. *
Beide Gattungen des griechischen Epos, die homerische und hesiodei-
sche haben bereits die Niobesage zwar wohl nicht zum Gegenstand selb-
ständiger Behandlung, aber doch episodischer Darstellung gemacht. Das
vierundzwanzigste Buch der Ilias, die "ExzoQog Xvzqa , sichtlich eines der
jüngsten Bestandteile des ganzen Epos1), aber doch, abgesehen von den
mannigfaltigen Spuren jüngerer Ueberarbeitung und Zudichtungen noch im
vollen fortbildenden Flusse heroischer Sängerschule gedichtet, jedenfalls älter,
als der eng sich daran anschliessende Arktinos, hat in der herrlichen Scene,
welche Welcker (äsehyl. Trilogie S. 429 — 131) den Gipfel der ganzen Hel-
denpoesie nannte, Nitzsch (Sagenpoesie der Griechen S. 270) als den not-
wendigen Schluss des Epos vom Zorn des Achill betrachtet, in V. 602 — 628
das Schicksal der Niobe in eine Parallele mit dem des Priamos gesetzt.
Sehen wir uns den Zusammenhang und die einzelnen erwähnten Momente in
der Sage etwas näher an.2)
1) Lachmann (Betrachtungen über Homers Ilias S. SA) wundert sich, dass Aristarch
das letzte Buch nicht ganz verworfen hat, da er vieles darin doch anstössig gefunden
habe, er bezeichnet dann die Zeitbestimmung darin als eine ungeschickte, sagt aber von
dem hochbedeutenden Inhalt kein Wort. Ich meine , eine einfache Vergleichung dieses
Buches mit dem Schlussbuch der Odyssee zeigt das durchaus richtige Gefühl des alexan-
drinischen Kritikers dort die Athetese für das Ganze auszusprechen, hier einzelne Versreihen
mit Athetese zu belegen. Düntzer im Rhein. Mus. f. Philol. N. F. V. S. 37S— 421 weist
den Ungrund vieler von Geppert gegen einzelne Stellen erhobenen Angriffe treffend nach.
Vgl. Köchlys Vertheidigung in der Zuschrift an Welcker 1S59. S. 4— 9.
2) Vgl. Burmeister de fabula etc. II. § 5. p. 74 ff., mit Zusammenstellung der darauf
bezüglichen Stellen der Alten : Seneca ep. 63 ; Lucian de luctu c. 24, Tzetz. Chil. IV. 141.
452 ff., doch ohne eigene Behandlung der ganzen Stelle.
Das griechische Epos. 27
Hektors Leiche ist gelöst, von Achill selbst auf den Wagen gehoben.
Achill ist in das Zelt zurückgekehrt und setzt sich Priamos gegenüber, ihm
diese Lösung ankündend. Mit den Worten : „nun gedenken wir des Mahles"
vvv de juvrjoiöjued^a öoq/iov) leitet er über zu der Verwirklichung der frühern
Aufforderung (V. 52 1. 549), das Unglück zu tragen, nicht unablässig zu kla-
gen, den Jammer ruhen zu lassen, sich auf den Sitz zu setzen. Der Genuss
von Speise und Trank, dann der Schlaf sind das Zeichen, dass der Trauernde
wieder in das Leben gleichsam zurückkehrt. Die Mahnung zur Speise wird
begründet durch das Beispiel einer anderen vom Unglück und zwar in ihren
Kindern schwer betroffenen Persönlichkeit, die aber nach der Ermüdung im
Trauern und Weinen auch Speise zu sich genommen. Dies ist Niobe, die
M'hönhaarige (rjvxoftog) . ,, Zwölf Kinder waren ihr daheim im elterlichen
Hause (ivi fdeyaQOiaiv) dahin gestorben, seclis Töchter und sechs blühende,
in der ijßr] stehende Söhne ; die letzteren tödtete Apollo mit dem silbernen
Bogen, zürnend der Niobe, jene die pfeilfrohe Artemis, weil sie nämlich der
schön wangigen Leto sich gleichstellen wollte ; denn sie behauptete, nur Ein
Paar habe jene , sie "selbst aber habe so viele geboren. Die aber, obgleich nur
ein Paar haben sie alle vernichtet. Neun Tage lagen sie nun alsdann in ihrem
Blute, niemand war da sie zu bestatten, zu Stein hatte der Kronide die Leute
gemacht. Aber an dem zehnten Tag bestatteten sie die himmlischen Götter ;
sie aber gedachte alsdann der Speise, da sie müde war des Thräncnvergies-
sens." Damit ist das Beispiel und die in ihm liegende Aufforderung in sich
abgerundet. Wenn Achill weiter hinzufügt: ,, später wirst du dann auch
wieder deinen lieben Sohn beweinen", er wird ein vielbeweinter (rtokvddxQV-
105) sein, so hat das sichtlich keine Beziehung zum Beispiel der Niobe.1)
Dazwischen hinein treten mehrere Verse Gl 4 — 617, nachdem der Ver-
gleich mit V, 613 in sich vollendet war, das weitere Schicksal der Niobe zu
berichten. Es heisst dann :
vvv di nov iv netQrjoiv, iv ovgeoiv oio7r6kotoiv,
hr 2invl(pf ii&i (paol Sediov t/n/tuvcu evvdg
yv(tq>d(ov9 .a%% ct(.i(p j4%bXixÜov eQQtüOcxvTO,
8v9a XL&og nsQ iovaa öewv ix xrjdea niooei.
»jetzt aber wohl in den Felsen, in. dem einsamen Gebirge, im Sipylos, wo
man sagt, dass der Göttinnen Lagerstätten seien, der Nymphen, welche andern
Acheloos tanzten, dort zum Stein geworden zehrt sie an der Götter Kum-
mer". Diese Verse sind bereite von Aristophanes von Byzanz, dann von
l Aristarch mit Athetesc belegt worden 2) wegen ihres ungehörigen Eintretens
lj Es ist bereits von Molter (über den gnomischen Aorist im Philol. IX. S. 351 ff.)
bemerkt worden, dass die Art, wie hier der Mythus als vorbildliches Beispiel eingeführt
1 wird, lebhaft an die Weise erinnert, wie Pindar und die Tragiker sich der Mythen bedie-
nen, dass die Schilderung fast einen lyrischen Ton anschlage.
2; Schol. in Hom. 11. ree. Bekker 11. p. f>47 a. ; Friedländer Aristonici reliqu. p. 249,
28 Erstes Kapitel.
in den Zusammenhang, wegen des dreifach wiederholten iv und des Hesio-
deischen Charakters der Sprache1), der in den Athetesen des 24. Buches
überhaupt auffallend oft zu Tage kommt. Und mit Recht sind diese Verse
als altes Zwischensehiebsel eines die Lokalität von Smyrna und dem Sipylos
absichtlich hervorziehenden Rhapsoden zu betrachten.
Wir haben daher zunächst für den Mythus die ältere homerische Erzäh-
lung und den Zusatz zu scheiden. Niobe ist kinderreiche Mutter, stolz auf
die Zahl und mit Leto sich messend, die Zahl der Kinder ist zwölf, sechs und
sechs, worauf Apollodor (III. 5. 7) hinweist, die Kindersterben in der rjßi],
im elterlichen Hause, wie es scheint gleichzeitig und rasch, alle ohne Aus-
nahme durch Artemis und Apollo. Ihre lange Nichtbestattung wird betont.
Die Katastrophe, die das ganze Volk betroffen hat, das Versteinern ist offen-
bar ursprünglich sinnlich zu fassen, nicht ethisch als aGVf.i7ta$eig. Das Grab
der Kinder erscheint von Götterhand gebildet. Niobe findet in ihrer Trauer
doch Mass, und kehrt zur Erfüllung menschlicher Bedürfhisse zurück. Wo
der Mythus spielt, ist nicht ausgesprochen, auch nicht das Ende, durchaus
nicht die Versteinerung2) der Niobe bezeichnet, es ist eine Katastrophe aus
ihrem Leben. Nicht gleichgiltig ist, dass der Mythus dem Hellenen Achill
in den Mund gelegt wird, dass er diesem ein durchaus geläufiger sein
musste, nicht erst von ihm an der troischen Küste als ein fremder, etwa
phrygischer, erkundet, sondern aus der Heimath mitgebracht war. Auch wTird
nirgends eine nähere, verwandtschaftliche oder lokale Beziehung zu Priamos
gerade bei ihm angedeutet. Es ist vielleicht zuviel gefolgert, wenn ein Scho-
liast den Mythus als thebanisch und dem Priamos geradezu unbekannt hier
eingeflochten meint.
Die Zwölfzahl der Kinder erinnert uns an die gleiche im Hause des Aeo-
los3), wo auch derselbe Vers (II. XXIV. 604 = Od. X. 6) wiederkehrt, eine
Zahl, die im Zwölfgötterkreis so bedeutsam sich zeigt und den vollen Ablauf
eines Kreises analog der Jahresein theilung bezeichnet. Ebenso werden die neun
Tage (ewtj/huq) mit den neun Tagen zur Vorbereitung der Bestattung des Hek-
tor4), mit den neun Tagen, wo des Apoll Geschosse durch das Heer der Hellenen
gehen, den neun leeren Jahren des trojanischen Krieges, den neun Tagen
und Nächten der Schmerzen Letos, die der Geburt Apollos voraufgingen Ä) ,
mit dem apollinischen iviavzog und der Neunzahl im apollinischen Cult über-
haupt zusammenzustellen sein 6) . Das Bestatten der Niobiden durch die Göt-
1) So iQQcSoavio cf. mit Hes. Theog. S.
2) Daraufmacht auch Nikanor aufmerksam, wenn er sagt: >/ Juily 71qo$ rt/V ötttyto-
vtttv Ttöv vtiDttgüiv • ({aal yttQ xa\ avTrjf aTroleli&tuofrai, o/nr]Qog dk ov,
3) Hom. Od. X. 5.
4) II. XXIV. 7S4.
5 Hom. h. in Apoll. Del. v. 91.
ti, Vgl. Welcker epischer Cyklus 11. S. 261; Bötticher Tektonik II. p. 222.
Das griechische Epos. 29
ter selbst weist auf eine nahe Stellung der Niobe und ihrer Kinder zu den
Göttern, sowie auf ein entweder menschlichen Augen entzogenes oder nicht
durch menschliche Kraft herstellbares Grab hin. Fürsorge der Götter für
die Leichen ihrer Lieblinge, ihre wunderbare Erhaltung, Entführung, Be-
stattung begegnet uns ja mehrfach in den homerischen Gedichten !) ; so Apol-
lons, des Hypnos und Thanatos Thätigkeit für Sarpedon2), als dessen Grab
(xtf/ja; eine axqa an der kilikischen Küste frühzeitig aufgefasst ward8), so der
Iris und der Winde bei der Bestattung des Patroklos4), des Apollo und der
Aphrodite für die Leiche des Hektor5) und der Vorschlag der Götter dieselbe
durch Hermes heimlich zu entführen (xlsipai) c) , so endlich Klage und Für-
sorge der Thetis, Nereiden und neun Musen bei der nach zweimal neun
Tagen erfolgten Bestattung des Achill7] ; auch in historischer Zeit schienen
Götter auf die Bestattung der sie besonders verehrenden Sterblichen zu drin-
gen, wie dies Theopompos bei Alexander von Pherä erzählt 8) .
. Jene vier Zusatzverse geben zu der völlig in sich abgeschlossenen Er-
zählung nun noch eine sehr specielle Notiz über das Endschicksal der Niobe.
Sie ist selbst Stein geworden und zehrt doch, hat zu verdauen gleichsam an
den von den Göttern über sie verhängten Leiden und dies findet statt in
einem einsamen Gebirge und zwar am Sipylos, welcher als Ruhestätte der
Nymphen bezeichnet worden, die den also in der Nähe befindlichen Acheloos
umtanzt haben. In der Erzählung sind die Leute in Steine (Xaoi in Xi&oi) mit
sichtbarer Alliteration gewandelt, Niobe nicht, sie isst ja wieder, in dem
Zustand ist sie nun ki&og; dort keine Andeutung der Lokalität, hier eine
gesteigert genaue, aber doch nur genau in einer idealen, auf Götterleben
bezüglichen Geographie. Am Sipylos wird die Einsamkeit, dann die Stätte
der Quellnymphen, das Vorhandensein des Wassers überhaupt, speciell
des Jtx^tys» des m uas Gebiet von Sinyrna herabfliessenden Flüsschens, oder
des auf der entgegengesetzten Seite in Lydien mit Hyllos zusammengenann-
ten, hervorgehoben. Inwiefern dies für die Ausdeutung des Mythus und lokale
Fixirung bei Smyrna nicht unwesentlich ist, werden wir später sehen.
Die mit der Niobesage weiterhin in nächste Beziehung gestellten mythi-
schen Personen des Tantalos, des Amphiou und Zethos, der Chloris begegnen
uns allerdings in den homerischen Gedichten9), aber ohne dass auf diese
1) Vgl. Welcker ep. Cykl. II. S. 191 f.
2) II. XVI. 660 ff.
4) Aesch. Suppl. SSS ; Strabo XIV. 5.
4; U. XXIII. 195 ff.
5) II. XXIV. IS ff. XX1I1. IS5— 191.
6) II. XXIV. 24. 109.
7) Od. XXIV. 47 ff.
*) Schol. II. XXIV. 426.
9) Od. XI. 5S2ff.; 260—265; XIX. 518—523; XI. 2S1 ff. mit Schol. und Schol. IL
XI. 692.
30 Erstes Kapitel.
Verbindung irgend eine liinweisung erfolgte ; Chloris als überlebende Toch-
ter hat im Gegentheil der Dichter jener Hauptstelle nicht gekannt.
Dass Hesiodos das Schicksal der Niobe erzählt hatte, und zwar wahr-
scheinlich im xazakoyog yvvaixtZv, geht aus Apollodor (III. 5. 6) hervor,
nachdem er zehn Söhne und zehn Töchter derselben, also sehr abweichend
von Homer gezählt hatte. Er hatte auch von Amphions und Zethos* Mauer-
bau durch die Macht der Kithara gehandelt ') und als böotischer Dichter da-
mit wahrscheinlich die Niobesage in Verbindung gesetzt. Abweichend von
Apollodor berichtet uns Aelian*), Hesiod rede von neunzehn Kindern der
Niobe, meint aber, die darauf bezüglichen Verse könnten wie viele andere ihm
fälschlich beigelegt werden. Schwerlich haben wir hier nur eine ungenaue
Angabe auf einer der beiden Seiten, sondern Aelian meint sichtlich ein anderes
Gedicht, als Apollodor ; und zwar wohl die 'Hotat fieydkai, welche den glei-
chen Stoff in so auffallenden, sichtlich aus jüngerer Fassung stammenden Ab-
weichungen mit dem xataloyog oft behandelten und von Pausanias auch dem
Hesiod abgesprochen wurden3). Eine Ungleichheit der Zahl der Kinder ist
auch in anderen Berichten nicht unerhört und mochte aus der Annahme der
Rettung einer Tochter hervorgehen, die dann zu den zweimal neun hinzukam.
Unter den armseligen Resten der so reich auf homerischer und hesiodi-
scher Grundlage aufschiessenden jüngeren vorzugsweise genealogischen Epen
begegnen uns mehrfache Spuren über die immer reichere Ausstattung der
Amphionsage, besonders seine musikalische Seite, welche, wie wir später
sehen werden, ausdrücklich mit Niobe in engste Heziehung gesetzt wird und
über die an Amphion wegen der gegen Leto und Apollo ausgesprochenen
frevelnden Worte sich vollziehende Strafe in der Unterwelt, jedoch ist darin
noch kein sicherer Anlass für eine Darlegung des Schicksals seiner und der
Niobe Kinder gegeben. Selbst in der in ihrer Nekyia so reich ausgestatteten
Minyas, die nach Pausanias (IV. 33, 7) man einem Prodikos von Phokäa zu-
schrieb, erscheint der Strafe leidende Amphion ausdrücklich als Gegenbild
des Thamyras4) und also wesentlich als Musiker, nicht als Gatte und Vater.
Erst ein Spätling des; voralexandrinischen Epos, Herodoros Pontikos
hatte in einem seiner beiden Epopöen, den Argonautika oder Heraklea von
den Kindern der Niobe und ihrem Schicksale gehandelt ; er hat ihre Zahl
auf ein Minimum herabgefiihrt, auf zwei Söhne und drei Töchter 5) . Dagegen
1) Palaephat. Mirab. c. 42.
2) Var. histor. XII. 30.
3) Paus. IX. 3«. 0, vgl. Bernhardy Grundr. d. gr. Liter. II. S. 200. Nachtraglich
seheich, dass schon Markscheffel Hesiodi, Eumeli etc. frgmta. Lips. 1S40. p. 297 diese
Ansicht ausgesprochen hat. Auch p. 1 10 vermuthet er, dass der Zweifel Aelians nicht so-
wohl auf das ganze Gedicht, als auf diese die Niohe betreffende Versreihe sich beziehe.
4j Paus. 1. 1.
5) Apoilod. III. 5. 6.
Die Lyriker. 31
taucht in einem auf hochalterthümlichen, sichtlich vom lebendigen Hauche
des Heldenliedes wenig berührten Localsagen gegründeten Epos, der Phoro-
n i s der Name der Niobe als einer Urmutter unter spezifisch argivischen Ge-
stalten auf und Akusilaos der Logograph1) ordnet sie in seine Genealogieen ein.
§ 4.
Die Lyriker.
Eis kann durchaus nicht als ein Zufall betrachtet werden, dass das grie-
chische Melos, die Lyrik s. str., von ihren ältesten Ausbildnern an das Schick-
sal der Niobe und ihrer Kinder in seinen Kreis gezogen hat, ja sichtlich in
sehr bedeutenden Liedern, voll tiefen Mitgefühles, aber auch voll lebendiger
Mahnung an die die Hybris strafenden Götter verherrlicht hatte. Zugleich
ist dabei wohl zu bemerken, dass es theils der Boden der äolischen und nörd-
lichionischen Küste Kleinasiens, theils Höotien, theils endlich Argolis war,
in dessen Bereich jene Dichter ihrer Geburt und grösstentheils ihrem Wirken
nach fallen. Alkman, der Sardier, dann auf lakonischem Boden eingebür-
gert (um Ol. 27 = 670) wird uns als Gewährsmann für die Gesammtzahl zehn
für die Niobiden genannt2), eine Zahl, die entschieden nicht zur homeri-
schen, sondern zur hesiodeischen Ueberlieferung in Beziehung steht. Ob
nicht der Boden Lakonikas eine Lokalisirung des Niobemythus darbot, wer-
den wir weiter unten kennen lernen, sind jedoch bei Alkman an die klein-
asiatische Heimath zunächst gewiesen. Die von Hesiod vertretene Zahl zwanzig
wird von Mimnermos, dem Elegiker aus Smyrna (um Ol. 46 = 594), der
die Kämpfe seiner Heimathstadt gegen Gyges so lebendig geschildert8), von
Pindar, von Bakchylides aus Keos (Ol. 82 = 450) den Niobiden gege-
ben4). Ganz davon abweichend, wie von der homerischen Tradition ist es,
wenn die Lesbierin Sappho (um Ol. 42 = 610) von zweimal neun5), der
Hermion eer Lasos(um500) von zweimal sieben Kindern der Niobe dichtet8),
eine Zahl, die in der weiteren künstlerischen Durchbildung des Mythus auf
attischem Boden — und Lasos lebte und lehrte in Athen — zur herrschen-
den fast werden sollte 7) .
1) Fr. 1 1. 12 bei Frgmta histor. graec. ed. Müller I.
2) Poetae lyr. gr. p. 654. fr. 106. ed. Bergk ; Ael. Var. hist. XII. 36: *AXxpitv Mxa
3) Paus. IX. 20. 4.
4) Poetae lyr. ed. Bergk. p. 332. fr. 19; Aelian V. Hist. XII. 36; Poet. lyr. p. 978.
fr. 63, Gell. N. A. XX. 7 : bis denos.
5) Poett. lyr. p. 69$. fr. 143, Gell. XX. 1.
6) Poett. lyr. p. *63. fr. 2, Ael. V. H. XII. 36.
7) Die Lyriker sind entschieden zu verstehen, wenn Nikanor zu II. XXIV. 604 erklärt
if Jtnlrj ort ol yfnitfQOi Jia<j tovovot. iregl tov aQt&poO raiv Ntoßrjg nuCöiav ol plv yttQ Jtxa-
tiocayas, ol Sk tlxooi toi«c Ntoßtfag Ifyovat.
32 Erstes Kapitel.
Jedoch nicht ganz allein diese nackten Zahlenangaben sind uns aus der
Fülle lyrischer Behandlung gerettet, nein drei kleine Fragmente lassen uns
wenigstens ahnen, welcher Schatz individueller Schilderung in ihnen uns für
unsere Aufgabe verloren gegangen ist. Der einfache Vers der Sappho :
Aaxia xal Nioßa f.idXa f.uv cpikai tjoav Szaigai l)
,,Leto und Niobe waren sich gar liebe Freundinnen" fuhrt uns auf einmal
in die einleitende wie im Volkstöne erzählte Scene der furchtbaren Katastrophe.
Nicht Göttin und sterbliches Weib, nein zwei gleichgestellte, nah verbun-
dene Genossinen treten sie uns entgegen, aber wehe, wenn dies Verhaltniss
zerrissen, wenn die mächtigere aber ärmere Freundin an ihrer empfindlichsten
Stelle verletzt wird! Pindar2) in einem doch wahrscheinlich an Apollon ge-
richteten Päan inmitten das Ilochzeitfest von Niobe und Amphion mit seinem
Jubel, seiner Musik ähnlich der Hochzeit von Peleus und Thetis vonKadmos
erschienenen ; da war es also, wo die lydische Harmonie diese gewaltige
Umgestalterin der musikalischen Weisen, zuerst gelehrt ward von Anthippos.
Ob nicht auch bei ihm, wie Statius 8) uns schildert, als furchtbares Echo dazu
die erste Anwendung phrygischer Klageweise des Todtenliedcs genannt war ?
Wie Pindar Niobes Stellung zu den Göttern grossartig und erschütternd auf-
fasste, können wir aus seiner Schilderung des Tantalos, des Vaters der Niobe
— als solcher war er gegenüber anderen Traditionen in herrschender Aner-
kennung — entnehmen 4) : da ladet er in die den Göttern liebe Stadt Sipy-
los, zum wohlgeordneten genossenschaftlichen Fest [tvvof.iwtatop BQavov) die
Götter, ihnen gewährend Mahl um Mahl (ätuoißaia delnva), der Götter Nek-
tar und Ambrosia hatte ihn unvergänglich gemacht, aber er kann das hohe
Glück nicht verdauen (yiaTa/titpai /niyav olßov , in derUebersättigunghat er
doch die Götterspeise entwandt und seinen sterblichen Trinkgenossen gege-
ben, fand er die masslose Ate, ewig vom Stein bedroht geht er alles Froh-
sinns verlustig. Bereits musste vor Telesilla (Ol. 67, 3 = 510) und zwar auf
böotischem und elischem Boden der Untergang der Kinder in der religiösen
Tradition und dem Lied gemildert sein, indem zwei, Tochter und Sohn ge-
nannt wurden, deren die Götter verschont. Die Namen Amphion und Chloris
weisen auf Theben und Orchomenos hin, Chloris, die Tochter des Iasiden
Amphion und der Persephone, welche Neleus nach Pylos folgte, war zur
Tochter Amphions und der Niobe geworden5;. Aber auch in Olympia führte
1) Athen. Xlll. 571 d; Bergk Poett. lyric. graec. p. (>74. fr. 31. Ueber den Ton der
Erzählung ». Weleker griech. Götterlehre I. S. 109.
2; Plut.de rausica e. 15, Bergk Poett. lyr. graec. p. 23n : JlfrJuQoe & fv llmitoiv inl
loU Nioßfj« ydfioig (ffjal uimHav uouovCar noüiov Jiäaxitijrui vnb *AvO(nnov. Dazu Bockh
ad Pindar. t. 11. p. 2. 573. *
3) Theb. VI. 122.
4) Olymp. I. 36—40. 55—65.
5) Schol. II. XI. 692.
Die Logographen. 33
die Logende bei der Stiftung der Hcräen durch Hippodaineia als Dankfest
ihrer Hochzeit mit Pelops Chloris, die gerettete Niobide als erste Siegerin
im Laufe dabei auf1 . Als Telesilla daher, die Heldin und Dichterin von
Argos, die Apollo und Artemis vor allem gepriesen, zwei Niobiden gerettet
werden liess, so war die Rettung keine neue, bisher unerhörte Wendimg der
Sage, aber specifisch neu war die Benutzung der lokalen Tradition über die
Namen dieser Kinder, indem sie sie Amyklas und Meliboia nannte2;.
Sie war specifisch argivisch und sehloss sich an das auf dem Markt von Argos
befindliche Letoon an, welches von jenen zwei geretteten Niobckindern ge-
gründet sein sollte, die im Augenblick der Gefahr bittend ihre Hände zu
I*eto erhoben ; eine Statue der Meliboia, die auch mit einem Jüngern Aus-
druck Chloris genannt ward, befand sich neben derjenigen der Leto, offenbar
in betender Stellung 3) .
§ 5.
Die Logographen.
In der Zeit der Perserkriege haben die Logographen bereits aus der
reichen Fülle abweichender Traditionen und Darstellungen für ihren Zweck
zusammenfassender Erzählung die gemeinsamen oder am meisten durchgedrun-
genen Grundzüge herausgehoben, in andern Punkten galt es dieser oder jener
Tradition sieh anzuschließen. Pherekydes von Leros, wesentlich zum Athe-
ner geworden und die attische Tradition vertretend (Ol. 74, \ =480) erzählte
im achten Buche der Genealogien die Niobesage4). In Hezug auf die Zahl
der Kinder folgte er der homerischen Tradition von der Zwölfzahl, sechs Kna-
ben und sechs Mädchen und zugleich erhalten wir von ihm zuerst die Reihe
von zwölf Namen genannt, über deren Stelhmg neben andern abweichenden
Reihen und Bedeutung später zu handeln ist. Nur will ich hier bemerken,
dass unter diesen Namen Alalkomeneus, Phereus auf Böotien, der letztere
vielleicht auch auf Messenien, Argeios und Pelopia entschieden auf Argos und
1) Paus. V. IH, 3.
2; Apollod. III. 5, 0: x«t« $\ TfXfailiitv !o(6ßr](j«r 1-iut'xXat xtt\ MtXtßot«.
l\) Paus. IL 21, 10 : rb Jt Ifoov rijf j4v\rovg tan ftlv uv (.inxnnv rov tootm(ov, Tfyi'1 «M
to uyaXfia nott$n{luvq* rrjv Jl ftxovn 77«(>« TJJ .'**£»> t^c ^no^rov XXmniy oro/uittovai, Nioßtji
u*v &vyai(ott tlvm Xiyonfg, MtXißoiKv «W xnXnaittti to Aj- nn/rj<; • (tnoXXvutviov tH 1)71o*j4ot£~
fitJof xu\ iJnoXXairoe tmv Aufflovoq nalÖtor n (Qiyerfoftfu fuoitjt' tiov aiTtXffon' tkvtfjv xn\
*stpAVxXavtntoiyfr(afrai öi (vhtu^i'ovgrr^inToT. MfXtßoiariH ovriodi] t# 7iit{ti<vT(xft Tf /honnr
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^ftjTOi toi' Vitor.
4; Pherecyd. Frgm. 1o2 in Müller Frgm. histor. graec. I. p. 95 aus Schol. IL XXIV.
(317 und Schol. Eurip. Phoeu. v. 159.
Stark, Xiobc. 3
34 Erstes Kapitel
Peloponnes hinweisen. Niobe ist Tantalostochter, ihr Unglück ist fernab
vomSipylos erfolgt, im Jammer kehrt sie nach Sipylos zurück, sieht die Stadt
im Erdbeben zerstört und über Tantalos den Stein hangend ; da fleht sie zum
Zeus ein Stein zu werden, so rinnen von ihr Thronen und sie blickt gen
Norden1).
Auch Hell an ik 08, Herodots Zeitgenosse hatte in seiner Atlantis 2) die
Sage erzählt, hierbei die Zahl der Kinder auf sieben beschränkt und deren
Namen bis auf den der in ein paar Handschriften erhaltenen Pelopia ganz
abweichend von Pherekydes angegeben. Dass er Sipylos auch als Stadt an-
erkannte, ist eine für uns nicht unwichtige, imStephanos vonHyzanz8) erhal-
tene Notiz, ebenso dass er bei Magnesia am Sipylos eine Quelle kannte, des-
sen Wasser Steine in den innern Theilen des Trinkenden absetzen sollte *, .
a «•
Die Tragiker.
Wir treten ein in den Kreis der dichterischen Werke, in welchen der
Tiefsinn der edelsten, sittlich geläutertsten Geister, die gestaltende Kraft einer
durchgebildeten, durch einfache Kunstformen in Zucht gehaltenen Phanta-
sie sich des antiken Mythus bemächtigte auf einem Hoden, wie Attika, der
am meisten unter allen griechischen Stätten befähigt war die bunte Mannig-
faltigkeit der landschaftlichen Sagen in sich aufzunehmen und mit religiösem
Ernst innerlieh zu einigen. Noch ist den attischen Tragikern der Mythus
etwas Lebendiges, im Volksglauben Wurzelndes, noch dringen sie zu den
letzten Urgründen mit richtigem Gefühle vor und doch ist er ihnen zugleich
eine ideale menschliche Geschichte ; sie gestalten volle menschliche Persön-
lichkeiten und fuhren die Conflikte des sittlichen Lebens zum poetischen
Abschlüsse.
Dass ein Mythus wie der der Niobe, des Tantalos und des Amphion, der
schon verwandtschaftlich dem specirisch tragischen Pelopidengeschlecht, wie
lokal dem tragischen Hoden von Theben so nahe stand, von den Tragikern
nicht zur Seite liegengelassen wurde, war schon von vornherein anzunehmen.
\) Schul. 11. XXIV. Ol 7 : ^»tQtxvdtjs Ji ft> rj', ij <M Ni6ßr\ inb rov a/tot teia/uj^tt ig 2Y-
jiuXov, xa\ ö()(( iriv noXiv «r*ffT(w^i«*V»/i» xul TarraX(p X(Uor iniX(}ftudf4tioi't aoürui &t Tip
4ihl Udo<; ytrfotitti, (>ti Ji (tutrjs Jdxova xui n{tog itQXior oqu.
2) Schol. Eur. Phoen. v. 15«, Müller Frgmta hist. graec. 1. p. 60.
3) S. v. 2(nvXog noXig <t>Qvy(tts: 'EXXüvixoq 'Itytttov 7?(><ut^. Sind diese Ifyfiui kein
Geschichtsbuch nach den argi vi sehen Priesterinnen geordnet ?
4) Aus t<x 7i (q\ Avötttv bei Sotion HsqI noiufuSiv xtu x(t¥}i<ov xiti Xifutvtur, in Müller
Frgmta histor. graec. 1. p. Ol. Aufmerksam daraufmacht Creuzer Symbolik und Mythol.
3. Aufl. IV. S.Tbl.
Die Tragiker. 35
Aber wir haben auch die ausdrücklichen Zeugnisse seiner vielfältigen Durch-
arbeitung. Tantal os, dessen letzte Katastrophe, wie wir aas Pherekydes sehen,
so eng mit der seiner Tochter verknüpft ward, scheint vorNiobe behandelt zu
sein. Phrynichos wenigstens (blühteOl. 67, 3= 511) hatte einen Tan talos
gedichtet1); Aristias brachte seinen Tantalos als zweites Stück nach Perseus
Ol. 78, t = 468 zur Aufführung und errang damit gegenüber der Oedipodie
des Aeschylos den zweiten Preis2); auch von Aristarchos von Tegea (blüht
Ol. SO, 3 sä 454), sowie von Sophokles kannte man Tragödien dieses Ge-
genstandes 8) . Ueber die innere Entwicklung des Mythus in diesen Tragö-
dien wissen wir nichts. Das einzige Fragment des Sophokles stellt der Kürze
menschlichen Lebens die Ewigkeit des Grabes entgegen, Aristarchos weist
auf einen Punkt hin, in dessen Erkenntniss Weise und Unweise sich voll-
ständig gleich stehen, bei denen Wissen und Nichtwissen, Schön- und
Nichtschönreden einerlei sind. Gewiss Andeutungen tiefen Ernstes über die
Gränzen menschlichen Wirkens und Wissens.
Vom Aeschylos ist uns kein Tantalos, aber eine Niobe bezeugt, und
zwar ak eines seiner gewaltigsten , durch Einfachheit wie durch Macht der
Worte imponirendsten Dramen, an dessen Prachtreden (Qyoeig) das attische
Publikum in der Zeit des peloponnesischen Krieges in dem Munde von ausge-
zeichneten Schauspielern, wie eines Oiagros sich besonders erfreute4), in dem
aber der innere Gegensatz zu dem jüngeren Drama des Euripides und dessen
Prinzipien scharf zu Tage trat5). Die wenigen Fragmente, welche uns erhal-
ten sind6), reichen nicht hin um den herrlirhen Torso mit Sicherheit zu er-
gänzen, aber ihre gewaltigen Worte lassen uns die Grossartigkeit des ganzen
Werkes, das wir dem Prometheus unter den erhaltenen Stücken am nächsten
verwandt uns denken müssen, ahnen und geben für die bestimmte Auffas-
sung des Mythus interessante Andeutungen. Gehen wir diesen möglichst
genau und unbefangen nach, aber üben wir auch die Kunst des Nichtwissens
da, wo die Grundlagen fehlen. Dass die Niobe als Glied einer Dreizahl eng
1} Hesych. 8. v. A/U(>«i'a; Nauck tragg. gr. Fr. p. 551».
2) Argum. Aesch. Sept., Nauck a.a.O. p. 28. 563.
3) Stob. Ecl. 11. I, I, Nauck a.a.O. p. 5IJ4 ; Stob. Flor. 121, 3, Nauck a.a.O. p. 203.
4) Philokieon, der Heliast erklärt in den Versen den Aristophanes (V. 579 f.; :
x«»* OlayQog iiaillh^ tffvytvr, ovx ttnotftvyti nqtv «r '/jü*V
fx rrje Nioßrjg ttntj Qijoiv rqr xnlUaTtjf ttnoX($«e.
5) Aristoph. Ran. v. 912— «20.
6j Ihre Sammlung inAeschylus ed. Godofr. Hermann. I. p. 352.355, Fragmenta tragg.
graec. ed. Nauck p. 3* — II und deren Behandlung in G. Hermanni de Aeschyli Niobe
dissert. IS23inOpuscc.Hl. p. 37— 5S; Welcker Aeschyl. Trilogie S. 341—353. Nachtr. 143.
Griech. Tragöd. LS. 30, Droysen Aeschylos' Werke II. S. 231— 235, Fritzsehe de Aeschyli
Niobe commentatio (Osterprogramm von Rostock 1*36;, Burmeister de fabula quae de
Niobe etc. agit, p. 44 — 63.
3»
36 Erstes Kapitel.
verbundener tragischer Stücke aufgeführt sei, entspricht dem trilogischen Sy-
stem des Aesehylos, doch in wieweit er dasselbe der Neuerung des Sophokles
gegenüber auch in späterer Zeit durchgängig festgehalten hat, wissen wir
nicht. Nichts weist uns aber darauf hin, dass die zwei andern Stücke, mit
denen Niobe aufgeführt wurde und mit denen sie in einem ideellen Zusam
menhange gestanden haben wird, demselben SagestofFe angehört haben, dass
wir es mit einer Niobea zu thuh haben. Und ganz in der Luft schwebt
endlich die Annahme Welckers und Droysens, so geistvoll sie auch ausge-
dacht ist, dass die zwei Titel: TQoqioi uiui IIqoho^iioi diesen zwei anderen
Stücken gehören, wobei Welcker die Niobe zum zweiten, Droysen zum dritten
Stücke macht. Im Gegentheil ist der bestimmteste Anlas.? den Titel T(>o<pol
dem Jiorioov TQoepoL identisch zu erklären und der andere entspricht dem
SagenstofF selbst nicht, der Niobe immer allein von Theben nach Lydien
ziehen oder versetzt werden lässt, so oft eine solche Wanderung überhaupt
angenommen wurde. Aus der schwierigen und vielleicht verdorbenen Stelle
der Poetik des Aristoteles (c. 1 8) !) ergiebt sich mit Sicherheit, dass die Niobe
des Aesehylos kein avottjfiia inonouy.bv oder noXi^v^ov war, also nicht die
ganze lleihe der die Niobe betreffenden Vorfälle enthielt, wie etwa eine ganze
'l'kiov 7i6QOig, sondern dass es den Mythus taxa. fiieQog, in einem, natürlich
entscheidenden Haupttheile behandelte.
Dieser Haupttheil ist aber klar in den Fragmenten, vor allen in der die
Grundlage unserer Kenntniss bildenden Stelle des Aristophanes (Ran. 910 —
925) gegeben. Euripides will in seinem Zweikampf mit Aesehylos zuerst be-
weisen, dass jener ein Grosssprecher und Windbeutel (äXaCwv xcci q>iva^j sei,
darauf aus die Zuhörer zu betrügen , die er als von Phrynichos gefutterte
Narren übernommen habe. Als JJeleg dafür fuhrt er au, dass er irgend Einen
eingehüllt hinsetze, einen Achilleus oder eine Niobe, ihr Gesicht oder Maske
gar nicht zeige, nur als Vorwand der Tragödie [nQüa%r^ia zrjg TQuyydiag) ,
der auch nicht den geringsten Laut von sich gäbe. Er fährt dann fort: „Der
Chor aber drängt Geschwader von Liedern der lleihe nach vier aufeinander
in einem Zuge, die aber schweigen [o di x°Q°S 7 rJQSidev uQfia&ovg av jueXwv
£(pe!;rJQ TtTzaQag ^vvex^9 ov oi (T iolyajv)". Weshalb that er aber das? fragt
Dionysos. „Aus Windbeutelei, ist die Antwort, damit der Zuschauer war-
1} Aristot. Khetor. et Poet. ed. Bekker. 111 edit. p. 109, 15 — 20: ZQtj öt — xal fdtj
ijoitiv {jionony.ot ai'artj/Lta TQaytoÖCay ' inoTtoiixhv J* Xfycj ro 7ioki?(Avi>oi> — orifutTov dl oöot
TitQOiv *Ik(ov o).rjv tiroirjoui' xiii fjr\ xurtt fttyos, atontQ EvQtn(ätig Nwßtjt' xal pi) diontQ A\-
a/uXog, tj ixTidiTovan1 tj xnxisig «yiorfcovTui, lnt\ xaVjiya&tav {^ntcrer ir loviip (.lory. Die
Worte nach iWo/tyr : xa) M*)ßnav fehlen in den besten Handschriften. Ueber den Namen
des Euripides an dieser Stelle und die vielfachen Emendationen ist weiter unten zu reden.
Ein Muster bodenloser Kritik hat Fritzsche an dieser Stelle geübt, der den ganzen Namen
Xiößrji' tilgt und ausserdem die Worte ganz versetzt. Dass der Satz als Parenthese zu xarä
utyot zu fassen ist und nicht zur 'fktov ntoon Beispiele bringt, liegt doch wohl auf der Hand.
Die Tragi '«er. 37
tend ruhig sässe, wann endlich die Niohe etwas reden wird. Das Stück ging
inzwischen weiter " „Und dann, nachdem er so geschwatzt und das Stück
bereits in der Hälfte stand, da sagt er wohl zwölf stiermässige Worte, mit
hochgezogenen Augenbrauen und Helmbüschen , so eine Art furchtbarer
Popanze, unbekannt allen Zuschauern/' Es folgt dann die Aufzählung sol-
cher auf Achill und den Kampf bezüglicher Kraftworte. Das ist der Schwulst,
die wuchtigen Ausdrücke (xu/irccra/* error, QrjfjctTa irrax&fj), die Euripides ge-
mildert.
Wir sehen also, die Gestalt des Achill und zwar in den (pQvyeg oder
TbtOQog XvxQa und die der Niobe in dem Stücke gleichen Namens werden
als äsehyleische Prototypen und einauder ganz correspondirend hingestellt :
hier wie dort sitzt die Hauptperson eingehüllt , sprachlos in Trauer die ganze
erste Hälfte des Stückes, wie dies vielleicht übertreibend gesagt ist für ein
Drittel. An ihr vorbei rauschen gleichsam die Reihen der Chorlieder, da
endlich erhebt sich die Hauptgestalt und spricht einige hochgewichige Worte.
Also der Tod der Kinder Niobes ist bereits erfolgt, die Rache der Leto durch
Apollo und Artemis vollzogen, Niobe sitzt so eingehüllt, wie der Biograph
des Aeschylos ausdrücklich sagt, auf dem Grabe der Kinder ') . Die Scene
irt daher nur am Sipylos zu denken, Dicht in Theben, wo nur eine ganz
lokale, von Euripides benutzte Tradition, deren Richtigkeit von andern ent-
schieden bestritten wurde, wie wir unten sehen werden, Niobidengräber
kannte. Einsam und verwaist (rj/iOQig, dies seltene Wort kam dafür im
Stucke vor2) sass sie auf dem Grabe über den Todten, einer Henne gleich,
über den Küchlein brütend [i(p^iivtj tdyov ztwoig e/cwCe toig ze&vrjxöoiv*).
Worin lag aber nun die Entwicklung und das Ziel des Stückes ! Welche
Persönlichkeit tritt mit ihr ein in den tragischen Conflikt .' Offenbar handelt
« sich hier um eine innere psychologische und um eine äussere gewaltige
Umwandlung : jene ist gegeben bereits in der homerischen Erzählung, dass
die in Trauer versenkte, hartnäckig jeden Trost, jede andere Uetheiliguug an
menschlichem Handeln und Geniessen abweisende Niobe geöffnet wird neuem,
milderem Lebensgefuhl, ja dass sie veranlasst wird endlich Zeus selbst anzu-
flehen um den Trost ewiger Wehmuth im Fluss der Thränen und einsamer
Wohnung im Felsgebirge. Dies wird als die einzige Lösung des tragischen
1; Vita Ae8chyli bei Aesch. ed. Herrn. I. p. 351. n. HM): iv /uh y«Q ry Ntoftrj, t(og
iQtiov fiiQovg (codd. TQtTrjg rifJii^ag) inixa^iju^vrj j([i jtitfty nor nrttÄtov ovölr tpfrfyyfiai.
ly***«lv[iidivTi. Die Conjectur des Victorius tqIiov [m£qovq halte ich mit Welcker gegen
G. Hermann, Fritzsche, Burmeister für richtig. Das dagegen angeführte Schol. Arist. Kan.
961, wo es vom Achill der Phryger heisst: og /ufyQ1 *p'G>*' fiptQ<ov ovSkv (fd-£yy€T«i, ist in
den Schotten des cod. Ravennas nicht vorhanden und sichtlich erst aus der Notiz von
Niobe durch Verwechselung herübergenommen.
2) Hesych. s. v. ypootg.
3) Hesych. s. v. *'/^tVij.
3S Erstes Kapitel
Conflikts ausdrücklich in den Ethopöien der späteren Rhetorik ausgespro-
chen1;. Aber wie schwer diese Umwandlung geworden, in welch hohem
Jiewusst&ein eigenen (iötterursprungcs Niobe lebt , das ergeben einzelne
Fragmente auf das Ergreifendste.
In ihrem Munde hat das herrliche aus dem Drama erhaltene Fragment
bei Stobäus2; vollste bittere Wahrheit:
Von den Göttern einzig nimmt der Tod kein Weihgeschenk.
Durch Opfer nicht noch Spend' erreichet du was bei ihm.
Kein Altar steht, kein Päan tönt zu ihm empor,
Von ihm, dem Gott allein die Peitho weicht.
l'nd Niobe spricht es aus, dass ,,sie gedenk sein werde des Tantalosgeschlech-
tes, der den Göttern Xahentsprossenen, denen auf idäischer Höhe des väter-
lichen Zeus Altar im lichten Aether steht, und noch nicht ist aus ihnen das
Götterblut verschwunden"* . Ihr mag ich auch am liebsten die vorwurfsvol-
len Worte zuschreiben, die Piaton von der Jugend seines Staates ferngehal-
ten wissen will :
„Den Anlas» schafft die Gottheit selbst den Sterblichen.
Wenn aus dem Grund ein Haus sie zu verderben strebt.4' *
Wir stehen auch nicht an die erhabenen Worte
tQ/opat, t( u avttg ;
,,ich komme, was rufst du mich?*4
welche Diogenes Laertius und Suidas als „den berühmten Spruch aus der
Niobe [to ex trtg Niofag)" uns im Munde des Begründers der Stoa, Zeno er-
halteu hat, wobei das Schlagen der Erde mit der Hand auch aus dem Drama
entnommen ist, mit Hermann und Burmeister lieber der Schlussscene der
äschyleischen Niobe, als der des Sophokles zuzuschreiben. In einem Erd-
I Aphthon. Progymn. c. II. in Walz Rhett, gr. I. p. H»3: «IIa ti ruvta odvoopai
TTttobr atrrjaat friovg kt£nav allag'noßat ifvair; uiav ttüv atv^ijuattav TtMaptu ivair fit-
taOTT)vai noog tat fujdh' aia&ttv6f*trit.
2, Senn. eth. 117:
Movog &iuiv yag Saratog ov JtüQtJV £(?«,
oifd* av ti &vt>v ovo* tntantvdtjr arotg.
ov ßatuog tativ ovdk 7iaitai(^itm,
uovov öl lind to Jatuoror anootatti.
Den ersten Vers spricht Aeschylos in Aristoph. Ran. v. 1392. Vgl. sonst Schol. Soph. El.
1*5, Schol. Eurip. Ale. 55, Suidas s. v. .iciyxoirog, Eustath. p. 744, 2.
3, Strabo XII fin. : AloyvXog aiy%u tv Tjj Xioßy ' *{qai yaQ txttrij junio&rjötö&at ttar
Titfti Tnrralor, oig tv 7J«fw naytriJiog nitt{ttjtov ßtopog fori. Plato de republ. III. p. 391 E :
ti Ctg yaQ ttvTio £ryyv<u[Atjv ($tt xaxoi ovti, ntio&ttg tag aya toiavta nQattovai ti xat t/rpat-
tov xa\, ol &(tov ay%lonoQOi ol Zrjvbg tyyvg cur x«t' fJaiov nayov ^Uog natQtpov ßtuuog
tat tv uldtQt, xovnto at\iv t££tr]lov aijja Jai/uoitür.
4 Plato de rep. II. 19 : oitf au, tog .-Jla^vlog liytt, tatfov tixovttr tovs vtovg oxt Otog
fiiv alxlav tfvtt ßqototg, oiai xaxtüam Jtojja 7itt(Ani\ütiv &£iy, all* tar rtg 7io*jj tv otg
ntvta tu fafißtia tvtati tu tfjg Xtofirjg naOr] xrl., auch Plut. de aud. poet. c. 2.
Die Tragiker. 39
•
beben, diesem unterirdischen Donner des Zeus, da wird Niobe zum Eingehen
in das Felsengrab aufgefordert, und sie folgt der Stimme1).
Und noch bedurfte es dazu des Zusammentreffens mit einer andern Ka-
tastrophe. Niobe ist mit der Asche ihrer Kinder zum Vater, zu Tantalos ge-
gangen, auf ihm ruht ihre Sicherheit, noch das Gefühl ihrer Stellung gegen-
über dem von Zeus gesandten Geschick. Tantalos ist entschieden neben
Niobe die bedeutendste Rolle im Stück. Wir begreifen nun vollkommen,
warum Aeschylos keinen Tantalos daneben noch gedichtet. Er tritt auf mit
dem Vollgefühl seiner Reich thümer, seines Besitzes.
„Zwölf Tagereisen Weges wird mein Feld gepflügt,
da« Land ßerekyntos, drinnen Adrasteia wohnt.
Vom Stiergebrüll, von meiner Lämmer Blöken hallt
Der Ida wieder, hüpfend wimmelt alles Feld'* -Droysen). *)
Aber mit demselben Tantalos muss im Stück eine furchtbare Veränderung
vor sich gegangen sein, denn er ist es, der, wie Plutarch in der angeführten
Stelle hervorhebt, bald nach jenen Worten es ausspricht :
,,l)och mein Geschick, das oben in den Himmel reicht,
Zur Erde sinkt es nieder und gemahnt mich so :
Dass Menschliches nicht allzuhoch zu achten, lernV'j
1) Diog. Laert. VII. 27: irtltvra tf£ ovratg' ix rrjg o/olr/s dni(ov nQoainTaiae xal
rbv ddxrvlov TrfQi^oQrj^f na(aag öl rr)v yfjv rjj x*Q* , ff fjoi rb Ix rrjg Nioßr\gm ty^o/uat, r(
u autig, xal nrtnrt/nrjucc {rtlfUTTjotv dnonv(^ag iavrov ; Suid. s. v. avttg; ohne Angabe
des Ursprungs der Verse iL p* ßoug bei Lucian. Macrob. I!). Zur Sache selbst s. die Stellen
bei Welcker gr. Trag. I. S. 294, Burmeister p. 54, auch Nageisbach nachhom. Thcol. 211).
Wenn die Glosse bei Photios von voßaxC£uv tb oyxovfievoi' joig Saxrvlotg av[ti}>o<f-t7itm
nuauog Ntoßq richtig ist, hätten wir hier einen seltenen drastischen Ausdruck für das mit
Erdbeben erfolgende Geräusch und haben an eine solche Scene in der Tragödie zu denken.
M. Schmidts Conjectur in Philol. VII. p. 750 5 otiar^oig 'loßag ist nur scheinbar an-
sprechend.
2) Strabo XII. *. Plut. de exil. in Mor. p. tilMa :
an&lQvt (T ctQOVQav d(6rSt/ ryuiQiJov btiov,
BtQfxuvra xtoQov, h'&* jldQUOttlag 'idog
uf(Srj re fivxq&jdotoi xal ßQV^rjfxaOi
tQiovot jutjiüjv, nav J* tyfy&ti [l(>£x&eovt iftixfrtrat all. codd. lect.) niüov.
Ueber frühere Emendationsversuche dieser vielbehandelten Stelle s. Burmeister p. 45 f..
neuere s. Nauck 1. 1. p. 40, die von ihm recipirte Lesart n^novat für €Q7iovot hatte vor
Ahrens wesentlich G. Hermann in nyfnovoa gefunden, doch ist sie trotz der bekannten
Verbindung ßoa n^inu schwerlich richtig. Warum nicht fdxovai? Für Iq(x&h bat Casau-
bonus das Richtige längst gefunden, oQtx&&t, besonders wenn man vergleicht die Worte
des Aristias bei Athen. II. p. 60 B. : fivxaioi <f' ajp^fct to kd'ivov ntJor. Was das von
Xauck vorgeschlagene *Eq4x&*10V ntäov soll, ist mir unverständlich.
3) Ov/ubg <ft 7ioi fiog (codd. &vfi6g cFi nof? dtu6g; ovQavo) xvqwv dvt>
£(*«£* ninru xal fit n Qootftovti rdJt •
yivojGxc ■tuyüooixeia fir) ofßttv ayav.
40 Ernte« Kapitel
Diese innere Umwandlung beruht aber nothwendig auf schweren Schicksals-
schlägen ; Tantalos erfährt das Loos seiner Tochter, den Untergang der gan-
zen blühenden Nachkommenschaft, aber es ist nothwendig, dass auch ein
Umsturz seiner Herrschaft, seines Besitzes erfolgt ist, wie er im Untergang
von Sipylos bei Pherekydes bezeichnet ist und bald Naturgewalten bald
1 feindlicher Kriegsmacht zugeschrieben wird.
Ein G o 1 1 ist es, der einer Niobe, einem Tantalos gegenüber die gott-
liche Allmacht, das nothwendige Mass des Menschen, auch des titanenhaften,
des göttlichen Ursprungs stolz bewussten Menschen vertritt, durch den end-
lich die Milderung des Unglücks gewährt wird Man kann an Hermes oder
Iris als Vermittler denken, jedoch ist das Auftreten des Zeus selbst ein wohl
mögliches. Zeus' Worte sind es wesentlich, mögen sie von ihm selbst gespro-
chen, oder durch eine Mittelsperson überbracht werden, die in der Parodie
des Aristophanes in den Vögeln dem neuen Zeus, Peisthetäros in den Mund
gelegt werden1) :
,,I)en Palast ihm selbst und des Amphions Prachtgemach
Einäschern werd* ich mit der Adler Feuerbrand.'*
Es ergiebt sich, dass die Zerstörung des Wohnsitzes des Tantalos und die des
Amphion durch Donner und Blitz hier zugleich angedroht wird, wie sie
auch der Sage nach bei beiden erfolgt war und zwar für Amphion nach dem
Untergang seiner Kinder. Man hat aus dieser Stelle schliessen wollen, dass
Amphion auch eine Rolle in dem Drama gehabt habe ; ich glaube, eher das
Gegen th eil geht daraus hervor, gerade auf den fiilad-Qa [up avzoi liegt aller
Aceent, die Worte xat dnfiovg JfuyioYog beweisen, dass Amphion gar nicht
angeredet ward, er nur als Nebenperson neben Tantalos behandelt ward. Aus
Tantalos' Munde selbst oder des Boten scheinen die Worte zu stammen, die
Tantalos' und Amphions verwandtschaftliche Verbindung als eine solche, die
,, weise Männer mit weisen'* gepflogen, bezeichnen.2)
Noch haben wir auf zwei Bestandteile der Tragödie hinzuweisen, auf
1) Av. 1247. 4S : MiXadQtt ulv avrov xal tio/iovg 'AfHftovog
xaTKiftakioOüt nvQffonotoir txtroig.
Schol. zu xat öofi. 'Autf . : ix Ntoßrjg ^ita^vlov • ig{oQi7tT(ti (J^ i' *Ainf(ovog ix /uortpdiag, von
Hermann emendirt : iitoQctniat Sl jo l-f/itfiovog ix n (iQqtöfag Uebrigens hat Hermann
auch die früheren von Iris gesprochenen Verse :
(o u(öo( u(oq(, fjrj 9(tov x£i€t t/-Q£vag
cf* trete, o7i (og fit] aov yivog nttvtoktdnov
jiltbg uaxilXr^ nav at'aaTQi^'rj .i(xi)
in ansprechender Weise der Niobe zugewiesen und lässt sie den andern vorausgehen. »Sollt*
in den Worten : Avdbv tj <t>{)vyu nicht auf Tantalos angespielt sein ?
2) Philostr. v. Apoll. IV. lti. p. 71, 27 ed. Kayser: aotfoig yitQ nQog aotfoig initqJtta
1 nach Morellus: senarius ex Aeschyli Nioba, von Hermann emendirt : tag ooif-oioi naog ao-
tjoug eon xrjöfitt.
Die Tragiker. 41
den erzählenden Boten, der in der ersten Hälfte, während Niobe schweigt,
den Untergang der Kinder in ausführlicher Darstellung Tantalos gemeldet
haben wird und auf den Chor, von dessen vier gewaltigen Gesangescolonnen
Aristophanes spricht. In der Erzählung des Boten haben wir auch die aus-
drückliche Erwähnung, ja wohl auch Einzelauffuhrung von der in Knaben
und Mädchen sich wiederholenden Siebenzahl zu suchen ; darin hat Aeschy-
los auch auf Sophokles und weiter bestimmend eingewirkt; wir haben sie
bereits bei Lasos von Hermione gefunden.
Woraus bestand der Chor* Diese Frage wird man sich immer wieder
aufwerfen, wenn wir sie auch aus den Fragmenten bis jetzt nicht mit Be-
stimmtheit beantworten können. Dass ihn Frauen oder Jungfrauen bildeten,
erscheint der Hauptperson und auch der Handlung selbst angemessen ; wei-
ter können wir sagen, gewiss waren es aber nicht Thebanerinnen , da die
Scene am Sipylos spielt und eine solche Begleitung in der ganzen Ueberlie-
ferung keine Stütze findet. Man kann an einen Chor sipylenischer Frauen
oder Jungfrauen denken, die die Königstochter und Königin mit lebendigem
Mitgefühl empfangen. Aber ich glaube, die ganze, den göttlichen Charak-
ter der Hauptpersonen so laut bezeugende Auffassung des Aeschylos weist
uns noch weiter und die Analogie mit dem Prometheus, die sich uns unge-
sucht aufdrängt, die, wie wir sehen werden, die bildende Kunst mit Bewusst-
sein herausgebildet hat, kann uns dabei leiten. Sollten es nicht, wie dort der
Chor der Okeaniden sich um Prometheus sammelt, so hier einChor von
Quell- und Flussnymphen sein, der Niobes Schicksal mit lebendigster Theil-
nahme umgiebt, auf sie mit einwirkt, selbst in der Verwandlung zum thrä-
nenden Fels eine tragische Lösung und Milderung des Leides zu finden (
Nymphen und zwar acheloische sind es ja, die dort am Sipylos den Reigen
fuhren und dann sich ausruhen auf dem Lager im einsamen Gebirge bei
der thränendeu Niobe, wie wir in der homerischen Stelle gesehen Man hat
das Fragment1)
„oft zeuget Istros Jungfraun solcher Art'4
auf den Chor bezogen als den Ausspruch eines, welcher, wrie Tantalos oder
wohl besser ein Bote die auffallende, ungewohnte Erscheinung derselben nach
ihrer Herkunft zu deuten sucht, und dabei an des Pelasgos Vermuthungen über
1) Hephaest. p. 7, Priscian. Instit. I. i). Gramm, fragm. post. Prisci. I.V. (I. p. 3W. lt»2
ed. Hertz); Eust. Öd. p. 1665, 3S. Die Lesart fÄVrjOTtvt t«i, die G. Hermann u.a. verthei-
digen, ist ganz unzulässig, ebenso wie die Beziehung auf die Niobetöchter. Dagegen ist
zu bekennen, dass das von G. Hermann angenommene olatnog für "/arpo? bei Eustathius
wirklich steht und nach dem Zusammenhange, wo von der Kürze einzelner Diphthonge,
speciell des oe gesprochen wird, von Priscian gelesen ward.
42 Erstes Kapitel.
dieDanaiden angeknüpft1). Vielleicht mit Recht, aber dann werden wir nicht
auf Amazonen, wie Burmeister meint, die mit dem Ister nichts zu thun ha-
ben, noch weniger auf istrische Trachten, an die Thebanerinnen mahnten,
auch nicht auf Hyperboreerinnen hingewiesen, sondern auf die Natur des
Chors als Wasserjungfrauen und dabei mögen mehrfache Gegenden, wo sie
heimisch seien, genannt worden sein. Jedoch sind dies alles nur Möglich-
keiten, keine Gewissheit.
Ehe wir uns zur Tragödie Niobe des Sophokles wenden, ist es gera-
then die gelegentlichen Berührungen derselben in den erhaltenen Stücken
ins Auge zu fassen, die nicht zahlreich, aber von höchstem Interesse und
grosser Schönheit sind. Es handelt sich um zwei Stellen, um Antigone Y.
622 — 838 und um Elektra V. 150- 152. Antigone wird aus dem Palast ge-
führt den letzten Gang zu dem Felsgemach, das als Todtenbehausuug sie die
Lebendige aufnehmen soll, da ergiesst sie in einem Kommos, bestehend in zwei
Strophen mit Gegenstrophen und Epodos, die ergreifende, einfach mensch-
liche und jungfräuliche Klage um ihr Schicksal, ihre eigene Todtenklage.
Lebendig führt sie fort der allbettende Hades zum Ufer des Acheron, untheil-
haftig der Ehe, unbesungen vom Hochzeitslied. Der Chor sucht sie zu trö-
sten, dass sie ruhmvoll, in edler That nicht von fremder Gewalt getroffen,
aus eigenem Entschluss (avTOvofAog) und zwar sie allein von den Sterblichen
lebend zum Hades hinabsteigen wird. An diese letzten Worte (an das tßZoa
(.invrj dfj) knüpft nun Antigone wie sich zum Tröste (mit Ijxovoa dtj) die Schil-
derung der vor ihr bereits lebendig in ein Felsengrab gegangenen Niobe;
es ist eine alte Mähre und nun fühlt sie sich jener so ähnlich gebettet. 2j
1) Aesch. Suppl. 278:
xal Ntilog av dgiif/fii loiovior (fiioi .
2) *Hxovoa dij IvyQOidiav oktoüai
räv *t>Qvylav 1-irav
Tavtnkov Zmvlu* nQog a —
XQQt tav xiaobg tos artvrjg,
TitiQaCa ßXdara ödpaatv,
xai viv ofjißffOt xaxo^ivav,
tog tf litis avö()(dr,
yiiov t* ovdafik Xtlnti,
rfyyti <T vn 6(fQV(Ji nayxlavroig öfioddng • t< fif
ünCiMov ofjtotordiav xartwaCti.
XöQCg.
jikla &iog rot xal &toytvtjg
tpttg <f£ ßQorol xal &vfi%oytvklg,
xa(xov tf&ifiivq fiiy axovaat
ro ig ioo&totg avyxkrtf>a laztiv
£ü>0ar xal inttra 9avovoar.
Ueber den kritischen Zustand der letzen Verse s. Meineke Beiträge z. philol. Krit.
Antig. des Sophokles. 18<>1. S. 3.'* ; für &*oytvyg schreibt er tetoytvqg, und 10T01 &toia
für iaoih'oig.
Die Tragiker. 43
„Ich hörte, wie Tantalos* Tochter, jene
Phrygerin, jammervoll
Einst auf Sipylos* Höhe erstarrt;
Gleich des Epheus schlingendem Grün
Rankt um sie der sprossende Fels ;
Rastlos zehrt der Regen an ihr,
Lautet die Sage. Der Schnee lässt sie niemals
Und badet unter den thranenden Brau *n
Ewig den Busen ihr.
Also bettet der Tod zur Ruh' auch mich.*' (Donner).
Der Chor beschränkt diese Aehnlichkeit zuerst in den Worten :
Ja, sie war Göttin göttlichen Stamms
Wir Sterbliche nur, von Menschen gezeugt,
doch fügt er tröstend hinzu :
Doch gross ist auch des Geschiedenen Ruhm
Das Geschick Gottglcicher zu theilen.
Antigone glaubt sich in ihrem Unglück zunächst durch diese Worte verspot-
tet. Im Schlussthrcnos dieser Scene führt der Chor dann die Heispiele der
Danae, des Lykurgos und der Kleopatra als Parallelen zum Schicksal der
Antigone vor.
Hoch bedeutsam ist in dieser Stelle das lebendige Bewusstsein des Cho-
re*, wie Niobe hoch über die jüngere Heroenwelt, zu der ja das Geschlecht
des Oedipus gehört, hinausragt, ja, dass sie Göttin, Göttern gleich, Gott
entsprossen sei gegenüber dem sterblichen, rein menschlichen Geschlecht ;
daher ein Vergleich nicht eben zulässig erschien. Damit stimmt ganz, dass
Antigone auf Niobe nicht als Verwandte, was sie gar nicht war1), noch als eine
zeitlieh nahestehende Heroine hinweist ; nein sie hat von ihr gehört, es ist eine
Sage unter den Menschen und über menschliche Anschauung hinausgehoben
ist ihr Schicksal. Wie ein fernes Gebirgshaupt, so blickt die Gestalt der
Niobe hier in die jüngere Sage herein. Aber das Schicksal der Niobe ist
auch nicht blos eine einmal erfolgte Thatsache, nein, noch lebt sie fort im
Felsgebirg, umkleidet vom Wuchs des Gesteins ; Schnee und Regen verlässt
sie nie und auf ihren Hals und Nacken rinnen ihre Thränen. In meister-
hafter Weise ist im Doppelsinne der Worte (vre rxpQiai — deiQadag) die mensch-
lich körperliche und zugleich die Gebirgsnatur derselben ausgeprägt.
Wieder in einem Threnos ist es, dass Sophokles Elektra der Niobe ge-
denken lässt, also auf argivischem Boden und im Hereiche des Pelopidenge-
schlechtes. Während der (/hör die die Spende an des Vaters Grab darbrin-
I) Wie Schneidewin oder Nauck Niobe eine Ahnfrau de« Geschlechtes der Antigone
nennen können Antigone. IV. Aufl. S. 105) begreife ich nicht. Das Haus des Laios hat
mit dem des Amphion und Zethos nichts zu thun. Auch der Anstoss, den sie an laottt'oit
nehmen, ist ungerechtfertigt, denn footttog ist nicht Antigone, wohl aber Niobe.
44 Erste* Kapitel.
gende, die Klage erhebende Elektra zum Mass darin mahnt, erklärt sie für
einen Thoren, wer die jammervoll dahin geschiedenen Eltern vergisst. Sie
fährt fort ■ ) :
Aber zum Sinn mir stimmet die klagende,
Ewig den lty«, den ltys bejammernde
Flatternde ßotin des Himmel», die Nachtigall.
Und dich allduldende ehr* ich als Göttin, o Niobe,
1 )ie du im Felsengrabmal
In Thranen stets bist.
Auch hier also wird die Göttlichkeit der Niobe betont, hier ist sie Vorbild
nie endender Trauer. Interessant ist die Zusammenstellung mit Aedon oder
Philomele, der klagenden, verwandelten Itysmutter, deren tiefere Begrün-
dung wir später kennen lernen werden.
Die Tragödie2) Niobe des Sophokles ist uns leider nur aus noch be-
deutend spärlicheren und kürzeren Anführungen bekannt, als die des Aeschy-
los, aber auch diese legen ein interessantes Zeugnis» für die in der Natur des
Sophokles und seiner Stellung als jüngerer Dichter Aeschy los gegenübergege-
bene ganz neue Auffassung des Stoffes ab. Es ist vor allem nicht der Schluss-
akt des Mythus, nicht das Yerhältniss Niobes zum Tantalos und zur Götter-
weit, der sie sich ebenbürtig weiss, das bei ihm das Drama füllt, nein es ist
die Katastrophe der glücklichen, nur zu glücklichen Mutter mit ihren Kin-
dern, es ist die Entwickelung der Schuld, aber auch ihre Sühne und innere
Lösung, die der Dichter den Zuschauern vorführt. Aber ebenso sehr dürfen
wir nicht bei ihm die in den obigen Stellen so klar ausgesprochene göttliche
Stellung der Niobe, die hier speciell zur Lcto und deren zwei Kindern sich
ausgesprochen haben wird, gegenüber der menschlich psychologischen Ent-
wickelung aus dem Drama verschwunden denken.
Zunächst wissen wir, dass Sophokles die Oertlichkeit des Unterganges
der Kinder nach Theben verlegt und hier wesentlich sein Drama spielt,
dass er sie selbst dann nach Lydien gehen lässt3). Ob die letzte Scene
1) V8. 1 47 : 141V ffti y « arot'otaa aQctQt ifQfvag,
a"ltvv, aHv"ltvv oloifvytTai,
OQttg Arv^ofAiva -Uog uyytlog '
id) naviXtxfAwv Nioßa, ai tV tyutyt rfuto tftrir,
ar iv T(ttfti> 7itr\)atn
aUtl dnxQVttg,
2) Fragmente in Nauck Tragg. poett. frgmta. p. JM — 1*2. Ein Einfall Gotyfr. Her-
manns ein Satyrdrama darin zu sehen (Opuscc. III. p. 3*) hat Fritzsche de Sophoclis Niobe
in Euphrosyne I. 1. p. :i2 — 50 vergebens weiter ausgeführt. Uebrigens hatte Hermann
die Schilderung bei Övid zuerst wesentlich als auf Sophokles basirt bezeichnet, was dann
von Burmeister (de fabula etc. p. 63—71) und Welcker -griech. Tragöd. I. S. 2S<>— 29<i)
weiter ausgeführt ist.
.'$; Eustath. 11. p. 1307, 22 : 2Lo<foxXrjg Ji tovg piv naitiag avrtj iy Gtjßatg anoXio&cu
yqafr, «t'ir^ J£ ftg .1vö(av IXfttTr.
Die Tragiker. 45
wirklicn in Lydien spielt am Sipylos, oder blos das Hingehen dorthin ausge-
sprochen wird, ist nicht sicher ; aus Eustathios scheint mir das Erstere mehr
hervorzugehen und wenn wir in der oben besprochenen Stelle der Poetik des
Aristoteles -SoqpoxA^g für EvQucidrjg entweder unmittelbar setzen oder ein Ge-
dächtnissversehen im Citiren annehmen, so wird im Gegensatz zur Einfach-
heit der aeschyleischen Anlage die Doppelheit des sophokleischen Stückes
geradezu anerkannt. Jedenfalls handelt es sich dann nur um die Verwande-
lung der Niobe, nicht um ihre Beziehung zu des Tantalos Schicksal. In der
Zahl der Kinder hat sich Sophokles an Aeschylos angeschlossen, beide
hierin dem Einflüsse des apollinischen Ideenkreises folgend, wir haben sieben
Töchter und sieben Söhne bei ihm !) .
Die Entwickelung der Schuld und des durch sie bedingten Verhältnisses
wird von Sophokles im Eingang, der Anlage all seiner Stücke gemäss, beson-
dere trefflich gegeben sein. Wir werden wohl einen Conflikt mit apollinischem
Cult und dessen Vertretern Manto in Theben, wie ihn Ovid giebt, als sehr
wahrscheinlich bezeichnen, doch fehlt es dabei an äusseren Zeugnissen. Aus
der Schilderung des Untergangs der Niobiden selbst, mag diese nun wirklich
dargestellt oder im Bericht vorgeführt sein, sind uns einige wichtige Züge
erhalten Zunächst berichtet uns Plutarch im Erotikos 2) als Beleg, wie sehr
Eros Kriegsmuth und Tapferkeit gebe, dass einer der Niobiden des Sopho-
kles, während diese von Geschossen getroffen werden und fallen, keinen an-
dern Helfer noch Kampfgenossen aufruft, als den Erasten, seinen Liebhaber
mit den Worten :
(o a/j(fy iuov arttlai
o, umfange schützend mich*;.
Darauf bezieht sich auch die Stelle in dem dreizehnten Buch des Athenäos4),
das auch ein Erotikos zu nennen ist : ,,so sehr ist ein Liebeleben in Gunst
,, gewesen, so wenig hat man den der Liebe Ergebenen für anstössig gehal-
sten, dass selbst Aeschylos, ein so gewaltiger Dichter, und Sophokles in den
,,Tragödieen die Liebe auf die Huhne brachten, jener in dem Verhältnisse
,,des Achill zu Patroklos, dieser in der Niobe die Liebe der Söhne. Deshalb
,, nennen auch einige die Tragödie eine päderastische und dergleichen Lieder
,, nehmen die Zuhörer gern auf." Also wie das Freundschaftsverhältniss von
1) Schoi. Eur. Phoen. v. 159; Lutat. in Stat. Thebaid. VI. 124.
2) Mor. p. 760 D.
3) Twv phv yaQ rov Zotfoxktovf Nioßiöuiv ßakXotitttav xit) övrioxorrwr üvuxalttiat ti*
oi&£ya ßorj&ov aXXov ovJl av^tfia/ov rj rov lg«OTt)v ,,öj «t*<f* ipov arftkai".
4) Athen. XIII. 75. p. (>0I : ovrut if fattyiaviog t]v r) m^X r« lounxa n^ay^ttjt(u xal
ovd*U iiyttTo tfOQTixovs rovs iQiorixovs. war« xal Ata/vlog pfyas wv 7totfjrr)s xu\ Zoyoxlijs
riyov €?c t« &£aTQ{t Jta TW»* rQaytpJtdir rovs tywra?, 6 pfo rot' 'A/tlkitos 77(>of HaTQOxlov, 6
J* fr t9j Moßij toi» rtav na(tiun" tfio x«i naidkQtuJTQtai nvts xalovot xr\v TQuyipMav xnl
1&£%ovto tat roiavia ^a/uurtt 0/ &tara(.
46 Erstes Kapitel.
Achill und Patroklos zur leidenschaftlichen Jünglingsliebe sich umgestaltet
hatte, und so von Aeschylos unverhüllt in den Myrmidoneii dargestellt war,
wie die Fragmente vj erweisen, so haben die wegen ihrer Schönheit in allen
Formen der Sage gepriesenen Niobiden ihre Liebhaher, um so mehr, als ge-
rade in Hieben, wie in Elis dies Yerhaltniss ein durchaus in der öffentlichen
Meinung anerkanntes, selbst in der Bildung der heiligen Schaar wie im Zu-
sammenhang mit der Blüthe dortiger Athletik gepflegtes war2). Ja ich
möchte fast dieses Erastenverhältniss unter den Brüdern selbst bestehend
glauben und so vom Dichter jene zarte brüderliche Hülfe angedeutet finden,
die die plastischen Werke uns mehrfach vor Augen führen. Offenbar waren
es aber nicht blos jene paar Worte, die dieses Erastenverhältniss erratheil
Hessen, sondern es musste dieses ausführlicher hervorgehoben sein. Nun
giebt aber die Stelle Piutarchs uns unmittelbar einen Trimeter ovdtva ßotj&ov
aXXov ovdi ai^ifiaxov9 „zum Helfer niemand anders noch als Kampfgenoss"
der dem Dichter angehört. Dieser aber kann nur in einer Erzählung vom
Tode, in einem Berichte über die letzten Schmerzensworte und Hülferufe
der Sterbenden seine Stelle finden, dagegen nicht in einem Dialog auf der
Bühne selbst zwischen Erasten und Niobiden. Und so werden wir dadurch
auch entschieden dazu gedrängt den Tod der Söhne, wie er bei Hieben im
Bereiche des Gymnasion eintrat, wo auch die Erasten als gegenwärtig
gedacht werden, die in oder bei dem Elternhause nichts zu thun haben, als
nicht geschaut, sondern in einer jener meisterhaften sophokleischen Erzäh-
lungen des Pädagogen uns vorgeführt zudenken. Welcker (a. a. (). S. 290. 291)
hat, ohne auf jenen Trimeter aufmerksam zu machen, in schlagenden und
feinsinnigen Worten, besonders in Rücksicht auf die weise Sparsamkeit der
alten und ächten Kunst diese Auffassung weiter durchgeführt.
Was Friederichs3) dagegen von ästhetischen Gründen vorbringt, vor
allem dass das Drama in einem Moment alles geben müsse, was das Epos als
nach einander geschehen darstelle, kann ich nicht als treffend anerkennen.
Es tritt bei ihm zu sehr das Bestreben hervor, die plastische Anordnung in der
dramatischen genau vorgebildet zu finden, mit einer Verwischung des selbstän-
digen Verhältnisses dieser zwei Kunstgattungen. Im Gegentheil ist diese stu-
fenweise Entwickelung und Steigerung des Unglückes, wie sie uns Ovid4}
vorführt, auf dessen Schilderung sowohl Hermann als Welcker als wesentlich
durch Sophokles bedingt sich hingeführt sahen, in sophokleischer Composi-
1) Nauck p. 32-33. n. 131—133.
2) Welcker a. a. O. S. 290. Anm. ti weint darauf mit Recht hin, vgl. noch die ausführ-
lichere Besprechung böotischer Sitte hei Hermann Staatsalterth. $ 1 S 1 , Becker Charikl.
II. S. 21S. 219. 2. Aufl.
3) Praxiteles u. die Niobegruppe S. t>5. tf9.
4) Metam. VI. 202 ff.
Die Tragiker. 47
tion trefflich begründet. Und dann, wo können wir in einem uns erhaltenen
Drama eine Parallele finden zu einer Seene, wo also vierzehn Menschen unter
verschiedenen Ausrufungen sichtbar hingemordet werden von zwei auf dem
Theologeion erscheinenden Gottheiten, wo die Mutter zwischen diesen schwir-
renden Pfeilen selbst auftritt, ja nicht genug, wo wir ausserdem zu den Kna-
ben und Pädagogen uns Erasten, bei den Mädchen Trophoi oder sonstige Be-
gleiterinnen anwesend denken müssen? Gewiss ein für das Auge verwirren-
der, kaum mehr tragisch wirkender Anblick.
Ein kleines Fragment gehört sichtlich zu der folgenden Scene, wo die
Leichen der Söhne auf die Bühne gebracht sind und bei ihnen die Schwe-
stern klagend in mannigfachen Berichten der trauernden Liebe auftreten.
Die Worte1):
H yccQ (ptlff 'yto raiyJf rov 7rgo(ftnT^Qov
„des Aeltern unter diesen Freundin war ich ja*'
können nur aus dem Munde einer Schwester recht gefasst werden und zwar
gegenüber den dem Hörer sichtbar vor Augen gerückten todten Brüdern,
schwerlich aus dem Munde einer Trophos.
Dass diese dagegen nicht gefehlt hat in einem Stücke, wo das tragische
Ende der Töchter wie der Söhne so sehr in den Mittelpunkt des Ganzen ge-
rückt war, liess sich nach aller Analogie vermuthen, aber wir haben auch
noch Verse voll rührender mütterlicher Sorgfalt für Neugeborene2), die , jener
tragischen Wärterin der Kinder der Niobe" in den Mund gelegt und welche
ganz bestimmter sprachlicher Wendungen wegen ebenso sehr, wie wegen
des vorausgesetzten allgemeinen Bekanntseins {rj TQayixi] TQoq>6g bteivr]) seit
Vtlckenaer mit vollstem Rechte der sophokleischen Niobe zugeschrieben
weiden. Die Wärterin ist es, die da
„mit Stücken feingewebten weichen Wollgewands
bald wärmend sie, bald kühlend Müh an Mühe reiht
Der Nächte Arbeit tauschend nur mit Tagsgeschäft."
Mit nicht ganz gleicher Sicherheit können wir dem Threnos der Niobe
in diesem Stücke die schönen Worte zuschreiben, die uns Plutarch in der
1) Schol. Hom. 11. V. 533; Od. VIII. ISO in Bezug auf die Form rj neben r)i\
2) Plut. tSympos. VI. 6 (Mor. p. 691) : botorits ort Tavrb iuiutov lv xttfiiüvt dtopai-
rttvlr <ft jji/<p y v%tiv yiyoviv woneo i\ TQayixrj T(totfo9 txfh'Tj r« rrjs fttoßqg linva Ti&rjrtiTCu
ItnTOOnn&TjTcov ^Xnviöiiov tot in toi g
Salnovaa xal ypv^ovaa.
Ikunore prol. 4 (Mor. p. 496): (die Mutter des eben geborenen Kindes) drtUtro xal
1l<W|rfff«To pi\dtv if6if — xaQUovptvi] firjJk xQ-yoipor, all* tmnavtos xal iaXuintuQü)$ araät-
Onanydviür igtinfoig
ddlnovoa xal tyvxovoa xal novtp novov
Ix vvxrog älldaaovüa iov xa£* i)^Qav.
*&'• N&uck frgmta tragg. p. 652, der mit Recht ylavidCiur, nicht ojiaQyiivvjr als Ursprung-
es Wort festhalt.
48 Erstes Kapitel.
Trostschrift an Apollonios über den Verlust eines Sohnes aufbewahrt hat ;
„es sei Sache eines verständigen Menschen zu wissen, dass der Mensch ein
„sterbliches Wesen ist, geboren zum Sterben. Wenn die Niobe im Mythos
,,[y.a*a zoig {ii Sorg) dieses im Sinne gegenwärtig gehabt hätte, dass sie
Immer blühenden Lebens nicht,
Unter kindersprossender Last
Den holden Tag schauend dahin gehn wird,
,, würde sie nicht so schwer es genommen, dass sie selbst das Leben lassen
„wollte um der Grösse des Unglücks willen und anrufen die Götter, dass
„man sie entraffe in den herbsten Untergang"1). Wohl ist sieht sophokleisch
dieser Doppelsinn der Worte, der in dem ßldozatg ih.Mov ßyiüofjeva die
menschliche und die Naturseite der Niobe, wie in der oben behandelten
Stelle der Antigonc, ausprägt : eine kinderreiche Mutter und ein von Pflan-
zen über und über prangendes, belastetes Gefilde. Zugleich sind sichtlich
die drei Verse nicht allein herausgerissen, sondern auch im Schlusssatz stehen
die vom Dichter daran angeschlossenen Gedanken nur kurz in Prosa zusara-
mengefasst.
Unter den einzelnen aus der Niobe des Sophokles bezeugten Worten
weist der Ausdruck tlv/tioi avloi2) für phrygische Flöten wohl auf die bereits
früher erwähnte musikalische Beziehung, dass die phrygischen Weisen zuerst
in Hellas bei dem Tode der Niobiden erklungen seien. Interessant ist end-
lich die in einem sophokleischen Scholion3) uns aufbewahrte Notiz, dass So-
phokles in der Niobe die Krokosblume ausdrücklich der Demeter zueigne ;
wahrscheinlich ist dies in einem Chorgesange ausgesprochen und es liegt
nahe zu vermuthen, dass der Dichter das Schicksal der Persephone und De-
meters Trauer mit den Niobiden parallelisirt hat. Krokos war aber eine jener
die Demetertochter zum ttlumenlesen verführenden Blumen gewesen, bei dein
1) Mor. p. JJüc: ov ydy lort (fQfr'ttg fyotrog «rÜQUjnov «yrotir, Sri v itr&(iU)7iog Ctyor
fori «9 n. toi*, orJ* ort yiyovtr t\g tb ano&avth; ti yovv ff Nioßri xurit rovg fjvftovg 7iQoxet(H>r
tlxfthr vnotyV'1*' ravTifr, ort
ovx dtl &aX£&or7i ß(at
ßXdaxaig rixvtüt' ßyiOo/utrct,
ylux((tbv (ftiog OQÜa« rfXtvjtjaa,
oi x «i» ovtiog IJuoxfytttvfv, wart xu) rb fjji» i&tXtiv fxXtntiv tha ro pfyfdog rijg avft(fo(tt€>\
x«) rovg dtovg fTrixttXfTo&ai urtionaaiov ttvi^v yfrfofhtt nobg iintoXunv ri/r /«Xbrnordir^t .
2) Athen. IV. p. 17G: rovg yay fXvfiovg avXovg, tav urtjpovtva ZoffoxXrjg £j» Nioßn jt
xu) TvfinttvtaiaTg, ovx uXXovg nrhg th'itt axovojAfv 5 T0VS 4'Qvytovg. Der Ausdruck oVf-
uriatvg ist durch die verschiedene Erklärung des Didymos und Aristarehos der Niobe des
Sophokles zugewiesen vgl. Harpocr, s. v., Hesych. s. v.
\\) Soph. Oed. Col. fis«| : IhdXXn — « xttXXlßoTqvg — vrioxitraog, utyuXuir Äfcur uoyuTor
atHfdiüifi , o t( XQra«v)'r)g XQoxog. Schol. ad l. 1. : rolg ror ruoxioaov rr} .tqurjiQt ttnoyi-
fiovat iovto avunynTTft öxi xtir rjj Ntoßy b 2,'oqoxXijg tov XQOXoy ItvTtXQvg itj ^/i^u^ro« ava-
itötrai; Hom. hymn. in Cer. 7. 42b*. Vgl. dazu Wieseler Narkissos. 1S5Ü. S. 117. 128.
Die Tragiker. 49
ihr Raub erfolgt und steht der eigentlichen Blume ihres Todes, Narkissos, der
Bedeutung nach sehr nahe, wie ja in der das Scholion veranlassenden Stelle
des Chorgesanges im Oedipus auf Kolonos der in Blüthentrauben prangende
ftarkissos, der grossen Göttinnen uralter Kranzschmuck, und der goldstrah-
lende Krokop zusammen genannt sind.
Vergeblich versuchen wir es aus diesen wenigen, wenn auch kostbaren
* Bnielistückeii uns die sophokleische Tragödie wieder herzustellen. Uass
Aar Untergang Amphions neben dem der Kinder ebenfalls eintrat, um so das
Schicksal der Niobe zu vollenden, können wir mit Sicherheit fast annehmen.
Ite^och schon das bleibt ja unbestimmbar, ob die göttlichen Gegner der
Xjpfee, Leto mit ihren Kindern oder diese allein, oder nur Apollo sichtbar
«geworden seien und eine Rolle gespielt haben. Man wird allzuleicht den gött-
lichen Charakter Niobes, den Sophokles so bestimmt ausgesprochen, vor
dem rein menschlichen bei einem Res taurations versuch ausser Acht lassen..
Von einem Drama Tantalos des Euripides existirt nirgends eine Er-
wähnung, für eine Niobe kann trotz der Fülle seiner sonstigen Fragmente
nur die oben besprochene Stelle der Poetik des Aristoteles (c. 18) angeführt
werden, die aber schon durch das jüngere eingeschobene aal Mrjdeiav in
Bezug auf den Namen des noch spät so viel gelesenen Dichter , verdächtig
wird. Die äussern Gründe gegen die Existenz des Stückes sind von Yalcke-
naer1) kurz, zuletzt von Burmeister ausführlicher aufgezeigt worden. Sie zu
mehren würde nicht schwer fallen.
Es liegt nahe auch auf innere Gründe hinzuweisen, die die Behandlung
dieses Mythus durch Euripides unwahrscheinlich machen, so auf die Schwie-
rigkeit diesem weit mehr dem Götter- als Heroenmythus angehörigen Stoff
nach Aeschylos und Sophokles eine subjective, rein menschliche Durchbil-
dung zu geben.
Der Dichter gedenkt mehrfach des hochseligen Zeusentsprossenen
Tantalos (ftaxaQiog, Jiög neqwxiuQ) > des Urbildes grossen Glückes Ifiiyag
ol/tog), des aus göttlicher Ehe von Tantalos entsprossenen Hauses*), das wie
kein anderes zu verehren war ; nur edle hochherzige Worte sind würdig des
Tantalos, des Sohnes von Zeus 3) ; das Vorsetzen des Kindes am Göttermahl
fct dem Dichter unglaublich A) . Welche physikalische Bedeutung aber der
Dichter an Tantalos anknüpft, ergiebtdie merkwürdige Stelle im Threnos der
0 Diatr. in Eurip. p. 13.
2) Eurip. Or. 338 ff. :
TCva yuq 2t* TiaQog olxov allov
fTSQor rj top an 6 &ioyova>v ya/nov
TOf uno Tavrdlov ofßio&at ut xqij ;
3) Iph. Aul. 500.
4) lph. T. 3S5.
50 Erstes Kapitel.
Elektra1), wo sie wünscht „zu steigen zu dem zwischen Himmel und Erde in
der Schwebe gehalteneu Fels, zu der in goldenen Ketten hängenden im Um-
schwung dahin sich bewegenden Scheibe am Olympos, um dort in Klagge-
sang zu rufen den greisen Urvater Tantalos". Die Sonne selbst ist ihm also
der Tantalos drohende Fels und dieser ein zweiter Atlas ist weder in der TJn- :
terwelt, noch in einer Lokalität der Erde zu suchen, nein er lebt im gewalti-
gen Reich unter der Sonne zwischen Himmel und Erde.
Niobe wird ausdrücklich zweimal in den uns erhaltenen Stücken und
Fragmenten des Euripides erwähnt : einmal in der berühmten Rede cler
Merope in dem Stücke Kresphontes, worin sie über den Verlust ihrer Kinder,
mit scheinbarem Gleichniuth sich ausspricht; nicht ihr allein sind ja Kinder
gestorben, nicht sie allein des Mannes beraubt, sondern Tausende haben das-**
selbe Leben zu kosten wie sie. Ua heisst es wohl nach andern Beispielen
gleichsam als Schluss und Spitze2) :
„und zweimal sieben Kinder ihr
der Niobe starben von des Loxias Geschoss."
Die zweite Stelle findet sich in den Phönissen, bei der Angabe der Stellung
der griechischen Helden ; Polyneikes steht mit Adrastos nahe dem Grab der
sieben Mädchen Niobes3). Diese letzte Bezeichnung führte eine lokale Tra-
dition zum ersten Male in die literarische Behandlung des Mythos ein, aus
den Stellen ersehen wir also das Festhalten an der von den Tragikern ange-
nommenen doppelten Siebenzahl der Niobiden ; endlich wird Apollo als Ver-
nichter aller genannt.
An Niobes ewigen Thränenquell musste aber unmittelbar erinnern, wenn
der Chor der um die Leichen ihrer Söhne bittenden Argiverinnen indenHike-
tiden den Threnos mit ihren Dienerinnen beginnt und er es ausspricht4) :
1) Eur. Or. 9s2ff. : /uoioi/ui rttv ovquvov
fjttoov %&ovog rt tttafid'ttv
aiüjQrjjuaai n£rQav
akvotoi xQvaiaioi ytQOfxdctv
$(vuiOi ßiolov lg OIv/utiov,
Xv tv &qfivotaiv avaßodoio
y/QOVTi 7TttlQl TavTala).
2) Schol. FiUrip. Phoen. 139. Nauck tragg. grr. frgmta p. 39tf. n. 453:
xai Jlg %tix avirjg rtxva
Nt6ßr\g &av6vxa Aoglov ro£tvfjtuou:
Vgl. dazu Welcker griech. Trag. II. S. 834.
3) Eurip. Phoen. 159:
txflrog inra 7i(tQ&4v<ov rd(fov nilttg
Ntoßrjg 'j4ifQ((OTq> nhr\fSiov nagaataitt.
4) V. 79 ff. : "AnXtjatog «<Tf fi igdyfi xdptg yotor
noXvnovog, tag ig alißdrov Trfygag
vyQa ()tovoa aruyaiv,
cinuvarog ad yootv •
Die Tragiker. 51
„Solch unersättliche Lust der Klage reisst mich fort
v Erfüllt von Mühsal, wie von dem jähen Fels
Feucht abrinnendes Nass,
Xie ruhend in Thränenfluth.
Um das ja, um Kinder tod
Kummerbeladen unter den Weibern
Aus in Klagen strömet das Leid. Weh, weh !
Dass sterbend ich solchen Leids vergässe! "
Die Spätlingszeit der griechischen Tragödie hat auch noch
^einmal Niobe behandelt gesehen. In einem Epigramm des Lucillius, eines zu
dm Kaiser Nero in näherer Beziehung stehenden Dichters auf einen hölzernen,
ungeschickten Pantomimen wird es für ein schlimmeres Schicksal als St ein -
rerwandlung erklärt, wie Niobe von Meliton in einem faulen, schimmeligen
Drama (SQä/aa oattQOv) behandelt zu werden1). Der Gedanke diesen Meli-
ton mit dem frostigen Aeschylosnachahmer Meli tos oder Meletos, dem An-
kläger des Sokrates zu identificiren, der einem zuerst wohl kommen kann,
fällt gegenüber der Quantität« Verschiedenheit von MeXhtav und Millzog oder
Milrjtog zusammen 2) . Dass dagegen in der Zeit des Lucillius selbst Niobe als
dramatischer Stoff am kaiserlichen Hofe beliebt war, dafür fehlt es an aus-
drücklichen Belegen nicht; eröffnete docli Nero sein Debüt als (Jitharöd in
den Neroneen zu Rom mit der Niobe3). Und wir kennen auch den Namen
eines lateinischen Verfassers einer Niobe genau aus dieser Zeit, ttassus, wie
01 scheint ohne grösseren Erfolg, als Meli ton dichtete4) ; wenigstens giebt ihm
Martial den Rath Wasserfluth oder Feuerbrand zum Material seiner Schrei-
berei zu wählen.
ib yt({j &avovTiov lixvtav
Inlnovov ti xaret ywafattg
ttgyoovg ntqvxe nad-og. I £•
&avovoa Tefo'd* aXyftüv ladoipav,
1) Anth. Pal. XL 246:
Kai tv^ov l$anirT}g l'aofiat U&og • ihn, to xtiQov,
y>Q<x\pfi fi tag Ntoß-qv Jgafsa aangov MtXhioi .
2) üeber diesen vgl. Welcker griech. Tragöd. III. S. 970—974.
•*) Sueton. V. Neron. c. 2J : — sine mora nomen suum in albo citharoedorum iussit
auscribi — utque constitit, peracto prineipio, Nioben se cantaturum per Luciuni Rufum
consularem pronuntiavit et in horam fere deeimam perseveravit.
4) Martial. V. 53 :
Colchida quid scribis, quid scribis amice Thyesten ?
Quid tibi vel Nioben Basse vel Andromachen ?
Materia est, mihi crede, tuis optissima chartis
Deucalion, vel si non placet hoc Phaethon.
geführt bei Welcker gr. Tragöd. III. S. Ulis. Ist es nicht der von Quhitilian als Zeit-
genosse angeführte Caesius Bassus?
4»
52 Ernte* Kapitel.
§ 7.
Dithyrambiker. Spätere Mimik and Orchestik. Die komische Parodie.
Nur im engen Zusammenhang mit dem Drama, vorzugsweise der Tra-
gödie und zwar in der Jüngern Entwickelung durch Euripides sind die musi-
kalisch-poetischen Produktionen (Melodramen), die Nomen und Dithyram-
ben eines Philoxenos und Timotheos zu fassen. Die Niobe erscheint als
ein solches aus Arien und Chorgesang nebst epischer Einleitung zusammen-
gesetztes Werk des Timotheos von Milet (460 — 357 v. Chr.] und hat ge-
wiss neben seinen Persern, Phineiden, Nauplios, Laertes bei der grossen spä-
teren Geltung dieser jungen Gattung weithin Popularität besessen. Eine Si-
tuation daraus mehr als die Worte selbst ist uns von dem Komödiendichter
Machon in seinen XQelca aufbewahrt1), der sie in den Mund des Dithyram-
bikers Philoxenos in scherzhafter Parodie verlegt: der Dichter, ein feiner
Gutschmecker, hat an einem Meerpolyp sich den Tod angegessen, er ist auf-
gefordert sein Testament zu machen, das Wesentliche ist geordnet ; da fahrt
er fort: „aber da lässt der Charon des Timotheos keine Ruhe, der aus der
„Niobe, noch fasst der Nachen, schreit er, es ruft die nächtliche Moira, auf
„die man hören muss ; damit ich all das Meine unten bei mir habe , gebt
mir noch den Rest des Polypen"2). Was dort in der Tragödie der gewaltige
Mahnruf des unterirdischen Zeus war, wird nun hier fast komisch individuell
dem Charon zugeschrieben. Da Philoxenos bedeutend früher als Timotheos
380 v. Chr. starb, so wird also die Niobe des Timotheos als damals allgemein
gekannt vorausgesetzt.
War schon in den ersten Jahrzehnten nach der Aufführung der Niobe
des Aeschylos und Sophokles das Publikum für den Vortrag einzelner Glanz-
reden (QrioeiQ) daraus durch ausgezeichnete Schauspieler, wie den Oeagros
besonders eingenommen, so haben ja überhaupt derartige Einzelvorträge aus
Tragödien in der späteren Zeit eine immer steigende Bedeutung gewonnen.
Dazu kamen dann die Gesangvorträge mit Kithar- oder Flötenbegleitung,
aber in Anschluss an jene jüngsten Dithyrambiker und endlich die rein pan-
tomimischen Darstellungen (oQX^oeig) , wodurch ein dafür sich eignender My-
1 ) Vgl. Bernhardy Grundr. d. gr. Literatur. II. S. 54* ff.; Bergk Poett. lyrr. grr. p. 1 000 ff.
2} Athen. VIII. p. 341 C: all* Inel
6 Tifdoftfov Xiigior a%oXa&iv ovx l(c
ob* rrje Nioßqg, ywotlv dl 7iOQ&[jibv avccßoit,
xaAli 81 /uoIqcc vv^ios rjg xXvtiv xqscjv,
fv ^xa,v anoTQixto ndvra Tnpaurov xccro)
iov novXvnoöog fioi ro xatdXomov änoöore.
Dass die Worte der Tragödie ZQ/opai, r( p avtts; (s. oben S. 3*>; hieher in den Timotheos
gehörten, behauptet jetzt Nauck (Tragg. gr. fr. p. 38), obgleich Welcker diese Stelle bereits
in ihrer Reminiscenz an jene der Tragödie und den Unterschied des Erhabenen und hier
fast Lächerlichen richtig längst bezeichnet hatte.
Dithyrambiker. Spätere Mimik etc. 53
thus immer von Neuem in seinen Hauptsituationen dem griechisch-römischen
Publikum vor Auge und Ohr vorgeführt wurden. Der Niobemythus gehörte
zu den besonders bevorzugten in diesen verschiedenen Gattungen.
Wir besprachen bereits das Auftreten des Nero als citharoedus in der Rolle
der Niobe. In dem Euboikos des Dio Chrysostomos *) werden die Kunst-
genüsse des Reichthums aufgeführt, in denen die Armuth nicht wetteifern
könne: „da giebt es nicht tragische, komische Schauspieler, Possenreisser im
Mimos, Tänzer und Choreuten, mit Ausnahme der von heiligen Chören, aber
nicht solche, die die Schicksale der Niobe oder des Thyestes be-
singen oder sie tanzen, nicht Kitharöden und Flötenspieler." Also
Niobe und Thyestes [xa Nidßrjg rj OvioTOv nd&rj) sind hier Beispiele einer
ganzen Gattung von solchen im Tanz oder Einzelgesang behandelten Stoffen.
Lucian führt uns in seiner Schrift neQi OQXTjOewg2) den ganzen Bereich der
mythologischen Stoffe genau auf, die ein Tänzer genau kennen musste, um
sie darzustellen ; da nennt er „den Mauerbau nach der Leier, den Wahnsinn
des Mauererbauers, die Grosssprecherei seines Weibes , der Niobe, und ihr
Schweigen in der Trauer", später im Bereich der klein asiatischen Sagen
„die Geschwätzigkeit des Tantalos, den Götterschmaus bei ihm und die Zer-
stückelung des Pclops sammt elfenbeinerner Schulter." Es sind mithin zwei
Situationen, die vor allen dargestellt werden : die stolze Rede {f.ieyahxv%ia)
der Niobe und dann das tiefe Schweigen im Leid. Ungeschickte Tänzer der
Niobe haben den Epigrammmatikern zur Zielscheibe ihres Witzes gedient, so
Ariston für Lucillius, so im vierten Jahrhundert auch Memphis für Palladas •).
1} Or. VII. p. 122 M. : xa\ tolvvv ovä* vnoxQtrag roayixovg rj xw/uixovg rj tficr xivtov fit-
umv axparou ytXtoxog ^rj/jtovQyovg oirJt OQ/rjarng oüJl x°Q€VT«S n\i\v yt rtuv ie q<uv X°Q*>v*
«ii* ovx lx£ ye roTg Nioßqg rj Gviarov ndfhfoir utiovrag rj ooyovLitvovg ovdh ctvXrjrag ntql
rixrjC iv &tdtQOig ccfiiXXatuf'vovg.
2) Luc. Ae saftet. 41 : xai nQog Xvqolv Tf(%toi$ xai uavla tov TSiyonoiov xai rrjg yvvaixbg
l ai'TOV tije Ntoßrjg j) [xiyakctvy((t xai r) inl T(p nivO-tt atytj — .
3) Lucill. n. LXXXII in Anthol. gr. ex rec* Brunck. II. p. 334 (ed. Jacobs III. p. 45) :
{ Jldvra xafr* iöTOQirjy OQXovfiifvog, £r rb ufyiorov
rtav tyytov naqidutv r)viaaag peydXtog.
irfv ptv yaQ Nioßrjv oq%ovu€vos, tag XC&ogtatrig
xai naXiv oiv Kanavtvg l£an(vr]s tniatg xrX.
Lucill. n. LXXXIII :
j *Ex noCüiv 6 narrtf) ae öqvcüv rtrprjxiv, *j4Q(axtav%
rj noltov ae /uvXov xoiparo Xaro/uKov ;
• rj yaq an 6 ÖQvbg laal naXatydrov, rj anb n(rQr\g
bQXWWi Ntoßrjg tfinvoov aQxttvnov •
loare /ue &av/udCovra Xtyetv, ort xai au n Ar)ioX
rjQiaag • ov yaQ av rjg avTopdrtog XC&ivog.
Palladas n. LVII in Anthol. gr. II. p. 4M) [ed. Jacobs III. p. 127) :
zldyvriv xalNioßr^v (OQxr]aato Mtu(figb aifiog,
<og ivXivog ddffvqv, <os Xt&irog Nioßtp'.
Ueber setzt von Auson. epigr. "-5, wie das erstere des Lucillius auch von Auson. epigr. n. 84,
54 Erste* Kapitel.
Jener „hat ganz historisch treu getanzt ; als er die Niobe tanzte, stand er als
rechter Stein da"; ja ,,er ist ein beseeltes Urbild der Niobe, ein Tänzer von
der altberühmten Eiche oder dem Fels abstammend". Memphis, die Stumpf-
nase hat Daphne und Niobe getanzt, ,,Daphne wie von Holz, wie von Stein
Niobe"
Der hochtragische Charakter der Niobesage und ihre Behandlung im
specifisch erhabenen Stile der alten Tragödie musste nach acht griechischer
künstlerischer Doppelseitigkeit unmittelbar zur vollsten Parodie veranlassen
und auch der leichteren Ironie der jüngsten Komödie willkommenen Anlass
bieten. Und so begegnet uns unter den Titeln der Stücke des Aristopha-
nes folgender: JqctixctzoL rj Nloßog, sich durch den Namen von einem andern
Jqa^iaxa rj Keivavoog unterscheidend, einmal auch allein Nloßog oder Nloßig
genannt ; in einer freilich sehr verdorbeneu Stelle wird von einem devteQog
Nioßog gesprochen1). Allerdings war die Autorschaft des Aristophanes im
Alterthum nicht allgemein anerkannt; einige schrieben das Stück mit den
anderen dem durch seine *I%d-vg vor allem bekannten wenig jüngeren Dichter
Archippos zu (um Ol. 91). Es war wie in dem andern Stücke dieses Titels
der Besuch des Herakles bei Fholos, so hier also eine Parodie des Schicksals
der Niobe und zwar mit einem männlichen Vertreter eingeschoben oder das
Mannweib in der Niobe, gleich der mannweiblichen Aphrodite von Kypros
gleichsam personificirt. Wir wdssen nur, dass die von den drei Tragikern
angenommene Siebenzahl der Knaben und Mädchen auch hier hervorge-
hoben war*). Die Fragmente geben für die Parodie keine ganz sichere Aus-
beute. Ob wir bei den Worten :
ovdiv [Act Ji ioti) Xoitcidog tyrjTWV
„nein nicht beim Zeus gelüstete mir nach Fischgericht"
an die der Speise und des Tranks sich enthaltende trauernde Niobe denken
können? Auf ein nächtliches Festgelage weist das Unglück das Licht (Xv%vog)
vom Leuchter [Xv%vovxog) zu verlieren hin3). Die ungefähre Zeit der Abfas-
sung des Stückes ergiebt sich aus der Erwähnung des Kykloboros, ,,der in
die Ziegelei gekommen, dort weggeschwemmt"4). Mit dem lärmenden,
1) Fragmenta hei Bergk in Meineke frgmta comicor. gr. 11. 2. 1055 — 1062. Aristo ph.
ed. Dindorf. p.20l— 27<>. Nioßog {NCoßig codd.) in Vita Aristoph.Praef. p. XXI ed.Dindorf.;
Iv tw (Uvr£Q(p NCoßttt Athen. XV. 5S p. (WO. Das dtvxtQot mit Bergk einfach wegzulassen
scheint mir zu willkürlich ; entweder ist es aus tipa/Hfair ? verderbt oder es hat allerdings
eine zweite Kecension wie vom Frieden und den Wolken gegeben, vielleicht eine Umarbei-
tung eben durch jenen Archippos.
2) Schol. Eur. Phoen. V. 150.
:\) Frg. :*. 1. 5. Bergk.
I) Pollux X. 1S5: ov fiivroi oi xfQCt/utig tag nXdOov* fnlaxTOi; nkiv&kiov xaXtt tbv
totiov h jQtifiaaiv fj Nioßip XQiOTotpdrrjg, ntQl xov KvxXoßoQOV tov norapov Xfytov • o «T ig
io nktv&ttov yerofitros ittTQetye.
Dithyrambiker. Spätere Mimik etc. 55
brüllenden Gebirgs- und Gewitterwasser bei Athen wird aber Kleon auch
sonst von Aristophanes verglichen1), wir haben auch hier an ihn zu denken.
Auf Kleon den ßvQOonwlrjg ist es auch zu beziehen, wenn Aristophanes in
den jQa/nata auch die JJurg von Athen eine Bvqocc nüt Anspielung darauf
und mit der Parallele zur Byrsa Karthagos nennt2). Daraus geht entschie-
den hervor, dass wir den Nioßog in die erste Epoche der aristophanischen
Thätigkeit, in das erste Jahrzehend des peloponnesischen Krieges zu setzen
haben.
Aus der mittleren Komödie hat T im o kl es in seinen Dionysiazusen mit
feiner Ironie die mancherlei Trost- und Zerstreuungsmittel [naQatyvxag cpQOv-
tldwv) , die für den Menschen, dieses mühbeladene Wesen feüov enlnovov)
erfunden sind (wahrscheinlich von Dionysos), aufgezählt; voran stehen die
Tragödiendichter. Bei ihnen sieht jeder grössere Leiden als die seinen und
trägt diese um so leichter. So tröstet Telephos den Bettler, Alkmäon den an
Wahnsinn Kranken, den Augenkranken die blinden Phineiden, den Lahmen
Philoktet, den Alten Oi'leus und
„starb dem ein Kind, die Niobe hats ihm leicht gemacht"3).
Ein Gesichtspunkt, den wir als einen populären auch bei den Denkmälern
der bildenden Kunst, besonders den Sarkophagreliefs bestätigt finden werden.
Philemon endlich hat in einem längeren Fragment eines uns unbe-
stimmbaren Stückes lehrhaft vom Standpunkt des gemeinen Menschenver-
standes über die Niobesage sich ausgelassen. Er sagt : *)
„Für einen Stein die Niobe hab' ich nie bei Gott
Gehalten und auch jetzt nicht überzeug* ich mich,
Dass dazu ein Mensch geworden. Nein durch Leiden, die
Auf sie zusammenbrachen, trat der Zustand ein,
Dass sie zu reden nicht vermocht zu keinem Mensch
Und also vom Nichtreden ward sie Stein genannt.'4
£6 ist der volle Euhemerismus, die äussere Deutung des Wortgebrauches, wel-
cher hier durchklingt.
1) Ach. 3*1, Equ. 137.
2) Hesych. s. v. Bvqaav tiJi* nohv'A&tivtJov^AQiaioqavris tr jQttfHtat nattyav (yq. Auf
diesen Namen mag sich auch bezichen, dass von xaitvg, Lederstückchen, im selben Stücke
die Kede war iPoll. X. 166).
3} Athen. VI. 2. p. 223. d. Meineke frgmta com. graec. 111. 5!)3. p. xt&vrixt xt*t naTg, ^
Nioßt\ xtxoutfixe.
4) Philem. bei Schol. Hom. II. XXIV. 617, Menandr. et Philem. rell. ed. Meineke
ine* fab. frg. n. 16:
ly» Xi&ov fikv rt]v Ntoßqv pa xovg &iovg
ovdtnox tnt(a&t\vt ovöt vvv nfio&qooptti
tag rovt tytvtr ai&Qwnog' vnb dl rwv xaxdv
ttSr avfAitföovjtav xovto (ru/jßnrxog naüovi
ovdh krdrjaat dvva^i(vr\ ttq 6g ovdtvtt
7TnoOt}yo'>fvöt) dia tb [Ay tfatvfiv XiOovg.
56 Erste» Kapitel.
8 s.
Die alexandrinische Poesie. Die Epigrammatiker. Das spätere Epos.
Die rhetorische Uebnng.
Unter den alexandrinischen Dichtern haben nur zwei, so viel wir wis-
sen, die Niobesage in zusamenhängcnder Weise behandelt, Euphorion,
der Dichter und Bibliothekar am Hofe Antiochos' des Grossen und Simmias
von Rhodos. Auf jenen beruft sich das die Sage erzählende Scholion des
Didymos zu IL XXIV. 602: tj iotoqicc nctqa EvyoQitovi. Darnach ist Niobe
Tochter des Tantalos, Gemahlin des Amphion, Mutter von zwölf Kindern,
ist stolz auf Menge und Schönheit der Kinder, schmäht Leto wegen des
Besitzes von nur zwei und weil sie auch schönere Kinder habe (€VT€xva>T€Qa) .
Die Göttin zürnt und sendet Pfeile auf die Kinder, indem Apollo die Söhne
bei der Jagd im Kithäron, Artemis die Töchter zu Hause tödtet. Die über
ein solches Unglück weinende Niobe wandelt Zeus aus Mitleid in Stein, der
auch noch jetzt am Sipylos in Phrygien Quellen von Thränen strömen lassend
von allen gesehen wird. Also in der Zahl Anschluss an Homer, betont
wird die Schönheit neben der Menge, der Tod erfolgt an getrennten Lokalen,
die Jagd im Kithäron ist bezeichnend. Fragen wir, worin Euphorion die
Sage erzählt hatte, so haben wir jedenfalls an seine Xiliddeg, diese grosse
Sammlung mythischer Erzählungen zu denken *) .
Während uns hier eine einfache, acht griechische von Euphorion in sei-
ner Heimath Euböa und in Athen vorgefundene Sagenform begegnet, hat
Simmias von Rhodos ganz in seiner nach Entlegenem, Gesuchtem streben-
den Weise eine durchaus abweichende, lokall ydisc he Form, sowie mit
den Lydiaca des Pseudo-Xanthos und der Erzählung des Neanthes von Ky-
zikos2) stimmend, bearbeitet. In welchem seiner Gedichte dies geschehen
ist, ob etwa in dem sinoXXwv ist nicht zu bestimmen 8). Parthenios aus
Nikäa, der Zeitgenosse Virgils hat in seinen prosaischen 'EQWTixd Kap. 33
aus dieser geschöpft und noch bietet das Scholion des Veuetus alter zu IL
XXIV. 602 4) und das zu Eurip. Phoen. 159 kürzere Belege dazu. Niobe
ist nicht Tochter des Tantalos, sondern des Assaon oder Asonides, also des
Sohnes des Assaon ; sie ist Frau des Assyrcrs P h i 1 o 1 1 o s , der im Sipylos
wohnte und hat von ihm zwanzig Kinder, sie kommt in Streit mit Leto und
1 ; Düntzer Frgmte ep. Poesie der Alex. S. 52 ; Meinckc Anal. Alexandrina. p. 1 46.
n. 135.
2) Düntzer a. a. Ü S. H.
:t; Xanthos bei Creuzer historr. graecc. frgmta p. 1*9 sq.; Müller Frgmt. histor. gr.
III. p. <>.
4} Avdol d( (fetaiv ort 'Aöwvtöris £Q(tOÖfl$ avtrjs xcel jutj ntio&ttoris In «Qiüxor tovg
Die alexandrinische Poesie. Die Epigrammatiker etc. 57
deren Rache vollzieht sich nun in folgender Weise. Philottos kommt auf der
Jagd von einem Bären getödtet um, Assaon von Verlangen nach seiner Tochter
erfüllt, will sie heirathen ; da Niobe nicht nachgiebt, ruft er ihre Kinder zu
einem Mahl [in Bvw%lav oder in agiorov) und verbrennt sie, Niobe stürzt
sich deshalb vom höchsten Fels oder bittet darum versteinert zu werden ; As-
saon zur Besinnung gekommen tödtet sich selbst. Ganz unverkennbar haben
wir hier Züge aus einem assyrisch-lydischen, wesentlich semitischen Mythus,
den wir bei dorn Nachweise der am Sipylos in so reichem Masse zusammenlau-
fenden ethnographischen Fäden genauer feststellen müssen. Diese unnatür-
lichen Verhältnisse zwischen Vater und Tochter, diese Grausamkeit des Mah-
les — das Letztere ein Verhältniss, welches im Tantalosgeschlecht sich wie-
derholt nach der tragischen Sagenbildung — w eisen entschieden hier auch auf
Aufnahme nichtgriechischer Elemente hin1). Welcker*} weist mit Recht
schon auf diesen Unterschied hin zwischen der ursprünglich ungriechischen
Fassung überhaupt und der griechischen Bearbeitung der Sage ; für uns handelt
es sich allerdings nicht um ein Bearbeiten eines fremden Stoffes, sondern um
ein spätes Assimiliren desselben an eine tief im griechischen religiösen Be-
wußtsein ruhende, längst ausgebildete ideale Anschauung. Wir begreifen
sehr wohl, wie sehr es einen alexandrinischen Dichter locken musste neben
dem breiten Gleise der allbekannten Sage min ganz überraschende neue Züge
einzuführen.
Ob Nikander von Kolophon in seinen 'Eregoiov/ueva, welche für römi-
sche Dichter so bestimmend wirkten, oder den drei Büchern der Qrjßa'ixd die
Niobesagc behandelt hat, ist, wenn auch sehr wahrscheinlich , doch durch
nichts erwiesen8).
Kürzere, mehr gelegentliche Erwähnungen der Niobesage begegnen uns
bei Kallimachos, Moschos und unter den Anakreonteen. Apollo zürnt bei
Kallimachos noch unter der Mutter Herzen über Theben, das Leto nicht
aufnehmen will. „Fliehe fort, rasch werde ich dich treffen im Blut mein
Geschoss zu baden ; du hast dir die Kinder des schmähenden Weibes thtva
xaxoyXaioooio yvvaixog erlost; nicht kannst du meine liebe Nähramme,
nicht der Kithäron es sein ; heilig will ich auch mir nur von Heiligen ge-
1; Ganz unbegreiflich ist die Aeusserung von Gutschmidt im Philologus X. S. l>55 bei
Gelegenheit der schmählichen That des Mycerinus an seiner Tochter : sine dubio Graeca
sunt huius narrationis elementa, quippe in quorum traditionibus fabulosis nihil sit frequen-
tius, quam filiae a patribus stupratae etdesperatione pernio taeviolenta« sibi manus injicien-
tes, ut Myrrha Cinyrae filia, Larissa Piasi, Harpalyce Clymeni, Niobe Assaonis aliae mul-
tae. Im Gegentheil ist der speeifisch ungriechische Ursprung immer nachzuweisen.
2. Aeschyl. Trilogie S. 351.
:*) Vgl. Düntzer Ep. Poes, der Alex. 8. 78. 80.
58 Erstes Kapitel.
dient haben' <!). Im Hymnus auf Apollo selbst erschallt, wenn Apollo er-
scheint, dasIePaeeon und „der thränenreiche Fels hebt an von seinen Leiden,
der da in Phrygie ein nassbethauter Stein festgebannt ist; ein Marmor für
ein in Jammer steinendes Weib" 2J . Mo s c h os , welcher uns in seiner vierten
Idylle Megaras Schmerz beim Niederschiessen all ihrer Kinder im Hause dem
einer Niobe ähnlich schildert, lässt Alkmenen mit Megara Thränen vergiessen
Tag und Nacht, sie, die die Sage auch in einen Stein dann verwandelt8) ;
mögen ihre Thränen selbst noch reicher strömen als die der schöngelockten
Niobe, für eine Mutter ist es kein Vorwurf um ihr Kind zu jammern4). Im
leichten Ton der spielenden Anakreonteen beginnt der Dichter des zwan-
zigsten (x/?') Liedchens an sein Mädchen erst feierlich :
„Des Tantals Tochter stand einst
Als Fels auf Phryger Bergen
Und einst umher als Schwalbe
Flog des Pandions Tochter"*,,
um dann den Wunsch seiner Wandlungen in Gegenstände ihres Schmuckes
bis zur Sandale daran anzuknüpfen. Die Zusammenstellung von Niobe und
derPandionstochter lernten wir gerade so in der Elektra des Sophokles kennen.
Die Epigrammen dichtung hat mit besonderer Liebe Niobe zu ihrem
Gegenstand gewählt und zwar in verschiedenartiger Behandlung : bald eine
Situation im Mythus selbst, bald die Schlussempfindung, die er hinterlässt,
besonders die Verwandlung in Stein, bald war eine unmittelbare Anregung
gegeben durch ein grösseres plastisches Kunstwerk oder doch durch eine
Statue der Niobe selbst. Bei dem engen Verhältniss, in dem das griechische
1) Callimach. in Del. 95 ff. :
(ptvye nQoato' raxivog <f€ xt/tjoo/uai (tXfxart Xoioior
to£ov ifiov, av dk rixva xaxoyXtoaooto ywaixog
Zkla/tg ' ov avy ifteio (f^Xrj TQO(fog ovtit Ki&aiQtov
Zootrai* evayitov 6k xa\ evtiy&oot fiiXot^v.
2) Callim.4n Apoll. V. 22 ff. :
xal fAtv 6 öaxQvottg avaßdXXtxai aXyta nfiQog,
ooxig ivl cpQuytrji öitgog Xtfrog iorrJQixrai,
/uagpaQov arrl yvvmxhg 6'iZvQov ti jfavot/tfq; .
3) Anton. Liber. c. 33.
4) Mosch. Idyll. IV. S4ff.:
pi}ä' €l x qvxofAou Nioßi\g nuxtvtoitQa xXatat.
ov yaQ S-tjv repförjTov vnhq rixvov yoaao&tu
fjHjTtQi. övona&iovxog — .
5) Anacreont. ed. Mehlhorn p. 9 7. Od. xß' (20) :
r\ TavjdXov not fort}
Xt&og <pQvy<ov ir ox&aig,
xal natg nox OQVig Znrtj
Hrtvdtovog ^f jli cfaiV.
Vgl. dazu meine Quaesüones Anacreont. p. 50 f.
Die alexandrinische Poesie. Die Epigrammatiker etc. 59
Epigramm zur Grabschrift auch in der Zeit seiner Durchbildung als Kunst-
form blieb, ist diese Beziehung zu dem erschütterndsten Familien tod und Fa-
miliengrab eine sehr natürliche. Der elegische Charakter, sowie die unmit-
telbar herausspringende ethische Mahnung in der Gnome kamen dem Dich-
ter in diesem Mythus glücklich entgegen.
Antipater von Sidon1) (um Ol. 160) weist hin auf ,jene Tantalide,
einst jene berühmte, die zweimal sieben Kinder geboren in Einem Mutter-
schoose, zum Schlachtopfer dem Phoebos und der Artemis." Mädchen dem
Mädchen, Knabe dem Knaben, das Paar dem Paare der Siebenzahl werden
sich gegenübergestellt, die Mutter einst einer so grossen Schaar (dyiky), ihr
bleibt nicht ein Einziges ihr Alter zu pflegen. Nicht die Mutter wird von
den Kindern, wie es recht wäre, nein die Kinder von der Mutter zum Trauer-
grab geleitet. Der Schlusssatz redet Tantalos und die Tantalide an, beide
hat die Zunge, das Reden verderbt, sie ward versteinert, ihm droht als ewige
Gefahr der Stein. Die Gegensätze sind hier in treffendster Weise durch das
ganze kleine Gedicht durchgeführt. Ein zweites Epigramm von Antipater*)
bezieht sich unmittelbar auf eine plastische Darstellung. „Warum, fragt der
Dichter, hast du zum Olymp die frevelnde Hand gehoben und gelöst das
gotterfüllte Haar vom gottlosen Haupt? Jetzt, du Kinderreiche, staunend
über der Leto heftigen Groll beseufze den herben, eigenwillig thörichten
Hader/' Drei der Töchter werden in ihren Todesschmerzen und Aengsten
geschildert. Doch damit nicht genug, „bereits ist ja der Haufe der todten
1) Antholog. gr. ex rec. Brunck ed. Jacobs T. II. p 17. n.XLII:
TavxaXlg acte no^' acte, ölg in Taxis xixva xixovaa
yccargl jutij, <Po£ß<p övfia xal ^Qjt/uidt,
xovqcl yctQ nQOvne/uyt xoQaig if6vovy agatoi d" apert/p,
Siaool yaQ dioerag ixxavov tßJo/uadag.
ä cte xoftag dyiXag p«T*IQ nuQog, a nayog tvnatg,
ovd* i(fy ivl xXdfAiov XUntxo yrjQoxo^Kp *
/u{(ttjq <T ov% vnb naiotvy ohcq S-ifiig, «XX* im 6 fiaxgog
naTötg ig aXyttvovg ndvxtg äyovxo xdqovg.
TavxaXt, xctl o$ cte yXüooa duiXiOe xal aio xovQttv.
X« f*b intXQtoihj, Ool <J* fni dttfia Xl&og.
2) Anthol. gr. II. p. IS. n. XLIII (Anthol. Planud. 133) :
Tlnxh, yvvcu, 7rQog"OXvfAnov dvaidia %c Tq% avtvttxag,
Zv&toy ($ ä&tov xQCtrog atftloa xopav ;
Aaxovg nanxalrovoa noXvv jfoAo)', *) noXvxcxve,
vvv ax£vt xitv mxQav xal ayiXdßovXov fyw.
(( /uh' yag naldtav analqu niXag' a cte Xinonvovg
xtxXtxai • a cte ßagvg noT/uog tnixg/^axai.
xal poxdtov ovnti) xoete aoi x4Xog% ctXXa xal aQOrjv
fOXQOtxai xixratv toubg anoif&tfAivtov,
to ßayv daxQvoaaa y&vi&Xiov, änvoog mvxd
7i fr Qog tor) Niößa xdcte't (emend. Jacobs 1. x afite; ttiQOjutra.
60 Erstes Kapitel.
Söhne auf Erden gebettet. O du, die du schwer beweint hast das von dir
Geborene (oder richtiger, deinen Geburtstag) wirst selbst athemlos Fels sein,
Niobe, von Kummer aufgerieben." Auch durch diese Verse ziehen sich feine
wirkungsvolle Antithesen. Dass in denselben die Zahl der Töchter nicht als
auf drei beschränkt bezeichnet werden soll, liegt auf der Hand ; schwerlich
würde dann von den Söhnen, als von einem Schwärm (ia^iog) die Rede sein.
Der Dichter scheint die Erstarrung unmittelbar an das Motiv der höchsten
Schmerzensäusserung zu knüpfen.
Meleager von Gadara kündet in seinem entschieden dem einen Epi-
gramm des Antipater nachgebildeten Gedicht1) der Niobe die Unglücksbot-
schaft vom Tode ihrer Söhne an, er fordert sie auf zu lösen das Band vom
Haar (noftag avddeo/AOv), sie hat ja ach! für die schwerschmerzeuden Ge-
schosse des Apollo ihre männlichen Sprossen geboren. ,,Doch was Andres
ist da.' Was sehe ich? Wehe, wehe, auf die Mädchen fluthet über der Mord."
In kurzen anschaulichen Ausdrücken zeichnet der Dichter die verschiedenen
Situationen der sieben Töchter von der in der Mutter Schooss geflüchteten
bis zu der noch ganz unversehrten, in die wir bei der Betrachtung der plasti-
schen Darstellungen, deren eine dem Dichter sichtlich vor der Seele stand,
näher einzugehen haben. Der Schluss lautet: ,,sie aber, die Mutter, die
einst dem redseligen Munde gehuldigt, sie starrt jetzt im Staunen wie ein aus
Fleisch gefugter Stein"2).
Von Antipater von Thessalonike (in der Zeit des Augustus und
Tiberins) kennen wir zwei auf Niobe bezügliche Epigramme8.. Das eine in
1) Anthol. gr. T. II. p. 33. n. CXVII:
TttvraXX naT, Nioßct xXv* tpav (fativ'ttyysXov nrag'
oV£af oäv a%£<av otxrQOTdmr XaXitir.
Xve xo/uag arddtOfAOv, tto ßaQvnevB-fot €t>o(ßov
ytivnpiva ro£oig KQOivoncuda yorov.
ov ooi natfieg lr* tlotv axaq xl tocT aXXo; r( Xfvoaat ;
al ai nXrjfAftvQfT 7iaQ&6Vtxai(Ti rforog.
2) \i S\ XaXov ai£ol£aoa naXai oropa, vvv vno &a/ußtvg
/uc'(TT]() aaftxonayrjg ola ninriyt Xi&og.
3) Anthol. gr. T. II. p. 123. n. LV:
Movvav avv Hxvoig vexvoOroXe o*t£o pe noQ&fttv
xäv XaXov • aQXtZ aoi (f 6 gros 6 TainaXläog '
nXriQtoOet yaatfJQ [*(a ffbv oxd<fo$' tlaidt xovQovg
xal xovQttg, *Po(ßov axvXa xal 'Agri/uiJog.
N. LXII1 :
Eixoüiv 'EQfioxQareia xal fovia tixva rtxovOcc
ov&* ivog out* /Jifjg tivyaad/LiTjv davaiov,
ov yaQ aTiari'OTtvoiv tfiovg vtrjag %AnoXX(av
ov ßttQvnev&rJTOvg "AqTtpig tlXt xogag,
fpnaXt <T rj fih' ZXvoev Ijuaiv utdlva /ioXovaa •
*PoTßog (T itg ijßav agoevag rfyaytio,
Die alexandrinische Poesie. Die Epigrammatiker etc. 61
zwei Distichen giebt uns ein treffliches , lebendiges kleines Bild. „Nimm
mich allein mit meinen Kindern, du Todtenfahrmann, auf", ruft Niobe dem
Charonzu, ,.mich die Geschwätzige ; gross genug für dich ist die Ladung der
Tantalide. Ein Mutterschooss wird dein Fahrzeug füllen, sieh hin auf die
Knaben und Mädchen, des Phoibos und der Artemis Siegesbeute." Der Ge-
stalt des Charon im Niobemythus begegneten wir bereits bei Timotheos, der
der unterirdischen Todesgottheit schon früher in einer Tragödie. Das zweite
Epigramm ist eine Grabinschrift auf eine Hermokrateia, die neunundzwanzig
Kinder geboren und keines Tod geschaut. In der That ein Gegenbild müt-
terlichen dauernden* Glückes ! - Apollo und Artemis, die bei Niobe vernich-
tenden Gottheiten, sind hier umgekehrt lebengebende, lebenfördernde Mächte;
ist diese Artemis hülfreich bei ihren Geburtswehen genaht , so hat jener die
Knaben zur Jugendblüthe geführt, frei von aller Krankheit. „So sieg ich
mit Recht, endet Hermokrateia, an Kinderzahl und frommer, bescheidner
Rede über die Tantalide."
- Bedeutend schwächer an poetischem Gehalte sind die hierher gehörigen
Epigramme des Theodoridas und Leonidas von Alexandria (dqr Zeit
des Nero angehörig), sie beziehen sich beide speciell auf die Niobe am Si-
pylos. Jener fordert den Fremden auf näher an das aus Fels und Fleisch
gemischte Bild der unbedachtsam redenden [ddvQoykwaaog) Tantalide Niobe
heranzutreten, zu weinen über ihre Leiden. Auf die Erde gestreckt ist ihre
Leibesfrucht von zwölf Kindern (al$o ein Anschluss an Homer) durch Apollos
und der Artemis Geschosse. Es klagt der hochragende Sipylos, dass den Sterb-
lichen in der Zunge liege die heimliche Krankheit, deren ungezügelter Unver-
stand oftmals Unglück erzeugt1). „Noch als Fels", dichtet Leonidas2),
„am Sipylos jammert Niobe durch Thränen, um den Tod ihrer zweimal sieben
ußXaßtag vovooioiv. fd* tag v(xt)(ji dixaftog
nai&iv xai yXioooa oaiffQovi TaviaXCäct.
1) Anthol. gr. T. II. p. 42. n. VII :
Zxa&t ritkag, SaxQVöor MoiV, £&€, (ivq(u nivfrri
tag a&VQoyXiiooov TavjaXidog Ntoßag,
ig inl yäg Zotqüjos övtatitxttnaitia Xoytlr\v
aqxi ra p\v <Po(ßov t6£cc, t«cT Wpr^utcfoff.
a cf£ Xtfrq) xal oaQxl fitfiiyfifvov tlSog fxovaa>
tutqovtcu* OTivaxti (f viputayfig ZCnvXog.
dvatolg tv yXuOOq SoXta v6oog, ag äxaXivog
ittfQoovva tIxxu noXXdxi dvojvxCtw.
2) Anthol. gr. T. II. p. 193. n. XVI:
MiQog tt iv JEtnvXtp Nioßrj d-Qijioioiv alaCa,
knra die (böivwv pvQoptvt] Savarov.
X^H <f' ov6% aieSvi yoov t( d* aXtt&va fiv9ov
(f9£y};(tTo Tor Coiijjff aqnay« xn) rtxfav:
62 Erstes Kapitel.
Geboreneu. Nicht in Ewigkeit wird sie ablassen vom Jammer. Was hat
sie denn das prahlende Wort gesprochen, den Räuber ihres Lebens und ihrer
Kinder?"
Straton aus Sardes (in der Zeit des Hadrian) will nicht, dass man auf
seinen Blättern einen Priamos am Altar getödtet, noch die Leiden der Medea
oder der Niobe, noch den Itys im Gemach und die Nachtigallen im Grünen
suche, das sind Stoffe, die die Früheren massenweis behandelt. Bei ihm
sieht man Chariten, Eroten und Dionysos *) . Aber noch Makedonios (in der
Zeit des Justinian) weiss der Niobesage eine feine epigrammatische Spitze
abzugewinnen. ,, Einst sah ein Rinderhirt die Niobe weinen und staunte,
dass Thränen zu vergiessen versteht ein Stein, aber meiner, der in solchem
nächtlichen Nebel geseufzt, hat sich der lebendige Stein Euippes nicht er-
barmt. Ursache ist beiden die Liebe, die Kanalführerin des Kummers, für
Niobe um ihre Kinder, für mich um meine Leidenschaft"2). Ein von Au-
sonius übersetztes Epigramm in iambischen Trimetern von einem unbekann-
ten Verfasser spielt mit den Begriffen Leiche und Grab bei Niobe : dieses
Grab hat innen keinen Todten, dieser Todte hat aussen kein Grab, so ist
es selbst seine eigene Leiche und Grab"3).
Auf eine berühmte Statue der Niobe endlich, doch ohne Bezug auf eine
ganze Gruppe, hat Julianos der Aegypter ein Epigramm gedichtet, worin
er die volle Wahrheit der Trauernden hervorhebt; wenn sie nicht selbst einer
Seele theilhaftig geworden, solle man das der Kunst nicht zurechnen, sie
1) Anthol. gr. II. p. 359. n. II:
Mr) CvTU ö&Toie fv ffiaTg Hq(afxov naget ßatpotg,
/urjdk ra Mr\ö*tlr\g ntv&ta. xtd NiößijS,
utjö* * 7tw tv &aldfioig xal ärjdorag lv ntTceloioiv,
ravta yttQ ot 7i QOTfgoy nexvxa %vöyv tyQttifor.
2) Anthol.gr. III. p. 114:
Trjv Nioßtjv xletCovöetv tdojv noif ßovxolog dvi]Q
$a(ißtev% fi liißtiv öaxQvov rfefc M&og.
etvrccQ £/uf artvttxovxa roorjv xaret vvxiog o/u^l*
tfinvoog Ei)lnnr\g ovx lldttiQf Itöog.
alriog ct/utfOTtgotöir $Qa>g o^etfiyog oatijg,
Tjj Nioßy rexttov, etvray Ipol net&bav.
3) Anthol. gr. III. p. 287 :
'O xvfißog ovrog tvdov ovx l/«i vsxqov.
6 vtXQog ovrog ixiog OVX fjftf TtiffOV,
all' avrog ttvrov vtxqog Ion xul rdqog,
Uebersetzt von Auson. Epitaph, gr. 29 :
Habet sepulcrum non id intus mortuum
habet nee ipse mortuus buRtum super,
sibi sie est ipse hie sepulcrum et mortuus.
Die alexandrinische Poesie. Die Epigrammatiker etc. 63
habe ja ein versteinertes Weib darzustellen1). Ein anderes von einem unbe-
kannten Verfassser auch auf eine Statue der Niobe nennt den Künstler Praxi-
teles, der der durch die Götter Versteinerten neues Leben gegeben ; Ausonius
hat uns in einem an seine Nachbildung sich anschliessenden Distichon sicht-
lich die in dem Original auch einst gegebene Pointe mit erhalten, „sie lebe
zwar nur durch den Künstler, aber Sinn, Verstand habe er ihr nicht geben
können, den sie auch früher nicht bewiesen"*).
Auch die letzte Nachblüthe des griechischen Epos in ihrer nüchternen
Nachahmung und Ergänzung des Homer, wie sie Quin tos Smyrnaeos
darstellt, sowie in der übervollen, aufgeregten, künstlich gesteigerten Be-
handlung dionysischer Stoffe, wie sie in Nonnos uns erhalten ist, hat die
Niobesage nicht zur Seite liegen lassen. Quintos Smyrnaeos, welcher selbst
einst als Knabe Schafe geweidet im Gebiet von Smyrua, nahe am Hermos bei
einem Artemistempel, in einem Gartenbezirk der Eleutheria* , auf massiger
Berghöhe, nimmt bei der Angabe eines gefallenen Helden auf troischer Seite
Veranlassung zu einer auf eigener Anschauung sichtbar beruhenden Schilde-
rung der Niobe am Sipylos, in seiner Ausdrucksweise zugleich an die oben
näher erläuterte homerische Darstellung4) sich anschliessend. Der Dulichier
Meges tödtet Bundesgenossen der Troer, von der kleinasiatischen Küste, von
Milet, Mykale, Panormos, aus dem Mäanderthal, endlich der thessalische
Polypoites den Sohn des Theiodamas (ein den Dryopern in Thessalien, wie
auf Rhodos angehöriger Name) und der Nymphe Neaera, Dresaeos ß) .
1) Anthol. gr. II. p. 500. n. XXVIII:
stvotqvov Ntoßrjg OQttqg navaXtj&ia poQytjr
(og in fivQOfitvrjg notpov luv nxi<ov ;
iv <T aga xal \pvxhy °"* iXXaxe; (*h todf r£xvy
fiiptpeo, fhjXvTtQTjv ttxaot Xa£v(rp'.
2) Anthol. gr. III. p. 214:
*Ex C^ffS f*t &*ol revtav It&oy • ix öt Xtd-oio
£<yqv nga^iriXrjg ipnaliv dgydoajo.
Auson. Epitaph. 28 :
Vivebam, sum facta silex. Quae deinde polita
Praxitelis manibus vivo iterum Niobe.
Reddidit artificis manus omnia, vel sine sensu ;
hunc ego cum laesi numina non habui.
3) 'EUv&tgfas M xtjjup Posthorn. XII. 312. Bezieht sich dieser Name nicht auf eine
bei Artemisien so häufige Freistatt?
4) II. XXIV. 602—620.
5) Posthorn. I. v. 291^305:
Jqr^aalov <f ' idapttootv «otjttf+Xoc ÜoXvnolrffQ t
xbv t£x€ 67a NfaiQ* ntQiyQovt OeioSäftavTi
piX&ti<f iv Xfxttooiv vnal ZinvXia vtqoirn,
yX* &tol Nioßijv Xaav &4attv, t/c fn ödxQV
64 Erstes Kapitel.
„Unter dem schneeigen Sipylos haben sie sich umarmt auf dem Lager,
dort ist Dresaeos geboren, dort, wo die Götter Niobe als Stein hingestellt,
deren Throne -noch gar voll vom rauhen Felsen fliesst. Und mit ihr seufzen
die Gewässer des tönenden Ilennos um die langen Gipfel des Sipylos, über
die hinab immer streicht der den Schäfern verhasste Nebel. Sie aber wird
ein gewaltiges Wunder den vorbeieilenden Menschen, weil sie gleicht einer
klagereichen Frau, die ob tiefer Trauer vergiesst unzählige Thränen. Und
das nennt man unleugbar, wenn man sie aus der Ferne schaut, wenn du ihr
aber nahe kommst, dann erscheint es als jäher Fels und des Sipylos Vor-
spnuig. Aber sie der Unsterblichen verderblichen Groll vollziehend, jammert
im Fels noch einer Trauernden ähnlich." Wir haben also hier ein Nym-
phenlager am Sipylos, wir haben den jähen Abfall mit dem rinnenden Quell,
ein Zusammenklingen mit dem wehmüthigen Flussrauschen an dem Fusse
des lterges, wir haben ein Felsenbild, das in der Nähe den Charakter einer
menschlichen Bildung verliert, wir haben endlich Niobe selbst im Fels ein-
geschlossen.
Nonnos fugt an vier Stellen seiner Dionysiaka die Beziehimg auf Niobe
bei, lässt sie an einer selbst redend auftreten *) . Eine Hamadryade aus Lor-
beerstamm hat einer Genossin von Fichtenstamm in der Noth des gewaltigen
Kampfes zwischen Zeus und Typhaon alle Möglichkeiten der Verwandlung
vorgeführt, in Erde, in Wasser, in andere Bäume; so schliesst sie2} : ,,ich
werde wie Niobe auch selbst ein Stein sein, damit auch mich, die im Steine
klagende bemitleiden die Vorüberziehenden. Doch was soll mir das Vorbild
der Frevelzimge ! Verzeih Leto, fort mit dem Namen der unselig gebärenden.
Nymphe!*' Auf den Tafeln des dritten Pfeilers (xvQßig) der Harmonia, wo
itovXv fidXa OtuipeXijg xaxaXtlßtxat vipo&i ntiQqg,
xaC ot avoxovR%ovai §ott\ noXurßtos "Eq/hov
xai xoQVifai £mvXov 7J€Qifnjxftg} tav xaÜV7Ttg&(r
ty&Q*l f**lXov6poioiv a() ntQininxax* ofÄfaly
rj cf£ niXki jutyct Vctu/u(t naotaavfjitvoiai ßgoioloiv,
ovv€x* ioixf ywatxl noXuaxoi'ip, jjr' kn\ Xuyyy
nivd-t'i fivQOjn£vij udla fivg(a JdxQva ££t)«t '
xai xb fikr dxQixfog (fyg fy/utrat, bnnor uq ai'jqv
xrjXofcv (t&eijatiag, Inrjv d£ ot lyyvg l'xrjai,
tfafvtxai ainr\taoa niiy?) ZinvXoto r dnoQ qcj^.
dXX rj fikv fiaxaQtüv bXoov %6Xov txxtXiovOa
(ivQtrai iv ntxQrjaiv fr d/yvfj^vr} ttxvta,
1) Dionya. II. 159; XII. 79 — s ! ; XIV. 270 ff. ; XL VIII. 228.
2) Dionys. II. 1 59 ff. :
fooofittt, (bg Nioßrj, xai lyto Xt&og, wfQa xai avrqv
Xu'n(r)v oxtvd%ovaav tnoixretQtooiv od trat •
itXXa xaxoyXcüöOoto xt (aoi xvnog; l'Xa&t At]%u\'
f(iQ^Tio aivoxoxoio fr£ijfiä%ov ovroua rvfitpijg.
Der Ausdruck xaxoyXioaooio fanden wir schon bei Kallimachos a. o. a. O.
Die alexandrinische Poesie. Die Epigrammatiker etc. 65
mit Mennig die Orakel de« Phanes aufgezeichnet fanden, weist der Sonnen-
gott die Hora des Herbstes auf berühmte Metamorphosen hin, die da ver-
kündet waren : Argos, Harpalyke, Philomele, Niobe, Pyrrhos, Pyramos und
Thisbe, Krokos und Milax, Atalante, Kissos, Kalamos und Ampelos folgen
sich. „Niobe, so heisst es, wird an dem Fusse des Sipylos (2invXoio JictQcc
aqwQa) als mit Besinnung begabter Fels, klagend mit steinernen Thränen um
die Reihe der Kinder stehen *)." Auch hier also eine unmittelbare Zusam-
menstellung mit derPandionstochter, wie wir sie zuletzt im anakreonteischen
Liedchen fanden, auf der andern Seite hat die Yerst einer ung sie paralleli-
sirt mit Pyrrhos, dem begehrlichen Liebhaber der Rhea. Es folgen sich über-
haupt Verwandlungen in Vögel, Steine, Quellen, Pflanzen. Dionysos kommt
auf seinem Zuge von Ost nach West, bedroht von dem indischen Heere des
Deriades nach Phrygien und Mäonien, dann in die Landschaft Askania. Nahe
dem Strome des Sangarios im phrygischen Fruchtgefilde, da zieht er vorüber
an dem Trauerfels der versteinerten Niobe. Sie erhebt von Neuem ihre
menschliche Stimme und mahnt die Inder ab von Streite mit Dionysos, an
ihr eigenes Beispiel erinnernd. Rhea sei mächtiger im Zoni als Artemis,
ßakchos Bruder des Apollo. Sie wolle nicht um die gefallenen Inder fremde
Thränen, d. h. Thränen um nicht Angehörige weinen. Neues Schweigen ver-
siegelt den Mund des Steines2).
Die Erzählung endlich von Aura, der jungfräulichen, aber auf ihre
Keuschheit stolzen Genossin der Artemis bei Astakos und am Sangarios,
welche diese beim Bade durch Worte verletzt hat und dafür durch Adrasteia
oder Nemesis der Liebe des Dionysos im Schlafe anheim gegeben wird und
von deren Zwillingsgeburt, die dem Gebirge den Namen Didyma giebt, wovon
das eine Kind alslakchos noch gerettet wird, während das andere von der eige-
nen Mutter verschlungen wird, endlich von der Verwandelung Auras in eine
Quelle, all dies ist durchzogen von der Gegenübersteilung mit Niobe. Nemesis
fragt die zu ihr geeilte zürnende Artemis, ob Leto von einer kinderreichen Frau
beleidigt werde, eine zweite Niobe könne als Stein ihre Kinder beweinen 3J .
1) XII. 79—81 :
Ktt\ NtoßqZi n uXoio irttQa oyvoa ntrQog f^tfQtoy
JdxQvat XaivtotOtv o3vQOfAivr\ arl^n 7ia(ti<ov
GTtjotTai otxTQov ayaXfia — nuy« aqvgu, wie XL VIII. 2-11.
2) Dion. XIV. 270 f.: xttl fcbg-ZayynQtou nttga x(Vf*n, ntQl <Pyvytt xoXnov agovQtjg,
Xa'n'trjg Ni6ßr\g n aQi(i£t(ttt niv&taUi n{%Qr\v
xtii XtHog Vi'cFo»' ofjiiXov i^iJfia^voiT« yiva((p
öaxQvong oqoiüv ßQortrjy itaXtv ta%t tftovi'v • xrX.
ToTtc Xi&ov ßooüjirn naXiv oq QtjyfooctTO Otyrj.
3) Dion. XLVIII. 406 s
*/ dl yuvri noXvrtxrog avitiCti o£o Ai\i<o,
itXXrj Xuivti) Nioßrj xXuvotu yer^Xiji:
xCg y&ovoiy tl XC&ov äXXov vntQ ZinvXoto TtXiaaio;
Iftark, Niobe. 5
ßß Erstes Kapitel.
Artemis erwiedert, nicht Zeus, nicht Niobe, nicht der freche Otos reiie
sie, aber sie habe ein Leto ganz ähnliches Leid betroffen. In Phrygien habe
Niobe die Zwillingsmutter Leto gekränkt, in Phrygien Aura sie selbst, jene,
die Tantalide, die Unglücksmutter habe in der Verwandlung gebüsst, und
vergiesse Thränen aus dein Felsenauge, sie allein trage ungerächte Schmach,
denn Aura sah nicht von Thränen gebadet den Fels noch die Quelle. Neme-
sis erklärt, allerdings soll sie keine Felsehjungfrau werden (netQuid^g vvficp^),
aber Artemis werde noch sehen, wie sie mit Thränenquellen aus ihrem berg-
ergossenen Busen ihren verlorenen jungfräulichen Gürtel beklage. Nemesis
eilt auf ihrem Greifenwagen herbei; gerade über dem Haupte desSipylos *or
dem steinäugigen Antlitz der Tantalide hält sie das Gespann an und voll-
zieht die Strafe an Aura.
Auch bei der Auras Mythus ganz entsprechenden Erzählung von der
Nymphe Nikaea, der spröden Jägerin auch vom Astakos hat Niobe Theil-
nahme gezeigt; über den Tod des Hirten Hymnos hat die Nymphe vom
Rhyndakos, haben die Na jaden geweint, aber auch oben im Sipyloe hat der
nachbarliche Fels der Niobe mit den von selbst fliessenden Thränen heftiger
geseufzt1).
Interessant ist in diesen letzten Stellen die unmittelbare auch lokale Ver-
bindung der Niobesage mit dem nordwestlichen Phrygien, mit Sangarios,
Khyndakos, mit Astakos, die mythische mit Adrasteia, mit Nikäa, Aura,.
Hymnos, auch zu Bakchos erscheint sie zwar durchaus nicht eigentlich ge —
hörig, aber der Verbreitung seines Dienstes freundlich. Bezeichnend ist aucJb*
die Voraussetzung eines Fortlebens im Sinne einer Mitempfindung für andere
Geschicke.
Wie die ganze griechische Bildung in die Sophistik endlich sich
V. 417: ov Ztvg, ov Nioßrj fje, xai oit O-Qaavg^Sliog ootrci.
V. 425 : /uqrpt ff ' iprj na&ov ukyog bfioCCov • a^i^ore^or y*Q
fy tpQvyty Ntoßrj <$idv/j,?;joxov ijxa/€ Aqrtu.
xcd Tidhr $r •fr(>vy(y tu€ fttrjudxog ijxttxtv Avnri '
all* tj (Ahv vo&ov rtJot apinfjttfi&r} noQt noirtjv
TttrTallg ah'OToxtiu, xctl elotrt öaxQvu Ittßtt
otu(A(tot ntTQctiotoiv dnrjfriToa cf£ fjovvrj
ala%og fyto vqnotvov, inel (filondy&irog Avqt\
daxQvoir ov M&ov (2o*€ Xeloupivor, ovx tJc nriy^i' — .
V. 447. 48. : xat juiv toaÖQqouccg oQiaot/vrov Jia xoXnov
tiuxQvot nriyaloiaiv oövQOfiivtjv tri /uiTQrjv.
'Op*cTflr(^i'TOff erRcheint als Beiname der Quelle selbst bei Dion. XLVI1I. 936.
V. 455 : xttl Öqo/aov lar^Qi^tv vnlo ZinvXoio x«Qrtvov
TavtttXlöog noondQot&c Xi&oyXrjVoio n Qoaionor.
1) Dion. XV. 372 ff. :
vnlg ZmvXoio dk yeltvtv
tiaxQVOir «vio^uroig Nioß/jg nXiov tortri 7i4tqh.
Die alexand ^.irische Poesie. Die Epigrammatiker etc. 67
und das rhetorische Schema schliesslich die einzige Kunstfarm wurde, in
deren wohlabgemessenen Gemeinplatzen die ganze Fülle der Mythen und
der historischen Persönlichkeiten armselig verwerthet wurde, so müssen wir
auch für die Niobe den Gang durch die formalen Entwicklungsstufen des
Mythus auf griechischem Boden mit Heispielen von Redeübungen schlies-
sen. Aphthonios1) bespricht in seinen Progymnasmata den Begriff der
Charakterschilderung oqog rj&onouag) und zert heilt diese in pathetische,
ethische und gemischte. Als Beispiel der pathetischen Ethopöie behandelt
er da« Thema : ,,was würde Niobe sagen beim Anblick der vor ihr liegenden
Kinder?" Mit dem schroffen Gegensatze des frühern Reich thums und der
jetzigen Armuth beginnt die Rede. Dann wird die Gleichheit des Schick-
sais roitTantalos, dem Vater hervorgehoben ; er lebte mit den Göttern zusam-
men tömI wird daraus Verstössen und unglücklich, sie lebte mit Leto eng
verbunden und gerade dies Zusammenleben war ihr Unglück
Welches Grab, welche letzte Ehre genügen für den Verlust aller Kinder? Nur
eine* bleibt die Götter zu bitten, die Natur zu wechseln, nur eine Lösung
ans dem Unglück in das Empfindungslose sich umzuwandeln, und doch steht
zu furchten, das» sie weinend bleiben werde.
Libanios (um 360 n. Chr.) hat genau dasselbe Thema in zwei Etho-
pöien behandelt2). Zwölf Kinder, d.h. alle, sind todt; in der Leichenbe-
sJffftung mos» Bahre auf Bahre [xkivr( xXlvrpr) folgen. Ein Grab wird sie um-
fimert, aber zwölf Reden, zwölf Inschriften sind nöthig ; Knaben und Mäd-
chen werden sich einander gegenübergestellt. Wie glücklich war sie einst,
besonders im Zusamnienleben mit den Göttern, in der Freundschaft mit Leto !
Nur in Scherz hat sie ihr gegenüber ihre Kinder gezählt, da hat jene das
theriebte Wort nicht ertragen, ein kleines Wort hat die lange Freundschaft
zerstört. Nun folgt die Steigerung des Schmerzes von Stufe zu Stufe bis zum
Entschlüsse zu sterben. In der zweiten Ethopöie wird der Gegensatz des
Göttlichen und Menschlichen he tausgehoben. Keine Zeit reicht fijr den
Threnos und so bleibt nur eine Umwandlung in ein empfindungsloses Dasein
wünschens werth .
1) Progyrananm. c. II in Walz Rhett, grr. I. p. 102. 103 mit Doxopatn Homil. in
Aphthon. prog. (Walz t. 11. p. 505— 509) und Schol. antiqua aus dem 10. Jahrh. (Walz II.
p. $17—649). Wichtig ist die Stelle: aXX* offiot 7TctQ(t7iXtja{ctv fyto ftp Tixovn ttjv rv^v
TarrdXou 7tQorjXffovf of awöiyrÜTO plv rote 0to7ey'ßtdiv cH fdtru rrjv avvovohtv iiimitti * xal
*«*T«KJr«tftt TavraXou ßißitito to yivng loig cnt'xi)uaot. ounjtf&rjv Arpot xal «fi« ravTrj* xa-
*onQ*yw xal rf^f buUtuv tt$ u(fa(Qtoiv tTXqtf« nttttitov xal TiXtvrq fiot 7iQog Oi/jifofae
•**i>wify &tov xtk. Der Schlufts lautet : aXXa ri raura difvQouat na^or «hrja«i ttfovt hi-
&**y aXXa$troftai (jVQtv; p(av rar aiv/^artüv Ttfttaum Xvoiv ptraoirrta ct^o? t« prftik'
«la&atop-tra * uXXit paXXov JfJoixct, pr) xal rovto (favtiOt* pfyiu daxQVOvoa.
2) Progymnasm. in Opera ed. Morell. 1606. VI. p. 143. 145.
e •
68 Erstes Kapitel.
Auch hier in der späten rhetorischen Uebung treten uns Züge individuel-
ler Art entgegen. Wichtig ist vor allem das grosse Gewicht, welches auf das
lange freundschaftliche Zusammenleben mit Leto gelegt wird. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass die Schilderung Sapphos beiden lthetoren vorge-
schwebt, da die Studien der alten Lyriker von den Rhetoren z.B. Himerios
mit grossem Eifer getrieben wurde. Dagegen recht abgeblasst erscheint uns
das Bild der Niobe bei Chorikios aus Gaza1) ; der in einer Monodie einer
Trauernden über einen Frühverstorbenen, welcher eine Gesandtschaft an den
Frankenkönig geführt hat, die Trauer der Mutter schildert, von ihrem Ver-
steinern, vom Aufhören der Stimme, vom Thränenfliessen spricht und nun
schliesst : nicht mehr erscheine nun der thränende Fels als Fabel.
Ebenso wendet Achilles Tatios Niobe an, um die Erstarrung des
Schmerzes Kleitophons über den grausamen Opfertod seiner Leukippe zu
schildern. ,,Ich aber musste ruhig sitzend zusehen. Das war aber ein Zu-
stand des Entsetzens, denn das masslose Unglück betäubte mich wie mit
einem Donnerschlag. Und alsbald war die Fabel von der Niobe keine Fabel
mehr, sondern auch jene hatte einen ähnlichen Zustand ob des Unterganges
der Kinder und gewährte in ihrer Unbeweglichkeit den Anschein, als ob sie
zu Stein geworden wäre2)."
Clemens von Alexandria braucht das Bild der Niobe, ersetzt es aber
dann durch das biblische von Lots Frau, um die Unempfindlichkeit des Men-
schen damit zu veranschaulichen3). Auch Hieronymus bedient sich des-
* selben und zwar mit aller Unbefangenheit4).
Die sprüchwörtliche Redensart : ,,Niobes Leiden" [Nioßrjg na&ij) mochte
im Volksmunde, wie die der ,,Tantalosgewichte" (ta Tavtdlov %akavxa)
noch länger fortleben, als das bestimmte Bewusstsein über die zu Grunde
liegenden Vorgänge ft) .
1) Chor. Gaz. ed. Boiss. p. 185: <og ftrjx^ri (iv&ov flvcti <fox(7v xai Uftov daxovovaav.
2) Ach. Tat. III. 15: iyto ök fx naQ(tXoyov xnttrjiutvog id-toi/urii" to d£ rjv ^xnXtj^ig'
fiijQov yitQ ovx txov 10 xaxov £rtßQ6vTt)o£ pt * xai t«X« o ttjq Ntoßqg pudog ovx yv tyfvdyg,
aXXa xüxtlvT] toiovtov rt 7i€t&ovoa inl t j) tjüv nuCötov antüXtCu J6£av netQ^o/tv fx rijf «xi-
vr\a(ng (oatt Xlttog yevofi&'q.
3) Admon. ad gentes p. 29 ed. Sylb. (p. *2 ed. Pott.) : rj yctQ ov/) Niößug tqotiov rtia,
fdaXXov 81 fra /LiuOTixcjTfQov TiQog v/uag «Jioq Oty^copcti, yvvutxog rr^g 'EßQntag J/xqr, uiän
IxttXouv avrr\v ol naXutol, tlg avatofrrjoiav ptTaiQinta&s ;
4) Ad Ocean. epist. S3 : seeundo ac tertio sciscitari coepi, Nioben putares, quae nimio
fletu in lapidem versa est. r
5) Apostol. Cent. XII. n. 11 in Paroemiogrr. grr. ed. Leutsch II. p. 544: Nioßrjg na9r\
inl ttiv fttyiora ituftovriov xaxti • (tvTTj yä(t £(ö(Ja Xt&og fytvero in) TCf> Tvpßip rtov na(d(av. —
Vgl. dazu die von Leutsch angeführten Stellen Cram. Anecdot. Paris. IV. p. 271 : aXXrp
Ntoßrjg tivOTv/oög eXotg ßlov. Theoph. Simoc. Epist. 25 : pr\ yii'ov roCvw tjJ Ntößy l<fd-
itiXXog, sowie Hadrian. Jun. Adag. ttS; EraRra. Adag. s. v. Niobes mala. Ueber t« Tav-
TctXou TuXi<t'T«''Vheisn de proverbio Tui'ftlkou Ttikavru, Nordh. 1 S55.
Ovid und die übrige lateinische Dichtung. 69
§ »•
Ovid und die übrige lateinische Dichtung.
Ein Dichter der römischen Spätzeit, M. Aur. Oiympius Nemesianus klagt
am Beginn seiner Cynegetica, dass schon die ganze Fülle der alten Mythen
von den Dichtern der frühern Zeit vorweg genommen sei1) und. führt als
erstes Beispiel dafür an: „denn wer hat nicht schon Niobes Trauer über
die zahlreiche Todtenbestattung besungen?" Semele und andere Mythen
folgen nach2). Ja noch bedeutend später fordert der nachherige Bischof Sido-
nius Apollinaris seine Leier auf, anderswohin sich zu richten, nicht zu singen
die Tödtung des Drachen Python, nicht erklingen zu lassen ,, die zweimal
sieben Todeswunden der Tantaliden, deren Todesbestattung aufbewahrt der
Gesang und es lebt im ewigen Liede ihr Tod"3). Gewiss ein Beweis, dass
auch in der lateinischen Dichtung Niobe ein reich durchgearbeitetes Thema
war.
Uns ist aus der älteren römischen Poesie, bei Tragikern oder Komikern
oder dem Epos keine Spur einer Bearbeitung erhalten 4) . Aus augusteischer
Zeit besitzen wir die ausführliche poetische Schilderung in den Metamorpho-
sen des Ovid5) sowie eine Reihe einzelner Stellen aus Ovid, während Virgil,
Horaz, Properz nur spärliche, kurze Andeutungen geben. Aus der Nachblüthe
der Poesie im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit hat Statius in seiner The-
bais zweimal Gelegenheit genommen6) aus dem Niobemythus eine prä-
gnante Scene zu schildern. Seneca, Juvenal und endlich der Epigrammati-
ker Ausonius kommen noch einigermassen in Betracht.
Das sechste Buch der Metamorphosen führt uns wesentlich Mythen vor,
die an der Küste Kleinasiens spielen und die Strafe der Gottheit an Sterb-
liche, die ihrem Dienst sich nicht beugen wollen, vergegenwärtigen. Es be-
ginnt mit der Erzählung der Arachne, der Tochter des Idmon aus Kolophon,
1) V. 37: haec jam magnorum praeeepit copia vatum
omnis et antiqui vulgata est fabula secli.
2) V. 1 5 f. : nam quis non Nioben numeroso funere moestam
jam cecinit?
3) Carm. II. 3 II :
huc converte chelyn, non est modo dicere tempus
Pythona exstinetum nee bis septena sonare
vulnera Tantalidum, quorum tibi funera servat
cantus et aeterno vivunt in carmine mortes.
4) Das» in der bei Cicero de nat. deor. III. 2f> angeführten tragischen Stelle aus En-
y*ius fälschlich früher Niobe ergänzt wurde, wo Medea der ganze Zusammenhang ergiebt,
**t schon seit längerer Zeit erkannt.
5) L. VI. 146—31«. 401—405.
6) L. III. 1 20 ff. 191—198.
70 ' Erstes Kapitel.
welche zu Hypaepa am Südabhang des Tinolus durch ihre Webekunst die
Bewunderung der Nymphen des Ortes, des Gebirges wie des Paetolus auf sich
gezogen hat, der sich ihr offenbarenden Göttin Minerva Ueberge wicht nicht
anerkennt und auf einen Wettkampf sich einlässt, von der erzürnten Göttin
ihr Gewebe zerreissen sieht, mit dem Weberschiff auf die Stirn geschlagen ihr
Leben durch den Strick endet und als Spinne ihren Beruf fortfuhrt. Niobe
wird nun als jüngere Zeitgenossin hingestellt, welche das Schicksal Arachnes
mit erlebt und doch nicht dadurch der furchtbaren Mahnung „den Unsterb-
lichen zu weichen und bescheidenere Worte zu gebrauchen1) eingedenk blieb.
Bei der furchtbaren Katastrophe Niobes gedenkt man früherer entsprechen-
der Vorgänge (VI. 315ff.), zunächst der Verwandlung der schilfabschneiden-
den Anwohner eines Teiches in Lycien in Frösche, welche der von Juno
verfolgten, die beiden Kinder Apollo und Diana auf ihren Armen tragenden
Latona die Erquickung durch das Trinken des Wassers verwehrten, dann des
Satyrs Marsyas, der im Wettkampf von Apollo besiegt ob seiner harten
Bestrafung von allen Satyrn, Nymphen, Hirten, von Olympus beweint,
durch diese Thräuen dem Flusse Marsyas in Phrygien seine Entstehung gab.
Die Betrauerung der Niobe und ihres ganzen Hauses giebt Veranlassung von
Pelops' elfenbeinerner Schulter zu berichten und es fuhrt dann die
Betheiligung aller griechischen Städte an dieser Trauer mit Ausnahme Athens
zur Erzählung von dem gleichzeitigen Schicksale der Töchter des Pan-
dion, Prokne und Philomele und ihrer schliesslich en Verwandlung, diese
dann wieder zu einer ähnlichen Entführung nach Thracien, der der Orei-
thyia durch Boreas. Die inneren Bezieh ungen dieser Sagen nach Loka-
lität, oder nach den dabei auftretenden Gottheiten, oder den Gegenständen
der Verwandlung oder nach mehreren Punkten zugleich ist unverkennbar.
Vor allem aber mache ich auf die Zusammenstellung der Niobe- und der Pan-
dionstöchtersage aufmerksam, wie wir sie bei Sophokles schon fanden und
wie sie uns noch in engster Verbindung, im Uebergang in einander erschei-
nen wird.
Fassen wir nun die Erzählung von Niobe selbst schärfer ins Auge. Niobe
ist aufgewachsen in Maeonien und zwar in Sipylus; Maeonia ist hier das
engere Territorium im weiteren Lydia und Phrygia. Sie ist die Tochter des
Tantalus und einer Schwester der Plejaden (d.h. Dione, einer Hyado), da-
durch Enkelin des Atlas und des Jupiter, sie ist Gemahlin des Amphion und
daher Schwiegertochter des Jupiter, sie ist Königin von Theben, Herrin auf
der Cadmea durch ihren Gemahl. Alles dies Ursache zum Selbstvertrauen
dabant animos VI. 152), zum Stolz, doch nichts war ihr so wichtig, als ihre
Nachkommenschaft; sie erschien sich als glücklichste Mutter mit ihren je
I) Mctam. VI. 151 :
cedere caclilibus verbisque minoribus uti.
Ovid und die übrige lateinische Dichtung. 7 1
sieben Söhnen und Töchtern. Rasch führt der Dichter über zu der von ihm
xu schildernden Hauptscene. Da tritt Manto, die Tochter des Sehers Tiresias,
die als erlesenes Geschenk der Kriegsleute später von den Epigonen nach
Delphi dem Gott geweiht wird, ja als Geliebte des Apollo und Mutter des
Mopsos erscheint, auf von göttlichem Geist ergriffen und mahnt prophetisch
auf den Strassen die Frauen Thebens, Latona und ihren Kindern unter Ge-
beten Weihrauch zu spenden, das Haar mit Lorbeer zu schmücken. „La-
tona gebietet es durch meinen Mund,'* schliesst sie. Es geschieht dies all-
gemein von den Thebanerinnen ; Gebet, Weihrauch steigt in den Opferflam-
men empor, der Lorbeerschmuck deckt die Schläfen. Siehe, da erscheint
Niobe auf den Strassen in zahlreicher Begleitung, im golddurchwirkten
phrygischen Gewand, schön, soweit es der Zorn zulässt, mit dem edel ge-
schmückten Haupt. Die auf die Schultern herabfallende Haarfülle bewe-
gend bleibt sie stehen hochaufgerichtet, ihre stolzen Augen blicken um sich.
„Welcher Wahnsinn/' spricht sie, „ist es, Himmlische, von denen man
nur gehört, den erschienenen vorzuziehen ! Oder warum wird Latona auf
den Altären verehrt, meine göttliche Natur hat noch keinen Weihrauch em-
pfangen2)." Sie beruft sich auf die göttlichen Ansprüche, die in ihrem Ge-
schlecht liegen, die sie zu Jupiter in engste Beziehung setzen; weiter auf
ihre Herrschermacht , denn sie ist in Phrygien gefürchtet, die Cadmea ist
ihr untergeben und der Mauerring der Stadt vom Saitenspiel des Amphion
auferbaut, wird von ihr und ihrem Manne beherrscht ; sie beruft sich weiter
auf die ungeheueren Schätze ihres Hauses8), weiter auf ihr einer Göttin wür-
diges Antlitz, endlich zuletzt auf die sieben Töchter und sieben Söhne und
deren in Aussicht stehende Verbindungen. Im vollen Gegensatz dazu stellt
sie das Geschlecht der Latona als Titanide, die von einem unbekannten Coeus
abstammend, die Heimath- und Besitzlosigkeit der weder im Himmel noch
auf der Erde noch im Wasser angenommenen Göttin, der endlich die kleine
unstäte Insel Delos eine Zuflucht gewährt habe, endlich die Zahl Zwei ihrer
Kinder, den siebenten Iheil der ihrigen. Auf Grund dieser Vorzüge nennt
sie sich glücklich, aber sie findet auch eine Sicherheit für das Bleiben des
Glückes in der Fülle desselben, sie fühlt sich über Fortuna erhaben. Mag
1) Zu Manto vgl. Apollod. III. 7, 4 : rrjg öt lt(ttg pfyog tig JtXyovi; ni^novoiv^Anollmvi
*<t\ ri\v TttQtofov &vyariQa Mtwi<6 • ijv^aVTo y<tQ ttunp Gtjßag tXovrtg to xnlktaxov rday i,«-
Yvfmv arttSJöttf' Dazu Gerhard gr. Mythol. § 321. 3 c.
2} V. 1 70 ff. : quis furor auditos, inquit, praeponere visis
caelestes? aut cur colitur Latona per aras,
numen adhuc sine ture meum est?
3} V. ISO ff. : In quameunque domus adverto lumina parte m,
immensae speetantur opes ; accedit eodem
digna dea facies.
72 Erstes Kapitel.
auch vieles ihr entrissen werden, noch mehr wird ihr immer bleiben. „Setzt
den Fall* % führt sie weiter aus, ,, es könne mir auch etwas von der Fülle meiner
Kinder geraubt werden, dennoch werde ich beraubt nicht auf die Zahl Zwei
herabgebracht werden, den Haufen der Latona, die nahezu eine Kinderlose
zu nennen ist" f) . DerSchluss der Rede ist daher : ,,geht weg vom Opfer eilig
und legt den Lorbeer aus dem Haar/* Es geschieht dies, die Opfer werden
unvollendet gelassen, jedoch im leisen Gemurmel verehrt man die Gottheit.
Die ganze Scene ist von grossem dramatischen Leben, Manto's, der Sehe-
rin, feierlicher Aufruf, die Opfer mit neuen Mitteln, dem Weihrauch, dem
Lorbeer, die Erscheinung der stolzen Königin und ihre Rede. In derselben
ist vor allem hervorzuheben zunächst der Mangel jeglichen Hinweises auf ein
bisheriges nahes Verhältniss zwischen Latona und Niobe, es ist der Kampf
zwischen einem neuen, erst einzurichtenden Cult und den Ansprüchen der
gegenwärtigen Herrscherin, der Streit ist gleichsam aus der Unmittelbarkeit
eines idealen, göttlichen Lebens versetzt auf einen historischen Boden. Die
berechnete Steigerung geht endlich bis zu dem Punkt, wo Niobe Latona
so gut als wie eine orba bezeichnet. Wir werden sehen, wie um dies Wort
sich als Hauptangel die folgende Erzählung dreht.
Dem Vorgange in Theben folgt auf dem Fuss die Götterscene auf
dem Cyuthus auf der Insel Delus zwischen Latona, Apollo und Diana. Das
Muttergefühl, das stolz auf das Kinderpaar ist, wird an die Spitze gestellt2),
es beruft sich auf die t hat ige Hülfe derselben, da Zweifel an ihrer Gottes-
natur ausgesprochen werden, ja da für alle Zeiten sie von den Altären ausge-
schlossen werden solle. Doch nicht genug, zu der schmählichen That hat
Niobe auch noch Schmähungen hinzugefügt, sie hat ihre Kinder den zwei
vorgezogen, sie hat Latona kinderlos genannt, was auf sie zurückfallen
werde, sie hat die vom Vater ererbte Frechheit der Zunge gezeigt. Weitere
Bitten werden abgeschnitten von Apollo und Diana, die sofort zur That der
Bestrafung schreiten. In raschem Geleite durch die Luft haben sie die Cad-
meische Burg von Wolken umhüllt erreicht. Also auf der Cadmea haben
wir uns beide Götter sitzend und ihre Pfeile sendend zu denken.
1) V. 198—201: fingitederai
huic aliquid populo natorum posse meorum,
non tarnen ad nuraerum redigar spoliata riuorum,
Latonae turbam, quae quantum distat ab orba.9
Zu turbam vgl. 1.355: nosduo turba sumus. Kindscher in Mützell's Ztschr. f. Gymnasial w.
IX. p. :\%)\) - 100 will die Stelle so geordnet haben:
Latonae propere, quae quantum distat ab orba.
Ite dati thuris satis est, laurumque capillis
ponite,
durchaus ohne Noth und auch der Gedanke: dati thuris satis est ist nicht ganz richtig.
Sie sollen gar nicht der Latona opfern.
2) 206 : en ego vestra parens vobis animosa creatis.
Ovid und die übrige lateinische Dichtung. 73
Die Strafe vollzieht sich zunächst an den S öhnen, dem jüngeren Theile
der Kinder Niobes. Als Schauplatz ist hier ein Blachfeld nahe der Mauer f)
vom Dichter bezeichnet, wo Rosse getummelt werden im Kreislauf, wo die
Wagen im Wettrennen sich üben, wo aber auch die Uebungen der von Oel
glänzenden Palästra {opus nitidae palaestrae) vorgenommen werden, aller Wahr-
scheinlichkeit nach das Gymnasium des Herakles oder das Iolaeion nördlich
von der Stadt, gleich unterhalb der Cadmea und nahebei dem Flüsschen Isme-
uus, worin also Hippodrom und Palästra nicht fehlten. Die beiden ältesten
Söhne Ismen us und Sipylus sind noch im Reiten begriffen; sie werden in
entgegengesetzter Art von den Pfeilen getroffen, jener mit scharfangezogenem
Zügel das Pferd in der Schule reitend wird mitten durch die Brust geschossen
und sinkt allmälig zur rechten Seite herab ; dieser dagegen hat die Zügel
schiessen lassen auf den Klang der durch die Luft schwirrenden Geschosse,
um, wie der Schiffer, vor dem Sturm mit Beisetzen aller Segel zu fliehen, aber
er wird vom Geschoss in der Spitze des Genickes getroffen und nackt ragt
aus der Kehle das Eisen hervor.
Ein zweites Paar Söhne, Phaedimus und T a n t a 1 u s werden im Rin-
gen die Körper ineinandergeschlungen von Einem Pfeil durchbohrt, sinken
zusammen nieder und athmen vereint ihr Leben aus. Ein fünfter Sohn,
Alphenor, eilt herbei im Liebesdienst die erstarrten Glieder der Beiden zu
lösen, wird aber unten im Zwergfell durchbohrt, der herausgezogene Pfeil
zieht einen Lungelflügel nach sich, das Leben flieht mit dem Blutergusse.
Damasichthon, noch das ungeschnittenc Haupthaar tragend, also
als Knabe, noch nicht als Ephebe bezeichnet, offenbar davon eilend, wird in
das Unterbein, in den Ansatz der Wade getroffen und während er den Pfeil
herauszuziehen strebt, trifft ihn ein zweiter in die Kehle, tief bis zum Ge-
fieder eingesenkt; der JBlutstrom treibt den Pfeil hoch in die Luft wieder
hinaus.
Noch ist der jüngste Sohn übrig, Ilioneus; er hat die Arme zur Bitte
vergeblich hoch gehoben, ,,ihr Götter allzusammen, schonet mein," waren
seine Worte, der bogenhaltende Gott ist bewegt, als der Pfeil nicht mehr
zurückzurufen war, doch jener stirbt an der kleinsten Wunde, nicht tief im
Herzen getroffen.
Die Nachricht vom Unglück verbreitet sich rasch, erregt den Schmerz
der ganzen Bevölkerung, die Thränen der Familie. Amphion endet den
Schmerz mit dem Leben, die Brust mit dem Schwerte durchbohrend. Auf
Niobe ruht nun die ganze Wucht des Verhängnisses. Verwunderung, Zorn
schreibt der Dichter ihr zu, dass die Götter so viel konnten, wagten, durften.
„Welcher Gegensatz zu dieser Niobe und jener, die so eben das Volk von den
Altären der Leto entfernt hat und mitten durch die Stadt das Haupt zurück-
1) V. 21S : planus erat lateque patens prope moenia campus.
74 Erste» Kapitel.
geneigt, geschritten war, ein Gegenstand des Neides ihrer Nächsten, nun
erbarmungswürdig selbst für den Feind ! €t Sie neigt sich über die kalten
Leichen, sie theilt die letzten Küsse aus an alle Söhne, von ihnen weg streckt
sie die bleichen Arme zum Himmel. ,, Weide dich, Latona, ruft sie, an un-
serem Schmerz, sättige dein wildes Herz, in sieben Leichen trägt man mich
zu Grabe, frohlocke, triumphire du, meine Feindin, als Siegerin. Doch
warum Siegerin ! ich Unglückliche besitze noch mehr als du im Glücke, auch
nach so viel Leichen bin ich Siegerin."
Sofort tönt bei diesen Worten die Sehne des gespannten Bogens ; nach
dem Vorauserzählten ist anzunehmen, dass nun Diana ihre Pfeile sendet, da
beide Gottheiten zu strafen auf der Cadmea in Wolken sich befinden, Apollo
beim Tode der Söhne allein als thätig genannt ist. Alle werden erschreckt,
nur Niobe nicht, sie ist durch das Unglück selbst nur kühner.
Die vierte und letzte Scene der ovidischen Schilderung ist in gesteiger-
ter Gedrängtheit dem Leser vorgeführt ; gleichsam Schlag auf Schlag folgt
sich hier alles, bis wir zur Mutter selbst, zu ihrem Endschicksal gelangt sind.
Die Lokalität können wir nur entnehmen aus Andeutungen. Offenbar ist es
der Moment der Ausstellung der Leichen, die 7TQb&BOig, wobei diese in weis-
sen Gewändern, bekränzt auf Lagern ruhend, umgeben von den Anverwand-
ten in Trauergewändern und unter Klagciauten, in alter Zeit vor den Haus-
thüren, seit dem solonischen Gesetze innerhalb derselben, jedenfalls in einer
Halle des ersten Hofes, der avlrj1) erschienen. Hier sind esdie Schwestern,
die an den Paradelagern (ante toros fratrum) in schwarzen Gewändern, mit
gelöstem Haare stehen. In diesem Akte der Trauer werden sie von den Pfei-
len getroffen. Die eine sich fortschleppend mit dem in die Eingeweide ge-
drungenen Geschoss sinkt sterbend über den Bruder das Antlitz gebeugt, die
andere, die es wagt, die unglückliche Mutter zu trösten, schweigt plötzlich
und knickt zusammen an einer unsichtbaren Wunde. Eine dritte sinkt ver-
gebens fliehend zusammen, über sie hin, gebeugt, an ihr ruhend, stirbt eine
vierte Diese verbirgt sich, jene kann man in Angst hin und her eilen sehen.
Noch die letzte Tochter ist übrig, sie deckt die Mutter mit dem ganzen Leib,
mit dem ganzen Gewand, sie ruft: ,,nur eine, die kleinste lass mir von den
vielen, die kleinste und nur eine fordere ich." Während sie bittet, sinkt die,
für die sie gebeten, nieder. Kinderlos setzt sie sich nieder unter den ent-
seelten Söhnen und Töchtern und Mann*).
1) Becker Charikles 2. Aufl. III. S. *w ff., bes. Schol. Aristoph. Lysistr. 611: rovs v(xqovs
yitQ ol an^aToi nQoatflfOctr noo rtoi> &vqi5v x*l ixonrovro, und das Gesetz bei Demos th.
in Macart. § 62 : rov cuio&avovm TiQOjC^taSat tvdor omoe av ßovltftai.
2) Orba reseclit exaninien inter natos natasque virumque V. 301. 302. Dieses orlxi ist
der furchtbare Kefrain auf das stolze Wort V. 200.
Ovid und die übrige lateinische Dichtung. 75
E« erfolgt nun die Umwandlung Niob es, sie erstarrt vor Unglück;
iie Haare, die Gesichtsfarbe, die Augen und Wangen werden starr, in der
iusseren Erscheinung ist kein Leben mehr. Auch in das Innere dringt die
Erstarrung: Zunge und Gaumen, Adern, Muskeln der Bewegung, ja
selbst in den innersten Theileu wird sie zu Stein. Aber sie weint doch. Von
dem Wirbel eines gewaltigen Windes umfasst wird sie in die Heimath ent-
ratft, dort am Gipfel des Berges festhaftend fliesst sie und noch jetzt lässt der
Marmor Thräuen rinnen.
Dabei bleibt der Dichter nicht stehen, noch wird uns die Wirkung, die
das tragische Geschick ausgeübt, kurz vorgeführt. Der Zorn der Göttin, der
also handgreiflich sich offenbart, treibt nun zu eifrigem Dienst Frauen
und Männer gegen die erhabene Gottesmacht der göttlichen Zwillingsmutter.
Also nun befestigt sich erst recht der Dienst von Latona, Apollo und Diana.
Das Volk von Theben trauert um den mit dem Vater Amphion vernichteten
Herrscherstamm , die Mutter steht unter dem Eindruck der Gehässigkeit;
nur der einzige Pelops, ihr Bruder hat auch sie beweint. Alle Könige
innerhalb und ausserhalb des Isthmus sammeln sich, doch wohl in Theben,
um Trost zu bringen und die Theilnahme zu bezeugen.
Die ovidische Erzählung ist für uns als die einzige, uns erhaltene poeti-
sche Gesammtdarstellung von ganz unschätzbarem Werthe, die ganze Far-
benfrische einer individuellen Schilderung ist darüber ausgebreitet, die ganze
Steigerung des menschlichen Interesses an der wohlberechneten, in ihren
Theilen abgewogenen Scene glücklich erreicht, aber sie reiht sich uns doch nur
ein in die vielen Stufen der Ausbildung des Mythos, wie wir sie bereits kennen
gelernt haben. Auf zwei wichtige Punkte habe ich bereits hingewiesen :
auf das Verschmähen jeglichen Hinweises eines frühem nahen Verhältnisses
zwischen Niobe und Leto, dann auf die Einführung und Verbreitung des
Cultus der Leto und ihrer Kinder, welche in Theben ähnlich von Niobe be-
kämpft wird, wie der des Bakchos durch Pentheus. Die Zahl der Kinder ist
also die von den Tragikern angenommene, apollinische Zahl. Eine Rettung
der jüngsten zwei Kinder oder doch einer Tochter wird ausdrücklich abge-
wiesen. Die Lokalität ist also Theben, das Gymnasium und die Vorhalle der
Königsburg. Die Versetzung der Niobe nach Lydien an den Sipylos findet
sichtlich ohne die Gräber der Kinder statt. Der letzte Punkt, die Versamm-
lung der hellenischen Fürsten zur Trauer ist nicht blos dichterischer Nothbe-
lelf, um zu einer anderen Erzählung überzugehen, sowie die Klage des Pe-
ops tun Niobe.
Die übrigen Stellen des Ovid in Bezug auf Niobe benutzen sie als Bei-
spiel des furchtbaren Zornes der Diana; ihre Trauer, ihre Thränen, ihre Ver-
wandlung in Stein, die der Empfindung entbehrt, werden von dem verbann-
ten Dichter gegenüber seinem Schmerze und Unglück gern genannt. Und
76 Erstes Kapitel.
doch fühlen wir ihm an, ja, er sagt es geradezu, der Mythus ist ihm mehr
poetisches Gebilde, nicht geglaubter göttlicher Vorgang1).
Horaz ruft in dem Vorbereitungsgedicht zu der Feier der Saecularspiele,
deren Mittelpunkt der Tempel des Apollo Palatinus ward, Apollo an als Sie-
ger über jede menschliche Vermessenheit ; ,, göttlicher, den der Niobe Ge-
schlecht, als den Rächer vermessener Rede kennen gelernt hat", ebenso
wie Tityus und wie Achilles2). Es lag dies dem Dichter um so näher, als
auf dem einen Thürflügel des Tempels, wie wir später näher zu besprechen
haben, die Scene selbst des Untergangs der Niobiden dargestellt war.
Bei Virgil findet sich nur eine versteckte Beziehung auf den Mythus,
welche Servius mit Recht wohl herausfindet. Aruns hat Camilla, die eifrige
Dienerin der Diana und Jägerin, mit dem Speer getödtet; da tritt die Göttin
Opis, Wächterin der Diana, als Rächerin ein : ,, willst auch du von der
Diana Geschossen fallen" ruft sie ihm zu und sendet ihm von einem alten
Grabhügel aus das tödtliche Geschoss. Dies ,, auch du" weist auf ähnliche
Fälle, naheliegend auf die Niobiden zurück8). Properz endlich, dessen
Worte 4) über eine ausgezeichnete Darstellung der Niobiden wir unten zu be-
sprechen haben, wünscht in seinem Geburtstagsgedicht sich einen wolken-
losen, windfreien, ruhigen Tag, er möge an dem heutigen Tage keine Trauern-
den sehen und da führt er die drei specifischen Trauererscheinungen in der
Natur an, die in mythologischen Gestalten verkörpert sind, Niobe, Alcyone
1) Am. III. 12, 31 : de Niobe silicem, de virgine fecimus ursam;
concinit Odrysium Cecropis ales Ityn
(also auch hier Niobe undAedon nahe zusammengestellt, wir poetae sind es, welche fecimus).
Heroid. XX. 105 ff. : nihil est violentius illa,
cum sua — numina laesa videt.
IX. 10 » f. : quaeque superba pavens saxo per corpus oborto
nunc quoque Mygdonia flebilis exstat humo.
Trist. V. 1. 57: cum faceret Nioben orbam Latoia proles
non tarnen et sicca« jussit habere genas.
Id. V. 1 2. S : exigis ut — et Niobe festos ducat ut orba choros.
Ep. ex Ponto I. 2 : fine carent lacrimae nisi cum Stupor obstitit Ulis
et similis morti pectora torpor habet.
Felicem Niobea quamvis tot funera vidit,
quae posuit sensum saxea facta mali.
2) Od. IV. H. I ff . : Dive, quem proles Niobea magnae
vindicem linguae Tityusque raptor
sensit et Troiae prope victor altae
Phthius Achilles.
3) Virg. Aen. XI. s57 : tune etiam telis moriere Dianae ? Servius ad 1.1, : quod autem
ait tune etiam ad Niobes (Guelf. nobiles ; auch Jovis Lesart) numerosam pertinet subolem.
4) El. II. 31.
Ovid und die übrige lateinische Dichtung. 77
ld Philomele; „auch die zu Stein gewordene Niobe möge ihre Thränen
aterdrücken", wie die um Itys klagende Mutter ihre Rufe1).
Der Einfluss der ovidischen glänzenden Schilderung, sowie die person-
elle Vorliebe des Kaiser Nero für die Darstellung der Niobe und die wohl
m ihm ausgehende Anregung für eine erneute dramatische Behandlung
ieses Stoffes, die wir bereits kennen gelernt haben, zeigt sich entschieden an
en eca und Statius. Seneca führt denselben an vier Stellen seiner Tra-
ftdien und mit allem Pomp hochtragischer Sprache ein 2) . Im Agamemnon
idet der Chor zum Preis des Apollo und der ihm nahe verbundenen Göt-
ar ein. „Auch du begleite unsere Chöre, thebanische Freundin, die die
Jiicksalskundige Manto, die Tiresiastochter, mahnte die Latonageboruen im
pfer zu feiern." Der Chor ruft Trivia, also Diana Hecate an, die einst
elos der Geburtsstätte Halt geboten. „Du zählst als Siegerin die Leichen
jr tantalidischen Mutter, Auf des Sipylos höchstem Scheitel steht sie jetzt
n thränender Fels und immer noch in ewiger Trauer lasset der alte Marmor
eue Thränen rinnen. Eifrig verehrt Mann und Frau das Götterpaar"8),
[egara führt gegen Lycus im Hercules furens die Beispiele durch die Gott-
eit bestraften menschlichen Uebermuths aus der thebanischen Sage auf;
tischen Oedipus und Cadmus steht Niobe, sie, „die stolze Tantalide und
[utter, erstarrt in ihrem Jammer und im phrygischen Sipylus rinnt der
'rauerfels."
1) El. III. 10, 7 ff.:
aspiciam nullas hodierna luce dolentes
et Niobes lacrimas supprimat ipse lapis,
Alcyonum positis requiescant ora querelis,
increpet absumptum nee sua mater Ityn.
2) Agam. 373 ff.; Herc. für. 390 f.; Oedip. 613f.; Hercul. Oet. 1S5. ISS.
3) Agam. 319 ff. :
tu quoque nostros Thebais hospes
comitare choroa quam fatorum
p r a e s c i a Manto sata Tiresia
Latonigenas moverit sacris
celebrare deos.
'gl. dazu aus Orid Met. VI. 157 : vonturi praescia Manto.
V. 372 ff. : tu Tantalidos funera matris
victrix numeras. stat nunc Sipyli
vertice summo flebile saxum
et adhuc lacrimas moesta aeternum
marmora manant a tiqua novas.
colit impense femina virque
numen geminum.
'?!. dazu Ovid Met. VI. 312: et lacrimas etiam nunc marmora manant, dann — femina
rttque timent. Den Ausdruck flebile saxum berührt Seneca noch einmal im Hercules
°*taeu9 185.
78 Erste« Kapitel.
Bei der Todtenbeschwörung des Tiresias am Quell Dirce im Hain steigen
die Schatten von Zethus, Amphion und von Niobe auf, so schildert Seneca im
Oe<lipus. „Und Tantalis endlich unter ihren Kindern hebt stolz das vom sich
sicher fühlenden Hochmuth schwere Haupt und zählt ihre Schatten"1).
Niobe erscheint also hier als der Unterwelt angehörig, nicht in ihrem Selbst
an den Fels hoch auf Hergeshöhen gebannt. Da im Tode kann ihr Niemand
die Palme des Kinderreich thums streitig machen. Das Zählen erscheint hier
wie auch an andern Stellen als charakteristischer Zug. An vierter Stelle end-
lich erscheint Niobe in den Wünschen der lote in doppelter Beziehung als
lokal versetzte, weit dem Schauplatz der Trauer entrückte Gestalt und zwei-
tens als eine Verwandelte. Sipylus, dies flebile saxum tritt dem Eridanns
gegenüber, wie der sicilische Fels zu dem Edonerwald und dann bat Tantsfis
sich selbst überlebt, d. h. noch dauert sie fort, aber nur ihr Wild , sie wird
zwischen verwandelten Heroinen Myrrhe, Alcyone und endlich Phitameie
und Aedon in die Mitte gestellt8).
Statius hat in seiner Thebais, diesem Werke gelehrtesten Fleisses und
literarischer Studien seiner Vorgänger, mehrmals die Niobesage zur Verglei-
chung und zwar in fast episodischer Ausfurlichkeit herangezogen, aber auch
einmal die Gestalt selbst der Niobe auftreten lassen. Der Untergang der
fünfzig auserlesenen Jünglinge, die im Hinterhalte gegen Tycleus gelegen,
hat ganz Theben mit Trauer erfüllt. Die Mutter der edelsten Helden, Itfe
,, erscheint nicht mehr unglücklich oder bemitleidenswerth , nein, Schrecken
liegt in ihren Thränen"4). Alethes hält vor den Scheiterhaufen die Grab-
rede und führt zunächst drei Beispiele aus der thebanischen Geschichte an,
die nicht mit diesem Unglück zu vergleichen seien. Dann fährt er fort:
,,nur ein einziger Tag war ähnlich an Schwere des Geschickes, an Art des
,, Unglücks ebenbürtig, der an dem die grosssprecherische, frevelnde Tanta-
1 ) Herc. für. 390 f. :
riget superba Tantalis luctu parens
moestusque Phrygio manat in Sipylo lapis.
2) Oed. 613 f. :
interque natos Tantalis tandem suos
tuto superba fert caput fastu grave
et numerat umbras.
3) Herc. Oet. 1 85 :
me vel Sipylum flebile saxum fingite superi.
V. 19$ : sibi Tantalis est facta superstes.
4) Theb. III. 134 :
magna parens juvenum, gemini tunc funeris, Ide —
1 36 : nee jam infelix miserandaque, verum
terror inest lacrimis — .
Ovid und die übrige lateinische Dichtung. 79
iide ihren Stolz büsste als sie umgeben von zahllosen Trümmern so viel
Leichen von der Erde aufraffte, ebensoviel Flammen suchte. So war des
Volkes-Zustand, so bejammerten, die Stadt verlassend, Jung und Alt und
die Mutter im langen Zuge den Zorn der Götter und im jammerreichen Ge-
dränge umgaben sie die doppelten Bahren auf dem Weg durch die gewalti-
gen Thore. Ich selbst erinnere mich, noch war mein Alter da solchen
Schmerzen nicht reif, habe geweint und den Klagen der Eltern es gleich
gethan"1).
Wird hier uns der Trauerzug der Thebaner mit den Leichen der Niobi-
m hinaus zur Stätte des Verbrenuens und die Betheiligung des ganzen Vol-
» an der Klage, an dem Erweichen, Sühnen des Götterzornes durch die
läge geschildert, so giebt das Leichenbegängniss des Archemoros bei Ne-
e* gehalten von den nach Theben ziehenden Kriegsfiirsten Veranlassung
18 Ueberfiihren der in Urnen gesammelten Ueberreste der Niobiden durch
re Mutter nach Sipylos in einem wichtigen Punkte zu berühren. Es ertönt
imlich als Zeichen der beginnenden Traueropfer und Klage am Scheiter-
nifen die Flöte mit gekrümmter Oeffhung in tiefem Ton; nach phrygi-
her Weise hat sie die zarten Schatten zu geleiten. Pelops soll die Feier
nr Bestattung und die heilige Liederweise für jüngere Schatten gelehrt
iben, unter deren Begleitung die trauernde von doppelten Geschossen ver-
chtete Niobe die zwölf Todesurnen nach Sipylos geleitet hatte"2}.
Weiter handelt es sich bei Statius auch um eine Todtenbeschwörung im
aine der Hekate durch Tiresias und Manto ; da erscheinen nach einander
admus und Harmonia mit den Sparti, die Töchter des Cadmus mit den
agischen Gestalten des Pentheus, Lycus, weiter Actaeon. Dann fährt der
1) Theb. III. 191—198:
una die» similis fato specieqne malorum
aequa fuit, qua magniloquos luit impia flatus
Tantalis, innumeri cum rircumrusa ruinis
corpora tot raperet terra, tot quaereret ignes.
Talis erat vulgi Status et sie urbe relicta
primaevique senesque et longo exaroine matres
inridiam planxere deis miseroque tumultu
bina per ingentes stipabant funera portas.
Meque ipsum memini (needum apta doloribus aetas)
* Hesse tarnen gemituque meos aequasse parentes.
2) Theb. VI. 120 ff.:
cum aignum luctus oornu grave mugit adunco
tibia, cui teneros suetum producere manes
lege Phrygum moesta, Pelopem monstraase ferebant
exsequiale sacrum. carmenque minoribus umbris
utile, quo geminis Niobe consumta pharetris
squallida bis senas Sipylon deduxerat urnas.
80
Erstes Kapitel.
Dichter fort : „siehe da nahet [heran bencidenswerth ob der grossen Beglei-
tung die Tantalide und in stolzer Trauer überzahlt sie die Leichen, in nichts
„gebeugt vom Unglück. Es freut sie entronnen zu sein der Götter Macht
und noch mehr deren thörichten Zungen Freiheit zu lassen"1). Soweit be-
richtet Manto und nun wird Tiresias von weissagendem Geiste erfüllt. Die
Nachahmung des Seneca ist hierin ganz unverkennbar.
In drei andern Stellen2) wird nur kurz auf Apollo's und Diana' s vernich-
tende Geschosse, die an Niobes Kinder sich erprobt, hingewiesen, an einer
derselben ist es der dircaeische Berg bei Theben, ist es der Wald daselbst,
die als Zeugen des Vorganges vor der Latonatochter neu erzittern. Niobe
erscheint an der andern neben Marsyas, Tityos, Python und Phlegyas als
vom Apollo besiegte Gegnerin. Au der dritten wird der Niobidentod neben
Tityos oder Delos als Waffen-, speciell wohl Schilddarstellung der apolli-
nischen Schaar der Anwohner des Parnasses bezeichnet.
Juvenal3) fuhrt mit grosser dramatischer Lebendigkeit eine Scene aus
der Niobesage uns vor, um dann zu zeigen, wie eine Frau, die mit allen Vor-
zügen des lieichthums, der Schönheit, des Adels, der Keuschheit, der Frucht-
1) Theb. IV. 575 ff. :
ecce autem magna subit invidiosa caterva
Tantalis et tumido percenset funera luctu.
nil dejeeta maus juvat effugisse deorum
numina et insanae plus jam permittere linguae.
2) Theb. 1. 711
Ebendas. VII. 352 :
Ebendas. IX. 079 ff. :
te viridis Python Thebanaque raater orantem
horruit in pharetris — .
armaque vel Tityon vel Delon habentia vel quae
hie deus innumera laxavit caede pharetras.
cum lapsa per auras
vertice Dircaei velox Latonia montis
adstitit ; agnoseunt colles notamque tremescit
silva deam, ubi quondam exerta sagittis
foeeundam lasso Nioben consumserat arcu.
3) Sat. VI. 171
parce precor, Paean, et tu, dea, pone sagittas ;
nil pueri faciunt, ipsam configite matrem.
Amphion clamat : sed Paean contrahit arcum.
extulit ergo greges natorum ipsumque parentem,
dum sibi nobilior Latonae gente videtur
atque eadem scrofa Niobe foeeundior alba.
Vgl. dazu die altern Scholien und die Anführung bei Lactantius Placidus ad Stat. Theb.
I. 711. Das Letzte eine Anspielung auf die Aeneas begegnende Sau mit 30 Ferkeln bei
Virg. Aen. 111. 391.
Ovid und die übrige lateinische Dichtung. 8 t
barkeit ausgestattet sei, unerträglich werde, wenn sie mit den Vorzügen das
grande supercilium , den hochfahrenden Stolz verbinde. Eine Cornelia,
Mutter der Gracchen, die bei der Mitgift ihre Triumphe mit aufzählt, möge
abziehen. Unmittelbar fahrt der Dichter dann fort, in tragischer Würde, die
doch mit scharfem Contrast dann abschliesst :
„Päan, bitte, verschon' und die Pfeile auch, Göttliche, birg1 du,
Schuldlos sind ja die Kinder, sie selbst durchbohret die Mutter. "
Tönt Amphions Ruf, doch Päan ziehet den Strang an,
So bei Haufen begrub die Gebornen und den Erzeuger
Niobe, während an Adel sie höher sich dünkt wie Latonas
Stamm und an Fruchtbarkeit wie die Sau mit der weissen Behaarung.
Auch selbst in den Spätlingssprossen der lateinischen Poesie, in den
Epigrammen des Ausonius klingt die gewaltige Trauerweise des Niobeniy-
thus aus, die auch den kältern in der langen Dichterreihe inneren Antheil
und eine gehobene Form abgewonnen. Wir haben bereits mehrere derselben
bei der Besprechung ihrer griechischen Originale erwähnt !) . Es bleibt uns noch
übrig auf das längste Epigramm darunter, dessen Original uns nicht erhalten
ist, aufmerksam zu machen, es ist N. 27 unter den Epitaphien2). Danach ist
sie, die Königiu von Theben, zum sipyleischen Fels geworden, weil sie die
Göttermacht der Letoiden verletzt. Froh und stolz, Mutter von zweimal
sieben Kindern, hat sie ebensoviel Leichen zu Grabe geleitet. Nicht damit
genug, eingeschlossen in hartem Fels hat sie die menschliche Gestalt verlo-
ren, aber der Schmerz bleibt doch, wenn auch die Lebenskräfte gehemmt
sind, und lässt ewig Thränen rinnen aus erbarmender Quelle. Die Schluss-
worte lauten :
„Wehe der That, so gross ist der Zorn in der Himmlischen Herzen !
„Annoch dauert der Schmerz, Mutter, dir, schwand die Gestalt."
Dass in der Elegie des Pentadius8) auf Fortuna auch Niobe eine Stelle
gefunden hat, wird uns nicht wundern, das Distichon ist durchaus unbedeu-
1) Auson. epigr. 84, 85; epitaph. 28, 29.
2) Niobae in Sipylo monte iuxta fontem sepultae.
Thebarum regina fui, Sipyleia cautes
quae modo sum ; laesi numina Latoidum.
Bis septem natis genetrix laeta atque superba
tot duxi mater funera quot genui.
Nee satis hoc Divis : duro circum data saxo
amisi humani corporis effigiem.
sed dolor obstrictis quamquam vitalibus haeret
perpetuasque rigat fönte pio lacrimas.
Pro facinus, tantaene animis coelestibus irae!
Durat adhuc luctus matris, imago perit.
3) Wernsdorf poet. lat. min. III. p. 266 :
Tantalis est numero natorum facta superba
natorum afflieta Tantalis est numero.
*tark, Niobe.
i
L
g2 Erstes Kapitel.
tend. Niobe nimmt die Stelle ein zwischen der Geschichte der Helle und
des Peleus.
Wir schliessen diese Uebersicht lateinischer Dichterstellen noch mit
demselben an der Gränzscheide des Alterthums stehenden Schriftsteller,
dessen wir gleich im Eingang gedachten : Sidonius Apollinaris lässt in
einem Gedicht !) Apollo dem Bacchus auf seinem indischen Zuge begegnen,
und fordert ihn auf, die Mauern des schuldigen Thebens zu verschonen, aber
mit ihm gemeinsam die Verächterinnen ihres Cultes aufzusuchen: Agave
und Niobe, Niobe ist bereits sovielmals verwundet, als sie Leichen der Kin-
der schaut, statt des Todes, den sie gewünscht, hat die Göttermilde ihr Er-
starrung gegeben und an einen Ort sie gefesselt. Diese Gegenüberstellung
von Agave und Niobe erinnert entschieden an die oben von uns entwickelte
Stellung des Niobemythus im grossen Gedichte des Nonnos, welches wenig
jünger als diese Arbeit des Sidonius sein möchte.
§ 10.
Die Historiker, Antiquare und Mythographen.
Bisher sind wir dem Mythus durch alle Phasen seiner künstlerischen
Durchbildung und Gestaltung auf dem Gebiete der Literatur wie der ver-
wandten musikalischen und orchestischen Kunst nachgegangen, womöglich
keine auch der unscheinbarsten Blüthen unbeachtet lassend, die die ganz
unveitilgbare Kraft gerade dieses Mythus geschaffen. Und in der That hat
die poetische Gestaltungskraft, die ihren Gipfel in den Tragödieen eines
Aeschylos und Sophokles erreichte, auch in den Epigrammen und den schön-
sten Sprossen griechischen und lateinischen Epos gerade hieiur sich immer
noch wirksam erwiesen. Gewiss ein Erweis, dass wir es mit einer idealen
Grundanschauung zu thun haben, die nicht zufällig etwa auf griechischen
Hoden wie ein verwehtes Samenkorn übertragen sein wird, sondern mit den
ursprünglichen Richtungen und Bildern des Volksgeistes innigst zusammen-
hängt und die zugleich ein sehr allgemeines, wahres menschliches Grund-
verhältniss berührt.
Nur einmal haben wir die prosaische Fixirung der Sage, ihre Ablagerung
gleichsam im Gedächtnissschatze des Volkes berührt, als wir die Logogra-
1) Carm. XXII. 90 ff:
tum Phoebus : quo pergis ? ait, num forte nocentes
Bacche, petis Thebas ? te cretus Echione nempe
abnegat esse deum : linque is, rogo, moenia, linque,
et mecum mage flecte rotas : despexit Agave
te colere et nosmet Niobe ; riget inde Huperba
vulnera tot patiens, quot spectat pignora ventris
optantemque mori gravius dementia fixit.
4
Die Historiker, Antiquare und Mythographen. 83
phen besprachen ; aber gerade sie schöpfen doch zum Theil noch aus dem
unmittelbaren Munde des Volkes und bilden eine Grundlage zu neuen poeti-
schen Gestaltungen. Anders wird fcs in der alexandrinischen Zeit, wo die
gelehrte, sammelnde oder Schriftstellen erklärende Richtung die bestimmende
wird; wesentlich beruht ihre zusammenfassende Erzählung auf den gäng
und gäben, von den Dichtern vielfach behandelten Traditionen , jedoch so,
dass die einen sich an die kleinasiatische, die andern an die thebanischc,
überhaupt böotische wesentlich anschliessen. Einzelne fuhren hie und da
noch neue Seitenquellen herein, allerdings meist von etwas verdächtigen oder
entschieden nicht griechischen Ursprüngen. Wir haben bei Gelegenheit des
Simmias von Rhodos auf solche Berichte der Lydier, des Xanthos und des
Neanthes von Kyzikos aufmerksam gemacht.
Es handelt sich für uns zunächst um die Erzählung des Mythus bei Apol-
lodor, Diodor, Nikolaos von Damaskos, den Pseudoxanthos von Lydien, Bo-
tryas von Myndos, um die Verfasser von Thebaika, wie Timagoras und Ari-
stides, Pausanias, um einzelne ungenannte Quellen zu den Scholien des Ho-
mer und des Euripides. Auf lateinischer Seite kommen die Mythographen
mit Pseudo-Hyginus und mit Lactantius Placidus, dem Commentator des
Statins an der Spitze in Betracht. Ueber einen einzelnen Punkt, über die
Zahl der Kinder der Niobe finden wir zuerst bei A. Gellius, wenig spä-
ter bei Aelian eine Zusammenstellung der verschiedenen Ueberlieferungen,
bei jenem mit einem diese Verschiedenheit lächerlich findenden Befremden1) .
Herodoros Pontikos, der Schüler des Aristoteles und umfassende
Grammatiker und Mythograph, musste hier allen vorangehen ; aus seiner
Erzählung kennen wir aber nur eine ganz abweichende Angabe über die
Kinderzahl der Niobe. Danach waren es nur zwei Söhne und drei Töchter.
Die Ungleichheit der Zahl weist wohl auf Rettung einer Tochter hin, Wo
wir die Heimath dieser Version zu suchen haben, ist mir nicht sicher : jeden-
falls ist sie keine bloss poetische Erfindung.
In dem bekannten Auszuge aus der Bibliothek des Apollodoros (um
140 v. Chr.) geht das dritte Buch von dem Geschlechte des Agenor aus,
knüpft daran zuerst durch Europa die kretische und rhodische Genealogie ;
mit dem vierten Kapitel kommen wir zu dem Geschlechte des Kadmos und
I) A. Gell. N. A. XX. 7: mira et prope adeo ridicula diversitas fabulae apud Oraecos
poetas deprehenditur super numero Niobae filiomm. Es werden dann Homer, Euripides,
Sappho, Bacchylides, Pin dar und quidam alii scriptores zusammengestellt. Aelian V. .H
XII. 36 : iofaaotv ol aQXttioi vtiIq tov ccqi&iuov t<ov rrjs Ntoßrjg naCöatv /uij avvqöttv alli}-
loi£. Bei ihm folgen sich Homer, Lasos, Hesiodos, Alkman, Mimnermos und Pindar.
Lactantius Placidus stellt (ad Stat. Theb. VI. 120) nur die Ueberlieferung Homers und
des 8ophokles sich gegenüber; das Schol. II. 24, 004 sagt: tj o*k ötnkij on ol vetortQtn <fu<-
ytovovoi mol tov aQt&pov ttSy Ntoßrjc natötor, ol plv yttQ ötxartaoaQas, ol dk tlxoot rovg
NioßMae Xfyovoiv.
6*
84 Erstes Kapitel.
dadurch nach Theben. Die Dionysossage fügt sich bei den Töchtern des
Kadinos ein. In die Reihenfolge der von Kadmos stammenden Könige
schiebt sich nun zwischen Labdakos urld Laios Lykos gewaltsam ein und
mit ihm wird der Sagenkreis vonHyria, welcher von Euböa nach Sikyon hin-
überreicht, der des Lykos und Nykteus und der Enkel des letzteren Amphion
und Zethos eingeführt. Die Verbindung des Zethos mit Thebe, die des Am-
phion mitNiobe, derTantalostochter, werden sich prägnant einander gegenüber
gestellt, sodass wir einen Umtausch darin für leicht möglich halten werden.
Die Zahl der Kinder wird auf zweimal sieben angegeben und dazu die Namen
derselben gefügt ; die Zahl sieben wird als die allgemein angenommene hin-
gestellt, aber auf die Abweichungen darin hingewiesen. Gegenstand der
Ueberhebung ist die evrewta, das Glück an schönen und vielen Kindern.
Die frühere Freundschaft mit Leto wird nicht herausgehoben. Artemis und
Apollo werden von Leto gegen die Niobiden aufgereizt. Der Tod der Töch-
ter erfolgt zu Hause [eni rrjg olxiag, also entsprechend dem homerischen
ivi fisyaQOioi) durch Artemis ; die Söhne allzusammen schiesst Apollo beim
Jagen im Kithäron nieder. Soweit stimmt Apollodor ganz mit Euphorion
überein. Die Rettung eines Sohnes und einer Tochter wird unmittelbar als
dem Mythus zugehörig berichtet; die Namen sind Amphion und Chloris1),
und zwar 'wird diese mit der Ahnfrau der Neleiden aus Minyerstamme aus-
drücklich gleichgestellt, also auf den Boden von Orchomenos dabei hingewie-
sen. Der abweichenden argivischeu Tradition wird dabei gedacht. Auch
Amphion fällt durch die Pfeile der beiden Gottheiten und Niobe kehrt nach
Sipylos zum Tantalos zurück, wo auf ihre Bitte die Verwandlung erfolgt und
ihre Thränen Tag und Nacht rinnen.
Diodor von Sicilien (um Christi Geburt) behandelt die Niobesage in
dem vierten, die wichtigsten Heroensagen enthaltenden Buche, wo er nach
der Besprechung des Herakles überwiegend geographisch die Stoffe ordnet,
ganz bei dem kleinasiatischen Kreise von Tantalos, Pelops, weiter der troi-
schen Königsfamilie 2) . Die Heimathstätte und der Sitz des durch Reich-
thum und Ruhm hervorragenden Tantalos, des Zeussohnes wird nicht Mäo-
nien, nicht Lydien, s ondern ausdrücklich das jetzt, also zu Diodors Zeit so
bezeichnete Paphlagonien [7ibq\ rrjv vvv dvofiaCofiivrjv IlaqtXayoviav) genannt,
also viel weiter nordöstlich zwischen Halys und Sangarios, nahe dem bithy-
nischen Olympos, bei dem Olgassysgebirge. Erinnern wir uns, dass schon.
Aeschylos bis nach Bithynien herein das Reich des Tantalos ausdehnt, dass deir
1) Apollod. 1. 1. g 5: loüjfrrj <ft raiv fthv aQQiptov jifJKfttav, ttov Jk ^rjXduiv XXmqtg w§
nQtaßvjiga, y NtjX€ vg ovvtpxTjoe . Der Ausdruck : die ältere kann sich nur beziehen auf
die Scheidung von der attischen Chloris, der Geliebten des Zephyros.
2) Diod. IV. 73 ff.
Die Historiker, Antiquare und Mythographen. 85
spätere Nonnos den Niobefels an dem Sangarios reden lässt. Strabo1), Dio-
dors Zeitgenosse, beschäftigt sich mehrfach mit diesen geographischen Wi-
dersprüchen, die die Lokalität von der Stadt Sipylos und die Geschichte des
Tantalos und Niobe betreffen, und indem er die bestimmte Lage am Her-
mosthal festhält, fuhrt er jene auf ungenauen oder den Sprachgebrauch ver-
schiedener Zeiten zurück.
Niobe ist nach Diodor mit Pelops Kind des Tantalos, des Zeussohnes,
welcher Freund und Tischgenosse der Götter sein Glück nicht menschlich
trägt, sondern die Geheimnisse den Menschen verräth und dafür schon lebend
gestraft wird und sterbend eine ewige Pein erhält. Niobe ist kinderreich —
von welchem Gatten, an welchem Orte, wird nicht gesagt. Die Siebenzahl
für Söhne und Töchter ist die von Diodor angenommene. Ihr stolzes Rüh-
men findet oft statt, sie erklärt sich endlich für glücklicher im Kindersegen
(6VT£xvoT€Qa*>) als Leto. Die Strafe erfolgt durch Apollo und Artemis ge-
schieden, von jenem an den Söhnen, von dieser an den Töchtern, aber ganz
zur selben Zeit (xaTci %ov avrov %qovov) und die Schnelligkeit der Verwai-
sung (v<p* h>a xaiQÜv o^icog) wird vor allem betont. Von der Erhaltung irgend
eine* der Kinder hören wir bei Diodor nichts Die Vertreibung des Tantalos
aus Paphlagonien erfolgt durch Ilos, aus dem Geschlechte des Teukros, den
Gründer von Ilion.
Dieser Kampf mit Dos war auch von Niko'laos von Damaskos2), dem
Zeitgenossen Diodors, in seinem Geschichtswerke behandelt. Der Erzähler
lässt den Tantalos, den er aber Sohn des Tmolos nennt, obgleich besiegt und
seines Landes verlustig, in Lydien bleiben, dagegen Pelops aus Sipylos mit
einem Heer über das Meer ziehn, und dabei Niobe, welche er mit sich fuhrt,
an den Thebaner Amphion als Gemahlin übergeben. Der Historiker Bo-
tryas von Myndos berichtet ausdrücklich den Tod aller Niobekinder und
zwar durch Apollo *) .
Pausanias4), selbst ein Lyder der Geburtsstätte nach, stösst in seiner
Periegese von Hellas auf mehrfache Stellen der Niobesage, aber er hält hier
durchaus die Ansprüche seiner Heimath aufrecht, wo er selbst noch das merk-
würdige Grab des Tantalos gesehen und daher den Kriegszug des Ilos mit
Vernichtung der Macht von Sipylos erst unter Pelops setzt. Ja er ist selbst
zum Sipylo8berg hinangestiegen und hat das Bild dieser Niobe, die er sicht-
1) Strabo I. 3,17 ; XII. 41, 8; XIII. 11.
2) Müller Frgm. histor. grr. III. p. 367, 17.
3) Phot, cod. 190 p. 147, 21 j Müller Frgm. hist. grr. IV. p. 307.
4) Paus. II. 21, 10: ?yo> <f£ {nQoöxttpai yaQ nkiov rt rj ol XoinoX rjj 'O/mjqov noirjott)
faßt ti} Nioßg j(5v Tiatöwr prjJtvct vnoXotuov ytvfa&at. jiaQTUQet di poi to inog
rto <T agd xa\ dotto ntg Iovt anb ndrrag oUooav.
ovrog fih örj iov olxov ror *A(i<f(ovos ix ßtx&QOv avaTQttnivra oldtv.
L
86 Erstes Kapitel
lieh von der argivischen dadurch scheidet, in der Nähe und in der Ferne ge-
sehen, in der Nähe ist es nichts als Fels und Abhang, gar nicht die Gestalt
einer Frau überhaupt, natürlich auch nicht einer trauernden zeigend ; steht
man ferner, so glaubt man eine trauergesenkte Frau in Thränen zu sehen f) .
Er erklärt zugleich, dass er der homerischen Tradition in Bezug auf Zahl und
gänzlichen Untergang der Kinder folge, er erklärt endlich die Verwandlung
der Niobe in Stein für durchaus glaubwürdig, hält dagegen das Thränenver-
giessen derselben für spätere Zudichtung, indem in jener alten Zeit der Ver-
kehr der Menschen mit der Gottheit ein unmittelbarer und lebendiger gewe-
sen sei, auf jede böse That unmittelbar auch Strafe gefolgt sei, in der Gegen-
wart aber jener Verkehr ganz aufgehört habe und auch die Strafen sich nur
spät und nach dem Tode der Betreffenden erfüllten2).
Die speeifisch thebanische Fassung der Niobesage hat noch im An-
schluss an ein thatsächliches historisches Verhältniss in der jüngeren Ge-
schichtschreibung zu einer gänzlichen Ablösung von dem religiösen Boden
geführt, und sieht in dem Untergange der Niobiden nur eine Reaction der
älteren Bevölkerung gegen ein mächtiges Eindringlingsgeschlecht. Tima-
goras erzählt in den Thebaika2), dass die Spartoi, von Amphion und seiner
Familie bedrückt, diesen einen Hinterhalt legten, als sie nach Eleutherä zu
einem vom Vater ererbten Opfer [na%Qi*r) &voia) gingen und sie auf dem
Wege tödteten, nur die Niobe Hessen sie leben um desPelops willen. Nun ist
Eleutherä, jener früher zu Böotien gehörige, dann zu Athen sich wendende
Ort am Südabhang des Kithäron, die Stätte, wo Antiope bei der Geburt die
Zwillinge Amphion und Zethos ausgesetzt haben sollte und ein Hirt sie fand ;
eine Höhle mit kalter Quelle nahe dem alten Tempel des Dionysos Eleuthe-
reus zeigte man als nächsten Schauplatz, in jener Quelle hatte der Hirt die
Kleinen gebadet. Dorthin also zogen die Kinder Amphions zu einer religiö-
sen Feier, die an diese Geburtsstätte sich anknüpfte. Niobe bleibt also
1) I. 21, 5 : TttvTtjv rrjv Nioßrjv xal avrbg tlöov avtX&ojv ig top ZlnvXov to oqos9 ff 6k
iXr\a(op fih ntrQct xal XQfjfHvog iarip ovöiv naQovri a^ijua 7TaQtx6/utvog yvpaixog ovrt aXXtag
ovn nfvfrovoqs' ei 64 yi 7ioqq(ot£q(o yivoio, 6t6axQV^4ptjp öogttg bqav xal xarrj^rj ywatxa.
2). II. 22, 3 : tov 6t Xeyopipov dtog t£ thai xal IIXovTOvg t6ü)p o26a ip ZinvX(p vatfor
Mag agtop. 7iQog 61 ov6t arayxrj avpinkOtv ix vrjgZuiulov ifvyetv avrov, tag HiXona intXaßt*
vojtQOv iXavvoVTogvIXov tov <Pgvybg in avrbv aiQaiia. — V. 16, 3: S 6 l ig rovg Ntoßtjg
7i et t Jag naQCarajo aiuy /tot yiyvioaxuv, h rotg tyovatv ig \4(yyt(ovg töijXcoaa. — VIII. 2,
6 u. 7 : ovtü) ntCfroiTO «Y rig xa\ -ivxdova &r\Q(ov xa) Ttjr TnvuiXov Nioßrjv yerto&ai XtBov.
Aber ot rotg aXrj&^aiv inoixotiofiouvTtg iiptvapira — (bnttvrojg 6k xal Ntoßw Xfyovoiv i$'
ZtnvXtit Tf/i b\tet öiyov* wq(< xXa(ttv.
3) Bei Schol. Eur. Phoen. 159, jetzt Müller Frgmt. histor. grr. IV. p. 520: Tipa-
yöoag 6k ip rotg Srjßa't'xoTg qr\alvt tag xaxdbg Ttda^o^itg vnb t(Öp 71(qI l-t/LUftova ol ZrtctQtol
anTlov «vrovg Xoxrjoatreg amovrag tig'EXfv&eqag ini nax{tixrp' &vo(av, rrjp 6k Ni6ßr\r (Ta-
aav £iji' 6ia IliXona.
Die Historiker, Antiquare und Mythographen. &7
leben, nicht wegen ihrer eigenen Stellung, sondern weil man den machtigen
Pelops fürchtet.
Wir haben schon mehrfach, zuerst bei Sophokles auf die Zusammenstel-
lung des Schicksals der Niobe und der um Itys klagenden Philo mele
bei griechischen und lateinischen Dichtern aufmerksam gemaent. Mytholo-
gisch wird nun diese Verbindung in jüngerer, schwerlich voralexandrinischer
Zeit — und wir können wohl sagen auf dem Boden böotisch-attischer Tradi-
tion, wo die Aedonsage vor allem tief und lebendig gefasst und behandelt
wurde — förmlich fixirt, indem sie zu Schwägerinnen gemacht werden, Philo-
mele oder Aedon Frau des Zethos wird, und nicht allein das — nein der Kin-
derreichthum (nokvTexvia) der Niobe ist Gegenstand des Neides der Aedon
und dieser Neid führt zu der tragischen That der Aedon ; sie glaubt auf dem
den Niobidensöhnen und dem Itylos gemeinsamen Ruhclager den ältesten
jener, Amaleus oder Anchialeus zu tödten und taucht ihr Schwert in das Blut
des eigenen Sohnes, oder sie vollbringt allerdings jenen Mord, abertödtet dann
auch, um der gefurchteten Strafe und Rache zu entgehen, ihr eignes Kind
und wird nun auf ihre Bitte in den Vogel verwandelt, nur immer den Klage-
ton auf der Lippe. Niobe erscheint hier als die speeifisch glückliche, reiche
Mutter, hier ist auch zunächst die nahe verwandtschaftliche und Lebeusver-
bindung in dem gemeinsamen Spiele und Schlafen der Kinder ausgesprochen,
hier wieder der Ausbruch des furchtbaren Neides, Niobe ist wie unerreich-
bar hoch der Aedon gegenübergestellt, sie, die dann sich selbst überhebt,
Leto entgegen und dadurch in dem beneideten Reichthum vernichtet wird f) .
Indem wir vereinzelte Züge und Modifikationen der Sage, welche uns
ohne bestimmte Gewährsmänner, nur uüt der Bezeichnung, dass es einige so
T>erichten, und für sich abgerissen mitgetheilt werden, hier im literarhistori-
schen Theile übergehen und ihre Benutzung für die mythologische Behand-
lung uns vorbehalten, wenden wir uns zu den kürzeren lateiiüschen Compen-
dien des mythologischen Stoffes, die den letzten Jahrhunderten der römi-
schen Literatur angehören, aber zum Theil auf bestimmten, nachweisbaren
Grundlagen wie auf der Tragödie ruhen und als Stoffsammlung für angehend^
Dichter, aber auch für den encyclopädischen Unterricht wohl dienten. In
der wichtigen Fabelsammlung der libri genealogiarum, die den Namen des
Hyginu8 tragen, hat Niobe ihren Platz gleich in der ersten Reihe gefun-
den ; es beginnt dieselbe bekanntlich mit den zur äolischen Athamassage ge-
hörigen Erzählungen ; es folgt dann kurz Cadmus und sofort der um Am-
phion und Zethus gebildete Sagenkreis. Hierin bezieht sich Fabel 9, 10 u. 11
auf Niobe und ihre Kinder2). Amphion ist zur Herrschaft in Theben gelangt
mit seinem Bruder. Er empfängt in die Ehe die Tochter des Tantalus und
lj Eustath. comment. in Od. XIX. 510 — 517. p. 1575.
2) Vgl. auch fab. S2 : Tantalus Jovis et Plutonis filius proereavit ex Dione Pelopem.
g$ Erstes Kapitel.
Dione, Niobe, und erzeugt mit ihr sieben Söhne und sieben Töchter. Niobe
rühmt sich ihrer Zahl gegen Leto, aber spricht zugleich gegen Apollo uud
Diana verletzende Reden wegen ihrer Tracht aus, dass jener im langwallen-
den Gewand und im langen Haare erscheine , diese dagegen nach Männer-
weise gegürtet sei. Deshalb erfolgt der Tod der Kinder und zwar Apollo
schiesst die Söhne, als sie auf der Jagd im Wald auf dem Sipylusgebirg be-
griffen sind, nieder, Diana dagegen die Töchter im königlichen Palast mit
Ausnahme von Chloris. Die verwaiste Mutter soll vor Weinen versteinert sein
im Sipylusberge und ihre Thränen sollen noch heute fliessen. Amphion aber
wurde, als er den Tempel des Apollo stürmen wollte, von Pfeilen niederge-
schossen. An Chloris knüpft sich dann des Neleus Geschlecht und ein ähn-
lich tragisches Geschick der Neleiden, wie der Niobiden, so war es im Ho-
mer1) bereits erzählt. Schliesslich wird ein Namenverzeichnis« der Söhne
und Töchter gegeben, die letzteren waren an einer andern Stelle (fab. 69) als
diejenigen bezeichnet, nach denen Amphion die Namen den Thoren The-
bens gegeben hatte.
Ein eigenthümlicher Zug tritt in dieser Erzählung hervor, dem wir noch
nicht begegnet sind, der aber keinesfalls eine willkürliche Zuthat des Mytho-
graphen ist, sondern auf einer Dichterstelle beruhen wird, der von Niobe er-
hobene Spott über die äussere Erscheinung von Apollo und Diana. Obgleich
die Niobiden ganz in den thebanischen Sagenkreis versetzt werden, so ist
doch als Jagdstelle der Sipylus angegeben, ein allerdings für Thebens Um-
gebung auch bezeugter Name2) und von einer Versetzung der Mutter nach
Lydien nicht besonders die Rede.
Die Inhaltsberichte des Lactantius Placidus zu Ovids Metamorphosen
und zu Statins * trocknen zu grosser Dürre zusammen und bieten nur durch
die Namensverzeichnisse der Kinder etwas Interesse. Ebenso steht es mit
der Erzählung im Mythographus Yaticanus 1. 4) . Ob der Ausdruck des Er-
klärers der Thebais (I. 711), Niobe habe den Tempel betretend [templum in-
gressa), also einen Latonatempel, sich ihr vorgezogen, bloss aus einer erwei-
terten ovidischen Erzählung hervorgegangen ist, oder auf bestimmter Ueber-
lieferung ruht, will ich nicht entscheiden, doch wird in derselben Stelle
auch der Tod der Söhne, Töchter, dann der Mutter (ad ultimum vero matrem)
in eine Linie gestellt. Was hier also in kunstloser Nacktheit und Dürftig-
keit zusammengezogen erscheint; bildet den Bestand der mittelalterlichen
Kenntniss der Sage im lateinischen Europa. In Byzanz erhielt sich noch mit
1) Od. XI. 2S1 ff.; 11. XL 691.
2) Schol. 11. XXIV. 615 : ol Jt Qrißtir rr^y Ztnvkor, tite\ xai ixet ra TtfglNwßtiv (fjtotv.
3) Arg. fab. VI. 3 in Mythogr. lat. ed. Muncker IL p. 230; Stat. Theb. I. 711 ;
III. 19S; IV. 575 ff.; VI. 120; VII. 352; IX. 679.
4) Class. auctor. e vatic. codd. editt. car. A. Mai. t. III. p. 56. 57. lib. IL n. 156.
Vgl. auch den Mythographus Vatic. II. ebendas. p. 110. n. 71.
Die philosophische Kritik und Auslegung des Mythus im Alterthume. 89
der gelehrten Emsigkeit die Schollen zu Homer, zu den Tragikern, zu Lyko-
phron, zu Dionysios Periegeta u. A. zusammenzuziehen, auch ein etwas rei-
cherer Bestand der Kenntnisse. Johannes Tzetzes und Eustathios im
12. Jahrhundert sind in dieser Beziehung für uns die letzten Marksteine und
sie gehen immer noch mit der Angabe einiger Quellen der verschiedenen
Traditionen, ja auch noch mit einem Drange der Auslegung an den Mythus
heran1), in dieser Beziehung haben wir ihrer im folgenden Abschnitt auch
noch zu gedenken. Von ihnen aus ist dann die Verbindung zu suchen zu
der griechischen Quelle, auf die Boccaccio sich stützte, zu Theodontius, auf
den wir in der Einleitung hingewiesen haben. Tzetzes hat in seinen Chilia-
den (Chil. IV. Hist. 141) eine kürzere Erzählung und Deutung (wie er sich
ausdrückt ttjv iatOQtav xeifiivrjv xara nXdtog %€ xal xat* äl?.rffOQiav) n€Qi
xrjg h 2i7Tvl(tß 7f€%Qivrtg NiSßyg gegeben; er kommt Chil. VI. Hist. 63 n€Ql
tfjg daxQvovorjg iv 2invX(p Xi&lvrjg Nioßrjg noch einmal darauf zurück, da die
frühere Chiliade von Soldaten ihm vernichtet war, er verweist endlich darauf
in dem kurzen Abschnitt Chil. VII. Hist. 137 : neQi x&v naidtov Nioßrjg xal
tov Jffiqtiovog. Niobe ist Tochter des Tantalos und der Euryanassa, Frau
des Amphion. In Bezug auf die Zahl der Kinder wird die homerische Zahl
Zwölf der von den übrigen (oi aXXoi) angegebenen Zahl Vierzehn gegen-
übergestellt, die letzteren dann einzeln genannt. Der Untergang der Kinder
erfolgt an Einem Tage, die Knaben durch Apollo auf dem Kithäron, der
Töchter im Hause. Im Anschluss an Homer wird von der Versteinerung der
Menschen, von der Bestattung durch die Götter nach neun Tagen, von den
Thränen der steinernen Niobe im lydischen Sipylos berichtet. So kehrt also
die letzte gelehrte Behandlung der Sage zu einer Wortauslegung der ältesten
epischen Gestaltung zurück und mit Ausnahme von Zahl und Namen ist die
ganze, so ausserordentliche zwischen Homer und Tzetzes liegende Fortbil-
dung des Mythus wie ausgelöscht.
§ 11.
Die philosophische Kritik und Auslegung des Mythus im Alterthume.
Es ist eine der eigentümlichsten Erscheinungen des griechischen Gei-
stes, dass so frühzeitig neben der gläubigen Aufnahme und Hingabe an den
Mythus im Cultus, neben dem überall strömenden Quell der lebendigen Er-
zählung und künstlerischen Darstellung desselben ein Zug kritischer Aus-
deutung freien fast überm üthigen Spieles, ein entschiedenes Streben eine
1) Tzetz. schol. in Lycophr. p. 15 ed. St., exeg. in lliad. p. 68, 24 , Chil. IV. 141 ;
VI. 63; VI. 137; Eustath. comment. in lliad. XXIV. 602ff.; in Od. XIX, 510—518;
in Dionyt. Perieg. 1 2S7.
90 Erstes Kapitel.
Ausgleichung zwischen ihm und den physischen, ethischen, psychologischen
Annahmen der Philosophen oder des sogenannten gesunden Menschenver-
standes zu finden, nebenher geht. Schon in der Art und Weise, wie der
homerische Dichter den Mythus in die Ilias einfuhrt, kündigt sich der An-
fang einer reflektirenden Freiheit der Behandlung. In wieweit ein Pindar,
Aeschylos, Sophokles bei dem so gewaltigen und so tiefsinnigen Stoff ihre
persönliche Auffassung von seiner historischen Wahrheit im Einzelnen und
ethischen Berechtigung in ihren Werken niedergelegt, sind wir bei dem oben
von uns vorgeführten Zustande der erhaltenen Fragmente nicht mehr wohl
im Stande, wenn uns auch ihre religiöse Gesammtauffassung klar geworden
ist. Wir stellen ein interessantes Zeugniss historischer Kritik voran, welches
uns zugleich einen Maassstab für den auch in späterer Zeit weitverbreiteten
Glauben an die Thatsächlichkeit des Mythus giebt. Artemidoros1) schei-
det drei Klassen von Erzählungen (lotOQiai) : die ganz sicher gestellten, auf
vielen und grossen Zeugnissen beruhenden, auf die man allein zunächst Werth
legen solle, wie die Perserkriege, wie der trojanische Krieg und Aehnliches.
Die zweite Klasse sind die viel erzählten und von den meisten ge-
glaubten, wie die Geschichte von Prometheus, von Niobe und die sonsti-
gen tragischen Stoffe. Auf sie muss man auch achten, denn wenn es sich
auch nicht so verhalten sollte, so haben sie doch wenigstens, weil sie von den
meisten von vornherein so angenommen werden, einen geschichtlichen Ab-
schnitten analogen Verlauf. Was aber ganz unächt ist, voll von Windmache-
rei und Geschwätz, wie die Gigantomachie , die Erzählung der Spartoi in
Theben und Kolchi und Aehnliches, das freilich wird nicht in» Betracht kom-
men, wenn nicht manches dieser mythischen Dinge eine physische Auslegung
zulässt. Also hier wird die Niobe der zweiten halbhistorischen Klasse von
Mythen zugeschrieben, die fast allgemeinen Glauben gemessen und wenn
auch nicht dem Kerne nach ganz historisch, doch eine historische Form be-
sitzen, sie gehört sonach nicht zur dritten rein mährchenhaften Klasse.
In Philemon, dem Komiker, fanden wir zuerst eine freie Kritik des
vulgären Verstandes über die Wirklichkeit des Schlussaktes im Mythus ; die
Versteinerung ist ihm nur ein Bild für den Zustand geistiger und körperlicher
Erstarrung, den grosser Schrecken oder Schmerz hervorruft, an eine Verstei-
1} Artem. Oneirocrit. IV. 47 : fn^vrjao 6k oti twv Iotoqiwv uovmg aot nQoatxttov rtue
nnvv 7T€7TtOTevfi£vaig ix noXXüv xnl jutyaXtov tfXfirjQtov, oti italv ccXrj&ftg, tag t(p noXifiip
T(ji TliQüixot xnl hi avto&tv riß TQto'ixtp xttl toTg ofto(oig. — hi twv latoottov %lA XQootyiv
xnl Talg noXvÜ-QvAtJTieig xttl noog ttüv nXktattav nemottv/uivnig, oin ta ntQl flqofxrj&ta xnl
rrjvNioßrjy xnl luv tQnyydovfifraiV 'ixnatov. tnvia yuQ ti xnl [jir\ ovttog t%ot , all* ovv yt dt«
ib nootiXrjff itni noog itav nXttanov 6uo(tog inTg ntoioyuig «noßuivti. oan 6k narieXcHg t£(Tt)la
xnl tfXvnnUtg xnl Xrjyou /luoiu, wg tu nt{*l iqv ytynviofin^nv xal tovg ZnaQtoirg rot/f t€ tv
Qrjßntf xnl tovg iv K6X%oig xnl in o/uow, r^tot t4X*ov ovx anoßrjaetnt, fl py ti aQa ttZv fiw
(hixtüv tovitov (fvotxrjv iniM/otto trjy (£rjyr]Otr.
Die philosophische Kritik und Auslegung des Mythus im Alterthume. 91
nerung selbst hat er nie geglaubt. Diese psychologisch erklärende Ansicht
fand auch später viele Vertreter , wie wir sie in Achilles Tatios, Chorikios
kennen gelernt, wie sie Agatharchides ') , wie sie die jüngeren homerischen
und sophokleischen Scholien aufzeigen 2) Auch Cicero weist in seinen Tuscu-
lanen darauf hin, dass Niobe als steinern wegen des ewigen Schweigens in
der Trauer gedacht sei *) .
Noch zwei andere Erklärungen für das Wunder der Versteinerung ma-
chen sich daneben geltend ; beide gehen von dem Niobefelsen selbst aus, die
eine aber betrachtet seine Menschenähnlichkeit, seine Erscheinung als thrä-
nenvergiessende Niobe als reines Naturspiel, das nun zur Sage veranlasst
habe4), die andere geht dagegen von einem durch Künstlerhand gefertigten
Grabdenkmale aus, einer auf dem Grabe ihrer Kinder sitzenden Mutter und
von dem Sprachgebrauch, der das Bild auch einfach mit dem Namen der
Person bezeichne5). Ja man wusste zu erzählen, dass der Künstler eine
Quelle benutzt habe, um von ihr Wasser von hinten in den Kopf zu leiten
und aus den Augen träufeln zu lassen 6) .
Für den plötzlichen und gemeinsamen Tod der Kinder lag die Erklärung
einer verderblichen Pest unmittelbar nahe und hat auch immer zu Grunde
gelegen, wenn die Niobesage als Trost für ihrer Kinder beraubte Eltern an-
gewendet wurde; wir werden es sehr natürlich finden,' wenn die gelehrte Er-
1) Jli()l rrjg iQv&gag &aXaaatjg bei Phot. ed. Bekker p. 443 : Niofav öh xal rioXvdixtuv
dtet tfoßov anoXi&ovpivag.
2) Schol. Hom. 11. XXIV. 601 : «i/ri) dk rij Xvny atftavCa xqccttj&uocc tag X(0og rjy atfto-
wr ol 6k Xaol aovpna&fTs tag XC&oi rjaav /utaovvreg avr^v. Vgl. auch Tzetz. Chil. IV.
n. 141; V>4449— 452 und Schol. Soph. El. 151 ex cod. Florent. 278$ in der Ausgabe der
Plektra von O. Jahn 1 861 .
3) Cic. Tusc. III. 26 : et Nioba fingitur lapidea propter aeternum credo in luctu Silen-
tium.
4) Eustath. comm. in Dion. Per. 87 : xal 6 xara rrp Nioßtjv <f£ pv&og ovrw mag &tQa-
7i t viral (fafiirtov nviüv axQtar^Qtov tlvai ^(tvytov ioixog yvvatxtty nQoatontp folg noQQta
itiftOTTjxoOiv, (£ ov vötuQ atCvaov xaraQQt?.
5) Schol. IL XXIV. 605.: aXXtag. VtuMg iori to Xi&to&ijrai rijv Ntoßrjv, aXX* ij oAij-
•frtta o vj tag tyn • &ar6vrtav ttov natdtav txvrfjg inoCrjai rig tlxova Xi&ivyv, yt> fartjoev inl
ttji ivpßta töv natövjv, tjv ßXinovieg ol naQiovreg $Xtyov „Nioßtj Xi&tvi) eajrjxiv inl Ttji
ivfißtp, taontQ xal rvv Xiyttat „naga ror ^aXxovr'HgaxXrj txa&ia&Tjv". Palaephat de incre-
dib. 9. p. 279 ed. Westenn., der selbst erklärt : xal ryung l&taod/ut&tt avryv ; fast wörtlich
daher Apostol. Cent. XII. 1 1 mit der starken Erklärung : oarig ctt 7n(&erat ix XC&ov yt-
vto&ai avd-Qtanov rj {£ avihQta7iov Xi&ov, tuy&rjg iort ' tö (T «Xrj&lg tyci toöt xtX.; Tzetz.
Chil. IV. 141. 463—466.
6) Schol. Soph. Elektr. 151 (ex rec. O. Jahn p. 34) : Xfyetai dk on mqI xb ZinvXov oyog
r\v ayttXpaTOi'iryog • ovrog Xaßtav XiOov inotrjoev ayaXfia rijg Ntoßqg xal ni\yr\v evQtav t&rjxe
iovto jmqI tijv nrjyqv, fjttxQav dh Qavtöa and Ttov bmoBCtav rrjg xttfaXrjg fit tav TQvnjaag
xar/jVtyxt dta rtav dtp&aXfitav.
92 Erstes Kapitel
klärung dies unmittelbar ausspricht und man dabei an technisch-medicinische
Ausdrücke, wie ßXrpoi, getroffen, erinnert !) .
Aber wir haben es nicht allein mit dieser euhemerisirenden, wir würden
sagen flach rationalistischen Auffassung des Mythus zu thun, sondern es sind
uns zwei interessante Stellen der grössten Philosophen des Alterthums über
Niobe erhalten und noch eine interessante Auseinandersetzung des im Wesent-
lichen zu den Neuplatonikern hinüberfiihrenden, um eine tiefere Begründung
der religiösen Anschauung so eifrig bemühten Plutarch. Plato und Plutarch
gehen dabei von der Anschauung der Gottheit, als des wahrhaft Guten, einer
von aller niedrigen Affektion freien Persönlichkeit aus. Dieser gegenüber muss
die von Leto durch Apollo und Artemis vollzogene rächende Strafe zunächst
als unglaublich oder unmöglich erscheinen. Plato stellt nun die Alternative:
entweder darf man nicht zugeben, dass dies ein Werk der Gottheit sei, oder
man muss sagen, die Gottheit beabsichtigte damit nur Gerechtes und Gutes,
jenen aber sollte nur durch die Bestrafung genützt werden, unglücklich darf
der Dichter die Bestrafte nicht nennen2). Plutarch verfahrt dagegen ganz
polemisch gegen Dichter und Mythographen. Der Aberglaube hat nach ihm
thörichte Menschen nur dazu überredet, dass Leto geschmäht die Kinder der
Niobe niedergeschossen, so unersättlich an fremdem Leid und so aller Mässi-
gung baar. Nein, vielmehr hätte die Göttin, wenn sie wirklich das Schlechte
so hasste und so eifersüchtig auf ihren guten Ruf wrar, die niederschiessen sol-
len, welche ihr solche Grausamkeit andichten und solches schreiben und er-
zählen*). Man sieht, wie bei ihm das starke sittlich-religiöse Bewusstsein
1) Schol. Ven. B. IL XXIV. 605: Tatog Jl vno Xoipov öiay fraQfvreg iro/uto&tjoav oürto
TtÜvrirai. 'innoxQttiriG ö*k h ry ntgl 6g*£iav nctxhöv (ftjOl, rovg vnb OQ&onvotag xai xway^g
anoXXvptvovs tpovro ßXr\rovg tlvai dia rb aTyvrje xal fttr oövvr^g reUvräv, Tzetz. Chil. IV.
141, 445: av&rjpeQov rf &vt'oxouoi navta Xoiptji ra rixt'a^AnoXXotva ts xaVAgrifitv fyavök
rovrovg XTHvai xrX.
2) Plato de rep. II. 19. p. 380 hat zuerst Beispiele aus Homer angeführt über Ver-
führung durch die Götter zum Bösen, dann eine Stelle aus Aeschylos, die wir oben seiner
Niobe zuschrieben mit einer für uns zur Sicherheit fast sich erhebenden Wahrscheinlich-
keit. Er föhrt fort: aXX' iav rig noirj h olg lavra ra tapßtTa htort, ra rijg Nioßfjf na9fj
r) t« ITtXomdS>v tj xa TQtotxit rj r* aXXo xtov Totovrtav, rj ov &iov Zpya lartor avra Xtyav, r)
tl &cov, 1$ivqct£ov nvroig o/etibv ov vvv r)petg Xoyov tr}Tovptv xal Xtxxiov^ mg 6 pkv &ibg 6(-
xaia re xal aya&a tlQya&ro, ot dl tovivavro xoXatffitvoi • toi cf* tt&Xioi ph ol S(xt]V diSovrtg,
r]v M ö*r) 6 öqüv ravra &eog, ovx lattov Xfyeiv rvv notrjTrjv.
3) Plut. de superstit. Mor. p. 1 70 b : xatxot xt xoaovxov r) Ntoßrj ntol xrjg Ar\xovg tßXa-
aqyqftTjOfv olov r) dtiotdatfjtovia nfncixe nCQl xfjg &tov xovg atpQovag; t&g aQtt Xotdoqrj&uaa
xaxex6£tvas rijg a&X(ag yvratxbg
?£ pir &vyaxtfQag ?| *¥ vhlg fjßtoovxai •
ovxtog änXrjOTog aXXoxQtotv xaxdiv r)v xttl ar(XaOxog • kl yotQ aXrf&tog r) ötbg XoXr,v tfyi xal
fjiOonot'TjQog r)r xal tjiyti xaxdtg axovovaa xal jutj xaxtytta rfjg avOownlvrig apa&tag xal
ayvolag aXX' r)yavaxxn iovtok, tdit ro$ivoai rovg xoaavxr\v (o^ottjtcc xal ntXQfav xaxatytv-
tfofiirovg avxrjg xal xoiavxa yQaifovxag xal Xfyovxag.
Tabellarische Uebersicht der Niobesage. 93
alles Gefühl fiir das Göttliche im Naturprocess, für eine künstlerische Durch-
bildung beseitigt hat, während Plato schonend nur einen höhern Zielpunkt
den Thatsachen unterlegt.
Aristoteles behandelt eine rein praktisch - ethische Frage über den
sittlichen Vorwurf, den man überhaupt Niobe machen kann. Kinderliebe,
Elternliebe ist an und für sich etwas sittlich Schönes und Gutes, aber den-
noch giebt es ein Uebermass (vneQßoltj) darin und dadurch wird eben dieses
Gute zum Verwerflichen und Uebeln ; so handelt Niobe unrecht, wenn sie
aus Liebe zu den Kindern selbst mit den Göttern streitet. Ihr Unrecht ist
nicht eine dxoXaola, aber eine a%qaalax).
§ 12.
Tabellarische Uebersicht über die Niobesage nach den verschiedenen Berichten.
Zum Schlüsse der literarhistorischen Untersuchung über die Niobesage
stellen wir die Einzelheiten derselben je nach den verschiedenen Berichten
in systematischer Weise zusammen, um so einen Gesammtüberblick der Fülle
derselben zu geben, aber zugleich auch durch die blosse Xebeneinanderstel-
lung auf ihre theilweise Abhängigkeit von einander, auf gewisse gemeinsame
Grundzüge hinzuweisen und so den Weg zu einer mythologischen allseitigen
Betrachtung zu bahnen. Nur die noch nicht im Vorhergehenden behandel-
ten Stellen sind genau bezeichnet, sonst kam es uns darauf an, die Gewährs-
manner prägnant zusammenzustellen.
1) Ar ist. Eth. Nicom. VII. 6 : J<o ooot jilv naya top Xoyov tj xoaiovviat ij ömükouoi rar
ifvau t# xaltuv xal aya&wv, olov ol ntol r/pqv [tülXoy rj Jtt onovöatorTtg rt ntol tixvn ual
yoröfc ° xul yuQ tavr« ituv aya&tov, xa) tnaivouvTnt ol ntol rttvxa ono* datoviH • alii outog
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9
Stark, Niobe.
ZWEITES KAPITEL.
Der Niobemythiis in der bildenden Kunst.
§ 13.
Daß Niobebild am Sipylos.
Schon in den vier jüngeren Znsatzversen der homerischen Erzählung von
Niohe trat uns die lokale Itaziehung der Niohe zu einem Stein am Sipylos
und zwar mit grosser Wahrscheinlichkeit an dem hei Smyrna sieh erheben-
den, diesen Namen tragenden Gebirge entgegen. Wahrend nun in der Loka-
lisirung und Schilderung des Niohe in sich tragenden odqr Niohe selbst
seienden, thränenden Felsen am Sipylos wir von Aeschylos bis Nonnos in
einer Reihe der ausgezeichnetsten und bedeutungsvollsten Stellen sichtlich eine
grosse Freiheit in der lokalen Ansctzung, eine durchaus ideale, über die engen
Gränzen der nüchternen Beobachtung eines Felsbildes weit hinausgehende
Auffassung kennen gelernt haben und wir in der mythologischen Darlegung
gerade diesem bildlichen Urgedanken des griechischen Volkes zu seinem
Recht zu verhelfen hoffen, geht daneben eine an eine bestimmte Lokalität
und dortige auffallende Erscheinung einfach sich anschliessende Bericht-
erstattung hin. Um diese handelt es sich nun hier zunächst, wo wir der mo-
numentalen oder mit dem Auge wahrnehmbaren Ausprägung des Niobe-
mythus nachgehen. Nun haben wir die Itarichte des Pausanias und Quin tos
Smyrnaeos oben schon kennen gelernt von jener Felswand der Nordseite des
Sipylosgebirges bei Smyrna mit dem in der Ferne ganz deutlichen, in der
Nähe sich in einen schroffen, durchrissenen Felsabhang auflösenden, trauern-
den, von Wasser überrieselten Frauenbilde ; bei Paläephatos lesen wir die Ver-
sicherung, dass auch er sie gesehen und sonst auch z. B. bei Euphorion begegnet
uns die Bemerkung, dass sie von allen Vorübergehenden gesehen wrerden
könne.
Ist dieses Bild nun ein reines Naturspiel, woran Eustathios dachte ? Oder
haben wir es in der That mit einem von menschlicher Hand gebildeten, hoch-
alterthümlicher Werke zu thun ? Und wie stellt sich dies in den Entwicklungs-
gang der antiken Kunst.' Ist es ein urgriechisches oder ,,dem Stil und der
Behandlung nach nicht griechisches, von einem anderen kleinasiatischen Volke
Das Niobebild am Sipylos. 99
herrühren des' ', oder gar unter assyrischem oder ägyptischem Einflüsse stehen-
des Werk, dem die griechische Phantasie dann ihre mythologische Gestalt
untergeschoben hat? So werden wir wie bei keinem anderen heroischen
Mythus, auch den am frühesten sonst bildlich ausgeprägten Mythen des He-
rakles, Perseus, Bellerophon, über die als Glied einer freistehenden Architek-
tur oder eines tektonischen Werkes gearbeitete Reliefplatte oder Figur oder
Zeichnung zu einer ganz primitiven Gattung, nämlich der Bearbeitung des
lebendigen Felsens hingeführt. Und es eröffnet sich damit uns eine Perspek-
tive in die ältesten Kunst- und Culturbezüge von Griechenland.
Fassen wir zunächst den Gesammtcharakter der Gegend, speciell des
Sipylosberges ins Auge, hören wir dann die Berichte der neuern Reisenden
über das von ihnen Gesehene und vergleichen damit die von ihnen gegebe-
nen bildlichen Darstellungen.
Der Sipylos1}, jetzt Man issa-dagh, erhebt sich majestätisch als ein ge-
waltiger, durch einen Einschnitt in der Mitte deutlich getheilter Rücken an
der Nordseite des Golfes von Sniyrna und bildet hier den Hauptrand dieses
in seinem Eingang durch die grossen Alluvionen der Hermosmündung sehr
verengten Beckens. Durch den Querhöhenzug von Nympheion, jetzt Cäva-
kludere in Verbindung mit dem Hauptstocke des Tmolos, zunächst dem lydi-
schen Olympos (Nif-dagh) stehend, als dessen nordwestliche Abgränzung er
sich darstellt, streicht er zweiunddreissig englische Meilen, also 6% deutsche
Meilen von Ost nach West. Sein Fuss wird im Norden vom Hermos, jetzt
Guedis-tshai in einer Thaiebene umströmt, welcher dann durch einen engen
Pass von Trachytmassen durchbricht, um im südsüdwestlichen Laufe durch
das sumpfige Alluvialdelta langsam dem Meere sich zu nahen. Jener Ein-
schnitt des Gebirges, durch den, den kleinen See Kizghioul zur Linken las-
send, die Strasse nach Manissi, dem alten Magnesia hinüberfuhrt, in dessen
Nähe eine Höhe auf 824 Metres neuerlich gemessen ward, bildet die Gränze
der geologischen Bildung : westlich davon ist alles Produkt einer vulkanischen
Eruption mit rothbraunen Trachytmassen und weissem oder gelbem, zersetztem,
1) Vgl. K. Ritter allgem. Erdkunde XVIII. S. 40ff., speciell Will. J. Hamilton on
the geologyi of the western part of Asia minor, sowie dessen Rescarches in Asia Minor Pon-
tus and Armeny, Lond. 1S42. p. 46 ff., ganz besonders aber Ed. Strickland On the geology
of the neighboorhood of Smyrna in Transact. of the geological society of London 1S37.
Ser. II. Vol. V. Part. 2. p. 394—401. Was P. de TchihatschefT in seinem Werke: Asie mi-
neure, Part. I. 1853. p. 4f>7ff. über den Tmolos und Sipylos sagt, ist über den letztern we-
nigstens sehr ungenügend. AuchTexier's (Asie mineure. Part. II. J.p. 2. p. 249— 260) Mit-
theilungen sind nur allgemeiner Art, die interessanten altgriechischen Denkmäler an der
Südseite des Sipylos, für deren Zeichnung wir ihm sehr Dank wissen, hat er für Reste der
Stadt Sipylos oder Tantalis gehalten, obgleich ihre Stätte ah Altsrayrna gar keinem Zweifel
unterliegt und Sipylos nur an den Nordabhang des Gebirges zum Hermosthai von den
Alten gesetzt wird. Für die Topographie verweisen wir auf die von Kiepert aufgenommene
Karte in Archäol. Zeitung 1S43. T. 3.
7*
100 Zweites Kapitel.
seifigem Gestein, östlich dagegen herrscht der die ganzen dem ägäischen Meere
sich nahenden Gebirgszüge charakterisirende dichte, graue alpine Kalk, der
mit schwarzen und grünlichen Lagen durchzogeu ist und auch theihveise in
die krvstallinische Bildung des Marmors übergeht. Auch dieser Theil des
Gebirges zeigt uns ganz besonders an der Nordseite die deutlichsten Spuren
gewaltiger Erderschütterungen, wie wir sie in historischer Zeit für diese Ge-
genden kennen und weiter unten sie noch näher ins Auge zu fassen haben.
Der Absturz ist an vielen Funkten fast senkrecht (bis 7(1 Grad) und Zerklüf-
tungen gehen hie und da fast bis zur Thalsohle hinab, unmittelbar am Fusse
zieht sich aber selbst noch heutzutage die reichste südliche JJaumvegetation
besonders uralter Kastanienbäume, Feigen- und Granatbäume hin, durch den
Quellenreichthum an der Nordseite getränkt. Hier liegt das jetzige Magne-
sia, Manissi, vom Hermos noch (»ine halbe Stunde entfernt auf Hügeln, end-
lich steil in einem Thal emporziehend zu der mit Trümmern des alten Schlos-
ses gekrönten Höhe, die als Akropolis des alten Magnesia sich durch alte
Substruktionen kund giebt.
Auf dem Wege von Magnesia nach Sardes, dem jetzigen Sart, an dem
Nordfusse des Sipylos hin, 1 % Stunde von dem ersteren Orte ist nun jene
merkwürdige Erscheinung am Felsabhange, welche mit Recht als Bild der
Niobe, als da» von Pausanias und Quin tos Sinyrnäos genau geschilderte Ge-
bilde jetzt anerkannt ist.
Bereits Chishull, welcher 1699 dieses Weges ritt, bemerkte einen ge-
wissen Felsabhang mit einer genau sichtbaren Nische und einem Bild, das
die gehörige Form imd Proportion eines menschlichen Körpers hatte1).
Chandler2) glaubte diese eigenthündiche Erscheinung nur aus einer von
einem gewissen Punkt unter bestimmter Beleuchtung des Felsens entstehen-
den Täuschung zu erklären. Aber erst die zwanziger Jahre unseres Jahrhun-
derts führten europäische Reisende diesen auch jetzt noch gegenüber der
gewöhnlichen von Smyrna über Nymphi und Kassabar nach Sart und in die
Hermosebene fuhrenden Strasse, selten von Europäern betretenen Weg zwi-
schen Manissi uud Sart, wrelche mit Aufmerksamkeit und Kenntniss die Lo-
kalität und ihre Denkmalreste betrachteten. Es waren dies von Prokesch-
Osten im J. 18253), Steuart im J. iS2(>4, und Mac Farlan im J. 1828 *), aber
1 ) To observe a certain cliff of the rock representing an exaet niche and statue with the
due shape and proportion of a human body.
2) Voyages dans l'Asie min eure II. eh. 79 p. 195.
3) Denkwürdigkeiten und Erinnerungen aus dem Orient. 3 Bde. Stuttgart ls36. I.
S. 97 ff. 507 ff. 111. lff.
4; J. K. Steuart description of some ancient monuments still existing in Lydia and
Phrygia, London Jvi2. Vgl. dazu Melchiorri, Welcker und Secchi in Bullett. d. inst, di
corrisp. archeolog. 1M3 p. <>3, undWelckers Zusatz zu Müller Handb. d. Archäol. 3. Aufl.
g 64, 2.. Nach Steuart unsere Tafel I.
5 Constantinople in ls2s Vol. I. p. 317.
Das Niobebild am Sipylos. 101
d$r erste hat gerade, während er sonst den Weg am genauesten beschreibt,
das für uns Wichtigste, man muss sagen mit einer gewissen Leichtfertigkeit
und Voreingenommenheit gegen die Ueberlieferung ununtersucht gelassen :
Steuart dagegen nicht Mühe und vielleicht Gefahr gescheut, um auch in
einer Skizze, an Ort und Stelle gemacht, ein möglichst treues Bild zu geben ;
flüchtiger ist die von Mac Farlan gegebene Skizze. Im J. IS 52, im Novem-
ber, besuchte der preussische Consul Spiegelthal zu Smyrna, welcher um die
Durchforschung der Nekropole von Sardes sich so verdient gemacht hat, auch
von Sardes nach Magnesia reisend das Niobebild und gab darüber näheren
Bericht1). Uns stehen ausserdem durch die Güte des Geh. Legationsrath
Abeken in Berlin, dessen Aufzeichnungen im Reisetagebuch und eine ein-
fache, ohne alles Streben nach effektvoller Darstellung gemachte Skizze zu
Gebote2). Noch fehlt es aber bis heutigen Tages an einer genauen Auf-
nahme mit Messungen, mit unmittelbaren Untersuchungen der Oberfläche
des Felsens; sowie an einer Durchsuchung der ganzen Nordabhänge, an
denen mehr zufällig noch andere Denkmäler bemerkt sind. Ebenso scheint
das Plateau des Berges noch gar nicht erstiegen zu sein ; und doch hätte dies
volles Interesse,' da wir hier oben den uns ausdrücklich bezeugten Thronsitz
des Pelops und wohl auch einen oder mehrere Altarplätze zu suchen haben.
Vielleicht kann man hoffen, dass dann auch dem grösseren Publikum nicht
so bodenlos falsche, wie aus der Luft gegriffene Rcisebilder über diese Stelle
ruhig dargeboten werden, wie dies z.B. im J. 1855 in den Berlinischen
Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen 1855. n. 305 geschehen ist8).
1) Ausland 1853. n. (>. p. 1 30—139.
2) Die Aufzeichnung lautet: „Donnerstag d. 3. April 1S46 (auf der Rückreise von
Sardes nach Smyrna1. Um Sonnenaufgang fort von Kara Oraulii Köpnissi am Flüsschen
Nif Tschai. Eine Stunde bis zur Ecke des Sipylus, unter dessen Nordseite dann weiter.
Eine halbe Stunde weiter eine grosse Höhle am Fuss des Berges, aus der im Winter Was-
ser fliessen soll. Eine Stunde weiter — noch eine Stunde von Magnesia — Kaffeehaus und
Khan neben einem Wasser ; gerade darüber, hoch an der Bergwand Nordostwand des Si-
pylusj das Hautrelief nach Norden gewandt, nicht unmittelbar vom KaffeehaUs, wohl
aber vom Wege dahinter sichtbar. In einer Nische (es ist eine doppelte, grössere, flachere,
fast eckige, dann eine tiefere bogenförmige/ sitzende weibliche Figur auf einem Thron und
Postament darunter, in starkem Hautrelief aus dem Fels gehauen. Der Kopf scheint eine
Krone oder Binde getragen zu haben, ist etwas vornüber und nach seiner rechten Schul-
ter zu geneigt, die Arme auf der Brust, die Hände nahe zusammen ; ob sie etwas hielten?
Etwa 20' hoch (d.h. die Nische). Ist gewiss eine Göttermutter, wahrscheinlich auch die
Niobe des Pausanias".
3; Wegweiser ist dem Verf. Herodot im 1. Kapitel des 23. Buches '!!). ,, Auf einer
Höhe von etwa *»00 Fuss !j erblickt man das Standbild einer weinenden Frau. Sie hat den
Arm auf eine nebenstehende Urne gestützt und grosse Thrftnen rollen ihr über die Wangen
und den entblössten Busen* * etc.
102 Zweites Kapitel.
Wir verfolgen den Weg von Magnesia zunächst weiter. Einige hundert
Schritt von der Stadt hören die in die Ebene sich verflachenden Hügel auf
und die nackte dunkelgraue Felswand des Sipylos fällt hier ohne Vermitte-
lung in die weite durch Pappeln und Fruchtbauingruppen belebte Ebene des
Hermos ab. Der Weg fuhrt dann über angeschwemmtes Erdreich hin, wird
aber nun nach einem dreiviertelstündigen Ritt von Magnesia aus (nach Pro-
kesch) durch einen mit hohem Schilf bewachsenen Sumpf links eingeengt.
Nach einer halben Stunde tritt dieser mehr zurück und lässt hier Raum
für die Anlage eines Khans. Hier bricht die Felswand des Berges in eine
Schlucht voll abenteuerlich gezeichneter Massen aus; Höhlen und Risse
zeigen sich, aber die Felswand ist stellenweis wie geglättet. Prokesch, wel-
cher nicht hier hinan gestiegen ist, glaubt nun, das Niobebild sei ein ein-
faches Naturspiel in diesen Felsmassen. Weiterhin nach einer halben Stunde
schliesst der Sumpf wieder hart an den Bergabhang an, der hier mit seinen
schiefen, nackten Lagerungen die grösste Steilheit zeigt, aber bald dann in
einer kahlen Schneide zu einem Pinienhügel sich senkt und seinen Nordost-
abschluss findet. Quellen in alter Fassung springen an beiden Stellen der
grössten Enge des Weges aus dem Felsen hervor, das eine Mal bogenförmig
überwölbt, womit Backsteinmauern, die zu einer Wasserleitung wohl gehör-
ten, in Verbindung stehen, das andere Mal aus einem künstlich gehauenen
Felsgemach mit hohem dreieckigen Giebel. Auch Anlagen, die als Grab-
denkmäler sich kundgeben, finden sich an dem Wege ; so die Reste zweier
runder Tumuli und der übrig gebliebene Steinring zur Basis eines dritten,
am oben bezeichneten Nordostende des Berges zwei wohlerhaltene, zu 60 '
schiefer Höhe ansteigende Tumuli, ein einfach in den Felsen gehauenes Grab,
endlich ein anderes mit frei aus dem Felsen gearbeitetem halbcylindrischen
Dachabschluss. Steuart fand zwei Kammern darin, aber keine Spur von
Verzierung, Prokesch glaubte Reste von Marmorbekleidung zu entdecken.
Als ein Werk des höchsten Altenthums erschien Herrn v. Prokesch jenes
Wassergemach mit Giebel.
Folgen wir nun Steuart, Spiegel thal und Abeken zu dem Bilde selbst
an jener schon näher bezeichneten schluchtartigen Gebirgsabstufung. Schon
also oberhalb desselben, auf dem Wege kann man, wie Chishull zuerst
es that, das Relief bemerken. Es gilt, über SO und mehr Fuss hoch
über Felsblöcke und tiefe Risse hinauf zu klettern, um eine genauere Ansicht
zu gewinnen. Ein künstlich geebnetes Rechteck, auf 20' geschätzt, zeigt
sich an der Felswand und dieses wird durch eine weitere bogenförmige Ver-
tiefung fast ganz eingenommen. Hier erscheint nun in starkem Relief aus
dem Felsen gehauen eine sitzende Gestalt, mit dem zurücktretenden, rohen,
aber in seinen Linien rechts und links von der Gestalt wohl sichtbaren Sitz
noch auf einer basisartigen bedeutenden Erhöhung. Die Gestalt selbst ist
bis auf Kopf und Armbewegung durchaus ungegliedert, als bekleidet natürlich
Das Niobebild am Sipylos. \ 03
zu denken, daher auch nach unten eine einheitliche Masse, von Falten des
Gewandes ist nichts zu entdecken. Der Kopf ist entschieden nach rechts
und nach vorn geneigt, nach Abeken hat er noch etwas, eine Binde oder
etwas Kronenähnliches getragen. An seiner linken Seite sind Meiseisp uren in
einigen strengen Haarlocken wahrzunehmen, die am besten vor dem Wetter
und dem heruntemeselnden Wasser geschützt waren. Die Arme liegen an
und auf dem Schooss, die linke Hand scheint einfach auf die rechte gelegt
zu sein, an ihr sind Spuren von Fingergliederung zu entdecken. Abeken
ward zur Frage unwillkürlich gefuhrt, ob die Hände etwas hielten i
Von einem Naturspiel kann mithin keine Rede mehr sein, unzweifelhaft
ist es auch, dass dies das von Pausanias, Quintos Smyrnäos u. A. gesehene
Bild ist, das diese, das Jedermann damals als das der Niobe bezeichnete ; es
ist das auf der als %v(xßog gefassten Erhöhung sitzende trauergesenkte Weib,
dessen Gestalt nur von einer gewissen Entfernung rechtjds Ganzes erkannt
ward, ja selbst dem unten vorüberziehenden Wanderer bei einiger Aufmerk-
samkeit nicht verborgen blieb.
In den lebendigen, künstlich geglätteten Felsen gearbeitete Reliefe ge-
hören auf dem Boden von Hellas selbst zu den nicht häufigen Erscheinun-
gen ') . Auch in den Nympheen und Paneen, überhaupt in kleinen den Göt-
tern des Wasser- oder freien Wald- und Gebirgslebens geweihten Heiligthü-
mern, die an natürliche Grotten u. dgl. sich anschlössen, sind die plastischen
Darstellungen durchaus in selbständigen Platten oder Steinblöcken gearbeitet
und dann an geeigneter Stelle eingesetzt oder aufgestellt. In den Felsen
gehauene Grabkammern, sowie freie aufstehende Sarkophage aus dem Fels-
1) Hei Nauplia in Argolis nahe den den Kyklopen zugeschriebenen Felsgängen war
ein Esel in den Felsen gehauen (Paus. II. 3**, 3 : ovog otfiotv Iv niiQu nenoiypfyos öiä xovio
iariv an a[i7t(kwv JiJat-ctg lopqv, E. Curtius Peloponn. U. S. 391. 569). Alterthümliche
Reliefs an den Seiten eines in Kalkstein ausgemeiselten Kanals südlich vom Hafen Gy-
theion, darunter ein auf die Keule gestützter Herakles (Curtius Peloponn. II. S. 293) ;
ferner ein Relief über dem Eingange in eine Höhle unter einem Heiligthum südlich von
Teuthrane (Curt. II, 8. 277), ferner ein solches mit unbekleidetem Manne bei Messa auf
der Westseite der tänarischen Halbinsel (Curtius II. S. 2S3). In Argos auf einer Felsplatte
Relief eines Reiters mit Rundschild auf eine Amphora mit Schlange zureitend (Curtius
II. S. 351;, andere Reliefs auf der Burg (Curtius II. S. 561). In Akarnanien hat Heuzey
kürzlich auf der Akropolis Kastrij von Alyzia zwei Felsreliefs entdeckt mit je zwei Gott-
heiten, von denen Asklepios und Hygiea sicher stehen, Ares und Athene möglich sind,
in tafelförmiger Vertiefung ausgehauen von bestem griechischen Stil (Mont Olympe et
l'Acarnanie. Paris IS00. p. 412. pl. XII). Das bekannteste Felsrelief auf den griechischen
Inseln das Votivrelief des Adamas im Marpessamarmorberg auf Paros an die Nymphen, wo-
bei aber auch die Kybele mit dem Löwen auf dem Schooss den Mittelpunkt der Gottheiten
mit bildet, vgl. Böckh C. 1. T. II. n. 23«7 ; Stuart Alterth. Ath. IV. p. 34. T. 5; Müller-
Wieseler D. A. K. IL Taf. 03. n. 514. Nymphäen auf den Inseln ohne Felsrelief auf
Siphnos, Pholegandros, Kalymna, Astypalaia, Kos s. Ross Inselr. I. S. J43. 148; IL
S.65. 115. 145.
104 Zweites Kapitel.
boden begegnen uns häufig, aber sie sind durchaus schmucklos, im Innern
der Gräber ist es die Thonplatte vor allem, die dann den Fries bildet.
Anders stellt sich die Sache auf kleinasiatischem Boden. Hier ist die den
Felsen bearbeitende, glättende, zu Facaden reichsten Schmuckes umwan*
delnde, in ihn hinein sich senkende, oder monolithische Gebilde frei aus dem
Boden emporhebende Thätigkeit sowohl bei den entschieden ungriechischen
Völkerschaften, wie dann bei den dort ansässigen Hellenen und den helle-
nisirten Kleinasiaten eine sehr grosse gewesen. Ich weise hier hin auf die
merkwürdigen in den Felsen gearbeiteten Reliefs der alten Landschaft Pteria
jenseit des Halys in Kappadokien, jetzt Jazylykaja genannt, mit ihren schrei-
tenden Göttern, ihren Reihen von Bewaffneten, Darbriugenden, priesterlichen
Gestalten in einem verwildert assyrischen Stile, auf ähnliche verwitterte Re-
liefs von strengerem Stile in den Felsruinen von Euyuk, vielleicht Amasia'j.
Auf der centralen Hochfläche Kleinasiens, in den Qucllgebieten des Sanga-
rios und seines Nebenflusses Pyramos, des Rhyndakos und Hernios, vor allen
in den Felsthälern von Kotyaeon bis Nakoleia, dann von Midaeion und Pry-
mnessos, endlich von Dokimeion begegnen uns massenweis die einfachen
Grabnischen in eckiger, mehr abgerundeter und dann Giebelform, wie die
grossen Grabfacaden mit hohen Giebeln in flachster, geschickter Nachbil-
dung des Holzbaus und der dem Holzwerk entnommenen Ornamente, end-
lich rein griechische fein ausgearbeitete Säulenvorhallen2). Wohl ist aber zu
beachten, dass bildliche Darstellungen sowohl einzelner stehender oder thro-
nender Gestalten als auch in einer Thätigkeit begriffener Personenreihen hier,
wenigstens bei den eigenthümlich lokalen, älteren, als spezifisch phrygisch
bezeichneten Monumenten gänzlich fehlen. So eben erhalten wir Kunde8)
von zwei Felsreliefs in assyrisch-medischem Stile, südlich und südwestlich
von Ankyra in dem Bezirk Hainaneh ; wir müssen nähere Beschreibung ab-
warten, um diese interessanten Zwischenstationen für den oberasiatischeu
Stil für unsere Betrachtung zu benutzen. Die reichsten Gruppen von Bil-
dungen aus dem lebendigen Felsen bietet endlich Lykien dar, diese südwest-
lichste Akropole gleichsam von Kleinasien. Hier ist der Fels zu völlig frei-
stehenden Denkmalen umgearbeitet, sowohl der offenen Hallen, wie der soli-
den mehr thurmartigen Massen und die schönsten griechischen Formen gehen
bekanntlich neben einheimischen Holzbauformen her. Auch die Plastik hat
1) Texier Asie min eure II. 2 pl. 72, 75—79; Kev. archeol. II. p. SO ff. ; Barth in Ar-
chäol. Zeit. 1n51>. n. 126. Taf. CXXVI und in Kitter Krdk. XVIII. S. 161 ff., 375—396;
Perrot in Rev. archeol. 1MJ2. Janv. Fevrier.
2) Ausser Texier und Steuart vgl. Leon de Laborde Voyage de la Syrie et de l'Asie
mineure. Paris 1837. I. livr. 1. 5. 2> und den zusammenfassenden Bericht bei Kitter Erdk.
XVIII. S. 634—019.
3) Bullett, di corrisp. archeol. IS61. p. 11.
Das Xiobebild am Sipylos. \ 05
hier den Felsflächen im Hintergrund der Hallo, oder zu deren Seiten gleich-
sam an den Wänden von Vorhöfen, oder in kleinem Maassstabe der Aus-
sen seite jener Grabthürme und Sarkophage sich angeschmiegt1 . Aber in
der Plastik zeigt sich hier nur ein griechischer Stil von der Strenge und
Feinheit der älteren, besonders ionisch-attischen Bildung bis zur grössten
Freiheit und Flüchtigkeit einer ganz frei waltenden Kunst.
Sehen wir uns in der nähern Umgebung unseres Sipylosreliefs um, so
werden wir zuerst gewiss auf jenes merkwürdige Felsrelief bei Nymphi, dem
alten Nymphäon etwas seitwärts ab von der von Smyrna nach Sardes füh-
renden Strasse gewiesen, das hoch an der Felswand auf einer vertieften Tafel
sich befindet und einen schreitenden Mann in asiatischer Tracht mit hoher
gerader Tiara und Schnabelschuhen, Bogen, Speer und wohl auch den Griff
eines an der Seite hängenden Dolches oder ein Doppelbeil zeigt, aber dabei
einen Cartouche mit Vogel und andern unkenntlichen Strichen2). Man kann
nicht daran zweifeln, dass dies das eine der zwei von Herodot erwähnten
Felsreliefs [tvnog iv 7C8%qtjol iyxexola^ivog) in Ionien, die er dem Sesostris
zuschrieb, ist in der That ein oberasiatisches, assyrisches oder dem assyrischen
Stile von einem in der Bildung von den Assyrern abhängigen Volke nachge-
bildetes ist, allerdings zugleich auch in dem ungeschickt gebildeten Namen-
ring an eine ägyptische Sitte erinnernd, wie ja derartiger Einfluss einzelner
ägyptischer Sitten und Formen in der jüngeren assyrischen Zeit vielfach sich
nachweisen lässt. Ob wir ein Denkmal der assyrischen Dynastie von Lydien
darin zu sehen haben, oder ein stolzes Siegeszeichen einer zeitweis Asien über-
nuthenden, bis zu den Ioniern vorgedrungenen Macht, der Kimmerier oder
Trerer und Skythen, das steht dahin, ich bin aber eher geneigt das Letztere
anzunehmen. Die Stelle selbst war für Anbringung eines solchen Denkmals
sehr geeignet, weil sie an der alten das Kaysterthal mit dem Hermoswasser-
gebiet verbindenden Strasse und an der Gränzscheide der hellenischen und
lydischen Bevölkerung, zugleich an einem durch Bewässerung und Parkan-
lagen anziehenden Thale sich befindet.
Nun, vergleichen wir unser Niobebild zunächst mit diesem Relief von
Nymphi und den entfernter liegenden phrygischen, kappadokischen , lyki-
schen Felssculpturen, so ist zu sagen, dass die Art und Weise den Fels an
fast unzugänglichen Stellen zu bearbeiten und zu glätten, in einer Vertiefung
1} Vgl. z.B. aus Telme8so8 Texier Asie min eure IL 3. pl. J67, 16*s 173, aus Antiphel-
los a.a.O. pl. 19S, aus Myra pl. 224, 225, 227, 22*.
2} Lepsius in Monatsber. Berl. Akad. d. W. 1S46. Febr.; Kiepert in d. Archäolog.
Zeitung 1S49. n. 3. S. 33— IG. Taf. II. III., 1S45. S. 1SS ; Welcker im Rhein. Mus. N. F. II.
S. 130 ff. und Bull. d. Inst, di corr. arch. Ih42. p. lv4. Abgebildet auch bei Texier Asie
mineure. Sect. II. Vol. 2. Ueber die geschichtliche Bedeutung s. Duncker Gesch. d. Al-
terth. I. 8. 181.
1 06 Zweites Kapitel.
eine Reliefdarstellung anzubringen, dasselbe als ein unter dem Einflüsse der
kleinasiatischen Völker, weiterhin auch der oberasiatischen Technik entstan-
denes zeigt. Ferner ist die Art und Weise der Umrahmung durch ein Recht-
eck und dann eine tiefer eingesenkte Rundung einer Nische eine bei phrygi-
schen Gräbern von Nakoleia ganz entsprechend so vorkommende1), während
sie bei dem Relief von Nymphi als einfache, scharf abgegränzte rechteckige
Fläche mit sich pyramidal neigenden Seitenlinien sich zeigt, darin allerdings
auch mehr ägyptisirend. Wir haben in nächster Weise am Sipylosabhang
kleine in den Fels gehauene Nischen und Rechtecke, Gräber wahrscheinlich,
die jenen kleinen Grabstätten in Phrygien und Kappadokien sehr gleichen.
Dagegen ist es ein bezeichnender Unterschied von allen grossem phrygischen
und iykischen Grabfacaden, dass bei den grossartigen Dimensionen unseres
Werkes keine Giebelfläche sich zeigt, wie sie reich in Holzbau durchge-
bildet dort durchgängig erscheint, dass überhaupt nirgend eine auf Holzbau
bezügliche Gliederung hervortritt. Ein Beweis jedenfalls, dass wir es mit
keiner einem Hause nachgebildeten Grabstätte es zu thun haben, überhaupt
mit keiner wirklichen Grabstätte, da auch nirgend eine Oeffnung, wirkliche
oder scheinbare, sich zeigt. Ebensowenig haben wir eine äussere Nach-
ahmung der acht phrygischen Werke vor uns.
Wie steht es nun mit dem Relief der menschlichen Gestalt in diesem
Rahmen? Die Grössen Verhältnisse übertreffen um ein Bedeutendes
jenen Bogenschützen von Nymphi, man schätzt sie auf dreifache menschliche
Grösse, dieser hat eine Höhe von (» Pariser Fuss (mit der hohen Kidaris 7
Par. Fuss), sie lassen ferner jene Reliefreihen Kappadokiens weit hinter sich.
Wir haben es in der That mit einem auf eine bedeutende Fernwirkung be-
rechneten Werke zu thun, die Art des Reliefs unterscheidet sich auf das
Wesentlichste von den zur Vergleichung herangezogenen. Niobe tritt als
starkes Hautrelief hervor, hat einen runden, plastischen, weichen Charakter,
der Kopf ist nicht im Profil, sondern ganz cn face gebildet. Das Ganze nur
angelegt, nicht ausgeführt, oder nur an bestimmten Theiien, wie den noch
sichtbaren einzelnen geringelten Linien von Haarlocken. Das Relief von
Nymphi ist dagegen sehr flach gehalten, eine Profilzeichnung mit nur 2 Zoll
Erhebung, ohne alle Rundung der körperlichen Theile; der Namenschild
tritt nur Vi Zoll hervor. Die Reliefs von Jazylykaja und Euyuk sind aller-
dings in starkem Hautrelief ausgeführt, 10 Zoll Höhe, aber sie haben auch
die energischen, scharfen Züge der Reliefs von Niniveh, nur starrer, unver-
standener. Die Vorderseite der Gestalt tritt nur an jenen acht assyrischen
thierischen Portalwächtern hervor. Wir können sagen, die Niobe ist stil-
loser gebildet, als alle jene Werke, aber mit einem unmittelbareren Gefühl für
das Runde der Gestalt und für eine grosse Gesammtwirkung. Dazu tritt nun
2) Texier Asie min eure I. pl. 57, 58.
Das Niobebild am Sipylos. 107
endlich ein und nicht hoch genug anzuschlagendes Moment: es ist in der
Gestalt ein Ausdruck des Geraüthslebens in ursprünglichster aber schlagend-
ster Weise gegeben. Das leise zur Seite und nach vorn gesenkte Haupt, die
auf dem Schoosse zusammengelegten Hände lassen eine tiefe Versenkung
in Trauer erkennen. Dies ist durchaus griechisch, der orientalischen Kunst,
die den Ausdruck heftigen gesticulirenden Schmerzes wohl keimt, aber ohne
alle Innerlichkeit, durchaus fremd. Und so werden wir dazu getrieben, ein
Werk griechischen Geistes und griechischer Auffassung der ältesten, noch
nicht in die volle strenge Zucht der seit Ol. 30 etwa aufblühenden, von be-
stimmtem, scharfem Stilgefühl getragenen, von Kreta, Samos, Chios ausge-
henden Schulen gestellten Kunst in diesem Niobebild zu erkennen, aber ein
Werk gestellt an die Gränzscheide griechischer und national kleinasiatischer
Kunstübung und von dieser seinen Rahmen und das Allgemeine der Technik
entlehnend.
Nun aber werden wir weiter fragen müssen. Ist denn diese sitzende
Frauengestalt in der Felsnische, die allerdings die späteren Hellenen für
Niobe halten mochten, nicht einfach ein Bild der Kybele, und also, gesetzt
auch, griechische Hände hätten das Werk gefertigt, so haben sie doch nur
eine phrygisch-religiöse Idee und phrygische Darstellungen der Göttin wie-
dergegeben, wie der Dienst der Kybele als der Mater Sipylene bekannt genug
ist ( Durchmustern wir die sichern Darstellungen der Kybele der einfachen,
noch nicht synkretistisch mit Attributen überhäuften Art, so begegnet sie uns
allerdings neben der stehenden oder ausschreitenden, neben der auf dem
Löwen oder dem von ihnen gezogenen Wagen sitzenden Göttin, auch ruhig
thronend auf einem Thronsitz '), oder auch auf einem bearbeiteten Fels mit
Felslehne, aber durchaus begleitet sie ein charakteristisches Symbol, die
Mauerkrone, der vom Kopf nach hinten herabfallende Schleier, das Tympa-
non, worauf der linke Arm ruht, Aehre oder eine Frucht in der Hand, vor
allem der Löwe oder der Stier zur Seite sitzend2). Nun sind bei Ph. Le Bas
in seinem grossen, leider nun nach seinem Tode ganz ins Stocken gerathenen
Werke8) allerdings drei überraschende kleine Monumente einer in einem
bearbeiteten nischenartigen Felsensitze sitzenden matronalen Gestalt ver-
öffentlicht, die, wenn auch vielfach verletzt, doch eine entschiedene Aehn-
lichkeit mit dem Sipy losbilde" haben, wenngleich der Stil ein bedeutend jün-
gerer und entwickelterer ist, wie dies an der zierlichen und charakteristischen
1} Steinerner Thronsitz neben einer crrqAj? im Kybeleheiiigthum zu Korinth (Paus. II.
4,7), ein dergleichen mit ayak/na von pentelischem Marmor von den Thebanern Aristo-
medes und Sokrates (Paus. IX. 25, 3).
2) Vgl. Müller-Wieseler, Denkmäler der alten Kunst II. 5. n. M)b— 814. Zwei Löwen
von Stein im Metroon am Quell des Alpheios (Paus. VIII. 44, 33).
3) Voyage archeologique en Grece et en Asie mineure fait par ordre du gouvern. fran-
cais etc. Paris, Didot. 1859. Antiquität pl. -44. n. 1, 2.
10 6 Zweites Kapitel.
Behandlung der Falten an einem Untergewand und auf dem Schosse liegen-
den Obergewand sich zeigt. Eines derselben erscheint auf den ersten An-
blick auch ohne alles weitere Symbol1). Aber vergleichen wir nur die Mo-
numente unter sich näher, so ergiebt sich aus den besser erhaltenen und den
deutlichen Resten bei den andern durchgehend auf das Deutlichste der die
Anwesenheit der Kybele bezeichnenden Symbole, nämlich auf dem Schosse
ein Thier, ein kleiner Löwe und in der nicht in den Schoss gelegten, sondern
mehr gehobenen Linken, ein Hund, das nicht als Schale, sondern als Tym-
panon zu bezeichnen ist. Ganz stimmt mit diesen Denkmalen überein ein
Marmor des Museum Wildianum2), wo Thronsitz mit Fussbank in grosser
Einfachheit, die Scheiben, das Thier im Schoosse, aber keine Mauerkrone
bei der Göttin sich finden. Von alle dem ist aber dort nichts zu sehen,
sondern nur das grossartig einfache Bild einer sitzenden Matrone mit dem
Ausdrucke der Trauer. Dieser letztere, zur Wehmuth gleichsam verklärt, ist
allerdings auch bei der schönen Kybelestatue in den vatikanischen Gärten
zu finden. Demnach sind wir also durchaus nicht berechtigt, das Sipylosbild
eine Kybele zu nennen, vielmehr in ihm ein älteres, einfacheres Vorbild für
die jüngere Darstellung der von den Phrygiern recipirten, leicht aber der
eigenen ursprünglichen Anschauung einer göttlichen Mutter assimilirten Ky-
bele bei den Griechen zu erkennen.
Denn haben die Phrygier in ihren Ursitzen, vor dem griechischen Ein-
flüsse bereits plastische Darstellungen der Göttennutter in der später bekann-
ten Weise besessen? Nimmermehr! nein, vielmehr wissen wir, dass es die
ragenden, von Wäldern umgebenen, von Felsen und Höhlen erfüllten Berge
selbst sind, die als unmittelbare Offenbarungen der Göttin erschienen und
dass, als der Cult eine locale und priesterlichere Elitwickelung erhielt, das
Symbol der Göttin im Heiligthum zu Pessinus ein eckiger schwarzer Stein
war, welcher später nach Rom gebracht und nun eingeschlossen statt des
Mundes in einer griechischen Statue der Göttin verwahrt wurde8*. Bis jetzt
1, Vgl. unsere Tafel IV. J.
2) Signa antiqua e Mus. Jacobi de Wilde. 170«. t. ^0.
ä) Arnob. adv. gent. V. 4<> ed. Oreil. : si verum loquuntur historiae neque ullas inse-
runt rerum conscriptionibus falsitates, allatum ex Phrygia nihil q'uideni aliud scribitur mis-
sum rege ab Attalo nisi lapis quidam non magnus, ferri manu hominis sine ulla impressione
qui posset, coloris furvi atque atri, angellis prominentibus inaequalis et quem omnes hodie
ipso illo videmus in signo oris loco positum, indolatum et asperum et simulacri faciem minus
expressam simulatione praebentem. Liv. XXIX. II: is legatos — Pessinuntem in Phry-
giam deduxit sacrumque lapidem, quam matrem deum esse incolae dicebant, tradidit
ac deportare Romam jussit. Dieser Stein, natürlich in irgend einer kostbaren Umfassung,
aber nicht eine steinerne Statue der Götter ward dann in Ostia von P. Scipio ans Land und
abwechselnd von je einer Matrone weiter nach Rom getragen. Dieser Wunderstein ist es
auch, dessen wunderbares Erscheinen auf dem Kybelaberg die parische Chronik mit den
Worten : xnl ayalpa rfjg than' /ätjtqos itfavq iv Kvßiloig in der Zeit vom König Erich tho*
Plastische Werke der attischen Schule in Hellas. t09
•
ist auch im Bereiche der ältesten phrygischen Städten keine einzige alte Re-
lief- oder statuarische Kybeledarstellung gefunden.
Nun ist es aber wichtig, dass gerade an den Sipylos und zwar in die
nächste Nähe von Magnesia die älteste plastische Bildung der Göttermutter,
die man überhaupt kennt, versetzt und als Werk des Broteas, des Bruders der
Niobe, bezeichnet wird. Dieses auf dem Felsen des Koddinos natürlich sogut
in einem Heiligthum, wie das an Alter verglichene Werk in Akriae an der
lakonischen Küste befindliche ayal/ua ist nun nicht etwa jenes Felsenrelief
der Niobe selbst, welches ja Pausanias, der Berichterstatter und dort einhei-
mische Schriftsteller, so genau kennt und uns beschreibt, sondern ein selb-
ständiges, statuarisches, hochalterthümliches Werk, aber es gehört durchaus
demselben ethnographischen und Culturk reise, als Tantalos und Niobe, an,
es wird von den Magneten als das ihnen zugehörige, nicht etwa von Aussen
überkommene Götterbild in Anspruch genommen. Ist es hiernach zu ver-
wundern, wenn die künstlerische Form jener gewaltigen weiblichen Gestalt
im Felsrelief nun benutzt und fortgebildet wird zur Darstellung der phrygi-
schen Göttermutter (
In einem späteren Abschnitte wird uns das ganze reiche urgriechische,
in lebhaftem Contakt mit anderen Völkern stehende Culturleben am Sipy-
los näher beschäftigen. Hier wollen wir nur noch darauf aufmerksam
machen, dass auch jene bedeutsamen Denkmale hart an der Strasse unter
dem Niobebilde hin, die Quellbehälter, die Reste grosser ringförmiger Tu-
muli mit Steinumfassung, die in den Fels gehauenen Gräber, mit Andeutung
einstiger Bekleidung, die Mauerreste , welche zum Sipylos hinanziehen' an
seiner Nordostecke, durchaus nichts specifisch Phrygisches oder Oberasia-
tisches an sich tragen, sondern den gewaltigen Resten am Südabhange des
Sipylos, von Altsmyma, die Texier vergeblich für die Stadt Sipylos gegen
alle Berichte der Alten in Anspruch zu nehmen sucht, ferner' den ältesten
Grabdenkmälern in der Landschaft Troas, schliesslich den argivischen an
das Pelopidengeschlecht angeknüpften Werken am nächsten stehen.
§ 14.
Plastische Werke der attischen Schule in Hellas.
Wie die attische Tragödie dem Mythus der Niobe erst ihre reichste poe-
tische Gestaltung verlieh, den Tiefsinn desselben eröffnete, so werden wir bei
der Frage nach der plastischen Durchbildung unmittelbar nach jenem ehr-
würdigen Denkmal einer uranfänglich griechischen, aber von asiatischer
Technik bedingten Kunst sofort auf den Boden von Attika gewiesen. Hier in
Attika, nicht in Theben, Korinth, Argos, oder in einer der blühenden klein-
nios in Athen meldet und woran sie dann die Erfindung der phrygischeu Flöte, Harmonie
und gottesdienstlichen Weihen knüpfte.
110 Zweites Kapitel.
asiatischen Küstenstädte sind zunächst die Formen der bildlichen Darstellung
geschaffen worden, welche in den mannigfaltigsten Variationen uns aus den
zahlreichen spätem Denkmälern der Niobiden entgegentreten und an denen
bisher fast allein unser ganzes, nicht zu erschöpfendes Interesse für Niobe
und ihre Kinder gehaftet hat und in einem vorzüglichen Grade auch immer
haften wird. Von Athen aus haben wir die Verbreitung über den weiten
hellenischen Boden, dann die Verpflanzung nach Rom, die dort und in
römischen Provinzen erfolgte Veränderung der Niobedarstellungen zu be-
achten. Es ist wichtig, dass wir die freilich spärlichen und fragmentari-
schen, aber unschätzbaren Nachrichten der Alten selbst über dieselben
voranstellen und sie möglichst scharf und in Verbindung mit anderen in
Frage kommenden geschichtlichen Punkten ins Auge fassen; dann erst treten
wir an die Denkmäler selbst nach ihren Gattungen heran und suchen sie
möglichst einfach und unbefangen zu betrachten. Der Gewinn, der aus der
Combihation beider Wege für eine besonnene und sich bescheidende Restau-
ration grosser und hochberühmter Kunstwerke des Alterthums hervorgeht,
dürfte nicht gering anzuschlagen sein.
Wir müssen rückwärts greifen und zwar bisPheidias, um da bereits zwar
ausserhalb Attikas in Olympia aber von attischer Anschauung aus mit atti-
scher Kunst die Niobiden gebildet zu sehen, allerdings noch nicht in einem
für sich ganz selbstständigen Werke, sondern als Glied einer ganzen Fülle
von plastischen, ein grosses tektonisches Werk verzierenden Bildungen.
An dem Thronsitze des Zeus zu Olympia, welchen in Elfenbein
und Ebenholz, in Gold und Edelsteinen eine Fülle herrlich runder und erha-
bener Gestalten neben Gemälden schmückten, umgaben die vier Füsse zu
unterst je zwei sichtlich ruhig stehende Niken, darüber je vier im Tanz be-
griffene. An beiden Vorderfüssen erhob sich darüber der Schmuck der Arm-
lehnen und ihrer Seitenschwingen ; das Vorderende war gebildet von Sphin-
xen, welche Söhne der Thebaner geraubt hielten und unter den Sphinxen
war dargestellt, wie Artemis und Apollo die Kinder der Niobe niederschies-
sen1). Man ist allgemein darüber einverstanden, dass die letztere Scene
friesartig an den beiden Aussenseiten der Armlehnen hinlief, je unter dem
langgestreckten Körper der Sphinx. Artemis und Apollo werden natürlich auf
die zwei Seiten vertheilt gewesen sein ; ob nun auf der einen Seite nur die
Söhne, auf der andern die Töchter dargestellt waren, ist nicht sicher zu sagen ;
doch wahrscheinlich gewählt war der Moment der Vernichtung selbst, nicht
1) Paus. V. 11, 2: iw nodojy 61 ixttriQtp twv Z/unooo&tr nttTJtg it tjtUttvrat Grjßaitov
vnb atfiyytiöv TiQTMtOfjtvot, xnl vnb raff a<f ()>)'«$ JVioßqg rovg mtttias%An6XXo}v xarttTö&vovOt
xalvAQT€fii9. Vgl. dazu Quatremere de Quincy le Jupiter Olymp., Völkel archäol. Nach-
lass S. 42, Brunn Gesch. d. gr. Künstl. LS. 174 ; Overbeck Gall. her. Bildw. S. 17; Der«.
Gesch. d. griech. Plastik I. 8. 202.
Plastische Werke der attischen Schule in Hellas. 1 1 1
ein vorausgehender oder die Todesruhe der geschehenen That. Dass Niobe
selbst dabei erschien, ist wahrscheinlich, natürlich dann auch eine ent-
sprechende Gestalt des Amphion. Bezeichnend ist die nahe Verbindung mit
der acht thebanischen Sage vom Raube der thebanischen Jünglinge durch
die Sphinx, die also den Niobidenuntergang für Pheidias auch als an Theben
gebunden erscheinen lässt. In beiden Darstellungen der Ausdruck gewaltig-
ster vernichtender Gottesmacht, hier mehr ein unmittelbares Ergreifen, Fort-
reissen, Verschwinden machen, dort ein aus der Ferne und augenblickliches
Wirken, auf dem Erdboden Hinsterben der Kinder — gewaltige Symbole am
Throne des olympischen, als Sieger im Götterkampf und durch seinen Sohn
Herakles gerade hier verrherrlichten Gottes und zwar an der Stelle, wo die
Arme des Gottes als ruhend gedacht werden. Technisch haben wir uns die
Reihe jugendlicher Körper in Elfenbein gebildet zu denken, in Gold die Ge-
wandung und Waffen und Schmuck, der Hintergrund von Ebenholz. Ob
unter den erhaltenen Reliefcompositionen irgend welche den Geist der phi-
diasischen Reliefs zu athmen scheinen, haben wir weiter unten au fragen.
Wenden wir uns nun nach Athen selbst. Pausanias ist bei der Beschrei-
bung Athens vom Prytaneion durch die Tripodenstrasse zum grossen Diony*
sosheiligthum und dem Theater des Dionysos an dem südöstlichen Abhänge
der Akropolis gelangt ; er hat die zwei Tempel des Dionysos, Bilder darin,
dann die vielen Statuen tragischer und komischer Dichter im Theatron er-
wähnt und speciell von denen des Sophokles und Aeschylos gesprochen. Da
fahrt er fort1) : ,,an der die südliche genannten Mauer, welche von der Akro-
polis zum Theater gewandt ist, an dieser ist ein vergoldetes Haupt der Gor-
gone Medusa geweiht und um sie herum ist eine Aegis gearbeitet." An
einer andern Stelle 2) spricht er aus, dass die goldene Aegis über dem Thea-
ter mit der Gorgone eine Stiftung des Antiochos sei, der auch den Purpurtep-
pich nach Olympia geweiht und unter dem wir wohl Antiochos Epiphanes
den Philhellenen zu verstehen haben, der für den Fortbau des Olympieion
in Athen Bedeutendes geleistet hat 3) . Unmittelbar auf oder an derselben Süd-
mauer {rtQÖg %io %ei%u %(jtvo%l(fi) zogen sich eine Reihe von runden Bildwerken
hin, je zwei Ellen jedes hoch, die Gigantomochie in Pellene, den Amazonen-
kampf der Athener, die Schiacht bei Marathon, den Untergang der Galater in
1) Paus. I. 21,4: in\ dl rov voiCov xalovptvov Ttfyovs, o rrjs dxQonolnog ig ro &4atQov
tati TtTQtxjLifiivov, inl jovtov MfJovarjg rrjg ro())'6voe tnlxQvaog avdxtnai xeqalTj xttl mqI
ttvrrjv alylg 7i€7roirjrat.
2j Paus. V. 12, 2: dv£ftnxtvjivj(oxpg ov cTjJ xal vntg rov &edtQQV Tovjidyvtj&ev ij alylg
i) XQva*l *«* in* avrfjg r\ roQyol, tj ig td dva^tifiatn. In den letzten Worten ist jedenfalls ein
Wort ausgefallen, in uvct&r^ata sind wohl die vielen im Diony sosheiligthum aufgestellten
Tripoden und Weihgeschenke wegen der Siege zu verstehen.
3} Böckh. C. Inscr. n. 363. 1. p. 433 : Oran. Licinian. ed. Pertz. p. 46.
112 Zweites Kapitel.
Mysien darstellend, eine Stiftung des Königs Attalos, des Siegers über die
Gallier im Jahr Ol. 135,2 = 239 v.Chr., wahrscheinlich in den Jahren 200 oder
198 gemacht in der Zeit seines gefeierten Aufenthalts in Athen1}. Hierbei
entsprechen sich sichtlich Amazonen- und Perserkampf, Giganten- und Gal-
lierschlacht. Ein Sturm stürzte von der Gigantomachie den Dionysos hinab
in das Theater vor Ausbruch des Bürgerkriegs zwischen Caesar und Antonius*).
So war also die über dem Theater hochragende Felswand, die Mauer darauf
in hellenistischer Zeit mit schreckenden und zugleich den Sieg der Hellenen
unter Götter Beistand kündenden Werken, vor allem dem strahlenden, schrek-
kenden Symbole Athenes reich geschmückt. Auf der Hochfläche an dieser süd-
östlichen Ecke derAkropolis stand der eherne Apollo Parnopios, ein dem Phei-
dias wenigstens zugeschriebenes Werk, Apollo als Abwender der in der Son-
nengluth die Fehler verheerenden Heuschrecken dargestellt, wie er speciell
an der äolischen Küste Kleinasiens [verehrt waid8), in dem Beinamen äv&ij-
Xiog als der der Sonne zugewandte bezeichnet 4) . Und wenn uns von einem
einer Heuschrecke ähnlichen Bildwerk berichtet wird, welches von Peisi-
s trat os vor die Akropolis wie ein unglückabwendendes Symbol vorgescho-
ben sei, so können wir ebenfalls nur an die Südostecke der Burgumfassung
denken 5 . Auch die Schwester Apollons, Artemis und zwar als Artemis Leu-
kophryene, wie sie in Magnesia am Lethaeos und am Sipylos verehrt ward,
war in einer Erzstatue auf dieser Südostseite der Akropolis aufgestellt und
neben ihr der tapfere Freiheitsheld der Athener im Kampf gegen Makedonien,
Olympiodor6).
Kehren wir zurück zur Stelle des Pausanias, von der wir ausgingen, so
folgt bei ihm der Erwähnung der vergoldeten, von der Mauer entgegenglän-
zenden Medusenägis die Notiz, „auf dem Gipfel, dem höchsten Punkte des
Theatron, d. h des Zuschauerraumes befindet sich eine Höhle in dem Felsen
1) Pol. XVI. 25, Liv. XXXI. 47.
2) Plut. Anton. 60: xul r^s'A^tjrrjai yiyaviofjitt^taq vnb nvivfiuuov 6 /Itowoog ixOfia-
9eU eis to Stoioov xar^rt^d-rj. Wenn Cassius Dio L. 15 erzählt, dass die Statuen von
Antonius und Kleopatra, die die Athenienser in Göttergestalt auf der Akropolis aufgestellt,
vom Blitz in das Theater gestürzt seien, so mischt er wohl die obige Thatsache mit der
andern auch von Plutarch berichteten, dass derselbe Sturm die beiden Antonius umge-
tauften Colosse des Eumenes und des Attalos allein von vielen umstürzte.
3) Strabo X1I1. 1.
4) Paus. 1. 24, S: tov vaov (an 7iiQuv%AnoXXiüv ^aXxovg xul to tcyaXjja Xiyovatv «#»<i-
titav Ttoirjaai' IJagvomor dl xaXouaiv, oti a<{(oi naqvoniav ßXttniovTütr ttjv yrjr anoTQ£i}>itv
6 &tbe slnn> Ix Tfjg ^(OQag* xai oti filv «ntTQttyiv Toaot, iQono) dl ob XfyovOiv no(<p. Ein
Apollo «v&ijXiog des Pheidias, der nach ßyzanz versetzt war, ist gekannt von Tzetz. Chil.
VIII. 192. v. 331, Cedren. p. 322, dazu Odof. Müller de Phid. vita et oper. p. 16, 17.
5) Hesych. 8. v. xam^vfi' — *«* vno TltiaiarQurov xttXnua(« tu(ffQ$e C<wor anb rfjg
«XQonoXttag nQoßtßXr\(A(rov bnoln ret ngog ßnaxavlav.
S 6) Paus. I. 26, 2—4; III. 18, 6.
Plastische Werke der attischen Schule in Hellas j 13
unter der Akropolis ; ein Dreifuss steht aber auch über dieser ; Apollon und
Artemis befinden sich darin die Kinder der Niobe tödtend1)." Dies giebt dem
Schriftsteller Anlass von seiner Autopsie der Niobe am Sipylos zu berichten.
Es sind zunächst bei dieser Nachricht zwei Punkte nicht klar. Erstens
wo befand sich die Darstellung vom Tode der Niobiden? in der Grotte
oder am Dreifuss, innerhalb desselben? Zweitens welcher Gattung gehört
die Darstellung an, den freien Statuen oder dem Relief ? denn von einem Ge-
mälde kann hier keine Rede sein. Beide Fälle der ersten Frage sind den
Worten und der Sache nach möglich; für das Letztere haben sich nach an-
deren, so den Herausgebern von Stuarts Alterthümern von Athen2), Welcker
bestimmt ausgesprochen3), für das Erstere Westermann4) und Schubart5);
Böckh8) äussert sich darüber nicht specieller. Sehen wir uns die Worte
des Pausanias genau an, so ist ihm sichtlich die Grotte, welche als eine
künstlich erweiterte und ausgeschmückte zu betrachten ist, wie die mehr-
fachen Grotten um die Akropolis, so besonders die von ihm erwähnten des
Pan und des Apollo an der Nordostecke7), dem Maxgal genannten Theile
der Felsen, von Interesse. Dass sie einer Gottheit geweiht sei, erwähnt er
nicht, sie lag jedenfalls noch hart innerhalb der Gränze des dionysischen Be-
zirkes (h diovveov). Von ihr sagt er aus, dass auch auf ihr ein Dreifuss sich
befinde. Dieses auch (sneoTi xal xoixtp) bezieht sich am einfachsten auf
die unmittelbar vorhergehende Worte : inl tovtov — ävdxeiTCti : die Mauer
mit der Medusa darauf, die Grotte mit dem Dreifuss darauf entsprechen sich.
Das Eine zieht unwillkürlich die Erwähnung des Andern nach sich. Da der
Schriftsteller in den letzten Paragraphen vorher gar nicht von Dreifiissen ge-
sprochen hat, die allerdings so gut wie in der Tripodenstrasse auch im Peri-
bolos des Dionysosheiligthums vielfach aufgestellt waren, so ist diese Be-
ziehung zu andern aufgestellten Dreifiissen auch hier nicht die zunächstlie-
gende, ja sie würde rein unverständlich geblieben sein. Nun kommt nach
kurzen, parenthetisch zu fassenden Worten, der Hauptpunkt bei der Grotte, die
1) Paus. I. 21, 5 : iv J* tjj xoovifij rov diargov anr^Xaiov iartv iv ratg nijQnig vnb tjji>
äxQonoXtf TQtnoug tfk entern xal rovttp' IdnoXXtav 6h iv avrtp xal jiQttfAig rovg natdag
tlatv avaioouvtes rijs Nioßrjs.
2) D. Ausg. II. S. 16.
3) Alte Denkmäler I. S. 232.
4) Act. soc. graec. I. p. 183.
5) Uebers. d. Pausanias. Stuttg. 1857. I. S. 47.
0) C. 1. 1. I. ad n. 224.
7) Paus. I. 28, 4: ni\yi\ re vöatog iori xal nXr^alov 'AnoXXtovog Uqov iv anrjXn^) xal
Havog, dazu Göttling gesamm. Abhdl. I. S. 100 — 115, dessen Vermuthung von einer Ver-
legung des Apolloheiligthums von jenem mehr östlich gelegenen unterirdischen Gange aus
der N&he des Erechtheion nach der durch Pausanias und in schriftlich bezeugten Stätte
ich nicht theilen kann.
Stark, Niobe. 8
114 Zweites Kapitel.
Darstellung des Niobidenunterganges, der den Autor zu jenen persönlichen
Exkurs veranlasst und zwar zur Schilderung jener in einer flachen Grotte
gearbeiteten Niobe am Sipylos. Und da wird man nur einfach das iv attip
auf den Ilauptgegenstand, auf das antjkaiov beziehen.
Schwerlich würde auch Pausanias von Bildwerken, die unter dem Drei-
fusse standen oder an ihm als Reliefs sich befanden, den Ausdruck kv avrco
gebraucht haben. Wo er von den ehernen Dreifussen der Tripodenstrasse
spricht, die berühmte Bildwerke unter sich aufzuzeigen hatten, braucht er
den Ausdruck : 7teQU%ovv£gx) ; bei den berühmten amykläischen Dreifussen
mit Werken des Gitiadas und Kallon bezeichnete er ihre Oertlichkeit durch
vno mit dem Dativ2).
Wir haben nach alledem die Niobidendarstellung in jene weitgeöffhete
Grotte zu versetzen, wie andere mit Anathemen von Statuen und Reliefs oder
doch mit dazu bereiteten Plätzen uns an der Akropolis und sonst auf das
Mannigfaltigste bezeugt sind. Die zweite Frage, die dann noch Pausanias
uns offen lässt, ob wir nämlich eine Statuenreihe oder eine Rciiefcömposition
anzunehmen haben, lässt sich nicht so unbedingt beantworten. Waren es
Statuen, so haben wir sie uns in kleinerem Massstabe ausgeführt zu denken,
ebenso wie darüber von der Mauer des Akropolis die nur zwei Ellen hohen
Statuen der bereits erwähnten Schlachtcompositionen ragten. Jedenfalls
mussten diese Statuen an der Wand der Grotte für den Vorderanblick berech-
net sein ; bei ihnen fehlt entschieden Apollo und Artemis, wohl an den Ecken
gestellt, nicht. Die ganze Compositum hat sich, wenn sie nicht die des
Hautreliefs war, demselben in der Wirkung sehr genähert. Ob das Material
Marmor oder Erz war, das ist von vornherein nicht zu entscheiden. Marmor
möchte nach dem Ort der Aufstellung, nicht unter freiem Himmel und nach
der Zeit der Entstehung das Wahrscheinlichere sein. Uebrigens begegnen
wir auch entschiedenen Erzbildungen der Niobiden.
Wir müssen nun weiter gehen zunächst zur Frage nach der Entste-
hungszeit, dem Verfertiger oder Stifter, dann aber vor allem auch nach
der inneren Begründung dieser Darstellung an dieser Stätte. Die ersten
Punkte scheinen sich für den ersten Blick heutzutage durch ein literarisches
nnd durch inschriftliche Zeugnisse sehr glücklich zu erledigen und doch ist
dies bei genauer Be trachtung nicht so ganz der Fall. Harpocration, aus dem
Suidas und Photios den Artikel entnehmen, hat zu dem Worte xatcrto/urj,
welches die bestimmte Oertlichkeit des in die Felswand für das Theater ge-
ll I. 19, 1.
2) III. 18, 5: — xal TQtnoüeg xalxot — vno filv dt} r$ nqüirtp — vno lovtop; es sind
dies tnttfyyaafiiva. IV. 14, 2: — vno t$ tqi'tioJi j(p nQiortp — vno rp dhvriQOt — vfr
Plastische Werke der attischen Schule in Hellas. 115
machten Einschnittes bezeichnet !) , eine Stelle des Hypereides und eine des
Philochoros im sechsten Buche seiner Atthiden angeführt. In der letzteren
steht : „Aischraios aus Anagyrus weihte den über dem Theater befindlichen
Dreifuss ihn versilbernd, nachdem er ein Jahr zuvor als Chorag mit Knaben-
chören gesiegt und machte die Inschrift auf den Einschnitt des Felsens"2).
Man erklärt nun einfach den Dreifuss über dem Theater für den Dreifuss
über der Höhle des Pausanias, man schreibt weiter demselben Aischraios
auch die Stiftung der Niobidendarstellung zu.
Dies ist durchaus eine unbegründete Folgerung. Vom Dreifusse des
Aischraios wissen wir nur, dass er über dem &€<xtqov, nicht, dass er über
dem OTcrjkaiov des Apollo stand ; wäre er mit jenem des Pausanias identisch
gewesen, hätte er wahrscheinlich die bestimmtere Bezeichnung, dass er über
dem onfjkaiov sich befand, erhalten, wir wissen, dass er, eine Seltenheit, über-
silbert war und dass darin, nicht in einer ausgezeichneten Kunstdarstellung
daran oder darin sein Kennzeichen lag, wir wissen, dass die den Stifter und
die Veranlassung meldende Inschrift nicht auf einer Basis, sondern unmittelbar
auf die xaiazofiiij %ijq nezQag9 also die oberste das Theater umschliessende
geglättete Felswand eingehauen war. Danach haben wir uns diesen Drei-
fuss noch unterhalb der Grotte, vor ihr oder mehr zur einen Seite auf jener
Felswand aufgestellt zu denken8).
1) Pollux IV. 19. s. 123 führt unter den Theilen des Theaters auch die xaxaro^v auf
und zwar nach den Eingangsthoren und Gewölbpforte (nvX\gt yaXlg) und vor den xtQxCütg,
den Sitzabtheilungen.
2) Harpocr. s. v. xararofiTj I. p. 101 ed. Lips. : 'YntQitÖTie Iv t$ xara /1i)^oa&irovg'
xäl xafrijfiiwg xdd-cj vno TJj xarttTOfirj, <PiXo/oQog ök iv ?*rt/ ovraig* AlaxQaio$*AvayvQd-
atog avi&Tjx€ rov vnkQ &tdrgov TQtnoJct xajaQyvQUOae, vtvixr\x<a$ t(p ttqotsqov £m X0^'
ywv n mal xa\ infyQCttyiv ini rrjr xaTajo/uTjv rijg nijQag.
3) Die zeitliche Bestimmung dieser Weihung des Aischraios, welche uns nun zunächst
nicht mehr interessirt, aber doch für die Ausschmückung dieser ganzen Oertlichkeit am
obent Ende des Theaters von Interesse ist, lässt sich ziemlich genau geben und stimmt mit
den nachher zu betrachtenden inschriftlichen Denkmälern daselbst gut zusammen. Philo-
choros hatte im sechsten Buche seiner Atthis davon gehandelt, dies Buch umfasst den
letzten seiner unmittelbaren Gegenwart vorausgehenden Zeit und zwar nach Böckhs Be-
stimmung von Ol. 105, 3 — Ol. 115, 2 = 358—319; in diese Zeit fällt also die Choregie
des Aischraios. Nun aber kennen wir jetzt zwei attische Inschriften, die jener Zeit ange-
hören und für die Thätigkeit und angesehene Stellung eines Aischraios uns Zeugniss geben.
Die eine bei Rangab6 (Antiquites Hellen. II. p. 766. n. 1163) ist ein Verzeichniss von Diä-
teten unter dem Archontat des Antikles, also aus dem Jahr Ol. 113, 4 = 325, da wird aus
derselben Phyle, der Erechtheis, zu der der Demos Anagyrus gehörte, aus dem Demos Ev-
tovv/u&g, der yor den 'dvttyvQaöioi unmittelbar in der Reihe vorangeht, ein JloxQctTog genannt
Die andere Inschrift (a. a. O. II. n. 813), ein Ehrendekret der avvodog twv negl rov /liovv-
aov TtxviTÜv, welche in Eleusis ein Heiligthum mit Opfer und Päanen gestiftet hatte,
nennt ein Archontat des Aischraios, vier Jahre später ein solches des Seleukos, erwähnt
vor dem des Aischraios aber einen allgemeinen Umsturz {ntQtOTttoig), der auch in Eleusis
8»
1]6 Zweites Kapitel.
Wie steht es aber heutzutage mit jener von Pausanias über dem Theater
erwähnten Grotte und etwaigen in der Nähe erhaltenen choragischen Denk-
mälern ? Ist die Zahl der letzteren gerade hier über dem Theater nicht eine
bedeutende in späterer Zeit gewesen? Schon Cyriacus von Ancona1) (1435)
hat uns davon eingehende Nachricht gegeben und seitdem haben wir Abbil-
dungen und Beschreibungen der freilich später noch sehr zerstörten Stätte
erhalten2). Jene Grotte über dem Theater ist eine kleine, in den Felsen
eingesenkte Kirche der Panagia Spiliotissa, über deren Inneres mir leider
eine genauere Auskunft fehlt. Vor ihr erhebt sich die mit drei Pfeilern zwei
grosse Eingänge bildende, mit Gebälke und drei Jiasen bekrönte Facade des
choragischen Denkmals des Thrasyllos aus Dekelea und seines Sohnes Thra-
syllos, bei Gelegenheit zweier Siege aus den Jahren Ol. 115,1 = 320, und
Ol. 127, 2 = 272 gestiftet; auf der mittleren Basis befand sich die nach England
gekommene Statue des sitzenden Dionysos, rechts und links Dreifüsse. Aus-
serdem hat sich daneben noch eine choragische Inschrift auf einem Säulen-
plinthos bei zwei Säulen mit korinthischen Capitälern 3) und eine andere
auf dem geglätteten Felsen selbst, die letztere ausdrücklich über Weihung
von Dreifüssen aber aus römischer Zeit gefunden. Pausanias muss diese Fa-
cade des Thrasyllos mit seinen zwei Dreifüssen und der Statue, die Böckh
erst später als an die Stelle des Dreifusscs getreten glaubt, die sehr wohl
einen Dreifuss auch neben oder über sich haben mochte, über der Grotte ge-
sehen haben, hat sie aber nur ungenau als eine durch einen Dreifuss be-
krönte bezeichnet, wie er ja auch der reichen und kostbaren vataxot mit
Dreifüssen in der Tripodenstrasse nur flüchtig gedenkt. Ihn interessirten die
plastischen Werke im Innern der Grotte ihres Gegenstandes wegen.
Dass diese Niobidendarstcllung in der Grotte von Thrasyllos d. h. von
demselben, der die reiche Facade davor setzte , mit aufgestellt worden ist,
jene Stiftung betroffen. Der Name Seleukos weist entschieden auf ein Menschenalter seit
dem Auftreten Alexanders des Grossen. Jener Umsturz, der auch Eleusis betraf, kann
sich auf die Eroberung Attikas durch Antipatros nach dem Lamischen Krieg (Ol. 114, 3)
beziehen, aber viel wahrscheinlicher auf die Zeit des Olympiodoros (Ol. 123, 2 = 287) und
auf dessen Eleusis bewiesene Hülfe bei einem Angriff der Makedonier (Paus. 1. 26S). Nach
alle dem ist die Choregie des Aischraios jedenfalls erst in die allerletzten der von Philocho-
ros im sechsten Buche erzählten Jahre, also um Ol. Jl.~> = 320 zu setzen.
1) lnscriptiones seu epigrammata graeca et latina reperta per lllyricum etc. Romae
1747 p. IX. n. 71 : sub arce ad statuam Gorgonis ad marmoream et ornatissimam scenam
prope incisam rupem et mira ope fabrefactum specus.
2) Stuart u. Revett Alterthümer von Athen. D. Ausg. II. Lief. 8. PI. 1—5. Text 11.
S. 28 — 66; Leake Topographie Athens übers, v. Rienäcker. S. 142 — 145. ; Vischer Erinner,
u. Eindrücke. S. 163; Böckh C. I. 1. n. 224— 227 b. j Chandler (Travels in Greece p. 64)
sah in der sitzenden Figur eine Niobe, Stuart den Demos oder eine Phyle.
3) O. Müller (in Böttigers Amalthea I. S. 128) wollte auf eine dieser Säulen den
Dreifuss des Aischraios versetzen.
Plastische Werke der attischen Schule in Hellas. J \ 7
erscheint sehr möglich, aber nicht sicher. Wohl aber haben wir alle Ursache,
da das Theater erst seine Vollendung und seinen plastischen Schmuck in der
Finanzverwaltung des Lykurgos erhielt (Ol. HO, 3 — 113, 3) *), da die cho-
ragischen Denkmäler oberhalb des Theaters erst mit Ol. 115 beginnen, da
dann der prachtvolle Schmuck der Mauer nach dieser Seite in sichtlicher Be-
ziehung zum Anblick aus dem Theater steht, auch jenes plastische Werk
im Innern der künstlich erweiterten und geöffneten Grotte auf dem Gipfel-
punkt des ganzen Theaters in die Zeit am Schluss der Verwaltung des Ly-
kurgos oder das folgende Jahrzehnt zu versetzen.
JBöckh hat bereits zur Inschrift des Thrasyllos2) die Frage kurz behan-
delt, warum der Niobidenstoff zur Darstellung hier gewählt sei ; er bezieht
ihn spcciell auf die Choregie des Thrasyllos, durch die er den Sieg gewonnen,
auf einen Dithyrambus, der diesen Mythus behandelte. Dass in solcher
Weise die Wahl der plastischen Darstellung durch ein rein historisches Motiv
bestimmt würde, scheint mir durchaus nicht antik und wäre erst durch eine
sichere Analogie wahrscheinlich zu machen. Und wie gesagt, das Werk in der
Grotte gehört durchaus nicht mit Bestimmtheit zu dem Siegesanathem über
derselben. Wir haben doch wohl hier allgemeinere religiöse und poetische Ge-
sichtspunkte ins Auge zu fassen und vor allen die Bedeutung der Darstellun-
gen in dieser Gegend überhaupt zu beachten. Dass ein hoch tragischer Stoff,
der bereits auf der Bühne dieses Theaters von Athen von einem Aeschylos
und Sophokles den Zuschauern vorgeführt war und von Neuem immer vor-
geführt ward, wohl sich eignete als eine Art Schlusspunkt der künstlerischen
Ausschmückung des Theaters zu dienen, dass Apollo und Dionysos wie zwei
Pole in dem griechischen Glauben einander gegenüber und gerade darin so
ergänzend nahe stehen und in den Gegenständen und Behandlungsweise der
dramatischen Aufführungen auf das Innigste verbunden sind, dass der
Untergang der Niobiden in einer Felsennische, einer Art Felsengrab aber
sehr passend aufgestellt ward, das sind überhaupt naheliegende Betrachtun-
gen. Aber es kommen doch noch speciellere Gesichtspunkte hinzu. Die
früher gegebene Aufzählung der Kunstwerke an und auf der Südostecke der
Akropolis Hess an uns den Apollo Parnopios, die Artemis Leukophrycne, Hess
an uns die mahnenden Bilder der Besiegung wilden Uebermuthes und Bar-
barei in Giganten, Amazonen, Perser, Gallier, liess an uns die schreckende
Aegis, die die Göttin der Burg, Athena vor allen, aber auch der die
Feinde schreckende Apollo führt, vorüberziehen. Ueberall ein einheitlicher
Grundgedanke im Naturleben, im Mythus, in dem geschichtlichen Vorgang,
1) Böckh Staatsh. I. S. 569—572; II. S. 112—142, K. F. Hermann Staatsalterth. 1.
§ 174b.; dazu eine aufgefundene Inschrift aus Ol. 112, 3 in Archäol. Anz. 1859. April
S. 124.
2) C. I. I. p. 348.
118 Zweites Kapitel.
derselbe ist nun auch lebendig in der Niobidenscene der Grotte unter der
Mauer. Und sollte nicht, wie Apollo neben Pan, dem seit der Schlacht bei
Marathon neu aufgenommenen Gott, an dem Nordwestende der Akropolis
als V7caxQaloQ verehrt ward, ihm dort die Grotte, die Zeugin seines Liebes-
glücks, seiner Verbindung mit Kreusa, seiner Vaterfreude an Jon, geheiligt
war, dort seine Beziehung zu der Orakelstätte Delphi in dem Sohne Jon, in
der Blitzbeobachtung für die py thischen Theorieen, klar hervortritt, er, als rein
ionischer, nach Kleinasien weisender Sonnenglut und deren Plagen, wie sen-
dender eben so auch abwendender Gott, als der furchtbare Gott der Todespfeile
gegenüber den Niobekindem , als Bekämpfer feindlicher Gewalten, andern
Felsabhang des Südostendes nachbarlich dem Dionysos verehrt sein? Sollte
jene Grotte nicht in dieser Beziehung Apollo auch als ein VTiaxQCtiog, nicht
äxQCtlog, was er in Athen nicht war, wesentlich zugehört haben ? Haben wir
irgend eine Veranlassung, die Gründung dieses Grotteheiligthums des
Apollo erst nach Benutzung des Felsabhanges zum Theater, also nach den
Perserkriegen anzunehmen ? Gewiss nicht. So gewinnt, wie ich glaube, die
ganze Gruppe der Denkmale, gewinnt der Niobidenuntergang erst unter und
mit ihnen die volle innere Berechtigung.
Also auf dem Boden Athens, an hochwichtiger Stätte sind wir einer pla-
stischen Darstellung des Mythus begegnet, allerdings aus jüngerer Zeit von
einem der jüngeren Genossen der zweiten attischen Schule geschaffen.
§ 15.
Berühmte griechische Werke des Niobidenmythns auf dem Boden von Born.
Auf dem Boden Roms treten ganz um dieselbe Zeit zwei hochbedeu-
tende Kunstwerke griechischen Ursprunges, aber verschiedener Kunstgattung
und verschiedener Entstehungszeit, die den Niobemythus zum Gegenstand
haben, an öffentlichen und religiös geweihten Stätten auf; sie errregen an
und für sich trotz der Schweigsamkeit der Berichte das grösste Interesse und
von ihnen aus haben wir den überraschenden Reichthum der plastischen
Niobedarsellungen in dem Bereiche Roms zu datiren, der uns aus dem Alter-
thume erhalten ist und immer neu sich aufthut. Es handelt sich um die
Marmorgruppe der sterbenden Niobiden in dem Tempel des Apollo Sosia-
nus zu Rom, über deren Zugehörigkeit zu Skopas oder Praxiteles die Zeit
des Plinius, überhaupt die römische Kunstkennerschaft schwankte. Es han-
delt sich zweitens um die Elfenbeinreliefs an der Thüre des Tempels
des Palatinischen Apollo, in denen die Trauer um die Leichen, die der Tan-
talostochter gehören, ausgeprägt war.
Plinius behandelt im 36sten Buche seiner Naturalis historia die Steine ;
ehe er an die Marmorbearbeitung und Marmorarten kommt, schickt er den
wichtigen, gedrängten Abschnitt über die Künstler in Marmorarbeit voran.
Berühmte griechische "Werke des Niohidenmythus etc. 119
Auf die ersten Begründer des Ruhms in diesen Arbeiten folgt Pheidias mit
dem Excurs über seine allgemeine Stellung in der Kunstgeschichte und seine
zwei Schüler, Alkamenes und Agorakritos, dann Praxiteles, der sich selbst,
seine sonstigen Arbeiten in Bronze marmoris gloria übertraf, ihm wirdKephi-
sodotos, sein Sohn und Schüler beigefügt. Mit den Worten : „die ruhmvolle
Leistung des Skopas wetteifert mit diesen" geht Plinius zu der Aufzählung
der Werke des Skopas über und zwar mit Ausnahme des ersten sind es lauter
solche, die in Rom zu finden waren. Die Erwähnung einer nackten Venus des
Skopas, die jeder Praxitelischen vorausstehe und jeden anderen Ort berühmt
machen würde, veranlasst ihn zu der Bemerkung, dass zu Rom die Masse
der Kunstwerke, auch das Vergessen und noch mehr die Häufung von Dienst-
und andern Pflichten alle von der Betrachtung abziehen, weil nur bei Leu-
ten, die Müsse haben und bei einer grossen Stille des Ortes eine solche Be-
wunderung sich finde. Aus dieser Ursache kenne man auch den Künstler
der Venus nicht, welche der Kaiser Vespasian in den Bauten seiner Friedens-
göttin geweiht habe, würdig des Ruhmes der alten* Meister. „Par haesitatio
est, fährt er fort, in templo Apollinis Sosiani Niobae liberos morientis Scopas
an Praxiteles fecerit2)". Also ein gleiches Schwanken besteht darüber, ob
die im Heiligthum des Apollo Sosianus befindlichen sterbenden Kinder der
Niobe Skopas oder Praxiteles gefertigt habe; gleich doch wohl jener Un-
kenntniss über den Urheber der Venus. Zu diesem Schwanken über die Au-
torschaft des Skopas oder Praxiteles werden sofort noch zwei Beispiele bei-
gebracht, durch item eingeführt : das des„Janus pater in suo templo dicatus ab
Augusto ex Aegypto advectus", der zu Plinius Zeit vergoldet war, dann mit
similiter der blitzhaltende Cupido in curia Octaviae, über den man nur be-
haupte, dass er den Alcibiades, die in jener Zeit schönste Erscheinung dar-
stelle. An demselben Ort (in eadem schola) schliesst Plinius dann an, ge-
fallen noch viele Werke ohne Namen der Künstler (sine auetoribus) ; vier
Satyrn in Gruppe und zwei Aurae werden angeführt. Ebenso gross ist die
Streitfrage (nee minor quaestio est] bei zwei Gruppen in den Saepta, Olym-
pus und Pan, Chiron und Achilles, wer sie gemacht habe, besonders da die
allgemeine Stimme sie der höchsten Befriedigung würdig erachte (praesertim
cum capitali satisdatione fama judicet dignos) . Damit schliesst dieser Exkurs
und Plinius kehrt mit den Worten : „Scopas habuit aemulos eadem aetate"
zur geschichtlichen Aufzählung der Künstler in Marmor zurück.
1) Scopae laus cum his certat XXXVI. 4, 5.
2) Handschriftliche Lesarten nach Sillig T. V. p. 304 : Sosiani. cod. Bamberg. Sosia
cod. Paris, reg. 6797, 6861. Sosiani cod. Monac. Niobae liberos morientes cod. Bamb. et
Tolet. ; in tobe liberos morientes cod. Reg. 6797 ; nitobe liberos morientes cod. Voss. Bic-
card. ; in tobe liberiis morientes cod. Heg. 6801 ; in iebe liberal morientes cod. Monac. ;
Nioben cum liberis morientem 1. vulgata.
120 Zweites Kapitel.
Wir mussten die ganze Stelle im Zusammenhang überschauen, um durch-
aus so allseitig als möglich jene kurzen auf die Niobiden bezüglichen Worte
auffassen zu können. Also wir haben es überhaupt mit Marmorwerken und
deren Künstlern zu thun ; Plinius hat Praxiteles bereits behandelt, stellt als
den Rang ihm streitig machend in der anerkannten Vortrefflichkeit den Sko-
pas hin1) ; unter dessen Werken Plinius fast nur in Rom befindliche
nach einem, wie dies näher von Urlichs und Brieger nachgewiesen ist*), ihm
vorliegenden periegetischen Verzeichnisse römischer Kunstwerke anfuhrt.
Der durch die treffliche Venus des Skopas, die aber in Rom weniger beachtet
ward, eingeleitete Exkurs fuhrt nun Werke in Rom auf, die durch die be-
sonderen in Rom der Kunstbetrachtung und Ueberlieferiing der zu den Wer-
ken gehörigen historischen Notizen feindlich entgegenstehenden Verhältnisse
entweder ganz ihren Künstlernamen eingebüsst haben, oder wo ein Schwan-
ken zwischen den Urhebern und zwar zwischen Skopas und Praxiteles einge-
treten sei. Die vorstehende Bemerkung über die Venus im Bereiche des
Fricdenstompels des Vespasian erscheint als eine auf persönlicher Anschau-
ung ruhende, aus persönlichem Interesse für die Werke, die in der Gegenwart
und zwar durch Vespasian aufgestellt waren, eingefügte, während die Be-
merkungen über die folgenden Werke ganz wieder den Charakter jenes pe-
riegetischen Verzeichnisses an sich tragen.
Wir haben dabei örtlich gefasst also ein Werk im Tempel des Apollo
Sosianus , ein anderes in einem Tempel des Janus, ferner eines in der curia
Octaviae, d. h. dem mit den porticus Octaviae verbundenen Saale der Biblio-
thek, der für Senatssitzungen auch benutzt wurde8). Diese letzte Oertlich-
keit, die als schola auch bezeichnet wird, veranlasst ausdrücklich nun die
Erwähnung anderer, Skopas und Praxiteles gar nicht berührender Werke.
Daran reihen sich zwei Kunstwerke in Saeptis, d. h. den mit grosser Pracht
in Marmor von Julius Caesar und Agrippa ausgeführten Hallen um den zur
Abstimmung des Volkes bestimmten freien Raum4).
Für unsere Aufgabe verlangen nun eine Reihe von Fragen ihre Behand-
lung. Zunächst was hat es mit dem templum Apollinis Sosiani für eine Be-
wandtniss ? Woher der Name und was lässt sich von seiner Stiftungszeit und
1) Zeitlich hat er beide Künstler in seinem Verzeichniss L. XXXIV. 8, 19. s. 49 sehr
getrennt, Skopas um Ol. 90, Praxiteles um Ol. 104 angesetzt, während ihre Werke sie als
fast gleichalterig, den Skopas nur als etwas älter erweisen. Für Skopas Thätigkeit steht
die Zeit kurz nach Ol. 96, 2, dann Ol. 106, 1 und Ol. 107, 2 fest; die letzten Data gelten
auch für Praxiteles, der vielleicht bis Ol. Jll, 2 reicht, s. Brunn Gesch. d. gr. Künstler
I. S. 318, 336.
2) Urlichs Scopas in Attika S. 10 ; Brieger de fontfbus libror. XXXIII — XXXVI natur.
hist. Plin. Gryph. 1857. p. 50, 70.
3) Becker röm. Alterth. 1. S. 610 ff.
4) Becker röm. Alterth. I. S. 622 f., 632.
Berühmte griechische Werke des Niobidenmythus etc. 121
Veranlassung der Gründung herausstellen? Wo ist er örtlich zu suchen?
Ferner wie ist dies in templo für eine Gruppe von Statuen aufzufassen?' Wo-
her sind sie nach Rom an diese Stätte gekommen? Was lässt sich für die
Gruppe aus den Worten des Plinius oder andern Zeugnissen entnehmen ?
Apollo Sosianus, dem also in Rom ein templum, ein geweihter Ker
zirk mit Gebäude zugeschrieben wird, kommt noch einmal vor auch bei Pli-
nius *) . An dieser Stelle ist von der Ceder, ihren zwei llauptgattungen, von
der Ewigkeit ihres Holzes die Rede, daher habe man auch die Götterbilder,
offenbar die Cultusbilder aus ihr bereitet. Als Beispiel folgt der knappe
Satz : cedrinus est Romae in delubro Apollo Sosianus Seleucia advectus. Also
das Gottesbild des Apollo Sosianus war von Cederholz und ist aus einem Se-
leucia nach Rom zur See gebracht ; natürlich dann erst ein ihm zugehöriges,
nach ihm genanntes templum gegründet worden. Die letztere Stelle allein
würde es allerdings offen lassen^ ob das Bild nicht überhaupt in einen oder
den allen sofort verständlichen Apollotempel gekommen sei, die Hauptstelle
jedoch lässt darüber keinen Zweifel.
Sosianus ist kein griechisch gebildeter2), sondern römischer Beiname;
mag daher auch der Stamm des Wortes auf Soter, Sosos, Sosias, auf einen
dem Apollo entsprechenden Begriff zurückgehen, so hat damit dasselbe doch
zunächst nichts zu thun, vielmehr kann es mitHarduin einzig richtig nur von
einem Sosius abgeleitet werden, der der Ueberbringer und Weiher dieser
Statue in Rom war. Ganz in derselben Weise gab es einen Herculus Sylla-
nus8), erwähnt Plinius eine Minerva quae diciter Catulina, ein Werk des
Euphranor, von Q. Lutatius Catulus in Rom unterhalb des Capitols geweiht4)
und werden Marmorarten Luculleum, Augusteum, Tibereum genannt5). Nun
kennen wir nur Einen Sosius, welcher militärisch und politisch eine Rolle
gespielt hat und zwar gerade im Orient, aus dem jene Apollostatue noto-
risch stammte, dem zugleich bei Gelegenheit eines Triumphes eine grössere
religiöse Stiftung mit allem Rechte zugeschrieben werden kann. Es ist dies
C. Sosius, dessen Thätigkeit in der Zeit zwischen Pompejus Untergang und
der Schlacht bei Actium ihren Höhepunkt erreicht hatte.
Er gehörte zur Optimatenpartei, war Quästor unter M' Lepidus, dem
Consul vom Jahr 6 6/65 Ä), war Prätor im Jahr705 a.u c. = 49, ward von Cicero
auf Formianum als Ueberbringer eines Briefes von Pompejus gesehen, zieht
es vor als Prätor in Rom zu bleiben, statt auf den Wunsch des Pompejus nach
1) H. N. XIII. 5, 11.
2) Die Endung avo$ und rjrog findet, sich bei Ortsadjectiven und zwar abgeleitet von
kleinasiatißchen Ortsnamen sehr häufig, nie aber von Personennamen.
3) Curios. urb. Romae Reg. V. bei Becker Rom. Alterth. I. S. 548, 713.
4) Plin. H. n. XXXIV. 8, 19. §. 77.
5) Plin. H. n. XXXVI. 7, 11.
6) Drumann Geschichte Roms etc. I. S. 4, 11, 15.
122 Zweites Kapitel.
Brundisium zu gehen !) . Wir finden ihn dann im J. 716a. u. c. = 38 von An
tonius zu seinem Legaten in Syrien und Cilicien gemacht, er unterwirft die
Aradier, welche vor Antonius die Thore geschlossen, besiegt den auf die Par-
ther sich stützenden Antigonus, König von Judäa, zieht an der phönicischen
Küste hin auf Jerusalem zu, belagert mit Herodes Jerusalem und erobert es
im furchtbar hartnäckigem Kampfe von Punkt zu Punkt. Antigonus wirft
sich ihm zu Füssen, wird aber wie ein Weib verächtlich behandelt, Herodes
sucht Sosius zur Schonung gegen die eroberte Stadt zu bestimmen und be-
schenkte ihn auf das Königlichste. Dieser weiht einen goldenen Kranz an
Jehovah und zieht ab2). Um den Neid des Antonius über den Ruhm und
das Kriegsglück seines Legaten nicht zu reizen, hielt sich Sosius die übrige
Zeit seiner militärischen Verwaltung in Syrien und Cilicien möglichst ruhig
und ging dann nach Korn zurück, wo wir ihn seinen Triumph ex Judaea im
selben Jahre mit T. Statilius Taurus und C. Norbanus Flaccus, am 3. Septbr.
35 halten sehen8).
Im J. 33 tritt er mit Domitius Ahenobarbus infolge der bei Misenum
zwischen den Triumvirn getroffenen Verabredungen das Consulat an , greift
sogleich Octavianus in seiner Bede offen an und lobt den An tonius; dies fuhrt
zum feindlichen, offenen Auftreten des Ersteren im Senate und in Folge dessen
verlassen beide Consuln Rom, um zu Antonius zu gehen4). Wir finden ihn
dann in der Schlacht beiActium als Feldherr mit Domitius Ahenobarbus wie-
der ; er war es, der am Tage vor der Entscheidung einen zuerst glücklichen
Ueberfall der feindlichen Flotte unternahm. Er floh nach der Entscheidung
der Schlacht, hielt sich versteckt, wurde erst spät aufgefunden, aber trotz
seiner heftigen Parteinahme gegen Augustus von ihm auf Fürsprache des
L. Arruntius besonders begnadigt5). Damit schliesst immerhin noch glück-
lich die öffentliche Laufbahn des Mannes.
Die Fortschaffung der cedernen Apollostatue von Seleucia, mag dies nun
Seleucia in Pieria, der Hauptstapelplatz an der Küste Syriens, nahe der Mün-
dung des Orontes oder Seleucia in Cilicia Tracheotis, etwas oberhalb der
J) Cic. ad Att. VIII. 6; IX. 1. Zu C. Sosius s. Drumann a.a.O. I. S. J46 ff., 432,
435, 446,467, 478, 481, 466.
2) Cass. Dio XLIX. 22: unter Claudius Norbanus cos. rd'Co$ örj Hoaaiog rr/r aQxh*
tt/s re 2vqCag xai rrje Kilixtag naq avrov Xaßmv xrX., ebendas. 41 ; Joseph. Antt. Jud.
XIV. 16, 1—4 ; XV. I, 1 ; Plut. V. Anton. 34.
3) Cass. Dio XLIX. 22 ; Fasti triumph. bei Baiter Onomast. Tullian. p. CLXI : C.
Sosius C. f. T. n. pro Cos. ex Judaea ann. DCCXIX. III. Nonas Septembr.
4) Cass. Dio L. 2 j Appian. bell. civ. V. 73 ; Com. Nep. V. Attic. 21 ; Sueton. Octav. 17.
5) Cass. Dio L. 14; LI. 2, wo eine Anspielung auf die Bedeutuug de» Namens offen-
bar beabsichtigt war : xal iv plv lovioig ort Zoaaiog ini(pavijg tyivtro, noXXdxig re yaQ itr-
1 1 7i oXi/uijOag avrtp xal ton (fvyav *al xaraxQU(f&tlg XQov<i> T* votcqov tVQt&iU ijuvs lon&rj.
Vgl. auch Vell. Paterc. II. 83.
Berühmte griechische Werke des Niobidenmythus etc. 1 23
Küste am schiffbaren Kalykadnos sein, die Weihung in Rom in einem eige-
nen Gebäude, der weitere plastische und sonstige Schmuck desselben, kann
natürlich nur nach Ablauf der Verwaltung Syriens und Ciliciens und zwar im
Zusammenhang mit dem glänzenden Triumphe von^C. Sosius durchgeführt
sein, vor seinem Entweichen aus Rom. Und wir müssen sagen, es ist gänz-
lich unwahrscheinlich, dass erst später in diese Stiftung eines Gegners des
Augustus, eines glücklicherweise noch Begnadigten noch berühmte und aus-
gezeichnete Kunstwerke gekommen sind ; vielmehr werden auch sie gleich
mit dem Gründer als glänzendes Siegesdenkmal aus Asien nach Rom ge-
wandert sein. In der That war auch gerade die Aufstellung des Hauptgottes
des hellenistischen Syriens und Ciliciens1) in einem dort acht einheimischen
Materiale und dortiger herrschender Bildung mit Pfeil und Bogen zu Rom
ebenso bezeichnend für den siegreichen Verwalter Syriens, als dann der Un-
tergang der Kinder der Niobe, dieses mythische Prototyp einer gänzlichen
Vernichtung sich überhebender menschlicher Fülle und Schönheit wohl an
die Besiegung Judäas, an das furchtbare Strafgericht über Jerusalem erinnern
mochte.
Wo in Rom haben wir aber diesen Tempel des Apollo Sosianus und mit
ihm die Niobidengruppe zu suchen? Wie schwankend darüber die Ansich-
ten sind, ergeben die ganz sich widersprechenden Aeusserungen, die zwei
ausgezeichnete Kenner der römischen Topographie in den letzten Jahren
darüber gethan haben. Urlichs spricht in der Erklärung der Hauptstellen
in seiner Chrestomathia Pliniana p. 383 einfach aus: „der Tempel befand
sich auf dem Palatin", Preller dagen in der römischen Mythologie S. 275.
276 berichtet: „es scheint, dass der alte Tempel (nämlich vor der Porta Car-
mentalis) zur Zeit des August von C. Sosius kunstvoller ausgebaut und bei der
Gelegenheit mit einem neuen, von Seleucia nach Rom geführten Bilde des
Apollo von Cederholz und jener berühmten Gruppe der Niobiden ausgestattet
wurde"2), aber hielt es auch für möglich, dass dieser Tempel in der Nähe
des grösseren war, vorzüglich zur Aufnahme jener seltenen Kunstwerke be-
stimmt. Eine genaue Vergleichung der auf Apollotempel in Rom bezüglichen
Stellen und Erwägung der obigen Nachrichten über C. Sosius, sowie die Be-
achtung der an jener Stelle des Plinius sonst genannten Oertlichkeiten führt
zur entschiedensten Befestigung der zuletzt von Preller aufgestellten Ver-
muthung.
1) Vgl. des Verf. Gaza und die philistäische Küste S. 568 f. Eine interesante Parallele
bietet die Ueberführung des avulsum sedibus simulacrum Comei (ob Cometae oder Cumaei)
Apollinis nach Rom in den Tempel des Apollo Palatin us aus dem von L. Verus eroberten
Seleucia am Tigris Amm. Marc. XX1I1. 6.
2) Becker Rom. Alterth. I. S. 605. Anm. 1274 bezieht auch den Namen auf eine spä-
tere Wiederherstellung des alten Tempels.
1 24 Zweites Kapitel.
Wir wissen aus Asconius1) auf das Bestimmteste, dass vor dem Bau und
der Dedication der Apollotempel auf dem Palatinus durch Augustus, der vor
der Schlacht bei Actium allerdings schon gelobt, aber erst nach derselben und
nun ganz in Bezug auf dieselbe ausgeführt und im J. 726 = 2S v. Chr. ge-
weiht ward, ein Tempel mit Cult des Apollo nur ausserhalb der porta Car-
mentalis zwischen dem Oelmarkt und dem circus Flaminius bestand, wir wis-
sen ferner, dass der Tempel des Apollo Palatinus auf dem durch Blitzstrahl
dazu bezeichneten Grund und Boden des von Octavian bewohnten Hauses
des Hortensius und der von ihm eigens dazu gekauften Häuser errichtet
ward, indem natürlich die Area des Tempels nun abgetrennt von dem übri-
gen Grund und Boden zu einer res publica erklärt ward2). Ist es nun glaub-
lich, ja möglich, dass C Sosius, der heftigste Gegner des Octavianus, seine
Stiftung infolge der unter Antonius erfochtenen Siege auf dem Palatin, im
Bereiche des Privatbesitzes des Octavianus gemacht habe, ja dass dies ge-
schehen sei vor der Gründung jenes Tempels, in der Zeit als Octavian ihn
zu errichten versprach ? Gewiss nicht.
Nun haben wir sonst nicht apollinische Stätten in Rom, die doch trotz
des Zeugnisses des Asconius über August's Zeit hinaufreichten neben jenem
Heiligthum in den prata Flaminia? Allerdings sehen wir in der ersten Re-
gion der Porta Capena, im Curiosum urbis Romae eine area Apollinis et
Spenis (Spei jüngere Lesart)8), aber die Bezeichnung area weist im Unter-
schied von templum und aedes doch nur auf einen freien Platz hin, der, wie
er als pannaria, carnicae, radicaria von den dort vor allem aufgehäuften Dingen
genannt wird, so hier allerdings von einer Apollostatue oder Apollogruppe.
Dem Apollo Sosianus kommt aber ein eigenes delubrum oder templum zu.
Sonst finden wir nur einzelne Apollostatucn und zwar ausgezeichnete Kunst-
werke, die entweder auf der Strasse an Kreuzwegen und kleinen Plätzen oder
an sonst schon geweihten Stätten und öffentlichen Anlagen ständen, erwähnt.
Von einer wissen wir ausdrücklich die Aufstellung durch Augustus, von den
meisten anderen ist sie sehr wahrscheinlich, so kennen wir den Apollo Sanda-
liarius in der vierten Region, den des Friedenstempels4) , so den Apollo Tortor5) ,
1 ) Ad Ciceron. orat. in toga Candida p. 90 ed. Orelii.
2) Die Stellen s. bei Becker röm. Alterth. 1. S. 425 ff., bes. Cass. Dio XL1X. 15;
Vellej. II. 81 ; Sueton. Aug. 27. Ein Apolloheiligthum auf dem Capitol ist falsch geschlos-
sen aus einer Stelle des Cassius Dio. Ueber Apollodienst th Rom vgl. jetzt W. Schmitz
in Rh. Mus. N. F. XVII. S. 323.
3) Becker a. a. O. S. 712, dazu S. 619. Ist hier nicht Supplicis zu lesen, wie der
Knieende, um Gnade Flehende, Marsyas selbst oder Olympos, oder der Sklave vor Apollo
auf Denkmalen so häufig erscheint? Vgl. Müller Handb. d. Arch&ol. § 362, 4.
4) Curios. urb. Rom. bei Becker p. 725 ; Sueton. Octav. 57 : ex qua summa pretiosis-
sima deorum simulacra mercatus vicathn dedicabat ut Apollinem Sandaliarium.
5) Sueton Octav. 70 : Caesarem esse plane Apollinem sed Tortorem, quo cognomine is
deus quadam in parte urbis colebatur. Nach der obigen Vermuthung wäre es wohl der
vor der Area in der Region von Porta Capena aufgestellte.
Berühmte griechische Werke des Niobidhenmythus etc. 125
so der Apollo Caelispex ') zwischen Porta trigemina und Hercules clivarius, so
der Apollo von Elfenbein im Forum des Augustus2), so der von M. Lucullus
aus Apollonia am Pontus Euxinus entführte, auf dem Capitol geweihte Erz-
koloss des Apollo von Kaiamis3), so eine andere Marmorstatue des Apollo
von Kaiamis in den servilianischen Gärten 4) . Keiner dieser Apollostatuen
kann Apollo Sosianus sein.
Wir werden nothwendig hingewiesen zu dem alten, hoch bedeutsamen
Apolloheiligthum vor der alten Servianischen Stadt auf den prata Flaminia.
Bereits in der Zeit der Decemvirn finden wir dort ein Apollinare oder lucus
Apollinaris, wohin man den Senat ausserhalb der Stadt beruft, dann ward
also die aedis Apollini pro valetudine populi bei einer Pest gelobt und zweimal
geweiht; es war ein Apollo Medicus5). Abgesehen von einzelnen Beispielen
von Sühnumzügen, welche von dem Apolloheiligthum ausgehend, dann durch
die porta Cannentalis sich bewegten6), sind es wesentlich zwei Beziehungen,
in denen dasselbe häufig und bedeutsam hervortritt: es sind dies die Se-
hatsversammlungen, die hier vor dem Thore, zwischen demselben und der
an der Gränze des Marsfeldes gelegenen porta triumphalis gehalten wurden über
die Ertheilung des Triumphes an die siegreichen Fcldherrn7), so also
schon, um bei den aus Livius bekannten Beispielen stehen zu bleiben, im
J. 30G a.u. c. (446 n. Chr.)8), dann im J. 563 a.u. c. (191) über den trium-
phus navalis für L. Aemilius Regillus9), im J. 565 a. u. c. (189) über den
Triumph des M. Fulvius Nobilior über die Aetoler10), im J. 576 (1 78) über den
Triumph des Tib. Sempronius über Sardinien11).
Die andere Beziehung giebt die Einsetzung, Erneuerung und immer
reichere Ausstattung der ludi Apollinares, welche ebenfalls in einer Pestilenz
neben der von Hannibal drohenden Gefahr ihre bestimmte Veranlassung
1) Curios. urb. Rom. bei Becker S. 714. Der Beiname ist entschieden von der Stel-
lung des Hauptes entnommen, die ihn mit Helios auch in der plastischen Bildung dann zu-
sammenfallen lässt, ihn als Leiter von Sonne, Mond und Gestirne und Deuter aus densel-
ben bezeichnet, also etwa ein Loxias. Vgl. Gerhard gr. Mythol I. § 308.
2) Plin. H. N. VII. 53 : ante Apollinem eburnum, qui est in foro Augusti.
3) Strabo VII. p. 319 a; Plin. XXXIV. 7, 39. Appians Angabe (Illyr. 30) : rbv av«-
x((fiirov iv lfalartq) ist dagegen ein Versehen oder alte Verschreibung, wohl eine Ver-
wechselung mit dem ehernen Tuscanicus Apollo im palatinischen Heiligthume.
4) Plin. XXXVI. 30.
5) Die Stellen bei Becker a. a. O. S. 605, Preller röm. Mythol. S. 268 ff.
6) Liv. XXVII. 37 aus dem J. 545 a. u.c. = 209.
7) Der technische Ausdruck : extra urbem in aede Apollinis.
S) Liv. III. 63.
9) Liv. XXXVII. 58.
10) Liv. XXXIX. 4.
11) Liv.XLI. 17.
126 Zweites Kapitel.
fanden, in denen von vorn herein die Circusspiele , wie die dramatischen
Darstellungen einen Bestandtheil bilden f) .
Damit hängen nun auch bedeutende bauliche Anlagen und zwar mit im-
mer steigendem Glänze zusammen, herrliche Säulenhallen mit daran stossen
den Säälen und Tempelgebäuden in der Mitte, die das Andenken an jene hier
zuerst gestatteten und verkündeten Triumphe in ihren Namen, wie den herr-
lichen dort aufgestellten Kunstwerken lebendig erhalten sollten, andere, die
jenem Festleben unmittelbar dienten. Es bildete sich hier eine grossartige
Denkmälerwelt für die Triumphe der römischen Republik bis zur Schlacht
bei Actium. Zu dem Festleben direct gehört der Circus Flaminius, aller-
dings schon 533 a. u. c. = 221 eingerichtet, mit den später in und an ihn ge-
bauten Tempeln, auch lauter Denkmalen von Triumphen selbst bei den durch
ihn zuerst ziehenden Triumphzügen neu geschmückt2), gehört dann aus der
Censur des M. Aemilius Lepidus im J. 573 a. u. c. (181) die Errichtung eines
theatrum et proscenium ad Apollinis 3) , endlich das gewaltige, mit dem Thea-
ter des Pompejus, das weiter ans Marsfeld gerückt war, wetteifernde Theater,
welches Cäsar unternahm und Augustus unter dem Namen des Marcellus 741
weihte4), auch dieses ist ausdrücklich ad aedem Apollinis gegründet und in
dem Fragmente eines Calendariums wird nun umgekehrt von Apollo und
Latona ad theatrum Marcelli gesprochen, wie andere Gottheiten nach Circus
Flaminius und Campus Martius daneben genannt werden. Auch das gleich-
zeitig dedicirte Theater des Com. Baibus befand sich in der Nähe, wie aus
Cassius Dio5) hervorgeht.
Unter der ersteren Gattung steht voran die Porticus Metelli oder Porticus
Octaviae, erbaut nach dem Triumph über Macedonien von Caecilius Metellus
Maccdonicus im J. 607 a. u. c. <s 147, erneuert und zu Ehren der Octavia
umgenannt von Augustus und mit einer schola und Bibliothek darin ausge-
stattet; in dieser wie in den beiden Tempeln, die innerhalb des Porticus
lagen, waren eine Fülle der ausgezeichnetsten Bildwerke von Phidias bis
zu Pasiteles herab aufgestellt In der unmittelbarsten Nähe dieser Porticus
finden wir aber auch einen eigenen Tempel des Apollo erwähnt, und zwar
sichtlich benann t nach dem Meister der Apollostatue, Philiscus und wesent-
lich bestimmt, diesen sowie Latona, Diana, die neun Musen desselben Mei-
sters und noch zwei andere Apollostatuen aufzunehmen6). Von wem der
1) Stellen bei Preller röm. Mythol. S. 269.
2) Becker röm. Alterth. I. S. 152 f.
3) Liv. XL. 51.
4) Becker röm. Alterth. I. S. 603, 679.
5) LXVI. 24.
6) Flin. n. h. XXXVI. 5, 4. § 34 : — laudatur, ad Octaviae vero porticum Apollo
Philisci Rhodii in delubro suo, item Latona et Diana et Musae novem et alter Apollo nu-
dus. Eum qui citharam in eodem templo tenet, Timarchides fecit, intra Octaviae vero por-
ticus etc.
Berühmte griechische Werke des Niobidenmythus etc. 127
Bau selbst herrührt, wissen wir nicht, aber es ist wahrscheinlich, dass er zu-
gleich mit den Porticus von Qu. Metellus Macedonicus errichtet wurde. Hier
haben wir also ganz dasselbe Verhältniss wie bei dem Tempel des Apollo
Sosianus ; auch jener kann kein eigentlicher Culttempel gewesen sein, son-
dern war ein Siegesweihgeschenk, lokal im Zusammenhang mit dem alten
römischen A polloh ei Hg thum. Als solche Denkmale des Triumphes stehen
auch alle benachbarten gleichen Anlagen da, so die Aedes Herculis Musarum
von M. Fulvius Nobilior nach dem ätolischen Triumph erbaut, unter Augu-
stus und mit dem Namen seines Schwiegervaters L. Marcus Philippas er-
neut4), so die porticus Octavia, errichtet von Cn. Octavius zufolge des tri-
umphus navalis über Perses von Macedonien im J. 586 = 1702), ad circum
Flaminium gelegen, so die Tempel des Mars von Junius Brutus Callaicus,
dem Triumphator von 617 über Lusitani und Gallaeci, auch apud circum des
Flaminius gelegen, der des Neptun von Cn. Domitius Ahenobarbas, dem
Triumphator von 722 bereits in circo Flaminio*). Auch in allen diesen
Bauten erregten die hier aufgestellten Kunstwerke der ersten griechischen
Künstler, im Triumph wahrscheinlich vorher mit aufgeführt, ein allgemeines
Interesse. Für uns hat es aber ein besonderes Interesse zu hören, dass die
beiden ausgezeichnetsten Parteigänger des Antonius, im Consulat vereint,
zum Andenken ihrer Triumphe vor der Schlacht bei Actium, jener C. Sosius
einen Tempel des Apollo mit der Niobidengruppe des Skopas oder Praxiteles,
dieser Cn. Domitius Ahenobarbus einen solchen des Neptun mit der Achilles-
und Meergottgruppe des Skopas errichteten und schmückten.
So sprechen also alle aus den historischen und lokalen Verhältnissen ent-
nommenen Gründe entschieden für die Auffassung des templum Apollinis
Sosiani als eines solchen religiösen Triumphaldenkmals und für seine lokale
Ansetzung in die nächste Umgebung des Apolloheiligthums vor der Porta
Carmentalis. Nun können wir auch zu der Stelle des Plinius zurückgekehrt
die Zusammenstellung der Oertlichkeiten in derselben für uns
in Anspruch nehmen; wenn dort Werke des Skopas im Tempel des
Cn. Domitius im Circus Flaminius, dann im Tempel des Brutus Callaecus
bei demselben Circus, dann die Niobiden im Tempel des Apollo Sosia-
nus, dann ein Janus pater, der von Augustus aus Aegypten herbeigeschafft
und geweiht war im steinernen Tempel — und es kann dies nur der vor der
Porta Carmentalis gelegene, von C. Duilius infolge des ersten Seesieges
1) Becker röm. Alterth. I. S. 6J2ff. Die Verbindung des Hercules mit den Musae
stellt ihn in nahe Beziehung zu dem benachbarten Apollo.
2) Becker a.a.O. S.6J7.
3) Becker a.a.O. S. 619. Der Ruhm dieses Cn. Domitius Ahenobarbus, derauf der
Seite des Brutus und Cassius, dann des Antonius stand, knüpfte sich besonders an seine
treffliche Flottenführung (Sueton Nero 3), an seinen glänzenden Sieg bei Brundisium.
1 28 Zweites Kapitel.
der Römer gestiftete, von August erneuerte, von Tiber im zweiten Jahre sei-
ner Regierung eingeweihte Tempel sein !) — , dann Werke in der Schola der
Porticus Octaviae, endlich Werke in den an den Circus Flaminius grunzen-
den Septa aufgeführt werden, so folgte Plinius wesentlich der Nachbarschaft
der Lokale.
Glauben wir nun die Lokalität, in welcher die Niobidengruppe sich be-
fand, im allgemeinen auf dem Boden von Rom fest bestimmt zu haben, haben
wir zugleich die zeitlichen Verhältnisse und die obwaltenden Gesichtspunkte
bei der Gründung und Ausschmückung des Tempels näher kennen gelernt,
so bedarf die weitere Frage, wo in diesem Heiligt h um nach den AVor-
ten des Plinius die Gruppe aufgestellt war, nun einer schärferen Beachtung,
umsomehr, als dies für die Composition selbst von ttiefgreifender Bedeutung ist.
Die Entscheidung, ob die Worte in templo Apollinis Sosiani mit irgend einer
Wahrscheinlichkeit die Aufstellung im Giebelfeld des Tempelgebäudes selbst
bezeichnen können — und dies ist bekanntlich Welckers bestimmte Ansicht *)
— oder ob vielmehr alles dafür spricht, dass die Aufstellung im Tempelbezirk,
innerhalb der den Tempelhof umgebenden Säulenhallen gemeint war, das
lässt sich nur aus einer genauen Erwägung des Sprachgebrauchs von Plinius
für templum, aedes, delubrum, aus einer Vergleichung seiner näheren durch
Präpositionen gegebenen Bezeichnungen, endlich durch seine sonstigen Stel-
len über Giebelgruppen in Rom und durch die Beachtung der hier zunächst
zusammengestellten Werke erreichen.
Es ergiebt sich zunächst, dass Plinius bei der Lokalangabe von Kunst-
denkmälern, die in Rom und zwar in Heiligthümern sich befanden, wenn er
nicht von porticus, curia, schola, forum, opera spricht, in den weitaus mei-
sten Stellen die Ausdrücke aedis oder delubrum braucht und dass er hier sehr
bestimmt mit den Worten in aede (delubro) ante aedem, apud aedem, ad aedem,
post aedem sich ausdrückt. Wir können hierbei nur an das Tempelgebäude im
1) Hauptstelle Tac. Ann. II. 49: isdem temporibus decem aedes vetustate aut igni
abolitas coeptasque ab Augusto dedicavit — et Jano templum, quod aput forum holitorium
C. Duilius struxerat, qui primus rem Romanam prospere mari gessit triumphumque nava-
lem de Poenis meruit. Becker R. A. 1. S. 254, 259, 603 hat die Verwechselung zwischen
diesem Janustempel und dem uralten des Janus Quirinus scharfsinnig aufgedeckt ; wenn
er aber die Aufstellung dieser berühmten Janusstatue aus Aegypten durch Augustus doch
dem Heiligthum des Janus Quirinus zuschreibt, so übersieht er, dass dasselbe auch in die-
ser Zeit ein kleines, niedriges Gebäude mit einer dem Numa zugeschriebenen Statue von
Erz war und nirgends eine Erneuerung oder Ausschmückung von Augustus uns erwähnt
wird, jener Tempel dagegen nach der Zerstörung durch Feuer von August neuerbaut und
daher auch mit einer künstlerisch ausgezeichneten Statue des Gottes geschmückt ward.
Preller Rom. Mythol. S. 157 sah darin das Richtige, Urlichs (Chrestom. Plin. S. 2S3 folgt
Becker.
2) Alte Denkmäler I. S. 231—235.
Berühmte griechische Werke des Niohidenmythus etc. 1 29
engsten Sinne, in dem dieCella des Gottes sich befand, denken. Dagegen be-
nutzt er den Ausdruck templum bei folgenden Baulichkeiten : fünfmal erwähnt
er Gegenstände inConcordiae templo1), während er zweimal von aedes, dreimal
von einem delubrum Concordiae spricht2), sehr häufig lesen wrir in templo Pa-
ris oder einmal in operibus Paris8) , wo niemals aedis oder delubrum gebraucht
wird, dann werden Werke in templo Martis Ultoris4), in templo Caesaris5),
in templo Apollinis Palatini, in Augusti6), in templo Bruti Callaeci7), ein
Janus in suo templo8) aufgeführt, die Architekten der templa Octaviae por-
ticibus inclusa' genannt ö) . Fragen wir nun näher nach, welcher Art diese
Heiligthümer waren, so finden wir durchaus bei allen, die nicht blos aus der
einzigen Stelle bekannt sind, dass es Tempelgebäude mit der Cella waren, die
aber vor oder um sich eine irgend abgeschlossene Area, ja noch Portiken und
mehrfach Raum für Senatsversammlungen, Bibliotheken u. dgl. an denselben
hatten. Es ist dies bei dem Tempel der Concordia unter dem Capitol be-
kannt10), ebenso bei dem des Julius Cäsar11); der Friedenstempel, der Tem
pel des Mars Ultor, der des Apollo Palatinus lagen in grossen Säulenhöfen,
1) Erzstatuen des Aesculap und der Hygiea Plin. H. N. XXXIV. 8, 19; dsgl. von
Apollo und Juno Plin. 1. 1. § 73 ; dsgl. von Mars und Mercur Plin. 1. 1. § 89 ; dsgl. des Ju-
piter, Minerva, Ceres Plin. 1.1. § 90; Obsidianelephanten Plin. H. N. XXXVI. 26, 67.
2) Erzstatue derLeto mit den Kindern auf dem Arme in aede Concordiae Plin. XXXIV.
8, 19. § 78; Bild des Nicias ebendas. Plin. XXXV. 11, 40. § 130; Bild des Theorus in
Concordiae delubro Plin. 1. 1. g 144; Bild des Zeuxis ebendas. Plin. 1.1. 30, 36; ein Sar-
donyx in goldener Einfassung ebendas. Plin. XXXVII. 1, 2.
3j Berühmte Werke von Vespasian dedicirt in templo Pacis Plin. XXXIV. 8, 19 ; Ge-
mälde des Timanthes daselbst Plin, XXXV. 10, 36. § 74, zwei des Protogenes Plin. 1.1.
g 102, 109; Nil von Basalt Plin. XXXVI. 7, 11. In operibus Pacis suae weiht Vespasian
eine Venus Plin. XXXVI. 5, 4. § 27. Templum Pacis wird mit forum Augusti in gleiche
Linie gesetzt Plin. XXXV. 15, 23. § 102.
4j Eiserne scyphi Plin. XXXIV. 14, 41, dagegen ausdrücklich zwei Erzstatuen ante
Martis Ultoris aedem Plin. 1.1. 8, 18.
5) Gemälde von Augustus gestiftet daselbst, sowie in foro suo celeberrima in parte
Plin. XXXV. 4. 10, dagegen wird die Venus Anadyomene des Apelles ausdrücklich von ihm
gesetzt in delubro patris Caesaris Plin. 1.1. 10, 36. g 71.
6) Stiftung eines lychnuchus pensilis aus Cyme daselbst Plin. XXXIV. 3, 8; ein
Tuscanicus Apollo von Erz in bibliotheca templi Augusti Plin. XXXIV. 7, 18, dagegen
werden die Marmorstatuen von Latona und Diana, zwischen denen der Apollo selbst stand,
angeführt in palati delubro Plin. XXXIV. 5, 4. § 24 und in palatio Apollinis delubro Plin.
1.1. g 32.
7) Der sitzende kolossale Mars des Skopas in templo Martis Callaeci, während die
grosse Gruppe des Neptun und Achilles delubro Cn. Domiti sich finden, aber jenes templum
lag selbständig neben dem Circus, dieses delubrum in demselben Plin. XXXVI. 5, 4. g 26.
8) Plin. XXXVI. 5, 4. g 29.
9) Plin. 1. 1. § 42. Speciell wird dann von aedis Iovis und Iunonis gesprochen.
10) Stellen fürarea und senaculum bei Becker röm. Alterth. I. S. 312.
11) Ein puteal und eine porticus Julia dabei s. Becker a. a. O. S. 280, 336.
Stmrk, Xiot*. 9
J 30 Zweites Kapitel. *
die nach Aussen abgeschlossen waren, bei dem zweiten bildete dieser Säulen
hof das forum Augusti !) und man sprach auch wohl für templum Pacis von
einem forum Pacis. Auch das Fragment des capitolinischen Planes von Koni
zeigt uns die Tempel von Jupiter und Juno in den Porticus Octaviae mit einer
abgegrenzten Area nebst Altären davor2).
Es ergiebt sich daher, dass Plinius durchaus nicht die Ausdrücke tem-
plum, aedis, delubrum unterschiedslos berührt3), dass templum für ihn noch
die weitere und ursprünglichere Bedeutung des heiligen inaugurirten Uezir-
kes hat, indem natürlich in dem spätem Rom auch eine aedes zu suchen ist.
Ja, Plinius braucht diese Ausdrücke unmittelbar neben einander zu genauerer
Bestimmung : er spricht von einer Hekatestatue desMenestratosEphesi in tem-
plo Dianae post aedem4). Ebenso wenn zwei Obelisken . von 42 Ellen Höhe
in Alexandrien ad portum in Caesaris templo sich befinden, so setzt Plinius
voraus, dass hier an ein sich Befinden in der Tcmpelcella oder etwa der
Vorhalle oder dem Posticum gar nicht gedacht wird5). Wir finden daher
durchgängig die Präposition in, nur einmal ad templum, aber dies bei einem
Prachtaltar, den Kephisodot im Piräus gearbeitet ad templum Jovis Serva-
toris 6) . Nach alledem ist es zwar wohl an sich möglich, dass ein in templo an-
geführtes Kunstwerk sich im Innern oder an der aedis des Gottes, die ja auch
zum templum gehörte, befand, aber es ist in einem Zusammenhange, wo ge-
nau aedis oder delubrum sonst für diese Oertlichkeit gebraucht wird, ganz
unwahrscheinlich, dass Plinius gerade diese verstanden wissen will. Und wenn
die Statue des Gottes, die dem templum überhaupt den Namen gegeben hat,
natürlich in delubro gesetzt wird, wie wir dies an der anderen Stelle für den
Apollo Sosianus gesehen haben, so spricht alles dafür, dass jenes grosse aus-
gedehnte Kunstwerk von Marmor, welches dagegen in templo angeführt
wird, sich ausserhalb des Gebäudes der Tempelcella, also in einer Halle des
Tempelhofes oder einem eigenen Raum, einer schola, die zu ihm gehörte,
befand.
Aber wir müssen noch weitei gehen, wir fragen, gesetzt auch in templo
wäre hier ungenau und gegen sonstigen Sprachgebrauch des Plinius für in
1) Becker a.a.O. S. 335, 371, 437 f., 427 ff.
2) Becker Taf. 4. N. 1.
3) Auch eine Stelle, welche dafür sprechen könnte, bei Plin. XXXVI. 5. 4. § 34, 35 :
ad Octaviae vero porticum Apollo Philisci Rhodii in delubro suo, item Latona et Diana et
Musae novem et alter Apollo nudus. Eum qui citharam in eodem templo tenet Timarchi-
des fecit, ist nicht beweisend, da dieser citherspielende Apollo ebensogut ausserhalb der
Tempelcella stehen konnte, wie im Heüigthum des Apollo Palatinus dies von zwei Apollo-
statuen bezeugt ist.
4) Plin. XXXVI. 5, 4. g 32.
5) Plin. XXXVI. 9, 14.
0) Plin. XXXIV. 8, 19. § 74. Es ist dies das Jtos rifttrog des Pausanias (I. 1, 3).
Berühmte griechische Werke des Niobidenmythus etc. j 31
aede gesagt, könnte dies auf das Giebelfeld des Tempels bezogen werden?
Es scheint dies für den ersten Anblick durch andere Stellen sich als wohl
möglich zu erweisen : Plinius erwähnt ja Werke des Bupalos und Athenis
in palatina aede Apollinis in fastigio1), ja er spricht von fastigia templorum
selbst2) und von Viergespannen in fastigio templi ejus (sc. Jovis Capitolini) 8).
Und doch bei näherer Betrachtung stellt sich diese Sache ganz anders. An
der ersten Stelle, wo es sich um eine Angabe der Aufstellung von Kunstwer-
ken handelt, steht ausdrücklich in aede Apollinis und dazu der genaue Zu-
satz. In den zwei folgenden Stellen ist nur im Allgemeinen von dem plasti-
schen Schmucke des Giebels die Rede, welche mit denselben im Gegensatz
zu den Privathäusern und profanen Bauten nur den heiligen, d. h. inauguri-
len Baulichkeiten zukamen4] ; es handelt sich hier gerade um die religiöse
Bedeutung, die in templum bestimmt ausgesprochen ist. Und dass das fasti-
gium des capitolinischen Jupitertempels ein fastigium templi, nicht blos aedis
genannt werden konnte, wie es auch fastigium Capitoli heisst5), liegt in der
Natur des capitolinischen Tempels, der die delubra von Jupiter, Juno, Mi-
nerva mit je einzelnen Vorhallen, und eigenen wieder durch fastigia ge-
schmückten aediculae der Götter, ja noch die kleinen Heiligthümer des Ter-
ninus und der Juventas enthielt6). Mithin erscheint auch in diesen Stellen
die weitere Bedeutung des templum durchaus nicht verwischt.
Aber konnte weiter Plinius erwarten, dass an unserer Stelle man das in
fastigio in Gedanken unmittelbar ergänzte? Gewiss nicht nach dem, wie er
sonst die fastigia berührt und nach dem Zusammenhang der Stelle. Er er-
wähnt die Entstehung des bildlichen Schmuckes der Giebel bei der Ausbil-
dung der thönernen prostypa und ectypa durch Butades7), er erwähnt die
Häufigkeit, treffliche Arbeit, Festigkeit der thönernen fastigia in Rom und
den Municipien8), ferner die Zerstreuung der thönernen signa des Gorgasus
und Damophilus aus den Giebeln des Cerestempels 9) . Von Marmorwerken
in oder auf Giebeln — und die statuarischen Werke auf den Giebeln spiel-
ten in Rom nach den uns erhaltenen bildlichen Denkmälern, Münzen und
Reliefs eine bedeutend grössere Rolle, als die in den Giebeln, ja an diese auf
1) Plin. XXXVI. 5, 4.
2) Plin. XXXV. 12, 40 und 12, 46.
3) Plin. 1.1.45.
4) Cic. de or. III. 46, 180; Phil. II. 43; Flor.Epit. IV. 2: fastigium in domo, mensis
in coelo dem Julius Cäsar gegeben.
5) Cic. de or. 1. 1.
6) Stellen bei Becker röm. Alterth. I. S. 394 f.
7) Plin. h. n. XXXV. 12, 43: hinc et fastigia templorum orta.
s) Plin. 1. 1. 46 : fastigia quidem templorum etiam in urbe crebra et municipüs mira
caelatura et arte suique firmitate sanctiora auro certe innocentiora.
9) Plin. 1.1. -15 : — item signa ex faatigiis dispersa, vorher Cereris aedem Romae.
9*
\ 32 Zweites Kapitel .
Giebelakroterien befindlichen, oft sehr grossen Werken ist in römischer Zeit
bei Giebelstatuen immer zunächst zu denken, während das Innere der Giebel
mit Reliefs mehr untergeordneter Art geschmückt wurde, — fuhrt Plinius
zwei Beispiele an: zunächst die Versetzung von Statuen des Bupalos und
Athenis, jener alten Meister der Schule von Chios durch Augustus auf den
Tempel des Apollo Palatinus und fast auf alle von ihm sonst erbauten Tem-
pel1), dann die hochgerühmten Arbeiten des Diogenes von Athen2) für das
Pantheon des Agrippa, und zwar ausser den in die Säulenhalle gestellten
Caryatiden die in oder wahrscheinlicher auf dem Giebel aufgestellten Statuen,
welche wegen der Höhe der Oertlichkeit weniger bekannt und gefeiert seien.
Wir sehen also hieraus, wie die Giebelaufstellung entschieden der An-
erkennung der Werke schadete, wie man die Giebelstatuen als Dekoration,
nicht als selbständige plastische Werke schätzte, denn auch jene doch als
sehr alterthümlich, archaisch aufzufassenden Werke des Bupalos und Athe-
nis sind entschieden gerade in diesem Charakter nach Rom versetzt worden,
um so neben den vielen sogenannten Tuscanica opera sich auszuzeichnen.
Dagegen von keinem einzigen der bewunderten Werke der griechischen
Meister, die Plinius in so reichlicher Zahl aus Roms Tempeln anfuhrt, haben
wir eine Andeutung, dass sie in einem Giebel gestanden haben, bei den aller-
meisten wissen wir genau aus seinen Wr orten, dass es nicht der Fall war.
Und so können wir wohl schon hier mit Bestimmtheit sagen, die Niobiden-
gruppe des Skopas oder Praxiteles stand in Rom im Heiligthume des Apollo
Sosianus, weder inderTempelcella noch im Giebel. Damit ist allerdings noch
nicht behauptet, dass sie auch an ihrer ursprünglichen Stelle nicht in einem
Giebel sieh befunden hat, dafür gearbeitet war. Zwar haben wir bis jetzt
kein einziges Zeugniss für ein solches Herabnehmen von Giebelstatuen und
Aufstellen in einem unteren Raum, einer Halle oder dgl., aber es wäre doch
möglich, verriethe aber immer bei den Römern der Augusteischen Zeit sehr
wenig Sinn für den architektonischen Rahmen eines grossen plastischen Wer-
kes, den wir ihnen sonst in so hohem Grade zuschreiben inüsen. Diese Frage
nach der originalen örtlichen Bestimmung und dadurch bedingten Composi-
tion gemäss der so feinen Berechnung der griechischen Werke für ihren {Stand-
ort, wird aber dann eine innere ästhetische und auf dasVerhältniss von Kunst
und Cultus bezügliche, an deren Erwägung und Beantwortung wir erst bei
der Betrachtung der uns erhaltenen statuarischen Werke, die auf dies Origi-
nal mit aller Wahrscheinlichkeit zurück zufuhren sind, herantreten können.
Hier haben wir schliesslich dagegen noch eine Frage zu wagen, deren
1 ) Dies können doch nur die Worte bedeuten : et omnibus fere, quae fecit divus Au-
gustus Plin. XXXVI. 5, 4.
2) Plin. XXXVI. 5, 4. § 38: in coluranis terapü ejus Caryatides probantur inter pauca
o per um sicut in fastigio posita signa, sed propter altitudinem loci minus celebrata.
Berühmte griechische Werke des Niobidenmythus etc. \ 33
endgültige Beantwortung allerdings erst durch ein neuaufzufindeiides litera-
risches oder bildliches Zeugniss gegeben werden kann, aber eine Frage, die
sich uns unwillkürlich immer aufdrängt und wobei wir vielleicht doch zu
grosser Wahrscheinlichkeit gelangen können. Woher war die Gruppe der
Niobiden eines Skopas oder Praxiteles von C. Sosius nach Rom in jenes Hei-
ligthum, das Denkmal seines Triumphes, gebracht? Es ist allerdings eine
Möglichkeit, dass bei der Allmacht des Antonius im Osten des römischen
Reiches , bei seiner Gewaltsamkeit , mit welcher er Senatoren proscribirte,
um in den Besitz eines kostbaren geschnittenen Steines zu kommen !) , den
Ephesiern, die ihn als Dionysos mit einem bakchischen Komos empfin-
gen, berühmte Kunstwerke, wie den Apollo des Myron entführte, welchen
Augustus infolge einer Mahnung im Traum wieder zurückgab z) , bei dem an
Wahnsinn gränzenden Kunsttaumel, in dem er gerade zu Samos und Athen
lebte 8) , auch ein Legat von ihm aus einer Stadt, die zunächst in keinem un-
tergeordneten Verhältniss zu ihm stand, ein berühmtes Kunstwerk, freilich
diesmal eines von so grossem Umfange auf irgendeine Art, mit oder ohne allen
Sehein des Rechtes fortgenommen hat. Unwahrscheinlich bleibt dies aber im-
mer selir. Wir haben doch zunächst an die C. Sosius untergebenen Provinzen
zu denken , woher ja auch aus einem Seleucia der Apollo des Tempels nach
Rom gebracht war. Man wird weiter auch zuerst daran denken, dass die
Gruppe ebenfalls aus diesem Seleucia nach Rom gebracht war. Nun aber
entsteht, wenn wir dabei Seleucia in Syrien, d.h. den Seehafen von An-
tiochia im Sinn haben, oder wenn wir an irgend eine Stadt Syriens und Phö-
niciens, z. B. etwa das von Sosius eingenommene Aradus, eine durch den
den ersten Familien Syriens während des Krieges zwischen Seleukos Nikator
und Antiochos Hierax dargebotenen Schutz sehr an Reichthum, Ansehen,
Landbesitz geforderte Stadt4), sonst denken, die Schwierigkeit, dass jene
Gruppe für eine dieser erst seit den Nachfolgern Alexanders des Grossen,
zunächst dem Seleukos Nikator gegründeten oder hellenisirten Städte nicht
von dem Künstler, Skopas oder Praxiteles gearbeitet sein kann, dass sie also
schon selbst erst von ihrem ursprünglichen Bestimmungsort dahin gewandert
wäre und wir somit die Hauptfrage nur noch weiter hinausgeschoben sähen.
1) Plin. XXXVII. 6, 21.
2) Plin. XXXIV. 8, 19 : Myron — fecit et Apollinem , quem ab triumviro Antonio
sublatum restituit Ephesiis divos Augustus admonitus in quiete.
3) Plut. V. Anton. 56. 57. Auch von Samos entführte Antonius drei zusammengehörige
Kolosse des Myron, Athene, Herakles und Hera, von denen Augustus die zwei ersten wie-
der an ihre ursprüngliche Stelle versetzen liess Strabo XIV. 1 ; ebenso von Rhoiteion in
Troas die Statue des Aias aus dessen Heiligthume nach Aegypten, die Augustus wieder
zurückgab, wie er es auch anderswo that; Strabo fahrt fort (XIII. 1): ra yceo xailiora
«va&qfiata ix T(öv InKfaitOTctrcw Uqwv 6 plv fae rjj Aiyunrtq, 6 <f£ roTg &(oig antöwxt.
4) Strabo XVI. 2.
134 Zweites Kapitel
Ein häufiges Versetztwerden berühmter Kunstwerke unter den ersten Seleu-
kiden nach Syrien ist uns durchaus unbekannt, dagegen eine grosse Thätig-
keit, besonders attischer Künstler für jene Gegenden und prächtige Repro-
duktionen der grössten Wunderwerke, wie des olympischen Zeus und der
Parthenos. Endlich kennen wrir und dies scheint mir entscheidend, von die-
sem Seleucia nach den Münzen und Inschriften durchaus nicht speciell einen
Apollodienst, vielmehr war der Zeus Kasios die Hauptgottheit daselbst1).
Anders stellt sich die Sache, wenn wir uns nach Kilikien wenden. S e -
leikeia am Kalykadnos ward allerdings unter diesem Namen erst von
Seleukos Nikator auch gegründet, aber es war nur eine Versetzung der Be-
wohner der altgriechischen Kolonie Holmoi an der See, wenig landeinwärts
an den Fluss2). Unmittelbar neben Holmoi befand sich aber das sandige
Vorgebirge Sarpedon3) mit einem berühmten Sarpedonion , einem Heilig-
thume des lykischen Sarpedon, ja auch eine ältere städtische Anlage, nach
Mela einst Gränze des Reiches des Sarpedon Selbst der Fluss Kalykadnos
ward auch Sarpedon genannt. Schon Aeschylos hatte vom meerumströmten
Hain bei dem sarpedonischen Grabhügel gesprochen*). Wo Sarpedon im
Cult uns begegnet, da ist aber mit ihm der lykische Apollo, ist Artemis und
Leto verbunden. Das Sarpedonion bildete in Xanthos auf der Akropolis die
wichtigste und heiligste Stätte, an der das Schicksal der Stadt hing ö) . Auch
in Kilikien kennt sonst Strabo das Heiligthum der Artemis Sarpedonia mit
1 ) Ueber Seleucia in Pieria, dessen Stätte allerdings vorher unter dem Namen "Yöarog
norafiol bekannt war, die Hauptstelle Polyb. XXII. 26, dazu s. Ritter Erdk. XVII. S.
1228 — 1271 ; über die Denkmäler speciell Yates in Mus. of classic, antiqu. II. p. 111 — 131,
über die Münzen s. Mionnet Rec. des med. V. p. 271 ff., Rasche Lexic. IV. 2. p. 454— 471,
Inschriften s. Böckh. C. J. n. 445S, wo Priester des Zevg OXvfimog und Ztbg KoQwjatog,
den wir als die hellenische Bezeichnung des Zevg Knaiog aufzufassen haben, genannt wer-
den, während der dann erwähnte Apollo, speciell der in\ /tayv^ d. h. also der des Hei-
ligthums bei Antiochia ist.
2) Strabo XIV, 5 : tWOXpoi onov 7iqot€qov $xow ot vüv ZeXtvxeTg, xtia&s^arjg dh Int
r$ KaXvxativy rrjg ZtXtvxtiag txtf peTtpxto&riaav ; Plin. h. n. 27, 22 : Seleucia supra amnem
Calycadnum Tracheotis cognomine, a mari relata ubi vocabatur Holmia. Steph. By«. s. t.
2iUvxna und "OX/uoi ; Scylax Peripl. 102. "OXfio t noXtg 'EXXrjvU anfyovoa Stadiasm. M.
Mar. in Geogr. min. ed. Müller I. p. 492 f.J Die Stelle von Holmoi ist jetzt die von Agha
Liman, eine Schifferstation ; hier scheint früher der Calycadnus gemündet zu haben, der nun
auf einem weiten öslichen Umweg durch ein Flussdelta das Meer erreicht. Vgl. Rittter
Erdk. XIX. S. 321—333.
3) Strabo XIV. 5: uxgav rj xaXeitcu Zccqtit]<$ü)1> ; Plin. n. h. V. 22: Promontorium Sar-
pedonia ; Scylax Gary and. Peripl. 102: ZaQnrjdwv noXig Igtifiog xa\ norafnog; Anon. Stad. M.
Mar. in Oeogr. min. ed. Müller I. p. 4S3 : axQtty ä/npctiöti OTtrrjv 2LaQ7irjdoi>{av xaXovfiivqv — ;
Pompon. Mela I. 13 : duo promontoria Sarpedon finis aliquando regni Sarpedonia et Ane-
murium. Das Vorgebirge diente seit alter Zeit zu Entfernungsbestimmungen der Küsten
und der Ueberfahrten nach Kypros.
4) Aesch. Suppl. 865 ff, : dt aXlQQviov aXaog xurd JEuQ7ZT)doviov x**f*<* noXvifHtfia&oy.
5} Appian bell. civ. IV. 78. 79.
Berühmte griechische Werke des Niobidenmythus etc. 135
einem Orakel, das von gottbegeisterten Personen ausgesprochen wird1).
Seleucia Trachea, dessen ausgedehnte Ruinen heutigen Tages nur 1 % Stunr-
den vom Platz von Holmoi beginnen2), welches also selbst nur aus einer Zu-
rückversetzung der Bewohner von Holmoi an den Fluss von der Meeresküste
entstanden war, erscheint bald als eine sehr bedeutende, durch Schönheit des
Baues und gebildete, philosophische Männer sich vorth eilhaft von sonstiger
kilikischer und pamphylischer Weise auszeichnende Stadt3), unter den Römern
politisch selbständig, mit Münzreihen 4) , als Metropolis der Städte des rauhen
Kilikiens, später Isauriens hochgeehrt. Ammianus Marcellinus5) schildert
uns ihre Vertheidigung durch drei Legionen gegen isaurische Räuberhorden ;
der von Getreideschiffen belebte Kalykadnos durchströmte sie, die stattliche
Brücke, die gewaltigen Mauern mit Thürmeu und Zinnen, die Weite und
günstige Lage der Stadt rühmt er. Das Ilauptheiligthum aber war das Sar-
pedonion, also jene alte, hochangesehene Cultstätte mit Orakel und Festen
und wunderbarer Vernichtung der Heuschreckenschwärme durch die um das
Heiligthum sich aufhaltenden Vögel. Dieser Apollo Sarpedonios — somit
der Hauptgott — erweist sich dadurch als wesentlich identisch mit dem Par-
nopios der troischen und äolischen Küste 6) . Interessant ist die polemische
1) Strabo XIV. 5: iv Ji rrj KtXtxCu iail xal ro rrje ZaQnrjtioitag 'jj^rtitidoi Uqov xal
ijiftvjiXov ' rovg J£ XQijOpoug h'tttoi 7iQO*Jta7iC^ovai,
2) Kitter Krdk. XIX. 2. S. 322—334. Amphitheater, Säulenhallen, Säulen eines acht-
säuligen Tempels, Piscina, Gräbermenge, Felstreppe und Felsenstrasse.
3) Strabo XVI. 2: £/«i 61 Tiojapog avdnXovv etg ttjv ZtXtvxaav noXtv ev ovroixoujut-
vr\v xal noXii aifiöToiOav tov KiXixlov xal IlafjiipvXCov tqotiov * Ivrav&a fytvovro xa&* rjfiäg
avÖQtg dliuXoyoi rtov ix tov neQuiarov (ftlooocfiov xtX. ; Plin. H. N. V. 22 : Seleucia
«upra amnem Calycadnum Tracheotis cognomine a mari relata ubi vocabatur Holmium.
■I) Mionnet Rec. des med. IV. p. 598 ff. ; Hasche Lexic. r. numm. IV. 2. p. 441 ff.
5) Ammian. Marceil. XIV. 2 : in excidium urbium matris Seleuciae efferebantur. —
Calycadnus amnis ponte, cujus undarum magnitudo murorum alluit turres. — captis navi-
güs, quae frumenta vehebantper fluvium — civitatem amplam et peropportunam ; XIV. 8 :
Isauria quam mediam navigabile flumen Calycadnus interscindit. Et hanc quidcm pro-
vincium oppida multa, duae civitates exornant, Seleucia opus Scleuci regis et Claudio-
polis — . Auch Theodoretos (Hist. eccles. II. 20) nennt sie eine noXig — t&v bpotfvXtov no-
Xetov rjyovjutvt}.
6) Zosim. hist. I. 57 ed. Bekker: Iv ZiXevxe£a rrj xaza KiXixCav IdnoXXtovog Uqov
Xöqvio xakovfAivov 2ctQ7iriöov(ov xal Iv tovtü) xQrjOTqgiov * tu fjihv ovv negl tov &toü tovtov
Xey6fi€va xal (og anaOi rotg vnb Xvprjg axQCdtov tvo%Xovuivotg ZtXevxidöag naQadt&ovg —
oQvta di ravia hdtanutfxeva joig negl ro Uqov Tunotg — ovvfttoefine rotg ahovoiv, al ßt
raig axqCaiv avfjMtQMTap&vai xal rotg örofiaOi xavxag dt^ofitvai naQaxQrjpa nXrj&og re
aneiQOV tv dtaytatq) ditqdttQov xal ir\g ix tovtwv ßXdßrjg rovg dv&Qutnovg anrjXXaTroy, tavra
ulviy Ttjvixavia luv av&^WTHOv tvBaiuovCa nagCr^it. tov xa&* Tjftag yivovg dntoaafiivov &{(av
tvtQytoCav. Diese Erscheinung der Seleucides aves wird nach Plinius (H. N. X. 39) auch
gerühmt vom Berg Casius, also bei Seleucia in Syria, wo die Einwohner vom Jupiter Ca-
sius sie erflehen gegen die Heuschrecken, aber von einem Sarpedonion, von einem Apollo
136 Zweites Kapitel.
Stellung, die die h. Thekla, welche in ihren späteren Lehensjahren bei
Seleucia in eine Grotte des südlich liegenden ßerges sich zurückzog und
Wunder wirkte, deren Cidt dann an dieser Stelle ein Menschenmassen zusam-
menführender und wunderreicher ward, zum Sarpedonion einnimmt. Sie heilt
nämlich noch viel mehr und glücklicher Krankheiten als dort geheilt werden,
sie giebt viel sicherere Orakel durch Incubation, als dort gegeben werden, ja
sie entfernt Seuchen, die in der Sonnenhitze über Menschen, Thiere, Pflan-
zen kommen, durch eine Wunderquelle. Und endlich geht sie lebendig in
den Felsen ein, in dieser Beziehung eine christliche Niobe !) .
Hat nun nicht, um es kurz zu sagen, in diesem Sarpedonion bei Seleucia
der cederne Apollo Sosianus und die Gruppe der Niobiden sich befunden, im
Bereiche eines Heiligthums der Kinder der Leto und eines Heros des in der
Schönheit der Jugend rasch hinraffenden Todes, der an ihm selbst sich erwie-
sen,aber auch zu heroischer Ehre, zum Prachtdenkmale in der Heimath geführt
hat, also im Bereiche eines Apollo tempels und zugleich eines hochangesehenen
Heroengrahes2). Ich bemerke dabei, dass ausdrücklich die Küste der Kilikia
Trachea als reich an trefflichstem Cederholz bezeichnet wird3), ferner dass uns
die Nähe der Statue des Apollo Parnopios an der mit der Niobidendarstel-
lung geschmückten Apollogrotte in Athen bemerkenswerth erschien und dass
Pausanias von einer dreimaligen wunderbaren Vernichtung der Heuschrecken,
Sarpedonios wissen wir dort nichts, auch heisst es dort, diese Vögel seien sonst nie sicht-
bar, während sie bei dem Sarpedonion sich immer aufhalten.
1) Die ältere Quelle bei Grabe Spicileg. ss. patrüm. I. p. 95 ff. : da erklären die in ihrer
Praxis bedrohten Aerzte sie für eine ItQa rrjg /utydXrjg 9täg ji^ri^og. Nach der spätem
von Basilius Seleuciensis (425) dargestellten Legende in Acta Sanctorum. Septbr. VI. p.
546 ff. heisst es : Sarpedon Promontorium et Ciliciae non longe distans Seleucia, quae civi-
tas — Isauriae facta est metropolis. In illo autem promontorio sepultum fuisse ait homi-
nem ingentem, quem Sarpedonem nominat. lnprimis autem illum aut potius daemonem a
gentibus eultum fuisse asserit iisque responsa dedisse. Die obigen Züge der Legende s.
a.a.O. p. 557, 559, 562.
2) Sarpedon, der Gründer der lykischen Städte, besonders von Xanthos, auch Grün-
der von Miletos, ist Sohn von Zeus und Europa oder von Xanthos, dem Gotte des bei den
Geburtswehen der Leto durch ihr Aufreissen der Erde zu Tage gekommenen Flusses
,'Quint. Smyrn. XI. 21 ff.) und Europa ; Sarpedon, der Führer der Lykier vor Troja, ist
dem Wesen nach derselbe, auch Sohn des Zeus und der Laodamia. Die Fürsorge des
Apollo für den Leichnam mit eigenen Händen, die Uebergabe an Tod und Schlaf, den
7i ou no\, die Bestattung in Lykien, die Ehren rv/jßq> re orijXrj rt sind bezeichnende Züge
(II. XVI. 664 ff.). Vgl. Preller gr. Mythol. II. S. S1 Anmerk., jedoch bedarf die Gestalt
des Sarpedon noch neuer Untersuchung, besonders auch nach seiner kleinasiatischen Stellung.
Die Natur einer rasch und plötzlich hinraffenden Todesgewalt, aber auch einer Lichtnatur
sind bei ihm unverkennbar.
3) Strabo XIV. 5 : xtÖQog <f * torlv ^ nXilair\ xal tioxtT ravra tä fx^Qtj nXtovtxrtlv rt,
TQictvry j-vlttct.
Berühmte griechische Werke des Xiobidenmythus etc. 137
die vom Sipylosberg aus durch Sturm, Gluth, Kälte erfolgt sei, berichtet1).
Es kommt eine vereinzelte, sehr merkwürdige Notiz noch hinzu, um gerade
in Kilikien eine Darstellung der Niobe und ihrer Kinder durch ein berühmtes
Meisterwerk zu suchen, nämlich die Nachricht bei Athenagoras, dass die Ki-
liker Niobe als Göttin geweiht haben, wie Medea als Göttin auch erscheine *) .
Wir werden in dem mythologischen T heile unserer Arbeit zeigen, wie sehr
dies bei der eigentümlichen Stellung des Namens der Kiliker in der
Landschaft Troas in den ganzen Bereich des Niobemythus passt. Jedenfalls
aber ist festzuhalten, dass diese Nachricht bei Athenagoras als von dem
nachherigen Kilikien geltend gemeint ist. Und wir werden gewiss die Thä-
tigkeit des Skopas oder Praxiteles für eine griechische Stadt und ein hoch-
berühmtes altes Heiligthum der kilikischen Küste, mit der Athen in vielfach-
ster Colonialverbindung stand, wie auch die Münzen von Seleucia den Athene-
kopf häufig zeigen, ebenso wahrscheinlich finden, als sie für die kleinasia-
tische Küste überhaupt, für Jonien und Karien vielfach bezeugt ist3) .
Was endlich die Verhältnisse der kilikischen Städte nach Cäsars Tod
und dann besonders unter Antonius Allmacht betrifft, so wissen wir, dass sie
verschieden für und gegen die Republikaner Partei genommen, dass Tarsos
durch Cassius um 1500 Talente gestraft wurde und die Kostbarkeiten und
Weihgeschenke seiner Tempel verkaufte, oder zu Geld schlug4), dass auch
unter Antonius, der hier mit Kleopatra seine Festmahle voll unsinniger Ver-
schwendung hielt, der schlechte Poet Boethos die Stadt betrog und plün-
derte Ä) . Wie Seleucia sich gestellt, wissen wir nicht ; es war von der Schen-
kung der Cilicia Trachea an Kleopatra, dann an Amyntas, endlich an Arche-
laos ausgenommen6), dagegen als Freistadt direkt unter die Verwaltung des
1) Paus. I. 24, S: tqIs ök avTog rtörj naQyonag ex ZinvXov roü OQovg ov xaia ravta
olda (f&ttQ£rTtts xtX.
2) Leg. pro christ. c. 14 (Corp. apolog. christ. gr. ed. Otto p. 61) : ^AXx^av xal'HoCo-
Jog Mntitmv xal (17 all. edd.) Ntoßr)v KCXtxeg sc. &eovg X^QWjai. Sam. Petit nahm mit Recht
Anstoss an den beiden Dichternamen und conjicirte Kaöovoiot Mi\6etavt Otto will Ntoßtjv
ohne allen Grund streichen. Ist etwa zu lesen : ^iaxQaiot 'Ho£oo*ov?
3) Paus. VIII. 40, 4 : Zxonav — og xal äyd't /ultra 7ioXXa%ov rrjg uQ/atag 'EXXdtiog, rd
tH xal 7tty\ *[<ov(av te xal KaQCav inoirjoe. In Ephesos, Knidos, Halikamass kennen wir
Werke von Skopas, Plin. XXXVI. 5, 4. §22. 31 ; Strabo XIV. p.640. An denselben Orten,
dann in Alexandrien am Latmos in Karien Werke von Praxiteles Plin. 1. 1. § 20 ; Steph.
Byz. 8. v. *4Xt£dro*otta.
4) Appianb. c. IV. 64: r« rt xotta nntöCJorro navra xal ra Ugd tnl toTgxotvoig oaa
tfy0*' t* nofinag rj «*'tt#ij<u«T« fxonrov.
5) Strabo XIV. 5 : — ovdfr rirtov öitTtXtoev aytov xal <f(Q<av rrjv noXir ptyQi Ttjg xa-
TttOTOOffTJQ TOI? jtvtm'CoV.
6) Strabo XIV. 5 : HQ/eXdog — Xaßav tip T^ß^wriV KiXixtav oXrjv nXqv JeXtuxttag •
*a&' ov TQonov xal 'iftuvtag nqojiQOV ttyt xal hi uqqtcqqv KXtondrqa.
1 38 Zweites Kapitel.
Legaten der Provinz gestellt. Danach ist die Versetzung eines Kunstwerkes
von dort durch den Legaten nach Rom nichts weniger als unwahrscheinlich.
Nur wenig Jahre nach der Aufstellung der Niobidengruppe des Skopas
oder Praxiteles im Heiligthume des Apollo Sosianus von Seiten eines der
Parteigänger des Antonius ist eine andere ausgezeichnete Darstellung des-
selben Gegenstandes in einem anderen Apolloheiligthum, dem glänzenden,
mit besonderer Liebe gepflegten Denkmale des Weltsieges von Actium und
des durch ihn dem Erdkreise wiedergegebenen Friedens von Augustus ange-
bracht worden. Properz hat in einer kurzen Elegie (II. 31) *) den Eindruck
geschildert, mit dem er von der Eröflhung der goldenen Halle des Phoebus,
d. h. der den in der Mitte gelegenen Tempel umschli essenden Prachthallen
des Heiligthunis, welche im Jahre 726 a. u. c, also 2S v. Chr. am 25. Okto-
ber stattfand, zurückkehrte2). Nachdem er jene Hallen von punischem, also
gelbem Marmor mit den Statuen des als Apollo citharoedus gebildeten Au-
gustus 3) , dann die ehernen Stiere des Myron, welche den Altar auf der Area
umgaben, geschildert, wendet er sich zu dem in blendendweissen, nämlich
lunensischen Marmor erbauten Tempel selbst. Er sieht hier über dem Gie-
bel, d. h. auf den Akroterien den Sonnenwagen mit Helios , dann auf den
zwei Thüren ein Libyci nobile dentis opus, ein hochhcrühmtes Werk aus
Elfenbein und zwar die von dem Gipfel des Parnasses gestürzten Gallier und
die Leichen der Tantalostochter 4) . Er schliesst dann kurz mit der Anschau-
ung der verehrten Gottheiten selbst, im Innern des Apollo Citharoedus, der
Latona und Artemis. Also in Elfenbein war als Relief an dem einen
Thürflügel der Niobidenuntergang dargestellt.
Wie haben wir uns die äussere Gestalt dieser Reliefs zu denken? Offen-
bar befanden sie sich in den Füllungen, in den tympana der sonst mit Metall,
hier neben dem Elfenbein mit Gold überzogen Rahmen der Thürflügel, wie
z. B. der Athenetempel zu Syrakus in dieser Weise geschmückt war und es
in der Augusteischen Zeit auch sonst geschildert wirdaj. Wir können hier
1) Vgl. den Commentar von Hertzberg dazu in seiner Ausgabe Halle 1845. T. 111.
p. 200—211 mit Quaest. 1. III. c. 3. T. I. p. 223.
2) Vgl. Becker röm. Alterth. I. S. 425 ff. Zu den Kunstwerken vgl. Petersen Einlei-
tung in d. Stud. d. Archäol. S. S7 — 9J ; O. Jahn Archäol. Aufs. S. 22—30,
3) Diese ist hier zu verstehen im Distichon 5 :
hie equidem (quidem) Phoebo visus mihi pulchrior ipso
marmoreus tacita Carmen hiare lyra,
welches von Hertzberg ganz unpassend an das Ende der Elegie gesetzt wird. Ueber den
August als Apollo in der an die Porticus sich anschliessenden Bibliothek s. Schol. Cruqu.
ad. Hör. Ep. I. 217; Serv. Virg. Ecl. IV. 10.
4) Altera dejeetos Parnasi vertice Gallos, altera maerebat funera Tantalidos.
5) Vgl. über die Thüren und den Schmuck Bötticher Tektonik T. II. S. 84 ff. mit den
dort angeführten Stellen, bes. Cic. Verr. II. 4. c, 56, Virg. Georg. III. 26—32 j Serv. Virg.
Berühmte griechische Werke des Niobidenmythus etc. 139
nicht an eine lange sehmale friesartige Form denken, sondern an eine oder
zwei ziemlich gleichseitige Flächen, je nachdem entweder nur die obere Fül-
lung oder beide oberhalb und unterhalb des mittlem Querleistens Darstel-
lungen enthielten. Auch die Correspondenz mit den vom Gebirg herabge-
stürzten Galliern lässt für dieNiobiden grössere Ilöhenausdehnung annehmen
und wohl die Andeutung der Felsen des Gebirges, des Sipylos ödes Kithäron
und dann etwa die Söhne weiter oben , die Töchter unten am Fusse gleichsam
niedergestreckt. Bei zwei Tafeln hätten wir sie dann getrennt zu denken.
Ich erinnere an die Behandlungsweise auf der Marmortafel der homerischen
Apotheose, wo vier Reihen übereinander sich erheben.
Interessant in vieler Beziehung ist die Zusammenstellung mit dem Sturz
der Gallier von den Höhen bei Delphi, jener in das Jahr 279 (Olymp. 125,2)
fallenden, mit reichen Hülferweisungen des Apollo im Glauben des Volkes
ausgestatteten Thatsache1). Da hatten ja ausser der Tapferkeit der Hellenen,
besonders der Athener bei Thermopylä, dann der Delphier, Phokenser und
Aetoler in der Vertheidigung von Delphi selbst gewaltige Naturereignisse
zur Vernichtung der zur Plünderung der Tempelschätze auf Delphi losge-
rückten gallischen Macht unter Brennus mitgewirkt, so Erdbeben, Gewitter,
starke Kälte und Schneefall, Losreissen gewaltiger Felsmassen von Parnass,
endlich ein nächtlicher panischer Schrecken, ein gottverhängter Wahnsinn,
der die Gallier gegen einander trieb. Aber vor allem waren .auch himmlische
Erscheinungen (qxioficcTcc) von gewaltigen Kämpfern zu Hülfe geeilt, nach
der einen Version die drei Heroen Hyperochos, Amadokos oder Laodokos,
Pyrrhos, neben denen wohl auchPhylakos genannt ward. Nach der bei Tro-
gus Pompejus im Auszug erhaltenen, poetisch lebendigen Schilderung hatten
die Priester Apollo als schönen bewaffneten Jüngling in den Tempel her-
unterfahren sehen, Artemis und Athene bewaffnet aus ihren Tempeln ihm
entgegeneilen, hatten das Geklirre der Waffen, das Schwirren der Pfeile ge-
Aen. I. 508 : magno labore et studio templorum fores fiebant, quae quibusdam insignibant
historiis. Bisher übersehen ist die Beschreibung der Thürflügel des Apollotempels im
italischen Cumae, aufweichen Bilder der kretisch-attischen Sage vom Tode desAndrogeos,
von Minotauros und Pasiphae, vom Labyrinth und Ariadne u. a/ in Gold dargestellt waren,
angeblich ein Werk des Daedalos s. Virg. Aen. VI. 14—33. Reliefs in Silber an den Thür-
flügeln des Heliospalastes Ov. Met. II. 1 0 ff.
1) Paus. I. 4, 1 — 5; X. 23, 1 — 9. Bezeichnend die Stellen: xttl 6 &sog atfitg ovx tla
ffoßtio&at, <fvXa£tiv Ji ttvjog IntjyyMtTo r« litvrou ; weiter § 3 : xttl toTg ßctQßttQOtg arTiar-
fiaive ra ix tov Otov rtt%v t( xaX tov l'ofittv <y avspairava, dann nij^ai re ctnoXiofrdvovaai tov
IlaQvaooov fAtyakat xal xgrj^vol xttTitQQtiyvvpevoi oxonbv rohe ßttQßdfjoug e7%ov ; die Athe-
näer melden rar ix tov &eov xaTfiXrjyoTn. Justin, histor. Philipp. XXIV. 6 — 8, bes. 6 :
contra Delphi plus in deo quam in viribus deputantes — resistebant scandentesque Gallos
e summo montis vertice partim saxo partim armis obruebant ; weiter praesentiam dei et
ipsi statim sensere : nam et terrae motu portio montis abrupta Gallorum stravit exercitum
et conferti88imi cunei non sine volneribus hostium dissipati ruebant.
| 40 Zweites Kapitel
hört und die Götter waren Vorkämpfer in der Schlacht. Und auch nicht
einer der gegen Delphi gezogenen Massen sollte schliesslich aus Hellas zu-
rückgekehrt sein. So fassten also die Griechen diese Niederlage der Gallier
durchaus als göttliches Strafgericht von Apollo und den delphischen Gott-
heiten an dem frevelnden Uebermuth vollzogen auf. Wir machten schon
oben auf die Darstellungen an der Südostecke der Akropolis aufmerksam,
wo der Kampf mit den Galliern mit dem Gigantenkampf in Wechselbezie-
hung gesetzt war und wo wir auch die Niobidendarstellung unmittelbar dar-
unter einem und demselben grössern Gedankenkreise unterzuordnen hatten.
Hier an diesen Thüren steht nun Gallier- und Niobidenuntergang sich direkt
gegenüber; waren bei dem einen die Götter selbst vernichtend sichtbar, so
auch bei dem andern Faktum, wenn auch aus der jüngsten Zeit der griechi-
schen Geschichte. Beide Vorgänge erscheinen als furchtbare Apotropaia, als
Mahnungen an den zum Tempel Herantretenden, dass der hier verehrte Gott1)
von vernichtender tödtlicher Macht gegen alle sei, die mit ihm sich messen
wollen, dass der bogenbewafFnete Gott es wrar, der dem Augustus den Welt-
sieg bei Actium verlieh über den auf barbarische Massen (opes barbaricae)
sich stützenden Antonius und über ein stolzes als Göttin sich betrachtendes
Weib, dann erst konnte der Gott die Leier ergreifen, das Symbol der über
die Welt nun von ihm aus sich verbreitenden friedlichen Ordnung.
Sind diese Elfenbeinthürcn erst unter August für diesen Tempel gear-
beitet worden ? Gewiss nicht, schon der Ausdruck des Properz nobile opus
scheint auf ein berühmtes, älteres, weit bekanntes Werk zu gehen. Dann
fragt es sich doch sehr, ob die Wahl des Galliersturzes bei Delphi von Au-
1) Vgl. Preller röm. Mythol. S. 273 ff., besonders die Schilderung bei Proper« El. IV.
6, 27 ff., wo Actius Apollo dem mit der Aegis die Achäer zurückschreckenden (11. XV.
307 ff.) oder die Pestschlange tödtenden Gott verglichen wird; s. a.a.O. 57 f.:
vincit Roma fide Phoebi ; dat femina poenas.
Ebendas. 68 ff. : Actius hinc traxit Phoebus raonumenta, quod ejus
una decem vicit missa sagitta rate«.
Bella satis cecini ; citharam jam poscit Apollo
victor et ad placidos exuit arma choros.
Gleich wichtig ist die Schilderung des Bildes der aktischen Schlacht auf einem Sfchild bei
Virg. Aen. VIII. 625 ff., bes. V. 704 : Actius haec cernens arcum intendebat Apollo. Wenn
hier bei dem in allen Tempeln nach des August dreifachem Triumphe (VII. VIII. Idus Sex-
tiles DCCXXV) gefeierten Fest der Dichter berichtet:
ipse sedens niveo candentis limine Phoebi
dona recognoscit populorum aptatque superbis postibus,
so fragt es sich, ob hierunter der damals noch nicht geweihte Tempel des Palatinischen
Apollo oder der ältere Tempel des Apollo vor der Porta Carmentalis , dessen Beziehung
zu den Triumphen wir auch oben erläutert haben zu verstehen sei. Es ist nicht zu
läugnen, dass die Hervorhebung des niveo limine candentis Phoebi, das superbis postibus
für den neuen eben von Grund aus aus lunensischem Marmor gearbeiteten Tempel des Pa-
latinus spricht.
Berühmte griechische Werke des Niobidenmy thus etc. 141
gustus als Aufgabe fiir den Künstler ausgegangen wäre, ob hier nicht ein
mythisches, allbekanntes Thema neben das der Niobiden gestellt sein würde.
Endlich haben wir überhaupt zu fragen, ob die Hauptwerke, die das Heilig-
thum des Apollo Palatinus schmücken, ältere von Augustus aus Griechen-
land oder andern Stätten griechischer Kunst nach Rom entführt waren und
ob wir weiter für die Oertlichkeiten überhaupt irgend Andeutungen besitzen.
Nun da ist der Apollo Palatinus ein Werk des Skopas, dessen Thätigkeit
ausser auf Hellas selbst auf die Inseln, wie Samothrake, Chryse, auf die klein-
asiatischen Städte, wie Ephesos, Halikarnass, Knidos sich erstreckte, ist die
daneben stehende Latona ein Werk des Praxiteles, dem Ephesos besonders
treffliche Werke verdankte, abgesehen von Knidos, Parion, karischen Städ-
ten, die Diana ein solches des Timotheos, eines Genossen des Skopas bei dem
plastischen Schmucke des Mausoleum zu Halikarnass1), ergänzt durch Avia-
nius Evander, den athenischen Künstler und Restaurator, der mit Antonius
in Alexandrien war und von dort unter August als Gefangener nach Rom
k am2) . Da befinden sich in oder auf dem Giebel die Marmorwerke des Bu-
palos und Athenis, von Augustus versetzt von einer der Inseln Chios, Lesbos,
Delos oder anderer benachbarter, für die jene Künstler gearbeitet. Da stehen
im Tempelhofe die vier Stiere des Myron ; von diesem Meister hatte Anto-
nius, wie wir sehen erwähnten, einen Apollo aus Ephesos entfuhrt, Augustiis
gab ihn zurück infolge einer Traumerscheinung, von demselben hatte Anto-
nius drei Kolosse des Zeus, der Athene, des Herakles aus dem Tempelhof
vom Heraeon in Samos entfuhrt, Augustus gab zwei zurück, und stellte sie
wieder auf, weihte den Zeus aber auf dem Capitol in einem eigenen Baue*).
In Smyrna befand sich ein berühmtes Marmorwerk des Myron4) . Derartige
Stiere von Erz oder selbst edlerem Metall finden wir als Weihgeschenke ver-
schiedener Bedeutung, besonders nach der Befreiung des Landes vom Feind
in grossen Heiligthümern, so im Artemision zu Ephesos die goldenen Kühe
von Kroesos gestiftet, so in Delphi, Olympia, auf der Akropolis Ä) . Wo die
Danaiden und die Reiterstatuen der Aegyptiaden, wenn diese wirklich auch
vorhanden waren, herstammten, wissen wir nicht, aber keinesfalls ist diese
gewaltige, gelöste Gruppe erst für den Tempel gebildet worden ; man hat sie
in Rhodus vorhanden geglaubt. Eine Daktyliothek war von Marcellus, dem
Sohne der Octavia aber dahin geweiht, also vor 732 a. u. c. = 22 v. Chr.,
1) Brunn Gesch. d. gr. Künstler I. S. S. 383.
2) Brunn Gesch. d. gr. Künstler II. S. 547, wo das Verhältniss zu Antonius, zu C.
Aemilius, endlich zu Augustus nicht ganz richtig behandelt scheint.
3) Strabo Vlll. J : wv rgta Mvgtovos tyya xokoootxa ItiQvpiva ln\ fitäs ßdoetus, u yQt
fth *Avx<nvtos avittrixe (fi naliv 6 Ztßaarbs Kaioag eis t^v «wt^v ßdaiv ra Juo t^v *ji&?}var
xa\ tbv 'HqaxXia tof ök Jia eis tö KttneToiltov fitrtjveyxe xaraaxevdaas uvrip vataxor.
4) Plin. XXX VI. 5, 4. § 30.
5) Vgl. Curtius in Archaol. Zeit. 1860. S. 37 ff.
142 Zweites Kapitel.
wie sie in den hellenistischen Reichen Asiens mit so grossem Eifer und Wert-
schätzung gebildet wurden1). Ausdrücklich wissen wir aber, dass das Wun-
derwerk einer ehernen Lampe in der Gestalt eines Apfeltragenden Baumes
von Augustus aus dem Tempel des Apollo zu Kyme in der Aeolis, welche
selbst erst dahin von Alexander dem Grossen aus der Beute von Theben
gestiftet war, entnommen und nach Rom in das Heiligthum des Apollo Pa-
latinus geweiht war2).
Diese letzte Thatsache fuhrt uns mit grosser Wahrscheinlichkeit weiter
zu einer Bestimmung des Ileiligthums, an dem diese Elfenbeinthüren sich
ursprünglich befunden haben. Wir wissen, dass der Apollo Palatinus von
Augustus und von den Dichtern seiner Umgebung durchaus als der speci-
fische Apollo der Trojaner, als der Schutzgott derAeneaden betrachtet ward8),
daher Virgil sogar die Gründung seines Tempels zu einem Versprechen des
Aeneas macht*), dass Augustus von diesem Gesichtspunkte aus die neu ge-
ordneten sibyllinischeu Orakel in den Tempel, ja sogar in zwei vergoldeten
Behältern unter die Statue des Apollo selbst niederlegen liess 5) . Nun aber
ist über Cumae in Italien wie die sibyllinische Orakelsammlung, so damit
zuerst Apollodienst nach Rom gekommen ; das italische Cumae ist aber zu
einem Theil Colonie des äolischen Kyme6) oder doch Schwestercolonie mit
demselben von dem euböischen Kyme und alle seine religiösen Beziehungen
knüpfen an die kleinasiatische Küste am In dem Gebiete des äolischen Kyme
wohnten teukrische Gergithier mit einem Orte Gergithes ; Gergis oder Gergi-
thum am Ida der Stammort hatte aber das uralte Heiligthum des teukrischen
Apollodienstes und der damit verbundenen dort bestatteten Sibylla7). Somit
1) Plin. h. n. XXXVII. 1. 5. § II, dazu Muller Handb. d. Archäol. g 162.
2) Plin. h. n. XXXIV. 3, K. § 141 placuere et lychnuchi pensiles indelubris autarbo-
rum mala ferentium modo lucentes, quäle est in templo Apollini 8 Palatini, quod Alexander
magnus Thebarum expugnatione captum in Cyme dicaverat eidem deo.
3) Vgl. Preller röm. Mythol. S. 273; Marquardt-Becker röm. Alterth. IV. S. 296 ff.
4) Aen. VI. 69 : tum Phoebo et Triviae solido de marmore templum instituam festos-
que dies de nomine Phoebi mit Serv. ad 1. 1. Nicht bedeutungslos ist die Hervorhebung
der Trivia/d. h. Diana, welche als Victrix da verehrt ward.
5) Wenn dies letztere auch erst im J. 12 v. Chr. geschehen ist nach Suet. V. Octav.
31, so ergiebt sich doch aus Virgil (Aen. VI. 72—75) und aus Tibuli (El. II. 5), dass gleich
von Anfang das Heiligthum des Apollo Palatinus die sibyllinischen Bücher in Verwahrung
erhielt.
6) Strabo V. 4, 4 : Kvfiti XaXxtöiiav xal Kvpaltav naXaioxaiov xrto/uct; vgl. dasu die
Stellen bei K. F. Hermann gr. Antiqu. 1. § S2. 31.
7) Strabo VIII. 1: iv öl rrj AafAijjaxfjvj ivapneXog FeQyt&tov tjV #k xal nokii /Y<)-
ytd-a ix rtoy iv ry KvfActUt rfQytiHov vtr yaQ xaxtl noXtg nXtj&vprixöc xal &t}Xvxiüg Uyopivn,
ai r£Q)'i&te — xal vvv fri tiiUvvTCti xonog iv rrj Kv/uatq rtQyC&tov 7iQog AttQlaay. Herod. V.
122: ilXt dk riQytöag xovg vnoXttif&triag rtov aQxaitov T(vxq<5v VII, 42. — 7¥py#$«c Tiv-
xqov*. Steph. Byz. r^Qyig noXig Tootag . . . atp ov FtQytMa XQtjijpoXoyoe ZlßvXXa tjrtg
Berühmte griechische Werke des Niobidenmythus etc. 1 43
war das Apolloheiligthum im Gebiete vom äolischen Kyme oder in der Stadt
selbst eine ArtMutterheiligthum für das Kymäische in Italien und für den
Cult des palatinischen Apollo. Und sehr wohl konnten von dorther die Elfen-
beinthüren nebst jenem Prachtleuchter nach Rom gewandert sein. Kyme
war aber in der Zeit des August die grösste und beste aller äolischen Städte,
reich geschmückt mit Säulenhallen und mit bedeutenden Höfen, aber für ihr
eigenes Interesse nicht eben klug besorgt.
Die Wahl der Darstellungen auf diesen Thüren, deren Fertigung also
jedenfalls nach 279 v. Chr. und natürlich nicht gleich darauffällt, war eine
gerade für ein Apolloheiligthum in Kyme nahe liegende, denken wir nur
einerseits daran, wie der Sipylos selbst und der mythische Schauplatz der
Niobesage, die Gegend von Magnesia am Sipylos den unmittelbaren Hinter-
grund zur kymäischen Küste bildet, nur wenig Stunden entfernt liegt —
und wie die Niobesage auch in der Umgebung des Ida und in den dortigen
Apolloheiligthümern wurzelt, werden wir später noch erweisen. Und andern-
seits waren von den äolischen Städten der Küste in so furchtbarer Weise die
Raubzüge der gallischen, nach Osten 27S v. Chr. übergesetzten Schaaren er-
fahren worden und ihr endliches Zurückdrängen von der Küste in das angrän-
zende Teuthranien und ihre dortige Resiegung durch Attalus I. Eumenes, be-
sonders durch die Schlacht im J. 239 (Ol 135, 2) freudig begrüst1). Auch etwas
später sah Kyme noch ein gallisches Heer drohend sich nahen, aber nur als
Soldtruppen des Attalus2) ; auch da machte es sich durch Eigenmächtigkeit
und Raubsucht den Städten wie dem König selbst gefährlich.
Welch reich ausgebeuteten Stoff diese Gallierschlachten den Künstlern,
Bildhauern und Malern des pergamenischen Reiches gab, wie Pergamon
selbst auf ein grosses Gemälde der Art stolz war, Attalus nach Athen jene
früher besprochene Composition stiftete und zwar in Bezug zu Apollo Par-
nopios und Artemis Leukophryene , ist bekannt, das Erstere zuletzt durch
Brunn gut ins Licht gesetzt worden8). Und wir können nun, indem wir
im Apolloheiligthum im Gebiet von Kyme unsere Elfenbeinthüren zu suchen
xal retvnwtai iv ff) topfapari rcSv re(ryt&{(or ttviy t€ xal ») Z<f(yt (og 4>Xiy(ov iv 'OAiz/i-
utadtav TTQiüTrj • iv tfi r(p itQV rov TtQyi&hv UnoXXtavog ZtßvXXtjg ifttalv (hat rdifov. Vgl.
dazu Klausen Aeneas und die Penaten I. S. 203 ff., über d. Ableitung der Sibylla von Ery-
thrä von der erythräischen am Ida aus Gergis S. 236 f., über Verbindung der cumanischen
Sibylla in Italien mit Gergitha bei Kyme in Aeolis S. 248.
1) Paus. I. 4, 5: raXariov dk oi noXXol vavolv ig rqv *Aolav Staßdvng rd nttQtt-
öalaoöia avTtjg iXefjXdrovv XQ*V(P ^ vartQOv ol JJ(Qyafj.ov fyovTig naha dl Ttv-
&Qavlav xaXou/Lt£%>r]v, ig ravtrjv FaXdrag iXavvovütv ano &aXäaaijg. 1. 8, 2 : (von Attalos 1)
(ifyiotov di ianv ol T(5v ioytov • raXdrtti yaQ ig Hp yfv tjv in xal vvv ixovOir, dvaqvytTr
Tjvdyxaotv ano d-aXdaafjg.
2),Polyb. V. 77 ff.
3) Gesch. d. gr. K. I. S. 442 ff.
144 Zweites Kapitel.
durch die obige Untersuchung gedrängt werden, um so bestimmter der von
ihm ausgesprochenen Yermuthung zustimmen, dass dieselben ein ausgezeich-
netes Werk 'nach Properz ja ein nobile opus) der Pergamenischen Künstler
waren, wahrscheinlich ein solches des als caelator unter den ersten genann-
ten Stratonikos von Kyzikos. Dass der Künstler aber für diesen Schmuck
des Apollotempels nicht eine historische Scene aus den asiatischen Gallier-
schlachten wählte, sondern ein Prototyp für alle folgenden Kämpfe in den
Wunderthaten des Gottes an den Galliern in Delphi, zugleich ein strenges
Gegenbild zum Niobidenuntergange, rechtfertigt sich in sich selbst.
Einen sehr grossen Theil der von Augustus in Rom in Tempeln, inner-
halb der Fora und sonst aufgestellten griechischen Kunstwerke hat derselbe
von Alexandrien aus den unermesslichen dort für Kleopatra aus den grie-
chischen Städten zusammen gehäuften Schätzen nach Rom geführt1), anderes
ist, wie jener Prachtleuchter von ihm selbst auch nach der Schlacht bei Ac-
tium aus den Tempeln wohl als Ehrengabe, auch als Busse für die Partei-
nahme für Antonius entnommen worden. Augustus durchzog aber nach der
Schlacht bei Actium Hellas und nahm dann seinen Winteraufenthalt in Sa-
mos, von wo er dann allerdings bald nach Brundisium ging, aber nach der
Ordnung der italischen Verhältnisse noch im Winter nach Asien zurück-
kehrte2). In Samos sehen wir ihn nach der Rückkehr aus Aegypten von
Neuem seine Winterquartiere nehmen und sein fünftes Consulat antreten8).
Auch noch im J. 22 v. Chr. hatte er im Winter Samos zum Mittelpunkt sei-
ner persönlichen Anordnungen in Asien gemacht4). Von Samos haben wir
ihn uns also auch in Kyme anwesend zu denken, sowie er die Werke des Bu-
palos und Athenis damals von den Inseln nach Rom versetzen liess. Ob
diese Prachtthüren über Alexandrien nach Rom gekommen sind, oder direkt,
wollen wir daher nicht entscheiden.
Ihre Vernichtung fällt jedenfalls mit dem gänzlichen Untergang des pa-
latinischen Tempels durch Brand unter Julian im J. 36 S zusammen, wobei
man nicht einmal die sibyllinischen Bücher retten konnte5).
1) Sehr bezeichnend sind die Worte bei Cass. Dio LI. IT: xQ^paTtt <ft noXla ph tv
Tt$i ßaatltxü (vq^tj • 77«Vr« yttQ tag tlnsTv xal t« ix twv ayiatTdratv Iiqujv uv«&ijp<tT« q
KXtondxQa aviko/iivri auvenlri&vof ra Xatfvoa ro7g Patfialotq av£v rtrog otxtfov avraiv ptd-
OfMtTos* nolka Jl xal nag ixtiarov reo»' ahtad£vT(ov tt ri&Qoio&rj.
2) Sueton. V. Octav. 17 : ab Actio cum Samum in hiberna se reeepisset.
3) Sueton. Y. Octav. 26 : consulatum-quintum in insula Samo iniit.
4) Cass. Dio. LIV. 7.
5) Ammian. Marceil. XXIII. 3.
Sonstige Zeugnisse über Kunstdarstellungen der Niobe. 145
§ 16.
Eückblick. Sonstige Zeugnisse über Ennstdarstellnngen der Niobe.
Ueberblicken wir nun die in den zwei vorhergehenden Abschnitten näher
behandelten Kunstwerke, so ergiebt sich also, dass zwei bedeutende Re-
lief compositionen in Elfenbein und Goldschmuck den Tod der Niobiden
behandelten : ein Werk des Phidias, wenn auch ausgeführt von seinem Ge-
nossen Kolotes, im Zusammenhang der reichen Compositionen am Throne des
olympischen Zeus, aus der Zeit unmittelbar vor 432 v. Chr., ein zweites also
um 200 Jahre später zu setzen, welches die Thüren eines Apollotempels an
der äolischen Küste Kleinasiens , wahrscheinlich in Kyme, seit 28 v. Chr.
die des Apollotempels zu Rom schmückte. Daneben treten dann zwei
statuarische Schöpfungen: die Marmorgruppe des Skopas oder Praxite-
les, also zwischen Ol. 95 und 110 = 400 und 340 v. Chr. etwa geschaffen,
jedenfalls für eine kleinasiatische Tempelstätte', wahrscheinlich für das Sar-
pedonion bei Holmoi oder Seleucia in Cilicien, durch C. Sosius nach Rom
geführt und im Tempelbezirk des Apollo Sosianus, nicht im Innern der Cella
oder im Giebel, sondern in.einer Säulenhalle oder Schola 35 v. Chr. aufge-
stellt. Etwas jünger, um 320 gefertigt ist eine zweite Gruppe, deren Stoff
nicht sicher steht, doch wahrscheinlich auch aus Marmor, aufgestellt in der
Grotte des Apollo über dem Dionysostheater zu Athen, möglicherweise
von Thrasyllos geweiht, in einem Bereiche religiös und mythologisch ver-
wandter Darstellungen befindlich, noch in dem zweiten Jahrhundert n. Chr.
daselbst vorhanden. Wir werden diese vier Compositionen als unter sich
wesentlich verschieden schon nach der architektonischen und tektonischen
Einrahmung betrachten müssen. Zugleich fallen sie alle noch in die Zeit
der immer neu gestaltenden Produktionskraft der Plastik von Phidias bis zur
pergamenischen Schule und sind für weit von einander getrennte Lokale ge*
schaffen worden.
Noch bleiben uns, ehe wir die Reihen der uns erhaltenen Monumente
durchwandern und die ihnen zu Grunde liegenden Compositionen unter sich
vergleichen und in ihrem Verhältniss zu diesen imAlterthum berühm tetf Mei-
sterwerken zu bestimmen suchen, einige verstreute Bezüge zu Niobedarstel-
lungen zur Erwähnung übrig. Dass diese zwei hochbedeutenden Kunst-
werke, die in Rom seit August sich den Beschauern darboten an geheiligter,
ja, was wenigstens den Tempel auf dem Palatin betrifft, viel von Dichtern
betretener Stelle nicht ohne Einfiuss auf die römischen Dichter, besonders
Ovid und Statius geblieben sind, das wird unwillkürlich die frühere Analyse
ihrer Schilderungen ergeben haben ; auf Einzelheiten haben wir später noch
hinzuweisen.
8Urk, Niobe. 10
146 Zweites Kapitel.
Bei Meleager von Gadara1), dem Epigrammatiker am Hofe der letz-
ten Seleukiden, haben wir die Entstehung des oben besprochenen Epigramms
entschieden an den Anblick einer künstlerischen Darstellung in seiner Um-
gebung, in einer hellenistischen Stadt Asiens anzuschliessen. Und zwar ist
hier der Tod der Söhne und der der Töchter als ein geschiedener aufgefasst ;
jener wird vorausgesetzt, wie etwa der schmale obere Fries mit den liegenden
Leichen der Söhne, dieser erfolgt erst in den verschiedensten Situationen bei
den sieben Töchtern. Von der Mutter geht der Dichter aus, zu ihr kehrt er
schliesslich zurück. Ueber ihre künstlerische Motivirung ist nur zu entneh-
men das Lösen der Haarbinde, also ein reiches Herabwallen des Haares,
dann ihr Erstarren im Staunen ; ob sie sitzend, ob stehend dem Dichter vor-
schwebte, darüber hören wir nichts, an das Letztere wird man unter dem
Einflüsse der erhaltenen Statuen zunächst denken. ,, Eine Tochter ist gelehnt
an die Kniee der Mutter, die andere ruht in ihrem Schoosse. Auf dem Erd-
boden ruht die eine bereits, eine andere ist an die Brust gelehnt wohl der
nächstfolgenden Schwester, welche dem kommenden Geschoss eben in das
Auge schaut. Eine sechste duckt sich scheu vor den Pfeilen; eine siebente
schaut noch unversehrt das Tageslicht' ' 2). Wir haben also eine Gruppe der
Mutter mit zwei Kindern : wir haben dann in den fünf anderen eine Reihe
der aufeinanderfolgenden Momente: vom todt auf dem Erdboden Liegen zum
Einsinken, zum Moment des Treffens einer Stehenden, zum scheu, geduckt
Fliehen, endlich zum unversehrten Zustand einer wohl noch mehr ruhig Ge-
stellten. Man wird an ein Relief zu denken eher veranlasst, als an eine Reihe
Statuen ; wenigstens ist Niobe mit zwei Töchtern, ebenso die auf dem Erd-
boden ruhende Tochter bisher nur auf Reliefs nachweisbar. Auch das zweite
Epigramm des Vorgängers und Landsmanns von Meleager, des Antipater
von S don weist auf ein grösseres plastisches Vorbild hin, wie wir schon oben
bemerkten. Die Motivirung der Niobe selbst, „ihr Erheben der Hand zum
Olympos, das Herabwallen ihres göttlichen Haares vom gottlosen Haupt"
tritt in der berühmten Statue und auch auf Sarkophagreliefs uns sichtbar
entgegen. Dann wird Niobe hingewiesen auf die Kinder, zunächst drei Töch-
ter, von denen „die eine ihr nahe in Todeszuckungen ist, die andere im
schwindenden Athem sich anlehnt, über einer dritten das schwere Verhäng-
nis8 drohend hängt", von da weiter auf die bereits im Tode gebettete Schaar
1) S. oben S. 60.
2) Meleag. in Anthol. gr. I. p. 33. n. CXVI1 :
a filv yaQ ficcTQog inl yovrccatv, a cf M xolnoig
xtxkirai ' a d* inl yug « tf ' IntfUHOTidtog,
akXa <f ävjtunbv &außti ßikog, « J' In* oiaroig
nTtooau ' Tßff d* H[A7ti*ow o' u tri q&g way.
Sonstige Zeugnisse über Kunstdarstellungen der Niobe. 147
der Söhne *) . Hier sind die Töchter in nächster Nähe, die Söhne ferner ge-
dacht, die letzten aber bereits hingestreckt im Tode. Dass Antipater, der im
anderen Epigramm ausdrücklich von zweimal sieben Kindern spricht, hier
nur drei Töchter in ihrer Situation andeutet, weil er nur soviel vor sich sah,
halte ich für unbegründet, im Gegentheil wählte er diese drei nur aus als
drei Stufen des Schmerzes und Unterganges. Und wir können recht wohl ein
und dieselbe Composition als für Meleager und Antipater bestimmend anneh-
men, treffen doch wichtige Züge zusammen und sind andere zu vereinigen.
Dagegen gelten die zwei früher bereits erwähnten späten griechischen
Epigramme, von denen das eine von Ausonius übersetzt ist, entschieden einer
berühmten Niobestatue, welche, wenn auch ursprünglich als Glied einer
Gruppe gedacht, doch für sich allein wiederholt sein muss. Kein einziges
specielles Motiv tritt uns dabei heraus ; nur von der vollen Wahrheit der Ge-
stalt der um das Schicksal der Kinder trauernden Mutter ist bei Julianos
Aegyptios die Rede. Der Name Praxiteles haftete nach dem andern Epi-
gramm und Ausonius, also im vierten Jahrhundert n. Chr., an der Niobe-
statue ; wir haben aber kein Recht, hier noch mit Feuerbach2) an eine eigen-
thümliche Schöpfung dieses Meisters, abgesehen von der Niobe in der Gruppe,
über deren Ursprung zu Plinius Zeit das Urtheil bei den Kunstkennern zwi-
schen Skopas und Praxiteles schwankte, zu denken, ebensowenig daraus
für die Entscheidung jener Frage einen Grund zu entnehmen, da ja Praxiteles
für Marmorbüdner ei der generelle Vertreter geworden war.
Eine bisher noch unbeachtet gebliebene Verwendung des Niobidenmy-
thus an einem tektonischen Werke lernen wir aus Statius kennen; der Dich-
ter schildert eine phokensische Kriegsschaar, Umwohner des Parnass und des
oberen Kephissosthales , er nennt sie phöbeische Schlachtreihen und giebt
ihnen apollinische Wahrzeichen, auf der Spitze des Helmes Lorbeerzweige,
an ihren Waffen, hier zunächst Schilden, sindThaten des Apollo angebracht:
die Vernichtung des Tityos, die Befestigung von Delos, die blutige Nieder-
lage der Niobiden, durch des Apollo Geschosse angerichtet8). Es kann hier
1) S. oben S. 62. Monumental wichtig der Anfang:
rinn yvvai TJQog^'Okvfxnov aratdict %tiQa rirevxttg
h'&iov l£ aOtou XQttrbg atfttoa xofiav ; dann :
« piv y«Q nttldtov onaJQei ntXctg, a dk Xtnonvovg
xtxXirat, et dl ßctQvg nor/iog inixg^/inrai.
2) Yatik. Apollo. 2. Aufl. S. 219: „Auch die Niobe des Praxiteles kann nach dem
bekannten Epigramm (Anthol. gr. IV. p. 181. p. 298) zu keiner Gruppe gehört haben und
wahrscheinlich veranlasste eine berühmte Statue dieses Künstlers den Zweifel der römi-
schen Kunstkenner, ob die Gruppe in Rom ihm oder dem Skopas zuzuschreiben sei."
3) Stat. Theb. VI. 351 ff. :
omnibus immixtas cono super aspice lauros
armaque vel Tityon vel Delon habentia vel quas
hie deus innumera laxavit caede pharetras.
10*
148 Zweites Kapitel.
nur an eine aus wenig Figuren bestehende Darstellung gedacht werden, wie
wir sie auf Vasenbildern kennen lernen werden, da nicht etwa ein einzelnes
Meisterwerk mit concentrischen Reihen von Scenen hierbei dem Dichter im
Sinne lag, sondern ausdrücklich dieses neben andern Schildzeichen genannt
wird. Wie dort an den Thiiren des Tempels, haben wir den Mythus hier als
ein mahnendes Apotropaion für alle Gegner der apollinischen Schaar aufzu-
fassen.
Eine Nachricht endlich über die auch noch in der Spätzeit der griechi-
schen römischen Kunst nicht seltene malerische Behandlung des Stoffes
giebt uns der Commentator des Statius, Lactantius Placidus: „auch noch
heute", heisst es da, „wird Niobe so gemalt, den Schooss mit so viel Kindern
erfüllt, indem sie einen jeden mit ihren Händen schützend zu umfassen strebt."
Eine Auffassung, zu der wir bis jetzt noch nicht ganz entsprechende Denk-
mäler aufweisen können ; über zwei in den Schooss der Mutter geflüchtete
Kinder gehen dieselben bisjetzt nicht hinaus. Es erinnert uns jene Auffassung
ganz und gar an gewisse Darstellungen der Maria, die in ihrem Mantel eine
Fülle von Personen schützend birgt. Die ganze Nachricht ist übrigens um so
bemerkenswerther, als wir sonst keine Andeutung besitzen, dass Niobe zum
Gegenstand eines berühmten Gemäldes gedient habe.
§ 17.
Die erhaltenenMonumente: Allgemeines. Vasenbilder und Wandgemälde.
Indem wir uns nun zu der Untersuchung der uns erhaltenen Mo-
numente des Niobemythus wenden, so tritt uns hier, was die Denkmäler-
gattungen betrifft, eine sehr wesentliche Verschiedenheit von den meisen
Heroensagen entgegen. Die statuarische Bildung herrscht in bedeutungs-
vollster Weise vor, mau erkennt, mit welcher Vorliebe berühmte Werke in
ganzen grossen oder kleinen Vereinen, einzeln, ja in den Kopfbildungen im-
mer wieder behandelt sind. Kleinere Uebergangsformen leiten von da zürn
Relief hinüber, so nur vorn ausgearbeitete Statuetten oder eigentliche Haut-
reliefs, bestimmt an einem Hintergrund befestigt zu werden. Daneben nimmt
das Relief unser ganzes Interesse durch die Mannigfaltigkeit seiner Compo-
Lactant ad 1. 1.: ita se devotos Apollini demonstrabant, ut lauro coronati incederent et
maximos ejus actus scutorum adaptarent insignibus. Caede pharetras : Niobe uxor Amphio-
nis cum quatuordeeim peperisset filios septem virilis sexus Septem foeminei, foeeunditatem
partuum suorum Latonae praeposuit, quare commota filios suos Apollinem et Dianam in
ultionem suae instigavit injuriae, cujus Niobes filios quatuordeeim uterque deus eistinxit
sagittiB, pueros Apollo puellas Diana.
1) Ad Stat. Theb. III. 394: innumeris: quia innumera orbitas cinxerat matrem. Ka-
peret terra: illa re raperet, uain hodic quoque Niobe sie pingitur gremium conferta totnatis,
dum unumquemque amplecti manibus affeetat.
Allgemeines. Vasenbilder und Wandgemälde. 149
sitionen in Anspruch und wir haben hier architektonische Friestheile rein
griechischen Geistes und eine Fülle von späteren Sarkophagreliefs grie-
chisch-römischen, etruskischen, spätrömischen Stiles. Unter den geschnitte-
nen Steinen möchte wohl manche Einzelgestalt mehr hierher noch zu be-
ziehen sein. In auffallendster Armuth erscheint dagegen das Gebiet der
Vasenmalereien; dem strengen Stile fehlt bisher eine hierhin gehörige Dar-
stellung ganz und gar, zwei Schalen aus Vulci und Nola vertreten allein das
Gebiet des vollendeten Stiles mit rothen Figuren; am bedeutsamsten ist die
unteritaHsche Malerei in einer grossen Amphora aus Ruvo vertreten.
Auch eine malerische Composition des historischen Stiles ist uns unbe-
kannt; ein pompejanisches Wandgemälde reproducirt in dekorativer Weise
zwei höchst merkwürdige Erzbildungen tektonischer Art mit dem Niobemy-
thus. Ein spätrömisches Columbarium der Villa Pamfili bestätigt endlich die
literarisch, wie wir sehen, bezeugte Verwendung dieses Stoffes in der Ma-
lerei der Spätzeit und zwar in bedeutsamer Zusammenstellung mit anderen
Mythen.
Eines springt dabei unmittelbar in die Augen : die Gräberwelt ist es, in
und für welche die Darstellungen dieses Mythus vor allem verwendet wurden,
mögen wir an die grosse Zahl der reichgeschmückten Sarkophage dabei den-
ken, oder an die Thonreliefs, die die Grabräume umzogen, oder an die Ge-
mälde ihrer Wandflächen oder an die unteritalischen Gefässe mit ihrer Rich-
tung auf Darstellungen der Todtenwelt. Ja, wir können sehr wohl die Frage
hier schon aufwerfen, ob nicht manche der statuarischen Repliken für die
äussere Dekoration grösserer Grabdenkmäler in Nischen oder zwischen den
Säulen bestimmt waren. Andererseits ist die ursprüngliche Beziehung der
grossen statuarischen und Reliefcompositionen auf die Heiligthümer des
Apollo, der Artemis und Lcto so sehr begründet in der Sage selbst, wie histo-
risch bezeugt, dass wir diesen Gesichtspunkt auch für die Spätzeit als einen
wichtigen ansehen müssen. Während bisher die Statuen und unter ihnen
allzulang ausschliesslich die medieeische Gruppe Ausgangs- und Mittelpunkt
aller Betrachtungen bildeten, alle anderen Denkmäler mehr beiläufig zusam-
mengestellt und besonders ihre Abhängigkeit von jener möglichst betont
wurde, hat Welcker, wie wir schon in der Einleitung hervorgehoben, wenn
auch nur anhangsweise imd in mehr zufälliger Reihenfolge doch bereits eine
reiche Uebersicht über dieselben uns gegeben und in den Sarkophagreliefs
gewisse zu Grunde liegende Compositionen mit feinem Sinne geschieden.
Für eine möglichst unbefangene und objektive Behandlung der Kunstdenk-
mäler empfiehlt sich uns jetzt der Weg in aufsteigender Linie von den Zeich-
nungen und Malereien zu den Reliefbildungen, den Uebergangsgattungen
endlich zu der schwierigsten Betrachtung der Statuen in ihrer Einzelerschei-
nung, wie in ihrer möglichen oder wahrscheinlichen Gesammtgruppirung.
Für die letztere ist es besonders wichtig, sich einer Reihe von feststehenden
1 50 Zweites Kapitel.
Compositionen, wenn auch in anderen Denkmälergattungen bewusst gewor-
den zu sein.
Unter den bemalten Gefassen des schönen Stiles zeichnen sich durch
„zierlichste Ausfuhrung und feinste Anmuth" diejenigen aus, deren Male-
reien auf einen weissen Kreidegrund aufgetragen sind !) . Es sind wesentlich
Schalen und Lekythoi, diese bisher nur auf attischem Boden, in Athen, Sa-
lamis, Aegina gefunden, jene auch dort , aber auch in Nola und Vulci ent-
deckt. Zu solchen Schalen gehören die zwei bisher einzigen Beispiele der
Niobidendarstellung auf rein griechischen Gefassen und wir können Athen
auch für sie nach ihrer besonderen Gattung als Fabrikort annehmen, wenn
sie auch in Vulci und Nola gefunden sind. Die eine ist zuerst von Raoul
Rochette 2) , als sie in den Besitz von Durand gleich nach ihrer Entdeckung
in einem Grabe von Vulci gelangte, ausführlich beschrieben worden; de
Witte fuhrt sie im Katalog des Cabinet Durand uuter Nummer 19 an3), sie
kam dann in den Besitz von Raoul Rochette ; wo sie jetzt sich befindet, ist
unbekannt. Welcker besprach sie kurz nach eigne? Anschauung4) und
rühmt die vorzügliche Schönheit der rothen Figuren. Auf dem Boden der
Schale befindet sich eine, uns zunächst nicht berührende Darstellung, ein
Ephebe, welcher von der ihr gegenüberstehenden Athene einen unbestimm-
baren Gegenstand, einen Stein empfängt, in der Linken eine dreihenklige
Hydria hält. Der erhaltene Theil der Aufschrift erweist ihn als Kadmos,
der zur Dirkequelle sich begiebt.
Die Niobidensage ist auf den zwei krummen äussern Seitenflächen der
Kylix in zwei Gruppen von je vier Figuren dargestellt. In der einen istApol-
lon von der Rückseite sichtbar, wie er nackt bis auf ein über den linken
Arm geworfenes Himation, die langen, welligen, über die Schultern herab-
1} O. Jahn Einleitung zur Beschreibung d. Vasensammlung König Ludwigs p. CXC1V.
2) Monuments in6dits. Addit. p. 42$.
3) Cabinet Durand, Paris 1S3G. p. 9 : N. 19. — F. 103. Peint. r. — Vulci — Ext. La
mortdesNiobides. Apollon, AI 10 A AHN ^ la chlamyde sur le bras gauche, le carquois sus-
pendu ä son flanc, d6coche des fleches contre deuxNiobides, un garcon et une fille. La
jeune fille est vötue d'une tunique talaire et d'un peplus qu'elle releve de la main droite ;
sa t£te est ornee d'une Stephane; eile se retouvre vers Apollon. L' ephebe s'enfuit en
regardant en arriere ; sa lyre est tombee ä ses pieds, une chlamyde couvre son bras gauche.
En arriere d' Apollon est un palmier, arbre qui lui est consacre, et une seconde Nio-
bide, v£tue comme la premiere, qui s'61oigne rapidement. En arriere de Diane est un
second Niobide, dont la chlamyde enveloppe le bras gauche; ü s'enfuit en retournant la
tdte vers le Heu du carnage.
Int. Minerve, debout; donne ä C a d m u s KAdM . . . une pierre pour combattre le
dragon de la fontaine de Dirce.
4) Alte Denkm. S. 300. Leider bin ich auf eine briefliche Anfrage an Herrn de Witte
über diese Schale und das andere Gefass, ihre jetzigen Besitzer und einige unsichere Punkte
ohne Antwort geblieben.
Allgemeines. Vasenbilder und Wandgemälde. 151
wallenden Haare durch ein einfaches Band zusammenhaltend, den Köcher
am schräg von der Schulter zur Seite gehenden Bande tragend im Begriffe
steht, gegen eine junge Niobide einen Pfeil abzusenden, welche sich eilig,
den Kopf nach dem Gotte umwendend, die Hand an den Peplos gelegt,
fortbewegt. Vor ihr voraus sucht sich entsetzt ein Jüngling zu retten, indem
er eine Leier mit vier Saiten auf den Boden sinken lässt. Auf der andern
Seite des Gottes erhebt sich eine Palme, hinter welcher eine reife weibliche
Gestalt, von Raoul Rochette für Niobe gehalten, richtiger wohl als Tochter
von de Witte gefasst, von diesem Schauplatz der Vernichtung eilig mit einer
Handbewegung lebhaften Schmerzes und Entsetzens entfernt ; sie hat einen
langen ionischen Chiton und eine Kopfbinde schmückt das Haupt.
Die zweite ganz entsprechende Gruppe hat ihren Schwerpunkt in Ar-
temis, welche einen Pfeil gegen eine junge Niobide absendet. Ueber
einen langen ionischen Chiton trägt sie den Peplos charakteristisch in einen
Knoten verschlungen in der Mitte des Körpers. Der Köcher ist an der lin-
ken Schulter befestigt. Das Gesicht ist im Profil zu sehen. Die bedrohte
Niobetochter flieht vor der Göttin, die eine Hand an das Haupt hinter gelegt
als ein Zeichen der Verzweiflung, mit der andern Hand hebt sie den untern
Theil ihres Chiton, um die Flucht zu beschleunigen. Die beiden Endpunkte
bilden zwei junge Söhne, die bestürzt in verschiedenen Bewegungen «ich zu
retten suchen.
Ueber die zweite Kylix sind wir nur kurz durch de Witte unterrichtet.
Sie ward 1828 in Nola gefunden, befand sich in der Sammlung des Prinzen
von Canino und wo jetzt, ist mir unbekannt !) .
Auch auf ihr sind zwei Gruppen gebildet, aber nur aus zwei Personen
bestehend : Apollon ist einer Niobide gegenübergestellt, Artemis angeblich
dem Pädagogen. Ob dies in der That eine Niobidendarstellung ist, erscheint
darnach sehr zweifelhaft.
Wir haben auf einige nicht unwichtige Punkte bei der erstem Darstel-
lung aufmerksam zu machen. Zunächst ist es schon die Sparsamkeit, mit
der die Kunst des reingriechischen schönen Stiles einige wenige Figuren aus
einem reichen Ganzen hervorhebt, besonders wo raumliche Verhältnisse die-
ses empfehlen, diese Figuren mit den sparsamen Nebendingen so bedeutungs-
voll und sprechend gestaltet, so dass doch ein Eindruck eines gewaltigen
1) Mus6e de Monsieur M. p. 9. No. 9. — F. 29 (Cylix). R. — Les coupes ä fond blanc,
a figures destinees au trait, sont de la plus grande raret6. Celle-ci fut decouverte ä Nole
en 182S. Dans le Musee du prince de Canino, il existe plusieurs de ces coupes, j'en ai vu
quatre, toutes in6dites. Une d'entre est d'une dimension extraordinaire, ä peu pres comme
la c&ebre coupe de Geryon. Elle reprlsente le combat d' A c h i 1 1 e contre Penthesilee;
quatre figures composent ce tableau, qui est du dessin le plus grandiose. La seconde de
ces coupes represente Apollon et un Niobide; aupres sont Diane et le P6dagogue.
La troisieme montre Acamas et Ethra etc.
152 Zweites Kapitel.
Vorganges dabei erreicht wird. Die Gottheiten erscheinen selbst, beide
gleichzeitig wirkend. Um sie herum sind ja die Niobiden gruppirt und zwar
drei »Sohne und drei Töchter, nicht die Geschlechter geschieden, sondern
hier ein Sohn und zwei Töchter, dort zwei Söhne und eine Tochter. Ist die
Zahl sechs auch nicht literarisch bezeugt, so erscheint sie doch als Hälfte
von der alten, viel berichteten Zahl zwölf leicht verstündlich. Den Göttern
selbst ist zunächst je eine Tochter gegenübergestellt. Die Vernichtung er-
folgt sichtlich gleichzeitig von Söhnen und Töchtern und zwar auf demselben
Schauplatz. Dieser ist angedeutet durch eine Palme, also im Freien und in
einem dem ionischen Apollo angehörigen Bezirke, nicht etwa in Delphi. Die
Palme von Delos ist allbekannt !) ; bei ihr und mit ihrer Unterstützung ist
Apollo geboren ; die Beziehung zu Leto ist mit ihr gegeben, die Palme er-
scheint daher auch specifisch neben Leto auf Vasenbildern2). Und so hat die
Palme einen treffenden Sinn neben dem die Mutter rächenden Gott. Inte-
ressant ist endlich die viersaitige Leier, welche einer der Niobiden fallen
lässt; also nicht auf der Jagd, nicht im Wettkampfe des Gymnasiums, son-
dern in dem heiteren, festlichen Spiel, wo Kithara und Tanz sich vereinen,
tritt die Vernichtung ein. Die musikalische Beziehung haben wir im ersten
Theil als der Niobesage eigenthümlich kennen gelernt; die mythologische
Betrachtung wird uns dieselbe, die nicht von Apollo, sondern von Hermes
stammende Kitharistik des Amphion, des Gemahles der Niobe in ein bedeut-
sames Licht stellen.
In ganz anderem Geiste und mit einem weit reicheren Aufwände äusse-
rer Mittel ist der Untergang der Niobiden auf einem grossen Krater Unter-
italiens, Apuliens aas 11 u v o , in der Sammlung Jatta früher wenigstens be-
findlich behandelt3). Derselbe zeigt an den zwei Henkeln plastischen
Schmuck in Maske und Schwanenhals. Malereien bedecken den Hals, den
Hauptkörper und den Fuss. An jenen correspondiren ein Amazonenkampf
und eine bakchische Scene sacraler Art, wrobei zwei Satyrn mit Fackeln und
Eimergefässen erscheinen. Die Darstellungen des Hauptkörpers des Gefas-
ses bestehen in der Niobidenscene und auf der andern Seite in einer sepul-
cralen Darstellung : in einem Heroon steht der geehrte Todte, ein Krieger
mit Ross, in den Händen Skyphos und Speer; rings um das Heroon sind
vier darbringende Gestalten verthcilt, zwei männliche und zwei weibliche.
Am Fuss zieht sich eine Badescene, so scheint es, herum.
1) Hom. Od. VI. 163.
2) Vgl. meine mytholog. Parallelen in Ber. d. K. S. Ges. d. W. hist.-philol. Kl. 1856.
Hft. 1. S. 82.
3( Zuerst publicirt Bullettino napoletano 1S43. I. Taf. 2. p. 111 — 1 16. Einzelne Scenen
herausgenommen auf Taf. 3 bei Gerhard drei Vorlesungen. Besprochen Arch. Zeit. II.
S. 22$— 231, dann von Welcker in Alt. Denkm. I. S. 201—204, erwähnt bei O.Jahn Ein-
leit. in Vasensamml. König Ludwigs p. XL1II. CCXXIV. Vgl. unsere Tafel II.
Allgemeines. Vasenbilder und Wandgemälde. 153
Das Niobidenbild zerfallt wesentlich in drei Reihen, so jedoch, dass zwi-
schen den zwei unteren Reihen Mittelglieder sich finden, während die oberste
als scenisches Theologeion ganz abgesondert ist. Hier thronen als theilneh«
mende Zuschauer Hera in der Mitte, rechts forden Beschauer Aphrodite,
links Ath ene. Diese sind selbst zu Göttern, die Uoten- oder Beglciterrollen
spielen, irgend in Beziehung gesetzt. Zu Athene spricht, das eine Bein hoch
auf Felsstück gesetzt, die Götterbotin Iris, Hera sieht sich als Mittel- und
Hauptgestalt von zwei jugendlichen männlichen Gestalten umgeben, vor ihr
steht in anmuthiger Bequemlichkeit Hermes, mit seinem Heroldsstab wie
leicht spielend, ihr den Rücken kehrend sitzt, aber doch zu ihr den Kopf in
sprechender Gebehrde umkehrend, Ares. Aphroditens Genosse ist der an
der Stirn gehörnte Pan mit Pedum und Syrinx, während von der andern
Seite ein Eros herbeigeeilt ist, aus einem Balsamar Wohlgerüche auf sie zu
träufeln. Zwei Sterne über Aphrodite und Pan weisen auf astrale Bedeutung
hin, etwa Morgen- und Abendstern, oder Sonne und Mond. Ihre Verbin-
dung ist eine auf unteritalischen Vasen besonders häufige f) . Das ist auf den
ersten Blick klar, wir haben hier keine Götter apollinischen Charakters vor
uns, auch Athene hat, wo sie nicht ausdrücklich als Pronoia in den Kreis der
letoischen Gottheiten gezogen ist, zunächst keine innere oder Cultusverbin-
dung mit ihnen. Dagegen sind es schützende Mächte der Tantaliden; Hera
ist die eigentliche Schutzgöttin der Pelopidcn, auch als Hera Kithäronia dem
Schauplatz der thebanischen Katastrophe nahe gestellt, Hermes der Geleiter
des Pelops, mit Myrtilos geradezu identisch, ebenso nahe zu Amphion ge-
stellt2), Aphrodite hat zu den in Schönheit und Fülle blühenden kleinasiati-
schen Fürstenhäusern als idäische Mutter nahe Beziehungen, als Tochter der
Dione ist sie Niobe schwesterlich nahe gestellt, der plastische Charakter der
Niobe ruht mit zu einem guten Theilc auf dem der Aphrodite, Athena hat als
Hygiea8), als Berecynthia4) eine besondere Cultusheimath im lydischen Her-
mosthal und ihre Flötenmusik, die ihr dort eigenthümlich ist, wird ja gerade
in der Niobidensage als nach Hellas verpflanzt dargestellt. Ares ist zu Tmo-
los, dem Berggott als Vater in nächster Beziehung gesetzt5) und Tmolos wird
nach einer Wendung der Sage Vater des Tantalos genannt6). Und zu glei-
cher Zeit haben wir in Ares den heimathlichen Gott Thebens und Thebens
Mauern, sonst das Werk des Amphion, sind speeifisch ein reixog'jiQUOv, The-
bens Boden ist ein nidov^Aqeiov1) .
1) O.Jahn Vasensamml. p. CCXXXIV.
2) Hom. 11. II. 103. 104; Arch. Zeit. 1853. n. 53.
3) Gerhard gr. Mythoi. I. g 250, 10.
4) Acta Mart. ed. Ruinart. 1713. p. 342.
5) Gerhard gr. Mythoi. I. § 348, 7.
6) Nicol. Damasc. bei Müller Frgmta histor. III. p. 367, 17.
7) Hom. IL IV. 407 ; Aesch. Sept. c. Theb. 292 ; Stat. Theb. I. 680.
] 54 Zweites Kapitel.
Während die Götterboten den oben thronenden, dem Hause der Niobe
und des Amphion wohlgesinnten Göttern Kunde von der gewaltigen Kata-
strophe bringen, ja mit ihnen über etwaige eingreifende Botschaft zu be-
rathen scheinen, vollzieht sich unter ihnen bereits das furchtbare Werk des
strafenden Zornes der Letoiden. Apollo bildet in der oberen Reihe den
Mittelpunkt, ja sein Viergespann nimmt fast die Mitte der zwei Reihen ein.
Auf einem mit mondförmigen Zierrathen geschmückten, mit leicht geschwun-
genen Lehnen versehenen Wagen eilt er von links für den Beschauer und zu-
gleich wie von hinten nach vorn mehr hervor. Die Rosse mit hohem Haar-
schopf gekrönt, je zwei rechts und links von der Deichsel sprengen heran,
werden aber gezügelt. Apollo selbst, nackt, nur mit wehender Chlamys und
dem schräg überlaufenden Köcherband, an dem der geschlossene Köcher sich
befindet, angethan, hält in der gehobenen Linken Bogen und Pfeile; die
Rechte, halb gehoben, zeigt noch die eben vollendete Bewegung des Ab-
schnellens. Das fast ganz von vorn gesehene Gesicht ist von hohem, in Locken
zugleich auf die Schulter herabfallenden Haarschmuck umgeben ; ein strah-
lenförmiger Blätterkranz durchzieht das Haupthaar. Vor dem Viergespann
fliehen drei Gestalten ; zunächst hinter den Rossen hervor eilend in weitem
Ausschreiten der älteste Niobide; er greift mit der rechten Hand, wie
sich deckend, nach dein flachen Hut, der linke Arm ist ausgestreckt zur
nächsten männlichen Hülfe, dem Pädagogen, aber schon ist seine Brust vom
Pfeil durchbohrt und sein zu Apollo sich zurückwendendes Gesicht zeigt
Entsetzen und beginnenden Schmerz. Um den linken Oberarm geschlagen
flattert die Chlamys gerade nach hinten hinaus in reiche Falten ; die Füsse
sind nackt. Der Pädagog ist hinlänglich charakterisirt durch den alten
Kopf mit Glatze, wenig Haaren und Bart, durch das langärmelige, kurze,
anschliessende Untergewand, mit Quergürtel, den nach hinten herabfallen-
den Mantel mit Knopf, die tiefe Mütze, die hoch hinauf kreuzweise gegür-
teten Stiefel. Der Kopf wendet sich rückwärts und aufwärts, ausschauend
nach der vernichtenden Macht, die Arme sind ausgestreckt nach entgegen-
gesetzten Richtungen, die Linke dabei offen gehoben. Auf seinen linken
Arm sinkt sich stützend der rechte Arm eines zweiten Sohnes. Das linke
Bein ist bereits in die Kniee gesunken, das rechte schleift wie ermattend
nach, das jugendliche, lockige Haupt senkt sich bereits nach der linken
Schulter, denn gerade vorn in der Brust steckt der tödtliche Pfeil. Der Kör-
per ist ganz entblösst, nur um den linken Arm leicht ein Gewand geschlun-
gen. Den Schluss macht nach dieser Seite ein Baum, aber kein Lorbeer,
am Erdboden zeigen sich Pflanzen. Etwas höher ist eine tiefe, im Innern
mit Buckel versehene Schale angebracht, tiefer liegt ein Ausgussgefäss, ein
Prochus.
An einer Brüdergruppe ist Apollo bereits vorbeigeeilt. Aehnlich in
das linke Knie gesunken, wie der eben besprochene sucht sich der eine der
N Allgemeines. Vasenbilder und Wandgemälde. 155
Zwei mit der gehobenen Rechten den Pfeil aus der Stirn zu ziehen, während
ein zweiter Pfeil ihm bereits im Kücken steckt. Der linke Ann tastet wie sich
zu stützen nach dem Erdboden. Der Kopf ist mehr hinter gesunken, das Ge-
sicht aufwärts gerichtet. Dabei auch nur ein um den Arm flatterndes shawl-
artiges Gewand und ein Hut. Herbei ist von der linken Seite ein etwas
älterer Bruder geeilt, durch Jagdstiefel und oben zusammengeknöpften,
flatternden Mantel dem Pädagogen auch äusserlich genähert, wie er eine ent-
sprechende Thätigkeit ausübt. Mit beiden Armen sucht er den Bruder zu
umfassen, kaum gewahr werdend des auch in seine Brust gesenkten Pfeiles.
Auch hier bildet eine hingeworfene Schale den Schluss der Scene. Den
Uebergang zur untersten Reihe bildet ein auf der linken Seite des apollini-
schen Gespannes tiefer angeordneter fünfter Niobide: kauernd sitzt er
auf der Hacke des rechten Beines, während das linke noch mehr gestreckt
und fest aufgestemmt ist. Die rechte Hand legt sich schmerzvoll an die
Brust, die linke ist schräg nach unten gesenkt. Zwei Pfeile haben ihn in
Brust und einen Arm getroffen. Der Kopf ist schmerzvoll halb zurückge-
wendet. Das Gewand um linken Arm und Knie geschlungen, der Hut auch
angedeutet.
Wir gehen von ihm unmittelbar zum unteren Schauplatz des Untergan-
ges. Lauter weibliche Gestalten begegnen uns hier. Von der rechten Seite
her kommt Artemis auf einem von einem Paar gefleckten Dammhirsch-
kühen gezogenen Wagen geeilt; sie steht frei auf dem wie der apollinische
gezierten Wagensitze, ganz streng in Profil gezeichnet, die Linke hält den Bo-
gen gespannt und noch zwei Pfeile, die Rechte zieht die Sehne an. Ein wollener
Chiton mit Gürtel undAermeln, eineChlamys mit geziertem Rande bekleidet
sie, das Haar ist hoch in einen Schopf gebunden. Weiter links hat sich eine
Gruppe um die Mutter gebildet, an die zwei Töchter sich flüchtend
schmiegen. Dass jene Gestalt Niobe selbst sei, ergiebt die Breite und ma-
tronale Natur derselben, ein langes weites Gewand mit Streifen wallt bis zu
den Füssen ohne Gürtel herab, darüber geht bis zu den Knieen ein doppel-
tes Obergewand. Der Ueberwurf flattert mit langen Zipfeln zur Seite. Auch
ein reicher Halsschmuck fehlt nicht, ebensowenig Schuhe. Der Kopf ist
mehr zurück und schmerzvoll geneigt, hat aber kein lang herabwallendes
Haar. Mit ihrem linken Arm sucht sie eine herbeieilende Tochter zu stü-
tzen, sie hebt die linke Hand geöffnet hoch zum Himmel. In ihre Arme eilt
eine Tochter, wohl die älteste, mit der einen Hand beschäftigt einen Pfeil
sich aus dem Auge zu ziehen, mit der andern nach der Brust fassend, doch
bereits hat ein neuer Pfeil sie im Leib getroffen. Ein kurzärmliger Chiton,
gegürtet, mit breiten, vorn herablaufenden Streifen, ein hoch in Bogen ge-
führter Ueberwurf, Armspangen und Schuhe bilden ihre Bekleidung. Von
der rechten Seite flieht eine jüngere Tochter, die bereits in die Knie
gesunken ist, das andere Bein langsam nachschleppend mit gehobenen
1 56 Zweites Kapitel.
Händen zur Mutter. Der Pfeil hat sie in den Rücken getroffen. Das ge-
schmückte Haar fällt nach hinten herab, Halsschmuck, langer Chiton,
Schuhe, flatterndes Himation gehören ihr weiter an. Weiter nach links als
diese Gruppe schliesst die Reihe eine dritte Tochter, ebenfalls in die
Kniee gesunken, die Linke hoch hebend, wie flehend, rufend, die Rechte
zum Kopf wie um zu schützen hebend, denn zwei Pfeile kommen von vorn,
der dritte folgt ihnen nach. Das weite, ungegürtete Gewand lässt den jugend-
lichen Körper durchschimmern. Hals und Arm sind geschmückt, auch das
Haupthaar. An dem andern Ende dieser Reihe zeigen sich Gefässe am Erd-
boden, eine Hydria und ein weites Becken mit schlangenartigen Henkeln.
Im Rückblick auf die ganze Darstellung werden wir zunächst die Loka-
lität hervorzuheben haben. Sie ist für Söhne und für Töchter, obgleich sie
getrennt getödtet werden, wesentlich dieselbe, nicht der Palast, noch Renn-
bahn, noch auch ein Waldgebirge, aber ein offenes, grasiges, wrohl auch mit
einzelnen Bäumen besetztes Gefilde, und was vor allem wichtig ist, die ent-
schiedensten Beziehungen zum Wasser, zum Schöpfen, zum Ausgiessen, zum
Trinken, zum Forttragen im Becken. Dass die Niobiden beim Bade über-
rascht werden, meint Avellino mit Unrecht, dafür ist durchaus keine Andeu-
tung, im Gegenthcil spricht die reichgeschmückte Kleidung der Töchter da-
gegen, würde auch nicht in alter Sitte und Anstand liegen. Wohl haben wir
sie uns aber im heiteren Spiel an einem schattigen, kühlen, wasserreichen Ort,
nahe einer Quelle zu denken, wo es anGefässen zumGcnusse derselben, auch
zum Forttragen des Wassers, dieser Beschäftigung edler Jungfrauen nicht fehlt.
Bei den Knaben, die an einem Berghange höher hinauf gestiegen sind, ist
der Pädagog Begleiter gewesen, unter den Mädchen mehr im Thale erscheint
die Mutter wenigstens auf den Hülferuf. Zwischen sie hinein sind die rächen-
den Gottheiten auf ihren Gespannen gejagt, ihre Pfeile treffen Schuss auf
Schuss und zwar mehrere Ein Ziel; Apollo hat seine letzten Pfeile eben ent-
sandt, Artemis ist im Begriff, noch zu schiessen.
Bemerkenswerth ist die völlige Scheidung der Geschlechter : hier Apollo,
der Pädagog, Söhne der Niobe, dort Artemis, Niobe, Töchter, während wir
auf der zuerst betrachteten Vase ein Ineinandergreifen, eine wohlabgewogene
Verbindung beider Geschlechter kennen lernten. Die Zahl der Söhne ist
fünf, die der Töchter drei, doch ist mit Recht von Welcker hervorgehoben,
dass diese Zahl wesentlich durch die Gränze der Räumlichkeit im Verhält-
niss zur Composition hervorgerufen ist, indem entschieden die mittlere Reihe
gegen die unterste hervortritt und auch grösseren Platz wegnimmt. Die
Götter treten nicht einfach unter ihren Schlachtopfern auf, mit ihren ge-
schmückten Gespannen in reicher Tracht erscheinen sie, auch dadurch als
überwältigende Macht sich zeigend. Das ganze Kostüm der Gestalten ist
reich und wirksam für das Auge behandelt. Die langen Chitone mit Diploi-
dien, die flatternden Himatien, der Schmuck des Kopfes, Halses, der Arme
Allgemeines. Vasenbilder und Wandgemälde. 157
bei der Mutter und den Töchtern, die schützenden Hüte, die Chlamyden bei
den Söhnen, die Fussbekleidung, wenigstens bei einem, die vollständige Klei-
dung des Pädagogen. Endlich finden wir drei bedeutsame Gruppen : Päda-
gog und zwei Söhne, ein Brüderpaar, die Mutter und zwei zu ihr flüchtende
Töchter. Nicht ist es der Vater, welcher hier schützend dazwischen tritt,
sondern der Begleiter der Knaben bei ihren Hebungen und Spielen ; dagegen
die Mutter und nicht eine Wärterin umfängt die Töchter. Von besonderer
Wirkung ist die Gruppe des den Bruder umfangenden Bruders. Nur ein
Sohn und eine Tochter sind vereinzelt, ohne Hülfleistung. In der That ab-
gesehen von dem menschlichen mildernden Interesse künstlerisch höchst
wirksame Motive , um in dem grausen Vorgang die Einförmigkeit des Ge-
gensatzes göttlicher Uebermacht und rettungslos verlorener Jugendschöne
durch das herrlichste Widerspiel aufopfernder Liebe und zwar in den ver-
schiedenen Verhältnissen zu überwinden ! Dass ohne die tragische Durchbil-
dung, besonders die eines Sophokles, ja wohl auch ohne den allerdings nicht
unmittelbar anzunehmenden Einfluss berühmter attischer plastischer Kunst-
werke der Zeichner des Vasenbildes nicht zu dieser Behandlung des Gegen-
standes gelangt wäre, liegt auf der Hand.
Nähert sich nur die apulische und lukanische und die ihr sonst entspre-
chende hellenistische Vasenmalerei, aus deren Bereich wir soeben eine grössere
Niobedarstellung kennen lernten, dem engeren Begriffe der Malerei, während
die vorausgehenden Gattungen wesentlich als dichrome Zeichnungen aufzu-
fassen sind, so fallen die zwei uns hier interessirenden Denkmäler aus Her-
culanum und Pompeji auch wesentlich unter den Begriff der dichromen,
ja selbst der monochromen Zeichnung. Das eine gehört zu den höchst wich-
tigen und anziehenden Zeichnungen mit rother, wahrscheinlich Zinnober-
farbe auf Marmortafeln, von denen vier bereits 1747 in Herculanum, das
fünfte 1637 aufgefunden worden sind1). Das andere ist ein Paar sich ent-
sprechender Pfeilermalereien in einem Peristyl der Casa di Questore oder di
Castore ePolluce zu Pompeji 1828/29 aufgedeckt, welches in goldgelber Farbe
auf hellem Grunde uns zwei Dreifusse mit den Niobiden als daran und davor
befindlichem plastischen Schmucke wiedergiebt.
Der Zeichner hat es nicht verschmäht, sich als Alexandros von Athen
auf jener Zeichnung zu bekennen2) und zugleich die fünf weiblichen Gestal-
1) Vgl. O. Jahn Archäol. Beitr. S. 393. Herausgegeben zuerst in Antichitä di Erco-
lano I. t. 1, dann oft wiederholt, z. B. Roux u. Barre Herculanum und Pompeji 11. t. 17,
Miliin G. M. t. 13S. n. 515 ; Panofka Bild. ant. Leb. Taf. XIX. 7. Neu publicirt von Mi-
nervini in Museo Borbonico XV. 1S5G. t. 4S.
2) C. 1. n. 5SG3 : AAE^ANJPOZ
A&HNAIQZ
ErPA<i>EN.
Dazu Brunn Gesch. d. gr. Künstl. IL S. 30G.
1 58 Zweites Kapitel.
ten der anmuthigen Gruppen mit Namen zu bezeichnen, wodurch für uns
eine sichere Beziehung derselben gegeben ist. Die Schriftzüge, sowie der
Gebrauch des Imperfectums weisen uns in den Anfang der römischen Kaiser-
zeit ; die späteste Gränze ist uns durch den Fundort mit der Zeit des Titus
gegeben. In dem Künstler lernen wir auch einen Athenienser kennen, wie
eine Reihe derselben für Rom in derselben Zeit thätig waren.
In wesentlich gleichem jugendlichen Alter sind alle fünf uns vorgeführt,
nur die als L e t o bezeichnete, ganz en face erscheinende trägt vollere, brei-
tere Formen. Sie ist eben im Wegschreiten begriffen und doch noch anhal-
tend, die Arme unter der Brust übereinander legend, da zwei, Niobe und
Phoibe, mit lebendiger Bewegung, besonders die letztere, zu ihr sich wen-
den, Niobe die rechte Hand ihr in die Rechte legend, auch mit der Linken
nach ihr strebend, Phoibe eilig Niobe fast vorschiebend, über Niobes Schulter
hin auf Leto weisend. Vor ihnen sind noch zwei Genossinnen, Aglai a und
Hileaira, auf der Erde halb knieend kauernd, ganz beschäftigt mit dem
Astragalenspiel, dem neiTaki&iteiv, die eine im Begriff mit der Rückseite
der Hand die Knöchel in die Höhe zu werfen, zwei sind im Fallen begriffen,
drei liegen auf der Erde, während die andere, den Daumen auf den einen an
der Erde liegenden Knöchel legend, aufmerksam zuschaut. Sie sind alle im
langen ionischen Chiton mit kurzen Aermeln , dem Himation — das der
Leto hat Fransen — in verschiedener Haarbehandlung. Leto hat allein ein
in den Nacken herabfallendes Haar, sonst einfach gewellt und aus dem Ge-
sicht zurückgenommen, ein Blätterschmuck,* aber nicht näher bestimmbar
zieht sich durch. Das Haar der Leto ist am Einfachsten behandelt, hinten
hinaufgebunden, an dem der Phoibe und Hileaira zeigen sich breite Bänder,
das der Aglaia ist in ein Tuch eingebunden.
Das ist klar, es ist in eine Vereinigung freundschaftlicher Art, in das
naive Spiel der Jugend1) eine tiefeingreifende Bewegung eingetreten. In
Letos Gesicht und ganzer Haltung prägt sich ein gewisser trüber Ernst, ein
Sinnen und Anhalten etwa bei beginnender Entfremdung aus, während Niobe
sich freundlich nähert, die Hand zur Vereinigung zu bieten, Phoibe dies be-
eilt. Man kann nicht daran denken, hier den Moment zu suchen, wo das
stolze Wort Niobes gegen Leto im Hinblick auf die Fülle ihrer Kinder ge-
fallen, wie es ungereimt ist in den Astragalenspielerinnen Töchter der Niobe
zu sehen, wie dies jüngst noch Minervini gethan. Nein, wir werden ent-
schieden in die Zeiten versetzt, wo Leto und Niobe sich liebe Genossinnen
waren, um mit Sappho zu reden, ein Verhältniss, das wir noch bei den spä-
ten Rhetoren herausgehoben sehen2]. Es ist aber über diese Freundschaft
ein erster Wolkenschtten hinweggeeilt, er geht vorüber, aber doch deutet er
1) Welcker A. D. I. S. 248. Anm.
2) S. oben S. 76.
Allgemeines. Vasenbilder und Wandgemälde. ] 59
auf die Möglichkeit gänzlicher Trennung hin. Von trefflichster Wirkung ist
dabei die volle Naivetat des Spieles der beiden Jungfrauen im Vordergrund,
gegenüber dem dahinter hervortretenden JSrnst nachhaltiger Gemüthsbewe-
gungen.
Was ist das Verhältniss der drei andern Freundinnen Phoibe, Hile-
aira, Aglaia zu Leto und Niobe.' Es sind dies göttliche Gestalten, so gut
wie Leto, wie Niobe selbst uns als Göttin von Sophokles bezeichnet wird,
aber Göttinnen, die zu Heroinnen gleichsam verflüchtigt sind. Unter den
beiden ersten können wir Niemand anders verstehen, als jene in Sparta in
einem Heiligthum hochgeehrten Leukippiden, die Töchter des Apollon und
der Philodike nach den Kyprien, die von den Dioskuren durch Entführung
gewonnenen Gattinnen f) . Sie gehören in denselben mythologischen Kreis
als Helena undLeda, hiess doch auch eine Tochter der letztern Phoibe 2) , war
das Ei der Leda in dem Heiligthum der Leukippiden zu Sparta aufgehängt,
war ihr Heiligthum mit dem der Aphrodite benachbart. Als Leukippiden
gehören sie auf die messenische Seite des Taygetos nach Thalamai und Leuk-
tra3) . Ihre Beziehung zum Licht ist durch die Namen Phoibe, die Strahlende
(Strahlen und Haar sind zusammengehörige Begriffe] und Hilaeira, die freund-
liche Helle (von tkaQog, als Bezeichnung der Tageshelle gekannt)4), durch ihren
Vater Leukippos oder Apollon, durch ihre Bewerber, durch ihre priesterliche
Stellung zu Athene und Artemis5) hinlänglich gesichert. Der Name der dritten
Gestalt Aglaia ist uns als der einer Charis bekannt im Dreiverein der Cha~
riten zu Orchomenos zuerst fixirt, speciell als die dem Hephästos zur Gat-
tin gegebene6). Auch in ihr ist der Bezug zum Glanz der äusseren Er-
scheinung unverkennbar. Wir haben also drei Wesen, die dem Kreise der
Lichtgottheiten angehören, aber auf der andern Seite mit Aphrodite in naher
Beziehung stehen, die auf dem Boden der lelegischen, d. h. der Insel- und der
Küstenbevölkerung erwachsen sind. Ihre Genossenschaft wird uns daher
neben Leto und Niobe als eine nicht willkürliche erscheinen, um so weniger,
1) Paus. III. 16, lj Theokr. 22, 137; Lycophr. 546 ; Schol. II. III. 243; Ov. Fast.
V. 699; Hygin. fab. SO; Mythogr. Vat. I. 77, dazu Gerhard gr. Mythogr. § 476, 2; 638;
Preller gr. Mythol. II. S. 65 ff. ; Müller Handb. d. Arch. S. 705; Bursian in Ar eh. Zeit.
1852. n. 40. 41 ; Zannoni in Oaler. r. di Firenza Ser. IV. t. I. p. 22.
2) Eurip. Iphig. Aul. 49. 50.
3) Paus. III. 26, 2. 3.
4) Arist. Ran. 455. Auch der Name Elera auf der Midiasvase weist auf Zkrj, «ft^,
d. h. tf tov ijlfov avyri Hesych. s. v. llda.
5) Hygin. fab. SO, dazu Gerhard über die Midiasvase in Abhandl. d. Acad. d. W. 1839.
S. 300.
6) Hes. Theog. 945. Vgl. Gerhard gr. Mythol. § 379, 2. 381, 1. 395, 2; Preller gr.
Mythol. I. S. 276 ff. Auch eine der Thespiaden hiess Aglaia (Apoll. II. 7. 8), ebenso auf
der Insel Syme, die Gemahlin des Charopos, die Mutter des schönen Nireus (II. II. 676).
160 Zweites Kapitel.
als uns auch im mythologischen Theile eine lokale Beziehung von Pelops
und Niobe zu Thalamai, der Heimathstätte der Leukippiden sich ergeben
wird1).
Das eben betrachtete Bild ist uns ein erfreulicher Beweis, wie wenig der
Mythus auch noch in der Nachblüthe der griechischen Kunst zu einer blossen
Schablone erstarrt war, um gewisse tragische Gedanken immer wieder und
wieder für das Publikum auszudrücken, wie in ihm auch noch andere, einst
in der Poesie von den Lyrikern angeschlagene Töne fortklingen und sich
farbig verkörpern. Wir nähern uns dabei dem edleren Genrebilde, in dem
Stimmungen ernster Art mild durchtönen, die subjectives Entgegenkommen
in dem Beschauer voraussetzen.
In völliger Verschiedenheit davon nimmt die pompejanische Darstel-
lung unser Interesse in Anspruch. Das Haus des Quästors oder der Dios-
kuren gehört zu den in der Architektur und dem malerischen Schmuck reichst
ausgestatteten Privathäusern Pompejis, so weit sein Boden uns eröffnet ist2).
Es hat ausser dem Atrium zwei Peristyle nach zwei Richtungen und beson-
ders das eine dem Atrium parallel liegende, welches uns zunächst interessirt,
ist durch farbige Säulen, Bassin mit Springbrunnen, Garten, Malereien, durch
glückliche Prospekte in andere Räume besonders ausgestattet. Die Wände
des Atriums, sowie der Zugänge von da zu diesem Peristyl zeigen treffliche
Einzelfiguren von Gottheiten; zwei entscheidende Scenen aus dem Leben
des Achill entsprechen sich als grosse Bilder in dem einen tablinum, wie auch
noch kleinere andere dem Achill gelten. Phaedra und Hippolytos ist ein
Hauptbild des andern Peristyls. Venus und Adonis, vielleicht Hector und
Paris schmücken ein kleineres Zimmer.
Die bedeutendsten Bilder an den vier starken Eckpfeilern der Säulenhalle
unseres Peristyls sind sichtlich berechnet von dem prächtig mit Marmortafeln
geschmückten Triclinium aus gesehen zu werden, daher sind die zwei Niobi-
denbilder an der nach dem offenen Garten- und Wasserraum gerichteten
8) Zur Yergleichung haben wir die Darstellung der Midiasvase heranzuziehen, auf
welcher die MH<iEA, für die Jason als ^PiXoxj^Trjg bei Aietes wirbt, umgeben ist von zwei
jungfräulichen Gestalten NWÜH und BAEPA\ jene erscheint in ärmellosem Chiton mit
Diploidion, hohem Stirnband und oyeröortj. Der NameNiope ist gegen die Zweifel vonPyl
(Arch. Zeit. 1S5G. S. 101) durch die genaue Untersuchung der Vase von Conze (Arch. Zeit.
1S5S. S. 129 f.) vollständig gesichert. Weder die Conjecturen wie NIK II oder XAAKlOltH
in Böckh C. J. IV. n. 84S7, noch die Lesart NIOBH (de Witte Ran. de philol. II. p. 487 ff.)
sind zunächst zulässig, sondern nur die Frage über die Form Nionrj neben Ntoßrj, die wei-
ter unten bei der etymologischeu Betrachtung überhaupt zu behandeln ist. Dass wir die
Identität zugegeben nicht gleich eine mythische Sonderüberlieferung über Niobe bei Medea
zu suchen haben, sondern nur das Erscheinen dieses Namens neben Elera und Medea ge-
rade zu constatiren, das liegt auf der Hand. Die Abbildung s. bei Gerhard a. a. O. Taf. 2.
1) Gell Pompejana II. p. 14 ff.; 143 ff.; pl. 64— 78; Overbeck Pompeji S. 230— 235.
Allgemeines. Vasenbilder und Wandgemälde. 161
Seite dei Pfeiler gemalt. Dem Triclinium zunächst entsprechen sich zwei
tragische Scenen : Medea mit dem Schwerte Tod brütend neben ihren spie-
lenden Kindern und Andromeda durch Perseus befreit ; in weitere Ferne ist
dann die Uoppelscene des Untergangs der Niobiden gerückt. Sie ist selbst
erst durch das Medium der Plastik gegangen. Wir sehen zwei sich genau
entsprechende Dreifusse in grossen Verhältnissen ; korinthische Pfeiler tra-
gen den oberen Ring und den darin hängenden reich cannelirten Kessel.
Diese tragenden Pfeiler sind zweifach übereinander durch runde, mit Blätter-
schmuck gezierte Stäbe ((jctßdoi) und vielleicht auch horizontale Platten ver-
bunden. Auf diesen befinden sich nur je zwei Figuren und ausserdem sind je
drei Figuren symmetrisch vor den Dreifuss auch in entsprechender Rundung
gestellt.
Töchter und Söhne, je sieben also sind getrennt an den beiden Drei-
fussen im Moment, wo sie den Pfeilen der unsichtbaren Gottheiten erliegen,
in einander entsprechenden Situationen dargestellt. Und zwrar entsprechen
sich an jedem Dreifuss die schräg übereinander gestellten Figuren in wohl-
berechneter Weise, also eins und vier, zwei und drei, so dass also auch hier
das künstlerische Princip des Chiasmus beobachtet ist. Im Vergleiche der
zwei Reihen unter einander aber ist das Grundmotiv umgetauscht, so dass
also eins und vier der Söhne zwei und drei der Töchter entsprechen und
umgekehrt dort zwei und drei, hier eins und vier. Knieend auf einem Fuss
und zwar abwechselnd auf dem rechten und auf dem linken mit vorgewandter
Stellung erscheinen je zwei, je zwei dagegen in beide Kniee gesunken. Von
den je drei vor den Dreifuss gestellten Figuren ist die eine in die Knie ge-
sunken, die andere steht, die dritte schreitet weit aus, auch hier mit bewuss-
tem Wechsel in den beiden Gruppen. Die Arme sind in mannigfaltiger Be-
wegung, doch nicht ohne symmetrische Berechnung ; auf dem Knie ruhend,
auf die Brust gelegt, in die Seite gestützt, schräg ausgestreckt, im Entsetzen
oder auch mit Zeichen der Abwehr auf den Kopf gehoben, zum Theil be-
schäftigt einen Pfeil auszuziehen, die Wunde zuzuhalten, den Pfeil zu senken.
In einzelnen Köpfen und deren Wendung herrscht schmerzvoller Ausdruck.
Die Gewandmotive zeigen grosse Freiheit, starke Bewegung , ja wirkliche
Grossartigkeit, die Körper sind dabei möglichst entblösst, auch bei den Töch-
tern ist der Chiton bis zur Weichengegend fast durchgängig herabgesunken.
Die Chlamys der Knaben flattert frei meist von einem der Schenkel aus, auch
von der Schulter, oder ist wohl einmal auch schützend übergehalten, bei den
Töchtern flattert das Himation meist vom Arme ab. Das Haar der Töchter
ist verschieden behandelt, bei drei flattert es frei. In dem Alter der Söhne
und Töchter ist mannigfache Nüancirung und nicht absiohtslos das jüngste
Glied in beiden Darstellungen in die Mitte vor den Dreifuss gestellt.
Diese ganze Composition als einen Einfall des pompejanischen Dekora-
tionsmalers zu betrachten, sind wir durch nichts berechtigt, im Gegentheil
Stark, Niobe. H
162 Zweites Kapitel.
widerspricht dem der für die mythologischen Bilder von Pompeji immer mehr
geführte Nachweis, dass sie freie Nachbildungen ausgezeichneter und be-
kannter Originale waren. Hier haben wir an eine malerische Nachbildung
zweier bedeutender Bronzewerke zu denken. Mit richtigem Gefühl bilden
dieselben den fernen Hintergrund für die Beschauer aus dem Triclinium,
während wirkliche Gemälde, Medea und Andromeda in den Vordergrund
gesetzt sind. Dass diese tragischen Stoffe nicht so ganz zufällig sich hier zu-
sammenfinden, besonders Medeas beabsichtigter Kindermord und dort der
Untergang der Kinder durch die masslose Liebe der Niobe liegt auf der
Hand, doch wollen wir auch nicht zu viel dahinter suchen.
Apollinische Dreifüsse erscheinen häufig geschmückt im Zwischenraum
der Füsse mit dem heiligen Lorbeer des Gottes , mit seinem Köcher und
Bogen, mit seiner Kithara, mit der Schlange, die als unterworfene Erd-
macht sich gehorsam nun dem Symbole des Gottes fügt1), mit dem Raben,
dem Delphin. Es ist weiter bekannt, wie die ältere Kirnst unmittelbar vor
Phidias mit menschlichen Gestalten diese Zwischenräume füllte2), die
wohl auch als Träger noch oben , wie jene persischen Krieger im Olym-
pieion zu Athen benutzt wurden8). So sind also auch hier an dem apollini-
schen Symbol als schreckendes Siegeszeichen die Wirkungen der Geschosse
an den Niobiden dargestellt, wie eine Münze von Kroton ihn durch den Drei-
fuss auf die Pythoschlange schiessend zeigt4;. Nicht ohne Bedeutung ist
gerade hier die Siebenzahl der Opfer, als die apollinische angebracht.
Künstlerisch bleibt uns die ganze Composition von bedeutendem In-
teresse ; wir sehen , wie frei mit der Anordnung übereinander und zugleich
innerhalb und vor einem tek tonischen Gegenstand verfahren wird, wie wohlbe-
rechnet nur knieende Gestalten in den engen Raum zwischen die Stäbe des Drei-
fusses gesetzt sind, die stehenden davor sich befinden, wie ferner alles für den
Anblick von vorn bestimmt ist, die dritte Seite des Dreifusses als an eine Wand
gerückt zu denken ist. Allerdings Fingerzeige, bei erhaltenen Gliedern von
Niobegruppcn nicht bei verschiedener Höhe und Vernachlässigung der Hin-
terseite immer an Giebelaufstellung zu denken. Nach unser n frühem Dar-
legungen dürfen wir diese Compositionen nicht etwa auf den Dreifuss des
Aischraios über dem dionysischen Theater zurückfuhren ; schon das wider-
spricht auch, dass wir hier zwei Dreifüsse, die zusammengehören, vor uns
1) Vgl. den marmornen Dreifuss aus dem Vatikan in Musee Napoleon IV. t. 13; für
die Ausschmückung der Dreifüsse jetzt E. Curtius in Gott, gelehrt. Anz. 23. Dcb. 1861.
S. 364. 377.
2) So die Dreifüsse des Gitiadas und Kallon in Sparta, die jüngeren von Aristandros
und Polyklet (Paus. III. 18), vielleicht auch die Dreifüsse der Tripodenstrasse in Athen
(Paus. I. 20, 1).
3) Paus. I. 18, 8.
4) Müller- Wieseler D. A. X. II. t. 13. n. 145.
Allgemeines. Vasenbilder und Wandgemälde. 1 63
sehen, dort aber ausdrücklich nur von Einem Dreifuss die Rede ist. Aber
wir sind in der That um eine griechisch-plastische und zwar Erzcomposition
der Niobiden bereichert, wobei, was wohl zu beachten ist, die Gottheiten
Apollo und Artemis nicht selbst erscheinen f) .
Auch aus der dritten Klasse malerischer Werke, welche aus dem Alter-
thum uns erhalten sind, aus der Klasse der Grabgemälde kennen wir jetzt
eine auf die Niobiden bezügliche Darstellung. Zeitlich schliesst sie auch
sehr gut als die jüngste, der Spätzeit der römischen Kunst angehörige , die
Reihe der von uns behandelten Bilder. Im Bereiche der Villa PamfHi auf
dem Janiculus bei Rom, in der Umgebung der via Aurelia, welche überhaupt
eine reiche Fundgrube von Gräbern, Sarkophagen, Gefässen etc. seit langer
Zeit gewesen ist, wurde im J. 1838 ein Columbarium entdeckt mit Inschrif-
ten von Freigelassenen, darunter auch einem marmorarius subaedanus. Die
Wände des Grabgemaches , in welches eine Treppe hinabführt , sind mit
flüchtigen, eine späte Zeit verrathenden Gemälden bedeckt, die in ihrer Ge-
sammtheit nach den für König Ludwig gleich* Anfangs genommenen, in den
vereinigten Sammlungen zu München befindlichen Copieen von O. Jahn her-
ausgegeben und zum grössten Theil erklärt sind2) ; einzelne bildeten jüngst
den Ausgang zu Bachofens weitschichtiger Gräbersymbolik der Alten. Es
begegnen uns da Dirke mit Amphion und Zethos, Herakles und Kentaur,
Odysseus und sein Hund Argos, Endymion, Oknos mit dem Esel, Pygmäen
und noch einige mythisch schwer zu deutende Scenen ; also Bilder der Strafe
des Frevels, der Heimkehr, des Schlafes. Gleich links vom Eingang finden
sich in ununterbrochener Folge die Niobiden scene und die Befreiung des
Prometheus durch Herakles gemalt.
Die Niobidenscene besteht aus sechs Figuren, aus den zwei Gottheiten,
zwei Söhnen, zwei T öchtern oder Mutter und Tochter. Auf einer über einen
Bergrücken sich erhebenden Felskuppe sitzt Apollo in einem um den Unter-
körper geschlagenen Gewände, in der Rechten Bogen und Pfeil. Zu ihm
eilt eine Gestalt in kurz und doppeltgeschürztem Chiton und Fussbekleidung,
1) Wir wollen hier eine Vermuthung von Feuerbach nicht ganz übergehen, welcher
unter den Gemälden in den Titusthermen, die 1786 in freilich wenig zuverlässigen Kupfer-
stichen von Mirri herausgegeben wurden, eines auf die Niobiden bezog und zwar in der
Weise, dass eine Mutter den ihr zuhörenden Knaben auf eine Niobidenstatue und zwar
einen in das linke Knie gesunkenen, das Haupt nach oben gerichteten, den Arm vorhal-
tenden Jüngling aufmerksam mache und dabei die tragische Geschichte erzähle. Ein
sehr moderner aus unserem Familienbildungskreise stammender Gedanke, dem es an aller
Analogie in den griechischen Kunstwerken fehlen möchte! Vgl. Vatikan. Apollo S. 220.
Anm. 4.
2J Besprochen Bullett. 1S3S. p. 4; 1*>39. p. 3S ff. ; Beschreib. Roms III. 3. p. 633 f.;
edirt vonO. Jahn inAbhdl. d.Münch. Akadem. d. W. philos.-philol. Kl. VII. 8. 231—284
mit Tafeln. S. unsere Tafel XI. 2.
11*
1 54 Zweites Kapitel.
als Artemis darnach zu bestimmen. Ob sie etwas meldet, ob sie zur raschen
Vollstreckung der Rache treibt/ Weiter zur Linken vor jener Berghöhe auf
ebenem Boden ist ein Niobide, eine reife Jünglingsgestalt mit hochflattern-
der, um den Hals befestigter Ohlamys in eiliger, vorwärtsgewendeter Bewe-
gung zu sehen, noch trägt er den Jagdspeer in der Linken, die Rechte ist
beschäftigt, den Pfeil aus der Brust zu ziehen ; ein Blutstrom stürzt zur Erde
nieder. Vor ihm ist ein jüngerer Bruder auf den Leib zur Erde gestreckt ;
ein gefiederter Pfeil hat ihn von hinten in den Rücken getroffen und ihn
ganz durchbohrt. An ihm ist auffallenderweise, oder unter ihm, nach den
Abbildungen wenigstens, kein Gewand zu finden. Weiter rechts ist die
«nger geschlossene Gruppe der zwei weiblichen Gestalten : die eine, Niobe
selbst oder eine erwachsene Tochter, in ihrer Grösse allerdings bedeutend
hervorragend, was für die Mutter mehr spricht, in langem, ärmellosem Chiton,
das Himation schützend mit dem linken gehobenen Ann ausbreitend, fasst eine
vorwärts sich neigende Mädchengestalt, mit einknickenden Knieen, etwas
gesenktem Kopf, welche den linken Arm noch nach der Seite, woher das
Verderben kommt, streckt, stützend an der rechten Hand. Das Haupt der
Schützenden ist mehr auf- und seitwärts gewendet nach der Seite der schies-
senden Gottheiten, was der Mutter mehr als einer Tochter zukommt. Ob-
gleich endlich der Parallelismus im Bilde eher für drei Geschwisterpaare
sprechen könnte, so ist doch zu beachten, dass nie von vier Kindern, wohl
aber mehrfach von drei Kindern der Niobe gesprochen wrurde, wie ja drei
neben fünf und sieben sich als Grundzahl uns früher für die Niobiden erge-
ben hat.
Unmittelbar an diesen Vorgang schliesst sich im Bilde ein anderer, auch
ein Absenden der Pfeile, aber ein erlösendes und heilendes. Athene in voller
Rüstung mit dem Gorgonenhaupt auf dem Schild weist den gewaltigen, nack-
ten Bogenschützen Herakles , der das rechte Knie auf einen Fels gebogen
hat, auf das Zielpunkt für den Pfeil, den er abzuschiessen im Begriff steht.
Es ist jenseits eines Baumes, der hier gleichsam eine Zwischengruppe ersetzt,
Prometheus, der mit den ausgebreiteten Armen an das Felsgebirge geschmie-
dete, eine immer noch in dem hochgehobenen einen Bein Trotz oder doch
Selbstgefühl verrathende Gestalt ; ein Geier ist dabei, ihm in die Seite zu hacken
und Blutstropfen rinnen herab. Ein höchst bedeutsamer Contrast in der Ver-
bindung dieser beiden Scenen! Dort Jugend, ja wohl Schönheit, wenn die
Kunst des Malers ausgereicht hätte, bei den Göttern wie ihren Opfern, hier
reife Männlichkeit, ja mehr als das, Kraftanstrengung in Herakles, langer
Schmerz, Mangel jeglicher äusserer Fürsorge ausgeprägt in dem Dulder.
Dort eine heftig antreibende göttliche Genossin, hier eine überlegene, den
Pfeil richtiglenkende weibliche Macht. Dort Tod und Vernichtung brin-
gende Pfeile und Zeichen des dagegen sich erhebenden bitteni Schmerzge-
fühls, Versuch dagegen Schutz zu leisten, hier der ersehnte Sender der Pfeile,
Die Niobidenreliefs. 165
die den Peiniger vernichten, Begrüssen desselben mit der gehobenen Linken
von Seiten des Gefesselten. Wie Apollo und Herakles in der griechischen
Kunst und dem von ihr ausgeprägten Mythus in so bedeutungsvollem Gegen-
satz und darin gerade mit innerer Gleichartigkeit stehen, so werden wir un-
willkürlich zur Gegenüberstellung von Niobe und Prometheus geführt, als
Urbilder des Weibes und Mannes in ihrem Streben und Dulden. Hier stehen
sie zusammen wie furchtbare Katastrophe und wie Katharsis einer Tragödie ;
jene bricht in die Jugendschöne des Menschen ein , diese erlöst im Alter von
herbem Leid und versöhnt Mensch und Gottheit, Gedanken, an die wir im
mythologischen Theile wieder anzuknüpfen haben. Hier bieten sie der
künstlerischen Betrachtung sich einfach dar. Wohl aber werden wir fühlen,
dass nicht der Maler des dritten Jahrhunderts n. Chr. etwa zuerst auf eine
solche Zusammenstellung gekommen ist.
§ is.
Die Niobidenreliefs.
Im Ausgange des Winters 1S4S ward in einem der Sääle des schon da-
mals erstaunenswerth reichen Museums des Cavaliere Campana, im Monte di
pietä zu Born ein Relief von nicht unbedeutender Ausdehnung1) und guter
Erhaltung, allerdings wohl mit den Spuren der neuen Ueberarbeitung, auf-
gestellt, welches die lebhafte Bewunderung aller derer, die es zu sehen be-
kamen, erregte, aber von dem Besitzer wie ein seltener Schatz fast geheim-
nissvoll gehütet ward. Mir selbst war es damals, wo ich Monate lang in die-
ser Sammlung täglich arbeitete, mit unter den ersten vergönnt, mich seines
Anblicks zu erfreuen.
Es konnte kein Zweifel sein, dass man eine Niobidendarstellung vor sich
hatte , mit neuen und höchst wirksamen Motiven und zugleich mit einer
Breite derComposition und einem Flusse der Ausführung, wie sie nur Fries-
reliefe der rein griechischen Kunst zeigen. Schon damals ward in dem Bul-
lettino des archäologischen Institutes eine kürzere Notiz davon gegeben, in-
dem ein Gypsabguss dem Institute vorgelegt wurde, im Jahre 18 50 eine
zweite, beide voll warmen Lobes und mit dem Hinweis auf die volle Bedeut-
samkeit2). Später sollen von dem begeisterten Verkünder dieses Lobes, dem
verewigten Emil Braun Zweifel hie und da mündlich an dem so hohen Kunst-
werth, ja vielleicht auch an der Aechtheit geäussert sein. Es war dies in
einer Zeit, wo er von den griechischen Werken in England, speciell den
1) Leider bedaure ich, keine durchgängig genauen Maasse hier geben zu können ; die
Höhe betragt über 1 % Par. Fuss, die Lange an 6 Par. Fuss, genauer lf80 Meter.
2) Bullettino 1848. p. 88, danach Archäol. Zeit. 1848. S. 89; dann Bullettino 1850.
p. 82, auch Welcker alte Denkm. 1. S. 314 und O. Jahn in der oben erwähnten Abhand-
lung der Münchner Akademieschriften d. philos.-pilol. Kl. V11I. S. 239. Zuerst publicirt
auf unserer Tafel III.
1 (56 Zweites Kapitel.
Funden Newtons in Kleinasien, welche jetzt erst einer unbefangenen Prüfung
unterworfen werden können, ganz eingenommen, ganz erfüllt dem von ihm
früher auf römischem Jioden Hochgestellten gegenüber leicht eine hyperkri-
tische Stellung einnahm.
An der Aechtheit aber hat in den ersten Jahren Niemand gezweifelt und
ich hoffe, unsere Nachbildung nach einer mir von dem Besitzer selbst noch
durch die Ycrmittelung E. Hrauns freundlich vergönnten Photographie und
das nähere Eingehen auf dieselbe, das hier zum ersten Male versucht wird,
wird erweisen, dass wir mit der Annahme einer Fälschung zugleich einen
modernen Künstler annehmen müssten, der nicht allein in dem antiken Rc-
licfstil und zwar unter fortgesetzten Studien nicht sowohl der Werke in Rom
als in England und Hellas selbst sich wunderbar hineingelebt, sondern der
auch eine seltene Kenntniss der antiken Motive und die Begabung noch herr-
liche dazu zu erfinden bewährt habe, der endlich in einer Zeit, wo die antike
Kunst aus dem Kunsthandel und dem Bereiche der Kunstliebhaberei sich
fast verdrängt sieht, seinen guten Namen hinter eine antike Anonymität zu
verstecken den Einfall hätte. Das hiesse erst ein Räthsel schaffen, wo uns
die griechische Kunstwelt die befriedigendsten Analogien zu der Erkenntnis*
des Kunstobjektes giebt. Auch in dem grossen Katalog der Campanaschen
Sammlung, welcher vor dem Verkauf derselben erschien, ist das Werk auch
nicht allein in Classe VII Scultura greco-romana unter N. 307 aufgeführt,
sondern auch in dem Eingang unter allen Reliefs als das bedeutendste, dem
nur noch zwei nahekommen, besonders das kolossale Sarkophagrelief mit dem
Mythus von Phaedra und Hippolytus, als ein Werk aus der Schule des Phi-
dias bezeichnet worden1). Gewiss auch ein Beweis, dass kein äusserer Grund
vorlag an der Authenticität zu zweifeln.
Ueber die Herkunft verlautete früher nur, dass das Relief aus Venedig,
aus einem dortigen Palaste stamme und in der Zeit der Unruhen von 1848
von dort unter der Hand verkauft sei. Es stimmt dies auch durchaus mit
dem acht griechischen Charakter desselben zusammen, wissen wir ja, wie
1) Die wichtigsten Worte lauten p. 4 : due fra queste hanno l'impronta della scuola
di Fidia e per eccellenza di Stile non sono secondi a veruna antica opera in bassorilievo di
greco acalpello che sia giunta fino a noi. 11 primo ha per argomento i Niobidi colpiti dallc
saette di Diana e d* Apollo. Nuova ne apparisce la composizione essendoche tal soggetto
scorgesi in tutt' altro modo rappresentato in parecchie sculture dei romani sareofagi, il cui
stile piega alla decadenza, come ai bassirilievi del museo Lateranese trovati nella vigna Lo-
zano in Roma. Un frammento, che per molto si pregia nella villa Albani e che pote esser
copia del nostro originale, dal cui merito non poco si allontana, e il solo bravo di scultura,
che faccia ricordo di uno de' gruppi di questo, la cui eseeuzione apparisce ben degna del su-
blime acalpello dei grandi artisti di Grecia. Unter n. 3 1 7 heisst es : bassoriiievo, che servi
di fregio a qualche antico monumento o edicola rappresentante la catastrofe dei figli di
Niobe. Wunderlicherweise wird das Werk zweimal als in den Schriften des archäologi-
schen Instituts publicirt bezeichnet.
Die Niobidenreliefs. ]Q7
viel treffliche Reliefs gerade aus dem Peloponiies und von den griechischen
Inseln nach Venedig in die Häuser der dortigen Herren gewandert sind und
oft genug verschollen. Ich brauche blos an die einstigen Sammlungen Nani,
Grimani, Contarini, Giustiniani zu erinnern.
Das verhängniss volle Schicksal, welches über den in seiner Leidenschaft
für die antike Kunst , wie in seinem Sammler- und Finderglück so hoch
ausgezeichneten Begründer des Museo Campana eingebrochen ist, hat auch
nun dies Kunstwerk seiner Wiedergeburtstätte in Rom entfuhrt und zwar in
die Kaiserliche Sammlung in Petersburg. Wie man von russischer Seite den
Werth desselben auffasst, ergeben die begeisterten Worte Guädeonoffs1),
deren Kenntniss ich Gerhard verdanke: ,,la description est impuissante ä
vendre la supreme beaute de cette oeuvre, qui saisit Tarne et la remue pro-
fondement, sans jamais s'ecarter de cette noble reserve qui distingue le goüt
hellenique ä la belle epoque de l'art — c'est un poeme en marbre dont les
motifs fönt penser ä Raphael, l'execution ä Scopas ou Praxitele."
Wenden wir uns nun zu dem Werke selbst. Die tektonische Ge-
stalt des Reliefs als langgedehnte, einfache Platte, ohne Hebung der Rän-
der oben und unten, wie sie die Sarkophagreliefs durchgängig zeigen, ohne
jegliches weitere bekrönende oder unten abschliessende Glied, legt entschie-
den seine Bestimmung als Friesplatte dar, um so zwischen die fein entwickel-
ten Glieder des Gebälkes eines höchst wahrscheinlich ionischen Tempelbaues
eingeschoben zu werden, oder dessen innere Vorderfläche, oder den massiven
Untersatz, den nvQyog, welcher einen Grabtempel trug, zu schmücken2). Die
Composition der neun darauf befindlichen Gestalten weist auf eine Fort-
setzung hin, also auf den Anschluss folgender Platten auf beiden Seiten.
Das Relief zeigt verschiedene unterhöhlte Theile, nähert sich also darin
dem Hautrelief, wie wir dies z. B. an den Darstellungen der Balustrade un-
ter dem Tempel der Nike Apteros, in noch stärkerem Masse am Fries von
Phigalia, oder den Reliefs von Budrun kennen lernen. Der Marmor ist ein
griechischer mit dem tiefen, goldigen an das Röthliche fast atistreifenden
Ton, der den parischen und pentelischen Marmor so entschieden von dem
lunensischen oder carrarischen unterscheidet. Hoben wir oben die Breite
der Composition hervor, so wollten wir damit jene Darstellungsweise charak-
terisiren, welche die einzelnen Gestalten möglichst aus einander hält, nicht
1) Notice sur les objets d'art de la galerie Campana. Paris 1861. p. 90. No. 3. Wenn
ebendaselbst angegeben wird, das Relief sei aus Athen nach Venedig in der Zeit der Siege
Francesco Morosinis gebracht worden, also gleichzeitig mit den Löwen des Arsenals, dem
Weberschen Kopf, so scheint dies eher Vermuthung als sichere Nachricht zu sein. Wir er*
fahren wenigstens auch nicht, in welchem Palast in Venedig das Relief versteckt war.
2) Die Verfasser des Katalogs der Sammlung Campana p. 317 sagen: bassorilievo che
servi di fregio a quaiche antico mounmento o edicola rappresentante la catastrofe dei figli
di' Niobe.
|68 Zweites Kapitel.
in Vorder- und Hintergrund häuft, welche dieselben möglichst in einer Flä-
chenentwickelung zeigt und nicht unruhig die Linien in und gegeneinander
laufen lässt. Ebenso wird der Fluss der Ausfuhrung, dessen wir gedachten,
in der Linienführung des Körpers, der Gewandung, in dem in dem Einzel-
nen, wie im Ganzen sich offenbarenden Rhythmus zu Tage treten.
Wir sehen neun Gestalten vor uns, vier jugendlich männliche, fünf
jugendlieh weibliche, davon zweimal je zwei zu einer Gruppe eng verbunden.
Ein felsiger Hoden ist bei allen einzelnen Figuren für ihre Motivirung von
wesentlicher Bedeutung. Indem wir von der Linken zur Rechten allmälig
fortschreiten, begegnet uns zuerst eine Gruppe: eine ältere Tochter, ganz
im Profil gebildet, nach der für den Beschauer linken Seite gerichtet um-
fasst den rücklings in ihre Anne an ihre Brust sinkenden Bruder. Sie hat
selbst das linke Knie, wie um zu stützen, etwas gebogen ; über den langen
Chiton fallt ihr das Himation von der Schulter in reichen Falten hinab ; dazu
ist ihr über den linken unterstützenden Vorderarm das Gewand des Sohnes
bauschig gesunken und hängt vor ihr bis zum Erdboden nieder, so dass die
Gestalt des Bruders in voller Schöne eines eben das Knabenalter überschrei-
tenden nackten Körpers erscheint. Mit tiefer Wehmuth senkt die ältere
Schwester — denn so können wir nach aller Analogie sie nennen — das
Haupt, von dem die Haare in einzelnen Locken in den Nacken herabfallen,
über das Haupt des geliebten Bruders ; ihre Hände umfassen schräg seine
Brust. Dieser ist im Moment der eintretenden Erschlaffung der Glieder auf-
gefasst, noch ruht sein rechter Arm rückwärts an dem Haupte der Schwester,
aber der andere hängt tief herab über dem linken Unterarm derselben ; von
den gestreckten unteren Extremitäten ist das rechte Bein etwas näher ange-
schoben und scheint noch etwas auf den Boden sich zu stützen, während das
linke ihn kaum berührt. Das Haupt ist zurückgesunken, die Haare fallen
hinten über.
Wir werden sofort erinnert an die herrliche Zeichnung des Semelespie-
gels in Gerhards Besitz1) und an die Darstellung auf einem geschnittenen
Stein2), wie auf einer antiken Paste8). Im Wesentlichen dieselbe Compo-
situm und doch zeigen sich sehr bezeichnende Verschiedenheiten. Zunächst
ist die männliche Gestalt bei dem ersten und dritten Denkmal durchaus kna-
benhafter, jünger der weiblichen, mehr matronalen gegenüber gebildet; dann
fehlt wenigstens auf der Spiegelzeichnung jegliches vom Knaben, etwa auf
1) Gerhard Dionysos und Semele. Progr. des archäol. Instit. 1833; Mon. Ined. I. t. 50;
Etrusk. Spiegel Taf. «3 ; Müller- Wieseler 1). A. K. 1. t. LXI. n. 30b ; G. Dennis cities and
cemeterie8 of Etruria. Vol. i. Titelkupfer.
2) Guigniaut Rel. de l'anüqu. pl. CCXL1I1. n. 834 nach Miliin Pierres gravees ine-
dites,
3) Müller- Wieseler D. A. K. II. t. XXXVI. n. 430; Tölken Verieichn. d. geschn.
Steine etc. Bl. III. Abth. 3. n. 967.
Die Niobidenreliefs. 169
den Arm der weiblichen Gestalt fallengelassene Gewand, auf dem geschnit-
tenen Stein ist dies hingegen vom Gewände jener zu unterscheiden. Aber
vor allem ist die ganze Motivirung des Knaben eine verschiedene : anf dem
Spiegel ein schwärmerischschwelgendes sich Hingeben an die geliebte Mut-
ter, deren Hals mit rückwärtsgehobenen beiden Armen umschlungen wird,
um so Gesicht dem Gesicht möglichst nahe zu bringen, auf der Paste dage-
gen ein gerad Emporheben beider Arme, wie es den Bittenden, möglicher-
weise auch den freundlich Emporreichenden oder empfangen Wollenden be-
zeichnet ; auf dem geschnittenen Stein haben wir dagegen genau dieselbe
Lage der Arme des Jünglings, wie auf unserem Relief, auch das Armmotiv
der weiblichen Gestalt zeigt hier fast noch stärker die Aufregung, mit der
es gilt, einen seiner selbst nicht mehr mächtigen Körper zu halten. Die Be-
wegung derFüsse ist nicht gleich; verschieden von dem Erschlaffen der Kraft
in unserer Darstellung ist ein festeres Auftreten des einen Fusses in der Spie-
gelzeichnung, ein mehr elastisch sich Emporschwingen auf der Paste ersicht-
lich* Interessant ist es, dass auf dem geschnittenen Stein die weibliche Ge-
stalt sich fast auf die Zehen stellt, um so mehr von oben fürsorglich sich
über den geliebten Gegenstand zu beugen.
So werden wir es vollkommen begreifen, wie hier ein und dieselbe
Grundlage der Gruppe zum Ausdruck beseligter Freude bei der Wiederver-
einigung von Mutter und Sohn dienen kann, da ja auf jenem Spiegel sonstige
Symbole, wie der Thyrsus in der einen Hand der weiblichen Gestalt und end-
lich die Inschriften die mythologische Bezeichnung sofort sicher stellen, dort
in ergreifender Wahrheit diese letzte liebende Hülfe suchende und gewährende
Begegnung von älterer Schwester und jüngerem Bruder uns vor die Seele
rückt. Wir erhalten somit ein neues höchst lehrreiches Beispiel, wie die
griechische Kunst in feiner Nuancirung gewisse Grundmotive verschiedenen
mythologischen Ausgestaltungen anpasst. Interessant ist es aber auch, dass
Guigniaut in dem geschnittenen Steine eine Darstellung der den in Wahn-
sinn verfallenden Bruder umfangenden Elektra fand, wozu alle bezeichnen-
den Momente fehlen, da wir bald einem andern Niobidenmotiv zweier Brü-
der auf zwei Sarkophagreliefs begegnen werden, welche allerdings authen-
tisch für eine solche Scene zwischen Orest und Pylades auch verwendet wor-
den ist. Die Darstellung jenes geschnittenen Steines wird von nun an als
ein herrliches Motiv aus der Niobidensage fortan in Anspruch zu nehmen
sein, nicht mit gleicher Gewissheit doch Wahrscheinlichkeit die der antiken
Paste.
Gehen wir weiter zu den zwei folgenden einzelnen Gestalten. Zunächst
liegt ein Niobide von einer Felsklippe rücklings niedergestreckt. Der Ober-
körper ist dabei etwas seitwärts gewendet. Die hochgezogenen Kniee sind noch
vom Gewand zumTheil bedeckt, das die theilweise Unterlage des nackten Kör-
pers auf dem harten Gesteine bildet. Beide Arme sind über den Kopf rück-
170 Zweites Kapitel.
wärts hinaus noch gestreckt. Eine zwar kühne, aber in sich wohlgegründete
Situation, die uns in viel grellerer, gewaltsamer Weise an dem rücklings von
seinem Throne gestürzten Aegisthos entgegentritt l) . Mit grossem Geschick
ist hier der Fels und die Gewandung benutzt, um den Uebergang von der un-
mittelbar vorhergehenden Gruppe zu einer liegenden Gestalt zu vermitteln.
Noch bäumt sich, darf man wohl sagen, die in der folgenden herrlichen
Jünglingsgestalt liegende Kraft gegen die bereits wirkende Todesmacht.
In voller Eile der Flucht über die Felsklippen ist er im Rücken getroffen.
Das rechte Bein mit ganz eingebogenem Knie ist ziemlich hoch auf die ge-
bogenen Fussspitzen eingesetzt, das linke Bein ist weit zurück auf die tie-
fere Fläche in stärkster Anspannung der Eile gestellt; der eingebogene
Rücken, das nach hinten fallende Haupt, der gehobene Ellenbogen des zu-
rückgewendeten rechten Armes, der in die Seiten gestützte linke, von dem
wehenden Gewände umschlungene Ann, das unten um das linke Bein noch
sich herumschlägt, entfalten auf das Herrlichste den jugendlichen Körper und
stellen dies innere Widerspiel von grösster Eile und Hemmung, von Vernich-
tung und Kampf dagegen vor Augen. Wir werden diese Gestalt vollständig
so und auch in Verbindung mit der gefallenen in dem Relief der Villa Albani
wiederfinden, sehr ähnlich auch bei einer als Relief an einem Sarkophag an-
gebrachten Stuccofigur aus Kertsch.
Ein Ruhepunkt in der Bewegung des Ganzen folgt, eine zweite
Gruppe. Während die erstere uns die älteste Schwester den sinkenden
Bruder in ihre Arme auffangend und mit aller Kraft stützend vorfuhrt, sehen
wir hier Schwester mit Schwester vereint. Die ältere, doch jugendlicher
als jene erste, ist fast ganz en face ruhiger gestellt, zwar der an ihrer Seite
zusammensinkenden Schwester in dem rechten Oberschenkel einen Stütz-
punkt bietend, den linken Arm auf sie niederstreckend, aber an Schutz, an
Hülfe denkt sie nicht mehr. Ihr rechter Arm ist mit dem Ausdruck der
Wehklage über ein Unabänderliches gehoben, der Kopf gesenkt. In voller
Ermattung ist die fast an das Mädchenalter noch reichende Schwester vor
und an ihr in beide Kniee gesunken, beide Arme hängen schlaff herab, der
Kopf ist ganz auf die rechte Seite geneigt. Der kurzärmelige, unter der
Brust gegürtete Chiton ist von der rechten Schulter ganz heruntergefallen^
der rechte Arm und ein Theil der rechten Brust dadurch entblösst. Die Ge-
wandung der Stehenden bildet ein ärmelloser, über der Schulter zugeknöpfter
Chiton mit Diploidion ; auch scheint ihr den Rücken hinab, wenigstens nach
der faltigen Gewandfulle an der Seite zu urtheilcn, noch ein Himation zu
fallen. Eine genauer zutreffende gleiche Motivirung in den bisher bekannten
1) Sarkophagrelief bei O verbeck Galer. hom. Bilder. Taf. 1 ; Cameo in Wien 8. Oui-
gnaut Relig. de l'antiqu. t. CCXLV. n. 833 ; Eckhel Choix des pierres graväes pl. 20.
Die Niobidenreliefs. 171
Niobidendarstellungen fehlt, dagegen entsprechen in der Schilderung des
Ovid1) jene kurzen Worte : illa sorori immoritur vollständig, und ebenso-
wohl können wir in entferntere Vergleichung jene Niobetochter aus Florenz
stellen, die bei Müller- Wieseler Alte Denkmäler t. XXXIII unter d gezeich-
net2) und durchaus auf eine engste Zusammenstellung mit Bruder oder
Schwester berechnet ist. Die Bewegung der Arme ist dort gerade umgekehrt
und es kommt das wichtige Motiv des gehobenen Gewandes hinzu, das sie
dort der Mutter in so bedenklicher Weise nähert, und zugleich einen Ver-
such zum Schützen noch kundgiebt.
Von dieser Gruppe &us wenden die drei folgenden Gestalten sich nach
der rechten Seite für den Beschauer, so dass diese als ein Indifferenzpunkt
angesehen werden kann. Eine meisterhaft behandelte Gestalt ist die im
Rücken gesehene forteilende Schwester. Da prägt sich in den grossen
Gesammtlinien, wie in jeder Falte der reichen Gewandung nur Ein Gedanke
aus : fortstürzende Eile. Der nach vorn gestreckte Arm, das nach vorn ge-
senkte Haupt, die weit vorwärts strebende Richtung des ganzen Körpers bil-
den eine fortgesetzte Reihe von Strebungen, aber schon ist diese Bewegung
im Moment, gehemmt zu werden ; das linke, sich auf einen Fels beugende
Knie zeigt, dass die Fliehende im Boden selbst Hemmniss findet, bald wohl
auch Stützpunkte sucht. Der Chiton mit dem Gürtel unter dem bauschigen
Ueberfall , mit dem Diploidion darauf, das von dem gesenkten linken Ann
noch gehaltene flatternde Himation bieten dem Auge eine Fülle der schwung-
vollsten wohl begründeten Linien. Eine entsprechende Gestalt kennen wir
bisher unter den Niobidendarstellungen nicht, allerdings wohl auf Sarko-
phagreliefs eine den Rücken zeigende, aber in anderer Bewegung. An Schwung
der ganzen Bewegung wäre etwa eine auch im Rücken gesehene Amazone
des Reliefe von Genua zu vergleichen, aber sie ist im Moment des zum
Schlage Ausholens gebildet3). Der Schönheit des Faltenwurfs und dem gei-
stigen Ausdruck am ebenbürtigsten steht das noch nicht sicher bestimmte
weiter unten zu besprechende Marmorfigürchen aus Smyrna, früher in Millin-
gens Besitz4) . Das Ausstrecken des Armes begegnet uns in annähernder Weise
bei dem einen, auch von dem Rücken am wahrscheinlichsten gesehenen flie-
henden Sohne der florentiner Gruppe, wobei Welcker5) die richtige Be*
merkung macht, dass dies Ausstrecken des Armes den Schwung verstärke.
Höchst auffallend ist die Lage des darauf folgenden zweiten hinge-
sunkenen Sohnes. Er ist vorwärts und seitwärts gesunken und zwar an
1) Metern. VI. 295.
2) S. unsere Tafel XVII. 1.
3) Mon. ined. d. inst. arch. V. t. 1—3.
4) Archaol. Zeit. 1949. Taf. I. II. 3. 4.
5) Alte Denkm. 1. S. 280. Taf. IV. 2.
1 72 Zweites Kapitel.
einer Felsmasse hin, so dass sein Körper einen fast halbrunden Bogen bildet.
Die Beine zeigen in ihrer Lage noch am meisten die vorwärUeilende, nun
längst gehemmte Bewegung ; um den linken Fuss ist noch das Gewand, ihn
umstrickend, geschlungen, sonst bildet dies die Unterlage auf dem Fels.
Kopf, Arme, Brust hingegen sind fast senkrecht dem Boden zugewendet.
Unmöglich kann der Körper lange so verweilen, er wird herabgleiten, ganz
dem langstreckenden Tode verfallen. Aber wie uns gerade diese kühn ge-
zeichnete Situation in Friesrcliefs der Amazonenkämpfe, ganz ähnlich am
östlichen Fries des Theseion '), begegnet, so sehen wir hier einen bestimmten
Grund in dem Gleichgewicht der Compositum. Bei beiden hingestreckten
Gestalten ist das Bestreben unverkennbar durch den Felsboden die Tiefe der
entstehenden Lücke auszugleichen, zugleich aber soll eine Abwechselung
eintreten zwischen aus- und einwärtsgebogenen Linien.
Die letzte Gestalt schliesst mit einem heftigen Schmerzensschrei die
Relieftafel, sie erinnert in der Heftigkeit der Bewegung an die edelsten bak-
chischen Bildungen2). Auch sie strebt vorwärts, wie ihre vorhergehende
Schwester, aber bricht getroffen eben zusammen. Das Obergewand vom lin-
ken Unterarm zum rechten Oberarm hinten herumgeführt ist im Sturmwind
segelartig gebauscht, der Chiton mit seinem Diploidion in der Verwirrung
der Flucht ganz von der linken Schulter und Brust herabgesunken, hat ebenso
das rechte Unterbein bis über die Waden entblösst, während er das linke ge-
bogene Bein ganz in seiner Fülle birgt. Der zurückgeworfene Kopf, die wie
zum Himmel rufende rückwärts gehobene rechte Hand, während die linke
auf der Brust schmerzvoll ruht, sie legen von diesem Zustand des heftigsten ,
verzweiflungs vollen Jammers, wie im Bewusstsein des eben eingebrochenen
Verderbens ein sprechendes Zeugniss ab.
Ein Rückblick auf die im Einzelnen soeben behandelten Gestalten er-
giebt uns die vollste Wahrscheinlichkeit für die Fortsetzung der Darstellung
auf anderen Platten, so doch hier im engeren Bereiche die treffendsten Cor-
respondenzen , eine fein abgewogene Symmetrie, in derselben aber eigen-
thümliche Abwechselung. Vergleichen wir nur die zwei Gruppen, die zwei
liegenden Söhne, die heftigst bewegten Brüder und Schwestern mit zurückge-
beugtem Kopfe. Wie steigen die Linien rhythmisch auf und nieder, wie er-
gänzen sich die Flächen der einzelnen Figuren in geschicktester Weise ! Nur
allein steht für sich die herrliche fliehende Tochter, bis ein glückliches Ge-
schick uns die Fortsetzung des Frieses etwa gewährt.
Gleichzeitig werden also hier die Niobiden, Söhne und Töchter von den
Geschossen der erzürnten Götter ereilt, diese kommen von beiden Seiten, sie
1) Müller- Wieseler D. A. K. 1. Taf. XXI. 109.
2) Man vergleiche etwa Müller- Wieseler A. D. I. Taf. 32. n. 140, II. Taf. 45. n. 567 ;
Zoega bassiril. ant. II. t. 83. 85.
Die Niobidenreliefs. 1 73
werden überrascht drausseii im Freien zwischen den Felsen eines Gebirges,
des Sipylos oder Kithäron, wo sie im heitern Spiel, die Söhne in frischer
Jagdlust begriffen waren. Dort stürzen sie nach verschiedenen Seiten, dem
Tode zu entrinnen, Schutz und Hülfe bei den begleitenden Pflegern, Päda-
gogen oder Wärterinnen, wie diese in der Statuengruppe und auf vollständi-
gen Sarkophagreliefs noch zahlreicher auftreten, bei der Mutter endlich mit
Bewusstsein nicht irgend suchend, sondern einzeln gleichsam wie durch Zu-
fall in die Arme der nahenden Liebe von gleich Bedrohten sinkend. Nicht
in der naturalistischen Ausfuhrung des körperlichen Schmerzes, der stecken-
den Todespfeile, der Todeswunden, des Aufschreis, hat der Künstler seine
Kunst offenbaren wollen, nein, in acht hellenischer Weise behandelt er nicht
den einzelnen äusserlichen Akt des Tödtens, Schiessens oder Getroffenseins,
er stellt uns die volle Wirkung desselben auf eine Reihe edler, jugendlicher,
leidenschaftlich erregbarer Naturen dar, die aber auch des Selbstvergessen*,
der liebevollsten Fürsorge für andere fähig sind, die zugleich in ihrer kör-
perlichen Schönheit und Elasticität, den vollen, und doch massvollen Aus-
druck ihrer innern Zustände geben. Und endlich sind die lokalen imd per-
sönlichen Hemmnisse in den Felsen, in den Gewändern nur noch reichere
Mittel, um die Gedanken des Beschauers von dem erschütternden Gesammt-
eindruck auf die Fülle einzelner interessanter und anziehender Conflikte zwi-
schen Jugendkraft, geistigem Adel und Schönheit und mannigfachen wider-
strebenden Mächten abzulenken. So wird auch hier ein hochtragisches , ja
für unsere Auffassung überhartes Geschick zur Quelle eines wahrhaft künst-
lerischen Genusses.
Die Frage liegt wohl nahe, ob wir die Gottheiten selbst, Apollo und
Artemis an den Enden der Darstellung erscheinend zu denken haben. Sie
ist von vorn herein nicht von einem ästhetischen Gesichtspunkt zu be-
antworten, sondern mitten heraus aus der künstlerischen Auffassung des Göt-
terlebens durch die Griechen, fernei sie ist verschieden zu stellen bei den
verschiedenen Gattungen der Plastik und je nach dem Rahmen gleichsam,
in den das einzelne Werk gesetzt erscheint. Für die griechische Reliefbil-
dung überhaupt können wir daran erinnern, dass Phidias die beiden Gott-
heiten bei dem Tode der Niobiden am Throne des olympischen Zeus wirk-
lich dargestellt hatte1}. Aber wir sind im Stande durch ein anderes Denk-
mal das Auftreten der Gottheiten auch auf dem weitern Verlauf dieser Dar-
stellung in schlagendster Weise zu sichern.
Ein längst bekanntes treffliches Relief der Villa Albani wird durch
unser Relief nun auf einmal in hellstes Licht gestellt. Dies bei ^oega zuerst1)
1) Paus. V. 11. 2.
2) Bassiril. ant. II. t. 10-1. p. 203 ff. ; Fabroni Stat. d. fav. di Niobe t. 17; Bunsen
Platner Beschreib. Roms III. 2. 8. 510; E. Braun Ruinen und Mus. Roms S. 630. Auf
unserer Tafel unter No. 3, ist nur der antike Theil gezeichnet.
\ 74 Zweite 8 Kapitel.
pubiicirte, danach öfters wiederholte Werk ist nur in seinem einen Theile, der
rechten Hälfte antik, zeigt aber hier in einer Niobidenfigur sowie in dem
Reste einer andern liegenden eine merkwürdige Uebereinstimmung mit dem
Relief Campana, dagegen erscheint neben dem Niobiden eine schiessende
Gottheit Artemis, während auf jenem dort, wie wir sehen, nach der rechten
Seite weiter Niobiden folgen. Wir haben also hier eine Gopie, aber eine
Copie mit theilweisem Wechsel der Anordnung. Die Grössenverhältnisse
des Reliefs sind gleich, die Breite und Flüssigkeit des Stiles ebenfalls, doch
steht das Relief Albani durch eine mehr allgemeine und glatte Behandlung
entschieden nach. Vollständig gleich ist also jener auf dem Felsen mit einem
Bein knieende, die Linke in die Seite stemmende, den andern Ellenbogen
hoch hebende, verzweifelnd aufblickende Jüngling, gleich in allen Beziehun-
gen, so in dem einzelsten Motiv des um den linken Arm flatternden Mantels.
Wenn nicht in dem Original, scheint doch in der Zeichnung die Länge des
ausgestreckten linken Armes das richtige Mass zu überschreiten. Wesent-
lich gleich sind ferner die dicht unter ihm sichtbaren, über den Kopf zurück
ausgestreckten Arme nebst dem Reste des Kopfes, aber hier lässt die etwas
verschiedene Lage des linken Armes sowie die horizontalere Lage des Kopf-
restes auf eine abweichende weniger steile Gesammtlage des Körpers schlies-
sen. Neu hinzukommt also Artemis, an Grösse durchaus nicht die anderen
Gestalten überragend. Im kurzen Chiton, das Himation shawlartig von der
rechten Schulter schräg hinab um den Körper geschlungen, wie wir das an
statuarischen Werken derselben auch kennen, in hohen Jagdstiefeln erscheint
sie, im Begriff stehend, die Sehne des Bogens zurückzuziehen und den Pfeil
abzuschnellen. Ihre ganze Haltung bekommt dadurch etwas fest in sich Zu-
sammengeschlossenes. Sie tritt fest auf den linken Fuss, während der rechte
nur mit der Spitze den Boden berührt ; der Körper ruht elastisch darauf, der
Oberkörper ist den nach vorn gestreckten Armen gemäss auch nach vorn ge-
bogen, das Auge fest auf das Ziel gerichtet. So bildet sie auch durch ihre
Haltung einen natürlichen Abschluss der Darstellung auf einer Seite. Die
Apollobildung an dem andern Ende haben wir uns ähnlich zu denken ; sie
wird uns durch die Bronze eines im Lauf begriffenen, schiessenden Apollo
aus Pompeji anschaulich vergegenwärtigt1). Man würde sich sehr täuschen,
wenn man in den beiden die ganze Darstellung umschliessenden, sie ja be-
dingenden Gottheiten irgend den Ausdruck einer höhern geistigen Potenz,
eines hochgesteigerten sittlichen Unwillens suchte, der jenes herrliche mensch-
liche Pathos der Niobiden überstrahlte und also eine Lösung des im Nio-
bidenmythus tief liegenden Räthsels des menschlichen Daseins und Strebens
überhaupt darböte. Nein, diese Götter sind ebenso jugendlich schön, kräf-
tig, irdisch als ihre Schlachtopfer, sie sind als treffliche Jäger meisterhafte
1) Mus. Borbon. VIII. 6; Overbeck Pompeji. S.374. Abbüd, e.
Die Niobidenreliefs. J75
Vollstrecker des göttlichen Zornes, aber sie vollstrecken ihn auch nur unauf-
haltsam, dieser göttliche Zorn selbst, das göttliche Gericht liegt hinter und
über ihnen1).
Wir fugen hier noch zwei Relieffragmente hinzu, welche, jedes einen
Niobiden, das eine einen zu Boden niedergestreckten, das. andere einen in
die Kniee gesunkenen Jüngling zeigen. Wie sie an die Statuen der Niobi-
den erinnern, so finden sie unter den uns bis jetzt bekannten Reliefs nicht in
den eng mit Figuren gehäuften weiter unten zu betrachtenden Sarkophag-
reliefs, sondern in den eben behandelten ihre Analogie. Das eine ist2) erst
neuerdings in Villa Ludovisi, dieser unausgebeuteten Schatzkammer an-
tiker Werke wieder entdeckt worden8). E. Braun erklärt die einzige Figur
desselben für durchaus identisch mit einem der beiden liegenden Niobiden
(welchem?) auf dem campanaschen Relief. Das zweite Reliefrragment haben
wir hier heranzuziehen, welches im Palast Colonna so gut wie unbeach-
tet in ein Postament einer Büste eingefügt ist und nach der flüchtigen Notiz in
der Beschreibung Roms von Bunsen Platner u. s. w. 4) einen auf das eine
Knie niedergesunkenen Niobiden, also sichtlich dem oben zweimal vorkom-
menden entsprechend darstellt.
Sind wir schliesslich aber nicht im Stande, dieses Werk eines unzweifel-
haft griechischen Künstlers auf einen berühmten Namen, auf eine berühmte,
literarisch bezeugte Composition zurückzuführen? Den Stil des Phidias, auf
den man, wie wir erwähnten, mehrfach hingewiesen, vermögen wir nicht
darin zu finden , wenn irgend die Parthenonsculpturen, besonders der Fries
des Parthenon, darüber Aufschluss geben, wohl aber den der jüngeren atti-
schen, vor allem in Kleinasien thätigen und dort fortwirkenden Kunstschule.
Vor allem ist es die pathetische Durchbildung der Gesichter, ist es das eigen-
thümlich Seelenvolle, ist es die mehr isolirte Behandlung der einzelnen Ge-
stalten, sind es endlich grosse Kühnheiten, ja Wagnisse der Motivirung, die
uns von Phidias entfernen, uns erst durch Skopas und Praxiteles hindurch-
gehen lassen, ehe wir zu dem Meister dieses Reliefs gelangen.
1) In einer Anmerkung will ich auch eines Relieffragmentes derselben Sammlung ge-
denken von Terracotta, welches E. Braun auf den Niobemythus bezog (Ruin. u. Mus.
Roms S. 6S5) : ,, Artemis lang bekleidet, einen Pfeil aus dem Köcher nehmend, neben ihr
eine andere ebenfalls lang bekleidete weibliche Figur" (Platner Auszug aus Beschr. Roms
S. 421). Brunn erklärt dies als Scene zwischen der erzürnten und zur Rache an Niobe
auffordernden Latona und der rasch zur Waffe greifenden Artemis. Schwerlich möchte
diese specielle Deutung sich ohne parallele, vollständigere Denkmäler rechtfertigen lassen,
jedenfalls verdiente das Relief genaue Beschreibung und Publikation. Mir ist es nicht
mehr aus der Anschauung erinnerlich.
2) Builett. d. inst. arch. 184S. p. 68.
3) £. Braun in Builett. d. inst, archeol. 1848. p. 88.
4) III. 3. S. 170.
176 Zweites Kapitel.
War das plastische Werk in der Felsengrotte über dem grossen Diony-
sostheater an der Südseite der Akropolis, welches Apollo und Artemis die
Feinde der Niobe tödtend darstellte \ , ein Relief, was aber durchaus nicht
feststeht, so würde ich der Zeit nach, es ist bald nach Ol. 115 = 317 v. Chr.
dort aufgestellt worden, und dem damaligen Kunststandpunkt nach mit
diesem Werk unser Denkmal zunächst in Vergleich setzen.
Müssen wir auch jetzt noch auf eine genauere chronologische und lokale
Fixirung verzichten, Eines haben wir, abgesehen von dem inneren Kunst-
werthe, von der Bereicherung, die die Reihe bester griechischer Reliefs und
die künstlerische Auffassung des Niobidenmythus überhaupt dadurch erhalten
hat, gewonnen, einen Ausgangspunkt und einen Massstab für die Anordnung
und Beurtheilung der so interessanten Reihe griechisch-römischer Sar-
kophagreliefs, die uns denselben Mythus vorfuhren, zu denen wir nun
fortzuschreiten haben.
Für eine Uebergangstufe von Niobidenreliefs, die in der Mitte zu stehen
scheinen zwischen der ersten rein griechischen Friesbildung und den späteren
römischen Sarkophagreliefs, die allerdings in ihren Einzelheiten durchaus
auch auf griechische Vorbilder zurückweisen, aber als Gesammtheit dem
mehr malerischen, römischen Reliefstil folgen, nehmen wir ein bisher un-
publicirtes, bisher auch ganz flüchtig besprochenes Reliefrragment in An-
spruch, welches in Bologna im Palast Zambeccari von Thiersch gesehen
und kurz beschrieben2) ward. Im archäologischen Apparat (I. n. 55) des Ber-
liner Museums existirt eine Zeichnung eines Reliefe mit zwei Niobiden, be-
zeichnet als aus Florenz von Ceretani stammend, von welcher eine Copie zu
nehmen und zu veröffentlichen a) durch Gerhards Güte mir gewährt ward.
Bei genauerer Vergleichung derselben mit den Worten von Thiersch wird es
einem zur völligen Gewissheit, dass die Zeichnung jenes Bologneser Fragment
uns vorführt. Es handelt sich um zwei Figuren, nach Thiersch um zwei
männliche Niobiden, von denen der eine fliehend, der andere niedersinkend,
auf den Knieen, so scheint es, dargestellt ist, in Wirklichkeit um eine -in
voller Flucht begriffene Tochter und einen in dieKniee gesunkenen Sohn.
Wir sehen eine jungfräuliche Gestalt in vollen, starken und reifen For-
men in gewaltigster Eile von der Linken zur Rechten, und zwar von vorn,
sie hat den linken Fuss auf einen höheren Absatz des Bodens fest aufgesetzt,
während der rechte hinten eben sich zum weiten Schritte hebt. Dadurch ist
das linke Knie stark gebogen. Im Sturmwind schlägt der faltige Chiton mit
langem Diploidion sich um die Glieder, während es von der etwas gesenkten
rechten Schulter und Brust herabfällt. Der linke Arm, welcher mit dem Kopf
1) Paus. I. 21, 5.
2) Reisen in Italien seit 1822. I. S. 361.
3) S. Tat IVa.
Die Niobidenreliefs. 1 77
und der linken Schulter fehlt, war bedeutend gehoben und gestreckt. Das
ergiebt sich aus den senkrechten Falten des Diploidion und besonders aus dem
bis über die Kniee nur herabhängenden, sichtlich nach oben gezogenen von
der Hand zusammengefassten Zipfel des Himation, das auf der anderen Seite
weitflatternd der Bewegung des Körpers folgt. Der rechte Arm, in seinem
obersten Theil erhalten, ist schräg nach hinten gesenkt. In der Bewegung
der Arme also ist der lebendige Ausdruck der vollen Flucht, weniger des
Bestrebens sich dabei noch durch das Himation zu schützen gegeben.
Neben der eilenden, noch unverletzten Schwester ist einer der jüngsten
Brüder bereits in die Kniee gesunken ; sein Gewand ist zu den Hüften her-
abgefallen und bauscht sich auf der Erde auf. Der Oberkörper ist schmerz-
lich gedreht und zwar nach seiner linken Seite mehr zusammengekauert, so
dass also hier auf dem Kücken die Verwundung stattgefunden haben muss.
Beide Arme sind rückwärts gehoben, schmerzvoll am Hinterkopf sich begeg-
nend. Im Kopf der volle Ausdruck des Bewusstseins und der sinkenden
Kraft. Noch wenige Augenblicke und der Knabe ruht hingestreckt auf dem
Erdboden. Wir werden bei der Motivirung des unteren Körpers sofort an
den sogenannten Narciss in der florentiner Statuenreihe erinnert ; die Moti-
virung der Arme ist eine andere dort, da greift die linke Hand hinter in die
Gegend des Kreuzes, wo der Pfeil getroffen hat, während nur der rechte
Arm sich hoch nach hinten hebt f) .
Der Stil des von uns publicirten Reliefs entspricht entschieden der ur-
sprünglichen Composition nicht, er ist der kräftige, die Hauptfalten und die
Hauptmuskellagen überscharf markirende römische Stil, dem der feine Fluss
der Uebergänge, das Beseelte und voll in seiner Einzelheit Verstandene der
griechischen Meisseiiuhrung fehlt. Ob wir aber nur die Schmalseite eines
Sarkophages vor uns haben, die man durchaus flüchtiger, in schwächerem
Relief auszuführen pflegte, das wage ich nicht zu entscheiden, glaube es aber
nicht. Auf Einen Punkt haben wir als auf einen Vorzug des Stiles hinzuwei-
sen, auf die breite Entwickelung wie der einzelnen Figur, so auf die breite Ne-
beneinanderstellung der Figuren , worin das Relief sich wesentlich von den
sonstigen römischen Sarkophagreliefs scheidet und der ersten Klasse nähert.
Unter der Zahl der entschieden aus der römischen Kaiserzeit stam-
menden Sarkophagreliefs, welche den Niobemythus in so bedeutsamer
Weise vorführen, welche alle bis auf eines, so weit wir bis jetzt die Denkmä-
1) Thiersch's Worte lauten: — „dann Bruchstück eines Reliefs mit Niobiden, einer
fliehend, der andere hält getroffen beide Hände auf den Rücken, während sein Mantel ihm
über die Hüften herabsinkt. Es ist verschieden von allen bekannten Reliefs dieses Inhaltes,
vortrefflich gearbeitet und wäre bei einer Zusammenstellung alle diese Fabel betreffenden
Antiken, deren dieselben ebenso würdig als bedürftig sind, besonderer Aufmerksamkeit
werth".
Stark, Nloto. 12
1 78 Zweites Kapitel.
ler kennen, in der Umgebung von Rom selbst gefunden sind, scheiden sich
leicht auch schon bei oberflächlicher Betrachtung zwei verschiedene
G r u n d c o in p o s i t i o ne n von einander, die selbst in mannigfachen Varia-
tionen uns vorgeführt werden. Man sieht, es lagen den Marmorbildnern, die
in geschäftsmässiger Weise für den Bedarf der reichern Familien die Mar-
morsarkophagc schmückten und dabei über eine Anzahl stehender, bedeu-
tungsvoller Mythen verfügten, zwei Hauptzeichnungen vor und an diesen
ward je nach Geschmack der Besteller oder dem eigenen Drange der Ab-
wechselung, je nach den Grössenverhältnissen der Sarkophage und dem über
alle Theile sich erstreckenden oder auf die Frontseite sich beschränkenden
Auftrage der Ausschmückung, ab- und zugegeben, Gruppen versetzt u. s. f-
Welcker hat mit grosser Lebhaftigkeit ') die eine Composition, die wir nach
dem Borghesischen Relief benennen wollen, gerühmt und sie in erste Linie
gestellt, ja er findet den Abstand zwischen dieser und der zweiten, der der
Sarkophag im Vatican den Namen geben mag, ,,uoch grösser als zwischen
dieser und der Erfindung und Haltung der Giebelgruppe." Das ist in der
That ein sehr starker Ausdruck ; für uns wird er Überhaupt nicht zu brau-
chen sein, da wir zunächst nur Reliefs zu vergleichen haben und oben unter
diesen treffliche Theile einer acht griechischen Composition kennen lern-
ten, wie auch ein Fragment, das dem griechischen Reliefstil bedeutend näher
steht, als diese Sarkophagreliefs. Aber auch davon ganz abgesehen können
wir Welcker in der Sache selbst nicht beistimmen. Stellen wir hier nicht Au-
torität gegen Autorität in einem wesentlich ästhetischen Streitpunkt — wir
könnten E. Q. Visconti2) und Emil Braun8) anführen — nein suchen wir
möglichst unbefangen die Reihenfolge in der Entwickelung dieser Compo-
sition en vom Einfachen, weniger Ueberhäuften, aber doch in sich Mannig-
faltigen und Bedeutungsvollen auf. Halten wir uns vor allem von der vor-
gefassten Meinung frei, als verrathe das Erscheinen der Gottheiten selbst
auf den Reliefs eine spätere, weniger ideale und geistige Kunst. Das Mach-
werk an dem einzelnen uns erhaltenen Werke einer Composition ist hier auch
nicht das Entscheidende, da dasselbe bei verschiedenen Exemplaren einer
Composition auf das Auffälligste sich scheidet. Wir geben gerne zu, dass
das Borghesische Sarkophagrelief das am Elegantesten, am Glättesten gear-
beitete ist, aber wieweit hierin moderne L'eberarbeitung dabei Statt gefunden
hat, wäre erst noch weiter zu untersuchen. Dagegen hebt Braun an dem Va-
tikanischen Relief das Kernhafte, Kräftige, durchaus Zweckmässige der
Ausführung hervor.
Wir beginnen mit derjenigen Composition, in welcher die vierzehn Kin-
1) Alte Denkm. 1. S. 31 Off.
2) Mus. Pio Clement, t. IV. Text zu t. 17.
3) Ruinen und Mus. Roms. S. 500. 745.
Die Niobidenreliefs. 179
der der Niobe mit der Mutter, mit einem Pädagogen und einer Amme, mit
den schiessenden Gottheiten selbst, deren einer wir ja auf dem Albanisehen
Fragment begegneten, die wir beide auf dem Relief des Phidias am Throne
des Zeus zu Olympia ausdrücklieh dabei genannt fanden, dargestellt sind
und wo zugleich in einem oberen Fries der Attika das Bild des vollendeten
Untergangs der der Bestattung harrenden Leichen vorgeführt ist. Die Scene
selbst geht wesentlich, um mit Homer zu reden, Ivl [.iey(XQOioi vor sich, im
Innern des Palastes, führt aber auf der einen Seite in das Freie hinaus.
Diese Composition ist bis jetzt durch zwei Sarkophage vertreten. Der
eine (A) wurde vor Porta S. Sebastiano in einer Vigne der Familie Casali,
einer Stätte der reichsten und wohler haltensten Grabkammern nahe der Via
Appia im vorigen Jahrhundert ausgegraben und kam als Geschenk an Pabst
Pius VI. (1775 — 1795) in das Vatikanische Museum, wo er in der Galeria
dei Candelabri aufgestellt ist. Visconti veröffentlichte ihn zuerst in dem Ga-
leriewerk des Museums1). Der andere (B) wurde 1824 in Roma vecchia,
also ebenfalls nahe der Via Appia, weiter ausserhalb Roms aufgefunden und
bald darauf für München erworben, wo er sich im Römersaal der Glypto-
thek aufgestellt findet. Martin Wagner gab nach dem Fund eine eingehende
Beschreibung*), L. Schorn in dem Katalog der Sammlung eine kürzere1).
Durch die freundliche Vermittelung des Herrn Dr. von Lützow erfolgt hier
die erste Publikation nach Photographieen4). Der Sarkophag Casali ist der
grössere und zeichnet sich auch durch treffliche Erhaltung aus, seine Arbeit
ist im Einzelnen die vorzüglichere. Die Gestalten sind breiter auseinander
gehalten, als bei dem andern.
Bei beiden Denkmalen haben wir das Hauptrelief der Vorderseite, die
Reliefe der Nebenseiten, den schmalen oberen Fries vorn und die kleinen
Giebelfelder der Seitenflächen ins Auge zu fassen. Das Hauptrelief wird bei
beiden durch Apollo und Artemis abgeschlossen und zwar durch Apollo
rechte, durch Artemis links. Die Gottheiten eilen im raschen Lauf heran,
Apollo im Begriff den Bogen abzuschiessen, Artemis ihn in der vorgestreck-
ten Linken haltend, die Rechte rückwärts hoch gehoben mit Pfeil. Die
wesentlich nackte Gestalt des Apollo ist von der flatternden Chlamys bei A
doch noch mehr umschlossen, als bei B. Artemis tritt als hochgewachsene
Jägerin, mit hochgeschürztem, die rechte Brust freilassenden Chiton und schräg
J) Mus. Pio Clement. IV. t. 17; Fabroni Diss. d. stat. t. 18. Hl; Miliin gal. mythol.
141,516; 142,517. 51S; Guigniaut Rel. de l'ant. CCXII1. 730; CCXIV. 730ab. Mir liegt
eine grosse römische Photographie zur Vergleich ung vor. Vgl. noch Beschreib. Korns 11. 2,
S. 267 ; E. Braun Ruin. u. Mus. Korns S. 500—503. Maass: Länge 10 1\, Höhe 3% P.
2) Kunstblatt 1S24. p. 56.
3) Beschreib, der Glyptothek S. 1S6. 187. Grössenverhältnisse : Länge 7' 3"; Höhe
2' 7"; Tiefe 2' 2%".
4) Taf. VI. 1. 2. 3.
12*
180 Zweites Kapitel.
als Shawl geschlungenen Ilimation auf. Köcher und Köcherband sind bei
beiden sichtbar. Bedroht also in nächster Nähe und zwar so, dass die Mehr-
zahl der Gestalten auf die von Apollons Seite herkommende Gefahr in ihrer
Angst gerichtet ist, während Artenus plötzlich nun auch von entgegengesetz-
ter Seite und zwar unmittelbar neben dem sicher geglaubten Zufluchtsort bei
der Mutter auftritt, sehen wir Söhne und Töchter, mit ihnen die Mutter, den
Pädagog und die Amme. Ihre Zahl ist bei B je fünf, zu denen dann noch
je zwei auf jeder Schmalseite hinzukommen ; bei A dagegen entdecken wir
vorn nur 4 Söhne, dagegen 5 Töchter. Mit Recht erklärt Visconti, dass wir
in diesem Fehler nur eine verkürzende Freiheit, ja vielleicht Versehen des
auf breite klare Behandlung hinarbeitenden Künstlers zu sehen haben, den
sich der andere in seiner sehr gedrängten B eh andlungs weise nicht zu Schul-
den kommen Hess oder erlaubte. Auch in der obern Friesreihe hat uns der
Meister von A nur zweimal je fünf Leichen vorgeführt, nicht, wie zu erwar-
ten, zweimal je sieben. Auch hierin ist der Meister von B der genauer rech-
nende. An eine besondere Bedeutung der Zahl 1 3 hat man mit Braun gar
nicht zu denken. Auch mit der Andeutung des Raumes nimmt es die Darstel-
lung von B genauer und vollständiger ; im Hintergrund ziehen sich Teppiche
an mehreren Punkten befestigt über den grossem Theil des Reliefs hin, nur
die letzten Gestalten der Söhne mit Apollo befinden sich ausserhalb derselben,
also ausserhalb des Innern des Hauses. Bei A sind auf dem Erdboden leichte
Andeutungen eines Wechsels der Scenerie gegeben ; fast in der Mitte derScene
tritt die Amme mit dem einen Fuss auf einen künstlich gebildeten Schemel,
ein Beweis, dass sie noch innerhalb des Hauses gedacht ist, einer der zusam-
mensinkenden Söhne greift dagegen weiter rechts auf eine felsige Erhöhung.
Auf den Seitenflächen stützt sich ebendaselbst eine der zwei Töchter auf ein
hohes Postament, eine entschiedene Anschauung eines umgränzten Raumes,
dagegen bei den zwei Söhnen eilt auf A und B ein entzügeltes Ross frei da-
hin, ein Beweis für das Ausserhalbsein aus dem weitern Bezirke des Hauses.
Unter der Gesammtzahl der Kinder und deren Beschützer treten in bei-
den Darstellungen vier im Ganzen gleiche Gruppen hervor, aber schon ihre
Stelle ist bei beiden nicht durchgängig dieselbe. Es finden sich hier wie
dort von der Linken zur Rechten geordnet die Gruppe von Niobe und der
jüngsten Tochter , der Amme und einer älteren Tochter, des Pädagogen und
des jüngsten Knaben, dagegen die vierte besonders schöne Gruppe zweier
Brüder, von denen der eine den sinkenden andern in seinen Armen hält, ist
nur auf der Vorderseite von B weiter rechts noch angebracht, bei A auf die
Nebenseite verwiesen. Niobe schreitet in gewaltigster Eile von der Rechten
zur Linken, das Haupt nach rückwärts nach Apollo zu gewendet, das flat-
ternde Himation mit dem weit gestreckten und gehobenen Arm haltend.
Ihre rechte Seite biegt sich stark zusammen, um hier die theure Last der
jüngsten Tochter aufzuhalten; diese hat sich über ihren rechten Schenkel
Die Niobidenreliefs. \Q\
geworfen und wird von dem gesenkten rechten Arm der Mutter noch fest-
gehalten. Dabei ist der Chiton von der rechten Schulter herabgesunken und
lässt auch die volle rechte Brust ganz cntblösst. Die ganze Situation ist auf
B körperlich unendlich heftiger gefasst als in der Statuen gruppe ; auf A tritt
eine Milderung unverkennbar ein, theils in der geringern Schräge der Hal-
tung, dann in dem mehr nach vorn und aufwärts schmerzlich gerichteten
Haupt und endlich kommt hier noch ein weiteres ansprechendes Motiv hinzu.
Während die Mutter also die eine sinkende Tochter so noch erfasst, eilt ihr
die noch unverletzte jüngste Tochter nach, mit den Händen den gehofften
Schutz im Gewand der Mutter zu erhaschen, im Begriff, das Gesicht ganz nur
zurück nach dem allein beachteten Ursprung des Unheils gerichtet; in die-
sem unwillkürlichen, instinctiven Suchen und Finden der Mutter, in dieser
neuen Aufgabe für die mütterliche Fürsorge liegt entschieden etwas Mil-
derndes.
Die Gruppe der Wärterin oder Amme mit einer altern Tochter,
der wir auch in ähnlicher Motivirung in der andern Klasse der Sarkophag-
reliefs begegnen werden, ist nicht ohne berechneten Contrast. Ein schöner,
jugendlicher Körper, dem das Gewand bis über die Weichen hinabgesunken
ist, welches sonst nur noch auf dem einen Arme etwas ruht, wird noch halb
vom Boden emporgehalten durch eine sorgliche Alte von ausgesprochenster
Hässlichkeit, aber fürsorglichstem Ausdrucke, die mit einem schweren Mantel
fast überladen ist. Sie hat das linke Bein zum Stützen höher gestellt auf
den Schemel, an dem die Jungfrau niedergesunken. Ihre beiden Hände
sind um das sinkende, edle Haupt beschäftigt, zu dem sie sich niederbeugt.
Zugleich hält der eine Arm noch den schlaff darüber herabhängenden Arm
der Jungfrau. Ein Bild voller Erschlaffung, Zusammensinken der Jugend-
sohöne der adligen Natur, gepaart mit der fürsorglichsten Thätigkeit des
Alters und der dienenden Wärterin !
Anders ist die dritte Gruppe, die des Pädagogen mit dem jüngsten
Sohne gefasst. Dieser ist noch ganz Kind und zugleich noch ganz unver-
sehrt. Aengstlich, ja ganz verwirrt durch die gewaltige Bewegung in der
Luft, den Sturm, das Schwirren der Pfeile, vielleicht auch durch die neben
ihm niederstürzenden Brüder, doch ohne Bewusstsein des eigentlichen Vor-
ganges wendet er sich um zu dem altern Begleiter, in seinen Armen sich zu
schützen ; doch der kleine Kopf ist noch nach der Seite der drohenden Ge-
fahr unwillkürlich fragend gewandt, obgleich die Augen fast geschlossen
sind. Das Gewand mit Franzen ist bei B auf den Arm des Pädagogen her-
abgeglitten, weht oben geknüpft bei A nach hinten hinaus und wird hier
von dem Pädagogen gefasst. Dieser tritt eilend heran, etwas vorgebeugt.
Das lange Gewand mit enganschliessenden Aermeln, der Mantel darüber,
sowie noch ein zottiger Pelz mit einer Art Kapuze , die hohen Stiefel kenn-
zeichnen hinlänglich seinen Stand, sowie die kahle Stirne, die Haare, das
] S2 Zweites Kapitel.
Gesicht das höhere Alter. Auf B hat er in der vorgestreckten Linken den
Knotenstock. Er blickt vorsichtig und den Zusammenhang wohl über-
schauend über den Knaben hinaus in die Ferne.
Die vierte Gruppe der zwei Brüder gehört zu den wirkungsvollsten
unter allen und wir halten es für ein besonderes Verdienst dieser Composi-
tion, dass sie uns nicht Wiederholungen derselben Situation in mehreren
Gruppen von Wärtern oder Wärterinnen vorführt, sondern diesen durchaus
verschiedenen und zugleich doch nächsten und so natürlichen Bezug zur
Darstellung bringt. Dass ein fallender Heldenjüngling rückwärts in die Anne
seines Freundes und Kriegsgenossen sinkt und von diesem mit liebender An-
strengung langsam dem Boden genähert unfl zugleich in Schutz gegen den
andringenden Feind gebracht wird, ist ein Motiv, das die griechische Kunst
in ganzen Gruppen wie im Relief sich nicht hat entgehen lassen. Im letzteren
finden wir es zuerst schön durchgebildet auf der Westseite des Frieses am
Tempel der Nike Apteros1). Ausser unserer Benutzung für einen Akt brü-
derlicher Hülfeleistung im Kampfe mit dem übermächtigen, göttlichen Feinde
finden wir es noch angewendet auf der Vorderseite des einst im Palast Acco-
ramboni in Rom, nun in München befindlichen Sarkophages mit der Sage
von Orest und Iphigenia in Tauris2). Aber ganz der Sache entsprechend
ist die Einzelbehandlung bei den Niobiden eine durchaus andere, als dort bei
Orest. Dort ist es eine augenblickliche Schwäche oder Starrkrampf, welcher
Orest nöthigt niederzusitzen, mit dem rechten Arm, der das gezogene Schwert
hält, den Boden zu berühren, während die Linke, gehoben krampfhaft die
Scheide packt und so in der Lage bleibt. Die Chlamys umgiebt ihn in ge-
ordneter Weise. Auch die Thätigkeit des im Rücken herbeieilenden Pylades
ist mehr ein sorgsames Behandeln und Wahren als ein starkes, anstrengendes
Stützen und Umfassen. . Hier bei den Niobiden ist der Körper des sinkenden
Bruders in voller Todeslösung begriffen; das tiefsinkende Haupt, der hän-
gende Arm, die gestreckten Beine, sie sind ganz der vernichtenden Macht
anheim gegeben und lasten schwer auf dem hülfreichen Arm und Knie des
Bruders, der zugleich rückwärts und aufblickt nach der Gegend, wo er den
Feind sieht. Es hat dies auf dem Münchner Sarkophag, das lässt sich nicht
leugnen, etwas Fremdartiges, da Apollo auf der andern Seite so nahe dabei
steht ; während auf dem vatikanischen es sich auf dem Nebenrelief gut an
diese Eckgestalt des Apollo gerade anschliesst. Auch die Gewandbehandlung
ist bei uns eine andere, als dort in der Orestesdarstellung ; hier ist der Sin-
kende völlig eiitblösst, das Gewand hat nur noch auf dem linken Schenkel einen
Haltpunkt gefunden und der Stützende ist mit der Chlamys dagegen noch
1) Overbeck Gesch. der Plastik I. Fig. 52.
2) Winkelmann Monum. ined. 140; Uhden in Sehr. d. Berl. Akad. d. W. 1SI2- 1813.
S. 185 ff. ; Schorn Glyptothek S. 193 f. ; Guigniaut Kelig. de l'antiquite CCXL1V bis n.b37.
Die Niobidenreliefs. 183
umgeben, die sich bei der Raschheit der Bewegung bauscht ; dort dagegen
ist Pylades der fast Entkleidete, Orest aber mit geordneter Chlamys be-
deckt. »»
Schon Visconti1) hat darauf aufmerksam gemacht, dass ein treffliches
Relief, welches Winkelmann als im Palast Rondanini befindlich auf Tafel
1 50 seiner Monumenti inediti herausgab und mit dem Namen Orest und Py-
lades bezeichnete, vollständig mit unserer Darstellung übereinstimmt und
daher mit voller Bestimmtheit für die Niobidendarstellungen in Anspruch zu
nehmen ist. Ob die umgekehrte Richtung der Gruppe in Wirklichkeit vor-
handen ist, oder blos in dem Versehen des Stiches beruht, muss dahinge-
stellt bleiben. Winkelmann rühmt den Stil als ,,den trefflichsten dieser Art
unter allen Werken, die uns übrig geblieben sind". Wenn dies Relief wirk-
lich mit einem anderen schönen Reliefrragment in Bezug auf Grösse und
Arbeit stimmt, welches aus dem Palast Rondanini in den Vatikan gelangt ist
und eine Gruppe darstellt, welche der anderen Composition angehört, so
hätten wir ein interessantes Verbindungsglied zwischen beiden. Jedenfalls
gehört jenes Relief aber seinem Stile nach einer bedeutend früheren Zeit an
als unsere Sarkophagreliefs, steht der Zeit der Erfindung des Motives verhält-
nissmässig nahe. Wo es jetzt sich befindet, ist mir unbekannt.
Unter den einzelnen Gestalten, die neben den Gruppen auftreten,
haben wir zwei Töchter und einen Sohn, welche sich vollständig auf beiden
Reliefs entsprechen; sie stehen in zweiter Linie, bilden gleichsam den Hin-
tergrund zu den Hauptgestalten. Eine Tochter, ganz en face sichtbar eilt
mit flatterndem, mit der rechten Hand weitab gehaltenem Himation nach
Links hin; die linke Hand ist mit dem Ausdruck des Entsetzens gehoben,
das Innere vollständig öffnend ; das Haupt schmerzlich etwas zur Seite ge-
neigt. Nach entgegengesetzter Seite flieht die andere, von der Rückseite
sichtbar; sie bäumt sich gleichsam unter den Schmerzen der erhaltenen
Wunde, das Haupt tief hinabgesenkt, den rechten Ellenbogen des zum Hals
zurückgebeugten Armes hoch gehoben. Das Himation ist von diesem Arm
gefallen und umgiebt von der Linken noch gehalten shawlartig den Körper.
Ihre Anordnung ist auf A und B nicht die gleiche. Bei B sind beide gerade
in der Mitte unmittelbar nebeneinander gestellt, so scharf die zwei Hälften
mit ihren Richtungen scheidend, bei A dagegen sind sie vertheilt und zwar
die im Rücken gesehene ist unter die Söhne an das rechte Ende nahe dem
Apollo gestellt. Der A und B gemeinsame Sohn ist eine höchst lebendige,
die Situation unmittelbar bezeichnende Bildung. Der älteste wohl unter den
Brüdern, hat er zwei Jagdspeere, Zeichen seiner Beschäftigung, in welcher
er mit andern überrascht wird, in hochgehobener Linken über den Kopf
quer gelegt, wie zum Schutz gegen die drohende Gefahr und zugleich um
1) Text in Mus. Pio-Clement IV. p. 36.
1 84 Zweites Kapitel .
von der eiligen Bewegung jedes etwaige Hinderniss zu entfernen. Die um
den Hals befestigte Chlamys hat sich in der Schnelligkeit um den linken
Arm gewickelt, auch dadurch den Schein des Schutzes gewährend. Ihre
Enden flattern heftig in aufgebauschten Falten. Die gehobene rechte Hand,
das etwas gewendete Haupt drücken Entsetzen und volle Erkenn tniss des
Ursprunges der vernichtenden Geschosse aus. In gewaltigem Ausschreiten,
mit vorgewendetem Oberkörper eilt er mehr aus der Tiefe der Scene in den
Vordergrund. Auf A tritt die ganze Figur freier, bedeutungsvoller heraus
als auf B. Sonst sind in der Motivirung nur ganz geringe Abweichungen
zu bemerken.
Wir kommen nun zu den Gestalten, die verschieden auf beiden Re-
liefs gebildet sind. Beginnen wir mit den liegenden. Auf A haben wir
nur als solchen einen Sohn, auf B dagegen eine Tochter und zwei Söhne.
Unmittelbar vor Apollo, gleichsam die Strasse bezeichnend, die seine Pfeile
sich bahnen, liegt auf A und zwar im Vordergrund auf dem Rücken hinge-
streckt, das Haupt tief nach hinten gesenkt, was in der Unebenheit des Bo-
dens auch motivirt ist, eine edle Jünglingsgestalt. Das rechte Bein ist
krampfhaft angezogen in scharfem Winkel des Kniees, während das andere
sich gestreckt hat. Die linke Hand ruht auf der Brust, die rechte ist vom
Körper abgeglitten. Schräg über die Brust läuft ein schmaler Riemen oder
Hand, um eine Waffe (oder das Gewand) daran zu befestigen. Das Gewand
ist um die Weichen geschlagen, der eine Zipfel hängt über den linken Arm
noch herab. Zur Vergleichung der Situation können wir an eine ganz ähn-
lich motivirte Leiche in den Kampfscenen der Ostseite des Frieses am The-
seion verweisen1). Die Handbewegung, die Lage des Oberkörpers finden
wir auch wieder in den statuarischen Bildungen. Die liegenden Gestalten
auf B sind durchaus unbedeutender ; zwei, Tochter und Sohn, auf der Vor-
derseite sind kaum kenntlich vor Apollo und Artemis unter andern Gruppen
hingestreckt, wesentlich die Zahl sieben der Söhne und Töchter zu füllen.
Etwas bedeutsamer, doch auch wenig ausgeführt ist der auf dem einen Sei-
tenrelief liegende Sohn, in Gewand und Lage der linken Hand dem eben
beschriebenen Sohne analog; doch ist das Anziehen des einen Knies nicht
dargestellt.
Den Uebergang von den liegenden Gestalten zu den stehenden oder
in Bewegungseienden bildet eine treffliche Figur auf Sarkophag A : ein
Knabe, der getroffen in beide Kniee niedergesunken ist, sich noch mit dem
schräg vorn über gewendeten, auf eine etwas erhöhte Felsplatte gestützten
Arm hält, das sinkende Haupt hinter dem vorgehaltenen linken Arme birgt.
Das Gewand ist nur noch auf dem linken Schenkel. Eine meisterhafte Mo-
tivirung mit jener schrägen Wechselwirkung der Bewegung, die gewiss auch
1) Müller- Wieseler D. A. K. I. Taf. 21. n. 109.
Die Niobidenreliefs. 185
statuarisch durchgebildet war. Dies Bergen des Hauptes hinter dem Arme
wird uns an einer Tochter der Niobe auf einer albanischen Zeichnung
auch erwähnt. Statt desselben weist Sarkophag B einen seit- und rück-
wärtswankenden Niobiden auf, der mit der linken Hand nach dem in der
Seite steckenden Pfeile greift, während die rechte nach vorn gehoben ist.
Die Chlamys ist im Begriff von der Schulter, wo sich ihre Spangen gelöst,
nach hinten herabzufallen. Der Kopf ist ganz zurückgeworfen.
Was endlich die zwei Töchter betrifft, welche auf beiden Sarkopha-
gen die eine Nebenseite bilden, so sind hier die Motive bei B beide neu und
von den auf der Vorderseite angewendeten entschieden abweichend, bei A
dagegen kehrt das eine bereits vorn angewendete in einer Gestalt durchaus
wieder. Hier eilen nämlich zwei erwachsene Töchter in ihrer Verwirrung
auf einander zu, beide mit bogenförmig geschwungenen Obergewändern, die
eine in der Bewegung beider Hände der einzeln von vorn sichtbaren fliehen-
den Tochter gleich; an der andern ihr entgegenstrebenden ist die Entblös-
sung des einen Beines vom wehenden, geschlitzten Chiton charakteristisch.
Dort erlahmt dagegen die eine von beiden, wesentlich von der Rückseile
gesehene im Vorwärtsschreiten durch den in ihrer rechten Hüfte steckenden
Pfeil, den sie krampfhaft fasst, während der linke Arm vorwärts gewendet
die offene Hand erhebt. Die andere stützt sich, bereits schwächer geworden,
auf ein Postament, die Arme liegen schon kraftlos an, das Haupt sinkt tief
herab, der Chiton ist von der linken Schulter gesunken, das Obergewand
auf den unteren Körper herabgesunken. So gewinnt in der #That hier die
Darstellung rechts und links einen Abschluss. Zu beachten ist wohl, dass
die Pfeile selbst nur hier in der Nebenseite, ja einmal auf B sichtbar darge-
stellt werden, während wir sie bisher durchaus auf allen plastischen Darstel-
lungen nicht selbst angebracht sahen. Die andere Reihe von Sarkophagdar-
stellungen zeigen sie uns viel häufiger, gewiss keine Empfehlung einer älte-
ren, idealgriechischen Auffassung.
Noch bleibt uns übrig des schmalen oberen Frieses mit den Lei-
chen der Niobiden zu gedenken. Dass ein solcher, der dem Deckel ent-
spricht , überhaupt ausser der Inschrift, die er zu tragen pflegt, mit Orna-
menten, mit halbschwebenden Genien u. dgl. geschmückt wird, ist eine allbe-
kannte Form. Aber er wird auch und zwar an trefflich gearbeiteten Werken
mit ganzen mythologischen Gestaltenreihen, die eine ruhige reihenweise Be-
wegung darstellen1), vor allem bei gewaltigen Kämpfen, tragischen Unter-
gängen mit dem Schlüsse der Tragödie, mit dem Threnos um die Gefallenen,
mit dem Bilde des alles ausgleichenden Todes, analog der in dem Sarkophag
ruhenden Person ausgestattet. So finden wir es bei dem Untergange des
1) So der Zug der Tritonen und Nereiden über den Aktaeonsarkophag s. Visconti mon.
Borghes. t. 26. •
1 86 Zweites Kapitel.
Atridenhauses , bei Amazonenkämpfen, bei Barbarenkämpfen. Wir dürfen
wohl dabei auch daran erinnern, dass die lykischen Grabdenkmäler des edel-
sten Stiles mit zwei Friesreihen ausgestattet erscheinen, dass auf den berühm-
ten Cameos des Augustus und Tiberius zwar kein oberer, aber ein unterer
schmaler Fries mit dem Bilde der Klage der unterworfenen Barbaren sich
findet. Und bei den Niobiden sind es ja gerade die gehäuften , daliegenden
Leichen, die nach der homerischen Stelle erst die Götter bestatten, oder ist es
deren feierliche Ausstellung und Bestattung, die uns die Dichter vorführen.
Auf beiden Reliefs ziehen sich zwar Vorhänge mit Rosetten in regelmäs-
sigen Zwischenräumen befestigt hin, aber auf A nur hinter den Leichen der
Töchter, auf B auch hinter denen der Söhne. Damit hängt zusammen, dass
auf A die Lage der Söhne durch den felsigen Boden modificirt erscheint
Auch fehlen Schemel oder niedrige Postamente als Ausruhepunkte, wenig-
stens für die Töchter, nicht. An Zahl unterscheiden sich beide Darstellun-
gen wieder, auf B sind alle vierzehn Leichen wirklich vereinigt, aber nicht
ohne dass je drei der getrennt geordneten Töchter und Söhne eine fast be-
dauernswerthe Unterlage der anderen bildeten. Auf A dagegen hat man sich
mit je fünf nach beiden Seiten hin begnügt und jene Aufhäufung dadurch
vermieden, dafür freilich wenigstens bei den Töchtern eine gewisse Ein-
förmigkeit der Annmotive eingetauscht. In der Einzelanordnung treten wohl
berechnete Verhältnisse einem entgegen. Zu je drei wie zu je zwei, aber in
mannigfachem Wechsel der Glieder sind entsprechende Lagen geordnet und
dabei doch trefflich einzelne Situationen gewählt. Hier ein herrlicher Frauen-
leib in voller Entblössung ausgestreckt im ruhigen Todesschlaf, dort eine
andere Tochter, züchtig bekleidet, streng anziehend die Kniee, hier ein Sohn
halb knieend vorwärts gebeugt, das Gesicht mit den Armen verdeckend, dort
ein anderer in gekrümmter Lage niedergestreckt. Die Pfeile sind bei A an
den Söhnen wenigstens grossentheils sichtbar.
Eine bemerkenswerthe Verschiedenheit findet sich in den giebelarti-
gen Aufsätzen der Seitenflächen. Während Sarkophag A ganz einfach
Wollkorb und zwei Jagdspeere mit Netz als Zeichen der Beschäftigung der
Niobesöhne und Töchter, als Zeichen des Lebens im Hause und draussen im
Freien aufweist, sehen wir an der einen Seite von B eine in tiefer Trauer
sitzende Gestalt; das Obergewand ist als Schleier über das Haupt gezogen,
der rechte Arm ruht auf dem Knie des angezogenen rechten Beins und stützt
das gebeugte Haupt an der Schläfe ; der linke Arm ist quer über bis unter den
rechten gelegt. Ein rechtes Bild der trauernden, in Trauer brütenden Mutter!
Auf der andern Seite ist ein starker Kranz mit breiten Bändern angebracht.
Nicht ohne reichlichen Gewinn für'die Erkenntniss einer grundlegenden
Composition und ihrer nie ohne Sinn und Verstand, immer mit noch leben-
digem Gefühle für wirkungsvolle, wohlabgewogene Anordnung gemachten
Variationen haben wir, hoffe ich, diese ins Einzelnste gehende Vergleichung
Die Niobidenreliefs. 1 87
durchgeführt. Die Elemente selbst, aus denen die Composition besteht, sind
noch einfacher Art ; in den dabei auftretenden Personen haben wir keine Re-
petitionen, jede hat ihren besondern Beruf gleichsam ; auch die äussere Si-
tuation, in der die Kinder der Niobe überrascht werden, ist nur gerade hin-
reichend angedeutet, greift nicht mit einem gewissen Luxus der Ausmalung
der Scene in die Hauptmotive ein. Ueberhaupt haben wir keine berechnete
Schaustellungen dabei zu beobachten gehabt. Beide Variationen haben ihre
eigentümlichen Vorzüge und wenn wir auch dem Sarkophag Casali die bes-
sere Arbeit gewiss zuerkennen, möchten wir dies für die Composition und
Wahl der einzelnen Motive nicht sagen.
Die zweite Composition der Niobidendarstellung auf Sarkophagen,
zu der wir uns nun wenden, ist uns mit Sicherheit an drei grösseren Monu-
menten und ein Paar Fragmenten bekannt. Voran steht an Werth des Stiles
und bereits längerer Anerkennung das Borghesische Sarkophagre-
lief (C), welches mit den Schätzen der Villa Borghese nach Paris kam, dann
aber für ein anderes Werk, das in Paris zurückblieb, nach Venedig versetzt
ward und dort in der Sammlung bei der Bibliothek di San Marco sich befindet.
Winkelmann gab es zuerst heraus, in genauerer Zeichnung dann Visconti1).
Ueber den Fundort sind wir nicht unterrichtet, doch haben wir ihn wohl nur
in der Umgebung Roms zu suchen. Der Zeit nach gehört die Auffindung
bereits wahrscheinlicherweise in die erste Hälfte des sechzehnten Jahrhun-
derts, da wir oben eine freie Reproduction der darauf erhaltenen Motive in
einer Zeichnung von Giulio Romano fanden. Es ist nicht der ganze Sarko-
phag mehr erhalten, sondern nur die Vorderseite : die Reliefdarstellung ist
wie eingesenkt zwischen breiten Leisten auf allen vier Seiten und der Hin-
tergrund biegt sich oben und an den Seiten nach dem äusseren Rande. Ein
Perlenstab bekränzt oben diesen Leisten, um wieder einen Abacus zu tragen,
nach unten ruht der Rahmen auf einer mit aufrechtstehenden Akanthusblät-
tern gezierten Welle und einer einfachen Basis. Wir sind daher durchaus
nicht unterrichtet, ob nicht am Deckel des Sarkophags ein schmalerer Fries
sich hinzog mit einer weiter unten zu besprechenden Darstellung, ebensowe-
nig über etwaige Darstellung der Seitenflächen. Der Stoff ist Marmor von
Luna, die Verhältnisse werden auf 8 Palmi 5 Zoll Länge, 1 P. 11 Zoll
Höhe angegeben.
Viel besser sind wir über die äussern Verhältnisse des zweiten hierher-
gehörigen Denkmals unterrichtet, über den jetzt im Lateranischen Mu-
seum befindlichen Sarkophag aus der Vigna Lozano-Argoli (D), der 1839
1) Winkelmann Mon. ined. t. 89 mit Text dazu ; dann Sculture di Villa Pinciana 1, 16
und Visconti Monum. scelti Börghes. p. 225 ff. tav. 31 der Ausgabe von Labus. Mil. 1837.
Kurz berichtet über das Relief in seiner jetzigen Aufstellung zu Venedig Thiersch Reise
in Italien S. 247.
\ 88 Zweites Kapitel.
entdeckt wurde und von Cav. Grifi mit den andern daselbst gefundenen Sar-
kophagen und einer weitläufigen Abhandlung im zehnten Bande der Abhand-
lungen der päpstlichen archäologischen Akademie herausgegeben worden
ist f) . Der Fundort befindet sich bei der Porta Viminalis dem Prätorianerla-
ger gegenüber; es wurde hier ein viereckiger Quaderbau von Travertin 30
Palmen Breite, 20 P. Höhe entdeckt, auf dessen oberer Corniche die Reste
von einer Attica und wahrscheinlich einem pyramidalen oder konischen Ab-
schluss sich fanden. Eine niedere Eingangsthür mit reichgegliederter Um-
fassung fuhrt in einen Raum, der zwischen vier starken Pfeilern vier Nischen
zeigt ; die eine nimmt der Eingang ein. Hier waren drei Marmorsarkophage
aufgestellt, deren zwei in ihrer ganzen Anordnung und ornamentistischem
Detail sich genau entsprechen. Die Grössenverhältnisse sind 9 P. Länge,
3 — 3% P. Höhe ohne den Deckel, dessen Höhe selbst noch 1 P. beträgt.
Der erste, dem Eintretenden gegenüberstehende ist mit einer reichen von
zwei Genien an den Ecken und einem Satyr in der Mitte getragenen Frucht-
guirlande geziert, in deren Bogen zwei Medusenmasken als Abwehr jedes
bösen, verderblichen Einflusses, jeder Störung der Grabesruhe angebracht
sind. Ein oberer Fries zeigt ein sinniges Bild eines von acht Knaben oder
Genien auf verschiedenen Thieren veranstalteten Wettrennens mit interes-
santen Einzelheiten, ein Bild menschlichen Lebens und Ringens. Die zwei
anderen sind dagegen mit einer Darstellung hochtragischer Stoffe geschmückt
und zwar ist hier die Niobiden- und Orestessage sich gegenübergestellt.
Vorderseite, Seitenfläche und Deckelfries vorn und an den Seiten kommen
dabei in Betracht. Um der Orestesdarstellung kurz zu gedenken, haben wir
im Hauptbild die Ermordung von Aegisth und Klytämnestra, die Mahnung
des Vaters, den Fluch der Mutter und die Flucht zum delphischen Gott, in
den Seitenbildern das Einsteigen der Schatten der Gemordeten in den
Nachen des Charon und gegenüber die furchtbare, die Fackel schwingende
Erinnys. Der schmalere Fries enthält die letzte Sühnung durch Heimholung
des Bildes der Artemis und der Iphigenia ebenfalls in drei scharfgeschiede-
nen Scenen. Starke Fackeln sind an der Seitenfläche angebracht, die Ecke
selbst durch Masken mit phrygischer Mütze bezeichnet. An den zwei Unter-
lagern des Sarkophags befindet sich je ein die beiden Arme hebender Atlant.
Die Atlanten kehren genau so am Niobidensarkophag wieder, ebenso mit
kleiner Aenderung der Mütze die Eckmasken ; der obere Fries zeigt aber nur
zwei kleine Reliefs mit je einer Gestalt an beiden Ecken, während der Mit-
telraum frei gelassen ist und für eine Inschrift sichtlich bestimmt war. Von
I) Atti della pontificia academia rom. di archeologia. Vol. X. 1842. p. 223 — 330, auf
den Niobidensarkophag bezüglich p. 248 — 292. tav. 111. Vgl. noch Abeken in Bullett. 1839.
p. 1 — 1. 39; Notiz in Kunstbl. 1*39. n. 34; Brunn ebendas. 1844. n. 77 eingehend und
gründlich ; E. Braun Ruinen u. Mus. Roms S. 745.
Die Niobidenreliefs. Jg9
Inschriften ist aber in und bei den Sarkophagen nichts gefunden, auch nichts
von Gefässen u. dgl. Im Innern der Sarkophage befanden sich mehrere Ge-
beine. Aber es ist wichtig, dass die für das Innere des Raumes verwendeten
Backsteine den Stempel tragen: EX. PRE. DOM. LVCIL., d. h. was aus
zahlreichen andern Beispielen sich ergiebt aus den Fabriken der Domitia
Lucilla, der Mutter des M. Aurel stammen. Danach ist also die Verferti-
gungszeit auch der Sarkophage gegen die Hälfte des zweiten Jahrhunderts
n. Chr. Geb. zu setzen. Brunn berichtet noch von einer Inschrift, die das
dritte Consulat des Servianus, das Jahr 134 n. Chr. enthält.
Das dritte Beispiel dieser Niobidencomposition bietet der sehr grosse
Sarkophag der alten Pembrokeschen Sammlung in Wiltonhouse (E) bei
Salisbury in England. Dass auch er aus Rom stammt, ist sehr wahrschein-
lich, da ein grosser Theil der Sammlung aus der Versteigerung der ersten
Sammlung Giustiniani in Rom Ende des 1 7ten Jahrhunderts gebildet ward.
Leider ist das Werk noch nicht publicirt, sondern in den Beschreibungen
der dortigen Sammlung ungenügend beschrieben1), sowie von einzelnen Rei-
senden, von Göde2) und von Waagen8) kurz besprochen. Winkelmann
kannte dasselbe und führt es zweimal an, bezieht mit Recht eine Zeichnung
der Sammlung Albani darauf. Das Relief ist ausserordentlich hoch gehalten,
so dass die Köpfe ganz frei herausstehen und verräth eine durchaus späte
Entstehungszeit, wenn auch viel Sorgfalt, die sich in der genauen Bezeich-
nung eines waldigen Hintergrundes ausspricht. Es ist in vielen Theilen
restaurirt. Wir können daher bei der vergleichenden Besprechung dieser
Composition nur die beiden ersten Monumente genauer zusammenhalten,
nur in den allgemeineren Punkten das Pembrokesche Relief mit heranziehen.
Und in seiner Vollständigkeit gesichert ist uns nur der Lateranische Sar-
kophag.
Auf der Hauptdarstellung erscheinen zwanzig menschliche Gestalten
und zwar sieben Söhne, sieben Töchter, die Mutter, eine Amme, zwei Päda-
1) Ich konnte nur benutzen J. Kennedy a description of the antiquities andcuriosities
in Wiltonhouse. Salisbury 1769. p. 103 ; Welcker A. D. I. S.308 führt an eine Beschreibung
aus dem J. 1798. p. 106. Aus einem Katalog ersehe ich die Existenz von Newton notes on
the sculptures at Wiltonhoue. London 1*49.
2) Reise nach England V. S. 13S; Welcker Ztschr. f. a. K. S. 592 f.
3) Kunstwerke u. Künstler in England II. S. 27S. Leider war mir die neue englische
Bearbeitung dieses Werkes nicht zuganglich. Waagen hat auch durchaus richtig erkannt,
dass das zweite Relief Kennedy p. 10 selbst mit dem Niobidenuntergang, gegen dessen
Alterthum auch Welcker kein Bedenken hat, ein Werk der italienischen Renais-
sance ist, wahrscheinlich des Bildhauers Benedetto Rovezzano aus Florenz, der unter
Heinrich VIII. nach England übersiedelte. Es ist ein Basrelief in feinem weissen Marmor
von zierlicher Ausführung mit den schiessenden Gottheiten in der Luft, mit sechs Söh-
nen zu Ross und fünf Töchtern der Niobe, die selbst knieend ihre Hände zum Himmel
erhebt.
190 Zweites Kapitel.
gogen uud ein mit Recht längst als Amphion bezeichneter gepanzerter Mann.
In der Beschreibung von E wird uns neben diesen ebenso aufgeführten noch
in dem waldigen Hintergrund die Gestalt einer sitzenden Waldesgottheit,
eines Sylvanus genannt, der mit Erschrecken dem Vorgang zuschaut1). Dass
eine theilnehmende Ortsgottheit nicht ungehörig sei, leuchtet von selbst ein
und wir werden auf sie bei der Betrachtung der Seitenfelder entschieden zu-
rückkommen müssen. Es kommen noch hinzu eine Anzahl Pferde und zwar
bei C nur vier, bei D und E dagegen fünf. Die Oertlichkeit ist auf C mehr-
fach durch Felsabhänge bezeichnet, in E zugleich als Wald; auf/) tritt an
ein Paar Punkten die Felsandeutung hervor, aber den Schlusspunkt bildet auf
dem linken Ende eine starke, rohdorische Säule, eine entschiedene Andeu-
tung des hier beginnenden Königspalastes, an dessen Eingang also die letzte
Gruppe zu denken ist.
Die Gesammtanordnung ist in der Hauptsache bei C und D die gleiche,
doch sind, wie das Verhältniss der Höhe zur Breite bei ihnen nicht ganz das
gleiche ist, das Borghesische Relief sich mehr der Natur des Frieses nähert,
das Lateranische dagegen höher im Verhältniss zur Länge gehalten ist, mehr
einer gemalten Tafel ähnlich erscheint, auch die einzelnen Gruppen bei Cmehr
breit auseinander gehalten, bei D mehr steil gedrängt. Das scheint in noch
höherem Masse bei E der Fall zu sein. Wir haben in dieser Composkion
Mitte und beide Enden und dann zwischen denselben je zwei Gruppen zu
scheiden, also sechs Hauptmotive. Zu diesen kommen als begleitende Mo-
tive im höher gelegten Hintergrund oder tiefer am Boden ebenfalls noch
sechs andere hinzu.
In der Mitte sehen wir ein auf den Hinterfüssen sich aufrichtendes Ross,
sichtlich durch das die ganze Katastrophe begleitende Getöse, durch die viel-
fache Todesgefahr in die höchste Aufregung versetzt. Noch hält sich krampf-
haft der Reiter, welcher abgeworfen ist, ein schöner Jüngling in der Chla-
mys, mit der Linken an den Zügeln fest, aber seine Kraft schwindet, wäh-
rend er vergebens mit der Rechten den Pfeil aus der Brust zu ziehen ver-
sucht und sein gestreckter, jugendlicher Körper mit übergeschlagenen Füs-
sen, mit dem zurücksinkenden Haupt bildet in seiner Linie, wie in seiner
Passivität einen wirkungsvollen Gegensatz zu dem kraftvollen Aufsprung des
Pferdes. Auf Relief D ist der Niobide mehr in die Knie gesunken, wo-
durch ein schärferer Winkel gebildet wird, sein Haupt ist mit dem vollen
Ausdruck des Schmerzes dem Beschauer entgegengerichtet, die den Zügel
haltende Hand hängt nur in ihm ; das Pferd hat ein Thierfell als Decke.
Rechts und links stehen in sichtlicher Correspondenz zwei sinkende,
1) J. Kennedy a.a.O. : and at a distance by some of the trees Sylvanus the divinity
of the woods Bits looking on with a grave concern. Weiter unten werden Oberhaupt 20
Figuren angeführt, aber dann Sylvanus nebst den 20 andern genannt.
Die Niobidenreliefs. 191
an dem Boden mit den Füssen hinstreifende, fast schleifende Töchter, ge-
halten von einem Pädagogen auf der linken Seite, von einer Amme auf
der rechten. Es geschieht dies nicht ohne eine gewisse Schaustellung der
schönen, bis auf den Unterleib ganz entblössten Körper, von da umhüllt das
Obergewand eng die unteren Theile. Die Arme sinken auf C — und wir
gehen zunächst von diesem Monument aus — bei der einen beide matt herab,
sie wird unter den Achseln vom Pädagogen gefasst, der mit dem einen Beine
knieend von hinten nach vorn geeilt ist, um sie aufzufangen im Sinken. Die
andere Tochter hat noch den rechten Arm um den Nacken der von der Seite
herbeikommenden, sie sorglich umfassenden Alten geschlungen, während der
linke niedersinkt. Die Köpfe der beiden sinken je nach der entgegenge-
setzten Seite, sowie die Linien des Körpers ebenso nach zwei Seiten ablen-
ken. Noch fallen vom Haupt je zwei Locken auf die Schulter und ein breites
Band umschlingt die Haare. Auch der alten Wärterin, die das Haupt mit
dem bekannten, fremde Frauen und Kranke charakterisirenden Kopftuch be-
deckt hat, ist der Chiton von den Achseln tief in den Arm herabgefallen, das
Obergewand hat sie um den Leib in einen Knoten geschürzt. Der Pädagog
ist mit fliegendem zottigen Mantel und einem kurzen, etwas aufgeknöpften
Aermelchiton bekleidet und trägt die hohen Stiefel. Kummervolle Theil-
nahme prägt sich auf den alten, charakteristischen Zügen aus.
Die Auffassung dieser zwei Gruppen auf Relief D unterscheidet sich
durch grössere Steilheit der Lage, dadurch, dass bei beiden Töchtern der
tödtliche Pfeil, hier im Unterleib, dort in der Brust sichtbar ist, dass das Ge-
wand bei beiden über den einen Oberarm noch fällt, bei der einen aber fast
den ganzen Körper entblösst lässt, dass hier die eine Hand noch wie mecha-
nisch an dem Pfeile haftet, dort die eine auf dem Arm des Pädagogen ruht.
Wir gehen weiter zu den zwei folgenden Motiven, die in die Knie
sinkende Personen und Thiere in gleichem Niedersinken vorfuhren und eine
sichtliche künstlerische Beziehung zu einander haben. Hier wird ein in die
Knie gesunkener Sohn in der Chlamys umfasst von einem ebenfalls knieen-
den Pädagogen in der eben erwähnten Kleidung. Der Kahlkopf ist in ihm
stark ausgeprägt, während bei dem ersteren die Haare in die Stirne fallen.
Auf D drückt er zärtlich das Haupt des Knaben an das seine, auf C blickt er
wie fragend aufwärts, während der Kopf des Verwundeten sich zur Seite
beugt. Dort stürzt ein Sohn mit seinem Boss zusammen; das edle Thier
will eben sich wieder aufraffen, der Reiter kauert darauf, hat er auch noch
den Zügel mit der Linken gefasst , so sind seine Gedanken doch wo ganz
anders hingerichtet. Er blickt empor nach dem unsichtbaren Ausgangspunkt
des Verderbens, Staunen und Bitte um Verschonung im Gesicht. Die vom
Sturmwind hochgeflatterte Chlamys wird von der Rechten wie ein Segel ge-
halten. Die Auffassung auf D unterscheidet sich nur durch eine weniger
glückliche Behandlung des Pferdes, das platter auf die Erde gestürzt ist.
192 Zweites Kapitel.
Den Schlusspunkt der ganzen Composition bilden die Eltern selbst und
zwar rechts N i o b e mit zwei noch unverletzten Kindern, Sohn und Toch-
ter, links A m p h i o n mit dem in seinen Armen sterbenden kleinen Sohne.
Niobe ist noch in fast jugendlicher Schönheit dargestellt, im langen Chiton,
mit Diploidion, der aber von der rechten Schulter tief herab in den Arm ge-
sunken ist und so die rechte Brust und Seite weit hinab entblösst. Die Linke
ruht ihr auf dem Töchterchen, das sich an sie anlehnt und mit gehobener
Linken empordrängt, die gehobene Rechte hält das in Bogen flatternde Ober-
gewand. Reiche Locken fallen auf den Nacken nieder. Das Haupt ist zur
Seite und nach oben gerichtet. Der kleine Sohn zu der Mutter geflüchtet,
die rechte Hand offen zum Zeichen des Entsetzens hebend. Amphion ist
in lebhaftem Aussehreiten und Abwehr nach oben begriffen. Im rechten
Arme hält er den zurückgesunkenen Knaben, der linke hebt schützend den
Schild empor. Ein den Formen des Körpers genau an sich schmiegender
Panzer, eine hohe Fussbekleidung bekleidet ihn. Das bärtige, ältliche Haupt
mit rückwärts flatterndem Haar schaut über den Schildrand nach oben. Auch
bei diesen Gruppen begegnen uns nicht uninteressante Abweichungen auf D.
Da sind es zwei Mädchen, die die Mutter zu schützen sucht und zwar indem
sie auch den rechten Arm auf die Kleinste legt, wie der linke auf der grös-
seren auch auf C schon ruhte ; ihr Obergewand flattert noch mächtiger im
Halbkreise. Amphion trägt hier auch einen Helm und ist ganz vom Schilde
gedeckt ; den nach der Seite nicht rückwärts gesunkenen Sohne hält er mit
dem Arm und dem Knie des auf die Fussspitze gehobenen Beines.
Drei Relieffragmente sind uns mit dieser Gestalt des den jüngsten
Sohn in seinen Ann fassenden Amphion noch erhalten : eines früher im Pa-
last Rondanini, jetzt wahrscheinlich im Vatican, bei" Guattani f) veröffent-
licht, von Winkelmann gekannt und besprochen2), ein zweites im Vatican
irii Museo Chiaramonti 8) , ein drittes von Visconti aus dem Katalog von Mar-
celli über Villa Albani4) angeführt. Auf dem ersten erscheint dabei ein fort-
sprengendes Ross, das ohne Reiter wir in dieser Composition nicht finden,
wohl aber in der erst beschriebenen ; wir erwähnten bereits 5) , dass ein ande-
res Fragment mit dem Brüderpaar unmittelbar dazu zu passen scheint ; das
würde auch das fortsprengende Ross erklären. Wir hätten demnach Motive
aus beiden Compositionen vereint. Das zweite weist neben Amphion und
dem Sohne noch die Gruppe der vom Pädagogen gehaltenen Tochter mit
nacktem Oberkörper auf, die wir auf Relief C und D eben besprachen ; es
1) Monum. inedit. 1787. Dec. tav. 3. p. 91. 92.
2) Gesch. d. Kunst. IX. 2. g 30.
3) Beschreib. Roms II. 2. S. 68. n. 455.
4) Marcelli p. 562 bei Visconti Mon. scelti Borghes. p. 228. Not. 6.
5) 8. 183.
Die Niobidenreliefs. 193
erscheint diese Gruppe also nur nahe an die Ecke gesetzt. Ueber das dritte
Relief sind wir nicht näher unterrichtet.
Unter den sechs einzelnen Figuren, welche zwischen die Haupt-
gruppen eintreten, Lücken des Raumes ausfüllend, Bewegungen vermittelnd,
finden sich auf C zwei Söhne und vier Töchter, auf D drei Söhne und drei
Töchter. Die Söhne erscheinen durchaus zu Ross, im Hintergrund in voller
Eile davon jagend. Zwei Motive finden sich bei ihnen gleich : ein Niobide
in die Brust getroffen zur Seite vom forteilenden Rosse herabsinkend, ein
anderer in das linke Schulterblatt getroffen nach vorn über mit dem stolpern-
den oder zusammenbrechenden Pferde fallend. Man hat mit Recht die ovidi-
sche Schilderung des Todes der beiden die Rosse tummelnden Söhne, Ismenus
und Sipylus !) zur Vergleichung herangezogen ; jener
medioque in pectore fixus
tela gerit frenisque manu moriente remissis
in latus a dextro paullatim defluit armo ;
von diesem heisst es :
summaque tuinens cervice sagitta
haesit, dann
ille — pronus per colla admissa jubasque
volvitur — .
Aber wie der Dichter in dichterischer Weise den Verlauf der ganzen Hand-
lung uns vorfuhrt, den einen von einem bildenden Künstler wohl vor ihm
behandelten Moment nur als Schlusspunkt setzt, ja darüber noch hinausgreift,
so hat die bildende Kunst bei Darstellung desselben Moments doch auch ver-
schiedene Modifikationen gewählt. So hält sich auf Relief C der seitwärts
sinkende Jüngling noch mit der linken Hand auf dem Kopf des Pferdes, wir
sehen sein allmäliges Ermatten und Weichen, auf D ist bereits ein völliges
Geknicktsein im Kopf und der an den' Hals gelegten Linken ausgeprägt.
Auch bei dem anderen Reiter ist der Moment auf D greller, gewaltsamer
aufgefasst als auf C.
Der dritte allein auf D im Hintergrund sichtbare Niobide eilt nach dem
entgegengesetzten Ende noch unverletzt in hastigster Flucht auf dem ge-
streckt jagenden Ross ; den Hals umfassend, die Kniee an den Leib anzie-
hend, den Kopf vorgestreckt, die Chlamys nach hinten flattern lassend, bietet
er ein glückliches Gegenbild zu dem vornüber stürzenden Bruder. Wer
besonders darnach strebt, aus Dichterstellen derartige Situationen zu belögen,
könnte sagen, hier sei ein früherer Moment in der Schilderung des Sipylus
bei Ovid aufgefasst, jene Worte :
frena dabat Sipylus.
Jedoch haben wir dabei nicht zu vergessen, dass bei Ovid das Tummeln der
I) Metam. VI. 222 ff., dazu s. oben S. 73.
Stftrk, Xiobe. 13
1 94 Zweites Kapitel.
Rosse eine Beschäftigung der Söhne neben anderen ist, in der nur zwei über-
rascht werden, auf unseren Reliefs dagegen die Beschäftigung der grössten
Zahl (4 oder 5) und dass sie in den Mittelpunkt der Scene so recht gerückt ist.
Von den Töchtern, deren wir nun auf C vier allein gestellt, auf D nur
drei haben, ist bei beiden eine bereits todt niedergesunken, aber dort liegt
sie zum Theil nur sichtbar tief auf dem Boden im stillen Todesschlaf und
zwar mit dem Haupte tiefer als mit dein Körper; die Linke ruht auf der
Brust. Chiton und Obergewand bedecken wohlgeordnet den jungfräulichen
Leib. Anders auf D ; hier ist sie schräg rückwärts auf den Felsen gesunken ;
ihr Gewand ist im vorausgegangenen Todeskampfe vom Körper fast herab-
gesunken, ihr Haar ist über dem zurückgebeugten Kopf tief rückwärts ge-
sträubt ; noch hält sie krampfhaft mit der Rechten den im Zwerchfell stecken-
den Pfeil, während die Linke tief herabgesunken ist.
Zwei Töchter sind auf beiden Reliefs wesentlich gleich motivirt, die eine
von vorn, die andere auf der Rückseite sichtbar. Jene kniet, wie von hinten
mehr nach vorn fliehend, mit ihrem rechten Bein auf einer Feklage, das
Haupt schräg nach ihrer linken Seite und oben gerichtet, nach dem Ursprung
der Gefahr ausschauend ; das Obergewand ist bogenförmig geschwrellt, bei C
von beiden Händen gehalten, bei D nur von einer, während die andere ge-
hoben mit geöffneter Innenseite das Entsetzen verräth- Die andere weicht
rückwärts zurück, mit zurückgebeugtem Haupte, mit ausgebreiteten Armen,
welche das Himation ebenfalls bogenförmig spannen. Der höchste Moment
des Aussersichseins ist auf C noch in dem von den Schultern herabgefalleneu
Chiton ausgeprägt. Eine vierte Tochter endlich, welche Relief C allein auf-
weist, ist der ersteren von den zwei ebenbeschriebenen in der Haltung sehr
ähnlich, nur dass gleichmässig beide Arme gehoben sind, das Himation ruhig
herabhängt; ein Pfeil scheint sie im Rücken getroffen zu haben.
Wie in der eben noeh beschriebenen Gestalt, weist in einer Anzahl der
anderen, die wir bereits charakterisirt, das Aufblicken nach oben, nach den
Ausgangspunkten des Verderbens mit einer gewissen Bestimmtheit bei dem
unverkennbaren Streben nach möglichster Vollständigkeit der Darstellung auf
das Erscheinen der Gottheiten selbst auf einer Art Theologeion hin, wenn
wir hier den Vergleich mit der tragischen Bühne näher durchfuhren wollen,
der ja bei diesen Reliefe tragischer Stoffe so unmittelbar sich aufdrängt. Und
in der That fehlen uns bei D die vernichtenden Gottheiten nicht, über C und
E können wir darin nicht urtheilen, da uns überhaupt der Sarkophagdeckel
nicht mehr erhalten ist. Dort sehen wir in verkleinerter Gestalt an den En-
den des obern Frieses, auf der Linken Apollo, auf der Rechten Artemis in
eiligem Lauf mit gespanntem Bogen. Jener eilt gerade aus mit rückwärts-
flatternder Chlamys. Hinter ihm steht auf einer Basis der Dreifuss, sein ihm
heiliges Symbol, besonders in Delphi, von wo er also auszugehen scheint.
Artemis ist in langem Chiton und Diploidion; auch ihr Obergewand weht
Die Niobidenreliefs. 195
nach hinten. Sie eilt von einer mit einem Baum besetzten Anhöhe herab.
Man kann bei derselben an Delos und den Kynthischen Berg mit dem heili-
gen Lorbeer dort denken.
Werfen wir nun noch einen Blick auf die Seitenflächen des einen
uns vollständig erhaltenen Sarkophages D. Die dem Deckel angehörigen,
fast dreieckfbrmigen Flächen enthalten Symbole der beiden Gottheiten : hier
apollinische in Köcher und Bogen, Rabe, Leier, dort artemisische in Wild,
Jagdhund, Köcher mit Bogen und Jagdspeer. Darunter erhalten wir aber
aber noch zwei ruhige Scenen, die eine friedlicher, die andere tief elegischer
Natur, die einen entschiedenen Contrast zu der gedrängten, überreichen
Handlung der Vorderseite bilden. Unter den apollinischen Zeichen sehen
wir eine Hirtenscene. Im Vordergrund sitzt eine jugendliche man n 1 i c h e
Gestalt in kurzem Aermelchiton der Arbeiter mit einfachem, auf der rech-
ten Schulter befestigten Mantel darüber, auf einem von rohen Steinen gebil-
deten Sitz unter einem seine schattigen Aeste verbreitenden Baum. Während
das linke Bein ziemlich schräg gestellt auf einem als Schemel dienenden
Stein aufruht, ist das rechte hoch hinauf- und eingezogen. Die Linke hält den
Hirtenstab ruhig schulternd, die Rechte ist mit dem Ausdrucke eines lebhaf-
teren Interesses nach einer weiter zurück sichtbaren weiblichen Figur geho-
ben, der auch der Kopf zugewendet ist. Vor ihm ruhen behaglich zwei Stiere.
Jene weibliche Figur ist auf einem Steinlager, einer wie halbfertigen,
aus grossen Steinen gethürmten Mauer in behaglicher Motivirung gelagert.
Auch sie hat das rechte Bein angezogen, das linke bequemer gestreckt, ihr
linker Arm ruht auf einem etwas höheren Mauertheil, die rechte Hand fasst
dagegen an den Zweig des zu ihren Füssen sich erhebenden Baumes. So
kann sie ihren Kopf mehr nach vorn und umwenden zu dem Jüngling im
Vordergrund. Ihre Bekleidung ist einfach, lang hinabreichend, gegürtet,
mit halben Aermeln, ein Obergewand, auf dem sie wohl als Lager, zunächst
ruht, schlägt sich um die nackten Füsse. Das Haar ist einfach, anschliessend
an den Kopf geordnet. Die Bildung ist durchaus jugendlich. Wir werden
einfach zunächst nichts anderes in dieser Situation finden können, als einen
Rinderhirten im Gespräch mit einer weiblichen Ortsgottheit, wie diese halb
gelagert , halb sitzend häufig uns erscheinen !) . Die Ocrtlichkeit selbst
bezeichnen theils die Bäume, theils jene Steinlager, bei denen wir allerdings
nicht gut blos an einen felsigen Berg erinnert werden.
Ehe wir eine genauere mythologische Beziehung in Verbindung mit der
Vorderseite suchen, ist es gut, das zweite Seitenbild sich anzusehen, da& in
sichtbarer Correspondenz dazu gebildet ist. Auch hier rahmen zwei Bäume
die Scene ein, auch hier sitzt rechts eine Gestalt auf Steinsitz, aber diesmal
1) So bezeichnet sie auch, wie ich nachträglich sehe, E. Braun Kuin. u. Mus. Borns
8. 746 und Brunn bereits im Kunstbl. 1844. n. 77.
13*
) 96 Zweites Kapitel.
die weibliche und ihr gegenüber steht eine männliche Gestalt, den
Arm auf einen Stab gestützt, sichtlich auch in naher gemüthlicher Beziehung
gedacht. Zwischen beiden im Hintergründe erscheint ein nicht sehr grosser
Rundbau auf Stufen mit Kuppeldach, eine grosse wohl in Felder gegliederte
Eingangsthüre und mit einer grossen, über der Thüre sich hinziehenden
Guirlande geschmückt. Palmetten umstecken das durch einzelne Rippen
gegliederte, aber durch einen Knopf bekrönte Dach. Wir haben hier ganz
die Form eines Grabdenkmals, wie uns diese Form als römische so viel-
fach noch in grossartigen Ueberresten — ich erinnere nur an das Grab der
Caecilia Metella — begegnet. Dazu passt vollkommen die Auffassung der
matronalen sitzenden Gestalt , sie erscheint als eine tief trauernde. Die
Beine übereinandergeschlagen, die Arme auf den Knieen ruhend, das Haupt
zur Seite gesenkt, den Oberkörper etwas vorgebeugt, das Obergewand als
Schleier vom Kopf herabfallen lassend und die ganze Gestalt in seine Falten
bergend, endlich mit tief ernstem Ausdruck des Gesichts, so giebt sie sich kund
als die, welche den Schmerz um die im Grabmal Geborgenen trägt. Wir können
in ihr im Zusammenhang mit der Vorderseite nur Niobe sehen, sitzend am
Grabmale der Kinder, wie sie Aeschylos bereits auf die Bühne gebracht. Die
männliche Gestalt ihr gegenüber trägt die entschiedenen Zeichen eines theil-
nehmenden, aber nicht unmittelbar mit vom Verlust betroffenen Mannes und
zwar aus der Sphäre der Hirten, der im Freien lebenden und thätigen Naturen.
Die hohen Stiefel, der kurze Aermelchiton, der dicke, hinten hinabhängende
aber kurze Mantel, das bärtige, nichtideale Gesicht, der Knotenstock, auf
dem er sich mit der untergelegten rechten Hand und linken Ellenbogen
stützt, die ganze Stellung mit übergesetztem linken Bein, legen dafür Zeug-
niss ab. Was liegt hier näher, als dass wir in ihm einen theilnehmenden
Hirten der Stätten, wo das Grab der Kinder zu suchen ist, dass wir in diesem
den Sipylos selbst, den Berggott erkennen? An den Vater Tantalos, an
den Bruder Pelops, an Zethos, kann nach dem ganzen Costüm und Körper-
bildung, wie Situation nicht gedacht werden. Schwerlich hat doch auch der
Pädagog, den Brunn meint, hier einen passenden Platz, so allein und gleich-
berechtigt Niobe gegenüber. Und was bietet sich in der Einsamkeit der
freien, von Bäumen und Steinen hinreichend bezeichneten Natur einfacher
dar, als der schützende, theilnehmende Geist dieser Stätte l
Nun können wir rückwärts der anderen Darstellung auch eine schär-
fere Bezeichnung geben. Wie diese trauernde Niobe der noch jugendli-
chen , die Kinder schützenden Niobe vorn fast Rücken an Rücken sitzt, so
dort umgekehrt Amphion, der jugendliche Rinderhirt im Gebirge bei The-
ben dem bärtigen, das Kind vertheidigenden Mann Amphion. Es ist ein
Bild aus seinem früheren Leben. Und die weibliche Ortsgottheit, die auf
der Felsenmauer ihm gegenüber ruht, mit ihm spricht, möchte ich nicht an
ders als Thebe bezeichnen, die ja zu ihm oder zu Zethos in unmittelbarste
Die Niobidenreliefs. 197
Beziehung als Gemahlin auch wohl gesetzt wird, deren Mauerhau speciell
Amphion zukommt, die ihn etwa hier ähnlich einer Oinone Paris gegenüber
auf das tragische Geschick, das seiner harre in der Ehe mit Niobe, prophe-
tisch hinweist.
So einigen sich trefflich beide Nebenbilder, als mythologische Pastorajen
zur Tragödie der Vorderseite. Die durchaus abweichende Erklärung, die
von Grifi für dieselben aufgestellt ist und auch von Welcker1) nicht zurück-
gewiesen wrird, bedarf nach den obigen Darlegungen wohl nicht einer beson-
deren Bekämpfung. Grifi sieht in dem Hirten den bei Admet dienenden
Apollo, der von Latona zur Rache an Niobe aufgefordert wurde, zu Niobe
wird Amphion oder noch lieber Zethos gestellt. Was des Apollo^ Hirten-
dienst bei Admet mit der Niobesage zu thun habe, ist uns gänzlich unbe-
kannt. Eine zürnende Leto wird schwerlich Jemand in jener gelagerten
jugendlichen Gestalt erkennen können. Weder Amphion noch Zethos haben
bei der Bestattung der Niobiden noch bei ihrer Betrauerung an der einsamen
Grabstätte irgend etwas zu thun. Viel eher könnte da an Pelops gedacht
werden oder Tantalos, aber dass auch sie nicht in dieser Gestalt erscheinen,
ward schon oben bemerkt.
Kehren wir noch einmal zum Hauptrelief an der Vorderseite zurück,
vergleichen dieses mit der zuerst betrachteten Coinposition von Sarkophag-
relief?, so wird sich uns entschieden hier ein grösserer Aufwand von künst-
lerisch wirkenden Mitteln wie dort zeigen; denken wir nur an die Bedeu-
tung, welche die Rosse, ihre Flucht, sich Bäumen, Zusammenstürzen, die
Motive der Reiter hier geltend machen, denken wir an die Vermehrung der
agirenden Personen um einen zweiten Pädagogen, um Amphion, denken wir
endlich an die berechnete Schaustellung nackter Körper, welche hier so un-
verkennbar zu Tage tritt. Dass dagegen die Götter selbst entweder gar nicht
erscheinen, oder auf einer oberen Bühne gleichsam in der Ferne, kann ich
nicht mit Welcker als einen so hohen Vorzug dieses Reliefe vor den anderen
betrachten, im Gegen theil ich glaube, dass dem wahren griechischen Reliefstil
— und das Wrerk des Phidias spricht für uns und ebenso jenes schöne alba-
nische Relief — es entsprechend war die Götter als real erscheinend, wirkend
in unmittelbarer Nähe darzustellen, dass dagegen* ihre blos ideale Voraus-
setzung von der Statuengruppe erst auf das Relief übertragen ist. Und wir
wissen ja nicht, was ich schon bemerkte, ob nicht das Borghesische Relief
die Götter auch auf dem Deckelfries zeigte. Was das Verhältniss der beiden
Reliefe C und D unter sich betrifft, so hat die Beschreibung wohl die Wahr-
heit des oben angegebenen allgemeinen Unterschiedes im einzelnen Falle
bestätigt. Wir werden schönere Formen, grössere Anmuth dem Relief Bor-
ghese entschieden zugestehen, dagegen stärkeren, naturalistischeren Aus-
1) A. a. O. S. 311.
198 Zweites Kapitel.
druck dem des Lateran und bei diesem in ein Paar einzelnen Punkten an
einer glücklicheren Motivirung uns freuen.
l'eber zwei Reliefs haben wir nur eine ganz unzureichende Kunde,
so dass ihre Stellung zu den bisher behandelten Denkmälern sich nicht näher
bestimmen lässt. Welcker fuhrt zuerst aus dem Werk von Dallaway1) eine
Sarkophagplatte an, die bei einem Herrn J. B. S. Morrit in Rockeby in
Yorkshire sich befinden soll und aus Neapel, nicht aus Rom stammte. Es
wird „als über allen Vergleich mit dem Basrelief zu Wiltonhouse oder irgend
einem von demselben Gegenstand in England" bezeichnet. Der letzte Satz
scheint darauf hinzudeuten, dass auch noch andere in englischen Sammlun-
gen existiren.
Winkelmann2) fand in den Papieren des Pirro Ligorio (t 1580) auf
der vatikanischen Bibliothek die Notiz, dass sich in den Trümmern der ehe-
maligen sallustischen Gärten, also zwischen Monte Pincio und dem hinteren
Theile des Quirinal einige Figuren in erhabener Arbeit und in Lebensgrösse
fanden, die die Fabel der Niobe abbildeten und von sehr schöner Arbeit
waren. Die Bezeichnung in Lebensgrösse verbietet uns an eines der uns be-
kannten Reliefs zu denken ; am ehesten könnte man an das der Villa Albani
sich erinnern. Ein Wiederfinden eines so bedeutenden Werkes wäre aller-
dings für uns von unschätzbarem Werthe.
Auch die jüngere etruskische Kunst, welche für den Reliefschmuck
ihrer kleinen Aschenkisten wie der grossen Sarkophage eine Anzahl tragi-
scher und besonders blutig gewaltsamer Scenen aus der griechischen Mytho-
logie entnahm und in nationaler Weise, besonders was die dabei thätigen
göttlichen Mächte betrifft, sie umgestaltete, hat den Niobemythus nicht ganz
bei Seite liegen lassen. Ein interessantes Beispiel ist uns wenigstens bekannt
und in einer Zeichnung auch unserer Arbeit beigefugt3). Im J. 1S39 wurde
von den Gebrüdern Campanari bei Toscanella, dem alten Tuscania eine
grosse Grabkammer entdeckt mit siebenundzwanzig in zwei concentrischen
Kreisen gestellten Sarkophagen. Auf dem Deckel ruht immer der Verstor-
bene, die Mehrzahl Männer, doch auch Frauen und Kinder in charakteristi-
scher Auffassung der Porträts. Die Vorderseite ist zum grösseren Theil mit
Reliefs geschmückt; das bedeutendste darunter ist dasNiobidenrelief4), sonst
sind es Kanipfsceneu, Abschied, Trauerzug, Tri tonen und Meerungeheuer.
Das Material ist vulkanischer Tuff. Die Färbung war bei der Auffindung eine
wohl erhaltene, die Reliefs im Allgemeinen roth. Die Sarkophage befanden
1) Les beaux-arts en Angleterre, traduit de l'Anglais de N. Dallaway par M. public, et
augm. par Miliin. Paris 1S0T. I. II ; die Stelle 11. p. 141.
2) Gesch. d. Kunst 2. § 30.
3) Taf. XI. I.
4) Die Lange des Sarkophags betragt MHi Palmen, die Höhe ohne Decke) 1,09 P.
Die Niobidenreliefs. 199
sich später in dem Garten von Campanari. Unter den dabei gefundenen son-
stigen Gegenstanden wie Bronze u. dgl. waren drei Münzen, darunter eine
mit dem Namen des Divus Augustus. Es ergiebt sich also die Zeit der Denk-
mäler als dem ersten Jahrhundert der Kaiserzeit angehörig. Der Name Velthur
Velthurus auf einer etruskischen Inschrift ward mit Veturius der Familie Ve-
turia zusammengestellt. Nach den genauen Nachrichten über den Fund aus
demselben Jahre von Otto Jahn und Abeken1) gab Dennis zuerst eine kleine,
für eine genauere Betrachtung unzureichende Zeichnung des Sarkophages
seinem Abschnitte über Toscanella bei2J, endlich hat Secondiano Campanari
bereits 1839 eine kurze Abhandlung mit Abbildung der päbstlichen Akade-
mie der Archäologie in dem eilften Bande der Schriften vorgelegt, welche
aber erst im J. 1S52 zur Publikation gelangte3) und deren Existenz bei der
Seltenheit dieser Schriften in Deutschland und besonders der Seltenheit xler
letzten Theile kaum gekannt ist. Nach dieser Abbildung ist daher unsere
Tafel gegeben.
Auf dem Deckel ruht eine männliche Gestalt, den Kopf auf dem lin-
ken Arm gestützt, in der Rechten eine Schale haltend. Der Kopf ist mit
Kranz und anliegender Kappe geschmückt. Das Gewand bedeckt den Un-
terkörper und ist um den linken Arm geschlagen. Die Füsse sind mit Schu-
hen mit hohen Sohlen versehen. Rollenartige Giebel bilden oben und unten
den Abschluss. Die Vorderseite ist eingefasst durch ionische Püaster.
Dass dadurch der ganze in der Mitte dargestellte Vorgang in das Innere des
Hauses, d. h. etwa eines Säulenhofes des Palastes nicht verwiesen werde,
ergiebt sich aus der genau als steinig dargestellten Bodenfläche unter den
Gestalten. An beiden Enden begegnen uns die schiessenden Gotthei-
ten, also die Urheber des tragischen Untergangs und zwar in eigen thüm-
licher Weise, nicht eilend im Lauf, sondern sitzend, Artemis auf einem Sessel
mit gebogenen Thierfüssen, Apollo zur Rechten auf einem einfachen Felsen.
Beide sind mit grossen Flügeln am Rücken versehen, Apollo noch mit klei-
nen Kopfflügeln. Apollo ist mit einem kurzen Aermelchiton bekleidet, über
den schräg nach der Zeichnung bei Dennis das Köcherband läuft, und Jagd-
stiefeln ; der linke Fuss ist ausgestreckt , der rechte bequem angezogen ;
seine ganze Gestalt ist jugendlich und in ruhiger Position. Artemis, ebenso
jugendlich, ist dagegen in lebhafter Weise vorwärts gebeugt, gleichsam den
Pfeilen folgend; sie ist mit einem faltigen Aermelchiton bekleidet, über den
das über den linken Arm mit einem Zipfel geworfene Himation in reichen
1) Bullett. d. inst. arch. 1839. p. 23—28, bes. p. 25, dann p. 40. Erwähnt ist das
Werk auch bei Rathgeber Arch. Schrift. Th. 1. S. 326. Anm. 2963; 8. 408. Anm. 4192;
Gotth. d. Aioler. Gotha J861. S. 366.
2) Cities and cemeteries of Etruria. Vol. I. 1S48. p. 410.
3) Atti della pontif. acad. rom. di archeologia. Vol. XL p. 171 — 152 mit den entspre-
chenden Tafeln.
200 Zweites Kapitel.
Falten auf den Schooss herabgesunken ist. Dass die Gottheiten auch sitzend
wie aus einem abgelegenen Verstecke ihre Pfeile senden, ist eine Anschau-
ung, die uns im Homer gleich im Anfange der Ilias !) entgegentritt an Apollo,
dessen Pfeile durch das Lager der Achäer gehen neun Tage lang. Freilich
liegt die Anschauung darin nicht einer raschen, gleichzeitigen Katastrophe,
sondern eines andauernden Vernichtens. Die Beflügelung ist der etruski-
schen, an orientalische und altgriechische Formen vielfach noch spät sich an-
schliessenden, die Götter zu Dämonen, zu geschäftigen Dienern und Mittel-
wesen umwandelnden Kunst überhaupt sehr geläufig; die sogenannte per-
sische Artemis, die geflügelte Athene, die geflügelte Atropos u. A. sind ja aus
Denkmälern bekannt.
Zwischen beide Gottheiten sind acht Gestalten geordnet, und zwar
so, dass zwei Gruppen zu zwei mit je zwei einzelnen Figuren abwechseln.
Die Gruppen bestehen das eine Mal aus einem sinkenden Niobiden von einem
älteren Bruder unterstützt und gehalten, das andere Mal aus zwei weiblichen
Gestalten, ebenfalls einer sinkenden Tochter und einer hinter ihr stehenden
frauenhaften Gestalt, die sie zu schützen sucht. Die vier einzelnen Figuren,
welche theils zwischen beide Gruppen, theils zwischen die eine Gruppe und
Apollo eintreten, bestehen dort in einer wahrscheinlich eine Tochter darstel-
lenden weiblichen Gestalt und einem bärtigen als Pädagog charakterisirten
Mann, hier in einer fliehenden Tochter und einem Sohne.
Die Brüdergruppe zeigt den einen Niobiden in lebendiger Bewegung
von Artemis wegeilend mit flatternder Chlamys; an sein linkes Knie sinkt
ihm der Bruder mit untergeschlagenem einen Bein ; mit dem rechten Arm
tastet er noch nach dem Boden, aber sein Haupt verräth die sinkende Le-
benskraft. Der unterstützende Bruder hebt staunend und schmerzvoll den
rechten Arm gegen Artemis. Jagdstiefel und auch eine Kopfbedeckung (ob
ein Helm, wie Campanari meint, wahrscheinlicher eine phrygische Mütze)
charakterisiren ihn. Die zwei folgenden einzelnen Figuren, eine Niobide
und der Pädagog, sind beide in einer von einander sich abwendenden Be-
wegung, obgleich sie ihre Gesichter einander zukehren. Jene schreitet
der Gruppe der Brüder zu ; hoch hebt sie mit beiden nackten Armen den
Peplos, ihr Gesicht schmerzvoll zur Seite und zureük wendend ; der Chiton
mit Diploidion umgiebt in den Falten der Bewegung folgend die Gestalt
bis zu den Füssen. Ich hielt sie zuerst für Niobe selbst. Auffallend ist
aber dann [ihre Stellung ohne irgend eines der Kinder bei sich zu haben
und das Motiv des mit beiden Händen gehobenen Peplos lernten wir ge-
rade bei Töchtern kennen, jedoch ist ihre Stellung eine sehr markirte.
Auch der körperlichen Bildung nach eignet sich eine folgende Gestalt durch
Breite und Fülle entschieden mehr zur Niobe. Von ihr tritt nach der
1) II. I. 47: $&t intii Kntutv&t vtiav fitra (T tbr ?i/x*j'.
I
Die Niobidenreliefs. 20 J
andern Seite der Pädagog zurück, im kurzen Chiton, hohen Stiefeln, koni-
scher Arbeitermütze, den Knotenstock, der in der Zeichnung fast einem
türkischen Säbel gleicht, in der Linken, während die Rechte wie das
Schreckliche abweisend hoch gehoben ist. Die ganze Gestalt ist nach ihrer
linken Seite hin mehr zusammengebogen. Er naht sich so unmittelbar der
Gruppe der zwei weiblichen Gestalten. Während die zurückstehende den
linken Arm schmerzvoll hebt, vielleicht auch das Obergewand emporzieht,
ist ihr rechter gesenkt, doch ohne die vor ihr Hinsinkende zu berühren, der
auch das etwas vorgebogene rechte Knie sich nähert. Die körperliche Bil-
dung mit sehr breiten, vollen, reifen Formen, mit den stark hervorgehobenen
Brüsten, die starke Haarumwallung, die allerdings sehr mangelhaft behan-
delte Bekleidung, bei der die rechte Brust entblösst zu werden scheint, die
Falten sich aber im Schoosse zusammendrängen, das weite Ausschreiten, die
Motivirung der Arme, die Wendung des Kopfes, die das Gesicht ganz en face
zeigt, lässt sie als Niobe selbst und zwar als Nachbildung der Niobe in der
uns erhaltenen Marmorgruppe deutlich erkennen. Die zunächst so nahe lie-
gende Deutung auf eine helfende Schwester tritt bei genauerer Prüfung vor
diesen Thatsachen zurück. Höchst auffallend ist aber nun die völlige Nackt-
heit der vor ihr in die Kniee gesunkenen weiblichen Gestalt, die sich nach
ihrer linken Seite schmerzvoll krümmt und der Erde nähert, den rechten Arm,
wie Hülfe suchend, rückwärts emporhebt. Man muss sich ihr Gewand als
zu Boden gesunken denken, das die abkürzende Arbeit des Steinmetzen nicht
angab. Zu ihr hin eilt eine nach Apollo angstvoll umblickende dritte Toch-
ter, die ebenfalls völlig entblösst ist, und das Obergewand mit der gehobe-
nen Linken hinter sich emporzieht. Unmittelbar von Apollo fort eilt ein
Sohn das Haupt und den linken Arm zurückgewendet, die Chlamys zurück-
geschlagen, in der Kechten einen Stab, ein Pedum haltend, mit kurzen Stie-
feln, wie der Artemis zunächst gestellte versehen. Auffallend ist sein spros-
sender Bart.
Die beiden Nebenseiten stellen nicht nahe zur Vorderseite bezügliche
Gegenstände dar : hier einen Kentaur mit gehobenem Stein zwischen zwei
Lapithen, dort Achill auf dem Viergespann, die Leiche des Hektor schlei-
fend, seine Waffen am Speer hoch haltend. Darüber zeigt sich hier ein Gor-
gonenhaupt, dort ein Haupt mit phrygischer Mütze, also ähnlich, wie diese
an den Ecken der zweiten Klasse der römischen Sarkophage sich zeigten.
Der Gesammtcharakter des Reliefs hat entschieden von der Breite und Klar-
heit der griechischen Vorbilder noch etwas behalten gegenüber der aus einem
neuen Stilgefühl hervorgehenden gedrängteren römischen Behandlungsweise.
Ebenso weisen die Motive in Niobe, in dem Pädagogen, in der einen Gruppe
zum Theil auf die statuarischen Bildungen, zum Theil auf andere Relief-
darstellungen hin. Dagegen wer wollte in der völligen Entblössung zweier
Töchter, wie sie in diesem Maasse auf keinem der späteren römischen Reliefe
202 Zweites Kapitel.
erscheint, den eigentümlich ctruskischen , das Sinnliche, besonders in der
Entblössung recht markircnden , am Nackten sich erfreuenden Gedanken-
richtung verkennen? Wer in den Zuthaten der Tracht, in dem nicht eben
verstandenen Faltenwurf, in der eigentümlichen Hässlichkeit, um es offen
zu sagen, der markirten Gesichtszüge, in der Haarbehandlung die etruski-
sche Barbarisirung der hellenischen Gedanken und Formen nicht zugestehen ?
Und endlich so klar auch und symmetrisch sich die ganze Anordnung dar-
stellt, so haben wir doch nur eine äussere Formensymmetrie, keine Ordnung
nach inneren Beziehungen gesteigerter oder abnehmender, oder widerstrei-
tender oder durcheinander kunstvoll verflochtener Motive. Und darin liegt,
in diesem Mangel an Geist, um es kurz zu sagen, ein so tiefer Mangel aller
etruskischen Kunst.
Interessant ist die mehrfache auf das Leben in Wald und Berg bezügliche
Ausstattung der Söhne mit Stiefeln auf einer Kopfbedeckung, die nur als
xvvrj oder Petasus zu fassen ist, mit dem gebogenen Stecken. Sie erinnert
uns entschieden an die Auffassung auf <ler apulischen Vase. Die Zahl sechs
endlich, drei Söhne, drei Töchter, stellt sich einfach als eine Theilung der
homerischen Zahl Zwölf dar : doch wäre auch die Zahl Sieben durch Alkman,
wenn wir die Niobe noch als Niobide fassen, bezeugt.
§ 1».
Uebergang8formen zur statuarischen Bildung. Terracotten und Werke in Stuoco.
Einzeldarstellungen auf geschnittenen Steinen.
Wir haben es bis jetzt mit Denkmälern zu thun gehabt, in denen uns
der Niobidenmythus in einer zusammenhängenden Scene, in bestimmter An-
ordnung der dabei betheiligten Gestalten gegeben war, wobei zugleich auf
die gemeinsame Lokalität bestimmte Erscheinungen hinweisen Wir treten
jetzt an eine andere, in der That schwierigere Aufgabe heran, die einst zu
einer Gcsammtcomposition gehörigen, aber zerstreut, getrennt gefundenen
Einzelfiguren zu sammeln , zu vergleichen, zu ordnen, diese Compositum erst
wieder herzustellen. Diese Aufgabe erhält ihre volle Bedeutung, aber auch
ihre grösste Schwierigkeit im Bereiche der statuarischen Bildungen, der höch-
sten der von uns zu erfassenden bildlichen Darstellungsweise. Ein eigen-
thümlicher Uebergang dazu ist uns aber gegeben in den den letzten Jahr-
zehnten angehörigen Funden von Hautreliefs aus Thon und Stuck,
welche einzelne Figuren für sich getrennt darstellen, aber doch einer gemein-
samen tektonischen oder architektonischen Grundlage und einem wenn auch
lockeren Bande einer Gesammtordnung angehören. Und auf der anderen
Seite haben wir uns umzusehen, welche Einzelfiguren oder kleineren Grup-
ken aus plastischen Compositionen herausgenommen sind, um sie im engsten
Bereiche des geschnittenen Steines zu reproduciren ; sie werden sich
Uebergangsformen zur statuarischen Bildung. 203
aufbereite bekannte zurückführen lassen, oder auf neue Verbindungen hin-
weisen.
Zu den interessantesten Gegenständen der so überaus reichen und man-
nigfaltigen Gräberfunde von Kertsch, dem alten Pantikapaeon gehören die
bedeutenden Reste hölzerner, reich verzierter Sarkophage und sonstiger aus
Buchsbaumholz gebildeter Gegenstände l) . Während die Verzierungen meist
in Bezeichnungen, Ausfüllungen mit Ambra , reichem Farbenschmuck und
Vergoldung bestehen, so wurden IS 32 bereits einzelne bemalte Relief-
figuren aus Gyps bei einem hölzernen Sarkophag gefunden, welche als
Fries an demselben gedient hatten. Die drei davon nur erhaltenen und in
dem kaiserlichen Prachtwerk über diese Ausgrabungen publicirten , danach
auf unserri Tafeln V. VI. VII wiederholten Denkmäler gehören unstreitig
einer Niobidencomposition an und reihen sich also in der Bestimmung als Sar-
kophagschmuck zu dienen unmittelbar an die im vorhergehenden Abschnitte
betrachteten Denkmäler. Schon die Art ihrer Verfertigung als Einzelgestal-
ten weist darauf hin, dass wir es nicht mit einer Reliefbildung des strengen
Friesstiles der hohen atttischen Kunst, noch mit den gedrängten Gruppen
römischer Arbeit zu thun haben, sondern mit einer noch lockerern, breiteren
Nebeneinanderstellung, als sie uns auf dem Relief Campana und Albani be-
reits begegnet. Dem Stile nach tragen sie das Gepräge der Terracotten in
der breiten Massenanlage, in charakteristischen Hauptlinien , aber flüchtiger
Ausfuhrung, jedoch haben sie nichts von der abgeschliffenen Formengewandt-
heit so vieler derselben, sondern besitzen neben einem gewissen Ungeschick
einen Reiz ausdrucksvoller Energie. Die Bemalung hat sich in der rothen
Farbe der Gewänder , in einem gelben und bläulichen Ton der Köpertheile
noch hie und da erhalten.
Von überraschender, an die Auffassung einer christlichen Pietä unmit-
telbar erinnernden Motivirung ist die Niobe selbst mit einer Tochter auf dem
Schoosse. Ruhig sitzt sie mit etwas breitgestellten Beinen, so dass die Haupt-
last auf der rechten Seite des Körpers ruht. Ein weiter, faltiger Aermelchiton
umgiebt vom Hals bis zu den Füssen die ganze Figur, die letzteren sind mit
Schuhen bekleidet. Von besonderer Wirkung ist der nonnenartig dicht um
den Kopf gezogene, hinten herabfallende Peplos, der den ernsten, gehaltenen
Ausdruck des ganz en face dem Beschauer zugewendeten Gesichtes ausser-
ordentlich steigert und zugleich, indem er sich nach hinten verbreitert und
erhöht, der ganzen Gestalt eine besondere Würde verleiht. Die Tochter ruht
in ihrem rechten Arm und auf dem rechten Oberschenkel^ noch gehalten in
ihrem Unterkörper von der mütterlichen Liebe ; schon ist aber matt der Ober-
1) Antiquites du bospore eimmerien conserv. au musee de l'Ermitage. 2 Vols. 1S54.
pl. 79. 80. Sl. Darüber Bericht in Archäol. Anz. 1856. n. 91. 8. 234 ff. ; Compte rendu de
lacommission archeolog. pour l'annee 1859. Petersb. 1860. p. 29 f.
204 Zweites Kapitel.
körper und der Kopf tief zurückgesunken ; der linke Arm ist noch wie bit-
tend, flehend zum Haupt der Mutter emporgestreckt, während der rechte
nach der Brust, sichtlich nach der Todeswunde greift. Der Chiton bedeckt
den Unterkörper bis zu den Füssen ganz, während er vom Oberkörper herab-
geglitten scheint; das Obergewand bildet in bauschigen, wie etwas von Wind
bewegten Falten die Unterlage für ihn auf dem Schoosse der Mutter. Wir
haben hier Niobe nicht mehr in gewaltiger innerer Bewegung den Kindern
entgegeneilend, zu den strafenden Göttern sich wendend, das jüngste Kind
noch bergen wollend, wir haben sie sitzend , wie sie am Schlüsse der Kata-
strophe sich niedersetzt zu ewigem Schmerz, zu immer rinnenden Thränen,
wie sie sitzend am Bergabhang des Sipylos vom ganzen Alterthum gedacht
ward, aber auch da noch unwillkürlich fast Liebe erweisend dem letzten,
aber auch schon verlorenen Kinde.
Eine zweite Figur (unsere Taf. VI) vergegenwärtigt einen in beide Kniee
gesunkenen Niobiden, nach der für den Beschauer linken Seite hingewendet.
Das rechte vorgeschobene Knie ist schärfer eingebogen, zugleich etwas tiefer
gesenkt, so dass das Niedersinken in die Kniee auf einem abschüssigen Lo-
kale erfolgt ist. Das ganz zurückgeworfene Haupt, der hochgestreckte, dann
scharf zum Kopf zurückgewendete rechte Arm, während der linke Arm in
die Seite gestützt ist, beurkunden den verzweiflungsvollen, äussersten, aber
vergeblichen Widerstand gegen die Todesmacht, die in einem Geschosse im
Nacken und Rücken ihn bereits ereilt hat. Beide Beine, zugleich der linke
Unterarm sind von dem herabgefallenen Gewand in glücklicher Faltenbil-
dung umwunden. Das Ganze ist von einer wahrhaft ergreifenden Wirkung.
Wir haben schon oben unsere Figur mit einem Niobiden des Reliefs Cam-
pana und Albani in nahen Vergleich bringen können. Und doch zeigen sich
auch hier interessante Verschiedenheiten : dort ein schwungvolles, aber ge-
hemmtes Weiterstreben die Felsen hinauf, hier ein Niedersinken auf einen
nach vorn abschüssigen Boden und sich zugleich Verstricken im eigenen
Gewand, das dort im Sturmwind flattert, hier die ganze Gestalt mehr zusam-
mengeschlossen, dort eine freiere, noch selbstständigere Bewegung der ein-
zelnen Extremitäten. Unsere Figur steht zugleich näher dadurch dem soge-
nannten Narciss in der florentiner Gruppe und den zwei knieenden Gestalten
der Pompejanischen Dreinissbilder.
Wir kommen zur dritten uns noch erhaltenen Figur. Ein bärtiger, älte-
rer Mann, voll bekleidet, kehrt uns sein Gesicht ganz en face entgegen, wäh-
rend er mit ausschreitenden Beinen nach seiner rechten Seite vorwärts sich
bewegt. Der rechte Arm ist zum Kopf zurückgewendet, der Zeigefinger dem
Munde nahe gebracht. Die linke Hand fasst hingegen ruhig anliegend die
vollen über den Unterarm geworfenen Gewandmassen des tief um die rechte
Seite gezogenen Himation zusammen. Ein kurzer Aermelchiton darunter
wird von einem breiten Gurt um die Brust zusammengehalten. Das linke
Uebergang s formen zur statuarischen Bildung. 205
Bein ist in der lebendigen Bewegung des Schreitens und Gewandaufnehinens
hoch hinauf entblösst. Eigen thümlieh sind gewisse flügelartig über den
Schultern sich zeigende Ansätze. Auf dem linken Oberarm schliessen sie
sich entschieden an eine stumpfe Gewandm&sse an, die vom Himation noch
zu scheiden ist. Unter der rechten Schulter ist der Ansatz ohrartig gebauscht
und innen zottig. An Flügel ist entschieden nicht zu denken, wohl aber an
jenen zottigen Hirtenraantel, mit einer Art Capuze oder Kopfbedeckung, die
Sisyra, wie wir ihn den Pädagogen der Niobiden auf Reliefs meist tragen
sehen, auch noch über ein Obergewand umgelegt z. B. auf dem Münchner
Sarkophag. Er muss um den Hals irgend wie befestigt sein, was unsere Zeich-
nung allerdings nicht näher andeutet, bei der Stärke des Bartes aber auch leicht
sich in der doch immer flüchtigen Ausfuhrung dem Auge entziehen konnte.
Er ist nach hinten bauschig aufgeweht zu denken. Der Kopf entspricht im
Gesammtausdruck, im Schnitt der Ilaare, in der Form des Bartes mit schat-
tendem Schnurrbart auffallend den Pädagogenköpfeu auf den Reliefs und
der Gruppe von Soissons, da wir den Florentiner Kopf als modern nicht ver-
gleichen können, so sehr er diesem Typus entspricht. So haben wir allen
Grund in dieser Figur einen Pädagogen der Niobiden, nicht etwa Amphion
zu erkennen. Das Motiv der rechten Hand weist mit der ganzen Haltung
auf ein Innehalten in der Eile, auf ein Innewerden des einbrechenden Un-
glückes hin.
Hiermit bricht leider die interessante Reihe dieser Gypsfiguren im Ein-
zelrelief ab. Ueber Anordnung und weitere Figuren ist es unnütz ohne Grund-
lagen weitere Yermuthungen aufzustellen. Dass die sitzende Mutter die
Mitte der Reihe bildete, ist wahrscheinlich, doch kann sie auch an einer
Schmalseite allein angebracht worden sein. Freuen wir uns der neu bestä-
tigten Motive und des neuen oder ältesten, neu benutzten Motivs der sitzen-
den Mutter.
In reicherer Zahl ist uns eine Reihe von Niobiden in Terracotta er-
halten, welche ebenfalls bestimmt waren, an einem Massenkörper, hier aber
an einem architektonischen, nicht blos tek tonischen befestigt zu werden.
Unter den in den letzten Jalirzehnten so reiche Ausbeute an griechischen
und halbgriechischen Kunstdenkmalen in ihrer Gräberwelt gewährenden
Städten Apuliens , der jetzigen Basilicata und Terra di Bari zeichnet siöh
Egnatia oder Gnathia, das jetzige Fasano durch Schönheit und Leichtigkeit
des Stiles und interessante Gegenstände der Darstellung besonders aus1).
Unter einem Haufen aus Fasano stammender , bei dem Antiquar Raffaelle
Barone in Neapel befindlicher, meist fragmeutirter Gegenstände fand Miner-
vini eine Anzahl Terracottafiguren heraus, die unzweifelhaft zusammen und
1) Minervini im Bullettino napolit. 1S47. n. 77; O. Jahn Vasensamml. Kön. Ludwigs
p. XXXVI ; Moramsen Inscriptt. r. Neapolit. n. 592 — 59*>.
206 Zweites Kapitel.
zu einer Niobideudarstellung gehörten ; weiteres emsiges Nachforschen ergab
später noch eine kleine weitere Auswahl. Minervini hat mit einem sehr dan-
kenswerthen Aufsätze die erste Anzahl publicirt und in einem zweiten Auf-
satze den Rest besprochen; auf seinen zuerst ausgesprochenen Plan die
gesammte Composition danach zu restauriren und das Verhältniss zu der Sta-
tuengruppe näher zu bezeichnen, verzichtete er bei der doch nicht genügen-
den Grundlage in Fundberichten und Ueberresten1).
Wir haben sechs wohlerhaltene Terracottafiguren vor uns, ausser-
dem sind noch drei der Hauptsache nach erhalten und von andern grössere
Fragmente. Die Figuren in Hautreliefs sind mit Basen und einem Hin-
tergrund in den unteren Theilen versehen, während die Contouren des Ober-
körpers und Kopfes völlig frei heraustreten. Interessant ist es, dass die Ba-
sen und die Hinterfläche entschieden eine wenn auch weite Krümmung bil-
den. Es ergiebt sich daraus mit Bestimmtheit, dass die Figuren an einem
cylindrischen Körper angebracht waren und zwar an der Aussen- nicht etwa
der Hohlseite. Für die Befestigung sind in den Basen Löcher noch wohl erhal-
ten. Wir können entweder daran denken, dass in einem grosfeen umfang-
reichen Grabe, denn es handelt sich hier durchaus um Gräberfunde, eine
cylindrische die Mitte bildende Mauermasse die Unterlage bildete, oder dass
an der Aussenseite eines cylindrischen Grabpyrgos die Reliefreihe sich hinzog.
Im Ganzen wird der Stoff der Terracotta2; wenigstens in der jüngeren und
doch wesentlich griechischen Kunstperiode mehr für Anwendung der innern
Grabdekoration als der des als Hieron nach Aussen sichtbar sich erhebenden
Grabgebäudes sprechen, obgleich wir dagegen die in Italien so allgemein
und lange herrschende Dekoration der Tempel und ähnlichen Gebäude mit
Thonbildungen auch in Anschlag zu bringen haben. Der Stil der Figuren
ist flüchtig gewandt, aber etwas stumpf ; in der Gewandbehandlung erreicht
keine die Gypstiguren von Kertsch. Man sieht, ein geschickter, rasch arbei-
tender Techniker hat nach bedeutenden Vorbildern die Modelle zu diesen
gemacht. Farbenreste sind auch hier, vorzugsweise das Weiss erhalten.
Fünf Söhne, drei Töchter und Artemis sind uns wesentlich erhalten.
Davon ist ein Sohn für den Beschauer rechts gewandt, vier links, von den
Töchtern zwei rechts, eine links, Ariemis ist rechts gewandt. Wir sehen
daraus, dass von einem Mittelpunkt aus rechts und links Söhne und Töchter
geordnet waren, nicht etwa hier nur Söhne, dort nur Töchter. Ebenso können
1) Bullett. Napolit. 1S47. N. 77. p. 49ff.; N. S4. p.lu5ff. Die voreilige Notiz von
Lersch in Bull. Inst. Archeol. 1847, p. 126. Unsere Tafel VIII. 1— ti ist reproducirt nach
der den ersten Aufsatz Minervini' s begleitenden.
2) Der Thon ein dem Dionysos und den chthomischen Gottheiten speci fisch geheilig-
ter Stoff vgl. Bachofen Gräbersymbolik der Alten. S. 50 ff.; Mutterrecht 8. 157. 422;
Gerhard Orpheus und die Orphiker S. 3S. 93. Not. 2S5.
Uebergangsfoimen zur statuarischen Bildung. 207
wir mit Bestimmtheit gegenüber Artemis einen links gewandten Apollon er-
warten. Die Bewegung der Köpfe, die Richtung der Augen zeigt, dass das
drohende Verderben, zum Theil wenigstens als schräg von oben kommend
gedacht ward.
Die Söhne sind alle in wesentlich gleichem Alter gebildet, mit kurzem,
rund geschnittenem Haar, unbekleidet bis auf die in der Hand gehaltene,
oder über die Schulter flatternde Chlamys. Auch bei dem sehr fragmentirten
fünften Sohne weist eine Unebenheit auf dem einen Schulterblatt auf das Vor-
handensein einer Chlamys hin; Jagdstiefel, hochhinaufgehend mit hängenden
Zacken werden von zweien getragen, Jagdspeere werden der Motivirung nach
bei zweien in der Hand vorausgesetzt. Alle sind in Bewegung, weit ausschrei-
tend, um vor der drohenden Gefahr zu fliehen, keiner ist verwundet. Drei
sind von ihrer Hückeuseite sichtbar, ausschreitend nach entgegengesetzten
Seiten. Der eine (Taf. VIII. 3) hebt beide Arme entsetzt in die Höhe, indem
er zurück und aufwärts den Blick gerichtet hält. Eine ähnliche Motivirung
wird uns von den andern berichtet , deren einem aber der Kopf und rechte
Arm, ein Theil des linken sowie des linken Beines fehlt. Die zwei von vom
gesehenen Söhne blicken der Gefahr mehr gerad entgegen, die um die linke
Hand gewickelte Chlamys dient ihnen wie eine Art Schutz, der eine hält den
rechten Arm hoch gehoben, wie um mit dem Jagdspeer sich zu vertheidigen,
der andere hat die rechte Hand der Brust nahe gebracht. Von den zwei zur
Siebenzahl noch fehlenden Söhnen fanden sich noch Fragmente vor, ein Arm
mit Chlamys, eine Brust mit Chlamys, ein Bein auf einer Basis, ein gestie-
felter Fuss.
Die drei uns ganz erhaltenen Töchter (Taf. VIII. 4, 5, 6) unterscheiden
sich durch ihre Motivirung unter einander auf das Wesentlichste und bieten
zugleich Neues oder wichtig Bestätigendes für Niobidendarstellungen über-
haupt. Eine Abstufung vom Stehen zum sich Beugen, zum Niederknieen
tritt in ihnen unmittelbar zu Tage. Auch bei ihnen ist von einer Verwun-
dung nichts zu sehen. Mit übergesetztem linken Bein steht die eine (Taf.
VIII. 6) in Sturmeswehen wie einen Augenblick stille haltend , das Gewal-
tige über sich ergehen lassend. Das Hauptgewand ist ganz vom Oberkörper
herabgesunken und hält sich, die unteren Theile faltig umkleidend in einem
Wulst um die Weichen. Um den gesenkten linken Arm spielt einer der
Zipfel des shawlaftigen Ueberwurfs, des Ampecbonion, den wir auf den Sar-
kophagreliefs besonders in so wirkungsvoller Anwendung an den Niobiden-
töchtern kennen lernten, während die rechte gehobene Hand, in der wir un-
ter anderen Umständen vielleicht einen Spiegel suchen könnten, hier offen-
bar den andern Zipfel desselben segelartig das Haupt umgebenden Ueber-
wurfes gefaxt hält. Ein schöner jugendlicher Körper hebt hier sich aus die-
sen Gewandumgränzungen auf das Wirkungsvollste heraus ; noch ganz un-
verletzt, aber wehrlos, während in dem etwas geneigten auch in dem Haar-
208 Zweites Kapitel.
putz mädchenhaften Kopf die schwere Bangigkeit des nahen Unterganges
ausgeprägt ist. Auch hier haben wir ein lebendiges Beispiel, wie dasselbe
Motiv in feiner Nuancirung der Grundstimmung scheinbar sehr heterogenen
mythologischen Charakteren und Zuständen dient. Ohne das. Haupt konnten
wir wohl an eine graciöse Tänzerin denken. Aber ist es nicht die Schönheit
der Kinder, das volle Glück in Spiel und Reigen, das in der Niobesage den
Untergang in sich trägt, zum Todesreigen sich umwandelt?
Die zweite Tochter (Taf. VIII. 4) flieht in zitternder Eile nach ihrer
linken Seite. Weit ist der linke Fuss gesetzt, während der rechte kaum sich
rasch genug nachziehen kann. Der seitwärts gebeugte Körper, die nach der-
selben Seite gewendeten Arme, die eine Hand wie die Brust deckend, die
andere wie nach vornhin greifend, das mehr zurückgewandte, besonders edel
gebildete Haupt mit wohlgeordnetem, aufgebundenem Haar, in allen diesen
Motiven ist eine Vereinigung von vorwärtsstrebender Eile, von ängstlichem
sich Beugen unter die Gefahr, von Rückblicken auf dieselbe gegeben. In
geschwungenen Falten folgt der lange Chiton mit Diploidion der Bewegung,
aber der eine Flügel desselben ist von der rechten Schulter ganz herabgesun-
ken und auch der andere ist im Begriff sich zu lösen, so dass der Oberkörper
bis zum Brustgürtel dadurch ganz entblösst wird. Die Figur hat für uns
ein besonderes Interesse, weil ihre Motivirung mit der einer Reihe Psyche-
statuen wesentlich übereinstimmt und wir weiter unten über die Anerkennung
derselben als Glied der Niobegruppe uns auszusprechen haben.
Die dritte Tochter (Taf. VIII. 5) ist niedergekniet und am Boden zu
einem offenen, rundlichen Gefäss in Beziehung gesetzt. Auch in ihr ist eine
Gesammtbewegung vorwärts, ein Fluchtstreben unverkennbar. Das scharf-
gebogene linke Knie, der fest aufgesetzte linke Fuss, wrährend das rechte
Unterbein ganz am Boden flach aufruht, der auf eine Art niedriger Steinlehne
aufruhende, gesenkte linke Arm, während der rechte ebenfalls in gleicher
Richtung nach vorn abwärts bewegt ist, der gerad gerichtete, mehr der gan-
zen Bewegung folgende Kopf weist nicht etwa auf ein Niedersinken, Stol-
pern oder dgl. hin, sondern auf eine frühere Beschäftigung unmittelbar am
Erdboden mit jenem Gefäss, auf ein Erschrecktwerden, zur Seite sich Hin-
beugen und auf den schliesslichen Moment des rasch sich Erhebens und Flie-
hens hin. Der dünnfaltige ärmellose Chiton ist am Unterkörper umbauscht von
dem auf die Kniee herabgesunkenen Himation. Die Arme sind auch hier wie
bei den zwei andern völlig entblösst. Auch auf eines mache ich als bei allen
drei beachtenswerth aufmerksam, auf die Schuhbekleidung. Man hat bei
diesem Gefäss an Opfergaben gedacht ; dem widerspricht wie die Form des-
selben, so die ganze Situation. Eine Cista für weibliche Arbeiten schien dann
das Richtige, auch dies muss ich entschieden zurückweisen ; die Wollkörbe,
wie wir sie ja vielfach, z. B. neben oder unter dem Sitze der Penelope ken-
nen, haben die bestimmte Form des Kalathos und so wenig wie die Söhne
Uebergangsformen zur statuarischen Bildung. 209
im Jagdcostüm, sind die mit ihnen auf beiden Seiten geordneten fliehenden
Töchter als bei Arbeiten befindlich im Hause hier aufgefasst. Die einfache,
ja kindlichrohe Form jenes Behälters weist uns ins Freie zum Suchen von
Blüthen und Früchten der Erde. Die grosse Uebereinstimmung der Motivi-
rung der ganzen Figur mit der blumenlesenden Koia oder einer ihrer Ge-
spielinnen in dem Moment der Ueberraschung durch Hades liegt unmit-
telbar nahe1). Ob hier in der That ein tieferer Zusammenhang zwischen
den Sagenkreisen der Niobe und der Demeter mit Persephone waltet, wird
unten näher zu erörtern sein. Erinnern will ich dabei nur daran, dass auf
jenem Vasenbilde von Ruvo, dieser Nachbarstadt des Fundortes Gnathia wir
auch die Niobiden im Freien, unter Grün der Bäume und auf grasbewach-
senem Boden fanden, dort mit Gefässen zum Wasserschöpfen. Aber mög-
licherweise könnte diese Figur gar nicht mehr zu den Niobiden, sondern eben
zu einer Koradarstellung gehören.
Von vier anderen jugendlich weiblichen Figuren fanden sich wesentlich
nur noch die Köpfe vor, einer, der kleinste, bestimmt von hinten gesehen zu
werden. Auch der Kopf der Mutter in grossen Formen, mit auf die Schulter
wallendem Haar und schmerzvollem Ausdrucke fand sich noch.
Leider hat uns Minervini die Figur der sehr fragmentirten Artemis
nicht in Abbildung mitgetheilt, welche unser ganz besonderes Interesse er-
regt. Es fehlt der Kopf, der rechte Ann, die linke Hand, ein Theil des lin-
ken Beines mit Fuss. Die Göttin erscheint rechts gewandt, in kurzem Chi-
ton und einem über der Brust zusammengebundenen Himation, wie wir das
an ihren Darstellungen als Jägerin, z. B. der Diana von Versailles kennen;
ihre Füsse sind mit Schuhen bekleidet. Den linken Fuss hat sie stark ge-
hoben, nicht unwahrscheinlich ihn auf das Brett des Wagens setzend, wie
sie dies auf dem Fries von Phigalia2) thut, nur schiesst sie dann entschieden
nicht zugleich, sondern überlässt dies dem daneben auf dem Wagen stehen-
den Apollo. Von einem Wagen selbst ist nichts erhalten, wohl aber von
einem Hirsch, der mir schwerlich als blosses Symbol Artemis zur Seite an-
gebracht scheint, sondern welcher in der That selbst, wie auf demselben Fries
von Phigalia den Wagen zieht.
Wir erhalten noch Kunde von fünf mit den eben betrachteten Terracot-
ten an demselben Orte gefundenen, gleichen Stil zeigenden Figuren, die wir
in die Niobidendarstellungen nicht mehr einreihen können, die mir aber zu
einem Raub der Persephone zu stimmen scheinen : dafür spricht besonders
ein sich stark erhebender Schlangenkörper mit geflügeltem Haupt, wie er
zum Wagen der Demeter ganz passt. Und auch die zwei weiblichen Körper-
fragmente, mit kurz um die Lende geschürzter Tunica, mit Schlangenresten
1) Vgl. den Sarkophag von Mazzara in Müller- Wieseler D. A. K. II. t. IX. 102.
2) Müller- Wieseler D. A. K. I. Taf. XXVIII. 123 b.
8tark, Niobe. 14
210 Zweites Kapitel.
bei dem Schulterblatt des einen würden zu Angehörigen des Hades, zu He-
kate und Erinyen passen. Es wäre doppelt interessant, nach dem oben Ange-
deuteten, wenn die Beziehung einer Niobidendarstellung und eines Kora-
raubes zu einander nach örtlicher Einheit oder Gegenüberstellung, nach
Grösse und Stil in einem Grabmonument von Gnathia thatsächlich noch
nachgewiesen werden könnte.
Welcker bezieht in einer kurzen Notiz zu Müllers Handbuch der Archäo-
logie1) eine Tcrracottafigur aus einem athenischen Grabe, welcheSta-
kelberg2) herausgegeben, auf Niobe im Augenblick ihres Todes. Diese nicht
bemalte, in der That bedeutsame Figur ist kauernd auf der rechten Ferse
dargestellt, wie sie sich mit scharfgebogenem linken Knie zum Boden eben
niedergelassen hat; ihre rechte gesenkte Hand berührt eben den Boden,
während der linke Arm, vom Gewand mit umfasst auf dem linken Oberschen-
kel ruht. Der ernste, mit grossen und edeln Zügen gebildete Kopf wendet
sich etwas zur Seite, er ist mit einem strahlenartig auftretenden Kranz von
Blättern eines Zwiebelgewächses, einer Lilienart, oder einer Orchidee ge-
schmückt; die Haare sind hinten aufgenommen. Das Gewand ist schräg
vom Oberkörper herabgefallen und lässt den rechten Arm und die rechte Seite
des Oberkörpers ganz entblösst, schlägt sich in grossen Falten um Knie und
Schooss. Eine ganz ähnliche, ebenfalls nicht bemalte, mehr verstümmelte
Terracotte ist in die Heidelberger archäologische Sammlung mit einer Anzahl
von einem Herrn Abresch in Attika gesammelter Terracotten und kleinerer
Gefässe gekommen, ganz dieselbe volle weibliche Figur, kauernd auf dem
etwas über den Boden noch gehobenen rechten Beine, dieselbe Bewegung
der verstümmelten Arme, dieselbe Entblössung, nur dass unter dem Hima-
tion doch noch ein Chiton einen Theil des Oberkörpers verdeckt. Die Deu-
tung auf Niobe ist sichtlich durch jenes berühmte Wort des Dramas : SQX°Mat
%l ft aveig; hervorgerufen; jedoch ist, wenn wir auch das Schlagen der Erde
dabei mit zugeben, dieser Zug ein sonst im Mythus weiter gar nicht erwähn-
ter, ja von der herrschenden Auflassung, vom lebendig Versteinertwerden
ganz abweichender. Mit demselben Rechte könnten wir auch an Hera den-
ken, die im homerischen Hymnus an den delphischen Apollo die Erde schlägt
mit flacher Hand und so den Typhaon empfängt*). Ja noch genauer schil-
dert uns Homer dieselbe Situation {TrQOfYv xa&etofurrj, das Benetzen des
xolnog durch Thränen, das Schlagen der Erde) bei Althaea, der Mutter des
Meleager4). So kauern überhaupt Trauernde, so rufen sie die Unterirdischen
an. Dazu kommt, dass weder die Bekränzung, noch die Haarbildung, noch
1) §417, 2. S. 721.
2) Gräber der Hellenen. Taf. 64.
3) Hom. hymn. in Apollin. 333 ff.
4) Hom. IL IX. 56S.
Uebergangsformen zur statuarischen Bildung. 211
die starke Entblö'ssung irgend Niobe entspricht. Wir haben entschieden eine
auch in der Cultussitte Attikas sich wiederholende Situation, die dem Be-
reiche der eleusinischen Gottheiten angehört, ein Kauern der Trauernden und
Aufrufen der Todten. Demeter selbst soll in Megara auf den Stein *Ava*Xrj-
&qcc die Tochter suchend aufgerufen haben und die megarensischen Frauen
thaten dasselbe alljährlich1). Auch die Blätter der Bekränzung weisen auf
den chthonischen Charakter hin.
Uebrigens glauben wir allerdings, dass unter den zahlreichen Terracot-
tenfragmenten manches Köpfchen, manche gewandflatternde eilende Gestalt
einer Niobetochter noch zu finden sein wird.
Indem Avir uns nun zu den geschnittenen Steinen wenden, um in
ihnen einzelne Theile einer grösseren plastischen Composition des Reliefe wie
der Statuen, kleinen Gruppen, Einzelgestalten oder auch nur Köpfe von Nio-
biden aufzusuchen, müssen wir vorausschicken , dass die Zahl der mit Sicher-
heit hierhergehörigen Denkmäler bis jetzt wenigstens eine sehr kleine ist.
Es lässt sich ja überhaupt nicht verkennen, dass gewisse mythologische Kreise
in dieser speciell in hellenistischer und römischer Zeit blühenden Kunst vor-
zugsweise vertreten sind, wie der des Herakles, Dionysos, der Aphrodite, der
Musen, dann unter den heroischen Sagen speciell die zum trojanischen Kriege
gehörigen beliebt waren.
Von Niobidengruppen haben wir oben in unserer Behandlung des Re.
liefs Campana — wir hoffen in einleuchtender Weise — die herrliche Dar-
stellung des in die Arme der älteren Schwester sinkenden Bruders auf einem
geschnittenen Steine zuerst nachgewiesen2). Eine zweite, eine andere Ver-
sion gleichsam davon bildende Situation ist schon länger durch die Impronte
gemmarie des archäologischen Instituts3) bekannt gemacht und von Otfried
Müller für Verbindung zweier Statuen der medieeischen Gruppe benutzt
worden4). Die Zeichnung hat etwas Trockenes, absichtlich Archaistisches
und kann in dieser Beziehung sich mit dem erstgenannten Stein und mit den
grösseren Originalwerken selbst durchaus nicht messen. In geschnittenen
Steinen ist diese scheinbar strengere Form durchaus nicht immer Beweis für
eine frühe Entstehung oder für ein sehr frühes Vorbild , sondern ist eine be-
stimmte, in diesem Material und dieser Denkmälerform beliebte Behandlungs-
weise auch noch späterer Zeit. Wir sehen eine ältere Frauengestalt vor uns,
welche beschäftigt ist, einen vor und neben ihr auf ein Knie gesunkenen
Niobiden, der aber das Knabenalter überschritten hat, zu stützen und zu
schützen. Sein rechtes Knie ruht auf einem Steine, so dass dadurch doch
1) Paus. I. 43. Stakelberg denkt mit Hecht schon daran.
2) Taf. III. 2. S, 168. 169.
3) Cent. I. n. 74. Bullett. 1830. p. 108.
4) D. A. K. I. t. XXXIV. D.
14
212 Zweites Kapitel.
ein grösseres Gleichmass in der Bewegung beider Körperseiten ermöglicht
wird. Während der linke Arm mit krampfhaft geballter Faust als auf einer
Stütze auf dem linken Knie ruht, ist der rechte Arm mit weitgeöfrheter In-
nenseite der Hand, weheklagend, schmerzvoll gehoben. Die noch auf der
rechten Seite des Halses befestigte Chlamys fallt über den linken Arm ge-
ordnet herab. Der Kopf mit kurzem, gewelltem Haar ist etwas rechts und
aufwärts gewendet. Die Frauengestalt, deren ganze Erscheinung als eine
ältere, verblühte sich kund giebt, in einem eng gefalteten, mit breitem Gürtel
gegürteten, kurzärmeligen Chiton, hält mit der Linken den einen Zipfel des
Himation schützend etwas weniger als wagrecht hinter den Kopf des Knieen-
den, während dasselbe den Rücken herabfallend über das vorgeschobene rechte
Bein geschlagen ist und in einem Wulst gleichsam die Spuren der eben das-
selbe zusammenfassenden rechten Hand noch zeigt. Diese hat bereits sich
tiefer gesenkt, um den Schützling unter der rechten Achsel zu fassen. Das
um die Stirn in Löckchen gelegte Haar ist durch ein Band doppelt und dann
durch eine Haube mit hängenden Bändern gehalten. Die ganze Haltung
des Oberkörpers ist etwas vorgebeugt, sowie auch das Motiv des rechten Bei-
nes sichtlich Halt dem Sinkenden gewähren will. Das Auge ist aber nicht
auf denselben, sondern wie in eine Art Erstarrung darüber hinaus gerichtet.
Eine unbefangene Betrachtung kann in ihr unmöglich eine gleichfalls jugend-
liche, durch Schönheit geadelte, auch bedrohte Schwester erkennen , wohl
aber eine hülfreiche, ältere Wärterin bei einem sinkenden Pflegling. Am
ähnlichsten ist die Motivirung der Niobe mit der Tochter auf dem Pamfili-
schen Wandgemälde ; in Beziehung auf sie haben wir weiter unten ein Glied
der Niobidengruppe zu betrachten.
Noch eine dritte Gruppe würden wir besitzen und zwar von zwei Brü-
dern, deren einer die Leiche des andern, bereits vom Todespfeil Getroffenen
eben auf die Schulter sich zu laden und daher die letzte genossenschaftliche
Pflicht zu erfüllen im Begriffe steht, wenn die von Tölken einer grünen an-
tiken Paste in der Berliner Sammlung gegebene Deutung die richtige wäre f) .
Ich habe das Original eingesehen und mir liegt ein Gypsabguss davon vor,
ich kann mich aber dieser Deutung nicht anschliessen. Die Darstellung ge-
hört zu jener Reihe, die man mit dem allgemeinen Namen Pietas militaris zu
bezeichnen pflegt und in welcher man nach den Modifikationen «inen Aias
oder Odysseus mit der Leiche des Achill oder Menelaos mit der des Patroklos
zu sehen veranlasst wird. Immer ist es eine vom Boden, auf dem sie gekniet,
mit dem einen linken Bein angestrengt sich erhebende männliche Gestalt, die
mit starkem linken Arm den hängenden, in seiner Muskelthätigkeit erschlaff-
ten oder eben erschlaffenden Körper eines Genossen umfasst hat und über der
I) Tölken Verzeichn. d. geschnitt. Steine d. K. Pr. Gemmensamxnlung. 1835. S. 258.
IV. I. n.7.
Uebergangsformen zur statuarischen Bildung. 213
linken Schulter trägt, so dass der Kopf tief nach hinten herabhängt. Der
rechte Arm ist gesenkt und auswärts gebogen, dadurch mit dem linken Arm
correspondirend und die Ilebelkraft des Körpers steigernd. Da haben wir
nun Darstellungen, wo der Tragende ein bärtiger, älterer Mann ist mit Helm
und Schwert, während der Getragene noch einen Schild hat, da ist es aber
auch ein ganz nackter Jüngling, nur mit kurzem Schwert in der Rechten,
der den jugendlichen Genossen trägt !) . Diese letztere Darstellung ist ganz
die unsere, nur dass hier noch Schwert und Schild weggefallen sind und wir
also nur in einfachster Darstellung jene acht hellenische Hülfleistung der
Freunde im Kriege sehen. Gegen die Bezeichnung als Niobiden spricht
aber entschieden schon der gänzliche Mangel einer Gewandbekleidung, der
wir durchaus bis jetzt begegnet sind und auch begegnen werden und dann
zweitens die Handlung selbst. Es handelt sich nicht um die Hülfleistungen an
einem Niedersinkenden von einem, dem in demselben Augenblick ein gleiches
Geschick bevorsteht und auch erreicht, es handelt sich um ein Wegtragen
aus Feindes Hereich zu nachheriger Bestattung ; es ist durchaus keine An-
deutung da, dass der Tragende eine Gefahr und zwar von Oben kommende
Gefahr für sich zunächst erwarte. Aber wie dieses nicht mit der ganzen künst-
lerischen Auffassung des Niobidenunterganges stimmt, so auch nicht diese
Fürsorge noch für den Leichnam und dessen Bestattung, die ja der Sage nach
gerade so lange nicht stattfindet.
Mit noch grösserer Entschiedenheit müssen wir die Bezeichnung einer
Einzelgestalt auf einem geschnittenen Sardonyx mit fünf Lagen aus derselben
Sammlung als Niobiden zurückweisen 2) . Eine Jüngliugsgestalt, vollständig
nackt steht fest auf dem rechten Bein, das linke leicht gebogen, gleichsam
nach sich ziehend. Der rechte Arm ist zu dem etwas links und aufwärts ge-
richteten Haupt hinaufgebogen, während der linke Arm mit Parazonium zur
Seite gesenkt ist. Es ist eine Art Paradestellung in Erwartung eines kom-
menden Angriffes. Weder das Schwert, noch die völlige Nacktheit, noch die
Stellung selbst lassen auf einen Niobiden schliessen.
Dagegen glauben wir nicht zu irren, wenn wir in einem trefflichen
Fragment eines Kunstwerkes in Chalcedon, wie es scheint, eines
rundlichen Gefässes, welches in der Wiener Sammlung sich befindet, eine
Tochter der Niobe erkennen8;. Welcher Schwung der Bewegung, welcher
1) Leon. August, gemmae et sculpt. depietae ed. Oronov. Ed. II. P. II. t. 26; Mus.
Florent. II. t. 26. n. 3 ; Raponi recueil des pierres gravees. Tav. 27. n. 9 ; tav. 68. n. 8 ;
Lippert. Daktylioth. Zweite Aufl. n. 158. 167. 168; Chahouillet catalogue generol des
camees et pieres gravees de la biblioth. imp6r. Paris, p. 24 1. n. 1816« 1818 ; p. 246. n. 1835.
2) Tölken a. a. O. n. 7.
3} Jos. Arneth ant. Cameen des K. K. Münz- und Antikenkabinets in Wien. 1849.
Taf. XVII. 8. Höhe l" 2%"', Br. 2" 6%'". Die Dicke der Masse nach den grössten Di-
mensionen.
214 Zweites Kapitel.
Seelenschmerz, welcher Adel ist in dieser jugendlichen, reich bekleideten,
nach rechts hin eilenden Gestalt ausgeprägt ! Ein bis auf die beschuhten Füssc
herabreichender Chiton mit Diploidion, aber ohne Aermel wird grossentheils
von dem Hiination verdeckt, welcher segelartig um Schulter und Haupt sich
bauscht, um den Unterkörper in herrlich geschwungenen Falten sich schmiegt.
Haupt und die gehobenen , die innere Fläche der Hände zeigenden blossen
Arme sprechen die innere Motivirung der eilenden Bewegung treffend aus.
Das Haupt mit einfach, wellenförmig wohlgeordnetem Haar ist etwas links
zur Seite gewendet, das Auge schaut voll tiefer Wehmuth noch schräg nach
oben, Entsetzen und abwehrende Angst tritt uns in jener Handbewogung
entgegen. Und doch ist ein Mass der Schönheit über die ganze Erscheinung
ausgegossen, wie es eben ganz so nur in den besten Niobidengestalten sich
findet. Wie uns diese Motivirung der Hände, dieser Bogenschwung des Hi-
mation auf den früher betrachteten Sarkophagreliefs wiederholt begegnet, so
werden wir bei dem dem Sturmschritt folgenden untern Faltenwurf auf das
lebendigste an die unten zu betrachtende vatikanische Niobidenstatue gewiesen.
Ja wir fühlen uns leicht versucht, hier das in der Gruppe fehlende Gegen-
stück zu jener Niobide zu finden. Dass diese Figur in einen Zusammenhang
einer ganzen Niobidendarstellung gehörte, dafür spricht die oben erwähnte
Form des Fragments, welche auf ein grösseres Gefass von Edelstein bestimmt
schlicssen lässt.
Von einzelnen Köpfen, welche irgend mit Wahrscheinlichkeit auf Niobe
oder Niobiden zu beziehen wären, ist uns auf geschnittenen Steinen kein Bei-
spiel begegnet. Der weibliche Kopf, welcher von Reusch in der Ebermayer-
schen Sammlung1) als Niobe bezeichnet wird, hat mit ihr gar nichts zu
thun ; er ist porträtartig, aufgeputzt mit kleinen Flügeln, helmartiger Silens-
maske ; man könnte also eher an eine Meduse denken. ^
§ 20.
Die statuarischen Bildungen. Ihre Fundorte und Zusammenstellung.
Nicht ohne ein gewisses Zagen trete ich an die Betrachtung der statua-
rischen Darstellungen der Niobesage, an die speeifisch sogenannte Niobe-
gruppe heran. Je wiederholter man sich mit ihr beschäftigt, von je ver-
schiedeneren Seiten man sie auffasst, um so grösser werden die Schwierigkei-
ten, um so mehr wird man versucht abwechselnd diese oder jene Grundan-
schauung auf sie anzuwenden, um so mehr erkennt man das vielfach Unzu-
längliche in der einfachen Erkundung des Thatsächlichen in einem so viel
behandelten, scheinbar so allgemein bekannten Gegenstande. Und so kann
ich nicht hoffen in gleich durchgreifender Weise, wie es in der Betrachtung
der bisherigen Kunstdarstellungen mir vielleicht gelungen ist, die ganzen
1) Ebermayeri thes. gemmar. affabre sculpt. illustr. Erh. Reusch. 1721. t. III. n. 73.
Die statuarischen Bildungen. 215
statuarischen Bildungen und ihren Zusammenhang zu behandeln. Es fehlte
mir eine schliessliche, durchaus ungestörte, nun mit aller Detailkemitniss der
zu vergleichenden Denkmäler ausgerüstete Untersuchung der iiorentiner Sta-
tuen selbst, so frisch auch mir der Eindruck der frühem Besichtigung, den
ich in Aufzeichnungen vor den Statuen niedergelegt, geblieben ist, so sehr
photographische Gesammtansichten jenes Saales der Niobe diesen Eindruck
neu belebten und die Gypsabgiisse in Berlin, zuletzt noch in Bonn mich
wiederholt beschäftigten. Von der fiorentiner Gruppe inuss naturgemäss noch
alle neuere Betrachtung der statuarischen Werke ausgehen, nicht von irgend
einem selbstgemachten Urbild der Origiualgruppe. Es fehlen noch genaue
Nachrichten, resp. gute Abbildungen von einzelnen Wiederholungen. Und
endlich kann ein ganz glückliches Resultat für die höchste, schliessliche Auf-
gabe, für die Wiederherstellung der griechischen Origiualgruppe nur dann
gehofft werden, wenn Künstler und Kunst gelehrte vereint mit einer möglichst
vollständigen Sammlung von Gypsabgüssen die Reihe von Versuchen unter
verschiedenen architektonischen Bedingungen vornehmen, die wirklich ge-
macht und geschaut sein müssen, um zunächst negativ alle nicht zulässigen
Formen für alle Zeit abzuweisen, wenn ferner plastische Skizzen unmittelbar
die Reconstructionsversuche veranschaulichen. Ein Gedanke, den wesentlich
Spence, wie wir gesehen, schon aussprach, auf den Welcker1), Böttiger2)
und besonders Emil Braun 3) dann eindringlich hingewiesen haben.
Welche Betrachtungsweisen an die Statuengruppe herangebracht sind,
welche Phasen die Grundansichten über dieselbe durchlaufen haben bis auf
die neueste Zeit, welche hochbedeutende geistige Kräfte sich an ihr versucht
haben, haben wir in der Einleitung dargestellt. Meine Aufgabe soll es sein
zunächst, möglichst die Frage wieder auf den ursprünglichen Boden, von
dem sie zuerst ausgegangen, zurückzuversetzen, das rein Thatsächliche über
Herkunft, Zustand, Motivirung der auf die Niobiden bezüglichen oder be-
zogenen Statuen und Statuentheile möglichst genau festzustellen, aus ihrer
Vergleichung und der Vergleichung mit den von uns behandelten Kunstdenk,
malern für die Idealbildung der Niobiden nach Gesicht, Gesammtgestalt,
Gewandung , Art der Bewegung , geistigem Ausdruck scharfe Resultate zu
ziehen ; dann die bedeutendsten aller Grundansichten der Composition, die
Frage nach der Giebelaufstellung eingehend zu prüfen und schliesslich die
uns wahrscheinlichste darzulegen, endlich die Stellung der Gruppe in der
griechischen Kunstgeschichte überhaupt zu bezeichnen. Aesthetische Be-
trachtungen allgemeiner Art, wie sie bereits so vielfach und zuweilen in treff-
licher Weise von dem Centrum dieser Gruppe über das weite Gebiet pathe-
1) A.D. 1. S. 223.
2) Andeut. zu 24 Vorles. über Archäologie. Dresd. 1806. S. 173.
3) Ruinen u. Museen Korns S. 512.
/
216 Zweites Kapitel.
tischer Darstellung überhaupt sich verbreitet haben, liegen von meinem
Gange ab, ja es gilt diesen verführerischen Wegen zur Peripherie recht fest
und bestimmt auszuweichen und der Hauptaufgabe, der Geschichte dieses my-
thologischen Gedankens auch in der Kunst treu zu bleiben.
Die A uf f ind un gs zeit der florentiner Statuen schien durch einen von
Meyer1) angeführten angeblich in den Papieren der mediceischen Samm-
lung befindlichen Brief des Bildhauers Cioli in die erste Hälfte des sech-
zehnten Jahrhunderts, in das Jahr 1535 schon gesetzt zu werden, jedoch hat
Martin Wagner2) mit Recht gegen die Richtigkeit dieser Zahl Einspruch
gethan und eine falsche Lesung, was das Wahrscheinlichste, oder ein Ver-
schreiben angenommen. Schon der Name des Briefstellers, Cioli, wobei wir
zunächst nur an den bekannten Bildhauer Valerio Cioli aus Florenz, ge-
boren 1542, gestorben 1600, Schüler des Tribolo und Raffaelle daMontelupo,
den Mitarbeiter am Grabdenkmal des Michel Agnolo ;1570), einen sehr ge-
schickten Restaurator von Antiken, denken können3), macht die Zahl 1535
gänzlich unmöglich. Und wahrhaft wunderbar wäre es, wenn dieser herrliche
Fund fünfzig Jahre vollständig unbekannt und im Verborgenen geblieben
wäre und mitten unter den zu hohem Ruhm gelangten Funden jener Zeit
einem Michel Agnolo, einem Giov. Montorsoli, dem Schüler Rafaels gänzlich
entgangen wäre, während wir doch die Beschäftigung mit dem Stoffe der
Niobe, schon früher bei Benedetto Rovezzano , ja die Benutzung eines Re-
liefs von Giulio Romanos Hand nachweisen können. Wohl aber wäre eine
neue Untersuchung des Dokumentes zur Beseitigung jener Zahl von grossem
Werthe. Es muss dann sich herausstellen, ob jener Brief mit dem weiter
unten zu besprechenden, bisher in dieser Frage noch gänzlich unbenutzt ge-
bliebenen Briefe desselben Cioli vom 8. April 1583, den wir Gayes nicht
hoch genug zu würdigendem Forscherfleisse verdanken , nicht identisch ist,
eine Annahme, die sich uns auch ohne eigene Anschauung des Dokuments
unmittelbar aufdrängt.
1) Propyläen II. 1. S. 48, 13S— 140.
2) Kunstblatt 1830. n. 52. § 1.
H) Valerio Cioli aus Settignano, einem ( Mo bei Florenz, Sohn des Simone Cioli, eines
für Loretto mitbeschäftigten Schülers von Andrea Sansovino zeichnete sich schon jung
durch Geist und Geschick sehr aus. Er restaurirte für Cardinal Ippolito von Este herr-
liche antike Statuen, die in dessen Garten auf dem Quirinal aufgestellt wurden, war hier-
auf in gleicherweise für den Palast Pitti im Auftrag des Grossherzog Cosimo I beschäftigt,
war bei der grossen Leichenfeier Michel Agnolos thätig 1564 und ward dann J568 mit der
Statue der Scultura am Grabmal desselben beauftragt. Vasari spricht von ihm, als jungem
Gliede der florentiner Akademie, mit besonderer Liebe. Vgl. Vasari übers, v. Forster IV.
S. 407. 410; V. 454; VI. 225. Aus einem Brief des Giovanni da Bologna an Grossherzog
Ferdinand ergiebt sich der Tod des Künstlers im Februar 1600; in seinem Atelier waren
viele unvollendete Marmorwerke s. Gaye Carteggio III. p. 523. n. 419. 420.
Die statuarischen Bildungen. 217
Wir haben in der Einleitung f) bereits der wenigen Worte gedacht, in
denen Flaminio Vacca unter einer Reihe von Notizen über Fundort und
Fundzeit antiker Statuen während seines Lebens von der Kindheit bis zum
sechsundflinfzigsten Lebensjahre die Niobidengruppe bespricht. Er giebt
darin an, dass nicht weit vom Thore Giovanni in Rom, also vom Lateran
ausserhalb der Stadt eine Anzahl Marmorstatuen gefunden wurden, welche der
Grossherzog Ferdinand von Toscana gekauft habe und die sich in dessen Gar-
ten bei S. Trinitäde' Monti befinden, dass eben daselbst ein berühmtes Ringer-
paar gefunden ward, welches aber Flaminio Vacca mit den Niobiden nicht
irgend in Verbindung setzt. Diese Nachricht wird nun in interessantester
Weise näher uns bestimmt und berichtigt durch die von Fabroni aus dem
geheimen Archive der Medici veröffentlichten, von Ramdohr grundlos ver-
dächtigten Originalzettel über den Fund der Statuen im Frühling des Jahres
1583 und Ankauf von Cardinal Ferdinand von Medici, dem nachherigen
Grossherzog von Toscana seit 1587, sowie jetzt durch den von Gaye in sei-
nem Carteggio bekannt gemachten Brief des Valerio Cioli. Jene vier Papiere
bestehen in zwei Briefen von Stefano Pernigoni an Sr. Hieroniino Varese,
in einem Zettel von anderer Hand, und dann in einem Schein (la polizza)
für den Hieroniino Varese mit der Rechnung über den Preis der Statuen 2) .
1) S. 12. In den durch Fea in den Miscellanea filologica critica e antiquaria. 1790. T. I.
p. 51 ff. vollständiger und genauer herausgegebenen, so interessanten Memorie di varieanti-
chitä trovate in diversi luoghi della eitta di Roma scritte da Flaminio Vacca nel 1594 heisst
es : poco fuori di porta S. Giovanni mi ricordo che furono trovate molte statue di marmo
rappresentanti la favola di Niobe come anche due lottatori molte ben fatti e di buon mae-
stro. 11 tutto comprö il gran duca di Ferdinando e sono nel suo giardino del monte Pin-
cio. Der Bericht zeigt in der kurzen und ganz allgemeinen Art, wie er über diesen Fund
spricht im Gegensatz zu anderen, bei denen Flaminio Vacca selbst thätig war, wenigstens
mit Restauriren des Gefundenen sich beschäftigte, dass er diese Statuen erst nachher in der
Villa Medici gesehen, nicht an ihrem Fundort, sondern nur von dem Fund hat erzählen hören.
2) Fabroni dissertazione sulle statue apparten. alla favola di Niobe. Firenze. 1779.
p..20f.:
1 . Brief des Stefano Pernigoni : il nome de' Cavatori e Valerio da Rieti, Cecuccio da Mo-
dena e Paolo Milanese. La vigna dove si sono trovate e attaccata alla vigna di
Messer Jeronimo Altieri e dall* altra parte confina colla vigna di Messer Giovan Bat-
tista Argen ti e innanzi la via pubblica che va a Porta Maggiore appresso S. Giov.
Laterano. I nomi delli patroni della vigna e delle statue si chiamano Tuno Gabriele e
l'altro Thomaso de' Thomasini de Gallese. Le dette statue si trovano in casa delli
detti Thomasini in un tinello attaccato al giardino loro e cortile.
2. Besonderer Zettel d'altro carattere : Francesco de' Lotti Modenese, Valerio de' Pe-
doni da Rieti, Bartolomeo di Giov. Antonio Milanese Cavatori. Statue numero 13 della
storia di Niebia. La Lotta che sono senza testa ; la mittä e del patrone assolutamente
epor ne ha la mittä de la mittä a tal che ne e patrona de' tre quarti et un quarto ne
resta alli Cavatori.
3. Brief des Pernigoni an Sr. Hieronimo Varese: queste sono ü numero delle statue 15
computata l'AUotta per doi e la Niebia per doi. Oltre alle 45 vi e un towo quäle e
2 1 8 Zweites Kapitel.
Valerio Cioli giebt in einem Briefe vom 8. April 1583 an Antonio Ser-
guidi, den Geheimsekretär (segretario maggiore) des Grössherzogs Fran.
cesco I. f) einen Bericht von seiner Ankunft in Rom und dem Beginn der
Ausführung der erhaltenen Aufträge. Es ist schlecht Wetter, es ist kein
grosser Vorrath von Sachen da, wie sonst und da es nichts giebt, ist man sehr
erpicht darauf. ,, Seine Hoheit weiss bereits, dass vierzehn Statuen gefunden
wurden, welche von guter Künstlerhand sind, die die Geschichte der Niobe
darstellen. Unter anderen ist da eine Gruppe von zwei Figuren, welche sehr
schön sind. Und zu vielen derselben hat man die Köpfe wiedergefunden und
auch Arme. Sie haben alle schöne Köpfe, aber die Haare sind nicht allzu-
schön und nicht sehr vollendet (ausgearbeitet) . Aber der Besitzer hat bereits
eine grosse Meinung davon, soweit ich von ihm es habe entnehmen können,
als ich mit ihm in die Vigna ging, wo er sie gefunden hat und er lässt fort-
während graben, weil er noch die ganze Geschichte zu finden hofft." Der
weitere Inhalt des Briefes bezieht sich auf zwei florentiner Marmorarbeiter,
die sich damit beschäftigten, kostbare Marmorarten auf dem Boden Roms zu
suchen und sie zusammenzusetzen zu Tafeln. Am Schlüsse erwähnt er, dass
er wegen der Feiertage (es ist Ostern) den Cardinal Ferdinand noch nicht be-
sucht habe.
Also Anfang April waren die Statuen bereits gefunden und von Cioli
schon gesehen, auf ihren Ankauf war schon ein Auge geworfen. Jene Zettel
erweisen, dass am 24. Juni desselben Jahren es sich um den Abschluss des
Kaufes handelt, dabei wird aber Valerio Cioli nicht genannt. Die künstleri-
rimasto alla vigna e non poträ servir per altro che ad acconciar l'altre. V. S. spe-
disca quanto prima quello che s'ha da fare perche questi sono molestati da altri e non
Torriano che passasse da mani a dar fine al negozio — coli' intervento di Mes. Celio
loro Procuratore e le bacio le mani — 24 Giugno 1 583.
4. La polizza a favor di Messer Hieron. Varese per conto delle statu e e prezze deile me-
desime. Noi non la riporteremo — non contenendo esso altra notizia se non se che
la terza parte del prezzo delle statue appartenente ai Cavatori e la quarta dei Lottatori
fu rcalmente di scudi 450 quantunque nell' instrumento fatto per mano di Notaro
pubblico »i dica di scudi 800.
1) Gaye Carteggio III. p. 451. n. 3S4 aus den Manoscritti c:
Magco. Ser. Antonio.
La presente e per che faciate noto a sua Alt. Serma. come io sono arivato qua cho
mal tempo e va chontinovando ; pero io non manch o che io non facia diligentia per sadis-
fare a Sua Alt. Serma. Qua non ce piü quella gran copia di cose chome giä soleva e
quando si trova niente or sono asai vogliolosi. Sua Alt. sa che fu trovato quatuordici
figure che sono di buona mano, che rapresenta la storia di Niobe e infra laltre ce un
grupo di due figure che sono molto belle e di molte di quele äno le teste rimese e a che
(per anche) de' braci e äno tutte belle teste ma e capeli non sono troppo belli no sono
molto finiti : ma el padrone ciä grande opinione, per quanto 6 potuto intendere da lui,
perche andai secho a la vignia dove e' lä trovate e fa chavare chontinovo perche pensa
trovare tuta la storia.
Die statuarischen Bildungen. 219
scheu Angaben desselben sind uns von grossem Interesse. Es ist sehr zu
fragen, ob wir in Valerio Cioli nicht den nachherigen , so geschickten Re-
staurator der Statuen zu suchen haben.
In einem Weingarten der Gebrüder Gabriele und Thomaso dei Thoma-
sini de Gallese, welcher zwischen der Vigna des Herrn Jeronimo Altieri und
Giov. Battista Argenti liegt, an der von S. Giovanni Laterano auf Porta Mag-
giore zu fuhrenden Strasse (via pubblica), also der via Labicana und nahe bei
der lateranischen Kirche wurde der Statuenfund gemacht. Dass die Lokali-
tät zwar ausserhalb des jetzt bewohnten Theiles von Rom, aber nicht deshalb
ausserhalb der alten aurelianischen Stadtmauern, nicht vor den Thoren der
jetzigen Roms zu suchen ist, wie selbst Welcker aagt, nach ihm z. B. der Ka-
talog der Gypsabgüsse des Berliner Museums1), ergiebt sich aus den noch be-
stehenden Verhältnissen dort, die im Wesentlichen auf die 1575 erfolgte Er-
bauung der Porta S. Giovanni durch Sixtus V (1585 — 1590), was Strassen an-
läge und Erneuerung von Baulichkeiten betrifft, zurückgehen An dieser
Hauptstrasse nach Porta Maggiore liegt die Villa mit der Vigna Altieri in be-
deutender Ausdehnung. Neben derselben also, nach dem Lateran zu haben
wir die Vigna Thomasini zu suchen ; es ist die nachherige Vigna Palombara,
die dem Fürsten Massimi gehört.
Wir befinden uns hier auf der südlichen Gränze der Region der Exqui-
liae nach dem Caelimontium, speciell nach dem Caeliolus zu, bei jenem gross,
ten alten und auch von den bedeutendsten Familien noch zu Ciceros Zeit
benutzten Begräbnissplatz, der seit Mäcenas allerdings durch Parkanlagen,
wie auch die horti Lamiami, wie die späteren horti Pallantiani des mächtigen
Freigelassenen des Claudius, Pallas und zugleich durch einzelne grosse Bauten
wie mehr an der Nordseitc durch die Porticus Li via, die Porti cus Julia, wie weiter
südlich durch das Nymphaeum Alexandri, also grosse Kuppelräume mit Spring-
brunnen des Alexander Severus, endlich durch das Sessorium mehr und mehr
beschränkt und herausgeschoben wurde2). In der Region des Caelimontium
reichen Prachtbauten einzelner Privatleute mit Gärten, wie die Aedes
Lateranorum, die Aedes Vectilianae, vor allem Haus und Gärten des Marc
Aurel und seines Grossvaters Annius Verus an die Exquilien heran, während
in diesen die bescheidenen Wohnungen eines Virgil, Properz, Persius, Pedo
Albinovanus in der Nähe jener Parkanlagen sich fanden8). In der Villa Al-
tieri wurden treffliche Statuen bei einem achteckigen Gebäude auch schon
im sechzehnten Jahrhundert gefunden, die ein Nymphaeum hier mit Be-
stimmtheit ansetzen lassen4), in derselben sind die berühmten Gräber der
1) Ausg. 1860. S. 101.
2) Becker röm. Alterth. I. S. 542—563.
3) Becker röm. Alterth. I. S. 505 ff.
4) Becker a.a. O. S. 549; vgl. bes. Fea Miscell. p. 148. n. 67.
220 Zweites Kapitel.
Nasonen mit ihren Wandgemälden 1675 aufgedeckt worden. Auch andere
bedeutende Familiengräber , wie das der Arruntii, sind in der Nähe aufge-
funden. In der Yigna Palombara selbst ist der berühmte Discuswerfer des
Hauses Massimi, ein trefflicher Hercules, treffliche Husten der Faustina senior,
der Minerva, der Venus mit Brusttheil, kostbare Marmorsäulen, Glasgefässe1),
ferner das ausgezeichnete Relief mit tanzenden Frauen im pentelischen Mar-
mor des Museo Chiaramonti 2) , nahe bei jene gute Venusstatue mit Amor,
ein Knabe mit Schwan oder Gans3), hinter der Scala Santa eine ganze Reihe
trefflicher Werke, die eine kaiserliche Wohnung voraussetzen Hessen, ge-
funden4). Dagegen fehlt es in jener Gegend so gut wie ganz an grösseren
Tempelanlagen, die vereinzelten Heiligthümer, wie der Spes vetus, des Her-
cules Sullanus sind lokal näher zu bestimmen, eben so ganz an Thermen oder
Gebäuden für Schauspiele irgend einer Art5). Wir" können demnach fast mit
Bestimmtheit sagen, dass umfangreiche und ausgezeichnete Kunstwerke, die
in jener Gegend sich finden, entweder einer grossen Gräberanlage oder einem
glänzenden Privatbaue und den damit verbundenen Parkanlagen angehören.
Wir könnten unter diesen letztern mit Sicherheit fast auf den Bereich der
Anlagen der Familie Marc Aureis oder der benachbarten des Alexander Se-
verus hinweisen. Ja ich stehe nicht an, ihre Aufstellung in einem der Saale
des Nymphaeums des letzteren, dabei jene Meisterwerke gymnastischer Dar-
stellung für sehr wahrscheinlich zu halten. Die weitere Untersuchung wird
uns die nahe Stellung der Niobiden zu Quellnymphen, der Niobe selbst zum
Wasserquell darlegen. Das steht nun unter allen Umständen fest : der Fundort
der medieeischen Statuen hat nicht das Geringste gemein mit dem Aufstel-
lungsort der von Plinius in Rom gesehenen berühmten Gruppe des Skopas
oder Praxiteles, auch wenn wir die Oertlichkeit des Tempels des Apollo So-
sianus nicht näher bezeichnen könnten, die die obige Untersuchung uns aller-
dings, ich hoffe sicher genug dargelegt hat.
Also in jener Vigna der Thommasini de Gallese fanden drei mit Ausgra-
ben von Antiken sich beschäftigende Männer (cavatori) , der Modenese
Francesco dei Lotti, der Mailänder Bartolomeo diGiov. Antonio und der Rea-
tiner Valerio de' Pedori zuerst dreizehn Statuen, die sofort als zur Geschichte
der Niobe gehörig erkannt wurden, dann noch zwei, die Ringergruppe. Einen
Torso Hess man in der Vigna, der zu nichts anderem dienen zu können
schien, als die anderen Statuen damit zu ergänzen. Mit diesem kommt dann
1) Fea Mi 8 cell. n. 24; Cancellicri dissert. sopra le statue del discobolo. Rom 1806.
p. 42—49; Bunsen Beschreib. Roms III. S. 301 f.
2) M. Chiar. t. 44 ; Beschreib. Roms II. 2. S. 80. Auch das Parcenrelief in Tegel
stammt ebendaher.
3) Fea Mise. p. 152. n. 70.
4) Fea Mise. p. I0fif n. 125.
5) Ueber die Lage des amphitheatrum castrense s. Becker a. a.O. S. 549 f.
Die statuarischen Bildungen. 221
die Zahl vierzehn des Cioli heraus, oder da es fast aus seinen Worten hervor-
zugehen scheint, dass die Ringergruppe schon von ihm dabei gesehen ward,
so miisste dann noch eine Statue und der Torso nachträglich gefunden sein ;
dass noch mehr gesucht wurde, sagt er ausdrücklich. Die Statuen wurden
in einem an den Garten gränzenden kleinen Lokal aufgestellt und die Ver-
handlungen in aller Stille und Eile — - man musste sich anderer Liebhaber
erwehren — durch Stefano Pernigoni mit Ilieronimo Varese für Ferdinand
von Medici geführt. Der Sachwalter des Besitzers, Namens Celio, sollte das
Formale des Kaufes für sie besorgen. In einem Schreiben vom 24. Juni 1583
wird zur raschen Erledigung des Formalen gedrängt — man musste bereits
einig sein. In dem gerichtlichen Dokument waren 800 Scudi für die Finder
genannt, in Wirklichkeit waren es nur 450. Sie erhielten ein Drittel des
Preises für die Niobestatue, ein Viertel für die Ringer. Es muss dal) er die
Betheiligung der Besitzer der Vigna an der weitern Ausgrabung eine grössere
gewesen sein, als an der ersten, mit so glücklichem Erfolg gekrönten. Die
höhere Angabe de«> Preises für die Finder mochte auf den eigentlich legalen
Antheil derselben sich beziehen, oder überhaupt sollte der Gesammt preis
nach Aussen höher erscheinen. Wir können den wirklichen Gesam in t preis
auf 14 — 1500 Scudi nach jenen Zahlen anschlagen.
Bereits zwei Jahre nach der Auffindung sind von den dreizehn Niobiden-
statuen (Mutter und Tochter als zwei gerechnet) eilf sowie die zwei Ringer
gestochen in dem Werke von Jo. Baptista de CavalerhV) auf Tafel 9 — 19.
Die Aufschriften zeigen, dass sie sich schon in der Villa Medicis auf dem
Monte Pincio befanden und zwar ein Theil, die Mutter mit drei Töchtern im
Garten, die übrigen im Palast selbst. Diese Zeichnungen sind uns von un-
schätzbarem Werth, da sie uns die Statuen wesentlich noch ohne Ergänzun-
gen zeigen. Zu diesen gehört bereits der Pädagog, hier als Mann der Niobe
bezeichnet, ferner die jetzt fast allgemein ausgeschiedenen Statuen der soge-
nannten Psyche und endlich eine Statue mit dem Motiv des Aufstützens des
Armes, wie es sonst Polyhymnia charakterisirt, an deren Stelle also erst nach-
her die als Muse Melpoinene oder Euterpe bekannte Statue trat2). Dagegen
fehlen zwei über Felsen hineilende Söhne, es fehlt die das Gewand hebende,
ruhig stehende weibliche Gestalt3) und ebenso die sog. Anchirrhoe oderErato.
Der noch gefundene Torso, über desen männlichen oder weiblichen Charak-
ter wir nichts erfahren, kann keiner derselben angehören, da er, wie es heisst,
1) S. oben S. 12. Ich benutzte ein, wie mir schien, vollständiges Exemplar auf der
Berliner Bibliothek, grössere und kleinere Auswahl der Blätter findet man mehrfach in
anderen Exemplaren.
2) Auch Jo. Jac. de Rubeis insign. stat. urb. Romae iconea 1. 1 15 hat die Polyhymnia
als Niobide.
3) Bei Welcker Taf. IV. 11 ; unsere Tafel XIII. 1.
222 Zweites Kapitel.
nur noch zum Ausbessern der andern tauglich schien. Es ist wahrscheinlich,
dass Cavaleriis jene zwei Söhne, die mit dem dritten so ähnlich motivirt sind,
in der Zeichnung ausliess und so dann die Zahl des ursprünglichen Fundes
dreizehn herauskommt. Die Ringer werden bei ihm bereits als Söhne der
Niobe bezeichnet, obgleich sie beim Auffinden durchaus für sich besprochen
waren, auch erst nach den anderen gefunden wurden.
Mit der Ergänzung der Gruppe und ihrer malerischen Aufstellung auf
und an einer Felsmasse, so ganz im Sinne der Berninischen Kunst, wie uns
das die Abbildungen bei Perrier und seinen Copisten zeigen, wie Richardson
im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts sie sah und daran herumstieg, ging
nun auch eine Veränderung in den Bestandteilen der Gruppe vor sich. Hin-
zukam ein Pferd auf Felsengrund, von dem Fabroni und Lanzi f) doch wohl
aus urkundlicher Ueberlieferung wussten, dass es an der Küste Latiums, nahe
bei der Magliana aus dem Wasser von Fischern geholt war ; hinzu kamen also
noch zwei Töchter und die eine Gestalt mit dem Polyhymniamotiv ward mit
einer anderen vertauscht; woher diese stammten, wissen wir nicht, natürlich
aus dem Boden von Rom. Man hatte nun Niobe, Amphion, wie man meinte,
sechs Söhne und sieben Töchter, jedoch bildete die jüngste mit der Mutter
eine Einheit, so dass sechs Töchtei nur selbständig auftreten und so eine
strenge Symmetrie da war. Dass man die Ringer nicht für einen Bestandtheil
der Gruppe hielt, geht daraus hervor, dass diese allein schon 1(»77 nach Flo-
renz gebracht wurden und seitdem immer getrennt blieben2).
Die Versetzung der Gruppe aus dem Garten der Villa Medici, wo inzwi-
schen ein eigenes kleines Gebäude für die zuerst im Freien aufgestellte er-
richtet war, nach Florenz fand Statt im .1. 1775 unter Grossherzog Peter Leo-
pold, dem für Toskana so segensreichen Fürsten. Ein eigener Saal ward in
der Galeria degli Uffizi gebaut, um an seinen vier Wänden nun die Niobiden,
auf Postamente gestellt, Niobe und den Pädagogen an den schmalen Seiten
einander sich entsprechend aufzunehmen. Die schliessliche Aufstellung er-
folgte um 1794. Die Zahl der Statuen hatte sich inzwischen um zwei Wie-
derholungen zweier Niobesöhne vermehrt. Auf Thorwaldsens Vorschlag ist
endlich eine schon früher in der medieeischen Sammlung zu Florenz befind-
liche Statue, der sog. Narciss in den Niobesaal eingetreten.
So hat denn die jetzige norentiner Gruppe ausser dem ursprünglichen
Bestand des Fundes der Villa Palombara, von dem aber eine der Polyhymnia
ähnliche Figur ausgeschieden ist, von also zwölf Figuren sich um drei Töch-
ter, um einen neuen Sohn, um zwei Wiederholungen vermehrt, über deren
Fundorte wir durchaus nicht unterrichtet sind. Die Ringer, die den Fundort
theilen, das Pferd, dessen Herkunft wir kennen, sind von ihrer Verbindung
1) Giornale di Pisa. t. XL VII. p. 3S.
2) Oori Mus. Florent. III. p. 74.
Die statuarischen Bildungen. 223
mit der Gruppe wieder gelöst worden. Und so liegt schon darin die ent-
schiedenste Warnung, die jetzige florentiner Statuenvereinigung als ein ein-
heitliches Werk zu betrachten, in Bezug auf Material, Stil, Motivirung eine
Einheit zu verlangen. Nach dieser kann zunächst nur bei den zusammenge-
fundenen Statuen gefragt werden.
Nun haben wir in der Einleitung auf die so bedeutend angewachsene
Zahl von ganzen oder theilweisen Wiederholungen, Ergänzungen dieser Nio-
bidenstatuen hingewiesen ; die Behandlung der Einzelgestalten wird sie uns
genauer vorfuhren, hier wollen wir uns zunächst nur übersichtlich nach den
Fundorten umsehen. So weit wir nachkommen können, sind weitaus die
meisten Exemplare von Statuen und Köpfen in oder bei Rom gefunden ;
ausser dem, was die römischen Museen in so bedeutender Zahl bieten, hat
Dresden durch die Sammlung Albani und Chigi, Köln, London, Oxford, Ma-
drid, Petersburg, wahrscheinlich auch München durch die Sammlung Bevi-
lacqua in Verona, und Berlin aus llom Niobiden erhalten. Die dem Stile
nach ausgezeichnetste Niobide, die fliehende Tochter des Vatican stammt
speciell aus der Villa des Kardinals Hippolyt von Este auf dem Quirinal, für
die, wie wir sahen, Valerio Cioli besonders thätig war und wahrscheinlich
aus der Villa des Hadrian bei Tivoli. Andererseits ist der jüngste Niobide im
Vatikan1) und ein trefflicher Kopf eines altern Sohnes in England, beide aus
der Sammlung Fagan stammend, in Ostia gefunden. Aber auch weit ab von
Rom, bei Aquileja und endlich in Soissons in Nordfrankreich sind sehr inte-
ressante Theile aus jener grösseren Statuenreihe aufgefunden worden. Wir
erhalten schon dadurch ein lebendiges Bild von der grossen plastischen Thä-
tigkeit, die wesentlich nach Einem berühmten in Rom befindlichen Urbilde
und in grösserer und kleinerer Auswahl in Beschränkung auf einzelne Figu-
ren für die gegebenen äusseren Verhältnisse und Bedürfnisse, auch, wie wir
zeigen werden, in mannigfacher Variation arbeitete.
Die mediceische Gruppe ist unter diesen Wiederholungen für uns
immer die relativ vollständigste , aber für sie , deren Veränderung und Er-
weiterung nach der ersten Auffindung wir oben näher nachgewiesen haben,
kann gegenüber jenen anderen Denkmalen ein besonderer Anspruch der Ori-
ginalität aus der grössern Zahl ihrer Glieder nicht erhoben werden. Er kann
es endlich auch nicht, wie die Einzelbetrachtung der Statuen uns lehren
wird, in Bezug auf den Stil und die Technik, da in beiden sie durchaus sich
nicht über die guten anderen Exemplare erheben, ja vielfach nachstehen und
unter ihnen selbst nicht unbedeutende Verschiedenheiten bestehen. Diese
aber für die Scheidung von Originalen und Copien, wie dies besonders von
Meyer versucht ist, zu benutzen, wird dadurch ein ziemlich müssiges Unter-
nehmen. Hier sei schon bemerkt, dass mit Ausnahme eines, des ältesten
1) Braun Ruin. u. Mus. Roms S. 512 ; Arch&ol. Anz. 1856. S. 248.
224 Zweites Kapitel.
Sohnes f) und dann der als Anchirrhoe jetzt meist ausgeschiedenen, nicht ur-
sprünglich mit gefundenen Tochter, die von parischem Marmor sind, alle an-
dern wahrscheinlicher von carraiischem als pentelischem Marmor gebildet2),
dass die Köpfe bei den meisten, sicher bei Niobe, dem Pädagogen, den
Töchtern besonders gearbeitet sind8), dass die Rückseite bei allen weniger
ausgearbeitet ist4), dass die Falten der Gewänder tief mit dem Bohrer einge-
furcht sind, nicht blos mit dem Meisel gearbeitet R) . Wir werden zu diesen
allgemeinen Fragen von der Einzelbetrachtung zurückkehren und dann auch
die Gesichtspunkte aufstellen können, die uns ein gemeinsames Verhältniss
zu jener hochberühmten, griechischen Composition des grossen Meisters und
Rückschlüsse auf dessen Stilisirung und geistige Auffassung gestatten.
§ 21.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke.
Bei der statistischen Uebersicht der Niobidenstatuen , so weit
solche allgemein anerkannt oder in bestrittener Weise zu ihnen gerechnet
werden, wird uns Grösse, Material, Grad der Erhaltung und Ergänzung,
dann die Hauptmotivirung, das rein Körperliche mit seinen bleibenden
Grundformen, die Gewandung, endlich der geistige Ausdruck interessiren.
Wir haben uns, abgesehen von den Specialberichten, für einzelne Werke vor
allem an Cavaleriis, als den ältesten Abbildner (Ca.), an Fabroni (F.), an
Meyer (M.) in den früher citirten Arbeiten, an Zannoni, den Herausgeber
der Galeria di Firenze für diesen Theil (Z.), an Martin Wagner (M. Wa.j, an
Cockerell (C), an Clarac und dessen Berichterstatter, sowie Fortsetzer (Cl.),
an Müller- Wieseler, in der Erklärimg der Denkmäler alter Kunst (M.W.) 6)
für das Thatsächliche wesentlich zu halten, aber werden hier oft genug die
gewaltige Differenz der Berichte zu constatiren haben, die nur durch eine
neue Untersuchung ausgetragen werden kann. Was die Zusammenstellung
der Wiederholungen betrifft, so bedarf es wohl kaum einer besonderen Er-
klärung, welche wichtige Grundlage mir Welckers (W.) 7) Arbeit gewesen ist,
auf der prüfend fortzubauen mein Streben war.
1) Bei Mallere, bei Weicker 4, auf unserer Tafel XVII. 11.
2) Gerhard drei Vorles. S. 52. Anm. 82; Cockerell behauptete pentelischen Marmor.
3) Winkelmann G. d K. VII. 1. 12.
4) Nur der knieende Sohn (e bei Müller, 14 bei Weicker, unsere Taf. XVII. 11) ist
auf der Rückseite gleichmässig ausgearbeitet, aber da fehlt ganz das linke Unterbein.
5) Schlegel zu No. 11 in Cockerells Giebelgruppe in den oben angeführten Aufsätzen.
G) Th. I. t. 33. 34.
7) A. D. I. S. 223—231. Taf. IV.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 225
A. Niobe mit der jüngsten Tochter.
Abbildungen: Ca. t. 9 ; Maffei Raccolta di statue. Roml704. t.32; Kopft.54;
F. t. II ; Z. t. 1 ; C. n. 7; Cl. pl. 583. n. 1260; M. Atl. Taf. 22 A\ M.-W. I. Taf. 33.
n. 142 A.a; We. T.IV. 8; Miliin Gal. mythol. t. CXLIII. n.521; Overbeck Gesch. d.
gr. Plastik Fig. 69, g h ; 70 ; unser Titelblatt Taf. X.
Ergänzungen: nach M. sind am Kopf der Niobe Nase, Spitze der Oberlippe,
grösster Theil der Unterlippe ergänzt, Kinn beschädigt und mit falschem Tarter über-
schmiert1) ; ferner ergänzt der linke Unterarm mit entsprechendem Stücke Gewand,
die rechte Hand mit halbem Unterarm, die ursprünglich etwas tiefer gesenkt war, so
dass der Kopf der Tochter, wie auch Ca. beweist, mehr über den Arm gedreht sicht-
bar wurde. An der letzteren der ganze rechte Arm, linke gehobene Fuss mit um-
gebendem Bande des Gewandes, ebenso die starken Locken neu ; Theile des Haa-
res, Nase neu, Unterlippe abgebrochen, linke Schulter zerbrochen, linke Hand neu,
lag tiefer, wie Reste am Gewand der Mutter ergeben. Rückseite so gut wie nicht aus-
gearbeitet.
Grösse : mit Basis 2,305 Metres, ohne dieselbe 2,070.
In einem gewaltigen Ausschreiten mit einer mehr nach links und zu-
gleich nach vorn gewandten Richtung des Körpers erhebt sich Niobe vor
unsern Augen. Ihr linker Fuss ist fest aufgesetzt, während der rechte mehr
auf den Spitzen ruht und dadurch eine stärkere Biegung des Knies einwärts
ermöglicht. Zwischen den einander nahenden Knieen, an dem sich einbie-
genden Schooss birgt sie das Kind, das an ihr gerade hinaufstrebt und ge-
genüber den gewaltigen schrägen, geschwungenen Linien einen senkrechten
Mittelpunkt bildet. Ihre rechte Hand ruht abwärts gesenkt auf den Locken
der Tochter, während der linke seitwärts gehobene gerade im Ellenbogen ge-
brochene Arm sichtlich zurück nach dem Haupte sich wendet, und das wie
ein schützendes Schild hoch gezogene Obergewand zuhält, um dem mächtigen
Körper zugleich weiteren Spielraum, der schmerzerfullten Brust gleichsam
Freiheit zum schweren Ausathmen zu geben. Das Haupt, auch der vorgeneigten
Wendung des Oberkörpers folgend, ist zugleich stark seitwärts nach Rechts
gewendet. So haben wir eine dreifache Linienverbindung: convergirend
nähern sie sich von der Basis fast in einem Dreieck dem Schoosse, von da
öffnen sie sich in weitem Bogen als langgezogenes Viereck und schliessen sich
am Haupt und linken Arm in eine abgerundete Form zusammen, aber in
einer zu dem Mitteltheil in Widerstreit stehenden Richtung.
Das Costüm erweitert und gliedert in bedeutsamster Weise diese Grund-
formen. Wie drängen sich die Gewandmassen am untern Theile zusammen !
Ueber das faltige, ärmellose Untergewand, das vor allem unter den Achseln
bauschig sich gestaltet, senken sich die grossen Massen des Obergewandes, das
wie durch eine Art Riemen über dem Knie zusammengehalten wird, aber
dann in tiefgeschwungenen Falten rechts und links sich ausbreitet, den sehr
kräftigen Bau der unteren Extremitäten hervortreten lassend. Starke Schuhe
1) Auch Ramdohr II. S. 139 macht hierauf aufmerksam.
8tark, Niob«. 15
226 Zweites Kapitel .
bilden die Bedeckung der fest auf felsigem Boden auftretenden Füsse. Dazu
kommt noch der im feingekräuselten, enganliegenden Chiton voll heraustre-
tende jugendliche Körper der Tochter mit ihrem zu den Hüften herabgesun-
kenen, in Faltenmassen zum Erdboden reichenden Obergewand. Sie drängt
sich an der Mutter empor, hängt fast zwischen den Knieen, aber biegt doch
den Kopf links auswärts, wie mechanisch die von Aussen drohende Gefahr
noch beachtend. An dem Haupttheil der Gestalt Niobes tritt der Körper aus
seiner weitern Umhüllung unmittelbarer hervor. Der ärmellose, bauschige
Chiton wird durch einen Gürtel unter der Brust zusammengehalten, die volle,
reife Mutterbrust tritt aus ihm entschieden hervor und die nackten, herrlichen
Arme lassen eine der levxiokevog aHqa ebenbürtige Natur ahnen. Nicht um-
sonst schildert wohl Ovid Niobe in ihrem Schmerze als die bleichen Arme
erhebend [liventia Irachia tollens) f), also auch hier entblösste, in ihrer Farbe
nur entstellte Arme. Ueber den Schultern wird der Chiton durch Spangen
zu8ammengefasst. Das Obergewand von der rechten Hüfte schräg über den
Kücken emporgezogen bildet auf der linken Seite eine ziemlich gleichförmig
gefaltete, leicht gespannte Masse, deren oberster Zipfel aus der haltenden
Hand wieder etwas herabgleitet.
Von besonderer Wirkung ist die reiche Haar fülle, die vom Haupte
herab über den Nacken fällt und in weiten Massen über die Schultern sich
verbreitet. Sie giebt gegenüber der durch die Gewandung noch so bedeu-
tend entwickelten Masse des Körpers auch dem Haupte einen weitern Um-
fang, eine breitere Basis neben und zu dem kräftigen, matronalen Halse.
Und auch hier dürfen wir schon an das Homerische auch von Moschos be-
nutzte Beiwort ffuno(Aag%)9 an die Schilderung des Antipater von Sidon3), au
die Worte des römischen Dichters erinnern, der nicht ohne künstlerische
Anschauung, ohne einen festen Zug im mythischen Bilde sie uns schildert :
quantum ira sinit, formosa : movensque decoro
cum capite immissos humerum per utrumque capillos
constitit4).
Um das Haupt sind die Haare durch ein ziemlich breites Band gehalten, das
aber nur oben auf dem Scheitel sichtbar wird, während es rechts und links
unter den in einer bauschigen Masse zurückgestrichenen Haaren verborgen
ist. Auch auf Sarkophagreliefs bemerkten wir die den Nacken bedeckende
Haarfulle5). Mit Recht hat schon Meyer an das Haar der ludovisischen Juno
erinnert, aber zugleich müssen wir sagen, erinnert uns jene über den Nacken
1) Metam. VI. 279.
2) IL XXIV. 602; Mosch. Idyll. IV. 84.
3) S. obenS. 59. 146.
4) Metam. VI. 167.
5) S. oben S. 162.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 227
h verbreitende Haarfülle entschieden an die Darstellungen der Gaea f) und
•wandter Gestalten, so wie an bakchische Bildungen2), während das Haar
i Hera nur in einzelnen starken Locken herabfällt, bei Athene in einem
ten Zopf geeint ist, bei Aphrodite, wenn es nicht aufgebunden ist, entwe-
r in nassen, gezogenen Lockenlagen zum Busen sich senkt, oder als leicht
kräuselte, der zierlichen Ordnung entgangene Enden auf den Nacken her-
reicht.
Seit Winkelmanns trefflichen Bemerkungen hat man der Betrachtung
j Gesichtes der Niobe vor allem Aufmerksamkeit und Worte geschenkt,
er man hat dasselbe nur zu rasch auf einen allgemeinsten Ausdruck starrer
rcht im Uebergang zur schlaffen Verzweiflung, edeln Stolzes im Schmerz,
i höchsten Mutterschmerzes gebracht, man hat in ihr als der Schweigen-
a, Versteinerten „die durchgeführte tragische Maske" (Feuerbach) erkannt,
n hat ,,das Nacheinander der blitzschnellen Uebergänge als Nebenein an-
r" dargestellt gefunden , so dass über den Empfindungen der von angst-
iler Verzweiflung erfüllten Mutter zugleich das Bewusstsein der Heroine
tht verloren geht (Stahr) .
Winkelmann 8) macht auf die empfindliche Schärfe der Linie der Augcn-
ochen und Augenbrauen aufmerksam, die den Werken des hohen Stiles
erhaupt eigen sei, speciell an diesem Haupte der Niobe hervortrete. Von
«em Punkte geht Overbeck 4) in seiner Schilderung aus ; wir können uns
ne Worte vollkommen aneignen : ,,hier ist das Zusammenziehen der Au-
lbrauen nach der Mitte in Verbindung mit der nach oben zuckenden Be-
gung des innern Theiles des untern Lides charakteristisch ; durch diese der
.tur unendlich fein abgelauschten Bewegungen der das Auge umgebenden
eile ist der Augenblick ausgedrückt, in welchem ein heisser Strom unwill-
rlicher Thränen von unsäglichem Leid herausgepresst wird". In der That
i dieser Augenlinie und den Augenhöhlen aus ist der Ausdruck des ganzen
sichtes zu erfassen. Grossartig und energisch ist dieser Bogen der Augen-
ochen von Natur gebildet, aber seine Form wird gesteigert durch den mo-
ntanen Seelenzustand. Hoch gezogen erscheinen hier die beweglichen
ischigen Theile desselben zu beiden Seiten des Nasenbeins, während sie
den äussern Enden stärker über die Augenwinkel sich legen. Die Augen-
er lösen sich gleichsam ab von dem gewaltig geöffneten, aber fast starren
ige, um dem drängenden Thränenstrom Platz zu machen. Es scheint die
[e, reine Stirn etwas eingesunken vor der Hebung der Augenbrauen. Der
hem zieht sich in die feingebildeten Nasenflügel zurück, die Nasenwände
1) Meine Schrift de Tellure dea deque ejus imagine a Man. Phile deseripta p. 31.40.41
2) Man vergleiche den Ausdruck des Antipater h'9tov atfttaa xo/uetv.
3) Vorlauf. Abhandl. f. K. III. § Gl ; Gesch. d. K. IX. 2. 27.
4) Kunstarchäol. Vorles. S. SO f. ; Gesch. d. Plast. IL 8. 48.
15»
228 Zweites Kapitel.
werden steiler ; die Muskeln der Wangen spannen sich sichtlich nach Mund-
winkel und Oberlippe. Und der etwas geöffnete Mund mit der hinauf sich
ziehenden Oberlippe, mit der etwas vorgeschobenen Unterlippe, mit den nach
unten zuckenden Mundwinkeln wird gleichsam zum eben gespannten Instru-
ment im Moment, ehe ihm Töne entströmen ; das volle Weinen, so erwartet
man, wird auf diese Spannung folgen. Auch das Kinn endlich ist gleichsam
schmaler, gerader, hat sich mehr losgelöst aus dem vollen schöngeschwunge-
nen Oval des Gesichts, folgt auch jener in den Augen ihren Zielpunkt fin-
denden Richtung der Anspannung.
So, sehen wir, ist ein Moment vor dem gewaltigen Einbrechen des Wei-
nens zur Darstellung gekommen, ein Moment der Haltung noch, begründe!
in der eben so gewaltigen wie schönen Natur. Denn wie ist die Schönheit
der Gesichtsformen nicht vernichtet durch den Schmerz, sondern bildet für
ihn die mässigende Zucht, füllt den Hintergrund gleichsam zwischen den
pathetisch hervortretenden Punkten ! Es ist ein gewaltiges Wehgefühl, das
bald nichts als Weinen, immerwährendes Weinen hervorrufen wird, über eine
königliche Natur gekommen, die ihrer Hoheit, ihrer iirsprünglichen Erha-
benheit über das Irdische nicht untreu werden kann.
Fragen wir, in welche Reihe von Gesichtsidealen gehört dieser Kopf der
Niobe, so möchten wir sagen, er steht gleichsam zwischen den Idealen der
Juno und Venus. Mengs, Visconti1) Wredowu. a. haben auf die letztere,
d. h. auf jene speeifische Bildung der praxitelischen Venus, wie sie uns im
Vatican, in München, in Madrid am reinsten entgegentritt, hingewiesen und
mit Recht, was die weicheren, fleischigen Theile des Gesichtes betrifft, aber
das Oval das Gesichtes, die architektonische Unterlage überhaupt, besonders
der Augenknochen, nähern sich in Festigkeit und Grösse entschieden dem in
der ludo visischen Juno uns vor Augen stehenden Ideale. Das Auge selbst hat
auf der einen Seite nicht das Gewölbte, Hervortretende der stieräugigen
Hera, sondern liegt tiefer geborgen, ähnlich dem Auge der Venus, abqr es
hat auch nicht das breit Gezogene, Schwimmende des letztern, sondern öffnet
sich aus der Tiefe weit mit voller, grosser Rundung des Augapfels. In der
Behandlung der Haare und der Arme haben wir auf Juno, aber auch auf das
von ihr Unterscheidende aufmerksam gemacht.
Kehren wir von dem Haupt noch einmal zur ganzen Gestalt und ihrer
Gesammtmotivirung zurück, so können wir nun in jener Zusammensetzung
von Bewegungen auch die Unterlage nicht verkennen. Noch ganz Mutter in
den Bewegungen ihres unteren Körpers, Schutz und Heimath dem einzig, wie
es scheint, geretteten jüngsten ihrer Kinder in ihrem Schoosse bietend, erhebt
sie sich in den oberen Theilen mit wundervoller Grösse, wie ihr Herz geöffnet
ist nicht blos dieser Tochter, allen ihren Kindern, so dem über diese herein
1) Mus. Pio Clement. I. t. 11. p. 18.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 229
brechenden Unglück als Einzige gewachsen, um endlich im Ausdrucke des
Gesichtes nicht körperlichen Schmerz, nicht Bitten und Wünsche, nicht stolze,
trotzige Worte, nein, nur die mit der Naturgewalt des reinen Schmerzes, mit
Thränen ringende schöne und grosse Geistesnatur zu offenbaren.
Das hoch Bedeutungsvolle und Grosse in den Gesammtlinien dieser Gruppe
von Mutter und Kind !), die Mannigfaltigkeit in der Anlage der Gewandung,
das Reine und Hohe im Gesichtsausdruck, wie es uns so eben beschäftigt hat,
drängt die rein künstlerische Betrachtung gerade dieses Marmorwerkes, gegen-
über dem unwillkührlich darin vorausgesetzten Urbild leicht zurück, ja lässtdie
erstere leicht als eine Beeinträchtigung der Bewunderung des letztern erschei-
nen. Und doch muss jeder, der rein griechische, der Werke der hellenischen
Periode, der die besseren Werke der römischen, reproducirenden Kunst ver-
gleichend gesehen hat, der einen Sinn für den Zauber eines reinen griechi-
schen Stiles überhaupt besitzt, vor dieser Niobe unmittelbar es aussprechen,
dass wir hier nur eine ganz geschickte Copie römischer Periode, etwa der
hadrianischen Periode besitzen, dass die Arbeit des Körpers entschieden hin-
ter der des eingesetzten Kopfes zurücksteht. So stumpf in der Behandlung
der herrlich angelegten Gewandmasse, so sehr in der Ausführung nur auf
Einen Augenpunkt, auf die Hülfe der Lokalität berechnet, so flüchtig und roh
in allen nicht gerade dem Betrachter leicht zugänglichen Theilen, so wenig
durchdrungen im Einzelnen von dem im Ganzen und Grossen waltenden Geist
erscheint diese Ausführung. Aber wir dürfen auch wohl sagen, es treten die
unverwüstlichen Schönheiten der ursprünglichen Compositionen um so sicht-
barer dabei hervor, nicht durch die Eigenthümlichkeit des Reproducenten ver-
ändert. Dürfen wir einen Vergleich aus der Musik entnehmen, so haben wir
hier eine klassische Symphonie umgesetzt aus dem meisterhaften Zusammen-
wirken einer Reihe durch Künstlerhände gehandhabter verschiedener Instru-
mente in ein nicht ungeschicktes Klavierspiel eines fertigen Spielers.
Fragen wir nun nach den Wiederholungen.
Ein zweites Exemplar dieser Gruppe auch nur in annähernder Weise ist
uns nicht erhalten, obgleich die grosse Zahl der erhaltenen Köpfe der Niobe,
doch weitaus zum grössten Theil auch Statuen voraussetzen lassen, zu denen
sie einst gehörten. Und dass die Gruppe als solche vielleicht in mehrfachen
Nüancirungen wiederholt war, dafür giebt ein interessantes zweites Exemplar
der in den Schooss geflüchteten Tochter Beweis. Ehe wir den Kopf durch-
mustern, haben wir noch mehrere Statuen zu gedenken, welche in ihrer Mo-
tivinuig mit der eben betrachteten nichts zu thun haben, aber in der grössten
Sammlung statuarischer Abbildungen, bei Clarac für Niobe erklärt sind. Ich
1) J. Dallaway rühmt sie auch speciell als Gruppe in Statuary and sculpture among
the antients with some aecount of speeimens preserved in England. London 1826. p. 22t ff.;
Über die Augen der Niobe ebenda«, p. 44.
230 Zweites Kapitel.
meine die stehende Figur in der Sammlung Vescovali zu Rom, mit beiden
über den fremden aufgesetzten Kopf gehobenen Armen1), dann eine stehende
Figur in der Sammlung Torlonia2), deren Kopf, wenn auch davon getrennt
gewesen, ihr zugehört, mit selir starken Ergänzungen beider Anne und Thei-
len der Seiten, ferner eine aus der Sammlung Farnese in das Museo Borbo-
nico übergegangene Statue3], endlich die beiden unter dem Namen der
Ariadne bekannten und als solche anerkannten sitzenden Frauengestalten der
Dresdner Antikensammlung und des Palastes Giustiniani in Rom 4) . Keine
dieser Statuen ist mit einer Art Wahrscheinlichkeit Niobe zuzuweisen, eine
nur mit einer als Niobide vielfach betrachteten zusammenzustellen. Man
sehe sich jene erst genannte weibliche Gestalt bei Vescovali an im langen
Chiton und Diploidion, aber ohne jedes Obergewand, mit durchaus mädchen-
haftem, nichts weniger als matronalem Körper, ja auffallend unentwickelten
Brüsten, zugleich in einer Position völliger Ausruhe. Die zweite sogenannte
Niobe der Sammlung Torlonia wird uns sofort an die Münchner sog. Leuko-
thea erinnern und ist mit vollem Recht von Friederichs kürzlich als eine Ka-
rotrophos (ob speciell Gaea, darüber ist zu streiten) mit jener abgebildet
worden5) ; in ihr ist von einer tragischen Bewegung keine Spur, nur von
einer milden, mütterlichen Innigkeit, die Hebung des rechten Armes, welche
dazu so schlecht passt, gehört mit ihm ganz dem Ergänzer. Von entschieden
bewegtem, ernst und tief bewegtem Ausdruck ist die Statue des Museo Bor-
bonico, aber es fragt sich, ob wir dabei an Niobe und Niobide, nicht eher an
eine andere tragische Gestalt zu denken haben. Die Antwort wird für sie,
wie für die ihr entsprechende Berliner Niobide6) gleich erfolgen müssen.
Wie man bei jenen zwei in voller Enthüllung der jugendlichen, vollen, aber
zarten Formen des Oberkörpers sitzenden Gestalten, bei dem träumerischen
Hinausblicken in die Ferne des aufgestützten Hauptes an Niobe, die Mutter
einer bereits in jugendlicher Schönheit prangenden Kinderzahl, an einen
stummen Schmerz einer Mutter hat denken können, wird man schwer be-
greifen.
Ueber Niobeköpfe hat uns Welcker7) reichhaltige Auskunft gegeben,
1) Clarac pl. 5SS n. 1274. Carrar. Marmor. Grösse 5 P. 3. Z. Modern beide Arme
über dem Deltoides und Theil der Gewandung bei dem rechten Arm. Kopf antik aber fremd.
2) Clarac. pl. 5S9. n. 1275. Höhe 10 P. Am Kopf Nase und und Diadem modern, des-
gleichen rechter Arm über dem Deltoides, linker Arm mit Theil der Seite, Theüe des Ge-
wandes, der Füsse, der Basis.
3) Clarac pl. 590. n. 1276; Mus. Borb. 1. 1. n. 351.
4) Clarac pl. 5S4. n. 1203; pl. 590. n. 1277. Vgl. dazu O. Jahn Archäol. Beitr. S
2S2ff., Stark in Ber. d. K. S. Ges. d. W. hist.-philol. Kl. 1S60. S. 28.
5) Archäol. Zeit. 1S59. n. 21—23. Taf. 23.
6) Beide vergleicht Friederichs Praxiteles und die Niobegruppe p. 75.
7) Alte Denkm. I. S. 223—225.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 23 1
dem wir daher wesentlich folgen mit einigen Zugaben. Genauere Kunde
ist von manchen sehr zu wünschen. In Rom selbst sind uns noch sechs
Exemplare bekannt, welche aber an Kunstwerth durchaus unter sich nicht
gleich stehen. Der bedeutendste (1) ist der Kolossalkopf des capi toi hu-
schen Museums1), welcher in der Gallerie über einer Thüre sich befindet
und von Meyer2) zuerst hervorgehoben ist als vortrefflich gearbeitet. Er ist
gezeichnet im. Museum Capitolinum 3) . Ein zweites (2) Exemplar kleiner
befindet sich in derselben Gallerie4). Im Vatikan im Museo ühiaramonti
wird unter No. 28 ein Niobekopf (3) von Gerhard und Platner 5) aufgeführt,
dagegen der Kopf n. 368 abgewiesen; Burckhardt macht auf n. 509 einen als
Ariadne bezeichneten, wohl hierher gehörigen Kopf aufmerksam 6) . Welcker7)
entdeckte später auf der Treppe des Palastes des Duca Massimoa Araceli
einen mittelmassigen Niobekopf (4) . Die Kataloge der nun verkauften Samm-
lung Campana8) weisen zwei Niobeköpfe von Marmor auf, von denen wir
einen in kolossaler Grösse, in Rom auf dem Campus Martius (wo?) gefunden,
jedenfalls anzuerkennen haben ; der andere dagegen in gewöhnlicher Grösse
mit der Bezeichnung: „ verschleiert* ' scheint mir sehr unsicher. Jener ist
nach Petersburg in die Kaiserliche Sammlung der Eremitage gekommen und
ist nach Guödeonoff9) an Kunstwerth nur mit Venus von Milo und Ludovi-
sischer Juno zu vergleichen. Eine freundliche briefliche Mittheilung von Ste-
phani bezeichnet ihn „als von nicht übler Arbeit und zwar ohne Angabe der
Augensterne". Wohin der im J. 1808 in Aquileja bei den durch den
Vicekönig Eugen von Italien veranstalteten Ausgrabungen gefundene kolos-
sale Kopf der Niobe (7), von dem eine Zeichnung damals gleich nach Paris
kam, selbst gelangt ist, ist unbekannt ; er mag wohl mit einem andern der
angeführten Köpfe identisch sein 10).
Ausserhalb Italien sind zwei Exemplare in Deutschland, zwei in England,
eines in Kusslaud mehrfach bezeugt ; zwei treffliche Köpfe des Louvre müssen
ausserdem jedenfalls sehr in Frage kommen, wenn sie auch vielleicht richtiger
einer Niobide als einer Niobe zuzusprechen sind. Aus der alten brandenbur-
1) Beschreib, Roms III. 1. S. 16S. n. 35 nur einfach verzeichnet. Vgl. Burckhardt
Cicerone S. 505.
2) Propyl. II. 2. S. 32.
3) Vol. III. t. 42. p. 87.
4) Beschreib, lioms III. 1. S. 173. n. 62.
5) Beschreib. Korns II. 2. S. 41.
6) Cicerone S. 505. Auch n. 50 wird gewöhnlich für Niobe gehalten, weicht im Haar-
putz ab.
7) Rhein. Mus. f. Philol. N.F. IX. S. 275.
8) Class. VII. n. OS. 09.
9) Notice etc. p. 42 — 14. Arch.- Anz. 1862. n. 158.
10) Miliin Magasin encyclopedique 1809. II. p. 231.
232 Zweites Kapitel.
gischen Sammlung kam durch Ankauf um 1720 ein kolossaler Niobekopf
nach Dresden (8) *), welcher auf das Entschiedenste als eine treffliche Wie-
derholung des ^Florentiner Kopfes sich darstellt. Die Wendung des Kopfes,
die auf die Schultern herabfallende Haarfülle, das Band in den Haaren, der
geöffnete Mund, die schmalen, gezogenen Nasenlöcher, die grossen geöffne-
ten Augen sind dafür sprechendstes Zcugniss. Bei einer genauem Betrachtung
im Sommer 1861 bemerkte ich deutliche Reste einer schwarzen Bemalung
der Augäpfel; sonst manche Spur glatter Ueberarbeitung. Köln soll im
städtischen Museum das zweite Exemplar des Kopfes in Deutschland besitzen,
ebenfalls kolossal, durch Wallraff in Rom angekauft, mit ergänzter Nase und
Lippen2). Vergeblich habe ich im April dieses Jahres die allerdings damals
noch nicht beendete Aufstellung der Antiken des neuen Wallraffschen Museums
durchmustert nach diesem Kopf. Ein grosser, idealer Frauenkopf als Kleo-
patra dort bezeichnet, scheint von Urlichs Niobe genannt ; das Gesicht ist
geradaus gerichtet, ist oval, mit ernstem Ausdruck, Nase und Kinn neu. Das
Haar ist hinten heraufgenommen und unterscheidet den Kopf wesentlich von
Niobeköpfen, ebenso wie die Ruhe. Noch weniger kann Niobe ein nahe bei
dem andern aufgestellter jugendlicher, idealer Frauenkopf sein.
Nach England kam durch Graf Arundel ein Niobekopf (9), welcher in
Oxford unter den Resten der Arundelschen Sammlung aufbewahrt wird8),
nach Welcker genau mit dem fiorentinischen stimmend. Von ausgezeichne-
tem Kunstwerth ist der aus Rom durch Nolleken gebrachte, zuerst von Lord
Exeter besessene Kopf (10) in der Sammlung des Lord Yarborough inBrockes-
leyhouse (Lincolnshire) 4), vortrefflich erhalten bis auf die Nasenspitze und
Brüste. Auch die Oberfläche der Haut ist fast ganz unversehrt. Das breite
Haarband, die auf den Nacken reich in Locken sich auflösende Haarfullc,
die Seitenwendung des Kopfes zeigen ihre wesentliche Uebereinstimmung
mit dem florentincr Kopf, den er im Stil weit übertrifft. Am Hals sind die
die Matrone charakterisirenden Falten der Haut sichtbar. Die Augenlinie
ist etwas milder, weicher behandelt.
Winkelmann bemerkt in seiner Kunstgeschichte 5j über einen Kopf der
Niobe (11), von dem ein Gypsabguss in Rom existirc : ves sind an demselben
der Augenknochen und die Augenbrauen , die an der Niobe in Marmor mit
einer empfindlichen Schärfe angegeben werden, dort rundlich gehalten, wie
1) Abbildung in Laur. BegerThesaur. Brandenburg. III. p. 327 $ dann in W. 0. Becker
Augusteum Taf. XXXI. Vgl. Katalog von Hase n. 12$; Katalog von Hettner n. 115.
Höhe 1 F. 3 Z.
2) Jahrbb. d. Rh. Ver. v. Alterthumsfr. III. 196.
3) Prichard Mann. Oxon. tab. 54.
4) Specim. of anc. sculpt. I. pl. 35 — 37 ; Dallaway Anecdotes of the arts in England.
T. II. p. 136. 386. Müller- Wieseler. D. A. K. I, t. XXXIV. C.
5) B. IX. 2. § 27.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke: 233
an dem Kopf des Meleager im Belvedere, welches mehr Grazie hervorbringt
— es sind auch die Haare mehr als an jenem ausgearbeitet, so dass dieser
Kopf von einer Niobe des Praxiteles übrig geblieben sein könnte, die in der
Sinnschrift1) gemeint wäre". Nach Fea war der Marmor nach England ge-
gangen, aus England kam er 1784 nach Russland und ward im Schlosse
Zarskoje Selo aufgestellt. Köhler2) bestätigt seine Identität mit dem Origi-
nal des von Winkelmann charakterisirten Gypsabgusses und setzt ihn über
den Florentiner Kopf, ja schreibt ihn der von Plinius gesehenen Original-
gruppe des Skopas oder Praxiteles zu. Nach mündlichen Mittheilungen, die
Welcker von Köhler gemacht wurden , ist er von dort schon längere Zeit
verschwunden und soll sich auf einem Gute Nemeroff in Polen des Fürsten
Radziwill befinden. Weitere Angaben über diesen Kopf und seinen jetzigen
Aufenthaltsort fehlen noch immer3). Dem Schlüsse, welchen Winkelmann
an die reicheren, mehr anmuthigen Formen dieses Kopfes in Bezug auf ein
Werk des Praxiteles dem des Skopas gegenüber, knüpft, werden wir heutzu-
tage nicht mehr folgen können, wo wir im Hinblicke auf griechische Origi-
nale überhaupt aus Jüngern, griechisch-römischen Nachbildungen nicht mehr
die feinen Nüancirungen zwischen diesen Meistern zu bestimmen wagen.
Weiter mache ich noch auf drei treffliche Köpfe im Louvre aufmerk-
sam, bei denen Clarac mit vollem Recht Anklänge an Niobeköpfe gefunden
hat, wie dies auch mir bei persönlicher Betrachtung lebendig war. Der eine
ist ein grandioser Kopf von parischcm Marmor im Saal des Centauren n. 131*),
mit ergänzter Nase, Lippe und Kinn. Clarac bezeichnet ihn als une heroine
affligee qui lcve tristement ses regards vers le ciel, lässt dann die Wahl zwi-
schen verschiedenen Heroinen. Von wesentlichem Unterschiede mit der Flo-
rentiner Bildung ist die Behandlung des Haares; hier eine zierliche Ordnung
desselben, indem die hinteren Haare theilweise in einen Schopf aufgenom-
1) S. oben S. 63.
2) Journal in Ilussland. 1793. I. S. 348; H. K. E. Köhler gesammelte Schrift, her-
ausgeg. v. L. Stephani Bd. VI. kl. Abhandl. Petersb. 1833. S. ö — 12. Die treffliche Er-
haltung bis auf das Bruststück wird gerühmt.
3) Als ich in diesem Frühjahr mit dem an kunstgeschichtlichen Interessen so reichen und
einsichtsvollen Bildhauer, H. von der Launitz in Frankfurt eingehend über die Florentiner
Niobiden sprach, erwiederte er auf meine Frage, ob er den Petersburger Kopf gesehen, er
erinnere sich dessen mit Bestimmtheit, er habe ihn 1822 in der Eremitage gesehen ; man
müsse seinen Stil durchaus malerischer , flüssiger nennen, die Haare, die aufgelöst über
die Schulter herabfielen, zeigten diesen Charakter in besonderem Grade. L. Stephani ver-
sichert mir nun brieflich, der Kopf sei nicht in der Eremitage, auch nicht seit der Vereini-
gung aller Antiken aus den kaiserlichen Schlössern in der neuen Eremitage, auch die vier
Niobidenköpfe fehlten, er zweifle nicht an der Angabe Köhlers. Wie dieser Widerspruch
zu lösen, ist mir noch nicht klar.
4) Clarac Manuel de l'histoire de Part I. p. 61 j' Bouillon Musee des antiques III,
pl. 3 ; Clarac Musee des sc. pl. 1085. n. 2810 F. Höhe 0,631 - 1 F. 11 Z. 4 L.
234 Zweites Kapitel.
men sind, theils als starke Flechte rückwärts zum Scheitel in die Höhe ge-
legt sind, auch von vorn, ähnlich wie bei Erotenbildungen in der Mitte der
Stirne eine Flechte nach hinten geht ; von einem Hand durch die Haare ist
keine Spur. Auch scheint mir der Ausdruck des Thränenschweren nicht in
den Augen dieses edeln, reifen, weherfüllten Gesichtes zu liegen. Die zwei
anderen Köpfe1), einer in Bronze in kleinem Massstab (H. 0,140 Meter), der
andere yon griechischem Marmor, grösser (die Angaben schwanken zwischen
0,600 M. und 0,366 M.) von trefflichem Stile, als Venusköpfe gewöhnlich
bezeichnet, offenbaren eine Venusbildung, aber ganz in Bewegung, Haar-
bildung und geistigen Ausdruck des geöffneten Mundes, der Augen Niobe
oder ihren Töchtern analog. Ich stehe nicht an, sie als Wiederholung des
Kopfes der der Mutter am ähnlichsten, im Sturmschritt eilenden Tochter *)
entschieden in Anspruch zu nehmen. Dass eine Bronzebildung von Niobi-
den, speciell dieser Tochter nicht allein steht, werden wir weiter unten
zeigen.
So steht zu hpffen, dass eine genauere Durchmusterung weiblicher Ideal-
köpfe, die der Venus bildung sich nähern, in den Museen Europas die Reihe
der Niobe- und weiblichen Niobidenköpfe noch in bedeutsamer Weise ver-
mehren wird.
Aber auch von der jüngsten in den Schooss der Mutter geflüchteten
Tochter ist uns eine etwas anders motivirte, aber in den wesentlichsten
Punkten übereinstimmende Wiederholung erhalten und zwar in einem Ber-
liner Torso, einer zur sogenannten Familie des Lykomedes gehörigen, ge
wohnlich als Psyche jetzt bezeichneten und mit Psychestatuen, die wir im
Folgenden näher zu betrachten haben, zusammen aufgeführten weiblichen
Gestalt3). Levezow hat in so einfacher und einleuchtender Weise den Bezug
1) Clarac Musee des antiques III. pl. 1096. n. 27iM CD. ; Texte VI. p. 15: ces t£tes
ideales de femme dites Venus, d'unbeau style et qu'aucun attribut ne caracterise ont quel-
que rapport avec celle de Niobe; Manuel de l'hist. de l'art I. p. 107. n. 243. Ein Kopf
bereits bei Bouillon Musee des ant. III. pl. 3.
2) Clarac pl. 582. n. 1257; Müller- Wieseler D. A. K. n. 142 A.c; uns. Taf. XV. 7.
3) Abgebildet Levezow Familie des Lykomedes Taf. IX. Gerhard in Berl. Ant. S. 58f.
n. 60 ; Verzeichn. d. Bildhauerei. Aufl. 35. 1858. S. 21. n. 75 vergleicht sie mit der Psyche
unter den Niobiden in Florenz, lässt aber auch den Gedanken offen, ein knöchelspielendes
Mädchen, vielleicht auch im Zusammenhang mit dem Niobemythus in ihr zu finden. Dass
alle statuarischen Bildungen von Knöchelspielerinnen, von denen in Berlin auch ein so
treffliches Exemplar sich befindet, eine ganz andere Situation, ein ruhiges Sitzen mit un-
tergeschlagenen Beinen zeigen, ist bekannt. Und auch die unserer ähnliche Gestalt auf der
herkulanischen Zeichnung unterscheidet sich wesentlich. Die Art, wie das Gewand her-
abgesunken ist, die nach vorn sich beugende und gedrehte Bewegung weist auf starke
innere Eile und Erregung hin. Dagegen mache ich selbst aufmerksam auf die gleiche Mo-
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 235
dieser Statue zur jüngsten Niobetochter dargelegt, dass man sich sehr wun-
dern muss, dass derselbe bis jetzt zu keiner Anerkennung gelangt ist — nur
O. Jahn äusserte die Wahrscheinlichkeit der Sache und ist jetzt entschieden
dafür — ja dass seine ganze Ansicht gänzlich verschollen zu sein scheint !) .
Wir haben natürlich nur den antiken Theil dieser in eingebogener Stellung
3 F. hohen Statue von parischem Marmor zu beachten. Und neu ist Kopf,
Hals , Schultern , Brust , beide Arme und fast der ganze untere Theil. In
schlagendster Weise tritt uns an dem mittleren Rumpf die bis ins Ein-
zels te gleiche Ausführung der Gewandung mit der Tochter der Gruppe ent-
gegen. Ein Chiton umschliesst allein den Körper bis zu den Weichen in
striemenartigen feinen Falten und lässt darunter denselben in seinen Formen
unmittelbar heraustreten hier wie dort. Auffallend ist es, dass sich über
den Hüften ein Absatz um den ganzen Umkreis des Körpers herumzieht,
der keine Folge von Verwitterung ist, sondern von Levezow wohl richtig
erklärt wird, der Künstler habe durch ein nochmaliges Ueberarbeiten an die-
sen Theilen eine Anzahl der kleineren Falten zwischen den grösseren, die
selbst in dem überarbeiteten Theile stehen geblieben sind , vertilgen wollen,
sei aber damit nicht zu Ende gekommen. Das glatte, stärkere Obergewand
ist bis auf die Hüften und Oberschenkel ringsum herabgesunken und hier in
einem weiten Wulst umgeschlagen. Hierin ist völlige Uebereinstimmung mit
der Florentiner Gruppe. Was endlich die Motivirung der ganzen Gestalt betrifft,
so ist allerdings bei der Berliner Statue ein stärkeres Einknicken der unteren
Extremitäten vorhanden, das linke gebogene Knie ist bedeutend höher ge-
hoben. Ob die Spuren auf dem linken Oberschenkel von dem ihn berühren-
den linken Ellenbogen oder von dem eng sich anschliessenden Körper oder
Gewandtheil der Mutter herrühren, ist schwer zu sagen. Auch der Mittel-
körper ist hier mehr nach der linken Seite gesenkt, so dass eine eigen-
tümliche Drehung derselben dadurch hervortritt. Die Niobe in Florenz
wirft sich gcradaus mit voller Gewalt in den Schooss der Mutter und strebt
zu ihr noch empor, diese rettet sich zusammenbrechend, in scheuer Wendung
vor der Gefahr in den mütterlichen Schutz. Wir haben übrigens in diesem
Torso schwerlich ein Fragment einer aus einem Stein gebildeten Gruppe, son-
dern ein selbständig gewordenes Glied, das zur Gruppe mit der Mutter zu-
sammengestellt werden konnte.
tivirung unserer Statue mit einer Darstellung auf einer spätem Kupfermünze von Nikome-
dia (Müller- Wieseler D. A. K. I. t.LXXII. n. 404), auf welcher Psyche in da« eine Knie ge-
sunken dem forteilenden, abweisenden Amor das Bein bittend umfasst. Es war gewiss
dies ein späteres, berühmtes Kunstwerk in dem an Kunstwerken so reichen Nikomedien,
bei dem für Psyche in freier Weise ein bekanntes Niobidenmotiv benutzt war.
1) Auch Welcker (A. D. I. S. 248 Anm.) erwähnt die Statue und Gerhards Deutung,
nicht aber die von Levezow.
4M Zwritoit Kapitel.
M* D(M l'ftilu£o£ und der jüngste Sohn.
\l%l»ll«luii|t%Mii r*. t. t«K i:»i F. flg. I. 10: Z. t. II. 15; Cl. pl. 5S6. n. 1270;
v\ \sv h l*Mt XL AU, T. *i. 0 M" XtohidC : MW. n. 142 .4. 6. e.; W. 12. 1.1;
Mlllln UM. m\th«d. r rXI.Ul. u. V*t>; Overbeck i. K. ; unsere Tafel XVI.
^ i it a u # n n £ ** n an dem l'Adax"g*n : beide Arme scharf von der Achsel an neu ;
Sl tickt* in d** llonatid iungo*cUi i rvchte* Knie verletzt an der Innenseite; an der rech-
ten WadvKtnck t%insv«cUI i beide Fusse überarbeitet . rechte Ferse neu. Ueber den
K**!*f **nd die Vngahen \ erschieden; jedenfalls derselbe besonders gearbeitet und in
de« Unm^f c-in$v*etrt; nach Fahroni ist er aber antik, nur sehr überarbeitet bw auf
Vhwte de* Itarte* , nach Me>rr ist dajee^en der Kopf modern und die* wird durch die
Vbhdslntvt Km WaWwi* wdlstandig? Nwtaftxt. wo der Kopf noch sanx fehlt. Am juong-
x*vm ^svKm Vhode de* Kopfr« bc*cba\Ujet ; neu «&* Xa*r, Nnde Lippen, aweb Hais, fer~
*y* *W* *w^*v Vm, \i\v Unke Haad *ju* &ack i«*waa£. dae 5ak* Knicscbeibe. die Ge-
«^tw t%l*«v« *trt R*si>* */**< M . ;.Vw KasSs \*5rf M. XxAöde w6x Basis
V.^1 M aV*v ^^ *.?»* M
XV« <>*«(*** $tv*v^ ^ WJ^J^tV, ^Ix^f^ii kirr vvrtvceka. 4a sie fllr
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vW. \ *»*\ Wf** &* M*vw*. Vr**C ä*c V^fic«: ü** Juiwtt Itanc mJE *cwra* Gr-
>^ w/.*i>^ \t Ar nrt*4>v>Ktn ^f*i-*r inr >5t^M^.. n die SStnnr Ow^nn -tm
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V*» >v». i4jki. t\t\*. vtnp&H\hsnm*t*w \**h»»tti*t iti*f v«niitK*aTn^ * ^ftmasr umisr Ann»
HM^m ^« V^ÜHj^Sww vm v^vn uni'. "»cmswir 'Stau* . v*m ^bimsem»-
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i^ f*tv ^«^or^iYK *V* ld»|püwi- 5u*v %»ntii>*fri%*ri^nM Wt^it?n . 'int äf?tt
^«1%%* ^^K, v*«v» ^MC» ^r *h^ X|r«*f^ >evxt l»tV; «lv Xta.r*nnj*;iuiUM .. -wdlHh*1
**-;* V^»**'^ ^^^ * ^ x M» ^u>>* ^*'•*«, •*•»*•?••■:« »• V/sm*a, «iw. >. -tn
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 237
uns interessirt, umgestürzt am Fusse einer sehr sorgfältig gearbeiteten römi-
schen Wand, nahe einem kleinen Postament, auf dem sie nicht gestanden ha-
ben kann. Ein Marmorarm und Bein dabei gefunden, gingen durch die Ar-
beiter verloren ; sonst fanden sich wieder Mauerreste , Stücke Marmor u. dgl.
Leider sind trotz aller guten Wünsche nicht die Ausgrabungen methodisch
nun fortgeführt worden, sondern der ganze Raum mit der Hastion bedeckt.
In der That eine nicht genug zu beklagende Thatsache , da allen Anzeichen
nach diese Gruppe in diesem Räume nicht das einzige Marmorwerk war und
wir hier hoffen konnten eine grosse Zahl von Niobiden vereint zu finden.
Wie kommt ein solches Werk nach Soissons und wie speciell an jene
Stelle? Soissons an der Aisne ist bekanntlich das alte Augusta Suessionum,
vorher schon als Noviodunum bestehend , unter Augusts Fürsorge durch Dru-
su8 , den Sohn der Livia , erweitert , mit grossen baulichen Anlagen versehen,
mit Tempel von Isis und Serapis ausgestattet , ein Kreuzungspunkt wichtiger
Strassen, ein militärisch bedeutender Punkt mit Hauptstation der XXV. Legion,
später mit einer sehr grossen Fabrik militärischer Bedürfnisse, Aufenthaltsort
einzelner Kaiser wie des Maximianus Hercules, der letzte Haltepunkt noch
lange Zeit der römischen Herrschaft in Gallien, bis es 486 von den Frauken
erobert ward. Ein Amphitheater, ein grosses Theater sind durch Funde, und
Grabungen bedeutender, gewölbter Räume , so 1551 und 1762 nachgewiesen.
Die Yolkstradition römischer Zeit haftete aber vor allem auf jener Gegend des
oben genannten Feldes und sprach von dem Chäteau d'albatre, dem Alabaster-
schloss. Die Existenz eines grossen römischen Gebäudes ist durch Auffindung
von den Fundamenten der härtesten Stein- und Cementmassen, von Gewölben,
Gängen, endlich durch die Fülle von Stücken Marmor, Porphyr, Jaspis, durch
Architek turtheile, Münzen von Gold, Silber, Kupfer, die von Drusus und Ti-
berius über Vespasian und weiter abwärts sich erstreckten, ausser allem Zweifel
gesetzt. Im J. 1552 hatte man eine bis auf den Kopf wohl erhaltene Marmor-
statue einer Frau, auch ein Relief gefunden. Elfenbeinnadeln gehören auch zu
den dort nicht seltenen Dingen. In der That muss also hier ein Prachtbau,
nahe dem Amphitheater gestanden haben; ob dieses als militärischer und Re-
gierungsmittelpunkt, als Sitz des römischen Legaten wohl zu betrachten ist,
oder als Therme, darüber ist zunächst noch keine Sicherheit gegeben.
Ergänzungen: am Pädagogen neu der Kopf, der ganze linke Arm mit sich an-
schliessendem Stück Gewand , am Niobiden der Kopf mit Hals und Nacken , die linke
Hand mit Stückchen Gewand, Theile des Gewandes, der rechte Arm nur gebrochen.
Grösse: mit Basis 1 , 760 Meter. Niobide ?
Marmor: griechischer. Nach Lenormant umgiebt ein blau gemaltes Bracelet den
oberen Theil des Armes.
Die Technik ist eine später römische mit grösseren Flächen und wieder klein-
lichen, unruhigen Faltenmassen. Rückseite gar nicht ausgeführt.
Ich kann endlich noch ein drittes Beispiel des Pädagogen hier beifügen.
Unter den leider in einem Katalog noch nicht beschriebenen Bronzen der
238 Zweites Kapitel.
Sammlung des Louvre, im Schrank III sah ich im J. 1852 eine den Marmor-
statuen entsprechende Figur : einen lebhaft ausschreitenden kahlköpfigen, den
Kopf voll Erstaunen zurückwendenden Mann mit hohen Stiefeln, kurzer, an-
schliessender Exomi8, mit Stab in der rechten Hand.
Weit schreitet eine ältere männliche Gestalt nach der rechten Seite hin
aus, wird aber zugleich durch einen Gegenstand, der seitwärts und über ihm
ist , in seiner Aufmerksamkeit in Anspruch genommen und wendet sich daher
mit dem Oberkörper ganz en face, ja noch in stärkerer Drehung dem Beschauer
entgegen. Der Schwerpunkt ruht nach vorn auf dem rechten Fuss, während
der linke eben im Begriffe steht seine Position zu verlassen. Dieser rechte Fuss
ist in der medieeischen Statue aber auf der gleichen Fläche als der linke ge-
setzt, während unmittelbar dahinter ein Stück Fels mit eingewachsenem Baum-
stamm sich erhebt, in der Gruppe von Soissons ist der rechte Fuss auf ein klei-
neres vor dem grossen Fels gelegenes Felsstück gesetzt und bildet dadurch
zwischen seinen Beinen einen geeigneten Raum zur Aufnahme eines Schütz-
lings, die rechte Schulter ist entschieden gesenkt und zugleich vorgedreht, die
linke gehoben und zurückgewendet. So entwickelt sich hier ein interessantes
Gegenspiel der Bewegungen zwischen unteren und oberen Extremitäten. Die
bestimmte Bewegung der Arme ist bei der medieeischen Statue nicht vollstän-
dig zu ermitteln : wohl die Senkung und einigermassen Drehung des rechten
Oberarmes, die etwas mehr als horizontale Hebung des linken Oberarmes nach
der Seite, aber die bestimmte Richtung der Unterarme ist damit nicht gegeben.
Jedenfalls scheinen die Ergänzer den rechten Unterarm etwas zu weit aus-
wärts, den linken zu steil gehoben gebildet zu haben. In der Gruppe von
Soissons ist uns aber der rechte Arm des Pädagogen vollständig erhalten, wir
sehen ihn in scharfer Wendung des Ellenbogens sich zurückdrehen, um auf
den Oberarm des vor ihm befindlichen Niobiden die Finger zu legen. Vom
linken Arm ist dagegen gar nichts mehr erhalten. Auch für die Bewegung des
Kopfes sind wir bei beiden Exemplaren nur an die Anfänge des Halses und an
die aus der Gesammtmotivirung sich ergebenden Anforderungen gewiesen.
Die Wendung des Kopfes mehr nach links ist durch die Anspannung des Kopf-
nickers gegeben , sie scheint aber uns und ganz besonders die Richtung nach
oben in der medieeischen Statue übertrieben.
Die ganze Gestalt hat gedrungene, kräftige, nicht griechischideale For-
men , wie dies vor allem an den nackten Theilen der Beine sich zeigt. Hohe
Stiefeln mit übergeschlagenen, gezackten Krampen, vorn geschnürt, mit star-
ken Sohlen, dann ein Aermelgewand , welches aufgeschürzt bis oberhalb der
Kniee durch einen breiten Gürtel gehalten wird , endlich ein über der linken
Schulter zusammengeknüpfter Mantel, der über der rechten Schulter bauschig
zurückgeschoben ist, bilden die Bekleidung. Der Stoff des Gewandes erscheint
schwer anliegend und sehr wenig faltig, der Mantel dagegen folgt der Biegung
mit seinen Zipfeln in tief geschwungenen Falten nach. Der Kopf mit seinen
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 239
rund geschnittenen, in die Stirne hereinfallenden Haaren, dem starken Schnurr-
bart und mehr spitz aber doch in eine gespaltene Spitze zulaufenden Kinnbart,
mit den fleischigen, zusammengezogenen Hautmassen der Augenlinie, entspre-
chender Nase kann für uns kein Gegenstand eingehender Betrachtung sein,
da er bei beiden Exemplaren ursprünglich gefehlt hat, bei dem mediceischen,
wenn auch antik , doch erst später darauf angepasst ist. Die Jiehandlung des
Ganzen hat bei demselben etwas Manierirtes , Haar und Bart erscheinen pe-
rückenartig. Jedenfalls sind wir nicht berechtigt diesen Kopf als Masstab für
die Bildung in dem Original werk anzuwenden.
Die drei Exemplare des fliehenden jüngsten Sohnes entsprechen sich
in ihrer Motivirung durchaus, nicht aber in Grösse und Stufe der körperlichen
Entwickelung. Hierin wie im Stile stehen sich wesentlich die Exemplare des
Vatican und von Florenz sehr nahe; während der Niobide von Soissons jünger
und kleiner gebildet ist, in specifisch untergeordnetem Verhältnisse zum Päda-
gogen. Die Motivirung steht in sichtlichem Parallelismus und doch berech-
netem untergeordnetem Contrast zu dem des Pädagogen. Im Ganzen ein Fort-
eilen nach der rechten Seite, ein auf die Spitze gehobener linker Fuss, fest auf-
gesetzter rechter Fuss, gebogenes rechtes Knie, angespanntes linkes Bein, aber
während der Pädagog schräg das rechte Bein vorschiebt, liegt die Bewegung
der Haupttheile beim Niobiden in Einer Fläche. Der Oberkörper dreht sich,
dieser Bewegung nach rechts folgend, ebenfalls mehr nach dieser Seite. Dies
wird dadurch noch unterstützt, dass der rechte Arm nach rechts sich vorwärts
streckt, gleichsam Richtung gebend, der Bewegung voreilend, während der
linke, schräg gesenkte, einen Gewandzipfel fasst und der Bewegung gleichsam
nachfolgt. So ist im Wesentlichen in der ganzen Gestalt eine einzige grosse,
durchgehende Gedanken rieh tu ng in drei Stadien gleichsam ausgesprochen.
Nur im Kopf tritt uns wieder eine andere bewegende Macht entgegen. Die
Köpfe der beiden alleinstehenden Exemplare, wenn auch mehrfach verletzt,
am Hals gebrochen , sind doch die dazugehörigen und sind uns allein Grund-
lage, während der moderne Kopf und Hals der Gruppe von Soissons in seiner
andern Wendung uns nicht berühren. In voller Rückwendung nach links und
etwas aufwärts erscheint der Kopf bei der Ansicht von vorn, für die die Statue
allein berechnet ist (die Rückseite ist hier nur roh, schalenförmig ausgearbeitet) ,
im Profil. Es wendet sich in voller Fluchteile der Blick auf die verfolgende
von oben kommende Macht.
Die Gewandung besteht aus einem einzigen Stück, einem Himation, wel-
ches von der linken Hand mit dem einen Zipfel gehalten, um den linken Arm
geschwungen, in grossen gebauschten Falten nach unten und hinten sich zieht,
um dann in seiner Hauptmasse zum Theil umgeschlagen über das rechte Bein
nach vorn herabzufallen und auf dem Erdboden noch etwas fortzuschleifen. In
der That eine höchst wirkungsvolle Motivirung, die das linke Bein in voller
elastischer Rundung frei heraustreten lässt aus der um dasselbe sich concentri-
240 Zweites Kapitel.
renden Gewandfülle, die auch hier jene schräge Wechselbeziehung der Glieder
in den ganz frei entblössten und den vom Gewand bedeckten Thcilen offen-
bart, jedoch so zugleich, dass obere und untere Extremitäten ihrem Wesen
gemäss verschieden vom Gewand in Anspruch genommen sind. Die Füsse
sind mit wohlgeordneten Sandalen versehen.
Vergleichen wir nun die isolirt gebildeten florentiner Statuen und die
Gruppe des Louvre mit einander , so ergiebt sich sofort , wie in der That die
beiden Gestalten auf einander berechnet sind. An' dem allein stehenden Pä-
dagogen ist unverkennbar eine eigen thümliche Leere, Einförmigkeit, etwas
unter der Mitte des Körpers in dem zur Seite gewehten Obergewand, in den
zwischen den auseinandergesetzten Beinen gespannten Theilen vorhanden, die
nun durch die reich gegliederte Knabengestalt trefflich erfüllt wird. Die un-
mittelbare Vereinigung als eine strenge Gruppe hat aber auch rückwärts die
reichere Faltenentwickelung am Knaben auf eine ähnliche am Pädagogen
dringen lassen , während an der Einzelstatue eine berechnete Einfachheit der
Formen durch die ganze Gewandung geht. Dass in der Bewegung der Arme,
in der Wendung des Körpers, beide Gestalten passend in einander greifen,
brauche ich wohl nicht besonders hervorzuheben.
Fragen wir endlich nach der inneren Bedeutung dieser Gestalten , nach
dem in ihrer Gruppirung ausgeprägten geistigen Inhalt , so werden wir zu-
nächst in jener männlichen Gestalt schon ihrer Körperbildung und ihrem Co-
stüm nach mit der jetzt herrschenden Ansicht nicht den Amphion, den Vater
der Kinder, sondern eine begleitende, führende Persönlichkeit aus halb- oder
ganz ungriechischem Stamme zu sehen haben. Als Amphion ward er zuerst
bezeichnet und es lag ja dies auch nahe genug , aber seit Winkelmann ist die
Auffassung eines Pädagogen durchgedrungen. Wir kennen ja überhaupt die
Stellung des griechischen Pädagogen als des Begleiters der Kinder , besonders
der Knaben ausserhalb des Hauses , zu allem Unterricht , su allen Uebungen
und Spielen , zur bescheidenen Theilnahme an irgend einem grösseren öffent-
lichen Vorgange, wir haben in dem Ajax und der Elektra des Sophokles,
in den Phönissen und der Medea des Euripides treffende Beispiele und in der
Elektra ist uns der Charakter eines Pädagogen in schönster und eingreifend-
ster Weise entwickelt. Pädagogen sind uns endlich bei den Niobiden in den
andern Denkmälergattungen begegnet. Die leibliche Bedeutung des Lehens
und Führens, wie sie die Worte der Tekmessa f)
devQO jtQOonohav
ayy avtov o<m€Q %sqgIv evdvvwv xvqsiq
aussprechen, sie zeigt sich uns in unserer Gruppe unmittelbar verkörpert. Wir
haben durchaus nicht ein Gegenbild zur Niobe mit der Tochter im Schooss,
wie man dies wohl ausgesprochen, keinen neuen Mittel- und Haltepunkt. Von
1) Soph. Aj. 541.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 225
A. Niobe mit der jüngsten Tochter.
Abbildungen: Ca. t. 9; Maffei Kaccolta di statue, Roml704. t. 32; Köpft. 54;
F. t. II; Z. t. 1 ; C. n. 7; Cl. pl. 583. n. 1260; M. Atl. Taf. 22 ^j M.-W. I. Taf. 33.
n. J42 A.a; We. T.IV. 8; Miliin Gal. mythol. t. CXLIII. n.521; Overbeck Gesch. d.
gr. Plastik Fig. 69, gh; 70; unser Titelblatt Taf. X.
Ergänzungen: nach M. sind am Kopf der Niobe Nase, Spitze der Oberlippe,
grösster Theil der Unterlippe ergänzt, Kinn beschädigt und mit falschem Tarter über-
schmiert1) ; ferner ergänzt der linke Unterarm mit entsprechendem Stücke Gewand,
die rechte Hand mit halbem Unterarm, die ursprünglich etwas tiefer gesenkt war, so
dass der Kopf der Tochter, wie auch Ca. beweist, mehr über den Arm gedreht sicht-
bar wurde. An der letzteren der ganze rechte Arm, linke gehobene Fuss mit um-
gebendem Rande des Gewandes, ebenso die starken Locken neu ; Theile des Haa-
res, Nase neu, Unterlippe abgebrochen, linke Schulter zerbrochen, linke Hand neu,
lag tiefer, wie Reste am Gewand der Mutter ergeben. Rückseite so gut wie nicht aus-
gearbeitet.
Grösse : mit Basis 2,305 Metres, ohne dieselbe 2,070.
In einem gewaltigen Ausschreiten mit einer mehr nach links und zu-
gleich nach vorn gewandten Richtung des Körpers erhebt sich Niobe vor
unsern Augen. Dir linker Fuss ist fest aufgesetzt, während der rechte mehr
auf den Spitzen ruht und dadurch eine stärkere Biegung des Knies einwärts
ermöglicht. Zwischen den einander nahenden Knieen, an dem sich einbie-
genden Schooss birgt sie das Kind, das an ihr gerade hinaufstrebt und ge-
genüber den gewaltigen schrägen, geschwungenen Linien einen senkrechten
Mittelpunkt bildet. Ihre rechte Hand ruht abwärts gesenkt auf den Locken
der Tochter, während der linke seitwärts gehobene gerade im Ellenbogen ge-
brochene Arm sichtlich zurück nach dem Haupte sich wendet, und das wie
ein schützendes Schild hoch gezogene Obergewand zuhält, um dem mächtigen
Körper zugleich weiteren Spielraum, der schmerzerfüllten Brust gleichsam
Freiheit zum schweren Ausathmen zu geben. Das Haupt, auch der vorgeneigten
Wendung des Oberkörpers folgend, ist zugleich stark seitwärts nach Rechts
gewendet. So haben wir eine dreifache Linienverbindung: convergirend
nähern sie sich von der Basis fast in einem Dreieck dem Schoosse, von da
öffnen sie sich in weitem Bogen als langgezogenes Viereck und schliessen sich
am Haupt und linken Arm in eine abgerundete Form zusammen, aber in
einer zu dem Mitteltheil in Widerstreit stehenden Richtung.
Das Costüm erweitert und gliedert in bedeutsamster Weise diese Grund-
formen. Wie drängen sich die Gewandmassen am untern Theile zusammen 1
Ueber das faltige, ärmellose Untergewand, das vor allem unter den Achseln
bauschig sich gestaltet, senken sich die grossen Massen des Obergewandes, das
wie durch eine Art Riemen über dem Knie zusammengehalten wird, aber
dann in tiefgeschwungenen Falten rechts und links sich ausbreitet, den sehr
kräftigen Bau der unteren Extremitäten hervortreten lassend. Starke Schuhe
1) Auch Ramdohr II. S. 139 macht hierauf aufmerksam.
8tark, Niobe. 15
226 Zweites Kapitel.
bilden die Bedeckung der fest auf felsigem Hoden auftretenden Füsse. Dazu
kommt noch der im feingekräuselten, enganliegenden Chiton voll heraustre-
tende jugendliche Körper der Tochter mit ihrem zu den Hüften herabgesun-
kenen, in Faltenmassen zum Erdboden reichenden Obergewand. Sie drängt
sich an der Mutter empor, hängt fast zwischen den Knieen, aber biegt doch
den Kopf links auswärts, wie mechanisch die von Aussen drohende Gefahr
noch beachtend. An dem Haupttheil der Gestalt Niobes tritt der Körper aus
seiner weitern Umhüllung unmittelbarer hervor. Der ärmellose, bauschige
Chiton wird durch einen Gürtel unter der Brust zusammengehalten, die volle,
reife Mutterbrust tritt aus ihm entschieden hervor und die nackten, herrlichen
Arme lassen eine der XevxwXevog "Hqcc ebenbürtige Natur ahnen. Nicht um-
sonst schildert wohl Ovid Niobe in ihrem Schmerze als die bleichen Arme
erhebend [liventia brachia tollens) *), also auch hier entblösste, in ihrer Farbe
nur entstellte Arme. Ueber den Schultern wird der Chiton durch Spangen
zusammengefasst. Das Obergewand von der rechten Hüfte schräg über den
Kücken emporgezogen bildet auf der linken Seite eine ziemlich gleichförmig
gefaltete, leicht gespannte Masse, deren oberster Zipfel aus der haltenden
Hand wieder etwas herabgleitet.
Von besonderer Wirkung ist die reiche Haar fülle, die vom Haupte
herab über den Nacken fällt und in weiten Massen über die Schultern sich
verbreitet. Sie giebt gegenüber der durch die Gewandung noch so bedeu-
tend entwickelten Masse des Körpers auch dem Haupte einen weitern Um-
fang, eine breitere Basis neben und zu dem kräftigen, matronalen Halse.
Und auch liier dürfen wir schon an das Homerische auch von Moschos be-
nutzte Beiwort rjvxofiog2), an die Schilderung des Antipater von Sidon1), an
die Worte des römischen Dichters erinnern, der nicht ohne künstlerische
Anschauung, ohne einen festen Zug im mythischen Bilde sie uns schildert :
quantum ira sinit, formosa : movensque decoro
cum capite immissos humerum per utrumque capillos
constitit4).
Um das Haupt sind die Haare durch ein ziemlich breites Band gehalten, das
aber nur oben auf dem Scheitel sichtbar wird, während es rechts und links
unter den in einer bauschigen Masse zurückgestrichenen Haaren verborgen
ist. Auch auf Sarkophagreliefs bemerkten wir die den Nacken bedeckende
Haarfulle5). MitReeht hat schon Meyer an das Haar der ludo visischen Juno
erinnert, aber zugleich müssen wir sagen, erinnert uns jene über den Nacken
1) Metam. VI. 279.
2) IL XXIV. 602; Mosch. Idyll. IV. 84.
3) S. oben S. 59. 1 46.
4) Metam. VI. 167.
5) S. obenS. 162.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 227
sich verbreitende Haarfiille entschieden an die Darstellungen der Gaea1) und
verwandter Gestalten, so wie an bakchische Bildungen2), während das Haar
bei Hera nur in einzelnen starken Locken herabfällt, bei Athene in einem
festen Zopf geeint ist, bei Aphrodite, wenn es nicht aufgebunden ist, entwe-
der in nassen, gezogenen Lockenlagen zum Busen sich senkt, oder als leicht
gekräuselte, der zierlichen Ordnung entgangene Enden auf den Nacken her-
abreicht.
Seit Winkelmanns trefflichen Bemerkungen hat man der Betrachtung
des Gesichtes der Niobe vor allem Aufmerksamkeit und Worte geschenkt,
aber man hat dasselbe nur zu rasch auf einen allgemeinsten Ausdruck starrer
Furcht im Uebergang zur schlaffen Verzweiflung, edeln Stolzes im Schmerz,
des höchsten Mutterschmerzes gebracht, man hat in ihr als der Schweigen-
den, Versteinerten ,, die durchgeführte tragische Maske" (Feuerbaeh) erkannt,
man hat „das Nacheinander der blitzschnellen Uebergänge als Nebeneinan-
der" dargestellt gefunden , so dass über den Empfindungen der von angst-
voller Verzweiflung erfüllten Mutter zugleich das Bewusstsein der Heroine
nicht verloren geht (Stahr) .
Winkelmann 3) macht auf die empfindliche Schärfe der Linie der Augen-
knochen und Augenbrauen aufmerksam, die den Werken des hohen Stiles
überhaupt eigen sei, speciell an diesem Haupte der Niobe hervortrete. Von
diesem Punkte geht O verbeck 4) in seiner Schilderung aus ; wir können uns
seine Worte vollkommen aneignen : ,,hier ist das Zusammenziehen der Au-
genbrauen nach der Mitte in Verbindung mit der nach oben zuckenden Be-
wegung des innernTheiles des untern Lides charakteristisch; durch diese der
Natur unendlich fein abgelauschten Bewegungen der das Auge umgebenden
Theile ist der Augenblick ausgedrückt, in welchem ein heisser Strom unwill-
kürlicher Thränen von unsäglichem Leid herausgepresst wird". In der That
von dieser Augenlinie und den Augenhöhlen aus ist der Ausdruck des ganzen
Gesichtes zu erfassen. Grossartig und energisch ist dieser Bogen der Augen-
knochen von Natur gebildet, aber, seine Form wird gesteigert durch den mo-
mentanen Seelenzustand. Hoch gezogen erscheinen hier die beweglichen
fleischigen Theile desselben zu beiden Seiten des Nasenbeins, während sie
an den äussern Enden stärker über die Augenwinkel sich legen. Die Augen-
lider lösen sich gleichsam ab von dem gewaltig geöffneten, aber fast starren
Auge, um dem drängenden Thränenstrom Platz zu machen. Es scheint die
edle, reine Stirn etwas eingesunken vor der Hebung der Augenbrauen. Der
Athem zieht sich in die feingebildeten Nasenflügel zurück, die Nasenwände
1) Meine Schrift de Tellure dea deque ejus imagine a Man. Phile descripta p. 31.40.41
2) Man vergleiche den Ausdruck des Antipater h'&tov atpsioa xopav.
3) Vorlauf. Abhandl. f. K. III. § 61 ; Gesch. d. K. IX. 2. 27.
4) Kunstarchäol. Vorles. S. 80 f. ; Gesch. d. Plast. II. S. 48.
15*
228 Zweites Kapitel.
werden steiler ; die Muskeln der Wangen spannen sich sichtlich nach Mund-
winkel und Oberlippe. Und der etwas geöffnete Mund mit der hinauf sich
ziehenden Oberlippe, mit der etwas vorgeschobenen Unterlippe, mit den nach
unten zuckenden Mundwinkeln wird gleichsam zum eben gespannten Instru-
ment im Moment, ehe ihm Töne entströmen ; das volle Weinen, so erwartet
man, wird auf diese Spannung folgen. Auch das Kinn endlich ist gleichsam
schmaler, gerader, hat sich mehr losgelöst aus dem vollen schöngeschwunge-
nen Oval des Gesichts, folgt auch jener in den Augen ihren Zielpunkt fin-
denden Richtung der Anspannung.
So, sehen wir, ist ein Moment vor dem gewaltigen Einbrechen des Wei-
nens zur Darstellung gekommen, ein Moment der Haltung noch, begründet
in der eben so gewaltigen wie schönen Natur. Denn wie ist die Schönheit
der Gesichtsformen nicht vernichtet durch den Schmerz, sondern bildet für
ihn die mässigende Zucht, füllt den Hintergrund gleichsam zwischen den
pathetisch hervortretenden Punkten ! Es ist ein gewaltiges Wehgefuhl, das
bald nichts als Weinen, immerwährendes Weinen hervorrufen wird, über eine
königliche Natur gekommen, die ihrer Hoheit, ihrer ursprünglichen Erha-
benheit über das Irdische nicht untreu werden kann.
Fragen wir, in welche Reihe von Gesichtsidealen gehört dieser Kopf der
Niobe, so möchten wir sagen, er steht gleichsam zwischen den Idealen der
Juno und Venus. Mengs, Visconti1) Wredowu. a. haben auf die letztere,
d. h. auf jene speeifische Bildung der praxitclischen Venus, wie sie uns im
Vatican, in München, in Madrid am reinsten entgegentritt, hingewiesen und
mit Recht, was die weicheren, fleischigen Theile des Gesichtes betrifft, aber
das Oval das Gesichtes, die architektonische Unterlage überhaupt, besonders
der Augenknochen, nähern sich in Festigkeit und Grösse entschieden dem in
der ludo visischen Juno uns vor Augen stehenden Ideale. Das Auge selbst hat
auf der einen Seite nicht das Gewölbte, Hervortretende der stieräugigen
Hera, sondern liegt tiefer geborgen, ähnlich dem Auge der Venus, aber es
hat auch nicht das breit Gezogene, Schwimmende des letztern, sondern öffnet
sich aus der Tiefe weit mit voller, grosser Rundung des Augapfels. In der
Behandlung der Haare und der Arme haben wir auf Juno, aber auch auf das
von ihr Unterscheidende aufmerksam gemacht.
Kehren wir von dem Haupt noch einmal zur ganzen Gestalt und ihrer
Gesammtmotivirung zurück, so können wir nun in jener Zusammensetzung
von Bewegungen auch die Unterlage nicht verkennen. Noch ganz Mutter in
den Bewegungen ihres unteren Körpers, Schutz und Heimath dem einzig, wie
es scheint, geretteten jüngsten ihrer Kinder in ihrem Schoosse bietend, erhebt
sie sich in den oberen Theilen mit wundervoller Grösse, wie ihr Herz geöffnet
ist nicht blos dieser Tochter, allen ihren Kindern, so dem über diese herein
1) Mus. Pio Clement. I. t. 11. p. 18.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 229
brechenden Unglück als Einzige gewachsen , um endlich im Ausdrucke des
Gesichtes nicht körperlichen Schmerz, nicht Bitten und Wünsche, nicht stolze,
trotzige Worte, nein, nur die mit der Naturgewalt des reinen Schmerzes, mit
Thränen ringende schöne und grosse Geistesnatur zu offenbaren.
Das hoch Bedeutungsvolle und Grosse in den Gesammtlinien dieser Gruppe
von Mutter und Kind !) , die Mannigfaltigkeit in der Anlage der Gewandung,
das Keine und Hohe imGesichtsausdruck, wie es uns so eben beschäftigt hat,
drängt die rein künstlerische Betrachtung gerade dieses Marmorwerkes, gegen-
über dem unwillkührlich darin vorausgesetzten Urbild leicht zurück, ja lässtdie
erstere leicht als eine Beeinträchtigung der Bewunderung des letztem erschei-
nen. Und doch muss jeder, der rein griechische, der Werke der hellenischen
Periode, der die besseren Werke der römischen, reproducirenden Kunst ver-
gleichend gesehen hat, der einen Sinn für den Zauber eines reinen griechi-
schen Stiles überhaupt besitzt, vor dieser Niobe unmittelbar es aussprechen,
dass wir hier nur eine ganz geschickte Copie römischer Periode, etwa der
hadrianischen Periode besitzen, dass die Arbeit des Körpers entschieden hin-
ter der des eingesetzten Kopfes zurücksteht. So stumpf in der Behandlung
der herrlich angelegten Ge wandmasse , so sehr in der Ausfuhrung nur auf
Einen Augenpunkt, auf die Hülfe der Lokalitat berechnet, so flüchtig und roh
in allen nicht gerade dem Betrachter leicht zugänglichen Theilen, so wenig
durchdrungen im Einzelnen von dem im Ganzen und Grossen waltenden Geist
erscheint diese Ausfuhrung. Aber wir dürfen auch wohl sagen, es treten die
unverwüstlichen Schönheiten der ursprünglichen Compositionen um so sicht-
barer dabei hervor, nicht durch die Eigentümlichkeit des Reproducenten ver-
ändert. Dürfen wir einen Vergleich aus der Musik entnehmen, so haben wir
hier eine klassische Symphonie umgesetzt aus dem meisterhaften Zusammen-
wirken einer Reihe durch Künstlerhände gehandhabter verschiedener Instru-
mente in ein nicht ungeschicktes Klavierspiel eines fertigen Spielers.
Fragen wir nun nach den Wiederholungen.
Ein zweites Exemplar dieser Gruppe auch nur in annähernder Weise ist
uns nicht erhalten, obgleich die grosse Zahl der erhaltenen Köpfe der Niobe,
doch weitaus zum gross ten Theil auch Statuen voraussetzen lassen, zu denen
sie einst gehörten. Und dass die Gruppe als solche vielleicht in mehrfachen
Nüancirungen wiederholt war, dafür giebt ein interessantes zweites Exemplar
der in den Schooss geflüchteten Tochter Beweis. Ehe wir den Kopf durch-
mustern, haben wir noch mehrere Statuen zu gedenken, welche in ihrer Mo-
tivirung mit der eben betrachteten nichts zu thun haben, aber in der grössten
Sammlung statuarischer Abbildungen, bei Clarac für Niobe erklärt sind. Ich
1) J. Dallaway rühmt sie auch speciell als Gruppe in Statuary and sculpture among
the antients with some aecount of speeimens preserved in England. London 1826. p. 221 ff.;
über die Augen der Niobe ebendas. p. 44.
246 Zweites Kapitel.
Ohren aufmerksam, ebenso auf den gemässigtercn edleren Ausdruck gegenüber
dem Kopfe des ersten fliehenden Sohnes.
Wenden wir uns zum dritten, jüngsten und kleinsten der in eiliger
Flucht begriffenen Söhne. Hier tritt uns nun zunächst die Frage entgegen,
von welcher Seite hat der Beschauer ihn aufzufassen? Die volle Vorderfläche
der Gestalt ist, wie wir schon oben bemerkt, viel weniger ausgeführt als die
volle Rückseite; von den beiden Seitenflächen bietet die linke sehr wohl und
interessant entwickelte Formen , am wenigsten ist die rechte Seitenfläche auf
eine Beschauung angelegt. Dazu kommt, dass das rechte Bein hinter ein Fels-
stück auf einen Absatz gesetzt ist, daher ganz von vorn betrachtet dasselbe
ganz verschwindet, von der linken Seite immer noch ein grosser Theil dessel-
ben. Es sind daher nur zwei Standpunkte der Betrachtung überhaupt möglich,
aber beide haben wieder ihre eigenen Bedenken. Gestalten ganz vom Rücken
gesehen gehören schon auf den Reliefs zu den sehr seltenen Erscheinungen
und durchgehend ist das Streben sichtbar einen Theil des Gesichtsprofils zu
zeigen ; unter den uns erhaltenen Statuen möchten wir kaum ein Beispiel da-
für finden. Wie wirkungsvoll allerdings eine solche Rückenansicht einer in
voller Eile fortstürzenden Gestalt sein kann , haben wir bei dem Relief Cam-
pana und zugleich dafür wenige ähnliche Beispiele kennen gelernt ') . Etwas an-
deres ist es aber doch noch bei einer freien Statue , selbst wenn sie auch wie
die hiesige zugleich mit einem Stück Hintergrund und für eine entschiedene
räumlich umgränzte Aufstellung componirt ist. Da hat es doch sein grosses
Bedenken, wenn nur die Rückseite sich zeigt, vom Kopf nicht einmal ein äus-
serstes Seitenprofil, sondern der volle runde Hinterkopf zu sehen ist. Und dazu
kommen die bedenklichsten leeren Stellen, die fast mathematisch regelmässigen
Figuren, welche durch die übermässige Auseinanderspannung der Beine, durch
den horizontal gestellten rechten Oberschenkel und den rechten Arm gebildet
werden. Ein einfacher Vergleich mit den zwei eben betrachteten Statuen er-
giebt darin den durchgreifenden Unterschied; bei diesem ist durch Gewandung
und Armbewegung doch immer eine geschickte Zusammenbildung der Figuren
gegeben, hier mehr eine Art telegraphischer Zusammenstellung.
Entschieden werden diese Uebelstände mehr beseitigt durch eine derar-
tige Aufstellung, dass dem Beschauer wesentlich eine linksseitliche Anschauung
gegeben wird. Wir erhalten dadurch auch einen eilenden Niobiden, der in
Üorrcspoudenz mit einem der beiden betrachteten treten kann. Otfr. Müller
und Zanuoni haben sie so zuerst angenommen. Während die Gesammtbewe-
gung des Körpers dadurch bedeutend gemildert wird, tritt dagegen die Bedeu-
tung der Gewandung viel reicher hervor. Die noch um den Hals befestigte
I) Als ein Beispiel vollständigen Abkehrens des Kopfes linde ich unter einer grossen
Reihe von Darstellungen nur einen Krieger auf dem späten Fries von Magnesia (Clarac
pl. 117. J. n. 133).
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 247
Chlamys bedeckt bauschig die obere linke Seite ; sie ist in breitem Umschlag
hinauf geschoben und zugleich packt krampfhaft die liuke Hand noch den um
sie geschlungenen Zipfel fest, dadurch möglichst jedes Hemmniss der Flucht
entfernend. Eines bleibt immer dabei bedenklich , die schräge Richtung in die
Scene gleichsam hinein, während die andern Gestalten durchaus auf eine Brei-
teil ansieht berechnet sind.
Ueber die Richtung des Kopfes und des rechten Armes haben wir bei jeder
Aufstellung aber zu bemerken, dass sie in der jetzigen Ergänzung nicht als die
ganz entsprechende anzuerkennen ist. Meyer sprach es bereits aus, dass der
Kopf des bekannteren, besser erhaltenen Exemplars nicht gut auf den Hals
alifgepasst sei, dass der der Replik, welcher sich auch in dem Stil auszeichnet,
nicht so viel nach links von der Hauptrichtung abgewandt ist. Dies ist ent-
schieden auch das Richtigere. Wie in der ganzen Gestalt vollste Fluchteile
sich ausprägt, durchaus nicht irgend ein eingetretenes Hemmniss , so kann
demgemäss auch das Haupt nicht mit einer gewissen Absichtlichkeit stark
nach vorn gedreht sein , sondern folgt der Hauptbewegung. Diese veränderte
Wendung des Kopfes würde dann auch für die Rückenansicht günstig wirken.
Was aber den ausgestreckten, ganz ergänzten rechten Arm betriff);, so glaube
ich entschieden, dass er nicht in solcher Steilheit ausgestreckt war, die durch-
aus nicht in der Natur der bewegenden Empfindung, sondern nur in einem
äusseren Haltepunkt ihre Erklärung finden könnte. Man vergleiche nur den
ausgestreckten Arm der Tochter auf dem Relief Campana. Der Kopf selbst ist
nach Meyer dicker, fleischiger, runder, die Augen kleiner gebildet, als es sonst
die Niobidenköpfe zeigen, der sehr beschädigte Kopf der Replik wird au idealer
Haltung über ihn gestellt. Die kurzgeschnittenen Haare zeigen auch den all-
gemeinen Ephcbencharakter ; sie sind aber entschieden etwas perückenartig
auf der Vorderseite gebildet.
Unmöglich kann aber der rohe Fels, der den Theil des rechten Heines
verdeckt, unmöglich darüber die langgestreckte Linie des Oberkörpers und
rechten Armes, einfach nach der rechten Seite den Abschluss gebildet haben.
Martin Wagner verlangte aus einem richtigen Gefühle eine Verbindung
mit einer andern Figur, er hatte den wunderlichen und durchaus schon mit
der Motivirung des Niobiden selbst unvereinbaren Einfall ihn mit dem längere
Zeit zur Gruppe gerechneten Pferde1) in Verbindung zu setzen. Nein, wir
1) Ich füge hier gleich die thatsächlichen Bemerkungen über dasselbe an, dessen Fund-
ort wir bereits schon erwähnten und welcher schon nach diesem nicht die geringste Bezie-
hung zum Niobidenfund auf dem Esquilin hat. Letzte Abbildung bei Zannoni Gal. di Fir.
Ser. IV. t. I. tav. SU. Länge 1 1 P. 3% Zoll. Neu die Beine, der Schwanz, die unter dem
Bauche befindliche sie unterstützende Masse , die für aufgewirbelten Staub gehalten wurde
(Winkelmann zu D. A. K. n. *<>, Thl. VIII. S. 34ff.). Auf dem Rücken ein Stück Zügel.
Das Pferd ist im Verhältniss der florentiner Statuen zu schmächtig und klein. Nach Schle-
gel ist es für einen Wagen bestimmt. Die Hinzufügung zu der Niobidenreihe verdankt es
248 Zweites Kapitel.
verlangen vielmehr eine in diesen leeren gestreckten Dogen sieh einfügende, im
Gegensatz zur grossen Spannung des Niobiden eher sich zusammendrängende,
den Fels mit verdeckende Figur , die noch nicht eine unmittelbare Verbindung
in einer Gruppe voraussetzt , aber einer solchen sich nähert. Und ich glaube
wir können sie finden in jener als Psyche bekannten Gestalt ') , über deren
Wesen und künstlerische Bedeutung wir weiter unten die Untersuchung zu
führen haben. Dass sie räumlich sich sehr wohl nahe bringen lässt, ergiebt
eine einfache Vergleichung der Grössen Verhältnisse : das des Niobiden beträgt,
wie wir sahen, ohne Basis 1,312 M., das jener Psyche 1,008 M.
Ist auf diese Weise der zweite und dritte fliehende Niobide nicht in eng-
ster Verbindung, fast einander auf den Fersen folgend zu denken, sondern ha-
ben wir dem letztern eine entgegengesetzte Gesammtrichtung, mithin auch eine
Stellung eher gegenüber in Contraposition zuweisen müssen, ja zugleich auch
in der eben angedeuteten Verbindung eine dem ersten fliehenden Niobiden mit
der Schwester mehr entsprechende Situation , so wäre auch schon an dieser
Stelle einfach zu fragen , nun sind dann nicht wenigstens der erste und zweite
fliehende Sohn in unmittelbarer, naher Aufeinanderfolge, ja fast Berührung zu
denken? Wird dies nicht durch den oben dargestellten Contrast in der Motivi-
rung bei gleicher Grundlage entschieden empfohlen? Eine unbefangene Be-
trachtung beider neben einander muss auch hier mit einem Nein antworten.
Der Contrast ist der Art , dass er neben einander eine durchaus störende Wir-
kung hat; ich mache nur auf die beiden Bogenlinien der Gewänder, auf die
scharfe Abweichung der Köpfe aufmerksam , während die griechische Kunst
so ausserordentlich fein und wohl abgewogen dem Auge sich ergänzende Li-
nien und Formen an einander fügte, dass dasselbe mit Wohlgefallen von Höhen
zu Tiefen, von Tiefen zu Höhen weiter gleitet. Die Form des Antispast, wenn
man so sagen darf, bringt sie nur da an , wo auch geistig ein solches Zusam-
mentreffen zweier gegnerischer Kräfte , ein sich Losreissen von einander dar-
gestellt werden soll. Dies ist aber hier durchaus nicht der Fall. Dagegen ha-
ben die zwei Statuen als sich correspondirend gedacht , in dieser Weise ver-
theilt und zwar so dass der zweite Sohn dem Beschauer rechts, der erste
mehr links gestellt wird , eine durchaus treffliche , sich ergänzende Beziehung
unter einander. Dann aber entsteht die Frage, ob wir alle drei Figuren Einem
künstlerischen Gedanken, Einer Gruppe zuschreiben dürfen, ob wir nicht viel-
leicht die dritte Gestalt besser als eine spätere Variation und zwar auf die
Rücken ansieht berechnet auszuscheiden haben. Ich wage nicht dafür mich zu
entscheiden, aber glaube, diese Frage ist zu stellen.
entschieden der ovidischen Schilderung und der Kenntnis» der Seitendarstellung eines Sar-
kophagreliefs (vgl. oben S. 192).
I) Tafel XVII. 13.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 249
I). Gebeugte und in die Knie gesunkene Niobidensöhne.
a. Der Diskobolos unter den Niobiden.
Indem wir der natürlichen Reihe der Motive unter den Niobiden folgen
und so von aufrechtstehenden, forteilenden, unverletzten, ja noch hülfreichen
zu den gebeugten, in die Knie sinkenden, endlich zu den bereits der Todes-
macht erliegenden, ausgestreckten Gestalten fortschreiten , haben wir zu-
nächst einer Statue zu gedenken, welche in Florenz und zwar im älteren Be-
sitz befindlich, von Lanzi unter die Niobiden eingereiht war, von Visconti
aber als Diskobolos nun schon seit lange richtig erkannt ist. Es ist
dies die früher als E n d y m i o n oder Adonis bezeichnete, in den Extremitäten
sehr ergänzte Statue mit antikem, vielleicht nicht dazu gehörigem Kopfe ; sie
ward von Gori1) publicirt, dann von Zannoni in derGaleria di Firenze2) und
von Clarac3) wiederholt Die eigenthümliche Drehung des Oberkörpers ge-
genüber den im Moment der Fortbewegung begriffenen unteren Theilen, der
erhaltene linke Unterann auf dem rechten Schenkel, die volle Hebung des
rechten Armes lassen an dieser Bezeichnung als Diskobolos nach dem Myro-
nischen Original ebensowenig einen Zweifel, als umgekehrt der gänzliche
Mangel eines Kleidungsstückes gegen einen Niobiden spricht. Auch die
Bildung des Haares so wie der Gesichtsausdruck an dem antiken, aber zur
Statue, so scheint es, nicht gehörigen Kopf weicht sehr von den Niobi-
den ab. Ich verweise in der Auffassung des Diskobolos und in Bezug auf die
zahlreichen Wiederholungen ganz auf Welckers Abhandlung*). Zugleich
aber kann ich dabei Welckers Verzeichniss von Niobidenwiederholungen von
einem ihnen nicht zugehörigen Exemplar befreien, welches seine Stellung
bereits unter den Diskobolen gefunden. In einem der früheren Kataloge der
kaiserlichen Sammlung der Antiken zu Wien wird unter N. 13S eine kleine
Marmorstatue eines Niobiden, 2 F. 10 Z. hoch angeführt und darnach von
Welcker5) mit Vorbehalt angeführt. Diese Statue ist aber, wie ich durch
briefliche Mittheilungen meines Freundes, des Prof. Vogel, erfahren, wel-
cher auf meine Anfrage persönlich der Sache nachging und von Baron Sacken
darin freundlich unterstützt ward, keine andere, als der von O. Jahn schon
im J. 1852 richtig erkannte und in seinem Berichte über die Wiener Samm-
lung besprochene Diskos werfer6) ; die siebente Auflage des Katalogs vom
J. 1859 hat ihn darnach auch benannt. Die Identität dieser beiden Statuen
war bis jetzt noch nirgends hervorgehoben.
1) Mus. Florent. III. t. 21.
2) Ser. IV. T. I. t. 14.
3) Mus. de sculpt. pl. 579. n. 1251.
4) Alte Denkm. I. S. 417—429. Vgl. dazu Abbildungen bei Clarac pl. 829. n. 2085 A ;
S60. n. 2194 B; 863. n. 2194 A.
5) A. D. I. S. 227. No. 6.
8) Archäol. Anz. 1854. S. 454. n. 138.
250 Zweites Kapitel.
b. Der Florentiner in das eine Knie gesunkene Niobide.
Wir kommen jetzt zu der gleich dem Hauptfiinde vom J. 1583 angehö-
rigen, damals bereits veröffentlichten Statue eines in das eine Knie gesun-
kenen, sich aufstemmenden Niobiden, Von dem zwei Wiederholun-
gen seit längerer Zeit bekannt sind, die eine ebenfalls in Florenz, über
deren Herkunft natürlich auf römischem Boden wir nicht näher unterrichtet
sind, die andere in Rom, im capitolinischen Museum. Vielleicht können
wir ein viertes Werk, welches. im Besitze des Herzogs von Alba in Madrid
ist, aber nicht unwichtige Abweichungen zeigt, noch daneben stellen. End-
lich kennen wir vom Kopf eine Wiederholung in der Oxforder Sammlung.
Abbildungen: Ca. 1. 1 2 ; Perrier t. 33 ; Maflei Racc. di stat. ant. t. 33 ; F. fig. 9 ;
Z. t. 4 (dies die Keplik) ; Clarac pl. 585. n. 12ti5; MW. 142 B.e; We. n. 14; Over-
beck fig. 69 m ; unsere Tafel XVII. 1 1 . Das capitolinische Exemplar Bottari Mus.
Capitol. t. III. pl. 42; Clarac pl. 588. n. 1273. Der Kopf in Oxford in Marmora Oxo-
niens. t. 55.
Ergänzungen: bei Cavaleriis fehlt die Basis, es fehlt das linke Bein vom Knie
an nebst Fuss, der Bruch ist jetzt überarbeitet, sonst sehr wohl erhalten in Kopf,
Arme, rechtem Bein und Fuss. Am rechten Bein sind einzelne ergänzte Stellen, be-
sonders auch die Zehen des Fusscs. Beide Beine sind sehr durch Ueberarbeitung ge-
glättet, haben etwas Gläsernes. Im Gesicht die Nasenspitze nur neu. Nach Meyer ist
die rechte Schulter so wie die rechte Hand neu. Die Keplik in Florenz ist bedeutend
mehr ergänzt, überhaupt sehr überarbeitet, jedoch die äussere Seite des rechten Beins,
der rechte Fuss und Arm unbeschädigt. An dem capitolinischen Exemplar ist der Kopf
mit Hals, der linke Arm von der Mitte des Bicepsmuskels, ein Stück an dem linken
Oberschenkel, das linke Bein vom Knie, die rechte Hand mit Handgelenk, das rechte
Bein von der Mitte des Oberschenkels, endlich die ganze Basis mit Baumstamm und
Gewand neu.
Grösse: 1,311 Meter mit Basis, 1,263 Meter ohne Basis.
Ueber die florentiner Keplik wie das capitolinische Exemplar liegen mir nicht ge-
naue Messungen vor.
Marmor an dem florentiner Exemplar sehr geglättet, an der Keplik tritt schief-
riger Charakter hervor, der Marmor der capitolinischen Statue ist lunensischer. Die
Arbeit an dem ersten elegant, doch nicht ohne Härten, das linke Auge ist beträchtlich
kleiner gebildet als das rechte ; das wesentlich moderne Gewand sehr stumpf ausge-
führt.
Die griechische Kunst hat das Motiv des in die Kniee Fallens in der
mannigfaltigsten Weise und mit feiner Ausprägung verschiedener geistiger
Zustände und körperlicher Kraftanstrengungen durchgeführt. Da finden wir
ein volles Niedcrknieen auf beiden Knieen, da ein Nachschleifen, oder doch
Nachziehen des einen Heines unmittelbar auf der Erde hin oder nur wenig
noch gehoben, da ein mühsames sich Erheben oder noch Erhalten auf der
Ferse des einen knieenden Fusses, während das andere Hein nahe gesetzt
und stark in der Kniekehle eingebogen ist, wie dies besonders bei Bogen-
schützen sich zeigt, da ein Ausstrecken des anderen nicht in das Knie ge-
sunkenen Heines nach vorn, um so balancirend einen Halt zu gewrinnen, da
bei starker Hebung des Knies auf einen höheren Gegenstand, z. B. auf den
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 251
Rücken eines Thieres, ein Verstärken der elastischen Kraft durch das hinter-
gestreckte, den Boden noch berührende andere Bein, da endlieh ein Aus-
strecken des letzteren nach der Seite mit auswärtsgehender Wendung und
zugleich ein Aufstemmen und Widerhaltsuchen des letzteren. Dies letzte
Motiv fiuden wir bei unserer Statue in wirksamster Weise durchgeführt,
indem zugleich noch die felsige Natur des Terrains benutzt ist, um dem in
das Knie gesunkenen linken Bein ein höherliegendes Unterlager zu geben
und dadurch auch dem rechten ausgestreckten Bein diese Lage zu erleichtern.
Im vollen Zusammenhang damit steht es, dass auf der linken Seite noch ein
zweiter Stützpunkt dem gesunkenen Körper gegeben wird, indem die linke
Hand niedergestreckt auf einen Felsblock sich aufstützt, ja stemmt. Es wird
dadurch die linke Schulter gehoben und überhaupt eine interessante Gegen-
wirkung zweier Kräfte auch an der linken Seite des Oberkörpers sichtbar,
ein Emporziehen und ein Niedersinken , und dadurch eine Biegung dessel-
ben bedingt. Gegenüber der straffen Anspannung auf der linken Seite ist
eine grössere Entwickelung der Körperbewegungen auf der rechten Seite
ausgesprochen, eine Entwickelung von Kräften, die aber in sich gleichsam
zurückläuft; schon in dem ausgestreckten, im Knie leicht gebogenen, mit
der Ferse und der Fusssohle gegen eine angedeutete Felsfläche gestemmten
Bein, dann in der Senkung und Einbiegung des rechten Armes , welcher mit
der geschlossenen Hand auf dem Beginn des Oberschenkels aufruht, also
nicht auswärts einen Haltpunkt sucht, auch nicht irgend eine nach Aussen
gehende, abwehrende, gegemvirkende, oder auch Hülfe suchende Bewegung
macht. Das ganz herabgesunkene Gewand bildet ein einigendes Glied zwi-
schen den untern Extremitäten und dem die Stütze bietenden Fels : über den
rechten Oberschenkel vorn überhängend zieht es sich hinten um den linken
Schenkel herum und senkt sich nieder, um dann mit dem andern Ende die
weichere Unterlage der linken Hand zu bilden. Nur in dem links und zugleich
nach oben gewendeten Kopfe ist die volle Beziehung zur gegnerischen, nie-
derwerfenden Macht gegeben, ein schmerzvolles Aufschauen, ein krampfhaf-
tes sich Zusammenfassen im Unterliegen, nichts von verbissenem Trotz, aber
auch nichts von Gnadcflehen. So drängen sich in dieser Gestalt in glück-
lichster Weise künstlerisch wirkende Momente zusammen und dabei ist doch
so gar nichts spiritual istisch Gesteigertes, nichts speeifisch das Gemüth Erre-
gendes ausgeprägt : ein Jüngling im lebhaften Ausschreiten der Flucht, dem
die Chlamys schon von der Schulter gefallen, bricht durch ein unsichtbares
Geschoss in die Seite verwundet zusammen, das linke Knie ist eingeknickt,
der rechte Arm wird mühsam in die Seite gesetzt, aber noch strebt das rechte
Bein Widerhalt zu gewinnen, ein sich Aufrichten zu ermöglichen oder doch
das Zusammensinken zu hindern, noch steift sich der linke Arm auf die
Stütze, um sich aufrecht zu erhalten und doch empfinden wir im gewendeten,
zurückfallenden Haupt die volle Unmöglichkeit eines längeren Widerstan-
252 Zweites Kapitel.
des, die volle Aussichtslosigkeit mit. Das tiefste Mitgefühl regt sich heim
Anhlick dieser äusserlich ganz wehrlosen, sichtbar verlorenen und doch inner-
lich gehaltenen , bis auf den letzten Athemzug sich beherrschenden Persön-
lichkeit , der der ganze Zauber jugendlicher Schönheit innewohnt.
Um sich der specifischen Natur dieses Eindruckes recht bewusst zu wer-
den, ist es wichtig, den künstlerischen Bildungen etwas nachzugehen, in
denen die griechische Plastik wesentlich dasselbe Motiv ausgeprägt hat. Wir
haben es mit Amazonen und Kriegern, auch einmal dem Minotauros in Sta-
tuen und Reliefs zu thun : die häufigere Erscheinung ist das Einsinken in
das rechte Knie und das Ausstrecken des linken Beines, so bei einer Amazo-
nenstatue der Sammlung Pembroke1), so bei einer mit ganz gleichem Ge-
wandmotiv, wobei die rechte Brust frei bleibt, ausgestatteten Überlebens-
grossen Kriegerstatue in Villa Albani2), so unter den Reliefs bei einem Perser
auf dem Friese des Tempels der Nike Apteros8), bei einem hellenischen Krie-
ger des Amazonenfrieses von Magnesia4). Auch zwei Amazonengestalten
des Frieses von Phigalia möchte ich anführen, die die ganz gleiche Bewegung
des ausgestreckten Fusses zeigen, dagegen bereits auf dem andern in das
Knie gefallene Bein sitzen 5) ; dagegen zeigt uns derselbe Fries von Phigalia
zwei Lapithen ganz gleich unserem Niobiden motivirt, den Schild zugleich
in- der linken Hand8), derselbe Amazonenfries von Magnesia zwei Ama-
zonen, welche beide auf das linke Knie eingesunken, mit dem rechten aus-
gestreckten Bein sich noch zu halten suchen7), und eine Miuotaurosstatue in
Villa Albani, die mit Theseus gruppirt ist, hat dieselbe Motivirung8). Die Arm-
bewegung ist in den meisten Fällen darin eine der unsern ähnliche, dass der
dem knieenden Bein entsprechende Arm gesenkt ist, direkt oder durch einen
Schild eine Stütze auf der Erde sucht, während der andere gehoben wird9),
jedoch kommt es auch vor, dass beide Arme nach einer Seite hin abwehrend
gewendet sind. Dagegen bleibt es ein wesentlich unterscheidendes Merkmal
unserer Statuen, dass der aufgestemmte linke Arm durch die Höhe der Un-
terlage doch zugleich selbst gehoben wird, dass der andere obgleich seitwärts
gehoben doch wieder zu dem Körper sich senkend zurückkehrt. Eine sehr
zahlreiche Gruppe von Darstellungen mit ganz ähnlichem Motiv sind die auf
1) Clarac pl. 810 A. n. 2031 C.
2) Clarac pl. S54 C. n. 221! C.
3) Müller- Wieseler D. A. K. 1. Taf. XXX. 121 A.
4) Clarac pl. 117. H. n. 26 a.
5) Müller- Wieseler a. a.O. Taf. XX VIII. 123 a.
6) Stakelberg Tempel zu Bassae t. 28. 23.
7) Clarac pl. 117 D. n. 6b; pl. 117 F. n. 14.
8) Clarac pl. 811 A. n. 2071 R.
9) An der Pembrokeschen Statue ist dies freilich anders, aber auch der linke Arm mit
Schulter und Stück Brust neu.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 253
und an einen Altar geflüchteten, dort sich festhaltenden, zugleich auch dro-
henden Gestalten, wie Kassandra, Telephos, Diomedes, Orestes.
Unter den Niobidendarstellungen sind wir dem Motiv des einen auf einer
erhöhten Unterlage in das Knie gesunkenen Beines und des mehr nachge-
zogenen, den Boden berührenden, ausgestreckten anderen Beines bisher
schon mehrfach begegnet, so zweimal allein auf der Vase von Ruvo1), so
je zweimal bei den Söhnen und Töchtern des pompejanischen Bildes2), so
auf dem Relief Campana und Albani8), annähernd auch bei einer Tochter
des etruskischen Sarkophags4), aber nirgends begegnet uns jene auswärts-
gehende Wendung und der darin ausgedrückte Widerstand des gestreckten
einen Beines, die wir in diesem Niobiden und den oben aufgeführten Bildun-
gen fanden.
Wir fugen hier zuletzt die Beschreibung der oben erwähnten Statue der
Sammlung des Herzogs von Alba in Madrid an, die wir wörtlich den Mit-
theilungen Hübners entnehmen : , ,Es besitzt der Herzog von Alba die etwas über
„lebensgrosse Statue eines zu Boden gesunkenen aus griechischem Marmor,
„wahrscheinlich in Rom zu Anfang des Jahrhunderts erworben, welche sich
„mir am einfachsten als ein Niobide zu erklären schien. Eine ihr genauer
„entsprechende kann ich unter den bisher bekannten nicht nachweisen : am
„nächsten kommt noch die bei Clarac Tafel 585, 1265 abgebildete. Doch
„ist die Madrider Statue nach der andern Seite hin gewendet und auch in
„der Bewegung verschieden. Kopf und Arme fehlen ; der Körper ist nackt,
„nur auf der linken Schulter liegt ein Stück der Chlamys. Er ist auf das
„rechte Knie gesunken und streckt das linke Bein fast gerade von sich. Die
„Bewegung des Oberkörpers zwingt fast zu der Annahme, dass der Kopf
„nach oben gewendet und die Arme wie abwehrend erhoben waren. Die
„Behandlung ist breit und nicht sehr ausgeführt, aber edel und eines grie-
chischen Originals durchaus würdig." Wir haben darnach eine sehr inte-
ressante Bildung, deren Publikation mit so vielen, bisher noch unveröffent-
lichten Schätzen aus Spanien, wir mit der Zeit wohl hoffen können. Ich
trage auch kein Bedenken, sie für einen Niobiden zu erklären ; das Vorhan-
densein der Chlamys bei durchaus knabenhafter Körperbildung ist dafür be-
zeichnend. Es ist also in den unteren Körpertheilen dieselbe Motivirung, nur
auf die entgegengesetzten Glieder übertragen, wie wir ja oben bei dem Krieger
und Amazonen denselben Wechsel gewahr wurden. Die Motivirung der Arme
und des Kopfes aber scheint ganz dem Münchner sogenannten üioneus zu
entsprechen, den wir weiter unten zu betrachten haben : ein flehendes Ab-
1) Taf. II und S. 155.
2) S. 161.
3) laf. III, dazu S. 170. 174.
4) Taf. IX. 2, dazu S. 200.
254 Zweites Kapitel.
wehren ist darin ausgesprochen. Die Hebung beider Arme neben jenem
Beinmotiv erwähnten wir schon oben , so bei dem Perser des Nikefrieses ;
Amazonen, auch Lapithen zeigen bei ähnlichen Motiven auch beide Arme
gehoben. Man muss staunen, welche Scala von verwandten Bildungen sich
immer mehr vor unseren Augen aufthut, wie schwer, ja oft wie unmöglich
ist es, jetzt schon auszusprechen, dass dies die in jener Gruppe des Apollo-
tempels von Roms angewandte, jene sie mcht war, welche Fülle von Varia-
tionen schliessen sich an gewisse gleiche Grundmotive an !
c. Der sogenannte Narciss vonFlorenz.
Hat uns Canovas Künstlerauge die Gruppe von Cephalus und Procris im
Vatikan für die Niobiden gewonnen, so entdeckte Thorwaldsen in einer schö-
nen knieenden, von Gori bereits aus dem älteren Vorrath der florentiner
Sammlung unter dein Namen des Narciss veröffentlichten f ) Statue einen Nio-
biden. Und diese Bezeichnung hat bei allen, die die Gruppe behandelten,
so bei Zannoni, Wagner, Thiersch, Welcker u. s. w. volle Anerkennung ge-
funden. Wir haben jetzt auch eine kurze Notiz von einer Wiederholung der-
selben Gestalt im Museum der Familie Este zu Catajo, welches, so viel
ich weiss , aus Italien eben entfernt wird 2) : eine Zeichnung derselben ist
noch nirgends veröffentlicht. Wir haben uns daher zunächst auf die Betrach-
tung der florentiner Statue zu beschränken.
Abbildungen: Gori Mus. Florentin. pl. 71 ; Zannoni R. G. di Fir. IV. 2. pl.
74. 75; Clarac pl. 587. n. 1271 ; pl. 5SS. n. 1272; MW. Taf. 34. N. 142. B.n\ W. 15;
Overbeck fig. 69 a; unsere Tafel XIII. 3.
Ergänzungen: Kopf und rechter Arm ganz neu.
Grösse: nach Zannoni 4 Palmi 10 Zoll 3 Lin.f nach Clarac 4 Palmi 7 Zoll.
Technik: die Rückseite ist ebenfalls wohl ausgearbeitet, so dass O. Müller ihn
wesentlich von hinten betrachtet wissen wollte. Ueber den Marmor fehlt mir nähere
Auskunft.
Ein Jüngling, fast ganz entblösst, ist in beide Kniee gesunken; die
Linke greift, schmerzhaft auf den Rücken gelegt, nach einem aber plastisch
nicht näher charakterisirten Punkt , von wo der den ganzen Körper erfüllende
tödt liehe Schmerz ausgeht, der rechte Ann ist dem Ansehen nach gehoben
im einfachen Ausdruck der Wehklage, das Haupt ist ebenfalls dem Ansehn
nach etwas links, aber nicht in dem Maasse, als die Ergänzung zeigt, und
vorwärts gesenkt. Die Stellung der Heine ist für die ganze Situation sehr
bezeichnend. Die Kniee sind nämlich nicht nahe an einander geschlossen,
wie bei den demüthig Hfüfeflehenden, sondern ziemlich weit auseinander ge-
rückt und zugleich ist das rechte Knie nicht unbedeutend vorgeschoben. Wir
1) Mus. Florentin. pl. 71.
2) Cavedoni Indicaz. di prineip. mon. ant. del mus. Estense del Catajo. Modena, 1842.
p. 111 ff.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 255
erhalten so den Eindruck einer kräftigen Gestalt, die, wenn auch in ihren
unteren Extremitäten erschüttert und zusammensinkend, doch nach einer
möglichst breiten Widerstandsfläche sucht, und auch durch die Vorschiebung
eines Kniees sich in dieser Lage noch länger zu halten strebt. Das herabge-
sunkene Obergewand ist mit seinem einen Zipfel über den grösseren Theil
des linken Oberschenkels vornüber zurückgeschlagen und bildet hier nach-
schleifend die Unterlage des rechten Beines. Das linke Knie ist dadurch
faltig umhüllt. Es senkt sich dann hinten hinab, um das ganze rechte Unter-
bein mit Fuss vollständig und reich zu umziehen. Es kann in dieser Lage
nicht lange verharren, sondern würde bald vom linken Oberschenkel herab-
rutschen ; für den Augenblick wird es aber durch die eigenthümliche Ver-
flechtung und gegenseitige Spannung gehalten. Es entsteht dadurch eine
interessante Verschiedenheit der beiden unteren Extremitäten und die Wehr-
losigkeit und Hoffnungslosigkeit der ganzen Situation spricht sich in der
vollen Entblössung des vorgerückten rechten Beines und Kniees aus. Der
Rumpf, der überhaupt reife jugendliche Formen zeigt, wird durch die con-
trastirende Bewegung der Arme in seiner Motivirung bedingt: die rechte
Seite ist in voller Entfaltung ihrer Muskeln, die linke eingezogen mit er-
schlaffter Muskelthätigkeit. Die ganze volle Entwickelung der doch auf eine
breite Flächenansicht berechneten Gestalt ist nur auf der Vorderseite gege-
ben, daher auch diese die dem Beschauer gegenübergestellte gewesen sein
wird und zwar kommt demselben ein Standpunkt etwas nach der rechten
Seite der Statue zu.
Die wesentliche Gleichheit unseres Motives mit den von uns bereits be-
trachteten Darstellungen des in die Kniec gesunkenen Niobiden in dem Gyps-
hautrelief aus Kertsch1) und in dem Relieffragment aus Bologna2) fallt in
die Augen und doch ergiebt die nähere Vergleichung interessante Verschie-
denheiten sowohl in dem herabgesunkenen Gewand, wie in der Bewegung
der Arme. Ob der rechte Arm unserer Statue nicht auch annähernd dem der
beiden andern Beispiele mehr im Ellenbogen gebogen war, ist hier eine für
eine richtige Restauration zu erörtende Frage.
d. Der sogenannte Ilioneus von München.
Unwillkürlich wird man in Gedanken von dieser knieenden florentiner
Statue, die wir den Niobiden mit aller Sicherheit einreihen konnten, weiter
geführt zu jenem herrlichen knieenden Knaben torso 3) , der sicher aus Italien
stammend, einst der Sammlung Kaiser Rudolphs II. in Prag angehörte,
dort das Schicksal der Verschleuderung mit den anderen Gegenständen der-
1) Tafel VI.
2) Tafel IV «.
3) Die erste Notiz über den Torso gab wohl Hirtin den Hören. Jahrg. 1797. 10. St. 3.20.
256 Zweites Kapitel.
selben Sammlung theilte, von dem Kunstsammler Dr. Barth in Wien einem
Steinmetzen abgekauft und aus dessen Besitz um einen hohen Preis vom Kö •
nig Ludwig von Bayern für die Glyptothek erworben ward. Der Niobiden-
name Ilioneus haftet ihm als populäre Bezeichnung schon an, über seine
Aufnahme unter die Niobiden sind noch heute die Ansichten getheilt.
Thiersch1), Martin Wagner2), neuerdings Ad. Stahrs), Bursian4), Friede-
richs 5) sprechen sich mit mehr oder weniger Bestimmtheit dafür aus ; Martin
Wagner neigt sich dazu, die Statue einer anderen Niobidengruppe, der des
Praxiteles, zuzuschreiben. Vergeblich sucht man in dem neuesten Schrift-
chen, welches den Namen Ilioneus6) und zwar in Bezug auf die Münchener
Antike trägt, eine eingehende Schilderung und Charakterisirung derselben ;
noch weniger ist die Frage der Begründung zu dieser Bezeichnung erörtert.
Auf S. 51 wird der Vorschlag gemacht, die Figur mit der das Gewand heben-
den Schwester zu gruppiren. Dagegen haben Schorn, dem wir die erste aus-
führliche und zugleich vortreffliche Charakterisirung der Statue verdanken7),
Otfried Müller8) und Welcker9), der letztere mit einer kurzen Angabe tref-
fender Gründe die entschiedenen Zweifel an der Zugehörigkeit zu der uns
erhaltenen Niobidenreihe ausgesprochen. Overbeck glaubt, indem er die
bisher angenommene Beziehung gänzlich ablehnt, eine ganz zutreffende
Deutung gefunden haben, indem er in ihm den vom Pferde gerissenen, vom
Achill mit dem Tode bedrohten, dagegen ringenden Knaben Troilos er-
kennt10). Wieseler11) stimmt demselben bei, indem er aber die besonderen
Motive, die ihn als Troilos von Overbeck aufTassen lassen, gegenüber dem
eines vor dem Apollaltar schutzflehend Knieenden abweist.
Abbildungen: Kunstbl. 1S28. 2 Tafeln zu S. 245; Müller- Wieseler D. A. K.
Taf. XXXIV. E; Clarac pl. 580. n. 1280.
Grösse: 3 F. (welches Maass?) 5 Zoll, genauer die Höhe der antiken Theile mit
Armstumpf.
Erhaltung: es fehlt der Kopf mit grösstem Theile des Halses, beide Arme und
zwar der rechte bis zum unteren Ende des Deltamuskels, der linke bis in die Mitte
desselben, ferner fehlen die Zehen des rechten Fusses, jedoch sind die Ansätze zu der-
selben noch auf der Basis sichtbar, am linken Fusse.
1) Epochen d. bild. Kunst. II. Aufl. S. 370 Anm.
2) Kunstbl. 1830. S. 222. 240.
3) Torso I. S. 382.
4) NIbb. f. Philol. etc. LXXVII. S. 108.
5) Verz. d. Samml. der Abgüsse d. Kön. Museen zu Berlin. 1860. S. 105.
G) L. Oerlach, Ilioneus. Archäol. Plaudereien. Zerbst 1S62.
7} Kunstbl. 1828. n. 45 j Beschreib, d. Glyptothek 1837. S. Ulf.
s) D. A. K. Text zu Taf. XXXIV. E.
9) A. D. I. S. 243 f. ; Katal. d. Kunstmus. zu Bonn. Anm. 66.
10) Gallerie hero. Bildw. S. 363. 364; Kunstarchäol. Vorles. S. 81.
11) D. A. K. a.a.O.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 257
Marmor: parischer. Die Oberfläche ist fast glasig geglättet. Die Arbeit zeigt
die feinste Durchbildung eines jugendlichen Körpers und ist gl eichm aasig für alle
Standpunkte der Betrachtung durchgeführt.
Ein auf beide Kniee niedergeworfener, eben zum Jüngling heranreifen-
der Knabe biegt sich angstvoll auf d«r linken Seite ein , während er mit
den gehobenen beiden Armen und dem aufwärts gewandten, zur Seite gebo-
genen Haupte flehend und abwehrend einer rechts von oben kommenden
Gefahr zu begegnen strebt. Die linke Ferse bildet den Stützpunkt des ein-
gebeugten Unterkörpers, unter dessen Last der Fuss stark sich biegt, die
Zehen sich ausspreizen. Die Füsse nähern sich fast ganz einander, während
die Kniee aber in gleichmässigem Vorschieben divergirend sich stellen. Die
starke Drehung nach links und starke Senkung nach derselben Seite, die
Hebung der rechten, die Einbiegung zugleich ergeben ein reiches anziehendes
Linienspiel auf dem herrlichen, von feinstem Lebenshauch erfüllten Körper.
Der linke Arm schliesst sich in seinem Ansatz eng an den Körper an, wäh-
rend der rechte frei und höher gehoben ist. Von trefflichster Wirkung ist der
gebogene Rücken. Ueberhaupt treten uns von allen Seiten die glücklichsten
Linien- und Flächenverbindungen entgegen.
Schon hierin muss ich einen sehr wesentlichen Unterschied von allen
uns bekannten Niobidenstatuen finden, die alle, allerdings mehr oder weni-
ger, auf eine Hauptvorderansicht berechnet sind ; keine ladet nur irgend zu
einer solchen allseitigen Betrachtung ein, wie dies auch bei der gleich nach-
her kurz zu erwähnenden Ringergruppe, wie dies bei der mediceischen Venus,
bei dem Torso von Belvedere u. a. der Fall ist. Ferner haben wir eine durch-
aus unbekleidete Gestalt vor uns, nirgends eine Spur, dass z. B. auch nur
über einem der Arme ein Gewand gehangen habe ; während nicht allein alle
Statuen von Niobiden, sondern wie wir sahen, auch alle sonstigen bildlichen
Darstellungen irgend einen Rest von Gewandung uns bei ihnen zeigten1). Es
wäre nun sehr verwunderlich, wenn ein so ausgezeichnetes acht griechisches
Werk, wie dieses, darin nicht allein die ganze Tradition verliesse, sondern
auch dasjenige aufgäbe, was in allen sonstigen Niobidenstatuen eine so be-
sondere Quelle von Schönheiten geworden ist. Schorn macht ferner mit
Recht darauf aufmerksam, dass ,,eine süsse Ruhe und Behaglichkeit in allen
Theilen herrscht, die an einen Amor erinnere, oder an einen Hyakinthos
denken lasse , dass das Convulsivische , den höchsten Affekt Verrathende,
das sonst allen Niobidensöhnen zukomme, hier gerade fehle". Das ist ge-
wiss richtig ; jener Sturm, der gleichsam durch die ganze Kinderreihe hin-
]) Die einzige Ausnahme findet sich auf dem etruskischen Sarkophag bei einer hinsin-
kenden Tochter (Taf. IX, 2 ; S. 20] .), aber auch da würde eine genaue Untersuchung auf dem
Hoden oder an der dahinterstehenden Figur wohl noch eine Andeutung des herabgesunke-
nen Gewandes finden.
Stark, Niobc. 17
258 Zweites Kapitel.
durchbraust, der sie in lebhafteste Bewegung der Flucht gesetzt hat, der auch
in den eben betrachteten zusammenbrechenden Gestalten sich im Reflex, im
convulsivischen Widerstand offenbart, er berührt diesen Körper nicht. Dieser
durchgreifende Unterschied tritt recht grell hervor, wenn wir den sogenann-
ten Narciss und diese Statue nebeneinander stellen, die für den oberfläch-
lichen Betrachter so gut als Gegenstücke zu passen scheinen. Welch innere,
feste, widerstrebende Haltung ist in jenem zum Tode Verwundeten, welche
Hingabe in diesem noch ganz Unverletzten an die bedrohende Persönlich-
keit ! Auch die Alterstufe ist eine sehr verschiedene, der sogenannte IlioneuF
ist noch jünger als der vom Pädagog geschützte Niobide.
Der letzte Hauptpunkt spricht auch entschieden gegen eine Darstellung
des Troilos, der in jagender Hast auf dem Rosse verfolgt, herabgerissen, zum
Altar sich flüchtend an den Haaren von dem mörderischen Feinde gefasst,
hingeschlachtet wird trotz alles Widers trebens. Das Bild des rührendsten
kindlichen, wehrlosen Flehens um Abwendung der Vernichtung, der Todes-
gefahr ist hier ausgeprägt, keine vorausgehende längere Flucht, kein An-
streben gegen einen wohlgekannten, wenn auch noch so übermächtigen
Feind. Man wird gewiss mit Wieseler sehr dazu sich getrieben fühlen, die-
sen Flehenden, in sich so Wehrlosen an geheiligter, geschützter Stelle, an
einem Altar, vor allem am Altarheerd des Hauses in die Kniec gesunken zu
denken. Er betet nicht überhaupt zu den Göttern, wie dies der ovidische
Ilioneus thut, welcher alle mit gehobenen Händen anruft, er betet überhaupt
nicht, nein, er bittet flehentlich eine gegenwärtig, sichtbar gedachte Persön-
lichkeit.
Soll ich noch weiter gehen und diese nennen, die er wohl anfleht ? Nun
es sei gewagt, hier ohne lange Begründung meine Deutung auszusprechen.
Es ist der gewaltige, vom Wahnsinn ergriffene, mit den Geschossen bedro-
hende Vater, es ist der rasende Herakles, zu dem der zum Altar geflüchtete
Sohn auf den Knieen um Schonung fleht. Die Schilderung des Euripides
giebt uns dies Motiv unmittelbar an die Hand. Der zweite der Söhne ist
wie ein Vogel an den Altar des Zeus Herkeios hin gescheucht; als er den
Vater das Geschoss auf sich richtend sieht, da kommt er ihm zuvor, fallt ihm
zu Füssen, reckt Hand und Hals nach dem Kinn des Vaters :
„o Liebster, spricht er, Vater wirst mich tödten nicht,
Dein bin ich ja, Dein Kind, nicht des Eurystheus Sohn."
Doch der Vater mit Gorgonenblick schwingt die Keule wie einen Hammer
über dem Haupt und lässt sie auf des Kindes Haupt sinken, die Glieder
zerschmetternd ') .
1) Hercul für. 960 ff. ; besonders 964 :
ulXog d^ ßtafibv OQvig a>g ÜnTrj? vno;
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 359
e. Die Ringergruppe von Florenz. Niobidenköpfe.
Die Geschichte der Auffindung der mediceischen Niobidengruppe hat
uns die Entdeckung der Lotta, der zwei auf dem Erdboden Ringenden an
demselben Orte und um dieselbe Zeit gezeigt, aber eben so entschieden, dass
sie von den Niobiden getrennt und besonders gefunden, besonders im Preise
behandelt wurden. Wie viel früher sie als die andern Statuen nach Floren«
gewandert sind, haben wir ebenfalls gezeigt. Ebenso erfuhren wir ja auch,
dass eine der berühmtesten Statuen des gymnastischen Lebens, der Diskobo-
los in derselben Villa Massimi Palombara später gefunden wurde, den zu
Niobiden zu rechnen man nie gedacht hat.
Trotzdem ist die Ringergruppe durch die Ergänzer und in den Abbil-
dungen zu Niobiden alsbald gestempelt worden. Wenn Winkelmann1) die-
selben unter der Benennung Söhne der Niobe in einem seltenen Kupferstich
vom J. 1557 gesehen haben will und dabei auf die Aehnlichkeit des Stiles
mit den Niobiden, besonders in den Köpfen resp. auch den Haaren aufmerk-
sam macht, so hat er sich entschieden in der Jahreszahl geirrt. Er spricht an
einer anderen Stelle2) von dem vor der Ausbesserung gestochenen Kupfer
dieser Figuren. Dies ist der Stich bei Cavalleriis (Taf. 11), wo sie bereits
Niobiden genannt sind : hier fehlen die Köpfe, die Unterbeine und ein Theil
der Arme. Ergänzt finden wir sie dann bei Perrier8), Ulrich Kraus4) und in
den andern Abbildungen5). In neuerer Zeit war es wohl nur Martin Wagner,
der sie in einer gewissen Bizarrerie zu den Niobiden zählte und sie in der
Mitte der Sehne des von ihm zur Aufstellung gewählten Kreisbogens aufge-
stellt wissen wollte. Von Feuerbach8) hören wir jedoch, dass man auch
daran dachte, sie in eine Ecke des vorausgesetzten Giebelfeldes zu stellen.
974 ff. : aXXy <T incT/f Tof og *p<fl ßtophtv
tmnZt xQr\nW% mg XtXtjd-frai <foxm>.
if&dvei cT 6 rirj/uMV yovaai nQoantoiüv nurgog
xul 7tQog ytvuov %fi(/tt x«' fVpiji' ßaXatv
ta tfCXzaf, av$t$, ^J?/u* anoxTtCvyg narfQ.
(Sog ttfti abg natg, ol rbv EvQvafritag 6XfTg.
6 cT ayQiwnby ofi/ua FoQyorog OTQ&fiov
tag frrbg fOTff mag XuyQou To£(Vfi(trog
^vdQ0XTvn(or fi (pr^t vkIq xi'tQtt ftuXwr
%vXov xa&rjxi naidog ttg £uvO-w xa(ta
(QQriSe J" oora.
1) Geschichte d. Kunst B. IX. 2. § 2S.
2) Denkm. d. alt. Kunst. Erklär, zu Taf. s9.
3) Segm. nobil. stat. t. 35. 36.
4) Signor. veter. icones t. 9. 10.
5) Mus. Florent. III. t. 73. 74; Zannoni R. G. ser. IV. vol. 3. t. 121. 122; Clarac pi.
858 A. n. 2176; Wicar tableaux statues etc. de la gal. de Flor. I. pl. 61 ; Müller- Wieseler
D. A. K. I. Taf. 36. n. 149.
6) Der vatikanische Apollo. S. 229.
17*
260 Zweites Kapitel.
Es bedarf meinerseits keiner Ausführung-, dass die Ringer nicht zu den
Niobiden gehört haben. Alles was gegen Ilioneus zu erinnern war, trifft hier
in erhöhtem Maasse zu : die Bestimmung von allen Seiten betrachtet zu wer-
den, in der Mitte eines gleichmässig von allen Seiten zugänglichen Raumes
zu stehen, die gänzliche Gewandlosigkeit, endlich der Mangel nicht allein
jeder Sturmeseile, jeder nach Aussen gewendeten pathetischen Ergriffenheit.
Diese Gestalten sind gänzlich mit sich beschäftigt, in der grössten körper-
lichen Verschlingung, im Höhepunkt der körperlichen Anstrengung und
der dieser entsprechenden geistigen Erregung, aber es ist nichts Transcen-
dentes, nichts von sittlichem Conflikt, nichts von tragischer Stimmung darin
zu entdecken. So herrlich sie als Glieder der griechischen Falästra erschei-
nen , so gänzlich unpassend sind sie unter den Niobekindern. Und auch
selbst die Schilderung Ovids, welche sichtlich auf diese Deutung einen so
grossen Einfluss geübt hat1), trifft mit der Gruppe durchaus nicht zu; dort
bei dem Dichter erfolgt das gemeinsame Sinken der eben im Ringen sich
umschlingenden infolge des beide durchdringenden Pfeiles, hier haben wir
von dem gemeinsamen Tode keine Spur, sondern eine bestimmte Art des
Ringens, das Ringen am Boden (ällvdyoig, xvliaig) .
Von Interesse für uns bleiben die K ö p f e , welche nicht also mit den
Körpern zusammengefunden wurden, sondern erst aufgesetzt. Sie gehören
in der That in den Bereich der Niobidenbildung, nur fragt es sich, ob sie
modern oder antik sind. Das Erstere wird ohne Weiteres z. B. von Wiese-
ler2) angenommen, jedoch ist mir dasselbe bei der wiederholten Betrachtung
von Gypsabgüssen durchaus unwahrscheinlich erschienen. In Florenz selbst
wird der Kopf des Unterliegenden ohne alle Widerrede für antik gehalten,
der des Siegers für überarbeitet. Meyer3) hat über die Köpfe sich sehr ein-
gehend ausgesprochen, ihm sind sie auch entschieden antik, wenn auch über-
arbeitet, natürlich zum Zwecke der Anpassung an die Gruppe. Die Bildung
der Augen, des Stirnknochens, von Mund und Kinn, dann vor allem der
Haare stimmt sehr mit Niobidenköpfen, die Nasen sind ergänzt. Die rechte
Seite der Haare ist besonders fleissiger ausgearbeitet als Scheitel und linke
Seite. In dem Kopfe des Besiegten ist ein heftigerer Grad des Schmerzes,
besonders in der zusammengezogenen Stirne ausgeprägt, aber auch der an-
dere zeigt ein „stilles und erhabenes Leiden". Ich zweifle durchaus nicht
daran, dass wTir zwei Wiederholungen der Köpfe der fliehenden Söhne vor
uns haben, der eine mit dem Ausdruck heftiger Anstrengung auf der Stirne4).
Wir schliesscn hier gleich die Erwähnung der sonst noch bekannten
1) Metam. VI. 24Qff., oben S. 73.
2) D. A. K. I. S. 27.
3) Anmerk. 316 zu Winkelraann G. d. K. IX. 2. § 2S.
A) S. oben S. 244.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 261
Niobide n köpfe an. Auch sie liefern, wie die Köpfe der Niobe selbst und
die der Töchter, den JJeweis, in welcher Fülle die griechisch-römische Kunst
berühmte Originale in ganzen Statuenvereinen, einzelnen Statuen, endlich
Büsten reproducirt hat. Aus dem Vatican werden uns zwei jugendliche,
männliche Köpfe als im Niobidencharakter bezeichnet, einer im Museo Chia-
ramonti1), der andere in Belvedere, Tor dei Venti2). Li Berlin befindet
sich im Götter- und Heroensaal ein Kopf eines Niobiden aus älterem, im
Schloss einst befindlichem Kunstbesitz, von griechischem Marmor, flüchtiger
Arbeit des Haares, glattem Gesicht 3) . Ferner beschreibt Köhler*) zwei Köpfe
von Niobesöhnen in der kaiserlichen Sammlung von Sarskoe Selo, über
die, zunächst schon über deren jetzigen Aufenthaltsort uns jede neuere Kunde
fehlt. Ueber Marmor, Ort der Erhaltung, Grösse und Stil bleiben wir im
Dunkebi. Köhler nennt den einen Kopf das Bild eines kraftvollen, griechi-
schen Jünglings, der geübt ist im Gymnasion, mit Herakles Aehnlichkeit
hat, von dessen Ideal sich besonders im Untergesicht unterscheidet. Das
Oval des Gesichtes soll von grosser Schönheit sein, die Arbeit gefällig und
geschmackvoll. Der zweite Kopf steht um nichts nach, gehört einem jün-
geren, zarteren Jüngling. Endlich befindet sich in der Sammlung zu Ox-
ford ein Niobidenkopf, in welchem Welcker den des auf das Knie gefallenen
Niobiden erkannte5).
E. Der todte, ausgestreckt liegende Niobide.
Der Schluss des gewaltigen Dramas ist der Tod, der ausgleichende, da-
hinstreckende , Stille verbreitende. Wir haben von Stufe zu Stufe bei der
Betrachtung der Niobesöhne uns ihm genähert. In zwei unbezweifelt zur Ge-
sammteomposition gehörigen Werken empfanden wir bereits mit die Wir-
kung der Todeswunde, in beiden noch Widerstand, in dem einen mehr ein
sich Entgegenstemmen, in dem andern ein mühsames, edles sich Aufrecht-
erhalten. Der Kampf ist geendet, auf dem Boden ruht ausgespannt ein edler,
jugendlicher Körper, noch dient ihm die Chlamys zur Unterlage auf dem har-
ten Felsenbette, noch ruhen die Arme in der Lage der letzten, schützenden,
tastenden, nach Weitem, nach Stützpunkten strebenden Bewegung.
Drei Exemplare kommen für uns zur Vergleichung in Betracht, zwei
sicher, eines wahrscheinlich aus Rom stammend. Das Florentiner, zu-
gleich mit der Hauptzahl der Florentiner Gruppen gefunden, ein zweites in
1) Beschr. Roms II. 2. S. 74. n. 509.
2) beschr. Roms II. 2. S. 111. n. 772.
3) £. Gerhard Verz. d. Bildhauerw. Aufl. 35. 1S5S. n. 139. S. 52. Grösse 1 F. 4 Zoll.
Nach meiner Erinnerung der des in das eine Knie gesunkenen Sohnes s. oben B. b,
4) Gesammelte Schriften. VI. S. 11. 12.
5) Marmor. Oxon. t. 55.
262 Zweites Kapitel.
Dresden, aus der Sammlung Albani stammend, ein drittes, das vorzüg-
lichste von allen in der Münchner Sammlung aus dem Hause Bevilacqua
in Verona erworben.
Abbildungen: das Florentiner Exemplar Ca. 1. 15; Kraus t. 5 ; Fabroni fig. 3.
Zannoni Ser. IV. t. 1. pl. 2; Clarac pl. 580. n. 1269; MW. t. XXXIV. n. 142 B.g\
AVelcker n. 16 ; Overbeck Fig. 69. n ; unsere Tafel XIII. 2. Die Münchner Statue ist
allein gezeichnet bei Clarac pl. 587. n. 1279. Die Dresdener bei Leplat pl. 217; Au-
gusteum Taf. 32; Clarac pl. 5S7. n. 116S.
G r ö 8 s e : die Florentiner Statue lang 1 ,587 Meter ; die Münchner 5 F. 6 Zoll ; die
Dresdener 6 F. 6 Z.
Ergänzungen: an der Florentiner neu rechter Arm bis zur Schulter, rechter Fuss
bis über das Gelenk, vier Zehen am linken Fuss, die Geschlechtstheile, Haupttheil der
Basis mit Gewand. An der Münchner neu die rechte Hand, der rechte Fuss von der
Wade an, der linke Vorderfuss, der vordere Theil der Basis sammt dem ihn bedecken-
den Gewand. An der Dresdener der linke Oberarm alt, von dem rechten Oberarm
nur der Ansatz ; das linke Bein unter dem Knie neu, am rechten Bein schon Theil des
Oberschenkels neu (nach eigener Untersuchung). *
Marmor: nur der des Münchner Exemplars ist entschieden griechisch. Die A r-
b eit an dem Florentiner zeigt Härte, Frostiges, Steifes, die des Münchners ist vor-
trefflich ; die Haare des zurückliegenden Kopfes sind aber nur angelegt und hängen
noch roh mit dem übrigen Block zusammen ; an der Dresdener ist die Arbeit in der
Gewandung und auf der ganzen rechten Seite auffallend stumpf, überhaupt die Statue
nur von der linken Seite zu sehen, von der rechten erscheint der vordere Theil, wie das
Gesicht geradezu carrikaturartig.
Wir haben uns zunächst darüber klar zu werden, für welchen Stand-
punkt des Beschauers ist dieser liegende Niobide gearbeitet? An dem Dres-
dener Exemplar zeigt die Arbeit, dass dasselbe nur von Einer Seite betrachtet
werden konnte und zwar von der linken, dass die andere also ganz unzu-
gänglich sein musste. Uebrigens ist die Leiche ganz auf den Rücken gelegt.
Dies ist bei dem Münchner, dem bestgearbeiteten Exemplar nicht der Fall,
im Gegentheil haben wir hier allerdings eine etwas schräge Lage nach der
einen Seite zu constatiren, so dass nach dieser eine reichere Entfaltung der
Körperformen eintritt, wenn auch die andere wohl ausgearbeitet ist. Es er-
giebt sich daraus, dass wir nicht uns diesen Niobiden für die Mitte eines
Raumes, oder auch nur für einen von allen Seiten gleich zugänglichen Platz
bestimmt denken können, sondern auch hier die Breitenausdehnung und ein
architektonischer Hintergrund für den Künstler bestimmend war. Weiter
ist aber nach der Höhe oder Tiefe des Standpunktes des Beschauers zu fra-
gen : hier ist nun eben so sehr ein ganz niedriger wie ein hoher abzuweisen.
Man versuche es nur unmittelbar vor den Originalen in Dresden, München,
Florenz möglichst tief unmittelbar von 'der Erde aus dieselben zu beschauen :
gerade die entwickeltsten, schönsten Theile des Körpers verschwinden gänz-
lich, nur die Unterhöhlungen treten hervor, die den Körper vom Gewand
loslösenden Linien, endlich in höchst greller Weise das leere Dreieck, wel-
ches die in scharfem Winkel angezogenen Beine bilden. In viel höherem
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 263
Maass ist dies noch der Fall, wenn wir diese Statue hoch oben, also etwa
in ein Giebelfeld uns gestellt denken. Ebensowenig aber ist eine Beschauung
entschieden von oben herab auf ein vor und unter unseren Augen liegendes
Objekt die richtige. Abgesehen von der Frage nach einem durchgehenden den
Beschauer etwas überragenden Aufstellungsorte für alle Glieder der Gruppe,
ist auch speciell zu sagen, dass der liegende Niobide auch nicht einen tiefen
Einschnitt in die ganze Liniencntwickelung gebildet haben kann, sondern der
Höhe der anderen, zunächst der zusammensinkenden näher gebracht war. Dies
aber geschah wohl einfach durch die Felsunterlage, deren oberste Platte uns
ja noch zum Theil erhalten ist. Wir besitzen in dem Relief Campana aber
ein zweifaches interessantes Beispiel, wie ein Künstler trefflich die felsige
Unterlage zur Hebung niedergestreckter Gestalten und darin zur Herstel-
lung einer ästhetisch sehr wirksamen Linienführung benutzen konnte.
Treten wir nun an die Gestalt selbst näher heran. Der Mittelkörper
ruht auf der Höhe des Felsenlagers, das Haupt ist zurück und etwas nach
rechts gesenkt, an dem Haare dadurch auch ein Zurückfallen bewirkt, eben
so ruhen die Füsse auf einem tieferen Stützpunkt. Der rechte Arm ist zu-
rück über den Kopf gedreht, wie tastend und schützend über sich ausgrei-
fend, während der linke eng an den Körper sich anschliesst, die Todeswunde
deckend, die linke Hand auf der Mitte derselben, auf der Zwerchfellgegend
ruht. Das rechte Unterbein ist über das linke geschlagen und wird so von
demselben Stützpunkt gehalten. In dieser Motivirung der Arme und Beine
ist wieder ein feiner Chiasmus durchgeführt und doch zugleich die lang-
streckende Todesmacht ausgeprägt. Der Körper tritt in völliger Nacktheit
auf der Gewandunterlage hervor, der einzige unter allen Statuen der Gruppe.
Gerade hierin macht sich eine treffliche Stufenreihe der Motive geltend ; bis-
her waren immer noch einzelne Theile vom Gewand umschlungen, hier der
Todte ist jeder Umhüllung baar, aber er ruht doch noch auf dem Gewände
als weicher Unterlage; es ist als ob die ganze Schönheit der Niobekinder
nun gerade an dem bereits dem Tode Verfallenen mit aller Macht zu Tage
treten sollte. In der That ist der Münchner Niobide von herrlich zarter und
lebendiger Ausführung des in schönen Verhältnissen gebildeten Körpers; er
zeigt auch nicht die Todeswunde selbst, welche an dem Florentiner Exemplar
auf der Brust sehr bestimmt angegeben ist. Der Kopf ist an ihm mit beson-
derer Vollendung gearbeitet, der Ausdruck des Gesichtes ist ein vortrefflicher.
„In dem krampfhaft lächelnden Munde, in den gebrochenen Augen ist der
Schmerz des Sterbenden ausgedrückt, jedoch ohne die mindeste Verzerrung"
(Schorn). So sehen wir in diesem edeln Todten noch nicht das blosse Objekt für
anderer Trauer oder Verteidigung , sondern noch durchzucken die letzten
Regungen des tragischen Confliktes den soeben ersterbenden Sohn derNiobe.
264 Zweites Kapitel.
F. Zwei fliehende Töchter, in ihrer Zugehörigkeit
unbestritten.
Abbildungen: Ca. t. IS. 19; J. J. Bubeis t. 65; Perrier t. 59. 60; Bischop
sign. vet. ic. t. 33; Ulr. Kraus t. 14; F. fig. 12. 13; Z. 10. 13; M. Abbild, z. Kunstg.
Taf.22. B. C; MW. t.Ä; Cl. pl. 5S2. n. 1257. 125S; W. 6. 7; unsere Taf. XV. 7. 8.
Ergänzungen: an Figur 7 modern der rechte Arm bis auf einen kleinen, die
Richtung bestimmenden Theil an der Schulter; wie viel von dem gehaltenen Gewand-
zipfel auf dem Kücken, ist mir unbekannt ; neu ferner linke Hand und Theil des Un-
terarms mit dem darüber hängenden Gewandtheil ; der linke Fuss von oberhalb des
Knöchels an, am rechten Fuss die Zehen, unteres Ende des Unterkleides beschädigt,
ebenso das Profil, in dem Nase und Oberlippe neu sind.
An Figur S neu der rechte Arm vom unteren Ende des Deltamuskels an mit
dem von der rechten Hand gefassten Stück Gewand, der linke Arm von oberhalb des
Ellenbogens beim Aufhören des Gewandes mit Stück des gehaltenen Gewandzipfels,
Theil des Halses und des Busens, die entblösstenTheilederFüsse. Kopf wohl erhalten.
Grösse: von Figur 7 mit Basis J ,722 Meter, ohne Basis 1,585 M.; von Figur 8
mit Basis 1,7SS M., ohne Basis 1,613 M.
Zwei jungfräuliche Gestalten treten uns hier entgegen, beide in gleicher
Richtung nach ihrer linken Seite hin bewegt, beide ausschreitend, die Arme
einer jeden verschieden, bei beiden in schräg correspondirender Weise moti-
virt, beide im langen, der Bewegung folgenden Chiton und geschwungenen
Himation, beide in ähnlich geistiger Erregung und doch wieder so verschie-
den. Die etwas grössere und reifere unter ihnen (Fig. 8) ist im Moment
schmerzvollen Erlahmens in der Flucht aufgefasst. Schon in den unteren
Extremitäten ist eine die vorwärtsgehende Bewegung hemmende, die Kraft
des Ausschreitens in den Knieen gleichsam lösende Macht ausgeprägt, wäh-
rend der Mittelkörper mehr mechanisch dem Schwünge nach vornhin folgt ;
in dem zurücksinkenden und dabei mehr noch en face sich drehenden Kopfe
mit schmerzvollem Ausdrucke, in dem tief herabsinkenden rechten Arme, dem
in schärfster Wendung nach dem Nacken zurückfahrenden , den Gewand-
zipfel haltenden, frei hebenden linken Arm ist endlich die volle Ausprägung
des körperlichen und geistigen Vorganges gegeben.
Eine Verwundung zum Tode im Nacken hemmt die fliehende Gestalt.
Der Kopf, wohlerhalten, ist von ergreifendem Ausdrucke des Schmerzes in
der scharf gezogenen Stirnlinie , den zusammengezogenen Hauttheilen auf
derselben, den tiefeingesenkten Augen, dem geöffneten Mund, den hinauf-
gezogenen Lippen und doch noch von jungfräulicher Reinheit und Schönheit,
besonders in der feinen Stirnbegränzung mit dem gewellten, hinten in ein
umschliessendes Tuch (xexQvcpaXog, odxxog) eingesteckten Haar, so wie in
den Flächen der Wangen und Bildung des Kinnes. Der Schmerz ist noch
schärfer ausgeprägt, als in der Mutter, aber ein Schmerz um die eigene Exi-
stenz, zugleich mehr Hingabe an denselben. Um so mehr Erbarmen und
Rührung weckt er im Beschauer, weshalb ja dieser Kopf in der Schule Guido
Renis besonders studirt ward. Der ärmellose Chiton ist unter der Brust
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 265
mit einem Band zusammengehalten, um das ausschreitende linke Bein legt
er sich fast platt an, während er in Falten schräg um das nachgesetzte, sich
hebende rechte Bein vorwärts zieht. Die Brust, in deren Mitte der Chiton sich
senkt, und der Leib sind trefflich behandelt. Das Obergewand fällt mit dem
einen faltig umgeschlagenen Ende über den linken Oberschenkel, wird von
der rechten gesenkten Hand berührt, zieht sich dann auf dem Bücken schräg
empor, um von der linken Hand gehoben mit seinem anderen Endzipfel
über den linken Oberarm zu fallen. Unverkennbar ist in der Gesammtmo-
tivirung der Gestalt viel Aehnliches mit Niobe selbst und doch in der Wir-
kung etwas durchaus Verschiedenes , gegenüber dem auf einander sich auf-
bauenden Reichthum und der Grösse der Empfindungen etwas sehr Einfaches
und Naives ; wir möchten sagen, es tönt unter den gewaltigen Lauten, die
dort zusammen einen herrlichen Mollakkord bilden, nur ein einziger hier
laut und vernehmlich fort, aber auf einem anderen, feineren Instrument.
Gehen wir nun zu der zweiten fliehenden Tochter weiter, die wir
von vorn herein als parallele Erscheinung unter den Florentiner Statuen hin-
stellten. Wir besitzen von ihr durch ein günstiges Geschick noch eine Wie-
derholung und zwar im trefflichsten, das Florentiner Exemplar weit überragen-
den Stile und Materiale entschieden griechischen Marmors, wesentlich glei-
cher Grösse (7 Palmen 6 Zoll mit Basis) und einzelnen bemerkenswerthen
Abweichungen. Der herrliche Torso befindet sich jetzt in der langen Galerie
des Museo Chiaramonti im Vatikan und ward aus dem päbstliehen öarten
des Quirinal dahin versetzt ; wir gedachten schon früher der Bildung der dor-
tigen Sammlung durch Cardinal Ippolito von Este im sechszehnten Jahrhun
dert und der Villa Hadriana als einer Hauptrundstätte für dieselbe ') . Wag-
ner2) und Gerhard8) machten auf sie aufmerksam und fassten^sie frühem
Namen als Diana, Ariadne u. dgl. gegenüber mit Bestimmtheit als Niobiden,
was jedem, der die florentiner Statue kennt und vergleicht, gar keinem Zweifel
unterliegt. Als Niobe, nicht als Niobide ist sie im Museo Chiaramonti4) gut
publicirt, während im Musee de sculpture von Clarac als Diana eine leichte
Skizze zuerst von ihr gegeben ward5). Wir haben auf Taf. XII nach einer
guten Photographie vom Original eine ausgeführte Darstellung gegeben, da
sie wenn irgend eine Niobidenstatue von der schwungvollen , meisterhaften
Darstellung des einstigen Originals eine Anschauung giebt. Welcker9) und
Emil Braun7) haben länger bei ihrer Besprechung verweilt; der letztere
1) S. S. 223.
2) Kunstbl. 1830. n. 52. 8. 207.
3) Beschreibung Roms I. S. 288, II. 2. S. 50.
4) II. 37.
5) PI. 578. n. 1245.
6) D. A. K. S. 228 f., dann noch einmal Rh. Mus. N.F. IX. S. 275.
7) Ruinen und Museen Roms 8. 266 f.
266 Zweites Kapitel.
macht hier vor allen darauf aufmerksam, wie das Werk so nur in Marmor
gedacht und ausgeführt sein könne ; das Durchleuchten des Marmors an den
fast freischwebenden Theilen des Gewandes sei vom Künstler unmittelbar
mit gedacht und berechnet. Wichtig ist, dass die Plinthe uns grossentheüs
erhalten ist und sie durchaus auf eine Längenausdehnung berechnet ist, die
Vorderseite ist mit feinem Rundstab, Hohlkehle, Abakus gegliedert; die
schmalen Seiten sind abgebrochen und dann abgerundet. Auch die Rück-
seite der Statue mit dem segeiförmig gewölbten Gewand weist auf eine Auf*
Stellung an einer Fläche oder in einer Nische hin. Ganz dieselbe Erschei-
nung, die wir bei Niobe, beim Pädagogen von Soissons fanden.
Eile, Flucht aus der Todesgefahr zu einem Rettungshafen, betäubtes Vor-
wärtsstreben mitten im sausenden Sturm, das ist in dieser Gestalt ausgeprägt.
Wie fest und glatt setzt sich der mit starken Sandalen ausgerüstete Fuss des
linken vorwärtsstrebenden Beines ausschreitend auf den Boden, wie kräftig
erhebt sich der rechte zurückgebliebene Fuss vom Boden ! Wie wühlt sich
der Wind in das weite, zu den Füssen herabreichende Untergewand, dessen
Falten die Gesammtbewegung vervielfältigt wiederspiegeln ! In diesen kön-
nen wir so recht die Vorzüglichkeit der vatikanischen Statue vergleichend
erkennen. Während der Verfertiger der florentiner Statue darnach strebte,
einen dünneren und zugleich steiferen Stoff in einer Fülle scharfer, feiner,
paralleler Brüche darzustellen und dadurch entschieden den Gesammtein-
druck der Bewegung beeinträchtigt, ihn zu sehr zerspaltet, hat der Meister
des vatikanischen Torso dem Stoffe den Charakter der Stärke und der Ela-
sticität gegeben und wirkt durch grosse Massen und durch eine freie und
kühne Behandlung der aus der Tiefe herausquellenden Falten. Damit stimmt
es nun auch, wenn über den Füssen sich dort das Gewand in berechnet zier-
licher Weise scharf bauschig in die Höhe geschoben hat und dadurch die-
selben aus der ganzen unteren Masse übermässig heraustreten lässt, während
hier dagegen auch dieser Theil nur im Zusammenhange des ganzen Falten-
wurfs behandelt ist.
Die Mitte des Körpers wird in beiden Statuen durch den breit horizontal
wogenartig flatternden Peplos markirt. Auf dem gesenkten und zugleich der
Gesammtbewegung gemäss vorwärts gestreckten linken Arm ruht Anfang
und Ende des um den Oberkörper geschwungenen Obergewandes. In ge-
schwungenen Massen folgt der Anfang desselben dem Körper und das Ende
ist zuletzt eng um den Körper gezogen und fällt als schwerer von Luft erfüllter
Zipfel senkrecht über der Handwurzel herab. Verschieden ist der um den
Rücken gezogene Theil des Gewandes in beiden Statuen aufgefasst: in der
vatikanischen flattert dasselbe über der rechten Schulter in weiten Aushöh-
lungen rückwärts und der rechte Arm, von dem der Anfang uns erhalten ist,
wesentlich wagrecht und etwas nach vorn gestreckt, hielt segelartig die äus-
serte Spitze. Der allerdings ganz ergänzte Arm der Florentiner Statue fahrt
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 267
dagegen zurück über die Schulter und fasst hier nur einen Gewandzipfel,
ähnlich wie Artemis in berühmten Statuen nach dem Pfeil greift. Ob hier
die antiken Theile des Gewandes nicht auch, wenn gleich in viel beschränk*
terem Maasse auf ein Wehen des Gewandes schliessen lassen, wäre näher zu
untersuchen.
Diese Verschiedenheit der Motivirung des Peplos hängt aber weiter mit
einer durchgreifenden Verschiedenheit des Oberkörpers zusammen. In der
Florentiner Statue folgt derselbe durchaus der Bewegung nach links und so
ist der Kopf für den Beschauer von vorn ganz in Profil gestellt, dagegen in
der vatikanischen ist eine entschiedene Drehung nach vorn erfolgt : es zeigt
sich das in der Hebung der linken Schulter gegenüber der Senkung dort, in
der Sichtung des linken Armes nach vorn, in der weiten horizontalen Aus*
Spannung des rechten Armes, in den Ansätzen zum Hals, die Nibby unrich-
tig auf ein Rückwärtswenden des Kopfes bezogen hat, die der Wendung en
face zukommen. Es lässt sich nicht verkennen, dass dadurch die ganze Ge-
stalt breiter, für sich selbständiger wird und mehr auf sich eine verweilende
Betrachtung concentrirt. Damit stimmt es, dass der ganze Körperbau, be-
sonders auch die Brustbildung ein vollerer, reiferer ist. Und es wird dem
Beschauer nicht allein das Bild eiliger Flucht, sondern eines Momentes be-
trübten Innehaltens im Kampfe zugleich mit dem Sturme gegeben. \Vir
werden dabei an einzelne Niobiden auf den Reliefs und besonders an jenen
schönen Wiener Cameo oder vielmehr Gefässbruchstück erinnert.
Ich mache noch auf die Detailverschiedenheit in der Behandlung des
Chiton am Oberkörper aufmerksam. Hier wie dort ist derselbe unmittelbar
unter der Brust durch ein Band gegürtet. Dazu kommen aber noch bei dem
Florentiner Exemplar zwei Schulterbänder, die scharf unter der Schulter ein-
schneiden und das eine über dem nackten Nacken sich spannt, indem von der
linken Schulter das Gewand sich etwas gesenkt hat. Ob diese Bänder, die
wir ja bei Niken und bei Iris besonders häufig finden , dazu dienen, zugleich
die Aermel festzuhalten, welche hier vom Chiton getrennt gebildet sind und
eng anliegend — so zeigt es doch der antike Theil des linken Unterarmes —
die Arme bedeckten, ist eine weitere Frage. Die vatikanische Statue hat
auch Aermel, aber durchaus im Zusammenhang mit dem Chiton und nur für
die Oberarme ; in trefflichen Falten hängt der eine derselben weit vom linken
Oberarm herab.
Die Bewegung der Hände ist uns bei beiden Statuen nicht mehr erhal-
ten. Dass die linke Hand gehoben war, geht mit Sicherheit aus den antiken
Armtheilen hervor, dass sie geöffnet war mit ihrer innern Seite, entspricht
dem Motive des Schreckens und der Eile. Die Niobidenreliefs, jener Wiener
Cameo, die Darstellungen flüchtender Nymphen, z. B. beim Raube der Orei-
thyia geben dafür Belege. Ueber die rechte Hand sprachen wir bereits, sie
hat auch in der vatikanischen Statue das Gewand, nur weiter hinaus gehalten.
268 Zweites Kapitel.
Der Kopf ist uns nur von der Florentiner Statue erhalten ; wie sehr er
gelitten hat, haben wir schon erwähnt, überhaupt hat er die feine Individuali-
sirung dabei verloren. Zur Seite und etwas aufwärts gestellt, mit feinem ge-
welltem, von einem Band durchzogenem, hinten wohl aufgebundenem Haar,
spricht er die Familienähnlichkeit mit der Mutter, mit den Brüdern einfach
und bestimmt aus ; er nähert sich am meisten dem Venusideal und giebt uns
ein edeles Durchschnittsbild der Niobe und Niobidenköpfe. Von der Seelen-
grosse der Mutter im geistigen Kampf, von der Ausprägung des vollen, be-
sonders leiblichen Schmerzes in der Schwester unterscheidet sich dieses fra-
gende Zagen, dieser Hinblick auf einen rettenden Mittelpunkt sehr bestimmt.
Dass der Kopf der vatikanischen Statue bedeutender, geisterfullter, indivi-
dueller gewesen sein wird, ist aus dem Stile des Erhaltenen gewiss zu folgern.
Von diesen zwei Florentiner Niobidenköpfen und dem der Mutter aus
müssen wir das Kriterium für die zahlreich sich findenden einzelnen weiblichen
Niobidenköpfe entnehmen, welche in den Samminngen zerstreut sind und
wahrscheinlich nicht unbedeutend zu vermehren wären, aber vor allem jeder
einzeln einer Prüfung unterworfen werden müssten. Bei der Uebersicht über
die Niobeköpfe haben wir bereits oben zwei des Louvre als Niobiden zu-
gehörig erkannt. In Rom hat der Va(ikan und zwar das Museo Chiara-
monti zwei solche aufzuweisen, über die mir aber einfe nähere Charakteristik
fehlt*} : vielleicht kommen zwei andere noch hinzu, ein weiblicher Kopf
„dessen Ausdruck an eine Niobide erinnert"1), ein anderer in einem Zimmer
der Tor de' Venti, „vielleicht eine Niobide"*;. In der älteren nach Paris
gewanderten Sammlung der Villa Borghese rühmt Meyer zwei schöne
Köpfe, davon einer einem Torso einer Hekate oder Diana aufgesetzt war, der
andere einer Büste mit vielen gekräuselten Falten ; er sah in ihr Copien spe-
ciell seiner zweiten Tochter, die wir noch nicht betrachtet haben, da sie nicht
ohne Weiteres als solche anzuerkennen ist. Die eine ist wohl der in den Soul-
ture del palazzo della Villa Pinciana4) veröffentliche Kopf, und beide haben
wir im Louvre wieder zu suchen, wo wir schon auf schöne Köpfe im Niobi-
dencharakter aufmerksam machten9) und einen rsals Nymphe bezeichneten
Kopf*) antreffen, der in derThat mit jenem Niobidenkopf zu Florenz die ent-
schiedenste Aehnlichkeit hat. Auch einen weiblichen Kopf des Museum
Kircherianum7) müssen wir hier anfuhren, der als Bacchantin bezeichnet
1) Gerhard in Beschr. Roms II. 2. 8. 71. n. 502 ; 8. 82. n. 667.
2) Betchr. Roms II. 2. S. 74. n. 555.
3) A. a.0. S. 112. n. 827.
4) Rom 1796. St. V. t. 13. Leider ist mir dieses Werk nicht iur Uand gewesen.
5) S. oben S. 233.
6} Clarac pl. 1096. n. 2693 B.
7) Mus. Kirch erian. ed. Phil. Bonanni. 1709 Rom. t. XI. n. 4.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 269
wird, aber dem Kopf der zweiten fliehenden Tochter ganz entspricht. Erhalten
ist ausser dem Kopf noch Hals und ein Stück der entblössten linken Schulter,
was also auch mit der Florentiner Statue stimmen würde. Der Kopf ist etwas
aufwärts und schräg gewendet, der Mund geöffnet, die Augen nach oben ge-
richtet; im zurückgestrichenen Haar zieht sich eine Binde, die Haarenden flat-
tern in lebhafter Bewegung nach hinten; an den Ohren sind Ohrringe er-
halten. Der Ausdruck heftiger, geistiger, schmerzlicher Bewegung, körper-
licher Eile ist in dem Gesicht gegeben. Zu einer Bacchantin fehlt sonst jedes
weitere Kennzeichen, wie Auflösung des Haares, wenn auch die Stimmung als
eine verwandte zu bezeichnen ist.
Ausserhalb Rom bietet Berlin zwei sichere und theilweis ausgezeichnete
Köpfe weiblicher Niobiden dar. Einer von griechischem Marmor1) , mit Theil
der Büste, als Fragment einer Statue, dadurch sich sicher erweisend, wie dies
bei den meisten Köpfen zu vermuthen ist, früher im Schlosse zu Berlin, jetzt
im Hauptsaal der Antiken des alten Museums ziemlich versteckt aufgestellt,
leider an Nase , Mund und Kinn verletzt und ergänzt , aber sonst vom Zauber
acht griechischer Schönheit übergössen; er gehört zu einer der den Kopf
schmerzhaft zurückbiegenden Tochter (unserer N. 8 auf Tafel XV, h bei Müller)
entsprechenden Statue; er übt auf den aufmerksamen Betrachter einen immer
grössern Zauber aus und verdiente eine Publikation. Der zweite2) Kopf, eben-
daselbst , aus dem Charlottenburger Schloss stammend , ist bedeutend grösser,
auf einer modernen Büste aufgesetzt, mit einer Biegung nach Hechts, abge-
stossener Nase, geöffnetem Munde, schmerzlichem Ausdrucke der Augen, die
Haare hinten in einen Schopf zusammengefasst , also im Wesentlichen auch
derselben Figur wie der erste entsprechend, aber von ungleich geringerem
Kunstwerth, eine römische Arbeit. In Dresden begegnet uns ein in seinem
Material sehr auffälliger weiblicher Niobidenkopf, er ist von Bronze und auf
ein Bruststück von Kalksinter gesetzt, gehörte also zu einer Bronzestatue8).'
Wir lernten schon oben eine kleinere Bronzenachbildung des Pädagogen ken-
nen, hier aber sehen wir eine Reproduktion einer ursprünglich in Marmor aus-
geführten, für den Marmor wenigstens in den Hauptgestalten ganz berechneten
Composition in dem schärferen und sprödem Material in Lebensgrösse. Ich
erinnere an die Darstellung der Bronzegestalten und an die Dreifüsse der pom-
pejanischen Bilder. Ein rechter Beweis , mit welcher Vorliebe man die ein-
zelnen Niobiden für die verschiedensten Lokalitäten und in verschiedenem Ma-
il Berl. Antik. S. 135. No. 405 ; Gerhard Verz. der Bildhauerw. 1858 S. 13. II. n. 38.
Höhe 1' 1%". Friederichs (Praxiteles und die Niobegruppe S. 75) hebt ihn schon hervor.
2) Berl. Antik. S. 89. N. 138; E. Gerhard Verz. der Bildhauerw. S. 63. n. 237. Höhe
1' 5%".
3) Hase Verzeichn. d. alten u. neuen Bildw. zu Dresden. 1839. S. 39. n. 129; Hettner
Bildw. d. kön. Antik ensamml. 1856. S. 28. n. 116; im Augusteum Taf. XXXI abgebildet
aber mit verkehrter Wendung des Kopfes. Höhe 1 1 Zoll.
270 Zweites Kapitel.
terial reproducirte. Früher befanden sieb in der Nähe dieses Kopfes noch zwei
Niobidenköpfe, die aber als moderne Copien jetzt entfernt sind f) . Der Kopf
stammt auch aus Rom und ist von zierlicher, doch nicht ausgezeichneter Ar-
beit, er entspricht ebenfalls der Niobide n. 8 unserer Tafel, unterscheidet sich
aber durch noch jüngere Bildung, durch eine aus den aufgebundenen Haaren
sich ablösende, herabfallende Locke, auch sind die Augen eigen thümlich lang
gezogen.
Ueber die zwei Köpfe von Töchtern, die sich in der kaiserlichen Samm-
lung zu Sarskoe-Selo bei Petersburg Ende des vorigen Jahrhunderts mit
dem Kopf der Niobe befanden , sind wir auch ganz nur auf die fast enthusia-
stische , aber uns in Hauptpunkten im Dunkeln lassende Beschreibung Köh-
lers angewiesen , dessen Worte wir hier folgen lassen , da auch sie nach den
neusten, durch die Güte L. Stephanis mir gemachten Mittheilungen , nicht in
der kaiserlichen Sammlung der Eremitage sich befinden. Köhler sagt2) : »ein
anderes sehr schönes Werk ist der Kopf einer Tochter der Niobe und zwar
einer der schönsten aus ihrer Familie. Auch dieser Kopf besitzt unzweifelhafte
Vorzüge vor demjenigen, der sich auf der Florentiner Bildsäule dieser Tochter
(welcher?) befindet, welcher sehr beschädigt und an dem die Nase schlecht er-
gänzt ist. Der Kopf des hiesigen Museums ist sehr gut erhalten , der Marmor
etwas gelb geworden und die Oberfläche vom Verwittern etwas angegriffen,
der Marmor ist auf allen Seiten gleich und nur in etwas rauh geworden , so
hat keine Form von ihrer Schönheit verloren. Zeichnung und Ausfuhrung ist
an diesem Kopfe gleich trefflich, die Umrisse der Backen von ausserordentlich
reizenden Linien beschrieben.« Von dem zweiten Kopf sagt er: »Kopf einer
andern Tochter, auch sehr schön , aber dem vorigen nicht gleich zu schätzen ;
die Haare wie an dem florentiner Kopf (welchem?) gelegt, nur scheinen sie
etwas bestimmter ausgeführt.«
Wir stehen nicht an einen Marmorkopf des brittischen Museums in
London, welcher aus Rom stammt und unter dem Namen des Apollo Musagetes
oder einer Muse geht, mit Bestimmtheit einer Niobetochter zuzuschreiben, der
Text zu ihrer Abbildung *) kann nicht umhin die Aehnlichkeit mit dem Nio-
bidentypus zu erwähnen. Es ist eine Reproduction der zweiten fliehenden
Tochter (No. 7 unserer Tafel , i bei Müller) in einer grossartigeren Formbe-
handlung und trefflichstem Stile. Dafür spricht, abgesehen von den Gesammt-
umrissen, die etwas links und aufwärts gerichtete Biegung des Kopfes, der ge-
öffnete Mund, die wie ernst fragenden, weit geöffneten Augen, die einfach ge-
rollten, von den Wangen zurückgenommenen, in der Mitte gescheitelten, hin-
ten zierlich aufgebundenen Haare. Im schön geformten Kinn ist ein leichtes
1) Hase Verzeiohn. N. 39. t. 131. 132.
2) Gesammelte Schrift. VI. S. 11. 12.
3) Descript of anc. marbles in the Brit. Mus. Vol. X. t. 13.
Statistik. und Einzclhetrachtung der statuarischen Werke. 271
Grübchen sichtbar. Der Hai* ist von besonderer Zartheit und Jungfräulichkeit. .
Der Erklärer macht darauf aufmerksam , dass die Haare hinten durch ein me-
tallenes Band noch gehalten waren , dessen Lager erhalten ist. Derselbe ver-
gleicht damit einen Kopf des capitolini sehen Museums1] auf einen zum
Apollo Musagetes ergänzten Torso gesetzt, mit dem er aber nach Untersuchung
des franzosischen Zeichners gar nichts zu thun hat *] . Wir hätten diesen dann
auch für uns in Anspruch zu nehmen.
Ueber zwei weibliche Köpfe im königlichen Sculpturenmuseum zu Ma-
drid, die Niobiden zuzuschreiben sind, theile ich die sehr dankenswert hen
Notizen mit, die ich durch Gerhards Vermittlung Herrn Dr. E. Hübner ver-
danke. Sie lauten wie folgt: »Der erste (N. 1 1 6 meiner Beschreibung , alte
Nummer des Inventars 370, hoch 0,84 M.) 8) ist auf ein Bruchstück von orien-
talischem Alabaster gesetzt worden, welches zwar antik ist, aber gewiss nicht
ursprünglich zu dem Kopf gehört. Das Haar ist mit einem doppelten Hand
aufgebunden , neu ist nur die Nasenspitze. Sonst ist alles vorzüglich erhalten
und von schöner Arbeit. Ich vermuthe, dass es der ähnlich beschriebene Kopf
aus des spanischen Gesandten in Born, Don Jose Nicolas de Azara Besitz ist,
den Fea zu Winkelmann (Werke 5, 408) anführt: man hielt ihn danach für
ein Kildniss der älteren Antonia. Mir schien er unzweifelhaft ideal zu sein.
»Der zweite (N. 117 meiner Beschreibung; alte Nummer 456, hoch 0,64
M.) ist auf ein modernes Bruchstück mit Gewand gesetzt. Neu ist die Nasen-
spitze, die Unterlippe und ein Flecken über dem linken Auge. Das Haar in
zierlichen Wellen gescheitelt, wird von einem doppelten Bande gehalten. Die
Züge erinnerten mich lebhaft an den Typus der Niobiden. Er stammt wahr-
scheinlich aus der Sammlung der Königin Christine von Schweden, o
Aus der Beschreibung ist nicht zu ersehen, welchem Kopfe unter den
sichern Niobidenköpfen die oben beschriebenen am nächsten stehen. Zu be-
merken ist bei beiden das Aufbinden mit doppeltem oder zweimal um den
Kopf gelegten Bande; dies haben wir bis jetzt noch nicht gefunden, treffen es
dagegen bei einer weiter unten zu betrachtenden hoch interessanten Niobiden-
statue an. -
Blicken wir auf diese ganze Reihe zurück, so müssen wir auch hier, wie
bei Niobe die Fülle zum Theil hoch ausgezeichneter Wiederholungen bewun-
dern, welche meist nicht allein Köpfe, nein, wie es bei den meisten aus den
erhaltenen Theilen erhellt, Statuen von Niobetöchtern vorführen und die alle,
so weit nachzukommen ist, auf Born und Umgebung als Fundort zurückweisen.
1) III. t. 15.
2) Clarac pl. 482. n. 928 A, Text Hl. p. 210.
3) Diese bedeutende Grösse also wohl mit Büste ?
272 Zweites Kapitel.
G. Stehende und in leichter Bewegung begriffene weibliche
Statuen, als Niobetöchter bestritten oder erst neuerdings
herangezogen.
Unsere frühere Untersuchung hat uns den ursprünglichen Bestand der
zusammengefundenen Florentiner Statuen, ihre Erweiterung und Vermehrung
kennen gelehrt, sowie auf die Fälle ihrer Reproductionen hingewiesen. Be-
sonders zahlreich sind die weiblichen Statuen , die zur Gruppe hinzukommen
oder andererseits ihr dann wieder abgesprochen wurden, um wieder anderen
Platz zu machen. Die Cockerellsche und dann die Welckersche Aufstellung
führt uns fast vollständig vor, was mehr oder weniger bestimmt dazu gerechnet
wurde. Es gilt sie von Neuem zu durchmustern und vergleichend zu beurtheilen.
a. Stehende, das Gewand hebende Niobidentochter oder Trophos.
Schon an Grösse überragt die von uns eben betrachteten Gestalten sowie
den Pädagogen eine weibliche Statue1), welche als der florentiner Gruppe
von Anfang an zugehörig bisher betrachtet wurde. Wir fanden sie nich t unter
den ältesten Abbildungen von Cavaleriis, dagegen erscheint sie bereits bei Per-
rier im J. 1638 als Niobide abgebildet2) . Sie ist gekennzeichnet durch den sorg-
lich vor sich gesenkten Blick und das mit der linken Hand gehobene Gewand.
Abbildungen: nach Perrier F. f. 5.; Z. 3; Cl. pl. 583.84. n. 1261; MTV. d. ;
W. 1 1 ; unsere Tafel XIII. I .
Material: nach dem entschiedenen Urtheil des H. v. d. Launitz griech. Marmor.
Ergänzungen: der Kopf von trefflicher Erhaltung bis auf die untere Hälfte der
Nase und Unterlippe; der rechte Arm mit Schulter und Stück Brust neu, nach Fabroni
und Clarac ganz neu, doch nach Meyer trefflich gearbeitet ; nach Müller dagegen ist der
obere Ansatz des Armes mit dem grösseren Theile des Deltoideus antik ; der linke Arm
ist nach Fabroni und Clarac bis auf kleinen Ansatz neu, nach Meyer und Müller zum
Theil alt , mit ihm ein Stück Peplos ergänzt. Neu grösster Theil des rechten Fusses
und ein Stück der Falten des Chiton. Eine genaue Untersuchung des Originals mit sei-
nen Brüchen und Ergänzungen ist daher dringendes Bedürfhiss.
Eine reife jungfräuliche Gestalt steht vor uns in einer sehr charakteristi-
schen, vom lebendigsten Antheil des Gemüthes zeugenden Situation. Den lin-
ken Fuss fest aufsetzend, den rechten auf die vorderen Hallen hebend, das
Knie leicht biegend, ruht sie in ihrem unteren Theil des Körpers ganz auf der
linken Seite. In den Oberkörper tritt aber eine aus doppelter Motivirung ent- '
springende Wendung ein, theils eine Senkung nach der rechten Seite und
Liebung der linken Schulter und des linken Armes , theils eine leise Senkung
vorn über, die sich noch bestimmter in dem ebenfalls etwas links gedrehten
Kopf ausspricht. Ein zu dem Boden in ruhigen, senkrechten Falten herabfallen-
der, aber doch der Vorderspitze des linken, dem grösseren Theile des rechten mit
Sandalen versehenen Fusses freien Baum lassender Chiton wird von einem
1) Höhe 1,925 M. mit Basis; 1,808 M. ohne Basis.
2) Segmenta nobil. »tat. t. 59.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 273
Diploidiou am Oberkörper aberdeckt oder hat von den Schultern , auf denen
er mit einem starken Saumstück zusammengehalten wird , noch einmal sich
als Diploidion herabgesenkt. Ein einfaches Band mit herabhängender Schleife
fasst das also verdoppelte Gewand unter der Brust zusammen. Auf Busen und
in den Nacken senkt sich das Gewand tiefer hinab und bildet so einen Aus-
schnitt. Um das rechte Bein geschlagen und zwar mit der Hauptmasse über dem
oberen Theile des Oberschenkels ruhend zeigt sich das Obergewand, welches
dann hinten herum und in einer schlanken Masse durch den gehobenen linken
Arm in die Höhe gezogen ist. Bauschig fällt der eine Zipfel zwischen den
Füssen zur Erde nieder. Während das rechte Bein durch die schräg gezogenen
flachen Falten in seinen Formen sich ausprägt , entwickelt das Gewand an der
Begränzung derselben sehr selbständige Massen. Es ist im obern Theile um-
geschlagen und stark in einen dichten Wulst gewunden, in einer scharfen Ecke,
welche ohne eine bestimmte Einwirkung eines fassenden eigenen oder fremden
Körpertheiles ganz unverständlich ist , entladet es sich dann im senkrechten
Herabfallen zu spiralartig sich entwickelnden tiefen Falten. Friederichs, wel-
cher mit Recht auf diesen Knick, diese scharfe Wendung aufmerksam gemacht
hat *) und welcher auch Fingereindrücke im Scheitelpunkte jenes Winkels am
Gypsabguss bemerkt hat, will doch die jetzige Ergänzung der Armlage richtig
finden und glaubt jene Thatsache durch eine berechnete künstlerische Absicht
zu erklären , es solle der Eindruck erregt werden , als ob die Hand , welche so
eben noch das Gewand haltend, tiefer gelegen habe, durch ein Ereigniss plötz-
lich im Ausdruck des Staunens gehoben sei und das Gewand daher momentan
die bisher wohlbegründete Lage behalten habe. Er beruft sich dabei auf eine
Bemerkung von Mengs über Rafael und auf die Gewandung auf der Brust der
liegenden weiblichen Statue vom Parthenon. Er behauptet zugleich, nach dem
erhobenen Rumpf des Armes , den man sich dann gerade verlängert denken
müsste, käme die Hand viel weiter nach unten zu liegen.
Ich halte dies durchaus für unrichtig. Erstens ist , wie wir oben zusam-
mengestellt, eine grosse Differenz in den Angaben der antiken Theile, gute
Autoritäten lassen ja die ganze Schulter und Stücke der Brust auch ergänzt
sein ; jedenfalls sind diese Theile abgebrochen gewesen und es steht noch dahin,
welche feine Lagen Veränderung bei der Ergänzung eingetreten ist. Aber auch
diese Lage des obersten Theiles des Oberarms mit einem Theil des Deltoideus zu-
gegeben, so ist damit noch gar nicht die Biegung des Ellenbogengelenkes, die in
der Anspannung oder Erschlaffung des Biceps brachii, des Triceps und des innern
Armmuskels sich kundgiebt, bestimmt, noch viel weniger die Biegung des Hand-
gelenkes und endlich wäre bei jenen Spuren am Gewand erst nachzuweisen, wel-
che Theile der Hand die Stelle berührt haben. Weiter aber halte ich die voraus-,
gesetzte Motivirung für durchaus unbegründet in der Gesamniterscheinung det
1) Praxiteles etc. S. 79. Anm. 13.
Stark, Niotw. 18
274 Zweites Kapitel.
Gestalt: es ist kein plötzliches Zusammenfahren weder in der Stellung noch
im Gesicht, noch vor allem in dem linken Arm mit gehobenem Gewand sichtbar,
im Gegent heil ein theilna hm volles Auffassen und schützend Umfassen eines
geliebten, dem Untergänge anheimfallenden Gegenstandes. Und endlich auch
die Plötzlichkeit eines eintretenden Ereignisses zugegeben, so ist dieser berech-
nete Gegensatz des freiliegenden scharfen Faltenwinkels zu den daran grän-
zenden Gewandflächen geradezu künstlerisch unerträglich. Weder der rafae-
lische und rein malerisch gedachte Faltenwurf eines Correggio und Tizian,
noch die Gewandbehandlung an den Parthenonstatuen, die allerdings noch
ganz eigenen , nicht vom Körper wesentlich bedingten Stilgesetzen folgt , ge-
ben eine wirklich passende Analogie. Ich möchte am liebsten dann jene Sta-
tuen der Venus Victrix vergleichen, deren Reihe in der Venus von Milo ihren
Höhepunkt hat. In diesen kann das Gewand um den Unterkörper und über
dem gesenkten linken Oberschenkel geschlagen, unmöglich lange so verharren,
auch da ist die Frage ob ein Gegenstand wie der Schildrand des aufgestützten
Schildes dieselbe mit gehalten habe. Aber selbst bei diesem Gewände ist eine we-
sentlich gleichmässige Durchfuhrung der um den Körper geschwungenen Falten-
massen, nicht annähernd eine so scharfe Brechung wie hier. Nach alledem halte
ich es für eine Noth wendigkeit, dass der rechte Arm sich zu jener Gewand-
stelle herabgesenkt habe und sie berühre, wenn dort die Fingerspuren ihm zu-
gehören. Wir sehen ja auch an der Niobemutter, dass die Ergänzer den Un-
terarm höher, als er ursprünglich lag, gerückt haben. Stellen die Spuren bei
genauester Untersuchung des Originales sich vielleicht in anderer Art dar,
dann können wir denken, dass ein Körpertheil einer unmittelbar zu dieser
Statue gehörigen, ihr gleichsam eingeordneten andern Gestalt die Stelle be-
rührt und damit jenen Gewandbausch gehalten habe.
Die wagrechte Richtung des linken Oberarmes , das Halten des in seinen
Falten regelmässig hinaufgezogenen Gewandes ergiebt sich aus den antiken
Theilen mit Sicherheit, natürlich ist eine Modifikation im unteren Arm damit
nicht ausgeschlossen. Weder die höhere entwickeltere Biegung des Armes, wie
sie Niobe selbst zeigt, noch die etwas nach vorn gestreckte, mehr umfassende
Armwendung, wie wir sie auf einem geschnittenen Steine kennen lernten, ist
nach dem Erhaltenen möglich.
Der Kopf in seiner starken Senkung nach vorn und leichten Seitwärts-
wendung, in der Reinheit seiner Formen, in dem tiefen theilnehmenden Ernst
übt einen besonderen Zauber auf jeden Beschauer aus; an Trefflichkeit und Un-
versehrtheit der Arbeit übertrifft er alle andern Köpfe der florentiner Gruppe.
Aber er unterscheidet sich auch nicht unwesentlich von ihnen. Das Oval des
Gesichtes ist ein etwas anderes; im Kinn, in den Lippen, vielleicht auch im
Winkel von Nase und Augenlinien sind schärfere, bestimmtere Formen. Der
Kopf erinnert mehr an die sogenannte Psyche von Neapel, doch gehört auch
diese wesentlich in die grössere Klasse von venusartigen Bildungen, denen wir
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 275
die Niobiden als angehörig betrachteten. Das fein gerollte, einfach gescheitelte
Haar ist zweimal von einem breiten Bande umwunden und hinten in einem
Wulst aufgesteckt.
Zwei Fragen drängen sich nun bei einem Gesammtüberblick zur Beant-
wortung auf: ist diese Statue für sich allein gestellt zu denken oder setzt sie
nothwendig eine Verbindung mit einer anderen voraus? Zweitens kann sie
auch bei verschiedener künstlerischer Behandlungsweise als ein Glied in der
Niobidendarstellung betrachtet werden, die der sichere Kern der florentiner
Gruppe uns vorführt oder nicht, kann sie eine Tochter der Niobe dann sein
oder muBS sie als ein anderes weibliches Glied betrachtet werden, etwa als eine
Wärterin? Ich schicke voraus, dass die erste Doppelfrage im Sinne des zweiten
Gliedes von allen frühern Untersuchern, wie Ramdohr, Wagner, Schlegel,
Meyer, Gerhard, A. Müller, Feuerbach, neuerdings von Friederichs beantwortet
wurde, dass dagegen Welcker nachdrücklich die Einzelstellung derselben be-
tonte und erklärte, Trendelenburg ihm wesentlich darin gefolgt ist und psy-
chologisch sie weiter motivirt hat, indem er die von Müller verbundenen Sta-
tueri zwar neben einander aber ohne Beziehung zu einander setzte. Die zweite
Frage ist zuerst vonThiersch aufgeworfen und von Friederichs von Neuem auf-
genommen worden.
Zunächst ist zu sagen, wir haben eine Gestalt vor uns, die nicht aus einer
raschen Bewegung in eine augenblickliche Ruhe übergegangen ist infolge eines
plötzlichen Zwischenfalls um dann weiterzueilen, aber auch nicht eine solche,
deren innere Natur, deren Beruf es mit sich bringt sinnend zu stehen. Nein,
man hat den Eindruck, sie ist an etwas herangetreten, das vor und unter ihren
Augen liegt und diesem sind ihre Gedanken, aber auch noch die eigentümli-
chen Bewegungen ihrer Glieder zugewendet. Während auf ihrer rechten Seite
das Auge unmittelbar ausruht an den wohl abgeschlossenen Formen des ge-
senkten Hauptes, des rechten Armes und Beines, hier nichts auf etwas Dane-
benstehendes, auf etwas Folgendes hinweist, so öffnet sie sich ganz nach ihrer
linken Seite einem Gegenstand entgegen. Hebt sie das Obergewand so hoch
gezogen zur Seite, um sich zu schützen? Das gewiss nicht; es wäre ein sehr
ungeschickter Schutz in dieser Weise für ihren eigenen Körper. Ebenso, wozu
hat sie es auf der anderen Seite herabsinken lassen auf den Oberschenkel und
hält es hier momentan fest? durch Eile, durch plötzlichen Schrecken, durch
ein blosses Anstandsgefühl ist das doch nicht hier erklärt. Und wie senkt das
Haupt sich mütterlich und doch nicht matronal theilnehmend ! Das ist kein
Innewerden, kein auftretendes Bewusstsein eigener Schuld oder Unschuld oder
Ahnen des göttlichen Verhängnisses, wie Trendelenburg meinte, nein auch hier
richten sich die Augen auf ein Objekt. Dieses muss niedriger, in unmittelbar-
ster Nähe, im Bereiche ihres unwillkürlich noch deckenden und schützenden
Körpers und Gewandes gedacht werden. Und sehen wir nur auf die einer Säu-
lencannelirung ähnlichen Falten des Chitons an der ganzen linken Seite auf
18»
276 Zweites Kapitel.
dies unentwickelte Aufctossen desselben auf den Erdboden und die daneben
ebenfalls gleichförmigen lang gezogenen des Peplos. Glaubt man im Ernst,
dass ein Meister, der einen solchen Kopf geschaffen , der mit solchem Reich-
thum im Faltenwurf die rechte Seite gebildet hat , dass der diesen weiten lee-
ren, einförmig gegliederten Raum den Beschauer dargeboten haben werde ? Nie
und nimmermehr. Nein, wir müssen hier hinein und hieran eine sich an-
schliessende Gestalt fordern.
Sehen wir uns nach analoger Gruppirung unter den von uns bereits be-
trachteten Bildwerken um, so können wir drei Verbindungen zur Vergleichung
heranziehen. Auf dem Relief Campana die Gruppe der zwei Schwestern , die
Gruppe von zwei Schwestern oder von Niobe und Tochter auf dem Wandge-
mälde der Villa Pamfili und die Darstellung des geschnittenen Steines bei De-
midofF, mit Schwester und Bruder, von O. Müller benutzt für unsere Statue.
Dort auf der ersten Darstellung sinkt die Schwester mit erschlafften Gliedern
am linken Bein der stehenden Schwester zusammen , der Kopf ruht noch auf
dem rechten Oberschenkel. Sehen auch wir ab von der der unsrigen entgegen-
gesetzten Motivirung der Arme, von dem mangelnden Motiv des emporgezogenen
Peplos, so ist die Verschiedenheit der untern Theile doch bei näherer Betrach-
tung in die Augen fallend : dort ist das linke Bein vorgeschoben, gebogen und
trägt wesentlich den Körper, hier bei uns tritt er zurück und steht säulenartig
senkrecht. Es ist daher die Annahme einer ähnlich zusammensinkenden Toch-
ter oder Sohnes an unserer Statue nicht statthaft. Auf dem in der Einzelaus-
führung allerdings sehr flüchtigen Wandgemälde der Villa Pamfili fallt die
jüngste noch fast Kind zu nennende Tochter im Vorwärtseilen an die ältere
Schwester oder Mutter heran. Hier ist es jedenfalls das rechte Bein , welches
einen Haltepunkt gewährt, aber der Faltenwurf an demselben, der bei unserer
Statue so berechnet ist, würde gerade hier durch die kleinere Gestalt verdeckt
werden , die Haltung der Arme ist eine ähnliche , wenn auch der rechte Arm
entschieden weiter zurückgeschoben ist, der Gesammtausdruck und besonders
die Motivirung des Kopfes ist aber eine andere, der der Mutter Niobe unter
den Statuen ganz analoge. Otfried Müller hat mit richtigem Takte jenen ge-
schnittenen Stein zur Vergleichung herangezogen1), kein zweites Denkmal, so-
weit wir sie jetzt kennen , giebt die fragliche Statue mit dem eigen thümlichen
Wulst und Gewandkniff und mit der Bewegung der Arme so ähnlich wieder,
wenn auch hier im linken Arm mit dem Gewände und in der Richtung und
Ausdrucke des Kopfes eine Modification besteht. Und hier befindet sich vor
ihr eine in die Knie gesunkene Gestalt, die mit dem schmerzhaft bittend ge-
hobenen rechten Arm, mit der fast senkrecht gestreckten rechten Seite, mit
der dagegen in schräger Linie entwickelten linken Seite trefflich sich der ste-
henden Gestalt einfügt. Dazu kommt, dass im geistigen Ausdrucke beide Ge-
ll S. oben S. 211 j Müller- Wieseler D. A. X. I. t. XXXIV. n. 142 D.
Statistik und Einzclbetrachtung der statuarischen Werke. 277
stalten zusammenpassen : es ist kein plötzliches Auffangen einer zustürzenden
Gestalt, es ist keine irgend starke körperliche Unterstützung, sondern ein
mildes Umfahen des bereits dem Untergange Verfallenen, hier im Stein mehr
ein Flehen um Erbarmen nach Aussen und Oben , in der Statue ein sich Ver-
senken in den geliebten Gegenstand.
Weiter können wir nun aber Müller nicht, wie Cron *) z. B. thut, folgen,
wenn er auf diesen geschnittenen Stein gestützt, unsere Statue mit dem Sohn
zusammenstellt, welcher in das eine Knie gesunken, die linke Hand auf den
Felsen krampfhaft legt, das rechte Bein zur Seite ausgestreckt hat2). Gerade
da greifen die Linien beider Statuen nicht in einander, im Gegentheil entsteht
ein sehr unangenehmer Contrast derselben und jener Faltenwinkel und das
gebogene rechte Knie wird nicht im Mindesten erklärt durch die eingefügte
Figur. Auch scheint mir die Hebung des rechten Armes des Niobiden auf dem
Steine für den Oberkörper der dahinter stehenden weiblichen Gestalt und die
Richtung des gesenkten Armes derselben keine sehr glückliche. Ich stehe daher
jetzt auch nicht an unter den im Folgenden näher zu betrachtenden Niobidensta-
tuen den sogenannten Narciss3) mit unserer Statue zu gruppiren. In ihr erfüllen
sich alle die äussern Bedingungen, welche wir kennen gelernt haben. In ihr scheint
mir auch der geistige Aussdruck der entsprechendste. Da ist nichts von Trotz,
von Bekämpfen der Todesmacht, sondern ein reiner Schmerzenslaut einer ge-
brochenen edeln Jugend, auf ihn wird um so innerlich bewegter, concentrirter
der Blick liebender Fürsorge und Mitgefühls sich richten. Auch die Grössen Ver-
hältnisse passen sehr gut zusammen (1,311 M. zu 1,925 M.). Hiermit ist na-
türlich nicht im Entferntesten behauptet, dass diese in Florenz erst zur Gruppe
hinzugefügte Statue für jene weibliche Gestalt ausgearbeitet war; im Gegen-
theil haben wir auch hier nur ein neues Beispiel , wie bei dem Pädagogen und
jüngsten Sohn, dass einzelne Glieder solcher Gruppen, die sich wohl abschei-
den lassen , auch für sich allein gebildet und neben andere dann gestellt wer-
den konnten. Ich erinne selbst daran, dass eine ganz ähnliche Bildung auf
dem Relief in Bologna neben eine erschreckt eilende Niobide gestellt ist. Wir
können uns bei so hoch berühmten und beliebten Motiven die spätere Be-
nutzung nicht frei und unbefangen genug denken.
Ich will dabei nicht verhehlen, dass mich eine andere Verbindung länger für
sich eingenommen hatte, jedoch nicht sowohl als Resultat einer rein objeetiven
Vergleichung beider Statuen, als aus dem vorausgehenden Wunsche zugleich der
einen eine passende Stellung in der Gesammtgruppirung zu geben. Es ist jene
früher vielfach, so von Meyer, Zannoni und Wagner angenommene, von Cock-
erell in seine Giebelgruppe mitten hineingesetzte Verbindung dieser Statue mit
dem liegenden todten Niobiden. Nur war damit unmittelbar die Forderung
1) Reccns. v. Gerhards drei Vorlesungen in Münchner gel. An«. 1844. S. 956.
2) Taf. XVII. 11 (e).
3) Taf. XIII. 3 (ii).
278 Zweites Kapitel.
verbunden, die wir als eine überhaupt zu stellende erwiesen zu haben glauben,
den Todten sich bedeutend höher auf ein Felsstück gelegt zu denken. Auf un-
serer Tafel XIII ist auch diese Zusammenstellung gegeben , allerdings ohne
diese nothwendige Hebung des Todten. Es würde dann die zurückgelegte
rechte Hand jene Stelle des Gewandes berührt haben. Man mochte dabei an
jenen zweiten Abschnitt in der ovidischen Schilderung1) denken, wie die Schwe-
stern trauernd bei den ausgestellten Leichen der Brüder standen, nur mit einer
unmittelbaren Anfügung an die eigentliche Todesscene. Aber weder die in der
weiblichen Gestalt gegebenen Anhaltspunkte für eine mit ihr gruppirte Figur
sind dadurch vollständig erfüllt noch scheint mir der geistige Ausdruck jener
einer Todtenklage oder Betraurung zu entsprechen. Es handelt sich noch um
die letzte Fürsorge, um die Theilnahme des Schmerzes an einem noch schmerz-
erfüllten, noch lebenden Wesen. Ob endlich, um über unsern nächsten Stand-
punkt hinauszugreifen, eine solche Fürsorge um den bereits Todten, eine Tod-
tenklage in die gewaltige, mit unendlicher Schnelligkeit fortlaufende Gesammt-
handlung hineinpasst, wäre erst zu fragen.
Wie wenig eine andere Combination, welche in der Aufstellung der Gyps-
abgüsse in der Villa Medicis zu Rom praktisch versucht ist, nämlich mit der als
Psyche2) meist jetzt ausgeschiedenen Statue, eine glückliche Wirkung hervor-,
bringt, darauf hat Welcker3) schon aufmerksam gemacht. Wir können noch
hinzufügen , dass die Richtung der Bewegung in dieser wie gescheucht flie-
henden und flehenden Gestalt durchaus zuwiderläuft der Gesammtwendung
unserer Statue, welche vielmehr von der anderen Seite ein sich Hercinflüchten
erwartet, wenn überhaupt eine bewegte, und nicht schon eine zusammengesun-
kene Gestalt an ihrer Stelle wäre.
Die bisherigen Betrachtungen haben uns den Weg zur Beantwortung der
zweiten Frage schon wesentlich gebahnt. Es ist also zu gestehen, ein äusserer
Grund für die Zusammengehörigkeit dieser weiblichen Statuen zur Niobo-
gruppe in der gemeinsamen und gleichzeitigen Auffindung fällt hinweg; die
Statue ist möglicherweise bald darauf in ähnlicher Gegend gefunden , sie ist
jedenfalls erst aus dem Gesichtspunkt ihrer Motivirung der Niobidenreihe früh-
zeitig eingefügt worden. Die Gesammtmotivirung entspricht trefflich einer
Niobidencomposition , wie wir dies aus anderen Gattungen der Plastik nach-
gewiesen und auch unter den jetzt unbestritten in den Niobidenkreis gezoge-
nen Statuen haben wir eine das räumliche und innere Bedürfniss der Ergän-
zung erfüllende gefunden. Weiter müssen wir aber sagen , diese Statue kann
unmöglich in der nächsten Nähe der Mutter, mit der sie auffallende Analogien
darbietet, unmöglich in den Bereich der gesteigertsten Eile gestellt werden,
im Gegentheil kann sie nur von jener entfernt, dem Schlusspunkt der Scene nahe
1) Met. VI. 289.
2) Unsere Taf. XVII. 13.
3) A. a. O. S. 274.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 279
ihren Platz finden. In ihrem geistigen Ausdrucke fällt vor allem auf, dass
der Gedanke an eigene Gefahr und sowohl die damit verbundene Erregung wie
etwa die daraus hervorgehende Thätigkeit sich zu schützen durchaus in ihr
sich nicht abspiegelt. Sie unterscheidet sich dadurch wesentlich von den vor-
her betrachteten zwei Töchtern, sowie von den allgemein als zur Gruppe ge-
hörig anerkannten Söhnen, sie steht zugleich zu dem Pädagogen, den sie an
Grösse auch noch überragt, in einem entschiedenen Contrast, in beiden ist
ein Schützen ausgeprägt, dort aber ein ganz nach Aussen, nach der drohen-
den Gefahr Gekehrtsein, während die Hand wie unwillkürlich schützend
fasst, hier bei unserer Statue eine scheinbare Nichtbeachtung des noch Dro-
henden, völlige Concentration auf das bereits eingetretene Unglück.
Man kann daher sehr wohl auf den Gedanken kommen, dass wir die
Gestalt einer Trophos, einer Wärterin vor uns haben in Correspondenz
mit dem Pädagogen, jedoch gestehe ich, dass dem die ideale Bildung der
Gestalt, besonders der treffliche Kopf zu widersprechen scheint. Alle Wär-
terinnen, die die Reliefs und gerade auch, wie wir sahen, Niobidenreliefs
uns geben, tragen einen alten, absichtlich hässlich markirten Typus , auch
in der dicken Kleidung oder dem Kopftuch wird ihre fremdartige Natur
der dienenden Stellung beurkundet. In wieweit dies freilich bereits in den
Compositionen der edelsten griechischen Kunst vorauszusetzen ist, wäre
näher nachzuweisen ; vorerst muss man sich hüten, der idealen Auffassung zu
enge Gränzen zu setzen. Auch ist es wahr, der Doppelchiton und das
doppeltumwundene Haarband kommen so nicht, weder bei Niobe noch den
anderen Töchtern vor, aber wir finden den ersteren auf unserem Relief Cam-
pana , bei der Niobide des Reliefs von Bologna , bei der einen Figur von
Fasano. Das Gesicht ist allerdings nicht dem oben mehrfach nachgewie-
senen Ideal der Niobidentöchter genau entsprechend, aber fällt doch in den
allgemeinen Charakter dieser Bildung, ist von grosser Reinheit der reifen
Formen und ist eben vor allem Träger einer anderen Stimmung. Nach alle
dem ist zu sagen, die Statue gehört nicht zu dem Statuen verein , der auf dem
Esquilin gefunden ward, unterscheidet sich im Stile und in einzelnen Eigen-
tümlichkeiten des Costüms von demselben, aber sie findet in Analogie mit
den trefflichsten Reliefs in einer Niobegruppe überhaupt ihre wohlberech-
tigte Stellung und bildet mit einem anderen uns erhaltenen, unzweifelhaften
Niobiden eine engere Gruppe.
b. Florentiner älteste Tochter als Muse, Melpomene oder Euterpe
jetzt fast allgemein ausgeschieden.
Abbildungen nach den Gesammtbildern von Perrier und Montfaucon F. fig.
XI ; Zann. R. G. di Fir. S. IV. t. 1. pl. 4 ; Cockereil n. 6 ; GL pl. 583. n. 1259.
Grösse: 1 ,837 Meter mit Plinthe, 1 ,779 ohne dieselbe.
Ergänzungen und Erhaltung nach Fabroni und Meyer : neu sind Hände,
vordere Theile der Füsse ; Brüste abgearbeitet, ganz flach, die linke Hüfte und das
280 Zweites Kapitel.
linke Bein mit Chiton schlimm behandelt, der rechte Arm stark überarbeitet könnte
alt sein; der Kopf ganz modernisirt, oder vielleicht modern.
Wir haben schon früher bemerkt, dass auch diese Statue nicht unter den
von Cavaleriis gleich nach dem Funde auf dem Esquilin gezeichneten sich
findet, im Gegentheil eine andere weibliche Gestalt, welche ganz die auf
einen Felsen mit dem Ellenbogen aufgestützte, aus Statuen in Madrid, Paris,
Berlin, Petersburg und Basreliefs vielfach bekannte Polyhymnia uns vor-
führt, als Filia Niobes ihre Stelle einnimmt. Sie ist dann, wir wissen nicht
woher, in die Gruppe eingeschoben an Stelle jener so offenkundigen Muse,
welche gar keine Andeutung irgend einer tragisch bewegten Persönlichkeit
enthält und wenn sie wirklich unter die Niobiden in jener Anlage des Aure-
lischen Hauses gestellt war, den Beweis von den rein äusserlich dekorativen
Gesichtspunkten liefert, die bei jener Zusammenstellung gewaltet haben.
Seitdem befindet sich unsere Statue nun unter den Niobiden von Florenz.
Dass sie für diesen Zweck sichtlich sehr hergerichtet ist, ergeben die obigen
Thatsachen der Ergänzung und Ueberarbeitung. Meyer nennt sie übrigens
ein wahres Original und meint, sie sei von Einer Hand mit der Mutter, drei
Schwestern und dem jüngsten Bruder gearbeitet. Seit Schlegel und Martin
Wagner sind die entschiedensten Zweifel an ihrer Zugehörigkeit erhoben ;
bei den neueren Besprechungen und Versuchen einer Reconstruction der
Gruppe kommt sie gar nicht mehr in Betracht ; erst in der neuesten Zeit hat
L. Gerlach in seinen archäologischen Plaudereien über den Ilioneus1) die-
selbe wieder neben die Mutter als Niobide gestellt, er meint, man müsse nicht
nach einer vorgefassten Meinung von der Unfehlbarkeit des Künstlers Statuen
mit Athetese belegen, die zu der Zahl der dreizehn ächten gehörten. Nun,
dieser ganze Abschnitt des sonst in seinen allgemeinen Betrachtungen nicht ohne
Einsicht und Geist geschriebenen Büchleins über die Niobidengruppe erweist
sich als eine wahre Plauderei eines flüchtigen Augenblickes und nimmt auf
die Geschichte des jetzigen florentiner Statuen Vereins so gut wie keine Rück-
sicht. Diejenigen dreizehn ächten Statuen, auf die Gerlach als Axiom hin-
weist, sind gar nicht die zuerst zusammengefundenen; vielmehr so wenig
wie der sogenannte Narciss, so wenig hat die im Vorhergehenden betrachtete,
so wenig unsere Statue zu dem ursprünglichen Funde gehört. Unsere Frage
kann also nur die sein, hat man mit Recht diese weibliche Statue nach son-
stigen Analogieen als Niobide betrachtet und reiht sie sich passend ein unter
die übrigen sichergestellten Bildungen? Die blosse Angabe, dass sie einer
Musenbildung ähnlich sei, ist noch kein Beweis dagegen, da wir ja die Be-
nutzung gleicher Motivirung für verschiedene mythologische Gestalten, in
denen allerdings eine innere Verwandtschaft nicht zu fehlen pflegt, gerade
1) S. 50.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 281
im Bereiche des Niobemythus schon kennen gelernt haben und ihr auch wie-
der begegnen.
Zunächst haben wir zu constatiren, dass die Statue, obgleich eine völlig
reife jungfräuliche Gestalt darstellend, dem Alter nach von Meyer als erste
bezeichnet unter den Niobiden, nach einem bedeutend kleineren Massstabe
gearbeitet ist, als die zwei eilenden Töchter, in noch höherem Maasse als die
soeben untersuchte, ja dem jüngsten Sohne an Grösse entspricht. Sehen wir
sie uns nun näher an, so weit wir durch Ueberarbeitung und Ergänzung noch
das Ursprüngliche beurtheilen können. In einer ruhigen Position steht sie
vor uns, von einem langen mit anschliessenden Aermeln versehenen, unter der
Brust einfach von einem schmalen Band gehaltenen, zu den Füssen herab,
reichenden Chiton bekleidet. Der linke Fuss ist höher und weiter vor auf
ein (ob antikes '() felsiges Stück gesetzt, das Knie bildet dadurch einen mar-
kirten Punkt, um den die Falten concentrisch sich drehen, auch dem schräg
liegenden Oberschenkel schliessen sich schräg laufend die Falten an . Da» rechte
Bein ist senkrecht gestreckt, da in ihm die Schwerpunktslinie des Körpers ruht,
die rechte Hüfte ist mit einer gewissen ausruhenden Bequemlichkeit etwas
ausgebogen. Der Oberkörper ist in fast gleichmässiger Richtung nach vorn
gerichtet, doch die linke Schulter wenig mehr gehoben. Bemerkenswerth ist
die an der linken Seite unter dem Gürtel etwas herausgezogene Bauschfalte.
Der linke Arm hebt sich vom Körper freier in der Richtung nach vorn ab
und bildet mit dem Ellenbogen einen fast rechten Winkel. Das Himation
ruht mit seinen Enden auf demselben und fallt dann nach dem Rücken sich
ziehend tiefer hinab ; auf der linken Schulter bildet es in sich zurückge-
schlagen einen kleinen Wulst. Der rechte Arm scheint auch ursprünglich
ruhig an dem Schenkel angelegen zu haben. Ueber die Bewegung der Hände,
deren eine mir entschieden etwas gehalten zu haben scheint, ist, da sie ganz
modern sind und, wie gesagt, der rechte Arm vielleicht auch, nichts zu sagen,
als dass sie keinesfalls so voll Erstaunen geöffnet waren. Ebenso müssen
wir verzichten den Kopf, der in seiner jetzigen Erscheinung ein Niobiden-
kopf mit einfach gescheiteltem, welligen von einem Bände gehaltenen, hinten
hinauf genommenen Haare ist, näher zu beurtheilen ; er ist etwas links und
aufwärts gewendet. Da er jedenfalls ganz überarbeitet ist, kann er vielleicht
ein wirklicher Niobidenkopf sein, den man auf einen fremden Körper aufge-
setzt hat bei der Restauration für die Niobidengruppe.
Eine unbefangene Betrachtung kann in der ganzen Situation durchaus
nicht ein augenblickliches, plötzliches Innehalten, kein momentanes Erstau-
nen, noch weniger ein etwa selbstgefuhlvolles Widerstehen finden. Eine
Beziehung auf ein anderes Objekt, wie wir dies in der vorhergehenden Statue
so unmittelbar ausgeprägt sahen, ist ebensowenig gegeben. Wir haben viel-
mehr in den ruhig und edel herabfliessenden Gewandfalten, in der Hebung
des einen Fusses, in der der Arme, vielleicht in der Stellung des Kopfes, in
282 Zweites Kapitel.
der Gesammtstellung einen Ausdruck innerer Würde, gehobener Stimmung,
ruhiger, gesicherter Stellung in einer Reihe ähnlicher Gestalten. So locker
wir uns auch das geistige, das künstlerische Band denken wollen, welches
die Niobiden verknüpfte, diese Position bringen wir unmöglich in die sich
gleichsam drängenden Wellen der gewaltigen fortlaufenden, steigenden und
fallenden Bewegung, es ist kein Ausruhepunkt, nein, eine ganz andere Art
der Hebung und Steigerung.
Und sehen wir uns um unter der Fülle der an uns vorübergegangenen
Niobidendarstellungen ; zu dieser finden wir keine Analogie. Auch jene an
der Seitenwand des Münchner Sarkophags, die sich behend auf ein Posta-
ment stützt und nach oben schaut, sie könnten uns für den ersten Augen-
blick auch an eine Muse, an eine Urania erinnern, und doch wie ganz anders
ist sie durchgebildet, welcher Ausdruck der Ermattung, des Hinschwindens
und ergreifenden Aufschauens nach all den Schrecken der Flucht ist darin
niedergelegt! Nein mit vollem Recht hat man bei unserer Statue an die
Musenbildung, speciell an die der Melpomene erinnert. Ich möchte noch
weiter gehen und sagen, wir haben diejenige Bildung vor uns, die uns im
Apollo Musagetes und auch in der Melpomene vielfach begegnet. Unter-
scheidend ist nur hier der schmale Gürtel dem regelmässigen breiten Gürtel
gegenüber, der zur pythischen Stola oder Palla gehört; jedoch möchte ich
fast vennuthen, dass der obere Theil des Gürtels hier weggearbeitet ist, wo-
für gerade jene eine starke bauschige Falte zu sprechen scheint, welche bei
den von uns zu erwähnenden Beispielen fast immer direkt über dem Gürtel
auftritt und wovon auch noch eine durchgehende Linie durch die andern Falten
Spuren zeigt. Die Brust, wie sie jetzt uns erscheint, ist eine weibliche nicht
zu nennen ; es steht dahin, ob sie wirklich abgemeißelt ist, oder ob wir nicht
hier den Körper eines Apollo Musagetes besitzen, bei dem auch dies massige
Erheben des linken Beines auf einen Fels oder Stufe, um zugleich das In-
strument zu stützen, vollkommen begründet ist. Ich verweise zur Verglei-
chung auf den Apollo Musagetes auf der Apotheose des Homer1), auf den
Torso der Insel Santorin*), auf die Statue früher in Rom bei Cavaceppi8),
auf das Motiv des linken Fusses und auch den Chiton des Apollo in der Villa
Albani4), auf die kolossale Melpomene in Paris5), auf die Melpomene von
Stockholm6), bei welcher dieselbe Motivirung des Obergewandes auf der einen
Schulter und über dem andern Arm sich findet, als bei unserer Statue. Auch
1) Clarac pl. 496. n. 968. Vgl. jetzt Arth. Kortegang de tabula Archelai. Bonn 1862.
Acced. tab. lithogr. p. 9 f. wo auch Münzen und Vasenbilder verglichen sind.
2) Clarac pl. 498 JE. n. 963.4.
3) Cavaceppi t. III. n. 24 ; Clarac pl. 496. n. 969.
4) Clarac pl. 481. n. 969 Ä
5) Clarac pl. 315. n. 1046.
6) Clarac pl. 513. n. 1045.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 283
die Sarkophage geben in Bezug auf die Gewandung wie Fusshebung und
Annbewegung noch mehrfache Analogie1)'
Nach alledem können wir nun mit aller Sicherheit difeser Statue ihre
bleibende Stellung unter den Musen, am liebsten als Musagetes, oder auch als
eine Muse anweisen. Diese für uns untergeordnete Frage muss durch eine ge-
naue Untersuchung des Marmors sich erledigen. Unter den Niobiden wird sie
hoffentlich durch kein flüchtiges Raisonnement mehr festgehalten werden.
c. Sechste florentiner Tochter der Niobide, als Nymphe Anchirrhoe
ausgeschieden.
Abbildungen: nach dem Gesammtbild bei Perrier und Montfaucon F. fig. 14 ;
Z. pl. 8; C. n. 11 ; Cl. pl. 585. n. 1267.
Grösse: 1,526 Meter mit PLinthe.
Ergänzungen: der ganze linke Arm, der rechte bis an die Schulter mit dem
Stück von der rechten Hand gefassten Gewand, ferner der Hals neu.
Auch bei dieser Statue müssen wir davon ausgehen, dass sie nicht zu
dem ursprünglichen Statuenfund gehörte, sondern erst mit den zwei vorher
behandelten in den ersten Decennien nach dem Funde zur Gruppe hinzuge-
bracht ist. Ferner steht auch ihre Grösse den Verhältnissen der zwei fliehen-
den Töchter entschieden nach, ist nicht nach demselben Massstabe gearbeitet.
Was die Behandlung des Marmors betrifft, so macht sich ein sehr gefälliger,
leichter, gewandter Ausdruck darin geltend, verschieden von der eigenthüm-
lichen Strenge, die uns die Haare und die Stirnknochen der anerkannten
Niobidengesichter zeigen : das Haar ist sehr lockig und weich gearbeitet, dis
Falten des Gewandes trefflich ausgeführt, aber durchaus nicht gefurcht mit
dem Bohrer, sondern nur mit dem Meisel behandelt.
Endlich trat bei einer mit Monumentenkenntniss angestellten Verglei-
chung die Uebereinstiinmung mit anderen als Musen oder Nymphen be-
zeichneten Statuen hervor. So wollte Meyer sie für eine Erato schliesslich
halten, so hat Schlegel gegen ihre Zugehörigkeit zur Niobegruppe sich ent-
schieden ausgesprochen, so hat Martin Wagner zu ihr als tändelnden Muse
oder Nymphe mehrere Wiederholungen genauer bezeichnet. Für uns möchte
es daher zuerst kaum noch einer eingehenden Besprechung zu bedürfen, um
diese Statue auszuschliessen ; aber je rascher die Sache abgethan zu sein
scheint, um so mehr ist es Pflicht, die charakterisirenden Motive und zwar
mit der Bezeichnung der Variationen scharf herauszuheben und sich die Frage
auch vorzuhalten, kann diese Composition, welche für eine Nymphe bestimmt
angewendet erscheint, nicht auch bei einer Niobide benutzt sein oder umge-
kehrt ? Es kommt noch hinzu, dass wir eine mit dem Namen einer Niobe-
1) Vgl. Clarac pl. 205. n. 45, auch das Relief pl. 139. n. 141 mit dem Apollo Kitharoe-
dos neben bacchischen Gestalten.
284 Zweites Kapitel.
tochter bezeichnete, als solche auch aufgeführte, aber bis jetzt einer nähern
Betrachtung nicht gewürdigte Statue des Dresdener Museums als dieser Bil-
dung angehörig hier zunächst publicieren können.
Eine jugendliche, jungfräuliche Gestalt ist in einer seitwärts gehenden,
schwebenden Bewegung begriffen. Der rechte wie linke Fuss ist ganz ent-
blösst, ohne jede Bekleidung, beide sind auf die Ballen mehr oder wreniger
gehoben und zwar so, dass der rechte vorstehende Fuss soeben niederge.
setzt wird, der linke noch im Moment den Hauptschwerpunkt des Körpers in
sich trägt, um aber sofort ihn selbst auf den anderen Fuss zu übertragen.
Demgemäss ist die linke Seite die den senkrechten Halt gebende, während das
rechte Knie leicht gebogen ist und nach der rechten Seite überhaupt eine
leicht vorwärts sich senkende, doch im Oberkörper wie zurückgehaltene Be-
wegung sichtbar wird. Ein langer ärmelloser, über beiden Schultern be-
festigter Chiton fällt in schönen, reichen Falten herab und zwar so, dass
er um die beiden unteren Extremitäten wie etwas geweht sich anschmiegt,
unmittelbar über den Fuss etwas in die Höhe gezogen ist, dagegen rechts
und links auf den Boden niederfallend sich in seinen Falten ausbreitet.
Er ist mit einem Diploidion versehen, wird durch einen schmalen Gürtel ge-
halten und öffnet unter den Achseln in bescheidener Weise etwas die offene
Seite. Darüber ist das Himation schräg geschlagen und zwar so, dass es mit
dem Anfangszipfel über der linken Schlüter hinten hinabhängend, vorn schräg
über Brust und Leib gezogen wird, die freie Bewegung des rechten Armes
nicht hemmend und dann von hinten nach vorn über derselben linken Schul-
ter mit seinem Endzipfel herabfällt, diesen aber unter den reich abgestuften
Randfalten des Haupttheiles vorstreckt. Es bildet sich dadurch ein sehr wir-
kungsvoller Contrast der gehäuften Gewandmassen an der linken Seite neben
den einfachen, senkrechten Formen des bis hinauf hier sichtbaren Chiton
und den mehr flach kreisförmig geschwungenen Falten an der rechten Seite,
die zugleich am oberen und unteren Rande vermannigfaltigt werden, oben
durch Umschlagen des Randes, unten durch ein hier eingreifendes Hand-
motiv.
Die rechte Hand des leise am Körper und schräg nach vorn gesenkten
Armes fasst nämlich hier den Rand des Himation und hebt ihn etwas in die
Höhe, so rechts und links eine Art Kolpos bildend. Der linke Arm ist zu-
nächst wagrecht zur Seite gehoben; welches weitere Motiv besonders der
Hand sich dann anschloss, ist uns zunächst unbekannt. In der florentiner
Statue hat man eine schmerzvolle, die Hand öffnende Bewegung gebildet,
natürlich um sie als Niobide zu charakterisiren. Was weiter nun Kopf und
Hals betrifft, so sahen wir oben, dass der Hals ganz neu eingesetzt sei, daher
über die ursprüngliche Bewegung des Kopfes durchaus nichts Bestimmtes
gesagt werden kann; man hat ihm hier eine Drehung nach rechts und Sen-
kung rückwärts gegeben, so dass das Gesicht schräg nach oben schaut. Der
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 285
Kopf selbst, den Angaben nach antik, unterscheidet sich auf das Wesent-
lichste von den von uns früher charakterisirten unter sich zusammenstimmen-
den Niobidenköpfen durch Rundung des Gesichtes, durch ein etwas markir-
tes Kinn, vor allen durch eine leisere, weichere Augenlinie und die fast lockig
welligen, reichen Haare, die das Gesicht umgeben.
In den Verzeichnissen der Dresdner* Antikensammlung wird sowohl bei
Hase1) als zuletzt bei Hettner2) „eine Tochter der Niobe" aufgeführt, „eine
kleine antike Statue von roher oder gewöhnlicher Arbeit, grössten Theils er-
halten, mit ergänztem Kopf und Armen, noch nirgends abgebildet". - Sie
stammt aus der Sammlung Chigi und ihre Grösse beträgt 3 F. 9 Zoll. Ich
war begierig, dieselbe, die mir wie auch allen, die mit der Niobegruppe sich
beschäftigt, bei früheren Besuchen der Sammlung entgangen war, auf die
Welcker zufolge des Katalogs aufmerksam gemacht hatte, zu sehen. Im
Sommer 1861 sah ich sie in dem siebenten Saale der Sammlung, an der den
Fenstern gegenüberstehenden Wand in einer Ecke, wodurch ihre Beschau-
ung erschwert wird. Es musste sofort die Ueberzeugung sich aufdringen,
dass wir hier eine freiere Wiederholung der als Anchirrhoe jetzt ausgeschie-
denen florentiner Statue vor uns haben. Durch Hettners freundliche Ver-
mittelung ward eine Zeichnung angefertigt, welche ich hier auf Taf. XI ver*
öffentliche. Sehen wir sie uns nun unter Berücksichtigung der an Ort und
Stelle gemachten Bemerkung näher an.
Wir haben also eine weibliche Statue unter Lebensgrösse vor uns, von
ziemlich stumpfer, oder vielmehr dekorativer Arbeit, in welcher aber bei dem
Mangel der Einzelausfuhrung die Gesammtmotive des Körpers wie der Ge-
wandung um so klarer hervortreten. Ergänzt ist der ganze linke Arm mit
Stück Schulter und Stück des hinten herabhängenden Gewandes ; der Bruch
geht schräg, so dass unter der Achsel der Armansatz doch noch erhalten ist.
Der rechte gesenkte Arm ist in seinen oberen Theilen bis über dem Ellen-
bogen antik und nie getrennt gewesen. Ob ein Theil der Hand mit dem
obersten Stück des gehaltenen Gewandes nicht auch noch antik ist, ist mir
entgangen.
Es begegnen uns hier in der Motivirung wesentlich dieselben Erschei-
nungen wie an der Florentiner Statue, aber dabei im Einzelnen nicht uninteres-
sante kleine Abweichungen ; gleich die nackten Füsse, der rechte vortretend,
doch ist derselbe bereits gleichmässiger aufgesetzt und zugleich höher hinauf
bis an die Wadengegend entblösst, das Untergew and mit Diploidion, ziemlich
breitem Gürtel, an der ganzen rechten Seite sich zeigend, die Faltenlagen,
das sich Umbiegen am Boden ist wesentlich gleich, dagegen ist die Achselge-
gend nicht entblösst, im Gegentheil hat der Chiton unmittelbar sich an-
1) Verz. d. alt. u. neuen Bildw. d. K. Antikensamml. in Dresden 1S39. S. 39.
2) Bildwerke d. K. Antikensamml. in Dresden 1856. S. G7. n. 279.
286 Zweites Kapitel.
schliessende, den grösseren Theil des Oberarmes bedeckende Aennel. Die Lage
desHimation ist wesentlich gleich, so wie die Hauptfaltenmassen, aber gerade
hier tritt der Mangel einer klaren Anschauung des Künstlers, z. B. über den nach
vorn überfallenden Theil hervor. Die rechte Schulter ist etwas gesenkter
wie dort und die Richtung des Armes, das Fassen des Gewandes genau be-
stimmt, von dem linken Arm ist nach der Achselgegend eine über das \Vag-
rechte hinausgehende Richtung indicirt. Ueber die ursprüngliche Wendung
des Kopfes lässt sich nichts bestimmen, da der Hals auch modern ist. Und
doch wie verschieden wird unwillkürlich der Eindruck des Ganzen durch
die andere Wendung des Kopfes, wie bei der üorentiner Statue ! Dort ein
schmerzvolles Aufsehen, als ob der Fuss etwa in einen Dorn getreten wäre,
als ob das schwebende Gehen Folge einer Verwundung schon sei, hier bei
der Dresdner Statue eine der Handbewegung gleichsam folgende Wendung
des Hauptes mehr nach Links, ein erschrecktes Abweisen einer drohenden
Gefahr.
Wesentlich dieselbe Composition finden wir nun mit verschiedenartigen
Ergänzungen und unter verschiedenen Namen mehrerer Exemplare wieder
und in dem einen zugleich noch versehen mit einem antiken Namen auf der
Plinthos. Martin Wagner führte bereits eine Statue aus Villa d'Este bei
Tivoli, jetzt in der Sammlung Blundell in England1), dann die Statue aus
dem Garten von Versailles, jetzt im Louvre*), dann eine dritte in Stockholm8),
aus Rom dahin gekommen, eine vierte in der Sammlung der Familie von Hum-
boldtin Tegel4), dann noch drei in Villa Albani5), je eine im Palast Altieri
und Colonna6) zu Rom an. Wir können nun noch zwei freiere Wiederholungen,
eine Statue zu Rom der Sammlung Marconi7) und eine im Vatikan8) hinzu-
fügen; überall dieselbe Bewegung schräg vor mit vorgesetztem rechten
Fuss, mit Ausnahme der Statue der Sammlung Marconi, in welcher der linke
Fuss vorschreitend gebildet ist. Ueberall gänzliche Nacktheit der Füsse und
grössere Entblössung des vorgesetzten Fusses. In der Grundlage des rechten
Fusses ist mehrfache Variation, je nachdem der Boden mehr abschüssig oder
eben gebildet ist; auffallend ist die Unterlage einer Kugel an der Statue des
Louvre, deren Aechtheit wohl noch genauer zu untersuchen wäre, um so
1) Zuerst besprochen von Visconti im Mus. Pio Clement. III. p. 56. Annot. d; p. 73.
n. 9 und abgebildet tav. A, dann bei Clarac pl. 750. n. 1828. Grösse 5 P. 6 Zoll.
2) Mus. Napol. II. pl. 42, Clarac pl. 324. N. 1834. Grösse 1,63 M. = 5 F. 1 Z. 5 L.
3) Guattani Mon.ined. 1784. t.3 ; Mus. reg. Suec. 1794 unter dem Namen Erato; Mül-
ler-Wieseler D. A. K. II. T. 59. n. 746.
4) G.F.Waagen Schloss Tegel u. seine Kunstwerke. Berlin, 1859. S. 10. Unter Le-
bensgrösse, höchst zierliche Statue von guter Arbeit, gefunden vor Ponte Molle bei Rom.
5) Gal. Giustin I. t. 149, Visconti a. a. O. p. 56. Ann. d.
6) Angeführt von M. Wagner im Kunstbl. 1830. S. 213.
7) Clarac pl. 689. n. 1620. Grösse 9 P. 8 Z.
8) Clarac pl. 697. n. 1644. Grösse 5 P. 11 Z.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 287
mehr, da die Statue früher zur Fortuna ergänzt war. Gemeinsam ist ferner
der lang herabreichende Chiton mit Diploidion und breiterem Gürtel. In Be-
zug auf Aermel und Aermellosigkeit ist, soweit mir darüber Abbildungen oder
Notizen vorliegen die letztere, die vorherrschende, aber die Stockholmer Statue
und die Statue Marconi haben wie die eben beschriebene Dresdner den Oberarm
deckende Aermel. Die Lage des Obergewandes mit dem Offenlassen der linken
Seite, dem reichabgestuften Herabhängen der beiden Zipfel auf dieser Seite,
mit der hier gelassenen Bewegung des rechten Armes und endlich dem von
der rechten Hand aufgenommenen Bausch über dem rechten Oberschenkel
kehrt überall wieder. Nur bei der sogenannten Bacchante im Vatikan wird
man durch die Zeichnung nicht recht klar, ob das Diploidion von der rech-
ten Hand gefasst sei oder ein weitgezogenes Himation, dagegen aber sicher,
dass das letztere nicht fehlt, sondern an der linken Seite auf dem Kücken
herabhängt. Die Bewegung der Arme ist überall, soweit die antiken Theile
in Betracht kommen, dieselbe, Senkung und leichtes sich Anschmiegen des
rechten Armes an den Körper, wagrechte oder noch etwas gesteigerte He-
bung des linken Armes. Die Handbewegung selbst ist uns nirgends mehr
erhalten, eben so wenig wie das gehaltene Attribut; je nach den verschiede-
nen Deutungen begegnen uns daher sehr verschiedene Auffassungen, bei
jenen zwei Niobiden das Emporstrecken der flachen Hand, bei dem Exem-
plar der Sammlung Blundell ein hochgehaltenes lekythosartiges Gefass, in
Stockholm sogar ein Heben eines Gewandzipfels, sonst wohl ein einfaches
Zurückbiegen des Unterarmes. Eine unbefangene Betrachtung der wirklich
antiken Theile weist fast mit Notwendigkeit darauf hin, dass auf dem reich
gehäuften Polster gleichsam des faltig aufliegenden Himations der linken
Schulter sich ein Gegenstand befunden habe. Die Statue des Louvre hat
nun hier eine Amphora oder Hydria, die schwerlich antik sein wird, aber es
werden doch wohl Spuren des Aufliegens in der antiken Schulter sich befun-
den haben.
Nun aber weist schon die durchgehende Nacktheit der Füsse auf Wesen
hin, die zum Wasserleben in naher Beziehung stehen, etwa auch auf Darstellung
bakchischer Ekstase, jedoch der letzteren widerspricht die durchaus züchtige
und wohlgeordnete Bekleidung des Körpers. Diese Beziehung zum Wasser
wird aber in dem etwas vorsichtig gleitenden Gang, wie auf schlüpfrigem Bo-
den, in dem Hinaufziehen des unteren Gewandes vom vorschreitenden Fuss,
in dem zierlichen Hinaufnehmen des Saumes vom Obergewand noch viel
stärker betont, noch mehr entwickelt. Gerade dieses letzte Motiv aber, wel-
ches den Charakter des Zierlichen und Weiblichen *) mit anderen verwandten
1) Das Tanzmotiv des Gewandfassens gehört wesentlich der linken Hand oder beiden,
vgl. die Beispiele unter den Terracotten vor allen z. lt. in der Karlsruher Sammlung bei
W.Fröhner griech. Vasen u. Terracotten n. 437 — 147 und die Citat. auf S. 85. Note 3. Die
288 Zweites Kapitel.
Motiven des Gewandfassens theilt, kelirt wieder bei entschieden dem Wasser-
lebcn angehörigen Gestalten, so bei der sogenannten Thetis mit entblösstem
Oberkörper aus Villa Borgliese im Louvre1), so bei einer auf Urne und Stamm
mit dem linken Arm sich stützenden, an der linken Brust entblössten Statue
der Sammlung Torlonia2). Wir werden daher auch in Beziehung auf die Ge-
wandung auf die Bestimmung als Nymphen geführt, deren züchtige Doppei-
bek leidung uns z. B. in dem bekannten Felsrelief des Adamas auf Paros3)
begegnet. Und damit stimmt dann trefflich jene Bereitimg gleichsam der lin-
ken Schulter zur Aufnahme eines Gefasses. Diese Auffassung ist nun durch
die antike spätrömischc Inschrift der Statue in der Sammlung Blundell
ANCHYKRHOE ausser Zweifel gesetzt, einals^y^cpoiy in sich verständlicher,
zugleich für die Stammmutter der Danaiden, für die Tochter des Neilos, des
speeifischen Flusses hinlänglich charakteristischer Name4). Und eine An-
chirrhoe mit einer Hydria als (po^fia, als getragenem Gegenstand nennt aus-
drücklich Puusanias im Relief an dem heiligen Tisch im Tempel der Demeter
und Kora zu Megalopolis 5) .
Die weitere Frage wäre nun die, ist dieselbe Darstellung auch für eine
Muse, speciell für Erato verwendet worden, wofür z. B. die Stockholmer Sta-
tue immer gehalten wird ? Es liegt scheinbar nahe genug dabei, sofort an die
ursprüngliche Verwandtschaft, ja vielleicht Identität von Nymphen und Mu-
sen, an jenem bekannten Sprachgebrauch in Lydien Musen für Nymphen zu
erinnern. Aber hüten wir uns wohl, irgend verdunkelte Grundanschauungen
oder vereinzelten Sprachgebrauch der historischen Zeit auf die so bestimmt
und fein entwickelte Charakteristik der bildenden Kunst der jüngeren Zeit
anzuwenden. Wir müssen vielmehr erklären, wir halten diese unmittelbare
Uebertragung eines das Wasserleben bezeichnenden Nymphenmotivs auf
Musen für sehr unwahrscheinlich. Man sehe sich nur unter der grossen Zahl
der Musenstatuen um, ob hier nicht die Beschuhung geradezu Regel ist, ob
nicht die einzelnen Beispiele des Mangels davon durchaus zweifelhaft in ihrer
Musenbenennung sind, ob den Musen dieser schüchterne , gleitende Gang,
dieses Aufnehmen des Gewandes sonst zukommt. Doch ein Beispiel ist doch
wohl schlagend für diese Verwendung unseres Motivs für eine Muse und zwar
für Erato, jene herabtanzende Muse der Apotheose Homers6) ! Gewiss bietet
linke Hand hebt auch den Gewandzipfel aber hoch empor, zugleich auf das MaaHS in den
senkrechten Unterarm hinweisend in der Statue des Nemesis (Clarac pl. 770 o. n. 1S02^.).
1) Clarac pl. 336. n. 1803.
2) Clarac pl. 752. n. 1831.
3) Müller- Wieseler D. A. K. II. t. LXIII. n. 814. ■
4) Vgl. über denselben Visconti mus. Pio Clem. 111, p. 73.
5) Paus. VIII. 31. 2: '4yxiQ6rtg (var. lect. liQxiQorjg) <f2 xai MvQtwfoaqq ela)v vdgfai
ra (fOQrjfiara xal vdtoQ firj&ev «7r' avTtfiv xttrsiaiv.
7) Vgl. Arth. Kortegarn'de tabula Archelai Bonn 1S62. p. 19. Die Gestalt allein bei
Clarac pl. 534. n. I0SI.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 289
diese Figur, die von^den Höhen des Musenberges in bakchischer Begeiste-
rung} im Tanzschritt hei abeilt, an welcher der nach hinten hochflatternde
Gewandzipfel und auch der sehr steil in die Höhe gehobene linke Arm zu
einer Ergänzung der ganzen Ecke der Marmortafel zu gehören scheinen, Ana-
logieen mit den bisher von uns betrachteten, denn die Füsse scheinen nackt
zu sein, was übrigens erst näher noch am Original zu constatiren wäre ; die der
anderen Musen wenigstens haben Sandalen oder Schuhbekleidung. Das Motiv
des Fassens des Obergewandes mit dem rechten Arme ist auch hier charakteri-
stisch, aber in welch verschiedener Gesammtbewegung ! In einem weiten
Sprung abwärts ist das rechte Bein gehoben und der rechte Fuss schwebt noch
über dem Boden, berührt ihn gar nicht ; er ist aber gerade nur so viel ent-
blösst, als dies natürlich beim Heben dea Beines und bei dem Zwecke ihn
tanzend wieder auf den Boden zu setzen erfordert wird f) ; die rechte Hand
reicht daher zum Obergewand bis an das Knie hinab und dieses breitet sich
überhaupt mit seinem Flügel bis hinab zu dem linken Fusse aus. Die rechte
Schulter ist ganz entblösst, das Obergewand bis in die EHenbogongegend
herabgesunken; das Haupt gleich dem der sogenannten Psyche nach die-
ser Seite sehr gesenkt. Wir haben es hier mit einer Muse des bakchi
sehen Lebens, mit Thalia, wie auch jetzt allgemein anerkannt ist, nicht
Erato zu thun ; aus dieser bakchischen Natur haben wir dann auch die blos-
sen Füsse zu erklären. Aber kein aufmerksamer Beschauer kann wie die
einzelnen, bezeichnenden Unterschiede in der Motivirung, so den Unter-
schied des Gesammtcharakters , dort ein ängstliches, zartes, von einer Last
leicht gedrücktes, prüfendes Vorschreiten, hier einen gewaltigen Sprung von
den Berghöhen herab verkennen.
Nun aber zurück zu dem Ausgangspunkte unserer Betrachtung. Sind wir
veranlasst und berechtigt zwei in dieser ganzen Reihe der in allen wesent-
lichen Punkten übereinstimmenden Statuen, die als Nymphen sonst erwiesen
sind, als Niobiden in Anspruch zu nehmen? Gewiss nicht, so wenig wir auch
leugnen, dass wir hier wie dort einzelne gleiche Motive rinden können. Bis
jetzt sind wir unter den anerkannten und auch den bestrittenen Niobiden nur
solchen mit einer Fussbekleidung begegnet. Dass es durchaus unzulässig
sei, auch Niobetöchteru mit blossen Füssen unter Statuen zu begegnen, wie
solche uns in andern Denkmälergattungen nicht entgangen sind, werden wir
nicht behaupten, aber wohl, dass wir darin eine Modification der Gesammt-
bildung der Niobiden sehen, die schwerlich in Einer Breihe mit jenen andern
Bildungen und von Einer reproducirenden Hand sich befand, dass ferner diese
Modification überhaupt mit einer stärkern Entblössung des Körpers, beson-
1 ) Man vergleiche auch die das Knie hebende, mit der Hand herabreichende Gestalt
auf dem Marmorrelief in München bei Lützow Münchn. Antik. Taf. 9.
Stark, Niobe. 19
290 Zweites Kapitel.
ders von Schulter und Brust zusammenhängt und den Gestalten einen mehr
bakchischen oder aphrodisischen Charakter verleiht. Nun aber ist gerade
züchtigste Verhüllung nach oben mit jener absichtlichen Entblössung der
Füsse verbunden, wie sie ihre vollste Erklärung im Wesen der Quellnymphen
findet. Das aber kann liier auf die Niobiden nach jenen literarischen Zeug-
nissen, wie den bildlichen durchaus nicht ohne Weiteres übertragen werden.
Dazu kommt, dass dieser zarte, weiche, zierlich ängstliche Gang jener Nym-
phen mit den entsprechenden Gewandmotiven durchaus nicht dem gewaltigen,
wenn auch erlahmenden Ausschreiten, dem Schwünge der Gewänder der sichern
Niobidenstatuen entspricht, dass wir vor allem das ängstliche Schauen und
Erschrecken in einer ganz anders energischen und wieder schwungvollen
Weise auf Niobidendenkmälern ausgeprägt finden. So haben wir ausserdem
durch die Thatsachen der erst späteren Einfügung und des Stiles, wie der
Grösse noch unterstützt mit voller Sicherheit jene Statue in Florenz wie in
Dresden aus der Niobidenreihe auszuschliessen , sie aber als ein schönes,
glückliches, sehr bekanntes und beliebtes Motiv einer Nymphe, speciell An-
chirrhoe zu beanspruchen, zu dem wir nicht abgeneigt sind mit Visconti das
Original unter den Danaiden in der Säulenhalle des palatinischen Apollohei-
ligthums aufzusuchen.
d. Die Berliner Niobide.
Unter den Berliner Antiken erregt eine im Götter- und Heroensaal be-
findliche, aus der Baireuther Sammlung stammende, wenig über Lebens-
grösse hervorragende weibliche Statue durch den Ausdruck tragischer Be-
wegung, wie auch durch vorzügliche Ausführung in griechischem Marmor
ein besonderes Interesse. Als Tochter der Niobe von Levezow bezeichnet,
zu einer der florentinischen ähnlichen Gruppe gerechnet1), ebenso in den
Verzeichnissen vonTieck und Gerhard genannt, ward sie doch erst im J. 1S44
von Gerhard in der archäologischen Zeitung2) abgebildet und eingehender
besprochen, was sie so sehr verdient, vor allen auch in ihrer Stellung zu der
Niobklengruppe gewürdigt. Welcker8) nahm sie mit Gerhard übereinstim-
mend nun in seine Restauration der Giebelgruppe auf und stellte sie unmit-
telbar neben die Mutter, indem er in ihr und der darauf bei ihm folgenden,
das Gewand hebenden Gestalt den vollen Gegensatz unerschütterter, alle
Kraft aufbietender Grossheit und der den Muth sinken lassenden Bestürzung
fand. Seitdem haben sich Stahr4) und Friederichs5) in selbstständiger Weise
1) In Böttigers Amalthea II. 8. 366.
2) Jahrg. 1844. Taf. XIX.
3) A. D. I. S. 281—283.
4) Torso 1. S. 380. 381.
5) Praxiteles und die Niobegruppe S. 75. 76.
i
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 291
über diese Statue ausgesprochen, beide zugleich von dem Bildhauer Wredow
angeregt oder bestärkt ; jener fasst sie mit Wredow als tragische Amme und
zu den Niobiden gehörig auf, dieser spricht nur das Eine mit Bestimmtheit
aus, dass sie keine Tochter der Niobe sei und macht treffend auf eine wesent-
liche Wiederholung der Statue im Museo Borbonico1) aufmerksam. Wir
können noch eine dritte Statue als wesentlich übereinstimmend nachweisen,
die sogenannte Ilekabc oder Zauberin im capitolinischen Museum2;, welche
Martin Wagner ohne diese Uebereinstimmung zu ahnen, als Amme in seine
Niobegruppe aufnehmen wollte. Betrachten wir sie alle drei nebeneinander
in ihren gemeinsamen und abweichenden Zügen und in der fraglichen Ein-
reihung unter die Niobiden, als Tochter oder Amme.
Die Grösse der Berliner Statue: 5 F. 9 Zoll; ob preuss. Maass?
der Neapolitaner : 5 Par. F. 5 Zoll,
der Capitolinischen : 5 Palm. 8 Zoll.
Material bei allen drei griechischer Marmor; bei der dritten wird speciell pen-
telischer angegeben. Die Arbeit der dritten ist entschieden am wenigsten zu loben,
ein Vergleich der zwei andern ist vor den Originalen oder den Gipsabgüssen erst an-
zustellen.
Ergänzungen: an der Berliner neu Hals, Nase, Hinterkopf, die beiden Unter-
arme, Theile am Oewand.
An der Neapolitaner neu der Hals, der ganze linke Arm von der Schulter an, der
grössere Theil des rechten vom Aufhören des kurzen Aermels an, Theile des Gewan-
des, Theile des linken Fusses ; Kopf ganz überarbeitet.
An der Capitolinischen neu Kopf mit Hals, rechter Unterarm, vier Finger der lin-
ken Hand, rechter Fuss ; in die Gewandfalten Stücke eingesetzt.
Eine weibliche ältere Gestalt in einem zu den Füssen herabreichenden,
einfachen Chiton und dem in bestimmter Weise umgeworfenen Obergewand
tritt mit den Zeichen fragenden Erstaunens und abweisender Entschieden-
heit aus einer fest eingenommenen Position einen Schritt zurück. Die rechte
Seite des Körpers zieht sich dabei enger zusammen, die rechte Schulter wird
gesenkt, die rechte Hüfte biegt sich etwas auswärts, das Auftreten des rech-
ten Fusses ist ein festes, im Boden gleichsam wurzelndes, während der linke
Fuss sich mehr auf die Spitze hebt, die ganze linke Seite, besonders die
Schulter, sich mehr hoch zieht und einen freien Spielraum gewinnt. Bei den
zwei erstgenannten Exemplaren ist auch der rechte Fuss entschieden seit-
wärts zurückgezogen, bei dem capitolinischen tritt er in gleicher Linie seit-
wärts und auswärts. Bezeichnend ist die Fussbekleidung : bei jenen sind es
Sandalen von auffallender Stärke der Sohlen, bei dieser Lederschuhe. Die
1) Clarac pl. 590. n. 1276.
2) Mus. Capitol. t. III. pl. 62 j Clarac pl. 780. n. 1947, dazu Winkelmann Mon. ined.
tratt. prelim. p. XL VI; Guattani Memor. 178S; It. Rochette Mon. ined. p. 312; Welcker
A.D. 1. S. 251 f. Anm. 32; Rhein. Mus. f. Phil. N.F. IX. S. 278 f. j Gerhard in Beschreib.
Roms III. 1. S. 237. n. 29.
19»
\
292 Zweites Kapitel.
Motivirung der Arme ist bei allen drei wesentlich gleich : beide Arme sind
gesenkt, aber der linke wendet sich zunächst schräg vom Körper ab, um dann
in etwas mehr als rechtem Winkel sich ihm wieder zu nähern und nahe dem
Beginn des linken Oberschenkels den Wulst des vorn um den Leib geschla-
genen Obergewandes zu fassen, der rechte hingegen senkt sich gleichmässig
wenig seitwärts vom Körper mit einem wohl richtig ergänzten, sprechend ab-
weisenden Gestus. Der Unterarm der sogenannten Hekabe ist mit einem
Schwertgriff in der Hand fast horizontal gehoben, wrozu durchaus kein An-
lass vorlag. Der Kopf folgt naturgemäss der Gesammtbewegung des Kör-
pers in einer Drehung nach Links und zugleich aufwärts. Bei dem Zustand
der Ergänzung in Hals und Kopf sind die Nüancirungen nicht zu beachten ;
entschieden ist der Kopf der dritten Statue zu stark gewendet und auf eine
Seite gesenkt.
Was die Gewandung und die Körperbildung betrifft, so stimmen die bei-
den ersten Statuen fast genau überein, bei der dritten treten bei der Gleich-
heit im Ganzen bezeichnende Unterschiede hervor. Der Chiton von feinem
Wollenstoff fällt ruhig, aber faltig auf die Füsse herab, unter der Brust ist er
bei allen drei mit einem Bande, vorn durch eine Schleife zusammengehalten.
Die Brust ist an der Berliner Statue auffallend flach und trocken gebildet.
Der Chiton legt sich ihr einfach an und zieht sich über die Schultern als ein
schmaler Streifen hin ; aus der Armöflhung treten mit Knöpfen besetzte, fein-
faltige, aber anschliessende Aermel hervor , den Oberarm zu decken. Die-
selbe Bildung findet sich bei der Neapolitaner Statue, doch sind die Falten
über der Brust reicher. Bei der sog. Hekabe hängt aber der Chiton bauschig
von der mehr dürren knochigen Brust ab. Auch bei ihr treten Aermel unter dem
Chiton hervor, weiter als die des anderen und, wenn der linke Arm wirklich
antik ist, bis zum Handgelenk reichend. Das Obergewand hängt mit dem
einen Endzipfel von hinten nach vorn über der linken Schulter in breiten
Falten herab, senkt sich dann schräg über den Rücken und unter den rechten
Arm hin, von der Hüfte etwas gehalten spannt es sich dann weit über die
Vorderseite der Gestalt. Charakteristisch ist dabei die schräg sich senkende
untere Linie des Gewandes und der stark gedrehte Wulst des um den Leib
sich ziehenden oberen umgeschlagenen Randes, welcher über der linken
Hüfte von der linken Hand gehalten wird, um sich in Falten dann wieder zu
senken. Dazu kommt noch wenigstens entschieden bei den zwei ersten Sta-
tuen ein kleiner runder Wulst unter dem rechten Arm, sichtlich entstanden
durch ein Heraufnehmen und Unterstecken des Gewandes. Bei der dritten
Statue giebt die Abbildung darüber keinen bestimmten Aufschluss, ein Bausch
ist jedenfalls auch sichtbar.
Die nähere Bezeichnung der Kopfbildung ist kaum zu geben. Für die
sog. Hekabe kann derselbe mit seinem Kopftuche und den heftig erregten
Zügen gar nichts beweisen, da er ganz modern ist. Und wir sahen oben,
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 293
wie sehr die zwei andern Köpfe durch Restauration und Ueberarbeitung ge-
litten haben, allerdings erscheinen die beiden Köpfe unter sich als ähnlich in
der Form des Gesichtes, im Schnitt der Augen, in dem von einem Band ge-
haltenen, gewellten Haar, jedoch fallen bei der Berliner Statue zwei Locken
rechts und links noch auf die Schulter herab, wovon die Neapolitaner nichts
zeigt. Der Mangel aller Jugendlichkeit zeigt sich stark in der harten, grossen
Linie der Kinnbacken und der Wangen. Ganz abweichend von aller Nio-
bidenbildung, ja abweichend von rein griechischer Bildung ist die Augen-
linie, die etwas langgezogenen Augen und die Bildung der Stirn.
Ueberschauen wir noch einmal die ganze Gestalt in allen drei Statuen,
so ist unverkennbar ein Moment aus einem tragischen Vorgang, der Rück-
schlag derselben auf eine dabei mittelbar betheiligte Persönlichkeit darge-
stellt: ein Zurücktreten in unwilligem Staunen, ein Ansichhalten und sich
Zusammenfassen, ein fragendes Hinausblicken und doch sich Zurückziehen.
Das Gewandmotiv prägt dies neben der Körperlbewegung in deutlichster und
zugleich grossartiger Weise aus. Was ist das aber für eine Persönlichkeit,
in der [diese Bewegung hervortritt? Dem Alter nach Matrone, der Körper-
bildung nach aber nicht mütterlich, sondern vielmehr heib in sich zusammen-
gezogen, wie es der älteren Jungftaunbildung etwa entspricht. Eine fremde
nationale Bildung spricht sich leise in den beiden ersten Statuen, stärker
und zugleich in höherem Alter in der dritten Statue aus. Was dort in der
Bekleidung, z. B. den starken Sandalen, vielleicht auch in der schweren,
nicht eben edeln, mehr kräftigen und handfesten Motivirung des Oberge-
wandes, in den nicht ganz griechischen Gesichtezügen mehr angedeutet ist,
ist durchaus greller und auffallender in der sog. Hekabe ausgesprochen.
Nach alledem muss ich es als eine Unmöglichkeit bezeichnen, in dieser
Bildung eine Tochter der Niobe überhaupt und speciell ein Glied in der
Reihe der sichern Niobetöchter Einer Gruppe zu sehen. Wenn Gerhard und
Welcker dieselbe mit der von uns unter a betrachteten, das Gewand heben-
den Gestalt unmittelbar zusammenstellen, so hat sie allerdings einerseits ein
richtiges Gefühl geleitet einer gewissen Uebereinstimmung zwischen beiden,
die entschieden dem Charakter einer Trophos sich nähern, dagegen von dem
einer Tochter und unmittelbar vom Tode Bedrohten sich entfernen, anderer-
seits aber muss jedem, der unbefangen die Anordnung überblickt, der unan-
genehme Contrast bei dieser Aehnlichkeit in die Augen springen, zwischen
erstauntem Ansichhalten hier und dort hingebender, gleichsam noch suchen-
der Fürsorge. Wir haben oben die Gruppirung der einen Statue mit einem
Niobiden genauer nachweisen können und zugleich auf die Wahrscheinlich-
keit ihrer Einordnung in eine grosse Gruppe und zwar als Abschluss einer
Seite aufmerksam gemacht. Der Nachweis, den wir hier geliefert über diese
Statue und die nachweisbare Steigerung zu einem mehr ungriechischen, älte-
ren und Wärterinnencharakter, lässt uns für jene die Bezeichnung als Trophos
294 ^ Zweites Kapitel.
sehr wahrscheinlich erscheinen. Erst die spätere plastische Kunst, welche
in der pergameuischen Schule besonders fremde, vor allem nordische Natio-
nalitäten scharf und individuell darstellte , hat auch in die heroische Welt
jene charakteristisch häuslichen und barbarischen Gestalten von Ammen und
Pädagogen eingeführt, so wie sie z. B. die Amazonen aus ihrer Idealität ganz
in keltische, germanische, skythische Weiber umsetzt. Sind wir aber für jene
Statue sehr geneigt, sie in die Niobegruppe aufzunehmen, um so weniger ist
dann Platz für diese, die in der physischen Grundlage und gesellschaftlichen
Stellung nur eine Rcpetition wäre und doch nicht die geringste Beziehung
zu den bedrohten und zu schützenden Pfleglingen zeigt.
Was sie nun aber in Wahrheit ist, in welchen tragischen Conflikt wir
sie zu setzen haben, ist eine Frage, die uns zunächst nicht weiter berührt. Der
Spielraum ist hier ein nicht unbedeutender. An eine Medea zu denken, wie
dies von Gerhard als Vcrmuthung im Katalog ausgesprochen ist, werden wir
im Hinblick auf die uns erhalfenen Medeendarstcllungen, vor allem das treff-
liche Relief im Hofe des Palazzo di' Malta schwerlich im Ernste veranlasst ;
auch würde aus dem ganzen Medeamythus schwer eine hierauf ganz passende
Situation zu finden sein. Eher erinnert sie mich an die Elektia oder Merope
der schönen Gruppe in der Villa »Ludovisi, an der auch jener hervorgezogene
Gewandzipfel über dem Ann uns begegnet. Welcker kann sich die capito-
linische Statue nicht als eine Hekabe, eher als eine klagende Barbarenfürstin
denken, jedoch Wehklage ist durchaus nicht der Charakter dieser Position
und Armbewegung und ein nationaler nordischer Zug ist auch in dieser
Statue nicht stark ausgesprochen ; wenn wir auch gern eine Verwendung eines
gegebenen tragischen Motivs auf eine Barbarenfürstin annehmen wollten, im-
mer wäre dies doch erst in einem tragischen Mythus nachzuweisen. Ich ge-
stehe, dass mir der Name Hekabe auch durchaus nicht unpassend auf jene
zwei andern Statuen angewendet werden zu können scheint, doch verzichte
ich bis jetzt auf jede bestimmte Deutung.
H. Heftig bewegte und gebeugte Niobetöchter.
<i. Kleine Tochter der Niobe im Louvre. Die Smy maische Marmor-
figur.
Bis jetzt waren es durchaus weibliche Gestalten von wesentlich ruhiger
Stellung oder doch nur massiger Bewegung, die man zu der Zahl der Niobi-
den zählte. Es liegt durchaus in dem Mythus selbst, in der Erscheinung der
anerkannten Niobetöchter wie in der Motivirung der Söhne begründet, dass
wir uns nach Bildungen umsehen, in denen jener Schwung der Gesammtbe-
wegungen, vor allem der Gewänder, jener Ausdruck angstvoller Eile und
geistiger Erregung sich ausprägt und die zugleich einen Adel der körperlichen
Form wie des geistigen Charakters offenbaren, den wir an Niobe und denNio-
bideu bereits kennen.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 295
Bereits Bouillon1) veröffentlichte unter den heroischen Personen eine
kleine Marmorstat uc des Pariser Museums, welche dann bei Clarac neu
gezeichnet und als Tochter der Niobe aufgefasst ist2). In der That weht
uns aus dieser im kleinen Maassstabe (0,902 Meter) gebildeten Figur ein
hoher künstlerischer Geist entgegen, den wir als den des Skopas in der
Kunstgeschichte zu bezeichnen pflegen und für den wir in den besten
Niobidendarstellungen im Relief, wie in der vatikanischen Tochter so herr-
liche Beispiele besitzen. Wie im Sturmwind wehrlos gemacht steht eine
jungfräuliche, jugendliche Gestalt vor uns, indem sie vorwärts schreiten
will mit dem linken Fuss und doch durch eine links von oben kommende
Macht gehalten wird. Während der durch das Gewand umkleidete Un-
terkörper durchaus im Profil uns entgegentritt, wendet sich der Oberkör-
per in angstvoller Biegung ganz en face dem Beschauer entgegen ; die rechte
Schulter ist gesenkt und mehr nach vorn gedreht, der rechte jetzt ergänzte
Arm folgte natürlich dieser bestimmenden Bewegung, die linke Schulter ist
gehoben und der Armansatz aufwärts und zurückgedreht, die Achselhöhle
voll zeigend. Der Kopf, der ebenfalls modern ist, muss eine schräge auf-
wärts gewendete Richtung gehabt haben, wahrscheinlich nicht so grell, als
die Ergänzung zeigt. Der Körper ist jugendlich frisch und voll, aber edel
rein. Er hebt sich heraus wie ein Edelstein aus der herrlichsten Fassung,
so aus dem mit vollster Freiheit, ja Kühnheit behandelten Gewände. Dieses
umweht hier noch vom linken Schenkel, dort vom gekrümmten Rücken kaum
sichtbar noch gehalten in bauschigen Formen die Figur. Rückwärts weht
das eine Ende dieses Peplos oder Himation — denn es ist nur Ein und zwar
ein Obergewand vorhanden — über das linke Bein, zieht sich dann vorn hin-
auf, die Schulter selbst frei lassend, leicht noch am obern Theile des Rückens
gehalten, dann aber in weiter Bauschung, um in massigem wie zusammenge-
drücktem Bausch wieder auf dem linken Bein zu enden. Ich glaube, wir
können mit Bestimmtheit sagen, dass der rechte Arm sich weiter rückwärts
bog und die rechte Hand jenen Bausch berührte, so auch in dieser Gefahr,
dieser Sturmesgewalt nicht ganz die feine Scheu weiblichen Gewandschutzes
vergessend. Bouillon rühmt die mit Gefiihlswärme durchgeführte Behand-
lung des Nackten, die Eleganz nnd den leichten Schwung in der Gewandung.
Wahrlich, eine Gestalt, die geistig und körperlich durchaus in eine Nio-
bidenkatastrophc passt, zu der die entschiedensten Analogien wir auf unserer
bisherigen monumentalen Musterung gewonnen ! Ich erinnere an jene Ter-
racotta von Fasano3), an die entblössten Gestalten auf den Sarkophagreliefs,
1) Mus. des Antiqu. 1. 111. pl. 17, dazu Text p. 21.
2) Mus. de sculpt. pl. 323. n. 1262; Man.de Thist. del art. 1. pl. 168. n. 441. Wel-
cker äussert sich dagegen A. D. I. S. 247. Anm. 30**.
3) Taf. VIII. n. 6.
296 Zweites Kapitel .
um von dem etruskischen Sarkophag gar nicht zu reden ; vor allem an die
fast durchgängig am Oberkörper entblösste , in ihren Motiven treffliche Nio-
betochter als Bronze an dem pompejanischcn Gemälde eines Drcifusses. Und
trägt man kein Hedenken, die am Knie ihres Bruders hinsinkende Gestalt der
vatikanischen Gruppe mit gleicher EntblÖssung und nur dem feinen und zwar
dem Obergewand gelten zu lassen, so ist kein Grund da, hier die EntblÖssung
gegen die Bezeichnung als Niobide zu benutzen. Eine andere Frage ist
es, ob wir in derselben Reihe jene doppelt bekleideten, mit Sandalen ver-
sehenen Niobidentöchter und auch diese kühnen Entblössungen, wobei aber
das Gewand immer eine so hervorragende Rolle spielt, anerkennen können,
oder ob wir nicht dieselben Grundmotive in verschiedenen freien Copieen in
freier und strengerer Gewandung durchgeführt glauben wollen. Ich will dar-
über nicht von vornherein entscheiden, doch zur Vorsicht mahnen. Wie ist
in den wenigen Gestalten unseres Niobidenreliefs Campana die letzte Figur
rechts darin frei behandelt, ohne Fussbekleidung, entblösst, ganz anders als
die anderen, wie ziehen sich auf den Sarkophagrcliefs beide Behandlungsweisen
neben einander hin ! Und wäre nicht zu fragen, ob ein künstlerisches Auge
nicht zwischen den vollbekleideten Töchtern und den wesentlich nackt, wenn
auch immer in einer Gewandumgebung behandelten Söhnen Zwischenstufen
eher sucht als vermeidet?
Jedoch liegt für diese Statue nicht eine Bezeichnung noch näher, als die
einer Niobide? Man wdrd zuerst an eine Man ade oder Bakche denken und
Welcker thut dies, indem er zugleich hinzusetzt „eine einem Satyr sich ent-
windende Mänas". Geben wir nun gern zu, dass der edelste Charakter
einer Mänade in Körperform und flatterndem Gewand, wie ihn Skopas ge-
schaffen1), auch hier in dieser Gestalt seine Analogie findet, so fehlt doch
ein durchaus charakteristisches, auf der Fülle der Bildwerke in Enthusiasmus
versetzter Bakchen nicht fehlendes Merkmal , jede Andeutung des frei wal-
lenden, selbst mit von Leben erfüllten Haares; nothwendig mussten sich
Spuren davon auf Schulter und Rücken finden. Die Motivirung selbst aber
ist ohne eine von Aussen einwirkende Macht nicht erklärbar, ist nicht Aus-
druck innerer subjeetiver Stimmung. Es ist auch nicht etwa ein begeistertes
Emporheben eines heiligen Symbols oder eines Götterbildes selbst in der
Körper- und speciell Armbewegung möglich2). Nun aber wäre dann nur an
eine gewaltsame, körperlich berührende, in Sinnlichkeit glühende Persön-
lichkeit zu denken, wie sie in allen Stufen von den Satyrn repräsentirt wird.
Aber auch hierfür fehlen uns alle Anhaltepunkte in der Gestalt ; da ist kein
Abweisen einer frechen Hand, kein Ringen, kein sich Festhalten und An-
1) Caliistr. Stat. c. 2.
2) Vgl. z. B. Müller- Wieseler D. A. K. II. T. XLV. n. 507—571. 573 Taf. XLV1.
n. 583,
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 297
klammern zu erkennen, nur ein schreckenvolles, das tiefste Mitgefühl erre-
gendes Zurückscheuchen vor einer unsichtbaren, überlegenen, von oben kom-
menden Macht. Derselbe Grund spricht auch entschieden dagegen, wozu
man sonst wohl geneigt sein könnte, eine Kassandra fliehend vor der rohen
Hand des Aias Oiliades in ihr zu sehen !) . Bei dieser ist gerade dies Anklam-
mern an einen geheiligten, schützenden Punkt, wohl auch das schöne Ab-
wehren der rohen Hände das Bezeichnende. Hier haben wir gerade das
Schutz- und Wehrlose des Menschen und noch dazu einer so jugendlichen
Schönheit und Reinheit vor einer allesüberragcnden höheren Gewalt vor
uns ; mitten in Furcht und Mitgefühl empfinden wir doch den alles ausglei-
chenden, überwältigenden Eindruck der reinen, unbefleckten Schönheit.
Und das ist ja gerade der Eindruck, den wir aus allen wahren Gliedern einer
Niobcgruppe immer in neuer Weise empfangen.
Glauben wir somit durch diese kleine Marmorstatue, die natürlich die
Copie eines bedeutenden und beliebten grösseren statuarischen Werkes war,
die Zahl der plastischen Bildungen der Niobiden wahrhaft bereichert zu
haben, so können wir gleichzeitig einer anderen ebenso anziehenden, geistig
durchaus verwandten Gestalt der Marmor figur aus Smyr na, einst in Mil-
lingens Besitz, ihre Stellung mit Sicherheit ausserhalb der Niobiden, mit grosser
Wahrscheinlichkeit unter den Bakchen anweisen. Gerhard hat bei der Ver-
öffentlichung derselben2) mit richtigem Blick die Bildung einer Bakchantin und
der Niobiden als die zwei Pole bezeichnet, in deren Axe diese Statuette falle,
er hält aber dann die bei dem sichtbar abgestossenen Gegenstand unten an
der Rückenseite herabhängende Löwentatze für ein einem Verfolger zuge-
höriges Attribut und weist schliesslich auf eine von einem Kentaur ver-
folgte Lapithen braut oder auf die von Herakles erfasste schöne Priesterin Auge
hin. Jeder, der dies kleine Marmorbild in der Abbildung oder noch besser
im Gypsabguss aufmerksam betrachtet, wird lebhaft zu einer bestimmteren
Fassung dieses interessanten, schwungvollen Werkes angeregt werden. Eine
jungfräuliche, kräftige Gestalt mit schwellenden, spitzen Brüsten, vorwärts
nach links und aufwärts, höher, sichtlich über einem aufsteigenden Boden
strebend, im wehenden langen, ärmellosen aber mit zierlichem Diploidion
versehenen Chiton, den linken Arm nach vorn und etwas aufwärts gestreckt,
den rechten rückwärts gesenkt nach den erhaltenen Resten , so eilt sie an uns
vorüber. Und wie erhebt sich gen Himmel das Haupt, wie reich wallen die
um das Haupt rund durch eine Binde gehaltenen Haare, vorn über der Stirn
sich fast maskenanig aufbauend, weit hinab über Rücken und rechte Schul-
ter ! Wie ist in dem nur an der Nase verletzten Antlitz der Mund und das
1) Vgl. die Darstellungen beiOverbeck Galler. heroischer Bildw. Taf. XX VII. n. 1— 7,
besonders auch Chirac pl. 117. n. 246.
2) Archäol. Zeitung 1849. n. 1. S. 1—5. Taf. 1. II. ^ . 5.
298 Zweites Kapitel.
Auge geöffnet, wie zieht sich die Augenlinie nach oben in die Höhe ! Es liegt
eine unwiderstehliche aufwärtstreibende Gewalt in dieser Natur, wohl auch
eine Wolke des Ernstes, des Tiefsinns ruht über dem Antlitz, noch mehr
der Hingabe an eine enthusiastische Macht, aber es spricht sich in ihr keine
Seelenangst, keine hülfesuchende Verlassenheit, keine jungfräuliche Schüch-
ternheit aus. Dazu kommen noch manche von der Niobidenbildung abwei-
chende Erscheinungen schon in den Augen, in den hochgezogenen Augen-
winkeln, selbst in Mund und Kinn, dann in der Behandlung des Haares als
starker, mehr strangartiger Massen, in jenem die Stirne umgebenden, hohen
Aufbau der Haare, dann in dem gänzlichen Maugel eines Peplos, den
man auch schwerlich sich mit den fehlenden Theilen verschwunden denken
kann.
Und vergleichen wir unsere Figur mit der Darstellung eines Vasenbildes
der Hamiltonischen Sammlung *) , welche in dorischem Dialekt die Namen
beigeschrieden hat: Kä[iog,rQaMa9 Tlo&og^ Evita (Evota), Ölvog, da tritt
ganz dieselbe uns in dieser vom Komos keck gefassten Thalia entgegen.
Dasselbe stürmische Aufstreben bergauf, ganz dieselbe Bekleidung, dieselbe
Biegung des Kopfes und Haarbehandlung, dieselbe Motivirung der Arme,
die nun hier bakchisch durch die von ihnen getragenen Attribute charakteri-
sirt sind. Vom linken vorgestreckten Arm hängt eine Nebris flatternd herab,
der rechte gesenkte Arm fuhrt eine theilweis verdeckte Fackel. Der rechte
Unterarm ist gefasst von dem begehrlichen, nackten, eine Binde hochhalten-
den Satyr Komos. Aber durch diese Zudringlichkeit ist sichtlich nur eine
kleine, mehr scherzhafte Nebenbeziehung gegeben, die die Gesammtbewegung
nach oben und vorwärts ebensowenig bestimmt, wie bei der entsprechenden, von
der Höhe herab tanzend eilenden Evia die Begegnung mit Oinos ihre Bewe-
gung bestimmt. Ich glaube, dass wir mit gutem 'Rechte auch diese Statue
als eine bakchischc Thalia fassen können und dass jene herabhängenden
Thierklauen dem vom linken Arme ursprünglich wehend hängenden Thier-
fell angehören*). Ob sonst noch ein Gegenstand sich unten an der Seite be-
fand, etwa ein Stück Fels, ist nicht sicher zu bestimmen ; gewiss aber stand
da nicht eine männliche, Gewalt brauchende Person, diese kann der ganzen
Bewegung nach nur auf der rechten Seite, nacheilend gebildet sein. So
können wir uns wohl eine jener speciflsch Thyaden genannten bakchischen
1) Tischbein Collect, of engravings etc. t. II. tob. 41; M üller- Wieseler D. A. K. II.
Taf. XLI. n. 473; besprochen von Welckcr A. D. III. S. 125. 234
2) Ich freue mich in der Hauptsache mit Urlichs, worauf mich derselbe so eben
aufmerksam macht, in der von ihm in seinem Skopas in Attika S. 19. 20 ausgesprochenen
Ansicht zusammenzutreffen, welcher auch die Gestalt als Man ade, vielleicht mit Zeus als
Satyr verbunden auffasste und sie im Geiste des Skopas gebildet findet. Die Thier klaue
schreibt er dem verfolgenden Satyr zu. Die völlige Uebereinstimmung mit der oben beschrie-
benen Figur des Vasenbildes giebt aber erst die bleibende Sicherung der Deutung.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 299
Gestalten denken, die von Silenen, Maenaden, Karyatiden als berühmte Werke
des Praxiteles in den Anlagen des Asinius Pollio aufgestellt waren *) .
b\ Fünfte Florentiner Tochter der Niobc, als Psyche auch sonst
bekannt und ausgeschieden.
Abbildungen: Ca. t 16; Gesammtbilder von Perrier und Montfaucon j F. fig.
XV; Z. t. 7; Cl. pl. 5*4. n. 1264.
Wir haben bis jetzt bei unserer Durchmusterung der als Niobetöchter
mit mehr oder weniger Recht bezeichneten, auszuscheidenden oder anzuer-
kennenden jungfräulichen Statuen es nur zu thuii gehabt mit ruhig stehenden,
schreitenden, eilenden oder in lebendigster Bewegung'gehemmten Figuren.
Die zuletzt betrachteten haben uns bereits eine mehr oder weniger starke
Biegung des Oberkörpers dabei vorgeführt. Wir können nach der Mannig-
faltigkeit der Situationen, in die eine von den Pfeilen der Gottheit bedrohte
oder getroffhe Kinderzahl versetzt wird, die uns in den übrigen Gattungen
der bildenden Kunst in ihren Abstufungen bis zum gänzlichen Gelagertsein im
Tode so reich vorgeführt ist, die in den unzweifelhaften Statuen der Niobc-
söhne uns entgegentritt, nicht umhin auch unter den weiblichen Gestalten
nach weiteren künstlerischen Abstufungen zu fragen. Wohl ist uns in der
jüngsten, der Mutter in den Schooss sich werfenden Tochter ein sich Empor-
raffen aus einem Straucheln auf der Erde, aus einem Einsinken in die Kniee
gegeben. Umsomehr haben wir noch andere Modifikationen der körperlichen
Erschütterung, der zusammenbrechenden Kräfte, des der Erde sich Nahens
zu erwarten.
Nun befindet sich bereits vom Anfang an unter der medieeischen Gruppe
als Theil des ursprünglichen Fundes eine weibliche Statue mit wankenden
Knieen, mit angstvoll sich bückenden, flehenden Gebchrden, in einer Ge-
wandung, die der der Niobetöchter durchaus ähnlich ist. Restaurirt in ihren
fehlenden Theilen, im Kopfe den Niobiden nachgebildet galt sie unbestritten
bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts als Niobidc. Die Wiederho-
lung derselben Bildung in anderen Exemplaren zu Rom, aber mit unzweifel-
haften Flügelresten liess ihre Bezeichnung als sehr gefährdet erscheinen.
Schon Fabroni berichtet, dass es in seiner Zeit nicht an solchen fehlt, die sie
für eine Psyche hielten. Meyer, Cockerell, Schlegel, Martin Wagner,
Thiersch, Otfr. Müller, fast alle Neuern schieden dieselbe als Psyche nur ein-
fach aus. O. Jahn nahm in seiner ebenso reichhaltigen als feinsinnigen Be-
handlung der Monumente von Eros und Psyche2) die sog. Niobide von Flo-
renz als Psyche in Anspruch, während er mit Levezow die auch Psyche ge-
ll Plin. XXXVI. § 23; vgl. dazu O. Jahn in Ber. d. K. S. Ges. d. W. philos.-histor.
Kl. 1S01. II. III. S. JI2.
2) Archäol. Beitr. S. 121—197, hierzu S. 178.
300 Zweites Kapitel.
nannte Berliner Statue als Niobide fasste. Zannoni1) und Guignaut2) be-
hielten sie subsidiarisch zur Ausfüllung einer bestimmten Lücke in ihrer An-
ordnung, auch Gerhard3) nahm sie mit Zweifeln in seine Abbildung auf.
Es kann nun gar kein Zweifel sein, dass wir die fragliche Bildung in
mehrern Exemplaren als Psyche zu bezeichnen haben, aber die weitere Fol-
gerung ist nun nicht, dass sie deshalb keine Niobide sein kann, vielmehr
fragt sich nur , ob sie nicht früher als Niobide gebildet war, ehe man sie in
hellenistischer Zeit als Psyche in einer bestimmten Situation benutzte. Und
diese Frage hat schon der Herausgeber der Sculture della Villa Borghese detta
Pinciana4) wesentlich sich vorgelegt, indem er eine Verwendung derselben
Composition für zweierlei Inhalt hier erkannte. Welcker5) hat nun eine
Reihe von ^Beispielen für diese verschiedene Verwendung zusammengestellt
und zugleich aus dem Werke selbst einzelne Züge herausgehoben, die für
seine Bestimmung als Niobide sprechen, er glaubte dadurch früher die Psyche
mit einiger Wahrscheinlichkeit für die Familie der Niobe zu retten, bei der
späteren Bearbeitung seiner Abhandlung erschienen ihm die Zweifel und Be-
denken so gross, dass er die Figur in seine Zeichnung nicht aufnahm. Da-
gegen hat Elster6) entschieden die Statue als Heroine, speeifisch als Niobide
erklärt und geläugnet, dass sie für eine Psyche ursprünglich componirt sein
könne. Nach alle dem sind wir in der That veranlasst, die ganze Frage auf
Grundlage einer unbefangenen Betrachtung der Statue in Vergleich mit ihren
verschiedenen Wiederholungen von Neuem aufzunehmen.
Florentiner Statue :
G r ö 8 8 e ; 1 ,234 Meter mit Basis, 1 ,008 Meter ohne dieselbe.
Erhaltung: bei Cavalleriis fehlen ganz der Kopf, rechter Arm vom Aufhören
des kurzen Aermels am Oberarm, drei Finger der linken Hand, dagegen Basis und
Füsse mit Schuhbekleidung unversehrt. Nach Meyer sind am Kopf Nase, Unterlippe,
die im Nacken geschürzten Haare neu, der Kopf sonst alt, aber auf die Brust erst ein-
gefügt ; beide Arme für neu erklärt. Ferner wird jetzt allgemein ein viereckiges Stück
Marmor als in den Kücken eingesetzt bemerkt.
Marmor wird nicht näher bezeichnet, ist wahrscheinlich lunensischer.
Arbeit steht allen Wiederholungen nach, wird von Meyer in die Antoninenzeit
gesetzt.
Zur Vergleichung sind zunächst zwei Statuen des capitolinischen Mu-
seums heranzuziehen, die eine früher als Gruppe mit dem in das eine Knie
gesunkenen Niobiden zusammengestellt, nun wieder getrennt, die andere mit
1) R. Oall. di Fir. Ser. IV. tab. 7. p. 22.
2) Relig. de l'antiquite IV. 1. p. 330.
3) Drei Vorles. S. 63, dagegen S. 51.
-I) 1796. t. 111. 4.
5) A.D. LS. 245 f.
6) Fabel von Amor und Psyche. Leipzig. S, 177, Abbild. 4.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 301
bedeutenden Flügelresten. Jene, von Bottari1) veröffentlicht, darnach bei
Clarac*) abgebildet, ist vielfach ergänzt, aber ohne jede Spur der Beflü-
gelung.
Modern sind Kopf und Hals, der linke Arm vom Aufhören des auf der Schulter
liegenden Gewandes, der rechte Arm von der Mitte des Deltoides an, sonst noch Ge-
wandstücke, besonders das von der modernen linken Hand gefasste, sowie ein Theil
des rechten Fusses. Wichtig ist, dass auf dem Rücken nicht die geringste Spur einer
Abraspelung sich zeigt').
Marmor ist lunensischer.
G rosse (doch wohl mit Basis?) betragt 5 Palm. 9% Zoll.
Die andere capitolinische Statue4), früher in Villa d'Este bei Ti-
voli, sicher aus der Villa Hadriani stammend, ist sehr gut erhalten und durch
einen Theil von Schmetterlingsflügeln als Psyche unzweifelhaft bestimmt.
Der Kopf ist hier erhalten, die Bewegung der Arme ebenfalls, indem am rechten
Arm nur die Hand mit Handgelenk, am linken der Unterarm fehlt. Die Grösse wird
angegeben auf 6 Palmen 6% Zoll. Braun hält sie für eine Copie zweiter oder dritter
Hand eines herrlichen Urbildes.
Ferner tritt in die Vergleichung ein die einst in Villa Borghese befindli-
che, nun im Louvre aufgestellte Statue5), nach welcher ein Saal den Namen
erhalten hat. Dagegen berührt uns die meist, so noch von Welcker zugleich
mit genannte Psyche derselben Sammlung hier nicht, welche knieend neben
Eros dargestellt ist8) und in ihrer Stellung, wie Gewandbehandlung vielmehr
auf die jüngste, in den Schooss der Mutter gesunkene Tochter hinweist. An
Grösse sowie an Maass der Erhaltung steht jene der Florentiner Stafue am
nächsten, jedoch sollen bestimmte Spuren von antiken Flügeln vorhanden
sein. Ihre Ausführung, besonders die Draperie wird gerühmt.
Grösse: 1,300 Meter.
Erhaltung: der Kopf ist antik, aber überarbeitet, schlecht aufgesetzt auf einen
zu starken Hals ; der rechte Arm ist bis zur Schulter neu, ebenso der linke Unterarm
zum Theil und linke Hand, sowie linker Fuss, so weit er sichtbar ist; der untere Theil
des rechten Beines mit Stück Gewand ebenfalls.
Auf einem felsigen ungleichen Boden strebt eine gescheucht sich bückende
weibliche Gestalt nach der linken Seite hin. Das linke Hein ist etwas höher
1) Mus. Capitol. 111. pl. 142.
2) Mus. de sculpt. pl. 5S7. n. 1273.
3) Welcker A. D. I. S. 247. Anm. 30*. Vgl. noch Platner in Beschreib. Roms III. I.
S. 169. n* 41.
4) Righetti Descriz. del Campidoglio 1. 1. tav. 66; Clarac pl. 654. n. 1500.4. Vgl. dazu
Platner a.a. O. n. 32 ; £. Braun Ruinen u. Mus. Roms S. 149. n. 128.
5) Scult. d. villa Borghese detta Pinciana T. 111. 4 ; Bouillon Mus. d. ant. t. III. pl.
10, 5; Clarac pl. 331. n. 1500; Müller- Wieseler D. A. K. 11. T. LIV. n. 6S7. Vgl. dazu
Clarac Manuel I. p. 153. n. 3S7.
6) Bouillon Mus. des Ant. III. pl. 9; Clarac pl. 266. n. 1499; Müller- Wieseler a.a.O.
n. 6SS.
302 Zweites Kapitel.
gesetzt, die Knicbeugung tritt daher noch schärfer und frei hervor, während
das rechte Bein, zugleich von starken Gewandmassen gedeckt, mehr leicht
und zögernd der gleichen Bewegung folgt, der rechte Fuss auf die vorderen
Ballen gehoben ist und wie über dem Boden stolpernd streift. Indem nun zu-
gleich der Oberkörper noch nach der linken Seite stark sich einsenkt, so ent-
steht dadurch eine höchst bezeichnende doppelt eingeknickte Umrisslinic.
Unwillkürlich wird das Auge von den leereren in weiteren Verhältnissen aus-
einandergezogenen rechten Begränzungsflächen zur linken intensiver gestal-
teten Seite herübergezogen.
In der Bewegung der Arme, in der Richtung des Kopfes zeigen sich sehr
bedeutende Verschiedenheiten , die aber der Hauptsache nach der Willkür
der Ergänzer verdankt werden. Nach den erhaltenen antiken Theilen ist die
Bewegung des linken Armes wesentlich gleich bestimmt ; er senkt sich mit
der linken Schulter steil abwärts ein wenig vor, bildet einen scharfen Winkel
mit dem Ellenbogen, um dann die Hand mit einer sprechenden, angstvollen
Bewegung emporzuheben ; die genaue Drehung derselben ist nicht mehr zu
bestimmen. Wenn in dem einen capitolinischen Exemplar der ganze Arm
gesenkt ist und ein bauschiges Stück Gewand fasst, so ist dies eine durchaus
willkürliche Ergänzung, da auch jener Bausch modern ist und keinen Sinn
in der Gewandmotivirung hat; man hat den ganzen Arm sichtlich so ergänzt,
um die einmal beschlossene Gruppirung mit dem Bruder durchzuführen, wel-
cher durch die sonst bezeugte Motivirung unmöglich würde. Auch für den
liukcn Arm können wir über die Hauptrichtung durchaus nicht in Zweifel
sein : der Oberarm ist schräg nach vorn gestreckt und nur wenig gesenkt,
der Unterann wendet sich dann in einem scharfen Winkel zurück und nähert
sich der Brust. Möglicherweise ist er an der einen capitolinischen Gestalt
etwas mehr gesenkt und fasst einen Gewandbausch über dem rechten Knie,
jedoch wird erst hier noch genauer zu ermitteln sein, wie viel auch hierin die
schar thätig gewesene Restauration willkürlich gebildet hat. Der Ergänzer
der Florentiner Statue hat die im erhaltenen Reste des mit Gewand bedeck-
ten Oberarmes eingeleitete Richtung ganz missverstanden, indem er den
ganzen Arm ganz zur Seite und dann aufwärts richtete und so ein durchaus
fremdes, störendes Element in die Gesammtmotivirung brachte, nämlich eine
thätige, bittende oder abwehrende, die Gestalt gleichsam öffnende Aktion,
gegenüber der gefürchteten, vernichtenden oder doch strafenden Macht, wäh-
rend in allen andern Linien ein scheues Fliehen, sich Zusammenziehen, Aus-
weichen gegeben ist.
Den verschiedenen Auffassungen der Ergänzer gemäss ist der Kopf, wel-
cher ja nur bei zwei Exemplaren antik ist, davon bei dem einen ganz über-
arbeitet, auf ganz verschiedene Weise gestellt: hier, um zu dem daneben
gestellten Bruder eine Beziehung zu geben, ganz nach links und abwärts ge-
richtet, dort sehr stark rechts und aufwärts, hier sehr zurückgebeugt, dort
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. • 303
sehr zur Seite gebogen zum Ausdruck des Jammers. Auch hier kann nur aus der
Ge8ammtmotivirung die Richtung bestimmt und vor allem muss jede beson-
dere sich vordrängende Gefühlsausprägung zurückgewiesen werden; der Kopf
folgt im Wesentlichen der Gesammtrichtung des Körpers schräg nach Links,
aber wendet naturgemäss das Gesicht mehr zurück, der Ursache der Flucht
entgegen, ohne irgend bestimmt dabei etwa einen höhern Punkt zu fixiren,
vielmehr in dem Ausdruck einer die ganze Seele erfüllenden , aller Reflexion
und der daraus entspringenden Augenrichtung fremden Angst , derselben die
Bewegung hemmenden Angst, welche dem Oberkörper eine solche Einsenkung
nach Links gegeben hat.
Ueberschauen wir die Gesammtbewegung der Gestalt, so tritt uns in der-
selben jene acht griechische Kunst der Symmetrie im Chiasmus, des Wechsels
contrastirender Bewegungen und ihrer schliesslich en Verschmelzung lebendig
entgegen: Unterkörper, Mittelkörper, obere Extremitäten, ähnlich der Kopf,
bilden selbständige Glieder, alle durch eine Gesammtrichtung bedingt, aber in
ihr entsprechen sich die Glieder 1 und 3 , 2 und 4 wesentlich und ebenso ist
zwischen den beiden Seiten mit ihren Hauptgliedern eine schräge Correspon-
denz, so des rechten Armes mit dem linken Beine und umgekehrt.
Was nun die Gewandung, diese bei allen bisherigen Betrachtungen
über Niobidenstatuen so wichtige Seite der künstlerischen Conception betrifft,
so erregt sie bei dieser uns vorliegenden Bildung ein ganz besonderes Interesse.
Mit Recht hebt es E. Braun bei der Charakter isirung der capitolinischen
Psyche hervor, dass die Bedeutsamkeit der Bewegungen durch die trefflich
angeordneten Gewandmassen wahrhaft prachtreich in dem Originalwerk her-
vorgehoben gewesen sein muss. Sehen wir sie uns näher an und beachten zu-
gleich die feinern Unterschiede der einzelnen Exemplare. Zunächst ist die
Schuhbekleidung zu beachten, welche gerade bei den beiden als Niobiden
bezeichneten Exemplaren sich findet, dagegen nicht, wie es nach den Abbil-
dungen wenigstens erscheint, bei der capitolinischen Psyche und der des
Louvre: nämlich starke einfache Lederschuhe mit starken Sohlen, während
unsere sonstigen Niobetöchter Sandalen mit reichem Riemenwerk aufweisen.
Jedoch wir haben schon früher auf die durchaus nicht abzuweisende Darstel-
lung einzelner Töchter mit entblössten Füssen hingewiesen und hier gilt es
wohl nur an die ganz gleiche Schuhbekleidung der Mutter zu erinnern mit
denselben starken Sohlen und einfachem Oberleder, ferner an die Terracotten
von Fasano, wo alle Töchter solche Schuhe haben, um darin keinen besondern
Anlass zum Zweifel an eine Zugehörigkeit dieser Bildung zur ganzen Reihe zu
finden.
Ein anschliessender Chiton von feinem gefälteltem Stoffe umgiebt den
Körper. Er ist ohne Diploidion , bei den zwei sogenannten Niobiden aber in
bestimmter Weise einfach unter der Brust gegürtet, in derselben Weise, als
wir bei den ganz gesicherten Töchtern gefunden , während bei den zwei durch
304 Zweites Kapitel.
Flügelrcste als Psychen sich erweisenden der Chiton ohne Gürtel freier her-
abfällt. Das Letztere zeigt sich auch sonst häufig bei Psychedarstellungen,
wohl aber immer durch das besondere Motiv der Trauer bestimmt. Der Chiton
hat bei zwei, der Florentiner und der Statue im Louvre offne, weite, kurze,
durch zwei oder mehr Knöpfe oben besetzte Aermel, bei den zwei andern geht
nur ein breites Achselstück über die Schulter und ist hier mit einer Spange
befestigt.
Der Peplos oder das Himation von starkem Stoff ist nun mit trefflicher
Kunst hier gehäuft , dort mehr gespannt um die Gestalt gelegt und verviel-
facht gleichsam, indem es den Oberkörper ganz frei lässt, vorn über das rechte
Knie bauschig zur Erde fällt und auf derselben schleift, den zur Erde ziehen-
den Druck, der auf die ganze Persönlichkeit geübt wird. Der linke Oberarm
hält noch den einen Zipfel von demselben auf, während auch schon von die-
sem Ende der bei weitem längere Theil zum Boden herabfallt, doch ist die
Hauptmasse nach der rechten Seite gezogen.
Ueber die Köpfe zu urtheilen hat nach den oben angegebenen Ergän-
zungen seine Schwierigkeit. Wesentlich wohl erhalten ist ja nur der Kopf der
capitolinischen Psyche , welcher im Allgemeinen an die Niobidenbildung erin-
nert, aber einen grösseren Grad schmerzlicher Erregung besonders in der Au-
genlinic zeigt, als wir bei jener gefunden. Der Kopf der florentiner Statue
ward nicht ursprünglich dabei gefunden, ist er antik, so hat man einen Niobi-
denkopf benutzt; der der Statue im Louvre ist überarbeitet und gehört wesent-
lich der Niobidenbildung, der der andern capitolinischen Statue ist modern
und mit dem doppelt das Haar umschlingenden Hand nach dem Kopf der von
uns am Beginn dieser Reihe unter a besprochenen Statue gearbeitet.
Ueberschaut man unbefangen die ganze Gestalt , so wird die Einfügung
derselben unter die verschiedenen Situationen bedrohter, getroffener, fliehen-
der, Schutz suchender Niobetöchter in jeder Beziehung als eine durchaus na-
türliche erscheinen. Und haben wir nicht schon früher gerade den eigcnthüm-
lichen Zug des sich erschreckt Duckens , des die Kniee beugenden Zurück-
schauens, in dem zugleich ein solches Moment innigstes Erbarmen weckender
Hingabe gegeben ist, in den literarischen Zeugnissen, wie auch in einer Dar-
stellung kennen gelernt *) ? Ich erinnere in jener von uns bereits besprochenen2)
Schilderung des Meleager an die Worte: er d* in oiazolg mwooei, an die
Worte des Ovid: illam trepidare videres8), endlich an die Terracottafigur von
Fasano, an die vierte auf Tafel VIII, welche in der Bewegung dieser Gestalt
so nahe kommt, auch in der Bewegung der Arme mit den erhaltenen Armthei-
len stimmt, wenn sie auch in der Gewandung sich unterscheidet. Ich kann
1) S. obenS. 60. 14G.
2) Anthol. gr. I. p. 33. n. CXVTI. V. 10, dazu oben S. 60. 146.
3) Met. VI. 296, dasu oben S. 74.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 305
nicht glauben, dass dies Motiv erst für eine Psyche in römischer Zeit erfunden
ist, wie überhaupt diese Periode nichts Ideales erfunden, nur höchst geschickt
Vorhandenes benutzt hat. Und so stehe ich nicht an , besonders da wie wir
sahen , die eine capitolinische Statue gar keine Spur von irgend Flügeln hat,
da an der Florentiner, also doch nachweisbar mit denNiobiden gefundenen Sta-
tue das Stück im Rücken sehr wahrscheinlich im Alterthume bereits eingesetzt
war, dieses Exemplar überhaupt an Stil den andern nachsteht, rasch für jene
Auswahl auf dem Esquilin zurecht gemacht war, diese Psychemotivirung als
die einer Niobide mit Entschiedenheit in Anspruch zu nehmen.
Ich habe auf Tafel XVII sie mit dem einen fliehenden Niobiden zusam-
mengestellt, indem so ungesucht der zitternd Schutz suchenden ein Rückhalt
sich zu bieten scheint. In der Zusammenstellung ist dabei wohl zu beachten,
dass wir dem rechten Arm der sogenannten Psyche eine andere mehr dem lin-
ken Arm parallele Richtung anzuweisen hatten und dadurch jede unange-
nehme Gleichförmigkeit mit dem ausgestreckten Arme des Bruders wegfallt,
endlich dass sie in ihrer zusammengebeugten Situation sehr gut die eigen-
tümliche Lücke und Leere vor dem Niobiden ausfüllt. Auch die Maasse
beider Statuen empfehlen eine solche Verbindung.
/. Niedersinkende und auf dem Erdboden sitzende oder
liegende Niobetöchter.
a. Die an das Knie des Niobiden gesunkene Schwester der vatikanischen
Gruppe, auch Frocris genannt.
Abbildungen: Thiersch Epoch. d. bild. Kunst unter d. Griechen 2. Aufl. Taf. 3.
zu S. 315; Clarac pl. 808. n. 203S, mit der Ergänzung durch den florentiner Sohn MW.
t. XXXIII. n. 142 A. k ; Overbeck Gesch. d. Plast, fig. 69. c. d, unsere Tafel XIV. 5—6.
Wir haben bereits bei Gelegenheit des ältesten Sohnes das wichtige vati-
kanische Bruchstück einer Gruppe der an das Knie einer ausschreitenden
männlichen Gestalt niedersinkenden jugendlichen weiblichen Gestalt und seine
schlagende Uebereinstimmnng in den Ueberresten des männlichen Körpers mit
jenem Niobiden, somit auch die Berechtigung diese Gruppe als eine Geschwi-
stergruppe von Niobiden aufzufassen besprochen. Uns interessirt jetzt die Auf-
fassung der weiblichen Gestalt in ihrer Stellung unter der Reihe sicherer oder
wahrscheinlicher Niobetöchter. Gerade dies ist eine Seite, welche bei einer
ängstlichen und einseitigen Behandlung dieses ganzen Gegenstandes entschie-
dene Hedenken gegen die Bezeichnung als Niobiden erregen müsste , ja viel-
leicht auch erregt hat. Gerhard gab ja diese Tochter für die ursprüngliche
Compositum auf, betrachtete sie nur als eine spätere Zusammenstellung, was
in dem stilistischen Charakter derselben allerdings ein scheinbares Gewicht er-
hält; Braun1) führt nicht einmal die Deutung auf die Niobiden an.
1) Ruinen und Mus. Roms S. 344.
Stark, NioU. 20
306 Zweites Kapitel.
Eine sehr jugendliche , weibliche Gestalt ist zum Tode in der Brust, wo
ein tiefes, rundes Loch sich zeigt, verwundet, an der Seite des Bruders zusam-
mengesunken. Mit der rechten Achsel aufgelehnt, in das rechte Knie gefallen
scheint sie mit dem zur Seite aufgesetzten linken Fuss, dem gebogenen linken
Knie noch einen schwachen Versuch zu machen sich aufrecht zu erhalten.
Aber der linke Arm hängt schon schlaff zur Seite über die Weichengegend
herab und auch im rechten, besonders in der Hand tritt uns die wirksame To-
desmacht entgegen. Mit einem Chiton war sie nicht bekleidet und so zeigt
sich, da der Peplos auf den Unterkörper herabgesunken, gerade nur noch auf
der linken Seite etwas höher um die Weichen und Kücken gezogen ist und zu-
gleich der gehobene Oberschenkel eine natürliche Unterlage bildet, der ganze
Oberkörper, und an der rechten Seite Unterleib und Schamgegend unverhüllt.
Der Peplos ist in breiten Massen rückwärts über das linke Bein geschlagen,
dann vorn um den Körper mit breitem Ueberschlag gezogen, um endlich wie-
der nach vorn mit seinem Endzipfel auf dem linken Oberschenkel zurückzu-
kehren und noch lang auf den Felsboden herabzuhängen. In dem Faltenwurf
tritt uns durchaus der in grossen, nicht gehäuften Linien arbeitende Stil, den
wir an den besten Niobidenstatuen beobachten , entgegen , nichts Kleinliches,
Unruhiges, Effekthaschendes, eher eine gewisse Magerkeit und noch Befan-
genheit. Der linke, ganz sichtbare Fuss ist ohne alle Bekleidung, aber auffal-
lend sind die gedrehten Armspangen an den Handwurzeln (enixdQntcu o<peig) .
Was den Stil der nackten Theile betrifft , so berufe ich mich hier auf das Ur-
theil des Herrn von der Launitz* der die feinen Contouren und dazwischen lie-
genden weichen, flachen Massentheile hervorhebt, wie sie ganz ähnlich an Wer-
ken, die so eben dem Archaischen seh entringen, mehrfach hervortreten. Der
Kopf, welcher nicht gleich mit gefunden wurde, hat noch strengere, archai-
schere Züge. Die Haare sind fein gewellt und von einem Band umzogen. In
ihm ist das uns sonst geläufige Niobidenideal nicht ausgeprägt. Nach dem
Urtheil Martin Wagners ist der Kopf auch von anderem Marmor, als der übrige
Körper. Jedenfalls scheint die Neigung desselben in der Ergänzung nicht die
richtige.
Leider sind auch wir nicht im Stande über eine angebliche Wiederho-
lung dieser weiblichen Gestalt, aber ohne Armbänder , welche ebenfalls im
Vatikan sich befinden soll, Auskunft zu geben, deren Welcker nach einer
schriftlichen Mittheilung gedenkt *) .
Nach unseren früheren Betrachtungen , die wir unter e besonders anstell-
ten , im vergleichenden Rückblick auf die andern Denkmälergattungen kann
an und für sich weder die starke Entblössung, speciell die Entblössung des
1) A. D. I. S. 240. Anm. 24. Sollte sie ein Relief sein, wie uns die Beschreibung Roms
II. 2. S. 43 unter No. 60 ein solches beschreibt, nämlich als eine an einen männlichen
Schenkel gelehnte weibliche trauernde sitzende Gestalt in langem ärmellosem Chiton ?
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 307
Fusses, noch der angebrachte Schmuck noch die Todeswunden gegen die Auf-
fassung dieser Statue als Niobide sprechen , wir fanden alle diese Erscheinun-
gen vielfach an Niobiden angewandt. Etwas anderes ist es natürlich, ob sie in
dieser bestimmten künstlerischen Behandlung in den Stilcharakter der Floren-
tiner Statuenreihe hineinpasst. Da werden wir nicht die Entblössung, wohl
aber den Schmuck, die Angabe der Wunde, endlich die ganze Flächenbehand-
lung als eine Eigentümlichkeit eines Bildhauers, welcher allerdings nach der
Originalgruppe, aber nicht für die Florentiner Copie oder eine ihr im Stile
gleiche arbeitete, zu betrachten haben. Dieser strengere, an das Archaistische
erinnernde Hauch, der über die ganze Gestalt verbreitet ist, findet doch in der
Behandlung der besten Niobiden köpfe, besonders der Augenlinie und Haare,
auch einiger Gewänder schon eine Analogie und man muss wohl glauben, dass
theils das Vorbild selbst, aus welchem im Vergleich zu den glatten römischen
Copien eine eigenthümliche einfache Grösse und wenn man will Strenge oder
Präcision des künstlerischen Gedankens hervorleuchtete, theils der ja in Au-
gusteischer und darauf folgender Zeit vor allem in religiösen Statuen wie Re-
liefs bestimmt hervortretende Archaismus hier zusammengewirkt haben.
Was die Gesammtmotivirung betrifft, so bedarf es wohl kaum der Worte,
wie herrlich dies Niedersinken der jungen bereits getroffenen Schwester am
Knie des vorwärtseilenden , sie gleichsam auffangenden Bruders gedacht ist.
Ich erinnere dabei an die sinkende Schwester im Relief Campana , an die in
der Wärterin oder des Pädagogen Armen noch aufgehaltenen Töchter der Sar-
kophagreliefs, endlich an den Ausdruck Meleagers: inl yovvaaiv — %i-
xAiYcrt1). Aber zugleich mache ich darauf aufmerksam, dass in denselben nur
ein Gegenstück zu dem sich aufstemmenden Bruder gegeben zu sein scheint,
jedoch nicht ein einfaches, sondern durch den weiblichen Charakter und die
Gruppirung, sowie durch den Grad der bereits wirksam gewordenen Todes-
macht eigenthümlich contrastirendes. Damit ist zugleich auch gar nicht ge-
sagt, dass sie lokal streng symmetrisch sich entsprechen, im Gegen theil haben
wir auch darin ein chiastisches Verhältniss eher zu erwarten. Dort ein Einsin-
ken auf das linke Knie, hier auf das rechte, dort ein schräg Aufsetzen und
Anstemmen im rechten Bein, hier im linken Bein, dort ein höheres Heben der
linken, hier der rechten Schulter, dort ein straffes Anspannen des linken Ar-
mes, hier ein völliges schlaffes Hängenlassen derselben, dort ein Ausruhen
mehr des rechten Armes auf dem rechten Oberschenkel , hier ein festes , fast
steif erscheinendes Anlehnen des rechten Armes an einen fremden Körper.
6. Die As tragalenspielerin als angebliche Niobide.
Die Frage kann man sich wohl aufwerfen , ob nicht schliesslich auch eine
auf die Erde gesunkene, irgend gelagerte oder liegende Niobetochter unter dem
1) S. obenS. 60. 146.
20
308 Zweites Kapitel.
Vorrath der antiken Marmorwerke aufzufinden sei, um so mehr als uns ja ein
liegender Sohn in mehrfachen Exemplaren und zwar nach einem augenschein-
lich so ausgezeichneten Original bekannt ist. In der That hat man früher eine
mädchenhafte, mit einem Arm auf die Erde gestützte, auf derselben mit einge-
zogenen Beinen halbgelagerte Gestalt , welche jetzt in einer ganzen Reihe von
zum Theil freien Wiederholungen in Marmor nachgewiesen ist, als Niobetoch-
ter bezeichnet. Und jetzt hat Welcker und mit ihm die meisten der Neuem
eine ganz gelagerte todte Niobide als zugehörig zur Gruppe verlangt.
Dass das liebliche Bild einer unbefangenen , im Spiel mit Astragalen oder
Muscheln ganz beschäftigten Mädchennatur, wie sie uns die Statuen von Tyn-
daris, jetzt in Neapel, des Palazzo Colonna in Rom, des Louvre in Paris, des
brittischen Museums, der Sammlungen von Dresden, Berlin und Hannover
vorführen, wobei der Porträtauffassung ein freier Spielraum gegeben war1),
eine Niobetochtcr darstellen könne, hat rein als Gedanke gefasst mannigfach
Ansprechendes, wie ja die poetische Erzählung wohl die plötzliche Ueberra-
schung der Niobiden in den ihrem Alter angemessenen Beschäftigungen oder
Erholungen berichtet. Dazu kam noch jene von uns näher betrachtete3) her-
culanensische Zeichnung mit der Gruppe von den Astragalen spielenden Hi-
leairia und Phoibe bei Leto und Niobe, die man, wie wir gesehen, ohne allen
Grund für Niobetöchter erklärte. Und so dachten sich Lanzi und Fea8) jene
Astragalen Spielerin zur grossen Niobidengruppe gehörig; um so mehr als das
Exemplar im Palast Colonna durch den ergänzten linken Arm ein Erschrecken
aus dem Spiele auszuprägen schien. Selbst Avellino und Gerhard haben den
Gedanken an eine Astragalen Spielerin unter den Niobiden nicht ganz aufgege-
ben, wie wir schon oben für den letzteren bei Gelegenheit der Replik der jüngsten
Tochter unter der Familie des Lykomedes sahen 4) . Visconti 5), Levezow 8) , zuletzt
in umsichtigster Weise Welcker7) haben diese Beziehung auf Niobiden zurück-
gewiesen. In der That sprechen auch alle Momente dagegen: und vor allem be-
steht ein unauflöslicher Widerspruch zwischen einer in sich wohl abgerundeten
Genrebildung und einer hoch tragischen, durch verschiedene Stufen immer sich
erneuenden , auf eine hoch darüber waltende Gottesgewalt sich beziehenden
Situation. Dass jenes Bild nicht für die Möglichkeit zeugen kann , liegt nach
unserer Behandlung desselben auf der Hand. Aber auch jene Terracotta von
Fasano, in der doch Unruhe, Hast ausgeprägt ist, wovon in jenen Statuen
1) Vgl. Müller Hdb. d. Archäol. 3. Aufl. §. 430. Anm. 1 ; Panofka in Abhdl. d. Berl.
Akad. d. W. hist.-philos. Kl. 1S53. Taf. III. IV. V. S. 176—181.
2) S. 158.
3) Winkelmann Kunstgesch. ital. Uebers. T. II. p. 200.
4) Bull. Napolet. I. p. 116; Verz. d. Berl. Antik. 1858. S. 21. n. 75.
5) Mus. Napol. IV. 4 (?) nach "Welckers Anführung.
6) Böttigers Amalthea I. S. 194.
7) A. D. I. S. 248. Anm.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 309
keine Spur sich zeigt, kann nach unserer Darlegung nicht dafür angewendet
werden, da sie ja selbst als Niobide nicht feststeht. Und kein Relief, kein Va-
senbild giebt uns bei der viel grösseren Freiheit, die diesen Gattungen zusteht,
eine Analogie zu einer so in naivster Unwissenheit fortspielenden Tochter mit-
ten in der Katastrophe ihrer Familie.
c. Eine liegende Niobetochter als Forderung.
Wie steht es aber mit einer liegenden Niobetochter, die Welcker für
das eine Ende seiner Aufstellung verlangt f) ? Wir sehen hier natürlich zu-
nächst ganz ab von den Bedingungen eines Giebels, denn diese lassen über-
haupt nur eine zweite gelagerte Statue, nicht gerade eine weibliche wünschen.
Zunächst ist einfach zu antworten , wir kennen unter dem grossen Vorrath ru-
hender weiblicher Statuen, unter denen neben der Hauptmasse schlafender
oder gelagerter Nymphen2) doch auch eine todt ausgestreckte Amazone nicht
fehlt8), bisher keine einzige einer Niobide ähnliche Bildung. Ferner bei der
Ueberschau der Niobidendenkmäler sind uns einzelne hingestreckte Niobe-
tochter kaum begegnet, indem wir natürlich dabei von dem einmal vorkom
menden oberen Fries absehen, wo die Leichen der Söhne und Töchter getrennt,
auf einander gehäuft uns wie ein Threnos am Schlüsse der Tragödie begegne-
ten. Während wir sonst im Relief Campana und Albani so treffliche einzelne
hingestreckte Söhne der Niobe fanden , während uns an der Nebenseite der
Sarkophage nur einer hingestreckt oder auch in die Arme niedergesunken be-
gegnet, so sehen wir nur einmal auf dem Münchner Relief eine schwache,
flüchtige Andeutung einer liegenden Tochterleiche, die auf dem vatikanischen
geradezu ausgelassen ist und sichtlich dazu dient die Zahl voll zu machen,
nicht künstlerisch zu wirken. Meleager4) sah allerdings in dem ihm vorschwe-
benden Kunstwerk eine Tochter auf die Erde gelehnt, gesunken, wenn auch
schwerlich aber ausgestreckt liegen. Ich glaube daher, es ist kein blosser Zu-
fall, dass wir einer derartigen statuarischen Bildung noch nicht begegnet sind,
im Gegentheil ein feines künstlerisches Gefühl hat die Griechen überhaupt ab-
gehalten in dieser Weise markirt für sich eine wehrlose, zarte Frauengcstalt
dem Tode verfallen, ohne irgend thätige, helfende Liebe, zur Schau gleichsam
auszustellen. Natürlich bei den kämpfenden, männermordenden Amazonen fiel
dieses Bedenken weg, im Gegentheil hier sollte ihre männliche, im Barbaren-
tbum mit begründete Natur gerade wirken. Und bei der Klytemnästra, deren
auf der Erde ausgestreckter Leiche wir auf unsern Sarkophagreliefs begeg-
1) A. D. I. S. 286.
2) Ich citire nur aus Clarac pl. 324. n. 1666; pl. 749 c. n. 1825 A. n. 1801 D; pl. 750.
n. 1829 A. B. C. I); 1835; pl. 751. n. 1826. 1827.
3) Clarac pl. 810 A. n. 2035.
4) S. S. 146.
310 Zweites Kapitel.
nen1), ist es gerade das Unerhörte dieses Mordes aber zugleich ihre eigene,
über alles weibliche Gefühl hillausgeschrittene Natur, welche zur Anschauung
gelangen soll. Endlich haben wir uns bei grössern Gruppiruugen und zwar
Werken der zur grössten Freiheit durchgedrungenen Kunst wohl zu hüten
einfach mechanische Gegengewichte überall zu verlangen, im Gegentheil wird
es eine Quelle neuer Schönheiten das äusserlich Unsymmetrische und schein-
bar Unvollständig« durch eine innere Wechselbeziehung und durch auch
räumlich wirkende Unterordnung uuter eine höhere Kunstidee auszugleichen.
K. Statuen der strafenden Götter und des Amphion in der
Niobi den reihe.
Ueberhaupt die Frage sich aufzuwerfen, ob in die Reihe der Niobiden-
statuen, die wir in ihren mannigfaltigen Motiven und in der Fülle ihrer Wie-
derholungen so eben kennen lernten, nicht schliesslich auch noch die Statuen
der schiessenden, strafenden Götter aufzunehmen seien, ist gewiss in der Ana-
logie der anderen Denkmälergattungen und in dem mythischen Stoffe als
solchem begründet. Diese Frage ist aber nicht allein aufgestellt, sondern
auch bejaht worden von Männern anerkannten Kunsturtheils, so von Azara2),
von Aloys Hirt3) und Martin Wagner4) ; ja man fand in dem Apoll von Hel-
vedere den gesuchten Apollo, in Diana von Versailles die entsprechende Göttin.
Welcker5) und Feuerbach0) haben in eingehender Weise, jener die allgemeine
Annahme, dieser die specielle Verwendung jener zwei Statuen bekämpft und
zurückgewiesen. Fassen wir daher nur kurz die entscheidenden Momente
zusammen.
Es handelt sich für uns nicht um die Frage, ob überhaupt bei einer statu-
arischen Niobidendarstellung die Götter anwesend gedacht werden können —
wir sahen bereits früher, dass jenes Werk in der Grotte über dem Dionysos-
theater zu Athen, bei dem die Götter ausdrücklich erwähnt werden, mög-
licherweise als Statuenreihe aufzufassen ist, auch Welcker führte mit Hecht eine
Bronzestatue aus Pompeji an, welche in ihrer ganzen Motivirung mit dem schies-
senden Apollo der zwei Niobidensarkophage stimmt, auf7) — es handelt sich
darum, ob dieser Statuenverein in Marmor, den wir in seinen Bestaudtheilen
kennen gelernt haben, uuter sich oder neben sich Statuen des Apollo und der
1) Overbeck Gallerie heroisch. Bilder. S. fix«) ff. n. 26— 3-J. Taf. XXIX. 1.
2) Note zu Itaff. Mengs Opere p. 305.
3) Schon in den Hören Jahrg. 17117. 10. St. S. 20, dann in Wolfs literar. Analekten 1.
S. 1 IG, Mythol. Bilderb. I. S. 32 und noch in Jbb. f. wissensch. Kritik JS27. S. 2 IS.
4) Kunstbl. 1830. n. 5S. S. 231.
5) Alte Dcnkm. I. S. 255 ff.
0) Vatikan. Apollo S. 215 ff.
7) A. D. I. S. 255 ; Mus. Borb. VIII. 0 ; Overbeck Pompeji S. 374. e.
Statistik und Einzelbetrachtung der statuarischen Werke. 311
Artemis dulde, ob die Worte des Plinius für oder gegen die Anwesenheit der-
selben in der berühmten Gruppe des Skopas oder Praxiteles sprechen. Da
müssen wir entschieden sagen, die ganze Motivirung der oben über sich die
drohenden und vernichtenden Mächte suchenden Gestalten widerspricht einer
Nebenaufstellung derselben verkörperten Mächte ; widerspricht allen sonsti-
gen künstlichen Versuchen der Aufstelluug davor oder darüber. Neben dem
immer gesteigerten, in der Mutter gipfelnden dramatischen Miterleben der
geistigen und körperlichen tiefsten Erregungen dieser idealen Menschen fin-
den wir keinen Platz mehr für die künstlerische Wirkung eines körperhaft
erscheinenden Götterzornes oder die Erscheinung kalter ruhiger Todesvoll-
strecker. Dem SagenstofF nach bilden sie die nothwendige Voraussetzung,
aber künstlerisch ein zweites, das vorhandene, rein menschliche beeinträch-
tigendes Centrum der Betrachtung. Und gerade der Marmor als Stoff und
die Meisterschaft, mit der seine eigenthümliche Natur für das pulsirende
Leben der Körper uud den lebenerfüllten Schwung der Gewandung von dem
Meister des Urbildes erkannt und benutzt ist, widerspricht noch besonders
einer schlichten, religiösen oder mehr epischen, vollständigen und breiten
Hinzufügung der Götter. Endlich würde schwerlich Plinius den so bezeich-
nenden Ausdruck Niobes liberos morientis gebraucht haben, wenn er oder das
Publicum die vernichtenden Götter dabei vor Augen gesehen hätte. Wie
bestimmt nennt Pausanias diese dabei bei den zwei von ihm gesehenen pla-
stischen Werken *) !
Eine andere Frage wird schliesslich neben der eben behandelten auch
eine Beantwortung suchen ; wie kommt es, dass uns der Vater der Kinder,
Amphion , nicht unter den Statuen begegnet und haben wir ihn nicht noch
als fehlend vorauszusetzen ( Wir sahen, dass man den Pädagogen zuerst für
Amphion hielt, aber auch, dass er es nicht ist, noch sein kann. Bei der
Durchmusterung der Denkmäler trat uns überall die reiche künstlerische Ver-
wendung der Pädagogen und Wärterinnen neben der hoch über ihnen stehen-
den Mutter entgegen, nur in einer und zwar der späteren Klasse der Sarko-
phagreliefs ist uns neben der Mehrzahl jener Gestalten zuerst Amphion
und zwar schützend und ankämpfend gegen Oben wie eine Art Episode be-
gegnet. Gewiss ein Beweis, dass auch künstlerisch wie poetisch die Mutter
und wesentlich nur die Mutter mit und in ihren Kindern als den Götterzorn
herausfordernd und leidend gedacht ward, dass der Untergang der Kinder
vor ihren Augen um sie erfolgt, während der Gemahl als abwesend, als zur
Seite stehend, als nur halb zum Kreise gehörig , gleichsam einen anderen
Lebensweg gehend gefasst ward. Wenn er erscheint, konnte er nicht dul-
dend, fliehend, jammernd, nein nur kämpfend, mit den Göttern ringend
erscheinen. Und würden wir uns ihn als solchen in diese Reihe der durchaus
1) Dies hebt auch Feuerbach schon treffend hervor.
312 Zweites Kapitel.
ähnlich gestimmten, wenn auch von der vollen Ergebung zum edelsten Selbst-
gefühl sich erhebenden pathetischen Naturen einreihen können? Gewiss
nieht. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass Amphion mit dem Söhnchen
im Arm ankämpfend gegen die Götter als eine treffliche Einzelgruppe oder
auch als Glied einer mehr realistisch-historisch gefassten Gesammtscene nicht
gedacht werden könne. Ihm fehlt durchaus der Hauch geistiger Grösse bei
dem Mangel aller irdischen Hülfe, der die von uns als zu den Niobiden ge-
hörig erkannten Statuen durchdringt.
§ 22.
Die Oesanftntgrappirung der Statuen. Künstlerischer Charakter. Skopas oder
Praxiteles ?
Unsere bisherige Untersuchung über die statuarischen Werke der Niobe-
sage ist analytisch von den sicheren einzelnen Hauptpunkten, vergleichend
und suchend durch die zur Einreihung sich darbietenden Denkmäler fort-
geschritten. Ungesucht ergab sich dabei ein Fortgang künstlerischer Motive
vom höchsten Leben zur Kühe des Todes, von grossartiger Entfaltung der
ganzen Gestalt zum völligen Zusammenbrechen derselben, es ergab sich eine
grosse Analogie und doch wieder bezeichnende Abweichungen für männ-
liche und weibliche Naturen. Wir stehen nun an dem Punkte, wo die Syn-
these einzutreten hat, wo ein Grundschema herangebracht werden soll, dem
die einzelnen Glieder sich in ihrer Ordnung fügen, welches zugleich massge-
bend sei, um Lücken in dem Vorhandenen oder auch nothwendige Ausschei-
dungen zu constatiren.
Dieses Schema erwächst einerseits aus der Verbindung mehrerer plasti-
scher, runder Werke selbst in der Forderung der Symmetrie, in dem Gleich-
gewicht der Glieder um einen oder mehrere Mittelpunkte, in der Vervielfälti-
gung und Verschlingung dieser symmetrischen Elcmentargruppen , in der
Gleichmässigkeit des Rhythmus, der alle Theile schliesslich beherrscht. Aber
das Schema wird auch gegeben durch die Kaumverhältnisse, in welche eine
Statuenreihe eintritt, durch die bestimmte Beziehung, nicht blos zu einem
architektonischen Rahmen, sondern auch zu architektonischen Gliederungen,
denen sich die Plastik fugt. Und mit der Architektur erwächst sofort auch
eine nicht blos künstlerische, sondern auch ethische Bedingtheit für das pla-
stische Werk.
Für unseren Gegenstand erhält die Prüfung der verschiedenen, versuch-
ten und durchgeführten Grundformen eine cigenthümliche Schwierigkeit und
Bedeutsamkeit noch dadurch, dass wir not h wendig Beides ins Auge zu fassen
haben, hier die literarischen Zeugnisse für jene Originalgruppe des Skopas
oder Praxiteles und die von uns daraus gewonnenen Resultate für deren
Geschichte, dort die sichtbaren Glieder einer ausserordentlich oft und in
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 313
grösserer und kleinerer Vollständigkeit, mit sichtbaren Modifikationen, mit
mehr oder minderem Geschick wiederholten, aber auch nur in solchen Co-
pieen erhaltenen Gruppe, die wir allerdings alle Ursache haben mit jenem
Werk der höchsten griechischen Kunst für identisch zu erklären. Es liegt
durchaus in den erhaltenen Statuen kein innerer Grund vor, sie als aus ver-
schiedenen Originalcompositionen entnommen zu denken. Darauf hinzie-
lende Behauptungen, wie die Böttiger's über drei Statuenvereine1), oder von
Raoul Hochette*) über fünf sind bis jetzt durch nichts begründete Vermu-
thungen.
Wir haben es historisch bereits darzulegen versucht, welche Fülle von
GesammtaufTassungcn an die Niobidengruppe herangebracht ist, wie an ihr
überhaupt das Wesen der Gruppe so recht in ihrem Reichthum von möglichen
Formen zum Bewusstscin gekommen ist. Jetzt gilt es nebeneinander diese
Grundschemen sich vorzulegen und in ihrem Werthe für unsere Gruppe zu
prüfen. Voran tritt nach Begründung und herrschender Geltung die Auf-
fassung als einheitliche Giebelgruppe an einem Apollotempel. Hierbei
hält die strengere Ansicht fest, dass die Statuen auch in Rom im Giebel des
Tempels des Apollo Sosianus aufgestellt waren, eine mehr vermittelnde lässt
die Aufstellung in Rom unbestimmt, ja giebt eine solche irgendwo im Tem-
pelbereich mit entsprechenden Modifikationen zu. Noch weiter entfernen
sich Vermuthungen, wie die von E. Braun3), dass die vorhandenen Statuen
nur in zwei Giebelfeldern, dem einen mit Niobe, dem anderen mit dem Päda-
gogen zu vertheilen seien, oder wie die umgekehrte von Burckhardt 4) , die
ursprünglich einheitliche Giebelgruppe sei durch einen römischen Copisten,
der den Pädagogen geschaffen, in zwei Gruppen getheilt worden und so auch
in Rom aufgestellt.
Gegenüber stehen alle älteren und wieder die zuletzt ausgesprochenen
Ansichten. Sie theilcn sich wesentlich wieder danach, je nachdem der Be-
griff der Gruppe als einer einheitlichen und zwar von einem dramati-
schen Grundgedanken getragenen Compositum scharf gefasst wird oder
möglichst locker gehalten und mehr ein Statuen verein, bei dem das Haupt-
gewicht auf die einzelne Statue fällt, gefunden wird. Der Hauptrepräsentant
der letzteren Anschauung H. Meyer dachte sich die Statuen in einzelnen
Nischen eines runden oder halbrunden Tempelraumes vertheilt. Bei der
Durchführung der ersteren wurden zwei architektonische Hauptformen zu
Grunde gelegt : hier die Aufstellung an einer Wandfläche auf derselben oder
auf unterbrochener Basis, dort die Aufstellung malerischer Natur im Freien in
einem Halbkreis mit Vertheilung auch auf dem Mittelraum (M. Wagner).
1) Andeut. zu 24 Vorles. S. 174.
2) Monum. ined. p. 427.
3) Kuin. u. Mus. Roms S. 502.
4) Cicerone. S. 500.
314 Zweites Kapitel.
In der Mitte zwischen beiden steht wieder ein Versuch, der von Ramdohr
gemacht, von Levezow wesentlich adoptirt ist, die Statuen an eine Wand-
flache zwar anzulehnen, aber sie rechts und links davon gleichsam nach Vor-
dergrund, Mittelgrund, Hintergrund in Abstufungen abzulösen. Noch weiter
musste die Frage bei der Annahme einer Längenaufstellung vor einem Wand-
hintergrund sich specialisiren : haben wir an die Celle des Tempels, an den
' Pronaos, an die den Teinpelhof umgebenden Säulenhallen zu denken, haben
wir die Statuen zwischen die Säulen eingeordnet, oder sie ohne Rücksicht
auf diese hart an der hintern Wand stehend aufzufassen ?
Die Grundfrage für uns bleibt : ist die Niobidengruppe im engsten, un-
tergeordneten Verhältniss zur Architektur und zwar für den Giebel eines
Apollotempels vom Künstler entworfen und ausgeführt worden ? Alle vermit-
telnden Vorschläge erledigen sich mit ihr. Im Fall ihrer Verneinung wird
eine eingehende Kritik der anderen Reihe von Ansichten kaum nöthig sein,
wenn ein Weg gefunden wird, der methodisch fortschreitend, die sonstigen
Bedenken beseitigend zu einem festen Ziele unter den verschiedenen gelangt.
Die Beantwortung der Hauptfrage kann nur dann auf bleibende Geltung An-
spruch machen, wenn sie von der Vergleichung der uns bekannten Giebel-
gruppen und von den festgestellten Verhältnissen einer solchen zum griechi-
schen Tempelbau ausgehend in allen Hauptgesichtspunkten die vorhandene
Niobidenreihe und die hinter ihr liegende literarisch bezeugte Original-
gruppe prüfend untersucht. Wir müssen aber nun sagen, die Erwägung der
literarischen Zeugnisse über die Aufstellung in Rom, die Thatsachen der
copirenden Kunstthätigkeit, die T e c h n i k der Ausführung , die in
den Statuen gegebenen linearen Verhältnisse der Zusammenordnung,
die Ausprägung des geistigen Lebens, endlich auch der Gegenstand
der Behandlung selbst widersprechen der Annahme einer Giebelcomposition.
Ja, wir haben schliesslich zu fragen, werden wir der eigen thümlichen Stel-
lung des S k o p a s und Praxiteles in der Kunstgeschichte gerecht, wenn
wir dieses Werk des Niobidenunterganges als eine Giebelgruppe fassen ? f)
1) Ueber Giebeldarstellungen überhaupt hat nach Cockereli (Quarterly Journal of
litter. science and the arte VI. p. 329 f., Brit. Mus. VI. p. 20) und Bröndstedt (Reisen und
Untersuchungen in Griechenland II. S. 156 ff.) am eingehendsten Welcker in der schönen
Einleitung zu den Giebelgruppen (A. I). I. S. 3 -29) gehandelt, dazu kommen jetzt noch
die interessanten Bemerkungen von Brunn über römische Giebelgruppen in Annali XXIII.
1851. p. 2S9— 297 ; XXIV. 1S52. p. 33«— 345. Es fehlt aber bis jetzt an einer das vorhan-
dene Material umfassend bearbeitenden Darstellung, es kommen dabei Reliefs, Grabmäler,
Münzen vor allem auch in Betracht. Wir verzeichnen im Folgenden die von uns hier ver-
glichenen Giebeldarstellungen von Tempeln , dann eine Zahl kleinerer Monumente mit
Aetomata, indem wir die unmittelbar erhaltenen und literarisch bezeugten voranstellen :
1. 2. Gicbelgruppen des Athcnetempels zu Aegina: Gegenstand: Heroenkämpfe der
Aeakiden und Trojaner unter Athenes Schutz. Vgl. AVelcker A. D. I. S. 30 — 66.
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 3 1 5
Unsere frühere Untersuchung im fünfzehnten Paragraph hat aus dem
Plinianischen Sprachgebrauch die volle Unwahrscheinlichkeit der Aufstellung
der Niobidengruppe im Tempelgebäudc des Apollo Sosianus selbst, noch
3. 4. Dsgl. des Parthenon zu Athen. Gegenstand: die Geburt der Athene uritt
Streit der Athene und des Poseidon um Attika (Paus. I. 24. 5). Vgl. Welcker
A. D. I. S. 67—150.
5. O estlich er und nach Koss auch westlicher Giebel des Theseion mit sieben
Spuren von sieben Figuren. Vgl. Koss das Theseion und der Tempel des Ares.
1852. S. 10. Anm. 32; Welcker a. a. O. S. 15. Anm. 16.
6. 7. Zwei Giebelfelder in Delphi am Apollotem pel. Gegenstand Apollo,
Leto, Artemis mit den Musen; Dionysos mit denThyaden (Paus. X.19. 3). Vgl.
Welcker a.a. O. S. J51 — 17K.
8. 9. Zwei Giebelfelder wahrscheinlich, nicht eines imHerakleion zu Theben.
Gegenstand (Paus. IX. 1 1. -1) : eilf Kämpfe des Herakles. Vgl. Welcker a.a.O.
S. 207 f.
10. 11. Dsgl. am Heraeon bei Argos. Gegenstand: Zeusgeburt und Gigantenkampf,
Trojanischer Krieg, Einnahme von llion. Möglich bleibt bei dem Ausdruck :
6770a« vnk(> roig x(ovag — tl{tynafiira (Paus. II. 17. 3) die Beziehung auf Metopen
oder Fries, oder auf Metopen und Giebel. Vgl. Welcker a.a.O. S. 191 — 194.
Statuenfragmente s. Bursian in N. Jbb. f. Philol. LXXVII. S. 100 f.
12. 13. Dsgl. am Zeustempel zu Olympia. Gegenstand: Wettkampf von Pelops
und Oinomaos vor Zeus und Lapithen- und Kentaurenkampf (Paus. V. 10. 2).
Vgl. Welcker a.a O. S. 179—190.
14. Giebel am Thesauros der Megarenser in Olympia. Gegenstand: Gigan-
ten- und Götterkampf. Ob das tntliyyaoTtti rw attM nothwendig ein Uautrelief
bezeichne bei Pausanias (VI. 19. 9), scheint mir nicht erwiesen. Vgl. Welcker
a.a.O. S. 13. Anm. 11.
15. 16. Zwei Giebelfelder am Tempel der AthenaAlea bei T e g e a. Gegenstand nach
Pausanias (VIII. 45. 4) : Jagd des kalydonischen Ebers und Kampf des Telephos
mit Achill in der Kaikosebene. Vgl. Welcker a. a. O. S. 199—206.
17. 18. Zwei Giebelfelder am Olympieion zu Agrigent. Gegenstand: im Ostgie-
bel Gigantomachie , im Westgiebel Einnahme Trojas (Diod. XIII. 82). Vgl.
Welcker a. a. O. S. 195—198.
19. 20. Zwei Giebel am Nereidendenkmal zu Xanthos in Lykien mit Hautreliefs.
Gegenstand : sechs Götter zum Theil thronend mit nahenden, verehrenden Jüng-
lingen und Mädchen, und Kampf von Hopliten und Reitern. Vgl. Fellows aecount
of the ionic trophy monum. at Xanthus. Lond. 184$. Tav. j Urlichs in Vhdl. d.
Philol. u. Schulm. 1860. S. 61 ff.
21. Giebel einer ionischen Grabfacade im Fels bei Antiphellos in Lykien. Haut-
relief mit sieben Personen : auf dem Lager Ruhender, Stehender, Sitzender in
Abstufung. Vgl. Texier Asie mineure Part III. vol. 3. pl. 198.
22. Giebel einer Grabfacade im Fels ebendaselbst. Hervorragender Kopf eines
Thieres (wahrscheinlich Wolfs). Vgl. Texier a. a. O. pl. 199.
23. Dsgl. einer Grabfacade von Myra. Darin Löwe und Stier sich an den Köpfen
packend. Vgl. Texier a. a. O. pl. 225.
24. Dsgl. einer Grabfacade von Aspendos. Dargestellt Greife in Fischschwans
endend. Vgl. Texier a. a. O. pl. 240.
3 1 6 Zweites Kapitel.
mehr in dem Giebel desselben erwiesen; sie führte weiter aus, dass aller-
dings Giebel-, wahrscheinlicher Akroterienstatuen nach Rom auf Tempel
25. 26. Zwei Giebelfelder von Grabfacaden im Fels dorischen Stiles in No rchi a (Etru-
rien). Darstellung in dem einen : drei hochragende Figuren in der Mitte, acht
link 8, sechs rechts sich abstufend bis zum Liegen ; in dem anderen Giebel zwei
niedergestreckte, eine knieende, eine kämpfende Figur erkennbar. Vgl. Monum.
ined. d. inst, archeol. 1. t. 48 ; Annali 1832. p. 289—295; 1833. p. 18—56.
27. 28. Grabfacaden im Fels bei Sovana in Etrurien. In dem einen Giebel Kopf mit
Tuch umwunden zwischen Arabesken; in dem anderen weibliche nackte geflü-
gelte fischleibige Figur auf je einem männlichen Körper zur Seite. Vgl. Monum.
ined. III. t.55. 57. Ann. 1S43. p. 223 ff.
29. Kelief aus dem Giebel eines Herculestempels bei Tibur mit stehendem
Hercules, Köcher, Schwein und Scyphus zur Seite. Im Vatican, Cortile di
Belvedere.
Giebelfelder mit plastischen Werken auf Reliefs und Münzen:
30. Relief mit Besuch des D i o n y s o s bei dem sog. I k a r i o s. Korinthischer Tem-
pel mit Giebel dabei, darin Maske Seeungeheuer zu beiden Seiten. Vgl. Müller-
Wieseler D. A. K. II. t. 50. n. 624.
31. Relief bruchstück mit Giebeldarstellung nach Piranesi bei Müller - Wieseler.
D. A. K. II. t. 2. n. 13; zu vergleichen mit Relief, Opfer vor Tempel darstel-
lend. Mon. ined. V. t. 36, dazu Brunn in Annali 1851. p. 289—297, ferner mit
Sarkophagdeckel 8. Ann. 1844. p. 196 f., ferner mit Bronzemünze des Vespasian
beiDonaldson Architectura numismatica n. 3 ; M üller- Wieseler D. A.K. II. 1. 1.
n. IIa. Darstellung: die Skulpturen im Giebel des Jupiter Capitolinus-
tempeU : drei thronende Götter, Nebengötter, Sol und Luna auf Gespannen.
32. Relief der Villa Medici, veröffentlicht Mon. ined. V. t. 40, Brunn in Ann. 1851.
p. 2S9 — 297. Ach tsäuliger Tempel (des M. Aurel?) mit sieben Göttergestalten,
darunter drei stehenden, zwei sitzenden, zwei liegenden.
33. Relief ebendaher, veröffentlicht Ann. 1851. tav. agg. R. S. Giebel eines Cybe-
1 e t e m p e 1 8 mit Thron in der Mitte, zu den Seiten gelagerter Gallus und Löwe
in der Ecke.
34. Relief mit Giebel des Tempels der Venus und R o m a in Rom. Mars zur Rhea
Silvia niedersteigend dargestellt. Vgl. Raoul Rochette Monum. ined. I. pl. 8.
35. Relief an einem Sarkophagdeckel mit drei Giebelfeldern. In dem mittleren Pluto
und Proserpina thronend mit Cerberus und Amor, rechts sitzendes Ehepaar,
links drei stehende Paare mit zwei flehend Knieenden. Vgl. Müller- Wieseler
D. A. K. II. T. 68. n. 858.
36. 37. Reliefs vom Denkmal der Haterii mit Bauten an der Via Sacra. Im Giebel eines
J u pi tertempels Kranz mit Bändern. Grabtempel mit Frauenbüste und auslau-
fenden Zweigen zur Seite. S. Mon. ined. V. t. 7. 8.
38. Münze des Claudius mit kl. Tempel der ephesischen Artemis. Im Giebel
drei Tische oder Throne, zwei Männer Schild haltend, in der Ecke Thiere. Do-
naldson Architect. numism. n. 24.
39. Münze des Gordianus mit Tempel der ephesischen Artemis. Im Giebel Tisch
mit Diskus ., andere abgestufte Gegenstände. Donaldson a.a.O. n. 3 und 41.
40. Münze der Erennia Etruscilla mit kl. Tempel der SamischenJuno. Im Giebel
Kranz mit Bändern. Donaldson a. a. O. n. 23.
Die Ge8ammtgruppirung der Statuen. 317
versetzt wurden, dagegen die Aufstellung von Giebelgruppen unten in Hallen
oder sonst an andern Orten etwas durchaus Unbezeugtes, ja dem römischen
Sinn für architektonische Raumanordnung Widersprechendes sei, dass Gie-
belstatuen überhaupt in Rom, weil der Beschauung ferner gerückt, auch
wenig dort beachtet wurden.
Zweitens sahen wir aber, in welcher Fülle von Wiederholungen die
Niobidengruppe seit ihrer Aufstellung auf den Boden Roms nachgebildet
und aufgestellt wurde, wie geradezu dieselbe ein Lieblingsthema für plasti-
schen Schmuck wahrscheinlich der Prachtanlagen der Gräber, aber auch der
Prachtsääle der Villen, der Nymphäen, z. B. geworden war. Kennen wir
aber ein zweites Beispiel für eine solche Nachbildungslust von Giebelgrup-
pen und zwar für grössere und kleinere Zusammenstellungen daraus ? Wie
steht es denn mit den herrlichsten Gruppen im Giebel des Parthenon ? wie
mit denjenigen von Aegina, Olympia, Delphi, dem Heräon? Ja, man trage
sich nur selbst vor den herrlichen Gestalten der Elgin-marbles, ist ein solcher
Theseus, Ilissos , eine solche Gruppe der drei ruhenden Göttinnen oder der
41. Münze von Mylasa unter Oeta. Tempel des Zeus Labrandeus mit Ku-
gel oder Kranz im Giebel. Vgl. Müller- Wieseler D. A. K. II. T. 2. n. 30.
42. Münze des Elagabal. J upiter tempel zu Emesa mit Tisch oder Thron im
Giebel. Donaldson a.a.O. n. 19.
43. Neokorenmünze aus Pergamonmit Kranz im Giebel von zwei Tempeln. Do-
naldson a. a. O. n. 40.
44. Dsgl. von Perinthus. Undeutliche Gegenstände in den Giebeln. Donaldson a.
a.O. n. 38.
45. Münzen des M. Aurel mit Tempel des Mercur, Umschrift K. E. LIG- AVG. Im
Giebel Schildkröte, Widder, Hahn, Caduceus, Sack, Hut. Donaldson a. a. O.
n. 25.
| 46. Münze des Antoninus Pius mit Tempel der DivaFaustina. Im Giebel ste-
hende Gestalt, sitzendes Thier (Pfau ?] und eine ausgestreckte Gestalt Donald-
son a. a. O. n. 4.
47. Münze des Trajan mit achtsäuligem Tempel. Im Giebel thronende Gestalt, zwei
gelagerte männliche Gestalten. Donaldson a. a. O. n 7.
48. Münze des Hadrian mit zehnsäuligem Tempel. Im Giebel drei stehende Figuren
(Götter), zwei gelagerte.
49. Münze des Maxentius mit viersäuligem Romatempel. Im Giebel säugende
Wölfin.
Die Zahl der Grabstelen und Cippen mit förmlichen Aetomaten, welche überhaupt auf
Grabstelen, nicht blos auf die wirklich heroisirter Todter zu setzen die Sikyonier zuerst
zur Sitte machten (Paus. II. 7. 3), ist überaus gross. Neben der Rosette oder Rose, welche
der früheste Schmuck der Grabstele ist, finden sich Schalen, Kränze mit breiten Bändern,
Vögel mit Zweigen, Gorgonenmasken, dann die Köpfe der Verstorbenen, auch Symbole
des Hermes Chthonios; man vergleiche nur Clarac pl. 250. 251. z.B. 102. 343. 503. 536.
582. 605. 614. 618; pl. 654 n. 541. 607; Mann. Taurin. n. 96. 102. 103; L. Beger Thes.
Brandenb. III. p. 468 ; Gerhard Vers. d. Berl. ant. Bildw. n. 485. 488.
318 Zweites Kapitel.
zwei sitzenden ganz für sich aufgestellt ein für sich befriedigendes, unser
ganzes Interesse in Anspruch nehmendes, vor allen ein verständliches Werk?
Weisen sie nicht vereinzelt durch ihre Linien auf jene aufsteigende oder sich
senkende Dreieckslinie, anf jene Breitenentwickelung der Linien, so sorgfäl-
tig auch die nicht sichtbaren Theile der Gestalten gearbeitet sein mögen?
Wir können wohl dies und jenes Motiv als ursprünglich für jene Stelle zuerst
gefunden oder ausgeführt glauben, aber Copieen jener Werke begegnen uns
nirgends. Ist nicht schon die geringe Zugänglichkeit zu den Werken, die
Entfernung des Beschauers ein grosses Hinderniss gegen so häufige Ver-
vielfältigungen ?
Und nun denke man sich ein römisches Kunstpublikum der kaiser-
lichen Zeit dazu? Wie weit ab stand es von jenem religiös und künstlerisch
gleich lebhaften und unmittelbaren Verständnisse für die grossen, tiefsinni-
gen und idealen Compositionen der griechischen Heiligthümer ! Es war das
Pathetische, das durch Frauenschönheit oder Kraft unmittelbar Ueberwäl
tigende , es war das technisch Bewundernswerthe , das im Stoff Kostbare,
welches die gebildete Welt für das einzelne Kunstwerk, die Statue oder auch
die kleine oder umfangreiche Gruppe interessirte und wohl auch noch hie
und da begeisterte. Die Plastik im Dienste der Architektur galt ganz und
gar als prächtige, oder illustrirende Dekoration, daneben beanspruchte sie
aber im einzelnen Marmor oder Bronze ihre ganz speeifische Beachtung.
Und so liegt es auch bei den Niobiden auf der Hand, waren sie als Giebel-
gruppe je componirt, der Römer hat sie als solche nicht verstanden, nicht
sieji für die Gesammtidee im Dienste des Heiligen begeistert; es war der
Geist, der gleichsam von dem allgemeinen religiösen oder ethisch-politischen
Gedankenkreis losgebunden Fleisch und Blut geworden ist im einzelnen In-
dividuum, in dessen Schmerz und Angstgefühl, in dessen Ankämpfen gegen
das Uebermächtige, welcher zu den Niobiden hinzog und sie immer neu wie-
derholen liess.
Vielleicht aber ist es doch möglich, dass dieselben Statuen, welche nur
als streng einheitliches Ganzes in dem Giebel des Tempels geschaffen waren,
zugleich so individuell gebildet waren, so auch sich von einander und von
ihrem Rahmen lösen liessen, dass sie nun in ihrer Lösung und Isolirung und
dem Beschauer viel näher gebracht einen anderen aber neuen Zauber aus-
übten. Nun, da müssen wir die Statuen selbst befragen, das Gemeinsame
und Bezeichnende in ihnen aufsuchen und zur Giebelform in ein Verhältniss
setzen. Von Seiten der technischen Ausführung scheint zunächst
eine nicht unwichtige Empfehlung einer Giebelaufstellung darin gegeben zu
sein, dass weitaus der grösste Theil der Statuen nicht blos der medieeischen
in ihrer Rückseite verhältnissmässig wenig ausgeführt sind, ja ganz sichtlich,
z. B. die Niobe selbst, so wie die vatikanische Niobide als eine etwas convex
gewölbte Masse sich kundgeben, die also einen Wandhintergrund und viel-
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 319
leicht sogar eine etwas gebogene Wand voraussetzen. Selbst der liegende
Niobide ist in zwei Exemplaren entschieden nur für die Betrachtung von Ei-
ner Seite berechnet. Bei dem einen fliehenden Sohn giebt der Fels hinter dem
ausschreitenden Bein den schon angewachsenen Hintergrund, bei dem ande-
ren bietet er neben der flüchtigeren Bearbeitung der Vorderseite die eigen-
tümliche Schwierigkeit für eine Aufstellung auch schräg von der Seite.
Daneben haben wir freilich auch in den knieenden Söhnen Statuen mit sorg-
faltiger ausgearbeitetem Rücken und das fehlende Unterbein des einen ist als
ursprünglich vorhanden sicher vorauszusetzen. Aber auch sie sind doch nicht
als rund von allen Seiten zu umgehende und zu besehende Statuen, wie derllio-
neus in München vom Künstler gedacht. Es bedarf meinerseits keiner neuen
Auseinandersetzung, dass auf der einen Seite die griechische Kunst des stren-
gen und hohen Stiles auch die Bearbeitung der von unten unsichtbaren Rück-
flächen ihrer Giebelstatuen nicht vernachlässigte, auf der anderen die spätere
griechisch-römische Technik auch bei einzelnen Statuen, besonders grösseren
Massstabes, die einen architektonischen Hintergrund irgend einer Art hatten,
nicht für allseitige Beschauung berechnet waren, sofort der Rückseite eine
geringere Ausführung gaben, sie oft nur roh anlegte. Aus der grösseren
oder geringeren Ausführung der Rückseiten aber Schlüsse ziehen zu wollen,
wie Martin Wagner that, für die Aufstellung unmittelbar an der Wand oder
weiter davon abgerückt, ist bei der grossen Verschiedenheit der Arbeit wie
des Marmors selbst durchaus unzulässig. Das ist vielmehr als Resultat durch-
aus festzuhalten, die Niobidenstatuen sind wesentlich als neben einander in
einer Längenaufstellung und mit einem architektonischen Hintergrund ge-
bildet.
Dagegen widerspricht die Bildung des liegenden Niobiden durchaus
einer Aufstellung in bedeutender Höhe, in einer Giebelecke1) ; wir bemerk-
ten schon früher bei der Besprechung desselben, welch unangenehmer leerer
Winkel von unten gesehen zu Tage tritt, während von der Schönheit des
ganz zurück- ja abwärtsliegenden Körpers auch nichts gesehen werde; auch
vom Kopf sind wesentlich dann nur die zurückfallenden Haarmassen zu sehen«
Und endlich ist es das Machwerk aller Statuen, diese Schlankheit und Fein-
heit der Gestalten, diese weitgestreckten Glieder, wobei nur zum kleineren
Theile ein Ineinandergreifen zweier Gestalten sich findet, diese feine Ent-
wickelung der Gesichter, welches nicht allein durch eine Giebelaufstellung
entschieden an Wirkung verlöre, sondern auch einen dünnen, magern Ein-
druck hervorrufen würde*). Man vergleiche nur die untersetzten Körper, die
ineinandergreifenden gedrängten Glieder des Aegineten, man verjgleiche vor
allem die Parthenonsculpturen in ihrer Breite , Mächtigkeit und Gedrängt-
1) Vgl. Martin Wagner im Kunstblatt 1830. n. 5S.
2) Auch Friederichs 8. 87 macht auf diesen Punkt aufmerksam.
320 Zweites Kapitel.
heit, man vergleiche andererseits die römischen Dekorationsstatuen an den
Triumphbogen und sonst für hohe Standpunkte berechnete Werke. Da kann
man nicht einwenden, es spreche sich in den Maassverhältnissen der Körper
die Verschiedenheit der Kunstepochen aus ; die Kunst eines Skopas und Pra
xiteles hat feinere, schlankereStatuen gebildet, alsPhidias oder gar die Schule
von Aegina. Nun ein Skopas, der Erbauer des schönsten Tempels der Pelo-
ponues, der Leiter der Ausschmückung des Mausoleum zu Halikarnass und
Praxiteles, der das Herakleion zu Theben mit Giebelstatuen schmückte, haben
auch die architektonischen Verhältnisse und ihre Einwirkung auf Sculptur-
werke gekannt, um diese für ihren Aufstellungsort genau zu bemessen.
Wie steht es weiter mit den Gesammtlinien der Statuenreihe im Ver-
hältnisse zur Giebelform? Wir haben hier zweierlei ins Auge zu fassen:
sowohl die absteigenden Höhenmaasse gemäss den sich senkenden Seiten des
gleichschenkligen Dreiecks und die abnehmenden Körpermaasse als die Ver-
änderung der Körperlagen aus senkrechten zu wagrechten im Verhältnis« zur
Axe der ganzen Aufstellung und zu den beiden Endpunkten. Wohl haben
wir eine Abstufung der Höhenmaasse sowohl nach Alter als nach der Motivi-
rung in ihrem Fortschritt vom Stehen und Eilen bis zum Niedergestrecktsein
unmittelbar auf unserer Wanderung durch die Reihe der in Frage kommen-
den Statuen wahrgenommen; über die sonst herrschenden Massverhältnisse
hinaus aber ist allein die Mutter gebildet. Es ist damit noch nicht ausge-
sprochen, dass keine Hebung und Senkung in der bilateralen Aufstellung
stattgefunden habe. Im Gegentheil weisen die gesicherten drei engen Grup-
pirungen jüngerer und auch als kleiner motivirten Gestalten mit grösseren
auf solche Hebungen hin. Nun aber ist mit den sicher gestellten Statuen
wenigstens ohne grosse Lücken und dadurch zugleich ohne eine ausserordent-
liche Längenausdehnung eines flachen Giebels eine durchgehende einem
Dreiecke sich fugende Anordnung nicht durchzufuhren. Ich kann mich hier
zunächst auf den mathematischen Nachweis von Friederichs1) berufen, wel-
cher für die allgemeine als glücklich und relativ sicher anerkannte linke Flü-
gelaufstellung durchgeführt ist. Es muss danach der kleinste der drei fliehen-
den Söhne bis nahe in die Mitte dieser Giebelhälfte geiückt werden, wenn er
überhaupt darin Platz finden soll ; hinter ihm sind also noch mehrere Figuren
einzureihen, oder der Giebel 3teigt in einer Steilheit empor, dass die mittle-
ren Figuren, besonders die Mutter, darin ganz verschwinden. Und die auf-
steigende Linie von jenen über die drei Söhne und die zwei Töchter ist
dabei eine ausserordentlich kleine (von 1,400 M. bis 1,788, also Differenz
as 0,388 M.), während dagegen der Abstand der nächsten Tochter zur Mut-
terauffallend gross ist (1,788—2,305, also = 0,517 M.).
I) Praxiteles und die Niobegruppe S. 81 f.
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 321
Die Mitte des Giebels zeigt, abgesehen von der Höhe, die die Grösse
der Mutter nicht ausfüllt, eine sehr bedenkliche Leere1) ; man erwartet hier
durchaus eine grössere Concentration der Figuren. Vergleichen wir nur die
Mitte derAegineten mit der Göttin und dem vor ihr stattfindenden Kampf um
die Leiche, oder die des westlichen Parthenongiebels mit den aus einander tre-
tenden Gestalten der Athene und des Poseidon und dem Oelbaum in der Mitte
oder um die kurzen für diese Frage nicht genügenden Beschreibungen be-
rühmter Giebelgruppen nicht zu benutzen, obgleich sie auch wesentlich für
uns sprächen, das merkwürdige Giebelfeld des einen als Tempel gebildeten
Felsengrabes von Norchia2), wo drei hochragende, offenbar göttliche Gestal-
ten, eng zusammenstehend die Mitte füllen, während bedeutend kleinere in
geschickter Abstufung sich zu den Giebelecken senken, oder das Giebelfeld
des capitolinischen Jupitertempels mit dem sitzenden Jupiter, Juno und Mi-
nerva, dem auf- und niedersteigenden Sol und Luna, der kleinen hockenden
Arbeitergruppe um Vulcan und ihrem Gegenstück 8) , oder das ganz ähnliche
merkwürdige Reliefbruchstück mit Giebelfeld, dessen Zeichnung in der vati-
kanischen Bibliothek erhalten ist, wo Jupiter, Juno, Ceres (?) in der Mitte
thronen, Gottheiten des Tages und der Nacht auf ihren Gespannen sie um-
geben4), oder das Reliefeines Tempels wahrscheinlich des M. Aurel in Villa
Medici, ebenfalls mit drei stehenden, zwei sitzenden, zwei liegenden Gestal-
ten5). Jedenfalls hätten wir wenigstens die zwei Niobe selbst an Grösse
und Umfang am nächsten stehenden Statuen auch der Mitte des Giebels von
zwei Seiten am nächsten zu bringen: es ist dies der Pädagog (1,758 M.) und
die ruhig stehende, das Gewand hebende, vor sich blickende weibliche Ge-
stalt, oben unter G.a. behandelt (1,925 M.). Welcker hat sie beide neben
einander auf die rechte Seite geschoben und von der Niobe selbst noch ge-
trennt. Aber sie können gerade unmöglich in der Mitte stehen, indem die
Motivirung der Arme eine unerträgliche Gleichförmigkeit mit Niobe selbst
zeigen würde und der Contrast der ausgeprägten Stimmung wie der Idealbil-
dung ein den Eindruck der Mutter geradezu vernichtender sein würde.
Von der rechten Giebelseite in Bezug auf die lineare Abstufung zu
reden, wird nicht nöthig sein ; sie ist bei Cockerell und auch bei Welcker die
am wenigsten befriedigende, man versucht es bisher vergeblich sie mit den
vorhandenen Mitteln zu ordnen. Nur Eines sei erwähnt : während die drei
ersten Statuen an Grösse fast ganz gleich sind, fallt dann das Grössenmaass
1) Auch Michaelis zur Niobegruppe S. 16 fühlt diesen Mangel.
3) Mon. ined. d. inst, archeol. 1. 1. 48, dazu Ann. 1832. p. 289— 295 ; 1833. p. 18—56,
speciell p. 41.
3) Mon. ined. V. 1851. t. 36.
4) Müller- Wieseler D. A. K. II. Taf. 2. n. 13.
5) Mon. ined. V. t. 40.
Stark, Niobe. 21
322 Zweites Kapitel.
vom Pädagogen zum knieenden, sieh aufstemmenden Niobiden plötzlich von
J,758 zu 1,311 M., also um tt,447 ab.
Noch ein zweites Linienverhältniss aber wollten wir beachten, das der
Richtung der einzelnen Glieder der Gruppe zur Mitte oder zu den zwei End-
punkten. Hier muss nun jedem einfachen Beschauer der durchgehende we-
sentliche Parallelismus der einzelnen Statuen entgegentreten : fünf Figuren
der linken Seite hängen alle gleichsam nach derselben Seite, wie Wagner
treffend von drei derselben sagt, „gleich Bäumen am Abhänge des Waldes,
die der Sturmwind umgelegt hat". Und auch in den anderen Gestalten ist
entweder dieselbe Schrägheit, wenn auch von der anderen Seite oder ein
senkrechtes in sich Ruhen ausgeprägt. Wir werden diesen Parallelismus,
der an ein oder mehrere Centren sich rechts und links anlehnt, weiter unten
trefflich verwerthen können, für eine Giebelaufstellung wirkt er höchst un-
günstig, „atomistisch zersplitternd". Mit Recht hat Michaelis1) auf die ge-
forderte plastische Anakrusis in den untern Giebelecken aufmerksam gemacht;
sie ist in allen Giebelfeldern gegeben in den gelagerten, aber sich erheben-
den Gestalten, meist Repräsentanten des Ortes, der Gewässer, in den auf- und
niedersteigenden Mächten von Tag und Nacht. Der liegende Niobide bietet
nichts davon dar, und zu ihm fanden wir also kein Gegenstück. Die voll-
endete Kunst eines Phidias vermittelt nun aber auch auf eine höchst interes-
sante Weise die Wendung der Glieder der Gruppe zum Centrum und zu den
Enden : hier lebendiges Hereilen vom Hauptvorgang, theilnehmendes Ent-
gegenbewegen, dort schon behaglicheres sich Umwenden, sich Ausstrecken
den Enden entgegen. Eine frühere Kunststufe concentrirt wohl bis zur Ana-
kruse alles auf den Hauptvorgang. Spätere Künstler lassen dagegen unmit-
telbar in Seitengruppen den Rücken dem Mittel Vorgang drehen. Aber wie
mannigfaltig sind die Motive der Körper : Stehen, Eilen, Vorbiegen, Sitzen,
Knieen, Liegen durchgängig in den Giebelfeldern ! Auf dem Giebelfeld von
Norchia, um vom Parthenongiebel abzusehen, fügen sich Gruppen von auf
der Erde Ringenden, von den eine Leiche Niederlegenden, von sich Anfassen-
den höcht geschickt dem abnehmenden Räume ein.
Nein, bürden wir nicht dem grossen Meister der Niobegruppe ein man-
gelndes Verständniss für die Gesetze der Giebelgruppen, nicht ein absicht-
liches Zersplittern, Auseinanderziehen, eine gewisse Einförmigkeit der ein-
zelnen Glieder auf! Die kurzen Angaben über die Giebelfelder des Skopas
am Tempel der Athene Alea mit jenen hochbelebten, mannigfaltigen Kampf-
und Jagdscenen, wie über die von Praxiteles gefertigten Heraklesthaten in
Theben, wrobei künstlerisch sehr fein berechnet der Ringkampf zwischen
Herakles und Antäos auch gegen sonstige Analogie angebracht war, sprechen
1) A. a. O. S. IS.
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 323
entschieden für ihre specielle Kenntniss dieser Art Aufgaben, aber auch für
ihr Verbleiben in der früher schon entwickelten Behandlungsweise.
Aber wir müssen noch weiter diese Grund ansieht prüfen,' auch nach der
geistigen, idealen Seite der Darstellung, ja nach dem Darstellungs-
objeet selbst. Wie wir linear einer grossen Gleichmässigkeit der Bewegun-
gen in der Gruppe begegneten, dazwischen allerdings mehrere Knoten- und
kürzere Haltpunkte sich finden, endlich ein gewaltiger Höhepunkt uns ent-
gegen tritt, so ist im geistigen Gebiet durch alle Glieder gleichartig ein sehr
hoher Grad des individuellsten Pathos ausgegossen, das seinen Gipfel, aber
auch seine innere Aasgleichung in der Gruppe von Mutter und dem jüngsten
Kind findet. Wir leiden und bangen mit jedem einzeln und zwar auf seine
eigenthümliche Weise ; allen ist der Tod so unmittelbar nah, alle sind von
so edler Art. Da giebt es keinen eigentlichen Hauptvorgang und keine theil-
nehmenden Zuschauer und schliesslich auch ruhige Zeugen, jeder ist Spieler
in der gewaltigen Tragödie. Die Tochter im Schoosse der Mutter ist an und
für sich nicht bedeutsamer , nicht mehr beklagenswerth , als all ihre Ge-
schwister, und in der Mutter spiegelt sich noch einmal das ganze gesammte
Leid der Reihe ihrer Kinder ab.
Dieses durchgehend, so wunderbar fein und ergreifend in jedem einzeln
entwickelte Pathos kann aber überhaupt kein Vorwurf (Objekt) einer Giebel-
darstellung den äusseren Bedingungen wie dem inneren Wesen einer solchen
nach sein, und es fehlt ihm jegliche Analogie in den antiken Giebelgrup-
pen. Wie ruhig, wie gleichmüthig möchte ich sagen, laufen in ihnen die
grossen und bewegten Akte aus, wie sind sie gleichsam ausgeleitet, in einen
Rahmen gefasst durch die Repräsentanten der immer gleichen Naturordnung
oder auch durch einfache Beschäftigungen des Menschenlebens ! Und auch
der Todte in der Ecke, er soll nicht das lebendigste Mitleid erregen, wie jene
herrliche Niobidenleiche, nein gleichsam nur das Naturgesetz des Kampfes
verkünden.
Ja, und konnte überhaupt der Untergang der Niobiden und gerade diese
so rein innerliche, vergeistigte Auffassung desselben eine Aufgabe für den
Giebel eines Tempels und spcciell der Letoiden sein ? Bis jetzt scheint man
allerdings diesen Gedanken entschieden zu hegen. Welcker spricht es aus :
„in dem Giebel eines Apollotempels giebt sie (die Gruppe) das schönste, be-
friedigendste Seitenstück ab zu dem Gigantensieg in dem Giebel des Zeus-
tempels zu Agrigent und dem des Heräon zu Argos. Sie zeigt uns über dem
Eingang in den Tempel des Apollo ihn selbst mit seiner Schwester in der
Furcht und Ehrfurcht gebietenden wunderbarsten Ausübung ihrer Gewalt,
als die göttlichen Rächer des Uebermuthes und dieselbe Vorstellung war nach
dem gleichen Gedanken an der Pforte eines anderen Apollotempels in Rom".
21»
324 ZweitesKapitel.
Sowohl Friederichs1; wie O verbeck2) fanden in diesem Gedanken eine sehr
entschiedene Empfehlung der Giebelaufstellung. Und wer möchte nicht
zunächst in allgemeiner idealistischer Fassung von ihm angesprochen werden ?
Anders stellt sich aber die Sache bei schärferer Erwägung des wirklich, sicht-
bar Dargestellten, nicht blos des dahinter Gesuchten, und bei Vergieichung
der sicher gestellten Gegenstände von Giebelcompositionen.
Dass der Schmuck in den Giebelfeldern (6 iv zolg derolg xoofiog)*) die
Herrlichkeit und Macht der im Tempel verehrten Gottheit und der etwa mit
ihr in demselben eng verknüpften Heroen gleichsam an der Stirne des Bau-
werkes, gerade in demjenigen Bautheile, der ganz speciell Schmuck und Er-
habenheit [kni xoo/ncp xal ae^ivotrjti) ausprägen sollte 4) , offenbaren, dass er den
Namen des Gottes im Symbol, in seinem Bilde, in seinen Thaten selbst nenne
dem Beschauer und Herantretenden, darüber ist man wohl allgemein einver-
standen. Ist es damit nicht geradezu ausgeschlossen, dass aber auch irgend-
wo auf der Spitze des Tempels ein Apotropaion, eine Abweisung alles Unheili-
gen, Unreinen, Widerstrebenden angebracht sei, wie dies oben am Giebel des
Zeustempels zu Olympia durch namentliche Stiftung eines Schildes mit Gorgo-
nenhaupt geschah, so ist dies an jener Stelle durchaus sekundär, während es an
den dem Eintretenden unmittelbar die Stirn bietenden Thüren der durchgän-
gige wesentliche Schmuck ist. Aus den Giebelfeldern soll wie aus olympi-
scher Höhe ein Abglanz der göttlichen Macht herableuchten und diesen weit-
hin verkünden.
Durchmustern wir die Reihe der uns irgendwie bekannten Giebeldar
Stellungen, so tritt uns eine ganze Reihe von Abstufungen von der entwickelt-
sten Gruppe zum abgekürzten Symbol entgegen, aber doch durchgehend der
obige Gedanke. Da sind es einestheils die Hauptscenen in der Geschichte
des Gottes, seine Geburt, sein Sieg und Anerkennung, die Kämpfe der von
ihm geliebten, gerade an diesen Stätten mit verehrten Heroen meist unter
seiner sichtbaren Assistenz; anderntheils treten uns ruhiger thronend die
Göttervereine entgegen, die zu dem einen oder der Mehrzahl der hier ver-
ehrten Götter in besonders naher Beziehung stehen, so die Musen zu dem
apollinischen Götterverein, die Thyiaden zu Dionysos, oder es sind die ste-
henden oder sitzenden Gottheiten allein, nur umgeben von ihren Symbo-
len, es sind in Abkürzungen nur ihre Brustbilder, ja nur ihre Köpfe oder
Masken, es sind endlich ihre Symbole allein, wie ihre Thiere, oder deren
Köpfe, Thronsitze, ja schliesslich nur die allgemeinen Zeichen der siegrei-
chen Macht im Kampf, der Verehrung im Cultus, so der mit Tänien gezierte
1) Praxiteles etc. S. SS.
2) Gesch. d. gr. Plastik IL S. 45.
3) Paus. IL J9. 3.
4) Plut. v. Caes. 43. Vgl. dazu Bötticher in Progr. zu Schinkels Geburtstagfeier, 1S46.
p. 31, später in Philol. XIX. 1. S. 17f. Note 44.
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 325
Kranz oder die Opferschale dargestellt. Für unseren Zweck interessiren uns zu-
nächst jene Giebelfelder der Götter- und Heroenkämpfe : in den Giebeln des
Tempels von Aegina erscheint Athene selbst ruhig waltend zwischen den strei-
tenden Helden, deren eine Partei, die Aeakiden, ihre Schützlinge sind. In
Olympia sind Pelops, der specifische Heros des Zeus an dieser Stelle, Oino-
maos gegenüber, beide mit ihrer Begleitung um das Agalma des Zeus, wei-
ches die Mitte bildet, geordnet, unmittelbar vor Beginn des Wettrennens.
In dem Kampfe der Götter und Giganten im Giebelfelde des Heräon zu
Argos, des Olympion zu Agrigent, des Thesauros der Megarenser zu Olympia
sind die ersteren ausdrücklich, darunter natürlich die Häupter der olympischen
Götter als Kämpfende dargestellt. Am Herakleion zu Theben erschien Hera-
kles selbst in vielfacher Wiederholung. Im Ostgiebel des Tempels der Athene
Alea zu Tegea tritt zwischen den zwei Heroengruppen, die auf der Jagd des
kalydonischen Ebers begriffen sind, allerdings die Göttin nicht selbst auf,
sondern der Eber bildet, wie Pausanias besonders erwähnt, die Mitte. Aber
derselbe hat ausdrücklich in der Tempelsage dieses Heiligthums eine ganz
hervorragende Rolle gespielt : das Heiligste, was aus dem Tempel entnom-
men werden konnte, waren neben dem alten Cultusbild der Göttin die rie-
senhaften Zähne des Ebers, Augustus entführte beide nach Rom4); wir haben
es hier mit einem alten, mächtigen Natursymbol zu thun, das zur Athene
Alea, der wärmenden Lichtgöttin in strengster, wenn auch gegensätzlicher
Beziehung steht. In den Westgiebeln der Tempel, die ja mit der Westseite
überhaupt dem heroischen Wesen zugewendet sind, begegnen uns mehrfach
berühmte Heroenkämpfe, bei denen die Göttergegenwart nicht erwähnt wird,
so der Kentauren- und Lapithenkampf zu Olympia, der Kampf um Troja in
Argos und Agrigent, die Schlacht am Kaikos zwischen Telephos und Achill
in Tegea, Kämpfe «zwischen Reitern und Fussgängern am Nereidenmonument
zu Xanthos.
Wie verschieden von allen diesen Darstellungen ist die Niobidengruppe !
Da haben wir zunächst nicht und können nicht haben die im Tempel verehr-
ten Gottheiten, aber wir haben auch nichts, was sie repräsentirt, nicht heroi-
sche Gestalten, die in ihrem Schutze stehen, die für sie kämpfen, nicht irgend
ein Symbol, um das sich die Gestalten gruppiren. Ja wir haben überhaupt
keinen äussern Kampf, kein sichtbares Ringen und Gegenstreben von zwei
Seiten. Nein, wir haben nur die eine Seite unter dem Einflüsse unsichtbarer
Gewalten und zwar die den apollinischen Gottheiten fremde, von ihnen ver-
folgte. Unser wahres Interesse wird nicht geweckt für jene vorauszusetzende
göttliche Macht, nicht für die Vollziehung eines göttlichen Strafgerichts, für
die Machterweisungen des Apollo, nein unser Herz schlägt nur für diese in
Jugendschöne und Geistesadel dahin sinkende Familie, für diese immer sich
1) Paus. VIII. 46. lff.
326 Zweites Kapitel.
steigernden, in der Mutter gipfelnden Seelenkämpfe. Diese Niobe in der
Mitte ist kein Apotropaion gegen Verächter des Heiligthumes , nicht die
Rückseite gleichsam einer Apollomünze, sie gewinnt für sich, für ihre psy-
chologische Stellung unsere künstlerische Bewunderung, unsere menschliche
Theilnahme. Nein, diese Niobiden sind nicht als Motto, als Ueberschrift, als
eine religiöse officielle Ermahnung gebildet, nicht sollen wir erst einen sub-
limirten Gedanken herausziehen, sie sind nur in ihrer vollen Wesenheit, von
ihrem eigenen Standpunkte aus zu verstehen und zu würdigen. Für jene Stirn-
seiten der Tempel hat der Grieche keine psychologischen feinen Gemälde,
wenn ich so sagen darf, verwendet, sondern zeichnet die ruhige Majestät oder
den Conflikt gewaltiger Kräfte hinein.
Die Niobidengruppe ward, wie wir früher sahen1), von Plinius in dem
über Skopas handelnden Abschnitte erwähnt und zugleich auch das Schwan-
ken unter den Kunstverständigen ausgesprochen, ob sie dem Skopas oder
Praxiteles zuzuschreiben sei. Sie erscheint überhaupt an jener Stelle in
einer Reihe auserlesener und hochberühmter Marmorwerke, die wesentlich
in Rom und zwar auf einem einander benachbarten Territorium aufgestellt
waren. In nächste Beziehung mussten wir, was Gelegenheit, Zeit und Ort
der Aufstellung betrifft, die als hochbewunderte Kunstleistung des Skopas
bezeichnete Gruppe der Meerdämonen mit Poseidon, Thetis, Achill setzen,
welche in einem eignen Neptuntempel im Bereiche des Circus Flaminius auf-
gestellt war. Nun hat allerdings Welcker2) gerade diese auch als Giebel-
gruppe in Anspruch zu nehmen gesucht, obgleich er ihre Aufstellung in Rom
im Innern des Tempels zugesteht und O. Jahn8) sowohl wie Brunn4) haben
seiner schönen Auseinandersetzung nicht erhebliche Bedenken entgegensetzen
zu können erklärt, obgleich der letztere eine andere Art der Aufstellung für
sehr wohl denkbar hält ; noch später hat O verbeck den 'Wclckerschen Ge-
danken ganz von Neuem und zwar ausführlich dargelegt5). Wir wollen nicht
leugnen, dass der Schein für diese Annahme hier ein grösserer ist als der für
die Niobidengruppe sowohl was das Objekt der Darstellung, das wir entschie-
den nicht in den specieilen Akt der Darbringung der Waffen an Achill finden
können, als was die Motive zur Gruppirung betrifft, aber dennoch liegt durch-
aus in der kurzen Beschreibung dieser so mannigfaltigen Gestahenreihe kein
bestimmender Grund für dieselbe vor; im Gcgentheil spricht dieselbe für
eine gleichförmige Längenaufstellung, die von dem Centrum aus rechts und
links sich erstreckte, wie sie uns auch die in Beziehung zu dieser Schöpfung
1) S. 119.
2) Alte Denkm. I. 8. 204— 2W>.
3) Ber. d. K. S. Ges. d. Wissensch. 1S51. S. 176. HM.
4) Gesch. d. gr. Künstler 1. S. 322.
5) Gesch. d. gr. Plastik II. S. 10 f.
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 327
des Skopas gesetzten plastischen Werte vorführen. Und alle anderen histo-
rischen Bezüge der Versetzung nach Rom und Aufstellung sind bei dieser
Gruppe wie der der Niobiden entschieden ungünstig für eine Giebelgruppe.
Vermuthungen über den Ort ihrer ursprünglichen Bestimmung näher zu be-
gründen unterlassen wir, da wir der Veröffentlichung der Untersuchungen
von Urlichs über Skopas in Asien in der nächsten Zeit entgegenzusehen
haben *) .
Worin liegt aber die eigen thümliche Bedeutung und der gemeinsame
Ruhm von Skopas und Praxiteles im Bereiche der Marmorbildnerei ! Ent-
schieden in der Herausbildung der freien, gelösten, nicht von dem architek
tonischen Schema oder einer hieratischen Forderung wesenlich bedingten
Gruppe2), in der vollen Ausarbeitung eines mythologischen Gedankens durch
eine Reihe die Hauptpersonen begleitender, deren Stimmungen ausprägender
dämonischer Wesen. Bis zu ihnen hat der Marmor in einzelnen, aus den
Akrolithen allmälig herauswachsenden Götterstatuen oder in der als Bestand-
teile der Architektur geschaffenen Giebel- und Akroterienstatuen und
Reliefs seine künstlerische Verwendung gefunden, während das Erz neben
der Fülle athletischer, historischer, heroischer Einzelgestalten auch schon
umfangreiche, symmetrische Gruppen von heroischen Kämpfern für die Auf-
stellung im freien, unbedeckten Tempelbezirk darstellte. Bei Skopas und
Praxiteles begegnen uns zum ersten Male und zwar in mannigfaltigsten Bei-
spielen theils kleinere, durch feine, lebensvolle Bezüge verbundene Gruppen
von Gottheiten und den ihnen dienenden Gestalten, wie Leto und Ortygia
mit Apollo und Artemis, wie Aphrodite, Pothos, Phaethon von Skopas, wie
noch zahlreichere Werke von Praxiteles aus dem Kreise des Apollo, der De-
meter, des Bakchos, der Aphrodite, theils grossartige, ausgedehnte Marmor-
werke, in denen eine ganze Reihe verwandter Gestalten aus Einem Grund-
gedanken hervorgegangen und daher jede zu einem selbständigen Gliede
geworden, künstlerisch wirksam geordnet waren.
Oder wie sind denn jene berühmten Werke des Praxiteles anders zu
bezeichnen, die Reihe der Mänaden, Thyiaden, Caryatiden, Silene, die in
Rom in Pollionis Asinii monumentis8), d.h. in dem prachtvollen mit Statuen
gezierten Atrium Libertatis, mit dem die Bibliothek verbunden war, aufge-
stellt waren, wie jene Nymphen mit Pan und Danae, wie die reizenden Thes-
1) Mir scheint das Achilleion, das Heiligthum und Denkmal des Achill bei Sigeion in
Troas am meisten in Frage zu kommen, vgl. Strabo XIII. 1 . 32 ; Plin. H. N. V. 30. 33 ; Phi-
lostr. Hero. XIX. p. 741. Aus dem benachbarten Aianteion hatte Antonius eine berühmte
Statue nach Aegypten entführt.
2) Vgl. Stark archäol. Stud. S. 18 f. ; Friederichs Praxiteles und Niobegruppe S. 57.
3) Plin. XXXVI. 5. 5. 5. 23 ; vgl. dazu Becker röm. Alterth. I. S. 460. Anm. 957.
328 Zweites Kapitel.
piaden , bei dem Tempel der Felicitas aufgestellt ') i Und man sieht , die
jüngere attische und ionische Schule hat mit Vorliebe diesen Weg weiter ver-
folgt; die Nymphen tragenden Centauren des Arkesilas, die Thespiaden des
Kleomenes, die Hippiaden des Stephanos, die Hermeroten des Trallianer Tau-
riskos2), alle mit jenem erst genannten Werke des Praxiteles an Einem Orte
in Rom aufgestellt, müssen entsprechend gewesen sein. Und wer möchte
nun nicht jenen Meerthiasos des Skopas mit seinen auf Delphinen getragenen
Nereiden, seinen Tritonen, seinem Phorkyschor als durchaus ähnliche Com-
positum aufTassen?
Vor allem, glaube ich, müssen wir auch die berühmte Reihe der Danai -
den heranziehen8), die zwischen den Säulen des Tempelhofes des Apollo
Palatinus mit ihrem Vater und doch wohl zu beiden Seiten desselben aufge-
stellt waren und welche wie die andern Werke an diesem Denkmal der neuen
Weltära unter Augustus, aus dem griechischen Osten, vielleicht aus Lindos
auf Rhodos und zwai von ausgezeichneter Künstlerhand stammen werden.
Aus der einen Stelle des Ovid ergiebt sich die durchaus pathetische Auffas-
sung des Danaos selbst mit gezogenem Schwert. Kann man glauben, dass
das Danai agmen, dass die Töchter, an die der Vater sich mit dem Schwert
wendet, um sie zur grausamen That an den in Liebe sie Verfolgenden aufzu-
fordern, blos ruhig, dekorativ, in anmuthigen Situationen gebildet waren?
Wird nicht durch ihre Reihe in verschiedenster Weise der tragische Mahnruf
fortgeklungen haben ? Wir sehen, könnte man sich die Verschiedenheit jener
bakchischen, neptunischen, erotischen Statuenreihen gegenüber der Niobi-
dengruppe übermässig scharf zuspitzen und zwar mehr in einer spiritualisti-
schen Neigung als in lebendiger Kenntniss der künstlerischen Darstellung,
bei den Danaiden ist dies nicht möglich. In ihnen ist ein hoch tragisches
Element unmittelbar ausgesprochen.
Nun aber haben wir diese ausserordentliche Erweiterung der Aufgaben
für den Marmorbildner, diesen Aufschwung zugleich der technischen Seite
wie der höchsten künstlerischen Gedanken nothwendig mit der Entwickelung
1) Vgl. Brunn über die Doppelheit ihrer Erwähnung unter Erz- und Marmorgruppen
in Gesch. d. gr. K. I. S. 342.
2) Plin. H. N. XXXVI. 1.1.
3) Prop. II. 31. 3: porticus tota erat in speciem Poenis digesta columnis, inter qua«
Danai femina turba sui ; Ovid. Amor. I. 2. 4 : illa quae Danai porticus agmen habet ;
Trist. III. 1. 02 : signa peregrinis ubi sunt alterna columnis Belides et stricto barbarus ense
pater ; Schol. Pers. 2, 6 : Acron tradit, quod in porticu Apollinis Palatini fuerunt Danai*
dum effigies et contra °as sub divo totidem equestres filiorum Aegypti. Vgl. dazu Becker
röm. Alterth. I. S. 420; O. Jahn Archäol. Aufs. S. 22—30 und oben S. 141. Jahn erklart
sich gegen eine dramatische Auffassung der Danaiden, giebt aber das Pathos des Danaus zu.
4) Dies vermuthete Visconti (Mus. Pio-Cleraent. II. p. 32 ff.) gestützt auf Herod. II«
182; Diod. V. 58; Strabo XIV. 2. 11.
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 329
des Bedürfnisses dafür bei dem Auftraggeber, der dafür geeigneten Räum-
lichkeiten und des Sinnes diese in entsprechender Weise plastisch auszustat-
ten in Verbindung zu setzen. Und dies ist in der That gerade auch für die
Zeit des Skopas und Praxiteles und für diese speciell nachzuweisen. Die
inneren Räume der Tempel, des Sekos, wie der Vorhallen wurden statt der
Fülle kleiner und mannigfaltiger tek tonischer Weihgeschenke, die vorzugs-
weise von Metall gebildet waren, nun mit Marmorstatuen verwandter, die
Gesellschaft, die Umgebung des verehrten Gottes bildender geschmückt.
Vor allem boten aber die Säulenhallen um den Naos im engern Sinne, die ja
nun beim Dipteros und vorzugsweise bei der so fein berechneten, in Ionien
im vierten Jahrhundert erfundenen Form d^s Pseudodipteros zu so bedeuten-
den Räumlichkeiten heranwuchsen, dann die neue Anlage von solchen inner-
halb und ringsum längs der \>Qiyxol, der Gränzgehege der Heiligthümer, was
durchaus als jüngere Einrichtung den einzelnen Leschen der älteren Zeit ge-
genüber zu bezeichnen ist, dann grosser daran sich schliessender Propyläen,
endlich eigener Saale und Exedren hinter jenen Stoen, ebenso der glänzende
Aufbau grosser, reich abgestufter Altäre, wie grosser Heroengräber (/up^/uara),
um von den mit den Heiligthümern vielfach verbundenen agonistischen Bau-
werken nicht zu reden, nun eine früher nicht gekannte, nicht in ihrem Um«
fang geahnte Aufforderung zu plastischer Thätigkeit dar. Die kleinasiati-
schen Städte sind entschieden hier dem Mutterlande noch vorausgegangen
und hier haben auch Skopas und Praxiteles zuerst diese umfassenden Mar-
morwerke ausgeführt. Das M a u s o 1 e i o n zu Halikarnass, dieses Wunderwerk
der alten Welt, ist als ein solcher Mittelpunkt einer neuen ihren Schmuck
über alle Theile, besonders die offenen Hallen ausbreitenden Marmorbild-
nerei zu betrachten, wie ausdrücklich von den vier plastischen, dabei be-
schäftigten Meistern ihre dortigen Werke als ein Höchstes ihres Könnens
anerkannt ward. Erst durch die Ausgrabungen und Funde Newtons werden
wir uns der Mannigfaltigkeit der plastischen Werke dabei bewusst. Und
Skopas war es ja, dem ein hervorragender Antheil neben Bryaxis, Leochares,
Timotheos oder Praxiteles1), wahrscheinlich die Leitung selbst dabei gege-
1) Plin. XXVI. 8. 9; Vitruv. VII. Praef. ; Gell. X. 18. Man hat den Ausdruck des
Plinius caelaverunt fälschlich zunächst auf Reliefbildung bezogen und daher früher von
Friesen allein gesprochen, schwerlich würden die Meister id gloriae ipsorum artisque mo-
numentum erachtet haben. Caelare bezeichnet hier die künstlerisch feine, vollendete Ar-
beit, es ist ein absichtlich gratiöser Ausdruck des Plinius, entsprechend dem des Vitruv
ad ornandum et probandum. Lukianos (Dial. mort. 24, 2) hat entschieden bei den Worten
ovdkovttag ig xaXXos i^ijaxijfiiytov xal tnjnovxal avögtov, tgio axQißtararov ttxaOfjttrtov U&ov
tov xalMorov olov ovöl rtior (vqoi rig av fadlios nicht an Reliefs, sondern an grosse Mar-
morstatuen gedacht. Würde er bei Friesreliefs vom herrlichen Steinmaterial gesprochen
haben ? Dass Friese bei dem plastischen Schmucke der vier Seiten des Baues auch mit
inbegriffen waren, versteht sich von selbst, sie bilden aber durchaus keinen Gegenstand so
lebhafter Bewunderung.
330 Zweites Kapitel .
ben war. Entschieden verrathen aber die statuarischen Funde männlicher und
weiblicher Statuen einen vollendeteren Stil, als die sehr ungleich gearbeiteten
Friestheile; sie gehören dem Pteron, den von 36 Säulen getragenen weiten
Halle an, die den Mittelkörper des Grabmals oder Grabtempels umgaben.
Von dem Mausoleion in Karien werden wir unmittelbar weiter geführt
zu dem kleineren Vor- oder Nachbild desselben, zu dem wunderbar zierlichen
und anziehenden sogenannten Nereidenmonument in der Nähe der Agora
von Xanthos. Ich kann mich dabei auf den trefflichen Vortrag von Urlichs
in der Philologen Versammlung zu Braunschweig beziehen, in dem diese künst-
lerische Analogie so schlagend hervorgehoben, eine historische Deutung auf
einen siegreichen Kampf von Xanthos gegen Telmessos um Ol. 102 so all-
seitig begründet ist2). Ua haben wir nun „zehn weibliche fast lebensgrosse
, 'Gewandstatuen, die in der lebhaftesten Bewegung nach verschiedenen
„Seiten gewendet einen Reichthum von Motiven, eine Kühnheit der Bewe-
„gung, eine Schönheit der Formen zeigen, wie sie nur in der Niobide des
„Museo Chiaramonti und in den Resten des Mausoleums in gleicher Art wie-
derkehren". Und diese Statuen konnten in der mit genauer Benutzung
aller architektonischer Theile gemachten, im Wesentlichen allgemein gebil-
ligten Restauration Falkeners nur ihre Stelle finden in dem ionischen, brei-
ten Säulenperistyl des eigentlichen Heroons über dem massigen Ueberbau.
Hier lernen wir erst diesen Reichthum und Mannigfaltigkeit der plastischen
Ausschmückung von den Akroterienfiguren zu dem als Hautrelief gebildeten
Giebelfeld , zu dem oberen Fries und zwei unteren Friesen am Krepidoma
kennen, wir werden uns recht bewusst, wie aber jene herrlichen Statuen der
Säulenhalle nun das künstlerische Centrum bilden , daher auch an Stil alle
anderen Theile übeitreffen, wir sehen endlich schwungvolle, hoch erregte,
durchaus ideale, ob nun als Nereiden oder Stadtgöttinnen zu fassende Ge-
stalten vertheilt in den ausgleichenden Rhythmus einer freilich selbst so
zierlich gebildeten ionischen Säulenreihe.
Nun sollen wir diesen Anschauungen gegenüber uns noch scheuen auch
die Niobiden uns eingeordnet zu denken in eine herrliche Säulenhalle, die
ein wichtiges, nothwendiges Glied in einem reichen Heiligthum mit einem
baulichen Centrum, einem Tempel des Heroen und fivrj/ua bildete? Im Gre-
gentheil, ich glaube wir gewinnen dadurch für die künstlerische Wirkung
derselben bedeutend; die relative Selbständigkeit der einzelnen Glieder ge-
langt dadurch erst zur Anerkennung, die von andern schon erkannte Not-
wendigkeit, die Gestalten bei der theilweis bedeutenden Excentricität der
Bewegung weiter von einander zu stellen, was für den Giebel so ungünstig
wirkt, vollzieht sich hier von selbst, der starke Parallelismus einzelner Glieder
1) Verhandl. d. Versamml. deutscher Philologen, Schulmänner u. Oriental. in Braun-
schweig 1861. S. 61 ff.
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 33 1
wird zwischen den Säulen ein natürlicher und doch fasst das Auge entweder
die ganze Gruppe oder dächten wir sie uns an mehrere, selbst an alle vier
Seiten eines solchen Heroons vertheilt, immer gewisse kleinere Complexe
darin einheitlich in Einem Rahmen zusammen ; im letztern Falle müsste
natürlich dann Niobe selbst das Centrum der Hauptfrontseite bilden. Wir
haben zugleich für die Betrachtung einen Standpunkt gewonnen, der der auf
einem Unterbau sich erhebenden Halle gegenüber tiefer liegt, aber um einen
massigen Abstand, der nur die Vorderseite ins Auge fasst, der aber auf einer
gleichbleibenden Linie sich fortbewegen kann, um so die in der Betrachtung
geforderten, verschiedenen Richtungen gegenüber den einzelnen Statuen an-
zunehmen. Wir haben die volle straffe Einheit einer Giebelgruppe verloren,
aber sie existirte auch wahrhaft nur als Forderung einer durch die Begeiste-
rung für die neu entdeckten oder erst zur Anschauung gebrachten Giebelgrup-
pen von Aegina und Athen beherrschten Kunstansicht, wir haben aber einen
freiem, selbständig und reichgegliederten, von Einer Grundstimmung getra-
genen, sie nur steigend und fallend in den Hauptnüancirungen nach Ge-
schlechter, Alter, Individualität, Graden der Gefahr oder Verwundung wun-
derbar mächtig und individuell ausprägenden Statuen verein gewonnen.
Unsere früheren Untersuchungen haben uns aber nach Seleukeia am Ka-
lykadnos, zu dem Sarpedonion mit dem Heiligthum des Apollo als der Stätte
hingeführt, woher C. Sosius mit dem cedernen Apollo auch die Niobiden-
gruppe entführte. Ist es nun nicht eine schöne Bestätigung dieses Resulta-
tes, dass wir hiermit in dem Mausoleion in Karien, in dem Nereidenmonu-
ment in Lykien, in dem Sarpedonion in Kilikien plastische Schöpfungen der-
selben Meister, in gleicher architektonischer Anordnung, in gleichem Geist
componirt finden, Werke attischer Kunst aber für die eigenthümlichen reli-
giösen Anlagen kleinasiatischer Hellenen und mit dem Reichthum dortiger
Mittel ausgeführt?
Der Erwägung einer Frage können wir hier schliesslich nicht aus dem
Wege gehen, welche als eine offene für die Kenner seiner Zeit von Plinius
hingestellt wird, ja ohne welche wir überhaupt von der Existenz eines den
Untergang der Niobiden statuarisch behandelnden grossen Kunstwerkes
nichts wissen würden. Hat Skopas, hat Praxiteles die Gruppe ver-
fertigt? Die Frage hat bekanntlich mit einer gewissen Vorliebe seit Winckel-
mann die Kunsthistoriker beschäftigt; man muss sagen, je einfacher und
sparsamer noch die Grundlagen der Kunstgeschichte waren, je mehr man
nur die einzelnen zunächst im Plinius verzeichneten Höhepunkte der griechi-
schen Kunstentwickelung und die kurzen an sie geknüpften Urtheile kannte,
um so leichter niusste es dem Archäologen erscheinen und erscheint es heute
noch der ganzen dilettantischen Welt Fragen wie die obige zu erledigen.
Ganz anders steht aber jetzt der besonnene Forscher ihnen entgegen, in der
Mitte einer Trümmerwelt, die ihm immer neue Schätze, Zeugnisse wahrhaft
332 Zweites Kapitel.
griechischer Kunst aber auch neue Fragepunkte öffnet, unter abgerissenen,
zerstreuten literarischen Notizen, die er durch glückliche Combinationen zur
Herstellung eines Künstlerlebens verwenden soll.
Winckelmann1), Meyer2), Fabroni3), Waagen4), Kugler5), Feuerbach6),
Brunn7), Overbeck8), Gerhard9) entschieden sich für Skopas, dagegen Vis-
conti10), Lanzi, Fea11), Heyne12), Böttiger13), zuletzt noch Stahr14) Praxi-
teles als Künstler den Vorzug gaben. Welcker15) hat dagegen auf die Un-
sicherheit aller derartiger Entscheidungen aufmerksam gemacht und die
Frage als eine durchaus für uns auch offene hingestellt; Friederichs16) ist
ihm hierin schliesslich gefolgt, nachdem er in einer Reihe von Bemerkungen
für Praxiteles Berechtigung lebhaft eingetreten ist. Auch wir wagen eine
Entscheidung nicht, um so mehr auch nicht, als es uns im Vorhergehenden
hoffentlich gelungen ist, die Niobidenreihe als ein interessantes Glied in
einer Reihe von Kunstschöpfungen nachzuweisen, bei deren gross ter noto-
risch ein Zusammenwirken von Skopas, Praxiteles und noch anderer Meister
derselben attischen Schule stattgefunden hat. Immerhin wird jene eigen-
thümliche Grösse, jener Rest von Strenge in der Gesichtbildung, jene Ein-
fachheit und Schlichtheit des Faltenwurfes neben der Tiefe und Gewalt der
durch das Ganze durchgehenden geistigen und körperlichen Bewegung lieber
an den bahnbrechenden altern Meister, also an Skopas denken lassen, von dem
ausserdem eine viel ausgedehntere Thätigkeit als von Praxiteles auf kleinasiati-
schem Boden nachzuweisen ist17). Ferner ist zu beachten, dass Plinius nicht
bei Besprechung des Praxiteles, sondern des Skopas der Gruppe und des Zwei-
fels ihrer Urheberschaft gedenkt, allerdings in einem kurzen Exkurs, der aber
veranlasst ist durch die unverdiente geringere Berühmtheit einer in Rom be-
1) Gesch. d. K. IX. 2. § 25.
2) Propyläen II. 1. S. 60 f.
3) Dissert. s. 1. statu e d. fav. appart. alla fav. di Niobe. p. 9.
4) Kunstw. u. Künstler in Engl. u. Paris. III. S. 1 11 ff.
5) Handb. d. Kunstgesch. I. S. 165.
6) Der vatik. Apollo. I. Aufl. S. 252. Not. 4.
7) Gesch. d. gr. Künstl. I. S. 357 f.
8) Kunstarch. Vorles. S. 141 ; dagegen lfisst O. den Zweifel bestehen in Gesch. d. gr.
Plast. II. S. 42.
9) Drei Vorles. 8. 65.
10) Mus. Pio-Ciement. Lp. 11. 18. IV. p. 35.
11) Zu Winkelmann Kunstgesch. ital. Uebers. IL p. 199D.
12) Antiqu. Aufs. I. S. S. 235.
13) Böttiger Andeut. S. 173.
14) Torso I. S. 373.
15) A. D. I. S. 218—220.
16) Praxiteles etc. S. 93 ff.
17) Urlicha observatt. de arte Praxitelis. Wirceb. 1858. p. 13.
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 333
findlichen Venus des Skopas im Vergleich zur hochberühmten knidischen des
Praxiteles. Ueberhaupt war ja der Name des Praxiteles für Marmorwerke
populärer, gleichsam typischer als der des Skopas. Was das Verhältniss bei-
der Künstler zur Aufgabe betrifft, so ist dasselbe darin ein zunächst rein
stofflich genommen für beide gleich nahes, da wir von beiden berühmte
Bildungen der Gottheiten, in deren Kreis speciell die Sage gehört, der Leto
mit ihren zwei Kindern kennen1). Ja, wir können von Praxiteles ein anderes,
ein oder zwei Niobekinder mit Leto darstellendes Werk anfuhren, welches aber
sichtlich den feierlich gehaltenen Charakter eigentlicher Tempelbilder an sich
trug. Leider geben uns die Worte des Pausanias 2) bei dem Mangel aller Präzi-
sion in der Gesammtbeschreibung der Kunstwerke nicht volle Klarheit. Er er-
wähnt das Letoon am Markt in Argos, dann das Agalma, das Prachtbild der
Leto als Werk des Praxiteles, dann die daneben stehende Statue der Niobide
Chloris, die mit ihrem Bruder Amyklas den Tempel erbaut habe. Es scheint
darnach fast, dass der letztere auch dargestellt war. Jene, Chloris wenig»
stens, war als Flehende in nächster Beziehung zur Letostatue gedacht und
es liegt daher nahe genug, sie auch von Praxiteles gebildet zu glauben, um
so mehr, als im Bereich der von Praxiteles behandelten Aufgaben diese freien
Gruppen von wenig Gestalten, der Gottheiten und der mit ihnen verbunde-
nen Heroen lagen. Sie ist natürlich ihrer Auffassung nach sehr verschieden
gewesen von irgend einer der uns erhaltenen Niobetöchter.
. In wie weit innerlich genommen das Verhältniss des einen oder des andern
Meisters zu dieser hochtragischen, unendlich bewegten und doch so maassvol-
len Darstellung ein näheres und glücklicheres gewesen sein wird, wer mag es
bestimmen ( Hier jener feierlich bewegte Apollo Palatinus, hier die rasende
Bacchantin, hier die Nereiden undTritonen im bewegten Zuge mit jener eigen-
thümlichen Schwärmerei der Meereswesen, dort ein Raub der Proserpina,
dort Mänaden, Thyiaden, Silene, dort Nymphen, dort Dionysos und Methe.
Und beiden Künstlern lag der mythologische Stoff vor, durchgebildet durch
alle Phasen der Poesie, auf dem Theater durch die grossartigen Dichtungen
des Aeschylos und Sophokles vergegenwärtigt, ein Gegenstand bereits der
melodramatischen Darstellungen des Timotheos, mehr und mehr ein Lieb*
lingsthema kleinerer orches tisch er und musikalischer Scenen. So gross wir
überhaupt den Einfluss der orchestischen und mimischen Darstellungen auf
1) Von Skopas Leto mit dem Scepter, Ortygia mit den zwei Kindern der Leto auf dem
Arme in einem Tempel des Haines Ortygia bei Ephesos (Strabo XIV. 1. 20); von Praxiteles
zweimal der Dreiverein der Gottheiten in Mantinea und in Megara (Paus. I. 44. 2 ; VIII.
9. 1).
2) II. 21. 10: 10 dk Uqov rijg At\tqv<: taxi (xhv ov (xaxQav rov tQona(ov, rfavt) ük 16
ayaXfxa TTgct^T^Xovg. tt)v <f£ ttxova naQa ry &ap rrjs naQ&ivov XXcjqiv ovo/udCovoi Nioßrjg
/nh &vyariQa (Jai Xtyovug, MtMßotav dk xctXua&cu i£aQXW — rovrovg (Chloris und
Amyklas) dif qaaiv A(>yuoi xo iiagxijs otxodofxrjaai rjj Aipel rov vaov.
334 Zweites Kapitel.
die jüngere attische Kunst, speciell auf jene freien Vereine hochbewegter
Statuen anschlagen, so wenig haben wir Anlass eine bestimmte Scene des
Sophokles hier in die Plastik übertragen zu sehen, eine Scene, die, wie wir
oben zeigten, nur in der Erzählung existirte, nicht unmittelbar geschaut
wurde, selbst getheilt war in zwei Ereignisse, einen anderen Grund und Bo-
den als den vom plastischen Künstler gegebenen voraussetzt.
Sollen wir aber so mit diesem allgemeinen Resultat von der Betrachtung
der Niobidengruppe Abschied nehmen, nachdem wir atomistisch ihre einzel-
nen Glieder für sich betrachtet und dabei nur Hinzugehöriges und Fremdes
geschieden haben? Ist es nicht ein sehr undankbares Geschäft, ein schönes
Gewebe, das mit Geist und Tiefsinn gewoben war, einfach wieder aufzu-
lösen, wohl ein allgemeines Schema aufzustellen, wonach man etwa ein neues
beginnen könnte, aber an diesem selbst sich gar nicht zu versuchen ? Wel-
ches Zusammenwirken von Künstlern und Archäologen, welche Reihe prak-
tischer Versuche dazu nöhig sei, haben wir aber bereits früher f) hervorge-
hoben. Hier seien nur einige Punkte als Resultate jener Einzelbetrachtung
und der allgemeinen Ansicht der Aufstellungsart bezeichnet.
1) In der Bestimmung der Zahl der Kinder halten auch wir mit Wel-
cker*) die Siebenzahl, resp. ihre Verdoppelung, für die durchaus wahrschein-
lichste als die dem apollinischen Wesen und Cultus entsprechende und in
der Blüthezeit der attischen Kunst herrschend gewordene. Neben der Mut-
ter und dem Pädagogen erscheint die Annahme einer Trophos aus innerer
Correspondenz, im Hinblick auf die Tragödie und endlich auf die Sarkophag-
reliefs als durchaus wahrscheinlich, wir glauben in einer der Florentiner Nio-
biden eine solche in edelster Bildung zu finden.
2) Welckers8) Annahme, dass der idealisch oder symbolisch gefasste
Raum, in dem die Niobiden gedacht sind, der Raum unmittelbar vor
dem Eingang des Königshauses ist, dass Niobe in der Pforte stehend dies
furchtbare Schauspiel überschaue, die zum schützenden Dach fliehenden
Kinder empfange, dass die Felsmassen bei den flüchtenden, niederstürzen-
den Söhnen nur die Flucht über Stock und Pflock bezeichnen, ist ent-
schieden abzulehnen. Im Gegen thcil haben wir uns im Einklang mit
allen Kunstdenkmälern und bestimmten literarischen Ueberlieferungen
den Vorgang im Freien und zwar im Einklang mit den meisten in fel-
siger Umgebimg, in einem Gebirgsbereiche zu denken, am Kithäron oder
Sipylos. Die eine Tochter sinkt ja in der vatikanischen Gruppe an einem
Felsen nieder, während ein Sohn auf ebenem Boden in die Kniee gefallen
ist. Auch an der starken, schweren Beschuhung der Mutter glaubten wir die
Beziehung zum Aufenthalt im Freien, speciell in felsiger Natur zu finden,
1) S. 215.
2) A. D. I. S. 235—238.
3) A. D. I. S. 278. 281. 287.
Die Gesammtgruppirung der Statuen. 335
damit stimmt auch die Basis selbst, über deren Ergänzung uns allerdings
näherer Nachweis fehlt. Natürlich ist diese Felsnatur der künstlerischen Com-
positum, den Geeammtlinien untergeordnet, es hat ein Wechsel zwischen
Fläche und Fels Statt gefunden, daher ein Zusammendrängen der Felsen auf
die eine Seite, in einer Reihe wie bei den fliehenden Söhnen durchaus un-
wahrscheinlich ist. Das Relief Campana giebt uns davon eine lehrreiche
Anschauung.
3) Neben der Gruppe Niobes mit der jüngsten Tochter erscheint die
des Pädagogen mit dem jüngsten Sohne und die der das Gewand hochziehen-
den Gestalt, mag sie nun als älteste Tochter oder wahrscheinlicher als Tro-
phos gelten, mit dem in die Knie gesunkenen Sohne als bedeutsamste und
in sich selbständigste Nebengruppen. Es ergab sich uns früher1), dass
beide unmöglich nach linearer Gestaltung und innerer Auffassung in die
Nähe der Mittelgruppe gestellt werden können, im Gegentheil, dass sie
gleichsam zwei Endpole der Bewegung charakterisiren, hier ein Hereineilen
in die verhängnissvolle Scene, ein Gewahrwerden soeben der wie unmittel-
bar dahinter folgenden bedrohenden Macht, ein volles Hinausschauen und
mehr unwillkürliches Fliehen, dort ein Inne- und Stillhalten, eine Versen-
kung in das bereits voll eingebrochene Unglück, ein schmerzvolles, gleich-
sam resignirtes Schützen und Helfen. Denken wir uns daher die ganze Sta-
tuenreihe in Eine Säulenhalle vor Einer Wand gestellt, so werden diese bei-
den Gruppen die Endpunkte, die Mutter die Mitte der Reihe gebildet haben.
War sie für die Intercolumnien einer um einen mittleren Kern an vier Seiten
herumlaufenden Halle bestimmt, dann haben wir diese Gruppen in die Mitte
verschiedener Seiten zu vertheilen.
Im letzteren Falle erscheint es sehr natürlich als entsprechende engere
Gruppe der vierten Seite sich den eilenden Sohn mit der an sein Knie fallen-
den Schwester zu denken. Im ersteren würden wir für diese nach einer ent-
sprechenden Statuenverbindung uns umzusehen haben ; wir haben eine solche
aber bereits in dem dritten fliehenden Sohne mit der in seinen Schutz ge-
scheucht sich gleichsam flüchtenden sogenannten Psyche angedeutet*).
4) Was die einzelnen Gestalten der Niobiden betrifft, so ist gegen-
über der herrschenden Nebeneinanderstellung ähnlich, ja gleichmotivirter
ein grösserer Wechsel zwischen denselben nach Geschlecht und Motivirung
wahrscheinlich. Schwerlich haben zur Seite der Mutter dem Beschauer zur
Linken jene zwei eilenden Töchter immittelbar nebeneinander gestanden,
während allerdings zu beiden Seiten der Mutter zunächst eine Tochter vor-
auszusetzen ist. Für die bei der angenommenen Siebenzahl noch fehlenden
zwei Töchter schien sich uns in einer hochbewegten kleinen Statue des Louvre
1) S. 241. 278.
2) S. 24S.
336 Zweite« Kapitel.
eine sehr geeignete Ergänzung darzubieten und wir dachten wohl an eine
weitere Statue im Motiv der herrlichen, wesentlich den Kücken, den Kopf
im Profil, zeigenden Niobide des Reliefs Campana. Die entschiedensten Be-
denken gegen die unmittelbare Zusammenstellung der zwei älteren fliehen-
den Niobesöhne mussten von linearem Standpunkt, wie dem in ihnen liegen-
den Contrast ausgesprochen werden f) , sie sind entweder auf zwei Seiten zu
stellen, so dass der eine, wenn in eine Linie mit der Mutter gestellt, von ihr
wegflieht, oder durch eine Schwester zu trennen. Uass der in das eine Knie
sinkende Niobide und der sogenannte %Narciss nicht neben einander zu ord-
nen sind, um so mehr, da uns dann jede Correspondenz fehlt, ist schon län-
ger gegen Welckers Aufstellung bemerkt worden; uns fügte sich der letztere
zur Gruppe mit jener Trophos oder ältesten Schwester. Endlich tragen wir
kein Bedenken, den liegenden Niobiden auf einer höhern Felsunterlage in
die Reihe aufzunehmen und zwar als den einzigen Todten, vor dem entsetzt
einer der fliehenden Brüder davon eilt. Nicht ohne feinsinnige Berechnung
scheint die Stellung der Geschlechter zu den Abstufungen der Todesnähe als
eine verschiedene aufgefasst; dort bei den Töchtern schliesst sie mit dem Zusam-
menbrechen einer der jüngsten Gestalten aber doch unter brüderlichem Schutz,
hier durchläuft sie noch weitere Stadien bis zur völligen einsamen Todesruhe.
Immer neue und feine verschlungene Bezüge, aufgelöste Contraste kleinerer
Vereine werden in dem Gesammtrhythmus der Statuenreihe der wiederhol-
ten, aufmerksamen Betrachtung sich erschliessen,. welche also immer von
Neuem vom Umfassenden und Allgemeinen sich der unvergänglichen Schön-
heit und dem Geistesschwung des einzelnen Gliedes in der Reihe mit ge-
steigerter Freude zuwenden wird.
1) S. 24$.
DRITTES KAPITEL.
Der Niobeiitythiin in Heiner ethnographischen Stellung und
inneren Bedeutung.
§ 23.
Niobe in der argivischen Sage. Sparen in anderen Theilen der Peloponnesos.
Der Name der Niobe erscheint auf acht griechischem Hoden zuerst in
der Ebene von Argos und zwar mitten hinein gesetzt in die Sage der ältesten
Ureinwohner, in den Hereich der pelasgi sehen Urzeit.
Wie noch neuerlich Curtius1) einfach und scharf hervorhob, kennen wir
für die argivische Ebene drei wichtige Cultur- und zum Theil auch national
geschiedene Stufen, denen gemäss sich bestimmte Sagenkreise gegliedert
haben : die Periode der P e 1 as g c r , die der 1) ana e r oder A c h äer mit man-
nigfachem Verkehr nach Aussen, zu den Inseln, nach Lykicn und an die von
Phönikern beherrschte Küste des unterägyptischen Landes und endlich die
der Dorer. Drei Namen von Stadtgründern und ältesten Königen treten
demgemäss an die Spitze: Phoroneus, Danaos und Tcmenos; ebenso schei-
den sich drei ilauptkulte der Hera, des lykischen Apollo und des pythischen
Apollo.
Der Charakter der argivischen Sage ist aber abgesehen von einzelnen,
aus der Fremde angesetzten astralen Hezügen durchaus auf das Wesen des
argivischen Landes und seiner Cultivirung basirt, trifft aber bei der Gemein-
samkeit der urgriechischen religiösen Anschauungen und der alten, hervor-
ragenden Culturstellung des argivischen Landes mit anderen Ursagen an-
derer pelasgischer Mittelpunkte zusammen. In den Vordergrund treten dabei
die eigentümlichen Hezügc des trockenen Landes zur Feuchtigkeit, der es
so sehr bedarf: es handelt sich um die kleinen im Sommer ganz wasscrlosen
Winterströme vom Gebirg, wie Inachos, Oharadros, Cheimaros, um das an
der Küste sich stauende und häufig sie überschwemmende Meer mit ein-
zelnen, starken, hart am felsigen Ufer oder im Meere selbst auftretenden
1) Peloponnesos II. S. 55S.
Stark, Niobe. 22
338 Drittes Kapitel.
Süsswasserquellen , wie sie vor allem der Fürs des Pontinosgebirges , die
Gegend von Lerna aufzuweisen hat, es handelt sich um den ersehnten, hciss
mit Opfern auf dem Arachnaiongcbirge von Zeus und Hera erflehten liegen *} .
Wie diese tiefeingreifenden Naturverhaltnis.se als vorzügliche Wirkung
der göttlichen Mächte erscheinen, ihrem Wesen sich hier in Argos unmittel-
bar einbilden, so hat die älteste Ileroensage die menschlichen Culturanlagen
zur Veränderung schädlicher, gefürch teter Naturzustände, zur Regelung, Be-
wältigung, Benutzung des Wassers, zur Begründung eines geregelten, Früchte
tragenden Ackerbaues und zur geordneten Weide, zur Errichtung fester, ge-
schützter Wohnsitze und damit eines geordneten Familienlebens mit beson
derem Interesse behandelt. Natürlich gehen mit diesen mehr objeetiven
Erscheinungen die Erinnerungen früherer in mannigfaltiger Thatkraft wie
unmittelbarer Frömmigkeit hervortretender, zu einem Vorbild der späteren
Welt gewordener Geschlechter Hand in Hand. Je jünger die Sage wird, um
so mehr nimmt sie einen historisirenden Charakter an, wenn auch oft noch
einmal, in veränderter Gestalt schon mythisch gefasste Naturverhältnisse zu
Tage kommen.
Niobe erscheint in Argos so recht in der Mitte eines Sagenkreises, wel-
cher jenen Naturcharakter des Landes und zugleich die Uranfänge der
menschlichen Cultur hochbedeutsam ausgeprägt hat. Für den Hellenen, sagt
Plato im Tiinäos2), giebt es nichts Aeltercs in menschlicher Tradition als zu
reden von Phorone us, der der Erste genannt wird, und von Niobe; sie
gehen voraas der deukalionischen Fluth3}. So hatte Akusilaos der Logo-
graph und der alte Verfasser des epischen Gedichtes der (Dogcovlg zuerst
schriftlich die Sage fixirt. Phoroneus ist der Vater der sterblichen Men-
schen, der speeifiseh Erste, der Begründer geselliger Verbindung auf einem
bestimmten, festen Ort (to aaxv Ooqwvmov) , der Bringer des Feuers4), der
Darbringer des ersten Opfers und zwar an die ächte, altverehrte Landesmut-
tei von Argolis, an Hera, der erste richterliche Schlichter des Streites, er ist
der milde, freundliche5) Repräsentant der ältesten Cultur, bis in späteste
1) Paus. II. 25. 8.
2; JIt(jl *l>0Qtor£tos rov jiquIxov lex&fvrog xa\ Nioßrjs. Cap. 22. p. 70Gb. ed. Baiter mit
Schol. LI. p.<M7.
3) Apollod.il. 1. I; Paus. 11. 15. -J ; 10. 1; Schol. Eur. Orest. 930 ; Tat.adv.gent.tiO;
Clera. Alex. Strom. 1. p. .10. 1)21 ed. Sylb. Dazu vgl. bes. Schubart Quaest. genealog.
histor. Marb. IS32. p. 25, 20, 2\ 41 und Böttieher Tektonik 11. S. 310.
4) Kuhn (Herabbringun^ des Feuer» S. IG) hat den Namen in einem Beinamen des
Agni, in bhuranyu nachgewieften. In Argos nahe der Statue des Biton : nvo xtttovatr
ovofjiutoviti •i>0()tov(üi£ ih'«i' ov y<<Q rot opoXoyovat üovrttt Jivy llQOfir\il£a är^Qtiuoig Ulla
i{ 4'0(joji'la rov nvQös tAudytiv l&ikovai trjy *7(>tatr. Auch das Grab des Phoroneus
zeigte man in Argos nahe dem Heiligthum des Zeus Nemeios und brachte ihm noch zu
Pausanias Zeit Todteuopfer.
5; Mitis, placidus (Stat. Theb. IV. 219, 5S9;.
Niobe in der argivischen Sage. H39
Zeit geehrt, er ist der argivische Prometheus, aber ohne jenen titanenhaften,
der neuen Götterherrschaft widerstrebenden Charakterzug.
Seine Abstammung weist ihn zunächst auf Inachos und Melia; jener
der Gott des mit seinem Kiesbette in weitem Uogeu die Hohlebene von Argos
durchziehenden, im Sommer meist wasserlosen Hauptflusses, zugleich älte-
ster Landesherr und Schiedsrichter im Besitz des Landes zwischen Hera und
Poseidon giebt seinem allgemeinen und ursprünglichem Wesen nach wie
Acheloos als himmlischen Regenstrom, als Vater der nährenden Quellnym-
phen sich zu erkennen !) . Melia dagegen ist ein der ältesten Nymphenreihe
angehöriger Name, auf die in feuchter Niederung wachsende Esche be-
züglich, jenen bedeutungsvollen Weltenbaum, der zugleich als Lanzenschaft
auf Kampf und Krieg hinweist, aus dem das Menschengeschlecht, speeifisch
das kriegerische eherne Geschlecht nach einer weit auf griechischem Hoden
verbreiteten Sage hervorging2). Man hat bei ihr an die in Deutschland noch
übliche Bezeichnung des Regen verkündenden Wetterbaumes erinnert, mit
Recht jedenfalls auf die Natur himmlischer regengebender Wolkenjungfrauen
hingewiesen.
Die beiderseitigen Grosseltcrn des Phoroneus sind bereits die an den
Anfang des göttlichen und irdischen Werdens gestellten Urwassermächte,
Okeanos und Tethys. Als Geschwister kennen wir nur Aigialos oder
Aigialeus, den Ureingeborenen des nördlichen peloponnesischen Küsten-
landes, von Sikyon besonders in Anspruch genommen3) und Phegeus, den
Eichelmann, den Repräsentanten der ältesten, aber nicht mehr rohesten
menschlichen Nahrung, den Gründer von Phegai im Thalkesscl von Psophis,
von dem aus in den Namen der Söhne Spar ton und Messon, des Enkels
Mykeneus älteste Land- und Stadtheroen der Peloponnesos ausgehend
gedacht werden 4) .
Niobe wird nun nach der herrschenden Tradition als Tochter des Pho-
ioneus bezeichnet, eine abweichende Nachricht aber macht sie zur Mutter
desselben, setzt sie oft ganz an Stelle der Melia5) und giebt ihr in vorzüg-
lichem Sinne den Charakter einer ürmutter des menschlichen zur Cultur sich
erhebenden Geschlechtes. Der Name der Mutter Niobes wird verschieden
angegeben: am häufigsten wird Laodike genannt, aber daneben tritt auch
1) Aesch. Xantr. Fr. 102. (Nauck Tragg. gracc. frgmta p. 42): oQtootyovotoi NvfUfutg
XQijvtdatv xvfiyaiai ötciiatv (\)i(qü) 'itti/ou'jJQyttov nojafjov naialv ßioJcoQoig.
2) 'Exfittkiuv lies. Opp. et Dies 115, dazu Preller in Philolog. VII. S. lüff. Stellen-
sammlung über Melia bei Unger Theb. Parad. p. 227 ff. Deutung bei Kuhn Herabbringung
des Feuers S. 15, dann bei Schwartz Ursprung der Mythologie S. 130 f.
3) Paus. II. 5. 5.
4) Apollod. III. 7. 5.
5) Euseb. Praep. evangel. p. 55., Chron. p. 278 ed. A.Mai; Gervas. Tilleber. Otia
imper. bei Leibnitz Scriptor. rer. Brunsv. 1707. p. 901.
340 Drittes Kapitel.
Telodike, Peitho und Kerdo auf. Sehen wir sie uns etwas näher an.
Der erste Name bezeichnet Volksrichterin, Landesherrschaft und zwar mit
geordnetem Rechtsleben, eine treffende Bezeichnung der von Phoroneus aus-
geübten Herrschaft und Rechtspflege !) . Derselbe Hegriff liegt natürlich der
weithin Richtenden, der Telodike zu Grunde. Der letztere Name Trjlodixrj2)
fuhrt uns zugleich in ihrem Vater Xuthos auf den Vertreter des ionischen
und achäischen Stammes , insofern er in der Peloponnesos und zwar auf der
Nordküste Aigialeia wohnt und erinnert uns so an den obengenannten Bru-
der des Phoroneus, Aigialeus.
Schwieriger erscheint für den ersten Anblick der Name neid-w. Es
kommt dabei auch vor, dass neben der direkten Ableitung von Peitho, auch
die sonst als Schwester der Niobe genannte Europa eingeschoben wird3).
Aber Peitho gehört auch zu den den himmlischen Gewässern und irdischen
Flüssen entsprechenden und wohlthätigc Männer grossziehenden Töch-
tern des Okeanos und der Tethys, ja ihr Name wird von Hesiod unter
den Okeaninen zuerst genannt4). Und in menschlicher, sittlicher Beziehung
ist sie die sanfte die ungebändigte , spröde, jungfräuliche Natur zu fester,
ehelicher Verbindung bewegende Macht, sie ist selbst die Ehegöttin; mit
nctQrjyOQOQ ist sie die Begleiterin der als IlQä^ig, als Vollendung der Ehe
verehrten Aphrodite im Tempel zu Megara Ä) und erscheint auf Reliefs, ge-
schnittenen Steinen, Vasenbildern in solcher Verbindung und Thätigkeit,
meist mit dem speeifischen Motiv der Entschleierung6) ; die Chariten sind
ihre Beisitzerinnen 7), ja sie wird selbst oft eine Charis von Hermesianax ge-
nannt8). So gesellt sich auch hier Peitho trefflich zu dem Stifter fester
menschlicher Verbindung, zu Phoroneus, wie Theseus, der Vereinigei der
attischen Demen in ein einheitliches Gemeinwesen, der Stifter des Dienstes
der Aphrodite Pandemos und der Peitho war9). Und auch jene Naturseite
der Peitho einigt sich wohl mit dem Sohne des Inachos und der Melia.
1 ) Eine andere Laodike Frau des arkadischen Urherrschers Elatos, Sohn des Arkas
(Apoll. III. 9. 1) ; eine andere ist Tochter des Priamos (Apoll. III. 12. .">;. Andere Zusam-
mensetzungen mit ähnlichem Begriff sind Demodike (Find. Fr. 25), Eurydike (Apoll. III.
G. 4; 12. 3), Fhilodike (eine Inachostochter Apoll. 111. 10. I), Xenodike Apoll. II. 6. 3j,
Kallidike (Euganim. Telegon. bei Proklos s. Welcker Epi. Cyklus II. S. 514).
2) Schol. Plat. Tim. 1. 1.
3) Schol. Eurip. Or. 1)20.
4) Hes. Theog. -M9. Vgl. dazu die schönen Bemerkungen von Em. Braun griech. Göt-
terlehre. 1S54. S. IM) ff.
5) Paus. I. 43. ü.
ü) Müller- Wieseler D. A. K. 11. Taf. 27. n. 2»ti; T. 57. n. 727.72s-, Ov erbeck Galerie
hero. Bildw. Taf. XIII. 2; XXVI. 12. üeberhaupt vgl. O. Jahn, Peitho die Göttin der
Ueberredung. Greifsw. H40.
7) Hes. Opp. et Dies 73; Orph. h. IX. 13.
S) Paus. IX. 35. !.
9) Paus. I. 22. 3.
Niobe in der argivischen Sage. 341
Suchen wir eine specielle Beziehung zu argivischem Culte, so begegnet
uns daselbst eine Artemis Peitho und zwar lag ihr Heiligthum nahe dem
Grabmal der Frau des Phoroneus, der Kerdo1). Es war der Sage nach ge- v
stiftet von Hypermnestra, der Danaostochter, der einzigen, die ihrem Gatten
Treue und Liebe hielt und im Gericht deshalb gegen den Vater siegte. Der
Sieg dieser Gattenliebe war aber in jener Cultusstiftung verewigt und zu-
gleich in der Stiftung eines Aphroditebildes und zwar einer vrArjqioQOQ in das
Heiligthum des lykischen Apollo und genauer unmittelbar neben jenes ewige
Feuer des Phoroneus. So sehen wir deutlich, wie die Gestalt der Ehegöttin,.
Artemis Peitho2) nahe verbunden ist schon dem ältesten Sagenbereich des
Phoroneus.
Der Name KsQdw für die Frau des Phoroneus und Mutter der Niobe ist
durch ein eigenes Grabmal derselben an der Agora zu Argos in der Richtung
nach dem Theater zu 3) festgestellt und wird auch in der sonst unerklärten
Notiz des Hyginus *) : ex Phoroneo et Cinna nati Apis et Niobe dem unver- s
ständlichen Cinna zu Grunde liegen. Es bezeichnet die Gewinnsuchende,
Schlaue und war ein Heiname des Fuchses, wie auch der Eidechse5). Als
Name der Ehe und Hausfrau vertritt er den Begriff des Erwerbes, des Be-
sitzes in den innern Räumen des Hauses, aber mag zugleich eine Beziehung
zu den Erdmächten enthalten, die von dem Sonnenlicht gelockt aber auch
vernichtet werden. Wir haben dabei an den Hermes Kegdtpog, welcher mit
dem Hermes Chthonios identisch ist, zu erinnern6), ebenso an die seltene
Bezeichnung des Apollo Kegöyog bei der Schlucht in dem Ady ton zu Delphi,
welcher das Grab des Dionysos bei sich hat7).
Nach alledem finden wir unter den verschiedenen Traditionen über die
Frau des Phoroneus und Mutter der Niobe die Begriffe der Landesherrschaft,
der ehelichen Vereinigung, der Gründung eines Hausstandes ausgeprägt, zu-
gleich nach der Naturseite hin eine Beziehung zu den Mächten des Urwas-
sers und der Erde.
Sehen wir uns nach den Geschwistern der Niobe um. Meist erscheint
nur ein Bruder derselben, Apis ^Anig mit Genitiv "Anidog und "Anewg) 8).
1) Paus. II. 21. 1 ; O. Jahn Peitho S. 17.
2) Ebenso ist Artemis Eukleia als Ehegöttin bekannt (Plut. Aristid. c. 20) ; Evxlticc
ist mit Tfu&d) auf einem Vasengemälde um eine sitzende Frau, die ein Geschenk in der
Hand hat, beschäftigt (Müller- Wieseler D. A. K. II. n. 728; O. Jahn Peitho S. 26),
3) Paus. II. 21. 1.
4) Fab. 145.
5) Etymol. M. s. v. ; Ar. Eq. 1063 ; Artemidor III. 28.
6) O. Müller Ürchomenos S. 156; Petersen Hausgottesdienst S. 52. 54.
7) Lycophr. Cass. 207 ; Tzetz. ad Plut. ls. Üsir. 35.
S) Apollod. II. 1, 1 ; in 1. 7, 6 vermischt er sichtlich den Sohn des Phoroneus mit
Apis, dem Sohne des Jason (Paus. V. 1.6); ferner Hygin. Fab. 145.
342 Drittes Kapitel.
Abgesehen von der durch Namenspielerei entstandenen Combination mit dem
ägyptischen Apis1) und Sarapis ist er einfach Repräsentant des alten Namens
* jtnia yrp des ältesten Gesammtnamens für die Peloponnes. Er erscheint als
Herr des Landes und zwar als ein harter, der schliesslich von Thelxion und
/ Teichin, Repräsentanten ältester handwerklicher Kunst,, besonders der Me-
tallarbeit, gestürzt wird. Die Verbindung dieses alten Landesnamens mit der
Phoroneussage war übrigens keine ganz allgemeine. In Sikyon2), dieser
ältesten mit Argos wetteifernden Culturstätte, gelangt die Genealogie vom
/ Ureingeborenen Aigialeus durch Europs, Teichin zum Apis und sein Sohn ist
Thelxion. Also hier wird er von denselben Namen als denen des Vaters
und Sohnes umgeben, von denen er dort gestürzt wird. Aeschylos3) dagegen,
lässt im Munde des Königs Pelasgos den Namen %(i*Qag Idniag nidov von
einem mit Sehergabe und Heilkunst ausgestatteten Sohn des Apollo ableiten,
welcher von Naupaktos herüberkommend die Halbinsel reinigt von Unge-
thümen und für die Wunden Heilmittel4) fand. Hier findet gar kein Zu-
sammenhang mit der obigen Sagenbildung statt. Näher steht es, wenn man
auch in derUrsage von Arkadien, an der Stätte Pallantion, einen Apis kannte,
Sohn des Jason, der von Aetolos unfreiwillig im Wettkampf getödtet war8).
Neben Apis werden aber auch Europa und Aigialeus, ja Spar-
ton, der Vater des Mykeneus nach argivischer, was den letzten Namen be-
trifft, von den Spartanern durchaus nicht getheiltcr Lokalsage Kinder des
Phoroneus, Geschwister der Niobe genannt, üass EvQüjnt], der wir bereits
nach einer Version als Mutter Niofres und Tochter der Peitho begegneten,
eine alte, acht griechische Auffassung der weitgeöffneten, breit gelagerten Erde
ist, daher als Demeter Europa, als Amme des Zeus Trophonios verehrt war,
dass sie bei Hesiod8) zu den ältesten, Männer nährenden Okeaninen gehört,
dass sie dann im Gegensatz zur \inia yfj9 zur Peloponnesos das griechische
Festland, speciell Böotien7) bezeichnete, dass ihre Verschmelzung mit der
phönikischen, wandernden Mondgöttin in Kreta8) und an Stätten phöniki-
schen Handelsverkehres erfolgte, bedarf wohl hier keines Beweises mehr.
Auch das männliche Gegenbild der Europa, Europs, der Vater des
Gründers von Hermione wird Sohn des Phoroneus genannt, unebenbürtig
allerdings nach Herophanes von Troizene, der aber überhaupt keine andere
eheliche Descendenz des Phoroneus als in Niobe anerkannte.
1) Vgl. *Ant* ßoüiig schon bei Aesch. Suppl. 12S. Zu Serapis Eus. Chron. II. p. 272.
2) Paus. V. 5. 5.
3) Suppl. 263 ff.
4) Hier spielt die Aehnlichkeit von tjnta und nntf herein.
5) Paus. V. 1.6; Apollod. 1. 7. 6.
6) Theog. 350.
7) Hom. hymn. in Ap. 250. 290.
8) Herod. I. 2. Vgl. Welcker über eine kretische Colonie etc. S. 16. 21 ff.
Niobe in der argmschen Sage. 343
Dem Aigialeus, dem Vertreter des nördlichen Uferlandes der Halbinsel,
wie schon oben als Oheim nun als Bruder der Niobe zu begegnen wird uns
nicht Wunder nehmen, wenn wir einmal an dies freie Auf- und Abrücken in
der Genealogie der Sage gewöhnt sind.
Von besonderem Interesse für uns ist die Beziehung anderer Phoroneus-
kinder in der Sage von Hermione und von Megara zu Demeterdienst, zu
dem ganzen Complex der von den Dryopern hochverehrten chthonischen
Götter, den Mächten des in der Tiefe waltenden Erdensegens. Es war ein-
heimische Sage in Hermione, dass Klymenos und Chthonia, die Kinder
des Phoroneus aus Argos gekommen, den Tempel der Demeter Chthonia
dort gegründet hatten. Pausanias muss sich wohl selbst gestehen, dass Kly-
menos der unterirdische Zeus, der Todtenkönig selbst ist und Chthonia seine
Gemahlin1;, also dieselbe, die in Hermione ausdrücklich mit dem Namen
Meliboia verehrt ward2). Wir begegnen diesem Namen bald unter den Kin-
dern der Niobe gerade in Argos. In Megara ward der mythische Stifter der
Burg Karia, Kar, also Repräsentant ältester karischer Stadtgründung Sohn
des Phoroneus genannt und man schrieb ihm die Stiftung des Demeterheilig-
thums, des sogenannten MeyctQOv auf der Burg zu3).
In einem solchen mehrfach wechselnden Geschwisterkreis, der aber
durchaus auf der idealen Auffassung des Grund und Bodens, überhaupt und
speciell der Peloponnes, der ältesten Landescultur im Ackerbau und des auf
die Oberwelt kommenden Erdensegens steht Niobe.
Was ist an ihr nun das Bezeichnende? Sie ist das erste sterbliche
Weib, der Zeus sich in Liebe genaht hat4); sie steht an der Spitze
einer Reihe, als deren letzte und jüngste, als sechzehnte nach den Auf-
zählungen der Mythographen Alkmene erscheint. Wie Phoroneus als der
erste wahre Mann an die Spitze der ganzen menschlichen Cultur tritt, 80
Niobe als Frau. Erst durch sie, durch ihre Vereinigung mit Zeus wird gleich-
sam die menschliche Natur geadelt, der Stempel einer göttlichen Begnadi-
gung derselben aufgeprägt. Mit ihr erreichen die göttlichen Erzeugungen
von untergeordneten, dämonischen Wesen ihr Ende und beginnt die Reihe
1) II. 35. 3: tovTo tu iiQov 'Equiovijs uh KXvpcror 4>oqmv(iüs netida xai a^fltfr^v
KlvfLiivov Xöovtav rovg irfQvOccfiivovs (faa)v tlvat. -— 4: X&ov(a cf ovv fj O-tog te avTij
xctXiiTai. — 5: KXv/nttov dt ovx üvÖQnuiQytlov $X&tiv tytoyt ig 'EQfjuova ryyovuai, tov 6-eov
iU farir inlxltiois, or rivn tytt Xoyog ßnaiXtu vno yrjv ilvtu. Vgl. noch Aelian. H.A. XI. 4;
Inschrift aus Hermione an Demeter, Klymenos, Hera herausgegeben von Baumeister in
Philol. X. I. S. 179. n. 1. 2; andere Böckh C. J. n. 1193—1211.
2) Lasos aus Hermione bei Athen. XIV. (»21 c: dauctTQct piXno) Koquv xt KXvpirov
aXo%ov MtXCßoiav.
3) Paus. I. 10. 5.
4) Apollod. II. 1. 7: 5 ntHoty yvvaixi Ztvg xh'tjTrj t(ilyr)\ Dion. Halic. I. 11 und 17;
Diod. IV. 14 ; Hyg. Fab. 145 ; Schol. Stat. Theo. IV. 589.
344 Drittes Kapitel.
göttlicher, gottbegnadigter Menschen. 13er Gegenwart menschlicher Noth
gegenüber erschien jene Urzeit als die einer wahren Lebensgemeinschaft zwi-
schen Göttern und Menschen zu Tisch und Bett. Erhalten ist uns wenigstens
nicht in der argivischen Sage, dass Niobe wie lo, wie andere Heroinen der
Verfolgung weiblicher Gottheiten ausgesetzt ist, dass sie in dieser Liebe der
Götter zugleich einen schweren Stachel des Unglückes mit sich trägt.
Ehe wrir an die Beachtung der sterblichen Kinder der Niobe aus dieser
Verbindung und ihres Schicksals gehen, haben wir noth wendig einer hesio-
deischen, von Strabo1) angeführten Stelle zu gedenken, welche wenn auch
in einem wichtigen Worte verderbt doch ganz ausdrücklich eine Verbindung
der Phoroneustochter — und dies für sich allein gesetzt ist nur Niobe — mit
einem Gotte ausspricht, deren Frucht fünf Töchter seien, die Mutter der
Bergnymphen , der nichtsnutzigen Satyrn und der scherzenden Kureten.
Welcher Name des Gottes in 'Exazegco steckt, ist bis jetzt noch nicht sicher
gestellt; man hat 'dii^Exarng d.h. Apollo, an den Thraker 'ExtjTOQog, den Ur-
bewohner von Naxos2), man hat an 'Axaxrjowg, den Beinamen des Hermes,
man hat ix 2azvQOv, lesend aa den Satyrvatcr, der in Arkadien vorkomme,
gedacht. Man könnte wohl wünschen ex ding zu lesen im Hinblick auf die
Nymphen als Zeustöchter und auf die Kureten als diog zQoq)elg, doch ist
dabei diese eigentümliche Verschreibung nicht erklärt. Auch die nähere
Bestimmung jener fünf Töchter fehlt uns gänzlich, dagegen ist die Verbin-
dung der Bergnymphen, der Satyrn und der bewaffneten Tänzer im Waldge-
birge, der Kureten, die wohl auch die Satyrumgebung des Zeus [olovei 2cctvq€Q
%iveg ovreg n€gi zov dia) genannt werden3), unter sich ebenso verständlich
als ihre Beziehung zur Niobe eine interessante Ich darf hier an die home-
rische Stelle erinnern, wo der Sipylos ausdrücklich als Lagerstätte der vom
Tanze ausruhenden Nymphen genannt wird4) , ich darf an die Verbindung
mit Zeus und voraus greifend an die Einheit der Niobestätten in Kleinasien
mit Hauptcultstätten der Muttergöttin, näher Rhea, was die Kureten betrifft,
erinnern, ich kann die von Preller5) passend herangezogene Version, wonach
1) Strabo X. 3. 111: *HaMog [iiv ya^'Exar^Qb} (ExuriUov in einer Handschrift; *Exa-
TtQov und ExqTonog Conjecturen; xa\ rrjg 'fiootorftog 0-vynr^bg <f rjah'
f£ tov ovnartt NvfAifat &fni i^fyivavro
xcei yivog ourififcrtöv 2.'(t7VQüjy xa) dfATjXttvofyyow
KovQtiTfg T€ &fol (ftXonaly [tov fg OQ/riOjrjQtg.
Vgl. dazu die Anmerkung in der Ausgabe von Müller und Dübner. Paris, Didot 1S53.
p. 1010; Welcker Nachtrag zur Aeschyl. Trilogie p. 212 und jetzt Griech. Götterl. III.
S. 145 ; Lobeck Aglaoph. p. 1110; Hesiod. ed. Göttling. frgt. 29; Preller griech. Mythol.
1. S. 441). Anm. l.Ausg.
2) Diod. V. 50; Parthen. Erot. c. 119.
3) Strabo 1. 1. 17. Zu den Kureten vgl. Lobeck Aglaoph. 111. c. 1.
4) Hom. 11. XIV. 613 f., dazu oben S. 27 f.
5) Griech. Mythol. I. S. 449 aus Memn. Heracl. 41.
Niobe in der argivischen Sage. 345
die Satyrn auch Kinder der Naiade Nikäas in Bithynien genannt werden,
umsomehr betonen, als wir früher aus Nonnos1) die Beziehung Niobes zu •
derselben kennen lernten und überhaupt uns die lokale und innere Verbin-
dung der Niobesage mit dem bakchischen Thiasos diesseit und jenseit des
ägäischen Meeres entgegentreten wird. Wichtig aber ist es für uns, dass
gerade Niobe als Phoroneustochter in diese mütterliche Verbindung zu den
dämonischen Wesen der Berge und des Waldes gesetzt wird.
Das sterbliche Kind der Niobe von Zeus im eminenten Sinne ist Argos,
welcher die Königsherrschaft des Landes von seinem Grossvater Phoroneus,
gestützt auf seinen Zeusursprung und daher bevorzugt vor den Erben der
männlichen üescendenz, überkam und den Namen "AQyog der Stadt, der
Inachosebcne, der ganzen Peloponncs 2) gab. Argos ist bekanntlich die be-
stimmte Bezeichnung pelasgischer agrarischer Niederlassungen in fruchtbaren
Ebenen, welche als Geschenk des Flusses meist erscheinen. Die ausgebil-
dete Sage unterschied zwischen diesem Argos durchaus und dem Argos Pa-
noptes, dem Hüter der Jokuh im heiligen Haine der Mykcnäer 8) . Sein
Name knüpfte sich an ein Grabmal in Argos und und au den zwischen Argos
und dem Meere gelegenen, von Klcomenes freventlich verwüsteten Hain 4) ;
jenes befand sich zwischen dem Tempel des Poseidon Prosklystios, des das
Land mit seinen Wogen bedrohenden, aber von dieser Stätte an zurückwei-
chenden Gottes und dem Tempel der Dioskuren5;.
Neben Argos ward von Akusilaos auch Pelasgos8) als Niobesohn vom v^
Zeus genannt, welcher sonst als Autochthone, als Sohn des Palaichthon7) , des
Altansässigen bezeichnet wird. Wir haben in ihm den Vertreter der ältesten,
Ackerbau treibenden , jene Argosebene eultivirenden Bevölkerung. Seine
Tochter Larissa8} kennzeichnet ihn als Erbauer der ersten Herrschersitze mit
gewaltigen Mauerringen.
Pelasgos besass ebenfalls ein Grabmal in Argos und zwar neben dem
Heiligthume der Demeter Pelasgis*), welcher mit der oben erwähnten *
Demeter Chthonia auf gleicher Stufe steht; in seiner Nähe war ein Schlund,
in den man der Kora Fackeln warf.
1) S. oben S. ßß.
2) Paus II. 16. I ; Schol. Eur. ()r. 1239: öXrjr tijv firbg rou'fafruov l4{ryttnv\ Euseb.
Chron. 1. 27. p. 130 ed. A.Mai.
3; Bei Soph. El. 5: (ikaos'fvd/ov xÖQtjg oder tb jVlvxrjVtt^tav äkaog (Apollod. II. I. 3).
1) Paus. II. 20. 7 : rb ttkaog rov vA{tyovg ; III. 4, 1 : akaog hgov "A(ryov rov Nioßrjg .
5) Paus. II. 22. 0: rtirpog — !koyov <1ibg (hat öoxouvtog xttl rrjg <f>0Q<oi,(iüs Nioßtjs.
tt) Apollod. III. s. | ; Dionys. Halic. I. 11.
7) Aefch. Suppl. 239 j Schol. Eur. Or. 1239.
b) Paus. II 23. 9.
9) Paus. II. 22. 2.
346 Drittes Kapitel.
Endlich auch Apis wieder als Kindesname der Niobe zu begegnen bei
der Quelle des Hieronyinus ') darf uns nicht wundern.
Eine ganz vereinzelte Notiz bei Tzetzes2) führt den Namen O^olwi'g als
den einer Tochter dieser argivischen Niobe an. Wir begegnen ihm später in
Theben unter den Niobidennanicn und haben dort von ihm näher zu han-
deln. Die Beziehung auf ein ältestes Hundes- und Einigungsfest der Ort-
schaften einer Landschaft im Dienste des Zeus liegt klar darin gegeben.
Sind es bis jetzt immer nur einzelne, wenn auch bedeutungsvolle Namen
von Kindern gewesen, in denen Niobe als Stammmutter zu Tage tritt, so
wird diese Stellung durch wenige, bis jetzt unbeachtet gebliebene Worte
einer guten Quelle3] in reichster Weise angedeutet. Da heist es nämlich :
,, nachdem Phoroneus gestorben war und die Kinder der Niobe zerstreut
waren oder sich zerstreut hatten, übernahm ihr Sohn Argos die Herrschaft".
Mithin wird eine grosse, zahlreiche Nachkommenschaft vorausgesetzt und
eine solche, die sich weit über das Land verbreitet hat ; ob durch besondere
Ereignisse, ob als Zeichen der Machtentwickelung, oder erschütternder Vor-
fälle, wird uns nicht angedeutet. Ganz derselbe Ausdruck bezeichnet das
Auftreten und Verbreiten der Pelopidenmacht, infolge dessen aus der *Anla
yfj, aus dem y'Aqyog eine IlekoTrowrjaos ward ; da heisst es auch : „als die
Kinder des Pelops sich von Elis aus über die ganze Halbinsel zerstreut
haben"4).
In der Sage von Argos besteht eine sichtliche Kluft zwischen diesem
alten Geschlechte der Niobe und dem des Danaos, welches allerdings durch
lo aber erst über andere auswärtige Gegenden und Zwischenglieder auszu-
füllen gesucht wird. Danaos tritt in Gelanor ein alteinheimischer König
überhaupt entgegen, der ihm die Herrschaft übergiebt.
War nun in Argolis neben der Fülle bedeutungsvoller Zeichen, Grab-
stätten, Heiligthümer nicht irgend ein Punkt, an den sich die Gestalt dieser
Niobe, dieser so hochangesehnen Urmutter der Heroenzeit dauernd knüpfte,
in dessen Eigentümlichkeit zugleich eine Andeutung ihres Wesens gegeben
war? Bis jetzt schien dieser Name nur in den flüchtigen Klängen einer in
Gedichten wie den Eöen Hesiods, der Phoronis oder den Aufzeichnungen
des Akusilaos behandelten Sage fortgelebt zu haben. Und doch giebt uns
eine Stelle des Plinius5) den allersichersten und interessanteste!! Anhalte-
1) Euseb. Chron. p. 272.
2) Schol. Lycophr. 520.
3) Schol. Eur. Or. 1230 : xal rriiv nttCdtm' kov Nioßrjg tiiuaxttiuad-lriwv — .
4) Paus. V. 8. 1 : iHXonog cf£ nur ntttöutv axifiaafrtijwv {|"//A*cfoc dra näaav t})V
alXrjv Il6lo7i6vrt]Oov.
5) Hist. natur. IV. 5. 9 (T. 1. p. 27S ed. Sillig). Aufgeführt wird hier tue einzige
Variante und zwar des Cod. Reg. Paris. (571)7 aus sec. XIII: in cobeam minore ; neben
Psamathe kommt auch vor Psamathera.
Niobe in der argi vi sehen Sage. 347
punkt. Derselbe führt bei der kurzen Besprechung des argolischen Landes
trocken nach einander Städte, Flüsse, Berge auf, zuletzt die Quellen und
nennt hier drei: Niobe, Amymone, Psamathe. Iigend eine Veran-
lassung in der handschriftlichen Ueberlieferung den Namen zu bezweifeln,
liegt nicht vor1). Alle drei Namen haben mythologisch ihre Beziehung zu
Geliebten olympischer Götter, des Zeus, Poseidon, Apollo.
Amymone, die Danaide, wird von einem Satyr verfolgt, von Poseidon
von ihm befreit, am Meeresufer in Liebe umworben und gewonnen, erfahrt
durch denselben die in Lerna enthaltenen, auch im Sommer nicht vertrock-
nenden Quellen oder erhält von ihm als Liebesgeschenk mit dem Dreizack aus
dem Felsen geschlagen die immerfliessendc Quelle, die ihren Namen trug2).
In acht Oeffinmgcu tritt die starke Hauptqucllc aus dein Felsen und fliesst
noch heute durch den künstlich gedämmten Teich in das Meer ab8). Nahe
stand der Quelle ein Tempel des Poseidon Genesios und weiterhin waren die
Apobathmoi der Danaiden.
Psamathe wird Tochter des Krotopos von Argos genannt, wird von
Apollo geliebt und von ihm Mutter des Linos, welcher ausgesetzt auf der
Weide von den Hunden des Krotopos zerrissen wird4; ; infolge dessen sendet
Apollo die die Kinder den Müttern raubende Poine und nach ihrer Tödtung
durch Koroibos eine verheerende Pest, bis endlich von Delphi aus eine Süh-
nung durch Stiftung von Tripodiskos erfolgt. Das Grab des Koroibos zeigte
man in Megara, wie es scheint auch mit religiösem Bezug auf Psamathe, das
des Linos war in Argos auf dem Marktplatz, darüber unmittelbar stand Apol-
lon Agyieus und ein Altar des Regenzeus (Z. cY£tioq)9 auch ein jtivrj/na des
Krotopos bei den Tempeln zweier von Kreta ausgegangener Culte des Dio-
nysos und der Aphrodite Urania5). Von Psamathe kennen wir kein (.ivrjfjia,
um so wichtiger ist die ausdrückliche Erwähnung als Quelle. Der Natur-
charakter des Linosmythus liegt klar vor: das Hlüthenleben der Erde im
Frühling, vom Lichtgott hervorgelockt, die vernichtende Gluth der Som-
merhitze6). Psamathe ist aber Name einer Meeresnymphe, einer Nereide
und bezeichnet als solche die den weisssandigen Strand bespülende Welle ;
sie steht mit XxTCcitj, 'Hiovrj darin auf derselben Linie 7) ; auch auf Vasen-
1) Auch der Namo einer anderen berühmten Quelle an der Gränze von Argolis, der
von Nemea mit dem Todtendienst des Opheltes, Attyykttt oder Attyxkla, Langia ist uns
nur im Statius IV. 710 (f., in Pausanias 111. 21. 2, Nicander Alexiph. 105 und Vibius Se-
quester erhalten.
2) Paus. II. 15. 5; Apollod. 11. 1. 5; Luc. dial. marin. 6; Hygin. fab. 109. Ueber
die Kunstdarstellungen s. Müller Handb. d. Archäol. § 350. 3.
3) Vgl. Buttmann Mythologus II. S. 93 — 107 ; jet*t Curtius Peloponnesos 11. S. 365.
4) Paus. 1. 43. 7; II. 19. 7.
5) Paus. IL 23. S.
6) Lauer System d. Mythol. S. 272; Preller Mythol. 1. S. 310.
7) Hes. Theog. 249. 256. 261.
348 Drittes Kapitel.
bildern erscheint sie unter den Nereiden1). Die Sage, welche ihre Verbin-
dung mit Proteus an der Küste des Nildelta betrifft, wollen wir hier nicht
verfolgen, obgleich ihre griechische Grundlage offen liegt, aber der Stätte
oder den Stätten nachgehen, wo sie in Hellas,' an der Peloponnes und sonst
üxirt ist. Da begegnen uns zwei solche, die eine nicht speciell in Argos,
aber doch im Bereiche der altargivischen Herrschaft, am Vorgebirge Tai-
naron, das erst später Minycr besetzen und die andere in Böotien.
Noch heute sprudelt in reicher Fülle ein herrlicher Quell auf der durch -
aus öden, wasserloscn Landspitze des Tainaron2) ; seine Wunderkraft Häfen
und Schiffe zu zeigen hatte bereits zu Pausanias Zeit aufgehört3). Von ihr
redet Valerius Flaccus, wenn er von dem Poseidonsohn Euphemos, dem miny-
eischen Stammesheros sagt :
qui tenet undisonam Psamathen semperque patentem
Taenaron.
Von ihr hat der Hafen am Tainaron VafiaO-ovg*) den Namen getragen. Da
uns in Argolis selbst durchaus keine Psamathequelle — und ihr Charakter
liegt eben in jenem Aufsprudeln am Strande selbst — begegnet, jene aber
eine hochberühmte war, können wir also die Psamathe der argivischen Sage
wohl mit allem Recht als die dort lokalisirte und verehrte annehmen.
Der Name der Psamathe für eine Quelle erscheint noch einmal in Böo-
tien und da zugleich spielt derselbe in der Geschichte des Stammesheros der
Phokenser, des Phokos eine Rolle. Die Quelle gehört in die Umgebung des
Kopaissees, in die Nähe von Orchomenos und ist von Nikander und Plinius
bezeugt5). Psamathe ist Geliebte des Aiakos und Mutter des Phokos, dessen
Sage reich ausgebildet und lokalisirt war 8) .
Mit gleichem Rechte wie für Amymone und Psamathe haben wir auch
für Niobe die Realität einer und zwar in ihrer Art eigenthümlichen und aus-
gezeichneten Quelle anzunehmen und zugleich eine Beziehung in Zeichen,
1) Mon. ined. d. inst. arch. I. 38.
2) Cur tiu 8 Peloponn. II. S. 278 ; Bursian über das Vorgebirge Tänaron in Abhdl. d.
Bayer. Ak. d. W. philos.-philol. Kl. VII. S.771 ff.
3) Paus. 111. 25. 5.
4) Richtig conjicirt auch Stiehle dies fürW/ua£o«5« in Philo!. X, 1. S. 726, der vergleicht
Skyl. Kar. p. 17, 47, Artemidor bei Steph. Bys. s. v.
5) Nicand. Ther. 887 ff. :
i}£ a(dag Wapa&ritdas ag re Tgoytitt (T(*£tfita conj. Meineka)
Kanal re Xifxvatov vns&QiiftnvTo ttclq vJujq
yntQ Zxoivrjog rf $6og Kvtonoio rt ßciXXtt.
Der Scholiast erklärt bei der Frage, ob ifjufia&rftJag als Ortsnamen zu fassen sind : Wafifirj
yag XQijrr) iarl rijg Bot (or lag — *<m dk ndXtp ronog r^g Bot cor lag Wdfia&og Xvyopsvog. Zur
Stelle 8. Unger Theb. Parad. p. 158 ff. Plinius IV. 12 nennt unter den fontes in Boeotia
einfach: Oedipodia, Psamathe, Dirce, Epicrane, Arethusa, Hippocrene, Aganippe, Garga-
phia.
6) Apollod. 111. 12. 6; Paus. X. 1. 1 ; 30. 3 und a. a. O.
Niobe in der argivischen Sage. 349
Sage und Cultus zur Landesherrin Niobe. Da es mir noch nicht gelungen
ist, die Lokalität derselben nachzuweisen, so wäre es vergeblich, weitere
Vermuthungen über die Natur derselben ausfuhrlich darzulegen. Nur hin-
weisen will ich auf die allgemeine Eigenschaft der anderen argi vischen Flüsse,
die nicht in den Lernäischen Sumpf messen — und dazu gehören vor allem
Inachos und Kephissos, jener der mythische Grossvater Niobes — dass sie
nur in der Regenzeit des Jahres Wasser haben, im Hochsommer wasserlos
sind1), dass man aber doch an einer gewissen Stelle der Stadt Argos noch
das Wasser des Kephissos rauschen zu hören glaubte und daher ein Heiligthum
desselben bestand2]. Unmittelbar dabei aber war ein Medusenhaupt gebildet,
dies Zeichen versteinernder Macht. Und wir haben doch wohl die Stätte der
Niobequelle in diesem Hereiche des Argos im engsten Sinne nämlich des
Inachos und Kephissosgebietes, in Verbindung mit den geheiligten Stätten
aller ihr verwandten mythologischen Gestalten zu suchen.
So stellt sich uns also die argivische Niobe in die bedeutungsvolle Unv
gebung der ältesten religiösen Mächte des Wassers, des zur Erde herabge-
kommenen Feuers, der Erde mit ihrem Wechsel der Wintertrauer und der
Freude an der Wiederkehr der Saaten und ist selbst an die Erscheinung des
Wasserquelles geknüpft.
Und in der menschlichen Natur ist sie an die Spitze menschlicher Cultur,
wie Phoroncus gestellt, von ihr hebt die Reihe von den Göttern begnadigter
Heroiuen an, alle älteste Cultur mit Ackerland und festem Wohnsitz knüpft
sieb an sie an. Giebt es in Argos aber nicht auch noch Spuren der anderen3), ^
der bekannten Tantalostochter Niobe, die von den spätem Mythogra-
phen, von dem gläubigen Pausanias mit Nachdruck von der Phoroneustoch-
ter geschieden ist und für uns vorerst geschieden bleiben mag? Allerdings
ist uns ein interessantes Zeugniss für dieselbe und ihre Kinder aufbewahrt
in der Stiftungssage und den Kunstdarstellungen des von uns zweimal er-
wähnten Letoon4). Der Letostatuc von Praxiteles gedachten wir oben be-
reits5) und dass es möglich sei, dass die dabeistehende Statue eine betende
Jungfrau, vielleicht auch die eines Knaben von demselben Meister herrührten.
Diese Jungfrau ward in Argos Chloris genannt und für eine Niobetochter
erklärt, ihr ursprünglicher Name sei Meliboia gewesen, sie sei, während die
Amphionskinder durch Apollo und Artemis getödtet wurden, allein mit Amy-
klos am Leben geblieben und das sei geschehen, weil sie zur Leto beteten.
1) Paus. II. 15. 5.
2) Paus. II. 20. 5. Ueber Kephissos, der vom Lyrkeios herkam, vgl. Strab. IX. 3. 16,
dazu Curtius IVlop. II. S. 357 ff.
* Sehol. Stat. Theb. IV. 5S9 : quin alia Tantali est.
4) Paus. II. 21. 1.
5j o. 3o.
y
350 Drittes Kapitel.
„Meliboia ward vor Schrecken sofort bleich (xXtoQog] und- blieb es ihr ganzes
Leben hindurch, so dass sie deshalb den Namen Chloris erhielt. Diese, erzäh-
len die Argiver, haben ursprünglich der Leto den Tempel erbaut."
Es ist wichtig, dass für den Namen XlwQtg, dem wir unter den Niobe-
töchtern auch sonst mehrfach !) begegnen und der uns weiter unten noch spe-
ciell beschäftigt, dessen Bedeutung durch die gelbgrüne blasse Farbe des
ersten zarten aufspriessenden Frühlingsgrases {x^cc} hinlänglich gekennzeich-
net wird 2) , hier ausdrücklich als argivische Tradition der Name MeXißoia
erscheint, die heerden versorgende, sie nährende Trift, dass aber Meliböa eben-
daselbst Kora, die Tochter der Demeter und Klymenosgemahlin im Cultus
bezeichnet3). Unverkennbar tritt hier die Analogie zwischen der Niobetoch-
ter und Kora auch darin hervor, dass sie die einzige überlebende Tochter
bleibt, eine Tochter, die dem Tode verfallen wieder dem Leben geschenkt wird.
In Amyklas begegnet uns zunächst ein topographischer Name, wie sie uns
schon früher in Sparton, Mykeneus vorkommen, bezüglich auf den uralten
Königsitz in Lakedämon und zugleich auf den Cult des amykläischen, mit
der Sonnenscheibc den Sohn des Amyklas llyakinthos tödtenden Apollo4).
Dies stimmt aber sehr wohl damit, dass dort in Argos Amyklas mit Meliboia
als Stifter des Letoon, d. h. des Ileiligthumes der mit ihren zwei Kindern
Apollo und Artemis und in ihnen verehrten Mutter genannt werden.
Noch eine andere Spur zwar nicht direkt der Niobe als Tantalostochter,
aber eines Tantalos haben wir in Argos hervorzuheben, bei der sich freilich
der Eifer des die mythischen Traditionen in historischer Strenge nehmenden
Pausanias sehr bemüht diesen Tantalos und den berühmten des Sipylos aus-
einander zu halten. Pausanias Äj berichtet, dass in der Nähe des Tempels der
Hera Antheia wie der Demeter Pelasgis in Argos ein nicht umfangreiches
%aX/.eiov, ein eherner Untersatz, Gefass, überhaupt Gegenstand sich befinde,
welcher die Statuen oben darauftrage avixu)> die der Artemis, des Zeus und
der Athena. Der Epiker Leukeas liess das Bild des Zeus dem Zeus Mechaneus
angehören und versetzte hierhin den Schwur der griechischen Heerführer
beim Zuge nach Troja. Von anderen aber wurde erzählt, dass die Gebeine
1) S. oben S. 96. %
2) Kaoul Rochette im Joum. des Sav. 1842. Avr. p. 221 will die Naturbedeutung von
dieser Chloris fernhalten und den Namen von jener abgeschmackten, euhemerisirenden Er-
klärung des Bleichwerdens vor Schrecken im Ernst ableiten.
3) Lasos bei Athen. XIV. G24c, dazu oben S. 31. Der Name Meliboia gehört auch einer
Okeanostochter und Frau des Pelasgos, der ja auch Niobesohn genannt wird, die Mutter
des Lykaon heisst, des Landesherrn von Arkadien (Apollod. III. 7. H).
4) Nach Apollod. (III. 10, 1) und Pausanias (III. 1.1) ist er Sohn des Zeussohnes
Lakedaimon und der Sparte, Enkelin des Autochthoneu Lelex, sein Sohn ist Hyakinthos.
Eine Leaneira, Tochter des Amyklas verbindet sich mit Arkas (Apollod. III. 9. 1). Vgl.
Dehnung, Leleger S. 118.
5) IL 22. 3.
Niobe in der argivischen Sage. 351
•
des Tantalos in diesem ehernen Behälter ruhen1). Dass der Sohn desThye-
stes oder der des Hroteas (beides erzählt man nämlich) welcher früher als Aga
meinnon Klytämnestra geheirathet, hier begraben sei, dagegen hat Pausanias
nichts einzuwenden, von dein Tantalos aber, den man Sohn des Zeus und der
Pluto nenne, von dem hat er selbst in Sipylos das schauenswerthe Grabmal
gesehen und der habe auch noch gar nicht die Notwendigkeit gehabt, wie
sein Sohn Pelops, von Sipylos zu fliehen. Der letzte Zusatz wäre ganz unnö-
thig, wenn nicht Pausanias dadurch eine auch herrschende Tradition von die-
sem Tantalosgrab hätte beseitigen wollen. Tantalos als Knabe und Sohn des
Thyestes begegnet uns auch in andern Merichten und zwar als der von Atreus
zuerst geschlachtete 2) . Davon weicht Pausanias selbst ab, wenn er denselben
Klytämnestra zuerst heirathen aber von Agamemnon ermorden lässt3). Aber
dieser Klytämnestragemahl sollte auch Sohn des Bruders der Niobe, des Bro-
teas sein, dessen wir schon oben gedachten, dessen Spuren wir aber nur am
Sipylos finden *; und unten weiter zu verfolgen haben. Welcher Erzählung
Euripides folgte, welcher zuerst die frühere Verheirathung der Klytämnestra
und zwar mit einem Tantalos erwähnt, geht aus seinen Worten nicht hervor5).
Auffallend bleibt diese Beziehung immer auf den Thyestessohn oder auf den
Gemahl der Klytämnestra; jenes Gebeine werden mit denen des Bruders,
Pleisthenes, ja durchaus vereint nur genannt beim grausen Thyestesmahle,
dieses selbst, sowie die Denkmale der Tantalidenherrschaft, Schatzkammer
und Grabmal des Atreus, des Agamemnons, des Aegisthos, der Klytämnestra
gehören nicht nach Argos, sondern nach Mykenä und auch das Widderdenk*
mal des Thyestes befand sich kurz vor Mykenä auf der Strasse nach Argos.
Ueberhaupt gehörte ja Argos gar nicht zum Reiche des Atreus wie des Aga-
memnon. So erwartet man gewiss nicht das vereinzelte Grab dieses jungen
Tantalos mitten in der Stadt Argos. Dagegen weist die unmittelbare Umge-
bung jener Tantalosgebeine, das Heiligthum der Leto, der Hera Antheia, der
Demeter Pelasgis, der Kora, das Grab des Pelasgos, endlich die Götter, deren
Statuen sich auf dem Erzgrabmal befanden, besonders des Zeus Mechaneus,
aber auch der Athena und Artemis, auf einen Kreis religiöser Vorstellungen
und Stiftungen, zu welchem jene Urgestalt des Tantalos die vielfachste Ver-
1) PaiiB. a. a. O. : ir^on 64 iariv tlQrj/utvov ootcc iv rtp /ailxfty xua&ai Tuvralov.
2) Sen. Thyest. IV. TIS; Hygin. fab. bS. 244. 246.
3; Paus. II. IS. 2: rj 7iQov7ti\Q^iyjiyttfji4fJivovi fporog Tuvralov rov Butaiov.
4] Die Stelle bei Pausanias (III, 22. 4), welche von Gerhard (griech. Mythol. § 834. 1}
dafür angeführt wird, dass dieser Broteas in Akriä in Lakonika das alte Bild der Mrjxrifj
fteaiv eingesetzt habe, besagt dies nicht ; inv Gegen theil sie scheidet dies Bild von Akriae
als das älteste nur in derPeloponnes ausdrücklich von dem überhaupt ältesten des Broteas
am Sipylos.
6, Eurip. Iphig. Aulid. 1160:
toi' nnoofrev aro*(itc Tarralov xr<TttxTai'(bv — .
352 Drittes Kapitel.
wandtschaft hat. Und ist es nicht auch bezeichnend, dass die Gebeine des
Pelops ebenfalls in einem ehernen liehälter, einem Kasten von Erz (xißuTog
Xalxfj), nahe dem Heiligthume der Artemis Kordaka in Olympia aufbewahrt
wurden f) ? Und endlich wird nicht in einem Verzeichniss der ältesten argi vi-
schen Könige einfach Tantalus Jupiters Sohn mit Pelops, dann Atreus als
Nachfolger nach Phoroneus, Argus, Peranthus, Triopas, Pelasgus aufgeführt2) !
Gehen wir ausserhalb Argolis den Spuren der Niobe in der Peloponnesos
nach, so begegnen sie uns vereinzelt im Zusammenhang mit Pelops und sei-
ner Einwanderung. Auf der Westseite der Taygetoshalbinsel, welche ursprüng-
lich mit Messene in gleicher lelegischer ] Bevölkerung verbunden war und auf
welcher die Messenier immer die kleine Gerenische Landschaft bis zum klei-
nen Pamisos beanspruchten, lag innerhalb dieser Gränze die Stadt Thala-
mai oder Thalamoi 3y, nahebei der Hafenort Pephnos, weiter seitlich Oity-
lo8, nördlich Leuktron und Charadra. Zu Strabos Zeit wurde Thalamoi mit
dem Namen ol Boiwzoi bezeichnet. Leuktron leitete sich unmittelbar von
Leuktra ab ; überhaupt sah sich die Bevölkerung als böotisch und zwar hierher
verpflanzt an. Man berichtete, Pelops habe, als er seine Schwester
Niobe an Amphion zur Frau übergab, einige Böotcr von dort mit
fortgeführt und hier in diese Orte verpflanzt 4) . Wir finden also hier entschie-
den die Pelopssage im Zusammenhange mit einer bestimmten, von den lele-
gischen Bewohnern, deren Spuren z. B. in der Hafenstadt Pephnos, in der
augeblichen Geburtsstätte der Dioskuren, im Dienste des Karneischen Apollo,
wie im Heiligthume der Ino und Selene oder Pasiphae mit Helios und Aphro-
dite Paphia*) noch später vorhanden waren, verschiedenen Ansiedelung der
Achäer6) und Böoter haftend. Ob nun jene Beziehung auf Niobe eine erst
1; Paus. VI. 22. 1.
2) Hygin. fab. 124; Serv. Virg. Aen. 003; Mythogr. Vat. ed. Bode II. 102; III. ISO;
Malal. Chron. p. SO.
3) Beide Formen kommen vor. Man trennte früher falsch ein spartanisches und ein
messenisches Thalamoi, Curtius (Pelop. II. S. 2V> — 320) giebt zuerst eine einheitliche Orts-
bestimmung, die eine vollständigere Vergleich ung der Stellen ganz bestätigt, vgl. Strabo
VIII. 4. 4 ; Paus. III. 21. 7; 20. 1 ; Polyb. XVI. 10; Theopompos bei Steph. Byz. s. v.
Ein zweites Thalamoi lag in Elis und hier giebt Polybios die richtige Erklärung aus der
Natur des Ortes 'IV. 15;.
4) Strabo VIII. 4. 4: olxioai 6k Xfyfrai //ttoi/' 16 if Atvxr(tor xu\ X«(Mc'tf()tti' xtt) Ö«-
kapovq iov$ %>vv HoiwTovg xuXoupivous, n]v (iJtXifrjv Nioßqv Movsl4[Ay(ovi xttl ix rrjg Botto-
i(aq ayofxtvog Ttva$.
5} Paus. III. 25. 7 ; 26. 1 ff. Zur Pasiphae vgl. die von Preller zu Mythol. II. S. S4
angeführten Stellen.
0; Achäer als dabei betheiligt zu denken, darauf führt die allgemeine Anschauung,
dass phthio tische Achäer mit Pelops nach Lakonika kamen und es zu einem Argos^/ruxor
machten vStrabo VIII. 5. 5), ferner dass der Gründer von Oitylos ein Argiver genannt ward
(Paus. III. 25. 7). Die Achäer nennen sich inschriftlich in Olympia fyyovot avri&iov Tav-
xaX(9u IUXonos (Paus. V. 25. 6).
Niobe in der argivischen Sage. 353
künstlich durch gelehrte die Sagen verknüpfende Thätigkeit hereingebrachte
ist, will ich nicht entscheiden. Sie war wenigstens die, in welcher Pelops ge-
rade mit den Böotern sich begegnet«.
Auch in Olympia können wir im Zusammenhang mit der hervorragen-
den Stellung, die gerade dort Pelops einnimmt, welcher allen Heroen vor-
anstand, wie Zeus der Olympier den Göttern *) , entschiedene Spuren der
Niobesage und zwar angeschlossen an bestimmte Lokalitäten und Hand-
lungen finden. Ich stelle voran die allgemeine Nachricht2), dass Pelops von
Sipylos in Kleinasien mit grossen Reichthümern ausziehend seine Schwester
Niobe mit sich führte, diese an Amphion nach Theben verheirathete, selbst
aber nach Pisa in die Peloponnes ging. Also auch hier dieselbe Verknü-
pfung der Niobehochzeit mit dem Auftreten des Pelops auf peloponnesischem
Boden, wie wir sie in Thalamoi fanden. Weiter aber haben wir hieY doch
die Darstellung des Niobidenunterganges durch Apollo und Artemis neben
einem andern thebanischen Vorgang am Thronsitze des olympischen Zeus
zu erwähnen, der uns früher vom künstlerischen Standpunkte aus beschäf-
tigte s) . Immerhin steht der Tempel des Zeus in allernächster Beziehung zu
Pelops, dessen heiliger Bezirk (rö Jl€l6/iiov9 %6 te/nevog tov üiXorcog) unmit-
telbar daneben sich befand4), der im Vordergiebel als eine Hauptgestalt er-
schien Ä) . Allerdings erscheint hier fast ein absichtlicher Contrast zwischen
dem gottgeliebten Pelops und der von der Götter Zorn im Glück so hart
heimgesuchten Niobe. Immerhin braucht man die zwei ebengenannten
Punkte nicht speciell für eine Fixirung der Niobesage in Olympia anzuer-
kennen; anders steht es aber mit der dritten Nachricht8). Bei dem alten
1) Paus. V. 13. 1 : r;(>a>W cW im> tv'OXi'fxnitt tooovtov nQOJtJi/Lttifiiveg iorlv b IHloif/
vTio *HXt(tav oaor Ztvg rdSv aXXtov öftdr. Religiöse Institutionen, die an Pelops angeknüpft
wurden, sind ausser dem Agon für Zeus Olympios Opfer an Athene Kydonia (Paus. VI.
21. 5), Siegesopfer und Tanz der Artemis Kordake (VI. 22. 1), Todtenopfer am Grabhügel
der Freier der Hippodameia (VI. 21. 7), Sühnopfer an Hermes [Paus. V. 1. 5).
2) Nicol. Damasc. bei Müller Frgmta histor. grr. III. p. 307. 17: 6 <f inil ayCxtxa
avv noXX(j> nXouty rijv ttdfXfphv Nioßijy uytav tQ^rjÜtls jfXtviatov ix 2i.nvXov iavir\v pkv
iöwxe 'dfbUftori ry Grjßattp, uvtbg ö* rfjs IItXonowt]aov rjX&tv flg fltoav. Auf ein von Am-
phion dem Thebaner an Pelops mitgetheiltes Zaubermittel bezog man auch von einer Seite
den Taraxippos im Stadion (Paus. VI. 20. S).
3) Paus. V. 11.2. dazu oben S. 110.
4) Paus. V. 13. 1 (Opfer der jährliehen Archonten ; Keliquie der to^onlarrj) ; 14. 6;
24. 1 ; 2(>. (>. Die uä^aiQa des Pelops mit goldenem Handgriff im Schatzhaus der Sikyonier
(Paus. VI. 19. 3). Der eherne Koffer mit den Gebeinen bei dem Heiligthum der Artemis
Kordake (VI. 22. 1).
5, Paus. V. 10. 2: IliXonog fj nybg Ohopaov ttSv Xnntav ttjuiXXa fri fifXXovaa. Statue
des Pelops mit Zeus und Alpheios V. 24. 1 ; desgl. mit Hippodameia VI. 20. 10.
0) Paus. V. 26. 3 : juvTjfiovevovoi eft xal, er* XXtÜQig vtx^antv *A(ju[>lovog &vyariiQ ftovr)
Xfiifd-eTaa rov otxov • avv <f£ avry xal h>a ntqtytvtad-cu (faol twv aqaivtov * a 6 k ig rovg
Nioßijg naidag naQtararo avr$ fiot yiyrwoxttv, iv rotg fxovatr & Xpytfovg iSijXtoOa.
Stark, Niobe. 23
354 Drittes Kapitel.
Heiligthum der Hera zu Olympia ward an den alle vier Jahre eintretenden
Heräen ein Wettlauf von Jungfrauen gehalten, sechzehn Frauen waren da-
hei Agonotheten. Dies sollte Ilippodameia eingerichtet haben als Dank für
die Hochzeit des Pelops und sie sollte zuerst die Heräen gehalten haben.
Da erzählte man auch, dass Chloris, die Tochter des Amphion, die einzige
vom Hause Uebriggebliebene gesiegt habe. Mit ihr sei auch einer der Söhne
am Leben geblieben. Also hier dieselbe Tradition, wie bei dem Letoon zu
Argos, die Kettung zweier Niobekinder ; ihre Namen sind Chloris und Am-
phion, wie wir aus Apollodor entnehmen können1]. Zugleich wird also
Chloris als Jungfrau noch, aber bereits nach der Katastrophe vorausgesetzt.
Ihr Erscheinen auf dem Hoden von Olympia als solches wird nicht beanstan-
det im Zusammenhange mit Pelops. Wir werden einer Chloris aus Böotien,
die mit der Niobetochter zusammen verschmolzen ist, auch gleich in dem
Nachbarland, im minyeischen Pylos begegnen. Allerdings erscheint hier
Chloris nicht direkt in Verbindung mit einem Letoon, sondern Heraeon, aber
es ist doch zu beachten, dass als die altertümlichsten im Tempel aufgestell-
ten Götterbilder Kora und Demeter, Apollon, Artemis, Leto neben Tyche,
Nke und Dionysos genannt werden *j .
Ehe wir die Peloponnesos verlassen, ist es wohl auch der Mühe werth
hervorzuheben, wie in den Namen der Niobiden uns peloponnesische Spuren
entgegentreten, so in dem Sohne Argeios bei Pherekydes, in dem durch-
gehenden Namen Pelopia, auch den Namen Archemoros möchte ich als spe-
ziell argivisch in Anspruch nehmen 3j .
8 24.
Fiobe in der böotischen Ursage. Ohloris und die Minyer.
Keine Landschaft in Mittelgriechenland spielt durch seine eigenthüm-
liche Naturbeschaffenheit, besonders der Wasser- und atmosphärischen Ver-
hältnisse4), wie durch die ältesten Culturanlagen der Bewohnereine so be-
deutsame Rolle als das nördliche Böotien, die Umgebung des Kopaissees. Die
Blüthe vonOrchomenos geht der von Theben voraus, die heiligen Stätten von
Onchestos, von Alalkomenae, von Lebadeia fuhren in älteste religiöse An-
schauungen zurück. Als der wahre Urmensch dieser Gegend tritt uns aus
einer Reihe zersplitterter Notizen AlalkomeneusB) entgegen, während der
]} III. 4. 5; dazu 8. oben 8. *4.
2j Paus. V. 17. 1.
:t, Die Stellen r. oben S. 90.
4 Vgl. die treffliche Schilderung von Forchhammer in Hellenika S. 159 — 192.
5) Die Form ytXnXxou^rji kommt auch vor Hom. 11. IV. *>; XXIV. Gü2.
Niobe in der böotischen Ursage. 355
allgemeine Name Ogygos dafür mehr an Theben haftet, aber mit diesem
entschieden wechselt !) .
Pausanias2) berichtet uns, dass Alalkomenä, diese in der Ebene am
Fusse eines massigen 1 Jorges gelegene specifisch heilige Stadt3) die Geburt-
stätte der Athene am Fliisschen bedeutungsvollen Namens, des Triton, den
Namen erhalten habe von Alalkomeneus, dem Autochthonen und dieser habe
Athene grossgezogen. Andere sprachen dagegen von Alalkomenia4), einer
der Töchter des Ogygos. Nach einer Tradition, die uns Stephanos von
Byzanz5) aufbewahrt, ward Athenais, die Tochter des Hippobotas, Enkelin
des Glaukopos seine Gattin ; wir haben hier also wesentlich die Göttin selbst,
Glaukopis Athene in dieser Verhüllung. Wie es aber auch einen Zeus und
eine Hera mit diesem Beinamen Alalkomeneus8) gab, also den Dreiverein von
Zeus, Hera, Athene, der uns auch in Athen begegnet, so ist es wichtig, dass
der Autochthon Alalkomeneus zuerst dem wegen der zürnend sich der ehe-
lichen Verbindung entziehenden Hera bei ihm Rath suchenden Zeus denselben
dahin ertheilt, ein Daidalon, ein Bild der bräutlichen Hera von Eichenholz fer-
tigen zu lassen und mit ihr die Scheinhochzeit auf dem Kithäron zu halten,
dass die fortwährend lebendige Sitte bei den Daedala von Platää es verlangte,
ein Holzbild aus dem Eichenhain von Alalkomenä von einem durch Vogel-
zeichen bezeichneten Baume zu holen 7) . Ein Beweis, wie also der Name des
Autochthonen und diese Stätte mit der Bildung des ältesten Götterbildes, wie
mit dem uralten Mvthus der Hochzeit von Zeus und Hera und der Geburt
der Athena am Vrwasser, dem Triton in enger Verbindung stand. Nun aber
ist uns durch das herrliche lyrische, wahrscheinlich pindarische Fragment
bei Origenes oder Hippolytos8) über die erste Erschaffung des Menschen als
eines eulturfahigen, gottgeliebten Wesens (rjfieQOv xal &€oq>iXeg £<oov) durch
1) Paus. IX. 5. J : [laötltu dl tlvtti t(ov '/.xrifrcoi' arJ(ta uvrö/ttovct "Slyiyov xal cctiu
tovtov rotg noXXoTg rtov notrjTün' ln(xXi\aig lg tag Oqßag lailr 'ilyvytat.
2) Paus. IX. 33. 4 : y€v£o&ai cf£ avr^ ?o ovo im ph' und ^AXaXxofiivitag ardpog nvtox&o-
vogf vno tbvtov J£ yilhp'nv TQayrjvai Xiyoimiv of tf£ (h'tti un) tijf y/4XaXxofitv(av rtov*£lyvyov
&iryaT£()tüv qaaCr.
3) Strabo IX. 2. 3ti : (die Bewohner der Stadt; Infidrj UqoI Svrte nageivro rijg otqu-
itCut' xal ytxQ xal dnoyOrjjog ae) flitriXtatv r\ nokig — Ttjv cte S-tby otßofitvoi «7F«(^ot'To
ndorjg ßCag,
4; Eine Quelle Alalkomenia erwähnt Pausanias (VII. 12. 4) bei Mantinea. Auch hier
ist eine solche im heiligen Bezirk der Athene anzunehmen. Nach Suidas s. v. IlgaSiöfar)
ist sie eine der drei böo tischen Praxidiken.
5] S. v. *AXaXxofj£viov.
H) Etymolog. Magn. 547. 1.
7) Plutarch Daedal. Frgm. bei Euseb. Praep. evang. HI. 1. p. 85; Paus. IX. 3. 3;
Hermanns Lehrb. der g riech. Antiquit. II. S. 443. 2. Aufl.
s) Philosoph. V. p. 96 ed. Miller; Schneidewin Philol. I. S. 424 f.; Bergk Poetae
lyrici graeci p. 1059 f.
23»
356 Dritte« Kapitel.
die Gaea Alalkomeneus als Autochthone so recht in den Vordergrund gerückt
worden und zwar als ein dem Binnensee Entstiegener. Da heisst es 1) :
„das zu erkunden ist schwierig, ob den Böotern Alalkomeneus über dem
Kephisischen See als erster Mensch sich emporhob, oder ob es Idäische
Kureten waren, Göttersprösslinge , oder phrygische Korybanten u. s. w."
Es folgt dann eine Reihe anderer Autochthonen wie Pelasgos in Arkadien,
Diaulos in Eleusis, Alkyoneus in Pellene, der Garamant in heisser libyscher
Wüste, endlich der Neilos, der in feuchter Wärme menschliche Körper her-
vorgebracht. Die Reihe beginnt und schliesst also mit der Geburt aus dem
Süsswasser des Sees oder des Stromes. Alalkomeneus tritt an die Spitze, Ogy-
ges oder Ogyges, welcher ja wohl Sohn des Boiotos genannt wird, durch
diesen oder direkt von Poseidon abstammt2), wird dagegen gar nicht ge-
nannt, wir haben diesen mit jenem für der Sache nach identisch zu halten,
aber jener als die specifischere Bezeichnung des ersten dem Wasser entstiege-
nen Menschen.
Was hat aber Alalkomeneus für unsere Untersuchung für ein Interesse ?
Nun ein sehr bestimmtes, denn ausdrücklich wird auch er als Mann der
v. Niobe genannt3). Also Niobe gehört auch in die Ursage von Alalkomenä,
/ überhaupt Böotien, auch hier ist sie die Eva des menschlichen Geschlechts,
auch hier steht sie zu dem im Winter von Wasser bedeckten, im Sommer
trockenen, fruchtbaren Lande in Beziehung: auch hier mussten wir eine
heilige Quelle (die der Alalkomenia) annehmen. Und Zeus spielt gerade
auch dort als Gemahl der Hera, als Vater der Athene eine so hervorragende
Rolle, dem wir in Argos Niobe als Geliebte verbunden sahen.
Die Gestalt der Chloris ist es ferner, welche auch zwischen O rc hö-
rn enos, dem ältesten Culturmittelpunkt jener Landschaft und dem Niobe-
mythus eine Brücke schlägt. In der Nekyia der Odyssee4), welche sichtlich
in der Aufzählung berühmter Heroen und Heroinen die äolisch-böotischen
1) T© <f i£cvQfu' xttltnbv
tlri BoiatroiOiv * AXttXxofitvtvs Xtyirttg vjiIq Ka<fto(Joe
ngtÖTOi ttvd-QtoTum' «rio/ev
tttt KovQtjrts fonr yivo$ 7rf«fo# £fc5i'
1} 4>Qvytoi KoQvßavttg xrX.
i "v / — — "• *
2) Schol. Apoll. Rh. III. 1 1 79 ; vgl. sonRt Gerhard gr. Mythol. 8 242. 4.
3) Schol. II. 24, 602 : rrjf Nioßrjy oi pli IT fron oq ol eft Tavrdlov ol dt Zy&ov ol dt
'AXaXxopivto* ywaix(t(f«ot.
4) Hom. Od. XI. 281 :
xnl XXtoQtv tMor MQixaXXiu, rijr noxt NtjXfve
yrjjutr lor Jta xaXXog, intl nogf fiv^t $fdva
onXorarrjv xovqijv 'Ajuiftoroc >lna(dao,
os noi fv 'OQXoutvqi MtvvtCy Itfi ävaoatr,
ij dl TTvXov ßaolXfvt xfxtv dt ot ayXaa xfava xiX.
Die Sage deutet Schwende : drei griech. Mythen im Rh. Mus. N. F. X. 3. S. 369—392.
Niobe in der böotischen Ursage. 357
Sagenkreise in den Vordergrund stellt und daher schon einem böotischen
Dichter zugeschrieben ward, wird nach Tyro, Antiope, Alkmene, Epikaste
auch aufgeführt „die sehr schöne Chloris, die einst Neleus heirathete um ihrer
Schönheit willen, nachdem er gegeben unzählige Brautgeschenke, die jüngste
Tochter des Iasiden Amphion, welcher einst in Orchomenos dem Minyeischen
gewaltig herrschte, sie aber ward Königin von Pylos und gebar ihm edle
Kinder."
Also hier haben wir eine Chloris, Tochter eines Königs im minyeischen
Orchomenos, des Iasossohnes Amphion, der in jener Stelle von dem theba-
nischen, kurz vorher genannten Amphion geschieden wird, welche dann in
das minyeische Pylos verpflanzt wird. Während Eustathios ') zur Stelle trotz
des langen Exkurses doch nichts beibringt, was nicht in ihr selbst schon
gegeben wäre, so fuhren die Scholien den Pherekydes kurz an, welcher die
von Homer nicht genannte Mutter nenne, nämlich 0€QOeq>6vrj, Pausanias')
fugt an der Stelle, wo er das Herrschergeschlecht von Orchomenos von Hol-
mos bis zu Orchomenos hinabfuhrt8), sichtlich auf Homer sich beziehend
hinzu : das Ansehen der M inyer war aber so gestiegen, dass auch Neleus,
Sohn des Kretheus, König von Pylos eine Frau aus Orchomenos hatte, Chloris
die Tochter des Iasiden Amphion 4) . König nennt ihn Pausanias nicht, da
er mit seiner Genealogie in keiner sichtlichen Verbindung steht. Diese ver-
räth übrigens in den vielen mit %(ivg6s beginnenden Namen, wie in den
rein ethnographischen und lokalen Beziehungen seinen jüngeren, klügelnden
Ursprung. Eine Verbindung stellt ein Scholion des Tzetzes her, wenn er
Chloris geradezu Tochter des Orchomenos nennt5).
Amphion, der Vater der Chloris ist ein Iaside, Iasos aber oder
Iasios oder Iasion6) ist ein in den ältesten pelasgischen Geschlechtern
vielfach erscheinender Name, dem wir in Argos7), in Arkadien8), in
x/
1; Ed. Lips. I. p. 415—417.
2) IX. 36.
3) Müller Orchomenos S. 134, der die Unmöglichkeit zeitlicher Ordnung dieser Genea-
logien nachweist.
4) So bereits Sylburg richtig für das handschriftliche "dtüQtv *Ap<ftovo$ rov 'Ilaotov.
5j Tzetz. ad Lycophr. 881 .
6, Vgl. überhaupt O. Müller Orchomenos S. 265. 419, Hock Kreta S. 332, Lobeck
Aglaopham. p. 1223, Klausen Aeneas 1. S. 333. 378— 3M, Preller gr. Mythol. 1. S. 479,
Welcker gr. Götterl. 1. S. 693.
7) Dan"l«oor"AQyog Hom. Od. XVIII. 246. Eust. ad 1. 1. und zu DioH. Perieg. 410),
die Peloponnes zunächst bezeichnend und abgeleitet von Iasos, Sohn der I o. Ein Iasos
auch Vater der Io (Paus. II. 16. 1}, ein Iasos auch Sohn des Argos (Apollod. II. 1. 1. u. 3).
5) In Arkadien Städte Iasos (Paus. VII. 13. 5) und Iasaia Paus. VIII. 27. 3). Iasos S
Bruder des Ankaios, Sohn des Lykurgos, Urenkel des Arkas Apollod. III. 9. 1). Auch
Kepheus, Vater der Andromeda, der ursprünglich nach Tegea gehört, wird %Ia<sldr\$
358 Drittes Kapitel.
EhV;, in Böotien bei Tanagra2), in Athen8), am kretischen Ida4;, in Samo-
thrake wie im troischen Lande5) begegnen. Seine agrarische Bedeutung als
Dämon und Heros, als Begründer des Getreidebaus, als Erzeuger des aus
der Erde hervorgehenden Reich th ums, aber auch frevelnden Uebermuths
eines auf diesen Reichthum pochenden Menschen ist in jenem alten Mythus
klar gegeben, da .wir in der Odyssee wie der hesiodeischen Theogonie8)
lesen, dass Demeter auf dreifach gepflügtem Brachfelde in Kretas fettem
Gau (Hesiod) mit Iasios (Hesiod) oder Iasion (Homer) sich in ersehnter
Liebeslust begattet und den Plutos geboren habe, aber dass er dieses Glückes
sich nicht lange erfreute, sondern von Zeus mit dem Blitze getroffen wurde.
Diese agrarische Urbedeutung des Iasos oder Iasios springt uns aber
entschieden auch in Orchomenos, in der Verbindung seines Sohnes Amphion,
wenn wir hier zunächst von der Bedeutung dieses Namens absehen, die uns
im Folgenden beschäftigen muss, mit Persephone hervor. Gerade so ver-
bindet sich der Arkader Iasos mit Klymene, Tochter des Minyas7, ; Kly-
mene ist aber das Correlat zu Klynienos, d. h. Pluto, ein Klymenos begegnet
uns aber auch unter den Minyerkönigen ö . Die Minyer aber haben im Dienste
des Zeus Trophonios mit seiner Nährerin Demeter Europa und mit Herkyna
einen Mittelpunkt dieser den Erdgottheiten und ihrem Segen zugewandten
Culte.
genannt (Arat. Phaenom. 179; ürig. Philos. IV. 4*s p. SO ed. Miller'. Ein 'fuertog irt-w
'Aoxag erster Sieger xfXtjTt in Olympia (Paus. V. S. 1 }, aus Tegea zu Herakles Zeit (Paus.
Vlll. 4*. Ij.
Ij Nach Ueberlieferung der Kleer heisst einer der fünf Kureten Iasos und hat einen
Altar in Elis (Paus. V. 7. 4; 14. 5).
2) Die Tanagrfter nennen den Gründer von Delion am Meer Poimandros, Enkel des
Iasios, Gemahl der Tanagra Paus. IX. 20. 1 .
3} Iasos, Sohn des Sphelos, Enkel des Bukolos , ein ay/bg \i&nva(iov gefallen vor
Troja 11. XV. 331 mit Schol.:.
4) Hes. Theog. 9<>9f. ? Apollod. 111. 12. I ; Theokr. Id. III. 50 mit Schol. ; Ovid. Am.
III. 10. 19 ff. Er ist nach Schol. Theokr. 1. 1. Sohn des Minos und König von Kreta; nach
Hermippos bei Hygin Poet, astron. II. 4, Sohn des Thuscus ; nach Petellides Gnosius von
Ceres Vater von Plutus und Philomelus.
5) Hauptstelle Diod. V. |s. 49, vgl. sonstServ. Virg. Aen. III. 168; Conon. 21; Strabo
VII. fr. 49. Er ist Sohn des Zeus und der Elektra, auch des Korythos, Bruder von Dar-
danos und Harmonia ; Demeters Liebe an der Hochzeit der Harmonia; er wird auch mit
Kybele verbunden , Vater des Korybas genannt. Seine Liebe zu Demeter wird auch als
eine (ig ^frjf*fjr()a apagritt gefasst, daher das vom Blitz Erschlagen werden.
6) Hom. Od. V. 125 — 12S; Hes. Theog. 9H9f. Als yqnovog «vw — zf^rjTQog duol-
loroxoto mt{>nxo('ir\g bezeichnet ihn Nonn. Dion. XL VIII. tf7S. Nach Hygin. Poet. Astron.
11. 22 verstehen einige unter den Gemini Triptolemum et Iasiona a Cerere dilectos et ad
sidera perlatos.
7) Apollod. III. 9. 2.
b) Apollod. II. 4. 10.
Niobe in der böotischen Ursage. 359
Chloris also, die jugendlich zarte , dem ersten Frühlingsgrün entspre-
chende Gestalt, ist die jüngste Tochter ihrer Eltern und besonders schön.
Sie wird von Neleus, dem ächten Aeoliden umworben, welcher aus Iolkos
verdrängt in das messenische Pylos f) gewandert war und dort , wohin auch
bereits sein Grossvater Salmoncus vor ihm .versetzt wird, ein mächtiges durch
Handelsverkehr wie Viehzucht blühendes Reich gegründet hatte. Der Name
der Minyer haftet dort an dem Flusse Minyeios2), die Pylier erscheinen als
Anverwandte (olxelot) der Orchomenier in den Kämpfen mit Theben und
Herakles. So ist auch diese Verbindung des Neleus mit Chloris, der orcho-
menischen Königstochter eine im historischen Stammeszusammenhange wohl
begründete. Es ist interessant, dass eine Sagenbildung auch den Pelias, den
Bruder des Neleus und Herrn von Iolkos sich eine Tochter eines Amphion
holen lässt, Philomache und wir dabei zunächst an diesen Amphion zu den-
ken haben 3) .
Chloris erscheint in Pylos zunächst als reiche, glückliche Mutter. Wäh-
rend die Odyssee4) nur drei Söhne und die Tochter Pero aufrührt, redet in
der Ilias5) Nestor ausdrücklich von zwölf Söhnen des Neleus, von denen er
allein am Leben geblieben sei. Die Vermittelungsversuche , welche hier
gegen die Schlüsse der Chorizonten von Seiten der Aristarcheer gemacht
werden, interessiren uns dabei nicht. Das Wichtige für uns ist das schwere
Unglück, welches Chloris als Mutter trifft, indem sie alle ihre Söhne bis
auf einen verliert. Und zwar wirkt hier der alte Gegensatz zwischen Orcho-
menos und Theben, zwischen Minyern und Herakles, welcher die pylische
Macht vernichtete (exdxwoe) und die Besten tödtete. Auf Seite der Pylier
steht unter den Göttern besonders Hades neben Hera und Poseidon, er wird
im Kampf gegen Herakles verwundet6). Also hier in Pylos unterstützt auch
Hades die Söhne der Chloris, der Persephonetochter.
Die Sage lässt dann Chloris durch den Verlust ihrer Kinder zum Selbst-
mord getrieben werden, indem sie nach Heroinenart durch den Strick sich
das Leben nimmt7). Soweit stände die Chlorissage für sich selbst selbstän-
1) Curtius (Pelop.ll. S. 171) weist mit triftigen Gründen das messenische Pylos als das
ursprüngliche nach, das tri phy Hache hält er für die spätere Gründung der durch die Do-
rier gedrängten Pylier (II. S. S7).
2) II. XI. 722; Hesych. s. v. Mwv$os>, Strabo VIII. 3. 19.
3) Apollod. I. 9. 10.
4) Od. XI. 285— 2S7.
5) IL XI. 692.
6j Apollod. II. 7. 3. Westlich vom triphylischen Pylos lag der Berg M(v&tj, genannt ^
nach der naXXaxlg des Hades und ein Heiligthum des Hades (Strabo VIII. 3. 14) und in
Triphylien waren hochgehalten t« rfjg JyprjTQog xnl i% K6qv\s ftpa — x«\ t« tovvAöov.
7) Schol. II. XI. 692: koyog ti£ lartv ort XXÜQts inl rjj ttltvirj ttiy na(6<ov «y/oVi;
360 Drittes Kapitel.
dig im Bereiche der minyeischen Stammsagen, zugleich mit dem Hintergründe
der göttlichen Gestalten des chthonischen Lebens, ohne sichtbare. Verbin-
dung mit Niobe. Wir hatten die gleiche Kinderfulle wie dort, den gleichen
Tod bis auf ein Kind und zwar durch Eine Hand, wir hatten den Namen
Amphion hier wie bei Niobe, der Name Chloris war derselbe mit dem pelo-
ponnesischen Namen einer Niobetochter. Aber dabei blieb man nicht stehen
in der Fortbildung der Sage, der Iaside Amphion von Orchomenos ging auf
in den Antiopesohn Amphion von Theben. Weder Pherekydes noch Hella-
nikos fuhren den Namen Chloris auf unter den Kindern der Niobe, dagegen
nennt Apollodor 1J bereit« ohne Angabe seiner Quellen Chloris als gerettete
Tochter von Amphion und Niobe und als Gemahlin des Neleus, obgleich sie
in seinem Verzeichnisse der Töchter nicht vorkommt; er bezeichnet sie als
die ältere (fj aQeoßvieQa) , doch wohl zum Unterschiede der attischen Nymphe
Chloris, der Geliebten des Zephyros. Hygin2) sowohl, wie die Iliasscholien
des Venetus B und Codex Lipsiensis3) kennen nur diese Niobide Chloris
als Gemahlin des Nestor und der Name Chloris kehrt in allen jüngeren Nio-
bidenverzeichnissen wieder.
Unverkennbar haben wir hier eine Verschmelzung einer in der Pelopon-
nesos, in Argos, in Pylos, in Olympia, in Orchomenos ureinheimischen, mit
Niobe auf gemeinsamer Grundanschauung allerdings stehenden, aber doch in
der ältesten Sage nicht unmittelbar verbundenen mythologischen Gestalt, der
Chloris mit der auf dem Boden von Theben und f^leinasien in bestimmtester
Weise entwickelten Niobesage. Dieser Verschmelzung kam zu Hülfe der
humane Wunsch das Schicksal der Niobe zu mildern, an sie eine weitere Ge-
schlechtsentwickelung zu knüpfen.
Der Name Chloris, welcher uns auch in Thessalien im Lapithenbereich
als Gemahlin des Ampyx4), Mutter des Sehers Mopsos5) begegnet, ist in sei«
ner, wie wir oben schon bemerkt, offen daliegenden Beziehung zum Früh-
lingsgrün, zum ersten vegetativen Leben des Frühlings durch die uns aus
Ovid mehr, als aus griechischen Quellen näher bekannte, aber acht grie-
chische Erzählung von der Liebe des Zephyros, des lauen Frühlingswindes
zu ihr und ihrer Vermählung, von ihrer Herrschaft über die Blüthenpracht des
1) I. 9. 9 : xal NqXtve — yapti XXtoQida i^vApylovos — j III. 5. 6 : io<6&r) <tt — xt&v
cf£ d-flXtitav XXtoQtg ij nQtoßvxtya y Nrjltvg ovvifixrjae.
2) Fab. 10: Chloris Niobes et Amphionis filia, quae ex Septem superaverat, hanc ha-
buit in conjugem Neleus 14 : Periclymenus Nelei et Chloridis Amphionis et Niobes filiae
filius.
3} II. XI. 692 : ix NijXitog rov Tuqovs xal JloatiötSvog xid ix XXwquJoc ttjc * Apyhovos
xal Xioßfjs yivovrai naiätc ofJt — .
4) "Aftnvl bezeichnet die Stirnbinde, den Schmuck der Stirne, wie die Hören XQV'
adfinvxfs sind, auch hier ein passender Name für den Qemahl des Frühlingsgrüns.
5} Schol. Apoll. Argon. I. 65 ; Hygin. f. 14; Umgekehrt ist Chloros Sohn des Pelas-
gos, Vater des Haemon in Thessalien (Steph. Byz. s. v. 'Aifiovta).
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion. 361
Frühlings '), über Saaten, über Honig, über die Culturbäume auf das Reichste
entwickelt; sie ist eine Frühlingsgöttin, eine Auffassung der im Frühling
aufsteigenden, wieder erscheinenden Kora oder Persephone2). Daher steht
auf der heiligen Strasse nach Eleusis der Altar des Zephyros in dem Bereiche
eines Heiligthumes der Demeter und Kora*). Wesentlich dieselbe Bedeu-
tung hat sich uns von dieser Chloris aus den bisherigen Untersuchungen er-
geben, wenn sie Tochter der Persephone ist, wenn sie Meliboia heisst, wenn
sie die einzige Ueberlebende unter den Töchtern der Niobe genannt wird,
wenn sie in Olympia das Urbild jungfräulicher Gewandtheit und Jugendlich-
keit ist, wenn ihr eigenes Schicksal in ihren Kindern sich wiederholt, sie nur
Einen Sohn behält.
§25.
Biobe im thebanischen Sagenkreis nnd Amphion.
In den Verlauf der thebanischen Mythenreihe, wie sie sich anschliesst
an das Geschlecht des Autochthonen Ogygos und an Kadmos, den Zuge-
wanderten , tritt auf einmal wie störend, in einem ganz anderen Charakter
gebildet, der Sagenkreis des Amphion und des Zethos und ihres Ge-
schlechtes herein. Allerdings hat man dieselben chronologisch einzuschie-
ben gewusst, bald lange vor, bald in die Zeit des Kadmos, bald — und das
wurde die herrschende Erzählung — während der Abwesenheit des Laios in
der Peloponnes. Otfried Müller4] hat auf ihre ursprüngliche lokale Bezie-
hung zu einer andern Oertlichkeit, zu Hyriä oder Hysiä hingewiesen, hat ge-
zeigt, wie sie an verschiedenen Orten Böotiens eingebürgert erst später dem
speciell thebanischen Kreise sich ganz einfügen ; er hat zugleich auf den ver-
schiedenen Charakter ihrer Herrschaft, auf den als Kriegsftirsten {nöXipi(XQ%og)
gegenüber dem geheiligten, Opferdienst vollziehenden Könige (ßaaiXevg) auf-
merksam gemacht. Auf der andern Seite hat die die Denkmäler ihrer Sage
zunächst durchmusternde Forschung von O. Jahn5) in behutsamer und feiner
Weise auf die offenbaren Kennzeichen der Naturbedeutung hingewiesen, die
dann in mythologischen Gesammtdarstellungen, allerdings vielfach schwan-
kend vorangestellt sind6).
1) Ovid. Fast. V. 195 — 275: Chloris eram quae Flora vocor, corrupta latino nominis
est noatri littera graeca sono etc.; Pseudo-Plut. flum. 5. 3 ist Chione iu lesen.
2) Vgl. Gerhard die Anthesterien S. Jtfl. 199. Preller (gr. Mythol. I. S. 275) nennt sie
eine Nebenfigur der Aphrodite 'Av&t£a und der Libera. *
3) Paus. I. 38. 1.
4) Orchomenos S. 99. 227 ff.
5) Antiope und Dirke in der Archaolog. Zeitung I bb'd. n. 56.
6) Preller gr. Mythol. II. S. 21 ff., Gerhard gr. Mythol. IL g 739—741.
362 Drittes Kapitel.
Die Sage der Niobe und ihrer Kinder tritt nun gerade mit den Gestalten
von Amphion und Zethos in den thebanischen Sagenkreis ein: sie wird
durch keine andere Bande dort gehalten. Um so wichtiger ist es für uns
überhaupt, die charakteristischen Punkte in der Amphioosage, die Sphäre,
in der sie sich bewegt, ins Auge zu fassen und dann die einzelnen Züge der
Sage in den Vordergrund zu stellen, in denen Amphion und Niobe wie die
Niobiden zusammen wirken.
Das Geschlecht Amphions von Theben, des seit Hesiod vielleicht schon
in der Poesie zur Geltung gekommenen Gemahls der Niobe, weist nach der
Nekyia der Odyssee1) einfach auf Zeus und auf As opos, den alteinheimi-
schen Flussnamen iiöotiens, der überall, wo altionisches Wesen gewurzelt,
vor allen in Sikyon, in dem benachbarten Theile Arkadiens, in der südlichen
Phthiotis bei den Thermopylen, in Aegina, in Paros erscheint*). Asopos der
böotische ist der Sage nach König von Platää, seine Tochter trägt diesen
Namen *) . Hier in der quellenreichen, vielfach sumpfigen Fläche der Para-
sopia ist sein Hauptsitz, er trennt ja nach Pausanias 4) die Thebais von der
Platäis5). Hier an dem Fusse des Waldgebirges Kithäron, der schroff nach
Norden und gleichmässig abfällt, liegt Hyria oder Hysiä, eine Colonie (anoi-
xo?), so heisst es, von dem Hyria bei Aulis, eine Gründung des Nykteus,
des Vaters der Antiope, wie die spätere gäng und gäbe Sage nun abweichend
von Homer meldet8).
Auch die Mutterstadt also, die Hyria im unteren Asoposthal, im Be-
reich der Tanagraia, wo Tanagra selbst eine Tochter des Asopos genannt
wird7), ist Geburtsstätte der Antiope und zwar nach Hesiodos8).
Antiope tritt als Asopostochter durchaus in den Bereich von Orts-
göttinnen und zwar quellreicher Orte ; neben Platää, Tanagra ist vor allem
Thebe9) Asopostochter, dann auch Aigina, Nemea, Kerkyra, Harpinna10),
die letzteren wesentlich von dem sikyonischen aber mit dem böotischen genea-
logisch ganz verflochtenen Asopos11), abgeleitet mit demauch Antiope lokal in
1) Hom. Od. XI. 260—265. Vgl. auch 'Avtionri *Aotonts Apoll. Rhod. I. 735.
2) In Lakonika war eine altachäische Stadt, später den Eleutherolakonen gehörig, am
Meer Asopos (Paus. III. 21. 6; 22. 7); Strabo IX. 2. 23 sagt nach mehreren Anführungen:
tlal <f£*ai aXloi noTttpol o/ntovvfioi xtji notn/Lup toistqj.
3) Paus. IX. 1. 2; 3. 1.
4) Paus. II. 6. 2.
5) Das kleine Flüsschen *£Uq6t) daselbst ist auch des Asopostochter (Paus. IX. 4. 3).
6) Apollod. III. 5. 5; Dio Chrysost. Or. XV. p. 447 ff. ; Paus. 11.6.2; Hygin. Fab. 7.
7) Paus . IX. 20. 2.
*») Steph. Byz. s. v.
9) Paus. II. 5. 2. Frau des Asopos wird sie genannt Ov. Amor. III. 6. 33 ; Arsen,
hist. p. 132.
10) Alte Stadt des Oinomaos in Elis s. Curtius Peloponn. II. S. 50. 108.
11] Paus. II. 5. 2; V. 22. 5.
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion. 363
Zusammenhang tritt. Als Tochter des Nykteus sehen wir sie ihr Geschlecht
auf Poseidon und Nymphen ! ) oder auf einen ächten Erdmann (Chthonios),
einen Sparten zurückführen2). Ihr Grossvater ist dann Hyrieus, der Gründer
von Hyria 3 , der Gemahl der Nymphe Klonia, der selbst Kind des Poseidon
und der Plei'ade Alkyone genannt wird, Gestalten, die auf Meeresfluth,
stürmisches Meergewölk, den gewaltigen Jäger am Himmel, den man an das
Sternbild anknüpfte, hinweisen. Die Bedeutung des Nykteus, des Nächt-
lichen, zeigt sich in Gegenwart des Bruders Lykos, dessen Name auf Früh-
licht, Tageslicht hinweist ; er selbst hat daher auch eine Nykteis zur Toch-
ter4). Ein analoges Verhältniss begegnet uns in der arkadischen Ursage, im
Nyktimos, Sohn des Lykaon, Bruder der Kallisto, deren Vater wohl auch
Nykteus genannt wird 5) .
Wenn die Mutter Antiopes Polyxo (üolv^io) genannt wird, so ist sie,
die Zahlreiche , viel und viele Besitzende euphemistisch dadurch als eine
dem Todten und nächtlichen Schattenreiche angehörige Natur bezeichnet8).
Im Rhodos sendet eine Polyxo ihre als Erinnyen gekleideten Dienerinnen zur
Vollziehung der Strafe an Helena aus 7) .
Antiope gehört also nach ihrem Ursprünge durchaus den Erdmächten
an, hier mehr in der lokalen Betonuug der wasser- und wiesenreichen Um-
gebung eines Flusses, dort in ihrem Zusammenhange mit Nacht, die im Tag
ihr nothwendiges Gegenbild hat, mit dem der Erdtiefe entsteigenden Segen.
Ihr Name selbst, in die grosse Zahl der auf onrj endenden heroischen Namen
gehörig, in denen das Aussehen, Erscheinen in bestimmter Weise sich aus-
prägt, wird einfach als die Entgegentretende, die dem speeifischen Auge,
dem Himmels- und Sonnenlicht Entgegenstehende zu fassen sein, eine Be-
zeichnung, die der Erde wahrscheinlicher wie dem Monde zukommt8) •
Sie ist wie die anderen Asopostöchter heimlich oder gewaltsam einem
Gotte vermählt, sie wie Aigina und auch nach der Auffassung Pindars Thebe,
wohl auch Nemea dem Zeus, während Kerkyra dem Poseidon, Haqrinna dem
Ares zugeführt wird. Die Frucht dieser Verbindung, die wohl auch zwischen
1) Apollod. III. 10. 1 ; Nykteus wird auch gleich Sohn des Poseidon und der Kelaeno
genannt Hygin. f. 157.
2) Apollod. III. 5. 5.
.'*) Auch 6 BoKorbi wird Gründer von Hyria genannt (Schol. IL II. 496).
4) Apollod. III. 5. 5.
5) Apollod. III. s. 1. 2.
6) Eine IJoXv$(o als Nais oder Nymphe bezeichnet ist Frau des Danaos (IL 1. 5);
JloXvxrcjn heisst ein Sohn des Aigyptos (Apoll. II. 1. 5j. Man denke an IloXvd^xrrjg, IJo-
ludfyfim; ot nlifovtg, flXovrtav.
7) Paus. III. 19 10; Hygin. f. 15. 192.
*) Es heisst daher ihr irdischer Gemahl der König Entomie von Sikyon, es ist Helios
selbst nach Eumelos mit ihr Erzeuger zweier Söhne. Vgl. Preller Mythol. II. S. 22. Anm.
V''
364 Drittes Kapitel.
Zeus und Epopeus getheilt wird, ist das Zwillingspaar Amphion und Zethos.
Die Hauptstätte dieser Vereinigung wie der späteren Schicksale ist der K i -
thäron : dort naht sich ihr Zeus als Satyr, dort gebiert sie bei Eleutherä in
einer Grotte bei einer besonders kalten Quelle, dort wachsen ihre Söhne als
Hirten auf, dort flieht sie vor Dirke, findet die Kinder, rächt sich an
Dirke.
Der Kithäron spielt aber in der griechischen Mythenwelt eine sehr
bedeutsame Rolle ') und wie der Berg selbst den majestätischen Hintergrund
für die Asoposebene und für die daran sich schliessende Thebais bildet, so
lassen sich in ihm gleichsam die Reflexe der zahlreichen und bedeutsamen
mythologischen Gestalten, die vor allem auf dem Boden Thebens sich her-
ausbildeten, nachweisen. Er wird in späterer Zeit specifisch der Berg des
Bakchos Eleutherios genannt im Gegensatz zu Helikon und Parnass, apolli-
nischen Bergen und wie er erschallt von der Festfeier des thebanischen Bak-
chos2), wie ihn die Kunst epheubekränzt zur Geburt des Dionysos stellt8),
wie die wichtige Stätte 'Ekw&eQat den jüngeren Dienst desselben für Attika
vermittelte, so kann man sehr geneigt sein, auch die ältesten, mit Kithäron
verbundenen Sagen alle auf das specifisch bakchische Element und zwar die
jüngere, mystische Form des Bakchosdienstes zurückzufuhren. Und doch ist
dem nicht so. Kithäron, auch Asterion genannt gehört einer älteren religiösen
Schicht gleichsam an, den Urgedanken von Vermählung von Himmel und Erde
in Zeus und Hera4), den Mächten des Waldes, den kecken, neckischen,
schreckenden Waldgeistern, den Satyrn wie weissagenden Quellnymphen s),
der keuschen Jägerin am kühlen, zum Bade einladenden Teiche und dem sich
demselben zudringlich im Hochsommer nahenden Hirsch6). Er ist Aufent-
haltsort einzelner wilder Thiere, selbst des Löwen7), Hauptweideplatz für
Sikyon, Korinth und Theben ; er ist der väterliche Pfleger, nährende Mutter
für in Verborgenheit dort aufwachsende Kinder8), wie Öedipus, wie Amphion
1) Strabo I. 2. 19: ta ntgl xov Kt&aiQtova xal'EXixma xal JlaQvaoobv xctl üijliov (sc.
Ixv&svofAira).
2) Arist. Thesmoph. 995 : afxql & öol xrvntirm Kt&aiQtivioe ty(b jdilä/utfvlXa x ogq
äaöxia Mal vawat ntTQtifiie ßgifAortat.
3) Philostr. Im. I. 14.
4) Der Festzug derDaedala hqos axQov xbv Ki&aiQtuva Paus. IX, 3 ; Plut. V. Arist. 11.
5) Paus. IX. 3.5: vvptftov avrpov Ki&aifttovltitov — fiavztvto&ai di tmg vv/uuf-ag ib
BQxatov avro fyei Xoyog.
6; Quelle und Fels des Aktäon Paus. IX. 2. 3.
7; Apoll. II. 4. 10; Paus. I. 41. 4, 5. Ja die Sphinx sollte da grossgesogen sein.
Schul. Eur. Phoen. 806.
S) Soph. Oed. R. 1026; bes. V. 1089 ff.:
antlqtov a» Ki&<ti()(bv ovx fo&t rav avQtov
navailtpw, (IT) 9v otyt xal nax Qitatav OlSinov
xai TQQtpbv ««ipjfrli avfuv ntl.
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion. 365
und Zethos, aber auch die ernste Todtenstätte von Helden f ) . Auch Antiope
ist keine ursprünglich bakchische Gestalt, sie steht ja im vollen Gegensatz
zur eifrigen Dienerin des Dionysos, der die Trieteriden feiernden Dirke ; ob
Zeus nach der ursprünglichen Sagenförm, als Satyr sich ihr genaht, steht
noch dahin, Euripides *) hatte es berichtet und auch hierin wohl eine beson-
dere mythologische Liebhaberei zum Unbekannten, Eigentümlichen bewie-
sen. Und dazu sind die Satyrn Gestalten, die als Weide- und Waldgeister8),
als Repräsentanten der Hocksnatur, als nächste Verwandte der Nymphen und
Kureten, wie wir oben sahen, auch weit hinaufgreifen über die Ausbildung
des grossen bakchischen Thiasos.
Welche Bedeutung die Schleifung der Dirke durch das Waldgebirge4)
durch die Söhne der Antiope und in Vollziehung ihrer Rache für die ausge-
standenen Qualen habe, kann schwerlich noch in Frage kommen, wenn wir
die daran sich anschliessende Entstehung der starken Quellen Dirke, wenn
wir die Bezeichnung des Berges selbst als mons Dircaeus, wenn wir den
wüthend fortstürmenden Stier als das Bild reissender Bergströme5) im Auge
behalten, wie sie im Frühjahr bei geschmolzenem Schnee besonders gewaltig
herabstürzen.
Die Beziehung zur Erde und deren Fruchtbarkeit im Frühjahr ist end-
lich für Antiope in ihrem Verhältniss zu den Söhnen klar gegeben, in jenem
späteren Cultusbrauch der Phokier, welche in Tithorea den Grabhügel
der Antiope und ihres späteren Gemahles, des Sisyphiden Phokos, der
selbst den Beinamen Poseidon führte6), besassen und im Frühjahr, wenn die
Sonne in das Zeichen des Stiers tritt (im April7), unter Todtenopfern Erde
von dem Grabhügel des Amphion und Zethos abzulösen und zu jenem Grab-
hügel zu führen suchten, was dieThebaner auf jede Weise verhinderten6) ; es
schien dadurch die Fruchtbarkeit Theben entzogen, für Phokis gesichert zu
werden. Die offenliegende Beziehung des dirkeischen Stieres auf das Stern-
1) Oedipus nennt ihn seinen xvqioc niqos Soph. Oed. R. 1453 ; Todtenstätte des Pen-
theus Paus. IX. 2. 3 ; Strabo IX. 2. 23 ; Aesch. Eumen. 26 mit Schol. Grabstatte der
von Theseus den Thebanern abgekämpften Leichen der argivischen Helden oxim&w #f£*
'Elcv&tgli niTQa Kur. Suppl. 761 ; vgl. Plut. V. Thes. 29, Paus. I. 39. 2. Erinyenwinkel
der Kithäron genannt Pseudoplut. de fluv. 2.
2) Io. Malal. p. 49; Georg. Cedr. I. p. 44.
3) Preller gr. Mythol. I. 8. 447 ff.
4} Ueber Dirke Stellensammlung bei Unger Theb. Paradoxa p. 82—103.
5) Hauptstelle Ael. V. Hist. II. 33 : ©I <ft ßoüv tISos avrotg ntQti&rtxav mit einer
Reihe von Beispielen, wozu auch Asopos und Kephissos. Acheloos als raüfos ir<x(>yys *-
Soph. Trach. 9 ; Bezeichnung und Darstellung als TavQopoQipoi, TaufoxQavo» , ßovxQavot,
ßovTTQWQot vgl. Preller gr. Mythol. I. S. 340, O. Müller Handb. d. Arch. % 403, 1. 2.
6) Paus. II. 4. 3.
7) Ov. Fast. IV. 716; V. 603 ff.
S) Paus. IX. 17. 3. 4.
366 Drittes Kapitel.
bild des Thierkreises, welches bald männlich als Stier der Europa, bald weib-
lich als Kuh der Io gefasst ward, ist natürlich weit jünger, aus einer Zeit, wo
man am Himmel die ganze Amplüonsage fixirte. Man berief sich dabei auf
Orakelverse des Hakis, die erst in der Zeit des peloponnesischen Krieges
recht in Aufschwung kamen durch die Industrie jener in der Demokratie
so wirksamen Wanderpropheten.
Die Frucht der Verbindung von Zeus und Antiope, das Jünglingspaar
Amphion und Zethos wird nun für unsere Untersuchung von grösster
Wichtigkeit. Einer von ihnen — und nicht blos wird Amphion hier genannt,
sondern ausdrücklich stattdessen auch Zethos1) — ist Gemahl der Niobe
und der Name des Amphion, welcher überhaupt in der Poesie ganz und
gar in den Vordergrund tritt, ist mit der Niobesage für die herrschende
Auffassung, wie sie seit Pherekydes von Leros und Sophokles durchdringt,
durchaus verbunden.
Wir haben iu ihnen entschieden eine göttliche Potenz als Grundlage
und eine sagenhafte Auffassung historischer Thateachen als Einschlag in das
ursprüngliche Gewebe zu scheiden. Ein Zwillingspaar von Göttersöhnen
ist wie überhaupt bei den indogermanischen Völkern, so speciell bei den
Griechen eine mehrfach vorkommende, bedeutsame Erscheinung. Die Dop-
pelheit, welche nothwendig doch einen einheitlichen Grundgedanken vor-
aussetzt, weist auf die zwei Pole gleichsam hin von Auf- und Niedergehen,
Anfang und Ende, im zeitlichen Leben Morgen und Abend, möglicherweise
auch Frühling und Herbst ; im psychologischen Leben werden entsprechende
Gegensätze bei persönlicher Durchbildung sich entfalten, wie geistige und
körperliche Kraft, wie theoretisches und praktisches Leben, wie entgegen-
gesetzte Arten des Kampfes u. dgl.
Die Gestalten von Kastor und Polydeukes als ächten Zeussöhnen
Jiooxovqoi), zunächst auf dem altachäischen, ja noch lelegischen Boden von
Lakonika sind dafür bezeichnende Typen und zwar mit der bestimmten Be-
ziehung zu Abend- und Morgenstern, als den leuchtenden Symbolen des ver-
gehenden und kommenden Tageslichtes; in ihnen können wir unter dem
langen Uebergewicht des spartanischen , sittlichen , kriegerischen Wesena
und politischen Einflusses eine besonders reiche Ausbildung sowie eine mehr-
fache Verschmelzung mit ähnliehen Gestalten, wie den Anakten von Athen,
den Kabiren von Samothrake verfolgen*). Die messenischen Apharetia-
den Idas und Lynkeus sind ihr Gegen bild. Auch Herakles und Iphi-
kles, die Pindar8) dtdv/nwy xQairjoifiiaxov o&dvog $£ü>v nennt, kommen hier
in Vergleich.
1} Schol. II. XXIV. 602 : r^r Ntoß^ — ot eft Z>>ou — yvvttix« qaotv.
2] Vgl. Welcker grieeh. Götterl. I. 8. BOG — t» 1 4 . II. S. 416 — 429.
3) Pyth. IX. S7.
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion. 397
Amphion und Zethos, welche in ihrer Thätigkeit, z.B. der Gründung von
Theben im Unterschied von der Kadmea und Mauerbau gemeinsam aber auch
wieder verschieden auftreten, welchen also ein und dieselbe Gattin gegeben
wird, die gemeinsam im Grabmal ruhen und welche doch zu scharfen Cha-
raktergegensätzen ausgebildet worden, seilen wir geradezu als %<jj Xevxon<iXa>9
Jiög xovqoi XevxonwXoi oder d'Bol oi XevxonwXoi, als die Zeussöhne oder
Götter mit weissglänzenden jungen Rossen bei Pherekydes und Euripides f)
bezeichnet. Damit können wir in Verbindung bringen, dass Pindar2) den
Amphitruo sich verpflanzen lässt
XevxLniiOLOi Kad/ueiwv — dyviaig,
also in die von weissen Rossen durchzogenen Feststrassen der Kadmeer,
wird ja Theben auch sonst eine Rossepeitschende genannt8]. Als Asvxo-
niäXto erscheinen sie durchaus als Götter und Heroen des Tageslichtes, denn
die Hemera ist die wahre X€vxo7i(oXog*) . Sie werden dadurch den Dioskuren,
sie werden dem messenischen Leukippos, dessen Töchter die Glanz- und Ta-
geslichtnamen Hileaira und Phoibe haben, wesentlich gleich gestellt. Be-
zeichnend ist es auch, dass Amphion und Asterios als lirüderpaar ausdrück-
lich uns auch bei dem Argonautenzug genannt werden, als Söhne des Hype-
rasios und der Hypsoa), also Kinder der Höhe in dem achäischen Pellene,
welches doch ursprünglich durchaus ein ionisches war in der Nachbarstadt
von Sikyon und Korinth ist und am korinthischen Meerbusen dem Kithäron
gegenüberliegt. Hier also scheint die Beziehung zum Morgenstern noch klar
vorzuliegen. Der Name /i^npiwv bezeichnet nun die Doppelseitigkeit, die v
Doppelheit überhaupt, er ist daher auch der Repräsentant des Brüderpaares
als solchen 6j . Im Namen Zethos wird die eigentümliche Natur der Brüder
ausgeprägt sein; man wird eher an £«co als tpw dabei denken. Die be-
stimmte individuelle Ausbildung dieser Gestalten des jungen Tageslichtes,
der steigenden Lichtzeit des Jahres können wir aber nur in gewissen Grund-
1) Heracl. für. 29:
TU) XtVXOTTCtiXü) 7TQlv TUQCCWrjOCti X&OIOS
*AfA(f(ov ijJl Zi\&ov ixyorto Jiog.
Phoen. 006 : /Tb. xai ötiör rdür XevxonaiXcuv ötofjafr'. Et, oV aTiyovol at.
Vgl. Pherekydes bei Schol. Od. 19. 523, Hesych., Phavor. s. v. /ftooxovQOf.
2; Pind. 1. 1. S3.
3) Pind. Ol. VI. S5: nX^mnov - Gjßtty. /
4) Aesch. Pers. 386: inetyt pivTot Xtvxonwkog ifyu/p« näoav xaria/f yaiar fif(ftyyr^
löftv — . Soph. Aj. 673 : tJ Xevxo7i(oX(p tfiyyog tyi/p? <flfytir.
5) Apoll. Khod. Argon. I. 176 mit, Schol. ; Valer. Flacc. Argonaut. I. 365 ff. nennt
Amphion und Deucalion und bezeichnet sie zugleich als entgegengesetzt im Wesen und
Waffen ; Deukalion erinnert auch an HoXvJivxrji. v
6) Die Ableitung des Euripides naga to naga Tijv u/uifoöov ijyouv netpa to ap<fl Ttjv
6o*6v ytvvTjfrrjrni (fr. 1S2 bei Nauck Frgmta tragg. gr. p. 328) wie die des Zethos von
CfjTfTr (f. 1S4 a.a.O.] haben nur als Wortspiele ihr Interesse. Ueber die Bedeutung von
&t» = skrt. Jas s. Curtius griech. Etymol. I. S. 345. II. S. 195 f.
368 Drittes Kapitel.
zügen der Sage selbst erkennen, die zugleich sie und vor allem Amphion in
enge Beziehung zu Niobe und den Niobekindern stellen.
Den historischen Bestandtheil der Sage von Amphion und Zethos müs-
sen wir in dem Auftreten einer kriegerischen, usurpatorischen Herrscher-
macht, die vielleicht als ein Doppelkönigthum auch sich darstellte, auf den
Boden von Theben finden, welches in dem Asoposthal und deren Bewohner
ihren vollen Rückhalt hatte, welche in Eutresis, einer Korne von Thespiä1)
sich festsetzte in einer Befestigung, von da aus die, so scheint es, innerlich
durch den Steit des wesentlich priesterlichen, von Aussen zugewanderten
Kadmosgeschlechtes mit den altherrschenden heimathlichen Geschlechtern,
denSpartoi zerrüttete, von Aussen durch die räuberischen, kühnen Anwohner
des Parnassosfusses, die Phlegyer*) und wohl auch durch Minyer bedrängte
Kadmea gewannen und nun zu der alten Burg der noXig Kadpeia eine um-
fangreiche Neustadt, die 'Yno&rjßv*) oder auch Gyßr] durch Vereinigung
mehrerer xtSpai hinzufügten. Diese Doppelstadt wird nun durch ein starkes,
mit Thürmen Wohl versehenes Befestigungswerk4) geschützt, dessen Technik
auch als eine kunstvollere wie die bisher dort gekannte und wohlgegliederte
sich kundgiebt, wie wir im Polygonalbau schon eine primitive und eine jün-
gere sehr kunstvolle Weise scheiden, wie der Quaderbau neben dem Polygo-
nalbau als ein wichtiger Fortschritt erschien. Zugleich tritt mit dieser Herr-
schaft, die im Asoposthal und der Küstengegend zwischen Asopos und Euri-
pos bei wesentlich ionischer Bevölkerung ihre Heimath und Stütze hat, eine
lebendige Beziehung zu den achäischen Staaten und deren Cultur ein, wobei
Einflüsse der vorgeschrittenen Cultur der kleinasiatischen Küste nicht fehlen.
Am entschiedensten macht sich dies wie in jener architektonischen Kunst,
so in den musikalischen Formen geltend.
Vielleicht schon, wie wir früher andeuteten0), hatte Hesiod diesen Am-
phion als Gemahl der Tantalostochter Niobe gedichtet. Seit Pherekydes von
Leros können wir als bei den Dichtern herrschende Erzählung diese Verbin-
dung betrachten, woneben aber mehr vereinzelt also auch Zethos als Gatte
1 ) Strabo IX. 2. 2fc ; Steph. Byz. s. v. ; Kurt. Hom. 11. II. 502.
2) Pherekydes bei Schol. Apoll. Argon. 1. 735.
3) Paus. IX. 5. 3.
4) Hom. Od. XL 263 ff. :
61 7iQÜToi &yßfic £tfoc hertoar kntanvXoio
nv^ytoaurty intl ov (ihv anvpytoTor yi dvravro
vmifiev tvgvxoQov fhfßijr XQareyto neq iovri.
Apoll. Rhod. I. 735 ff. :
anvQytoTOs $* £r# Srfßrj
xtiro 71 (lag tvfs otyt vfov ßaXXorto dopttiovs
///ufrot.
5) S. 30.
Niobe im thebaniftchen Sagenkreis und Amphion. 369
erscheint. Dagegen kannte man auch einen andern Namen für die Gattin
des Amphion, nämlich Hippomedusa und Eustathios bezeichnet diesen als
homerische Tradition im Gegensatz zur nachhomerischen. Wie gut die Boss-
gewaltige zu dem Held auf weissem Rosse passe, liegt auf der Hand l) . Es
muss entschieden auffallen, dass eine Verbindung zwischen dem thebanischen
Heros und der Königstochter von Sipylos in Kleinasien ohne alle innere Mo-
tivirung für dieselbe berichtet wird. Die spätere Geschichtschreibung2)
weiss allerdings zu berichten, dass Pelops, da sein Vater Tantalos vor Hos
weichen musste, mit einem Heere, Reich thüment und seiner Schwester Niobe
nach Hellas gekommen sei und sie dabei an Amphion in Theben gegeben
habe, wie ja sein Aufenthalt auch in Achaia in Thessalien vorher erwähnt
wird, l'ausanias dagegen weiss genau, dass Tantalos nicht von Ilos angegrif-
fen sei und dass er in einem prächtigen Grabe bei seinem Königssitze bestattet
sei3). Nun, wie uns Niobe als Gemahlin des Alalkomeneus am Kephisos-
oder Kopaissce zu Haliartos begegnet ist, bei der Niemand an die von
Sipylos mit Pelops eingewanderte denken kann, so wäre ja doch auch zu
fragen, ob wir die Tantalostochter Niobe zu Theben nicht auch zunächst in
der Nähe des Kithäron heimisch zu suchen haben.
Da begegnet uns die merkwürdige Stelle bei Servius im Commentar zur
Aeneis4/, wo Tantalus rex Corinthiorum genannt wird und er als derselbe
Freund abei auch Versucher der Götter erscheint. Von einer Verschreibung
oder Verwechselung kann hier keine Rede sein, wir haben einfach auch Ko-
rinth, die uralte Ephyra als Stätte auch des Zeussohnes Tantalos hinzu-
nehmen und von dort Niobe von Amphion oder Zethos heimfuhren zu las-
sen. Wie aber Korinth zu dem Kithäron lokal zunächst steht, wie korin-
thische Hirten am Gebirge weiden, so weisen die ältesten Genealogien die
nahe Verbindung zwischen Korinth und den Kindern der Antiope nach.
Epopeus, der sterbliche Gemahl der Antiope, ist auch Grossvater des Korin-
thos durch Marathon, derselbe Helios herrscht auf der Burg von Sikyon wie
von Korinth, Asopos lässt die Quelle Peirene aufsprudeln auf Akrokorinth.
Ueberhaupt tritt uns ja die wesentliche Stammesverwandtschaft der Bewoh-
ner der Aegialea, des Isthmos mit Athen und dem böotischen Asoposthal
vielfachst entgegen. Die poetische Ausgestaltung gemeinsamer Ursagen hat
erst die einzelnen Gestalten auf einzelne berühmte Lokalitäten concentrirt,
vor denen andere verblassten.
In der Ehe selbst weiss die Sage von einem tragischen Gegensatze zwi-
1) Hom. Od. p. 1S75, wo ol nt(it xov no^rfiv den ot pstf "OjurjQov gegenübergestellt
werden.
2) Nicol. Damasc. a.a.O. s. oben S. 35, Strabo VIII. 4. 4 s. oben S. 352.
3) Paus. II. 22.
4) Ad 1. VI. GOT. Vgl. auch Mythogr. Vat. II. 102 j III. 6, 21.
Stark, Niobe. 24
S
s
^
370 Dritte» Kapitel.
sehen Aniphion und Zethos, jener ist der reich mit Kindern gesegnete, dieser
hat nur Ein Kind und dies eine verliert er in unseliger Yerirnmg der Mutter.
In jenem herrlichen alten homerischen Liede der NtniQa und X)dvaa£tog xai
IJtjvsXonrjQ Ofulia*) vergleicht Penelope ihren Kummer, die Heftigkeit des-
selben in der Nacht mit den tiefen Klagetönen der Nachtigall im Frühjahr,
die diese %haqrfig Avfiixyv , die Tochter des Pandareos, im dichten Laube
sitzend ergiesst, bejammernd ihren liehen Sohn Itylos, den sie einst im Un-
verstand mit dem Schwerte tödtete, den Sohn des Herrschers Zethos. Die
kurzen aber bezeichnenden Worte setzen die Kenntnis» der Sage mit wesent-
lich denselben Zügen voraus, welche uns die Scholiasten berichten. Aedon
hat nur ein einziges Kind, Itylos und beneidet den Kinderreichthum des Am-
phion, der so viele Kinder hatte von Niobe oder Hippomedusa. Itylos
pflegte mit diesen zu spielen und mit ihnen auf demselben Lager sich zur
Ruhe zu begeben. Da befiehlt Aedon, dass er sich besonders bette oder nach
anderer Version, dass er den inneren hinteren Theil des Lagers wähle ; sie
selbst wollte bei Nacht zu ungewöhnlicher Zeit hereingekommen den ersten
(wohl auch ältesten der Amphionsöhne tödten ; dies war Amaleus2) oder
Amphialcus. Da Itylos es vergessen hat oder sonst nicht gehorchte, so
mordet Aedon bei Nacht sich einschleichend ihren eigenen Sohn, indem sie
glaubt in Amaleus ihr Schwert zu tauchen. Da nun das Verderben des Nei-
des so hereingebrochen auf Itylos, so bittet die Mutter, vom Leid überwältigt,
die Götter, aus dem Kreise der Menschen zu verschwinden (*£ dv&Qto/no»
ysvtG&ai). Und in eine Nachtigall der äusseren Erscheinung nach umge-
wandelt hat sie das Leid um Itylos doch nicht ausgetauscht, sondern trägt
es im Munde ihn besingend. Andere berichten nach dem Scholiasten, dass
Aedon den Itylos nicht unwissend, sondern mit Absicht getödtet habe ; sie
habe nämlich, als sie den Sohn des Amphion getödtet, dann aus Furcht vor
jenem Weibe, welche als eine sehr mächtige und wohl schwere Strafe übende
Frau erschien, auch den eigenen Sohn hinzugeschlachtet, um so der von dort
erwarteten Rache zuvorzukommen. Pausanius3) fügt noch hinzu, dass Ze-
thos aus Schmerz über den Tod des Itylos auch gestorben sei.
Also hier erscheint die Gattin des Amphion als Hochbeglückte, an ihr
und ihrem Glück geht der Schwager und sein Haus zu Grunde. Und es ist
I, Od. XIX 517. 524; Kirchhoff homerische Odyssee 8. s«. V. 20*4 ff.
Besonders :
naid' oXotf vQopfrrj^/rvXor tflXor or nort %(tXx(p
xrih't J/' u(fQttö(tts xovqov Zrj&oto avuxTog.
2; ^AfdaXtvg ist der Garbenbinder von äftuXXa. Die andere Namenform wird von Eu-
stathios in der anderen Version genannt. Jener Name passt wohl in den Naturcharakter
der Sage.
3) IX. 5, 5 : Zrj&(p Jl rbr nitida anixxurkv q itxoiroa xatd tfrj tu« afiUQtiav, Irt&vrjxei
Ji vno Iv^ijg xnl kvtos o Zijfroi - .
Niobe im thebanischen Hagenkrei» und Amphion. 371
Aedon also die Verkörperung jener tiefen, musikalischen Klagetöne, die das
Frühlingsleben in seiner Pracht durchzittern, in denen der Mensch mitfühlt,
mitleidet, vor allem mit dem seine Gesellschaft suchenden, im dichten Laub
flötenden Vogel, mit der Nachtigall. Auch der Niobe harrt ein ähnliches Leid,
aber sie klagt nicht, sie weint nur ewig. So sehen wir Niobe und die Nach-
tigall oder die Schwalbe, die Schwester der Nachtigall, von Sophokles, von
dem Anakreontiker, von Straton, von Propertius zusammengestellt2).
Aedon wird bei Homer eine der drei Töchter des Milesiers Pandareos v
genannt, des Sohnes des Merops. Milct ist hier nach des Pausanias Zeug-
niss *) nicht die berühmte Stadt am Mäander, sondern deren Muttei Stadt in /
Kreta, die zu Strabos8) Zeit nicht mehr existirte; nur ein Hinweis auf die in
die Urzeit zurückgehende, dem kretisch-lykischen Stamme gemeinsame Natur
der Sage. Von andern Pandareos Töchtern weiss ja .auch die homerische
Penelope4) freilich in einem entschieden jüngeren Einschiebsel ihres Gebetes
an Artemis und zwar von solchen, die ihre Eltern früh verloren, von den
olympischen Göttinnen mit allen Gaben ausgestattet, von den Harpyien ge-
raubt wurden und den Erinnvcn dienen müssen. Auch hier also das Bild
früh zerstörter Jugcndblüthe.
Pandareos und Tantalos sind aber nahe verbundene Gestalten;
jener erscheint als Mithelfer des Frevels an Zeus durch Diebstahl des golde-
nen Wächterhundes der Amalthea und geleisteten Meineid in der Ableug-
nung5). Er zeigt sich in Kreta, am Sipylos, dann aber auch in Athen und
Sicilien.
Aber die andere und zwar in Köotien und Attika alteinheimische Sage
von Itys, von der klagenden Aedon fasst diese nicht als Tochter des Panda-
reos, sonderndes Pandion, eines attischen Königs. Beide Namen weisen v
auf gemeinsame Wurzel hin. In dieser Sagenform spielt bekanntlich Tereus
der Thraker ; das Verhältnis}* der zwei Schwestern zu ihm und der in Rache
mit Vorbedacht vollzogene Mord des Itys wie sein Vorsetzen als Speise ist
das Wesentliche des Vorganges, das Resultat bleibt dasselbe, nämlich die Ver-
wandlung in die klagende Nachtigall, wie in die Schwalbe und der alle Früh-
jahr erneuerte Schmerz um das Kind8). Der Name Epops für Tereus den Ver- *
wandelten erinnert uns entschieden an Epopeus, den König von Sikyon und
zeitweisen Gemahl der Antiopc. Die eine Lokalität, welche hier vor allen
1) Soph. Kl. I47ff., ». oben S. 44 ; Anacr. Od. 22 (20) dazu oben S. 5S; Anthol. gr.
II. p. 395 n. II, dazu 8. «2; Prop. Elep. III. 10. 7 ff., dazu S. 77.
2) X. 30. 1 ; Hom. 11. II. 047.
3) X. 4. 14; XII. S. 5; XIV. 1. 0.
4) Hom. Od. XX. 05— 7S; Kirchhoff a. a. O. S. 290.
5) Paus. X. 30. 1 ; Anton. Liberal. 30.
6; Paus. I. 41. S braucht den Ausdruck: &Qt]roü<jiti Ji — vnb Sttxnvtov üiaqfttloovmi
24»
372 Drittes Kapitel.
in Betracht kommt, ist Daulis1), am Eingang des Parnassos und von Pho-
kis gelegen. Auch das Grab der Antiope fanden wir in diesem Bereich bei
Tithorea und Daulis wird von Antiope Tochter des Kephissos genannt2}.
Die dort ansässigen Phlegyer stehen in einem ähnlich feindlichen Yerhält-
niss zu Apollo und zu den Kadmeern wie Amphion. Auch Tereus wird als
Helfer der Athener gegen Labdakos genannt. Die andere Stätte mit dem
Grabmal des Paudion, mit dem des Tereus ist auf der Südseite des Kithäron,
wo wir Eleutherä, die Geburtsstätte der Autiopesöhne fanden, in Megaris,
diesem altionischen Lande, bei Megara, nahe bei dem Felsen der AI heue
jfibvia (der Taucherente) 3) undPegai4).
In augenfälligster Weise sind die beiden Haupt Wendungen der Sage von
der Nachtigall in einander verschmolzen und zugleich noch zwei Momente
hereingeführt, nämlich der Wetteifer menschlicher Kunstthätigkcit und die
Ueberhebung menschlicher ehelicher Liebe gegenüber der in der heiligen
Ehe des Zeus, durch Boios in der Ornithogonia 5) . Da bilden Ephesos und
Kolophon die Lokalität; Pandareos, der durch Demeters Gunst nie mit
Getreidefrucht, so viel er geniesst, Uebersättigte, ist Vater von Aedon und
Chelidon. Gemahl ist der Kunstreiche, Polytechnos, Verfertiger eines Wa-
gens ; Aedon ist Weberin. Die Geschichte selbst verläuft wie bei den Pan-
dionstöchtem. Die Verwandelung dehnt sich ausüber die ganze Familie :
zu Schwalbe, Nachtigall, Wiedehopf kommen die Pelikane, Seeadler und
Eisvogel hinzu. Wir sehen so die attisch-ionische Stammsage auf dem Boden
der ionischen Colonien mit anderen Fäden verwebt und wie hier modificirt
durch den Culturstand derselben in JJodcnscgen und Industrie.
Doch kehren wir zurück zu unserem Ausgangspunkt. Es bleibt uns also
eine uralte verwandtschaftliche Beziehung zwischen der Niobesage und der
von Aedon und Itylos, auf böotisch-attischem Boden , wie dann auf klein-
asiatischem ; hier die Mutter vieler Kinder, da die Mutter zweier oder nur
eines einzigen Kindes, dieses einzige Kind zu Grunde gehend im Hinblick
auf jene vielen, wie diese zu Grunde gehen durch das einzige Kinderpa«ir der
strafenden Göttin, ewig sich erneuernder Jammer um die dem Tode verfalle-
nen, die Mütter beide aus menschlichem Bereiche» entrückt, die eine im thrä-
nenden Fels, in der Quelle des Felsens , die andere im Frühlings vogel mit
melodischem Gesänge. Aber auch im Niobidenmythus fehlt uns diese musi-
kalische Beziehung nicht.
1) Thukyd. II. 29, wo die Nachtigall als Jctvliitg ofivn der Dichter genannt wird
Strabo IX. ». LS; Apollod. III. 11. S.
2) Paus. X. 4. 5.
'Aj Paus. I. 5. 3.
4) Paus. 1. 3«. 1; 41. S.
5) Anton. Liber. Metam. 1 1 .
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion. 373
Amphions eigenste Natur wird im Mythus durch zwei künstlerische Sei-
ten, welche als zusammenwirkend betrachtet werden, bezeichnet, er ist Mu-
siker, Spieler der Leier, ja wohl der erste menschliche Kitharöd und er ist
Mau erbau er, Zusammenfüger der Steine in Harmonie. Sehen wir sie
uns näher an und fragen vor allen, ob und wie Niobe und Niobiden zu diesen
zwei Hauptzügen seines Wesens in Beziehung stehen.
Musikalisches Wesen wird auch in den Dioskuren von Sparta voraus-
gesetzt, sie werden in dem Hymnus des Theokrit1) angerufen als iTtnrjeg,
xi&ctQioiai, äefrktfitJQeg, doidoiy als Ritter und Kitharaspieler, Siegträger im
gymnistheii Kampf und Sänger, wie ja die Spartaner unter den Tönen der
Kithara zu Felde zogen2]. Mythologisch aber entwickelt scheint diese Seite
nicht weiter bei ihnen. Von Amphion aber, dem thebanischen Otoskur, wird
in dem nachhomerischen Epos der Europeia [int] %a ig EvQujnrjv) und in
dem der Minyas 3) berichtet, dass er seiner Musik wegen berühmt war, dass
er zuerst der Leiersich bediente und zwar von Hermes gelehrt, dass er Thiere
und Steine im Singen mit sich fortriss {qdiov rjye). Die Minyas stellte ihn
mit Thamyris zusammen und zwar beide als für den Uebermuth in der Unter-
welt Strafe leidende Kitharöden. Amphions Name war in den alten musikali-
schen Ucberlicferungcn von Sikyon, wo wir ja die Antiopesage auch wurzeln
sahen, an die Spitze der Kitharöden gestellt*). Vereinzelt wird er wohl auch
mit Orpheus als Schüler neben Linos in Verbindung gesetzt5), während er
allgemeiner als der erste Kitharöd überhaupt gefasst ward.
Wichtig ist für uns die Frage, woher hat Amphion die Kithara erhalten,
ist er eiu von Apollo gelehrter und geliebter Heros/ Dies ist durchaus
nicht der Fall. Erst Dioskorides, ein jüngerer Epigrammatiker, lässt Amphion
die Leier von Apollon erhalten6) und in der späten Rhetorik begegnet uns
wohl eine solche allgemeine, phrasenhafte Angabe7), die sich dann bei den
Byzantinern neben der andern Tradition fortpflanzt8). Noch am meisten
hatte, so scheint es, eine wirkliche Grundlage in der Sage, dass der Mauer-
bau der Stadt von den Brüdern bis zum Grab der Semele „auf Befehl des
Apollo" erfolgt sei9).
Dem entgegenstehen alle älteren Ueberlieferungen, welche die Kitharo-
J) Idyll. XXII.
2) Welcker gr. Göttcrl. II. S. 421.
3) Paus. IX. 4. 4 ? Düntzer Frgmte ep. Poesie S. S.
4) Plut. de mus. c. 3. p. 1132.
5} Nikomachos Harmon. in Mus. gr. II. p. 29 ed. Meibom.
6) Schol. Apoll. Rhod. I. 741.
7) Menand. n. fmJeixr. XVI. p. 327, 12.
v Eustath. Hom. p. 16S2, 14 cd. Rom.; Eudoc. Viol. p. IS; auch Jul. Valer. de reb.
gest. Alex. I. 66.
9) Hygin. fab. 9 : jussu Apollinis.
374 Dritten Kapitel.
dik des Amphion auf Zeus1; selbst, auf die Musen2;, vor allen auf Her-
mes zurückfuhren; er steht daher Apollo gleichberechtigt, nicht von ihm
abhängig. Auch die Musen sind ja überhaupt und speciell in liöotieu nicht
erst aus dem Wesen Apollos hervorgehende, ihm nur dienende Mächte, son-
dern wesentlich Quelhiympheu, als solche musikalischer Natur, hier lei-
bethrische, später dem Apollodienst angeschlossen und angeartet.
Die Stellung zu Hermes ist vor allem reich entwickelt und am popu-
lärsten geworden V So ruft Horaz Mercurius und die siebensaitige Leier
an, jenen
nam te docilis magistro
movit Amphion lapides canendo4}.
Myro von Byzanz5) erzählt, dass Amphion zuerst demselben einen Altar
geweiht und dafür zum Dank die Leier erhalten habe Er tritt dadurch
in eine interessante Parallele zu Pelops» seinem Schwager, dem ersten Er-
bauer eines Hermestempels nach Tradition der Eleer*) . Hermes war es auch
gewesen, welcher die Jirüder vom Morde des Lykos zurückgehalten und
diese aufgefordert hatte, die Herrschaft dem Amphion abzutreten7). Und
wie Hermes im homerischen Hymnos auf der von ihm gefertigten Leier in
Gegenwart des Apollo neben den Göttern auch die dunkele Erde [rata*
8Q€fiyfjv) besingt 8) , so ist es ein feiner Zug des sein Bild deutenden Rhetors
Philostratos"}, dass er Amphion mit seiner Leier speciell als Sänger der
Erde darstellt, wie sie die Gebär erin und Mutter von allem ist und wie sie
selbst Mauern (also Berg und Hügel) erhebt. In dem Bereiche der*göttlichen
Auflassung der Erde, ihrer Trauer im Winter, ihres Schaffens und Wirkens
im Frühjahr, ihrer stürzenden Bergwässer und ihrer nährenden Quellen, hat-
ten wir ja gerade das mütterliche Geschlecht des Amphion zu suchen, ihn
selbst andererseits als einen Spross des der dunkeln Erde in Liebe sich nahen-
den Himmelsgottes, als ein Bild des jugendlich wachsenden, aber immer
wechselnden Tageslichts im Frühling, als einen Ritter des Frühlings zu fas-
1, Herakleides bei Plut. Mus. c. 3. Eudocia Viol. p. 18, Eust. 1.1.
2, Pherekydes fr. 104. bei Sc hol. Hom. II. XIII. 301 ; Armenid. Theb. in Frgmta
histor. gr. ed. Müller IV. p. 339.
3) Panyasis und Alex. Aetol. bei Prob, in Virg. Eclog. II. 24 ; Apollod. III. 5. 5 ;
8chol. Eur. Phoen. 115; Lact, ad Stat. Theb. I. 10; Achill. 1. 13; Mythogr.Vat.il. f. 74.
4) Od. III. II. 1.
5} Paus. IX. 5. 4.
<>: Paus. V. 1. 5.
7) Hyg. f. s; Schol. Apoll. Rhod. IV. 1090.
S; Hom. h. in Merc. 27.
9; Imagg.'l. 10 mit Brunn die philostrat. Gemälde in N. Jbb. f. klass. Philol. IV.Sup-
plementbd. S. 191. Die betreffenden Worte lauten : ort ndvnov ytvtntQa xal ptJTijQ ovaa
Mal avroftata rj&tj Tttyl öMwotr.
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion. 375
sen. Auch die musikalische Seite seines Wesens stellt ihn in einen altern, der
pelasgischen Culturstufe mehr entsprechenden Bereich, nicht in die Nähe des
reinen Lichtgottes, des Repräsentanten der ethischen Musik, des Apollo, son-
dern nahe den uralten freundlichen Mächten rauschender Quellen, den Musen
und besonders zu dem im Nebel, im strömenden Regen waltenden befruch-
tenden, auf Weiden, unter den Heerden immer thätigen, in sinnigem Ge-
schick die Menschen belehrenden und auch sittigenden zeugerischen Natur-
geiste.
Zwiefach aber stellt sich die musikalische Weise des Amphion dar und
zwar zunächst gerade in Hezng auf Antiope und die Erfüllung der Kindes-
pflicht gegen sie: sprichwörtlich war der Threnos der Antiope, ihre bit-
tende Wehklage, als sie vom Tode bedroht sich an die ihr unbekannten Hir-
ten flehend gewandt und er ward immer wieder gebraucht für ungerecht Lei-
dende, endlich Befreiung Erlangende1) und auf diesen folgte der Sieg es -
päan des Amphion nach vollzogener Rache.
Zwiefach tritt auch im Yerhältniss Amphions zu Niobe und den Kindern
die musikalische Natur hervor. Einmal handelt es sich um das H o c h z e i 1 8-
fest, das hochbeglückte, dem von Peleus und Thetis, vonKadmos und Har-
monia2), ja von Zeus und Hera wohl vergleichbare, das andere Mal um das
Klagelied für das vernichtete Glück, um die zu Grabe geführten Kinder.
Pindar3; sahen wir früher, hatte in einem Päan gedichtet, dass bei Niobes
Hochzeit zuerst die lydische Harmonie gelehrt, d. h. lydische Weisen
zur Aufführung gekommen seien. Amphion, hiess es, hatte die lydische Har-
monie vermöge seiner mit Tantalos eingegangenen Verwandtschaft gelernt4).
Wir haben natürlich hier nicht die Klagweise der lydischen Harmonie, son-
dern überhaupt die erregende , heftig auch in Freude bewegende Macht und
Weise der Flötenmusik zu verstehen, wie sie als aus Kleinasien übertragen
angesehen ward und auf böotischem Boden die trefflichste Pflege auch bei
dem günstigen Material des Schilfes5) vom Kopaissee fand6).
Aber wie die Trauerklage um die Leichen der Niobiden als das Höchste
des die Herzen bewegenden Jammers erschien7), so wird ein eigenes Carmen
•
1; Suidas g. v. \4vnont\\ Apostol. III. 14. I ; Arsen, p. 61 ff. Propertius (El. 11. 13.
39; sagt: — victorque canebat Paeana Amphion rupe, Aracynthe, tua.
2) In Theben zeigte man auf der Agora der Burg noch den Plats, wo einst die Musen
zur Hochzeit gesungen (Paus. IX. 12. 3).
3} Plut. de mus. 15. p. 1136, 22; Lyr. gr. ed. Bergk p. 238, dazu oben S. 32.
I) Paus. IX. 5. 4 : (Amphion) ii\v nQpovtav rifv Avddbv xara xrfiog rb Tavxalov nag
€(VT(iSv (JlCtOdiV.
5) Pind. Pyth. Xll. 45 : dovdxtov jol ntiQa xalXi/önm valotoi noXti Xaq(j*)r Kcuftol-
dog tt> xtpivti niOToi xootvjav uaorirQte; Plut. Sulla 2(1: ntol ov /uttXiCTa tonov ij X(uvr)
öoxii ib v uuXrjTixbv ixtffyav xtiXttfuor.
6) Vgl. K.F. Hermann Lehrb. d. gr. Antiquit. III. § 35. II.
7 Stat. Theb. III. 191 ff.; Ovid. Metam. VI. 401 ff.
376 Drittes Kapitel.
exequiale, ein Todtenfeierlied erwähnt, welches Pelops zuerst gelehrt habe
nach der Trauerweise der Phryger mit Hegleitung * der Flöte mit gekrümm-
tem Endstück, unter dessen Klängen Niobc die Asche der Todten zum Sipy-
los getragen habe. Diese Weise wird als die spätere Todtenlied weise be-
zeichnet *) .
Das Wesentliche und Bezeichnende ist auch hier die Macht der Töne
als höchsten Jubel und höchsten Schmerz begleitend, welche an Amphion
wie Niobe festhaftet. Es treten in ihnen gleichsam die zwei Grundinstru-
men tc der ganzen antiken Musik, Saiteninstrument und Flöte zusammen.
Interessant ist es, dass auch bei den Niobiden die Musik und zwar die der
Kithara geübt wird auf dem apulischen Vasenbild2). Dazu kommt das be-
stimmte Bewusstsein einer musikalischen Erweiterung und Fortbildung unter
einem von Kleinasien ausgehenden und zwar von dem Achäer Pelops weiter-
getragenen Anstoss, der Aufnahme der lydischen und phrygi sehen
Harmonie auf rein hellenischem Boden 3j .
Amphion ist aber auch Mauerbauer, vereint mit seinem Bruder Ze-
thos4). Der historischen Unterlage dieser Seite seines Wesens sind wir oben
bereits nachgegangen, es kann keine Frage sein, dass diese Thätigkeit auch
mit seiner Naturbedeutung in Zusammenhang steht. Auch die Bewohner
von Epidamnos oder Dyrrhachion rühmten sich von Amphion erbauter
Mauern5) und eine athenische Inschrift einer trefflichen Mauer, welche
Göttling auf die Stoa Poikile bezieht, stellt die gesangeszauberischc Kunst
des Amphion und Kyklopenhände zusammen 6) . Als gewaltige Mauerbauer
erscheinen vor allem die Kyklopen, die Kiesen, die Blitz und Donner schmie-
den, die die Gewittermacht am Himmel repräsentiren, dort Wolkenburgen
thürmen, es sind aber auch die gewaltigen Mächte, die in den Vulkanen der
Erde, wie in den sich thürmen den, Steindämme häufenden, Felsen losspülen-
gen Wogen des Meeres thätig sind 7) .
Diese Doppelheit der bauenden Mächte zeigt sich interessant in den ge-
meinsam thätigen Mauerbauern, bei der Burg Trojas, in Apollo und Posei-
don; jener erscheint hier noch in seiner allgemeineren, in Kleinasien vor
allem gepflegten Bedeutung als ebenso wohlthätiger, Cultur, Gedeihen, Ord-
1) Stat. Theb. VI. 120 ff., dazu s. S. 7>. 70.
2) S. oben S. 151.
3) Welcker über eine kret. Kolonie in Theben. S. SS — 00.
-1) Reichste Stellensammlung bei Unger Theb. Paradoxa I. 3. p. 20— 56.
5] Stellen bei Unger 1.1. 43—52.
0) Göttling in Her. d. K. S. Ges. d. W. 1S53. Mai. Die fragmentirte Inschrift: ov
rttde #*Aff/ufAq? 'AfAyCoroq rjoa - ntifrovg ovJe Kvxk<o:itln yt\(t
7) Preller gr. Mythol. I. S. 301. Schwarz .' Ursprung d. Mythologie) S. Jfi. 203 giebt
interessante Analogien, nur fasst er auch hier, wie überhaupt den Gewittersturm zu ein-
seitig als die einzige Mythusgrundlage auf.
I
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion. 377
nung schaffender wie Zerstörung bringender Gott des Lichthimmels und der
Wärme, der auch mit der Aegis des Zeus droht und in der Gluth verzehrt.
Aber es spricht sich zugleich schon eine Doppelheit in der bauenden Thätig-
keit aus, die Macht der Ordnung, der die Steine harmonisch fugenden Gei-
stesthätigkeit, die der musikalischen Harmonie der Töne analog ist und die
materielle, hebende, tragende Kraft.
Und in Apollo ist es die Kitharistik, die ausdrücklich bei jener Fügung
der Steine wirksam genannt wird. Auf der Burg von Megara zeigte man
später den Steine auf den Apollo seine Leier niedersetzte, als er dem Pelo-
piden Alkathoos bei dem neuen Mauerbau, im Gegensatz zu dem alten kariv
sehen, von den Kretern abgetragenen Peribolos half; ward jener Stein von
einem kleinen Steinchen geworfen, so klang er wie ein angeschlagenes Sai-
teninstrument1). Derselbe Alkathoos erlegte den Löwen im Kithäron, opferte
dann Apollon oben auf der neuen Burg und gründete dem in dreifacher
Gestalt verehrten Gott ein Heiligthum.
Auch Amphion und Zethos, die Heroen des die Wolken umsäumenden,
Wolkengebilde bauenden Morgen- und Abendlichtes, die im Frühling be-
sonders mächtigen, Wind mit sich bringenden, die rauschenden Ströme und
in ihnen Steinmassen vom Gebirge sendenden Mächte, sind als Mauerbauer
wohl zu verstehen. Und in Zethos, dem heftigeren, härteren Charakter, wie
ihn Euripides besonders entwickelt, haben wir speciell den Träger der Steine,
den Untersucher ihres. Gewichtes, während Amphion analog dem Apollo
durch die ihm innewohnende musikalische Seite auf das Fügen (aQfiäCeiv)
der Steine zum schönen, harmonischen Ganzen sich versteht.
Zwei Beziehungen sind es nun, in denen die Kinder Amphions und
der Niobe zu der Lokalität, speciell zu dem Mauerbau von Theben stehen :
ein Denkmal derselben, welches noch im Bereiche der am weitesten nach
Nordost ausgedehnten Mauern steht und die Zahl, sowie ein Theil der Na-
men der Thore Thebens, welche von Niobiden abgeleitet werden.
Theben war sehr reich an Heroengräbern und Ileroenkulten, jene lagen
der Sitte gemäss an den aus den Thoren herausführenden Hauptstrassen, in
der Nähe der Thore ausserhalb, einige auch innerhalb. Besonders ist es die
Nordseite der Stadt mit den drei an derselben gelegenen Thoren, dem Nei-
tischen [nvlav Nr/tzai, NrjiOTai, Nrjhideg), dem Thore der Quellen (Xgij-
valai, auch BoQQeiat) und dem östlichsten, dem Prötischen (IIqo it ideg) ,
welche hier in Betracht kommt. So kannte man das Denkmal des Menoi-
keus vor dem erstgenannten Thore, weiterhin die Pyra des Eteokles und Po-
I; Paus. I. 12. 1 : Jtjs <W karlag fyyvg rai/rqt lotl IC&og, ty? ou xaTtt&tirttt Xfyovaiv
\4n6kktarn Tty' xiftaQttrXlxafrq) rb rti/og ovrtQynyoptrov. — fjr ök ti'/ij ßaXtar xif i/'Jjffftf«,
x«t« tttvia avrog rt W*!0* xa^ ** &<*(>** XQOvotitiOa.
378 Drittes Kapitel .
lyneikes'j, so drängten sich förmlich um die Prötischen Thore die Denk-
mäler; noch innerhalb zeigte man das der Senicle2), das der Töchter des
Antipoinos in dem an der Agora gelegenen Heiligthum der Artemis Eukleia'),
ausserhalb das Grab des Mclanippos *] , des Tydeus mit drei rohen Sieinen
darauf, die Denkmäler der Oedipuskinder, die Oedipusquellc, das Grab des
Hektor5), des Asphodikos, weiter nach der Mitte der Nordseite das Heroon
des lolaos bei dem Gymnasion und Hippodrom desselben.
Fu diesem Bereiche liegen auch die für uns wichtigen Denkmäler, hier
haftet auch der Name %6 X nqttlov an einer grössern Oertlichkeit, welche
als ein militärisch wichtiger, höherer Punkt bezeichnet werden muss. So
werden nach Ermordung der thebanischen Tyrannen die bewaffneten Ge-
fangenen von der Kadmea dorthin gefuhrt und müssen dort ihre Waffen nie-
derlegen, von da aus wird dann weiteier Kriegsbefehl gegeben8). Bei der
Belagerung Thebens durch Alexander wenden sich die über zwei Gräben
von Süden in die Kadmea, in die feste Oberstadt eingedrungenen Makedoner
von da theils gegen das Ainpheion, theils stürzen sie im Lauf zur Agora
herab, auf dem Ampheion macheu die Thebaner den letzten Versuch sich zu
halten, die Reiterei entkommt von da in die Ebene1). Es kann keine Frage
sein, dass wir hier unter Ampheion jene ostnordöstlich der Kadmea gelegene
feste Höhe, zwischen Ismenos und der Kadmea, zunächst dem Hohlweg zu
suchen haben, welche durch den Mauerbau des Amphion und Zethos in den
Stadtbereich gezogen ist und als Veste der 'Yno&rjßt] bei Homer bezeichnet
ist, auf welcher das Heiligthum des Dionysos und das Theater sich befand.
Forchhammer8) setzt dasselbe viel zu südlich, in der Mitte der Stadt an, aber
auch Bursian9) fasst sie nicht ganz richtig nur als nördlichen Vorhügel der
Kadmea auf und benennt jene bedeutsame Höhe gar nicht. So bekommt
auch die vereinzelte Notiz bei Hyginus ,0) , dass die Brüder um Theben die
Mauer gebaut haben usque ad Semelae bustum , auf Apollos Geheiss, ihren
Sinn, indem auf jenem nordöstlichen Hügel ausdrücklich ein zweites Semele-
heiligthum uns genannt wird, verschieden von ihrem Thalamos auf der Kad-
mea, welches einmal im Jahre geöffnet ward.
Mit dem Ampheion steht lokal wie der Sage nach in naher Beziehung
der Grabhügel des Amphion, auch der des Zethos genannt, als das
1) Paus. IX. 25. 1.
2) Paus. IX. IG. 1.
3} Paus. IX. 17. 1.
4) Paus. 18. 1.
5) Piut. Sulla. 1».
♦>; Xenoph. Hell. V. 4. 8.
7; Arr. Anab Alex. 1. S. 6.
S) De topographia Thebarnm heptapylarum IS54.
9) Geographie von Griechenland Thl. 1. S. TIS.
10; Fab. 9; Paus. IX. 16. 4.
Niobe im thebanisehen Sagenkreis und Amphion. 379
gemeinsame Grab beider angesehen. Pausanias, welcher das Ampheion als
solches nicht erwähnt, ebensowenig wie die angrenzende Agora, aber das
Theater, den Tempel des Dionysos, das Denkmal der Semele, welche eben
jener Höhe der Nordostseite von Theben angehören, dann Ileiligthümer und
Götterbilder an der Agora, fugt diesen unmittelbar an das gemeinsame Denk-
mal des Amphion und Zethos, als einen nicht grossen Erdaufwurf (geu/ua yijg
%i ov [liya) , dessen alljährlich versuchte Beraubung an Erde durch die Titho-
reer erzählt wird. Bei demselben erwähnt er aber die nicht sehr genau bear-
beiteten, als Unterlage oder Grundmauer benutzten Steine, die der Volks-
sage nach diejenigen seien, welche dem Gesänge des Amphion gefolgt seien.
Das heisst also doch, hier in diesen Substructionen glaubte man den Anfang
des Mauerbaus des Amphion zu sehen.
Von Aesehylos1) vernehmen wir, dass Parthcnopäos, einer der Sieben,
an dem Borrhäischen Thore aufgestellt war, ,, unmittelbar bei dem Grabe des
Zeusentsprossenen Amphion". Und nach demselben fragt Antigone bei
Euripides2) mit den Worten : „wer dringt da vor bei des Zethos Denkmal*4 ?
Und im Kampfe des Theseus gegen die Thebaner greift Theseus seibat von
Osten, dem Ufer des Ismenos an, die Reiterei von der Quelle des Ares auf
der Südwestseite, die Kampfwagen der Athener aber stehen „unter den heili-
gen Denkmälern des Amphion"3). Mit Bestimmtheit geht die Lage dieses
Amphiongrabcs bei dem Nordthor hervor, zugleich eine höhere, hervorra-
gende Lage ; dass es ausserhalb des Thores sich befunden habe, ist nirgends
ausgesprochen, im Gegentheil berichtet Pausanias so, dass es im Bereiche der
Mauer, hart an oder zwischen derselben, sie überragend gelegen haben wird.
In demselben Stadttheil, aber näher bei dem Prötischen Thore, in der
Nähe des Dionysion, des zweiten lleiligthums der Semele, der Hausreste des
Lykos, des Oheims der Antiope, zeigte man auch das Grab oder die Denk-
mäler der Kinder des Amphion4} und zwar getrennt das der Söhne und
der Töchter. Ein halbes Stadion davon wollte man von der Pyra derselben
noch in Pausanias Zeit Asche bewahren. Schon die Worte des Pausanias,
genau erwogen, weisen auf den jungen Charakter dieser Lokalsage, was die
Niobiden betrifft, hin : zunächst ist zu beachten, dass hier von den Kindern
des Amphion speciell, nicht umgekehrt mit dem sonst herrschenden Aua-
J) Sept. c. Theb. 527 : — nifimaiai nQoqj«x^VTtt Booiiulaiq nvlatq xvpßov xat avrbv
Jioytvovq jifJHfiovog.
2) Phoen. 14<>:
t/V <T ovroe ä/uifi fivrjfta ib Zrj&ov 7fi(Ht;
3) Furip. Suppl. 0Ü5 : — ivtQ&e atpviov [tvrjfitttiov ' siptfCovog.
\\ Paus. IX. 16. 4: Qtißafots 6h irravSa xttl tit urijpata ntnoltjXcu iti>r\4p<f(orog
naidwv, X(oqI$ /uiv rdüv iiQatvtov ld(a 61 raig naq&ivotg. 17. i : vitt/tt 61 >/ nvgn ttüy ' Afi-
tifovog 7iat<J(ov rj/uiav ota6(ov pahora anb rtov Ttttfttr' [ttru 6h rj räf<p«c xctl ig 1 66t hi
anb rrjg nvgäg.
^
380 Drittes Kapitel.
drucke von den Kindern Niobes gesprochen wird. Wir werden weiter unten
sehen, wie die Kinder des Amphion mit dem weitern Begriff oi n€Qi /ip-
(piova, worunter auch Zethos verstanden wird und überhaupt eine den alten
Kadmeionen entgegenstehende Partei, nahe zusammengehören. Weiter sagt
Pausanias, dass die Thebaner diese ^vtjpiaxa gemacht, errichtet haben. Eu-
ripides bereits gedenkt derselben, mitbestimmtem Bezug auf Niobe, entschie-
den hierin neuernd und die Tradition umgestaltend; er lässt Polyneikes
neben Adrastos stehen und zwar ist nach dem Gange der Rundschau zu sagen,
am Prötischen Thore, dem auf das Nordthor folgenden „nahe dem Grabe
der sieben Mädchen Niobes" f) . Wir haben also hier ein gemeinsames Grab
der Niobetöchter.
Dass aber dies thebanische im Volke begründete Sage war, läugnet Ari-
stodemos, der Verfasser der Thebaika auf das Entschiedenste, er sagt, nir-
gendswo ist in Theben ein Niobidengrab ; der Scholiast des Euripides setzt
hinzu: und das ist wahr2). Wir sehen also, nicht die Existenz jenes Grab-
mals der Amphionskinder wird geläugnet, wohl aber eines der Niobiden.
Beides ist im Volksbewusstsein nicht dasselbe. Wie man dort ein Grab der
zwei Brüder hatte, so mochte auch hier die Doppelheit sich zuerst auf die
Kinder beider Brüder beziehen.
Interessant ist jene Erwähnung der natürlich vor den Thoren gelegenen
Pyra der Amphionskinder. Wir haben mit ihr als wesentlich identisch
die sieben Todtenscheiterhaufen nahe dem Ismenosfluss zu betrachten , von
welchen Armenidas8), auch ein Verfasser von Thebaika, spricht: ernennt
sie sieben Scheiterhaufeu (nvqai) auf sieben Steinen und Erdunterlagen (fy-
fiata) : man schrieb sie entweder den sieben Helden gegen Theben oder den
sieben Kindern oder Kinderpaaren der Niobe zu. Die erstere Auffassung,
welche wohl die ältere und ursprünglichere ist, kam in Conflikt mit der für
Athens Ruhm so eifrig wirkenden poetischen Sagenbehandlung, besonders
der Tragödie, welche jene Heldenleichen von den Thebanern nicht bestattet,
von den Athenern abgewonnen und auf attischem Boden begraben lässt.
Aber die Ilias 4) kannte den aufgeschütteten Grabhügel des Tydeus bei The-
ben und Pausanias sah vor dem Prötischen Thore drei rohe Steine, die noch
als seine Grabstätte dort galten. Dagegen waren einmal die Amphionskin-
der auch als Niobekinder gefasst, waren sie, wie wir sehen werden, an die
Mauern und Thore Thebens geknüpft, wirkte dabei die apollinische Sicben-
1) Kur. Phoen. Iß2:
txtivog inxtt nuQd-ivtov inq-ov ntlac
Nioßtjs *AdQaOrtp nltjotov naQuoraru.
2) Schol. Eur. Phoen. 1 ol>, Müller Frgmta histor. gr. III. p. 309: ovdttfiov fr Tttig
Grjßaig (ftjal itov Ntoßiötüf flrnt triff ov, oney iarlv aXf\d-4g.
3) Schol. Pind. Ol. VI. 23 ; Müller Frgmta histor. gr. III. p. 329.
4) XIV. 115.
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Arophion. 381
zahl mit, so war es dem thebanischen Patriotismus sehr genehm, auch die
sichtbare Todesstätte der Niobiden zu besitzen. Statius berichtet in der frü-
her besprochenen Stelle1) doch wohl schon noch Antimachos vom Leichen-
zug durch die Thore Thebens der bina funera, also der getrennten Todteu-
bahren für Söhne und Töchter vor ihrer Verbrennung und Bestattung, und
weist damit entschieden auf die Pyrai auch hin. Ob die Ausführung des
Scholiasten im Sinne des griechischen Vorbildes wenigstens lag, dass durch
jedes der sieben Thore zwei Leichen herausgetragen seien und also damit die
Vierzehnzahl bezeichnet sei, möchte ich bezweifeln.
Diese Erklärung führt uns aber unmittelbar hinüber zu dem zweiten
Punkte der Beziehungen zwischen den Am phionk indem, die also die
poetisch entwickelte Sage als Niobiden fasste, und Theben, nämlich
ihrem Verhältniss zu dem Mauerbau und speciell zu den Thoren und deren
Namen. In einem Scholion des Euripides2) wird als Tradition die Betheili-
gung überhaupt der Kinder, zunächst der Söhne bei dem Mauerbau des
Amphion und seiner Genossen (ol 7i€Qt Ji^iq>lova) hingestellt, wobei also
auch hier der Begriff des Amphion weiter gefasst ist, wie wir ihn schon ken-
nen lernten und unten noch wieder finden werden.
Es lag ziemlich nahe, wie das ganze Werk der Heroen, die Befestigung
und Erweiterung Thebens3) unter dem Bilde verwandtschaftlicher Beziehung
zu fassen, indem Thebe Frau oder Tochter des Amphion oder Zethos wird,
so die berühmten sieben Thore der Stadt — und Thore waren zugleich
Hauptbollwerke der Stadt — als Schöpfungen, als Kinder der Gründer auf-
zufassen. So spricht es der Auszug aus Hygin allgemein aus (f. 69) : Am-
phion enim qui Thebas muro cinxit, septem fUiarum nomine portas constituit,
aber unter den darauf folgenden Namen ist nur der einzige Name Ogygia,
welcher mit einem bekannten Thornamen stimmt. Daneben begegnet uns
aber bei zufälliger Erwähnung thebanischer Thore hie und da die Zurück-
führung derselben auf Kinder des Amphion oder des Zethos — ganz verein-
zelt wird Niobes Name dabei genannt — und zwar nicht allein auf Namen
von Töchtern.
Am bedeutungsvollsten ist darunter aber jener Name Ogygia, welcher
zuerst bei Hellanikos, dann durchgängig in der Tradition, so bei Apollodor,
1) Theb. III. 191 ff. ; oben S. 79.
2) Schol. Eur. Phoen. 1119 (die Homoloischen Thore genannt): ano'Ofioltaitag rov
' Afjq (ovos • rovg yaQ nt{t\' Apytova tfaai avv ro*V ncual apa Kadpqi Ttix(Oai ujr noXiv.
Das apet KilJ/uq) ist hier ganz unverständlich , da ja die älteste Gründung des Xadmos
durchaus von dem Mauerbau Amphions geschieden wird, doch mag auch dies später ein-
mal zusammengeworfen sein.
3) Statius braucht an vielen Stellen Amphionius und Thebanus für identisch, so res
Amphionias Theb. XL <>49, Amphionis terrU ebendas. X. 772, Amphion» arces IV. 010,
X. 573 u. öfters.
382 Drittes Kapitel.
Hygin, Tzetzcs, wohl auch verschrieben als Ogime einer Niobetochter gege-
ben wird. Er entspricht durchaus dem Namen eines Sohnes, ^lalkomeneus,
dessen wir oben gedachten : er führt uns zurück in die Urzeit Böotiens, zu
dem dem Wasser entstiegenen Urmenschen, der in seinem Namen diese Was-
sernatur bewährt, er stimmt also ganz mit dem ältesten Charakter der Niobe-
gestalt auf dem Boden Böotiens. Das Ogygische Thor in Theben, auf der
Südwestsei te des Kadmeion , mit dem ünkäischen identisch , sichtlich das
älteste der Altstadt, hatte nach allgemeiner Tradition seinen Namen von
Ogygos selbst, dem Urböoter und Urgründer von Theben, die seine Gattin
auch genannt wird und man zeigte und verehrte sein Grab in unmittelbarer
Nähe des Thores *).
Auch das Eicktrathor ("HkexTQai nvkai), welches direkt nach
Süden, nach Platää und Athen führte, desse Namen auf das Strahlende, Son-
nige hinweist, nach Nonnos dem Helios, specieil dem Phaethon geheiligt,
wird von dem Scholiasten des Euripides2} auch von Elektra, einer Amphions-
tochter abgeleitet. IWe bekanntere , auch sichtlich ältere Tradition brachte
den Namen mit der Umgebung des Kadmos in Verbindung ; Elektra galt als
Mutter der Harmonia oder als Frau des Kadmos3).
Am entwickeltsten ist diese Sagcnbildung bei den Namen des Neiti-
schen Thores (NrjiTai, Nrfioxai, Nrftvtdeg nvXai) nachzuweisen. Der Name
stellt das Thor einfach in Gegensatz zu dene'YipiotaiA) , als das unterste und
letzte, demgemäss auch das erste ; eine rein lokale, durchaus gerechtfertigte
Bezeichnung für das unten am Nordende des kadmeischen Hügels an dem
Dirkebach , nach der Niederung zu gelegene Thor. War nun einmal Mauer-
bau und musikalische Kunst, die erste Behandlung des Saiteninstrumentes
und zwar des siebensaitigen im Mythus des Amphion in innerliche Beziehung
zueinander gesetzt, so lag es nahe genug, das untere Thor mit dem unteren
Ton (*ij*i?) im Gegensatz zum obersten Ton zu fassen, ja unmittelbar das Thor
nach dem Ton benannt sein zu lassen Ä) . Auf der anderen Seite lockte den
im Etymologisiren so fruchtbaren Mythen drang die unmittelbare Aehniichkeit
mit einem Frauennamen, mitNeis (Nr/tg) und selbst dem abgeleiteten NeaiQct.
Neis aber war nach Pherekydes6) die einzige Tochter des Zethos, wie Itylos
1) Aristodemos Thebaika hei Schol. Eur. Phoen. 1113; Lactant. Stat. Theb. VII.
34S. Zu den Ogygischen Thoren vgl. überhaupt die Sammlung der Stellen bei Unger
Theb. Paradoxa p. 257—267.
2) Phoen. 1120: änb *JIXtxTQttg rijs 'Aptftoiiis 'fttas tw>» 'AfitfforoQ Siyttriftw cod.
Taurin.).
3) Paus. IX. S. 3, andere Stellen bei Unger Theb. Parad. p. 270 ff.
4) Heaych. ». v. Nfjtoi ims nvlais raTg nQuirtug xtt) Tflfvrafate. N^'t'ara faltetet *«-
TMtara.
5) Paus. IX. S. 3.
6} Schol. Eur. Phoen. J104; Schol. Hom. Od. XIX. 523.
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion. 383
der einzige Sohn war, die Beziehung auf den neuen, frischen Frühling (viov
i'aQ) ist bei der Schwester der Klagetöne der Nachtigall unverkennbar. Ob
es dieselbe Nei's ist, welche als Gattin des schönen Hirten und Schläfers En-
dynüou genannt wird1], wollen wir dahin gestellt sein lassen. Auch hier
tritt endlich der Wechsel der Brüder wieder ein und Nei's ward zur Tochter
Amphions und der Niobe2). Nun kennen wir aber unter den Namen der
Niobiden eine Nei's nicht, wohl aber eine Neaera und diese ist offenbar
dann in jener Ableitung gemeint. Dieser mehrfach bezeugte Name ist aus
Verschreibungen, wie Lerta, Thera wieder herzustellen3).
Das vierte Thor endlich, welches hier in Betracht kommt, ist das Ho-
moloische (O/ttolwideg nikm). Ueber den Namenszusammenhang mit
dem in Theben bezeugten Dienst des Zeus cO{iok(pog*) , welcher in Thessalien,
in der Landschaft Magnesia als ein Gott der Festversammlung, des Bundes
auf der Höhe cO/moAjj verehrt ward und von Thessalien nach Theben übertra-
gen scheint, kann kein Zweifel sein. Auch hier fand man einen Amphioni-
den lOpol(0€vg als Namengeber, indem bei dem Thore jenes Homoloon der
Zeus zu einem Heroon 5) herabsank, oder wie so häufig den Gottesbeinamen
als besonderen Heros in sich einschioss. Ob nun nicht jener Name Amaleus,
den wir früher iu der Itylossage für einen Amphioniden gebrauqht sahen,
mit Homoloeus identisch ist, liegt sehr nahe zu fragen. Aber damit nicht
genug ; auch hier wird dem Wortgeschlechte des Thores entsprechend statt
des religiös doch irgend begründeten Homoloeus eine Homolois als Niobe-
tochter nun eingedrängt 6) . Aristodemos, den wir als scharfen Kritiker der
jungen lokalisirenden Ausbildung der Niobesage im thebanischen Interesse
keimen gelernt haben, nennt, die solches behaupten, Leute, die die Unwahr-
heit sagen wollen.
Sehen wir uns noch weiter unter den Namen der Niobekinder um, inwie-
fern sich in ihnen speeifisch thebanische Anknüpfungspunkte finden und
vielleicht bestimmte, sie mit Theben verknüpfende Sagen, so fällt uns zu-
nächst der Name Ismen os (lofiyvog) ins Auge, welcher von Apollodor,
Ovid, Hygin u. A. uns genannt wird7). So hiess der kleine Fluss, welcher
an der ganzen Ostseite Thebens hinfliesst, hochverehrt war mit den in und
bei ihm waltenden Nymphen (NvfMpai UapipriisQ)*), Ismenios der Hügel
1) Apollod. I. 7,6.
2y Schol. Eur. Phoen. 1104: tj «710 Ntfldog rlqqyf^iovog xal Nioßrjs.
3) S. oben die Uebersicht S. 96.
4) Vgl. Unger Theb. Paradoxa p. 323. Ueber Theben s. Hesych. «. v. 'Ouolmtog
Ztvi.
5) Aristodemos in Schol. Eur. Phoen. 1119; Frgmta histor. gr. III. p. 309. 2.
0) Schol. Aesch. Sept. c. Theb. 567; Schol. Eur. Phoen. 1119; Tzeti. in Lycophr.520.
7) S. oben S. 96.
Vi Unger Theb. Parad. p. 204 ff., auch im attischen Phlya ein Dienet dieser Nym-
phen Paus. I. 31. 2.
384 Drittes Kapitel.
unmittelbar vor den Südthoren der Stadt zur Seite, von dem eine starke
Quelle zum Ismenos horabfliesst, mit dem berühmten Heiligtimm des Apollo
Ismenios darauf. Der Name kehrt in Theben öfter wieder, so in Ismene, der
Oedipustochter, im Flötenspieler Ismenias. Wir haben eine Gestalt in Ismenos,
welche zu Apollo ganz ähnlich wie Linos, Hyakinthos, Skephros steht, er ist
geliebt und doch vernichtet ; eine Gestalt aus einer älteren religiösen Natur-
erscheinung, umgewandelt, eingefügt der jüngeren Entwickelung des Apollo-
dienstes. Ismenos ist als Sohn des Asopos ächter Flussgott1), Enkel des Ladon,
der auch für den thebanischen Fluss als uralter Name bezeugten bedeutungs-
vollen Stromesmacht. Aber er ist auch Sohn des Apollo und der von ihm
geliebten, in Besitz genommenen Melia, der Quellnymphe am Ismenion2;,
Bruder des Sehers Tencros, des Repräsentanten des tenerischen Gefildes.
An diese Verbindung knüpft sich dann der frühe Tod des Bruders der Melia,
Kaanthos, dessen wir noch zu erwähnen haben. Endlich ist Ismenos der
Niobide, welcher nach Sostratos in seiner Schrift über die Flüsse a) den Na-
men dem Flusse gab, indem er von Apollons Pfeilen getroffen, von Schmer-
zen gepeinigt sich in den Fluss stürzte; derselbe sollte früher Kadmosfuss
(Kddpov 7tovg) geheissen haben.
Auch der Name Melia, welcher jener Quelle am Ismenion anhaftet4),
dessen allgemeinere Bedeutung als Okeanine wir in Argos auch im Niobe-
bereich kennen lernten, kehrt nicht bedeutungslos wieder unter den Niobe-
töchtern des Pherekydes5).
Endlich möchte ich auch noch in zwei Namen von Niobesöhnen eine
specifisch thebanische Färbung erkennen, in Damasichthon und Eupi-
ny tos. Jener begegnet uns im thebanischen Königsgcschlecht und zwar als
Enkel des zum Führer (a^wvj für den Zug gegen Troja während der Min-
derjährigkeit des Enkels des Polyneikes gewählten Pcneleos und als König6)
Dieser Name ist entschieden aus der Palästra entnommen und mit evnivrjg,
vom Fettschmute der Palästra überzogen, gleichbedeutend, er weist daher auf
diese hervorragende Beschäftigung und Kunst der Böoter hin7) und führt
uns in den Bereich des berühmtesten Gymnasiums von Theben, in das Jola-
eion ein, in welches wir von Ovid, vielleicht schon von Sophokles den Un-
tergang der Niobiden versetzt sahen und dabei das opus nitidae palaestrae
geübt8) .
1) Apollod. III. 12. 6-
2) Paus. IX. 10. 6.
3) Pseudoplutarch de fluv. 2.
I) UngerTheb. Parad. 227 ff.
5) S. oben S. 97.
<») Paus. IX. 5. <».
7) K. F. Hermann Lehrh. d. gr. Antiquit. III. §. n. 21.
8) S. oben S. 73.
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion. 3g5
Ein neues und sehr bedeutsames Interesse bietet uns bei der Unter-
suchung derVerbindung zwischen der thebanischen Amphion- und der Niobe«
sage die Stellung zu dem Apollocult und zwar zu seiner von Delos zuerst
und später von Delphi ausgehenden Organisation mit der Dreieinheit von
Apollo, Leto und Artemis. Die Gründung und Anerkennung des Heiligthums
des Apollo Ismenios, des Hauptgottes von Theben neben Dionysos in
historischer Zeit !) bildet aber in der Geschichte der apollinischen Culte ein
wichtiges Mittelglied und für unsere Frage den wahren Ausgangspunkt. Für
Niobe giebt uns die ausgeführte Schilderung Ovids, welche wir oben darlegten
und für die wir in der Niobe des Sophokles ein sehr wahrscheinliches, wenn
auch nicht genau zu erweisendes Vorbild anerkannten2), interessante Züge.
Da ist es Manto, die Tochter des Teiresias, die Zukunftkundige, deren Seher*
sitz *) zu Pausanias Zeit noch als ein vor dem Eingang des Ismenion lie-
gender Stein gezeigt ward, welche von den Argeiern d. h. den Epigonen
dem Gott von Delphi geweiht und von ihnen nach Kolophon in das apolli-
nische Heiligthum entsendet ward4), die im Namen Letos zu ihrer und ihrer
Kinder Verehrung mit Weihrauchspende und Lorbeerschmuck „die Ismenie*
rinnen" einladet. Diese beiden Weisen und Mittel des Cultus sind bezeich-
nend, der Lorbeer erinnert speciell an die feierliche Daphnephorie der The-
baner an den grossen Apollofesten, die in das Ismenion Statt fand5) ; der
Weihrauch ist ein im Dienst des Lichtgottes wie der Aphrodite aus Lydien
und über Kreta und Kypros aus Phönikien eingeführter Opferbestandtheil9),
Dieser neu eingerichtete Gottesdienst wird gewaltsam von Niobe gestört, aber
die Folge des Unterganges ihrer Familie ist eine um so eifrigere Veiehrung
der Letoiden. Wir haben hierin im thebanischen Sagenbereich eine ent-
schiedene Parallele zu der auch zuerst gewaltsam zurückgewiesenen Einfuh-
rung des Dionysosdienstes. Im Ovid 7) ist der Kynthos auf der Insel Delos,
diesem wichtigen Mittelpunkte der neuen Entwickelung de» Apollokultes, die
Stätte der Berathung zwischen Leto, Apollo und Artemis. Wir wollen da-
neben auch nicht vergessen, dass der Kithaeron als specifischer uralter
Sitz der Leto und zwar in ihrer Verbindung mit Zeus genannt wird, dass
sie in Platää noch besondere Ehren vor der jüngeren Gemahlin, der Hera im
Culte genoss und daher der Kithaeron um so passender den Schauplatz ihrer
1) Paus. IV. 27. 4.
2) S. 45. 71 ff.
3) Manovs ötopQos Paus. IX. 10. 3.
4) Paus. IX. 33. 1.
5) K. F. Hermann Lehrb. d. gr. Antiquit. II. § 63, 28.
6) Mein Zusatz zu K. F. Hermann ebendas. {25, II.
7) Met. VI. 205 ; oben S. 72.
Stark, Niobe. 25
386 Drittes Kapitel.
Bache und Strafe an Niobe und deren Kindern darbietet1). Dies möchte
auch wohl die ältere religiöse Beziehung sein.
Auch in Amphion, sahen wir oben, war seinem inneren Wesen, wie seiner
Thätigkeit nach ein ursprunglicher Gegensatz zu der entwickelten Apollo-
natur begründet. Er steht in wesentlichen Beziehungen ihm gleich, aber
gehört einer älteren, auf die Unmittelbarkeit des religiösen Naturgefühls be-
gründeten Schicht von göttlichen, gleichsam herabgesetzten Gestalten an,
die sich eben der Anerkennung jener neuen Superiorität nicht fugen. Darin
lag für die Ausbildung seines Mythus die Möglichkeit des Uebermaasses, des
Mangels an sittlicher Hoheit und Zucht, des Wahnsinnes, welcher von dem
Gotte der Klarheit und geistigen Gesundheit ab Strafe den Gegnern gesen-
det wird, gleichsam zubereitet da.
In der Minyas *) wird schon erzählt , dass Amphion im Hades Strafe
leide für die Worte, die er selbst gegen Leto und deren Kinder ausgestossen
(ärttQQiiftw)' Wir haben also hier eine Verschuldung durch Worte von Sei-
ten des Amphion selbst, nicht ein blosses Mitdulden der Strafe Niobes, viel-
leicht überhaupt zunächst gar keine Beziehung zu seinen und NioJ>es Kin-
dern, Sein Schicksal wird dort gemeinsam mit dem des Thamyras behan-
delt, da in beiden Herausforderung der Götter im Selbstgefühl des Menschen,
dort der Musen, hier des Apollo sich aussprach. Es ist zu vermuthen,
dass auch Amphions Worte mit seiner musikalischen Natur zusammenhän-
gen, dasa sein Rühmen Apollo gegenüber wohl auf die die Steine bewe-
gende Macht, auf die Erfindung der siebensaitigen Leier statt der älteren
vierseitigen sich bezogen haben wird. Das sprichwörtliche „Thamyris rast
(/jaiVtrat) " wird auch auf Amphion angewendet. Auch Antiope, Amphions
Mutter» verfallt der Sage nach wegen der masslosen Bache an der bakchi-
schen Dirke durch Dionysos Zorn in zum Herumirren treibenden Wahnsinn*) .
Wie bekannt diese Wendung in der Amphionsage gewesen sein muss, ergiebt
des Lukianoa*) Zeugnis*, welcher unter den beliebten Stoffen des mimischen
Tänzers nach dem Mauerbau den Wahnsinn des Mauerbauers (ßiccvia %ov
%4i%07iQU>v) und zwar noch vor der Prahlerei Niobes nennt.
Dieser Wahnsinn erscheint aber selbst gesteigert bis zu dem unmittel-
baren Versuche Amphions den Tempel Apollos zu stürmen und zu
1) uitjTu Mv%la oder Nvxta rj opoßto/uiog und avvvaog mit Hera; dieser ward voraus-
geopfert, dann erst der Hera Ttltta xal ra/uijlios. Kithaeron laset die suchende Makris
nicht nahen, w? toi; 4iog Ixet rg Aipol awavanavofiivov x«i owöiaTQtßorjoe. Binige mein-
ten, Leto sei selbst die Hera vor den avaxalvnx^Qia. Vgl. Plutarch. frgmt. ntf>\ tüv iv
niav. JtuddXw in Mor. ed. Wyttenbach t. V. p. 502 ff.
2) Paus. IX. 5. 4.
3) Paus. IX. 17. 4.
4) De sahst, o. 41.
Niobe im thebaniachen Sagenkreis und Amphion. 387
vernichten1). Dabei, heisst es, wird er von Apollons Pfeilen getroffen,
während in der specifischen Niobesage kaum seines Schicksals gedacht wird
oder er sich verzweiflungsvoll in sein eigenes Schwert stürzt (Ovid). Dieser
Apollotempel kann zunächst nur das Ismenion, in zweiter Linie der Tempel
von Delphi sein. Amphion tritt dadurch auf eine ganz gleiche Linie mit
dem von uns bereits erwähnten Kaanthos und mit den Phlegyern oder
deren Heroen, Phlegyas; Gestalten, deren Analogie in der Bedeutung
ihrer Namen klar ausgesprochen ist. Kaanthos, der Sohn des Okeanos, Bru-
der der Nymphe Melia, ausgesandt diese zu suchen, findet Apollon in ihrem
Besitz und kann sie ihm nicht wieder entreissen, da wirft er den Feuerbrand
in das Ismenion, wird dafür nach thebanischer üeberlieferung von den Pfei-
len Apollos erlegt. Phlegyer, diese Bedränger der Kadmeer waren es,
welche nach Pherekydes immer grössere Frevelthaten wagten, endlieh den
Apollotempel in Delphi anzündeten und nach des Zeus Rathschluss von
Apollo niedergeschmettert in den Tartaros gestürzt wurden (xaTtrograpfti-
xhjoav) 2) . Die Naturbedeutung des mit der Quelljungfrau verbundenen, dem
himmlischen Wasserstrom entstammenden Blitzes1), welche den hellen Licht-
himmel in Brand setzt, ist hier sichtbar mit historischen Thatsachen der älte-
sten Cultur- und Religionszustände verschmolzen. Aehnliches ist auch bei
Amphion in diesem Gegensatz zu Apollon zusammengeflossen.
Haben wir aber nun Amphion und die Amphionskinder und Niobe auf
thebanischem Boden in speciellste Beziehung zu dem andern Hauptgott von
Theben, zu Bakchos zu stellen? Burmeister hat in seiner so fleissigen und
verständigen Schrift über die Fabel der Niobe den durchaus bakchischen
Charakter des ganzen Mythus und zwar am Sipylos wie in Böotien zu erwei-
sen gesucht. Der Kampf des apollinischen und bakchischen Cultus und die
versuchte Ausgleichung soll auf dem Boden von Theben in ihm speciell dar-
gestellt sein. Er fuhrt eine Reihe einzelner ganz beachtenswerther Punkte
dabei auf, wie den bakchischen Charakter der Dirke, des Kithäron, die Statte
von Eleutherä als Geburtstätte von Amphion und Zethos, als Ort einer *ra-
tQiKTj 9vola, d. h. also eines auf ihre Eltern, speciell den Vater und ihre Ge-
burt bezüglichen Opfers, welches aber nur für den ersten Anschein sich leicht
als ein Opfer an Dionysos Eleuthereus auffassen lässt, wie die lokale Nähe in
Theben des Ampheion, des Denkmals der Niobiden mit dem Tempel des
Dionysos Lysios und dem zweiten Heiligthum der Semele. Ueber die älteste
religiöse Bedeutung das Kithäron haben wir uns schon ausgesprochen, haben
gezeigt, wie Antiope einer älteren religiösen Naturanschauung angehört, die
1) Hygin. fab. 9. 10; Mythogr. Vat. I. 156.
2) Hom. h. in Apoll. 279; Schol. Hom. 11. XIII. 302; Eustath. ad lliad. p.933; Paus.
IX. 36.
3) Vgl. Schwarte Ursprung d. Mytholog. S. 131.
25»
388 Drittes Kapitel.
in Zeus, Hera, Nymphen, Hermes, Gottheiten des Wassers und des Sternen-
himmels, wie als alter Name des Kithäron auch Asterion bezeugt ist1), ihren
Schwerpunkt hat, wie der Dienst des Dionysos von Theben, des Lysios oder
Eleuthereus, welcher als eine neue, unter Ans toss von Aussen erfolgende reli-
giöse Reform und Fortbildung sich kundgiebt, erst den Kithäron zu seiner
specifischen heiligen Stätte umgestaltete und allerdings auch die älteren
dort waltenden Gestalten an sich gleichsam heranzog. Auch in Eleutherä
ist die Waldeseinsamkeit, das Hirtenleben mit Hermesdienst, der Fels, die
kalte hochverehrte Quelle, der mit Antiope in Satyrgestalt sich verbindende
Zeus älter als der Dienst des Eleuthereus. Ja, was für uns wichtig ist, Eleu-
ther (EXev&fjQ), der Gründer von Eleutherä, der Stifter des ersten Bildes des
Liber pater*), welches von dem kleinen Gränzort dann nach Athen über-
geführt war, ist selbst Sohn des Apollo und der Aithusa, der Poseidon tochter*)
und steht mit Antiope in naher verwandtschaftlicher Beziehung ; also auch
von dieser Seite tritt Apollo in ursprüngliche lokale Nähe zu Amphion und
Zethos. Und die Fortpflanzung dieses bakchischen Cultes erfolgte unter
ausdrücklicher Autorität des delphischen Gottes4). Selbst der Name des
mythischen Einfuhrers desselben in Athen, Pegasos weist auf die rtrjyrj von
Eleutherä und weiter auf das himmlische Quellen strömen lassende Blitz- und
Gewitterross des höchsten Gottes hin8).
In Antiope tritt ein hervorragend bakchischer Charakter nicht hervor,
wohl aber in ihrer Gegnerin Dirke. Die spätere Sage lässt im Wahnsinn,
welcher zum Herumirren treibt, den Zorn des Dionysos auf ihr ruhen*). Es
ergiebt sich darin eine interessante Parallele mit denProetiden, den Töchtern
des Proetos, welche durch den Zorn des Dionysos, dessen Weihen sie nicht
annahmen, in Raserei versetzt, von Melampus gereinigt und geheilt werden7) .
Nun aber spielt ihre Sage vorzugsweise in Argos und Sikyon, aber sie knüpft
sich auch an Theben und zwar an jenes Thor, in dessen Umgebung wir das
Dionysosheiligthum wie die Denkmäler des Amphion und der Amphioniden
fanden. Amphion und Zethos, haben wir gesehen, haben Dionysoscult nicht
gestiftet, aber den des Hermes. In ihrem Mauerumfang schliessen sie aller-
1) Pseudoplut. de fluv. 2.
2) Hygin. fab. 225 : Eleuther primua simulacrum Liberi patris constituit et quemad-
modum coli deberet ostendit. Eleutherä wollte daher auch Geburtsstätte des Bakchos
sein (Diod. 111. 66).
3) Apollod. III. 10. 1 $ Paus. IX. 20. 1.
4) Paus. 1. 24. Auch Eleuther ward in Delphi genannt als einer der ersten Sieger
im musikalischen Agon durch sein y&v xal pfya iftavttv Paus. X. 7. 2.
5) Paus. I. 2. 4.
6) Paus. IX. 17. 4.
7) Apollod. II. 2. 2 j Diod. IV. 69; Paus. II. 7. 7; IX. S. 3 (von einem thebanischen
Proetosj. Vgl. Unger Theb. Parad. p. 298. 458 ff.
Niobe im thebanischen Sngenkreiß und Amphion. 389
dings das Semelae bustum, damit auch das jüngere Dionysosheiligthum ein,
aber es geschieht dies auf Apollos Befehl« Und in jenem Stadttheil, der ihre
und ihrer Kinder Denkmale trug, war vor allen Apollo als Boedromios, war
Artemis Eukleia, die Schützerin des Marktes, deren innere Verwandtschaft mit
Peitho wir hervorhoben1), war Hermes verehrt, also göttliche Gestalten, die
in ihrem Mythus die tiefgreifendste Rolle spielen. Und würde es denkbar
sein, dass Amphion als Dionysosverehrer in der Unterwelt Strafe litt? Aber
er ist auch ebensowenig Apolloverehrer, der mit Niobe, als Repräsentantin
des bakchischen Dienstes sich eint. Man muss sich in der That hüten, eine
religiöse Sphäre, die in eine andere eingreift, mit ihr ein gemeinsames Gräns»
gebiet hat, für wesentliche Erklärung von Gestalten zu benutzen, die der
andern Sphäre entschieden angehören , aber mit ihr auch jenes Gränage-
biet mit berühren, es wird daduich der richtige Gesichtspunkt ganz ver-
rückt. Für unsere Aufgabe stellt es sich dagegen als ein interessantes Re-
sultat heraus, dass der Mythus von Amphion und Niobe in Theben für das
Bewusstsein der attischen Zeit und ihrer Dichter in einen wichtigen Wende-
punkt der religiösen Umgestaltung eintritt, in welchem der Apollocult und
mit ihm in Beziehung stehend, von ihm zur Anerkennung gebracht, der jün*
gere Dionysoscult ihren alle älteren religiösen Gedankenkreise beherrschen-
den Einfluss gewonnen haben. Und es lag dabei in der bestimmten, von Niobe
und ihren Kindern vertretenen Naturseite wie der entwickelten Beziehung
zu phrygischer Musik begründet, dass sie künstlerisch wie poetisch eine
mehr bakchische Ausgestaltung erhielten, wie auch in Theben selbst der
späteren Zeit Dionysos Apollo weit überstrahlte. Vergessen wir endlich bei
der religiösen Rundschau auf dem Boden von Theben auch nicht die uralte
Bedeutsamkeit des Demeter- und Kor adienstes daselbst, bezeugt auf der
Kadmea durch das Heiligthum der Demeter Thesmophoros, das als Wohnung
des Kadmos galt2), durch das Fest der Demeter Achaia*), durch die Auflas-
sung Thebens als Brautgeschenk von Zeus an bestimmte Wechselbeziehun-
gen zu Kora4).
Können wir. aber weiter für das letzte Schicksal der Niobe selbst, für
die im Volksglauben wurzelnde Verbindung ihres Namens mit einem Natur-
symbol, einer fliessenden Quelle, einem wasserüberströmten Fels auf dem
Boden Böotiens, speciell Thebens und des Kithäron keine Spuren nachwei-
sen? Das scheint nun zunächst nicht: in der dichterisch entwickelten Sage
1) S. obenS. 341. Anm. 2.
2) Paus. IX. 16. 3, dazu Eurip. Phoen. 688 1 Sv dimvvfioi &al, IleQOttfxtfHta xal
tfda slttfidrriQ &ta navttov avaooa, nuvTuv di 7« TQO<fbg txtyoavro.
3) Plut. Is. Os. 69.
4) Schol. Eur. Phoen. 6SS; Poll. 1. 37. Dazu Preller Demeter S. 123, Gerhard gr.
Mythol. I. § 4 OS. Demeter und Kora aber greifen hier, wie in Orchomenos und Hermione
es der Fall war, nicht in den Niobemythus, ein.
390 Dritt©« Kapitel.
spielt, wenn auch in dem böotischen Theben Niobe als Amphiongemahlin
und Mutter lebt, wenn auch dort der Frevel an Leto und die Strafe erfolgt,
doch der letzte Akt ihres eigenen Schicksals am Sipylos; sie kehrt nach
Kleinasien zurück und wird dort verwandelt. So stellte es Pherekydes, so So-
phokles, Apollodor und andere dar. Eine andere] Auffassungsweise ist es aber,
wenn Ovid die Felserstarrung Niobes bereits in Theben erfolgen lässt und
sie dann nicht durch eigene Kraft, sondern durch einen gewaltigen Sturm-
wind an den Sipylos versetzt wird1). An und in thebanischem Boden ge-
bannt denken sich doch auch Seneca und Statius Niobe, wenn sie sie bei
Todtenbeschwörungen des Teiresias oder der Manto am Quelle Dirke oder
im Hain der Hekate erscheinen lassen 2) . Und wenn in einem inhaltrei-
chen, homerischen Scholion des Victorianus1) es heisst, dass andere die
Stadt Sipylos nicht nach Lydien versetzen, sondern als zu Theben gehörig
betrachten, da sie auch dort %a negl Nioßt]*, d. h. doch das bleibende Schick-
sal Niobes, ihre Verwandelung, ihr Ende kennen, denn dies ist für Sipylos
das Bezeichnende, so ist dies Letztere, was nicht als Schlussfolgerung er-
scheint, sondern als begründende T hatsache, wichtig genug. Es hat also
auch an Theben oder thebanischem Gebiet irgendwo die Niobegestalt als
bleibende gehaftet. Wir werden später sehen, ob nicht in Sipylos selbst,
wie in Theben eine ideale mythologische Bedeutung steckt.
Wie steht es aber überhaupt mit sagenhafter Stein Verwandlung in
Böotien und seiner mythologisch verknüpften Nachbarschaft und wie zweitens
mit der Bedeutung der Quellen? Auch Alkmene hat nach thebanischer4),
von der megarensischen8) abweichenden Sage kein Grabdenkmal, sie ist aus
einem Mensch zu Stein geworden6). Wo, an welcher Stelle sie gesucht
werde, erfahren wir nicht. In dem böotischen Heiligthume der Athena Itonia
galt Iodama, die Priesterin, welche bei Nacht in das Heiligthum getreten war
und welcher Athene erschien, als durch den Anblick des Gorgonenhauptes
versteinert 7) . Unmittelbar aus der thebanischcn Ebene erhebt sich das Teumes-
sosgebirge : in ihm war nach alter, von den Verfassern der Thebaika berich-
teter Sage, der von Dionysos zur Strafe den Thebanern genährte Fuchs und
sein Verfolger, der von Artemis an Prokris geschenkte Hund zu Stein ge-
worden8). Zeus, der LiebhaJ>er der schönen Asopostochter Aegina, durch
1) S. obenS. 75.
2) 8. 78. 79.
3) Ad II. XXIV. 615, s. oben S. 96.
4) Paus. IX. 16. 14 ; Anton. Liberal. Transf. 33.
5) Paus. I. 41. 1.
6) Paus. 1. c. : yiv£o&ai dl avrrjv tos ani&avt li&ov tfaalv /£ ay&fKonov — .
7) Paus. IX. 34. 1 ; Forchhammer Heilenika 8. 149.
8) Paus. IX. 19. 1 5 Hesych. s. v. Tev^ijoaof; Suid. Phot. s.v.; Hygin. Poet. Astron.
11. 35; Erat. Catast. 33; Mythogr. Vat. I. 22.
Niobe im thebanischen Sagenkreis und Amphion. 391
Sisyphos in seinem Versteck zu Phlius errathen, verwandelt sich selbst iü
einen Fels1). In altattischer Sage wird Aglauros, die Todes- und Winterseite
der Athene selbst2), als priesterliche Heroine die Kekropstochter, die sich an
Athene vergangen, und Gegnerin des Hermes, dagegen Geliebte des Ares
ist, erst zu flüssigem Eis und Schnee, dann von tödtlicher Kälte durchdrun-
gen zu bluterstarrtem Felsen8). Und der schöne Kithäron, geliebt von
Tisiphone wird durch eine Gorgonenlocke, die auf seine Brust fallt, getödtet
und zum Berg erstarrt4).
Böotien istanQuellen ebenso reich, als diese ihre mythologische Ver-
klärung gefunden haben; eine Quelle mit dem Namen der Niobe zu finden ist
uns bis jetzt nicht gelungen, aber die Wahrscheinlichkeit einer solchen nur
später verdunkelten Verbindung dieses Namens mit einer Quelle auch in Böotien
ist eine sehr grosse. Die Umgebung des Kopaisses ist überreich an zu form*
liehen Teichen und kleinen Seen anwachsenden Quellen; bo wird uns von
Plinius jene bereits erwähnte Psamathe genannt5), welche auch in deih
Scholion des Nikauder6) ausdrücklich bezeugt wird. Eben aus Nikan-
der, Strabo und Stephanos von Byzanz ergiebt sich eine Quelle Trepheia
oderTrapheia mit gleichnamiger Stadt am Kopaissee7)* Die Quelle Tilphossa
oder Delphusa bei Haliartos8), die Quelle Herkyna am Trophoniaion bei
Lebadeia, die Quelle Akidalia bei Orchomenos 9) , die Quelle Kissussa bei
Haliartos10) stehen zu bestimmten Gottheiten in unmittelbarer mythischer
Beziehung. Dass auch in Alalkomenä neben dem Flüsschen Triton ein«
Quelle Alalkomenia, wie bei Mantinea existirte, fanden wir früher schon sehr
wahrscheinlich. Der Quellen am Gebirge Leibethra, das seinen Namen eben
von ihrem Wasser als netzenden Thränen trägt, wie der berühmten am He*
likon erwähnen wir hier nur im Allgemeinen. Die Quelle Gargaphie mit der
Aktäonsage, die kalte Felsenquelle bei Eleutherä mit der Antiopesage ward
1) Schol. II. I. 180. Vgl. auch die versteinerte Schlange von Aulis Hom. II. II. 319.
2) Vgl. K. F.Hermann Lehrb. d. gr. Antiquit. II. g 27. 12; $ 35.22; mein Znsati iü
§61. 3.
3) Ov. Met am. II. 709 ff., dazu Forchhammer Hellen. 8. 107 ff. Die Schlnssworto
lauten :
saxum jam colla tenebat
Oraque duruerant : signumque exangue sedebat
nee lapis albus erat.
4) Leo Bysant. Boeoticm bei Paeudoplut. fluv. 2.
5) Flin. H. N. IV. 12, s. oben S. 348.
6) Ther. 887 mit Schol.
7 Vgl. Meineke ad Callim. hymn. 1861. p. 183.
S) Hom. h. in Apoll. Pyth. 67; Paus. IX. 33. 1.
9; Serv. V. Aen. I. 720; Etymol. M. 48, 21.
10) Plut. v. Lys. 28.
392 Drittes Kapitel.
früher besprochen , auch der Name Dirke für Fels und die Quelle ist dem
Kithäron selbst eigentümlich !) .
Und endlich zeichnet sich der Boden Thebens noch heute durch seine
fortdauernde, im Winter überströmende Wasserfälle aus. Dirke, Ismenos,
Melia lernten wir in ihrer Beziehung zur Amphion- und zur Jüngern Niobe-
sage kennen ; die Quelle Oedipodia ist mit Oedipus verknüpft, in den älte-
sten lokalen Sagen Thebens erscheint als hochwichtig die Aresquelle (Xqtj-
Jiag xqtjvt]) auch statt Arethusa bei Plinius wohl herzustellen*), deren Ver-
hältnis« zur Dirke, Melia oder einer anderen im Alterthum selbst später nicht
mehr sicher stand , das Thor Crenaeae (Kf>f)vaiai nvkai) , das Nordthor
Thebens , am Ausgange des die Stadt theilenden wasserreichen Hohlweges
(xoity 6S6g) und nahe mehreren hier am Hügelabhang aufsprudelnden Quel-
len*) gelegen, weist auf noch andere, nicht die sonst berühmten Quellen hin.
Wohin gehört die von Plinius neben einer Psamathe, Dirce, Arethusa oder
Aretias genannte Epicrane ? Wohin die von Kallimachos mit Dirke vereint
und mit „dem Vater" Ismenos genannte JSTQOcplt], deren vorgeschlagene
Umänderung in Tfoqtit] durch diese Umgebung ganz unwahrscheinlich wird4)?
Nach alledem werden wir kein Bedenken tragen gegenüber dieser Fülle
und hoch alterthümlichem Charakter der Quellenverehrung in Böotien, spe-
ciell in Theben auch der böotischen Niobe, der Gemahlin des dem Wasser
entstiegenen Alalkomeneus, wie eines der vom Gebirge im Frühlinge Bäche
herabsendenden, die Musik in dem Naturleben in sich darstellenden, Wolken-
burgen am Himmel bauenden Helden des Tageslichtes, der glücklichen, im
Kinderreichthum beneideten, aber plötzlich ganz vereinsamten Mutter eine
unversiegbare Thränenquelle am Felsen zuzuschreiben.
Bei dem Beginne dieser so schwierigen und verwickelten Untersuchung
über die Stellung der Niobesage im Bereiche des ganzen böotischen, wie des
näher thebanischen Mythenkreises wiesen wir schon darauf hin, wie an The-
ben selbst erst nach und nach alle die Fäden verschieden«, lokal ausserhalb
Thebens ursprünglich fixirter Mythen sich ansetzten und unter sich mehrfach
verknüpft worden sind. Theils die politischen Verhältnisse, das tatsäch-
liche Uebergewicht Thebens, theils und besonders die Entwickelung des epi-
schen Gesanges und der folgenden vom Epos mitbedingten Poesie haben
dies Resultat mit herbeigeführt. Zwei grosse achäische Sagenkreise, der
vom trojanischen Krieg wie der vom Kampf um Theben treten in die Mitte
1) Unger Theb. Parad. p. 97. Es ist eine Unbegreiflichkeit, wie Unger glauben kann,
vom Kithäron ströme die Dirke herab, durchmesse quer die Parasopia , den Asopos selbst,
komme so nach Theben, um dies dann westlich zu begränsen. Ein rechter Beweis, wie die
blosse Gelehrsamkeit ohne geographische Anschauung su grossen Irrthflmern führt.
2) Unger 1. c. p. 106.
3) Bursian Geographie v. Griechenland I. S. 227.
4) H. in Del. 76.
Niobe im thebanischen »Sagenkreis und Amphion. 393
aller poetischen Stoffe. Die Niobesage wird ein Bindeglied zwischen dem
Pelopidenhaus und dem Herrscherhaus von Theben. Die volle Blüthe dieses
epischen Gesanges entfaltet sich aber auf der klein asiatischen Küste und
wirkt zurück auf Hellas. In ihm tritt nun auch für Böotien der Hintergrund
des kleinasiatischen Culturlandes in vollem Glänze auf. Gestützt auf tat-
sächliche religiöse und Culturcinwirkungen Kleinasiens auf Böotien wandelt
man die altheimische, aus Korinth, wie wir andeuteten, an den Kitharon,
nach Theben als Gattin geführte Heroine nun zur stolzen, reichen Fremden
um, die asiatische Herrschermacht und Reichthum umgiebt.
Aber noch ein Moment dürfen wir nicht ganz für die hervorragende Be-
deutung Thebens in der Niobesage mit Stillschweigen übergehen, das uns
ebenfalls am Sipylos entgegentritt. Thebe, die böotische, giebt sich in
zahlreichen Spuren ältester religiöser Anschauung als eine Art Götterstadt
kund, als einen irdischen Abglanz des Olympos und olympischen Lebens, in
ihm ist die ursprüngliche Einheit des menschlichen Lebens mit dem göttlichen
in Mythen verkörpert1). Die junge philosophische Ausdeutung und spielende
Zahlensymbolik hat auf dieser Grundlage nun ganz künstliche Annahmen
über Theben wie die Niobiden erbaut. Ob der Name schon auf Götterberg
etwa hinweise, sei unentschieden. Qrßtj oder äolisch Trjßrj bezeichnet nach
dem Zeugnisse des Varro bei den Böotern Hügel, aufsteigende Höhen2). Es
gab dort und zwar bei dem Prötischen Thore eine Geburtsstätte des Zeus,
genannt Jiog yovai*), sie und somit Theben ward ausdrücklich Inseln der
Seligen (MaxaQiov vrjoot) genannt, wie auch Lykos, der Amphion und Zethos
die Herrschaft abtritt, von Poseidon auf die Inseln der Seligen verpflanzt
wirdj4). Dort war der Name Ladon, die Bezeichnung des heiligen Götter-
stromes als der ältere für den Fluss Ismenos bezeugt*). Dort ist die Geburts-
stätte der beiden in den olympischen Götterkreis aufgenommenen Heroen,
Dionysos und Herakles. Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia in dem
siebenthorigen Theben6) gefeiert repräsentirt neben der des Pcleus und
der Thetis die höchste einem Menschen zu Theil gewordene Seligkeit (ß(>o-
rußv oXßov VTTBQtaTOv) ; alle Götter verlassen den Himmel und feiern auf der
1) Schwarte Ursprung der Mythol. S. 16 f. Anm. 5 macht bereits darauf aufmerksam.
2) K. R. III. 1 . 6 j andere Ableitungen s. Unger Theb. Parad. p. 70 ff. Nach Hesych.
ist &ijßa xißtouov.
3) Schol. Hom. II. XIII 1 : die Thebaner überführen die Gebeine des Hektor ttg rov
7i ttQ* avroTg xaXovfj.lv ov ronov 4tb$ yovas.
4} Tzetz. ad Lycophr. 1194: aW tial Mnxngcav vrjooi tontQ rbv 'ctQtOTov Zrjva dttuv
ßnaiXrja Pin rixt t^cP in x<*>Q<p; Apollodor III. 10. I.
5) Paus. IX. 10. 6; vgl. dazu Preller gr. Mythol. I. S. 349 und die schöne Auseinan-
dersetzung von Bergk Geburt der Athene etc. in NIbb. f. Philol. u. Pftdag. 1860. Bd. 81.
S. 518.
6) Dies betont Pindar sichtlioh Pyth. III. 90.
394 Dritten Kapitel.
Kadmeia die Hochzeit, die Musen singen das Hochzeitlied !). Also in der
That ein Götterhimmel auf Erden ! Dort wird auch wie Ogygos , der Ur-
mensch, der Altvater des menschlichen Geschlechtes, so auch Niobe, die
älteste von Zeus geliebte Sterbliche , die Eva der mit den Göttern in Ver-
bindung stehenden, göttlichen Anspruch in sich tragenden Menschheit, ihre
Stätte gefunden haben.
Die Siebenzahl der Thore steht aber, seitdem sie feste Ueberlieferung
ward, mit der Bedeutung der Siebenzahl überhaupt im Apollodienst, speciell
mit den musikalischen Grundzahlen des griechischen Saiteninstruments und
mit den entsprechenden, von Pythagoras aufgestellten Verhältnissen der Him-
melskörper in naher Beziehung. Aristoteles2) fuhrt schon im Kampfe gegen
die pythagorische Zahlenlehre an, wie nach ihr im Wesen zusammenfallen
müssten die sieben Vokale, die sieben Saiten, Harmonien, Plejaden, die
sieben Zähne und die Sieben gegen Theben. Die sieben Saiten des Hep-
tachords , welches Amphion also zuerst gespielt auf Erden und damit die
Steine zu Mauern gefugt, entsprechen nun den sieben sich bewegenden Him-
melskörpern, Planeten, Sonnen und Monde8). Nonnos fuhrt nun förmlich
das Bild des siebenzonigen Olympos an Theben durch und weist jedem Pla-
neten, Sonne und Mond mit Geschick sein Thor zu4). Natürlich sind nun
auch die sieben Niobidenpaare, wie mit den Thoren Thebens und Saiten
Amphions, so mit den sieben Himmelszonen in Beziehung gekommen, wobei
jeder begründete Zusammenhang mit dem Mythus selbst aufgehört hat.
Ehe wir den Boden von Hellas selbst für den Mythus der Niobe mit
Theben verlassen, sei es uns gestattet noch an Athen und an Thessalien
und zwar an Phthia, an das'ldQyog Jlelaoyixöv mit der Halbinsel Magnesia
mit ein Paar Worten zu erinnern. Wie der Niobemythus aus dem südlichen
Böotien, aus dem Asoposthal, von dem Kithäron in das angrenzende, der
Bevölkerung nach und politisch nahe verbundene Nachbarland seine Banken
getrieben haben wird, liegt auf der Hand. Die Itys- oder Ity lossage, die wir
mit der thebanischen Niobesage so eng verknüpft sahen , hat ja in Attika
ebenso sehr ihre Heimath, wie in Böotien. Und fanden wir nicht früher
schon eine sichtliche Beziehung zwischen der Niobidendarstellung in jener
Giotte über dem Theater mit dem Apollo Parnopios darüber, auf der Akro-
polis, d. h. jenem in Kleinasien verehrten, auf das Leben und Gedeihen der
Erde und ihrer Kinder, der Pflanzen so einflussreichen Sommergott, wie dem
Dionysosheilig thum? Und dort in Phthiotis begegnet uns ein Thebae,
wie in Böotien, dort knüpft eine Fülle gemeinsamer Sagen von Argos, Meli-
1) Apollod. III. 4. 2: xal navres &tol xataXinovxts tov ovQavbv iv rjj Kaifutif tbr
ytipov ivmxQVfiWo t Ävupvtjaav.
2) Metaphya. XIII. 6.
3 Stellen bei Unger Theb. Parad. p. 340 ff.
4) Dionya. V. 63. 87; VIII. 52 ; XL VI. 67, daiu Köhler Dionya. S. 16.
• Kleinasiatische Statten der Niobesage überhaupt. 395
boia, Homole u. a. an, die in Böotien, wie in der Peloponnes uns in Bezie-
hung zu Niobe beschäftigt haben. Dass gerade Achill, dieser ächte Sohn der
thessalischen Achaia, dem Priamos Niobe als tröstendes Heispiel vorführt,
haben wir früher schon als beachtenswerth hervorgehoben, als einen Beweis,
wie ihm diese Gestalt und zwar nicht als etwas Fremdartiges im Bewusstsein
war1). Der Stellung von Magnesia endlich am Sipylos zum thessalischen
Magnesia haben wir weiter unten zu gedenken.
§ 26.
Kleinasiatische Statten der Niobesage überhaupt Die Kiliker und Theben am
Idagebirg.
Man hat sich bis in die neueste Zeit*) begnügt, im Hermosthaie Lydiens
an dem Nordabhange des Sipylos, bei Magnesia die Ileimathstätte der Niobe
anzunehmen und je nach der Verschiedenheit der Ansichten von der ältesten
Bevölkerung daselbst und je nach der Neigung Griechisches aus griechischem
Wesen oder um jeden Preis aus fremdem abzuleiten, sie für phrygisch, lydisch
oder für urgriechisch, überwiegend für das Erstere erklärt. Unsere bisheri-
gen Untersuchungen haben uns nun Niobe an den ältesten und wichtigsten
Culturstätten von Hellas, selbst vor allem in Argolis und Böotien und zwar
in der Mitte der ältesten griechischen Mythenkreise und mit diesen durchaus
analogen und hochalterthümlichen Zügen aufgewiesen. Wir haben dabei
allerdings einige Fäden auch aufgefunden, in Argos, wie in Olympia und in
Theben, die hinüberleiten an die kleinasiatische Küste und an den dortigen
Kultur- und religiösen Kreis anknüpfen. Wir werden aber auch hier zunächst
eine Rundschau zu halten haben und nicht von dem Gedanken ausgehen,
als ob nur an einem einzigen Punkt ein so hochbedeutsamer Mythus festhafte,
sondern vielmehr, dass er in erweislich denselben oder einander nahe ver-
wandten Volkskreisen, unter ähnlichen Naturbedingungen und unter dersel-
ben religiösen Entwickelung mehrfach zu Tage treten wird. Es ist damit
sehr wohl vereinbar, dass schliesslich Ein Lokal unter besonders wirksamen
Natur- wie geschichtlichen Verhältnissen und unter dem Einflüsse der das-
selbe in das Licht stellenden epischen Poesie zur eigentlichen Heimath des
Mythus gemacht wird.
Aeschylos giebt uns in den Fragmenten seiner Niobe eine interessante
geographische Bezeichnung der Heimathstätte des Tantalos und der Niobe
noch mitten aus der Fülle der älteren mythologischen Anschauung. Und
1) S. oben S. 28. Zu dortigen Sagen vgl. Kretschmann Her. Magnes. spec. p. 23 — 35.
2) Auch Welcker, sehe ich so eben , hat in dem neuesten Heft seiner griechischen
Götterlehre (Bd. III), wo er S. 124—129 von Niobe handelt, durchaus Sipylos in Lydien
als Heimath gefasst und sie erst von da in die Sagen von Böotien und Peloponnes abertra-
gen sein lassen.
396 Dritten Kapitel.
auf der andern Seite wird das jüngste Glied in der Reihe der Dichter, Non-
nos durch seine lokale Auffassung der Niobe wichtig. Dazu kommt eine
schon von uns hervorgehobene Stelle des Athenagoras, welche im Zusammen-
hang mit den andern ihre volle Bedeutung erhält. Aeschylos spricht von
„Sipylos im Idäischen Lande" (Idaiav ava x&6va,x); einAusdruck,
den Sophokles in seiner Polyxena2) auch auf den mysischen Olympos aber in
Bezug auf Troja, der allgemeine Sprachgebrauch für Troas selbst auwendet.
An einer zweiten Stelle, deren wir früher gedachten3), ist es das Tantalos-
geschlecht, das dem Zeus nahe, welchem auf I da is eher Höhe (xorr' 'Idalov
7rayov) der Altar ihres Stammvaters Zeus gehört. Und an der dritten4) erhal-
ten wir die ausgefuhrtere Schilderung des Landbesitzes von Tantalos : es ist
das Ackerland in der Ebene und die Weiden am Gebirge, jenes wird als
berekynthißches Land um den Sitz, d. h. die heilige Wohnstätte der A d ra-
st ea bezeichnet, es erstreckt sich zwölf Tagereisen weit, also in sehr weiter
Ausdehnung, dieser Berg als der Ida Nun aber begreift der Name Adra-
steia oder Jiiqain&iag nedlov das fruchtbare Gelände unter den weitverzweig-
ten Nordabhängen des Ida am Hellespont und der Fropontis, welches vom
Granikos durchströmt wird und bis zum Aisepos und darüber hinaus sich
erstreckt; das dort uralte Heiligthum der Nemesis oder Adrasteia, welches
Adrastos gestiftet haben sollte, war später verschollen oder von dem der be-
rühmten, die Ebene grossentheils beherrschenden Nachbarstadt Kyzikos ganz
überstrahlt, wie auch eine alte Orakelstätte des Apollo, wie Heiligthum der
Artemis später geschwunden, der Dienst des Apollo nach Parion verpflanzt
war. Eine bestimmtere Lokalität kannte Strabo unter BtQ&ivvta %u>qov nicht,
während Xanthos Lydios Berekyntos und die Landschaft Askania8), welche
an dem See Askania zwischen der Propontis und Sangarios liegt, verband,
Plinius') uns einen Berecynthius tractus im nördlichen Karien bei Tralles
nennt, Stephanos von Byzanz einer phrygischen Stadt BeQexvg erwähnt.
Deimling 7) macht mit Recht, besonders auf Hesychios gestützt, darauf auf-
merksam, dass der Name überhaupt nicht einer einzelnen Lokalität oder
einem Zweige der Phryger angehöre, sondern den Phrygern überhaupt aber
in ihrer Beziehung als Dienern der Bergmutter, der Kybele. Aeschylos
braucht diese Bezeichnung für die Ebene Adrasteia vom Standpunkte seiner
1) Strabo XII. S. 20, Tragg. gr. frgmta ed. Nauck p. 41. n. 15S.
2) Strabo X. 3. 14, Tragg. gr. frgmta ed. Nauck p. 195. n. 477 :
fft'cf avd-t [itfivtav nov xttt *Itfte{av %&6v«
no(fivag 'Olvpnou avvayaytov &vr\nolti.
3) S. 39 mit Anm. 3.
4) S 40. Anm. 1.
«* ) Strabo XIV. 5. 28 : ix Bcqixuvtuv xal *Aaxav(aq.
6) H. N. V. 29 j XVI. 2S.
7) Die Leleger S. 79.
Kleinasiatische Stätten der Niobesage überhaupt. 397
Zeit; in der homerischen Zeit ist sie noch von Troern und Lykiern bewohnt,
aber später bei dem gewaltigen Vordringen des phrygischen Stammes nahe
zur Westküste Kleinasiens ') , kam sie ganz in die Hände der Pliryger und
erhielt den specifischen Namen der Phrygia am Hellespont.
Adrasteia aber steht, soweit sie in ihrer Besonderheit von der auf
ihren Cult mit dem Vordringen des phrygischen Volkselementes übermächtig
einwirkenden Kybele nachzuweisen ist, zum Zeuskult und zwar zu dem
idäischen in engster Beziehung, sie ist Schwester der Ide, Tochter des
Melisseus, selbst eine Melissa, eine nährende Bergnymphe, die das Zeuskind
wartet und nährt mit der Milch der Amalthea, ihm den Ball zum Spielzeug
fertigt2). Im Hintergrund liegt allerdings, dass sie eine der das Leben be-
stimmenden Schicksalsgöttinnen ist, besonders bedeutsam bei Geburt und
Werden des Herrn der Welt. Sie gehört ebensowohl nach Kreta an den Ida
wie an den Ida der troischen Landschaft.
Tantalos gehören neben dem weiten Blachfelde der Adrasteiaebene aber
auch die Triften am Ida. Das Hirtenleben auf den vielen wasserreichen Ab-
hängen des von Strabo mit einem Vielfussler verglichenen Idagebirges er-
scheint im Alterthum durchaus als das Ideal alles Hirtenlebens : Paris, An-
chises, Ganymed sind dafür Beweise ; Euripides schildert uns die in Schlaf
wiegende Musik der Syringen von den Hirten am Ida8). Auf dem Gipfel des
Ida, diesem Sitze des Zeus in der Dias, dieser Stätte seiner heiligen Hochzeit
mit Hera4), da wird uns in Homer ausdrücklich ein Heiligthum und ein
opferreicher Altar des Zeus bezeugt5). Noch heute sind die Spuren einer
heiligen Strasse auf dem Gipfel, noch kyklopische Substructionsmauern der
künstlich geebneten Area auf diesem Gipfel nachweisbar8). Die ausgezeich-
nete Stellung eines Priesters des Zeus Idaeos bei den Troern ist uns im
Homer bezeugt7).
Nach alledem werden wir, wenn wir auch die Worte des Aeschylos nichts
weniger als ängstlich nach der heutigen oder nach der damaligen Geographie
auffassen, vielmehr den idealen, göttlichen Hintergrund des Mythus immer
in Betracht ziehen, wenn wir auch die Bezeichnung des Ida bei den Dichtern
sehr weit gefasst sehen8), Tantalos und Niobe zu dem troischen Ida, zu dem
1) Strabo X. 3. 22.
2) Apollod. I. 1. 6; Apollon. Rhod. Argon. III. 131 ; Kallim. H. in Jov. 47 ff.
3) Bhes. 540 ff.
4) IL XIV. 292 ff.
5) II. VIII. 47 :
V/Jijv tf* Txavfv noXvnlöaxa pTjTfya &ijq<ov
raQyttQov, tv&a r£ ol xifitvog ßatfiog re &vrjetg.
6) Klausen Aeneas u. die Penaten. I. S. 178. 557.
7) 11. XII. 605.
8) So l&83t Bakchylides Kaikos noch vom Ida entspringen , Euripides den Marsyas
Kelänä bewohnen ia/arots^iStig ronoig Strabo XIII. 2. 70.
y
398 Drittes Kapitel.
Altai des Zeus auf seiner Spitze, als ihres nazQyos, in unmittelbare Beziehung
stellen. Ja wir dürfen uns auch nicht scheuen, Sipylos, die Heimathstadt
derselben in der Auffassung des Aeschylos in den Bereich des Idäischen
Berglandes zu ziehen. Daran erinnern will ich auch, dass unter den Namen
y der Niobiden uns ein Ilioneus1) begegnet, welcher unmittelbar auf Ilion,
als Heimath hinweist. In der Ilias begegnet uns ein junger Troer Ilioneus,
Sohn des reichen, von Hermes geliebten Phorbas2).
Nun aber treten uns gerade da selbst für den Niobemythus höchst inter-
essante ethnographische und religiöse Verhältnisse und wichtige Namen auf.
In der homerischen Welt lernen wir hier neben den Troern, mit denen der
jüngere Namen Teukrer identisch ist, die Dardaner kennen, die zunächst
zusammengehören, aber gleichsam als zwei mit dem Körper verbundene, von
einander ihr Antlitz abwendende, nach Asien diese, nach Europa jene ge-
richtete Individuen sich darstellen3) ; es sind diese die ältere, im weiteren
Sinn urgriechische oder pelasgische, mit Phrygern stark sich mischende, in
das Gebirge mehr zurückgedrängte Bevölkerung, während in Troern oder
Teukrern die Einwirkung von der See aus und zwar von dem kretisch-lyki-
schen Stamme, der von Kreta aus eine sehr weitgreifende Wirkung auf die
kleinasiatischc Küste geübt hat, auf dieselbe Urbevölkerung nicht allein aus-
drücklich bezeugt wird, sondern im Namen und besonders Culten, vor allen
dem des lykischen Apollo noch später lebendig ist. Wie diese Zuwanderung
bei Hamaxitos und dem späteren berühmten Smintheion des Apollo nahe der
in die See weitragenden Landspitze des Lekton, in dem angränzenden Ge-
biet von Larissa uns von Kallinos und vielen andern bezeugt wird4), wie sie
auf Ilion selbst entschieden gewirkt hat, so kennen wir aus Homer am Nord-
fusse des Ida eben in jener Ebene Adrasteia ein Sminthion5), angränzend
ferner bei Zeleia ein Lykien6; mit einem Heiligthume desselben Apollo,
1) S. oben S. 96.
2) Hom. IL XIV. 469 ff. 501.
3) Die Darstellung von Deimling Lel«ger S. 87 — 95, wonach die Dardaner ein griechi-
scher Stamm, die Troer ein phrygischer war, ist durchaus falsch und widerspricht allen
ältesten Zeugnissen seit Kallinos, wie der religiösen und geschichtlichen Stellung beider.
4) Strabo XIII. 1. 48 1 roig yag ix rrje Apij'f ijf aifiiypivoig Tivxqoic (otfc ngÜToe nttQtfto-
xtv KaXXlvoQ 6 T»jf iXeyetas noiTjTrtf, rjxolov&iioay Jk nollol) XQ^h0^ Vv auto&i nmiyCaofrai
Trp> fiovrjv onov av ol ytiyevttg avroig int&tSvrai xrl.
5) Strabo XIII. I. 4S: xnl iv rjj ITaQtnvy 6* lorl xta^lov xa Sptv&ta xal*vptvov;
ebendas. XIII. 1. 13. Dort ist Merops der treffliche pdvxis, der Vater von Amphion und
Admetos zu Hause. II. II. 830 — 35.
6) Hom. II. II. 824 mit Schol. : tav rriv plv x^Qar xaXft AvxCav, tovg dk o/xijropac
Trakts' V. 103 mit Schol.: ort rj vno TjVtfj AvxCa to nalaibv ZiXtiu IxaUtro Sta io xov
*AnoHmra h avrij liav tvaeßfTa&at,
Kleinasiatische Stätten der Niobesage überhaupt. 390
des Apollo ^VHtjyevrjg1), seinem Helden Pandaros und den Troern als Be-
wohnern.
In unmittelbarer Nähe des Gargaron, der Idaspitze aber, an seinem gan-
zen Südabhange begegnen uns drei, ja vier wichtige Stammnamen nahe bei-
sammen, nämlich Kilik er, Leleger mit Kaukonen2) und Pelasger.
Die Mittelpunkte ihrer Macht waren Thebe und Lyrnessos*) für die ersten,
Pedasos4) für die Leleger, Antandros*), weiter Larissa*) für die dritten. Sie
stehen in enger Wechselwirkung mit einander und in den Genealogien gehen
sie in einander über. Bei ihnen allen ist ein gemeinsamer, von den speci-
fisch kleinasiatischen Stämmen verschiedener, urgriechischer Bestandtheil,
bei allen die von Aussen, über die See gekommene religiöse Cultur mit dein
Dienste des Apollo und der Artemis unverkennbar.
In besonderer Blüthe erscheinen unter ihnen die Kilik er, die die herr-
liche, noch heute wie ein prächtiger Garten erscheinende , reichbewässerte
Ebene von Adramyttion oder das Thebegefild hart am Südrand des östlichen
Ida, des Piakos bewohnten. Da lag die zu Strabos Zeit7) ganz zerstörte
Stadt Thebe Hypoplakie, die hoch thorige, ummauerte, heilige Stadt des
Eetion8]. Thebe selbst wird bald als Tochter des Kilix genannt8), bald die
Tochter eines Pelasgers Granikos, Adrameus oder Adramystes, des Gründers
von Adramyttion und als Preis im gymnischen Wettkampfe von Herakles ge-
wonnen, welcher dann die Stadt Thebe gegründet habe 10) . Also auch hier
ist die Heraklesgestalrmit Thebe wie in Böotien verbunden. Endlich begeg-
net uns auch hier eine Ebene Apia11)., also ein Name, der der Urzeit der
Peloponnesos angehört und den wir in Argos mit Niobe in specieller Verbin-
dung fanden.
1) 11. IV. 119. Zeleia ist eine Uqij.
2) 11. X. 429; dazu Strabo XII. S. 4 und Deimling Leleger S. 95 ff.
3) Hom. II. 11. 69 ; XIX. 60 ; XX. 92. 191. Strabo X11I. 1. 7: ij rifr KiXtxuv Jittj/,
ff fih OTjßatxr), ff <J£ stvQvyooCs.
4) Hom. II. XXI. 84; XXII. 51. Die Gegend von Assos, Gargaris, Andeira, Pioniai
1 elegisch. Strabo XIII. 1. 55.
5) Herod. Vll. 42 : "Avtov&qov tiiv Iltkaoytöa.
6) Schol. Hom. II. XVII. 301 ; Strabo IX. 5. 19; XIII. 1. 47.
7) Strabo XIII. 161 : Ivtav&a yttQ xal r\ &nßi xal ri AvQvrjaaog tyvprov xmqlov • tQifftot
<T a/LHfoTtQai. Auch Schol 11. I. 366 : Syjßtj /(OQtoy tyifuoy. Pliniut H. N. V. 30. 32 rech-
net sie su den Städten, die interiere. Vgl. Mela I. 18. 2, Steph. Bys. s. v., Virg. Aen. IX.
697 mit Servius.
8) 11. I. 366; II. 691 ; VI. 396, 416, 425, Schol. ad Xlll. 172; XXII. 479. Ein Troer
&lßa7osl\. VIII. 120. Stellen der Lexikographen etc. bei Unger Theb. Farad, p. 74—76.
9) Diod. V. 49.
10) Dikaearch bei Schol. 11. VI. 396. Interessant die Notiz, dass in Adramyttion neben
anderen Ortschaften auch die Cilioes Mandacadeni in Troas ihre Geschäfte machen, neben
die Pionitae aus Gargara gestellt. Plin. N. n. V. 32.
11) 'Anlag nitov, o vniQxujat iv t$| fitaayata xov O^ßtjg mdCov Strabo XIII. I, 70.
400 Dritte« Kapitel.
Die Ebeue von Thebe war bald ein Streitapfel der vordringenden Myser
aus Teuthrania und der Lyder oder eigentlich Maeoner, später der Aeoler1),
die enteren haben sie beherrscht, daher Teuthras auch König der Kiliker
genannt wird und durch sie ist der phrygische Dienst der Kybele in diesem
Gefilde wie dann auf der Spitze des Ida zur Herrschaft gekommen, wo er
mit dem Dienst der alteinheimischen Mater Idaea2), wohl zuerst einer näh
renden Nymphe des Berges, der Ide, dieser Mutter der Thiere und auch mit
der Zeusgemahlin Hera verschmolz.' So kennt man in jüngerer Zeit auf dem
Ida ein Doppelheiligthum von Zeus und der Göttermutter s) und Thebe wird
Gemahlin des Korybas, des Einfuhrers des Dienstes der Göttermutter4).
Für uns entsteht nun die einfache Frage, haben wir für die kleinasiati-
sche Lokalisirung der Niobe und ihres Geschlechtes ausdrücklich in dem
Aeschyleischen Drama die Beziehung zur Landschaft von Troas, speciell zu
dem Adrasteagefilde und zum Ida , zu dem Zeusheiligthum auf demselben,
zeigt sie sich hier im Bereich urgriechischer, unter kretisch-lykischem Ein-
flüsse stehender Bevölkerung, ist da nicht auch die Thebe der Niobe von
Sipylos einfach zunächst in jener Thebe Hypoplakie der Kiliker zu
suchen.' Wir haben also hier uralten Zeuskult, daneben den Gült einer müt-
terlichen Gottheit, wir haben ausdrücklich Nymphencult in reichster Weise
mit der Quellenfulle am Ida, zugleich mit Silenen und Hermes bezeugt5),
wir haben endlich andererseits an der Küste im Bereiche der Thebe die hoch-
berühmten Stätten des Apollodienstes in Chryse und' in Killa, und zwar als
des bogenschiessenden, vernichtenden, zu versöhnenden lykischen, mit Leto
und Artemis verehrten6] Apollo, als des die sommerliche Landplage der
Mäuse sendenden und davon befreienden, Orakel durch die Neokoros Sibylla7)
gebenden Smintheus, als des in der Wärme zeugenden, durch Eselopfer wie
1) Strabo XIII. 1.61 : Otjßrjg ntMut, o dt« rrfv aQtrijv ntQtj^äxfjtov ytvta&at ifaol Mv-
oole fth xalAvöois rotg nQoreQov, rotg cT "EXXrjotv vOTfqor rotg inotxqaaatr ix rijg AloM&og
Mal rijg Aiaßov.
2) Gerhard gr. Mythol. I. 1*10. 2; 141 scheidet sie mit Recht zuerst ab von den ver-
wandten Gestalten.
3) Pseudoplut. fluv. 13. 3: r«Qy«Qov onov dtbg *a\ MtjTgbe #<o>>' ßtopol xvyxavovatv,
Inschrift vielleicht auch auf Khea bezüglich bei Clark e, Trav.II. 1. p. 12b, Klausen Aeneas
etc. I. S. 1 28 ff. Die mit Apollo Smintheus und Asklepios daselbst verehrten Mo^vvtTxm
wahrscheinlich Korybanten von Mosyna Böckh C. 1. n. 3577.
4) Diod. V. 49. Auf Dardan os, Sohn des Idaios führte man auch später die Grün-
dung des Heiligthums der Göttermutter auf dem Ida und seine Weihen zurück (Dion.
Halic. I. 61).
5) Man vergleiche bes. Hom. h. in Ven. 9$ ff., 254 ff., 285. Die QQtla pttrrjQ &tt»v,
kommt zu xunro&Qififiovag 'Iduiäv Nuftifäv anonlaq (Eur. Hei. 1321 ff.).
6) Hesych. s. v. jiuxaiov,
7) Paus. X. 12. 3.
Kleinasiatische Statten der Niobesage überhaupt. 401
von den Hyperboreern geehrten Heerdengottcs Apollo Killaeos1), endlich wir
haben daneben ausdrücklich Dienst der Artemis in Thebe selbst, wie unmit-
telbar dabei in Astyra2;. Und dass Leto mit Apollo Smintheus in engster
Beziehung steht, ergiebt sich daraus, dass ihre Verwandlung in eine Spitz-
maus, das Symbol des Smintheus, bezeugt ist *) .
Das Schicksal des Königshauses von dieser Thebe4) erinnert auffallend
an das der Niobe. Der Vater der Andromache, Ection, wird von Achill ge-
tödtet, ihm ein Grabmal errichtet, um das die Jtergnyinphen, diese Töchter
des Zeus, Ulmen gepflanzt haben. An Einem Tage fallen allen sieben Söhne
des Eetion, wehrlos als Hirten bei den Heerden am Ida getödtet, die verein-
samte Mutter wird losgegeben, aber im Hause ihres Vaters von der pfeil-
frohen Artemis getroffen. Andromache bleibt allein übrig von der ganzen
Familie.
Spuren der Pelopssage sind uns auch in der Ebene von Theben gegeben
in dem Namen Kilikia, dem Berg und Heiligthum Killaion, dem Fluss Kil-
los, indem man bei dem K Maischen Heiligt hume ein grosses Grabmal eines
Heros Killos oder Killas5) kannte, der Wagenlenkcr des Pelops gewesen und
diese Gegend beherrscht habe0), welcher auch zur Gründung des Apollo-
heiligthumes gemahnt habe 7) .
Endlich können wir hier zu jener Stelle desAthenagoras, die wir bereits
früher besprochen8), zurückgreifen, nach welcher die Kiliker Niobe als Göt-
tin geweiht und verehrt haben. Sie gewinnt erst ihr volles Licht, wenn wir
unter deiiKilikern ursprünglich jene troischen Kiliker am Ida, die Genossen
der Lykier, Leleger und IVlasger zu verstehen haben, wenn wir an die kili-
kische Thebe uud den Ida Niobes Gestalt, ihre Verehrung anknüpfen und sie
neben einer Mater Idaea, einer Adrastea, neben den Qucllnymphen der Ge-
gend und zugleich in Bezug zu Zeus und gegenüber jenem lykischen Apollo
und Artemis hinstellen.
1) Strabo XIII. 1. 62 u. 03; dazu Klausen Aeneas u. Penaten I. S. 323; Philol. VII.
S. 505.
2) lphinoe Schwester des Eetion, zu welcher Chryse flüchtet, opfert der Artemis
s. Schol. II. I. 300. Hain der Artemis Astyrene zwischen Antandros und Adramyttion,
Strabo XIII. I. 51 u. 05.
3) Anton. Liber. 23 : — elx«£tTM — piyuXr) Ji Aipia. •
4; Hom. II. VI. 415—428.
5; Paus. V. 10. 2 nach den Exegeten von Olympia.
0) Strabo XIII. 1. Gl : lau dl xul KiXXov prijpa nfnl rb tfQor rov XiXXttfov 'JnoXXw-
vog /w^« f*€) «i* rjvfoxov Jl touxor IUXonog (fttoiv »/yijaw/ifi'oi' rar lonuti; «#/" ov Tautg i/
KiXtxfa rj ifjtnuXiv.
7) Theopomp bei Schol. 11. I. 3S, wonach Killos auf dem Zuge des Pelops nach Hel-
las bei Lesbos, welcher auch zur Gründung des Apollo heiligthum es gemahnt, plötzlich
stirbt und Pelops im Traume erschien. '
S; S. 137.
Stark, Niobe. 26
402 Drittes Kapitel.
Nun sind aber zahlreiche Spuren einer Verbindung der in weiterem Sinne
urgriechischen, mit den Lykiern zunächst verwandten Küstenbevölkerung
Kilikiens und Pamphyliens1), die wir von den vordringenden, die Haupt-
masse des Landes besetzt haltenden Semiten 2) scharf zu scheiden haben, mit
den eben genannten Punkten von Troas in Namen und Culten nachzuweisen.
Man kannte ein später auch verschollenes Thebe mit einer Quelle Amymone
und Lyrnessos in Pamphylien ebenso wie in dem östlichen Kilikien verbun-
den mit dem Aleiongefilde3), auf den Cult des lykischen Apollo mit Sarpedon
verbunden und Artemis haben wir früher bei Besprechung des Sarpedonion
hingewiesen, die dem Sarpedonion benachbarte Grotte der Nymphen und des
Apollo mit Namen Korykion4) war hier hochberühmt, wie wir ihr in Pam-
phylien, Kreta, bei Erythrä in Jonien, am Parnass begegnen, apollinische
Propheten, wie Kalchas, Mopsos, Manto, Amphilochos spielen bei Stadtgrün-
dungen eine Rolle ö) . In diesem ethnographischen und religiösen Bereiche
haben wir daher auch Niobe in Kilikien zu suchen.
Wie wir das phrygische Volks- und Religionselement in der eben be-
trachteten Idalandschaft die Herrschaft gewinnen sehen über die lykisch-
kretische Macht und Cultur, die erst später von Lesbos aus durch äolische
Colonisation wieder bekämpft wird, wie uns dieselbe Erscheinung im Her-
mosthal am bekannten Sipylos begegnen wird6), wie daher der Sprachge-
brauch der späteren Zeit Phrygien auf Troja so gut wie auf Sipylos aus-
dehnt7) und religiös die volle Verschmelzung der älteren Religionserschei-
nungen und Gestalten am Ida mit phrygischen sich geltend macht, so wan-
dert Niobe in der Auffassung des Nonnos8) weit landeinwärts an die Mittel-
1) Deimling Leleger S. 14. 15.
2) Das spricht die eine Ansicht, die Strabu (XIII. 4. fi) anführt, richtig aus : ol <f £ —
tovg cf£ KfXixag tovg iv TqoIu ptTavaariivrag dg Zugtav avtpxtofiivovg anotffiia&ai naQct
tu))' ZvQtov rrj)' rvv Xtyoutvrjv KiXixCar. Man vergleiche auch den ältesten Namen 'Yna^aiol,
der von Kilix als Phönicier verdrängt ward s. Herod. VII. 01 mit Bährund Scholl, zur Stelle.
3) Strabo XIV. 4. 1 : yaol J' iv plv riji ficra^v ^aörjUiSos xal 'AtraUag ötCxvvo&at
Srißf^v tt xal Avovi\Qabv ixntoovrtür ix rot) Tquhxov Stjßrig nedlov xtäv TgtoixtSv KtXtxwv
fig rijv ITa/MpoXfav ix pfyovg, dtg fTQtjxt KaXXtO&tvrjg.
3) Ders. XIV. 5. 21 : xwv <T iv Tyoltt KtXtxtov, (ov "OfirjQog fttfirtitat noXv dttono-
rcur dnb rtSv ££fti rov TavQov KiXixtov ol filv anoq «tvovaiv «i'XrjyiTag tovg iv rrj TQotq tov-
ttav xal dtixvvovot tivag ronovg xavtavda SaniQ iv Tij IfafKf'vXta Sfißrjv xal AvQVrjoabv,
ol <T' ifinaXiv xal *AXr\iov ti nitiov xaxfT Jiixvvovot. Lyrnessos inCilicien als bestehend be-
zeugt von Avien. Descr. orb. terrar. 1040 : Lyrnessusque dehinc, hie Mallos et Anchialea.
Wahrscheinlich auch Vib. Sequest. flum. : Amymone Lyciae non longe a Thebis.
4) Strabo IX. 3. 1 ; VIII. 5. 1 ; XIV. 4. 1 ; 1. 32.
5) Vgl. bes. Strabo XIV. 5. Iti u. 17.
6) Anacreont. Od. 22 : ff TautaXov not foty Xt&og 4>Qvyüv iv ox&ate.
7) Strabo XII. 3.
S) Vgl. oben S. 61— «6.
Niobe am Sipylos. 403
punkte Phrygiens. Sie begegnet uns am Sangarios in der Mitte des reichen
phrygischen Ackerlandes, im ächten Lande Askania, ebenso bei dem benach-
barten Nikaea oder Astakos, sie wird mit der am Rhyndakos am Fusse des
Didymaherges aufgewachsenen Aura unmittelbar zusammengestellt. Ihre
Beziehungen zur Adrasteia treten auch hier hervor. Es ist im Wesentlichen
\^ die östliche Fortsetzung des Adrasteiagefildes am Hellespont, das acht bere-
kyn tische Land, in dem nun Niobe und zwar mit dem Sipylos versetzt wird.
Aus derselben Anschauung geht es hervor, wenn auch Niobe mit Pelops
und Tantalos nach Paphlagonien versetzt wird1). Es kam hier noch
dazu, dass an der paphlagonischen Küste am Flusse Parthenios Kaukonen,
ein pelasgischer, urgriechischer Stamm der Sago nach ansässig waren, der-
selbe, welcher in Pylos, in ganz Elis und in Westachaia bei dem mythisch
für Pelops bedeutsamen Olenos die älteste Bevölkung bildete*).
§ 27.
Uiobe am Sipylos und im Zusammenhang mit der Sage des Tantalos und Pelops.
Unter den vier grösseren Flussthälern, welche von dem kleinasiatischen
Mittelplateau sich wesentlich westlich nach der Meeresküste zu erstrecken und
von schroff aufsteigenden Parallelzügen von Gebirgen eingeschlossen werden,
in ihrem Hereiche herrliche, eine üppige Fruchtbarkeit bezeugende Tiefebenen
umfassen, ist das Hcrmosthal an Ausdehnung und an historischer Bedeut-
samkeit entschieden das bedeutendste. In seinem oberen Theile sich zer-
fasernd gleichsam in eine Reihe kleinerer Wassergebiete und so zur Hoch-
ebene aufsteigend, zwischen denselben eine als Katakekaumene, „das ver-
brannte Land" bekannte, ganz aus vulkanischer Asche und Lava bestehende,
trefflichen Wein erzeugende llügellandschaft umfassend wird es von Sardes
an und dem einst durch die Kunst geregelten und umgränzten SeeKoloe oder
Gygäischen See zu einer breiten mit weichem Alluvialboden [no%a^i6%(ji(nog)
aasgestatteten Ebene, welche als Sardianische, als Kyros- und dann Hermos-
ebenen im Alterthum bekannt war3) Im Süden erhebt sich hier majestä-
tisch der von uns oben näher charakterisirte Sipylos und bildet mit einem
Jiergzug am Meer den Eugpass, durch den der Mennos sich drängt um auf
1) Diod. IV. 74 mit oben S. S4, vgl. dazu für Pelops Apoll. Khod. Argon. II. 35* mit
Schol. ; Istros bei Schol. Pind. Ol. I. 37, IX. 15; Tzetz. ad Lycoph. 150 und Krahner in
Ersch u. Gruber Encyclop. d. W. Art. Pelops. S. 2*4.
2) Strabo VIII. 3. 17; 7. 5 ; XII. 3. 5.
3) Strabo XIII. 4. 5: vnoxfirtti Jl ry nokti ro xt ZttyStavov ntöior xttl ro iov Kvgov
xa) ro tov "fifjfiov xal to KavOTQinrby, avrt%ij te ovra xttl narrmv uQiaitt ntttttov. Der
Name Kvftov tth}(ov war ein von den Persern gegebener Strabo XIII. 4. 13. Die Kayster-
ebene gehört aber jenseit des Tmolos, sie war durch einen kurzen PasR mit Sardes ver-
bunden.
26*
404 Drittes Kapitel.
einem Deltavorland in das Meer sich zu ergiessen. Auf der Nordseite steigt
die Ebene allmälig zu den Vorbergen des Temnos auf und ist von Neben-
bächen und Flüsschen, wie dem Phrygios durchzogen.
Diese an Getreidebau, Fruchtbäumen, Wein hochgesegnete Landschaft,
welche in den vom Tmolos und wie bezeugt wird, auch vom Sipylos herab-
kommendent kleinen Bächen auch einst eine Ausbeute an Goldsand dar-
bot f) , ist aber im Alterthum wie in der neuesten Zeit durch gewaltige Erd-
erschütterungen heimgesucht, die im Zusammenhange mit jenen jungen, in
historischer Zeit noch thätigen Vulkanen der Katakekaumene wie der älter vul-
kanischen, trachy tischen Natur der Westseite des Sipylos und der Küstenberge
stehen. Und ganz besonders ist die Gegend von Magnesia hart am Sipylos-
abhange von denselben betroffen worden. Wir lernten ihre Wirkungen in
den jähen zerrissenen Felsabstürzen wie dem eigen thümlichen Sumpfsee am
Fusse des nordöstlichen Sipylos kennen. Dass ebendaselbst die Windstösse
einen sehr heftigen Charakter annehmen, liegt in der Natur des Ortes und
ward auch von neuern Reisenden beobachtet, wie man sie im Alterthume
gern mit den Erdbeben in Beziehung setzte2;. Das berühmteste Erdbeben
der späteren Zeit des Alterthums war jenes unter Tiberius, welches Magnesia
nächst Sardes unter zwölf Städten am meisten betroffen und wobei Tacitus
von der sich öffnenden, Menschen verschlingenden Erde, von gesenkten Ber-
gen, steilen Hebungen, von Feuerflammen berichtet3) ; in einem berühmten
Denkmal zu Rom, dessen Basis in einer Copie in der Puteolanischen Basis
uns erhalten ist, hatte es seine Dankbarkeit für die kaiserliche Munificenz
dabei ausgesprochen *) . Strabo schliesst daher mit Recht, dass auch der Un-
tergang einer Stadt Sipylos in unmittelbarer Nähe von Magnesia, wenn auch
in eine vorhistorische Zeit fallend, durchaus nicht als Mythus anzusehen sei 5) .
Schon früher weist Aristoteles auf diesen Untergang von Sipylos bei Bespre-
chung der Erdbeben hin und hebt hervor, wie dabei ähnlich dem Schütteln
1 ) Die Stellen in Bezug auf den Paktolos sind zahlreich ; die genaueste wohl bei Phi-
lostr. V. Apoll. Tyan. VI. 57. p. 127. 24 ed. Kayser : XQvaiu Y"Q ^Vtti nove JtP Tprilip \pap-
fiüiJrj xa) rovg o/ußpovi (({qhv avTU is tov HnxTtuXbv xttittavQorTttQ, XQ0V(^ ^ — IniXinttv
uviit itnoxXvaiHvra. Für Sipylos kenne ich nur die nicht sehr genaue bei Strabo XIV. 5.
2s : (nach Kallisthenes) wf 6 pfo TttrrnXou tiXovkx; x«) nur IltXo7ii8uiy and rdav nty) *i>Qu-
yiar xal ZtnvXov pnnXlior tytvtro.
2) Paus. VU. 24. 0 .
3) Ann. II. 47 mit Anmerkung von Nipperdey, Strabo XII. 8. IS ; XIII. 3. 5 j 4. S.
4) O. Jahn in Ber. d. K. Sachs. Ges. d. W. philo*. -histor. Kl. 1S51. S. 119—151, wo
zugleich über das Erdbeben selbst die Stellen am vollständigsten angeführt sind.
5} Strabo I. 3. 17 (aus Demetrios von Skepsis): — £</* £p {oho /naiv) xal x£>f*txi xan-
7i6{>T]0(xv xal ZinvXog xctTtOT(>ci(f i xaiit rqv TuviuXov ßaotXtCav, XII. 8. 18: — xal to
7itQ\ £(nvXov xu\ afttTQonijr uvrov [av%>ov ov ött ilfttaüut.
I
(
Niobe am Sipylos. 4Q5
im Siebe Massen von Steinen nach Oben kamen1). Plinius giebt uns mit
Pausanias3) die genaueste Auskunft über Art und Weise und die Stelle, an
welcher die Stadt versunken sei und zugleich über eine mehrmalige Wieder-
holung, er sagt nämlich, dass die Erde selbst sich geöffnet habe, der Sumpf-
see Saloe, den wir mit der unten zu besprechenden Tantalissee für identisch
zu halten haben, an die Stelle der in den Erdschlund versunkenen Stadt ge-
treten sei, wie dies auch von der Stadt auf der Insel Ischia bezeugt wird8) ;
nach Pausanias brach an der Stelle des Berges, wo der Einsturz geschah, ein
Wasserstrom los, bildete den See und zerstörte jede Spur der Stadt. Plinius
berichtet auch, dass Sipylus oder die Tantalis, die Tantalusstadt erst unterge-
gangen sei, dann die an ihre Stelle getretenen Archaeopolis, Colpe (Coloe?
Calpe?) und endlich Libade1). Hier haben wir jedenfalls zu fragen, ob dies
nicht zum Th eil wenigstens verschiedene Namen derselben Stadt waren. Aber
auch das spätere Magnesia in der Diadochenzeit hat bereits neben sich einen
festen Platz, die Palai Magnesia5), worüber zwischen ihr und den Sntyrnäern
verhandelt wird, wie jaauchSmyrnaundAltsmyrna lokal stundenweit getrennte
I; Meteorol. II. 8: onov J* uv y^ytjiai joiovrog aaGfibg, tninoXtt&i 7rXrjd-og Xfötav
SantQ tq>? h> rots Xixroig araßQttTTo/utrcüv • tovtov yetQ rbv tQonov ytvopivov OitO/uov ra
ntQi 2l(tivXov ai'tTQanr].
2) Pausanias entwickelt bei der Besprechung von der in das Meer versunkenen Stadt
Helike genau drei Hauptarten [iMai, , unter denen Erdbeben auftreten ; die letzte und
schlimmste, welche geradezu menschliche Wuhnstätten verschwinden lässt, zeigt er an
Helike und an Sipylos [VIT. 21. (>ff.). Er sagt: toiovto yt Öy xurfXitßtv trfQov rrjv l&tav
[xal if\v ex conj.) IvZinvXu noXiv ^/««r/i« aif>ttvto9ijr<um i£orou tf£ r/ id£a (jjete conj. Kuhn)
xarttiyri tov oqovs , vömq nöio&fv iQ{tvrj xal Xifirr] it otouaCoptvr] Z«X6i] rb /«Opa fytvtro
xal l^t-inia noXttog dtjXtt ttv £r ifj M(JV\], tjqXv rj 16 vÖcoq untxQvxptv uvia tov xtifidnQou.
Mit Hecht ist aus dieser Stelle jetzt ldea als Stadtname entfernt; Tijr löiav bezeichnet die
Art des Erdbebens. Ob das zweite // lobt wirklich in Jjtf* zu ändern sei, scheint mir noch
zweifelhaft, man erwartet eher einen auf den Bergabhang, Bergtheil bezüglichen Ausdruck,
wie xXuvg, ntTQtt, xoQvtfi]. Zur Kritik der Stelle vgl. die Anmerkung bei Schubart und
Walz II. p. 034 und Kayser in Ztschr. f. Alterthumsw. 1S50. n. -IS.
3) Plin. H. N. IL bS.
4) Plin. H. N. 11. DJ : ipsa se comest terra; devoravit Cybotum altissimum montem cum
oppidü Curita, Sipylum in Magnesia et prius in eodem loco clarissimam urbem, quae Tan-
talis vocabatur; V. 20. 21 : intcriere intus Daphnes et Hermesia et Sipylum quod ante
Tantalis vocabatur caputMaeoniae, ubi nunc est stagnum Saloe : obiit et Archaeopolis sub-
stituta Sipylo et inde Uli Colpe et huic Lebade. Saloe, nicht wie noch bei Sillig steht Säle,
ist mit dem trefflichen Codex Hiccardianus (11) und der die Abschreiberfehler nach deren
Archetyp verbessernden Hand (R*) zu lesen; auch der Cod. ine. von Snakenburg hat
Saloe. Der Namen Colpe ist verschrieben aus Coloe, so dass von Plinius dieser für den Gy-
gäi sehen, weiter aufwärts am Hermosthai gelegenen See nach Strabo geltende Name auf
die Tantalis bezogen ward oder in Calpe zu ändern, einen auch in Bithynien wohlbekann-
ten, auf Quellen bezüglichen Städtenamen. Der letzte Name Libade weist entschieden auf
die Xißas 7i4tqu der Stätte hin.
5) Böckh C. 1. n. 3137.
406 Drittes Kapitel.
Stätten waren. Nicht bedeutungslos ist es ferner, dass als früherer Name des
y Sipylosberges ausdrücklich %6 Ksqccvviov oqos, das Blitzgebirge erscheint6).
Und manches mineralische Vorkommen, so des weissen, den ßimstein ähn-
lichen Magneteisens 7), wie nicht näher bezeichnete cylinderförmige Steine, die
man sorgfältig in einem Heiligthum daselbst niederlegte, scheinen auf diese
gewaltsamen Naturereignisse hinzuweisen3). Es wäre wahrhaft wunderbar,
wenn diese, die also in früher Zeit notorisch den blühenden Mittelpunkt einer
Landschaft zerstörten, nicht in der Erinnerung der Umwohner, der verwand-
ten Stämme einen tiefen Eindruck hinterlassen, in der frommen, dichterisch
fortbildenden Volkssage eine bedeutsame Gestalt gewonnen hätten.
Aber wer waren die Bewohner dieses unteren Hermosthaies, wer die
Herrscher am Sipylos? Haben wir es hier nicht, so scheint es, mit einer
durchaus ungriechischen Bevölkerung, mit Mäonen, Phrygern, Lydern, zu
thun, mit ganzen oder Halbsemiten4) ? Und haben die späteren griechischen
Colonisten nicht erst gerade hier eine ausländische historische Erinnerung,
einen fremden Mythus recipirt und sich angeeignet, oder haben sie umge-
kehrt eine griechische Vorstellung auf eine fremde Grundlage angewendet?
Wenn irgendwo, gilt es hier nicht von diesem oder jenem Ausdruck eines
Dichters, wenn auch von der bessern Zeit ausgehend, nur diesen für wahr,
alles andere für falsch erklären, vielmehr auf das ausserordentlich Schwan-
kende im Sprachgebrauche gerade dieser kleinasiatischen Völkernamen mit
Strabo 5) , der in dem hierauf bezüglichen Abschnitte seinen ausgezeichneten
historischen Sinn bewährt, hinzuweisen und durch allseitige Vergleichung
der sonst daselbst auftretenden Namen, Culte, Sitten, Volksbezüge Schritt
für Schritt die Bevölkerungsschichten von einander zu lösen und ihre Auf-
einanderfolge, ihre theilweise Vermischung zu erkennen6). Wir haben bis jetzt
1) Pleudoplut. de fluv. 9, 4.
2} Plin. U. N. XXXVI. 25 bezeichnet das Magneteisen von Magnesia Asiae als candi-
dus neque attrahens Ferrum similisque pumici. In Lydien wird er auch gefunden bei Hera-
klea, hiess daher Xvöfa XOog und Heracleon vgl. Hesych s. v. 'HQtixfoia Xtöog.
3) Pseudoplut. de fluv. 1), 5. ytvvnrat dk Iv ctvro) Xtäog nctQopoioi xvXivÖQtp, ov oltvat-
ßttg vlol oTttv tÜQtoaiv, Iv u?i ikpivki rrjg {urjTQog ruiv Ötaiv rtdtootv — .
4) So nennt Sophokle« El. 82'i Niobc eine Phrygierin und Fremde [lyttfibv &vav), wie
im Aias Teukros, um die Atriden zu schmähen, von aQ/uioy ovra JliXojm ßaQßagov 'hpvya
( 1 292) redet, wie Achill in der Iphigenia Aulidensis des Euripides (956) Sipylos als oQiopa
ßanfiantny Phthia gegenüberstellt.
5) Strabo XII. S. 2 : (über Myser und Phryger) ovita Ji tvrjXXaxTai xavta lv aXXrjXoig
iog itoXXnxig Xfyofitv, wart xcci xi(v imqI rrjv ZtnvXor *l*Qvy(av ol naXaiol xaXovotr — y nal
iov Tdi'jaXor *l>Qvya xttl ihv UiXona xal rrjv Ntoßrjv bnoitytog '6*' av I/o* rj tnaXXng'ig y«-
vtQ(t xrX., xal ol Avtio) xrcl ol Mnloi'tg — iv aiyyvaa no>g ttal xal nQog rovrovg xal TiQog
nXXtjXovg xrX. Vgl. auch Eustath. ad Dion. Perig. *09 und Stellen wie Eur. Bacch. 141,
Ale. üS7, Iph. Aul. 792.
6) Neuere Forschungen und Uebcrsichten über die ethnographischen Verhältnisse
Niobe am Sipylos. 407
diese Methode an den anderen Stätten der Niobesage durchzuführen gesucht ;
hier an diesem Völkerthore, wo griechisches und asiatisches Wesen sich fort-
während begegnet sind, gilt es besonders, ihr treu bleiben.
Deutlich scheiden sich an dieser Stätte drei ethnographische Epochen :
wir haben es nach ausdrücklichen Zeugnissen zuerst zu thun in dem unte-
ren Hermosthai mit Pelasgern, d. h. Urgriechen und ihrer Hauptstadt
Larissa und pelasgischer Cultur und Gottesdiensten neben Le legem, als
Küstenbewohnern !) und anderseits einem an sie angränzenden asiatischen,
aber indogermanischen, den Phrygern am nächsten stehenden Stamme der
Ma eoner, der sich auch über die Südseite des Tmolos in das Kaysterthal
und nördlich über einen Theil Mysiens hinzog2) ; das pelasgische Element
hat eine Zeitlang einen weitreichenden Einnuss geübt, wir haben in der Stadt
Sipylos den Mittelpunkt einer wesentlich griechischen, auf Mäonen gestütz-
ten8) , durch Reich th um an edeln Metallen und mannigfache Industriezweige be-
deutenden Herrschaft zu suchen. Uic zweite Periode wird eingeleitet durch
Zerstörung dieser Herrschaft infolge von Kämpfen mit einem Nachbarstaat,
der in sich wahrscheinlichen Tradition nach, mit der troischen, nach He-
gemonie im weiten Kreise strebenden Dynastie4), durch Herausdrängen
der Pelasger auf die See oder grosse Schwächung, wobei gewaltige Natur-
ereignisse zerstörend einwirkten. Zugleich oder sehr bald darauf dringt wie
in der Idalandschaft so im Hermosthai eine den Mäonen ohnehin naheste-
hende phrygischc Bevölkerung vor und mit ihnen sie beherrschend
hier eine semitische Dynastie, vielleicht mit semitischem Kriegsadel
und Priesterschaft, der Name der Lyder erscheint mit ihnen und die assyri-
schen Herakliden herrschen von dem neugegründeten Sardes aus5). Auch
dieser Gegend bei Abel Phrygien in Kealencyclop. d. klass. Alterth. V. S. 1569—1580.
Gerhard Volksstamm der Achäcr in Abhdl. Berl. Akad. d. W, 1**53, bes. S. 426, 446.
E. Curtius die Ionier etc. 1SV>, G. Curtius d. Sprache der Lyder in Höfer Zeitschr. f. W.
d. Spr. II. S. 220, Hupfeld Quaest. Herod. Diss. IL, Duncker Gesch. d. Alterth. 2. Aufl.
1. S. 229—63, Deimling Lcleger S. 13—25. 80 f.
1) Strabo XIII. 3. 2 ff. Larisa Phrikonis Hauptpunkts. Hom. IL II. S41. XVII. 2**.
301., vgl. noch Plin. IL N. V. 32; Piasos mit lasos zusammenzustellen und seine Tochttr
I^arissa Leleger in Smyrna (Strabo XIV. 1 ff.).
2) Strabo XIII. 4, 5; Plin. H. N. V. 29. 30.
3) Plinius nennt zwar Sipylus caput Maeoniae, dies war es auch wohl politisch, aber
ethnographisch ist der eigentliche Sitz der Maeoner weiter östlich am Hermos, Cogamos,
unter dem Tmolos und Homer nennt Hyde als Mittelpunkt II. IL 804 ff. ; VII. 221. Dort
lag auch die spätere Stadt Maeones.
4} Dargestellt in den Kämpfen des Tros oder Hos mit Tantalos oder Pelops beiDio»
dor, Nicol.Damaskenos, Pausanias s. oben S. 84 ff. ; Tzetz. Lycophr. 355, Kuseb. Chron. II.
p. 123, Syncell. p. 103, (lazu Krahner im Allg. Encyclop. im Art. Pelops S. 288. Die Pe-
lasger und Maeoner vom Hermos sind in der troischen Symmachie.
5) Herod. 1. 27. 2*s VII. 74 mit Noten von Bahr; nach Strabo XIII. 4. 5 ist Sardes
ausdrücklich jünger als ra Ttywix«. Vgl. dazu Duncker Gesch. d. Alterth. I. S. 285 ff..
\/
408 Drittes Kapitel.
am Sipylos setzen nun rein phrygisehe Culte, wie am Ida sich fest und es
bildet sich eine specifisch lydische, semitische Sage von Niobe.
Es erfolgt nun ein Rückschlag von Griechenland aus in äolisch-achäi-
scher und ionischer Colonisation ; von Kyme an der See wird von Aeolern
aus Thessalien unter Pelopidenabkömmliugen und unter anderen auch von
Magneten1) wieder die Mündung und der untere Theil des Hermosthales ge-
wonnen, der Rest der pelasgi*chen Elemente herangezogen, zum Theil ver-
setzt nach Kyme und nun am Sipylos neue griechische Niederlassungen viel-
leicht in mehrmaligen Versuchen gegründet, die so scheint es zunächst als
Gegend2], dann als eine Stadt den Namen Magnesia erhielt.
Eine eigene Gründungsage von diesem Magnesia am Sipylos, wie die
wichtige an Apollo hängende von dem Jüngern am Mäander giebt es nicht,
es mag dies in den eben angedeuteten Verhältnissen der Ansiedelung liegen.
Ihre Bezeichnung wird durchaus von Sipylos entlehnt (Mdyvrjzeg oi %ov 2i-
nvkov oixovvreg, o'i %a nQog ßo^qäv vifionai tov ~invXovy Mayvrjoia fj vnb
2V/rtUy, fj 71qoq2mvXovz), Mdyvtjteg dnb Sinvlov*), Magnesia ad Sipylum,
Magnetes a Sipylo ;, selten vom Hermosfluss 5) . Umgekehrt wird auch der
Sipylus in Magnesia gesetzt.
Diese Magneten treten nun ein in die religiöse Erbschaft gleichsam einer
frühem urgricchischen Zeit aber auch der bereits hier nun fixirten phrygischen
und innerasiatischen Einflüsse ; sie bringen zugleich aus Thessalien eine hoch-
alterthümliche, heldenhafte Sitte, eine mit Gebirge und Walduatur, mit Ver-
ehrung in Grotten, auf Gipfeln, an Quellen verwachsene, an Zeus, so den Ho-
moloios und Akraios, an Apollo als Licht- und sommerlichen Weidegott, oder
Waldgott (Ykdtr^g), aber auch als Spieler der Kithara und Heilgott, an Ar-
temis die Jägerin, aber auch die Mondgöttin, vor allen sich anschliessende
religiöse Anschauung mit6) ; mit ihnen wandert die specifisch achäische Hel-
^ densage, die an Deukalion und Pyrrhas Namen genealogisch angeknüpft
1) Nach Pseudoherod. V. Hom. I. kommen in Kyme zusammen iravtotittna ithta'/CX-
Xrjvtxa xat ih) xtä fx Mayrrjotae; ein Magnesier von Thessalien ist Melampos der Grossvater
Homers. Mtiyiyg der Stammheros von Acolos abgeleitet Paus. VI. 21. 7. Strabo nennt die
Magnesia ad Maeandrum nobg Atoktg (XIV. I. 39), spricht von Aloktiov rm> tv Mayrrjafff
(XIV. 1. -12). Jedoch nehmen die Magneten eine selbständige Stellung neben den Aeolern
ein. Ich erinnere auch an den -.V/auu»' Xiprjv an äolischer Küste. Ueber Magnesia in Thes-
salien s. Kretschmann Her. Magnesiar. speciraen. Berol. IS 17. Zu den Aeolern vgl. Völcker
Wander. d. äol. Kolon, in Allg. Schulzeit. 1*31. n. 39—42.
2) Plin. H. X. II. 9 t nennt Sipylum in Magnesia.
3) Ptolem. V. 2, Münzen s. Hasche Lexic. r. numm. 111. 1. p. 107.
4) Böckh C. I. IL n. 33S1 : Tatia) Mayy^ng ttnb Smvlov.
5) Paus. X. 4. 4; ttvrjQ Muyvi\g, o'i Ttp"E(ifiiß nQogotxovaiv.
b) Gerhard gr. Mythol. I. § 67 ; Kretschmann 1. 1., K. F. Hermann Lehrb. d. gr. Antiqu.
II. $ 64. 20.
Niobe am Sipylos. 409
ward, die in Iulkos, Pagasae, von Pthia aus sich zur See besonders verbreitet
hatte, die Sage von Lapithen, von Jason, von Achill, von den achäischen
Königen in der Peloponnes in das Hermosthai und findet dort überall alte
Anknüpfungspunkte in jener pelasgischen Vorzeit1), findet in den aufblühen-
den nachbarlichen Städten, wo die verschiedensten griechischen Stämme und
Geschlechter wie in Smyrna, z. H. als Colonisten sich freundlich und feind-
lich berührten, eine farbenreiche Ausbildung im Munde der epischen Sänger.
Gleichzeitig damit fällt die in einem grossen auch priesterlichen Zusammen-
hange geförderte Entwickelung des Apollodienstes, die von den lykisch-kre-
tischen Culten anhebend bei den Ion er n und dann den Dorern ihn mit Leto
und Artemis zu einer Dreieinheit ausbildet mit besonderer Hervorhebung
göttlicher Allmacht und Heiligkeit gegenüber dem Menschen und aller irdi-
schen Kraft. Und die Magneten spielen erweislich hierbei eine sehr bedeut-
same Rolle, wie dies die Magneten in Kreta , wie ihr Führer Leukippos, der
Abkömmling des Bcllerophon, wie dies endlich ihre Colonisation an dem
Mäander als heiliger, zu besonderer Gastlichkeit z. H. verpflichteter Men-
schenzehnten des Apollo von Delphi erweist2).
Und jenen Sängern zu Smyrna, Phokäa, Kyme, Neonteichos, Larissa
lag immer der majestätische Sipylos vor Augen mit seinen Felsenhöhen und
Abgründen, mit seinen Quellen und kleinen Seen, mit der Erinnerung und
Mahnung grosser Erdrevolutionen und Zerstörung reichen irdischen Segens
und menschlichen Glückes. So ist denn hier das Bild eines Himmels auf
Erden, eines zum Himmel strebenden Menschenglückes, aber auch das Bild
eines überkühnen Hochinuthes und göttlichen Strafgerichtes vor allen lokal
befestigt worden.
Zugleich aber hat der überwiegende Einfluss der phrygischen Götter-
mutter und ihrer speeifischen Trauerfeste, des phrygischen Sabazios, der in
den griechischen Dionysos einging, sich gerade dem Sagenkreis von Tanta-
los, Pelops und Niobe bedeutsam erwiesen, der aber selbst nicht aus ihnen
erklärt werden kann. Wir können auch zeitlich denselben vor allem seitdem
datiren, als in Lydien zu Sardes ein neues und zwar national mäonLsches oder
im weiteren Sinne phrygisches Geschlecht mit Gyges zur Herrschaft kam und
dieses verschieden von dem auf das Hinterland sich stüztenden assyrischen Kö-
nigsgeschlecht seine Macht zur Küste auszudehnen und sich auf griechischen
Reichthum, Handel, aber auch griechische Bildung zu stützen strebte. Mag-
1) So wird Kyme auch als Stiftung des von Elis heimkehrenden Pelops betrachtet
nach Pompon. Mela 1. IV Der Name Pelops in Kyme inRchriftlich bezeugt Bock h C. 1.
n. 3525.
2) Die Beweisstellen bei Gerhard d. Volkstamm der Achäer S. 426. 446. bes. Athen.
IV. 74, Parthen. c. 5, Conon 29, Schol. Pind. Plato Legg. IX. 860 E.
410 Drittes Kapitel.
nesia aber war naturgemäss die erste Stadt, die hier mit den Lydern in lang-
jährigen Kampf gerieth und endlich überwältigt ward *) .
Die späteren Schicksale von Magnesia zu verfolgen liegt ausserhalb un-
serer Aufgabe ; sie bieten des Interessanten genug zu einer eingehenden Un-
tersuchung, deren dasselbe bis jetzt noch nicht theilhaftig geworden ist2).
Nur darauf will ich aufmerksam machen, wie auch noch in ganz historischer
Zeit in die Hermosebene sehr starke Elemente fremder Volksart angesiedelt
sind, durch die Perser in dem Kyrosfeld und in der Hyrkaniaebene am Phry-
gios eine Bevölkerung aus Persien und Hyrkanien am kaspischen Meere8)
sichtlich zur militärischen Sicherung, dann durch Alexander oder einen der
Diadochen, eine Militärcolonie von Makedonen, Reiter und Fussvolk in eben
jener Hyrkaniaebene und auch in Stadt und Land Magnesia gelegt ward4).
Daher uns ganz barbarische Götternamen, daher uns Reste der Anaitis in der
Gegend begegnen und andererseits militärische Gottheiten Makedoniens wie
Ares Aithene und die Tauropolos 5) . Die Verschiedenartigkeit der Bevölke-
rung der Bestandteile Magnesias ist in der hochwichtigen Urkunde des Bünd-
nisses zwischen Smyrna und Magnesia scharf ausgesprochen, aus der zugleich
die Neustadt Magnesia neben der ziemlich verlassenen aber festen Altstadt
erhellt6). Andererseits ergiebt sich ein langes Bestehen magnetischer Son-
1) Nikol. Damask. bei Müller Frgmta hist. grr. 111, p. 396. fr. 62: noXXdxit *lg iip>
Mayrrjriüv yijv trfßnXt * itXog öl xn) xetQovjtti T171* noXiv^ tnaveX&wv 6* ttg ZttQÖtig ntti'rjyv-
Qtig {7iotT,aaTo [itynXonQtntTg. Mit Recht bezieht Duncker Gesch. des Alterth. I. S. 582.
Anm. 2 diese Stelle auf Magnesia am Sipylos.
2) Inschriften s. Böckh C. I. II. n. 3407 — 341 1. Ueber die sehr interessante Reihe der
autonomen und kaiserlichen Münzen s. Mionnet Descr. des medaill. IV. p. 66 — 83. Sup-
plem. VII. p. 371—389.
3) Strabo XIII. 1. J3: — tha tb*YQxdviov nidlov HtQOäv inovo/uoadpKov xa\ Inofoovg
ayayovriov txti&tr {öjuoiiog 6i xa\ tb Kvqov ntJfov IltQOai xctnorofdooar). 'YQxariiv na-
Xtg in der Nähe von Smyrna Böckh C. I. n. 31*1.
-1) Die Macedones Hyrcani neben den Magnetes a Sipylo genannt Plin. H. N. V. 36,
auch Tac. Ann. II. 47. Thyatira Colonie der Macedonicr Strabo XIII. 4. 4; auch Nakrasa
nach Böckh C. 1. n. 3522: ij Maxtdovtov NtcxQttottTtov ßovlrj. Vgl. überhaupt Droysen
Gesch. der Hellen. II. S. 234, 674 f.; O. Jahn in Ber. S. Ges. d. W. hist.-phil. XI. 1851
S. 148. Nach der Inschrift von c. 245 v. Chr. Böckh C. I. n. 3137. au%eführt ol iv May-
trjotcc xdroixoi ol 7t xaitt noXtv Innilg xal ntyol xai ol iv rotg vnai0(toig xttl ol aXXoi ofxrj-
5) In Philadelphia t« utydka oeßaota Avatdua Böckh C. I. n. 342S ; nach Paus.
III. 16. 6 bei den Lydern Heiligthum der "AQitfitg 'Avatttg. Die Schwurgottheiten bei
Böckh C. I. n. 3137. 1. 60.
6) Böckh C. 1. n. 3137. 1. 14. 18. 34. 51. 74. *7. 161. Es wird gesprochen von ol aXXoi
ol oixovrug iv Ma^t^aUt 0001 ti&iv iXtu&tQot xalHEXXtjvtgf also geschieden von ansässigen
Nichtgriechen, ferner von ol ngortQov ovrtg iv Mttyvrjotof xdxotxoi.
Xiobe am Sipylos. 4t 1
derstellung neben dem Hunde der äolischen und dem der ionischen Städte *) .
Unter Pergamenern und unter Rom genoss Magnesia freie Selbständigkeit2),
besuchte als Glied den Städtetag von Smyrna8), zu dem äolische Städte
gehörten, aber auch jene Makedoner der Hyrkania.
Was sind nun die an und um den Sipylos festwurzelnden Götterculte
und Sagenstoffe ? Welche sichtbaren Zeichen für den Niobemythus, für Pe-
lops und Tantalos kannte man noch später dort? Und wie ist nun Niobe dort
genealogisch fixirt? Welches sind die dort eigenthümlichen Züge in der
Sage { Das sind die Fragen, die uns hier zu beschäftigen haben.
Der Sipylos galt, wie der Olymp, wie Ida, als ein Vaterland der Göt-
ter (ftatQig &£<vv) ; dorthin sollte Khea vor den Drohungen des Kronos sich
mit ihren Töchtern zurückgezogen haben, dort war ein Heiligthum von ihr;
dort sollte Zeus mit Semele, der Erdgöttin, zusammen geruht haben4). Die
Stadt Sipylos ist aber nicht überhaupt eine berühmte, alte Stadt, nein der
in Smyrna z. B. einheimischen Sage nach ist sie die erste Stadt (fj 7rQcitrj
noXtg) an und für sich, der Ursitz der menschlichen Cultur und des Glückes ft) .
Voran steht aber Zeus, der Götterkönig, welcher nachEumelos von Ko-
rinth oder dessen Fälscher6) auf demTmolos, dem östlichen Nachbargebirge des
Sipylos und zwar als 'Yitiog geboren war, am Sipylos als Vater des Tantalos,
als Gastgenosse desselben, aber auch als gewaltiger, mit dem vom Adler ge-
tragenen Blitz und Donner strafend vernichtender Gott7) erscheint. Der
ganze Tantalosmythus hängt im Glaubenskreise des Zeus. Wie in Smyrna
der Zeus Akraios verehrt war, wie wir im pelasgischen Larissa den Zeus
Larissenos nicht vermissen können, so ergeben die Münzen auch für Magne-
sia und gerade die autonomen, der Kaiserzeit voraufgehenden sehr häufig die
Darstellung des und zwar mit Lorbeer bekränzten Zeuskopfes, des stehenden
oder sitzenden Zeus durchaus als Aetophoros, mit Blitz und Speer und wohl
auch Adler8). Im Bündniss zwischen Smyrna und Magnesia wird Zeus mit
Hera und Helios zuerst und beiderseitig angerufen, wie zwischen Achäern
1) Herod. IV. 90: dnb fitv cfij lüvwv xal M«ynji iov räiv iv T^Anly xal Alolitov xal
KftQMV xtL in Bezug auf Tributzahlung.
2) Liv. XXXVII. 50. App. Mithrid. «1 ; Strabo XIII. 3. 5.
3) Plin. H. N. V. 29. 31.
4) Schol. Hom. II. XXIV. «15.
5) Aristid. Smyrn. I. p. 270 ed. Jebb : bezeichnet als t« naXaia stiog rt yivktiiv xal /o-
Qtfag KovQtJTMv xal TarrriXou xal IKkonoq oixiGfAOV irjg nQ(6rr)<; 7tolnaq iv Zinvltp y*ro-
fiivr\v — .
6) Vgl. Job. Lyd. de menss. p. 96, dazu Welcker gr. Götterl. II. S. 221.
7) Vgl. oben S. 40.
S) Mionnet descript. des medaill. T. IV. p. ÖSff. n. 361.366. 405. 433. Suppl. T. VII.
p. 371 ff. n. 247—250. 329.
412 Drittes Kapitel.
und Troern !) . Die Gründung eines Heiligthuins von Zeus und Hermes bei
einer von Mauern umgebenen uralten Eiche und Linde am Berge oberhalb des
Sumpfes mit der versunkenen Stadt in den Felopeischen Gefilden, also sicht-
lich Sipylos aus dem Munde des Lelex, des Lelegers erzählt, bildet den rea-
len Hintergrund der schönen Erzählung von Philemon und Baucis bei Ovid2),
welche weiter nach Osten, nach Tyana in Kappadokien unter den Argaeos-
berg verpflanzt ist. Von des Sipylos Gipfeln lässt Nonnos den Zeus Hypatos
die Phrygien überschwemmenden Gewässer, die er als Regengott gesandt,
wieder verlaufen*3). Auch auf eine eigene A die rar t am Sipylos in der Nähe
des Tantalissees, nämlich auf weisse, macht Pausanias aufmerksam 4) .
In der ältesten Erwähnung des Sipylos als Stätte der Niobe tritt uns fer-
ner die Bedeutsamkeit der göttlich verehrten Wasser- und nährenden Erd-
mächte hervor. Arn Sipylos5) befinden sich Lagerstätten der Nymphen,
dort halten sie ihren Reigen um den Acheloos. Noch Claudian6) erzählt
von den Nymphae Maeoniae, die Hermos nährt, die den Bakchos feiern unter
der Theilnahme des Flussgottes. Acheloos ist durchaus ein Repräsentant
fliessenden Wassers überhaupt, der Götterstrom als solcher im Himmel wie
dann auf Erden, er ist eine Gestalt wie Okeanos, Ladou, wie der schon spe-
cieller gefasste Kephissos und Asopos. Seine Verehrung ist im altpelasgi-
schen Religionskreise von Dodona ausdrücklich ausgesprochen. Wir begeg-
nen ihm auch, wie an anderen ältesten pelasgischen Stätten von Hellas, in
Thessalien, am Lykaion in Arkadien, bei Dyme in Achaia, im Bereiche der
kleinasiatischen Pelasger, so bei dem troischen Larissa7), wir begegnen ihm
also hier am Sipylos südlich und nördlich und zwar in der älteren Namens-
form Jix&krjg s) . In der lydisch-asyrischen Heraklessage wird er zum Sohne
des Herakles und der Omphale gemacht und alten König des Landes 9) .
Es ist zu beachten, dass auch in jüngerer Zeit Verehrung der Flussgötter
an den Seiten des Sipylos ausdrücklich bezeugt ist, so Hermos, dieser gött-
liche Strom, der Sohn des Zeus15), so Meles, der Vater Homers, dieses Bad
1) Hom. II. III. 104. 105. 276.
2) Metam. VIII. 621—724.
3) Nonn. Dion. XI11. 534.
4) Paus. VIII. 17. 3.
5) S oben S. 27—29.
6) De raptu Proserp. II. 67 ff.
7) Schol. Hom. II. XXIV. 616: ol dt}i/fXwov bfAtovvpov Tifi Alitolw tlval rc xal allor
7i (q\ Jvfxr\v rrjg si%alas xtil nklov nfQl Adgtooav i% Tgtotedog xal näv vdtOQ ut%kl<p6v
tfttoiv. 6 ynq iv Jtodiovy &edg naQ^vtaev ^/tloio) Öveiv — .
8) Bergk Geburt der Athena in N. Jbb. f. Philol. 1860. Bd. Sl. S. 397, welcher auch
die StadtJix&qf aus Stephanos von Byzanz anführt.
9) Schol. Hom. 1. 1.
10) Getos nojctfjog — ov a&aptttos ttxtio Ztvg im Homer. Gesänge von Neonteichot
Niobe am Sipylos. 413
der Nymphen an den als errettenden Gott eine Dankinschrift gerichtet ist1),
so Hyllos, den man als Sohn des Herakles betrachtete3). Ich mache darauf
aufmerksam, dass in den Gegenden, in welchen altgriechische und phrygi-
sche Anschauung sich stark durchdrungen haben, die männlichen Quell- und
Flussgeister mythisch zu jugendlichen, ins Wasser gestürzten, versunkenen, in
Wasser ihr Blut ausströmenden beklagten und klagenden, Flöte spielenden
Gestalten mit starker Hervorhebung milder Trauer werden ; so ist es Hylas,
ttormos, Askanios, Daskylos, Mariandynos, Daphnos, Marsyas8), dass eben-
daselbst Naiaden mehrfach als Mütter kämpfender Helden genannt werden 4j .
Als eine Nymphe am Sipylos wird uns von Quintos Smyraeos5) speciell
Neaera und zwar in der Gegend des Niobebildes genannt, ihr Lager und
Heilager kommt dort in Betracht. Ausdrücklich hören wir dabei, dass die
Gewässer des Hermos klagend rauschen.
Wir sahen bereits , wie Sipylos als die Stätte aufgefasst wurde, wohin
Rhea vor Kronos sich geflüchtet. Specifisch ward Rhea als Mutter des
Zeus und ihre Umgebung von Kureten auch dort verehrt6) . Dies erweist uns,
wie die eben betrachteten religiösen Gestalten von Zeus, Acheloos, den Nym-
phen entschieden, dass in der Götter mutter, welche als Sipylene nun am
Sipylos in jüngerer Zeit geradezu in den Mittelpunkt des Cultus trat, welche
in Magnesia wie in Sniyrna, hier im glänzenden M^tq^ov1) verehrt war,
durchaus eine griechische Grundlage zu suchen ist, aber hier allerdings den
entschiedenen Einfluss der phrygischen Kybele, von dem benachbarten Sar-
des8), weiter aber vom Dindymagebirge im Quellgebiete des Hermos er-
fuhr. In der lydischen Sage von Attes dem Phryger, der die oqyia Mi}%q6$>
den Dienst der Mutter mit Selbstverstümmelung u. s.w. in Lydien einführte,
ist ausdrücklich der Zorn des Zeus, der sich in seiner Verehrung beeinträch-
tigt sieht, hervorgehoben9). Und wenn Sophokles im Philoktet die Lemnier
anrufen lässt, die bergbewohnende, allnährende Gaea, die Mutter des Zeus
selbst, die an dem grossen goldreichen Paktolos wohnt, die erhabene Mutter,
Pseudoherod. V. Hom. 9. Hesiod. Theog. 3-15 zählt ihn unter den Söhnen des Okeanos
auf. Auf Münzen von Magnesia erscheint er mehrfach, s. Mionnet Uec. des med. IV.
p. GS ff. n. 361. 39S. 399; VII. p. 371 ff. 254. 263. 61. 65.
1) Böckh C. I. n. 3165. Aristid. Smyrn. p. 232: avraTg Xovtqov qvtov — .
2) Schol. Hom. 1. 1.
3) S. bes. Klausen Aeneas 1. S. 10S. 110. 11« ff.
4) Ed. Müller Gyges u. gyg&ische See in Philol. VII. S. 239 ff.
5) 8. oben S. 63. 64.
6) Aristid. Smyrn. XV. p 229 ed. Jebb; XX. p. 260.
7) Aristides p. 232 nennt sie rfjg etlij/vtcts &tov ii(V noliv.
S] Herod. V. 102: h ft aurrjot xal Iqov ?nix(oQ(qg &tov Kvß^ßtjg.
9) Paus. VII. IT. 5.
414 Drittes Kapitel.
die auf stiertödtenden Löwen sitzt1), so ist hier für den Athenieraer gegen
Ende des peloponnesischen Krieges die Einheit von Gaea, von der Mutter
des Zeus, von der Kybele von Sardes mit Löwensymbol unmittelbar ausge-
sprochen. Strabo fasst daher die Sipylene in gleicher Linie auf mit der Mater
Idaea, Dindymene, Pessinuntia, Kybele*).
Die Smyrnäer nennen sie einfach Mqiyq, vollständig MtjttjQ d*u>v 2g-
7Tvlrjvrj9 sie bezeichnen sie als ihre aq%vjyivig9 rufen sie an wie die Magnesier
bei ihrem liündniss8), zur Sicherung der Grabdenkmäler wird ein Strafgeld
wegen Verletzung an die Sipylenische Mutter bestimmt 4) . Aber neben die-
ser Göttermutter verehren sie auch eine Mehrheit von Nemesis gestalten 8),
Töchter der Nacht, ihrem Wesen nach Nymphen, wie Adrasteia, aber durch-
aus in den Bereich des Artemisbegriffes gestellt, viel früher im Gebirge an
einem Quell verehrt, ehe sie in den Stadtbereich durch Alexander den Gros-
sen eintreten. Gerade hierin in dieser Mehrheit, in der Nymphennatur, in
der sittlichen Bedeutung der Weltregierung und Ausgleichung spricht sich
ein acht griechischer fortgebildeter Charakter dieser mit der Göttermutter
sichtlich in Beziehung stehenden Göttinnengruppe aus.
Wie stellt sich aber diese Göttermutter vom Sipylos im speciellen Be-
reiche von Magnesia und dem alten Sipylos? Pausanias giebt uns aus
eigener Kenntniss seiner Heimath zwei interessante Nachrichten, deren einer
wir schon oben kurz gedachten 6) . Bei Gelegenheit eines Tempels und alten
Steinbildes der Göttermutter zu Akriae an der lakonischen Küste wird das
Bild (ob Hautrelief?) derselben auf dem Felsen des Koddinos, das den Mag-
neten am Sipylos gehörte als das absolut älteste t>etrachtet und dem Tantalos-
sohn Broteas zugeschrieben. Also hier wird ausdrücklich Cult und Darstellung
der Tantaloszeit und dem Tantalosgeschlecht zugeschrieben. Die Verwandt-
1) V. 391 ff.:
'Oatorljpa 7i a /Li ßüJTt /Vf, [ittTfQ ttVToi stiog,
a ibv fifyuv IlaxiiaXbr tv/Qvaov rfpug
f4UT(Q 71071'!* —
iio fj.dxai{ta iuvqoxjohov
XfOVJtüV tytdQt .
Vgl. bes. Gerhard über das Metroon zu Athen und die Göttermutter der griech. Mythol.
in Abhd. d. Berl. Akad. d. W. 1S49. S. 459— 490, bes. S. 4SI. 477. Note 15.
2) Strabo XIV. 1. 37.
3) Böckh C. 1. n. 3137. Z. 00.
4) Böckh C. I. n. 3193. 3200. 3285. SG. 87. 3402. 3411.
5] Paus. VII. 5. 1 ; Böckh C. .1 II. n. 3161. 63. 64. Ich mache auf die oben S. 66
angefahrte Stelle des Nonnos aufmerksam, wo Nemesis über dem Sipylos mit dem Greifen-
wagen hält.
6) S. 109. 136. Paus. III. 23. 4 : ifitl Mdyvr\ol yt oV i« n^bg Boqquv vifiorrat rov 2%t-
irvXou, rovTovf inl KoBdlvov n£iQq MtjtqÖs [ort &füv uQ/ttiottttoi' antirttov ayaXu«. Ob
KöStnog mit xorra, xorrf* - Kopf zusammenhängt?
/.'
Niobe am Sipylos. 4] 5
schaft dieser ältesten plastischen Felsbildung mit dem doch davon durchaus
von Pausanias geschiedenen Niobebild hoben wir bereits hervor.
Und noch ein zweites Heiligthum einer Muttergöttin wird uns von Pau-
sanias1) am Sipylos, unterhalb des Gipfels genannt und zwar wieder in Ver-
bindung mit dem Tan talos geschlecht, mit Pelops, dessen Thronsitz, wie ja
derartige in den Felsen gearbeitete Sitze auf Berghöhen mit reichen Aus-
sichten uns auch sonst im Alterthum, besonders auch bei Persern, liier gleich
auf dem Tmolos begegnen, auf der Spitze des Sipylos unmittelbar darüber
sich befand. Die Handschriften geben den Beinamen nXaa%r)rq9 eine JZÄa-
otdvf], welcher unmöglich so richtig sein kann. Siebeiis sah hier schon lange
das Richtige, indem er IlXaxi^yrj oder Ilkaxtavrj vorschlug, ein bereits aus ^
Kyzikos wohlbekannter Beiname der Göttermutter, dorthin aus dem benach-
barten pelasgischen Plakia übergeführt 2) . Wir werden aber hier am Sipylos
noch an eine näherliegende Stätte zu denken haben, an jene Thebe Hypo-
plakie und die hohe und frühe Verehrung der Göttermutter in dem Piakos-
gebirge bei ihr. Ich mache darauf aufmerksam, dass die Beinamen der Göt-
termutter wesentlich von Bergen, nicht von Städten entnommen sind, dass
bei jenem Plakia, in dessen Hintergrund der mysische Olymp lag3), auch
wohl ein Berg Piakos zu suchen sein wird. So laufen also die Fäden im reli-
giösen Gebiete unmittelbar vom Ida zu Sipylos , von Thebe zur Stadt Sipylos
und Magnesia.
Weiter haben wir aber an und um den Sipylos, speciell in Magnesia noch
diesen Naturmächteu des Erdenlebens Aphrodite, Dionysos und auch
Hermes beizufügen. Die Stiftung eines Aphroditebildes in Temnos jen-
seit des Hermos und zwar gefertigt aus einem grünenden oder wirklichen
Myrtenstamme wird auf Pelops zurückgeführt und zwar speciell auf seine
Werbung um Hippodameia4). Bedeutsam ist hier natürlich und nicht ohne
asiatischen Einfluss die Bildung aus der Myrte, wie diese mit Aphroditen-
dienst in den Westen, so nach Rom wandert, so wie uns zugleich ein weiteres
Beispiel gegeben wird, dass in jene urgriechische Herrschaft am Sipylos die
Anfange der bildlichen Götterdarstellungen in Holz und Stein gegenüber der
1) V. 13. 4 : TTikonog $1 IvZtnvlu) (jttv &Qorog (v xoQuqrj tov OQOvg iorlv 07iIq jijg ItXtt- .
orr,vrjs /litjtqos rb Uqov. Goldhagen conjicirt AfoaTi/i'iys, Böse 2ui\)Xt\vr\q.
2) Vgl. Böckh C. I. n. 3657. Z. 10: nccQa Ttj /lit]TqI rj ITXaxtavrj, weiter /utjTQog rijg tx v
HXaxCag. Dazu Marquardt Cyzicus und sein Gebiet p. 100 ff.
3) Mela I. 19 ; Plin. H. N. V. 39.
4) Paus. V. 13. 4: titaßdvn dk"EQ(AOV norapov yi(fQoJirrjg «yaXp* iv Tijpvtp ntnotii-
pivov ix (ÄVQOlvr\g re&rjlvtag, ava&iivai cf£ IliXona avtb naQuXrj<fafAiv jurjjpTj, nQoiXnoxo-
fievov Tf rrjv &{6v xal yevtofrai ol tov yajiov rijg %l7i7ioöa(iiCng aUovfitvov, Der Ausdruck
Tf&rjlvtag kann nur so verstanden werden, dass das Bild aus einem lebendigen Myrten-
stamm hermenartig gearbeitet ward, ähnlich wie älteste Dionysosbilder aus dem lebendi-
gen aber absterbenden Weinstocke gebildet sind.
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*
416 Drittes Kapitel.
reinen Unbildlichkeit ältester Gottesverehrung gesetzt werden. Für den Dio-
nysosdienst am Sipylos zeugt die Nähe des Tinolos als berühmter Geburtstätte
de* Dionysos1), zeugt die Sage von dem Beilager des Zeus und der Semele
an dem Sipylos selbst, zeugt der Name der Dione, deren wir als Gemahlin
des Tantalos ausführlicher zu gedenken haben, zeugt authentisch der grosse
Altar des Dionysos auf dem Markte von Magnesia, bei dem und den dazu
gestellten Statuen der Seleukiden der Vertrag mit Smyrna auf eine Stele ein-
gegraben aufgestellt werden soll2), zeugen endlieh Münzen3).
Den Dienst des Hermes auch hier am Sipylos4) und zwar in Verbin-
dung mit dem Geschlecht des Pelops zu vermuthen, dazu werden wir durch die
Stellung veranlasst, die Pelops überhaupt zu Hermes einnimmt und speciell
durch die schon in dem asiatischen Ausgangspunkt vorausgesetzte Bedeutung
des Wagenlenkers für Pelops und das mehrfache Vorkommen des Namens
Myrtilos im Bereiche der Lyder. Nach Homer wird ja der von Zeus stam-
mende, wunderbare Herrscherstab von Zeus an Hermes, von Hermes an Pe-
lops gegeben 5) . Ein Scholion 6) dazu meldet uns, dass Pelops selbst für einen
Sohn des Hermes und der Aeolostochter Kalyke (Knospe, Auge) gelte. Dass
in Elis auf Pelops der erste Hermestempel und sein Dienst aber als Abwen-
dung des Zornes in Bezug auf Myrtilos zurückgeführt ward, erwähnten wir
bereits. Der Wagenlenker MvQiikog, der späteren Sage nach der des Oino-
maos und gegen diesen verrätherisch , von Pelops selbst dann ins Meer ge-
stürzt ist durchgängig Sohn des Hermes7). Auf Vasenbildern der Pelopssage
spielt Hermes eine hervorragende Rolle. Wie der Flügelwagen des Pelops
aber gerade in Kleinasien gekannt ist, so auch ein Wagenlenker ; wir lernten
einen Namen von ihm in Killas oderKillos, der die zeugerische Natur des Esels
in sich darstellt, bei Thebe am Ida und auch in Lesbos kennen 8) . Aber auch
der Name Myrtilos war wie in Lesbos9) so in Lydien wohl bekannt und hier
wird er ausdrücklich dem lydischen und karischen Königs- aber auch däino-
1) Eurip. Bacch. 55. 65. 152. 227. 560. Der Ort Kerassai genannt, wo Dionysos Rhea
zuerst den Becher Weins gemischt Dion. Nonn. XIII. -16S ff.
2) Böckh C. I. n. 3137. Z. 84. 85.
3) Mionnet T. IV. p. 66 ff. n. 420. VII. p. 371 ff. n. 256.
4) Auf Münzen von Magnesia s. Mionnet IV. n. 378. VII. n. 254.
5) Hom. 11. II. 104.
6) Schol. Hom. 1. I. : 'EQfiov yaQ (jrjoiv avrbv xctt KaXvxfjg * rj cfia rbv xuya 7iinXaaratt
iog roTg vtioiiQQis r« mq\ Olvopaor xal rrjv %Qvai\v ugvtt.
7) Schol. Soph. El. 504 ff. ; Schol. Apoll. Rhod. I. 752. Mit Recht ist schon von Pa-
pasliotis (Arch. Zeit. 1853. p. 39) erinnert, dass in Athen das uralte Bild des Hermes in
Myrten versteckt war (Arch. Zeit. a.a.O. Taf. 53 u. a.).
8) S. oben S. 401.
9) Tyrann in Mitylene wie Geschichtschreiber von Lesbos s. d. Stellen bei Pape Wör-
terb. d. gr. Eigen n. s. v.
Niobe am Sipylos. 4 1 7
irischen, einem Kerkopen gegebenen % Namen Kandaules gleichgestellt1),
Kandaules aber für den mäonischen Namen des Hermes von Hipponax er-
klärt2).
Wie steht es aber nun mit denjenigen Gottheiten, die auf die Niobesage
den tiefeingreifendsten Einfluss geübt haben, welche von vornherein nicht
gegensätzlich, sondern gleichstehend und gleichberechtigt gedacht zur Niobe
den Anspruch ihrer gebietenden Macht , ihrer absoluten Ueberlegenheit an
ihr und ihrem Geschlechte geltend machen, mit Leto, Apollo und Arte-
misf Von Apollo hören wir in einem Fragment eines homerischen Hym-
nos3), dass er neben Lykien die liebliche Maeonia besitzt; daneben wird
zunächst noch Miletos und Delos genannt. Gewiss ein Beweis für die Be-
deutung seines Dienstes gerade im Hermosthai und dessen Verwandtschaft mit
dem in Lykien. VonLarissaPhrikonis an demHermos sagt zwar Strabo nicht
ausdrücklich, dass es ein Apolloheiligthum habe, aber wo er von ihr und den
zwei anderen kleinasiatischen Larissen spricht, erwähnt er für das noch süd-
licher nahe am Tmolos gelegne einstige Dorf Larissa ausdrücklich , es habe
auch ein Heiligthum des Apollo Larisenos4), natürlich also, wie dieses bei
den anderen bekannt ist. Dazu kommt, dass bei dem Larissa am Hermos
ein alter Sitz von teukrischen Gergithiern war, die später nach Troas nahe
dem Helles pont ausgewandert sein sollten und welche, wie überhaupt die
Gergithier specifische Apollo Verehrer sindR). Welche Bedeutung aber das
berühmte Heiligthum des Apollo an der äolischen Küste in nächster Nähe des
Hennosthaies, das Gryneion für die Magneten von Sipylos hatte, geht daraus
heivor, dass der Vertrag zwischen ihnen und den Smyrnäern von den Magne-
ten in Gryneion in dem Apolloheiligthum auch an einer Stele aufgezeichnet
und aufgestellt wird 6) . Aus derselben Stelle hören wir aber auch, dass die
Magneten ihn in einem andern Apolloheiligthum aufstellen, nämlich in dem
zu Panda oder Pandoi7). Und dieser selbe Apollo wird von den Magneten
zu ihrem besonderen Zeugen angerufen, wie von den Smyrnäern die Aphrodite
1) Herod. I. 7; auch Herod. Vll. 98. Die Kerkopen bezeichnet ala "Waaaerdämonen
nicht ohne Grund Guhl Ephesiaca p. 136 ff.
2) Hippon. Fr. 1 bei Bergk Lyr. gr. p. 5SS : 'EQ/urj xvydy/a MyoviOil KaväalXa.
3) Hom. h. in Apoll. 179 (II. 1) :
w nvtt xal Avxlrp xa\ ATr)or{tp> IfHttfivrjy
xal MiXrjjov tytt£ — .
4) XIII. 2. 2: Tp/rq <T iarl AaQtaa xto/nri Tr,$ 'Eiffotos ?>> *ol KavojgiavQ ntd(y, yv
<(«oi noXtv v7TaQiai tiq6t€qov fyovaav xal Itobv jinoXXtavoQ AaQiorjvov, nXtioiatovoar t$
TfnaXbi (lüXlov rj rtj yEt\iat{} — .
5) Strabo XIII. 1.19: rjv J* xal noXis rfyyifr« h twv h> rjj Kvfiatq 7>pyf#<or — xal
vvv tri ti*(xvvTtti ronog ir rjj Kv/uatu rtQyffriov 7iqo£ Aa^toarj ; dazu oben S. 142. Anm. 7.
6) Böckh C. I. n. 3137. Z. 85.
7) Böckh 1. 1. xa) tu TTanfoig ir ry ttQqi rov AnoXXavog.
Stark, Xiolie. 27
418 Drittes Kapitel.
Stratonikis1). Ein Ort Panda oder Paudoi ist sonst in Lydien und Klein-
asien überhaupt unbekannt, der Name wird uns für eine Stadt in Sogdiana 2)
genannt und man denkt vielleicht an die Ildvdai der Pandus Indiens. Man
könnte glauben, dass dieser Name mit der persischen Colonie der Hyrkaner
in das Hermosthai gewandert sei. Jedoch liegt es gewiss näher an Bildung
von Städtenamen wie Karyanda, Alabanda, Arykanda und an den lykisch-
^ troischeu, specifisch mit Apollo verbundenen Heldennamen Pandaros und Pan-
dareos zu erinnern. Für den Apollocult in Magnesia selbst ist abgesehen von
diesen Zeugnissen der religiöse Charakter der Magneten überhaupt der ent-
schiedenste Beweis ; für seine Bedeutsamkeit sprechen endlich die Münzen,
die ihn sitzend mit Leier, sühnendem Zweig, Köcher, Vogel, aber auch in
fast weiblicher Tracht mit Schale und Leier vorführen3).
Neben dem Apollo lykischer Art und der entwickelten griechischen Ver-
ehrung auch Artemis am Sipylos zu erwarten liegt an und für sich schon
nahe genug, aber es fehlt auch nicht an ausdrücklichen Zeugnissen für die
acht griechische Artemis und zugleich an Spuren einer besonderen specifisch
mäonisch gefärbten Verehrung derselben. Wenn im homerischen Hymnos
„Artemis, die Schwester des Hekatos, die pfeilfrohe Jungfrau ihr Gespann
am Flusse Meles tränkend gelabt hat und nun durch Smyrna ihren goldenen
Wagen jagt, hin zur weinreichen Klaros, wo ihr Bruder sie erwartend sitzt",
so denkt sie der Dichter und Zuhörer sich vom Sipylos ausgehend 4) . Quin-
tos Smyrnaeo8a), sahen wir schon früher, gedenkt aus seiner Jugend der
Weiden bei dem Tempel der Artemis am Hermos auf massiger Höhe noch
im Gebiete von Smyrna und dabei eines Gartens der Freiheit. In eigen-
thümlicher, landschaftlicher Färbung erscheint uns Artemis Kordake am
Sipylos*), sichtlich ihrem Wesen nach mit manchen benachbarten Artemis-
• ebensten, so der Artemis Koloene oder Gygaia7), der Artemis am See Gygaea,
sowie der zu Sardes8), vom Tmolos9), der Artemis in dem auf Pelops als
1) Böckh 1. 1. 61 : xaVAnollu tbv tp Tldvöoif.
2) Steph. Byz. 8. v.
3) Mionnet IV. n. 375. 397. 434. VII. n. 251—253. 288. 323.
4) Hom. h. IX. 3. 4.
5) Posthorn. XII. 312, dazu s. oben S. 63.
6) Paus. VI. 22. 1 : — atifitla iatlv Uqov KoQÖaxag tnUXtjOiv '^T^u*<foc, ort ol rov
Iltlonog axoXou&oi td inivUta rjyayov naga xjj &(($ Tavry xttl eu(#ija«fTO (m/togiov rote
7i€Ql rby Zinvkov KoQÖaxa Öq/^oiv.
7) Strabo XIII. 4. 5; dazu bes. Curtius Artemis Gygaia in Archäol. Zeit. 1853. n.
60. A. B.
8) Böckh C. I. n. 3460 : Jrjg ZaQÖiavrje *Aqt£uiöos.
9) Heiligthum am Tmolos s. Pseudoplut. de fluv. 7, 5. Die interessante Stelle aus
der Semele des Diogenes bei Athen. XIII. p. GM A Nauck Tragg. gr. Frgmta p.603) schil-
Niobe am Sipylos. 419
Gründer zurückgeführten Thyatira1) zusammengehörig. Es sind Tänze aus-
gelassener Art, wohl dem Kordax der Komödie vorbildlich, im Siegesjubel,
welche wie am Sipylos so bei Olympia die Begleiter des Pelops aufgeführt
hatten zu Ehren der auch dort nun in einem Heiligthum verehrten Göttin.
Von grosser Strenge und Heiligkeit, aber auch von Tänzen der schilfgefloch-
tenen Körbe wird bei der Artemis Gygaia gesprochen. Diese Göttin ist ent-
schieden ihrem ursprünglichen Wesen nach nicht zunächst als Schwester des
Apollo, sie ist vielmehr als eine dem Wasserleben und seinem Einfluss auf die
Vegetation und Bewohner der Landschaft angehörige, nymphenartige Ortsgott-
heit gedacht, aber sie ward wie die Artemis von Ephesos doch von dem grie-
chischen Anwohner mit der Apolloschwester geeint. Im Bereiche der anderen
kleinasiatischen Magneten tritt eine ganz entsprechende, durch die besondere
Natur des Wassers eines dortigen Sees im Beinamen auch bezeichnete Artemis
geradezu in den Mittelpunkt des religiösen Kreises, ihr zur Seite tritt auch
da Apollo, als dessen heiliges Eigenthum diese Magneten sich betrachteten.
Dieser Artemis haben wir auch eine nymphenartige Athene, die als
Minerva Berecynthiain Ankyra verehrt war2), im lydischen Hermos-
gebiet zur Seite zu stellen, die Erfinderin und Verbreiterin des Flötenspie-
les, dessen Entwickelung in Böotien, wie wir sahen, auf Pelops und Niobe
zurückgeführt ward. Ihre Beziehung zu Marsyas3), dem rauschenden Quell-
gott ist bekannt, gehört aber nicht unmittelbar in den lokalen Kreis, den wir
zunächst festgehalten. Auch hier ist die Umsetzung einer kleinasiatischen,
wesentlich phrygischen Naturmacht , an die musikalische Natur des Wassers
wie des Schilfrohres angeschlossen, in die ethische griechische Himmelsgott-
heit und der dadurch stark ausgeprägte, nicht ursprüngliche Gegensatz zu
anfänglich verwandten Naturmächten nachweislich. Eine andere Seite die-
ser lydischen Nymphennatur der Athene, nämlich als Weberin spricht der an
den Tmolos nach Hypaepa gehörige Mythus von Arachne aus, dessen Verbin-
dung mit dem der Niobe wir früher im Ovid nachwiesen 4) .
Endlich ist auch zu fragen, können wir am Sipylos nicht von L e t o selbst,
dieser einst lieben Freundin , wie die Lesbierin Sappho, die Nachbarin vom
Sipylos sie nannte, dann furchtbaren Gegnerin Niobes bestimmte Spuren nach-
weisen ? Im Allgemeinen versteht es sich ja von selbst, dass Apollo und Ar-
dert die Feier der Tp<okla öebg, der Artemis im Lorbeerhain von lydischen und baktri-
schen Mädchen mit der Harfe und Flöte nach persischer Weise, also unter Einfluss der
Anahitis.
1) Böckh C. I. n. 3477; 'AqUpiöi ßoQtiTtivrj; 3507.
2) Vgl. oben S. 153 Anm. 4.
3) Böttiger Kl. Schriften 1. S. 1—450; Preller griech. Mythol. I. S. 454 ff. Die Bei-
namen als Musica, Bombylia, Salpinx gehören hierher, vgl. Gerhard gr. Mythol. I. S. 250,
10. 255, I. Die Arundo Tritoniaca des Marsyas Ov. Met. V1.3S4.
4) S. 69. 70.
27 •
420 Drittes Kapitel.
temis am Sipylos als Kinder der Leto gefasst werden, dass jener lykisch-kre-
tische Religionskreis in Troas und an der äolischen Küste, mit dem wir auch
den Apollocult der Magneten so übereinstimmend fanden, auch am Sipylos
die Mutter Leto hervorhebt. Ist aber nicht ausdrücklich ein Letoon, wie an
der lykischen Küste mehrfach, so das berühmteste bei Patara1) am X authos,
bei Kalynda, bei Physkos * in der rhodischen Peraea, wie in der Ortygia bei
Ephesos3), in Tripolis am Mäander4), in Phaestos auf Kreta5), auf Delos6),
weiter inArgos7), in Amphigeneia inTriphylien8) uns auch hier bezeugt? Bis
jetzt ist mir kein Zeugniss dafür bekannt, aber erinnern will ich doch daran,
dass uns in Smyrna die einst im Gebirge verehrten Töchter der Nacht, die
Nemeseis begegneten, wie die Nemesis auf dem Sipylos, dass aber Leto die
gleichsam in das Persönliche und Ethische umgesetzte Nacht, speeifisch eine
strafende Macht ist nach der Anschauung der Alten, wie der übereinstimmen-
den Auffassung der Neuern9). Auch das scheint mir hervorzuheben, dass
Letos strafender Zorn sich besonders in Sumpfseen und deren Bewohnern
zeigt, dass in Lykien ihr Altar, von Schilf umgeben, mitten in einem Sumpf-
see stand, dass aber die Stadt Sipylos in dem Sumpfsee Saloe untergegangen
geglaubt wurde, dieses als die die Katastrophe von Tantalos und Niobe gleich-
sam abschliessende Erscheinung galt, dass an die Schillinseln der lydischen
Seen sich speeifischer Artemisdienst knüpfte t0) .
So haben wir die ethnographische und Culturstellung der Landschaft am
Sipylos, so den Kreis der Götterculte an demselben in ihren Gruppen und
1) App. Mithridat. c. 27; Strabo XIV. 3. 5. Leto und die Kinder speciell angerufen
auf lykischen Inschriften C. I. III. n. 4259. 4360 h. ; Fellows Lycia App. n. 145.
2) Strabo XIV. 2. 2 und 4 : beide Male ein ukaog jir\i$ov, das eine Mal bei einem
3) Strabo XIV. 1. 20; dazu Guhl Ephesiaca p. 119.
4) Auf Münzen Latoeia als Fest s. Welcker gr. Oötterl. II. 345.
5) Antonin. Liberal. 17: Latoon mit Leukipposstatue und der Leto Phytia.
6) Semos bei Athen. XIV. 2. 6.
7) S. Paus. IL 21. 10, dazu oben S. 349.
8) Strabo VIII. 3. 25. Andere Stätten in Kreta, Attika, Böotien. Arkadien, Epirua s.
Welcker gr. Götterl. IL S. 339. 344 f.
9) Hes. Theog. 404 : -^rw xvavontnXog ; Eust. ifom. II. p. 22, 29; Od. p. 1883. 64 :
Antto jJ rt/£. Statue der Nacht im Artemision zu Ephesos Paus. VIII. 38. 6. Dazu Schwenck
Andeut. S. 192; Lauer Syst. d. Mythol. S. 159. 256; Preller Mythol. I. S. 153; Gerhard
gr. Mythol. I. g 210, 1. Welckers Ansicht gr. Götterlehre I. S. 239: „Leto und Maia sind
nie Naturgöttinnen gewesen, sind nicht schon früher vorhandene, auch nicht in die
Sprache übergegangene Namen, sondern eigens ausgedacht worden, um die genannten
Götter von Zeus abzuleiten", kann ich durchaus nicht theilen. In Lykien ist Leto durch-
aus uralte, in sich begründete Gottheit, wie jene Ausdrücke bei Grabentweihungen : n yfrjrw
avtov IniTQtxl'H (C. I. III. n. 4360 h) zeigen.
10) Ovid knüpft unmittelbar an die Niobesage die Erzählung der lykischen Bauern, die
der durstenden Leto das Trinken gewehrt oder das Wasser verdorben haben und dafür
Niobe am Sipylos. 421
verschiedenen nationalen Abstufungen genauer umschrieben. Wie stellt sich
nun der Niobemythus in diese Umgebung, welches sind die Fäden, die ihn
hier halten und mit andern Mythen verknüpfen? Zunächst ist es Niobes
Herkunft, ihr Geschlecht, das uns interessirt1). Aber auch hier haben
wir im Voraus denselben Wechsel in der Verbindung wahrzunehmen, der
uns in der argivischen Sage so entschieden entgegentritt, nämlich den von
Vater, Bruder und Gemahl. Niobe ist in der herrschenden Tradition wie sie
seit Phcrekydes, Aeschylos und Sophokles uns sich ausspricht, Tochter des
Tantal os, nach einer abweichenden2) ist sie seine Gemahlin. Tantalos
selbst wird wieder allgemein als Sohn des Zeus und der Pluto (IIIovtiu),
nach einer vereinzelten Version als Sohn des Tmolos und der Pluto3) be-
trachtet. Eine ganz abweichende national-lydische Erzählung macht ihn
zum Sohn des Hymenaeos und Bruder des Askalos4). Wir haben in Pluto
eine acht griechische Gestalt des Segen gebenden Erdbodens, insofern er
vom alles ernährenden Urwasser durchzogen und befeuchtet wird. Die stier-
äugige Pluto (ßocümg wie Hera) ist eine jener heiligen Töchter des Okeanos
und der Tethys5), in deren Bereich wir an anderen Stätten die für Niobe
wichtigen Gestalten Peitho, Klymene, Europe kennen lernten. Sie wird uns
unter den blumensuchenden Freundinnen Persephones genannt6). Gewiss
eine Anschauung des weiblichen Gegenbildes zum Himmelsgott, die in jenen
gesegneten Fluren des Hermosthales r) , unter dem Eindruck von den lang
schneercichen Gipfeln des Tinolos und Sipylos mit rinnenden Bächen ihre
natürliche Unterlage hatte. Nonnos nennt sie die Zeusbraut (Jiog vvp<prj),
Pluto, die unselig gebärende Berekynterin, aus deren Lager Tantalos entspross.
in Frösche verwandelt sind Met. VI. 315— 3S2. vgl. Virg. Georg. I. 378 mit Serv. ; Anton.
Liber. 35. Ueber den Altar s. Ovid: 1. 1. 325 ;
ecce lacu medio sacrorum nigra favilla
ara vetus stabat tremulis circumdata cannis.
Die Bedeutung der Schilfinseln in lydischen Seen, besonders der Gygaia mit dem tanzen-
den Schilfe und musikalischen Weisen bei gewissen Festen stellt andererseits gut heraus
Ed. Müller a.a.O. S. 243. Sumpfleben und Mutterthum s. Bachofen Mutterrecht. S. 69.
70 u. a.a.O.
1) Vgl. oben die Uebersichtstafel mit den Belegen S. 94. 95.
2) Schol. Hom. II. XXIV. 602.
3) Nicol. Daniasc. bei Müller Frgmta histor. grr. III. p. 367. 17.
4) Xanth. Lyd. 4 bei Steph. Byz. s. v. liaxalwv bei Müller Frgmta histor. grr. III.
p. 372. Hymenaeos spielt übrigens auch in die magnesische Ursage.
5) Hes. Theog. 355. Eine andere Tradition macht sie zur Tochter des Kronos (Schol.
Pind. Pyth. 111.), noch eine andere bei Hygin. (fab. 155) zu Himantis filia, wofür jedenfalls
Mimantis zu lesen ist. Mimas ist als Gigant, als ein dem Sipylos benachbarter, schneereicher
Berg mit Kybeleheiligthum (Kallim. h. Cer. 92, Strabo XIV. 133), endlich als Aeolide und
König in Thessalien (Diod. IV. 67) bekannt.
6) Hom. h. in Cerer. 423.
7) Sardische Ammen des Plutos nennt Nonnos (Dionys. X11I. 463).
422 Drittes Kapitel.
Dass einmal Tmolos, der Geist des Gebirges, auf den die Geburt des Zeus
lokal gern verlegt ward, statt des Zeus selbst genannt wird, weist auf den
Anspruch wohl hin die Macht vom Sipylos sich vom Tmolos, dem Centrum
Mäoniens ausgegangen zu denken. Eine späte Sage1) macht diesen zum Sohn
des Ares und der Theogone, in Ares wird hier der den Lydern mit Mysiern
und Karern auch gemeinsame kriegerische Zeus Kariös zu verstehen sein.
Ehe wir die Bedeutung des Tantalos nach seiner mythologischen und
historischen Seite, denn beide laufen in ihm sichtbar parallel, näher umschrei-
ben, ist der Mutter Niobes nachzugehen, da durch sie auch auf ihn und auf
Niobe Licht fällt. Ein höchst bedeutsamer Name tritt uns hier als der in der
herrschenden TJeberlieferung recipirte auf, nämlich Dione und zwar Dione
• als Tochter des Atlas2). Daneben tauchen ganz vereinzelt auf Sterope, Pe-
riope und ein anderer Name variirt in Euryanassa, Euryto , auch Eurythe-
miste, Euryprytane, welche beide letzten für Pelops zunächst nur genannt
werden3).
Dione ist ein mythologischer Name und Begriff, welcher auf die ver-
schiedenste Weise in den urgriechischen, specifisch pelasgischen Religions-
kreis eingreift. Wir finden den Namen unter den Oke aninen, sie wird
von Hesiod als liebliche [iQaxrj] *) bezeichnet, auch unter den Nereiden
begegnet uns ihr Name neben anderen, welche wie Proto, Kranto, Erato,
Euagore u. a. durchaus nicht mit der specifischen Natur des Meeres, über-
haupt nur der flüssigen Natur zusammenhängen5). Als Okeanine6) eine dem
himmlischen TJrwasser, seiner nährenden, befruchtenden, alle Vegetation
schaffenden Kraft angehörigc Gestalt tritt sie für sich allein in eine hohe und
ehrwürdige Stellung zu Dodona als Genossin des Zeus7) und zwar des Zeus
Naios8). Diese Verbindung mit Zeus und für Dodona höchste Stellung
unter den Göttinnen, wo sie an Stelle vonGe oder von Hera9) getreten ist, hat
sichtlich sie in der nachhesiodeischen Auffassung in die Reihe der Kroniden
1) Pseudoplut. de fluv. 7, 5.
2) Hygin. fab. 9 : Niobam Tantali et Diones filiam. Ebenso f. 83 : Pelops Tantali et
Diones Atlantis filiae filius und fab. S2 : Tantalus, Iovis et Plutonis filius procreavit ex
Dione Pelopem.
3) S. oben S. 94.
4) Theog. 352.
5) Apollod. 1. 2. 6.
6) Die Dodonäische Dione als Okeanine ausdrücklich genannt von Thrasybulos und
Akestodoros bei Eudoc. Viol. p. 127.
7) Strabo VII. 7. II : Infi ötj xttl rtvrvaog rtp /In : nQoattntöity&l *"* 4 *4'wi^.
S) Ueber das Wesen Diones s. Klausen Aeneas und Penaten I. S. 409—416 ; Gerhard
gr. Mythol. I. § 139. 207, 1 ; 190, 4 ; 193, 3; Welcker gr. Götterl. I. S. 352— 35S; zum
Namen s. Ahrens in Ztschr. f. vgl. Sprachforsch. 1S53. S. 175.
9) Apollodor in Schol. Odyss. III. 91.
Niobe am Sipylos. 423
eintreten lassen !) . Im Homer finden wir sie im Olymp nahe dem Zeus als
eine göttliche unter den Göttinnen 2) und in ihren Schooss flüchtet Aphrodite,
diese xovQt) Jiiüvtjq*). Wie trefflich Aphrodite, die Göttin des Frühlings-
lebens in der vegetativen Natur nach altgriechischer Auffassung, die dem
Wasser entstiegene, alles beherrschende Liebesmacht, in der späteren, vom
Orient befruchteten Vorstellung, zur Dione als Tochter sich stellt, liegt auf
der Hand. Und ebenso folgerichtig gedacht ist es, wenn dem Dionysos von
Euripides4) Dione als Mutter gegeben wird, wie diese Beziehung auch in
der Auffassung des Götterpaares zu Dodona als Liber und Libera später aus-
gesprochen ist, wie auf Vasenbildern Dione Dionysos unmittelbar gegen-
übergestellt wird5).
Nun aber wird Dione die Mutter der Niobe von Hygin6) eine Tochter
des Atlas, Niobe selbst von Ovid 7) eine Enkelin des Atlas, ihre Mutter eine
Schwester der Pleiaden genannt. Wir werden hiermit in einen Kreis mytho-
logischer Gestalten gefuhrt, der Atlas töch ter , Pleiaden und Hyaden,
welche hochbedeutsam für den Heroenmythus aber im Alterthum selbst in
verschiedenen Landschaften und in verschiedenen Zeiten, unter dem Vor-
walten bestimmter religiöser Grundanschauungen einen sehr grossen Wechsel
in Namen, Zahl und Thätigkeit aufzuweisen haben, dabei aber in uigriechi-
schen Lokalitäten, in Arkadien, Möotien, Dodona zunächst wurzeln. An
einer durchgreifenden, auf der Sichtung der Quellen ruhenden Untersuchung
fehlt es bis jetzt noch8).
Für unseren Zweck genügt es daraufhinzuweisen, dass wir in den Hya-
den — zu diesen gehört Dione — eine Gruppe nährender Nymphen in Um-
gebung und Dienst des Zeuskindes zu Dodona und zu Kreta9), weiter eine
1) Apollod. I. 1. 3.
2) IL V. 381 : tta teawv.
3) Eur. Hei. 1108.
4) Antigone bei Schol. Pind. Pyth. III. 177.
5) S. Welcker gr. Götterl. I. S. 357. Note 10.
6) A. a. O.
7) Ov. Met. VI. 174: „
mihi Tantalus auetor,
cui lieuit soll superorum tangere mensas ;
Pleiadum soror est gen e tri x mea ; maximuB Atlas
est avus, aethereum qui fert cervieibus axem.
S) Die vollständigste Uebersicht giebt Völcker Mythologie des Iapet. Geschlechtes.
S. 2 15 — 249. Ueber das Astronomische vgl. Ideler Untersuch, über Ursprung u. Bedeu-
tung der Sternnamen 1809. S. 136 ff. und Buttmann über Entsteh, d. Sternnamen in d. gr.
Sage in Abhdl. Berl. Akad. d. W. hist.-philol. Kl. 1826. S. 20. 32. Sonst vergleiche Preller
gr. Mythol. 1. S. 311 ff.; Gerhard gr. Mythol. § 458, 3. 486, 3—7; 547.
9) Hyg. f. 182 : Oceani filiae Idothea (Ida?), Althaea (Amalthea?) , Adrasta (1. Adrastea);
alii dieunt Melissei filias esse Iovis nutrices quae nymphae Dodonides dieuntur ; Poet, as-
tron. II. 13.
424 Dritte« Kapitel.
andere Gruppe specifischer Quellnymphen (Naiaden) Nährerinnen des Diony-
soskindes auf Zeus Hefehl in Nysa in Hellas wie in Kleinasieu1), endlich eine
Gruppe von Namen zu scheiden haben, die als wahre Atlastöchter mehr mit
dem Luftkreisc .und den Himmelserscheinungen es zu thun haben , als eine
ethische Charakterisirung erhielten und welche daher auch wohl am frühsten
mit jener Sterngruppe im Hilde des Stieres, an dessen Stirne verknüpft wur-
den, deren 'Frühauf- und Niedergang die Regenzeit des beginnenden Winters
wie den Ausgang des Frühlings verkündeten 2) . Ihre Zahl wechselt zwischen
zwei, drei, fünf, sechs, sieben ; die gewöhnliche Zahl blieb fünf, so dass von
zwölf Atlastöchtern sieben den Pleiaden zugerechnet wurden. Und jene l)o-
donaeischen Zeusnymphen werden als Okeaninen selbst oder als Töchter des
Kreters Melisseus, die bakchischen Nährerinnen als Naiaden, d. h. als Zeus-
töchter bezeichnet ; in den Vordergrund trat mit der dritten Auffassung als
Vater Atlas, aber die Mutter bleibt eine Okeanide Pleione oder Aithera ; hin-
zutritt ein Bruder Hyas, welcher nach einem libyschen Mährchen auf der
Jagd von einer Schlange getödtet und von den Schwestern betrauert wird8),
sonst mit Dionysos ganz verschmolzen ist4). Ja eine Nachricht macht Hyas
zum Vater der Hyaden mit der Boeotia 5) .
Der Name Dione wird uns unter den Hyaden und zwar speciell als dodo *
näischen Nymphen nur von Pherekydes aber mithin aus guter Zeit nach dem
Scholion des Homer6) genannt, an seine Stelle ist ein anderer, aber ganz
ähnlich lautender: Thyenc auch ausdrücklich nach demselben Pherekydes
bei Hyginus7) gesetzt und zugleich die Zahl überhaupt auf sieben, dort auf
sechs angegeben, indem noch die hesiodeische Phaeo hinzugefugt ist. Ganz
dasselbe Schwanken zeigt sich uns in der Ueberlieferung des Textes bei Ovid
in den Fasti8), wo zum 9. Juni, den Vestalia die Dodonis Thyene oder
1 ) Hyg. f. 182: alii Naiades vocant — consecutaeque postea inter sidera Hyades appel-
lantur ; f. 192: quod fuerint nutrices Liberi patris, quas Lycurgus ex insula Naxo ediderat
(1. ejeeerat; ; Or. F. V. 16S. Als acht bakchische Namen begegnen uns unter den Hyaden :
Bromie, Kisseis, Nysa, Eriphie ; auch Erato und Polyhymna sind hierher zu ziehen.
2) So die Namen bei Hesiod ifr. bO ed. Göttling) im Schol. Arat. Phaenom. 172: Phai-
syle (l. Aisyle), Koronis, Kleeia, Phaio, Eudore, von denen drei bei Pherekydes uns auch
begegnen (Schol. 11. XVIII. 4S6) : Aisyle, Koronis, Eudore.
3) Timaeos nennt zwölf Atlastöchter und den Sohn Hyas, nach dessen Tode gehen
fünf in Thränen unter, sieben werden zu Sternen und Hyaden (Schol. Hom. II. XVIII. 4S«i).
Zu Hyas bes. Ovid. F. V. 109 — 1S2.
4) Hesych. s. v. "Ytj.
5) Hygin Poet, astron. II. 21.
Ü) Schol. Hom. 11. XVIII. 4S6.
7) Poet. Astron. IL 21.
Sj Ov. F. VI. 705:
tertia lux veniet, qua tu Dodoni Thyene
stabis Agenorei fronte videnda bovi.
Die Lesarten s. bei Merkel.
Niobe am Sipylos. 425
Dione in der Stirne des Stieres vor allen sichtbar ist. Neben einander er-
scheinen beide Namen auf einem Vasenbild, und zwar Thyone Dionysos,
Dione dem Satyr Simos gegenübergestellt !) ; auf einem anderen finden sich
Dione und Mainas in der Umgebung eines alferthümlichen Dionysosbildes,
jene aus einer Amphora in ein Trinkgefäss in feierlicher Weise schenkend2).
Wir haben hier an Dione ein. recht auffälliges Beispiel, wie eine Gestalt,
die ursprünglich durchaus dem Zeuskreise angehört und zwar dem von Dodona
und entweder allein als ebenbürtige Genossin oder als eine der nährenden
Nymphen neben einer Ambrosia, Eudora, Dodona 3, oder Ida, Amalthea,
Adrastea erscheint, die dem Zeus alljährlich Nahrung bringen vom Westen,
aus dem göttlichen Garten am Okeanos4), unter dem mächtigen Einflüsse
des von Lydien und Phrygien aus gesteigerten und in den religiösen Mittel-
punkt gestellten Dionysoscultes sich diesem an- und einfugt, entweder auch
nur als einzelne dionysische Nymphe oder zur Mutter oder Geliebten des Dio-
nysos, zur Thyone wird. Wie trefflich nun diese Dione als Mutter Niobes
zu dem Ideenkreise passt, in dem wir den Niobemythus an den verschieden-
sten Punkten von Griechenland nachgewiesen, liegt auf der Hand. Auch
die ganze Stimmung mütterlicher Fürsorge wie in fliessenden Thränen sich
aussprechender Wehmuth — trauern die Ilyadcn doch also um Hyas, be-
weinen nach Aeschylos5) die Atlantiden die Leiden ihres Vaters — entspricht
sehr wohl dem bleibenden Hilde Niobes. Und endlich hat auch die astrale
.Deutung Diones sie mit dem Stiere Antiopes und Dirkes, mit dem Zwillings-
paar Amphion und Zethos in Beziehung gesetzt.
Wenn der Name Sterope (der Blitz) einmal für die Frau des Tantalos
und Mutter von Niobe und Pelops bei einem spätem Mythographen genannt
wird6), zugleich aber Tantalos ein Sohn des Zeus und und einer Atlantide
unter vier, deren Namen nicht überliefert seien, so ist hier vielleicht an keine
besondere Tradition, nur an eine ungenaue und verwirrte Behandlung derselben
zu denken, obgleich ihre Bedeutung als Blitzjungfrau neben Tantalos sehr
wohl begreiflich ist. Sterope oder auch Asterope ist selbst eine Atlastoch-
ter, eine Pleiade und wird ebenso wie Taygete und Maia von Dichtern für
1) Welcker alte Denkm. T. XIII.
2) Müllcr-Wieselcr D. A. K. II. n. 5S3.
3) Dodone die Okeanide neben Zeus von Deukalion verehrt oder auch mit diesem ver-
bunden s. Schol. Hom. II. XVI. 233.
4) Vgl. die wichtige Stelle bei Hom. Od. XII. <>2ff.
5) Schol. Hom. II. XVI, 4SG: rag Jl^rlartog aTV%tag xkatovOag nvritg xccTaOTtQtoVfj-
val tfqaiv jila/vkog.
t>; Mythogr. Vatic. I. 1. 3, 204 : idem Jupiter coneubuit cum una de quatuor filiabus
Atlantis, quarum nomina non leguntur genuitque ex ea Tantalum. Tantalus de Sterope
genuit Nioben et Pelopem.
426 Dritte» Kapitel.
die Pleiaden überhaupt gesetzt1). Pleiaden und Hyaden sind beide Atlanti-
den. Ob der Name Periope bei Lactantius2) richtig gelesen ist, steht noch
dahin ; er ist auch sonst gänzlich unbekannt und in seiner Abstammung und
Bedeutung unklar. Des Hoccaz Lesung Penelope ist wohl nur Correctur der
verderbten Lesart. Wir werden auch an dieser Stelle am einfachsten an Ste-
rope denken.
Die Namen Euryanassa, Euryto avaooa, Euryprytane, Eury-
themiste, welche vereinzelt 3) • uns als Gemahlin des Tantalos, wesentlich
nur als Mutter des Pelops genannt werden, sind in ihrer Bedeutung als Be-
zeichnung der grossen Landesherrschaft klar, wie uns in Argos auch eine Te-
lodike als Mutter Niobes begegnete. Ihre Ableitung von Paktolos4) oder
von Xanthos 5) zeigt die Lokalitat in Mäonien und der idäischen Landschaft.
Die vereinzelte, aber an und für sich werthvolle Genealogie bei Phere-
kydes, welche Pelops auch zum Sohne des Tantalos und Kly tia, der Toch-
ter des Amphidamas macht, eines Heroen in der ältesten Ilerrscherreihe in
Arkadien , eines Bruders oder Sohnes des Lykurgos und der Auge, möchte
ich für Niobe nicht ebenso benutzen, da Pelops auch lokal mit Niobe nicht
immer verbunden ist, in der Sage geradezu neben Niobe als unächter Sohn
(nothusj bezeichnet wird6), wie wir eine gleiche hervorragende Stellung der
Niobe als einzigen ächten Phoroueustochter früher kennen lernten. Dass
Klytia sonst als eine Okeanine aber zugleich Geliebte des Helios erscheint,
will ich dabei nur erwähnen.
Endlieh darf es uns auch nicht wundern, wenn einmal Pluto, dieKronos-
tochter aus der Mutter des Tantalos zu seiner Gemahlin und Mutter der Tan-
taliden geworden ist 7) .
Kehren wir zu Tantalos, dem Vater oder Gemahl Niobes zurück, von
dem sie in der gewöhnlichen Sage ausgeht, um mit Pelops in das entfernte
Böotien zu ziehen , zu dem sie mit den Leichen ihrer Kinder zurückkehrt,
um zugleich aber inzwischen auch diesen, einst ein Bild des Glücks und der
Herrschermacht, gestürzt, in schwerem Verhängnisse unter dem schweben-
den Felsblocke zu finden. In Tantalos, über den wir wohl Stellensammlun-
gen und Erörterungen einzelner Punkte8), aber noch keine durchgreifende
1) Ovid. Trist. I. 11. 14:
saepc minax Steropes sidere pontus erat.
2) Ad Stat. Theb. IV. 576.
3) S. oben S. 94.
4) Tzetz. Chil. IV. 141. V. 416.
5J Schol. Eur. Or. 11.
6) Lact. Plac. ad Ov. Metam. VI. f. 6.
7) Scbol. Pind. Ol. III. 72: Ttrig tii KqovCov /Klanos — ort Jllovtdt &vydrr)Q Kqoiov
tyfi'iTo, tj auyxoiurjfrels 6 TtivrnXoe £<r/f JTilonn.
h) S.Tafel Pindari Olymp, et Pythia 1. p. 215—43; Pauly Realencyclop. VI. 2.
S. J 5112 ff. Art. Tantalos ; Preller gr. Mythol. II. 8. 267 f. ; Gerhard gr. Mythol. § 869. Die
Nfobe am Sipylos. 427
Untersuchung besitzen, liegen parallel gehend uns mythologische Urgedan-
ken im Naturleben und den Anfängen und Wesen des menschlichen Lebens
vor, zugleich individualisirt auf das Interessanteste durch die besonderen
Geschicke jener urgriechischen Stätte am Sipylos und endlich auslaufend in
ein mahnendes, ethisch wirkendes Bild. Wir können nachweisen, wie die-
selbe Gestalt in der himmlischen Welt, im Kosmos überhaupt im Verhält-
niss zu dem auf Säulen gleichsam ruhenden Himmel mit seinen Lichtkör-
pern, seiner sich aufthürmenden Wolkenwelt, mit dem Segen strömenden Re-
gen und befruchtenden Gewitter, gleich den in die Wolken ragenden Gipfeln
der Erde, lebendig schwebend gedacht wurde, wie derselbe historisch an den
Fuss und und in das mäonische Sipylos, bedroht vom Bergsturz und am
Rande des Sumpfsees versetzt ward, wie der nämliche endlich in der Unter-
welt mit Fels und Wasser und lockenden Früchten Strafe leidet als einer der
grossen Sünder und mahnenden Beispiele der Hybris.
Der Name TdvTalog bezeichnet speciell den Träger, Dulder und Frev-
ler und ist nur eine andere Bildung aus demselben Stamme wie^TAcr?1).
Diesem, dem alten arkadischen König und Bergriesen, dem in den Westen
der Erde versetzten duldenden Träger des Ilimmelsdaches 2) entspricht
auch Tantalos , der König von Akrokorinth, von Argos, von der Bergstadt
Sipylos im Osten von Hellas, angeknüpft, verwachsen mit dem in den Him-
mel ragenden, ihn tragenden Berg selbst. In Lesbos, wo wir auch den Na-
men Olympos finden, hiess eine Bergspitze ausdrücklich Tantalos8). Weiter
östlich jenseit Lesbos ragt also der schneeige Sipylos, auf dessen Höhen Tan-
talos seinen Sitz hatte, über dessen Gipfeln4) er den Zeus zu Gaste lud.
Man hat ja wohl auch mit Wahrscheinlichkeit in Sipylos „die Götterpforte"0)
gefunden, wie in 2ißvlla ,,den Gotteswillen".
Stellen der Lyriker behandelt Welcker fragmentum Alcmanis de Tantalo im Rhein. Mus.
n. 1S55. S. 242—64, jetzt Kl. Sehr. III. S. 37 ff. ; sonst vgl. Nitka de Tantali nominis ver-
borumque cognator. origine et significationc. Regiom. 1846. 4; Car. Theis dissert. de pro-
verbio TavrdXov rdXniTa tartaXl^txai, Nordhus 1855.
1) Vgl. Völker Mythol. d. lapet. Geschl. S. 64. 66, welcher aber selbst eine andere,
durchaus unzulässige Etymologie von 9dXXtü, &dkog billigt (S. 112. 355) und ihn zum Auf-
blühenden macht*
2) Hes. Theog. 577 ff. Ertragt xQareQfjg un ttvayxtjg — xi<fttkyTt xal axa/iduaai y/
Xfytooi. Zeus hat diese Würde ihm zugetheilt.
3) Steph. Byz. s. v.
4) Nonn. Dion. XVIII. 24 :
vnty Zmvkov 6k xaQqvcay
TavTctXog, wg Ivtnovoi, rtov £t(viom Toxr^ct.
5) Das Himmelsthor und die Pforte zweier Berge für die aufgehende Sonne weist Berg k
nach aus Apollon. Argon. III. 15$ ff. in N. Jbb. f. Philol. Bd. 81. S. 403. Zu Sipylos „
ders. S. 395.
428 Drittes Kapitel.
Nonnos *) nennt Tantalos mehrmals gleich dem hohen, von Wolken um-
hüllten Berggipfel den im Nebel Wandelnden (rj€QO(poiT7jg) . Wenn Tantalos
ein Vater des Kyklops, ein Grossvater des mit Triton, dem Urwasser identi-
ficirten gewaltigen Stromes Neilos genannt wird von Hermippos, was ist er da
anders, als die göttliche Macht des um den Götterberg gelagerten Gewitters
mit Blitz und Donner und dem strömenden Wasserquell1)? Da begreifen
wir auch, wie ihm die Sterope zur Gemahlin gegeben werden kann, beson-
ders wenn wir jenes homerischen Vergleiches gedenken, in dem der das Ge-
witter sammelnde Zeus [axeqonrjyeqixa Zevg) die feste dichte Wolke vom
hohen Haupte des grossen lterges abrückt und nun alles sichtbar wird ,,und
aufbricht am Himmel der unermessliche Lichtraum"3). Entweder wird er
selbst in seiner ewigen Pein, Verstössen aus dem Leben im Himmel, aufge-
hängt gedacht und schwebend an dem hohen Berge mit gebundenen Hän-
den4), ja weitausgespannten Armen den Himmel tragend5), oder er schwebt
in der Luft oder sitzt auf seinem Sitz in ewiger Angst ob des über ihm
schwebend aufgehängtem Felsens 6) . Wir haben dasselbe grossartige Natur-
bild, das uns im Homer begegnet bei der Fesselung Heras 7) , welche hoch
zwischen Aether und Wolken hängt, die Anne umwunden von goldenen Fes-
seln, an die Füsse zwei Ambosse gehängt : ein Bild der gewitterschwülen, in
unheimlicher Stille gleichsam gebannten Luft bei einem Gewitterhimmel
mit zuckenden Blitzen. Und eine verwandte Anschauung bietet jene goldene
Kette, vom Himmelsgewölbe ausgehend, an der die Götter ziehen sollen, die
aber Zeus um den Gipfel des Olympos schlingend alle sammt Erde und Meer
schwebend erhalten wolle8). Wir begreifen aber auch vollständig, wie die
ältere Dichtung eines Alkman u. a., worauf Welcker besonders hingewiesen,
nicht sowohl den Felsen selbst als das Scheinbild desselben über Tantalos
voraussetzt ; es ist das Scheinbild jene drohende scheinbar feste, hartgeballte
1) Dion. XVIII. 32; XXXV. 295.
2) Schol. Apoll. Rhod. IV. 209 (Müller Fragm. bist. gr. III. p. 53, 77).
3) IL XVI. 296—300 :
(bg d* ot «(f viprjXrjg xo{tviftjg ogeog /utydXoto
xivrjor) nvxtv^v vttftXriv aT6(tonrjytQ^ra Ztvg —
— ovQ(tv6&ev cf ' «(»' vrrtQQayr) rtontrog ttldfjQ.
I) Asklepiad. Tragil. in Schol. Hom. II. XI. 5S2 (Müller Frgmta bist. gr. III. p.305) :
— Tor JCa ixßaXfTv avibv xr\g Iv ovQctrm öiatTTjg *ttl l£ctoTT)Oai In OQOvg vyrjXov txätdififrtov
ttöv xttocSv xal ttjv JlCttvXov, er&a txtxr]dtvTo avttTQtyat.
5) Schol. Or. 9S0: iiXX* r\ ph IotoqU Xfyit tov TdrritXov «vartiafiivaig xeQa^ <f £(**<>'
top ovqhvov. *
6) Eur. Or. 4 ff. : o yng ftaxanioe — Jtbg nttfvxtog (bg XtyovUi TuvraXog xoQvtfijg v/i*p-
rttXovTtt Stuiairnn' tt^tqov afQi 7ror«r«i — . Vgl. die Stellen der Nostoi, des Archilochos,
Alkman (fr. S3 Bergk), Alkaios, Pindar bei Welcker a. a. O.
7) Hom. 11. XV. \H ff. Dazu Prcller Mythol. I. S. 109. Schon Nonnos ist dieser Ver-
wandtschaft inne geworden s. Dionys. XXXV. 279 ff.
*) Hom. II. VIII. 13—27, dazu Preller Mythol. 1. S. 27.
Niobe am Sipylos. 429
Wolke, gerade wielxiou das Scheinbild der Hera, die Wolke umarmt. Aus
der Schule des Anaxagoras ging eine veränderte, aber gesteigert kosmische
Anschauung dieses schwebend zwischen Himmel und Erde an goldenen Ket-
ten gehaltenen Tantalosfelsens hervor, es ward ab die glühende Sonnenkugel
gedacht *) .
Sank aber Tantalos mit jener alten Urwelt der Götter und Menschen in
der Anschauung auf und unter die Erde herab, so war es sehr natürlich, dass
man nun diesen Felsen in dem Berge Sipylos selbst fand, der über ihn ge-
wälzt sei2), dass man historisirend seinen Namen an ein altes Herrschergrab
am drohenden Abhänge des Sipylos, wie wir die Reste solcher ja kennen ge-
lernt3], anknüpfte4) ; ja der Fels wanderte schliesslich in den Hades mit hinab
als bleibende Pein des grossen Sünders.
Zur Vervollständigung dieser göttlichen Seite des Tantalos, in dem wir
also eine irdische Abspiegelung des Himmelsgottes, des Zeus Hypsistos selbst
haben, wie er auf dem Götterberge thronend in Wrolken, die diesen umlagern,
gleichsam schwebend gehalten wird, diese in Gewitter sammelt und entladet,
reflektirt zunächst in einer religiösen Anschauung majestätischer, wolkenumla-
gerter, von JJlitz und Donner umzogener, den Himmel scheinbar stützender oder
keck in ihn ragender Bergspitzen, haben wir aber noch zwei eigenthümliche
Züge hinzuzufügen: es ist die Beziehung zur Götterspeise und Trank, es
ist die Beziehung zum Götterg arten und dessen Wachen. Nach einfach-
ster und wohl auch ältester Sage, die Pindar ausdrücklich hervorhebt, wird
Tantalos, der mit den Göttern die Mahle wechselt, strafbar, dass er Nektar und
Ambrosia, durch die er unsterblich geworden, seinen irdischen Zechgenossen
mitgetheilt5). Er ist also selbst ein Geniessender von Nektar und Ambrosia
und theilt diesen den Sterblichen mit, wie Prometheus das Feuer. Von die-
ser Anschauung aus haben wir eine merkwürdige Nachricht über eine Tan-
talosstatue in Indien, von da seine nahe Beziehung zu Ganymedeszu be-
trachten. Philostratos lässt im Leben des Apollonios von Tyana8) den Inder-
1) Eur. Or. 980 ff. ; uoXoiui j«v ovqkvov xal ptaov x&ovbe iiittjifoav aiioorjpaoi ni-
tquv aXvOtoi xovotaig tfiQopfvav äivatai ßdüXov l£ 'OXv/unov, $ iv ÖQ^roiotv avaßoaoopat
yfyont tmtqI TavraXot. Vgl. dazu Schol. Tzetz., Chil. V. 4*3, 462, Schol. Find. Ol. I. 97.
JaTantalos ward selbst zum (fvoioXoyog, der die Sonne als jävöqos erklärte Schol. Pind. 1. 1.
2) Schol. Find. Ol. I. 97 : ol /ah' yaQ avtov (fccaiv vnoxiio&ai JEini'Xtp i$ Avtilag o(tei.
3) S. obenS. 102.
4) Paul. II. 22: — tötav oftf« iv ZinvXqt tdifov &£ag a&ior.
5) Find. Ol. I. (>0 ff. : itOavdi(av ort xXfyatg dXtxtooi avfinoraig vtxray apßfjootttv tf ^
tSioxtr oiaiv dtfOiror Zfrtour. Asclepiades in Schol. Hom. Od. XI. 589: xXityai yitQ ro vixiaq
xal Ttjv a/uß(>oo{av ovx l£6v avitp W<oxe rotg ofirjX&v. Zu d. Begriff von Nektar u. Am-
brosia vgl. Bergk Geburt d. Athen. VII. u. N. Jbb. f. Fhil. u. Fäd. LXXXI. Hft. 6
(»} Fhilostr. V. Apoll. III. 25 ff. (ed. L. Kays. p. 54 ff.). Man beachte die Ausdrucke:
&e£tp xal dya&qt artig) — dyaOov. c. 32 : noiovvrai til avrov oiro^oov TdvraXov intitirj qtXi-
XioTctTog uv&Q(on<nv t£tiol*t-v.
430 Drittes Kapitel. ,
könig Jarchas sich beklagen über die griechischen, ungerecht die Heroen -
sagen behandelnden, verdrehenden Dichter, so gehe es auch mit dem angeb-
lich so hart gestraften Tantalos, der ein göttlicher und trefflicher Mann, ein
wahrhaft menschenfreundlicher, den Menschen den Göttertrank in reichem
Maasse zutrinkender gewesen sei. Die Inder verehren ihn als Weinschenker
(olvoxoog) und der König zeigte eine vier Ellen hohe Statue in seiner Nähe,
mit der Inschrift Tdrtakog, eines fünfzigjährigen Mannes in argolischer
Tracht, mit zurückgeschlagener Chlamys, welcher eine Schale, genügend für
einen Durstigen hinreichte, in der immer neu ungemischter Wein aufspru-
delte, wie eine immer emporspiudclnde Quelle ; an dieser füllt der König und
seine Genossen die Schale. Welche mythologische Gestalt der Inder hierbei
im Spiele war, wollen wir nicht weiter verfolgen, wichtig ist, dass also für
den hellenistischen Inder dieser Weinschenk mit der Schale als Tantalos sich
darstellte, also in dem Wesen desselben vollsten Anhalt fand.
Und dieser lag ja abgesehen von jener einfachen Ueberlieferung der Mit-
theilung von Nektar in dem engen Verhältnisse, in dem Tantalos zu 6a-
ny medes, dem wahren Schenkknaben von Nektar stand. Entweder nämlich
ist es Tantalos selbst, der den Ganymedes raubt als sein Liebhaber und dar-
über in blutigen Streit mit Tros und Ilos geräth *) , oder sein eigner Sohn Pe-
lops wird in den Himmel als schöner, weinschenkender Knabe von Poseidon
entfuhrt, dann aber wieder entlassen, ausdrücklich als Vorgänger des Gany-
medes bezeichnet2). Was aber im glücklichen gottgeliebten Tantalos als
besonderer Zug des Genusses uud Ueberflusses sich zeigt, was er anderen
mittheilt, das wird im gestraften, gepeinigten zum furchtbarsten Entbehren,
zum nie erfüllten Bedürfhiss, daher das Sprüchwort fj Tavzdkov ditpa, daher
die lebendige Schilderung des Tantalos in der Nekyia3j von dem bis zu den
Knieen im See stehenden Greise, der vergeblich sich bückt nach dem Labe-
trunk, das Wasser schwindet ihm wie verschluckt und schwarz erscheint die
trockene Erde um die Füsse. Sehr interessant ist hier die vereinzelte Notiz
des Mythographen Vaticanus II.4), Tantalos stehe als Verurtheilter in Eri-
dano inferoruin, Eridanos aber, auch selbst Phaetthon genannt, ist ein idealer
Strom des hyperboreischen Lichtlandes und bei ihm wohnen die Nymphen
des Zeus und der Themis 5) .
1) Phanokles bei Sync. Chronogr. p. 305 Dind. (Müller Frgmta hist. gr. IV. p. 473):
rayvjirjöriv 6 TdvtnXog aqndaai vlbv rot) Tyiooe vn avrov xaienoktfAtlto Tqojos <oq ioroQft
JldvfjLog iv ioTOQta Ztvy xal <t>avoxlrjg ; Mnaseas in Müller 1. I. III. p. 154. Vgl. dazu
Stiehle in Philol. IX. S. 503 und reichhaltiger Tafel Pindari Olymp, et Pyth. I. p. 27 mit
anderen Stellen.
2) Pind. Ol. 1.40 ff. (65), bes. die Worte: tv&a ötvityq xQovy tjl&e xal ravujAtjdrjs
Zqvl Ttovr Inl XQtoS'
3) Hoin. Od. XI. 582 ff.
4) Fab. 102.
5) Preller gr. Mythol I. S. 297 Anm. ; Schol. Apoll. Argon. IV. 1397.
Niobe am Sipylos. 431
Und auf Erden selbst ist es jener Sumpfsee Saloe, in den die Stadt Sipy-
los mit dem Bergabhang und dem Königsitze des Tantalos hinabgesunken
war, der an dem Fusse des Sipylos hart sich hinzieht, welcher als die lifivrj
TavtaXov oder der See Tantalis für den rein historisirenden Ausleger des My-
thus bekannt war1).
Wir werden die Beziehung des Trank an die Menschen spendenden,
selbst durstigen oder lustig zechenden Tantalos aber leicht mit jener unserer
Grundauffassung desselben in Einklang bringen, wenn wir, an den befruch-
tenden Regen aus dem um das Gebirge gelagerten Gewitter, wenn wir an
den Segen, der auf die Bergwiesen mit ihren honigreichen Kräutern, mit
ihren Rinder nährenden, Milch erzeugenden Triften sich vom Himmel senkt,
denken. Und Honig, Milch, fliessendes Wasser war die älteste Götterspende,
der alte Meth, so dachte man sich ursprünglich Nektar und Ambrosia2). Ist
doch auch Ganymedes für die befruchtenden Ströme der Erde als Ausgangs-
punkt, als vÖQOxdog in guter Zeit so von Pindar8) gefasst worden, hat man
von seiner Riesenstatue gesprochen, deren Fussbewegung das Anschwellen
des Nils veranlasse und ist daher er mit dem Sternbilde des Aquarius un-
mittelbar verknüpft worden. Aber wir begreifen auch, wie dieser Nektar
spendende Tantalos vor allem da im Volksglauben lebendig sein musste, wo
die Heimath des Weinbaues, dieses Nektars, wie ihn[Dichter geradezu nennen,
für den Griechen gesucht ward, wo wie in Mäonien am Tmolos oder Sipylos
selbst Dionysos geboren war, von wo er seinen Zug über die Erde begann.
Diese nahe Stellung zum Dionysoscult und zwar zu der orgias tischen,
von Phrygien stark beeinflussten Feier der Agrionia mit dem Opfer des zer-
rissenen, zerstückten Knaben hat auch etwa seit dem siebenten Jahrhundert
dem Gastmahle des Tantalos, dem Bilde des ersten Brandopfers jenes fremd-
artige Bild des zerstückten und neu belebten Pelops gegeben,; welches in der
Pelopidensage ethisch gefasst Schuld auf Schuld gleichsam fortgezeugt hat4).
Noch eine zweite Seite bleibt uns am Tantalos hervorzuheben, die Be-
ziehung zum Göttergarten, deren Schätzen und Bewachung. In der
1) Paus. V. 13. 4; VIII. 17.3.
2) S. Bergk a.a.O. S. 3*2 ff.
3) Pindar. bei Philostr. V. Apoll. Tyan. VI. 2t>, fr. 267 (110) bei Bergk. Lyr. gr. Vgl.
dazu Philostr. Imagg. 1. 5 und die bezeichnende Stelle des Schol. Arat. Phaen. 2S2: vS^o^oog
Ji ovrog iSoxh xixXrjo&m anb rrjg n Qa^tios • fytov ya(t eorrjxiv ohoxorjV xal lx%voiy noXXrjy
Ttotiiiai vyQov qr<? tixa&xai tw vixtaQi tov ravvfi^öovg xiX.
4) Gerhard im Rhein. Mus. N. F. X, 3. S. 440 — 42. Rhea oder Hermes ist es, welche
den in den Kessel wieder gethanen zerstückten Pelops belebt und gesund macht. Schol.
Pind. Ol. T. 37.
\s'
<
432 Drittes Kapitel .
homerischen Stelle der Nekyia bilden neben dem Wasser die reizenden
Früchte die Qual des Tantalos l) :
Ragende Bäum1 auch neigten ihm fruchtbare Aest' um die Scheitel
Voll der balsamischen Birne, der süssen Feig' und Granate
Auch voll grüner Oliven und rothgesprenkelter Aepfel,
Aber sobald aufstrebte der Greis, mit den Händen sie haschend,
Schwang ein stürmender Wind sie empor zu den schattigen Wolken.
Offenbar ist das kein Einfall eines einzelnen Dichters, sondern ein allgemein
als gekannt vorausgesetztes mythologisches Jtild. Wir haben auch hier nicht
einen einzelnen Baum, sondern einen reichen Baumgarten der reichsten und
seltensten Früchte, wie sie im Homer sonst nur und ganz mit denselben Wor-
ten bei dem idealen Alkinoospalast geschildert werden *) , wie sie vor allem
aber im Göttergarten [näyxaQnog dltofj), in dem der Hesperiden, amOkeanos
und nahe dem Atlas sich finden, in dem Garten, wo die Quellen Ambrosias
strömen bei dem Lager des Zeus8). Also Tantalos, der Gestrafte und Ge-
peinigte, sieht immer den lockenden Göttergarten und seine Früchte, aber
schattige Wolken, auch dies nicht ohne Bedeutung, entziehen jeden Genuss.
Damit stimmt nun eine andere Sage des Tantalos und bekommt ihr
rechtes Licht, die vom gestohlenen goldenen Hunde, dem Wächter des
Zeusheiligthumes auf Kreta und die Version vom goldenen Widder. Es
wird erzählt4), nach Rheas Willen ist ein goldener Hund Wächter der den
kleinen Zeus nährenden Amalthea im Verstecke des kretischen Idagebirges.
Zeus macht ihn dann zum Wächter seines Heiligthums in Kreta, Pandareos
stiehlt ihn und bringt ihn nach Sipylos zum Tantalos; dieser läugnet dann,
den Hund entweder dem Pandareos selbst mit Meineid ab oder dem Zeus,
welcher Hermes zu ihm geschickt. In anderer Wendung spielt dieser Hund
des Zeus, aber aus Erz, nicht aus Gold gebildet, in der Europasage als Wäch-
ter und ist in die böotische Sage dann verflochten. Wichtig aber für uns,
dass auch dem Atlas ein Hund und zwar in Beziehung zu dem Hesperiden-
garten zugeschrieben wird5), derselbe, welcher als Orthros zu dem westlichen
1) Hom. Od. XI. 587:
J&'ctyf« J* vifft7i4jr\Xa xttt ttxQtj&ey x& x«Q7iov
oy%vai xa\ (toi cd xtt\ ur]Xiai aylttoxagnot
Ouxtai T€ yXuxeoa) xal IXnTat TrjXeSoatOaj'
luv onur t&vOfi' ytotov Inl %tQ(*l fiaöctofrcti
t«S J* iivffiog (tlntaaxt tiotX vttfca oxCotvia.
Daher Tantalea poma Prop. El. II. 1 . 66 und jener egens benign ae TantaluR »emper dapis
Hör. Epod. XVII. 67.
2) Hom. Od. VII. 114—116.
3) Eur. Hippol. 737 ff. Vgl. dazu Preller gr. Mythol. 1. S. 3!Sff. und Bergk a.a.O.
XII. Garten der Götter. Atlas und Hesperiden etc.
4) Antonin. Liber. c. 36; Schol. Pind. Ol. I. 90. 97.
b) Schol. Apoll. Argon. 1399.
Niobe am Sipylos. 433
Riesen Geryoneus tritt. Wir werden bei dem goldenen Hunde, dem Wächter
der Heiligthümer, wo jene himmlischen Nährerinnen mit Milch und Honig
den Himmelsgott genährt, den die astronomische Deutung auch an den Him-
mel versetzte, aber auch leicht den Uebergang erkennen, der von dem Gar-
ten des Zeus, des Okeanos, der Hera, der Hesperiden, des Apollon, wie er
verschieden genannt wird, und wie er nicht allein in den Westen, auch in den
Osten in das Morgenglühn versetzt wird, zu einer idealen Weide mit goldeneu
He erden fuhrt; ein Uebergang, welcher für den Griechen in dem Doppelsinn
der firjla xqvobcx, goldenen Aepfel und Lämmer so verführerisch nahe lag1).
Daran reiht sich dann weiter, dass auch jener goldene Widder, , jenes Wun-
derlamm mit goldenem Vliesse", den die gewöhnliche Tradition von Hermes an
Pelops oder Atreus gegeben sein lässt, bereits an Tantalos geschenkt wurde2).
Wer wollte auch hier das einfach schöne und grosse Naturbild verken-
nen des lichten Himmels mit seinen goldenen Wolkenlämmern, der um den
ragenden Götterberg sich spannt, nachdem die lastenden dunkeln, regen-
strömenden Wolken sich aufgelöst und zerstreut haben? Aber wer auch
zweifeln, dass auf Erden diese Anschauung in einem reich gesegneten, ge-
rade mit Fruehtbäumen edelster Art geschmückten Thale hart unter dem
drohenden Abstürze des Gebirges, wo zugleich Gold, dieses „Kind des Zeus",
um mit Pindar zu reden, einst die Bäche in reichem Maasse führten, bei
einem einst blühenden, dann plötzlich zerstörten Königsitze eine besonders
reiche Ausgestaltung erfuhr?
So schliesst sich endlich Tantalos und Dione wahrhaft naturgemäss an
einander, beide haben im Begriffe des Zeus als Himmelsgottes ihre Wurzeln,
in ihrer Vereinigung stellen sie die im Gewitter drohende, im Regen Segen
niederströmende, die Erde, zunächst Wald und Wiese am Berge befruchtende
Himmelsmacht dar, beide reichen Nektar und Ambrosia und stehen zu dem
Göttergarten, als Wahrer und Verschliesser gleichsam in Beziehung. Auch
in dieser religiös aufgefassten Naturseite haben wir die eine ursprüngliche
Beziehung von Niobe als wahre Tantalide, als Tantalis zu Tantalos zu suchen.
Aber dieser Naturseite geht eine menschliche zur Seite und sie fuhrt uns
in die griechische Auffassung des Urzustandes der Menschheit. Tantalos ist
in wesentlichen Beziehungen das Bild des Urmenschen in seiner Herrlichkeit,
aber auch in seinem Fall, er scheint wie ein Gebirge der Erde in den Himmel
zu ragen *) und ihm zu trotzen, steht daher zu Prometheus in entschiedener
Wesensverwandtschaft und doch eigen thümlichem Gegensatz, wir können ihn
1) Schol. Apoll. Rhod Argon. IV. V. 1396 : %AyQolj«q dl fv y Aißvxüv y ijcri, pri jii}X«
ilvai aXXa ngoßaia xaXXior« S XQvaä (ovofiaofrrj • fjfftv dt lavta noifi^va ayQtov, ov Jiä to
dv7j/u(QOu Sgdxovtt atvo/daa&ai.
2) Schol. Eur. Or. 996.
3) Ougavip xvqun> ovo» wird das Geschick des Tantalos genannt •. oben 8. 39.
8tark,Niobe. 28
434 Drittes Kapitel.
mit Phoroneus, mit Alalkomeneus, mit dem Opferer Lykaon vergleichen,
aber dann wird er auch in die Reihe der grossen Frevler, eines Tityos, Sisy-
phos, Salmoneus, Ixion, Erysichthon u. a. eingefügt. Die volle Entwickelung
dieser Auffassung gehört entschieden erst der sittlichen Vertiefung des grie-
chischen religiösen Lebens, der Poesie eines Pindars und der Tragiker. Wir
sehen ihn in engster Lebensgemeinschaft mit den Göttern inGenussundRath,
wie dies als ältester Zustand der Menschen überhaupt aufgefasst wird1), in ihm
lebt das volle Bewusstsein göttlichen Ursprungs, göttlicher Verwandtschaft,
aber ,,er vermochte, um mitPindar2) zu reden, nicht zu verdauen das gewaltige
Glück und in Uebersättigung wählt er die übergewaltige Ate, die Zeus über
ihn verhängte in dem mächtigen Stein, von dem immer erwartend, das« er
das Haupt ihn treffe, er verlustig geht aller Freude (am Mahl) und er hat ein
solches, nicht zu bewältigendes, von Mühsal fest bedrängtes Leben, neben
dreien die vierte Arbeit". Unsere Wanderung durch die~griechische Literatur
im ersten Theil hat uns Niobe und Tantalos fortwährend gemeinsam, als Bil-
der höchsten Glückes aber auch furchtbarsten Sturzes im Uebermuth dessel-
ben aufgewiesen.
Worin besteht nun aber der Frevel des Tantalos ? Es ist entweder der
Missbrauch der göttlichen Gaben, der Speisen wie des Rathes oder der Ver-
such die Gottheit zu täuschen im Meineid oder im Opfer. Tantalos hat in
einer die göttliche Gabe nicht achtenden Vergeudung Nektar und Ambrosia
seinen Zechgenossen unter den Menschen mitgetheilt*) oder er hat die Pläne
des Zeus, die dieser ihm anvertraut, die „göttlichen Mysterien" den Men-
schen in Plauderhaftigkeit verrathen, er hat eine zügellose Zunge4), oder er
hat mit Meineid den Besitz des goldenen Hundes geläugnet, oder er hat end-
lich beim Mahle die Götter zu täuschen versucht, indem er seinen eigenen
1) Hesiod. frgm. fr. 119 ed. Göttling:
£vva\ yitQ ton öatuc fattv% {woi M &6*>xot
a&araToiOi &£oioi xaiaihr^toi^ t ttv&Qtinotg9
Vgl. dazu Hermann Lehrb. d. gr. Antiquit. II. § I, 7. S. 4.
2) Od. I. 55—60 (87-95):
aXXa yag xatanfycu
piyav oXßov ovx täwaofh}, xoQtp <T %X$v
arav vniqonXov av ol natijQ vnfQXQ^/uaat xaQieQov avrq XC&ov
thv atil (Atvoivtiv xufalas ßaXfTv tvtfQoovvag aXürai,
ty(t $' andXapov ßtov iovtov i/untdopox&or
/Atta TQKÜV titttQJOV novov.
3) Pindar 1. 1. 61 mit Schol. ; Hygin fab. 82.
4) Eurip. Or. 10:
axolaürov fojft yXaiooav, aia^arrjv vooov.
Diod. IV. 74 : (tnqyyeXXe tote av&qtünoic tu napa rote i&ayatoif uniQ^ta.
Niobe am Sipylos. 435
#
Sohn zerstückeln, in den siedenden Kessel werfen liess und den Göttern vor-
setzt ') .
Tantalostund Dione sind die bedeutungsvollsten Gestalten, in deren
Mitte Niobe gestellt ist, am Sipylos, deren Wesen sie selbst am meisten ver-
wandt ist. Unter den Niobesöhnen sind daher die Namen Sipylos undTantalos
fast durchgängig bezeugt2), und auchAgenor mag als ein zu Sipylos als dessen
Vater gehöriger Name hier genannt sein *) . Ehe wir das Wesen von Niobe
selbst nun an dieser specifischen Stätte aus den bestimmten Merkmalen gleich-
sam herauslesen, haben wir aber ihrer Verbindung mit zwei Geschwistern,
Pelops und Broteaszu gedenken. Pelops tritt unter diesen beiden ganz in
den Vordergrund, wie überhaupt, so speciell im Verhältniss zu Niobe; in
Broteas haben wir vielleicht nur ein schwächeres Gegenbild des Pelops. Dieser
erscheint durchgängig als Bruder4), wohl auch als Halbbruder Niobes, wird
aber auch einmal ihr Gemahl5) genannt. Wir sind bei unserer Wanderung
durch die griechischen Stätten, an denen Name und Sage der Niobe und Nio-
biden irgendwie haftete, in Argos, an lakonischer Küste, in Elis vor allen,
im westlichsten Achaia8), auch in Theben und der thessalischen Achaia, in
Theben am Ida Pelops überall begegnet, in seinem Gefolge zeigen sich be-
stimmte Stamm es ein flüssc und zwar der Achäer, bestimmte Culte wie des
Hermes, der Göttermutter, der Artemis vom Sipylos, der kleinasiatischen
1) Mythogr. Vat. II. 102: Tantalus rex Corinthiorum amicus numinibus fuit, quae
cum frequenter suseiperet et quodam tempore defuissent epulae, volens divinitatem eorum
temptare, invitatis filium suum Pelopem oeeidens epulandum proposuit. Die symbolische
Bedeutung dieses Aktes überwiegt früher durchaus die ethische.
2) S. oben 8. 97.
3) Pseudoplut. flu?. 9, 4.
4) So bezeichnet Ovid Ib. 588 einfach Niobe mit soror Pelopis.
5) Schol. Ven. alt. und Lips. zu Hom. IL XXIV. 602.
6) Ich muss hier nachträglich auf eine Lokalität mit einer Fülle bedeutsamer Namen
und Mythen daselbst aufmerksam machen, an welcher Pelops, aber auch Chloris eine
wichtige Rolle spielt : ich meine 0 1 e n o s und die 0 1 e n i a p e t r a. Nach dem Schol.
Pind. Ol. I. 37; IX. 15 ist nach dem Schriftsteller Autesion Pelops ein Achäer aus der
Stadt Olenos, welcher auch Homer gedenke (IL 11. 639). Diese nennt er allerdings in Aeto-
lien neben Pleuren und Pylene, aber er kennt auch eine nitQ^ 'ttlfvCt) im nördlichen Elis
bei Bupraaion und dem Hügel Aleision (IL XI. 757). Der Name haftete später in Olympia
selbst an dem Taraxipposstein, welcher als Grab eines Autochthonen und trefflichen Roste-
lenkers Olenios bezeichnet ward, von dem auch ein Fels den Namen habe (Paus. VI. 20. 8).
Ein uralter Ort Olenos wird uns aber von Strabo (VIII. 3, S. II; 7, 5) und Pausaniaa
(VII. 22, 1) nördlich an Elis angranzend dem Meere nahe, zwischen Dyme, Patvae und Pharae
genannt und jener Fels wird als das Gebirge Skollis bezeichnet. Dort finden wir nun aber einen
Acheloos, einen andern Fluss Pieros oder Peiros, einen dritten Kaukon, wie der autoch-
thone Volkstamm dort hiess, dort auch einen Larisos ; dort nahe auch eine Quelle Dirke.
Ein uralter Hermesdienst in Pharai mit altem Platanenhain , ein H eilig th um der Mater
Dindymene in Patrae sind sichtlich nicht ohne Beziehung zu Pelops. Aber der Name Ole-
28*
436 Drittes Kapitel.
Athene und vor allem des Zeus, eudlich bestimmte Cultureinflüsse von Klein-
asien in Reich thum, vor allem an edlem Metall, in Pflanzen, so der Pla-
tane,1), in Grabdenkmälern, in Musik lydischer und phrygischer Weisen ;
wir haben auch in der Sipylosgegend bestimmte Culte, so der Aphrodite und
des Hermes an seinen Namen geknüpft gefunden, ebenso kennen wir in
Thyatira2) eine Stadt, die als Pelopia als seine Gründung galt. Ein Thron-
sitz des Pelops, wie schon früher erwähnt ward, war von Pausanias *) auf dem
Sipylosgipfel über dem Heiligthum der Mater Piakiene gekannt , aber auch
das einzige sichtbare Merkmal des Pelops am Sipylos.
Die Gestalt des Pelops, über den wir jetzt mehrere, eingehende und be-
sonders seine ethnographische Stellung im Bereiche des urgriechischen, spe-
ciell achäischen Wesens sichernde Abhandlungen4) besitzen, hat nur einen
Theil ihrer wesentlichen Züge gemeinsam mit Niobe, ein anderer Theil liegt
daneben in einem zwar verwandten, aber doch in sich selbständigen religiö-
sen Kreise, dem nämlich des Poseidon, Hades und der Demeter. Wir haben
schon früher darauf hingedeutet Ä) , dass Chloris oder Meliboia jene in Her-
mione, Olympia, Pylos, Olenos, Orchomenos auftretende und Niobe verbun-
dene Gestalt ihr ursprünglich nicht zugehört habe, sondern aus einem ver-
nos und Olenie hat eine speeifische Beziehung zu der GeburtsRtatte des Zeus, zu den näh-
renden Zeusnymphen und endlich zum Göttergarten und mit diesem zu Chloris. Es wird
nämlich die göttliche Ziege, von der das Zeuskind genährt ward, von Ära tos die Olenische
genannt (Phaenom. 163 ff., Straho VIII. 7. 5), Aegac oder Aega, die nachher verlassene
achäische Stadt ward als Stätte dieser «f| betrachtet. Nach Hyginus (Poet, astron. II.
13) ist Olenus Sohn des Vulcan und der Vater der zwei Zeus nährenden Nymphen Aega
and Helike und von diesen sind jene Städte genannt worden. Chloris endlich, die Nymphe
jenes glücklichen Gefildes, wo einst vom Glück begnadigte Menschen lebten (Chloris-
nymphe campi felicis, ubi audis rem fortunatis ante fuisse viris Ov. Fast. V. 179), hat in
ihrem Garten eine Blume, einzig in ihrer Art, gesandt von olenischen Gefilden (Oleniis ab
arvis Ov. 1. 1. 251), deren Berührung befruchtet und Hera ohne Umarmung des Zeus den
Ares schenkte. Dass wir Chloris auch in Olympia begegnen, haben wir damit wohl in Be-
ziehung zu setzen.
1) Böttcher Baumkult S. 116 ff.
2) Steph. Byz. s. v. öi/«t£#(#«.
3) V. 13. 4; s. oben.
4) Ich nenne Völcker Mythol. des Japet. Geschlechtes S. 75. 351 ff., welcher Pelops
mit 'iloip, $Xo$ = Wasser (!) zusammenbringt und mit fXXol, dann dens. in Zimmermann
Allg. Schulzeit. 1*31. n. 39—42, ferner Tafel Pindar. p. 43—58, dann bes. Krahners Arti-
kel in Ersch u. Gruber Encyclopädie 111. Sect. lli.Thl. S. 282—294, und Klausen in ders.
Encyclop. III, 2. S.97ff. und noch Philologus VII, 495 ff., endlich G. üietr. Müller My-
thol. d. griech. Stämme 1. S. S. 95 — 1 lü : Pelops. Kürzere Urtheile in Niebuhr Kl. Schrift.
I. S. 370, Löbell Weltgesch. in Umr. u. Ausführ. I. S. 595 f., Curtius Peloponnes. II.
S. 559. Anm. 0, Gerhard gr. Mythol. II. $ $"°» Preller gr. Mythol. II. S. 207 ff. Die
Kunstdarstellungen sind zusammengestellt von Papasliotis in Arch. Zeit. 1853. n. 53 ff.
5) S. obenS. 359-361.
Niobe am Sipylos. 437
wandten Kreise der Demeter und Kora herübergenommen sei. In Pelops
haben wir vor allem ein solches Bindeglied zu suchen, an ihn hat Chloris
wohl früher als an Niobe sich gleichsam angesetzt. Mit Niobe verbindet ihn
seine auf Zeus als auf den Berghöhen thronenden oder verehrten Himmels-
gott, auf Hermes als zeugerischen, den Weiden am Gebirge und deren Thie-
ren zunächst angehörigen Gott, endlich auf Aphrodite, die Tochter Diones,
die in der Myrte verehrte, uralle, alle Ehen und Völkervereinigungen stiftende
Macht gegründete Natur. Pelops und Niobe ziehen zusammen aus, um jeder
einen Ehebund zu seh Hessen, Reichthum und Kindersegen begleitet sie beide,
beide sind wahre Urbilder königlicher Herrlichkeit, beide freveln in der ethi-
schen Fortentwickelung der Sage, aber in ganz anderer Weise und mit anderen
Folgen, in Niobe offenbart sich die im Tantalos auch vorausgesetzte Selbst-
überhebung gegenüber einer höhern, nur als gleichstehend betrachteten
göttlichen Potenz, gepaart mit Offenheit und Hoheit, in Pelops der Sinn des
Betrugs, der Undankbarkeit und Hinterlist, die wir auch in Tantalos nach
einer Seite finden, gegenüber dem scheinbar untergeordneten, aber doch
entscheidend hülfreichen Hermessohne1), vereint mit dem unvertilgbaren
Reize der Schönheit und Gewandtheit. In den Kindern beider rächt sich der
Frevel, dort durch gewaltsamen plötzlichen Untergang in sich geeinter blü-
hender Kinder, hier in der päderastischen Verführung des Kindes (Chrysip-
pos) oder dem furchtbaren Zwiespalt der Kinder und gegenseitig sich vernich-
tender Ueberlistung ; dort wird die Mutter ganz zur Trägerin nie endender
Trauer und Thräncn, hier sühnt der geschickte Heros den Frevel zunächst
durch Cultuseinrichtungen, flucht den Kindern und zerstreut sie dadurch2),
in seinen Nachkommen wirkt durch Geschlechter der Rachegeist, der Alastor
fort, er selbst aber bleibt das Bild königlichen Glückes. Unter den Niobe-
kindern weisen wohl ausser Pelopia und Chloris auch noch Namen wie Da-
mippe, Lysippos, Damasichthon auf die Pelopische Verwandtschaft hin.
Neben Pelops taucht in ein Paar Stellen eine zweite Gestalt noch als
Sohn des Tantalos und Bruder Niobes auf, deren mythologische Eigentüm-
lichkeit kaum hinlänglich aus ganz vereinzelten Zügen zu erkennen ist, Bro-
te as8). Als ein Sohn des Tantalos4), als ein Vater eines Tantalos und zwar
mit Klytemnestra, ehe diese mit Agamemnon sich vermählt, als Verfertiger
des ältesten Steinbildes der Göttermutter am Sipylos wird er uns genannt.
1) Dies ist bei Paus. II. 18. 2 : rb jiiaafta rb TTtXonog xal b MvqjUov 7jQoajQ6naiog.
2) Maut. prov. cent. 11. 1)4 in Paroemiogr. gr. IL ed. Schneidewin et Leutach p. 773.
3) Ueber Broteas vgl. Preller in Philol. VII. S.35, bes. Gerhard im Rhein. Mus. N.F.
VIII. 1851. S. 130—132, gr. Mythol. II. g 874.
4) Paus. II. 22. 4 ; 111. 22. 4 ; Mant. prov. cent. II. 94, in Paroemiogr. gr. II. p. 772.
Bei Pausanias ist handschriftliche Lesart: Bqwiias. ,
438 Drittes Kapitel.
Der Name begegnet uns bei Ovid dreimal, zweimal unter Heroen und Gast-
genossen , die beim Mahle paarweise getödtet werden, bei Perseus Hochzeit-
mahl1) und bei dem des Peirithoos2). Das dritte Mal tritt uns ein sehr be-
deutsamer Zug an einem Broteas auf: er habe im Wunsch zu sterben sich
selbst lebendig auf den brennenden Scheiterhaufen begeben *) . Das Scholion
dazu nennt diesen einen Sohn des Vulcan und der Minerva und zwar einen
missgestalteten. Hier werden wir geneigt 6 ein, Bronteas als ursprünglichen,
in Broteas aus etymologischem Interesse gewandelten Namen aufzufassen,
wenn auch die Beziehung zu Bqotog als erdgeborenem Menschen *} in dem
Namen des Sohnes oder Pfleglings derselben Verbindung, Erichthonios vor-
liegt. Die Selbstverbrennung erinnert an assyrisch-lydische religiöse Auffas-
sung der Neubelebung und Apotheose. Der Name Bqotiag kann aber nicht
mit Gerhard von ßfHooxsiv, ßqwzSg oder direkt von ßqotog d. h. Blut abge-
leitet werden, sondern ist durch ßQoteog, ßqoteiog, Nebenform von ßQorog,
d. h. der sterbliche Mensch. Broteas wäre danach der specifische Mensch
als Sterblicher, als Techniker und Götterbildner, in dieser Beziehung miss-
gestaltet wie Hephästos gebildet, der sich selbst Verbrennende endlich ana-
log dem lydischen Herakles. Jedenfalls haben wir hier eine in den Bereich
der ersten Menschen und ihres göttlichen Ursprunges hereingehörige Gestalt.
Noch einem Nebenpfade haben wir unter den die Niobe am Sipylos um-
gebenden Sagengestalten nachzugehen, der lydischen, aber bereits ganz hel-
lenistisch gefärbten, unter griechischem Einflüsse stehenden Erzählung; sie
ist von uns nach ihren Gewährsmännern bereits früher5) vorgeführt worden.
Dass es sich für uns nicht darum handeln kann, hierin die ursprüngliche
Sagenform zu erkennen und alle bisher betrachteten als freie griechische Um-
bildungen einer fremden Sage, wie Welcker es früher aufgefasst hat6), dafür
giebt die ganze Reihe unserer bisherigen Untersuchungen, dafür die Natur
der Gewährsmänner und die Form der Erzählung Zeugniss. Der Name des
Vaters der Niobe, Assaon oder, wie er einmal in hellenischer patronymischer
1) Metam. V. 107: hinc gemini fratres Broteasque et caestibus Ammon
invictus — cecidere manu — . Mit ihnen wird ein Cerespriester Ampykos genannt.
2) Metam. XII. 262 : depressitque duos Brotean et Orion.
3) Ibis 517 : quodque ferunt Brotean fecisse cu pidine mortis
dextera succensae membra cremanda pyrae.
4) In Etymol. M. s. v. ßQorbs leitet Euhemeros es ab anb Bqotov nvbq aviox&ovos,
Hesiod kennt einen JJqojos 6 Ai&iQog xal 'H/diftas.
5) S. 5(>. 57.
6) Aeschyl. Trilogie S. J53f. Ob Welcker noch heute dies festhält, geht aus den treff-
lichen, gedankenreichen Worten desselben über Niobe in d. griech. Götter!. III. S. 124 ff.
nicht hervor; hier behandelt er nur die griechische Auffassung. Schwenck hat diese Irdi-
sche Sage als ursprüngliche behandelt, mit griechischen Etymologien aber Hinweis auf
semitische Anschauung im Rhein. Mus. N. F. XI. 4. S. 4S4.
Nlobe am Sipylos. 439
FormAsonides1) heisst, mochte den Griechen wohl an aaäv kränken erinnern,
aber wird eher eine semitische Wurzel haben3). Der Gemahl der Niobe,
welcher als in Sipylos wohnender Assyrer8), d. h. als ein Glied der assy-
risch -lydischen Dynastie bezeichnet wird, wird Philottos genannt, ein
Name, der wohl äusserlich an die mit <pil zusammengesetzten Namen erin-
nert, aber sicher auch eine nichtgriechische Wurzel hat, ebenso wie der
mannweibliche Phrygier Androkottos4), wie der assyrische Statthalter de6
Ninos in Paphlagonien Kottas ö) . In der Erzählung selbst wird eines Strei-
tes mit Leto auch gedacht, ebenso des grossen Kinderreichthums (zwanzig
Kinder). Der eigentliche Schwerpunkt liegt aber theils in dem Tode des
Mannes auf der Jagd durch einen Bären6), ein Symbol winterlicher, zerstö-
render Natur7), analog Adonis und Attis, die durch den Eber auf der Jagd
umkommen, theils in der unnatürlichen Lust des Vaters zur Tochter, wie wir
sie umgekehrt in Myrrha oder Smyrna, der Mutter des Adonis zu ihrem Vater,
dem Assyrer Theias oder Kinyras finden 8) . Auch die Verbrennung der zum
Frühstück gerufenen Kinder weist auf semitischen Molochdienst. Endlich
Niobe stürzt sich vom höchsten Fels, ähnlich, der von Minus verfolgten Bri-
tomartis auf Kreta, einer auch wesentlich semitischen Sage.
Treten wir nun zur Niobe selbst auf dem Boden von Sipylos heran
nachdem wir den ganzen Umkreis der Gestalten, die mit ihr hier in Verbin-
dung gesetzt sind, betrachtet und gleichsam von ihr abgelöst haben. Auch
bei ihr ist wie bei Tantaloe dem Hellenen der höchsten künstlerischen Ent-
wickelung seines Volkes, einem Sophokles9), noch nicht das Bewusstsein
erloschen, dass er es mit einer göttlichen Gestalt zu thun hat, hoch erhaben
über die idealisirten Gestalten einer menschlichen frühem Periode, dass ihr,
wenn sie auch keine Anbetung mehr empfängt, doch eine solche ihr gemäss
ist. Aber wir sehen dieselbe wie Tantalos gleichsam herabsinken aus dem
Götterkreise, aus dem Bereiche jener göttlich verehrten Welt, die hinter den
Erscheinungen der Natur vorausgesetzt wird, auf die Erde, in die bestimmte
1) So heisst auch ein Aeginet Herod. VII. 181.
2) Ist nicht in v?, das Gestirn des Bären und an das Verbuni yöy = rauchen, entbren-
nen zu denken ?
3) Schol. Eur. Phoen. 1, 59 : — ix 4»ilortov TOVjioovQfou, og tpxti Iv 2invXy.
4) Athen. XII. p. 530 c: 'AvÖQoxorios 6 <Pqv£, der mit Sardanapallos gleichgestellt
wird.
5) Diod. II. 226.
6) Dies giebt der Zusatz des Cod. Florent. in Schol. Eur. Phoen. 159: of avyQ&ri h
xvvijytüiqt vnb ctQXiov.
7) Gerhard gr. Mythol. § 40, 2.
8) Apollod. 111. 14. 4 ; Ov. Met. X. 298ff.; Serv. Virg. Ecl. X. 18.
9) S. obenS. 42 ff.
440 Drittes Kapitel.
Lokalität und da an festhaftende Zeichen, selbst an historische Denkmä-
ler sich als Heroine anknüpfen. Ja wir horchen mit ihr des Rufes, der sie
unter die Erde ruft1), steigen mit ihr in die Unterwelt hinab2), dort ihr be-
gegnend wie sie die Zahl ihrer Kinderschatten überzählt*). Und wie in Tan-
talos ist in ihr jener innere Parallelisinus zwischen Naturleben und den Ur-
yerhältnissen der Menschheit ausgesprochen, die noch fortwirken in der gan-
zen sittlichen Existenz der nachkommenden Geschlechter.
Niobe, die Tochter des Tantalos und der Dione, ja auch Gemahlin des
ersteren gehört in den Bereich des Götterberges, der Götterstadt, des Götter-
gartens, an die nährenden himmlischen Quellen, sie ist selbst das Produkt
gleichsam dieser im strömenden Regen, auf quellenreichen Gründen sich offen-
barenden Vereinigung des hochthronenden Himmelsgottes und der weiblichen
auf der Erde gelagerten Himmelsfrau, sie ist selbst diese Erde, die in Man-
nigfaltigkeit, Schönheit und Zahl ihrer Kinder diesen Segen bewährt, unmit-
telbar darstellt, sie die da, wie wir früher sahen, nach des Tragikers Wor-
ten4) glaubte „in immer blühendem Leben, von den Sprossen ihrer Kinder
strotzend das süsse Tageslicht zu schauen". Wir haben hier wohl die ein-
zelnen, durchaus gleichbleibenden Züge festzuhalten. Es ist baare Willkür,
wenn Schwende5) meint, die wahre Niobe könne nur Einen Sohn haben, wie
Kybele den Attis, ebensowenig als der Sohn der Leto sie verfolge und Apollo
und Artemis die Kinder tödten ; die Mehrzahl der Kinder, dies ganze Ver-
hältniss zu Apollo, Artemis und Leto sei reine Hinzudichtung auf thebani-
schem Boden. Das heisst einen Mythus seiner eigentümlichen Züge ent-
kleiden und gewaltsam einen anderen, ihn etwa berührenden eines anderen
Volkstammes an die Stelle setzen. Nein, gerade am Sipylos ist die Fülle,
die grosse Zahl der Kinder durchaus constant, man denke an die Zwölfzahl
des Homer, an die Zahlen zwanzig in der specifisch lydischen Tradition wie
bei Mimnermos6), zehn des A lkm an. Ebenso fest steht in aller Ueberliefe-
rung, dass beide Geschlechter, Söhne und Töchter unter den Kindern und
zwar möglichst in gleicher Zahl sich befanden. Weiter ist die Schönheit eine
specifische Eigenschaft Niobcs selbst, wie ihrer Kinder : ihre Schönheit trägt
ausdrücklich ein göttliches Gepräge7) in denselben Beinamen, so wird sie
wie Leto von der Schönheit des Haares genannt. Auf die evtsxvla und xcrJU
1) S. 3S au 8 Aeschylos.
2) Niobe und Charon im Epigramm S. 60. Note 3.
3) Statius s. oben S. SO. Not. 1.
4) S. IS.
5) Rhein. Mus. N. F. XI. S. 401.
6) S. 31.
") Digna dea facies Ov. Metam. VI. 182, dazu s. oben S. 228 ff.
Niobe am Sipylos. 441
kittxvia*), nicht blos auf die Kinderzahl ist sie stolz. Dazu kommt noch
der spezifische Hegriff des oXßo§9 des Reichthums an Gütern und Gaben, so
wie der der Herrschaft und deren Anerkennung der Niobe wie Tantalos zu
gehört. Auch sie ist Genossin und Freundin von Göttern, wie Tantalos des
Zeus, so Niobe der hehren Göttin der Nacht, aus der das Licht geboren wird,
derLeto und freundlicher Mächte des Tageslichtes, wiePhoibe undHilaeira*).
Das sind keine Züge, wie wir sie in der phrygischen Göttermutter, der
Kybele suchen können, der der Wölfe und muthiger Löwen Gebrüll, der
hallende Berge und waldige Schluchten gefallen, der Castagnetten und Tam-
burin und Flötengepfeife ertönt3). Dagegen werden wir unmittelbar durch
einen anderen homerischen Hymnus4) an die Allmutter Gaia gewiesen, die
alles auf Erden nährt, was es giebt, aus ihrem Beichthum (okfiog). „Von dir t
werden sie glücklich in Kindern, glücklich in Frucht, du Erhabene, von
dir hängt es ab zu geben Lebensbedarf und zu nehmen den sterblichen Men-
schen. Glücklich der, den du wohlgesinnt ehrst, dem ist in Fülle alles vor-
handen. Ihnen pranget von Gaben das Fruchtfeld, auf den Auen gedeihen
die Heerden, das Haus füllt sich mit edeln Gaben, sie selbst herrschen in
Ordnung über eine Stadt voll schöner Frauen, viel Glück und Beichthum
folgt ihnen nach. Die Söhne frohlocken in jugendlich irischer Festlust, die
Jungfrauen hüpfen in blühendem Reigen, heitern Sinnes scherzend auf dem
Blumenteppiche der Wiese, denen, die du ehrst, erhabene Göttin, an Gaben
überreiches Wesen." Ist es nicht Niobe selbst, in welcher diese Gaben der
Gaea alle vereint sich zeigen /
Aber sie repräsentirt nicht dieses Bild der Mutter Erde in ihrer Allge-
meinheit, sie ist wie ihre Mutter Dione individualisirt als Nymphe, als eine
dieser gleichsam gebundenen , nicht zu freier Vollendung gekommenen Ge-
stalten und prägt als solche diese eine bestimmte Seite der Kinderfülle im
Leben der Pflanzen wie der Thiere und vor allem der Menschenwelt, der Schön-
heit der irdischen Erscheinung vollständig aus und zwar ebenso sehr in ihrem
Besitz, in ihrem Bestehen, wie in ihrem nothwendigen Vergehen, in ihrem
1 ) S. 84. 85.
2) S. oben S. 159.
3) Hom. h. XIV.
4) Hom. h. XXX : elg rfjv t*tjT£(ta nttvtiav.
Ich mache aufmerksam auf die Stelle :
raSi yfyßtrai ix ot&tv olßov
fx <s(o S* tvnuiSig it xal toxagnoi Ttktdovot,
noma, Otv <T fytreu öovvai ßlov i)<f * d(f(X£o&tti
9i'tiTols av&Q<»7ioic * o <T olßtog ov xt ab #c//uqf>
7TQO(fQwv rtfiqafts' rtji r aq&iTa navxa naQtartv.
ßQlfrtt /iiv oifiv «qqvq* ijCQtoßiog ttfl xar dygovg
xtrptoiv tv&firu, olxog 9* ipntnlanu io&Xühr xrl.
• L
442 Drittes Kapitel.
immer sich wiederholenden Verlust. So breitet sich über diese Repräsentantin
des Glückes und Reichthums die Decke nie endender Wehmuth. Und ge-
rade diese Seite der Vergänglichkeit, der Vernichtung und der Trauer in all
der Pracht und Herrlichkeit, am Sipylos in jener grossen Katastrophe einer
blühenden Königstadt und Landschaft unauslöschlich ausgeprägt , gab der
rein menschlichen, ethischen Betrachtung den reichsten Stoff und Hess unter
der Hand ausarbeitender Dichter und unter dem Einflüsse der apollinischen
Religionsstufe nun das, was einen im Wesen der Dinge begründeten Cha-
rakterzug Niobes bildete , als einen freien Akt sittlicher Verschuldung er-
scheinen. Umgekehrt aber auch erblickte in ihr der irrende, fehlende, aus
höchstem Glück in Vereinsamung und Unglück gestürzte Mensch ein trösten-
des Bild, das des Mitleidens der Natur, aber ebenso ursprünglich göttlicher,
auch im Leiden noch erhabener Menschennatur.
Was sind nun die charakteristischen Züge dieser Niobe, was ihre lokalen
Symbole am Sipylos? Es sind die Thränen und der Fels. Von Homer
bis in die letzten Ausläufer der antiken Literatur werden uns diese zwei Haupt-
züge und Merkmale immer neu vorgeführt, an welche zwei andere jedoch un-
tergeordnet anschliessen. In mannigfachen Abstufungen vom Allgemeinen zum
Lokalen und Historischen wird der Fels aufgefasst. In Homer erscheint die Ver-
steinerung als ein allgemeines weit sich erstreckendes, die Menschheit über-
haupt betreffendes Ereigniss und das Grab der Kinder von Götterhand ist als
ein gewaltig aufgethürmterBerg zu fassen. In dem jüngeren Zusätze wird erst
Niobes eigene Versteinerung unter den Felsen des Sipylos bestimmt angegeben.
An diese ältere Anschauung vom Gebirg als Grab der Kinder schliesst sich sicht-
lich auch Aeschylos an, wenn er Niobe sitzend auf dem Grab der Kinder ein-
fuhrt. Bei Sophokles ') in der Elektra ist sie selbst in dieses Felsengrab ein-
geschlossen und weint dort ewig, in der Antigone giebt uns der Dichter da«
Bild : wie Epheu, so habe sie am Sipylos der Fels umrankt, umschlossen und
Schnee und Regen verlassen sie nie, sie selbst netze mit ihren Thränen den
Bergnacken. Sie selbst also waltet dämonisch in dieser Bergumhüllung, der
rinnende Quell, genährt an Regen und Schnee ist die Offenbarung ihres Le-
bens, ihrer Empfindung. Das regelmässig in schwermüthigem Takt abtro-
pfende Nasseiner Quelle an einer nach Norden gerichteten, den Sonnenstrahlen
nicht ausgesetzten steilen Bergwand war für die griechische Anschauung das
unmittelbar verständliche und ergreifende Symbol der im Winter trauernden
Erdmutter. Kein Wunder, dass auch wohl in dem zu Eis erstarrten Quell
einige die Verwandlung Niobes erkannt'); In einem Namen der Tochter,
1) S. oben S. 42 ff. Noch bei Palaephatus de incred. 9 (p. 279 ed. Westerm.) heisst
es : tfaalv, tag Ntoßtj ymoa ll&oi tyiviio inl i(j> zvpßtp ttüv naiöetv.
2) Schol. Hom. 11. XXIV. 602 : uvls 9k tk K^iataXlov ttvtjv puTaßißlrjo&tu tpaotp.
Niobe am Sipylo«. 443
Chione, Chiade oder Chias ist die Beziehung zum Schnee, der nach Sopho-
kles nie Niobes Haupt neben des Zeus Regen verlässt, gegeben.
Meist geht durch diese Schilderungen der versteinerten, weinenden Niobe
am Sipylos noch der Gedanke einer idealen Natur, wie sie an den verschie-
densten Orten der sichtbaren zu Tage treten könne. Erst die spätere entwe-
der in strenger Altgläubigkeit den Mythus als reine Historie fassende Richtung
eines Pausanias oder die alles natürlich aus Zufälligkeiten oder Berechnung
erklärende Anschauung später Grammatiker knüpft die Versteinerung Nio-
bes ganz allein an die Existenz jenes alten merkwürdigen Steinreliefs am Si-
pylos, das sogar zum reinen Naturspiel gemacht wird. Dass dieses aber, wie
es als ein Werk einer verschwundenen, urgriechischen Culturperiode, kaum
als von Menschenhand gefertigt die späteren Geschlechter wunderbar an-
muthete, dazu in einer Umgebung, die laut Zeugniss ablegte von jener Zer-
störung einer blühenden Erdstätte, mit dazu beigetragen hat gerade hier die
sitzende, versteinerte Niobe zu fixiren, liegt ebenso auf der Hand, als in jenem
über das Bild rinnenden Quell, in jenen strömenden Quellen am Fusse des Ge-
birges, wie wir ja noch eine in hochbedeutsamer, uralter, in ein Giebeldach
endender Fassung kennen lernten, hier vor allem Niobes Thränen zu rinnen
schienen, umsomehr, wenn, wie Hellauikos berichtet1), eine Quelle daselbst,
eine incrustirende, mit Stein überziehende Wirkung ausübte.
Unsere Durchmusterung der religiösen Anschauungen und Culte in der
Umgebung des Sipylos hat aber die ausserordentliche Bedeutsamkeit der Ur-
mächte des Wttsers in Flüssen, Quellen, kleinen Seen, den Nymphencharak-
ter der weiblichen Göttergestalten neben dem hehren, aber auch in Gewitter
drohenden, in Regen sich herabsenkenden Himmelsgott, neben dem zeuge-
rischen, befruchtenden Hermes ins Licht gestellt, wir tragen kein Bedenken,
auch Niobe ihrer ältesten Auffassung nach vollständig hier hineinzustellen.
Aber wie wir dort die Mischung einer griechischen Muttergöttin und auch Mutter
aller, der Gaea mit der phrygischen Bergmutter, einen sehr grossen Einfluss
ihres Cultes kennen lernten, kann es durchaus nicht verkannt werden, dass
gerade jene Felsnatur Niobes durch denselben so in den Vordergrund ge-
schoben ist, dass die Verwandelung in ein bestimmtes Felsstück des Sipylos
erst unter diesem Einfluss erfolgt zu sein scheint.
Der phrygische Göttermythus ist getragen gleichsam von der Heiligkeit
der Felsgipfel, von der Empfangniss der petra, speciell des Agdos und deren
Kind Agdestis 2) , die Namen der grossen phrygischen Göttin erweisen diesen
speeifischen Cult waldiger und felsiger Berggipfel. So ward Pyrrhos, der zu
Rhea, jener mit Kybele in jüngerer Zeit ganz vermischten Gestalt, in Liebe
1) S. obenS. 34.
2) Arnob. V. 5—7; Paus. III. 17, 5. Vgl. dazu Gerhard gr. Mythol. §146} Preller
gr. Mythol. 1. 8. 402. 404; Duncker Gesch. des Alterth. I. 8. 245 ff.
444 Drittes Kapitel.
entbrannte , in Phrygien in einen Stein verwandelt und als Niobes Nachbar
genannt'). So hat Euripides Demeter und die Bergmutter der Götter in der
Helena ganz identincirt und lässt diese, da sie ihre Tochter Deo sucht, auf
ihrem von Thieren des Waldes bespannten Wagen fahrend von Artemis und
Gorgo begleitet zu den schneegenährten Warten idäischer Nymphen kom-
men, Steine in den Wald schleudern und so auf allen Gefilden der Erde das
Grün und die Quellen aufhören3).
Zwei begleitende, aber untergeordnete und nicht allgemein angenom-
mene Züge im Mythus der Niobe, nämlich ihr aber doch auf eine gewisse
Zeit beschränktes Fasten, sich Enthalten aller Speise, ein Punkt, welcher
gerade Veranlassung giebt Niobe Priamos in der Ilias gegenüberzustellen und
ferner ein vom Sturmwind Versetztwerden finden in verwandten
Mythenkreisen ihre genügende Bestätigung. Das Erstere ist bekanntlich auf
rein griechischem Boden im Bereiche der Erdgottheiten, besonders der De-
meter, ein wesentlicher Best andtheil des Mythus wieCultus, ein unmittelbares
Innewerden der Früchte, besonders des Getreides als freundlicher Gaben der
Gottheit , welche zürnend, selbst trauernd sie auch entziehen kann 3) . Dass
auch im Dienste der Magna Mater Phrygiens das Fasten eine Rolle spielte4),
wie es überhaupt im Orient eine ganz anders durchgreifende religiöse Bedeu-
tung hatte, ist ebenso natürlich, als damit noch nicht wahrscheinlich, dass
dieser Zug gerade von Phrygien in die Niobesage gekommen sei. Der zweite
Punkt in der Niobesage, den z. B. Ovid&) hervorhebt, findet in dem Küsten-
bereiche des griechischen Archipels und gerade in Mythen, die mit Niobe in
enger Beziehung stehen, volle Analogie, so wird Ganymedes, so auch Pelops
in die Höhe gerafft6), so werden die Pandareostöchter in Milet oder Lykien
von den Harpyieen hinweggerafft7), so wünscht Helena8) von einem Sturm-
1) Nonn. Dionys. XII. 82:
— *nl iooirat ttvroOi ytdwv
JIvQQog tQ<üfiav4(oi> ^»Qvyiog X(&og,~t1a(ii Ptit]g
olaiqov fyov uStfxioiov avvfHftvrtov ufitvatatv.
2) Eurip. Helen. 132t ff.
3) Neun Tage, wie Niobe, geniesst Demeter nicht Ambrosia und Nektar Hom. h. in
Cerer. 49. 50. Vgl. 129. 200: «naorog Mrjrvog »Jett noi7\xog, 470 ff. Zum Cultus vgl. K. F.
Hermann Lehrb. d. gr. Anüquit. 11. g 43, 4; 55, 33; 56, 17; 6S, 6.
4) Preller röm. Mythol. S. 736, 4.
5) Met. VI. 310: validi circumdata turbine venti in patriam rapta est. S. oben S. 75.
6) Hom. 11. XX. 232 ff. mit Schol., h. in Ven. 202; Pind. Ol. 1. 40. ^Qnaytia kannte
man an mehreren hohen Punkten von Troas.
7) Hom. Od. XX. 66— 78.
8) 11. VI. 346 : &g (a oytl* ij/nati jqt ort pt n^üiiov r&c /uifrjy(>
otxeo&cti ngotptyovoa xaxrj arffioto &vill(t
ttg oQog rj tfg xv/ua nolvtfloiaßoto &ala00tjg.
Niobe am Sipylos. 445
wind auf einen Berg, oder in das Meer, Penelope1) zum Okeanos entrafft zu
werden.
Und endlich der plötzliche, keines verschonende Tod der Kinder
Niobes, ist er nicht ganz im Sinne jener bogengewaltigen Gottheiten gedacht,
mit denen und deren Mutter Niobe in Conflikt gerathen, die den plötzlichen
Tod senden, deren Pfeile als Pest durch ganze Heere gehen, wie wir sie gerade
an der kleinasiatischen Küste im Bereiche der lykisch-kretischen Einflüsse,
speciell inTroasund der Aeolis in so hervorragender Stellung kennen lernten?
Und liegt hier nicht zu Grunde jener Gegensatz in der Natur zwischen dem
ßlüthenschmuck. der Fülle und Schönheit der Erdoberfläche unter der freund-
liehen, in befruchtendem , Quellen schaffenden Regen herab sich senkenden
Himmelsmacht, aber auch dem herrlich über der erfrischten Erde sich öffnen-
den Himmelsglanz und jener dunkeln, verborgenen, der Erde ewig fernen Ster-
nennacht, aus der zunächst nur zwei gewaltige, hoch am Himmel wandelnde
Leuchten hervortreten, Tag und Nacht scheidend, den Umlauf der irdischen
Dinge inessend und bestimmend, nieder auf die Erde ihre mächtigen, segnen-
den, aber auch vernichtenden Strahlen sendend ? Scheinen sie es nicht, die
den Wechsel alles Irdischen bedingen und deren Zorn, jene Nemesis, die
hoch an dem Sipylos verehrt ist, alle Erdenpracht vergehen lässt und nur
Eines übrig lässt, Thränen ewiger Wehmuth, auf kahlem, felsigem Boden die
kalte, schnee- und eisgenährte Quelle ?
Diese selbe Niobe ist sie nicht auch ein Urbild des Menschen, ist sie nicht
ganz naturgemäss die Urmutter des menschlichen Geschlechtes, wie wir sie
in Argos, in Böotien kennen lernten, wie sie hier neben einem Tantalos und
Pelops sich uns darstellt? Ihrem Ursprünge nach göttlichen Geschlechtes,
einst lebend in dem Reichthume, der Gabenfulle eines himmlischen Gartens,
in Verkehr mit göttlichen Wesen, umgeben von Kinderfulle wird sie gestürzt
durch Selbstüberhebung, durch das Gefühl unantastbarer Sicherheit, durch
das herausfordernde Wort ; in dem Tode ihrer Kinder in schönster Jugend-
blüthe, in dem Untergange ihres olftog sieht sie das Gericht sich rasch voll-
ziehen und nur durch den Threnos, in der ewig rinnenden Thräne der Weh-
muth, durch sein Fortleben im Liede und der Musik ist Linderung, ist eine
Ausgleichung zwischen dem Gefühle ursprünglicher Gottverwandtschaft und
der strengen Nemesis menschlicher Sicherheit und Stolzes gegeben. Wir
stehen hiermit vor einem der ältesten und tiefsten Urgedanken des griechi-
schen Alterthums, in dem das Gefühl der Pracht und Schönheit der irdischen
Welt und specinsch des Menschen wie in gleichem Maasse nirgend sonst
lebendig war, aber auch um so tiefer der Klageton der Nichtigkeit und Ver-
gänglichkeit sich durchzieht, welches diesen Zwiespalt nur in jüngerer Zeit
und in engen Kreisen der orphischen Lehre, wie der Philosophie der tief-
1) Od. XX. 60.
446 Drittes Kapitel.
sinnigsten Geister überwindet in der Ausschau auf eine über das irdische
Leben hinausliegende höhere Existenz, die allerdings an jenen ersten Aus-
gangspunkt des Menschen anknüpfen konnte und dies auch gethan hat ver-
möge einer Art Neugeburt durch besondere Weihe, analog der Rückkehr
irdischer Blüthe im Frühjahr. Auch in dem Niobemythus ist, wie wir früher
sahen, durch die Verbindung mit dem Demetermythus in Chloris, wohl auch
in Amyklas und Chloris ein Ausgang gleichsam aus der Vernichtung, aus der
Klage gefunden durch das Neuaufleben eines Niobekindes im zarten Früh-
lingsgrün.
§ 28.
Der Haine der Hiobe und seine Bedentang.
Das Ziel unserer Aufgabe ist erreicht. Es bedarf wohl keiner Probe die-
ser Grundauffassung an all den durchwanderten Sagenkreisen. Sie ist uns
ja wie eine reife Frucht schliesslich zugefallen, indem wir durch alle ver-
schlungenen Pfade griechischer Sage und Poesie, auseinanderlegend und ver-
gleichend der Spur Niobes gefolgt sind. Und von ihr aus werden wir mit nur
gesteigertem Interesse der künstlerischen Durchbildung des Mythus in Poesie
und Plastik uns wieder zuwenden und hier noch Spuren genug entdecken der
ursprünglichen, so einfachen und tiefeinnigen Natursymbolik wie eine volle
Entfaltung jener religiösen und ethischen Grundempfindung, die wir mit ihr
verknüpft sahen. Wohl mag es aber verstattet sein, nun hier endlich den
Namen selbst uns anzusehen und zu fragen, ob ihm mit Sicherheit etwas zu
entlocken sei. Es gelingt vielleicht den Bereich der Stammwörter zu finden,
in welchen er gehört und die Begriffe derselben mit dem gefundenen mytho-
logischen Kerne in Einklang zu setzen.
Die durchaus herrschende Form ist Nwßrj und in ihrem Accent als Paro-
xytenon durch die Zeugnisse der Allen gesichert1). Clemens von Alexan-
drien *) hat bei der argivischen Niobe einmal die Form Newßrj. Daneben
kommt einmal auf der Midiasvase für eine weibliche mythologische Gestalt
der Name Niornj vor8). Wir haben zunächst zu constatiren, dass die Form
auf 07*17, wenn sie nicht blos ein Schreibfehler eines einzelnen Vasenmalers
ist, was ohne weitere Beispiele für diese Form anzunehmen wir wohl be-
rechtigt sind , zunächst der durchaus überlieferten Form auf oßtj gegenüber
nicht Ausgangspunkt sein kann, dass wir dagegen für diese Formen wie 'Exdßtj,
1) Herod. xa&oL xqoovö. rec. M. Schmidt IV. 29. p. 31 führt Nnfle als Oxytonon an,
dagegen XII. 404. p. 119, 7: ra tle ßr\ vntQÖutauXXnßa prj naQctXrjyotra üiydiyyip ßagv-
virai, 'AXvßy xaXvßrj Nioßrj «OTQaßi) 'Excißrj • rb cft dfioißr) ofi/vf r«i. Barytona sind auch die
Eigennamen auf oißrj wie <f>o(ßr), BoCßri und ebenso rjßrj, &Tjßr), aiCßri.
2) Strom. I. p. 321. -ö.
3) S. oben S. 160. Anm. 1.
Niobe am Sipylos. 447
KvßrjßTjSHßrj, ©jj/fy, Q>oißi},Boißt),o%ißf),Jikvßri (Stadt in Bithynien), endlich
auch JtQioßrjy Qioßrjy äkioßrj zu vergleichen haben, die, was zu beachten sein
dürfte, vorzugsweise in dem Sprachgebiete des mit Phrygischer sich berüh-
renden kleinasiatischen Griechisch, aber auch an so uralten Culturstatten wie
Magnesia und Böotien uns begegnen. Das ß dieser Endungen ist nachG. Cur-
tius als eine Verhärtung eines zum Stamm gehörigen F durch das nachfol-
gende in allen indogermanischen Sprachen vorkommende Suffix j'ä zu fassen1}.
Es bieten sich uns nun zwei Wege zur Auffassung des Stammes selbst
dar, denn ein dritter, von Pyl2) betretener, welcher Niobe zur Nvxtont], zur
Nach tschauerin macht, ist etymologisch noch unzulässiger als er es auch mytho-
logisch ist. Welcker8), welchem Völcker4) und Gerhard5) folgen, leitet Niobe
abvon viog und sieht es als gleichbedeutend mit NectiQa an und er fasst sie dar-
nach als verjüngte Natur, Gerhard eher als Neulicht, als jungen Mond. Von
Hahn6) ist unabhängig davon zu wesentlich gleicher Ansicht gekommen,
indem er mit Niobe das albancsische v/ope d. h. feucht, zart, besonders von
jungen Pflanzen trieben gebraucht zusammenstellt und das Wort von veoeyv*i6g,
sanskritisch navas, lateinisch novus, gothisch niujis, mittelhochdeutsch niutce
ableitet7). Ich gestehe, dass mich diese Ableitung nicht befriedigt; es ist
doch sehr auffallend , dass für den im Griechischen in allen Ableitungen 8)
constanten, erst im Neugriechischen in vjo umgebildeten Stamme veF hier
nun in einem notorisch dem ältesten Gedankenbereiche angehörigen Namen
durchgehend vio eingetreten sein soll, um so mehr als auch das o das Di-
gamma selbst gar nicht mehr zu ersetzen hat, welches ja in ß schon steckt.
Dazu kommt, dass die Bedeutung des für Niobe ursprünglich Charakteristischen
entbehrt; dass eine NiaiQa ein ige Male unter den Niobetöchtern genannt wird,
aber z. B. bei Pherekydes nicht, ist für die Mutter nicht entscheidend und
gerade für sie mussten wir nachweisen, dass diejenige Gestalt, die das Neu-
aufleben im Frühling bezeichnet , die verschonte Chloris erst in den Niobe-
bereich jünger aus einem anderen Kreise eingetreten ist.
Ein zweiter Weg aber zeigt sich uns in der That und zwar ein solcher,
auf dem das bezeichnendste Merkmal Niobes, die rinnende schneegenährte,
netzende Quelle schlagend heraustritt. Es ist der Stamm viy, viß, sanskri-
tisch nig und ning, welcher mit nigc, ning, viq> ursprünglich snigh entschieden
1) Grundz. d. g riech. Etymol. II. S. 1 62 ff. ; für (foißog aus yoF-jos 8. 224.
2) Mythol. Beitrage. 1856. S. 130 f.
3) Schwenck Andeut. S. 298; Aeschyl. Trilog. S. 192; gr. Qötterl. III. 8. 124. Anm. 1.
4) Mythol. d. Japet. Geschl. S. 356.
5) Gr. Mythol. § 476.
6) Albanes. Stud. S. 274. Anm. 254.
7) Ueber den Stamm s. G. Curtius Grundz. I- S. 27S ff.
8) Man sehe diese verzeichnet bei Curtius a. a. O.
448 Drittes Kapitel.
zusammenhängt1). Von vltsivy vimsiv, netzen, gab es Niifß, vißog als Name
einer Quelle2), Ntßag einen Ort bei Thessalonike 3) und eine Glosse bei He-
sychios4) erklärt ausdrücklich vißa %tova xai xqtjvtjv. Ich will nur als Paral-
lele, nicht als sicher im Stamme zusammengehörige Namen, die von snuy w,
vea), vdw abstammenden anfuhren, wie Ntjtgy Natg, Naidg und vor allem die
in Sicilien verehrte Göttin Nyong, von welcher Empedokles sagt5) :
Nrjorig JJ daxQvoig tiyyet xQOvvwfia ßQOtsiov
also eine eigentliche Thränengöttin. Die Bildung Nioßrj selbst möchte aber
wohl aus vtxFrjy viyßrjy vtbßrj erfolgt sein. Und hier kommt uns jene Herbei-
ziehung des Albanesischen, eines ja für das Altgriechische so wichtigen Restes
der alten Sprache von Epirus, Südillyrien und Westmacedonien durch v. Hahn
auf das Trefflichste zur Hülfe; dort existirt ja das Verbum vfop = befeuchte,
netze, wässere, tränke und davon ist yfofis = feucht, frisch abgeleitet, wel-
ches also überhaupt nicht zunächst mit v&og, novus als dem Stamme nach
gleich zusammengestellt werden kann. Wie m ein b und p in dem andern
albanesischen Dialekte ersetzt, dafür sind zahlreiche Beispiele da6) und es
entspricht dies einer allgemeinen sprachlichen Erscheinung.
Jedoch ich überlasse die genauere Durchfuhrung dieser Ansicht den ver-
gleichenden Sprachforschern von Fach , indem es für mich nur darum sich
handeln konnte, den Boden anzugeben, auf dem dieser hochehrwürdige Name
für einen in seiner Stellung in Mythologie, Literatur und Kunst allseitig
erkundeten Urgedanken des griechischen Volkes zu suchen sein wird.
1) Grassmann in Ztschr. f. vergleich. Sprachkunde IX. S. 27 ; G. Curtius Grundz. I.
8. 2S1 und II. S. 67 ; der Uebergang von gh in (f setztAeine Mittelstufe ghv voraus.
2) Herod. xaftoX. n^oatad. XIV. 126. p. 145, IS : ovofia xq^vtiq.
3) Ael. H. A. XV. 20; Arsen. Cent. XIII. 13 in Paroem. Gr. ed. Leutsch II. p. 573.
4) S. v.
5) Empedocl. 704. p. 549 ff. ed. Sturz; Photius s. v. JVijarqt; Eust. II. p. 1180, 14.
6) Albanes. Stud. Grammat. § 3, 26—28.
Verzeichniss
der beigegebenen Tafeln.
Taf. I. Das Niobebild am Sipylos. Nach Stewart, Description of some an-
cient monuments still existing in Lydia and Phrygia. London
1842. tav. 2.
Taf. II. Vase aus Ruvo mit Niobidenscene. Nach Uullettino napolettmo
1843. I. tav. 2.
Taf. III. 1) Niobidenrelief Campana nach einer Photographie vom Original»
gestochen von Lödel.
2) Geschnittener Stein publicirt von Miliin. NachGuigniaut Relig.
de l'antiquite pl. CCXLI. No. 834.
3) Relieffragment der Sammlung Albani. Nach Zoega bassirilievi
antichi di Roma. II. t. 104.
Taf. IV. Münchner Niobidensarkophag. Nach einer Photographie vom Ori-
ginal.
1. Vorderseite.
2. 3. Nebenseite.
Taf. IV \ 1) Marraorbild einer sitzenden Kybele aus Kleinasien. Nach Ph.
Lebas Voyage archeologique en Grece et en Asie mineure. An-
tiquit. pl. 44. n. 1, 2.
2) Relieffragment mit Niobiden aus Bologna. Nacb Originalzeich-
uung von Ceretani in Gerhards archäologischem Apparat.
Taf. V. VI. VII. Drei Stuccofiguren von einem hölzernen Sarkophag aus einem
Grab zu Kertsch, jetzt in Petersburg. Nach Antiquites du bospore
cimmörienconserv. au musee etc. del'Ermitage. 1854. pl. 79. 80. 81.
V. Niobe mit Tochter. VI. Sohn der Niobe. VII. Pädagog.
Taf. Vm. Terracotten von Fasano: 1 — 6 Niobesöhne und -Töchter. Nach
Bulletino napolet. 1847. n. 77 mit Tafel.
Taf. IX. 1) Wandgemälde aus einem Grabe der Villa Pamfili bei Rom:
Apollo und Artemis schiessen die Niobiden nieder. Nach den
Copieen in den Münchner vereinigten Sammlungen des Hof-
gartens und der Tafel zu O. Jahn in Abhdl. d. Münchn. . . kad.
d. Wissensch. philos.-philol. Kl. VII. S. 231 — 2S4.
2) Etruskisches Sarkophagrelief aus Toscanella. Nach Atti della
pontif. acad. rom. di archeologia. Vol. XI. p. 171 — 185 mit
Tafel.
Stark, Niobe. 29
450 Verzeichnis» der heigegebenen Tafeln.
Taf. X. Niobe mit der jüngsten Tochter. Nach der photographischen Auf-
nahme eines Gypsabgusses der florentiner Gruppe zu Berlin.
Taf. XI. Angebliche Niobetochter. Marmorstatue in der K. Antikensamm-
lung zu Dresden. Nach einer Originalzeichnung.
Taf. Xu. Niobetochter des Museo Chiaramonti im Vatikan. Nach der pho-
tographischen Aufnahme des Originals.
Taf. Xm. Fig. 1-3. Drei Niobiden in Florenz: 1) (d) Tochter oder Tro-
phos; 2) liegender Sohn ; 3) sog. Narciss. Nach der Galeria di
Firenze Ser. IV. t. 1. pl. 2. 3; t. 2. pl. 74. 75
Taf. XIV. Fig. 4—6. Zwei fliehende Söhne der Niobe, der eine mit der an
das Knie sinkenden Schwester. Nach Gal. di Fir. Ser. IV. t. 1.
pl. 9. 12. mit Müller- Wieseler D.A.K. I. Taf. XXXIII. n. 142.
H. L k.
Taf. XV. Fig. 7. 8. Zwei fliehende Töchter der Niobe in Florenz. Nach
Gal. di Fir. Ser. IV. t. 1. pl. 10. 13.
Taf. XVI. Fig. 9. 10. Der Pädagog und der jüngste Sohn in Florenz. Nach
Gal. diFir. Ser. IV. t. 1. pl. 11. 15.
Fig. 10*. Gruppe von Soissons im Louvre. Nach Clarac Mus. de
sculpt. pl. 589. n. 1278.
Taf. XVH. Fig. 11. 12. 13. Zwei Söhne der Niobe und sog. Psyche in Flo-
renz. Nach Gal. di Fir. Ser. IV. t. 1. pl. 4. 13. 7.
Taf, XVIII. Fig. 1 . Giebelanordnung nach Cockerell.
Fig. 2. Dsgl. nach Welcker in Alt. Denkm. I. Taf. 4.
Taf. XIX. Sarkophagrelief Lozano-Argoli im Lateran. Vorderseite und
zwei Nebenseiten. Nach Atti della pontif. acad. rom. di archeo-
logia. X. 1842. t. III.
Allgemeines Sachregister.
A.
Abbildungen der Niobegruppe 12.
Aheken, Keiften otiz über den Sipylos 101 ;
über das etruskische Sarkophagreücf aus
Toscanella 199.
Acheloos , Götterstrom , Verehrung am Si-
pyloa 4)2.
Achill und Niobe bei Dichtern 27-29. 37.
Achilles Tatio s, Erwähnung d. Niobes. Ob. 91 .
Adler auf Münzen v. Magnesia 411.
Adlerart am Sipylos 4 1 2.
Adramyttion, sein Handel 399.
Adrasteia 396 f. %AdQanih(tt$ ntöloy 396.
Aedes Lateranorum, Vectilianorum, des L.
Verus 219.
Aedon» zusammengestellt mit Niobe 44. 5b.
77. 87; ihr Schicksal 370. 371.
Aegialos oder Aegialeus, Bruder des Phoro-
neus 339 ; Sohn desselben 342.
Aegina, Giebelfelder des Tempels 314.325.
Aegis mit der Gorgone über dem Theater in
Athen Ulf. 117.
Aelian, über die verschiedenen Zahlenanga-
ben der Kinder der Niobe K\.
Aeschylos, Behandlung der Niobesage 35 —
42. 396.
Agatharchides , Auslegung de« Niobemy-
thus 91.
Agenor als Niobide 96. 435.
Aglaia, ihre Bedeutung 15*S. 159.
Alalkomenae 355.
Alalkomeneus, Gemahl der Niobe 354 — 356.
Alciati, Behandlung des Stoffes der Niobe-
sage 11.
Alexandras von Athen, Zeichner des hercu-
lanischen Bildes mit der Niobe 157. J5S.
Algardi, Niobidenköpfe 12.
Alk man, Behandlung d.Niobemythus 31 .446.
Alphenor, Niobide, 73. 96.
Amaleus oder Amphialeus, Sohn des Am-
phion 370. 3S3.
Ampheion in Theben 37S.
A mp h i o n , Sohn der Antiope, Gemahl der
Niobe, seine Stellung in der böo tischen
Sage 357 f., in der thebischen Sage 361 —
389 ; seine Abstammung, Wesen und Na-
men 366 — 36b ; als Musiker und Mauer-
bauer 373 ff. j sein Grabhügel 379; s. Ver-
hältnis» zum Apollocult 3S5ff., zum Bak-
choscult 3S7 f.
Amphion der Iaside v. Orehomenos 357 f.
Amphion, geretteter Niobide S4.
Amphionskinder, ihre Grabmäler in Theben
379 f.; ihr Verhältniss zu den Namen der
thebischen Thore 3b 1 f.
Amyklas, ein Niobide 33. 349 f. 446.
Amynione, Quellnymphe in Argos 347; Orts-
name bei Lykien 402.
Anakreontiker, Erwähnung der Niobe, 58.
Antiope, Tochter des Asopos oder Nykteus
und der Polyxo, Mutter des Amphion und
Zethos 362 ff. 365 f. 372.
Antipater von Sidon, Epigramme 59. 146.
Antipaterv.Thessalonike, Epigramme 60. 61.
Antonius, Kunsträuber 133 144.
Aphroditecult am Sipylos 415.
Aphthonios, Besprechung derNiobesage 67.
Apia, Name für Peloponnes 342; Ebene in
Kleinasien 399.
Apis, Bruder der Niobe 341.342; Sohn der-
selben 346.
Apollinare oder lucus Apollinaris auf den
prata Flaminia 125 f.
Apollo u» Saltos 112; Boedromios 3S9 ; Is-
menios 3b5; Killaeos 401 ; Larisenos 417;
Lykeios 337—399. 400; Palatinus 13b.
141 ff. ; Parnopios 112.117. 143; Sarpedo-
nios 135. 331 ; Sosianus 121 ff. ; Smintheus
400.401; sein Cultam Sipylos 41 7. f; seine
Heiligthümer und Statuen in Rom 1 24 ff.
Apollo mit Leier als Mauerbauer 377.
Apollodoros, seine Erzählung des Niobemy-
thus 83. S4.
Apotropäa, an Tempeln 324.
Arachnemythus 69. 70. 419.
Argivische Niobesage 337—352.
Argos, Sohn des Zeus und der argivischen
Niobe 345.
Aristarchos von Tegea, Verfasser eines Tan-
talos 35.
Aristias, Verf. eines Tantalos 35.
Aristodemos, Verf. von Thebaika 3*0. 3*3.
Aristophanes, sein Niobos 54.
Aristoteles, das Unrecht der Niobe 93.
Artemidoros, s. Kritik des Niobemythus 90.
Artemis, Astyrene 401 ; Eukleia 341. 389;
Gygaea 41b f. j Kordake am Sipylos 418.
419; Leukophryene 112.117. 113; Peitho
341.
Asopos, altionischer Flussname, Vater der
Antiope 362 f.
Asopostöchter 362. 363.
Assaon, Vater d. Niobe nach Simmias 56. 43h.
29*
452
Allgemeines Sachregister.
Asterios, Bruder eines Amphion 367.
Athen, sein Verhältniss z. Niohemythus 394.
Athenagoras über Niobecult 94. i:i7. 401.
Athene Alea, Tempel in Tegea, Giebeldar-
stellung 315. 325.
Athenecuit, lydischer, im Hermosgebiet 419.
Atlas, mythologisch 427.
Aura, der Niobe gegenübergestellt bei Non-
nos 05. 403.
Ausonius, Erwähnung der Niobesage M.
Bachofen, Deutung deB Niohemythus 22.
Bär in symbolischer Bedeutung 4311.
Bakchyhdes, über den Niohemythus 31.
Banier, Behandlung der Niobesage 10.
Bassus, Verfasser einer lateinischen Niobe 51 .
Bause, Stiche von Köpfen d. Niobegruppe 1 6.
Beilügelung in etrusk. Kunst 200.
Boccaccio, Behandlung der Niobesage 8.
Böotische Ursage mit Niohemythus 354— 361 .
Boios, Verf. der Ornithogonia , über die
Aedonsage 372.
Botryas, Behandlung des Niohemythus 85.
Braun, Emil, über die Niobegruppe 22.313.
Bronze für Niobedarstellungen 162. 234. 269.
Broteas, Bruder (Oemahlj der Niobe 351.
435. 437. 43S.
Bupalos und Athenis, Versetzung ihrer
Werkenach Rom 132.
Burkhardt, über die Niobegruppe 22. 313.
Burmeister, über die Niobesage 21. 387.
Bursian, über die Niobegruppe 24 ; über den
Ilioneus 256.
c.
C. = Cockerell 224 etc.
Ca. = Cavaleriis 224 etc.
Caelare, seine Bedeutung 329.
Campanari, über das etruskische Särkophag-
relief aus Toscanella 198 ff.
Caravaggio, Niobefries 11.
Cavaleriis, erste Zeichnung der florentini-
schen Statuen 12. 221.
Chandler, über das Niobebild am Sipylos 1 00.
Chishull, über das Niobebild am Sipylos 100.
Chloris, gerettete Tochter der Niobe 81. SS.
350. 446 ; in der Niobesage von Olympia
351. 436. 437; in der böo tischen Ursage
356-360; in Thessalien 360.
Chorikios aus Gaza, Behandlung der Niobe-
sage 68. 91.
Chthonia, Tochter des Phoroneus 343.
Cicero, Auslegung des Niohemythus 0 1 .
Cioli, Valerio, aus Florenz, über Auffin-
dungszeit der florentinischen Statuen 216.
Circus Flaminius 126.
Cl. * Clarac 224 etc.
Clemens v. Alexandria, Erwähnung der Nio-
besage 68.
Cockerell, über die Niobegruppe 1 7.
Cultusmythen 3.
Cumae in Italien, Apollotempel 139.
D.
Daedalon in Plataa 355.
Daktyliotheken 141. 142.
Damasichthon, Niobide 73. 384. 437.
Danaos 337. 346.
Dante, Behandlung der Niobesage 8.
Demetercult in Hermione 343, in Theben
389 ; Cult der D. Pelasgis in Argos 345.
Dichtung, ihr Verhältniss zu Mythus und
Sage 1.
Dirke, ihre Schleifung, Bedeutung derselben
365, ihr Wahnsinn 3S8.
Diodoros von Sicilien, Erzählung des Niohe-
mythus 84. S5.
Diogenes von Athen, seine Arbeiten versetzt
in das Pantheon des Agrippa 132.
Dione, Tochter des Atlas, Mutter der Niobe
94. 422—425.
Dionysoscult am Sipylos 4 1 5 f. ; und der Nio-
hemythus 387.
Dio Chrysostomos , Erwähnung der Niobe-
sage 53.
Dithyrambiker, ihre Behandlung des Niohe-
mythus 52 ff.
Dreifuss des Aischraios im Theater zu Athen
115.
Dreifüsse, apollinische, geschmückt mit Dar-
stellungen im Zwischenräume d.Füsse 162.
Dreifüssin Schriften 116.
E.
Eber im Mythus 439.
Eberzahn im Tempel der Athene Alea 325.
Elektrathor in Theben 3s2.
Eleuther, Gründer von Eleutherä 3S8.
EntblössungderNiobiden in der Kunst 161.
164. 201. 213. 295. 296.
Epigrammatiker, ihre Behandlung des Nio-
bemythus 58 - 63.
Epopeus, sterblicher Gemahl der Antiope
364. 371.
Erdbeben am Sipylos 404.
Eridanos idealer Strom 430.
Este, Ippolito da, Kunstsammler 216.
Etymologie, ihre Bedeutung in mythol. For-
schungen 5.
Euphorion, Behandlung der Niobesage 56.
Eupinytos, Niobesohn 96. 384.
Euripides, seine Tragödie Niobe 49 ; Erwäh-
nung der Niobesage 50. 51. Nachtr. 462.
Europa 340 ; Schwester der Niobe 342.
Europs, Sohn des Phoroneus 342.
Euryanassa, Euryto, Euryprytane, Eurythe-
miste, Gemahlin des Tantalos 426.
F.
F. = Fabroni 221 etc.
Fabroni, über die Niobegruppe 14.
Fasten im Mythus und Cultus 444.
Fea, über die Niobegruppe 15.
Fels, drohender, des Tantalos 42b. 429.
Allgemeines Sachregister.
453
Feuerbach, über die Niobegruppe 19. 23. 227.
über ein Wandgemälde 163.
Friederichs, über die Niobegruppe 24.
über die Niobe des Sophokles 16 f.
über einzelne Niobiden 273. 256.
Fritzsche, über die Niobe des Sophokles 20.
41.
Furtwängler, Deutung der Niobesage 21.
Fussbekleidung der Niobiden 303.
G.
Gallier vor Delphi 13«; in Kleinasien 143.
Ganymedes in Verbindung mit Tantalos 430.
431.
Gaye, Veröffentlichung eines Briefes von
üioli 2J(if.
Gellius, über die Zahl der Niobiden S3.
Gereis, Gergithier 142. 417.
Gerhard, Niobemythus 21. 23.
über einzelne Niobiden 300. 30S.
Gerlach, C, über die Niobegruppe 25.
über den sog. Ilioneus 256.
über Melpomene 2S0.
Giebelaufstellung der Niobegruppe 131 f.
314 ff.
Giulio Romano, Zeichnung 11.
Göttergarten 431 f.
Göttermutter, ihre Verehrung am Ida 400;
am Sipylos 1 1 3 f.
Gräberwelt und Niobidensage 14!).
Grabhügel der Antiope und des Phokos 365.
372; des Amphion 37S; der Kinder des
Amphion 379 t.
Grvneion, Apolloheiligthum 417.
Guido Keni, Studien der Niobegruppe 1 1 .
IL
Hederich, Behandlung der Niobesage 10.
Heffter, Niobemythus 21.
Hellanikos, Erzählung der Niobesage 34.
Herakleion in Theben 320. 325.
Hermann, Gottfr., de Aeschyli Niobe diss. 20.
Hermes, seine Stellung zu Amphion 374.
Hermescult am Sipylos 415 f.
Hermos, Flussgott, am Sipylos verehrt 412.
Hermosthai, seine natürliche Beschaffenheit
99 f. 403. 401; seine Bewohner 406 f.
Herodoros Pontikos, Niobemythus 30. 83.
Hesiod, Niobemythus 30.
Heyne, über die Niobegruppe 15; über den
Niobemythus 16.
Hieronymus, Erwähnung der Niobesage 68.
Hileaira s. Leukippiden.
Hippomedusa, Gattin des Amphion 369.
Holmoi in Kilikien 134. Nachtr. 403.
Homer, Erwähnupg des Niobemythus 26 —
30. 4 10 ; die Tantalosstrafc 432.
Homolois, Niobetochter 383.
Homoloisches Thor in Theben 3S3.
Horaz, Erwähnung der Niobesage 76.
Hübner, E., über Niobiden in spanischen
Sammlungen 253. 271. Nachtr. 463.
Hund, goldener, 432.
Hyaden, ihre Bedeutung, Zahl 423. 424.
Hyginus, Darstellung des Niobemythus 87.
Hyrkania in Lydien 410.
I.
Iasos oder lasios, oder Iasion 357 f.
Idagebirg, seine topographischen u. mytho-
logischen Verhältnisse 396 f.
Ilioneus, jüngster Sohn der Niobe 73. 398.
Inachos, 339.
Inghirami, über die Niobegruppe IS.
Iolaeion, Gymnasium in Theben 73. 384.
Ismenos, Niobide und Flussgott 73. 383. 3S4.
Itylos, Sohn des Zethos und der Aedon 87.
96. 370. 394.
J.
Jahn, Otto 25. 163. 199. 299. 32*.
Julianos, Epigramm auf die Niobe 63. 147.
Juvenal, Erwähnung der Niobe SO. 81.
K.
Kaanthos, Sohn des Okeanos 3S7.
Kallimachos, Erwähnung der Niobesage 57.
Kandaules lydischer Hermes 417.
Kapp, über die Niobegruppe 19.
Kar, Stifter der Burg in Megara, Sohn des"
Phoroneus 343.
Kacaro/urj in dem Theater zu Athen 1 14 f.
Kaukonen und Pelopssage 403.
Kennedy, Deutung des Niobemythus 10.
Kerdo, Mutter der Niobe 340. 341.
Af(>(?<>5o$r, Beinamen des Hermes und Apollo
34 r.
Kiliker mit Niobesage 399 ff.
Killos, Wagenlenker des Pelops 401.
Kithaeron, seine Bedeutung in der griechi-
schen Mythenwelt 361. 3S7.
Klymenos, Sohn des Phoroneus 343.
Klytia, Gemahlin des Tantalos, Mutter des
Pelops 426.
Komiker, ihre Behandl. des Niobemythus 54.
Komos, Satyr 298.
Krokosblume, in der Niobe des Sophokles 18.
Kugler, über die Niobegruppe 23.
Kunst, die antike, ihr wesentlicher Inhalt 2.
Kunstraub 133. 114.
Kureten, Ursprung 31 1.
Kybele, ihre Darstellungen verglichen mit
dem Sipylosbilde der Niobe 107 f.
Kybelecult am Ida 400 ; am Sipylos 413 f. ;
in Achaia 435.
Kybele und Niobe 440.
Kyme, das äolische 142 f.
L.
Ladon, Name für Israenosfluss 393.
Lanzi, über die Niobegruppe 15.
Laodike, Mutter der Niobe 339. 340.
Lasos, seine Zahlangabe der Niobekinder 31.
454
Allgemeines Sachregister.
Launay, Behandlung der Niobesage 10.
Lebrun, seine Schule behandelt die Niobe-
sage 12.
Leleger in Troas 399 ; im unteren Hermos-
thäle 107.
Leonidas von Alexandria, seine Epigramme
61.62.
Leto, Bedeutung 420.
Leto und die Spitzmaus 10 1.
Letoa überhaupt 420.
T/etoon in Argos 33. 349 f.
in Olympia 351.
Letoverehrung am Kith&ron 3^5.
am Sipylos 419. 120.
Leuktron in Lakonien mit Pelopssage 352.
Levezow, über Anordnung cler Niobegruppe
K»; seine Deutung eines Berliner Torso
als Niobetochter 234 f.
Libanios, Besprechung der Niobesage 07.
Ligorio, Pirro, Notiz in den Papieren über
ein Niobidenrelief 198.
Lokalsagen S. 3.
Lübke, über die Niobegruppe 20.
Luci IIa inschriftlich auf Ziegeln 1S9.
Ludi Apollinares 1 25.
Lyder, das Hermosthai erobernd 407 f.
Lydische Ebenen 403.
Harmonie, eingeführt von Amphion375.
Lykier in Troas 398 f.
M. = Meyer 224 ete.
M.-W. ss Müller- Wieseler, Denkmäler alter
Kunst 224 etc.
M. Wa. = Martin Wagner 22 1 etc.
Mac Farlan, über das Niobebild am Sipylos
100.
Mänadendarstellungen 296.
Maeoner am Sipylos 407.
Magnesia am Sipylos 408 f.
in Thessalien 395.
Makedonien, Behandlung der Niobesage 62.
Marmorarten 121. 221.
Maturino, sein Entwurf eines Niobefrieses
mit Caravaggio 1 1 .
Mausoleion zu Halikarnass 329.
Megara, Mauerbau 377.
Meleager von Gadara, Niobeepigramm 60.
146. 304. 307. 309.
Meles, s. Verehrung am Sipylos 412.
Melia, Mutter des Pnoroneus 339 ; Quell am
Ismenion, Niobetochter 384.
Meliboia, eine Niobide 33. 350.
Meli ton, seine Tragödie Niobe 51.
Merope in der Villa Ludovisi 294.
Messon, Sohn des Phegeus 339.
Meyer, seine Behandlung der Niobegruppe
J5. 313 a.a.O.
Michaelis, über die Niobegruppe 25.
Michelet, über die Niobegrupne 23. 32 i.
Mimnermo8, Erwähnung der Niobesage 31.
Minervini, über Terracotten mit Niobiden-
darstellung 205 f.
Montfaucon, Abbildung der Niobegruppe 1 2.
Moschos, Erwähnung der Niobesage 58.
Müller, sein lyrisches Drama Niobe 16.
Müller, Otfr., über die Niobegruppe 19.
Musen, ihre Darstellung 288.
Mykeneus, Enkel des Phoroneus 339.
Myrtilos, Sohn des Hermes, 416.
Myrte und Idole von Aphrodite und Hermes
415.
Mythologie, die vergleichende 5.
Mvthus, seine Verbindung mit Poesie und
Kunst 1.
, seine Geschichte in der Literatur 2.
, sein Nachwirken in der modernen Welt
6 f.
, der wesentliche Inhalt de» antiken
Kunst 2.
, wurzelt im Cultus und im Symbol 4.
N.
Nataiis Comes, über die Niobesage 9.
Neaera, Niobetochter 383. 413. 447.
Xeis, Tochter des Zethos 382 f.
Neitisches Thor in Theben 382 f.
Neleus, Gemahl der Chloris 357 f.
Nemesis, ihre Verehrung bei Srayrna 4J4.
420.
Nero, alsCitharöd in der Rolle der Niobe 51.
Nibby, über die Niobegruppe 18.
Nikolaos v. Damaskos, Erzählung des Nio-
bemythus 85.
Niobe, Namen einer Quelle in Argos 347 ff.
, ihre Abstammung 94. 121 — 439.
, ihre Heimath 95.
, ihre Hochzeit, Mann, Kinder 95.
, ihr Endschicksal 97. 442.
, ihr Name 446—448.
, ihreThränen 442 f.
, zusammengestellt mit Aedon Philo-
mele 44. 58. 77. 87. 96. 370 f.
mit Leto zusammengestellt (tabella-
risch) 97.
„Niobes Leiden", tfioßng ttk&t), sprüchwört-
lich 68.
Niobedarstellungen in der attischen Schule
109 ff.
Niobemythus, seine Behandlung in der
modernen Welt 8—25.
, seine Entwicklung in der antiken Li-
teratur 26—97.
, bei Homer 26—30.
, bei Hesiod 30.
, bei Herodoros Pontikos 30.
, bei Alkman 31.
, bei Mimnermos 31.
, beiPindar 31. 32.
, bei Bakchylides 3 1 .
, bei Sappho 31. 32.
, bei Lasos 31.
, bei Telesilla 32.
Allgemeines Sachregister.
455
Niobem ythus, bei Logographen 33.34.
, bei Fherekydes 33.
» bei Hellanikos 34.
, bei Tragikern 34 — 51.
, in der späteren Mimik und Orchestik
52 ff.
— , bei den Dithyrambikern 52 ff.
— , parodirt von den Komikern 54.
— , in der alexandrinischen Poesie 50 — 58.
— , bei den Epigrammatikern 5S — 63.
— , im späteren Epos 63 — 66.
— , in rhetorischen Uebungen 67 — 6b.
— , bei lateinischen Dichtern 69 — 82.
— , bei Historikern, Antiquaren und My-
thographen 82 — 89.
— , Kritik und Auslegung im Alterthume
89 ff.
— , tabellarische Uebersicht nach den ver-
schiedenen Berichten 93 ff.
in Argos 337—352; in Böotien 354—
361 ; am Ida in Troas 395 f. ; in lydischer
Form 438. 439 ; in Olympia 353 f. , in Pa-
phlagonien 403; am Sipylos 421—446;
in Theben 361 ff. ;
Niobiden, Zahl derselben 28. 30. 31. 34. 50.
79. 83. 95. 96. 152. 156. 161. 163. 168.
180. 189. 200. 206. 334. 382. 150.
Niobidengräber in Theben 3*0.
Niobidenuntergang gegenübergestellt dem
der Gallier bei Delphi 138.
auf Schildern dargestellt nach Statius
147.
Niobo8, Drama des Aristophanes 54.
Nonnos, Behandlung der Niobesage 64. 65.
66.
Norchia, Felsengrab von, 316. 321. 322.
Nykteus, Vater der Antiope 302 f.
Nymphen, schlafend, gelagert 309.
, ihr Ursprung 344.
, ihre Darstellung 28S.
Nymphendienst am Sipylos 412.
o.
Ogygia, Niobetochter und Thor in Theben
381. 382.
Ogygos, identisch mit Alalkomeneus 355 f.
Okeanos, Grossvater des Phoroneus 339.
Olenos und die Olenia petra 435.
Olympia, die dortige Niobesage 353 f.
Olympiodor, seine Statue auf der Akropolis
aufgestellt 112.
'OuoXwtg, Tochter der argivischen Niobe 346.
Orestessage, der Niobidensage gegenüber-
gestellt 188.
Overbeck, über die Niobegruppe 24. 227.
Ovid, seine Behandlung der Niobesage 69
-76.
P.
Palaephatos über das Niobebild 9*.
Palladas, verspottet Memphis, einen unge-
schickten Tänzer der Niobe 53.
Palma giovane 1 1 .
Panda oder Pandoi, Ort in Lydien 417.
Pandareos, Vater der Aedon 370. 371 f.
Pandion, Vater der Aedon 371.
Paphlagonien, mit Niobesage 95. 403.
IIaQ9JyoQog, Begleiterin der Aphrodite 340.
Parthenios, abweichende Darstellung des
Niobemythus 56. 458.
Pausanias, seine Darstellung des Niobemy-
thus «4. 86.
seine Beschreibung der Erdbeben 405.
Pegasos von Eleutherä 388.
Peitho, Mutter der Niobe 340. 341.
Pelasger am Sipylos 407.
m Troas 399.
Pelasgos, Niobesohn von Zeus 345.
Pelops, sein Verhältniss zu Hermes 416.
Pelopssage, Spuren in der Ebene von The-
ben in lüeinasien 401 ; am Sipylos 435 —
437.
und die Achfter in Thalamai 352 ; in
Achaia zu Olenos 435 f.
in Olympia 353 f. ; in Böotien 376.
Pelops, sein Thronsitz auf dem Sipylos 415.
Pentadius, Erwähnung der Niobe 81. 82.
Perrier, seine Abbildung der mediceischen
Gruppe 12.
Perser, colonisirt in Lydien 410.
Persephone, Mutter der Chloris 357 f.
Petersen, Vortrag über den „Niobidenmy-
thos" 24.
Phaedimus, Niobide 73.
Phegeus, Bruder des Phoroneus 339.
Pherekydes, Niobesage 33.
Philemon, Deutung der Niobesage 55. 90.
Philemon und Baucis am Sipylos 412.
Philologie, ihre Stellung zur Mythologie 6.
Philomele, zusammengestellt mit Niobe 44.
5s. 77. »7. 370. 371.
Philottos, Gemahl der Niobe nach Simmias
56. 439.
Phlegyer, von Apollo bestraft 387.
Phoibe mit Leto, Niobe und Leukippiden
15S. 159.
Phoko8, späterer Gemahl der Antiope 365.
Phoroneus 337. 338 ff. 434.
Phryger am Sipylos 407.
in Troas 396. 402.
Phryges, Drama des Aeschylos 37.
Phrvnichos, Verf. eines Tantalos 35.
Phthiotis, ihr Verhältniss zur Niobesage 394.
Pietas militaris auf geschnittenen Steinen
2l2f.
Pindar, Niobemythus 31. 32. 375.
Plato, Urtheil über den Niobemythus 92.
Pleiaden 423.
Plinius, sein Sprachgebrauch in Betreff der
Wörter aedes, delubrum, templum 128—
130.
Zusammenhang der Aufzählung 119.
Plutarch, Urtheil über den Niobemythus 92.
Pluto, Mutter des Tantalos 421.
Polyxo, Mutter der Antiope 363.
456
Allgemeines Sachregister.
Pomey, Erwähnung der Niobesage 10.
Pompeji, Hausanlagen, Haus del Questore
160—163.
Porticus Metelli oder Octaviae 1 26 f.
Pradier, Niobide in Marmor 22.
//p«J*C, Aphrodite 340.
Praxiteles, sein Kunstcharakter 326 ff.
Praxiteles oder Skopas, Verfertiger der Nio-
beg nippe ? 33 1 ff.
Preller, rhobemythus 21.
Proetidensagen auch in Theben 38*.
Prokesch -Osten, über das Niobebild am Si-
pylos 100 ff.
Prometheus und Niobe 163 ff. 41.
und Phoroneus 330.
und Tantalos 433.
Properz, Erwähnung der Niobe 76.
Psamathe, Quelle, geliebt von Apollon 317.
34S.
Psychebildung und Niobidenvorbilder 221.
234 f. 248. 299 ff.
Pyra der Amphionskinder bei Theben 380.
Q.
Quatremere de Quincy J *.
Quellen, mythologisch wichtige, in Böotien
391 f.
in Argos 347.
am Ida 401.
am Sipylos 412.
Quellgeister, männliche 413.
Quintos Smyrnaeos, Behandlung der Niobe-
sage 63. 64.
R.
Kafael Mengs, Briefe über die Niobegruppe
14.
Ramdohr, über Anordnung der Gruppe 15.
313.
Raoul Kochette IS.
Rehberg, sein Gemälde der Niobe 16.
Rhea, am Sipylos verehrt 4 1 3 f.
Richard son, seine Bemerkungen über die
Niobegruppe 12.
Rovezzano, Benedetto da, florent. Künstler
189. Nachtr. 472.
S.
Saloe, Sumpfsee am Sipylos 404. 420. 431.
Sappho, ihre Behandlung des Niobemythus
31. 32. 419.
Sarpedon 136 Anm. 2.
Sarpedonion 1 34 f. 33 1 .
Satyrn, ihr Ursprung 344 f.
am Kithäron 365.
Schlagen der Erde 210. 211.
Schnaase, über die Niobegruppe 28.
Schwartz, Deutung des Niobemythus 22.
Schwenck, Auffassung des Niobemythus 2 1 .
Seleucia in Syrien 133 , am Kalykadnos in
Ki'ikien 134 ff. 137 f. 331.
Semele, Aschenstätte in Theben 378. 389.
ihr Beilager mit Zeus 411. 416.
Seneca, der Philosoph, seine Behandlung des
Niobemythus 77. 78.
der Khetor s. Nachtraff. 462.
Sidonius Apollina ris, Behandlung der Niobe-
sage 82.
Siebenzahl im Apollodienst 394.
Simmias von Rhodos, seine Behandlung der
Niobesage 56.
Sipylene, die Göttermutter 413 f.
Sipylos, Niobide 73. 435.
Sipylos, alte, untergegangene Stadt 404 f.
Sipylosgebirge, seine natürliche Beschaffen-
heit 99—109. 403 ff. 406; das Niobebild
daselbst 17. 99 ff. ; die mit ihm verknüpf-
ten Culte 41 1 f. ; Niobemythus 421 — 146 ;
seine lokalen Beziehungen zu diesem 442.
443.
Skopas, sein Kunstcharakter 326 ff.
seine Thätigkeit in Kleinasien 137.
Skopas oder Praxiteles, Verfertiger der Nio-
begruppe? 331 ff.
Soissons, mit seinen römischen Denkmalen
236 f.
Sophokles, seine Tragödie Tantalos 35.
seine Behandlung des Niobemythus
42—49.
Auffassung Niobes 439.
Sosius, C, als Feldherr und Triumphator
121 ff. 331.
Sparton, Sohn des Phegeus 339 ; des Pho-
roneus, 342.
Spence, seine Behandlung der Niobegruppe
13.
Sprachforschung, die vergleichende, in ihrer
Bedeutung für Mythologie 5. 41 7 f.
Springer, über die Niobegruppe 23.
Stahr, A., über die Niobegruppe 22.
über die Berliner Niobide 290.
Statius, Behandlung des Niobemythus 7S —
80. 147 f.
Steinbüchel, Behandlung des Niobemythus
16.
Stein Verwandlungen in Böotien 390 f.
in Kleinasien 444.
Sterope, Gemahlin des Tantalos, Mutter der
Niobe 422. 425.
Steuart, über das Niobebild am Sipylos 100 f.
Strabo, über die Lage von Sipylos 85. 404.
, über Ethnographie 406.
Strasse, heilige, auf den Ida 397.
Straton, Erwähnung der Niobesage 62.
Stratonikos von Kyzikos, wahrscheinlich
Verfertiger der elfenbeinernen Thüren des
Apollotempels in Rom 144.
Sturmwind, wegraffender 144.
Sumpfseen im Cult 420.
T.
Tantalos, ein Niobide 73. 435.
in der argivischen Sage 3
in iNiooiae m. *öo.
argivischen Sage 349 ff.
Allgemeines Sachregister.
457
Tantalos in Korinth 369. 435.
am Sipylos, «ein Name, Schicksale, my-
thologische Erklärung 426— 435.
Telesilla, ihre Erzählung des Niobemythus
42.
Telodike, Mutter der Niobe 310.
Temenos 337.
Tereus, Gemahl der Aedon 371. 372.
Tethys 339.
Thalamai, mit Pelopssage 352.
Thalia, auf der Apotheose Homers 2S9 f.
Theater in Athen ; Grotte mit Niobidendar-
stellung 111 ff.
Theatrum Com. Balbi 12«.
Theatrum et proscenium ad Apollinis 126.
Theatrum Marcelli ad aedem Apollinis 1 26.
Thebe, als Heroine 381. 399.
Theben, das böotische, in seiner mythologi-
schen Bedeutung 393; Siebenzahl der
Thore 394.
Thebe Hypoplakie, Hauptstadt der Kiliker
399 f. 415.
Thebe in Pamphylien 462.
Theben in Thessalien 394.
Theben 's Heroenden kjnäler 377 f.
Thore 381.
Thekla, heilige, bei Seleucia 136.
Theodoridas, seine Epigramme 61.
Thyone, Thyene 424. 425.
Thrasyllos, Gründer eines choragischen
Denkmals über dem Theater zu Athen
116 f.
Timagoras, seine Darstellung der Niobesage
S6.
Timokles, Erwähnung der Niobesage 55.
Timotheos, Behandlung der Niobesage 52.
Tmolos, Vater des Tantalos 421. 422.
Tölken, Deutung einer Paste in Berlin als
Niobidengruppe bestritten 2 1 2 f.
Trendelenburg 22.
Triumph, Ertheilung und Denkmäler in
Rom 125 ff.
Tzetzes, Johannes, seine Erzählung des Nio-
bemythus 19.
u.
Urlichs, über das Nereidenmonument zu
Xanthos 330; über Skopas 327.
V.
Vacca, Flaminio, Notiz über Fundort und
Fundzeit der florentinischen Statuen 217.
Vaison in Provence, Niobe als Heilige. Nach-
trag. 464.
Venetianer Sammlungen 166.
Virgil, Beziehung auf den Niobemythus 76.
w.
W. = Welcker 224 etc.
Waagen , Bemerkungen über die Niobe-
gruppe 14.
Wagner, Martin, über die Auffindungszeit
der florentinischen Statuen 216.
, über die Aufstellung der Niobestatuen
18. 313.
, über das Pferd in der Niobegruppe
247.
Welcker, über die Aufstellung der Meerdä-
monengruppe des Skopas 326.
— , über aie Compositum der Niobegruppe
als Giebelgruppe 18. 321 ff.
— , Zusammenstellung von Niobeköpfen
230 f.
Widder, goldener, der Pelopiden 432 f.
Wilson, Richard, Niobegemälde. Nachtrag
462.
Winkelmann, über die Niobegruppe 13.
Wraske, Behandlung der Niobesage in einem
Oelgemälde 22.
X.
Xanthos, Nereidenmonument 315. 325. 330.
Z.
Z. = Zannoni, Herausgeber der Galeria di
Firenze 224 etc.
Zannoni, über die Niobegruppe 18.
Zethos in der thebischen Sage s. Amphion ;
Bedeutung des Namens 367.
Zeus 'Ofioltpog 383.
Zeus, seine Vereinigung mit Antiope 364.365.
Zeuscult am Sipylos 411. 412.
Zeusgeburt bei Theben 393.
Zeustempel von Olympia, Giebelfelder 315.
324. 325.
Zimmermann, seine ästhetische Würdigung
der Niobegruppe 22.
Register der Denkmäler.
Abkünungen: 8t. a Statue, M. b Marmor, Br. = Broiue, T. = Terracotu, Gr. m Gruppe, K. =■
Kopf, Bei. s lelltf, 8.-Jlel. m 8arkoplMgreti>f, V. = Vatenbild, G. = Gemälde, W.-G. « Wandgemälde, G. 8V
m geschnittener 8tein, P. » Glatpaste, Z. s Zeichnung, Mii. = Münzen.
Achill, Hektor schleifend, etrusk. Kel. 201.
Grab mit Tempel bei Sigeion 327.
Gruppe de Skopas 32b.
Aglaia, hercul. Z. 159.
Aias St. inRhoiteion 133.
Altar des Kephisodot 130.
Amazonen-Reihe von St. in Athen III.
Amazone St. in Mus. Pembroke 322.
liegend St. 309.
Rel. in Genua 171.
Fries v. Magnesia, in Paris 252.
Fries v. Phigalia, in London 252.
Amphion auf Sarkophagreliefs 192. 196; ob
in der Niobidengruppe ? 31 1 ff.
Antonius M.-St. auf a. Akropolis v. Athen
112.
Aphrodite G. des A pelle« 1 29.
- St. im Friedenstempel zuRom 119. 121.
St. mit Eros 220.
St. aus Myrten 415.
Nikephoros St. in Argos 341.
Apollo Comeus St. aus Seleucia 123.
Caelispex St. in Rom 125.
Citharoedus als Augustu* 138.
St. v. Elfenbein 125.
und Hera St. in Rom 129.
Br.-St. des Kaiamis 125. 129.
M.-St. des Kaiamis in hortis Servilia-
nis 125.
Br.-St. des Myron 133.
Musagetes St. 2S2.
nudus M.-St. 126.
und Artemis bei den Niobiden HO.
114. 150. 151. 154. 155. 174. 179. 191. 199.
310 — 312.
Palatinus M.-St. 14. 333.
Parnopios Br.-St. 112.
Apollo des Philiscus M.-St. 126. 130.
Sandaliarius 8t. 124.
schiessend Br.-St. 174. 310.
Tortor 124.
des Timarchides 130.
Tuscanicus 125. 129.
Apotheose Homers Rel. 2SS f.
Artemis bei Niobiden s. Apollo.
mit Leto auf Relief v. Albani 1 75.
Athene: Catulina M.-St. 121.
Kopf 220.
Astragalenspielerin M.-St. 307—^09.
Bakchische Scene mit Inschriften V. 29S.
Chiron und Achill M.-Gr. 119.
Danaiden im Heilig th. des Apollo Palat. M.-
Gr. 328.
Dionysosbilder aus Weinstock 415.
M.-St. auf d. Südmauer d. Akropolis
112.
Diskoswerfer M.-St. in Florenz 249.
M.-St. in Rom (Massimij 220.
M.-St. in Wien 249.
Dreifasse des Aeschraeos 1 1 5.
- des Gitiadas, des Kallon, der Tripo-
denstrasse 162.
Elektra u. Orest (?) M.-Gr. 294.
Elephant St. v. Obsidian 129.
Erato sog. M.-St. v. Stockholm 286. 2SS.
auf der Apotheose d. Homer Rel. 288 ff.
Faustina sen. K. 220.
Felsreliefs in Griechenland 103.
in Kleinasien 104.
v. Nymphi 105.
auf Paros 103.
Gallierschlachten in M.-St. -Gruppen 111.
112. 139. 140.
Rel. an einer Tempelthüre 138.
Register der Denkmäler.
459
Giebelgruppen in Uebersicht 3 1 1 — 3 1 6.
u. ihre Bedeutung 322.
griechische in Rom 131.
des capitol. Tempels 321.
des T. des M. Aurel 321.
des Praxiteles, des 8kopas 322. 325.
Gorgonenhaupt an d. Akropolis 111.
im Giebelfeld 3 1 7.
Hekabe an*., M.-St. 291 ff.
Helios M.-St. auf Giebel 13b.
Hera Br.-St. des Myron 133.
Herakles Br.-St. des Myron 133.
- u. Prometheus W. 163.
Sullanus M.-St. 121.
Musarum M.-8t. 127.
M.-St. aus Villa Palombara 22«.
Hermes auf Pelopsdarstell. 116.
St. neben Ares 129.
Heroenkämufe in Westgieljeln 325.
Hileaira aur hercul. Z. 15$. 1511.
lanus pater M.-St. 119. 12b.
Br.-St. angebl. des Numa 12b.
Kauernde weibliche Gestalt T.-St. 2 In.
Kentauren u. Lapithen. Etr.-Rel. 201.
Klytämnestra liegend. Kel. 310.
Kleopatra M.-St. auf d. Akropolis 112.
Knabe mit Gans St. 220.
Kora Blumen lesend. T.-St. 209.
Kriegergestalt M.-St. der Villa Albani 2ö:t.
Kühe goldene St. 141.
Kurotrophos M.-St. in d. Samml. Torlonia
230.
Kyklopische Bauten am Ida 397.
Kybele : ältestes Bild am Sipylos 109. 35 1 .
Darstellungen Überhaupt 107.
sitzend M.-St. im Garten d. Vatican los.
im Mus. Wildianum 10*.
Lampe, eherne, in Baumform 142.
Lapithen auf d. Fries v. Phigalia 252.
Leto M.-St. im Letoon zu Argos 333.319.
im Palatin. Apollotempel 129.
M.-St. des Philiskos 126.
auf hercul. Z. 159.
auf Rel. der V. Albani 1 75.
Leto u. Letoiden gebildet v. Skopas) ......
desgl. v. Praxiteles/
Liegende weibliche Gestalten M.-St. 309.
Marathonschlacht, M'-Gr. auf der Akropolis
111.
Medeas Kindermord G. 161. 162.
Melpomene M.-St. 282.
Michel Agnolos Grabmal 216.
Minotauros u. Pasiphae Rel. auf Tempelt hur
139.
M.-St. 252.
Musen, eine M.-St. des Philiskos 126.
Nereidenmonument zu Xanthos 315. 325.
330.
Nil St. v. Basalt 129.
Niobe und Niobiden:
Aquileja : Niobek. jetzt wo ? 231 .
Athen: Niobe angeblich T.-St. 210.
Niobidenreihe Rel.? oder Gruppe? einst
über d. Theater des Dionysos 111 —
HS. Nachtr. 463.
Berlin : Kon. Museum: Niobetochter oder
Trophos M.-St. 290—294.
Jüngste Niobide als Psyche ergänzt M.-
St. 231. 235. 301.
Männlicher Niobidenkopf M. 261.
Zwei weibliche Niobidenköpfe M. 269.
Niobetochter und Niobesohn P. 16S.
169.
Angebl. zwei Niobesöhne P. 212. 213.
Angebl. Niobide G.-St. 213.
Truhe mit Niobidenrelief, modern.
Nachtrag. 462.
Bologna: Palast Zambeccari.
Niobiden Rel. Fragment 176 f. 255.
277. 279.
Catajo : Sammlung Este, jetzt wo?
Der sog. Narciss M.-St. 254.
Dresden : Niobekopf M. 232.
Liegender Niobide 26 1|— 263.
Angebl. Niobetochter, Anchirrhoe 285.
2S6.
Niobetochter Br.-K. 269.
England ausser London :
Brock es leyhouse Niobekopf M. 232.
Oxford, Arundeliana : Niobekopf M. 232.
M&nnl. Niobidenkopf M. 261.
Rokeby, im Bes. v. Morrit, zwei Niobi-
denreliefs 19b.
Wiltonhouse :
antikes Niobid. Rel. 189.
modernes Niobid. Rel. 189. Nachtr.
462.
Florenz Gal. d. Uffizj :
Mediceische Gruppe:
Fund derselben 10. 21 7 f.
Schicksale 217 f.
Mutter mit Tochter M.-Gr. 225—235.
Pädagog. Jüngster Sohn. M.-St. 221.
236—241.
Drei fliehende Söhne, einer doppelt M.-
St. 171. 241—248.
In das Knie gesunkener Niobide dop-
pelt M.-St. 250 ff. 336.
Sog. Narciss M.-St. 222. 336.
Liegender Niobide M.-St. 461—263. 336.
Niobidenköpfe auf d. Ringergruppe 260.
Aelteete Tochter Gewand hebena M.-St.
171. 273—279.
Zwei fliehende Töchter M.-St. 264-
268. 335.
Muse Melpomene, auch Niobe M.-St.
279—283
Sog. Psyche M.-St. 221. 278. 299—
305. 335.
Niobide, Anchirrhoe M.-St. 283—290.
Köln, Museum:
Angebl. Niobekopf M. 232.
460
Register der Denkmäler.
London, britt. Museum :
Faganscher M.-K. eines Niobiden 244.
245.
Niobetochter M.-K. 270. 271.
Madrid, Kön. Museum :
Zwei Köpfe v. Niobetöchtern 271.
Sammlung Alba: in die Knie gesunke-
ner Niooide 253.
München :
Liegender Niobide M.St. 261—263.
Sog. llioneus M.-St. 253. 255—258.
Neapel, Mus. Borbonico:
Niobe? M.-St. 230. 291 oder Niobide?
Zwei Dreifüsse mit Niobiden W.-G.
160-163. 253. 297.
Niobe mit Gespielen, Herkul. Z. 157.
158.
Samml. von Raff. Barone: Niobiden,
acht Terracottafiguren 205—211. 295.
304. 308.
Samml. von Jatta: Krater aus Kuvo mit
Niobiden W.-G. 153—157. 253.
Paris, Louvre :
Pfidagog mit Niobiden M.-Gr. aus Sois-
sons 223. 236. 237.
Pädafog kl. Br.-St. 238.
Zwei Köpfe der Niobe oder Niobetöch-
ter M. 233 f. 268.
Weibl. Niobidenkopf Br. 234.
Niobide in flatterndem Gewände kl. M.-
St. 294 ff. 335.
Niobetochter mit Bruder G.-St. 168.
169.211.
Schale Durand mit Niobiden 150 — 153.
Petersburg, Eremitage:
Niobekopf aus Samml. Campana 231.
276.
Stuccofiguren aus Kertsch 170. 203.
205. 255.
Neue Reihe dgl. ebendaher s. Nachtrag
463.
Relief Campana M. 165—174. 253.
307. 336.
Sarskoe Selo: früher Niobekopf aus
Rom, zwei mannl. und zwei weibl.
Niobidenköpfe, jetzt wo? 233. 262.
270.
Tempel des Apollo Palatinus :
Elfenbeinreliefs 138 ff.
. des Apollo Sosianus :
Gruppe des Skopas oder Praxiteles
119ff.
Thermen des Titus :
Angebl. Niobidenbild W.-G. 163.
Rom, Mus. Capitolinum :
In das Knie gesunkener Niobide M.-
St. 250.
Sog. Psyche M.-St. 301.
Zwei Niobeköpfe 231.
Kopf einer Niobide, ang. Apollo Mu-
sagetes 271.
Rom: Mus. Kircherianum :
Kopf einer Niobidentochter, angebl.
Bacchantin 269.
Vatican :
Fliehende Niobide M.-St. Mus. Chi*
aram. 265.
Sohn mit Tochter an Bein. M. Torso
242. 305-307.
Jüngster Sohn. M.-St. 236.
Kopf desselben 236.
Zwei Köpfe von Niobesöhnen 261.
Zwei Köpfe von Niobetöchtern 268.
Sarkophagen Casali: Niobiden -Rel.
I79ff.
Fragment aus Pal. Rondanini Rel.
IS3.
Fragment mit Amphion, Rel. Gal.
Chiaramonti 16. 192.
Zeichnung v. P. Ligorio von einem
Rel. 198.
Mus. Lateranense :
Sarkophag Lozano - Argoli M.-Rel.
187 ff.
Palazzo Colonna :
Relieffragment M. 175.
Pal. Massimi :
Niobekopf M. 231.
Pal. Rondanini:
Relieffragment 16. 183.
Pal. Torloma:
Angebl. Niobe 230.
Samml. Vescovali:
Angebl. Niobe 230.
Villa Albani :
Relieffragment M. 16. 173f. 253.
Dsgl. mit Amphion. Zeichn. 192.
Relief von Thon, Leto und Artemis ?
175.
Villa Ludovisi :
Relieffragment M. 175.
Villa Pamfili t
Wandgemälde aus Grabmal 163 ff.
276.
Sammlung des Prinzen Canino, wo jetzt ? /
Schale aus Nola mit Niobiden 151.
376.
Sipylos: Felsrelief 17.98—109 .Nach-
trag. 433.
Toscanella in Südetrurien bei Campanari :
Etrusk. Niobidensarkophag M.-Rel.
199.
Venedig : Samml. d. Bibliothek Marco.
Sarkophagrelief Borghese M. 14. 187 ff.
Wien:
Angebl. Niobide, ein Discobolus 249.
Fliehende Niobide, Gefassfragment von
Chalcedon 213. 214.
Nymphaeum Alexandri Severi 219 f.
Nymphe Anchirrhoe-Statuen in Rom, Paris,
Stockholm, Tegel, England 286.
Orest u. Pylades Rel. in München 182.
Peitho in Kunstdarstellungen 340.
Register der Denkmäler.
46t
Pelops Darstellungen 353.
Perseus und Andromeda W.-G. 161.
Perserkämpfe, Fries vom T. d. Nike Apte-
ros 252.
Phoibe auf herkul. Z. 159.
Polyhymnia unter der Niobiden M.-St. 221.
2S0.
Psyche sog. v. Neapel M.-St. 274.
Statuen in Rom u. Paris 301.
sog. in Berlin M.-St. 234. 235. 301.
Prometheus u. Herakles W.-G. 163. 164.
Ringergruppe M. 217. 220. 259. 261.
Satyrn, vier Statuen 119.
Semele auf Spiegelzeichnung 168.
Sipylos bei Niobidengrab Rel. 196.
Skyphos, eiserner, 129.
Smyrnäische Marmorfigur, früher bei Mil-
hngen 171. 297—299.
Stiere des Mvron Br. 13S. 141.
Sylvanus auf Niobidenrelief 190.
Tanzende Frauen. Rel. in Mus. Chiaramonti
220.
Thalia unter dionysischen Gestalten V.-G.
29$.
Thebe bei Amphion Rel. 196.
Wärterin oder Hekabe? M.-St. in Mus. Ca-
pitol. 291.
Wärterinnencharakter, künstler. 279. 294.
334.
Urania unter den Niobiden M.-St. 2S2.
Aetophoros auf Münzen Magnesia 411.
Zeus : Thronsitz in Olympia 110. 111.
Athene, Demeter Br.-Gr. 129.
Athene, Herakles Br. -Kolosse. 141.
Nachträge und Berichtigungen.
Zu S. 10. Z. 2 v. u. füge hinzu: „als der erste ltaliäner, der die Niobiden plastisch dar-
stellte, ist wohl Benedetto da Rovezzano zu betrachten, ein Florentiner aus
dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, unter Heinrich VIII. nach England gerufen,
in Anmuth und Milde des Stiles noch an Majano und Ghiberti erinnernd. Ueber das
ihm von Waagen zugeschriebene, zweifellos nicht antike Relief in Marmor in Wilton-
house s. weiter unten (S. 189).'*
Ebendas. Anmerk. 3. Ein interessantes Werk italienischer Sculptur aus der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts ist die hölzerneTruhe in der Kunstkammer im neuen
Museum zu Berlin mit einem Niobidenrelief an der Vorderseite, je einem gebundenen
Barbaren an den Ecken. Das Verh<niss derselben zu den erwähnten Compositionen
ist mir nach einer flüchtigen Beschauung anzugeben nicht möglich. Wenn Richard
Fischer (histor. krit. Beschreibung der Kunstkammer etc. 1859. S. 75) die Truhe in
die Mitte des 16. Jahrhunderts setzt und doch ein Werk aus der Schule des Oiov. da
Bologna (geb. 1524, gestorben 1608) sein lässt, so ist das ein innerer Widerspruch.
S. 12. Z. 20 v.o. 1. 1704 f. 1504.
S. 16. Z. 10 v. o. Zu erwähnen ist hier noch ein berühmtes, oft wiederholtes Gemälde
des englischen Claude Lorrain, Richard Wilson (1714—1 782 j in der National Gal-
lery in London. Ein gewaltiger Sturm durchbraust darauf eine grossartige Felsen-
gegend mit Wasserfall, in welcher als Staffage Apollo mit Diana Niobes Kinder nieder-
schiessen. Ein Stich von Woollett und Smith aus dem J. 1661 liegt mir vor.
S. 17. Anm. 1 fuge zu: „abgedruckt in A. W. v. Schlegel Oeuvres ecrits en francais
publ. par Böcking II. 1846. p. 1 -29."
S. 21. Z. 5 v. u. fuge zu: ,,Welcker (schon 1823 zu Schwenck etymol. Andeut. S. 298,
dann äschyl. Trilog. S. 192 und jetzt griech. Götterl. III. S. 124 ff.) fasst sie als
Neaera, als neue, sich verjüngende Natur."
S. 29, Z. 8 v. u. 1. 3 f. 4.
S. 32. Z. 12 v. o. 1. nach Päan : „versetzt uns mitten in" und Z. 13. 14 für: „von Kadmos
erschienenen" 1. „der von Kadmos gefeierten".
S. 49. Anm. 1. Für eine euripideische Niobe könnte die unmittelbare Zusammenstellung
mit den Troaden sprechen, die von einem Metrodoros (ob dem Epikureer?) gemacht
wird, in Bezug auf das Gemälde Prometheus des Parrhasios. Vgl. Seneca Controv.
1. X. 34 ed. Bursian : sed nihil est quod minus ferri possit quam quod a Metrodoro
dictum est: ujj uoi Tgtoädag [*rjJi> .Vio/fr/r . lnC&fg tq tivq. ovnio uoi rov 17pouiyd/fc
Nachtrüge und Berichtigungen. 463
S. 58. Z. 6 v. u. Flüchtig sind die auf Niobe bezüglichen Epigramme behandelt von
Heyne in Comment. II. : priscae artis opera ex epigrammat. graec. part. erata part.
illustrata in Comment. soe. orient. Gotting. X. p. 51 ff.
S. 71. Z. 3 v. o. 1. Kriegsbeute f. Kriegsleute.
S. 90. Z. 10 v. o. füge ein : „zu entscheiden" vor ,,im Stande".
S. 96. Z. 8 v. u. ergänze: „Stratos" zu „Mene".
S. 99. Z. 7 v. o. füge nach „Zeichnung" noch „hinaus44 hinzu.
S. 101. Z. 11. Eine photographische Abbildung des ganzen Felsens ist von dem Contul
Spiegelthal dem königlichen Museum zu Berlin übergeben worden und lag kürzlich
der archäologischen Gesellschaft daselbst vor, s. Archäol. Anze'.g. 1SG3. März. S. 34.
S. 105. Z. 17 v. o. 1. „und44 f. ,,ist4f.
S. 114. Z. 9 v. u. Bursian (Geographie von Griechenl. 1. 1S62. S. 298) sagt von dieser Dar-
stellung: „wohl nur ein Relief, keine Statuengruppe, für welche in der Höhle kaum
Platz ist44.
S. 116. Anmerk. 3. Eine neue Inschrift ebendaselbst über Weihung von Dreifüssen von
einem PeUonianos und Nigrinot s. Arch. Anz. 1855. n. 76 — 78. S. 58 und Bursian in
Leipz. Ber. d. K.S.Ges. d. W. hist.-phil. Kl. 1860. S.208. Aehnliche sind noch mehr
dort eingegraben.
S. 124. Z. 2 v. o. 1. „des44 f. „den44 und Z. 2 v. u. „der44 f.„den'4.
S, 127. Z. 2 v. u. 1. „seinen44 f. „steinernen44.
S. 128. Anm. Z, 3 v. u. 1. 383 f. 283.
S. 130. I. 7 v. o. 1. „braucht44 f. „berührt44.
S. 134. Z. 9 v. o. 1. „Seleukeia44 f. „Seleikeia".
S. 135. Z. 1 v. u. Auch der Name "OXpoi weist auf den Apollodienst, ist es ja der apolli-
nische Dreifuss, dessen Einsatztheil olfiog bezeichnet, ward "OJ^uo? als mythischer
Wahrsager gefasst bei Zenob. Prov. III. 63.
S. 150. Anm. Z. 11 v. u. 1. „retourne44 f. „retouvre44.
S. 160. Z. 13 v. u. 1. 1) f. 8) und Z. 1 v. u. 1. 2) f. 1).
S. 199. Anm. Z. 2 v. u. 1. 185 f. 152.
S. 206. Z. 3 v. u. Anm. 1. „chthonischen" f. „chthomischen44.
S. 205. Z. 12 v. u. Eine soeben erhaltene dankenswerthe briefliche Mittheilung von L. v.
Stephan! in Petersburg giebt Kunde von einem Ende 1S62 in Kertsch gemachten
Funde einer neuen Anzahl Niobiden in Gyps oder Terracotta. Sie schmückten eben-
falls ursprünglich die Seitenfläche eines Sarkophags. Ausser einer sitzenden Figur,
wie es scheint der Mutter, in deren Schooss sich ein Solrn flüchtet, sind Fragmente
von vier andern Söhnen, fünf Töchtern, von dem Pädagogen^ und der Amme erhalten.
Sie werden im Compte rendu des Jahres 1863 veröffentlicht werden.
S. 212. Anm. Z. 2 v. u. 1. 1831 f. IS.'lo und füge hinzu: ,,es ist ein schwarzer Achat der
Sammlung Demidoff44.
S. 253. Z. 13 v. o. Kürzere Notiz davon ist jetzt gedruckt in E. Hübners antiken Bild-
werken in Madrid. Berlin 1862. S. 246. n. 569.
S. 256. Anm. 7 füge hinzu: „jetzt gut gezeichnet und gestochen in C. v. Lütsow Münch-
ner Antiken. Liefer. III. Taf. 15. 16. 17. mit Text S. 28. 29. 44 Zu den Angaben der Er-
haltung füge hinzu : „es fehlt die kleine Zehe des linken Fusses grossentheils, Brüche
an demselben Fuss, wie ein Riss durch den rechten Unter- und Oberschenkel sind
sichtbar44.
S. 262. Z. 7 v. o. füge hinzu : „jetzt neu publicirt von C. v. Lützow in den Münchner An-
tiken. Lief. III. Taf. 14. Text S. 26. 27 mit seiner Bemerkung über die die Contouren
bildende Wellenlinie44.
S. 271. Z. 1 1 v. o. s. jetzt E. Hübner ant. Bildw. in Madrid S. 95 und auch 227. n. 503.
464 Nachträge und Berichtigungen.
S. 272. Z. 11 v. o. 1. „Niobetochter" f. „Niobidentochter".
S. 277. Z. 11 v. u. 1. , »erinnern" f. „erinnen".
S. 2S1. Z. 5 v. o. 1. „grösseren" f. „kleineren" und streiche: „ja dem jüngsten Sohne an
Grösse entspricht".
S. 2S3. Z. S v. o. 1. „Niobe" f. „Niobide".
S. 288. Z. 2 v. u. 1. 6) f. 7).
S. 304. Anm. Z. 2 v. u. 1. Anth. gr. II. f. Anthol. gr. 1.
S. 315. Anm. Z. 4 v. o. 1. sichern f. sieben.
S. 344. Anm. Z. 2 v. o. füge ein nach: „£f}'aT(j6f" ,,ni\it ytvfadat &v)'ai£(>as11.
S. 351. Anm. Z. 2 v. u. 1. 5) f. 6).
S. 3GS. Z.4 v. u. Dieser Gegensatz eines nicht thebanischen, ionisch - achäischen Herr-
schergeschlechtes zu den Spartoi Thebens ist in jener historisirenden Erzählung vom
Untergang der Niobiden durch einen Hinterhalt der Spartoi auf dem Wege nach Eleu-
therä, die wir S. 8G behandelten, klar ausgesprochen.
Zu 8. 442. Es mag hier eine merkwürdige Notiz noch Platz erhalten über eine auf Niobe
bezogene Statue einer weinenden, liegen gebenden Heiligen in der Provence. Die
Nachricht ist von Salvagne gegeben zu Ovid. Ibis 5S5 (Ov. ed. Burm. IV. p. 149) und
lautet : mirum illud apud Vocontios nostros Nioben divinos honores consecutam esse,
cujus statuam plorantis instar in sacello cujusdam vici non longe a Vasione oppido in
comitatu Venascino pontificiae ditionis positam vicani sub nomine sanetae Nieblae me-
moria etiam nostra colere et superstitiose ad eliciendam pluviam circumferre solebant,
donec re cognita Jos. Suaresius episc. Vasiensis, vir antiquitatis peritisaimus ante ali-
quot annos statuam confringendam et superstitionem abolendam curavit.
Druck von Breitkopf und Hftrtcl in Leipzig.
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