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Klonatsihrift für Blut und Bn den
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Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorſprucg ß 543
Johann von Leers / Die E ee des aA 544
Hans Merkel / Eigentum . . . 2: DI
Sverre Paturſſon / Das Bauerntum ouf den Farbern . . . 3561
Hanns Prehn⸗Dewitz / Unter kleines germaniſches Brudervolk,
die Faeringernr „ & . 0
Alfred Thoß / Scharnhorſt, der Schöpfer d des Großen
Generalſtabes (II. Teil) ERBEN . . 573
Hartmann Lempp / Welche Dann hatte dag Bodenrecht
Spartas für den Aufſtieg und Niedergang des Staates? 589
Das Archl-:⸗ ))) (66é04
Neues Schrifttum I 612
Das Umſchlagbild „Verſchneiter Wald im Rieſengebirge“ ſtammt von Hans Retzlaff, Berlins
Charlottenburg 5, die Aufnahmen der VBildbetlage wurden freundlichſt zur Verfügung
geftellt von Hans Prehn-Dewitz, Hoffnungstal⸗Vollberg.
Die in dieſer Zeitſchriſt namentlich bezeichneten Arbeiten geben die Anſichten der
Verfaſſer und nicht des Herausgebers oder Hauptſchriſtleiters wieder.
Nachdruck iſt nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Schriſtleitung geſtattet.
Jedes Heft RM. 1.50 +» Vierteljährlich 3 Hefte RM. 3.60
zuzüglich Beſtellgeld. Beſtellungen durch alle Buchhandlungen, Poſtanſtalten und
den Verlag. Poſtvertrieb ab Detmold.
Monatsſchriſt für Blut und Boden
Sauptfhriftlieitung: dr. hermann Reifdle
Zeitgeſchichte Verlag und Vertriebs⸗Geſellſchaft m. b. §., Berlin W 35
Cützowſtraße 66
Debt 7 4. Jahrgang Januar 1936
Vorfprud)
„Ich ärgere mich, wenn ich ſehe, welche Mühe man
ſich in dieſem rauhen Alima gibt, um Ananas, Bananen
und andere exotiſche Pflanzen zum Gedeihen zu bringen,
während man ſo wenig Sorgfalt auf das menſchliche
Geſchlecht verwendet. Man mag fagen, was man will:
der Menſch iſt wertvoller als alle Ananaſſe der Welt.
Er iſt die Pflanze, die man züchten muß, die alle unſere
Mühe und Sorgfalt verdient; denn fie bildet die Zier
und den Ruhm des Vaterlandes.“
Friedrich der Große.
48000
Johann von Leers:
Die Kulturgrundlagen des Indogermanentums
Es war für die damalige Welt eine der größten wiſſenſchaftlichen Ober,
raſchungen, als der Sprachforſcher Franz Bopp vor etwas mehr als hundert
Jahren in feiner „Vergleichenden Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechi⸗
ſchen, Lateiniſchen, Litauiſchen, Gotiſchen und Deutſchen“ (Berlin 1833) nicht
nur die innere Verwandtſchaft dieſer Sprachen nachwies, ſondern in der Lage
war, eine gemeinſame Arſprache, aus der alle dieſe Sprachen ſich entwickelt
haben, nachzuweiſen. Er nannte damals diefe Arſprache „indo⸗germaniſch“,
um fo ihre weiteſte Ausdehnung von den Sanskritindern im äußerſten Süd-
oſten bis zu den Germanen im äußerſten Nordweſten (Island) zu bezeichnen.
Eine Abſicht, den Indern oder den Germanen damit eine beſondere Vorrang⸗
ſtellung einzuräumen, lag ihm ganz fern. Man wird darum auch den Namen
„Indogermanen“ ruhig beibehalten können, obwohl gelegentlich von franzö⸗
ſiſchen und auch ſlawiſchen Forſchern ſtatt deſſen das Wort „Indo⸗Europäer“
vorgeſchlagen worden iſt, da der Begriff „Europäer“ ja auch Sprachen und
Völker umfaßt (Basken, Eſten, Finnen, Ungarn, Lappen u. a.), die nicht zu
dieſem Sprachſtamme zugehören. Zum indogermaniſchen Sprachſtamm rechnen
wir heute unter den lebenden Sprachen, im Weſten beginnend, die Sprachen
des keltiſchen Zweiges (bretoniſch in der Bretagne, iriſch in Irland, gäliſch
in Schottland und das im 18. Jahrhundert ausgeſtorbene kymriſch auf der
Halbinſel Cornwall, endlich das walliſiſche in Wales). Die nächſte große
Gruppe ſtellen die abgeleiteten Sprachen des ausgeſtorbenen Lateiniſch (por⸗
tugieſiſch, ſpaniſch, franzöſiſch, italieniſch, rhäto⸗romaniſch, ladiniſch, friauliſch,
rumäniſch) dar; lebendig iſt noch das Griechiſche, in naheſtem Zuſammenhang
mit dem Altgriechiſchen; die germaniſche Sprachfamilie (niederländiſch, deutſch,
däniſch, ſchwediſch, norwegiſches Landsmaal, endlich das mit romaniſchen Be-
ſtandteilen gemiſchte engliſch) hat durch die Gewinnung von Nordamerika und
die Verbreitung der engliſchen und deutſchen Sprache die räumlich größte Aus-
dehnung errungen; die flawiſche Sprachfamilie (ruſſiſch, polniſch, tſchechiſch,
ſlowakiſch, ſloweniſch, ſerbokroatiſch, bulgariſch, wendiſch) hat heute von den
indogermaniſchen Sprachen innerhalb Europas die größte Verbreitung; als
kleine und ſehr altertümliche Gruppe tritt hinzu die baltiſche (lettiſch, litauiſch
und das ausgeſtorbene pruzziſch). .
Faft ebenſo zahlreich find die ausgeſtorbenen Sprachen der Indogermanen.
Einige von ihnen find uns noch voll erhalten, wie das Lateiniſche, Altgriechi⸗
ſche und bis zu gewiſſem Grade auch das zur germaniſchen Sprachfamilie ge-
hörende Gotiſche, von anderen wiſſen wir nur Trümmer, ſo von der Sprache
der meiſten in der Völkerwanderung untergegangenenen Germanenvölker, bei
denen es ſich allerdings wohl nur um dialektiſche Abwandlungen der einheit⸗
lichen, damals noch gar nicht geſpaltenen gemeingermaniſchen Sprache geban-
— — . —
Die Kulturgrundlagen des Indogermanentums 545
delt hat, ferner von der Sprache der Tocharer, die im frühen Mittelalter in
Turkeſtan untergingen, der Saken in Südrußland und Weſtſibirien, der alten
Mitanni, einem den Sanskritindern verwandten Volk, das am Euphrat
ſiedelte, und anderen. Dagegen iſt uns die ſprachliche Entwicklung der zur
indogermaniſchen Gruppe gehörenden Perſer von den älteſten Zeiten bis heute
hin erhalten, endlich ebenſo das Sanskritindiſche, und ganz kleine indoger⸗
maniſche Volksſtämme figen heute noch in den Bergen von Kafiriſtan im ſüd⸗
öſtlichen Afghaniſtan, unter ihnen die Jaghnobi, die noch eine völlig indo-
germaniſche Sprache ſprechen.
Wollen wir rein ſprachlich den Kulturſtand der indogermaniſchen Gruppe
vor ihrer Trennung in verſchiedene Völker feſtſtellen, ſo wird man zu unter⸗
ſuchen haben, welche Wörter bzw. Stammwurzeln ihnen gemeinſam find. Da-
bei finden wir ſehr raſch, ohne daß hier die einzelnen Wörter aufgezählt wer⸗
den ſollen, daß allen dieſen Völkern gemeinſam ſind die Bezeichnungen für
Pflug, Säen, Mähen, Furche, Korn, Handmühle und Sichel. Allein ſchon
diefe Tatſache zeigt uns, daß das indogermaniſche Arvolk vor feiner Trennung
den Ackerbau gekannt hat. Gemeinſam ſind dieſe Bezeichnungen für Wagen,
Achſe, Egge, Deichſel und weitgehend auch für Pferd und Vieh. Es iſt alſo,
noch ehe diefe Völker fih getrennt haben, bei ihnen wahrſcheinlich die Zäh⸗
mung des Pferdes, jedenfalls der Gebrauch von Wagen üblich geweſen. Ge⸗
meinſam ſind Ausdrücke für einen geſchützten, mit Paliſaden umgebenen
Naum (deutſch: Garten, lateiniſch: hortus, ruſſiſch: gorod, polniſch: grod
u. a.), diefe Arbedeutung hat dann verſchiedene Anterbedeutungen angenom⸗
men, entweder Garten oder Burg, endlich ſogar Stadt. Gemeinſam iſt allen
indogermaniſchen Völkern ſchon rein ſprachlich die Bezeichnung für das Meer
(deutſch: Meer, lateiniſch: mare, ruſſiſch: more, keltiſch: mar u. a. m.). Die
Bevölkerung muß alſo meernahe gewohnt haben. Schon das hätte gegen die
früher vielfach verbreitete Auffaſſung ſprechen müſſen, daß die Indogermanen
vom Pamir oder ſonſt aus Hochaſien ſtammen, wo es bekanntlich kein Meer
gibt. Gemeinſam einer großen Anzahl der indogermaniſchen Sprachen ſind
Bezeichnungen für das Schiff, jedenfalls für Schiffstypen, hierbei hängen oft
ſehr entfernte Sprachen miteinander zuſammen, fo daß etwa das irifche
coracle (Fellboot) dem ruſſiſchen korablj, das lateiniſche navis dem deutſchen
Nachen und dem griechiſchen naus entſpricht. Der Fiſchfang muß geübt wor⸗
den ſein, denn nicht nur die Bezeichnungen für Fiſch, ſondern auch
die Bezeichnungen für Fiſchereigeräte ſtehen in engem Zuſammenhang
und leiten ſich von gleichen Wurzeln her. Anterſuchen wir die
Pflanzen und Bäume, die auf gemeinſame Grundlage in ihren Bezeichnungen
zurückgehen, fo finden wir, daß das indogermaniſche Arvolk eine Landſchaft
bewohnt haben muß, die etwa dem mittleren und nördlichen Europa entſpricht.
Wir werden ſchon hiernach ſeinen Arſprung rings um den Oſtſeekreis anzu⸗
nehmen haben. Das gleiche ergibt ſich bei der Abereinſtimmung der Namen der
wilden Tiere, unter denen beſonders der Wolf, der Hirſch (dieſer nicht immer)
und der Luchs auf gemeinſame Wurzel zurückgehen. Das würde ebenfalls die
Auffaſſung von der Arheimat dieſer Sprachgruppe im mitteleuropäiſchen Raum
ſtützen. Im einzelnen ließen ſich hier ſehr viele Beweiſe anführen. |
Wir werden fo allein aus feiner Sprache für das indogermanifche Arvolk
ein Waldbauerntum im mitteleuropäiſchen Kulturkreis anzunehmen haben,
548 | Johann von Leers
von wo die Völker dann im Laufe der Jahrtauſende fih durch Wanderungen
landſuchenden Bauerntums (wie es R. Walther Darré in ſeinem Werk „Das
Bauerntum als Lebensquell der Nordiſchen Raſſe“ überzeugend nachgewieſen
hat), in der noch lange üblichen Giele des „ver sacrum“, des „heiligen Früh⸗
lings“, der Abwanderung der Jungmannſchaft ausgebreitet haben.
Die Entſtehung der indogermaniſchen Sprache wird man aus einer Vor⸗
form, die man vielleicht als „urnordiſch“ bezeichnen könnte, entwickelt anneh⸗
men dürfen. Die Entſtehung der indogermaniſchen Völker dagegen iſt hinſicht⸗
lich ihrer raſſiſchen Zuſammenſetzung ganz klar. Nach den Grabbeigaben pfle⸗
gen wir in der Jungſteinzeit vor der Bildung der indogermaniſchen Sprachen ⸗
gruppe eine Anzahl von Kulturkreiſen zu unterſcheiden, unter denen im Nord⸗
weſten „ weit der Weſtküſte Europas folgend, die ſogenannten
Megalithkeramiker, d. h. der Kulturkreis der großen Steingräber mit dazu⸗
gehöriger Töpferei, die Schnurkeramiker in Mitteldeutſchland, die ihre Töpfe
und Gefäße mit ſchnurartigen Verzierungen geſchmückt haben, die etwas ſüͤdlich
und ſüdöſtlich von ihnen wohnenden Bandkeramiker, die bandartige Gefäßver⸗
zierungen verwendeten und eine größere Anzahl kleinerer Kulturkreiſe in
Europa hervortreten. Profeſſor Hans F. K. Günther hat in feinem grund-
legenden Werk „Herkunft und Raſſegeſchichte der Germanen“ klargemacht, daß
innerhalb aller dieſer Kulturkreiſe die Nordiſche Raffe die eigentlich tragende
Naſſe geweſen ift, daß fie innerhalb der Schnurkeramiker am reinſten auftritt
und innerhalb der ſogenannten Megalithkeramiker mit der fäliſchen Raffe ver-
bunden war. Er weiſt dann im einzelnen nach, daß alle dieſe Kulturkreiſe be⸗
reits eine bäuerliche Lebensgrundlage beſaßen. Gegen Ende der Jungſteinzeit
und Beginn der Bronzezeit führt ein Vorſtoß der Schnurkeramiker zu einer
neuen „Vernordung“ dieſer verſchiedenen Kulturkreiſe; aus einer Verbindung
der Schnurkeramiker und Megalithkeramiker entſteht ſo die Grundlage des
Germanentums, aus einer Verbindung der Schnurkeramiker und verſchiedener
Gruppen der Bandkeramiker entſteht der Grundbeſtand der ſpäteren Italiker,
Kelten, Slawen und der baltiſchen Gruppe, während eine Verbindung von
Schnurkeramikern mit dem ebenfalls ſtark nordiſch beeinflußten Kulturkreis der
ſogenannten „bemalten Keramik“ an der mittleren und unteren Donau, einer
Untergruppe der Bandkeramiker, zur Bildung der ſpäteren ariſchen Perſer,
Sanskritinder und verwandter Gruppen führt.
Wir ſehen alfo, daß die Nordiſche RNaſſe die eigentliche Grundraſſe der indo-
germaniſchen Sprachfamilie iſt, deren Abweichungen voneinander nicht zuletzt
durch die neuen Verbindungen, zum Teil auch die ſehr alten Verbindungen
dieſer Naſſe erklärbar ſind.
Suchen wir nach dem geiſtigen Grundbeſtand aller dieſer Völker, ſo ergibt
er ſich aus den Abereinſtimmungen ihrer Mythologie wie ihrer ſprachlichen
Bezeichnungen und der uns überlieferten Kunde.
Ludwig von Schröder hat als erſter zuſammenfaſſend in ſeiner „Ariſchen
Religion“ den Geiſtesbeſitz des indogermaniſchen Arvolkes zu beſtimmen unter.
nommen. Allen dieſen Völkern gemeinſam ift die Verehrung eines allerhöch⸗
ften Lichtgottes, deffen Name vom Stamm div = glänzend, ſtrahlend, abge⸗
leitet ift. Es ift der deus der Lateiner, Zeus der Griechen, Djaus- pater der
Inder, der „Lichtvater“. Er offenbart ſich durch die Sonne, ſowohl durch ihre
belebende Kraft, die jedes Frühjahr aufs neue die Erde ergrünen läßt, wie
—
—
Die Kulturgrundlagen des Indogermanentums 547
durch die erhabene Regelmäßigkeit und Geſetzmäßigkeit ihres Amlaufs. Die
gewaltigen Steinſetzungen, wie fie uns etwa im Sonnentempel von Stone-
henge in England oder von Callerniſh auf den Hebriden entgegentreten, ſind
Darſtellungen des Kalenders, des Amlaufes der Sonne, ihres Höhepunktes in
der Sommerſonnenwende, ihrer beiden Tag. und Nachtgleichen in der Früh-
lings. und Herbſttag⸗ und Nachtgleiche und ihres Tiefpunktes in der Winter-
ſonnenwende, aus der das neue Licht des Jahres geboren wird. Gott und Jahr
ſtehen Ari fo febr nahe, fo daß noch heute dem deutſchen Wort Gott das ruf-
ſiſche Wort god = Jahr entſpricht. Zwei große ſittliche Überzeugungen er-
geben fih hieraus für alle indogermaniſchen Völker — zuerſt ein Anſterblich⸗
keitsglaube, der anknüpft an die Wiedergeburt des Lichtes im Jahr und in der
Morgenröte aus der Nacht, und die Wiedergeburt der Pflanzenwelt im Früh⸗
jahr aus der Winternacht, die auch für die Menſchen als Anſterblichkeits⸗Gewiß⸗
heit angenommen wird. Sehr ſchön ſagt ſchon ganz früh Lefmann in ſeiner
„Geſchichte des alten Indiens“ von den ariſchen Indern (Berlin 1890): „Tief⸗
inniges, mächtiges religiöſes Gefühl ging durch die ariſche Stammesgemein-
ſchaft; es heiligte alle Verhältniſſe des Lebens, der Familie und des Beſitzes
und ſetzte ſchon früh gewiſſe Normen feft, fittliche Regeln und rechtliche Be-
griffe, Fuge und Satzungen. Mond und Geſtirne, ſah man, folgten feſtem, un⸗
abänderlich geregeltem Wandel; ſie waren Hüter und Wächter der Ordnung.
Die Ordnung, eine feſte ſittliche Ordnung zu verletzen, war Sünde, war dem
einzelnen vor Göttern und Menſchen zum Abel, zu Schaden und Schande ge⸗
reichend, einer Geſamtheit aber Krieg und Fehde eintragend.“ Während aus
der Anſterblichkeitsgewißheit der indogermaniſchen Religionen fih faſt durch-
gehend ein tiefſinniger Wiedergeburtsglaube entwickelte, von dem noch die ſpäte
Edda in der Hyndlinga⸗Saga bezeugt: „Das war Glaube in der alten Zeit,
daß Menſchen wiedergeboren werden und das gilt jetzt als Altweiberwahn“,
und den wir bei den Sanskritindern zu einem reichen philoſophiſchen Syſtem
entwickelt ſehen, ift diefe Aberzeugung von der immanenten göttlichen Ordnung
der Welt, von der der Menſch ein Stück darſtellt, bis in die rein ſprachlichen
Dinge hinein erhalten geblieben. Wir finden noch in einer mittelalterlichen
Rechtsftelle aus Friesland bei der Beſtimmung 1 Leiſtungen, daß
„das Recht umgehen ſoll mit der Sonne herum“, d. h. in der Richtung des
Gonnenlaufes; ſelbſt der Sachſenſpiegel des Mittelalters hat noch die wunder.
volle Formulierung: „Gott iſt ſelber Recht, darum hat er Recht lieb.“ Das
gleiche Wort für Recht und rechts wiederholt ſich faſt in allen indogermani⸗
ſchen Sprachen, fo entſpricht dem ruſſiſchen prawy = rechts das Wort prawo =
Recht, dem franzöſiſchen droit die Bedeutung Recht und rechts — der alte,
aus der Jahreslaufreligion der Indogermanen genommene Begriff des imma-
nenten, in der Welt durch göttliche Kraft bereits liegenden Rechtes, das dar⸗
um auch urſprünglich nicht aufgezeichnet, ſondern auf dem Thing „gefunden“
wurde, das aus dem Gewiſſen entnommen wurde, iſt hier mit Händen zu grei⸗
fen und ſteht in klarem Gegenſatz zu dem Begriff des Rechtes etwa bei den
Völkern der ſemitiſchen Sprachfamilie, wo das Recht von außen her, von
einem jenſeitigen Gott durch Gebote geſetzt wird, ohne daß die Menſchen ſelber
in der Lage wären, das Recht von ſich aus zu finden, wie es der Koran noch
ſehr deutlich betont, der ausdrücklich ſagt, daß Gott den Menſchen das Recht,
da ſie ſelber keines hatten, aus Barmherzigkeit gegeben habe. Bei den indo⸗
548 Johann von Leers
germanischen Völkern ift das Recht dagegen aus dem Gewiſſen erkennbare
Grundordnung der Welt.
Immanenz der göttlichen Kräfte in der Welt kennzeichnet fo die Weltan⸗
ſchauung aller indogermaniſchen Völker. Die Welt iſt geordnete, geſchützte
Bauernheimat der Götter und Menſchen — jenſeits ſteht das Angeordnete;
ſo ſteht bei den Germanen Midgard, die von Göttern und Menſchen bewohnte
und geſchützte Flur, dem Atgard, der Wohnung der Rieſen, der Mächte der
Anordnung, ebenſo gegenüber wie bei den Griechen das Kosmos, das zugleich
„Welt“, „Schmuck“ und „Ordnung“ bedeutet, dem Chaos gegenüberſteht.
Manchmal iſt ſogar noch rein ſprachlich dieſer alte Zuſammenhang wundervoll
gewahrt, fo wenn im Ruſſiſchen noch heute das Wort „mir“ die drei Be-
deutungen hat: Welt, Friede und Dorfgemeinſchaft, letzteres urſprünglich die
Sippengemeinſchaft des Dorfes, erſt mittelalterlich auf die Steuergemeinſchaft
der Bauern Übertragen. Dieſe Welt ift, als vom Licht, der großen, alles durch⸗
ſtrahlenden göttlichen Kraft belebt, zugleich Lichtwelt; ſo hängen heute noch
im Polniſchen die Worte Swiat = Welt und Swiatlo = Licht eng miteinander
zuſammen.
Geordnet und nach religiös gefaßten Regeln vollzieht fih auch die Gemein-
ſchaft der Menſchen bei den indogermaniſchen Völkern, die Sippe. Die
Sippe iſt Abſtammungsgemeinſchaft von einem Ahnherrn und einer Ahnfrau
und beruht auf der ſchon beim indogermaniſchen Arvolk vorhandenen ſtrengen
Einehe. Dieſe Einehe wieder iſt erklärlich aus der bäuerlichen Lebensform,
denn der Bauer kann immer nur eine Bäuerin, niemals einen Harem ge⸗
brauchen, wie der wandernde Hirte ihn ſchon aus rein wirtſchaftlichen Grün-
den benötigt. Dieſe Abſtammungsgemeinſchaft iſt zugleich eingeordnet in die
bäuerliche Lebensform, aufs engſte mit dem Hof, dem „kleinen Midgard“ des
Bauern verbunden. So finden wir bei allen indogermaniſchen Völkern als
Erbrecht die Verſtammung des Hofes auf einen Sohn, der wieder eine gleich-
wertige Frau heiratet. Das Erbrecht iſt ganz ſtrenges Inteſtaterbrecht, d. h.,
der bäuerliche Hof kann, wie wir es ſowohl bei den älteſten Römern, wie bei
den Germanen, den ariſchen Perſern und den Slawen belegt finden, durch
eine letztwillige Verfügung gar nicht aus der Familie gebracht werden. Er iſt
Sippenhof, den der einzelne Bauer lediglich als Treuhänder des Geſchlechtes
beſitzt. Er iſt in dieſem Sinne Odal bei den Germanen, „familia“ bei den älte⸗
ften Römern, „zadruga“ bei den Slawen — Sippenhof, Magenhof, Gottes-
lehn oder „Sonnenlehn“, wie dieſe letzten derartigen Höfe noch im deutſchen
Mittelalter heißen.
Das Geſchlecht, nicht der einzelne, ſteht ſo im Mittelpunkt der Lebensord⸗
nung, ganz deutlich noch beim germaniſchen Bauern vor ſeiner Chriftiani-
ſierung zu erkennen; die Sippe tritt für den einzelnen ein vor Gericht, in der
Sippe zuſammen ſtehen die Männer im Kriege, und zu den Toten der Sippe
gehen die Entſchlafenen ein, um in der Sippe wiedergeboren zu werden, wie
in Norwegen noch bis tief in die chriſtliche Zeit die Aberzeugung ſich erhielt,
daß die toten Ahnen in den Enkeln wiedergeboren würden. Die Sippe hat
als ſolche beinahe fo etwas wie eine eigene Seele, eine „fylgja“, die dem
Sippenangehörigen ſchützend zur Seite ſteht, und bei den ariſchen Perſern
wiſſen wir aus den Zarathuſtrageſängen, daß im Kriege die Sippenſeelen der
perfiſchen Männer mit Schwert und Schild in der Schlacht mitkämpften und
Die Kulturgrundlagen des Indogermanentums 549
die toten Helden, ganz ähnlich wie die germaniſchen Walküren, zum Lidt-
himmel hinauftrugen. Ä
Reinheit der Sippe und Reinheit des Blutes ift fo eine der Vorausſetzun⸗
gen für die Erhaltung des Sippenzuſammenhanges, iſt göttliches Gebot. Nur
unter ſchweren Kämpfen haben die römiſchen Patrizier, die Nachfahren der
Bauernväter, die einſt Rom gründeten, den miſchraſſigen Plebejern die Ehe⸗
gemeinſchaft zugeſtanden; der germaniſche Bauer hat noch bis ſpät ins Mittel-
alter hinein außerordentlich genau auf Herkunft und Abkunft ſeiner Frau ge⸗
ſehen — und tut dies zum großen Teil heute noch; alle Ebenbürtigkeitsgeſetze
des Adels, vor allem dort, wo eine indogermaniſche Oberſchicht ſich über eine
weſentlich andersraſſige Bevölkerung legte, find nicht aus irgendwelchem Hod-
mut, ſondern aus den urſprünglich bäuerlichen und dem geſamten Indo⸗
germanentum eigenen Achten auf die Blutsreinheit entſprungen.
Nur aus dieſer Auffaſſung heraus iſt verſtändlich, daß wir bei allen indo⸗
germaniſchen Völkern den Grundſatz finden, daß körperlich entartete, Erlippel-
hafte und ſonſt minderwertige Kinder ausgeſetzt wurden, wie wir dies von den
Spartanern, den älteſten Römern, Kelten und Germanen wiſſen. Die Sippe
reinigte fidh ſelbſt von allem, was ihr „bös⸗ artig“, „nieder⸗ trächtig“
— ſchon in dieſen Worten liegt der Hinweis auf, man möchte ſagen, erbbiolo-
giſche Erkenntniſſe — erſchien.
Gemeinſam iſt auch den indogermaniſchen Völkern eine große Anzahl von
heiligen Zeichen, deren Entſtehung allerdings ſchon in der vorindogermaniſchen
Periode liegt, der zahlreichen Sonnenſpiralen, Hakenkreuze, Drudenfüße und
Sonnenwirbel, wie wir ſie heute auf alten Bauernhäuſern ebenſo finden, wie
wir ſie auf bronzezeitlichen Waffen und ſteinzeitlichen Felsbildern wieder an⸗
treffen. Es handelt fih hierbei nicht um bloßen Sierat oder Spielerei, fon-
dern um Symboliſierungen des Sonnenlaufes, ſo, wenn das Odalszeichen, ein
Kreis oben, ein Kreis unten, durch einen Strich verbunden, nichts anderes
bedeutet, als die Sonne auf dem höchſten Punkt, der Sommerſonnenwende,
und dem tiefſten Punkt, der Winterſonnenwende — wahrlich ein uraltes und
hochheiliges Zeichen für die ewige Wiederkehr des Lichtes, für die Anſterb⸗
lichkeit und darum geradezu als bezeichnend für den Bauernhof, die Anſterb⸗
lichkeit des Geſchlechtes, übernommen! Dieſe Symbolik ſtammt nicht aus Ab-
bildungen der Sonne, ſondern aus abſtrakter Darſtellung ihres Laufes — von
dieſer Symbolik iſt nur noch ein Schritt zur Mathematik, zu einer wiſſenſchaft⸗
lichen Beobachtung des Himmels und der Sterne, wie ſie uns Jordanes im
vierten Jahrhundert n. Chr. auch von den Goten berichtet, und wie wir ſie
bei den anderen indogermaniſchen Völkern immer wieder auftauchen ſehen.
Das „Wiſſen“ (veda) der Sanskritinder wie der Germanen iſt nichts anderes
geweſen, als die ehrfürchtige Einſicht in Gottes Ordnung am Himmelszelt.
Erft viel ſpäter entſtehen aus den einzelnen Abſchnitten des Jahres gewiſſer⸗
maßen Perſonifizierungen, Verkörperungen. Hinter ihnen aber ſteht nicht die
Furcht vor einem unheimlichen Naturgeſchehen, ſondern die dichteriſche Ber-
deutlichung des großen Jahreslaufes, ſo wenn bei den Germanen aus der
herbſtlichen Zeit, der Todeszeit des Jahres, die Geſtalt des Schimmelreiters,
des Heervaters, des Gottes der Krieger und der Schlachttoten erwächſt, ebenſo
wie aus der Frühlingszeit bei den Griechen der ſtrahlende Phöbus Apollo,
bei den Germanen Baldur entſteht — das alles aber ſind ſpätere dichteriſche
Geſtaltungen der großen alten Einfiht in die Ordnung der Welt, die allen
550 Johann von Leers, Die Kulturgrundlagen des Indogermanentums
indogermaniſchen Völkern urſprünglich gemeinſam war, und die durch alle
die bunten Göttermythen hindurchſcheint und ihr eigentlicher und letzter Hinter-
grund ift, während an die vielen Götterſagen ſelbſtverſtändlich genau fo wenig
„geglaubt“ worden ift, wie etwa ber fromme Katholik an Dantes „Göttliche
Komödie“ oder der Proteſtant an Klopſtocks „Meſſias“ glaubt.
Ein häufiges Symbol, das ebenfalls in die indogermaniſche Periode zurück⸗
reicht, vielleicht ſogar älter iſt, iſt das Schiff, das wir nicht nur an ſchwedi⸗
ſchen Felszeichnungen finden, ſondern das uns zugleich in der Mpthologie
immer wieder begegnet. Der Sonnenwagen und das Sonnenſchiff entſprechen
einander, wie ein altes, urſprünglich hochkultiſches lettiſches Volkslied heute
noch bezeugt:
„Wer ſagt, daß die Sonne nur im Boot fahre
Redet unwahr...
Durch den Nadelwald im Wagen
Aber das Meer im Boot
Man ſollte überhaupt die neben der bäuerlichen Grundlage ſtark ſeemänniſche
Aberlieferung des Indogermanentums im allgemeinen, des ſeenahen Germanen.
tums im beſonderen nicht vergeſſen. Neben dem Bauern hat ſchon ſehr früh
der Seemann geſtanden; war der Bauer das beharrende Element, ſo erweckte
die See jenen tief in der Nordiſchen Naſſe liegenden Ausgriff in die Weite.
Entdeckerfahrten zu machen, das „Ende der Welt“ zu ſuchen, iſt bezeichnender
Zug der Nordiſchen Raffe und allen indogermaniſchen Völkern eigen. Der
Zug in die Weite, die Sehnſucht in das Grenzenloſe wieder ſtammt aus ihrer
bäuerlichen Beobachtung des grenzenloſen Himmelszeltes zur Feſtſtellung von
Jahr, Tag und Stunde — das Wikingertum der Nordiſchen Raſſe ift fo alt
wie dieſe Welt und das Suchen nach dem Land jenſeits aller Weiten —, auch
hier iſt das Indogermanentum im Letzten grenzenlos in ſeiner Seele geweſen,
und wenn der engliſche Dichter Kipling in ſeiner Ballade vom „Explorer“ den
Farmer ſchildert, der, im tiefen Afrika „an der Grenze der bekannten Welt“
feine Farm aufgibt und tiefer hineinzieht in das Anbekannte, wenn die Wikin⸗
ger bis nach Amerika vorſtoßen und die Velten der Siedler Nordamerikas
ſpäter als „Waldläufer“, als „Lederſtrumpf“ nicht loskommen von der End-
loſigkeit der Wälder, ſtets auf der Suche nach ferneren Weiten, wenn noch im
vorigen Jahrhundert ruſſiſche Bauern in das fernſte Sibirien, ja, ohne jede
Kenntnis des Landes bis in die Mongolei hinauszogen, und auf Befragen
antworteten, fie ſuchten das Land „Bjelowodje“, das „Land der weißen
Waſſer“, das Märchenland hinter allen Bergen, ſo iſt dies alles uraltes Erbe
ausgreifender Seeleute und landſuchender Bauern, wurzelnd im „heiligen
Frühling“ der Nordiſchen Raſſe, und gemeinſames Erbe des Indogermanen⸗
tums überhaupt.
Wir glauben nicht, wie tief wir ſprachlich in unſerer äußeren Kultur und in
unſerer Seele noch zuſammenhängen mit unſeren älteſten Ahnen, und wenn
uns noch heute der Sonnenaufgang mit ehrfurchtsvollen Schauern ergreift, wenn
wir noch heute von der „heiligen“ Scholle ſprechen, und wenn das Volk, nicht
nur das deutſche, ſondern auch andere Völker, die das alte Erbe bewahrt haben,
mit ehrfurchtsvoller Kenntnis geheimer Aberlieferung im Hakenkreuz ein uralt
heiliges Symbol, das wohl verſchüttet werden, aber nicht ſterben konnte, ſehen,
ſo iſt dies älteſtes Bewußtſein, erhalten über gewaltige Zeiträume. Wenn
Hans Merkel, Eigentum 551
wir Deutſche bei dieſem oder jenem anderen Volk der gleichen großen Sprach⸗
familie und Raffegrundlage mit Erſtaunen und Ergriffenheit tief am Quell
des Volkstums die gleichen Symbole, die gleichen Märchen, die gleichen
Sagen wiederfinden — dann fühlen wir heute über alle ſpäter entſtandenen
Verſchiedenheiten hinweg den gemeinſamen Strom artgleichen Blutes und
hören aus fremdem Mund die eigenen Dinge wieder.
Dieſes Bewußtſein einer großen alten gemeinſamen Kulturgrundlage könnte
wohl einen neuen Ausblick auf Geſchichte und Völkerleben eröffnen, nämlich
das Bewußtſein einer Verwandtſchaft, die ſo alt iſt, daß manche Gegenſätze
des Tages vor ihr verblaſſen und die vielleicht eine ſolidere Grundlage für
gegenſeitiges Verſtehen iſt als der abſtrakte, allgemeine Begriff der Menſch⸗
heit als ſolcher.
Hans Merkel:
Eigentum
1
Das deutſche Recht iſt ein Gemeinſchaftsrecht. Jeder einzelne Menſch
iſt in mannigfaltiger Abſtufung Mitglied von Gemeinſchaften, z. B. der
Familiengemeinſchaft, der Hofgemeinſchaft, der Dorfgemeinſchaft. Er iſt Mit⸗
glied von Genoſſenſchaften, Angehöriger von Berufsverbänden, Wirtſchafts⸗
verbänden und endlich der umfaſſenden Volksgemeinſchaft. Soweit der Menſch
Mitglied von Gemeinſchaften iſt, iſt er in ſie eingeordnet, iſt tätiges und
dienendes, ſchaffendes und mitwirkendes, führendes oder folgendes Glied der
Gemeinſchaft. Durch den Gemeinſchaftszuſammenhang wird er in beſtimmten
Beziehungen in feinem Rechtskreis eingeengt. Die Mitgliedſchaft zu Gemein-
ſchaften legt ihm die Pflicht der Treue, der Rückſichtnahme, der Einfügung auf,
aber auch Verzicht und Opfer. So geht der Menſch durch die Ehe Bindungen
ein, die er willig auf ſich nimmt, weil ſie bei weitem aufgewogen werden durch
das Gemeinſchaftserlebnis und die ſittlichen und völkiſchen Werte, die die
Familie gewährt. Die gemeinſame Arbeit in der Hofgemeinſchaft fordert
Treue und Zuverläſſigkeit, Einordnung der dienenden Glieder in den Willen
des Bauern, der wiederum nicht nach Willkür die Arbeit leitet, ſondern zum
Beſten des Hofes. Auch die Dorfgemeinſchaft begründet Bindungen und
Pflichten, nachbarliche Hilfeleiſtung, Verträglichkeit uſw. Keine Genoſſen⸗
ſchaft würde Beſtand haben, wenn jeder Genoſſe tun würde, was er wollte,
jeder Betrieb würde vernichtet, wenn die Einzelwillen in Eigenſucht und
Willkür fih zerſplittern würden. Das gleiche gilt aber auch für die Berufs-
gemeinſchaft, die durch mangelnde Zuſammenfaſſung zerſplittert würde. Jede
Wirtſchaftsgemeinſchaft würde gelähmt oder zerſetzt durch Eigenwillen und
Eigenſucht von Gruppen und Grüppchen. And die Volksgemeinſchaft würde
auseinanderfallen, wenn nicht alle Volksgenoſſen unter der Führung bewährter
Männer dem einen großen Ziele dienen würden, dem Wohle des Volkes.
552 Hans Merkel
Sn jeder Gemeinſchaft entwickelt fic ein eigenwüchſiges Recht, in der Fa-
milie ein Familienrecht, auf dem Hofe ein Hofrecht, in der Gemeinde ein
Gemeinderecht. Das gleiche gilt für das Genoſſenſchaftsrecht, das Berufsrecht,
das Wirtſchaftsrecht, das Recht von Volk und Staat. Die Rechtsordnung
hat die Aufgabe, ſolche Rechtsſätze zu geben, die ein menſchliches Zuſammen⸗
leben und Zuſammenwirken und einen höchſtmöglichen Erfolg zum Wohle des
Ganzen gewährleiſten.
Schon die Betrachtung des Gemeinſchaftsrechts hat gezeigt, daß das ganze
Recht von Pflichten und Bindungen durchzogen iſt, die aber alle in ihrer Art
notwendig und ſelbſtverſtändlich ſind. Jede Bindung, jede Pflichterfüllung,
jede übernommene Verantwortlichkeit iſt innerhalb einer wahren Gemeinſchaft
keine Laſt, ſondern ſie läßt aus der Gemeinſchaft und dem Gemeinſchaftsgeiſt
wieder in mannigfaltiger Form Erlebniſſe zurückfließen, die den menſchlichen
Leiſtungswillen und Gemeinſchaftswillen anſpornen und beglücken. Welches
Glück herrſcht in der Familie über die Geburt eines Kindes, welche Freude im
Hof über die Einbringung der Ernte, welche Befriedigung im Dorf, wenn es
gelang, eine große Gefahr durch gemeinſames Handeln abzuwehren! And
welche Befriedigung muß in einer wahren Volksgemeinſchaft leben, wenn
unter ſtarker Führung in größter Not Achtung und Ehre ohne Blut erkämpft
werden konnten. Wie werden die geringen Mühſeligkeiten und Laſten willig
in Kauf genommen, wenn es gelang, aus einem unterdrückten, mißachteten
Stand wieder zum geachteten, lebensfrohen Stand zu werden, wie wir es vom
deutſchen Bauernſtand ſagen dürfen.
Einigkeit macht ſtark, und gemeinſames Handeln iſt die Wurzel aller Größe.
Die Fabel erzählt von einem Vater, der ſeine drei Söhne zu ſich kommen ließ
und ein Bündel Stäbe nahm. Er zerſchnitt das Band und zerbrach die ein-
zelnen Stäbe. Die Stäbe waren aber unzerbrechlich, ſolange ſie von dem ein⸗
heitlichen Band zu feſter Einheit verſchlungen waren. Die Söhne merkten ſich
dies Gleichnis und hielten ihr Leben lang in Einigkeit zuſammen. Ein ſolches
Gleichnis ſagt ſehr viel: Es ſagt, daß auf allen Lebensgebieten die Menſchen,
die gemeinſame Aufgaben haben, dieſe Aufgaben auch gemeinſam löſen müſſen.
Gemeinſamkeit verſtärkt die Kraft der einzelnen ins Angemeſſene, und ein
zäher Wille verbürgt die Erreichung des Zieles.
Dies waren die Grundgedanken, aus denen heraus die nationalſozialiſtiſche
Bewegung geſchaffen wurde. Dies waren aber auch die Grundgedanken, denen
der Reichsnährſtand ſeine Entſtehung verdankt.
II.
Drei große Lebensgebiete ſind auf dem Gebiet des Reichsnährſtandes ge⸗
ſchaffen worden: Die Standesordnung, die Bodenordnung, die Marktordnung.
Die Standesordnung beſeitigte die Zerſplitterung des deutſchen Bauern⸗
tums und machte es zu einer Grundſäule im Aufbau der neuen deutſchen
Volksordnung. Der deutſche Bauer erhält wieder das ſtolze Gefühl und die
Verpflichtung, Nährſtand und Willensſtand zu ſein in deutſchen Landen.
Die Bodenordnung beſeitigte die Zerſplitterung des deutſchen Bodens in
Grundſtücke, die frei veräußerlich, frei verpfändbar oder frei belaſtbar waren.
Die deutſche Scholle wurde wieder zu dem, was ſie ſeit Arbeginn der Zeiten
war: Heimat und Heimſtatt für ſtarke deutſche Bauerngeſchlechter, die dem
Eigentum 553
Deng Volkstum auf geſicherter Scholle ihre Arbeit und ihre befte Kraft
Die Marktordnung beſeitigte endlich die Serfplitterung der bäuerlichen Ab-
ſatzwege und ſicherte damit nicht nur die Volksernährung, ſondern auch den
Ertrag und die Verwertung der bäuerlichen Ernte.
Das Geſetz der Ordnung, Stetigkeit und Sicherheit, das jeden Bauernhof
ziert, wurde zur Grundlage für den Menſchen, den Hof und den Markt.
Der deutſche Bauer iſt der Menſch, der in ſteter Verbindung mit der
Natur in harter Arbeit der Scholle den Ertrag abringt, den ſie gewährt, und
dieſen Ertrag dann dem deutſchen Volk zur Verfügung ſtellt. Der Boden
ift damit nicht nur Lebensgrundlage der bäuerlichen Familie und der Hofge⸗
meinſchaft, ſondern des ganzen Volkes. Die bäuerliche Arbeit erhält nicht
nur das bäuerliche Dafein, ſondern wird zum täglichen Brot des ganzen Bol-
kes. So eng iſt der Bauer mit dem ganzen deutſchen Volk verwurzelt und ver⸗
en, und er wird ſeiner völkiſchen Aufgabe um ſo mehr gerecht, je mehr er
dieſe Arbeit in Gemeinſchaftsarbeit und Verbundenheit mit ſeinen Standes⸗
genoſſen leiſtet.
Was haben nun dieſe Fragen mit dem Eigentum zu tun? Sehr viel. Denn
der Menſch iſt Träger der Arbeit, der Boden Grundlage der Ar-
beit und der Ertrag ift die Frucht der Arbeit. Standesordnung, Boden-
ordnung und Marktordnung hängen damit aufs engſte mit der bäuerlichen Ar-
beit und der bäuerlichen Leiſtung zuſammen. Arbeit und Leiſtung ſind Grund⸗
lage eines jeden Eigentums.
Das deutſche Eigentum erkennen wir aber erſt dann in ſeiner vollen Bedeu⸗
tung, wenn wir es einerſeits in feiner Verbindung mit dem Gemein-
ſchaftsgedanken und andererſeits mit dem Gedanken der ſchaffen⸗
den Arbeit betrachten.
Durch den Gemeinſchaftsgedanken empfängt das Eigentum
feine Bindungen und Verpflichtungen und durch den Ar-
beitsgedanken ſeinen Wert und ſeine Bedeutung für den
Menſchen und die Gemeinſchaft. Dieſe Gedanken durchziehen die
ganze deutſche Rechtsentwicklung. Oft mochte es ſcheinen in der Geſchichte, als
ſeien dieſe Grundgedanken vergeſſen worden, die ſeit alters Weſenszug des
deutſchen Rechts waren. Heute dürfen wir aber ſagen, daß die deutſchen
Rechtsgedanken durch den Nationalſozialismus eine Wiedergeburt erlebt bo,
ben und damit die Vorausſetzung geſchaffen wurde für ein artgemäßes
deutſches Gemeinrecht.
Am aber dieſes Recht in ſeiner Größe und Fülle zu erkennen, müſſen wir
einen Blick zurückwerfen in die deutſche Geſchichte, um zu ſehen, wie unſere
Ahnen das Eigentum geſtaltet haben.
III.
1. Schon das alte deutſche Recht war ein Gemeinſchaftsrecht und
prägte deshalb den Pflicht⸗ und Dienſtgedanken in ſtärkſtem Maße
aus. Die Markgenoſſ enſchaft hatte ein Geſamteigentum an der Allmende, an
der die Markgenoſſen ein Nutzungsrecht hatten. Das Geſamteigentum
diente den Genoſſen durch den Nutzgenuß. Amgekehrt war das
Sondereigentum der einzelnen durch genoſſenſchaftliche Zuſammenhänge oder
554 Hans Merkel
durch Herrſchaftsrechte eingeſchränkt. Es diente in erſter Linie dem Eigentümer,
aber unter Rückſichtnahme auf die notwendigen Lebensbedürfniſſe der genof-
ſenſchaftlichen Lebensgemeinſchaft.
Grund und Boden als die Lebensgrundlage des Volkes und des Stammes
war keine tote Ware, ſondern die lebendige Grundlage aller ſchaffenden Arbeit
und damit der bäuerlichen Familie, der Sippe. Deshalb herrſchte der Grund-
ſatz der Familiengebundenheit des Beſitzes, ein Gedanke, der im Erbhofrecht
zu neuem Leben erwacht ift. Aber jeder Boden hatte feine eigene Rechtsord⸗
nung: Das Ackerland, das Weideland, die Wälder, die Wege, Gewäſſer und
Bergwerke. Jahrhundertelang, teilweiſe ſogar bis in unſere Zeit, hat ſich dieſes
alte Recht erhalten. Je nach der Bedeutung des Eigentums für die Allgemein-
heit verſtärkte fih der Pflichtenkreis des Eigentümers. Das alte deutſche Recht
hatte damit als ſelbſtverſtändlichen Lebensgrundſatz den Satz „Gemeinnutz vor
Eigennutz“ verwirklicht. Dieſe Bodenordnung hatte ihre Grundlage aber
nicht in der deutſchen Volksordnung, wie ſie heute errungen worden
ift, ſondern in dem germaniſchen Rechtsgefühl und germaniſchen Stam-
mesleben. Ebenſo wie ein weiter Weg zurückzulegen war, um von den
deutſchen Stämmen zu dem deutſchen Reich zu gelangen, ebenſo
mußte ein langer Weg zurückgelegt werden, um von dem alten deutſchen
Bodenrecht zum heutigen Bodenrecht zu gelangen.
2. Als ſich im Mittelalter die Stadtwirtſchaft entwickelte, entwickelte ſich mit
ihr die Zunftordnung des ſtädtiſchen Handwerks und Gewerbes. Aus dem
Gedanken der ſelbſtverſtändlichen Lebensgemeinſchaft arbeitete jeder Handwer⸗
ker als Glied einer Zunft. Die Zunft ſicherte dem Zunftgenoſſen vielfach im
Verein mit den Verordnungen des Rats der Stadt feine Nahrung. Er mußte
ſich gewiſſen Beſchränkungen unterwerfen, er durfte etwa nur eine beſtimmte
Zahl von Geſellen oder Lehrlingen halten, ſeine Erzeugniſſe unterlagen der
Nachprüfung, der ſogenannten „Schau“. Auch bei der Preisgebarung unter-
lag er beſtimmten Vorſchriften. Güte und Leiſtung und gerechter Lohn für die
kunſtfertige Arbeit waren das Ziel dieſer Wirtſchaftsordnung. Das Handwerk
hatte einen goldenen Boden, und noch heute ſtaunen wir über die Leiſtungen,
die die Zunftwirtſchaft hervorgebracht hat, die kunſtvolle Arbeit, wie ſie heute
kaum mehr gefertigt werden kann. Auch dieſe Wirtſchaftsordnung unterlag be-
ſtimmten Bindungen, die nur aus dem Gemeinſchaftsgeiſt der damaligen Zeit
verſtändlich find. Aber diefe Bindungen gaben die Möglichkeit, Höchſtleiſtun⸗
gen und cine unerhörte Stufe ſtädtiſcher Kultur zu entfalten.
Aber ebenſo wie ein weiter Weg war vom Stamm zum Volk und Reich, ſo
war ein weiter Weg von der Stadtwirtſchaft zur Volkswirtſchaft. Aber nach-
dem heute die deutſche Volksordnung geſchaffen worden ift und eine Volks-
wirtſchaft entſteht, die ihr entſpricht, tauchen die alten deutſchen Gedanken in
lebendiger Fortbildung auf in der Marktordnung des Reichsnährſtandes. Wäh⸗
rend aber die Zunftordnung die Wirtſchaftsordnung der Stadtwirtſchaft war,
und damit ein ſtädtiſch⸗ handwerkliches Gepräge trug, ift die Marktordnung die
Wirtſchaftsordnung der Volkswirtſchaft. Sie muß daher Stadt und Land ver-
binden, Erzeuger und Verbraucher zuſammenführen und die Wirtſchaͤftskreis⸗
läufe zum Wohl der deutſchen Volkswirtſchaft geſtalten.
3. And wiederum entwickelte fic im Mittelalter aus dem deutſchen Gemein-
ſchaftsgeiſt heraus der deutſche Orden. Die Markgenoſſenſchaft war die Ord-
nung des Bauern, die Zunft die Ordnung des Bürgers, der Orden die Ord-
Eigentum 555
nung des Ritters. Drei mittelalterliche Stände ſchufen fic ihre Gemeinſchafts⸗
ordnungen. Der Deutſche Orden eroberte mit Schwert und Pflug den Raum
im Oſten. Leiſtung des einzelnen, Dienſt am großen Ordensgedanken, Ver⸗
antwortlichkeit gegenüber dem deutſchen Gedanken in einer feindlichen Amwelt,
das waren die großen Ordensziele. Aber wiederum war ein weiter Weg zurück⸗
zulegen von der chriſtlich⸗germaniſchen Welt des Mittelalters, wie fie in dem
Orden lebte, bis zu der im Grunde tiefgläubigen, aber auch volksverbundenen
Weltanſchauung unſerer Zeit. Heute lebt der Ordensgedanke auf in der Stan⸗
desordnung. Ein Reich, eine Wirtſchaft, eine Weltanſchauung waren die
Grundlagen für die neue Bodenordnung, die neue Marktordnung, die neue
Standesordnung, in der die alten deutſchen Rechtsgedanken eine neue Lebeng-
form ſich erobert haben.
IV.
Das reiche Recht des Mittelalters zerſplitterte mit dem Aufkommen des
römifchen Rechts. Das römiſche Recht kannte nur den einzelnen und nicht die
Gemeinſchaft. Es war ein Recht, das dem Machtgedanken, dem Befit- und
Erwerbsſtreben diente. Deshalb konnte es die alten Bindungen zerftören, die
Bindungen der alten Stammesordnung, der Städteordnung, der Ordensord-
nung. Damit verflüchtigte ſich der Gedanke von Pflicht und Bindung, und es
entſtand der Gedanke von Recht und Macht. Die Rechtsordnung veränderte
ſich, Macht, Beſitz und Kapital erhielten den Vorrang vor der ſchaffenden Ar⸗
beit des Menſchen und der menſchlichen Gemeinſchaft. Dies drückte ſich auch
im Eigentumsbegriff aus. Das Eigentum wurde grundſätzlich frei veräußerlich,
frei belaſtbar, frei verpfändbar. Grund und Boden wurden zur Ware, die Ar-
beit des Menſchen wurde wie Ware behandelt, Geld und Zins regierten das
Wirtſchaftsleben der Menſchen. Die Wirtſchaft wurde nicht mehr vom Bauern
oder vom Handwerker aus betrachtet, ſondern vom Händlerſtandpunkt. Speku⸗
lation und Börſe vernichteten die Warenmärkte und die bäuerlichen Abſatz⸗
wege. Im Spiele des Grundſtücksmarktes konnte der Bauer von Haus und
Hof vertrieben werden und damit von der Stätte ſeines Schaffens. Der bäuer⸗
liche Menſch war endlich zum Spielball der Mißachtung und des Spottes ge⸗
worden. Boden, Menſch und Arbeit waren entwertet und Ausbeutungsgegen⸗
ſtand für verantwortungsloſe Kreiſe, die nur ſich kannten, aber nicht die Volks⸗
gemeinſchaft.
Zwar ſprach man von Eigentumsfreiheit, aber dieſes Eigentum war Spiel-
ball des Vörſenkapitals und des Leihkapitals. Die angebliche Freiheit
des Eigentums war in Wahrheit Vogelfreiheit gegenüber
dunklen Mächten.
V.
Die kapitaliſtiſche Wirtſchaftsordnung hat, wie Sombart nachgewieſen hat,
dem jüdiſchen Geiſt die außerordentlichſte Entwicklungsmöglichkeit gegeben.
Ein entwurzeltes Volk kannte nicht die Bindungen an den vaterländiſchen
Boden wie der deutſche Bauer. Das Händlervolk kannte nicht die Werte der
ſchaffenden Arbeit. Das fremdraſſige Volk kannte nicht den Wert des deut⸗
ſchen Menſchen. Deshalb vertrat es den Gedanken der kapitaliſtiſchen Inter⸗
556 Hans Merkel
nationale, den Gedanken der internationalen Arbeitsteilung des Weltmarktes
und endlich den Gedanken der weltanſchaulichen Internationale. Deshalb
müſſen einem ſolchen Volk die Gedanken einer deutſchen Bodenordnung, einer
deutſchen Marktordnung, einer deutſchen Standesordnung im Innerſten fremd
ein.
Das Judentum ſteht jedem anderen Volkstum fremd gegenüber. Es erſtrebt
die jüdiſche Weltherrſchaft. Das eine Mittel bot der Kapitalismus, das andere
Mittel der Volſchewismus. Auch der Bolſchewismus iſt ein völkerzerſetzendes
Gift. Er verleugnet die Kräfte des Volkstums ebenſo wie die ſchaffenden
Kräfte der Perſönlichkeit. Dies ergibt ſich insbeſondere aus ſeiner Stellung
gegenüber dem Eigentum. Deshalb muß auf dieſen Teil der Geſchichte
des Bolſchewismus zurückgegriffen werden.
Ende 1927 begann die eigentliche Agrarrevolution des Bolſchewismus. Ziel
war die Sozialiſierung der geſamten Landwirtſchaft. Durch Mechaniſierung
und Ssozialiſierung folte auch die Landwirtſchaft zu einer Induſtrie werden,
das Bauernvolk folte zu dem Denken und Fühlen des induſtriellen Prole-
tariats hingeführt werden. Gleichzeitig begann damit die Beſeitigung, die ſo⸗
genannte Liquidierung der „Kulaken“, der bäuerlichen Oberſchicht, nach deren
L das ruſſiſche Zwergbauerntum rettungslos der Sozialiſierung ausge⸗
liefert war.
Es wurde eine große Zahl von Staatsbetrieben geſchaffen, und daneben
wurde die Kollektivierung der bäuerlichen Betriebe in Angriff genommen. Die
neuen Betriebe ſollten durch Mechaniſierung und Techniſierung gewiſſermaßen
„Getreidefabriken“ ſein. Ein gleiches Vorſtellungsbild hatte man für den
Flachsbau, die verſchiedenen Gebiete der Viehzucht uſw. Auf all dieſen Ge⸗
bieten ſind gleichzeitig große ſtaatliche Truſts entſtanden, die den Abſatz der
Erzeugniſſe in die Hand nahmen. Die Bildung von Maſchinen⸗ und Trat-
torenſtationen, von denen aus die Güter beſtellt wurden, erleichterte den Prozeß
der Kollektivierung.
Von 25 Millionen bäuerlicher Haushaltungen find heute nahezu 19 Mil-
lionen kollektiviert, und man rechnet damit, daß 1937 die Kollektivierung be⸗
endet iff. Rund 90 Prozent des getreidetragenden Bodens gehören zu Kollek.
tiv- oder Staatsgütern, infolge des Widerſtands der Bauern gegen die Kollek.
tivierung ſank der Pferde-, Vieh⸗ und Schweinebeſtand auf die Hälfte, der
Beſtand an Schafen und Ziegen auf nahezu ein Drittel. In der Ukraine faßten
im Jahre 1932/33 50 Millionen Bauern den Entſchluß, nicht mehr Getreide
zu ernten, als ſie ſelbſt brauchten, um dadurch den Methoden der Regierung
Einhalt zu gebieten. Die Regierung nahm ſich aber das Getreide, und kein
Menſch weiß, wie viele Bauern Hungers ſtarben.
Das Einzeleigentum an Grund und Boden iſt ſomit praktiſch
vernichtet, die Arbeit ihres Adels, aber auch ihres Segens beraubt, der
Menſch entwurzelt und zum Gegenſtand eines Rechenexempels, zu einem
Faktor im Produktionsprozeß gemacht. Ebenſo wurden die Fabriken nationa-
liſiert, der Außenhandel und der Binnenhandel monopoliſiert.
An Stelle des Hofes tritt das Staatsgut oder das Kollektiv. An Stelle des
Marktes, der den Leiſtungsaustauſch ſchaffender Menſchen ermöglicht,
treten Staatstruſte, die dem Bauern die Erzeugniſſe abdrücken. Es gibt nur
einen techniſchen Produktionsprozeß, und ebenſo einen techniſierten Ber-
Eigentum 557
brauchsprozeß. Denn die Verſorgung der Bevölkerung vollzieht fih nach ver-
ſchiedenen Vollzugsſyſtemen, je nachdem der Verbraucher privilegierten Klaſ⸗
ſen angehört oder nicht.
Kapitalismus und Bolſchewismus ſind Ausſaugungsformen, deren ſich das
Judentum gegenüber ſeinen Wirtsvölkern bedient. Kapitalismus und Bolſche⸗
wismus mißachten das Volkstum und die lebendige, bodenſtändige Perſönlich⸗
keit. Deshalb kommen beide zu Eigentumsordnungen, die unvölkiſch ſind. Die
Eigentumsordnung des Kapitalismus erkennt das Privateigentum zwar an,
erzeugt aber Ausbeutungsformen, mittels deren das Eigentum entwertet oder
entzogen werden kann. Die Eigentumsordnung des Bolſchewismus erkennt
nur ein Geſamteigentum an und nimmt damit dem einzelnen erſt recht den Er⸗
trag ſeiner Leiſtung.
Zwiſchen Kapitalismus und Bolſchewismus ſteht die
deutſche ESigentums ordnung.
VI.
Der liberaliſtiſche Eigentumsbegriff verneinte die Gemeinſchaft und forderte
die volle Eigentumsfreiheit, die bolſchewiſtiſche Eigentumsordnung verneint
die Gemeinſchaft und fordert vollen Entzug des Privateigentums.
Der deutſche Eigentumsbegriff geht aus von der Gemeinſchaft. Er erkennt
das Privateigentum an, aber er legt Bindungen und Pflichten auf, je mehr
die Gemeinſchaft von der richtigen Ausübung der Eigentumspflichten berührt
iſt. So entſteht eine Fülle von Eigentumsformen, die im einzelnen näher er⸗
örtert werden ſollen.
1. Im freien Einzeleigentum ſtehen alle diejenigen Güter, die der
Menſch kraft Erbe, Arbeit oder Schöpfung ſich erworben hat. Im weſentlichen
handelt es ſich um die Verbrauchsgüter, die Gebrauchsgüter und die Anlage⸗
güter. Stets gibt aber der Menſch den ihm gehörigen Gütern eine beſtimmte
Aufgabe, eine Widmung. So dienen die Verbrauchsgüter dem Ernährungs-
zweck, die Gebrauchsgüter zur Bekleidung, als Hausrat, als Einrichtung, als
Werkzeug. Die Anlagegüter dienen der dauernden Nutzung, dem dauernden
Gebrauch, dem dauernden Beſitz (3. B. Wohnhäuſer, Sammlungen, ſonſtiges
Anlagevermögen). Wiewohl der Menſch alſo in der Verfügung über dieſe
Güter frei iſt, ſchränkt er doch ihre Verwendung kraft eigener
Entſchließung ein. Er vernichtet nicht die Güter, deren er ſich bedienen
will, er verwendet das Raſiermeſſer nicht zum Kartoffelſchälen und den God,
topf nicht als Trinkgefäß. Eigentum und Eigentums verwendung,
die Widmung und die mit ihr verbundene Beſchränkung der
Eigentumsausübung hängen daher aufs engſte zuſammen.
2. Je mehr der Gemeinſchaftsgedanke gegenüber dem ruinöſen Beſitzrecht
lebendig wird, um ſo mehr verſtärken ſich die Bindungen. Das beſte Beiſpiel
hierfür iſt der bäuerliche Hof. Der Bauer gehört einer Familiengemein⸗
ſchaft, einer Sippengemeinſchaft, an. An der Erhaltung des Hofes beſteht ein
lebendiges Intereſſe der Sippe und des Volkes. Deshalb ergeben ſich aus der
Einwirkung dieſer Ideen auf das Eigentum gewiſſe Bindungen, Verfügungs⸗
beſchränkungen, Verwendungsbeſchränkungen. All dieſe Einſchränkungen ha⸗
ben nur den Zweck und das Ziel, den Hof als Grundlage der Familie unge⸗
558 Hans Merkel
ſchmälert zu erhalten. Im übrigen ift der Hof Eigentum, aber eben ein unter
Gemeinſchaftsgeſichtspunkten ſtehendes Eigentum. Der Hof iſt einerſeits
Eigentum des Bauern. Andererſeits iſt er aber auch Erbe der Ahnen und Hei⸗
mat und Heimſtatt für Kind und Kindeskind. Deshalb iſt der Hof unver⸗
äußerlich und unbelaſtbar, unbeleihbar und unantaſtbar.
Noch ſtärker wird der Gemeinſchaftsgedanke lebendig beim Genoſſen⸗
ſchaftseigentum. Hier iſt der Betrieb, etwa der Molkereibetrieb, dem
Wohle der Genoſſen gewidmet. Jeder hat ein Anteilsrecht am Betrieb, keiner
kann nach Belieben über ihn verfügen, ſondern höchſtenfalls über ſeinen Anteil
an der Genoſſenſchaft.
Noch mehr verſtärken ſich Widmung und Bindung bei den gewerblichen
Arbeitsſtätten. Unter Zugrundelegung der Gedanken der Marktordnung iſt die
Stillegung von Betrieben dem privaten Gutdünken entzogen, ebenſo aber auch
die beliebige Neuerrichtung von Betrieben. Die gewerblichen Arbeitsſtätten
ſind Diener im Wirtſchaftskreislauf, ſie dienen der Verwertung der Erzeu⸗
gung und der Sicherung des Verbrauchs. Treuhänder der öffentlichen Wirt⸗
ſchaftsordnung wachen darüber, daß dieſe Pflichten erfüllt werden. Dieſe
Pflichten ſind Bindungen des Eigentums am Werk, gleichviel ob es ſich im
nn befindet oder als Kapitalgeſellſchaft (A.⸗G., G. m. b. H.) aufge⸗
aut iſt.
3. Am ſtärkſten kommt der Gedanke von Widmung und Bindung beim
öffentlichen Cigentum zum Ausdruck. Als öffentliches Eigentum bezeichnen
wir dasjenige Eigentum, das öffentlichen Zwecken gewidmet iſt. Betrachtet
man Anternehmen wie die Deutſche Reichsbahn oder die Deutſche Reihs-
poft, Werke wie die Gas-, Waffer- und Elektrizitätswerke der Gemeinden, fo
ſieht man, wie dieſes Eigentum ausſchließlich dem öffentlichen Dienſt
gewidmet iſt. Die Bindung iſt ſo ſtark, daß jedem Volksgenoſſen die Nutzung
dieſer Anternehmen oder Werke eröffnet ſein muß. Zwar ſteht dieſen Anterneh⸗
men ein Ausſchließlichkeitsrecht zu. Aber ihnen obliegt auch die Verpflichtung,
jedermann die Nutzung zu geſtatten. |
Das Recht gum Gemeingebrauch verſtärkt fih bei den Verkehrswegen, wie
den öffentlichen Straßen und Plätzen, aber auch den Erholungsanlagen wie
den Grünanlagen einer Stadt, gar nicht zu reden vom deutſchen Wald, der
jedem offenſteht. Im Einzelfall regeln Benutzungsordnungen oder Verkehrs-
ordnungen den Gemeingebrauch. Entſcheidend iſt aber, daß all dieſe Güter
jedermann zur Nutzung offenſtehen. 8
Am höchſten erhebt fih endlich das öffentliche Eigentum in denjenigen Ge-
bieten des Lebens, die tatſächlich Gemeingut ſein oder ſein ſollen, an den
Kunſtwerken der Meiſter, den Schöpfungen der Dichter und Denker, den Wer⸗
ken der geiſtigen und völkiſchen Kultur. Hier iſt die Widmung für jedermann
oberſtes Kulturgeſetz. Inhalt des Eigentums wird der Dienſt gegenüber der
Wohlfahrt und Kultur des ganzen Volkes.
4. Dieſe Formen zeigen, wie Eigentum und Gemeinſchaft ſich gegenſeitig
begrenzen oder mit Inhalt erfüllen. Darüber hinaus kann die Gemeinſchaft
aber auch in den freien Verfügungsbereich eingreifen, wenn dies aus Grün⸗
den des Gemeinwohls notwendig iſt. Ein ſolches Eingriffsrecht ſteht dem
Reichsnährſtand und feinen Marktverbänden zu gegenüber den Bauern, wenn
z. B. Anbaubeſchränkungen bei Zuckerrüben, Hopfenſtöcken, Tabakpflanzungen
angeordnet werden. Der vernünftige Bauer nimmt dieſe Einſchränkung gern
Eigentum 559
hin. Denn er weiß, daß nur diefe Einſchränkung ihm den unter Berückſichtigung
der Geſamtverhältniſſe höchſtmöglichen Ertrag bringt. Die
Einſchränkung iſt gerade Vorausſetzung dafür, daß die geſamte Gemeinſchaft
und damit rückläufig auch der einzelne Bauer den höchſtmöglichen Lohn für
ſeine Arbeit bekommt. Deshalb iſt ſie nicht nur wirtſchaftlich,
ſondern auch rechtlich begründet.
Nicht anders verhält es ſich, wenn das Ablieferungsrecht des Bauern be⸗
ſchränkt wird (z. B. bei Feſtſetzung des Getreidekontingents, bei Beſtim⸗
mung des Friſchmilchanteils u. dgl.). Auch dieſe Beſchränkungen dienen wie⸗
derum dem Wohle aller, damit rückläufig dem Wohle des einzelnen. Würde
bei der Ernte das geſamte Getreide auf den Markt kommen, ohne daß die not⸗
wendigen Auffangeinrichtungen da wären, ſo würde der Getreidepreis zuſam⸗
menbrechen. Deshalb kann dem Bauern eine allmähliche Ablieferung zuge⸗
mutet werden. Eine Schädigung tritt nicht ein, da er durch den Preiszuſchlag
von Monat zu Monat eine erhöhte Vergütung bekommt. Würde ferner inner⸗
halb der Milchmarktordnung Milch über den Friſchmilchanteil des Bauern
hinaus zum Markte ſtrömen, ſo würde hierdurch eine falſche Marktbeſchickung
1 die gerade um der Stabiliſierung der Preiſe willen vermieden wer⸗
den muß.
Aus den gleichen Gründen ift die Ablieferungspflicht bei beftimmten
Erzeugniſſen (Ablieferungspflicht für Milch zur Antermauerung des Land-
butterverbots) begründet. Auf das Ganze geſehen, iſt die molkereimäßige Ver⸗
wertung der Milch anzuſtreben, und zwar nicht nur um der deutſchen Selbſt⸗
verſorgung willen, ſondern auch um eine höchſtmögliche Geſamtverwertung zu
erzielen. Wenn ein großer Teil der Bauern im Wege genoſſenſchaftlichen Zu⸗
ſammenſchluſſes dieſe Bindung ſich ſelbſt ſchon freiwillig auferlegt hat, dann
iſt es keine unbillige Beſchränkung der Verfügungsfreiheit, wenn aus Gründen
des Gemeinwohls eine ſolche Bindung auch dem der Genoſſenſchaft fern⸗
ſtehenden Bauern auferlegt wird.
Alle dieſe Beſchränkungen, die die Marktordnung dem
Bauern bringt, find keine Belaſtung des Eigentums, fon”
dern eine Einſchränkung der willkürlichen Verfügungsfrei⸗
beit. Der Bauer wird ſich immer mehr bewußt, daß er Glied einer Ordnung,
einer Liefergemeinſchaft iſt, und daß nur der einheitlich geleitete Wille, die
einheitlich geleiteten wirtſchaftlichen Handlungen den höchſtmöglichen Erfolg
verbürgen. Der Gedanke der Wirtſchaftsgemeinſchaft und dar-
über hinaus der Verſorgungsgemeinſchaft legt auch die Ver⸗
pflichtung auf, der Wirtſchaftsgemeinſchaft und der Volksverſorgung zu
dienen und damit diejenigen Einſchränkungen hinzunehmen, die einerſeits um
der volkswirtſchaftlich richtigen Verwertung willen, andererſeits um der Ber-
ſorgung des Volksganzen willen notwendig ſind.
Die Beſchränkungen der Marktordnung ſind alſo nicht ſo ſehr Beſchrän⸗
kungen des Eigentums, als vielmehr Einſchränkungen der willkürlichen
wirtſchaftlichen Handlungsfreiheit. Ihre innere Begründung finden ſie durch
die Einordnung des einzelnen in Wirtſchaftsgemeinſchaften. Dieſe Cin-
ordnung verlangt Rückſichtnahme auf die Ziele und Aufgaben dieſer Wirt⸗
ſchaftsgemeinſchaft.
Odal Heft 7, Jahrg. 4, Bg. 2.
560 Hans Merkel, Eigentum
VII.
Wir haben alle Gebiete der deutſchen Eigentumsordnung durchwandert und
die unendliche Fülle deutſcher Rechtsordnung und deutſcher Nechtsſchöpfung
erkannt. Auch wenn in den beſtehenden Geſetzeswerken und Rechtsbüchern
heute dieſe Zuſammenhänge noch nicht erörtert ſind, ſo erkennen wir doch,
welche Bedeutung das lebens volle deutſche Recht mit feiner wundervollen
Durchgliederung der Eigentumsordnung für die Kultur des ganzen Volkes
bat. Freiheit und Bindung, Beſitz und Widmung, Eigentum und Gemein-
gebrauch, Eigenwille und Gemeinwohl durchdringen fih in unendlicher Ab-
ſtufung und Vielgeſtalt. Grundlage des Eigentums iſt die perſönliche Arbeit
und perſönliche Schöpfung. Aber wir erkennen auch, wie die höchſten Werke
der menſchlichen Schöpfungskraft wiederum der Gemeinſchaft zuteil werden.
In einer ſolchen Fülle der Erſcheinungen tritt der ſchöpferiſche deutſche
e der germaniſch⸗nordiſche Wille zu ſchöpferiſcher Lebensgeſtaltung klar
ervor.
Die Größe und Würde des deutſchen Volkstums und die gewaltigen
Schöpfungen, die aus dem deutſchen Denken und Wollen entſtanden ſind, wer⸗
den auch in der deutſchen Eigentumsordnung offenbar. Die bolſchewiſtiſche
Eigentumsordnung dagegen zerſtört gerade die ſchönſten Früchte der perſön⸗
lichen Arbeit und Schöpferkraft, ſie vernichtet die Freude an der Arbeit und
macht den einzelnen zum Sklaven und Leibeigenen gegenüber unbekannten,
finſteren Mächten.
Welches Elend hat die Kollektivierung über das ruſſiſche Bauerntum ge⸗
bracht! Wie wurde die Lebensführung und der Lebensſtandard herabgedrückt,
um die Ziele der Fünfjahrespläne mit Gewalt zu erreichen! And wer weiß,
ob die Erträge einer ſolchen ſozialiſierten Eigentums- und Wirtſchaftsordnung
auch wiederum dem ruſſiſchen Volke zugute kommen oder ob ſie nicht vielmehr
Mittel ſind, um die Koſten einer Weltrevolution zu finanzieren. Alsdann
wird ſich im Oſten ein ungeheures Experiment abſpielen, das nach außen
Fortſchritt und Vervollkommnung predigt, in Wahrheit aber wie ein ſaugen⸗
der Vampir an den Kräften des ruſſiſchen Volkstums zehrt.
Wenn dem aber ſo iſt, dann kann nur eine ſolche Eigentums⸗ und Wirt⸗
ſchaftsordnung zum Segen eines Volkes werden, die die ſchöpferiſchen Kräfte
im einzelnen ebenſo wachruft, wie in der Gemeinſchaft, die den menſchlichen
Geſtaltungswillen aufruft zur ſchaffenden Tat für Volk und Vaterland. Dies
iſt die große Tat des Nationalſozialismus, der den Blick wieder geöffnet hat
für diefe Erkenntniſſe. Wir ſehen, wie fih die Bodenordnung des Neichs⸗
nährſtandes ſinnvoll einordnet in die geſamte Eigentumsordnung des deutſchen
Rechts, wie nur eine volksfremde Rechts- und Wirtſchaftsordnung diefe
Grundgedanken überſehen oder leugnen konnte. Wir erkennen aber auch, daß
wir auf dem rechten Wege find und daß alles, was an volksfremder und un-
deutſcher Rechts⸗ und Eigentumsordnung in der Welt fich erheben will, ver-
ſinken und am deutſchen Weſen zerſchellen muß.
Sverre Paturffon:
Das Bauerntum auf den Fardern
Ins Deutſche überſetzt von P. RNottka
Der Landbeſitz auf den Faröern (Far —öer = ferne Eilande, Inſeln,
d. Schriftltg.) beſteht zur Hälfte aus Odalsbeſitz und zur Hälfte aus Königs⸗
gütern. Die Königsgüter find Eigentum der däniſchen Krone, und die Bauern,
welche Königsgüter erblich beſitzen, heißen Königsbauern, während die Bauern,
welche auf freien Höfen ſitzen, Odels bauern oder, falls es ſich um kleine
Beſitzungen handelt, Odels männer genannt werden.
Zur Landnahmezeit und viele Jahrhunderte darauf ſaßen mächtige Odals⸗
bauern (Odelsbonde) auf den Gardern. Die „Landnahmsmänner“ — es waren
Nordmannen, aus Weſtnorwegen oder von den Shetlandinſeln — kamen in
kein gänzlich unbekanntes Land, wo ſie darum kämpften, e menor große
Landſtrecken, entſprechend ihrer Stärke und Macht, in ihren Beſitz zu bringen.
Dieſe Einwanderung geſchah keineswegs zufällig, ſondern vollzog fih durch⸗
aus planmäßig. Gerade jo wie Erik der Rote zuerſt die Verhältniſſe auf
Grönland unterſuchte und dann nach Island zurückkehrte, um Leute und Vieh,
Waffen und SE und was er ſonſt noch zu feiner endgültigen Nie-
derlaſſung in dem neuen Land brauchte, mitzunehmen, geradeſo hatten fid
auch die Faröer Landnahmemänner, ſei es durch eigene Forſchung, ſei es durch
Berichte von anderen, Kenntnis verſchafft von den Verhältniſſen auf den
Faröern, dieſer prächtigen ſelſenreichen Inſelgruppe mit ihrem herrlichen
grünen Graswuchs, der im Sommer weit auf das Meer hinausleuchtet, dem
Land, auf dem ſich Millionen von Seevögeln niederlaſſen, und wo es in allen
Ge und Sunden von Fiſchen, beſonders Walfiſchen und Herusgen,
wimmelt. |
Unter den mächtigen Odelsbauern aus dieſer Zeit ragt der Häuptling
Trond aus Götu hervor, dem faſt der ganze nördliche Teil der Faröer
zu eigen gehörte und der viele Pächter unter ſich hatte. Oder auch die reiche
Grau Bir na auf Streymoyer und nach ihr Frau Gäſa auf Kirkjubö,
der ganz Streymoy (d. i. die Streyminſel. D. Aberſ.) und dazu noch mehrere
kleine Inſeln gehörten.
Im Laufe der Zeit und der liberaliſtiſchen Entwicklung find jedoch in⸗
zwiſchen die perſönlichen Odelsgüter durch Erbgang in viele Hände gekommen,
und ſelbſt das Einzeleigentum ift fo zerſtückelt worden, daß von einer gemein-
ſamen Bewirtſchaftung der Odelsbauernbeſitzungen nicht mehr die Rede ſein
kann. Es bedarf einer un an um Die verftreuten Landſtücke wieder
zuſammenlegen zu können. Ein Odelsbauer kann beiſpielsweiſe bis zu 30 ein⸗
zelne Landſtücke in ſeinem eigenen Kirchſpiel beſitzen, die weit voneinander
getrennt liegen. Ja er kann ſogar in anderen Kirchſpielen Gründe beſitzen, die
wiederum in kleinen Einzelſtücken zerſtreut liegen. Anter dieſen Amſtänden
kann ſelbſtverſtändlich der Odelsbauer ſeine Beſitzungen nicht zweckmäßig
2
562 Sverre Patursson
bewirtſchaften. Das Gehen von dem einen Teilgrundſtück zum anderen nimmt
an ki SCH Zeit in Anſpruch als die eigentliche Bearbeitung der Grundfttide.
ie Faröerſchen Odelsbeſitze werden daher erft dann wieder eine größere
Bedeutung erlangen, wenn durch Amtauſch und Abrundung der Beſitz wieder
ſo zuſammengelegt worden iſt, daß er ſachgemäß bearbeitet werden kann. Aber
auch dann wird der einzelne Odelsbefig nicht ſehr groß fein.
Man hat bereits in zwei Kirchſpielen den Odelsbeſitz zuſammengelegt, hat
aber leider dieſe Arbeit wieder aufgegeben, da der däniſche Staat glaubt, daß
ſie zuviel Geld koſte.
Der Odelsbefitz beträgt ſoviel wie der zuſammenhängende königliche Befitz.
Dieſer iſt zur Zeit der Reformation entſtanden, und zwar dadurch, daß bei
der Reformation der däniſche König, der gleichzeitig auch König von Nor⸗
wegen war, ſich den geſamten Landbeſitz der katholiſchen Kirche aneignete. And
der Beſitz der katholiſchen Kirche wiederum, deren Hauptſitz Kirkjubö ſich auf
der Inſel Streymony befand, war entſtanden durch die glückliche Hand, die dieſe
bei der Aneignung ausgedehnter Ländereien des Odelsbeſitzes gehabt hat.
Dieſer in die Hand des Königs übergegangene Beſitz wurde durch die eifrigen
däniſchen Vögte, die über die Inſeln geſetzt wurden, noch vermehrt.
Was den Königsbeſitz nun fo beſonders von dem heutigen Odels⸗
beſitz unterſcheidet, iſt die Tatſache, daß die Höfe in der Erbfolge vom Vater
auf den Sohn übergehen, ohne daß die anderen Geſchwiſter irgendeinen Un-
ſpruch auf Auszahlung eines Anteiles haben. Die Höfe werden „Kongsgaarde“
oder „Feſtegaarde“ genannt, die Königsbauern heißen „Feſter“. And was
dieſe Bauern anbetrifft, ſo hat die Bezeichnung „Bauer“ bei ihnen noch ſeinen
guten alten Klang behalten, denn ihre Höfe waren ja urſprünglich Odelsbeſitz,
und ſie ſelbſt ſind urſprünglich Odelsbauern geweſen und erſt in ſpäterer Zeit
durch fremdes Recht zu Königsbauern geworden.
Der landwirtſchaftliche Betrieb auf den Höfen zeigt ein durchaus anderes
Bild als die Bewirtſchaftung landwirtſchaftlicher Betriebe im übrigen Europa.
Zum Teil ſind noch viele der alten Bearbeitungsmethoden üblich, und zwar
einmal ſind dieſe Methoden bedingt durch die klimatiſchen Verhältniſſe der
Inſeln und zum andern auch durch ihren bergigen und unwegſamen Charakter.
Es iſt erſt 25 Jahre her, daß zwiſchen den einzelnen Kirchſpielen Fahrſtraßen
gebaut wurden, und Feldwege für Ackergeräte gibt es heute noch nicht. Das
Land iſt geteilt in die Innenmark (Ackerland und gepflegte Weide) und in die
Außenmark (unbearbeitetes Weideland). Bei der gegenwärtigen Bewirtſchaf⸗
tung bringt die Außenmark in der Regel den größeren Ertrag. Neben Pflug und
Spaten ſpielen Vogelſtange, Walſpieß und Schäferhund für die Wirtſchaft
eine bedeutende Rolle. Da die Faröer inmitten des Golfſtromes liegen, ift es
möglich, trotz der Lage der Inſeln auf dem 62. Grad nördlicher Breite die
Schafe das ganze Jahr hindurch im Freien zu laſſen. So bringen dieſe in
milden Wintern großen Ertrag, während in ſtürmiſchen, ſchneereichen Wintern
mit ſpätem Frühjahr bis 20 Prozent des Beſtandes verlorengehen können.
Die das Königshöfe, wie Kirkjubö, Skaalavik, Sund und Dimun, haben
eine Beſetzung von 300 bis 400 Zuchtſchafen.
Der zweite wichtige Erwerbszweig beſteht im Vogelfang, der vor allem auf
dem weſtlichen Teil der Faröer, der rieſige Vogelniederlaſſungen, wo die
Vögel zu Hunderttauſenden niſten, beherbergt, einen guten Ertrag gibt. Vom
Fang bekommt der Bauer mancherorts ein Drittel, in anderen Gegenden die
Hälfte des „Landparts“. Der Reſt wird unter der Mannſchaft, die am
Das Bauerntum auf den Faréern 563
Vogelfang beteiligt war, verteilt. And da der Bauer ftets rat am Vogel-
fang teilnimmt, bekommt er außerdem noch einen „Man
nd endlich iſt noch der Fang des Grindwals zu en (Grindwal⸗
fiſch = delphinus globicebs, eine namentlich bei den Faröern vorkommende
Walfiſchgattung). Die Bauern, deren Hof an den Fjorden liegt, in denen die
Grindwalfiſche antreiben, bekommen einen beſtimmten Anteil, nämlich 10 Proz.
vom geſamten Fang, als Erſatz für den Schaden, der anh ihrem Grund und
Boden durch die großen Fangmannſchaften verurſacht wird.
N Ki D %
(Faröerne) Föroyar
(Faroe Islands
O BRUXELLES
PARIS 0 Munchen
0
BERN,
Der Faröerſche Bauer ift fomit ſehr vielfeitig. Er nimmt, aud als Be-
figer eines größeren Hofes, zumeiſt perſönlichen Anteil am Vogelfang,
Walfiſchfang, am Heimtreiben der Schafe von den Almen ſowohl im Herbst
wie im ling. Ebenſo hilft er ſelbſt mit beim Torſſtich für den Jahres⸗
bedarf an Brennſtoff und betreibt auch ſelbſt den Fiſchfang für den Haus⸗
bedarf. Das iſt die eine Seite ſeiner Arbeit, während die zweite die Be⸗
arbeitung der Innenmark, des Ackerlandes, den Reſt ſeiner Zeit in Anſpruch
nimmt. So kommt es allerdings, daß dem Acker oft nicht die genügende Auf-
564 Sverre Patursson
merkſamkeit zuteil wird. Dafür verleiht aber diefe verſchiedenartige Betätigung
den Faröerſchen Bauern eine ſelbſtbewußte und dabei geſchmeidige Haltung,
die bereits das Erſtaunen vieler Fremder hervorgerufen hat. Es ſteckt in jedem
Bauern etwas von einem Sportsmann oder einem Bergſteiger, was ihn we⸗
ſentlich von dem Bauern mancher anderer Länder unterſcheidet.
Die Bewirtſchaftung der Innenmark geſchieht in der Hauptſache durch die
Wieſen⸗ und Weidewirtſchaft. Außerdem werden Kartoffeln ſowie etwas Had-
frucht angebaut. Nur an beſonders günſtig gelegenen Stellen wird eine Timo,
fefte Gerſtenſorte, die ſogenannte Faröergerſte, angebaut. Zwar wird gegen-
wärtig noch ein Teil des Bedarfs an Kartoffeln aus dem Ausland eingeführt,
aber es ſteht nichts im Wege, durch Vergrößerung des Kartoffelanbaus den
Eigenbedarf der Inſeln zu decken. In manchen Gegenden wird das Korn noch
getrocknet, wie in alten Zeiten, in den hierfür gebauten „Sod⸗häuſern“. Durch
alte Frauen wird in dieſen Häuſern das Torffeuer im Gang gehalten zur Gr:
zeugung der nötigen Wärme, und am Abend verſammelt ſich hier die Jugend
des Dorfes rund um das Feuer zu Scherz und Spiel, und die alten Frauen
berichten, wie es im Kirchſpiel zugegangen iſt zu der Zeit, als ſie ſelbſt noch
Jung waren, oder fie erzählen Sagen und Märchen.
on dem Korn wird ein ungefäuertes Brot, das „Dryl“ gebacken, das
ſchen ſtarken Beigeſchmack von Torfrauch hat, was aber niemanden zu ſtören
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Der Anbau von Gemüfe ift nicht ſehr bekannt, trotzdem alle Hauptarten deg-
ſelben gut gedeihen. Auf den ausgeſprochenen Sonnenhängen können vorteil⸗
haft Erdbeeren angebaut werden. Sie reifen einen Monat ſpäter als in Däne⸗
mark. In der Hauptſtadt Torshavn ſieht man hübſche Kleingärten mit Blumen
und Bäumen: Birken, Ebereſchen, Ahorn, Tannen und Kiefern. Außerdem an
Beerenſträuchern: Nips-, Stachel- und Erdbeeren.
Am auffallendſten iſt, daß die Faröer ein ganz waldloſes Land ſind. Aber
wir haben vollen Erſatz in dem herrlichen Graswuchs, der beſonders üppig
und faftig in den hochgelegenen VBerggegenden ift und unſerem Lande im
Sommer ein anmutiges und einladendes Ausſehen verleiht.
Die Arbeiten auf der Innenmark haben bis vor kurzem den kleineren Teil
der Arbeitskraft des Faröerſchen Bauern beanſprucht, da durch die ſchlechten
Verkehrs- und Abſatzverhältniſſe für den durch Mehrarbeit und größere Auf-
wendungen erzielten Ertrag keine oder nur geringe Verwertungsmöglichkeit
beſtand. Es wird auf vielen Höfen mit dem Spaten gearbeitet, da die Felder
oft an fo ſteilen Felshängen liegen und durch die Zerſplitterung des Allod⸗
beſitzes oft ſo klein ſind, daß es ſchwer iſt, einen Pflug und ſonſtige Acker⸗
geräte zu benutzen.
Auf der anderen Seite hat ſich herausgeſtellt, daß bei guter Verbindung zu
einer größeren Handelsſtadt, wie etwa Torshavn, fih das Gewicht der Bauern-
arbeit auf die Innenmark legt, da dann hier durch guten Abſatz der größere
Verdienſt zu erreichen iſt.
Da Feldwege faſt gänzlich fehlen, muß alles auf Menſchenrücken befördert
werden. So wird auch der Dung, ſei es nun Stalldung oder Seetang, der an
verſchiedenen Stellen im Aberfluß angetrieben wird, in ſogenannten „Tremme⸗
käſten“, auch „Leypur“ genannt, auf den Acker getragen. Dieſe Käſten werden
durch ein Band, das über den Kopf des Trägers läuft, der ſomit die ganze
Laſt trägt, gehalten. Auch der Torf wird auf dieſe Weiſe von jenen Berg⸗
feldern eingebracht, zu denen kein Feldweg führt. Dieſe Art des Tragens gibt
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Das Bauerntum auf den Faréern 565
kräftige Halsmuskeln und eine gute Haltung, die die Faröerfhe Bevölkerung
bejonders auszeichnet.
Im Zuſammenhang mit den Verdienſtmöglichkeiten auf der Außenmark
mag noch erwähnt werden, daß dem Bauern durch die Verpachtung der Jagd
auf ſeinem Voden ein guter Gewinn erwächſt. Das einzige Wild der Inſeln
ift der Hafe, der im Jahre 1854 eingeführt wurde und auf den Inſeln günftige
. fand, da es weder Raubwild noch Raubvögel gibt, und
die Winter dank des Golfſtromes im allgemeinen recht milde find. Die durch⸗
ſchnittliche Ausbeute eines Jagdtages beträgt fünf bis ſieben Haſen. Aber oft
werden weit mehr erlegt, und die höchſte feſtgeſtellte Ausbeute beträgt 45
Haſen an einem Tage.
Die Königsbauern, deren Landbeſitz beſonders wildreich iſt, nehmen durch
die Jagdverpachtung mehr ein, als fie zur Bezahlung der ſogenannten Königs-
pacht (Königspacht ift die jährliche Abgabe, die der Königsbauer an den Staat
zu entrichten hat) aufzubringen haben, wobei zu bedenken iſt, daß dieſe Pacht
nur 8 Prozent des Hofwertes ausmacht und in den letzten 200 Jahren nicht er⸗
höht worden iſt.
Die Jahresarbeit auf den Faröern nimmt folgenden Verlauf:
Ehe die Frühlingsarbeit auf der Innenmark beginnt, werden die Schafe, die
den Winter hindurch auf ihr gehalten worden find, auf die Außenmark hinaus-
ieben, und Zäune und Knicks werden ausgebeſſert, damit die Schafe nicht
wieder vor Einbringung der Ernte hineinkommen können.
Dann werden die Feldarbeiten in Angriff genommen, die nur unterbrochen
werden, wenn man auf die Berghöhen zieht, um Vogeleier für den Bedarf des
Hofes einzuſammeln. So hat ein einziger Hof auf der Inſel Dimun über
10 000 Vogeleier geſammelt. Nach Beendigung der Frühjahrsarbeit beginnt
das Torfſtechen, und unmittelbar im Anſchluß hieran werden die Schafe wieder
eingetrieben und geſchoren. Da das Faröerſche Schaf ein ausgeſprochener
Weidegänger iſt und das noch dazu in einem ſtürmiſchen und ſchneereichen
Winterklima, hat es eine ſchützende Deckwolle bekommen, die aus langen
Strähnen und groben Haaren beſteht. Darunter aber iſt eine äußerſt feine und
weiche Wolle, die daheim durch Hausfleiß zu Kleidern verarbeitet wird. Be⸗
ſonders die Nationaltracht wird aus der allerfeinſten Wolle hergeſtellt, wäh⸗
rend die ſträhnige Deckwolle zu Joppen und anderen Bekleidungsſtücken ver⸗
arbeitet wird, die beim Fiſchfang benutzt werden. Ein großer Teil diefer Jop-
pen wird außerdem ausgeführt.
Man hat die Erfahrung gemacht, daß auch eingeführte fremde Schafraſſen
ſchon nach wenigen Generationen die gleiche grobe und ſträhnige Deckwolle wie
die Faröerſchen Schafe bekommen. Die urſprüngliche Schafraſſe wurde durch
eine furchtbare Seuche (sparte felli) im 14. Jahrhundert ausgerottet. Die Seuche
verbreitete ſich über das ganze Land mit Ausnahme der unbewohnten Inſel
„Dimun Minna“, wo dieſe Schafe noch bis vor 40 Jahren lebten, aber ſo
wild geworden waren, daß man ſie hat abſchießen müſſen. Es waren kleine
ſchwarze Schafe mit kleineren Hörnern und ganz durchwachſenem Behang, der
Ahnlichkeit mit Roßhaar hatte. Im Britiſchen Muſeum ſoll ein Tier dieſer
Dote ausgeftopft fein. Die gegenwärtigen Schafraſſen, die nach der großen
Seuche eingeführt worden find, ſtammen aus Shetland, und der geſamte Schafe
beſtand der Inſeln beträgt heute etwa 90 000 Stück.
566 Sverre Patursson
Nach dem Eintreiben und Scheren der Schafe, was auf den größeren Königs⸗
höfen etwa 2 bis 3 Tage in Anſpruch nimmt, begibt man fih ſofort nach den
EEN zu denen Vogelniederlaſſungen gehören, und beginnt mit dem Vogel-
d Beim Vogelfang gibt es zunächſt das „Fleyging“, wobei man, auf einem
Felſenvorſprung ſitzend, mit einem an einer langen Stange aufgeſpannten Netz
die jüngeren nicht brütenden Vögel abfängt, wenn dieſe in großen Schwärmen
dicht an den Felſenwänden vorbei hin und her fliegen, und das „Fygling“,
wobei man an einem langen Seil auf die Felſenvorſprünge herabgelaſſen wird,
von wo aus man mit Netz und Stange die brütenden Vögel gleich vom Brut⸗
platz wegfängt. Aber es wird immer nur eine beſtimmte Anzahl gefangen, um
nicht den ganzen Beſtand auszurotten.
Inzwiſchen iſt nun der Torf, der die ganze Zeit hindurch immer wieder ge⸗
wendet worden iſt, gänzlich getrocknet und wird entweder zum Hof eingebracht
oder draußen auf den Bergfeldern aufgeſtapelt und nach Bedarf von dort ab⸗
geholt. Die Aufbewahrung auf den Bergfeldern geſchieht in den „Krögven“,
aus Gelsfteinen errichteten Häuschen, die mit Grasnarben gedeckt find und
durch die die Zugluft frei hindurch kann.
In unſerem Jahresarbeitsplan ſind wir jetzt bis zum Ende des Heumonds
(Juli) gelangt.
Es beginnt nun die Heuernte, die oft ſehr durch Regen erſchwert wird, da
der Sommer meiſt kurz iſt. So wird manches Mal ziemlich ſchlechtes Heu
eingebracht, weshalb die neue Art, das Heu an Schnüren zu trocknen oder einen
Teil des Graſes ſilomäßig zu verwerten, auf den Höfen, bei denen die Milh-
wirtſchaft eine hervorragende Rolle ſpielt, und die beſtrebt find, nach neuen
Erkenntniſſen ihre Wirtſchaft ertragreicher zu geſtalten, immer mehr in Ge⸗
brauch kommt. Genau wie Dung und Torf wird auch das Heu im allgemeinen
auf Menſchenrücken eingebracht, auch hier ruht die gebündelte Laſt vorwiegend
auf dem Kopfe.
Die Heuernte, die im allgemeinen erſt ſpät im Scheiding (September) be⸗
endet iſt, wird des öfteren ein oder zwei Tage lang unterbrochen, wenn die
Grindwalfiſche ſich der Küſte nähern. Die Zeit, in der vor allem die Walfiſche
an die Küſten der Faröer kommen, iſt nämlich gerade die Zeit der Heuernte.
Sobald nun die Kunde umläuft, daß ein Flock Walfiſche ſich der Küſte ge⸗
nähert hat, bemächtigt fich des Faröerſchen Bauernvolkes eine große Erregung.
Die Männer eilen mit ihren Walfiſchjagdgeräten zu ihren Booten, um beim
Eintreiben der Walfiſche in einen der vielen Fjorde, wo ſie gefangen werden,
mithelfen zu können. So wird mancher wertvolle Schönwettertag, der ſonſt zur
Heuernte benutzt worden wäre, verſäumt. Aber wie bereits geſagt, wenn der
Walfiſch kommt, gibt es kein Aberlegen und kein Halten mehr.
Nachdem das Heu eingebracht worden iſt, werden die Schafe wieder einge⸗
trieben, um die Schlachtlämmer herauszuſuchen. Nachdem man hiermit fertig
geworden iſt, hat die Arbeit draußen ihr Ende. Jetzt beginnt der ruhige Teil
des Jahres, es beginnt die Arbeit im Hauſe, wie Spinnen, Stricken, Weben
und für die Männer VBaſteln und Herrichten neuen Hausrates.
Wenn man an einem Winterabend in einen Faröerſchen Bauernhof ein-
tritt, wo der geſamte Hofſtand in dem großen Raum ein jeder mit ſeiner Arbeit
beſchäftigt ift, umfängt einen eine eigene Gemütlichkeit. Die Alteren tragen die
alten Nationalſtücke vor, und die Jüngeren ſingen ihre Lieder, oder es werden
Baſaltformationen auf der Inſel Suders
Baſaltformationen auf der Inſel Suderö
Kap Frodebo auf Suders
Baſaltformationen auf Suderö
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Zerklüftete Meeresſchlucht auf der
Vorgebirge Kollen auf Oftero
Am Veſtrevaag in Thorshavn, der „modernen“ Hauptſtadt der Inſeln
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800 Jahre altes Blockhaus auf dem Königsbauernhof von Sverre Paturſſon
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c. / mil langt.
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568 Hanns Prehn-Dewitz
Märchen von dem Feenvolk draußen in den Bergen erzählt, oder es wird über
längſt verſtorbene Geſchlechter und deren Meerfahrten hinaus zu den ſchwin⸗
delnd hohen Vogelniſtplätzen, die manchem tapferen Faröer das Leben ge⸗
koſtet haben, berichtet.
Herbſt und Winter ſind auch die Zeit der Feſte und Nationaltänze. Da
kennt die wohlbekannte faröerſche Gaſtfreundſchaft keine Grenzen. Auch die
Kirchſpiele kommen umſchichtig zu Spiel und Tanz zuſammen. Das kleine
Faröerſche Volk hat in ſeiner Abgeſchloſſenheit den uralten Geſangtanz er⸗
halten, und man darf es als das Zeichen eines regen geiſtigen Lebens auf⸗
faſſen, daß die Faröer allein durch mündliche Überlieferung einen Geſangſchatz
von zuſammen über 100 000 Verſen als lebendiges Volksgut beſitzen, einen
Liederſchatz, der durch ſeinen Ausdruck für die wechſelnden Gefühle von Freude
und Lebensluſt, Sorge und Wehmut eine ungeheure Macht auch heute auf die
faröerſche Volksſeele ausübt. In dem faröerſchen Volkstanz ſpielt fh das Le-
ben und der Kampf der Bevölkerung auf Meer und Felſen wider. Man ſpürt
den rhythmiſchen Wellengang des Meeres, die ſchwindelnde Majeſtät der Fel-
ſen, die brauſende Gewalt der Winterſtürme und die ſtille, helle und milde
Stimmung der Sommernächte voll Sanftheit und Glückſeligkeit. Bei ſolchen
Zuſammenkünften ſtehen alle Türen im Dorfe offen, alle Tiſche ſind gedeckt,
und alle Weingläfer ſtehen bereit.
Die farderfhe Landwirtſchaft muß gewiß noch eine geraume Zeit
warten, bis ſie alles in allem jene Höhe erreicht hat, die entſprechend den klima⸗
tiſchen und Bodenverhältniſſen erreichbar ift. Das erſte, was in Angriff ge-
nommen werden muß, iſt, daß die Wege zum Acker dergeſtalt angelegt werden,
daß fie ein durchgehendes Wegenetz ſowohl auf der Außen- wie auf der
Innenmark bilden, und daß die zerſtreut liegenden Odelsbeſitze durch Zuſam⸗
menlegung und Austauſch wieder zuſammengebracht werden, ſo daß ein jeder
Odelsbauer wieder ſeinen zuſammenhängenden Beſitz hat.
Auch die Verbindung zum Waſſer muß verbeſſert werden. Aber vor allem
muß hierzulande eine Ackerbauſchule errichtet werden, die mit einer Verſuchs⸗
anſtalt verbunden iſt. Sie ſoll die jungen faröerſchen Bauernſöhne lehren, ihre
Landwirtſchaft ertragreich zu geſtalten, und zwar mit den gegebenen hieſigen
Verhältniſſen als Grundlage. Gewiß waren manche Faröer im Auslande auf
Landwirtſchaftsſchulen, aber dieſe Schulen können uns nicht die Grundlage
geben, die erforderlich iſt, einen faröerſchen Hof gut zu bewirtſchaften, da die
durch ſie vermittelten Erkenntniſſe ſich auf die Führung landwirtſchaftlicher
Betriebe beziehen, die unter ganz anderen Verhältniſſen arbeiten.
Erſt wenn wir unſere eigene Landwirtſchaftsſchule haben, können wir voll
ausnutzen, was unſer Land uns bieten kann. Es iſt geſagt worden, daß man
ſelten einen ſo guten Graswuchs wie auf den Faröern findet. Sicher hat unſer
Land die allerbeſten Bedingungen für Schafzucht, Viehzucht und Milcherzeu⸗
gung. Es beſteht wohl kaum ein Zweifel, daß, wenn dieſe Bedingungen voll
ausgenutzt werden, wir keine Beſorgnis zu haben brauchen, unſere wachſende
Bevölkerung mit allen landwirtſchaftlichen Erzeugniſſen, wie Fleiſch, Milch
und Kartoffeln, verſorgen zu können.
Da Hühner, Enten und Gänſe den größten Teil des Jahres hindurch ihre
Nahrung draußen im Freien finden können, haben wir auch die Möglichkeit
und die beſten Ausſichten, die Eiererzeugung und die Schlachtfederviehzucht zu
entwickeln. Kurz geſagt: Wenn wir die Möglichkeiten, die der faröerſchen
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Das Bauerntum auf den Faröern 569
Landwirtſchaft offenſtehen, ausnutzen, wird diefe, Die im Lauf der letzten Jahr⸗
hunderte von der Meerfiſcherei in den Schatten gedrängt worden iſt, ſich wie⸗
der zur größten Erwerbsquelle des Landes entwickeln. And während bisher die
Meerfiſcherei alles Kapital und alle Anteilnahme des Landes auf ſich gezogen
hat, wird dadurch, daß man auch den Minderbemittelten die Abernahme von
Grund und Boden auf der Außenmark zur Bearbeitung ermöglicht, die Bolts-
gemeinſchaft von einer Schicht von Anzufriedenen befreit, die in anderen Län⸗
dern ſoviel Anruhe und ſoviel gewaltſame ſoziale Brüche verurſacht. Wir
haben Aberfluß an Boden in der Außenmark, der für die Bearbeitung durch
Kleinbauern (Husmänd) wohl geeignet iſt. Nach dem Vorſchlag, der im Lög⸗
thing im vorigen Sommer angenommen worden ift, wird in Zukunft der Klein.
bauernhof in der Form erbfeſt gemacht werden, daß der Bebauer eine jährliche
ER bezahlt und der Hof im Erbgang vom Vater auf den älteften Sohn
ergeht.
Der Haushalt auf einem farderfhen Bauernhof ift einfach. Es wird
Wert darauf gelegt, daß unnötiger Kauf von Handelswaren vermieden wird
und daß man im großen und ganzen mit dem auskommt, was der Hof an
Ertrag bietet und was auf ihm ſelbſt hergeſtellt werden kann.
Da die Bauern ſelbſt Boote haben und die Fiſcherei betreiben, wo nur
immer fih eine Gelegenheit bietet, ſpielt der Fiſch im Haushalt eine große
Rolle. Zu jedem Hof gehört eine „Hjallur“, das iſt ein Blockhäuschen, das
der Zugluft und dem Wind freien Durchgang bietet. In dieſem Häuschen
werden die friſchen Fiſche ungeſalzen und auch Fleiſch zum Trocknen aufge⸗
hängt. Der Fiſch wird friſch oder geſalzen gegeſſen, aber niemals geräuchert;
ſehr beliebt iſt auch windgetrockneter Fiſch, wie er in dieſen Häuschen her⸗
geftellt wird. Der Filh wird daſelbſt getrocknet, bis er fo hart wie Hola ift,
aber ehe er auf den Tiſch kommt, wird er mit einem Prügel gewalkt, bis er
mürbe iſt. In dieſem Zuſtand, alſo ungekocht, wird er mit Fett oder mit
Butter, am liebſten aber mit Walfiſchſpeck gegeſſen. Hat man mehr Fiſche, als
in der „Hjallur“ Platz haben, ſo trocknet man dieſe draußen im Freien auf
einem Geſtell. Ein anderes Verfahren iſt, den Fiſch bei mildem Wetter im
Freien aufzuhängen, bis er einen Bezug bekommt, und ihn alsdann in dieſem
Zuſtande zu kochen und mit Walfiſchſpeck oder Kartoffeln zu eſſen (gemeint iſt
immer Grindwal). Der windgetrocknete Fiſch, „Skerpikjöt“, iſt eine ausge⸗
eichnete und kräftige Nahrung und hat den Vorteil, daß er ſich monatelang
alt er iſt leicht und bequem in die Taſche zu ſtecken, wenn man hinaus auf
die Gebirgsfelder muß oder zum Fiſch⸗ oder Vogelfang und man einen ganzen
Tag unterwegs ſein muß. Mit einem kleinen Stück „Skerpikjöt“ und einem
Stück „dryl“ kann man einen ganzen Arbeitstag auskommen.
So können wir zuſammenfaſſend fagen: Der farderfche Bauer braucht viel
von dem, was er ſelbſt erzeugt. Er iſt kein geldreicher Mann, aber er hat es
gut daheim auf ſeiner Scholle.
Hans Prehn-Ddewiß:
Unfer kleines germaniſches Brudervolt = die Faeringer
Mitten im Atlantiſchen Ozean, abgeſchloſſen vom großen Verkehr der
Völker, auf einſamen, wogenumtoſten Inſeln, deren vulkaniſche Geſteins⸗
maſſen zackig und ſchluchtenreich aus haushoher Brandung emportauchen,
wohnt unſer kleines germaniſches Brudervolk, die Faeringer.
1399 Quadratkilometer mißt ihre Heimat, die Gaeroerinfeln, und 25 000
Menſchen leben auf ihnen. 675 Kilometer trennen ſie von Norwegen, 275
Kilometer von Schottland, 450 Kilometer von Island, und 300 Kilometer
von den Shetlandinſeln.
Schlicht und arbeitsreich ift das Leben dieſes Völkchens. Spärliche Nah-
rung gibt der ſteinige Boden. Rüben, Hafer, Gerſte und Kartoffeln trägt ein
Teil der kargen Erdſchicht. Sonſt nur Gras und Mooſe, die in dem ewig
feuchten aber auch milden Seeklima Sommer und Winter üppig wuchern.
Fiſchfang und Schafzucht ift der Haupterwerb der Gaeringer. Daneben geben
Millionen gefiederter Gäſte den Bewohnern Eier und Federn. Im übrigen
iſt das Land arm — arm und einſam.
Achtzehn felſige Eilande, untereinander durch Meeresbuchten getrennt,
ſchicht die Heimat unſeres germaniſchen Brudervolkes. Alt ift ſeine Ge⸗
ichte.
Die erſten Bewohner jener gigantiſchen Felskoloſſe waren Kelten. Zur
Zeit Karls des Franken kamen dann die Wikinger auf ihren Islandfahrten
und Beutezügen nach den Faeroern. Sie erſchlugen und vertrieben die letzten
Reſte der Kelten und fiedelten ſich unter ihrem Führer Grimur Kamban auf
den Inſeln an. Ein Volk rein nordiſchen, germaniſchen Stammes brachte ſeine
Aberlieferungen, ſeine Kultur, ſeine Geſchichte mit auf die einſamen Eilande
1 im Norden des atlantiſchen Ozeans.
as intereſſiert uns beſonders an unſerem kleinen germaniſchen Bruder⸗
volk, das ſo abgeſchloſſen, von fremden Kultureinflüſſen faſt unberührt, durch
die Jahrhunderte ſich erhalten und ſeine Eigenart bewahrt hat?
Es ſind ſeine Lieder und Tänze. Araltes germaniſches Kulturgut tritt in
ihnen zutage.
Auf den Gaeroern find die alten Heldenlieder, wie fie aus den Erinnerungen
der Völkerwanderungszeit einſt in allen germaniſchen Stämmen und Völkern
geſungen wurden, wie ſie ſich in der Edda und im Nibelungenliede finden,
noch heute lebendig.
Germanenlieder — Lieder unſerer Vorfahren. Ehrfurcht paart ſich mit
dieſem Begriff.
Als älteſte Lieder dieſer Art, die von der großen mythiſchen und geſchicht⸗
lichen Vergangenheit unſeres Volkes erzählen, können wir heute unzweifel⸗
haft die im Norden und auf Island geſammelten Eddalieder anſprechen. Unter
ihnen ragen beſonders die Sigurdlieder hervor. Sie behandeln Sigurds (Sieg⸗
‘Unser kleines germanisches Brudervolk — die Faeringer 571
frieds) Jugend und Vaterrache, feinen Kampf mit dem Drachen Fafnir und
le feine Ehe mit Gudrun und feine Ermordung auf Anſtiften Brun-
Germaniſche Norweger brachten diefe alten Geſänge auf ihren Beute: und
Kriegszügen von Island aus nach den Faeroern — und auf dieſen einſamen
Inſeln haben ſich die alten Selbengefänge aus der Völkerwanderungszeit er,
halten, find im Volke lebendig geblieben bis auf den heutigen Tag. Wohl
mögen ſie ſich im Laufe der Jahrhunderte in der Form geändert haben —
ficher find auch ſpätere Zutaten aus verwandten Sagenkreiſen hinzugekommen
— nichts ſpricht jedoch dagegen, daß wir in den faeroeriſchen Sigurdsgeſängen
Lieder germaniſcher Vorzeit heute noch lebendig ſehen, die tauſend Jahre und
mehr ſich mündlich fortgepflanzt haben.
In den Geſängen „Regin“, „Brynhild“ und „Högni“ bewältigen ſie mit
623 Strophen den großen Sagenſtoff und zählen ſomit zu den längſten und
vorzüglichiten Volksliedern der germaniſchen Welt.
Auf den Faeroern aber werden die Sigurdlieder nach altem Germanen-
brauch auch heute noch nicht nur geſungen, ſondern auch mimiſch dargeſtellt
und getanzt. In der Johannisnacht, am St. Olavur⸗Feſte (29. Juli) und in
der Julnacht (Weihnachten) ſammeln fih die Gaeringer zum Kettentanz.
Dann hallen je nach Zeit und Gelegenheit, im Freien oder in den niederen
Spinnſtuben, die alten Heldengeſänge auf. Der Vorſänger führt den Reigen.
Die Tanzenden halten einander an den Händen und bilden einen Kreis, der
ſich unter fortwährenden wechſelnden Tritten in der Runde bewegt. Dabei
verfolgen alle mit geſpanntem Intereſſe den Inhalt des Liedes, deffen Eigen-
tümlichkeit ſich in den Mienen und Bewegungen jedes einzelnen ausdrückt.
Je nachdem Kampfgetümmel, Siegeszug oder Heldentod den Inhalt des Ge⸗
ſanges bilden, deſto mehr oder minder lebhaft ſind die Bewegungen, die bald
von wildem Stampfen der Füße, bald von jubelnden Sprüngen begleitet find.
Der erſte Geſang, „Regin“, ſchildert Sigurds Jugend, ſeinen Beſuch bei
Regin, dem Schmied, der ihm das zerbrochene Schwert ſeines Vaters neu
ſchmiedet, beſchreibt, wie er Fafnir, den Drachen, tötet und auf ſeinem Pferde
„Grane“, mit dem Golde des Drachen beladen, davonreitet. Es iſt keine Spur
weitläufiger Geſchwätzigkeit, keine ſentimentale Weichheit oder lyriſche Zer⸗
floſſenheit in dieſem Liede, ſondern redende, handelnde Menſchen ſtehen vor
unſeren Augen.
Der Vorſänger hebt an:
„Wollt ihr ein wenig lauſchen
und hören meinen Sang,
von reicher Kön'ge Helden
will ich erzählen diesmal.“
„Jubelnd fällt der Chor mit dem allen Sigurdsliedern gleichen Kehrreim
SES „Grane trug Gold von der Heide,
Sigurd ſchwang feines Schwertes Schneide,
Sigurd den Lindwurm überwand,
Grane trug Gold von der Heide!“
Nun beginnt der eigentliche mimiſche Tanz. Es würde zu weit führen, eine
größere Zahl von Strophen in deutſcher Abertragung hier wiederzugeben. Nur
572 Hanns Prehn-Dewitz, Unser kleines germanisches Brudervolk
fo viel fet geſagt, Wotan ſelbſt tritt als einäugiger Greis in dem Liede auf
und warnt Sigurd vor dem Drachen und Regin, dem Schmied und weiſt ihm
den Weg zur Rettung. Darin liegt unzweifelhaft ein ſehr altes Motiv, das
1 des Heldengeſanges in die graue heidniſche Vorzeit zurück⸗
weiſt.
Der zweite Geſang, „Brynhild“ ſchildert Sigurds Feuerritt zu Brynhild,
erzählt von ſeiner Vermählung mit Gudrun, berichtet, wie die Frauen ſich
zanken, und endlich wie Gunar (Günther) und Högni (Hagen), Gudruns
Brüder, von Brynhild beraten, Sigurd meuchlings umbringen.
Nicht mit Anrecht ift die Behauptung aufgeſtellt, daß die Sigurdſage, nad-
dem ſie in der „Edda“ ihre kraftvolle Geſtaltung erfahren habe, nie mit grö⸗
ßerer Arſprünglichkeit behandelt worden fei als in den drei faeroeriſchen Ge-
ſängen von Sigurd.
Der balladenartige Ton, namentlich des Brynhildliedes, bringt ungeahnte
poetiſche Schönheiten. Die Hoheit, mit der die Sage Brynhilds Geſtalt um-
geben hat — dieſes grenzenlos liebende Weib, deren Haß noch Liebe ift, tritt
uns in dieſem Liede ungeſchminkt entgegen.
Als Sigurd zum letzten Male von der Burg reitet, um von verräteriſcher
Hand die Todeswunde zu empfangen, brechen Brynhild die Tränen aus den
ig jo mächtig geht ihr der Schmerz durchs Herz. Der Vorſänger aber
ngt:
„Das holde Weib, fie weinet,
das Herz ift ihr fo ſchwer,
Leb' wohl nun, Sigurd, Sigmundsſohn,
ich ſeh' dich nie im Leben mehr.
Es hat Brynhilde manche Nacht
Alec in Gigurds Arme.
un bat fie ihm den Tod gebracht,
ihr brach das Herz im Harme.
Brynhild verging in Schmerzen
nach Sigurds jähem Tod.
Gudrun empfing der Spenden viel,
an Gut und Golde rot.“
Leiſe und bewegt, mittrauernd um den gefallenen Helden aber ſingt der
faeroeriſche Chor den ehrwürdigen Kehrreim der Sigurdlieder.
„Grane trug Gold von der Heide,
Sigurd ſchwang ſeines Schwertes Schneide.
Sigurd den Lindwurm überwand,
Grane trug Gold von der Heide.“
Im dritten Geſang „Högni“ (Hagen) heiratet Gudrun König Atle und
nimmt Rache für Sigurd. Sie läßt ihre Brüder bei einem Feſtmahl töten.
Außer dieſen unzweifelhaft älteſten, noch heute auf den fernen Faeroer-
inſeln lebendigen Germanenliedern, hat ſich dann noch eine ganze Anzahl von
andern, man kann mit gutem Recht ſagen, „in faſt allen germaniſchen
Stämmen einſt heimiſchen Volksliedern“ erhalten.
CL A 1 K..... oo Ze
Alfred Thoß, Scharnhorst 573
Im 12. bis 13. Jahrhundert etwa machen die nordiſchen Sagen den von
andern Germanenſtämmen eingeführten Heldenſängen von Dietrich von Vern
(Oſtgotenkönig Theoderich), Karl dem Großen, Arthur und ſeiner Tafelrunde
*. Auch ſie ergeben reichen Stoff für Volkslieder — und auch ſie erhalten
auf den Faeroern, bei unſerem kleinen germaniſchen Brudervolk, wie ein
ſorgſam gehüteter Schatz. Noch heute find fie in zahlreichen Tanzliedern auf
den fernen Inſeln im Atlantik lebendig. Sie behandeln die Sagen um Karl
den Franken — Rolands Tod in Roncevalles wird vielfach beim Tanze ge⸗
ſchildert — man fingt von Oluva, der Tochter König Pippings (Pipins).
„König Pipping im Frankenland beſitzt eine Frau.
Oluva heißt ihre Tochter.
Sie ift hübſch und ſtattlich.“
Kehrreim:
„Tretet feſt auf im Saal
ſchonet nicht eure Schuh,
Gott weiß, wo wir Julbier trinken nächſtes Mal.
So geht der Tanz in den Rauch- und Spinnſtuben der alten Holzhäuſer —
und die Tranlampe ſchwelt, und der Rauch des offenen Herdes zieht gegen
die Decke. Männer und Frauen finden ſich in langer Kette und werden eins
im gemeinſamen Gedenken längſt vergangener Zeiten. And die Silberknöpfe
der dunkelblauen Wämſer und die weißen Strümpfe der Männer leuchten
auf im Feuerſchein, und die alten Amſchlagtücher der Frauen ſchmiegen ſich
an. Kein Muſikinſtrument ſpielt — man hört nur den Takt der Füße — den
Sang des Vorſängers und den jauchzenden, jubelnden Kehrreim der Tanzenden.
Germanentanz, Germanenlied — im 20. Jahrhundert lebendig beim klein⸗
ſten Germanenvolke, den Faeringern, fern auf vulkaniſchen Inſeln im hohen
Norden des Atlantiſchen Ozeans.
Alfred Thoß:
Scharnhorſt
Der Schöpfer des großen Generalſtabs
(Jortſetzung aus vorigem Heft.)
Scharnhorſt als Erneuerer des preußiſchen Heeres
In dieſer Zeit der tiefſten Schmach zeigte ſich Scharnhorſt als Held. Als
ſich die übelſten Zeitgenoſſen in Pamphleten, Schimpforgien und Hetzblättern
gegen den preußiſchen Staat, den König, das Heer betätigten — wir kennen
den Ton dieſer Herren aus unſerer Zeit zur Genüge —, während andere ſich
„auf den Boden der Tatſachen“ ſtellten und unter den finanziellen Verhält⸗
niſſen keine Neuordnung für möglich hielten, wieder andere den unbeſiegbaren
Cäſar vergötterten, ließen Stolz und Haß Scharnhorſt nicht ruhen. Preußen
574 Alfred ThoB
durfte nicht untergehen, durfte den Glauben an fih ſelbſt nicht verlieren.
Anter Schwierigkeiten war es groß geworden, langſam und zäh galt es zu
arbeiten, aus dem Nichts, aus dem Chaos wieder etwas zu ſchaffen. Zunächſt
mußte die Ehre der Armee wiederhergeſtellt werden. Mangel an Aufopferung
war ihr nicht vorzuwerfen, aber ſie mußte im ganzen umgeſtaltet, mußte
von gewiſſen Elementen und Vorurteilen gereinigt werden. Sofort und ohne
Zögern war das Werk in Angriff zu nehmen. Die Ereigniſſe hatten den
König doch aufgeweckt; ſo berief er die zwei Männer an die entſcheidenden
Stellen, deren umwälzende Gedanken ihm eigentlich unheimlich erſchienen,
Stein und Scharnhorſt. Die Reaktionäre und Französlinge hatten fih
in der Not doch zu ſehr bloßgeſtellt, als daß man ſie wieder aufnehmen
konnte. In fo heiklen Augenblicken verkriechen fih die Maulwürfe zunächſt;
deshalb bleiben ſie doch Maulwürfe, ſogar ſehr aufmerkſame, die beizeiten
ihre Wühlarbeit nach der Oberfläche wieder aufnehmen.
Ein halbes Jahr vor dem Sturz Preußens hatte der Freiherr vom Stein
Miniſter werden ſollen, um Preußen zu retten; er war aber ein Mann, der
alles oder nichts forderte. Der König ſchreckte vor ihm wie vor Scharnhorſt
zurück. Stein war 1804 Miniſter des Akziſe⸗, Zoll-, Fabrik. und Kommerzial⸗
weſens in Berlin geweſen. Er hatte in dieſem Amt große wirtſchaftliche Re-
formen durchgeführt, z. B. hatte er die Binnenzölle in Preußen aufgehoben.
Nach der Niederlage bei Jena bot der König ihm zuerſt das Auswärtige Amt
an, Stein wurde aber ſchließlich nicht beauftragt, deſſen Aufgaben zu überneh⸗
men, da er Selbſtändigkeit und Neubeſetzung des Miniſteriums forderte. Der
König entließ ihn ungnädig, er konnte ſolche eindeutigen Menſchen nicht gut
ertragen. Die Staatskaroſſe mußte erſt im tiefſten Moraſt ſtecken bleiben,
das Gewimmel der dunklen Ratgeber ſich ratlos verlaufen haben, ehe die
Zeit für die zwei Retter Preußens reif wurde. Jetzt war es ſo weit. Der
König hatte ſeinen Groll überwunden, Stein wurde Miniſter. Er hatte
auf ſeinen vielen Reiſen die Erfahrung geſammelt, daß ſich ſolange kein
Staat, keine Volksgemeinſchaft bilden könne, ſolange die Kraft des ſchaffenden
Standes, die Blutsquelle des Volkes, brach läge, ſolange das Volk unfrei
und in Knechtſchaft lebte. Er forderte die Bauernfreiheit. Preußen muß
wieder freie Bauern auf eigener Scholle haben, damit deren Arbeit und
Schweiß fruchtbar werde für die Allgemeinheit. Am 27. Juli 1808 wurde
verordnet, daß die landwirtſchaftlichen Arbeiter auf den Domänen der Pro-
vinz Preußen ihre Grundſtücke als freies Eigentum erhalten ſollten. So
wurde nordiſchem Fleiß und nordiſcher Geſtaltungskraft freie Bahn geſchaffen.
Am 9. Oktober 1807 gab er das Geſetz heraus über den erleichterten Beſitz
und den freien Gebrauch des Grundeigentums, ſowie über die perſönlichen
Verhältniſſe der Landbewohner. Am Martinitag des Jahres 1810 hatte jeg⸗
liche Gutsuntertänigkeit aufzuhören, eine umwälzende Neuerung, deren ſchöp⸗
feriſcher Geiſt und deren Tragweite in der damaligen Zeit nicht genug gewertet
werden kann. — Der Bauernſtand wurde zum erſtenmal ſeit langer Zeit vom
Staatsoberhaupt nicht nur beachtet, ſondern mit vorausſchauender Hellſichtig⸗
keit grundlegend vorwärts ins Licht geſchoben. Stein hatte ſeine Zeit über⸗
ſprungen. Vielleicht hätte er in den Anfängen das geſchaffen, was über hundert
Jahre ſpäter der Reichsbauernführer Darré neu aufbauen mußte: einen
Reichsnährſtand. Das ränkevolle Spiel der Großgrundbeſitzer, die ihn bei
Scharnhorst ` 575
Napoleon verdächtigten, brachte ihn zu Fall. Anglücklicherweiſe — oder war
es der Arbeit freimaureriſcher Gegner zu danken? — fiel Ende 1808 ein
Schreiben Steins an den Fürſten Wittgenſtein Napoleon in die Hände, der
wegen des patriotiſchen Inhalts die Abberufung Steins forderte. Als Miniſter
Goltz Stein bedauernd ſagte, daß nun Napoleon wohl auch die naſſauiſchen
Güter des Freiherrn einziehen werde, antwortete dieſer: „Glauben Sie, daß
an dem Quark etwas gelegen iſt, wenn es aufs Vaterland ankommt?!“
Dieſer Mann war der beſte Patriot, viele große Pläne wurden zu Grabe
getragen, als er gehen mußte, oder fie wurden von feinem ſchwächlichen Nad-
folger Hardenberg verwäflert und ſabotiert. Zwar war Stein auch Logen-
angehöriger geweſen; er hat jedoch nach ſicheren Quellen nicht mehr von der
Freimaurerei gewußt, als daß die Männer gut eſſen und trinken. Darum
befeindeten ihn auch ſeine höher geſtiegenen Brüder und begünſtigten Harden-
berg, der Meiſter vom Stuhl in der Loge „Zum weißen Pferd“ in Hannover
geweſen war. Im Jahre 1816 wurde in der Großloge „Royal York“ in
Berlin im Beiſein Blüchers ſein Bild aufgeſtellt. Hardenberg ſagte, daß er
„namentlich Freimaurer als einen mächtigen Hebel für große Dinge im
Inneren und Auswärtigen anſehe, wenn der Staat den Geiſt derſelben und
in ſolcher Tätigkeit zu ſolchen Zwecken benutzen und unterſtützen wolle“. Dem
ftimmte auch Friedrich Wilhelm III. bei, der zwar ſelbſt nicht Freimaurer
war. Er ſagte aber: er werde „den Freimaurerbund immer ſchützen, weil er
wiſſe, daß diejenigen ſeiner Diener, die Maurer ſeien, auch zu den vorzüg⸗
lichften Staatsdienern gehören“. Die Arbeit dieſer geheimen Verſchwörer
beherrſchte alſo die Regierung, fie unterdrückte die Bauernfreiheit und ver⸗
hinderte, daß Deutſchland vor hundert Jahren völkiſch geeint wurde. Ferner
ermöglichte Hardenberg durch ſeine judenfreundliche Geſetz⸗
gebung (1812), daß ſich dieſes artfremde Volk bei uns einniſtete.
Größeres Glück als Stein hatte Scharnhorſt beim Neuausbau des Wehr⸗
ſtandes. Am 9. Juli 1807 hatte Friedrich Wilhelm III. in Tilſit das Frie⸗
densdiktat unterſchrieben; am 25. Juli des gleichen Jahres ſetzte er eine
Militärreorganifations.- Kommiſſion ein und machte Scharn-
horſt, den er zum General beförderte, zu ihrem Führer. Nach der Schlacht
bei Jena hatte Gneiſenau in einer Denkſchrift auf die fihtbaren Mängel auf
allen Gebieten des Heerweſens aufmerkſam gemacht. „Selbſt ein Wunder
hätte uns bei Jena nicht retten können“, hatte Clauſewitz geurteilt. Die An⸗
klagen Scharnhorſts waren bekannt. Umbau von Grund auf war der
einzige Weg. |
Scharnhorſt, Gneiſenau und Boyen waren die Stürmer, drängten aus
heißem Herzen nach vorn. Boyen war Scharnhorſts Schüler und beendete
nach den Befreiungskriegen als preußiſcher Kriegsminiſter das Werk ſeines
Lehrers. Gneiſenaus Name war von der Verteidigung Kolbergs her bekannt.
In vorhergehenden Kämpfen war er oft rühmlichſt genannt worden. Ihm war
der Krieg Lebenselement. Seine Mutter hatte ihn auf einem Rückmarſch des
Neichsheeres im Siebenjährigen Krieg (1760) aus dem Wagen verloren, als
der Knabe eben geboren war. Am anderen Morgen brachte ihr ein Soldat
das Kind zurück; die Mutter ſtarb bald und der Knabe wuchs in dem Dorfe
Schilda als Gänſehirte und Bauernſohn ärmlich auf, bis ihn ſeine reichen
Großeltern nach Würzburg holten. Er wurde jeſuitiſch erzogen, wegen ſeiner
Odal Heft 7, Jahrg. 4, Bg. 3.
576 Alfred Thoß
Anſchauungen oft ein lutheriſcher Hund gefdolten und im Jahre 1777,
17 Jahre alt, Student der Philoſophie in Erfurt. Dann trieb es ihn zum
Soldatendienſt in Oſterreich. Er ſchied wegen einer Rauferei aus und fuhr
als Ansbach⸗Bayreuthſcher Soldat mit nach Amerika. Aber die Anabhängig⸗
keitskriege waren gerade vorüber, 1786 ſtand der Fahrende wieder in frän⸗
kiſchen Dienſten, bis er im ſelben Jahre und noch zur rechten Zeit dem preu⸗
ßiſchen König ſeinen Wunſch perſönlich vortrug, in ſeiner Armee dienen zu
dürfen. Das war Gneiſenau! Wie Scharnhorſt ein Wahlpreuße. Aber gerade
dieſe Wahlpreußen wurden bald die echten Preußen des
Sozialismus und der Tat. Beide im Volke groß geworden, beide durch ſicheren
Inſtinkt, Kenntniſſe und Reiſen überzeugt, daß es nicht mehr um Standes⸗
vorrechte, ſondern um das Volk ging. Dabei hatte der einzelne ganz zurückzu⸗
treten; er hatte nur zu opfern, zu leiſten. Scharnhorſt, Gneiſenau, Moltke,
Schlieffen und wie die großen deutſchen Soldaten alle hießen, ſie ſtellten ihre
Perſon hinter die Sache zurück; ihre Siege waren die des Königs, ihre Lei-
ſtungen waren die des deutſchen Soldaten; in ſelbſtloſer Hingabe opferten ſie
ſich dem Werk. Das hat den Ruhm des deutſchen Heeres, des deutſchen
Generalſtabes begründet. |
Scharnhorſt hat feiner Schöpfung den Stempel feiner Perſönlichkeit auf-
gedrückt. Er arbeitete im ſtillen, im kleinen. Arbeit, die für die Zukunft ſchafft,
kann nicht im nächſten Augenblick entſcheidende Erfolge aufweiſen, ſondern
erft nach Jahren, Jahrzehnten. Beſtehende Zuſtände müſſen umgebaut, Men-
{chen müſſen umgeformt werden. Wenige find Führer, Tauſende von Büro⸗
kraten verlangſamen das Tempo, Hunderte von Widerſachern untergraben
und verfälſchen das Werk. Am das Ziel wiſſen nur wenige von Freunden
und Gegnern, gebrauchen und mißbrauchen laſſen ſich viele. Solcher Kampf
der Gegenſätze, der von den Feinden Scharnhorfts oft mit den gemeinſten
Intrigen geführt wurde, ſetzte auch bald wieder in der Militärkommiſſion ein.
Aber das Bauernblut dieſes ſchöpferiſchen Menſchen war zäher, ſein Wille
war härter, als daß Verleumdungen ihn hätten ermüden laſſen. „Gegen dieſen
Geiſtesrieſen ſind wir doch alle Pygmäen“, ſagte Gneiſenau. Die Aber⸗
legenheit ward ſchließlich mit den Gegnern wie Bronikowſky und Lottum
und dem Franzoſenfreund Maſſenbach fertig, die der König bewußt der Kom⸗
miſſion zugeteilt hatte, um nicht den Reformern allein den Boden zu über-
laſſen. Lottum gehörte der Loge „Zu den drei Degen“ in Halle an; Maſſen⸗
bach war zuerſt Mitglied der Loge „Zu den drei Kronen“ in Königsberg,
ſpäter Stuhlmeiſter in der Loge „Zum preußiſchen Adler“ in Inſterburg und
Mitglied des Bundesdirektoriums der Großloge „Zu den drei Weltkugeln“.
Der König hatte das Aufgabengebiet der Reorganiſations-Kommiſſion in
19 Punkten zuſammengefaßt: Das Offizierskorps ſollte gereinigt, die Shul-
digen ſollten beſtraft werden, nichtadlige Offiziere den adligen gleichgeſtellt,
angeworbene Ausländer ausgeſchieden, das Strafweſen neu geregelt, die Regi-
menter neu geordnet werden. Eine Kommiſſion unterſuchte genau, welche
Schuld die einzelnen an den ſchmählichen Kapitulationen traf. Das Ver⸗
halten jedes einzelnen Offiziers wurde geprüft, hart und unerbittlich entließ
man die Feiglinge, eine hervorragende Säuberungsaktion. Im Jahre 1813
waren von den 143 Generälen, die 1806 mitgefochten hatten, nur noch 8 in
der Armee. Die meiſten — Clauſewitz ſagte: „eine ganze Schiffsladung von
Scharnhorst 577
invaliden Generälen“ — waren wegen ihrer geringen Tüchtigkeit entlaffen
worden, wenige aus Erſparnisgründen. — Die durch Verſailles aufgezwun⸗
gene Beſchränkung des deutſchen Generalſtabes in der Nachkriegszeit war pro⸗
zentual beinahe ebenſo groß, falls man das „Truppenamt des Heeres“ Ober,
haupt als Fortſetzung des alten Generalſtabes anſprechen darf. Arbeiteten z. B.
in einer Anterabteilung des Großen Generalſtabes, der Abteilung „Fremde
Heere“, von 1914 110 Generalſtabsoffiziere, ſo gehörten dieſer Abteilung nach
dem Kriege nur noch 10 „TFührerſtabsoffiziere“ an, wie man fie nach 1918
nannte. Das Verſailler Diktat ließ uns ja bekanntlich ein viel kleineres Heer,
als es der Tilſiter Frieden 1807 Preußen erlaubt hatte.
Schwieriger war ſchon die Zuſammenarbeit mit den Gegnern Scharnhorſts
in der Kommiſſion; aber die Reformpartei fette ſich durch. Zwei hervor⸗
ragende Männer, Grolman und Graf Götzen, konnte Scharnhorſt noch mit
zur Arbeit heranziehen. Kapitän von Clauſewitz wurde ſein Adjutant. Mit
dieſen Kerlen jagte er die Reaktionäre zum Teufel. „Männer von dreißig
Jahren, ausgezeichnet durch Kopf und Mut“, forderte er für ſeine Arbeit.
Seine ganze Reform hatte eine artgemäße Wiedergeburt im Auge, und ſein
engſter Führerſtab war eine nordraſſiſche Ausleſe. Zuerſt fiel das Adels-
privileg der Offiziere. Kenntniſſe und Bildung ſollten im Frieden, ausgezeich⸗
nete Tapferkeit im Kriege Richtmaß für die Offiziere werden. In der „Ver⸗
gleichung der ehemaligen Geſchäftsführung der militäriſchen Oberbehörden mit
der jetzigen“ ſchrieb er 1809: „Sollten blos adlige Kinder das Vorrecht haben,
als Offiziere in ihrer kraſſen Anwiſſenheit und zarten Kindheit angeſtellt zu
werden und Männer mit Kenntniſſen und Mut ihnen untergeordnet werden,
ohne je eine Ausſicht auf Beförderung zu haben, ſo wird den adligen Familien
geholfen, die Armee aber ſchlecht werden und nie die Achtung der Nation ſich
erwerben — und ein Geſpött der übrigen gebildeten Stämme bleiben.“ Ebenſo
wendete er ſich dagegen, daß obere Stellen nur dem Alter vorbehalten bleiben
ſollten. Jugend war für ihn noch eine Empfehlung mehr für ein Amt. Vor
allem wurde im Rahmen der Reform auch die Ernennung der Offiziere neu
geregelt. Für eine freie Offizierſtelle wählten fortan alle Premiers und
Sekondeleutnants die drei beſten unter den Bewerbern aus. Von ihnen wurde
nach einer wiſſenſchaftlichen Prüfung der befte von den Kapitänen und Stabs-
kapitänen zum Offizier ausgeſondert, und der Kommandeur und alle Stabs-
offiziere ſchlugen ihn dem König zum Offizier vor. Nur der König konnte den
jungen Offizier beſtätigen. Dieſe vorſichtige Methode der Ausleſe ſchuf das
leiſtungsfähige, tüchtige Offizierskorps, in dem nordiſch beſtimmte Menſchen
in überragendem Maße vorhanden waren, weil ſie auf Grund ihrer raſſiſchen
Zugehörigkeit die charakterlichen und leiſtungsmäßigen Vorausſetzungen am
meiſten erfüllten. Die bürgerliche Schicht trat damals in allen Dingen gleich⸗
geachtet neben den Adel, Bauernſöhne hatten bewieſen, daß ſie Ebenbürtiges
leiſteten. Was ſtand im Wege, tüchtigen Männern die Offizierslaufbahn zu
ſperren? Ein tapferer Kriegsmann mußte ſchon von guter Art und echter Rafie,
mußte edel und adlig ſein; wofür waren da noch beſondere Titel notwendig?
Das Offizierskorps folte dazu da fein, um die Charaktereigenſchaften nordiſch⸗
deutſcher Menſchen zum Ausdruck zu bringen: Ehrliebe, Tapferkeit, Stolz,
Edelmut, Führertum. Daher durften nur raſſetüchtige Männer eintreten, aus
welcher Schicht ſie auch immer kommen mochten. Viele Offiziere der damaligen
3
578 Alfred Thoß
Armee waren ſchon bürgerlich, aber gewiſſe Amter waren ihnen bisher nod
verſchloſſen geweſen. Entweder mußte das Preußentum erftarren — das war
der Fall, wenn weiterhin unmögliche Standesunterſchiede aufrechterhalten
wurden — oder es wurde weiterhin den Tüchtigſten zum Ideal, weil es Ehre,
Tapferkeit und Leiſtung bedeutete. Sollte das der Fall ſein, dann mußte eine
neue Volksgemeinſchaft der Tat, des Sozialismus, der Kameradſchaft geprägt
werden. Die Reformer ſchrieben Preußen auf ihre Fahnen, wenn ſie aus ver⸗
ſchiedenen Gegenden Deutſchlands kamen. Scharnhorſt, Gneiſenau, Stein
wollten hier einen Staat formen, ein Beiſpiel geben, wie man eine Nation
aus bisher getrennten Ständen ſchmiede, ſo wie unſer Führer aus den ver⸗
ſchiedenen Klaſſen die deutſche Nation ſchafft. Ihr Staat ſollte damals wie
heute Ausdruck des nordiſch⸗deutſchen Menſchen fein: ſtolz, ſelbſtbewußt, webr-
haft, nüchtern, ſozialiſtiſch. Nur Diſziplin, keine Hierarchie und keine Dog⸗
matik, ſollte das dynamiſche, volkhafte Wachſen lenken. Jeder freie Preuße
ſollte wehrpflichtig ſein. Die Idee des Vaterlandes galt über alles, Soldatſein
mußte die ehrenvollſte Beſchäftigung werden. Wie damals, ſo haben ſich auch
{pater immer wieder die beſten Deutſchen dafür begeiſtert. So ſchrieb z. B. der
Vater des großen Generalſtabschefs von Schlieffen, Major a. D. Graf
Magnus von Schlieffen, im Jahre 1854 an ſeinen Sohn: „Es iſt die ganz
beſondere Standesehre des Soldatenſtandes, daß jeder einzelne unter jeder
ſpezifiſchen Art von Vorgeſetzten mit gleicher Hingebung und mit gleichem
Eifer, wenn auch mit mehr oder minderer Selbſtverleugnung gedient, über die
vergängliche, einzelne Perſönlichkeit nie die große Sache ſelbſt aus den Augen
verliert.“ Bisher hatten ſich vor allem die Bürger dagegen gewehrt, ihre
Söhne, „hübſcher Leute Kind“, wie es hieß, dienen zu laſſen.
Da die geldlichen Mittel für ein großes ſtehendes Heer nicht ausreichten
und der Friedensvertrag es nicht erlaubte, wollte Scharnhorſt neben dem
ſtehenden Heer eine Miliz einrichten. In ihr dienten mehr die politiſchen
Soldaten: wir denken an unſere SS. und SA. Sie ſollten nicht in der
ſtehenden Armee ausgebildet werden, denn ihr Geiſt müßte ein anderer als
der des Heeres fein. Die ihr angehörten, ſollten in der Infanterie oder Raval-
lerie dienen, und zwar jährlich zunächſt acht, ſpäter vier Wochen. In Miliz und
Heer, die im Kriegsfall ſich unterſtützen mußten, hatten alle Männer zwiſchen
dem neunzehnten und einunddreißigſten Lebensjahre zu dienen. Gneiſenau
unterſtützte Scharnhorſt in dieſen Plänen völlig, ebenſo Stein, der als einziger
Ziviliſt der Kommiſſion angehörte. Er wollte ja die Bauern frei machen, damit
ſie wie alle anderen Volksgenoſſen Soldat ſein konnten; nur ſo war die Schaf⸗
fung des Volksheeres möglich, nur ſo konnte man dem Volk aber auch ſein
Selbſtvertrauen zurückgeben. „Man muß der Nation das Gefühl der
Selbſtändigkeit einflößen, man muß ihr Gelegenheit geben,
daß ſie mit ſich ſelbſt bekannt wird, daß ſie ſich ihrer ſelbſt annimmt;
nur erſt dann wird ſie ſich ſelbſt achten und von anderen Achtung zu erzwingen
wiſſen“, ſo ſchrieb Scharnhorſt im November 1807 an Clauſewitz. Auch von
ſeinen Gegnern hören wir; ſie möchten ihn gerne beſeitigen, aber er wich nicht
vom Platz: „Gefühle der Liebe und Dankbarkeit gegen den König, eine unbe⸗
ſchreibliche Anhänglichkeit an das Schickſal des Staates und der Nation und
Abneigung gegen die ewige Amformung von Verhältniſſen“ hielten ihn immer
an der Seite des Königs. Seine Kommiſſion hatte alle Hände voll zu tun. Es
Scharnhorst 579
waren die entehrenden Strafen abzuſchaffen. Gneiſenau ſchrieb einen auffehen-
erregenden Artikel „Aber die Freiheit der Rüden“. Die gemiſchten Diviſionen
mußten endlich klar ausgebaut werden. Stein forderte, daß ein Kriegs-
miniſterium eingerichtet würde; am 1. März ſetzte Scharnhorſt dieſes
Miniſterium durch. Es zerfiel in das allgemeine Kriegsdepartement, die
Heeresleitung und in das Militär⸗Okonomie⸗ Departement, die Verwaltung.
Das erſte gliederte fih in drei Abteilungen, die von Grolman, Boyen und
Gneiſenau beſetzt wurden, ein Sieg Scharnhorſts. Er ſelbſt wurde wieder in
den Hintergrund gedrängt, wurde nicht Kriegsminiſter, ſondern Chef des
Militärdepartements, während ſein großer Gegner, Oberſtleutnant von Lot⸗
tum, Chef des Okonomie⸗ Departements wurde.
Es waren wieder für Scharnhorſt Kampfjahre geweſen nach dem Tilfiter
Frieden. Wie hatten ſich die Gegner gegen die Heeresreformen geſträubt, nur
Schritt für Schritt war man vorgedrungen; fünfmal hatte Scharnhorſt den
König darum gebeten, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Er ließ ſich
nicht ſo leicht einſchüchtern: Hörte man nicht gleich auf ihn, ſo kam er ein
zweites-, ein drittesmal, mürriſche Mienen und Worte nahm er hin, wenn es
ihm um die Sache ging. Gneiſenau war anders: er fluchte und ſchlug die Tür
hinter ſich zu, gab ſein Entlaſſungsgeſuch ein, und erſt als Stein Miniſter
geworden war und erreichte, daß der König nicht mehr einen Gegner Scharn-
horſts, ſondern dieſen ſelbſt zum Vortrag kommen ließ, erft da blieb Gnei⸗
ſenau. Scharnhorſt jubelte über Stein: Endlich einer, der ſich „benimmt als
Mann, ohne auf irgend etwas in der Welt Rüdficht zu nehmen“, ſchrieb er
an Blücher, den er ſeinen Anführer nannte, weil nur mit ihm Entſchloſſenheit
und Glück wären.
Bald mehrten ſich wieder die Angriffe gegen Scharnhorſt; er ſchrieb darüber
an Stein, Schill, Graf Götzen, Profeſſor Stützer und andere. Wir ſehen, mit
allen guten Patrioten war er im Bund wie in einer geheimen Verſchwörung.
von vaterlandstreuen Männern, nur die Volksverräter haßten ihn. Durch
Intrigen und Niederträchtigkeit wollten ſie ihn ſtürzen, bis er von ſich aus im
November 1808 den König bat, ihn von ſeinem Dienſt zu entheben. Er wollte
` 1 anderes annehmen und ſich weiterhin bereithalten. Beim König ſuchten
alle diejenigen Anſchluß, denen das Syſtem lieber war als das Vaterland.
Diesmal ließ er ſich von ihnen nicht bereden und behielt ſeinen getreueſten
Helfer.
Der neue Krieg zwiſchen Frankreich und Oſterreich hing in der Luft, in
Spanien waren Unruhen. Deshalb ſchickte Friedrich Wilhelm feinen Bruder
nach Paris, um Erleichterungen zu erbitten, erreichte aber nichts. Der Kaiſer
zog Beſatzungstruppen aus Preußen zurück, weil er ſie in Spanien brauchte.
Dafür legte er dem Lande aber größere finanzielle Laſten auf. So war eine
Aufrüſtung menſchlichem Ermeſſen nach unmöglich. Die Miliz konnte neben
dem kleinen Heer nicht weiter ausgebaut werden, nur das ſchon ſeit dem Jahre
1807 von Scharnhorſt eingerichtete Krümperſyſtem wurde weiterhin ge-
pflegt. Es beſtand darin, daß von den Infanterie. und Fußartillerie⸗Kom⸗
panien drei bis fünf Mann oder mehr beurlaubt wurden, und für dieſe aber
Leute aus der Provinz für einen Monat und nach deren Entlaſſung wieder
andere für einen Monat eingeſtellt wurden. So ſehr dieſe Ausbildung auch
belächelt wurde, ſie hat viele wertvolle Kämpfer herangebildet und, was noch
580 Alfred Thoß
mehr war: fie gab den Männern Zuverſicht und Kampfgeiſt mit, fie bereitete
auf den Volkskrieg vor und lehrte die Männer, daß es auf jeden einzelnen
e Davon hatte Fichte im Winter 1807/08 vom Katheder herunter
geſprochen.
Alle Männer, die vorher kalt und allein verſtandesmäßig gearbeitet hatten,
fie wandten fih jetzt mit den leidenſchaftlichſten Worten an das Volk, wohl
wiſſend, was Begeiſterung und Fanatismus vermochten. „Wen dieſe Gegen⸗
wart nicht aufregt, der hat ficher alles Gefühl verloren! Saget nicht, laßt uns
noch ein wenig ruhen, noch ein wenig ſchlafen, träumen, bis etwa die Bef-
ſerung von ſelbſt kommt. Sie wird niemals von ſelbſt kommen. Wer, nachdem
er einmal das Geſtern verſäumt hat, das noch bequemer geweſen wäre zur
Beſinnung, ſelbſt heute noch nicht wollen kann, der wird es morgen noch
weniger können. — Es hängt von Euch ab, ob Ihr das Ende ſein wollt! —
Jeder Einzelne wirke, als ob er allein ſei und als ob lediglich auf ihm das
Heil des künftigen Geſchlechtes beruhe!“ Auf ſolche Weiſe rief Fichte in
Gegenwart der Grangofen auf zur Selbſtbeſinnung; Heinrich von Kleiſt ſchürte
in ſeinen Dramen den Haß, desgleichen Arndt in ſeinen Dichtungen. Welch
glücklicher König! Er hatte alles: ein zur Begeiſterung erwecktes Volk, einen
außerordentlich fähigen Bauernführer, Stein, einen begabten Kriegsminiſter,
Scharnhorſt, einen hervorragenden Kultusminiſter, Humboldt, einen tüchtigen
Propagandaminiſter, Ernſt Moritz Arndt, der das erfüllt hätte, was Novalis
gefordert hatte: „Der Staat wird zu wenig bei uns verkündet. Es ſollte
Staatsverkünder, Prediger des Patriotismus geben!“ Nicht alle Zeiten ſchen⸗
ken Männer in ſo reichem Maße. Es iſt ein Wink des Schickſals, wenn es
gerade ſo zutrifft. Millionen Menſchen gingen mit heißem Blick, mit geballten
Gauften, ihre Lippen formten die Worte, die erft das nationalſozialiſtiſche
Deutſchland ausſprach: Führer befiehl, wir folgen! Anglückliche Zeit, die
keinen Führer hat!
Scharnhorſt ſchrieb am 2. April 1809 an den Prinzen Auguſt von Preußen:
„Man überläßt das Schiff den Wellen .., einer gab den Rat, fih auf Gott
zu verlaſſen. — Die Anſichten ſind verſchieden.“ Welcher Schmerz, welch
bittere Entſagung liegen in dieſen Worten. Trotz allem, er verließ ſeinen König
aus innerem Pflichtgefühl nicht und lehnte deshalb einen Antrag ab, in
engliſche Kriegsdienſte zu treten. Er tat, was in ſeinen Kräften ſtand, um
wenigſtens die wiſſenſchaftliche Ausbildung der Offiziere vorwärtszutreiben.
In Berlin entſtand am 15. Oktober 1810 neu die Kriegsſchule für Offiziere,
die ſpätere Akademie, außerdem ſorgten noch drei Schulen für die Ausbildung
der Fähnriche. Es wurde eine Zentralſtelle für das Militärbildungsweſen
begründet, deſſen Vorſteher jedoch Scharnhorſt trotz ſeiner Bemühungen nicht
wurde. Wenn Amter verteilt wurden, dann waren immer raſch andere da.
Es blieb ihm wenigſtens die Inſpektion der Kriegsſchulen. Dabei bildete er
ſich in der Offiziersſchule eine Art Generalſtab heran. Die
Ausbildung der Offiziere war einer ſtändigen Kontrolle unterworfen; ähnlich
wie Moltke und Schlieffen wachte er über ihre theoretiſchen und taktiſch⸗
operativen Kenntniſſe.
Der Gründer des Generalſtabs
Wie Scharnhorſt den Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht immer wieder
vorbrachte und erſt ſein Nachfolger dieſen durchſetzte, ſo hatte er auch den Plan
Scharnhorst 581
des Generalſtabes 1806 und 1808 dringlich zur Ausführung empfohlen, ohne
genügend gehört zu werden. Immerhin gab er ſchon gleich im Jahre 1810 einer
kleinen Abteilung der erwähnten Akademie den Namen „Generalſtab“; dieſem
gab er ſelbſt Anterricht. Bald unterſchied er drei Stufen im Generalſtab: 1. die
oberſte Abteilung in der Akademie; 2. die Abteilung beim Kriegsminiſterium;
3. den Generalſtabsoffizier bei den Diviſionen. Dieſe Gliederung wurde auch
von den Vollendern des Generalſtabes Moltke und Schlieffen beibehalten.
Der Wechſel zwiſchen Stabsdienſt und Frontdienſt bewahrte die befte Uus-
leſeſchicht des Heeres vor Erſtarrung.
Aber das Verhältnis des Generalſtabs zur Truppenführung hat ſich Scharn⸗
horſt im einzelnen noch nicht geäußert. Die Generalſtabsoffiziere ſollten die
Heerführer verantwortlich beraten, ſollten die weiteren Pläne im Auge behal⸗
ten, während die Truppführer immer für den augenblicklichen Einſatz bereit
fein mußten. Scharnhorſt arbeitete überall fo weit vor, daß die Früchte reifen
konnten. Er beſchaffte aus dem Nichts Waffen, baute mit geringſten Mitteln
die Feſtungen auf, erneuerte das Ingenieurkorps.
Sein Ausſcheiden aus dem Dienſt.
Der neu erſtandene Krieg 1809 traf ihn noch inmitten der Vorbereitungen.
Trotzdem riet er, die hilfeſuchende Hand Oſterreichs nicht abſchlägig zurückzu⸗
weiſen. Seine Freunde verſuchten den König mit fortzureißen. Zwei Offiziere,
Dörnburg und Schill, hielten dies Warten nicht länger aus und ſtürmten los.
Man glaubte, daß Scharnhorſt mit ihnen im Bunde wäre, hinterbrachte dem
König, man wolle ihn vom Thron ſtürzen und verleumdete Scharnhorſt, wo
es ging. Der König wurde erſt zornig, vertraute dann aber doch ſeinem ver⸗
dienten General und hielt zu ihm. Da Preußen in dieſen wichtigen Tagen doch
nicht zu den Waffen griff, ging Grolman ins öſterreichiſche Heer, Gneiſenau
warb in England für Preußen. Der anfängliche Sieg Ofterreichs bei Aſpern hatte
durch die Niederlage bei Wagram wieder allen Glauben genommen. Nur
Scharnhorſt verzweifelte nicht. Feſt und ruhig ſtand in ſeinem Innern geſchrie⸗
ben, daß Preußen noch einmal über Frankreich ſiegen werde; dieſen Glauben
konnte ihm niemand zuſchanden machen, wenn er auch zunächſt feinen Sturz ber,
beiführte. Schon im März 1809 hatte Gneiſenau aus Königsberg geſchrieben:
„Gegen den edlen General Scharnhorſt treten heimlich Denunzianten auf, und
er wird mißhandelt.“ Am 18. und 19. März bat Scharnhorſt den König er⸗
neut um Dienſtenthebung und ſchrieb ihm, daß „das Mißfallen Napoleons
oder vielmehr die Verfolgungsſucht der franzöſiſch geſinnten Preußen“ ſeine
fernere Arbeit unmöglich machten. Am 7. Juni desſelben Jahres erfuhr man
dann aus Zeitungen, daß der König den Generalmajor von Scharnhorſt die
„wegen ſeiner geſchwächten Geſundheit ſchon längſt erbetene Entlaſſung von
dem Poſten als Chef des allgemeinen Kriegsdepartements gnädigſt bewilligt“.
Lange vor ihm ſchon hatte Stein gehen müſſen. Scharnhorſt blieb wenigſtens
Chef des Generalſtabes, Chef des Ingenieurkorps und Inſpekteur der Feſtun⸗
gen. Durch geheime Königliche Order war ſein Nachfolger, Oberſt von Hake,
auch verpflichtet, die wichtigſten Angelegenheiten Scharnhorſt mitzuteilen; daß
dies nicht ausreichend geſchah und daß ſich beide Männer bald entzweiten, war
ja leicht vorauszuſehen. Ahnlich wie Hardenberg ein Verräter am Werke
582 Alfred ThoB
Steins, fo wurde es Hake am Werke Scharnhorſts. Bald wurde die preußiſche
Armee nicht verſtärkt, ſondern ſogar auf 22 000 Mann herabgeſetzt. Erft im
Jahre 1811 ſetzte Scharnhorſt durch, daß nun wenigſtens die Anzahl der Krüm⸗
per vermehrt wurde. Im Jahre 1811 war Hardenberg dabei, einen Bündnis⸗
vertrag mit Frankreich zu ſchließen, zum Leidweſen aller Patrioten. Es kam
ſchließlich nicht dazu, ſondern zu einer Annäherung an Rußland. Trotz der
Verleumdungen durch Kalckreuth beauftragte der König im September 1811
Scharnhorſt mit einer Sendung an den Zaren, bei dem Stein ſchon mächtig
gegen den Korſen arbeitete. Hardenberg wollte ſchon einen Vertrag mit Ruß⸗
land eingehen, als der König plötzlich wieder zu Napoleon abſchwenkte.
Scharnhorſt reiſte nun nach Wien, um Ofterreichs Freundſchaft zu gewinnen
und auf dieſe Weiſe Friedrich Wilhelm III. Napoleon zu verleiden. Aber
Metternich traute dem preußiſchen General nicht; er hielt ihn für ein Mitglied
des damals wegen revolutionärer Amtriebe verdächtigen Tugendbundes. So
wurde am 24. Februar 1812 das preußiſch⸗franzöſiſche Bündnis unterzeichnet.
Scharnhorſt ſchrieb: „Napoleons Macht iſt nicht ſo groß mehr.“ Er war alſo
mo verzweifelt und glaubte, daß der Feind doch niedergerungen werden
önnte.
Zwei Tage, ehe die verbündeten Franzoſen in Berlin einzogen, reiſte
Scharnhorſt Ende März 1812 ab. An feine Freunde Gneiſenau und Boyen
ſchrieb er in dieſen Tagen, daß Gefühle und Geiſt der höheren Stände eher
den Sklaven als den freien, hoch geborenen Deutſchen bezeichneten, weil ſie
ſich Napoleon willig unterwarfen. Immer wieder wurden die Patrioten vom
Grafen von Kalckreuth und anderen verdächtigt und beim König angeklagt.
Wie gerne hätten dieſe Barone die beſten Preußen unſchädlich gemacht! „Ich
glaube, ſo recht glücklich kann man auch in beſſeren Zeiten nicht ſein!“ ſchrieb
Scharnhorſt an Major Thiele am 2. Juli 1812.
In Schleſien ſuchte er die verſchiedenen Feſtungen auf, gab Ratſchläge,
ordnete neu an, ohne daß fein Dienſtverhältnis genau geregelt war. In Breg-
lau trafen ſich die Franzoſenfeinde: Scharnhorſt, Boyen, Blücher, Prinz
Auguſt; Gneiſenau war ſchon wieder abgereiſt. Dort lebte auch Ernſt Moritz
Arndt, der über Scharnhorſt folgendermaßen urteilte: „Er hielt das Viſier
ſeines Antlitzes gewöhnlich geſchloſſen, gleich einem Manne, der nicht Ideen
in ſich aufjagt, ſondern über Ideen ausruht. Schlichteſte Wahrheit in Einfalt,
geradeſte Kühnheit in beſonnener Klarheit, das war Scharnhorſt; er gehörte
zu den Wenigen, die glauben, daß man vor den Gefahren von Wahrheit und
Recht auch keinen Strohhalm breit zurückweichen ſoll“, im übrigen fühlte ſich
Arndt ſehr wohl in dieſer Amgebung: „Es iſt kein freieres Leben möglich als
mit tüchtigen Soldaten!“
Napoleon zog gegen Rußland. In die preußiſchen Feſtungen kam „verbün⸗
dete“ franzöſiſche Beſatzung: 20 000 preußiſche Soldaten und 60 Geſchütze
mußten den Eroberer in Rußland unterſtützen. Scharnhorſt erreichte wenig-
ſtens, daß Mork das Kommando erhielt. Gneiſenau fluchte. „Mit Feigheit
haben wir einen Anterwerfungsvertrag unterzeichnet, der uns mit Schande be⸗
ſudelt, Blut und Vermögen des Volkes fremder Willkür preisgibt.“
Scharnhorſt hatte dem Zaren geraten, ſich nicht ſo leicht auf eine Schlacht
einzulaſſen, ſondern den rieſigen Raum des ruſſiſchen Reiches zum Verbünde⸗
ten zu nehmen. Dieſe Taktik führte denn auch zum Untergang des napoleoni-
Scharnhorst 583
{chen Heeres. Mitte Dezember 1812 hörte man, daß Napoleon ohne Heer durch
Schleſien nach Frankreich zurückgefahren ſei.
Jetzt hielt Scharnhorſt die Zeit für gekommen; von neuem begann ſeine viel⸗
ſeitige Tätigkeit, ſeine hinreißende Angriffsluft: Am 18., am 29. Dezember,
immer wieder beſchwor er Hardenberg, ſprach von der Begeiſterung in Preu-
ßen, rechnete den Verluſt der franzöfifchen Armee und die Stärke der Ruffen
und Preußen vor: „Vom Frieden ſpricht man in Rußland nicht, aber auch nicht
von auswärtigen Eroberungen. Man denkt nur an die Vernichtung der Fran⸗
zoſen!“ Am 30. Dezember 1812 ſchloß York ohne Wiſſen des preußiſchen Kö⸗
nigs die Konvention von Tauroggen ab. Ein Diſziplinvergehen rettete in ſol⸗
cher Not die preußiſche Armee, führte Rußland und Preußen zuſammen.
Der Volksführer
Scharnhorſt forderte Rüſtung, Rüftung und Krieg. Er bat Hardenberg, den
König zu beſtimmen, Berlin zu verlaſſen, dem Zugriff franzöſiſcher Soldaten
zu entrinnen und ſich die „preußiſchen“ Franzoſen fernzuhalten. Stein ſchürte
in Oftpreußen das Feuer. Am 28. Januar 1813 wurde Scharnhorſt durch Ka⸗
binettsorder endlich wieder maßgebend im Kriegsdepartement. Im Februar,
März wuchs er durch Leiſtung und Schöpferkraft faſt über Menſchengröße hin-
aus. Am 25. Januar war der König endlich nach Breslau gekommen. Drei
Tage ſpäter trug er einer Kommiſſion die Vermehrung des Heeres auf. Die
Schlaffheit war zu Ende. Jetzt mußte gearbeitet werden; es galt, in kurzer Zeit
und mit wenigen Mitteln zu ſchaffen, was die letzten Jahre hätten vorbereiten
müſſen. Noch wollte der König aber keinen Krieg, wartete auf Oſterreich. Ob-
wohl am 12. Februar die ſämtlichen Feldtruppen mobil gemacht wurden, ließ
man die Reſte des franzöſiſchen Heeres doch unbehelligt durch Deutſchland
zurückziehen. Aber die Volkserregung, der Drang des Heeres, ließen ſich nicht
mehr zurückhalten. Scharnhorſt war der vom Volk erkannte Führer. Alle
großen Männer der Zeit wandten ſich fragend an ihn. Stein, Arndt, Hum⸗
boldt, Schleiermacher, alle hervorragenden Offiziere baten ihn, den Kampf zu
beginnen; die Volksbewegung ſchwoll an, wurde zum Orkan: Wenn d der
König länger zaudert, ſo ſehe ich die Revolution als unausbleiblich an“, ſo
ſchrieb der engliſche Agent Ompteda aus Breslau. „Die Geiſter ſind in einer
Gärung, die ſchwer zu beſchreiben iſt. General Scharnhorft übt unbegrenzten
Einfluß... Der Kanzler wird vom Strom fortgeriſſen“, berichtete der öſter⸗
reichiſche Geſandte nach Wien. Ende Februar ſchloß Preußen mit Rußland
ein Bündnis, am 16. März brach man mit Frankreich. Am 17. März erließ
der König den Aufruf an ſein Volk. War es ſein Volk, war der König
Führer? Nein! Die Preußen verehrten ihren Scharnhorſt, hörten auf ihn,
folgten ihm. Die nordiſchen, echten Menſchen folgten dem Mann, der ſie zum
Aufbruch gegen fremde Anterdrückung gerufen hatte. Der General trat aber
nur, ſoweit es nötig war, in den Vordergrund, die preußiſchen Soldaten dien⸗
ten immer nur ihrem König, ihre Perſon war ihnen gleichgültig. Scharnhorſt
ſchrieb am 6. März 1814 an ſeine Tochter, die ſeine einzige Vertraute gewor⸗
den war: „Ich habe mit unbeſchreiblichen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt.
Ich habe auf mich nicht Rückſicht genommen, ich habe in reinem Sinne
allein fürs Vaterland gehandelt und werde es auch, ſolange
584 Alfred Thoß
ich lebe, tun.“ Dieſe einfältige, anſpruchsloſe Größe, wie Treitſchke fie
nennt, hat ihm die Herzen gewonnen. Scharnhorſt hatte alle Hände voll mit
der Rüſtung zu tun. Anfang Februar waren die Beſtimmungen über freiwil⸗
lige Jägerabteilungen erſchienen. Kein junger Mann, welcher das 17. Lebens-
jahr erreicht und das 24. noch nicht überſchritten hatte, konnte danach ſpäter
zu einem Amt oder einer Auszeichnung gelangen, wenn er nicht ein Jahr bei
einer aktiven Truppe oder in einem Sn gedient hatte. Diſziplin und
Kriegszucht ſollten alle lernen. Bis zum 30. Mai hatten ſich 8500 Mann der
beſten Jugend in dieſen Jägerkorps zuſammengefunden. Am 9. Februar hob
Scharnhorſt die Kantonpflicht auf, die alle Gebildeten, Induſtriellen, Rauf-
leute, Beamte, Handwerker und wohlhabenden Bauern vom Kriegsdienſte be⸗
freite und nur die arme Bevölkerung dazu gezwungen hatte. Wie oft hatte
Scharnhorſt ſchon früher dieſen Schritte tun und die allgemeine Wehrpflicht
erklären wollen.
Die allgemeine Mobilmachung ſchritt indeſſen rüſtig vorwärts. Die nach
dem Krümperſyſtem ausgebildeten Soldaten füllten das 42 000 Mann ſtarke
Heer bald auf 60 000 und bis zum 15. März auf 127 000 Mann auf. Zwei
Tage ſpäter wurde die Landwehr einberufen, und zwar ſollten auf dieſe
Weiſe 120000 Mann unter Waffen geſtellt werden. Es konnten ſich alle
Männer zwiſchen 17 und 40 Jahren dazu melden. Alle diefe Soldaten auszu⸗
rüſten, war ſehr ſchwer für den verarmten Staat. Die geniale Erfindungsgabe
und Schöpferkraft Scharnhorſts überwand jedoch alle Schwierigkeiten. Bei den
erſten Gefechten des entſtehenden Krieges halfen die treuen Bauern den fämp-
fenden Soldaten, wo ſie konnten, ſchloſſen ſich den Truppen als Kämpfer⸗
ſcharen direkt an. Der Bauer wollte nicht untätig ſein, während andere ſich für
das Vaterland, für ſeinen heiligen Boden, einſetzten. So kam es, daß durch
ſeine Tatbereitſchaft über die Landwehr hinaus ſogar Landſtür me gebildet
wurden. Kneſebeck hatte eine Verordnung über diefe Heeresteile bereits aus-
gearbeitet; Scharnhorſt und Gneiſenau forderten jetzt von Hardenberg, daß er
dieſe Landſturmordnung zum Geſetz erhebe. In ihrem Schreiben heißt es: „Ein
Krieg wie der gegenwärtige iſt nicht ein gewöhnlicher Krieg. Nicht etwa um
eine Provinz wird gekämpft, ſondern für die Sicherheit des Thrones, für die
Anabhängigkeit der Nation, für die heiligſten Güter des Lebens, für die Be⸗
freiung von einem ſcheußlichen Joch.“ Dazu ſind „nicht allein das ſtehende
Heer, ſondern auch die phyſiſchen Kräfte der geſamten Nation erforderlich“.
Mit flammenden Worten trugen Fichte, Theodor Körner und viele andere
das Feuer der Begeiſterung. Der Niederſachſe Scharnhorſt war der neu⸗
erſtandene Armin und Widukind der Deutſchen, der den Fremdgeiſt hinaus-
trieb, der alle gut gearteten Preußen mit fortriß!
An den ſächſiſchen General Freiherrn von Thielmann ſchrieb er Ende März,
daß Preußen mit allen Deutſchen, die ihres Vaterlandes wert ſeien, gemein⸗
ſchaftliche Sache machen müſſe. Ahnlich hatte er ſchon früher in den „Militäri⸗
ſchen Schriften“ ſich geäußert (Band 3, S. 84: „Das Schickſal der deutſchen
Staaten ſei, daß ſie vereint auf dem Kriegsſchauplatz erſcheinen müßten, wenn
ſie Widerſtand leiſten wollten.“
Er mußte mit den Ruſſen über den Oberbefehl der Armeen verhandeln.
Zwei ruſſiſche Generäle, Kutoſoff und Wittgenſtein, befahlen die Haupt-
armee, und ein Armeekorps, das dritte, erhielt nicht Scharnhorſt, ſondern
Scharnhorst 585
Blücher, wahrſcheinlich, weil er Hochgradfreimaurer war. In den Jahren 1802
bis 1806 war er Meiſter vom Stuhl der Loge „Zu den drei Balken“ in Mün-
fter geweſen. Scharnhorft gehörte zwar auch einer Loge an, ſeit 1779 der Loge
„Zum goldenen Zirkel“ in Göttingen und feit 1801 der Loge „Zum goldenen
Schiff in Berlin. Er kümmerte fih aber nicht um die Geheimniſſe der Mau-
rerei und brachte es auch nur bis zum Johannisgeſellen. Er ſchätzte Blücher
wohl als tapferen Draufgänger, hielt aber nicht viel von ſeinen Führereigen⸗
ſchaften. Die Freimaurer duldeten aber nicht, daß ein echt deutſcher Mann die
Führung des Krieges übernahm, ſondern ſchalteten einen der Ihren ein. Scharn-
borft, der eigentliche Schöpfer, mußte ſich alſo wieder mit einem zweiten Platz
begnügen. Trotzdem war er froh, daß es endlich voran ging; er war voll und
ganz der Aberzeugung, daß diesmal Preußen und Deutſchland frei und felb-
ſtändig werden würden!
Der Krieg nahm feinen Lauf, die Ratfchläge ns zum mutigen
Angriff wurden nicht beachtet, ſeine große Zeit war vorbei. Die Herren mit
dem galanten Auftreten ſchwammen wieder auf der Oberfläche. Als es am
2. Mai bei Großgörſchen zur Schlacht kam, ſpielte er eine ganz unbedeutende
Rolle, jo daß feine Stellung ſogar den Offizieren wie eine Degradation er-
ſchien. Anders nicht, als „mit dem Säbel in der Fauſt“, wie Clauſewitz ſchrieb,
konnten beide kämpfen. And man ſah nun Scharnhorſt wieder wie 1794 und
1806 in vorderſter Linie. Ein Pferd wurde ihm erſchoſſen, ein zweites ver⸗
wundet, ſein Tſchako von einer Kugel durchbohrt und er ſelbſt zuletzt am Bein
verwundet; die Schlacht verlief unentſchieden, trotzdem ging das preußiſch⸗
ruſſiſche Heer zurück, die Soldaten nur ungern, weil ſie ſich als Sieger fühlten.
Wie prächtig batten fie fih geſchlagen! In 5 1 Schlacht trieb der
Ruhm preußiſcher Tapferkeit junges, friſches Laub, fo ſchrieb ſpäter Clauſe⸗
witz. Vielleicht hätte ſich das Kriegsglück ſchon jetzt den Verbündeten zuge⸗
neigt, wären die Ratſchläge Scharnhorſts eingehalten worden. Die oberſte
Führung war wieder nicht gut, ſchrieb Scharnhorſt an ſeine Tochter.
Die einzige Freude bereiteten ihm ſeine jungen Offiziere, die Soldaten, und
ſeine beiden Söhne, die ſich tapfer geſchlagen hatten; er nannte ſich einen ſehr
glücklichen Vater. Aber er war ein ſehr unglücklicher General. Vor Angeduld
zehrte er ſich auf. „Ich will nichts von der ganzen Welt; was mir wert iſt, gibt
fie mir ohnehin nicht... Könnte ich das Ganze kommandieren, fo wäre mir
daran viel gelegen. Alte ſieben Orden und mein Leben gäbe ich
für das Kommando eines Tages!“ (Am 21. Mai an ſeine Tochter.)
Dieſer höchſte Wunſch wurde nicht erfüllt. Ein Leben lang quälte er ſich für
die Armee, für Preußen, für den König, aber dieſer in Freimaurerbanden ver⸗
ſtrickte Schwächling ließ ſich von den Dunkelmännern und Deutſchenfeinden
beſtimmen, Scharnhorſt immer wieder zurückzudrängen. Trotz fo großer Miß⸗
achtung ruhte er aber nicht, ſchonte er ſich nicht, achtete ſeine Verwun⸗
dung wenig. „Du biſt nichts, Dein Volk iſt alles!“ war ſein
Leitſpruch. Napoleon durfte nicht wieder ſiegen! Oſterreich mußte für die
Koalition gewonnen werden. Scharnhorſt übernahm ſelbſt dieſe Aufgabe. Er
machte fih auf den Weg nach Bſterreich, mußte unterwegs mehrfach halt-
machen, weil das Wundfieber ihn niederwarf. Der eingetretene Waffenſtill⸗
en ſpornte feine Kräfte nod mehr an, Oſterreich endlich für den Krieg zu
eſtimmen.
586 Alfred Thoß
An Kneſebeck ſchrieb er zehn Tage vor feinem Tode wenige Zeilen, die man
ſein militäriſches Teſtament genannt hat. Es hieß darin, man ſollte ſich mehr
nach der gegenſeitigen Lage der Armeen richten, weniger Wert auf die ſtrate⸗
giſche als vielmehr auf die taktiſche Aufſtellung legen. Er hoffte zwar immer
auf Geneſung, aber die Wunde verſchlimmerte fich, weil er fic) die Rube ver-
ſagte. An den Major von Müffling ſchrieb er am 7. Juni: „Wenn mir jetzt
und hier der Tod beſchieden ſein ſollte, ſo ſcheide ich ſchwer, denn ich habe nur
den Antergang der edelſten Sache vor Augen und weiß doch, daß ſie endlich
ſiegreich hervorgehen muß. Das möchte ich gern erleben, das wäre mein ſchön⸗
ſter Lohn.“ Dieſe Freude war ihm nicht vergönnt. Am 28. Juni 1813 ſtarb er
in Prag an ſeiner Verwundung.
Das Arteil der Freunde
Die Freunde trauerten um dieſen ehrenhaften, tapferen Kämpfer. Grolman
ſtand an ſeinem Sterbebett, Gneiſenau, ſein Nachfolger als Generalſtabschef
Blüchers brauſte auf, als die Heuchler und Bürokraten in einem Nachruf
ſchreiben wollten, daß Scharnhorſts Verdienſte allgemein anerkannt worden
ſeien; voll Erbitterung über die ſtete Zurückſetzung des Kameraden, vor deſſen
geiſtiger Größe er ſich beugte, ließ er ſchreiben: „So groß die allgemeine Liebe
und Achtung war, ſo haben doch wenige ihn ganz erkannt.“ Clauſewitz ſchrieb
an ſeine Gattin, daß er in Scharnhorſt den teuerſten Freund ſeines Lebens ver⸗
liere, für den es keinen Erſatz gebe. „Von Tauſenden, die ihm Dank und Liebe
ſchuldig waren, gibt es keinen Schuldner wie ich. Außer Dir (ſeiner Frau) hat
es nie einen Menſchen gegeben, der mir ſo viel Wohlwollen erwieſen hätte
und der auf das Glück meines Lebens einen ſolchen Einfluß gehabt hat.“ Ein
anderer Schüler, der ſpätere Kriegsminiſter von Boyen, griff im Jahre 1833
zur Feder, um ſeinen Lehrer und Führer gegen das herabſetzende Geſchreibſel
eines Profeſſors zu verteidigen und ſchrieb: Er habe die meiſten Männer von
1800 — 1813 kennengelernt, „viele habe ich gefunden, die in der Gabe, den
Wert ihrer geiſtigen Mittel oder ihrer amtlichen Stellung äußerlich geltend
zu machen, ihm offenbar vorſtanden, aber dagegen habe ich in dieſem Kreiſe
keinem begegnet, deſſen Worte und Handlungen ſo wie bei Scharnhorſt immer
nur die Ergebniſſe eines vorhergegangenen ruhigen Denkens waren, keinen,
der ſich und ſeine Außerungen ſo zu beherrſchen verſtand, keinen, der einer ſo
großen perſönlichen Reſignation, ſei es zur Beförderung der von ihm gepfleg⸗
ten Staatszwecke oder auch nur bereitwilliger Anerkennung fremden Verdien-
ſtes, fähig geweſen wäre und endlich keinen, der bei anſcheinend weichen, ſelbſt
vernachläſſigten Formen, einen ſo unerſchütterlich feſten Willen in ſeiner Bruſt
trug.“ Stein ſprach febr anerkennend über Scharnhorſt. Der Breslauer Pro-
feſſor Steffens hat uns überliefert, mit welcher Ehrfurcht in ſpäterer Zeit alle
Bekannten des Generals von ihm redeten.
Scharnhorſt, der nordiſche Soldat und Bauer
Die Stimmen dieſer Freunde laſſen erkennen, wie der Mann geſchätzt
wurde, der ein Leben lang für Preußen, für Deutſchland kämpfte und den
Reaktionäre und Freimaurer immer wieder in den Hintergrund drängten.
Wären ihm nicht Zähigkeit und Energie als uraltes Bauernerbe eigen gewe⸗
Scharnhorst 587
fen, er wäre im Kampfe ſchwach geworden. Aber die Kraft feiner Väter, die
Stärke alten Bauernadels, ruhten ſicher und feſt in ihm. Aus Blut und Boden
hatte er ſeine Kräfte genährt, mit ihnen blieb er verwachſen. E. M. Arndt
ſagte einmal von ihm: „Einen ſolchen Mann mag ich leiden, treu, grad,
wahr wie ein Bauersmann und luftig und fröhlich wie kein anderer.“ Knaben⸗
zeit und frühe Jugend hatte er auf dem Gut feines Vaters verlebt. Unendliche
Mühe und Arbeit koſtet das tägliche Brot des Bauern; in Zuverſicht, Glau-
ben, Selbſtloſigkeit pflanzt er die Saat, deren Früchte er oft nicht mehr erntet.
Dieſer Bauernfleiß, Ausdauer, Kraft und Selbſtloſigkeit wuchſen in Scharn⸗
horſt heran und verließen ihn nie. Das Bauerntum iſt der unerſchöpfliche
Brunnen ſeiner Lebenskraft, und immer wieder ſchöpft er aus dieſer Quelle
und findet darin ſeinen zähen Glauben an den Sieg des preußiſchen und deut⸗
ſchen Volkes über die artfremde Anterdrückung. Trotz der immer erneuten
Zurückſetzungen iſt er nie irre an ſich ſelbſt geworden: „Ich habe mit unbe⸗
ſchreiblicher Anſtrengung für König und Vaterland gearbeitet. Dabei habe ich
kein Kommando nehmen können, ich habe mich nur begnügt, gute, brauchbare
Leute hervorzuziehen. Ich konnte nur dies durchſetzen, wenn ich ſelbſt allem ent-
ſagte.“ In welchem Maße er dies gerade bei der Auswahl der jungen Offiziere
für den Generalſtab getan hat, haben wir hervorgehoben. And es iſt das Ent⸗
ſcheidende, daß er die ihm artgemäßen Charaktereigenſchaften nordiſchen Men-
ſchentums der oberſten Führerſchicht des Heeres, dem Generalſtab, als Ver-
mächtnis zurückließ. Leiſtung und Charakter, ſelbſtloſe Hingabe an die Arbeit
fürs Vaterland, Einordnung in das Ganze und nicht perſönliches Hervortre⸗
ten: Dieſer Scharnhorſtſche Geiſt hat dem deutſchen Generalſtab ſeinen guten
Namen gegeben und feinen Ruhm über die Welt verbreitet. Die Größe der
Selbſtbeſcheidung und Entſagung iſt wieder nur aus der Bauernnatur zu er⸗
klären. Andere hätten ſich nach ſo viel Verkennung beleidigt zurückgezogen.
Scharnhorſt blieb, und zwar nicht aus Mangel an Ehrgefühl und weniger aus
zielbewußtem Willen, aber, man könnte faſt ſagen, aus einer lebensgeſetzlichen,
pflanzenhaften Notwendigkeit heraus. Ihr verdankt jeder bäuerliche Menſch
die ſeeliſche Geſundheit und Nervenſtärke. Wir bewundern dieſe Natur auch
an Moltke und Schlieffen, die auch warten konnten und arbeiteten, bis man
ſie rief. Scharnhorſt, Moltke und Schlieffen ſind in ihrer Arbeit, in ihrem
Charakter, in ihrem Seelenleben nordiſche Menſchen von bäuerlicher Lebens-
art, fie find Realiften. Für fie gibt es kein langes Reflektieren über den Sinn
des Daſeins. Das Bauernleben wurzelt in der Ewigkeit der Sippe, der ein⸗
zelne Menſch im Geſchlechterverband. Wie ſtark Scharnhorſt dies gefühlt hat,
ſehen wir aus den zahlreichen Briefen an feine Frau, feine Kinder und Ger,
wandten. Wer im Geſchlecht ſteht, lebt überperſönlich und iſt religiös. Er ſpürt
keinen Drang, die Arſachen ſeines Seins zu ergründen, ſie leben in ihm ſelbſt.
Prächtige Vorbilder, wie jener Graf Wilhelm von Schaumburg-Lippe,
ſpornten Scharnhorſts Schaffen immer wieder an, daß er zu einem der großen
ſchöpferiſchen Geſtalter Preußens und des deutſchen Heeres wurde. Als Lehrer,
als Schriftſteller, als Organiſator, als Soldat, ja als Politiker, war er wie
ſelten ein Menſch gleich groß. Er lebte in einer Zeit des Ambruchs; Altes
zerfiel, weil es nicht mehr genügte, Neues mußte erſt geſchaffen werden. In
dieſe Lücke ſprang Scharnhorſt ein. Die Jahre 1806 bis 1813 waren aufregend,
ereignisvoll, die Entwicklung ging in ähnlich raſchem Tempo wie in unſeren
588 Alfred Thoß, Scharnhorst
Tagen. Anhänger des Alten, des Neuen, kämpften gegeneinander. Die Neuen,
wie immer Idealiſten, überzeugt, daß das Gute ſich durchſetzen werde, und
deshalb oft von den Intriganten und politiſchen Spielern der Reaktion ins
Hintertreffen geführt. Aber mochten dieſe auch die größere politiſche Schläue
haben, die findigen Wege wiſſen, mochten die Maulwürfe noch ſo ſehr wühlen
und untergraben, an der Energie und Hartnäckigkeit der Bauernſtirnen zer-
ſchellte ihr Streben. Scharnhorſt ließ nicht von einer Sache, die er angefaßt
hatte. Er ſetzte einen Gedanken wie einen Felſen hin; mochte er im Sumpfe
gegneriſcher Angriffe zu verſinken drohen, er holte Pfoſten um Pfoſten, um
zu retten, rollte Stein um Stein heran, um zu untermauern. And das Volk
hörte ihn: Er wurde 1813 ſein Führer! Die Miliz war ſeine Schöpfung, eben⸗
ſo das Heer, das ihm ergeben war. Scharnhorſt wurde in dieſer Zeit als größ⸗
ter Gegner Napoleons zum Politiker und Staatsmann, ſo ſehr liefen alle
Fäden bei ihm zuſammen. Abertriebene Selbſtbeſcheidenheit hielt ihn nur
immer zu ſehr zurück. Er wirkte überall anregend, vorwärtstreibend, beunrubi-
gend und bereitete ſo alles vor. Er war der ſchöpferiſche Genius, der nicht nur
die Kriegsakademie, den Generalſtab ſchuf, ſondern was zunächſt noch viel be⸗
deutungsvoller war: er entfeſſelte die Volkskräfte, ſchuf die Grundlage für die
deutſche Volksgemeinſchaft, weckte die artbewußten nordiſchen Raſſekräfte.
Aberall iſt er Bauherr, ſein Haus hat er nie geſehen, ähnlich dem Bauern, der
in mühevoller Arbeit und in feſtem Vertrauen auf das Gelingen einen Wald
pflanzt, ſelbſt aber nur die Anfänge wachſen ſieht. Dieſe jungen Bäume waren
Scharnhorſts Schüler. And daran iſt ſicherlich der große Genius zu erkennen,
daß er bedeutende Menſchen zurückläßt, die ſein Werk fördern und vollenden.
Sie hielten alle treu zu ihm, wie er zu ihnen. Die Treue war eine der ſtärkſten
Eigenſchaften des Generals Scharnhorſt. Er hat ſie tauſendfach gegen Vater⸗
land und König bewieſen.
Keiner war wohl treuer, reiner,
Näher ſtand dem König keiner —
Doch dem Volke ſchlug ſein Herz.
Ewig auf den Lippen ſchweben
Wird er, wird im Volke leben,
Beſſer als in Stein und Erz.
Max von Schenkendorf.
Hartmann Lempp:
Welche Bedeutung hatte das Bodenrecht Spartas für
ben Auffties und Niedergang des Staates?
Vorbemerkung der Schriftleitung: Wir veröffentlichen nachſtehend
die aus dem gleichlautenden Preisausſchreiben des Reichsbauernführers mit einem
II. Preiſe hervorgegangene Arbeit.
Es iſt ein uraltes Geſetz im Leben der Völker, daß ſie nur wachſen und
gedeihen können, ſolange die Grundlagen ihres Staatslebens in ihnen und
ihren Führern lebendig ſind. Wo durch Verweichlichung und Wohlleben
dieſe Grundlagen vergeſſen werden, wo der Staatsgedanke nicht mehr leben⸗
dig genug iſt, um im Volk Führer hervorzubringen, die dieſe Staatsgrund⸗
lagen rückſichtslos feſthalten, da iſt das Volk nicht mehr imſtande, ſeine Miſ⸗
ſion zu erfüllen, das Volk zerfällt. Die wichtigſten Grundlagen aller Völker
aber waren von jeher Blut und Boden.
Im Leben des kleinen Herrenvolkes der Spartaner war die ganze Ge⸗
ſchichte ſo eng verwachſen mit ſeinem Verhältnis zum Boden, daß wir die
Geſchichte des Bodenrechts nicht betrachten können, ohne das ganze Leben
des Volks in ſeinen Grundlagen und ſeiner Entwicklung zu verfolgen. Die
Bedeutung des Bodenrechts wird in dieſer Volksgeſchichte ganz unmittelbar
lebendig werden. Ä
Landnahme und Staatsbildung.
Als neue Welle von Croberern dringen die Dorer gegen Ende des 2. vor-
chriſtlichen Jahrtauſends in Griechenland und auf dem Peloponnes ein. Ariſches
Blut, vielleicht vermiſcht mit der Megalithraſſe des Nordens) oder den
„Bandkeramikern“ des Donaugebiets, wirkt in ihnen und ihren Führern als
das ſtaatsſchaffende Element, das aufbaut und durchhält im Bewußtſein
ſeiner Sendung. }
Das alte „Mykeniſche“ Reich der Riefenburgen und Städte hält dem
Neuen nicht ſtand. Die Kraft der Eroberer iſt ſtärker als die alte Kultur.
Ein Bauernvolk waren fie ſicher urſprünglich geweſen, die jetzt vom Boden
. Befi ergriffen und ihn unter fih verteilten, denn wir finden bei ihnen die
typiſche Bauern- und Dorfkultur der nördlichen Indogermanen. Ihr Mittel-
punkt im Eurotastal iſt nicht eine mächtige Königsburg wie in Athen oder
Mykenai, ſondern die mauerloſe Siedlung „der fünf Dörfer“, genannt
Sparta). Rings im Land aber wohnte die alte achaiiſche und pelasgiſche
Bevölkerung weiter in ihren hundert Städten, politiſch rechtlos, aber frei,
genannt die „Amwohner“. Nur die Gefährlichſten, die ſich am längſten der
neuen Herrſchaft erwehrt und ihre Freiheit bewahrt hatten, wurden von den
D Vgl. Süntert S. 64 ff.
3) Thuk. I, 10.
590 Hartmann Lempp
neuen Herren zu Sklaven — Heloten — gemacht, zuletzt im großen Meſſeni⸗
ſchen Kriege (736— 716), der auch das ganze fruchtbare Gebiet von Meſſenien
in die Hand der Spartaner kommen ließ. Als die Ritter herrſchten ſie über
die Anterworfenen, die als Sklaven das Land bebauen und die Hälfte der
Ackerfurcht abliefern mußten ). d
In Jahrhunderten feſtigte fih die Herrſchaft der erobernden Minderheit
und gab dem Bauernſtaat ſein Gepräge, nicht das Gottkönigtum des Orients,
ſondern die Wehrgemeinde der Gleichen. Das Verhältnis der herrſchenden
Dorer zu den teilweiſe nichtariſchen „Amwohnern“ war das der Goten und
Franken zu den Römern des ſpätrömiſchen Reichs. Die Amwohner hatten
ihre eigenen Geſetze, trieben Handel, Gewerbe und Landwirtſchaft. Der Staat
aber wurde nur durch die doriſchen Ritter vertreten, ihre beiden Könige waren
die Heerführer im Krieg, ohne beſondere Rechte über ihre Gefolgſchaft, ihr
Titel „Oberſte Führer“ (archegetai) zeigt ihre Stellung als „Herzöge“ der
Wanderungszeit.
Doch allmählich ändert der doriſche Bauernſtaat ſein Geſicht. Wir mögen
in dem Beginn des kulturell⸗ verfeinerten Lebens ein Eindringen der alten
Achaier in die führenden Kreiſe erkennen. In den Aberlieferungen tritt das
Bauerntum zurück, wir hören von Handel und Verkehr mit dem aſiatiſchen
Lydien, wir hören die Dichter und Sänger — Alkman, Thaletas, Terpandros
— ſpartaniſches Leben und ſpartaniſche Frauen preiſen. Die ſchönſten Vaſen⸗
funde, die ſogar die berühmten ſikyoniſchen und korinthiſchen übertreffen, er⸗
zählen von höchſter Kunſt.
Sparta iſt im Begriff, ein Kulturſtaat erſten Ranges zu werden, aber zu⸗
gleich beginnen ſich die Anterſchiede zwiſchen Dorern und Anterworfenen zu
verwiſchen; die alte Bevölkerung erſcheint bald auch der Sprache nach dori⸗
ſiert, ihre Macht wird groß mit der Entwicklung ihres Handels. Spürt das
Herrſchervolk den überhandnehmenden Einfluß fremden Bluts? Wir können
annehmen, daß es ſich zurückgedrängt fühlt, daß man ſich gegen die Ver⸗
miſchung wehren will. 710 erfolgt die Gründung der Kolonie Tarent in Untere
italien durch die ausgewieſenen ,, Gaftarde” ).
Kriſe.
Es war wahrſcheinlich gegen Ende des 7. Jahrhunderts, als dem Staat
die erſte große Kriſe erwuchs. Anlaß gaben die helotiſierten Meſſenier, die
ſich nochmals zum großen Freiheitskampf gegen ihre ſpartaniſchen Herren er⸗
hoben. Es ging diesmal ums letzte — auf beiden Seiten. Der ſpartaniſche
Staat ſchien dem Antergang nahe. Ein Kompromiß war unmöglich, er hätte
das Ende der doriſchen Oberherrſchaft bedeutet.
Was aber die Kriſe faſt zur Kataſtrophe werden ließ, war, daß der ſpar⸗
taniſche Staat ſelbſt in Anzufriedenheit und innerer Zwietracht zerfallen war.
Der Dichter Tyrtaios ſchildert die ſchlimme Lage: Schwere ſoziale Mig-
jtdnde waren groß geworden, wir hören von den Klagen der Armen und
der Schwelgerei der Reichen, die ſich in Jahrzehnten große Güter erworben
hatten). .
1) Fuſtel de Coulanges S. 70.
2) Ariſt. Polit. V, 6, I. f
3) Plut, Lk. 8 und Arift. Polit. V, 6, 2.
Welche Bedeutung hatte das Bodenrecht Spartas? 591
Die Entwicklung des Handels, beſonders der beginnenden Geldwirtſchaft,
tte die große Angleichheit des Beſitzes gebracht mit allen ihren Schäden.
e Ausfaugung der Armen führte zum lauten Ruf nach einer Neuauf⸗
teilung des Bodens, beſonders von ſeiten der vom Krieg Geſchädigten.
Andererſeits blühten Spekulationen mit Geld und Ware, und die Einfuhr
von billigem Getreide vom Schwarzen Meer her ließ auch die Großgrund⸗
befiger Spartas verſchulden und verarmen. Die meiſten aber waren beſitzlos
— aktemones.
Die Tage der ſpartaniſchen Macht ſchienen gezählt. Ausſicht auf Rettung
konnte nur ftraffite Konzentration aller Kräfte auf Abwehr bringen, dazu die
rückſichtsloſe Ausſcheidung alles Untüchtigen und Angerechten ohne Rüdficht
auf private Intereſſen. So war Vorausſetzung für eine Abwehr der äußeren
Gefahr eine innere Agrarreform und Entſchuldung.
Der ungeheure Bruch, den wir um 600 im ſpartaniſchen Leben finden,
zeigt dieſe Neuausrichtung aller Kräfte auf den Staat. Was wir von außen
feftftellen, ift ein plötzliches Abbrechen der lebensfröhlichen Kultur und Did-
tung, die noch einige Zeit in unbedeutendem Maße ohne eigene größere Lei-
ftungen fortlebt und nach 50 Jahren völlig verfiegt. Doch willen wir, daß
hinter dieſem Aufhören ein gewaltiger Ambruch ſteht: Die Rettung eines
Volkes und Staates. |
L
Der Nomos.
Man hat geleugnet, daß es ein Mann gewefen fei, der das neue Geſetz
ſchuf, durch den der ſpartaniſche Staat des Soldatentums und der Diſziplin
nd, den wir bewundern. Es war dies die Auffaſſung einer alles ratio-
nal zerpflüdenden, liberaliſtiſchen Epoche, der alexandriniſchen Ara der Neu⸗
zeit, da man nicht den aus Blut und Boden ſchaffenden Willen, ſondern
nur Zahlen und Maſſen gelten laſſen wollte.
Wir haben aber erlebt, was die Macht einer überragenden Perſönlichkeit
in ſchwerer Zeit bedeutet, haben auch erlebt, daß ein zerriſſener Staat nicht
durch einen Verfaſſungsausſchuß gerettet wird. Wir können nicht anders als
annehmen, daß auch hier in Sparta in letzter Not dem Staat der Mann
erftand, der ihn rettete — „Lykurgos“, deffen Name durch Jahrhunderte als
der des Neugründers des ſpartaniſch⸗doriſchen Staates unbeſtritten galt’).
„Lykurgos überredete feine Mitbürger“, meldet Plutarch“). Die Macht
fiel ihm nicht in den Schoß, doch er bekam ſie.
1) Der Name Lykurgos galt in der antiken Überlieferung ſtets als der des ſpartaniſchen Refor⸗
mers, der fpater als Gott verehrt wurde. Allerdings wird er und ſeine Reform ſtets in das 8. Jahr⸗
hundert v. Chr. geſetzt, alfo lange vor die Meſſeniſchen Kriege. Andererſeits ſteht der große Bruch
in der Entwicklung und die Umwälzung, die die eherne Form des Nomos ſchuf, als das Werk
eines überragenden Mannes für das 6. Jahrhundert feſt (Uxkull), vgl. Herodot I, 65 f., wo der
arkadiſche Krieg (595) als unmittelbare Folge der Reform genannt wird. Man mag darum wohl
auch annehmen, daß ſchon im 8. Jahrhundert ein Geſetzgeber, vielleicht Lpkurgos, den Doreen einige
Geſetze gab (genannt rhetrai — Anträge für Abſtimmung, Verträge), an die der viel bedeutendere
Metter des Staats im 6. Jahrhundert anſchließend ſeine auch bewußt doriſche Reform durchführte,
und vielleicht manche alte Einrichtung nur wieder einführte, die in der Auflockerung des 7. Jahr⸗
hunderts verſchwunden war. Sein Name wäre dann aber unbekannt. Wenn hier alſo von Lykurgos
und ſeiner Reform die Rede iſt, ſo iſt der große Reformer des 6. Jahrhunderts gemeint und nicht
Bey OL sg E der vielleicht um 800 gewirkt haben mag. Vgl. Ehrenberg S. 28 ff.
2) Diut. Lyf. 8.
Odal Heft 7, Jahrg. 4, Bg. 4.
592 Hartmann Lempp
Die Amwälzung.
Lykurgos — oder wie fonft fein Name geweſen fein mag — gab feinem
Volk den Nomos, das neue Geſetz. Es bedeutete einen radikalen Eingriff,
eine Revolution größten Ausmaßes. Ziel war ein neuer Staat, der ſeine
Macht ſtets zur Verfügung hatte, unabhängig von privaten Intereſſen, von
Gemeinheit und Angerechtigkeit. Der Weg hierzu beſtand:
1. In ſcharfer Trennung der raſſiſch noch reinen Dorerſchicht von allen
andern; allein die raſſiſch beſte Minderheit ſollte den Staat verkörpern. Nur
9000 Dorer wurden für würdig befunden, als „Spartiaten“ die Grundlage
des Staates zu bilden, die andern wurden zu den „Amwohnern“ gerechnet,
mit denen ſie ſich wahrſcheinlich ſchon vermiſcht hatten.
2. In völligem Einſatz dieſes erſten Standes für den Staat von Jugend
auf, ſtrenger Diſziplin und Zucht des ſtets kampfbereiten Spartiatenheeres.
3. In großzügiger Bodenreform, landwirtſchaftlicher Beſitzumwälzung
und Tilgung der Schulden. Die Feſtſetzung des für alle gleich großen un⸗
verkäuflichen Landloſes der ſpartiatiſchen Familie bildete die Garan⸗
tie für die Verſorgung der wehrbereiten Spartiaten.
Es war kein geſchriebenes Geſetz, das ſeit Lykurgos die oberſte Inſtanz
in Sparta war. Der Nomos war die Sitte, der Brauch, dem alles unter⸗
geordnet war, Religion, Ethik, Lebensauffaſſung, Brauchtum. Er war abſo⸗
luter Herrſcher, mächtiger als die Könige, über ſeine Einhaltung wachten die
fünf „Aufſeher“ als Verkörperung dieſes ſtets gleichen, überperſönlichen
Willens. Mag manche Einzelheit ſpäter hinzugekommen ſein, die urſprüng⸗
lichen Grundzüge des Nomos ſind ſo deutlich, daß ſeine Grundhaltung klar
ift. Er bedeutete wohl völlige Neuausrichtung des Lebens der Bürger: Uug-
richtung und Konzentration aller verfügbaren Kräfte auf den Staat und ſeine
Erhaltung. Nur ſo war die Abwehr der Feinde möglich.
Spartiatentum.
Streng war die Ausleſe des herrſchenden Wehrſtandes, groß die Anfor-
derungen, die der Staat an ſeine Elite ſtellte. Vorausſetzung für jeden ein⸗
zelnen Spartiaten war das Teilhaben an den Grundlagen des Staates: Jeder
mußte die militäriſche Erziehung durchgemacht haben und Inhaber
eines Landloſes ſein.
Die Erziehung wachte über Ausleſe und raſſiſche Reinheit. Nur echte
Nachkommen von Spartiaten konnten teilhaben. Nur gutgewachſene Kinder
durften aufgezogen werden. Mit dem ſiebenten Jahr begann die Erziehung
der Staatsjugend. Gemeinſames Leben, Eſſen, Schlafen, Kämpfen ſollte den
Knaben zum Mann machen. Der einzelne ſollte nur der Gemeinſchaft leben.
Ehe war mit 30 Jahren erlaubt, ja Pflicht des Spartiaten, doch gehörte
ihr keine ſeeliſche Energie. Denn weder ſie noch Beruf, ſoziale Schicht, pri⸗
vate Intereſſen ſollten den Spartiaten binden. Handel, Erwerbsleben war
ihm verboten: Seine Aufgabe war allein die Sorge um den Staat. Für dieſe
war er frei, dieſe Freiheit zeichnete ihn aus vor allen anderen Ständen.
Gemeinſame Mahlzeiten, zu denen jeder vom Ertrag ſeines Landloſes
beizuſteuern hatte, ſicherten die dauernde Wehrkameradſchaft. Gleiche Lebens-
formen, gleiche Pflichten galten den „gleichen“ Männern).
1) Buſolt S. 11.
Welche Bedeutung hatte das Bodenrecht Spartas? 593
Die andere Grundlage des Staates ift der Boden. Er garantiert die
Verſorgung des Heeres, er garantiert die Anabhängigkeit nach außen.
Nur durch völlige Amgruppierung des Bodenbeſitzes konnte die Reform
durchgeführt werden. Ein beſonderes Spartiatenland war abgegrenzt — ein
Sechſtel des geſamten Bodens, teils im Eurotastal, teils in Meſſenien ger
legen —, das unter die 9000 als „Erbteil“ (klaros) der Sippe) verteilt
und in verantwortlichen Beſitz gegeben wurde. Sämtliche Hypotheken wurden
geſtrichen, jeder Gelderwerb mit dieſem Boden verboten). Drei Grund ſätze
ſchützen den Boden:
Er iſt der Sippe unveräußerlich,
er iſt unteilbar, |
die Erbfolge ift ſtreng geregelt.
Das Landlos wurde ſtets vom Vater auf den Sohn vererbt, ſo daß noch
nach Jahrhunderten jede Familie das Land beſaß, das ihr damals zugewieſen
wurde). Nicht der einzelne ſollte über den Boden verfügen, er durfte nicht
verkauft noch teſtamentariſch vermacht werden. — Der Boden iſt heilig, er iſt
nicht materielles Mittel zur Ernährung des einzelnen, ſondern Grundlage des
Lebens noch vieler Generationen ſeiner Sippe und ſeines ganzen Volkes. Wir
erkennen den Willen, das Volk freizumachen von der von den Dichtern oft
beklagten und als unwürdig empfundenen Weiſe des Schacherns mit dieſer
zuverläſſigſten Kraftquelle des Volkes.
Die Tochter ⸗Erbgeſetze ).
Angeteilt ſollte das Landlos ſtets vom Vater auf den älteſten Sohn ver⸗
erbt werden. War kein Sohn vorhanden, ſo ſollte der nächſte Verwandte des
Beſitzers, wohl ſein Bruder, das Land erhalten. Nie dagegen finden wir
— wie im ganzen griechiſchen Altertum — die Tochter als Kult- oder Haus-
vorſteherin, und darum iſt ſie auch nie Erbin des Landloſes der Familie.
Sie geht zuſammen mit dem Erbe an den nächſten Verwandten über, d. h.,
er heitatet fie oder iſt ihr Vormund. Nach beſtimmten Regeln und Geſetzen
konnte auch der König — wenigſtens in früher Zeit) — der alleinigen Erb-
tochter einen Mann beftimmen. Der Zweck iſt deutlich: Sippe und Klaros
1) ha de Coulanges S. 59.
2) Uber die Größe eines ſolchen Landloſes haben wir keine genauen Angaben. Jedenfalls war der
Ertrag bei allen der gleiche; Plutarch nennt als die Hälfte des Ertrags, die die bewirtſchaftenden
Heloten abzuliefern hatten, 82 Scheffel Gerſte und ein entſprechendes Maß von Obſt, Ol und Wein
(Lyf. 8, Inſt. Laked. 42). Duncker berechnet daraus für 1 Landlos die Größe von 40 Morgen,
während bei Fuſtel de Coulanges nur 7—8 Hektar errechnet werden.
3) Fuſtel de Coulanges S. 59 ff. — Eine Schwierigkeit bei der Überlieferung der ſtetigen Erb-
folge bildet eine Stelle bei Plutarch (Lyf. 16): „Das neugeborene Kind... wurde befidtigt...
und fie (die Alteſten) wieſen ihm eines der 9000 Lofe an... Das würde bedeuten, daß der Belg
nicht der Sippe gehörte, ſondern dem Staat, und daß er mit dem Tode erloſch. Dem widerſprechen
aber andere Stellen bei Plutarch ſelbſt, ſo ſagt er z. B. Agis 5, daß der Beſitz erblich war bis zum
Peloponneſiſchen Krieg (431-404). Auch Herakleitos berichtet, daß die alte Teilung des Bodens
für ewige Zeiten beſtimmt war, und Ariſtoteles ſpricht ebenfalls von Vererbung. Daß der Boden
rechtlich Staatseigentum war, iſt nirgends überliefert, obwohl Herodot, Xenophon oder Ariftoteles
ſolch eine Tatſache kaum verſchwiegen hätten. Wir müſſen annehmen, daß Plutarch hier von unt
unbekannten Dingen ſpricht. Wurde vielleicht der älteſte Sohn ſofort Mitbeſitzer? Oder konnte ein
zweiter Sohn auf diefe Weiſe ein Landlos zugewieſen bekommen? Jedenfalls können wir aus dieſer
Stelle nicht ſchließen, daß es kein Erbrecht gab.
) Fuſtel de Coulanges S. 97.
) Herodot VI, 57.
4°
594 Hartmann Lempp
E verbunden bleiben, der Klaros darf nie durch Heirat oder Scheinheirat
n fremde Hände kommen. Darum ſoll nicht die Tochter, ſondern der nächſte
Verwandte der Erbe ſein. Iſt die Tochter aber alleinige Erbin, ſo ſoll nicht
ſie, een das Staatsintereſſe das Schickſal des Bodens ihrer Sippe ent,
en.
Bei allen Geſetzen über den Boden wirkt zweifellos auch ein religiöſes
Intereſſe mit, ein Wiſſen, daß die Sippe mit der Bindung an den Boden
an ewige Kräfte gebunden ift, ohne die der Beſtand der Sippe gefährdet iſt.
Dürſen wir hier, wenn uns auch frühere Wege, Wohnſitze und Wanderun⸗
gen der Dorer noch nicht genau bekannt find, nicht Zuſammenhänge ahnen
mit dem Wiſſen der nordiſchen Germanen, Niederſachſen, Schweden vom
Odal und feiner Erhaltung als Sinn und Grundlage des Einzelſchickſals?
Doch iſt der Spartiate Krieger, nicht Bauer. Nur durch den Staat ſoll
er gebunden ſein. Er ſoll nicht fern von Sparta leben, er ſoll nicht ſelbſt ſein
Landlos bewirtſchaften ). Darum ift die Bebauung Sache der Heloten, die
vom Ertrag des Landes einen vom Staat feſtgeſetzten Teilbetrag als Pacht-
zins abliefern mußten. Die Heloten lebten in der ihnen zugewieſenen Wop-
nung, oft fern der Stadt und gehörten wohl mit zum Inventar. Neben ſeinem
Klaros mag mancher Spartiate noch andere Ländereien beſeſſen haben. Da
ſolcher Befitz nicht für die Verſorgung mitberechnet war, mag er auch geteilt
worden ſein. Aber Verkauf des Bodens galt auch hier als Schandtat, als
un verantwortliches Tun, das dem Gott und dem Staat nicht gefällig ift.
Spekulationen mit ausländiihem Getreide, ja jede Handelsabhängigkeit
von andern Staaten hörte auf, da der Nomos jeden Beſitz von Gold und
Silber in Sparta verbot. Eiſernes Geld, das außerhalb der ſpartaniſchen
Grenzen nichts galt, war das Tauſchmittel.
Achtung.
Scharf war die Acht (atimia), in die der Spartiate verfiel, der ſeiner
Pflicht gegenüber dem Staat nicht nachkam. Sie war die Strafe für alle
entehrenden Verbrechen, auch für Feigheit in der Schlacht, Flucht oder Ge⸗
fangenwerden, wie auch für Eheloſigkeit. Der Geächtete gehörte nicht mehr
zum Spartiatenſtand, hatte keinerlei Rechte am Staat, er ſteht außerhalb
des Nomos. Der Ehrloſe konnte keine Spartiatin heiraten, kein Spartiate
deſſen Tochter, ſeine ganze Familie war ausgeſchieden. Er konnte keinen An⸗
teil am Spartiatenland haben.
Zur Pflicht des Spartiaten gehörte auch das regelmäßige Beiſteuern zur
gemeinſamen Mahlzeit der Männer. Auch wer hier ſich fernhielt oder hierzu
nicht in der Lage war, ſank in den Stand der Amwohner ab.
Die Amwohner waren ſtets ſtreng geſchieden von den Spartiaten. Für
fie galt der Nomos der Staatserziehung und des Bodenrechts nicht, fie trice
ben Handel und Gewerbe nach eigenen Bräuchen, ohne am Staatsleben
irgendwie beteiligt zu ſein, doch leiſteten ſie in Kriegszeiten Heeresfolge. Ein
Aufſteigen in die Klaſſe der Spartiaten war nur in Ausnahmefällen Cin-
zelnen, beſonders Tüchtigen, möglich.
1) Es mag uns einfallen, was Tacitus von den freien Germanen erzählt: Sie find Bauern, doch
treibt es fie ſtets unruhig zu Krieg und Wanderung, fie find Befiger des Bodens, doch lieben fie
ſehr unbäuerlich Jagd, Waffenhandwerk, Raubzüge und Spiele (Güntert S. 107).
Welche Bedeutung hatte das Bodenrecht Spartas? 595
Wirkende Macht.
Lykurgos Staat hielt durch. Die Meſſenier wurden unterworfen, der ſpar⸗
taniſche Staat, der fih zuerſt ganz auf fih ſelbſt hatte zurückziehen müſſen,
iſt nach hundert Jahren allein maßgebend auf dem Peloponnes und gilt allen
griechiſchen Staaten als der unbeſtrittene Schiedsrichter). Die Amwohner
hatten zu gehorchen, in jeder ihrer „Städte“ ſaß ein ſpartaniſcher Ordner
(Harmoſt). Die Heloten wurden, falls ſie durch ihre Zahl dem Staat einmal
zu mächtig wurden, einfach dez imiert.
Spartas Politik führte zur Macht. S parta war das Land ohne Erſchüt⸗
terungen, während im übrigen Griechenland das Kapital mächtig war, deffen
Beſitzer als „Tyrannen“ das verarmte Volk für Geld arbeiten ließen. Sparta
hatte kein Geldkapital, keine Induſtrie, keinen Außenhandel, keine Tyrannen.
In Sparta regiert nicht das Geld, ſondern der Nomos, dem die Könige wie
die Aufſeher jeden Monatsbeginn öffentlich Gehorſam ſchwören mußten.
Sparta hatte keinen Landhunger, keine Verpflegungsſchwierigkeiten, der
Boden diente der Verſorgung der Geſamtheit, nicht der Bereicherung der
Einzelnen.
Kunſt, Dichtung, wie das Sende frühere kulturelle Leben hatten freilich in
Sparta keinen Platz mehr. Spartiate iſt nur Soldat, Sparta iſt die
unbeſtrittene Militärmacht, der „Ordner Griechenlands“, und jeder ein-
zelne Spartiate, der in Sparta nach dem Nomos lebt, fühlt ſich als Herr
über alle andern
Sparta iſt die griechiſche Macht. Es hat die Führung im großen Kampf
der Griechen gegen die Perfer, ſeine Feldherrn ziehen weit umher und ge⸗
bieten bis Afien und Agypten — und werden reich.
Der Sieg des Kapitals.
Aus der Mitte des 5. Jahrhunderts werden uns aus Sparta Dinge über-
liefert, die D gum 1 Nomos paſſen. Wir hören von Be⸗
Leg und Geldgier bei den Spartanern, wir hören von fogialen Unter-
ieden und 97558 di ). Einzelne Könige und Feldherrn, die in der Fremde
eine Rieſenbeute erworben haben, fühlten ſich dem Nomos überlegen und
ftreben nach eigener Macht, Wir hören vom Verſuch des Kleomenes I., die
Macht der fünf „Aufſeher“, die über den Nomos zu wachen hatten, aufau-
heben, wir hören vom Putfdwerfud des Perſerbeſiegers Pauſanias, der mit
Beutegeld die Heloten auf feine Seite zieht und auf fie geſtützt feine Allein⸗
GE errichten will. Noch war der Nomos ſtärker als feine Beſtrebungen,
ein Verſuch mißlang, und ein Drittel aller Heloten wurde getötet).
Doch zeigen ſolche Vorgänge den Beginn innerer Schäden, die trotz des
ſtrengen Geſetzes ſchließlich zum inneren Zerfall führten.
Genaue Einzelheiten der Entwicklung find uns nicht überliefert. Wir ot,
ſen aus den Ergebniſſen auf ihre Arſachen ſchließen und uns fragen, inwie⸗
fern das Geſetz des Lykurgos ſolche Schäden möglich werden ließ.
1) Thuk. I, 18.
2) Thuk. I, 18.
) Herodot VI, 72 und 86, und VIII, 5, Arift. pol. II, 6.
*) Thuk. I, 131 ff.
596 Hartmann Lempp
Wir können folgendes feſtſtellen:
1. Durch die Erbgeſetze war die Familienvermehrung in Sparta benach⸗
teiligt. Denn das Landlos wurde immer ungeteilt vom Vater auf den älteſten
Sohn vererbt, die weiteren Söhne hatten kein eigenes Land. Sie konnten
zwar mit vom Ertrag leben, den ihr Bruder herauswirtſchaften ließ), doch
konnten ſie kaum ihre Leiſtungen für die Mahlzeiten liefern, konnten kaum
eine eigene Familie gründen. Damit ſchieden ſie aber aus dem Stand der
Spartiaten aus. Außerdem ging das Land eines ſöhneloſen Beſitzers immer
auf einen andern Spartiaten Über, der wohl oft ſchon ein anderes Land ſein
Eigen nannte. Mancher mag ſo ein doppeltes und mehrfaches Los gewonnen
haben, das ihm nie mehr abgekauft werden konnte. Aber damit war auch die
Zahl der ſelbſtändigen Bodenbeſitzer vermindert, und dieſe konnte nicht mehr
vermehrt werden. Ein Ausſterben von Spartiatenfamilien war aber auch
infolge der dauernden Kämpfe trotz des Ehezwangs leicht möglich, und jeder
Anreiz zur kinderreichen Familie fehlte.
Jede Verminderung der Zahl bei der herrſchenden Schicht mußte umſo
ſchwerer wiegen, als die Bürger ja ſtets eine äußerſt geringe, wenn auch
beſonders leiſtungsfähige Minderheit im Staat darſtellten. Als die 300
Spartiaten unter Leonidas bei den Thermopylen (480) fielen, war das kein
unbedeutender Schlag für den Staat. Solche Verluſte wogen aber immer
ſchlimmer, je öfter ſolche Rückſchläge kamen.
Die Verminderung der Zahl der Spartiaten wurde auch durch die übrigen
Geſetze ungewollt gefördert. Denn neben der Tatſache, daß eine größere
Kinderzahl an ſich wirtſchaftlich ungünſtige Folgen hatte und neben den
dauernden Kriegsverluſten wurde mit der Zeit ſicher auch die geſetzlich gebotene
Inzucht durch Verwandtenheirat bei Landerbinnen ein Grund für Rinder-
armut, nicht, weil Inzucht an ſich ſchädlich iſt, ſondern weil das bereits zur
Herrſchaft gelangte Zwei⸗ oder Einkinderſyſtem die Ausleſe der Tüchtigſten
und die Ausmerzung der Wertloſen unmöglich machte. And das ſtrenge Zivil-
recht, das nicht ſelten die Achtung ganzer Sippen verlangte, ließ die Zahl
künſtlich noch weiter finfen.
2. Ebenfalls ungünſtig hat ſich in der Entwicklung der Amſtand ausgewirkt,
daß der Spartiate nicht als Bauer auf ſeinem Land lebte und dadurch die
direkte Verbindung mit feinem Boden verlieren mußte. Er war Städter, und
bei aller Einfachheit der Lebenshaltung gewöhnte er ſich doch an die Be⸗
dürfniſſe der Stadtbewohner. Sowohl die Beutezüge durch alle Länder wie
die Tribute der Beſiegten brachten dem einzelnen wie dem Staate Reich ⸗
tum... Ebenſo konnte Reichtum und Aberfluß entſtehen durch Zuſammen⸗
erben von Land in der Hand eines einzigen. Es beſtand der Anreiz, das ge⸗
wonnene Gut zu nützen, und trotz des ſtrengen Geſetzes nicht nur vom Ertrag
des Landes zu leben.
Für ſolche Umgehung des Geſetzes finden wir mehrfach Beiſpiele ): Beſitz
bey Geld war in Sparta verboten. Aber reiche Spartiaten deponierten ihre
g3- und Geldbeute in Tegea auf arkadiſchem Gebiet. Da den Frauen
TEJ und Geldgeſchäft nicht verboten waren, verſchafften ſich häufig Frauen
Reichtum und Einfluß). Ihre Geldgier wird häufig erwähnt, ebenſo
5) Polybios Polybios XII, 6.
) Fuſtel de Coulanges ©. 91.
Arift. pot. II, 6, 9.
Welche Bedeutung hatte das Bodenrecht Spartas? 597
wie ihr wenig fittenftrenges Leben. Wir können uns denken, daß auch bei
den Männern ſolche Amwege um das Geſetz willkommen waren, daß ſchwache
Charaktere, durch Reichtum und Luxus verlockt, die harten Staatspflichten
umgingen und verſäumten. Der Zeitgeiſt wurde ſtärker als der Nomos.
So war ums Jahr 400 der Staat durch Erlöſchen leiſtungsfähiger Erb⸗
linien und durch all die andern Schäden, von denen die Rede war, innerlich
ein anderer geworden. Es fehlte ihm die letzte Kraft, die 200 Jahre vorher
das äußerſte vollbringen ließ.
3. Infolge der wachſenden Bedürfniſſe war ficher bei manchem Spartiaten
wirtſchaftliche Not entſtanden ). Teuer waren die Feſte, mancher Kinder⸗
reiche war trotz ſeines Landloſes zu arm, ſeiner Pflicht zu genügen. And ſo
finden wir bei Herodot und Plutarch öfters die Rede von Steuerrückſtänden,
von Gläubigern, Schuldnern und Wucherern )).
Da der Verkauf von Land verboten war, war das Borgen im Schwung,
das wegen ſeiner Amwege ums Geſetz teuer war und Grund zu Wucherzinſen
wurde. Die Lage des Schuldners aber war in Sparta beſonders ſchwierig,
weil er ſeine Schuld höchſtens durch Kriegsbeute abzahlen konnte. Eigener
Erwerb war ja nicht Sache des Spartiaten, und das Landlos konnte nicht
beliebig mehr Ertrag liefern. Eigenmächtige Erhöhung der Pachtſumme, die
die bewirtſchaftenden Heloten bezahlten, war ebenfalls verboten.
So waren Schulden praktiſch oft unrückzahlbar. Geſetze über Schulden
und Hypotheken ſind uns nicht erhalten. Wir können uns aber wohl
denken, wie der Gläubiger ſich ſein Eigentum verſchaffte: Entweder wurde
der Schuldner, wie es im frühen Athen der Fall war, Klient und Höriger
des Gläubigers, oder hatte der Gläubiger Anſpruch auf die Pachtſumme,
das „Klarion“. Damit war aber der Klaros bela ſt bar, eine Rente, und
praktiſch verkäuflich ).
So mag ein verkappter Landhandel vorhanden geweſen ſein. Wenn
Ariftoteles*) berichtet, daß 35 des Spartiatenlandes in den Beſitz von
Frauen gekommen ſeien, ſo mag das ſo geſchehen ſein, daß ſie durch ihr Geld
Gläubiger von Klarosbeſitzern geworden waren, und mancher Spartiate mag
auch fo durch ſeine Frau reich geworden fein’).
Wir finden alſo, ſo unerwartet das klingen mag, unter den Spartiaten
Befitzunterſchiede, Armut und Reichtum, Hypotheken und Verſchuldung, be,
ginnende Verarmung großer Teile. Der Kleinbeſitz an Boden, deſſen Er⸗
haltung als Grundlage des Staates durch den Nomos gefichert ſchien, mußte
ſchließlich einem Großgrundbeſitz weichen.
Vernunft wurde Anſinn, das Geld hatte das Geſetz umgangen. Der Staat
aber war innerlich ſtarr geworden, ſo daß er kein neues Recht ſchuf, das den
Sinn der alten Geſetze feſtgehalten und ſeine Schäden beſeitigt hätte.
Statt deffen war das Volk, müde der Zwangs wirtſchaft, froh an jeder
Möglichkeit der Amgehung des ſtrengen Buchſtabens. Es mag vorgekommen
ſein, daß mancher Spartiate ſogar ſeine Ehre und Sippe verriet und bewußt
den Nomos übertrat, um frei zu ſein von deſſen Pflichten, da er für die
1) Arift. pol. II, 6,
2) Herodot VI, 59. Gun 175 16. Ariſt. pol. II, 6, 23.
*) Fuſtel de Coulanges S. 113 ff.
5) Arift. pol. II, 6, 11.
8) Ariſt. pol. II, 6, 6 ff.
598 Hartmann Lempp
Freiheit des Nomos zu klein geworden war. Wir brauchen nicht anzunehmen,
daß der ganze Staat und ſeine Führer nur von Geldgier und Luxus erfaßt
geweſen ſeien. Noch ſtand der Staat nach außen feſt, noch war der Spartiate
durch ſeine harte Zucht der beſte Soldat und Offizier. Aber doch iſt zweifellos,
daß ſchon im 5. Jahrhundert für ſchwache Menſchen, die es in Sparta wie
überall gab, die Verſuchung in dieſer Beziehung Wort war).
Das Kapital trat als Macht neben das Geſetz und brachte feine ſchlimmſten
Auswirkungen.
Es war kein großer Schritt mehr, als ſchließlich — wohl in der Zeit des
Peloponneſiſchen Kriegs — die obengenannten Amwege um das Geſetz offiziell
erlaubt wurden. Wir leſen von einem Geſetz, das der Aufſeher Epitadeios in
der Volksverſammlung zur Abſtimmung vorlegte, „daß es erlaubt ſein ſolle,
das eigene Haus und Erbteil (klaros) ſowohl bei Lebzeiten zu ſchenken, als
durch Teſtament zu hinterlaſſen, wem einer will).“
Die Annahme dieſes Geſetzes bedeutete zwar nicht die Erlaubnis, mit
Boden zu handeln, aber das Abergehen des Landbeſitzes von Hand zu Hand
war nicht mehr beſchränkt. Zugleich fielen damit auch die Tochter ⸗Erbgeſetze.
Der Erbhoſcharakter der Kleingüter war gefallen; wir erfahren aus Plutarch,
fiel ge dieſer Zeit an ſehr bald große Ländereien in die Hand weniger
elen ).
Wir können uns denken, daß Gläubiger ihre Schuldner verpflichteten, ihr
Landlos ihnen zu vermachen. Die Verarmten ließen ſich leicht bewegen, durch
eine Schenkung alte Schuldforderungen zu löſchen, obwohl ihren Kindern
damit der eigene Boden genommen war. Wir finden bei Plutarch den bedeut⸗
famen Satz“): „Man fab die Reichen die natürlichen Erben ausſchließen“
(indem ſie nämlich alles Land erwarben). Auch aus andern Berichten läßt
fih entnehmen, daß um diefe Zeit große Enterbungen ſtattfanden ).
Während ſonſt durch Schenkung und Güterteilung Zerſplitterung des Be⸗
ſitzes gefördert wird, war ſie hier der Beginn des Großgrundbeſitzes. Dies
konnte aber nur dadurch fo eintreten, daß in Wahrheit ſchon vorher der Klein-
beſitz durch Hypotheken und Schulden belaſtet war und unter Aufficht des
Kapitals ſtand. Daß die Entwicklung nach der Annahme des neuen Geſetzes
ſo raſch verlief, läßt ſogar ſchließen, daß es ſich vielleicht um eine lang vor⸗
bereitete Aktion handelte. Das Land hatte ſchon vorher dem Spartiaten nur
noch nominell gehört. Wenn aber bisher dem Gläubiger das klarion, die
Pachtfumme, zur Verfügung ſtand, ſo hatte er jetzt den klaros, das Erbteil
der Sippe ſelbſt in ſeine Hand gebracht. Sparta, das das Land der Gleichen
und Gleichbeſitzenden geweſen war, wurde jetzt in ſehr kurzer Zeit die Hoch⸗
burg des Kapitalismus und Großgrundbeſitzes“), eine Entwicklung, die dem
Sinn des alten Nomos Hohn ſpricht. Der Boden war frei, war zur Ware
geworden, die der einzelne zu Privatintereſſen dem andern vorenthalten konnte.
Die beiden Grundlagen des Spartiatentums waren gebrochen, die ſtrenge
1) Ariſt. pol. II, 6, 16, und Plutarch Ageſ. 30.
2) Plutarch, Agis V, 3.
2) Plutarch, Agis V, 5.
) Plutarch, Agis V, 4.
5) Iſokrates, de pace 96.
6) Ken. pol. Laked. 14.
Welche Bedeutung hatte das Bodenrecht Spartas? 599
Zucht und die Gleichheit des Bodenbeſitzes — geſchützt durch Staatserziehung
und Verbot des Bodenhandels — wurden umgangen, als das Volk feine
innere Kraft verloren hatte.
Sinkende Kraft
Mit der Anderung des Bodenrechts war in wenigen Generationen auch
der innere Aufbau des Staates verändert. Es entſteht eine neue Schicht von
verarmten Spartiaten, die durch Berluft ihres Landes rechtlos geworden,
auf ihre Macht und ihren Einfluß auf das Staatsleben nicht verzichten
wollten. Ihre Zahl wuchs, je mehr der Großbeſitz überhand nahm.
Gerade als Sparta nach Vefiegung Athens nach außen unbeſtritten herrſcht,
beginnen im Innern die Anruhen: Anter Führung Kinadons vereinigen ſich
die verarmten Spartiaten mit Amwohnern und Heloten zum gemeinſamen
Sturz der reichen Herrenſchicht (398). Allein der Amſturzplan ward durch
einen derer, die er für die Verſchwörung gewinnen wollte, an die Aufſeher
verraten. Kinadon geſtand auf der Folter die Namen der Mitwiſſer, die
dann unauffällig aus dem Wege geſchafft wurden. Kinadon ſelbſt wurde auch
getötet.
Vielleicht wäre jetzt noch ein geſunder Neuaufbau möglich geweſen. Aber
die Beſitzenden, die in der Staatsführung immer mehr allein maßgebend
wurden, hatten ja an einer Reform kein Intereſſe. Auch die Politik wurde
im 4. Jahrhundert immer mehr Sache des Geldes und privater Intereſſen.
Es war nicht mehr die Wehrgemeinde ſämtlicher Freien, die das Staats⸗
leben frei entſchied. Nach außen ſtand zwar Spartas Macht noch ungebrochen,
noch war auch der neue Kapitalismus leiſtungsfähig. Doch iſt es — wie im
heutigen Frankreich — nicht mehr die Macht der lebendigen Kraft, ſondern
der ſtarre Krampf des Goldes, der die Herrſchaft erhielt.
Sparta herrſcht deſpotiſch, zwingt die andern zur Stellung von Hilfstruppen
und Tributen, diktiert in den Friedenskonferenzen, doch fehlt der Politik ihr
eigentliches Ziel, ſie kann ſich nicht umſtellen, falls in andern Staaten neue
Kräfte am Werk ſind. Sämtliche politiſchen Anſtrengungen ſollen nur der
Erhaltung der alten Friedensverträge dienen. Spartas Macht äußert ſich
nicht mehr ſinnvoll; die großen Anternehmungen wie die Expedition nach
Agypten und der Bau der Rieſenflotte haben etwas Phantaſtiſches. Vielleicht
iſt der Herrenſchicht die eigene Schwäche ſchon bewußt geworden.
Im Innern find die Folgen des privaten Erwerbslebens nicht zu unter-
drücken. Die ſozialen und ſittlichen Grundlagen zerfallen, Beſitzunterſchiede
entwickeln ſich mit rapider Schnelligkeit, der entſittlichende Einfluß des zu⸗
ſammenſtrömenden Reichtums auf die Geſinnung der Bürger äußert ſich in
zunehmender Appigkeit und Habſucht, während die Zahl der Spartiaten
unheimlich ſinkt und die Anforderungen infolge der großen Politik immer
größer werden.
Der Stand der „gleichen“ Spartiaten bildet nur noch das Offizierskorps,
im Heere kämpfen Amwohner und Bundesgenoſſen. Indem aber nur die
militäriſchen Kräfte ausgebildet werden, bleiben die intellektuellen und
moraliſchen zurück. Anfähigkeit zu großen Entſchlüſſen, Engherzigkeit und be⸗
ſchränkter politiſcher Blick waren die Folge. And weil es an geiſtiger Bildung
mangelte, mußte die Lockerung der militäriſchen Disziplin ſtark demorali⸗
600 Hartmann Lempp
fierend wirken. Spartas Macht, zur Führung berufen, mußte verfagen, je
mehr die allein führende Schicht — durch Verluſt vieler leiſtungsfähiger Erb-
linien an Zahl und innerem Halt geſchwächt — keine wirklichen Führer mehr
ſtellte. Die Löſung des Standes vom Boden wirkte auch hier individuali-
ſierend, förderte den Trieb nach eigenem Gewinn und ſchwächte die Leiſtungen
der Geſamtheit.
Die Schwäche des Staats, ſchon vorher deutlich geworden in ſeiner Po-
litik, führte zur Kataſtrophe, als den Gegnern ein Führer erſtand: Im Jahre
372 beſiegte der geniale Thebanerführer Epameinondas bei Leuktra ein Spar-
tanerheer zum erſtenmal in ofſener Feldſchlacht. Auch die militäriſche Kraft
war gebrochen. Der eine König und die Hälfte aller lebenden Spartiaten
fielen in der Schlacht. Dies war das Ende der zweihundertjährigen ſparta⸗
niſchen Oberherrſchaft und Führerſchaft in Griechenland.
Spartas Macht kam nie wieder. Doch ſtand noch immer der Staat. Die
Eroberung Spartas gelang dem Thebaner nicht. Der Staat griff zum letzten
Evere? Alle Heloten, die bei der Verteidigung mithalfen, bekamen die
eiheit. |
Die Amwohnergemeinden fielen ab. Meſſenien und Arkadien machten fich
ſelbſtändig und bauten mit geraubtem ſpartaniſchem Geld ihre Städte neu
auf ehemaligem Spartiatenland. Nur die Hälfte ihres Gebiets blieb den
Spartanern. Kriegsbeute und Tribute hörten auf, ins Land zu fließen. Not
zwang die Spartaner, jetzt ſelbſt ihr Land zu bebauen.
Doch war nicht alles verloren: Schon, daß dem fiegenden Thebaner die
Eroberung Spartas mißlungen war, war ein Erfolg nach außen. Günſtige
Wirkung im Innern hatte die Freilaſſung vieler tapferer Heloten: Die Zahl
der Staatsſklaven wurde ſo klein, daß ſie von jetzt ab dem Staat keine Gefahr
mehr bedeuteten. Im Gegenteil: Die Vermehrung der Zahl der Freien ließ
ſogar wieder eine Art Staatsgefühl in den freien Bauern entſtehen. Doch
fehlte ein Führer, fehlte leiſtungsfähiges Blut, das ein führendes Staats-
gebilde hätte tragen können. Trotz mancher Neuanſätze kam es nicht zu einer
Konzentration aller inneren Kräfte, die allein einen Neuaufbau hätte bringen
können. Zwar wird die äußere Gefahr abgewehrt. Auf dem Friedenskongreß
zu Delphi (367) erklärt Sparta, daß es die Selbſtändigkeit der Meſſenier nie
anerkennen werde, doch fehlt dem Staat jede Macht und Kraft.
Als im Jahre 338 der Makedonenkönig Philippos die morſchen griechiſchen
Staaten erobert und unter ſeiner Führung einigt, kam für Sparta der letzte
vergebliche Verſuch der Behauptung eigener Bedeutung. König Agis III.
machte ſich zum Führer einer antimakedoniſchen Front. Doch 331 unterliegt
auch Sparta Alexanders Statthalter in Makedonien, dem General Antipater.
Sparta war ausgeſchaltet. Aber die inneren Zuſtände im 4. Jahrhundert
geben uns Ariſtoteles und Plutarch einige Angaben, die die Erſtarrung wie
den inneren Zerfall zeigen). Herrſchender Luxus trotz größter Armut, Kin-
derloſigkeit der wenigen Spartaner, alle Staatsmacht in Händen der Groß⸗
grundbeſitzer ſind die charakteriſtiſchen Erſcheinungen. Auch die Einführung
von Belohnungen für Familien mit mehr als zwei Kindern ſchien den Ver⸗
fall nicht aufhalten zu können.
1) Plutarch Agis 3 und Arift. pol. II 6, 22 f.
Welche Bedeutung hatte das Bodenrecht Spartas? 601
Letzte Rettung?
Noch ein letzter Rettungsverſuch wurde im 3. Jahrhundert unternommen
in Torm einer großzügigen Reform von Staat und Bodenrecht.
Der Staat Alexanders war zerfallen, die Makedonen aus dem Peloponnes
vertrieben. Im Innern waren die Forderungen nach der „Verfaſſung Ly-
kurgs“, „nach der Gleichheit der Väter“ mit der zunehmenden Verelendung
immer mehr groß geworden. Hauptforderung der Reformbewegung, die be
ſonders von den jungen Leuten getragen wurde, war die Beſeitigung der
großen ſozialen Anterſchiede durch eine Zerſchlagung des Großbeſitzes
und Aufhebung der Hypotheken. Daneben kämpfte man für die Wieder-
berftellung der „väterlichen Sitte“, des idealiſierten alten Nomos.
ie Reformbewegung kam zum Sieg, als ſich im Jahre 242 der junge,
bochherzige E Agis IV. an ihre Spitze ſtellte. Er ftellte in der Volksver⸗
ſammlung den Antrag,
1. alle Hypothekenſchulden zu ſtreichen,
2. die Zahl der landbeſitzenden rtiaten, die auf 700 geſunken war, aus
der Geſamtheit der Amwohner und Fremden wieder auf 4500 zu erhöhen und
das Grundeigentum wieder in 4500 gleiche, unver äußerliche Land⸗
loſe zu teilen. Auch für die Amwohner ſollten neue kleine Siedlerſtellen ein⸗
gerichtet werden.
Der König und feine Mutter, die beiden größten Grundbeſitzer, ke
ſelbſt ihr Land zur Verfügung, um das Volk zu gewinnen. Durch einen
Staatsſtreich wurden die Aufſeher, die als Großgrundbeſitzer den Antrag zu
Fall bringen wollten, und der andere König, Leonidas, verbannt und vom
König eine neue Regierung berufen, die die Durchführung des Antrags in
die Wege leiten ſollte.
Verhängnisvoll war, daß die Staatsreform nicht in einem Zug durchgeführt
wurde. Die Abſchaffung der Schulden hatte gerade den verſchuldeten Groß⸗
grundbeſitzern Nutzen gebracht, die Neuteilung des Bodens aber, die dem
Volk aus der Verelendung helfen ſollte, war wegen Zwiſtigkeiten unter der
neuen Regierung und infolge außenpolitiſcher Schwierigkeiten verſchoben
worden. Die Maſſen waren enttäuſcht, die Reformpartei verlor ihre meiſten
Anhänger, ſo daß der verbannte König Leonidas es bald wagen konnte, mit
gemieteten Söldnern in Sparta einzuziehen und ſeine Macht wiederherzu⸗
ſtellen. Agis IV. wurde nach zweijähriger Regierung ermordet.
Am die Güter des Agis in ſeine Hand zu bekommen, befahl Leonidas deſſen
Witwe, ſeinen Sohn Kleomenes zu heiraten. Doch hatte er damit nicht nur
den Landbefiß, ſondern auch das geiſtige Erbe des Agis an fein Haus ge⸗
bracht: Kleomenes follte als König der Fortfeger der Reform werden.
Die inneren Ae ala hatten fih noch verſchärft, da infolge der Entſchul⸗
dung auch die Macht der Großgrundbeſitzer vermehrt wurde. Kleomenes, der
als glücklicher Feldherr auch ein Heer von fremden Söldnern feſt in ſeiner
Hand hatte, konnte es wagen, geſtützt auf die Volksabſtimmung im Jahre
226, eine ſoziale Reform durchzuführen. Tragiſches Geſchick fügte es, daß er
dazu die letzten Dorer, das letzte leiſtungsfähige Blut Spartas, vernichten
mußte.
In einer Nacht ließ er Sparta durch fremde Söldner beſetzen, die fünf
Aufſeher und die führenden Reichen wurden umgebracht, 80 Spartiaten muß⸗
602 Hartmann Lempp
ten das Land verlaſſen. Wieder wurden alle Schuldſcheine öffentlich ver-
brannt, diesmal ſofort die Bodenteilung durchgeführt: 4000 erbliche,
unveräußerliche Landloſe wurden geſchaffen und an Anhänger des Königs,
ſowohl Spartiaten wie Amwohner als auch fremde Söldner verteilt.
Zugleich wurde die alte lakedämoniſche Zucht und Diſziplin wieder zum
ſtrengen Geſetz, das Amt der Auſſeher jedoch abgeſchafft und alle Macht dem
König gegeben.
Mit der Durchführung der Reform war auch eine innere Kräftigung des
Staates erreicht. Die Spartaner fühlten ſich wieder als Glieder eines Staates,
es erwachte der Stolz auf die alte Tradition und Geſchichte, die Herrſchaft
des Eigennutzes und Großkapitals ſchien der alten Tugend und Leiſtung ge⸗
wichen zu ſein. Sparta erhob wieder den Anſpruch auf Führertum auf dem Pe⸗
loponnes, mit feinem Heer aus Neuſpartiaten gewann Kleomenes in glänzen-
den Siegen Argos, Arkadien, Korinth. Aber die Herren der kapitaliſtiſchen
Griechenſtädte fürchteten nichts ſo ſehr als die Herrſchaft des neuen Sparta.
Lieber wollten ſie dem Landesfeind die Tore öffnen, als die Herrſchaft des
Reformkönigs anerkennen, obwohl Kleomenes ſich bis dahin jedes Eingriffs
in die inneren Verhältniſſe der Städte enthalten hatte.
So kam die Kataſtrophe durch Verrat. Die Kapitaliſten lieferten dem
König von Makedonien Antigonos Doſon die Feſtung Korinth aus und be⸗
wogen Argos zum Abfall von Sparta. Kleomenes’ Spartiatenheer war ſchwach,
die 14000 Söldner, die er dazugeworben hatte, wurden ungeduldig, weil er
ihren Sold nicht bezahlen konnte. Um fie nicht zu verlieren, mußte er ſich ent⸗
ſchließen (auch der Krieg war ein großkapitaliſtiſches Anternehmen geworden),
unter ungünſtigen Bedingungen bei Selaſia die Schlacht gegen die 40 000
Mann des Makedonierkönigs anzunehmen. Trotz ſchärfſter Gegenwehr wurde
das Herr des Kleomenes geſchlagen und aufgerieben. Mit wenigen entkam
der König. Antigonos zog in Sparta ein, Kleomenes mußte nach Agypten
fliehen. In Sparta wurde die „alte Verfaſſung“ wiederhergeſtellt, d. h. die
Reform ſamt den Bodengeſetzen aufgehoben.
Spartas Geſchichte war im weſentlichen zu Ende.
Schickſal.
Es war der letzte Verſuch geweſen, mit Hilfe einer Verbindung des Men-
ſchen mit dem Boden wieder eine dauerhafte Staatsgrundlage zu erreichen.
Doch war ein wirklicher Erfolg ſchon von vornherein in Frage geſtellt, ja
unmöglich, denn es fehlte ſchon ſeit Generationen leiſtungsfähiges Blut, das
einen Staat der Zucht und der Führerſchaft hätte tragen können. Die Neue
ſpartiaten, welche König Kleomenes berief, waren nicht mehr kulturfähig:
Meergriechen, Abenteurer aus den Hafenſtädten der „neuen Welt“, aus Anter⸗
italien, Sizilien und Kreta, konnten ſie nicht den Anſpruch darauf machen,
auf ſpartaniſchem Boden Nachfolger der alten Heraklidengeſchlechter zu ſein.
Wenige Jahre nach der Vertreibung des Kleomenes begann in Sparta der
Bürgerkrieg von neuem. Von Reformen war nicht mehr ernſthaft die Rede,
die „Könige“, die nacheinander die Herrſchaft an fidh riffen und ein Schreckens⸗
regiment ausübten, waren Abenteurer ohne Ziel und Idee. Zwei Generatio-
nen fpäter zertraten die römiſchen Legionen die letzten Reſte griechiſcher
Freiheit. |
Welche Bedeutung hatte das Bodenrecht Spartas? 603
Es gab ſchon längſt keine Spartiaten mehr. Die Menſchen, die im Jahre
146 um die Gnade baten, ins Römiſche Reich aufgenommen zu werden,
waren nach Blut und Naſſe andere als die 300, die bei Thermopylai bis zum
letzten Mann für die Freiheit Griechenlands aushielten.
Der Himmel war genau fo blau über Griechenland wie zu Lykurgos' Bei-
ten, aber Staaten und Kulturen ſchafft nicht der Himmel und nicht das Klima;
ohne blutsmäßig leiſtungsfähige, im Boden wurzelnde Menſchen bleiben die
beſten Amſtände der Lage und Natur unfruchtbar.
Spartas Schickſal iſt nicht ein intereſſantes Einzelbeiſpiel. Es iſt die Tra⸗
gik des überall wirkenden und ſtaatsſchöpfenden nordiſchen Blutes, es gehört
damit zuſammen mit dem Antergang der Vandalen, Goten, Normannen und
Deutſchen des Mittelalters, ſeine Wirkungen reichen herüber in die Neuzeit
und über das Abendland hinaus — zu uns, die wir heut ebenſo die Verant⸗
wortung zu tragen haben für den Beſtand unſeres Blutes und Volkstums
wie jene Völker der Geſchichte.
Nicht die Kultur altert, denn leiſtungsfähige Erblinien altern und welken
nicht, ſie können nur gemordet werden, ſo daß die einzig fähigen Träger der
Kultur ausſterben. Dann iſt aber das Schickſal eines Volkes wie ſeiner Kul⸗
tur befiegelt und kann weder durch Beſchlüſſe noch durch die Macht eines
einzelnen geändert werden.
Quellen- Angabe
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Das Arhiv
Mattonalfosialismus oder Kapitalismus?
Einer der wichtigſten weltanſchau⸗
lichen Grundgedanken der NSDAP.
liegt in der Abkehr vom Kapitalismus und in
der Hinwendung zum deutſchen Sozialismus,
aljo zum Nationalſozialismus. Der ſozialiſtiſche
Grundgedanke der Partei iſt bekanntlich in der
deutſchen Landwirtſchaft durch die
nationalſozialiſtiſche Agrarpolitik z um Durch ⸗
bruch geführt worden. Die Anwendung
der hier waltenden Grundſätze auf die ge⸗
ſamte Wirtſchaft iſt die Frage des
Tages. Dieſe Frage wird das Jahr 1936 be⸗
antworten müſſen.
In dieſem Zuſammenhang it die Rede des
Führers auf der Jahrhundertfeier der Deut⸗
ſchen Reichsbahn in Nürnberg von ent-
ſcheidender Bedeutung. Da es ſich hier um eine
der wichtigſten Fragen der nationalſozialiſtiſchen
Wirtſchaftspolitik handelt, folen die Aus führun⸗
gen des Führers und das Echo, das ſie gefunden
haben, hier mit beſonderer Ausführlichkeit zu⸗
ſammengefaßt werden.
Völkiſcher Beobachter Mr. 343 vom
9. 12.:
Midtungweifende Rede des Führers.
ve . Ausgehend von dem Geſichtspunkte
des Nutzens für die Geſamtheit muß man
in der Eiſenbahn, ſo wie ſie ſich in Deutſchland
entwickelt hat, das erſte ganz große
ſozialiſtiſche Unternehmen ſehen
gegenüber den Geſichtspunkten der Vertretung
rein kapitaliſtiſcher Einzelintereſſen.
Das erkennt man erſtens in der Organi⸗
ſation des Eiſenbahnverkehrs an ſich. Das Ver⸗
kehrsnetz der Bahn iſt in ſeinem innerſten
Weſen ſozialiſtiſch empfunden und
ſozialiſtiſch gedacht: Es iſt das Eigen⸗
artige dieſes Unternehmens, daß an der
Spitze nicht die Frage des Gee
winns, ſondern die Befriedigung des Ber-
kehrsbedürfniſſes ſteht. Dieſes Unternehmen hat
mehr als irgendein anderes Unternehmen vom
erſten Augenblick, in dem es in den Dienft
einer größeren politiſchen Gemeinſchaft trat, dat
Prinzip verfochten, nicht Linien zu bauen dort,
it, ſondern Linien zu bauen überall dort, wo
das Bedürfnis nach einer Verbindung beſteht,
und den Ausgleich zu ſuchen zwiſchen den⸗
jenigen, die an ſich rentabel find, und denen, die
nicht rentabel ſein können.
Es würde ein unermeßlicher Rückſchritt fein,
wollten wir heute etwa den Gedanken vertreten,
die Linien abzubauen, deren Rentabilität nicht
geſichert ift. Das würde geradezu eine Rückkehr
in ſchlimmſte nur kapitaliſtiſ oe
Auf faſſungen bedeuten. Es if daher für
die Zukunft unſere Aufgabe, dafür zu ſorgen,
daß nicht etwa die Deutſche Reichsbahn ein
Opfer anderer Verkehrseinrichtungen wird, die
ſich zunächſt dieſen größeren Grundſatz einer
ſozialiſtiſchen Leiſtung noch nicht für die Geſamt⸗
heit zu eigen gemacht haben und nicht zu eigen
machen können, ſondern es iſt unſere Aufgabe,
dafür zu ſorgen, daß in der Zukunft zwiſchen
dieſem ſozialiſtiſchen Unternehmen und dem vor
wärtsſtürmenden Neuen unſerer individuellen
Verkehrsbefriedigung eine Syntheſe ge
funden wird. Unter keinen Umſtänden darf jedoch
der Träger unſeres gewaltigen Geſamtverkehrs
irgendwie zu Schaden kommen.
Und zweitens feben wir den ſozialiſtiſchen
Charakter der Reichseiſenbahn noch in etwas
anderem. Sie ſtellt eine Warnung dar
gegenüber den ausſchließlichen Anſprüchen
der privatkapitaliſtiſchen Det,
trin. Sie iſt der lebendige Beweis,
daß man ſehr wohl ein Gemein⸗
ſchafts unternehmen führen kann
ohne privatkapitaliſtiſche Ten-
denz undohne privatkapitaliſtiſche
Führung. Denn man darf nicht vergeſſen:
die Deutſche Reichsbahn iſt das größte
Wirtſchafts unternehmen, der größte
Auftraggeber, den es überhaupt auf der
Welt gibt. Die Deutſche Reichsbahn konnte
und kann jeden Vergleich aushalten
mit den rein privatkapitaliſtiſch
auf gezogenen Eiſenbahnunternehmungen.
Wer im Frieden z. B. Gelegenheit hatte, die
Preußiſche Staatsbahn zu vergleichen mit den
privaten Bahnunternehmungen anderer Länder,
wo die Rentabilität abſolut ſichergeſtellt der mußte denn doch feſtſtellen, daß dieſer Ge
Das Archiv
meinſchaftsbetrieb — im höchſten Sinne
des Wortes ſozialiſtiſcher Gemein
ſchaftsbetrieb — nicht nur vergleichs⸗
würdig war, fondern daß er der beſtgelei ⸗
tete, der beſtorganiſierte und der
auch kauf männiſch trotzdem rentabelſte
Betrieb geweſen iſt. Dieſer Betrieb hat da⸗
bei die größte Semeinſchafts⸗
leitung erreicht, d. h. die Rentabilität ent-
Rand nicht durch eine rückſichtsloſe Ausnutzung
des Materials, durch die ſchlechte Art des Un⸗
terbaues, durch eine betriebsunſichere Führung,
durch eine außerordentliche Gefährdung der Rei⸗
ſenden, im Gegenteil, auf allen dieſen Gebieten
ſtand dieſes Unternehmen weit an der
Spit e aller ähnlichen Unternehmungen.
Es iſt ſehr wichtig, ſich dies in einer Zeit vor
Augen zu halten, die nur zu leicht ſich dem
Extrem zuneigt und auf der einen Seite meint,
es beſtehe überhaupt nur eine ſozialiſtiſche Ge-
meinſchaftswirtſchaft oder umgekehrt, es kann
ũberhauyt nur eine kapitaliſtiſchen Einzelinter⸗
eſſen dienende Wirtſchaft geben. Wir ſehen die
unendlichen Erfolge der kapitaliſtiſchen Wirt⸗
ſchafts entwicklung des vergangenen Jahr⸗
hunderts, aber wir haben in der Reichs⸗
bahn zugleich einen ſchlagenden Ber
weis, daß es genau fo gut möglich iſt, ein
Unternehmen auf einer anderen Baſis mufter-
gültig und beifyielgebend aufzubauen. Und darin
liegt ein unendlich großer Wert. Wir
konnen daraus lernen und für die Zukunft dar-
aus auf dem einen oder anderen Gebiet auch
Folgerungen ziehen, nicht einer Doktrin wegen,
ſondern einer nüchternen Erkenntnis entſprechend.
Und drittens: Dieſe Bahn iff ein un ⸗
endlich fozialiftifhes Unternehmen in
der ganzen Art ihrer inneren Organiſation. Sie
iſt der ſchlagende Beweis dafür, daß es möglich
if, eine gewaltige SGemeinſchafts⸗
leiſtung zu erzielen, ohne — und das iſt
wichtig — unerhörte Belohnungen durch Ge-
winne einzelner Menſchen. Das, was wir auf
der einen Seite in unſerer Armee ſehen, dat
ſehen wir hier auf wirtſchaftlichem Gebiet; ein
gigantiſches Unternehmen, das ſich weſentlich
aufbaut auf Pflichtbewußtſein und Dienſtfreudig⸗
keit. Das werden Sie mir wohl alle zugeben,
daß — ganz gleich, welchen Platz der einzelne
in der Deutſchen Reichsbahn einnimmt — im
weſentlichen wirklich keine privatkapita⸗
liſtiſche Entlohnung für die gegebene
Leiſtung erfolgt, ſondern daß dieſes ganze Nte-
fenunternebmen ſich auch als Wirtſchaftsunter⸗
nehmen aufbaut auf Gedanken und Grundſätzen,
605
die wir in unſerer Verwaltung, in un⸗
feren Beamtenkörper und in der Armee
kennen. Es iſt eine Organiſation unerhörtefter
Pflichterfüllung, angefangen vom Streckenarbei⸗
ter oder Weichenſteller bis hinauf zur bof
beamteten Führung dieſes Unternehmens.
Das iſt wichtig zu wiſſen in einer Zeit,
in der nur zu leicht unter den Einwirkungen der
ſonſtigen Wirtſchaftsentwicklung die Meinung
vertreten werden kann, die Führung eines großen
Wirtſchaftsunternehmens fei ohne privatkapita⸗
liſtiſche Tendenzen überhaupt nicht denkbar. Da⸗
bei ift dieſes nach ethiſch und moraliſch hoch⸗
ſtehenden Gedanken geleitete und organiſierte
Unternehmen zugleich das fortſchritt⸗
lichſte Verkehrs unternehmen, das es überhaupt
gibt.
Daß wir Nationalſozialiſten gerade dieſe
Seite befonders begrüßen, ift ſelbſtverſtändlich.
Wir kämpfen für einen Staat, der aufgebaut
fein fol auf dem Gedanken, daß Gemein nutz
vor Eigennutz ſtehen ſoll. Uns bewegt da⸗
bei ein ungeheures Maß von Idealismus.
Manche ſagen ſogar: von einer nicht berechtigten
Phantaſie, einer Ideologie. Aber wir haben ge⸗
waltige Beiſpiele und begründete Unter ⸗
lagen dafür in der Geſchichte — dem
Staat an ſich, der Staatsverwaltung, dem Be⸗
amtenkörper, der Armee und hier in einem Wirt-
ſchaftsunternehmen „Deutſche Reichsbahn“ —,
daß fo eine Auffaſſung fider
realiſierbar erſcheint. Ich weiß, daß
nichts auf der Welt mit einem Schlage geht,
daß alles feine Entwicklungszeit benötigt. Aber
ich bin der Überzeugung, daß eine
ſolche Entwicklung denkbar und es
unſere Aufgabe iſt, einer ſolchen
Entwicklung überall nachzuſtreben.
Nicht, um einer Doktrin zu dienen. Wir wiſſen
ganz genau, daß wir an keiner Stelle die
Initiative der Perſönlichkeit hemmen dürfen.
Das wollen wir nicht. Aber es iſt nötig, daß
als das große Schlußziel immer wieder
der Leitgedanke aufgeſtellt wird: Die
Leiſtungen des einen haben in erſter Linie der
Geſamtheit zu dienen, und der Nutzen, der für
die Geſamtheit abgeworfen wird, wird ſich um-
ſetzen in den Teil des Nutzens, der auf den ein⸗
jelnen trifft. Das it ein Ideal, auf einigen
Gebieten verwirklicht, auf anderen Ge⸗
bieten in der Entwicklung begriffen,
auf anderen Gebieten überhaupt nicht reif zur
Entwicklung. Aber wir wollen uns hüten vor
irgendeiner Doktrin, vor der einen wie vor der
anderen. ,
Die Deutſche Reichsbahn it ein Beweis da-
für. Und ſo möchte ich am heutigen Tage den
Männern danken, die an dieſem großen Gemein-
ſchaftswerk tätig find, den leitenden Männern,
an der Spitze Ihnen, Herr Generaldirektor, und
den Hunderttauſenden von Beamten und Hun-
derttauſenden von Arbeitern. Indem Sie an
einem folchen Gemeinſchaftswerk mitarbeiten,
helfen Sie mit, die Grundlage zu ſchaffen für
einen Staat der Zukunft. Ich möchte
Ihnen allen danken, die in der Deutſchen Reichs ⸗
bahn als tätige Männer unferes Volkes ni cht
kapitaliſtiſcher Geſichtspunkte we
gen ihre Pflicht erfüllen, ſondern ihre
Pflicht erfüllen als deutſche Volksgenoſſen.“
Kommentare:
N. S. Landpoſt, Folge 50 v. 13. 12. 35:
Leitartikel:
Dem Kapitalismus mitten
ins Herz!
Zur Fährerrede bei der Neichabahnfeier.
Von Stabsamts führer Dr. Reiſchle.
Die Gegner des Nationalſozialismus haben
im Verlaufe des zu Ende gehenden Jahres
ſachte das Angriffsfeld gewechſelt. Nachdem auch
ihnen allmählich klar geworden war, daß ein
offenes Anlaufen gegen die politiſchen
Srundſätze der Bewegung vorderhand aus ſichts⸗
los war, ſind ſie auf das wirtſchaftliche Gebiet
hinübergewechſelt. Der Leidtragende dieſes Front-
wechſels war in vorderſter Linie der Reichsnähr⸗
ſtand. Denn gegen dieſes von Na⸗
tionalſozialiſten nach den wirt ⸗
ſHaftspolitiſchen Grundſätzen der
Bewegung geſtaltete ſozialiſtiſche
Bollwerk richtete ſich mit voller
Kraft der Stoß des Gegners. Ver-
nebelt wurde dieſer Angriff durch das Schlag⸗
wort „Planwirtſchaft“, mittels deſſen man den
Reichsnährſtand allmählich in die ideologiſche
Nachbarſchaft zu dem bolſchewiſtiſchen Staats⸗
kapitalismus zu rücken verſuchte. Die erſte Ab⸗
fuhr, die der Führer einem ſolchen Verſuche
durch die Rede Darréès auf dem Reichspartei⸗
tage 1935 zuteil werden ließ, genügte noch nicht.
Das vom übelwollenden Auslande nur zu deut⸗
lich unterſtützte Keſſeltreiben verſtärkte ſich zwi⸗
ſchen Reichsparteitag und Erntedanktag noch.
Da ſchlug der Führer unerwartet mit ſeiner
Rede auf dem Bückeberg ſelbſt zu, indem er den
Das Archiv
Grundfag der planvollen Steuerung unferer
Geſamtwirtſchaft als unabänderliche Tatſache
feſtſtellte. Damit war weiteren Angriffen auf
dieſem Gefechtsfeld der Boden entzogen. Al-
lein der Gegner war nicht müßig.
Behende wurde ein Stellungswechſel vollzogen.
Seit einigen Wochen wurde die neue Taktik be⸗
merkbar: die Ehrenrettung des Kapitalismus
folte vor dem nationalſozialiſtiſchen deutſchen
Volke vollzogen werden! Der Plan war klug
genug: gelang es, die klaren antikapitaliſtiſchen
Srundſätze des Parteiprogramms ſozuſagen als
wirklichkeitsfremd zu erweiſen, ſo war ein Auf⸗
marfdgelande gegen andere, ſehr unbequeme
Grundfage des Parteiprogramms, 3. B. in der
Raſſenfrage, ſichergeſtellt. Der Führer hat
auch hier ebenfo unerwartet wie
entſcheidend zugeſchlagen. Seine
Rede anläßlich der Hundertjahrfeier der Deut⸗
ſchen Reichsbahn in Nürnberg war erſtens ein
erneutes Bekenntnis zu der national ſozialiſti⸗
ſchen „Ideologie“ der antikapitaliſti⸗
ſchen Gemeinſaftswirtſchaft und
zweitens eine Beweisführung von logiſcher Folge-
richtigkeit dafür, daß ſich dieſe „Ideologie am
Beiſpiel der Reichsbahn geſchichtlich bereits als
verwirklichungsfähig erwiefen habe
Hier berührte der Führer die empfinde
lichſte Stelle des kapitaliſtiſchen
Prinzips. Wenn es, wofür übrigens der
Weg der nationalfozialiſtiſchen Bewegung an
ſich bereits ein vollgültiger Beweis war, möglich
ift, durch einen Appell an den Gemeinſchaftsſinn
mindeſtens dieſelben Leiſtungen für das Volk
ſicherzuſtellen wie durch eine nur mit klingender
Münze ausgelöſte „Privatinitiative“, dann hat
der Kapitalismus als Prinzip ausgefpielt ...
Als Nationalſozialiſten, die auf einem anderen
Anwendungsgebiet — dem der Ernährungswirt⸗
ſchaft — um die Verwirklichung derfelben
Grundſätze im Einſatz ſtehen, begreifen wir die
tiefe Genugtuung... Adolf Hitlers
gegen Schluß ſeiner geſchichtsbildenden Rede
Das deutſche Bauerntum wird in der Erzeu⸗
gungsſchlacht und der Reichsnährſtand insgeſamt
in der Schaffung einer nach denſelben „ethiſchen
und moraliſchen“ Grundſätzen aufgebauten
Marktordnung dem Führer eines Tages
den Beweis erbringen, daß ſeine
Auffaſſung auch auf dem uns
anvertrauten Anwendungsgebiet
realiſiert ift. Das wird der Todesſtoß fein
dem Kapitalismus mitten ins Herz!
Das Archiv
. R.S. Land po ſt Folge 51 vom 20. 12. 35:
Leitartikel:
Sozialismus der Leiftung.
Von Dr. Merkel.
. .. So iſt deutlich erkennbar, daß Reihs-
bahn und Reichs nährſtand in ihrer
Wirtſchaftsorbnung auf den gleichen
Grundgedanken beruhen. Die Verſchieden⸗
heit beſteht lediglich darin, daß die Reichsbahn
rechtlich ein Einheits unternehmen ift, eine Un-
ternehment - und Wirtſchaftseinheit, während der
NReichsnährſtand Millionen von Betriebe ume
faßt. Daraus ift erſichtlich, daß nicht die
Unternehmensform bas Entſcei ⸗
dende ift, fondern die Idee, die in der
Wirtſchaftsordnung lebt. Iſt diefe Idee natio-
nalſozialiſtiſch, fo kann der Geift einer ſolchen
Wirtſchaftsordnung ſowohl in einem Einheits⸗
unternehmen wie in einer Millionenzahl von
Betrieben lebendig ſein.
Deshalb ites nicht damit getan,
daß die Verfechter der kapitaliſtiſchen Wirt-
ſchaftsauffaſſung etwa die Bedeutung der Füh⸗
rerrede mit der Behauptung entlräften wollen,
ſolche Wirtſchaftsgrundſätze hätten etwa nur für
die Reichsbahn Bedeutung. Nein. Der, Reihs-
nährſtand hat den lebendigen Beweis dafür an-
getreten, daß der Geit national ſozialiſtiſcher
Wirtſchaftsordnung, der Geiſt der Ordnung, der
Leiſtung, der Gemeinſchaft und der Pfichterfül⸗
lung, auch in einer Millionenzahl von Einzel ⸗
betrieben lebendig ſein kann, die durch ihre Lei⸗
ſtung dem deutſchen Volk und der deutſchen
Volksernährung dienen wollen.
Dieſe Gedanken find keine Ideologie,
wie unſere Gegner behaupten. Sie entſtammen
dem Idealismus der Tat. Diefer Idea⸗
lismus iff das Allerwirklichſte, denn feine Ge⸗
danken werden Wirklichkeit
Zeitungsdienſt A des Reichs
nährſtandes Mr. 285 vom 11. 12. 35 ver-
breitet die Ausführungen des Stabsamtsfihrers
Dr. Reiſchle mit folgenden Zuſätzen:
Kompromißler gegen den Kapitalismus.
In den letzten Wochen konnte es manchmal
den Anſchein erwecken, als ob in der Erörterung
wirtſchaftspolitiſcher Fragen die kapitaliſtiſchen
Auffaſſungen ſtark an Gelände gewonnen hätten.
Die Nürnberger Führerrede hat hier als Fa ⸗
nal gewirkt und bewieſen, daß die national⸗
ſozialiſtiſche Führung auch in der Wirtſchaft ge⸗
willt iſt, an der Verwirklichung der Theſe „Se
meinnug geht vor Eigennutz“ feſtzuhalten
Odal Heft 7, Jahrg. 4, Bg. 5.
607
Zeitungsdienſt (Berliner Dienſt Graf
Reiſchach), Ausgabe I vom 13. 12. verbreitet
einen Artikel unter der Uberſchrift:
Wenn du denkſt, du han...
. . . Von wem die Rede ik? Nun, vom kreuz ⸗
fidel allerorts wieder auftauchenden Geiſt des
Kapitalismus natürlich! Quicklebendig
tritt er in einen der zahlreich dargebotenen
Steigbügel, ſchwingt ſich in den Sattel und
ſprengt mit verhängtem Zügel und eingelegtem
Federhalter davon. Schwupp, geht es über die
ere Hürde — hops, da ware die zweite! Die
Sache geht beſſer als gedacht, und von ferne
winkt ſchon das Ziel! Jetzt aber kommt der
Doppelwall, an dem ſchon mancher Huſarenritt
fein Ende fand. „Grundſätze des Par⸗
teiprogramms der NS D Ap.“ ſteht
groß darauf geſchrieben
Auch der erwähnte „kapitaliſtiſche Huſarenritt“
wurde hier abgeblafen...
(Graf Reiſchach berichtet dann über die Feft-
ſtellungen des Stabsamtsführers Dr. Reiſchle.)
. . . Es ift nicht anzunehmen, daß die Nürn⸗
berger Rede des Führers mißverſtanden wird.
Der Huſarenritt unferes ,fapita-
liſtiſchen Geiſtes“ dürfte vorläufig
erſtmal als beendet anzunehmen ſein.
Tiefbefriedigt klappen wir den Deckel des Ka-
ſtens, in dem er wieder wohlgeborgen ruht, zu
und warnen unvorſichtige „Ammen“ vor unzeit-
gemäßen Mährverſuchen. Helmar Donner.
Wirtſchaftspolitiſcher Die n ſt
(Dr. von Renteln), Folge 286 vom 9. 12. 35:
Leitartikel:
Auf dem Wege zum Sozialismus.
Der Führer nahm die Jahrhundertfeier der
deutſchen Eiſenbahnen zum Anlaß, ſich ſpontan
zu den Grundfragen nationalſozialiſtiſcher Wirt⸗
ſchaftsauffaſſung zu äußern. Er gab damit der
Nürnberger Veranſtaltung eine Bedeu⸗
tung, die weit über den Kreis der
Eiſenbahn und des verkehrspolitiſchen In⸗
tereſſes hinaus führt
. .. fo muß am Anfang der Dank ſtehen, den
wir dem Mann fagen, der wie keiner es vers
ſteht, zur rechten Zeit das rechte
Wort zu fagen. ... In Mürnberg hat der
Führer für den Abſchnitt Wirtſchaft erneut die
Parole ausgegeben, ſie heißt eindeutig:
Es wird weitergekämpft um die
Verwirklichung des Sozialis⸗
mus!
608
Wir wiffen, das der Führer heute wie früher es
ablehnt, ein in allen Einzelheiten ausgearbeitetes
Programm für den Aufbau der ſozialiſti⸗
ſchen Wirtſchaft bekanntzugeben.
Wir wiſſen aber, daß er es iſt, der immer
wieder alle in der Wirklichkeit tätigen Bolts-
genoffen, ob fie nun Gefolgsmannen im Betrieb
ober deffen Führer find, ob fle als felbftindige
oder entlohnte Mitarbeiter in einem mehr
kapital - oder mehr arbeits · intenſiven Wirtſchafts⸗
zweig tätig find, zu dieſer Aufgabe ent,
rufen wird. Wer dieſen Aufruf
nicht verſteht, wen ſein Wort nicht zur
Arbeit in diefer Richtung mitreißt, der wird Sé
entweder von felbft auschalten oder, wenn es
notwendig iſt, als Hindernis in der gewollten
Entwicklung beſeitigt werden
. Ebenſowenig wie ih in der hochkapitaliſti⸗
fen Wirtſchaft nur rein privatkapitaliſtiſche
Unternehmungen gebildet haben, ſondern in ſol⸗
chen Unternehmungen wie der Reichsbahn und
anderen öffentlichen Betrieben bereits Anſätze
neuer Wirtſchaftsformen auftraten, ebenfowenig
kann der Übergang zur ſozialiſtiſchen Gemein⸗
wirtſchaft auf die ſchrittweiſe Umbil-
dung der einzelnen Wirtſchaftszellen
verzichten.
.. . Der Führer hat ſich mit aller
Deutlichkeit gegen dieſe Zweifel
an der Durchführbarkeit der aus
nationalſozialiſtiſchem Bebon,
fengut kommenden Wirtfhafts-
prinzipien gewandt.
.. Wenn ein Unternehmen derartige zum
Teil fogar außergewöhnliche Gemeinintereſſen be-
rückſichtigen kann, ohne wirtſchaftlich befonders
ſchlecht abzuſchneiden, ſo iſt das ſchon ein ſchla⸗
gender Beweis für die Wirklichkeitsnahe der
Forderungen, die wir beim Aufbau der ſozia⸗
liſtiſchen Wirtſchaft immer wieder erhoben
haben
pbs Das Wort von ber dienenden
Wirtfhaft kann ſich nur durchſetzen, wenn
vor die Abſicht, einen wirtſchaftlichen Gewinn zu
erzielen, das Bewußtſein der Ver⸗
pflichtung tritt, daß die Entlohnung nur zu
Recht beſteht, wenn die wirtſchaftliche Betati-
gung der Erhaltung von Volk und Reich oder
der Mehrung feiner Wohlfahrt dient.
Das aktive Organ des Rheinlandes, die
MSZ. Rheinfront vom 9. 12.:
Klarheit.
. Diefe ſchlagfertige Antwort an
die Anwälte der kapitaliſtiſchen Anſchauung
Das Archiu
kommt im richtigen Augenblick. Sie hat — was
ſelbſt verſtänd lic if‘ und was feder
Nationalſozialiſt dankbar begrüßt — die Mot-
wendigkeit und das un verwaſchbare
Biel einer ſozialiſtiſchen Ordnung
auch im wirtſchaftlichen Sektor erneut is
aller autoritären Ernſthaftigkeit
heransgeſtellt. Damit find gewiffe Nebel
ſchwaden, die künſtlicherweiſe vor dem Blickfeld
in die Zukunft aufgetaucht waren, wieder zer⸗
ſtreut worden. Wir begrüßen die Nürnberger
Aus führungen des Führers mit großer Ge-
nugtuu ng
NSZ. Rheinfront vom 10. 12.:
Wo bleibt der Kommentar der
bürgerlichen Preffe?
... Den bürgerlichen Zeitungen,
die ſonſt mit Kommentaren und eigenen Deu-
tungen ſchnell bei der Hand find, ſ Heinen
die paſſenden Worte zu fehle n. Sie
haben kein Organ für die nationalſozialiſti ſche
Sprache des Führers, die dennoch jeder verſteht,
der verſtehen will.
Der Führer hat die Feier ... benutzt, um
eine politiſche Rede zu einem der mig-
tighen Programmpunkte der Pare
tei: zum deutſchen Sozialismus zu halten
Die liberale Volkswirtſchafts⸗
lehre der Vergangenheit (und manchmal leider
auch der Gegenwart) pflegt über das
Thema Eiſenbahn ſchnell hinwegzugehen. Es
paßt nicht in die doktrinäre Vorſtellungswelt des
Liberalismus, deſſen ganze Liebe der Ausmalung
der Vorzüge des Kapitalismus gilt. ... Wer
gegen den Kapitalismus iſt, ſtellt ſich auch gegen
die Technik. Er iſt mit anderen Worten ein
Reaktionar — Tagen, bie Kapitaliſten.
Das ift ein Trug ſchluß, dem viele Men-
ſchen unterliegen, weil die Gewohnheit und das
Trommelfeuer der kapitaliſtiſchen Begriffswelt
ſie abgeſtumpft haben. Wir lehnen es ab... Es
ift eine Doktrin
Deutſlands erſter Sozialiſt,
Adolf Hitler, hat dem Kapitalis. `
mus die Waffe aus der Hand ge-
ſchlagen
Der „Erwerbstrieb“, meint der Kapi⸗
taliſt, it und bleibt die naturgemäße Grundlage
alles Wirtſchaftens. Er bleibt der ſtärkſte An-
fporn zur wirtſchaftlichen Höchſtleiſtung. Nun
denn, die deutſche ESiſen bahn beweiſt es
anders. . . . Dieſe Tatſache wirft alle
liberaliſtiſchen Theorien über den
Haufen. Man ſollte die Führerrede fehr auf⸗
Das Archiv
merkſam Leien, Es ſteht ſehr viel darin. Unfer
Staat ... wird darangehen, unfere Wirtſchaft
ſozialifliſch zu geſtalten. Daran ift nicht mehr
gu denteln. .
NSZ. Rheinfront vom 10, 12.:
Sozlaliſtiſche Ziele.
Von Joſef Hünerfauth.
... Auf die Mehrheit des Volkes wirkte fie
befreiend und feſtigte die Zuverſicht. Jene
andere Seite hat die Fehlkalkulation be⸗
gangen, das zeitweilige Schweigen der national»
ſozialiſtiſchen Führung als indirekte Ermutigung
zum Abbruch der ſozialiſtiſchen Theſe auszulegen.
Sie hat einen Reinfall erlebt. Welt»
anſchauungen find keine Börſen
papiere. Man kann mit ihnen nicht beliebig
ſpekulieren. Die national ſozialiſtiſche Weltan-
ſchauung iſt erſt recht vollends ungeeignet, um
als „börſengängiges“ Weſen in den Händen der
Spekulation verbraucht zu werden. Es war note
wendig und ein glückliches Ereignis,
daß dies wieder einmal klipp und klar allſeits
zum Bewußtſein gebracht wurde.
Unfere Weltanſchauung iſt in den elementaren
Grunderkenntniſſen fer, in der Anwendung
und Auswertung muß fle beweglich bleiben.
Das gilt beſonders für die großen ſozialiſti ·
ſchen Prinzipien, deren geiſtige und
ſtrukturelle Umformungsziele vorfidtige, von der
Vernunft diktierte Wege ſuchen müſſen. In
dieſem Sinne wollen wir die Warnung des
Führers verſtehen, die eine ſtarre Doktrin nach
beiden Seiten ablehnt. ... Wir ſtellen feſt, daß
die techniſche Entwicklung nicht un⸗
bedingt abhängig iſt von der privaten Ver⸗
truſtung der Unternehmen und von der perſoͤn⸗
lichen Uberbereicherung einzelner zum
Nachteil der Volks mehrheit... . Uns kommt es
aber darauf an, in weſſen Händen dieſe
Kapitalmengen ſich befinden, wie ſie erworben
werden können, wer fie verwaltet und in welchem
Sinne fie eingefegt und die Gewinne verteilt
werden
Wir wollen nicht kollektivieren,
fondern ſozialiſieren. Weil die Ge-
meinſchaft durch ihre Arbeit am Aufbau unſeres
wirtſchaftlichen Standards beteiligt iſt, muß ihr
auch gerechterweiſe der Mugen im Maße der
Einzelleiſtung zukommen. Die Erfüllung dieſes
sittlichen Gebots kann nicht privatkapitaliſtiſch,
fondern nur ſozialiſtiſch geſchehen.
5*
dé
609
NSZ. Rheinfront vom 13. 12.:
Schlagzeile: Das Problem unſerer Zeit:
Sozialiſtiſche Wirtſchaftsform.
Die Notwendigkeit: Sozialiſie⸗
rung der Konzerne — Die Aufgabe:
Bildung neuer Exiſtenzen. Von E. Fr. Raſche.
... Iſt unn Sozialiſterung möglich? Ent-
ſpricht ſie der Vernunft? In ſeiner klaren und
eindeutigen Rede in Nürnberg hat der Führer
für die Sozialiſſerung der Großbetriebe ein
klaſſiſches Beiſpiel angeführt...
. . . Das Veifpiel, das der Führer heranzog,
beweiſt, daß es ebenſo möglich ift, den großen
Konzernen des Monopolkapitalismus ihre ge ⸗
fährliche kapitaliſtiſche Tendenz:
zu nehmen, fie in den Beſitz der
Nation zu überführen und als Gemein-
ſchaftsleiſtung noch ſtärker der Wirtſchaft des
ganzen Volkes dienſtbar zu machen
Die Ziele. .
Wir felen alfo nochmals feſt: Sosialifferung
der vergeſellſchaftlichten Sroßbetriebe — Aus⸗
weitung und Stärkung des Sektors der yerfön-
lich geleiteten Betriebe — Stärkung des
bäuerlichen Sektors
Preußiſche Zeitung vom 9. 12.:
Die Doktrin. |
A. P. Mit unendlicher Klarheit und Prä-
gnanz hat der Führer ... den Begriff des
deutſchen Sozialismus erläutert und ihm ſeinen
ureigenſten Sinn zurückgegeben. Zurüdgegeben?
Ja, denn es war nie ſo nötig, wie in
dieſem Augenblick, einmal mit falſchen
Vorſtellungen und Begriffsbeſtimmungen aufzu⸗
räumen, die, aus Un verſtand und Bös ⸗
willigkeit geboren, ſich um das Problem:
ſozialiſtiſche oder kapitaliſtiſche Wirtſchaftsform
gerankt hatten. Es ſcheint in Vergeſſenheit ge⸗
raten zu fein, daß erſt der Mational-
ſozialismus die ungeheuren Energien
entfeſſelt und frei gemacht hat, die heute als
lebenſpendendes Element die Grundlagen unſeres
geſamten volkswirtſchaftlichen Geſundungsprozeſ⸗
ſes ſind.
Und wenn nach der Rede Schachts vor der
Akademie für Deutſches Recht ... einige kapi⸗
taliſtiſche Poſaunenbläſer meinten, die Morgen-
röte eines neuen kapitaliſtiſchen Zeitalters her⸗
aufziehen zu ſehen, ſo dürften die geſtrigen
Worte Adolf Hitlers ihnen ihre ſcho n ſt e u
Hoffnungen zerſtört haben
610
Der Mationalfosialismus denkt gar nicht dar-
an, das Kapital, d. h. eine geſunde Ver ⸗
mögens bildung, zu bekämpfen. Es hat
auch niemand beabſichtigt, die Privatinitiative zu
beſeitigen .. Der Nationalſozialismus hat nur
eine Doktrin, nur ein Gefetz, deffen Verwirk-
lichung wir nachſtreben wollen heute, morgen und
übermorgen. Das ift der Gedanke von dem Ge ⸗
meinnutz, der vor dem Eigennutz ſteht. Für
alle aber, die entweder in dem einen oder ande⸗
ren Extrem ſteckenbleiben möchten, dürfte die
geſtrige Rede Adolf Hitlers ein neuer Midte
weiſer auf dem goldenen Mittelwege
gewefen fein...
In dieſem Zuſammenhange iſt es intereflant,
auch aus unſerer liberalen Preſſe einige
Stichproben zu entnehmen:
Berliner Lokalanzeiger v. 15.12.:
.. . Dort, wo der Sozialismus ſich als
überlegen erweiſt, verſchwindet der Kapita-
lis mus von ſelbſt. Die wirkliche Leiſtung ent»
ſcheidet auch. Und dort, wo ein Sozialismus
erſtarrt oder entartet, fält er von ſelbſt zu⸗
fammen. Monopoliſtiſcher Schutz ver
mag den Zuſammenbruch eines entarteten
Syſtems etwas hinauszuſchieben, verhindern kann
er ihn nicht. |
Schon in der fogenannten kapitaliſti⸗
ſchen Zeit hat ſich der Sozialismus in der
Wirtſchaft dort durchgefetzt, wo er leiſtungs⸗
fähiger war bzw. wo er den Geſamtintereſſen
dienlich war. Die Entwicklung der deutſchen
Elektrizitäts- und Gaswirtſchaft ſowie die Waſ⸗
ſerverſorgung ſind bereits Beiſpiele dafür. Man
weiß aber auch, daß an ſich eine Art ſozialiſti⸗
fher Betriebsform noch nicht eine ent-
ſprechende Behandlung der Ver⸗
braucherſchaft garantiert.... Eine „kapi⸗
taliſtiſche“ Eiſenbahn hätte keine Arbeitsbeſchaf⸗
fungsaufträge erteilt, keine billigen „Kraft durch
Freude- Fahrten eingeführt, keinen Reichsauto⸗
bahnen⸗Plan unterſtützt, vielmehr eine Tarif⸗
politik durchgeführt, die manche Wirtſchafts⸗
bezirke einfach zum Erliegen gebracht hätte.
Ein weiteres Gebiet, auf dem ſich der So⸗
zialismus dem Kapitalismus über ⸗
legen zeigt, iſt die Landwirtſchaft. Ein
kapitaliſtiſches Bauerntum würde Butter und
Fleiſch zurückhalten, um hohe Preiſe zu erzielen.
Ein ſozialiſtiſches Bauerntum wird ſeine Erzeu⸗
gung zum Wohle der Allgemeinheit abliefern,
ohne Hintertürchen zu ſuchen.
Wahrlich! Der Sozialismus hat Beweife für
die Ebenbürtigkeit, wenn nicht gar Überlegenheit
Das Archiv
gegenüber anderen Syſtemen ... Es wäre un
gerecht, den Kapitalismus kurzerhand in Grund
und Boden zu verbammen. Vor allem muß man
unter ſcheiden zwiſchen dem gefühlsmäßig zu ver-
abſcheuenden brutalen Kapitalismus und dem
Kapitalismus, inſoweit er gewiſſermaßen ein
Hilfsmittel der Technik darſtellt und den be⸗
ſonders Dr. Schacht gerecht gewürdigt hat.
... Ein kapitaliſtiſches Unternehmen kann
wohl auch ſozial ſein, und ein ſozialiſtiſcher Be⸗
trieb kann ebenſogut kapitaliſtiſche Gebärden
zeigen. Ob kapitaliſtiſch, ob ſozialiſtiſch, ent-
ſcheidend für die Bewertung iſt und bleibt die
Leiſtung für die Allgemeinheit. Die Möglichkeit,
fie zeigen zu können, muß jedem Deutſchen ver-
bleiben. Carl Sennewald.
Berliner Birfen-Beitung Nr. 576
vom 9. 12. ſpricht von ... ungeheurem Erfolge
der privatkapitaliſtiſchen Ordnung.
. . . Das Ideal, dem wir in der Zukunft jun-
zuſtreben haben, ift die Eutfaltungsmsglichkeit
für die Initiative der Perſönulich⸗
keit und die Ausrichtung der Leiſtungen der
einzelnen auf die Geſamtheit.
Magdeburgiſche Zeitung vom 9. 12.
ſchreibt:
... Der Kapitalismus begann im letzten
Jahrhundert mit der großartigen Entfaltung der
Verkehrsmittel. Heute find die großen Verkehrs⸗
unternehmungen die Träger des ſozialiſtiſchen
Gedankens
Frankfurter Zeitung Mr. 639/640
vom 15. 12. ſchießt den Vogel ab, indem ſie
folgendes ausführt:
.. . Wenn .. jetzt gelegentlich geäußert wor-
den iſt, der Wettbewerb müſſe allgemein durch
Marktordnungen erſetzt oder das Verſtaat⸗
lichungsprinzip müſſe fortgeführt oder wiederum
aufgenommen werden, ſo finden ſolche Forde⸗
rungen weder in autoritativen Ankündigungen
noch in praktiſchen Maßnahmen der Regierung
irgendeine Stütze
. . . Keine Doktrin, ſondern nüchterne Er⸗
kenntnis wird, wie Adolf Hitler in Nürnberg
anläßlich der Jahrhundertfeier der deutſchen
Eiſenbahn ausgeführt hat, in einer Zeit nötig
ſein, die Extremen zuneigt und in der die einen
nur an eine ſozialiſtiſche Gemeinwirtſchaft, die
anderen nur an kapitaliſtiſche Einzelintereſſen
denken. ;
Germania Nr. 348 vom 15. 12.:
Klare Begriffe — Tares Ziel.
oo. Es beſteht kein Zweifel darüber, daß die
Hauptarbeit auf dem Gebiete der Wirt-
ſchaft noch bevorſteht.
Das Archiv
, Der Meihsnährftand hat fie
erft vor wenigen Tagen gegen Angriffe, die von
einer Seite kommen, die dem Kapitalismus
freundlich gegeniiberftebt, energiſch zur
Wehr geſetzt und ſich dabei als den Haupt-
angriffspunft dieſes feindlichen Vorſtoßes be
zeichnet. Die Rede des Führers hat viel dazu
beigetragen, in diefer Atmoſphäre klärend zu
wirken |
Wirtſchaftsdienſt, Hamburg, vom
13. 12. (wird feinen bisherigen Prinzipien un⸗
treu und ſchreibt):
.. Dat neue Deutſchland hat eben — da ⸗
mit wird man ſich auch außerhalb
der Reihen der Bewegung abfin-
den müffen — den Glauben an die allein⸗
feligmadende Kraft des ungezügelten privaten
Gewinnftrebens verloren; man glaubt in Deutſch⸗
land an die Möglichkeit, daß die Welt der
wirtſchaftlichen Motive noch einer Bereicherung
fähig iſt, und zwar einer Bereicherung durch den
bewußten Gemeinſchaftswillen .. es it er»
freulich, zu wiſſen, daß der Natioualſozia⸗
lismus entſchloſſen if, an dieſer Erkenntnis
feſtzuhalten, ſelbſt auf die Gefahr hin, daß man
den nenen Männern in Deutſchland vorwirft,
fle hãtten ſich einer wirklichkeitsfremden Ideologie
verſchrieben. Gerade die harte Wirk ⸗
lichkeit der Kriſenjahre und des neuen Auf⸗
ſtieges in Deutſchland ſpricht eine ſehr reas
liſtiſche Sprache — zug unſten dieſes
natienalſozialiſtiſchen Idealis⸗
muß.
Abſchließen mögen die vortrefflichen Worte der
Deutſchen Volkswirtſchaft (MS.
Wirtſchaftsdienſt, Herausg. Prof. Dr. Hunke)
Nr. 35 2. Dezemberheft:
.. Der Nationalſozialismus hat die Tapita-
liſtiſche Welt infolge größerer Aufgaben zunächſt
ſchonend behandelt; er hat ihr einen geſchäft⸗
611
lichen Auftrieb ohnegleichen verfhafft... So
iſt es nicht verwunderlich, daß die Front des
Kapitalismus wieder recht aktiv geworden iſt
und zum Angriff übergeht
. . . Wir dürfen uns nicht darüber hinweg⸗
. täufhen, daß die Umwälzung im Den»
ken erf noch erfolgen muß...
Noch iſt „Sozialismus“ das Stichwort
für ein Geſchrei derjenigen, die darunter tom
muniſtiſchen Kollektivismus verſtehen. Im Drit⸗
ten Reich hat der Begriff Sozialismus einen
anderen Sinn und der heißt: Dieng...
Und wenn uns immer wieder vorgebetet wird,
daß es ohne den Kapitalismus nicht ginge, ſo
müſſen wir auch dem widerſprechen — und das
entgegenbalten, was der Führer von dem Cha-
rakter der Reichsbahn fagte:...
Wir glauben, daß dieſe Feſtſtellungen auf
eine ganze Reihe von Unterneh⸗
mungen, namentlich der Grundſtoff⸗
induſtrien, ausgedehnt werden könnten,
die einen ähnlich monopolartigen Charakter wie
die Reichsbahn ziemlich gleich an volkswirtſchaft⸗
licher Bedeutung kommt.
Wenn wir Nationalſozialiſten den Kapitalis-
mus anfeinden, fo haben wir dabei felbfiver-
ſtändlich eine andere Frontſtellung
als der Kommunismus. Unter „Kapi⸗
talismus“ hat das Volk die Herrſchaft des
Kapitals durch Entrechtung und zur Ausbeutung
der Arbeit verſtanden .. Wir ſehen in ihm die
Ausbeutung, alſo das negative Korrelat einer
Volkswirtſchaft, dem wir das Poſitivum
des Sozialismus, d. h. „des Dien ⸗
fies am Ganzen“, entgegenfegen...
Unſer Kampf gilt nicht techniſchen Wer⸗
ten, ſondern dem Seiſt, der diefe techniſchen
Werte zum Schaden der Allgemeinheit und zum
Nutzen einiger weniger verwendet
Neues Schrifttum
„Wodan und germaniſcher Schickſalsglaube“
Aus Sagen, Märchen, Legenden, Weisſagun⸗
gen, Bräuchen und Sitten errichtet Martin
Mind mit Hilfe von Worte und Sprach-
forſchung einen umfangreichen und gründlichen
Unterbau, aus dem er den germaniſchen Schick⸗
ſalsgedanken erſtehen läßt. Das Buch, das 357
Seiten umfaßt und 8 Bildtafeln enthält, ift bei
Eugen Diederichs in Jena erſchienen. (Preis
RM. 7, —, in Leinen geb. RM. 9,50).
Die yplanvolle Zuſammenfaſſung zahlreichen
Quellenmaterials ſichert dem Werke feinen Platz
in der. Fachliteratur. Für die klare Geſtaltung
des Schickſalsgedankens jedoch wirkt dieſer Bor-
zug ſich nachteilig aus. Das Bedeutungsvolle des
Schickſals verſchwindet faſt unter der Menge der
Belege. i
Hierauf fei Hingewiefen, weil gerade der
Schickſalsgedanke von fo unüberfhägbarer Be⸗
deutung für die germaniſche Weltanſchauung iſt,
daß er gar nicht klar, ſcharf und eindeutig genug
herausgeſtellt werden kann.
Germaniſcher Schickſalsglaube unterſcheidet Bé
weſentlich von dem anderer Völker. Der Ser⸗
mane will und bejaht das Schickſal, weil er es
als Aufgabe erkennt. In Erfüllung dieſer Auf-
gabe bringt er ſich ihm bewußt, d. h. freiwillig
zum Opfer. Er weiß, daß erfülltes Schickſal
ihm nach Walhall verhilft. Darum läßt er den⸗
jenigen, der ſich ſeinem Schickſal zu entziehen
ſucht, der Hel zum Opfer fallen als jemanden,
der nicht ſtark genug war, ſich ſelbſt zum Opfer
zu bringen. Dieſe Überzeugung, zuſammen mit
dem Glauben an die Wiedergeburt, gibt dem
Germanen das Heldiſche, was ihn fo ſehr vor
allen anderen auszeichnet, und damit zugleich die
ſtarke innere Wahrhaftigkeit und die Gelaſſen⸗
heit (Toleranz) gegenüber Andersdenkenden.
Schickſal hat mit Fatum nichts zu tun. Wo
es fataliſtiſche Züge bekommt, kann man über⸗
zeugt ſein, daß man es bereits mit Verfalls⸗
erſcheinungen zu tun hat. Deswegen ſtören Sätze
wie etwa folgender: „So nur erklärt es ſich,
warum dieſe Recken, gern ſonſt auf ihre Un,
abhängigkeit, auf eigene Kraft und Stärke
pochend, gleichzeitig doch tief davon überzeugt
ſind, alles, auch das geringſte Tun, ſei vorher
beſtimmt und die freie Wahl ein bloßer Schein.“
Derartige Anſichten verwiſchen das kennzeichnend
Germaniſche, das das Schickſal als eine Auf⸗
gabe nicht nur erfüllen ſollte, ſondern ganz
ausgeſprochen auch erfüllen wollte.
Dieſer Wille zum Schickſal, ſeine uneinge⸗
ſchränkte Bejahung, nehmen ihm das Düſtere
„des unentrinnbar Abrollenden“ und geben ihm
zugleich das Leuchtende des hilfreich Fördernden.
Weil der Germane fein Schickſal wollte und
bejahte, deswegen ſtellte er neben den Helden,
der die Tat vollbrachte, den Weiſen, der den
Lauf des Schickſals durchſchaute und es dadurch
ermöglichte, daß Tat und Aufgabe in Einklang
blieben. Das iſt es, was Wodan zum oberſten
der Götter macht, daß er die Bedingungen des
Schickſals kennt und die mutige Entſchloſſenheit
beweiſt, ſie auch da zu erfüllen, wo eine raſche
Tat ſie hätte aufheben können, wie dies ganz
klar aus ſeinem Verhalten gegenüber dem
jungen Fenriswolf hervorgeht.
Wodans Verhalten ſteht bewußt im Schick⸗
ſalsgedanken und deſſen ſinnvoller Gebundenheit.
Das erhebt es himmelhoch über die ſtumpfe
Ergebenheit in ein Fatum und deſſen finnlofe
Willkür. Dieſe Unterſcheidung zwiſchen germa-
niſchem Schickſalsdenken und orientaliſchem Fa⸗
talismus hätte als unverwiſchbarer Trennungs⸗
ſtrich gezogen werden müſſen.
Denn, „daß der Schickſalsglaube Herz und
Seele der germaniſchen Religion heißt“, das
geht aus allem hervor, was der Verfaſſer „in
Kult, in Mythen, Bräuchen und Sagen“ zur
Bekräftigung dieſer Anſichten anführt.
Die Zuſammenſtellung eben dieſer Mythen,
Bräuche uſw. und ihre Beziehungen zu den
Symbolen von „Waſſer und Baum, dann bas
Schiff, die Seeroſe, das Rad, der Becher“ ſind
von dem Verfaſſer ſo umfangreich dargeſtellt
—
— = pr —
VW IC WM
aus AK K 2 *
Ya vi
ART WG
— — — —
vi
Neues Schrifttum
worden, daß das Buch feinen Wert auch da be,
hält, wo man den Folgerungen, die Mind
daraus zieht, nicht immer folgen kann. H.
direkt und Bären
In feinem gleichnamigen Buche (Alfred Meg-
ner Verlag, Berlin. Preis geb. RM. 9,—)
verſucht Hugo Kükelbaus das Verſtändnis
für das Weſen der Zahl, die Maßgerechtigkeit
der Körper und die daraus von einer Urweisheit
geſtalteten Sinnbilder zu wecken.
Er ift der Überzeugung, daß alles „Leben
Seſtalt iſt“, und kommt zu dem Schluß, daß
die Urbilder aller Geſtaltung dem Menſchen
eingeboren ſind. Sie ſind, um mit Kepler zu
ſprechen, „mit dem Ebenbilde Gottes in den
Menſchen aufgegangen“. Dieſe Urbilder muß
„Menſch und Volk“ klar im Seiſte tragen,
um wirklichkeitsgemäß denken und handeln zu
konnen.
Das erfordert lebendiges Denken und anſchau⸗
ende Vorſtellungskraft. Daran werden ſich die
Geifter ſcheiden, wie der Verfaſſer ſelbſt an⸗
merkt. Der von den ſtarren Denkgewohnheiten
des materialiſtiſch⸗mechaniſtiſchen Zeitalters be⸗
fangene intellektuelle Menſch wird mit dem
Buche von Kükelhaus nichts anzufangen wiſſen.
Um ſo mehr aber wird es demjenigen bieten, der
in ſeinem Denken lebendig geblieben oder wieder
geworden ift.
Ob alles, was der Verfaſſer vorbringt, bis
ins letzte richtig iſt, ſoll hier nicht entſchieden
werden. Darauf kommt es auch weniger an, als
auf den Grundgedanken überhaupt, und der iſt
fraglos richtig.
Es wäre wünſchenswert, daß ſich recht viele
mit den Darſtellungen von Kükelhaus vertraut
machen. Sie werden dann nicht mit einer Denk⸗
richtung, fondern mit einer Denkart bekannt
werden, die für die Zukunft in immer ſtärkerem
Maße von ausſchlaggebender Bedeutung werden
wird. Jedenfalls iſt das Buch in hohem Maße
geeignet, die tödliche Denkrichtung des Mate⸗
rialismus gründlich überwinden zu helfen und
dem Leſer eine Reih. von Geſichtspunkten zu
geben, die ihn zu eigenem, geſtaltungsſtarkem
Denken anregen können. H.
„Herkunft und taſsengeſchichte der Germanen“
Unter dieſem Titel veröffentlichte Prof. Dr.
Hans F. K. Günther ein neues Buch, das
von J. F. Lehmanns Verlag, München, 1935,
613
herausgebracht iſt. (Preis geheftet RM. 4,80,
in Leinwand gebunden RM. 6, —.)
Das Buch iſt vorzüglich ausgeſtattet. Mit 177
Abbildungen und 6 Karten erläutert es den
Wortlaut auf das befe.
Inhaltlich beantwortet das Buch Fragen nach
der Herkunft des Germanentums, ſeiner raſſiſchen
Gebundenheit und feiner artgemäßen Gefittung.
Günther begnügt ſich nicht mit einer einfeitigen
Beantwortung dieſer Fragen. Er ſucht ‘fie viel-
mehr von allen Seiten zu beleuchten und aus
der raſſiſchen Blutsgebundenheit das rechtliche
Empfinden und das weltanſchauliche Geſtalten
der Germanen abzuleiten.
Das Buch bringt eine Fülle von Stoff und
erhält ſeinen beſonderen Wert dadurch, daß der
Verfaſſer dieſem Stoff durch kritiſche und
eigene Stellungnahme einen Beziehungsreichtum
gegeben hat, den man fonft fo oft bei wiſſen⸗
ſchaftlichen Werken vermißt.
Wer ſich eingehend mit den Fragen nach den
raſſiſchen, politiſchen und’ kulturellen Grundlagen
der Germanen befaſſen will, dem ſei dieſes Buch
angelegentlich empfohlen. H.
K. V. Müller, „Der Anfftieg des Arbeiters
durch Maffe und Meiſterſchaft
Erſchienen bei J. F. Lehmann, München 2 SW,
1935. 160 S. Sp, Broſch. RM. 3, —.
Müllers Schrift gibt einen Überblick über die
Blutsgeſchichte des heutigen Induſtriearbeiter ·
tums. In der Zeit der wachſenden Induſtrie
wanderten viele Bauernſöhne in die Städte ab
und bildeten hier einen Hauptteil des Arbeiter-
tums. Im heutigen Arbeiterſtand finden viele
Bauernſöhne und Bauernenkel ihr Brot; von
ihrem ſozialen Freiheitswillen zeugt die Arbeiter⸗
bewegung der letzten Jahrzehnte und die Ge⸗
ſchichte der NSDAP. Mit ihnen vereinigten
ſich die früher ſelbſtändigen Handwerksmeiſter
und ihre Söhne, denen der aufblühende Kapi-
talismus und die Maſchine die Exiſtenzmöglich⸗
keit raubten. Schließlich trat iu dem Bauern-
blut und Meiſterblut, das faſt ausſchließlich in
der Gruppe der Gelernten, Hochqualifizierten
aufging, ein dritter großer Quellſtrom. Es
waren die ſozial ſchiffbrüchigen Elemente, die ju
keiner großen eigenen Leiſtung fähig waren und
politiſch ſpäter den zerſetzenden Kräften bes
Kommunismus dienten. Nach Müller bilden ſie
die Arbeiter unter ſchicht. Der verſchieden bio-
logiſche Wert dieſer Herkunftsgruppen hat ſich,
wie der Verfaſſer nachweiſen kann, wohl bis
614
heute erhalten. Zwiſchen den Hochwertigen und
der Arbeiterunterſchicht blieb eine ſtarke auch
bluts mäßige Trennung erhalten. Es ift heute
eine der wichtigſten Aufgaben der Naſſenpolitik,
dies wertvolle Erbgut der Bauernſöhne und
enkel zu erhalten und zu mehren. Unter ftadti-
ſchen Verhältniſſen und in Stellungen, aus
denen es aus eigener Kraft nur ſelten einen
Aufſtieg gab, verfiel das Erbgut mehr und
mehr: eine ſtarke Kleinhaltung der Familie griff
hier um ſich. Um den letzten Reſt ſozialer
Freiheit noch feſtzuhalten, und ſeinen Kindern
eine beſſere, möglichſt ſelbſtändige Stellung zu
ſichern, wurden die Familien klein gehalten. Hier
eine Anderung herbeizuführen, iſt Aufgabe einer
gefunden Maflenpolitit. Müller ſieht hierfür zwei
Wege, die zuſammenlaufen müſſen. Der eine foll
die fachliche Bewährungs möglichkeit ſchaffen und
eine nach ihrem Können ausgeleſene Arbeits-
meiſterſchaft“ entſtehen laffen. Als zweiter müſſen
daneben aber wieder natürliche und geſunde Le⸗
bensbedingungen geſchaffen werden, eine „Ent .
ftädterung” des Arbeitertums. Der zweite Weg
wird wieder zur Vodenverbundenheit und -ver-
wurzelung in den Werkſiedlungen zu führen
haben. Müller gibt eine Anzahl praktiſcher Vier,
1. Seſchichte
Benz, Richard: Rhythmus deutſcher Kultur.
Verſuch e. Deutg d. Geſchichts⸗Kräfte. Dresden:
Jef (1935). 159 S. 8°. Pp. 4,—.
Brandes, Gertrud, Hamburg: Die geiſt⸗
lichen Brüderſchaften in Hamburg während des
Mittelalters. (Teildr.) Hamburg 1934 (: Lütcke
& Wulff). S. 75-176. 8%. Aus: Zſchr. d.
Vereins f. Hamb. Geſchichte. Ig 34. 1934.
Hamburg, Phil. Diff. v. 1933.
Brewitz, Walther, Dr: Von Abraham bis
Rathenau. 4000 Jahre jüd. Geſchichte. Mit
22 Federzeichn. Berlin: Selbſtverl. [; lt Mit-
teilg Leipzig: R. Siegler]! 1935. X, 247 S.
Kl.-8 [= Schriften d. Raſſenpolit. Amtes
RL. d. NSDAP. Nr. 9J. P. — „60.
Bühler, Johannes: Deutſche Geſchichte.
Bd. 2. Berlin u. Leipzig: de Gruyter 1935.
Gr.-8°, 2. Fürſten, Ritterſchaft u. Bürgertum
von 1100 bis um 1500. Mit 8 Taf. IX,
440 S. Lw. 7,20.
Eiſenträger, Margarete, u. Eberhard
Krug: Territorialgeſchichte der Kaſſeler Land⸗
ſchaft. Nebſt Beiträgen v. Edmund E. Sten ⸗
gel. Mit einem Atlas. Marburg: Elwertſche
Neues Schrifttum
ſchläge, wie die Ausleſe durch Bewährung und
die Verwurzelung in geſunden Lebensbedingun⸗
gen verwirklicht werden können.
K. V. Müller galt feit Jahren als der ſtärkſte
Verfechter raſſenhygieniſcher Ideen innerhalb der
Sewerkſchaftsbewegung. Eine Einbeziehung des
Arbeiterſtandes in die aufbauenden Kräfte der
Raſſenpolitik ift heute eine beſonders wichtige
Aufgabe. Gerade von der Seite des Bauern-
tums aus kann eine ſolche Verbreiterung
der raſſenpolitiſchen Front nur be
grüßt werden. Handelt es ſich doch bei vielen
der heutigen Induſtriearbeiter um Männer, deren
Vorfahren vor ein oder zwei Generationen noch
ſelbſt den Pflug geführt haben. Es iſt erfreulich
an dem Buche, daß die Gefahren, die ſeit der
Loslöſung vom Boden wirkſam waren, nicht mit
einem falſchen Optimismus geleugnet werden.
Der Bauernſtand begrüßt es, wenn auch andere
Teile des Volkes ſich ihrer raſſenpolitiſchen und
raſſenhygieniſchen Verpflichtung nicht mehr ent-
ziehen wollen. In dieſem Sinne kann das
Müllerſche Buch als ein weſentlicher Beitrag
zur Ausbreitung einer lebens- und zukunfts⸗
bejahenden raſſiſchen Einſtellung gewertet werden.
Es verdient weiteſte Verbreitung. W.
[Verl bh. (in Komm.) 1935. Gr. 8° u. 57,
42, cm = Schriften d. Inſt. f. geſchichtl.
Landeskunde von Heffen u. Maffau. Stück 10.
Seh. u. in Umſchl. 16,50; geb. u. in Umſchl.
19, —. [Hauptw.] XIX, 307 S. Gr.- 80 —
Atlas. Ausg. A 8 Kt.⸗Bl. 37,5 K 42, em.
Fundberichte aus Schwaben. Mit Un-
terſtützg d. ſtaatl. Altertümerſammlg hrsg. vom
Württ. Anthropol. Verein. N. F. 8. 1933 —
1935. Mit Anh.: 1. Das Fürſtengrab der Hall-
ſtattzeit von Bad Cannftatt. (Von Dr Oscar
Paret.) 2. Fundberichte aus Hohenzollern.
(Bearb. von Dr O. Paret, Oberpoſtr. a. D.
E. Peters.) H. 3. Bearb. von Oscar Paret.
Mit 48 Taf., 1 Textbeil., 3 Bilde. u. 75 Tert-
abb. Stuttgart: Schweizerbart 1935. 164, 38,
23 S. 4°. 23, —. Die beiden Anhänge mit
ſelbſtänd. Titelbl. Stuttgart 1935.
Vorgermaniſche und germaniſche Funde aus
Vorpommern und Rügen. (Vorw.: Wilhelm]
Petz ſch.) Greifswald: Bamberg 1935. 44 S.
mit Abb., 8 Taf. Gr. 8e — Mitt. aus d.
Sammlg d. Vorgeſchichtlichen Sem. d. Univ.
Greifswald. 8 — Schriften d. Gef. d. Freunde
u. Förderer d. Univ. Greifswald. J, —.
Neues Schrifttum
Gaerte, Wilhelm, Dr, Muf-Dir.: Alt
S germaniſches Brauchtum auf nordiſchen Stein⸗
—
*
bildern. Bo 1. Leipzig: Kabitzſch 1935. Gr,-8°.
1. Mit 195 Abb. im Text. 147 S. nn. 8,—.
Graber, Georg, Dr: Sagen und Mirden
aus Kärnten. Gef. u. hrsg. Graz: Leylam 1935.
XVI, 442 S. Gr.8° = Graber: Sagen aus
Kärnten. Gd. 2. Lw. 4,—.
Hinze, Kurt: Die oſtdeutſche Lebenswende
Friedrichs d. Großen. Langenſalla, Berlin, Leip-
sig. J. Belg 1935. 53 S. 1 S. Abb. GH
— Geſchichte d. diſch. Oſtlande. Buch 5. — 80.
Hinrichs, Emil: Wir Miederfadfen! (Ber⸗
lin:) Runge 1935. 223 S. mit Abb. u. Kt.
em — Deutſches Volk. Bd. 3. 4,—; geb. 5,30.
Miller, Mar, Dr, Reg. R.: Die Aus-
wanderung der Württemberger nach Weſtpreußen
und dem Netzegan 1776-1786. Mit 1 Ober-
géet, der Auswanderungsgebiete. Stuttgart:
Kohlhammer 1935. X, 213 S. 1 = Veröff.
d. württ. Archivverwaltung. H. 1. 5,—.
Mees, Mechtildis, Dr: Nheiniſche Schnallen
der Völkerwanderungszeit. Mit 8 Taf. u. 109
Abb. auf Taf. Bonn: Röhrſcheid 1935. 109 S.
Sr., 8 — Rheiniſche Forſchg + Vorgeſchichte.
W 1. 5,80.
Schilling, Heinar: Germaniſche Führer⸗
köpfe. Leipzig: K. F. Koehler (G. m. b. H. 1935).
182 S. 8° [= Die Koehler ⸗ Reihe.] Lw. 2,85.
Shumadher, Karl: Sermanendarſtellun⸗
gen. 4. Aufl. d. Verz. d. Abgüſſe u. wichtigeren
Photogr. mit Germanendarſtellgn. TI 1. Mainz:
Nim. German. Zentralmuſeum [; It. Mitteilg:
Wilckens in Komm.] 1935. 4° — Kataloge d.
Nöm.⸗German. Zentralmuſeums zu Mainz.
Mr. 1. 1. Darſtellgn aus d. Altertum. Neu
bearb. von Hans Klum bach. Mit 16 Abb.
im Text u. 41 Taf. XIV, 74 S. 6,—.
Sielaff, Erich: Pommerſche Sagen. Aus-
gew. u. neu erz. Holzſchnitte von Hanns
Schubert. Leipzig: Hegel & Schade [1935].
159 S. 8° — Dürrs Sommlg dt. Sagen.
Bd 27. Lw. 3,80.
Verhey, Hans, Hannover: Waldmark und
Holtingsleute in Miederfadfen im Lichte der
Volkskunde. Würzburg: Triltſch 1935. VI,
190 S. 80. Köln, Phil. Diff. v. 1933.
Wüllenweber, Fritz, Dr: Altgermaniſche
Erziehung. Dargeſtellt auf Grund d. Island⸗
fagas u. a. Quellen zum Früßhgermanentum.
Hamburg: Hanſeat. Verl. Anfi. (1935). 174 S.
8°, un. 5,60; Lw. un. 6,60. l
615
2. Bevsilerungs- und Mafeyolitit
Alteingeſeſſene Bauerngeſchlechter im
Bereich der Landesbauernſchaft Württemberg.
(Verantw.: Erich Silgrabt, Stuttgart.)
(Stuttgarti W, Reinsburgſtr. 97: Landesbauern-
ſchafts⸗Verl. Württemberg] 1935.) 16 ©. mit
Abb. 4° — Wblatt d. Landes bauernſchaft Würt-
temberg. 1935, Folge 40, Sonderbeil.
Borſtelmann, Heirrich: Familienkunde 8
des alten Amtes Lüne. Lüneburg: Herold &
Wahlſtab 1935. 130 S. 8°. 2,60.
eErbkunde, Maffenpflege, Bevölkerungs⸗
politik. Schicſalsfragen d. dt. Volkes. Von
Dr Alfred Kühn, Dr Martin Staemmler, Dr
Friedrich Burgdörfer. Dreg. von Dr Heinz
Woltereck. 2., verb. Aufl. Leipzig: Quelle
& Meyer 1935. XI, 303 S. mit Abb. 4°.
Lw. 11,—.
Groß, (Walter, ] Dr: Nationalſozialiſtiſche
Maſſenpolitik. Eine Rede an d. dt. Frauen.
(Berlin: Raſſenpolit. Amt [; It. Mitteilg:
Leipjig: N. Siegler 1935].) 23 S. Gr.-8° [=
Schriften d. Naffenpolit. Amtes Re. d. NS-
DAP. Nr J.] p. 10.
Lend vai ⸗Dirckſen, Erna: Das Geſicht des
deutſchen Oſtens. Berlin: Zeitgeſchichte [1935].
155 S. mit 120 Abb. 4°. Lw. 6,50.
Meyer zu Spradow, Grete, Spradow: Der
Meierhof Spradow. Ein Beitr. zur Geſchichte
d. Meierhöfe Weſtfalens. Bielefeld (1934):
Bechauf. S. 81-166. 8% Jena, Phil. Diſſ.;
auch im Handel als II 2 von: Familienbuch
Meyer zu Spradow.
Mühlner, Sotthold, Dr: Bevölkerungs⸗
entwicklung unter kriegswirtſchaftlichen Gefidte-
punkten. Hamburg: Hanſeat. Verl. Anſt. (1935).
45 S. 80 — Schriften zur kriegswirtſchaftl.
Forſchung u. Schulung. 1,80. i
Schrader, Oltto), Prof. Dr: Die Indo⸗
germanen. Neubearb. von Dr (Hans) Krahe,
Priv. Doz. Leipzig: Quelle & Meyer 1935. 130
S., 1 Titelb., mehr. S. Abb. Kl.-80 J Hobe
ſchulwiſſen in Einzeldarſtellgn.] Lw. 2,—.
Staemmler, Martin, Prof. Dr: Raſſen⸗
pflege im völkiſchen Staat. Gekürzter Sonder⸗
dr. f. d. Raſſenpol. Amt d. NSDAP. Mit 12
Raſſenköpfen auf e. Taf. München: Lehmann
[5 lt. Mittlg: Leipzig: R. Siegler]! 1935. 110
S. 8° [ Schriften d. Raſſenpolit. Amtes NL.
d. NSDAP. Nr. 11.] p. — 70.
616
J. Ländliche und ſtädtiſche Siedlung,
Landarbeiterfrage, Bauerntum
Grebe, Paul, Dr: Die Arbeiterfrage bei
Lange, Ketteler, Jörg, Schäffle. Aufgezeigt an
ihrer Auseinanderſetzg mit Laſſalle. Berlin:
Edering 1935. 128 S. Gr. 8e — Hiſtoriſche
Studien. H. 283. un. 5,—.
Probſt, Walter, Dpl. Landw., Groß⸗Lobke:
Die Bedeutung der Bauernhochſchule für die
Perſönlichkeitsbildung des bäuerlichen Landwirts
und feinen Wirtſchaftserfolg. Hildesheim 1935:
Oppermann. 94 S. 8°. Göttingen, Math. ⸗natur⸗
wiſſ. Diff. v. 1933,
Thiede, Klaus: Deutſche Bauernhäuſer.
Königſtein: Langewieſche 1935. 112 S. mit
Abb. 4° — Die blauen Bücher. 2,40.
Toſcheff, Dymko, Zladiza (Bulg.): Das
bulgariſche Bauerntum. Teiler. d. Dif.: Zur
ſozialen Schichtung Bulgariens. Quakenbrück
1934: Trute III, 29 S. 8° Hamburg, Phil.
Diſſ. v. 1932. :
Tſchurtſchenthaler, Paul: Das
Bauernleben im Puſtertal. Bolzano [Bozen]:
Vogelweider 1935. 246 S. mit Abb., mehr.
Taf. 8°. Lw. 3,50.
Wölbling, Paul, Obermagiſtr. R. j. R.:
Das deutſche Siedlungswerk. Einf. in d. Sied⸗
lungsweſen u. Handb. f. d. Unterricht. Unter
»Mitw. von Hermann Daig, Berufsſch. Dir.
Langenfalya, Berlin, Leipzig: J. Belg 1936
([Musg.] 1935). 166 S. 8°, 3,20,
Neues Schrifttum
4. Meht, Geld, Kredit, Bins, Steuern,
Monopole, Bele
Förſter, Erich Chriſtian: Die Anerben⸗
folge in d. Erbhof u. d. Erbfolge nach allge⸗
meinem bürgerl. Recht. Sießen. Jur. Dif.
1935. 90 S. .
Die Kreditlage der deutſchen Landwirt-
ſchaft im Wirtſchaftsjahr 1933/34. Hrsg. von
d. Di. Mentenbant-Krebitanft. (Landwirtſchaftl.
Zentralbank). (Die Bearb. bef.: Dr Hans]
Ludwig! Fenſch u. Dr H. Weitz feitens
d. Reichsnährſtandes; Dr F. Lübkes ſeitens
d. Dt. Rentenbank⸗Kreditanſt.) Berlin: Verl.
f. Sozialpolitik, Wirtſchaft u. Statiſtik 1935.
17 S. mit Fig., 1 Kt. 4. 3, —.
5. Verſchiedenes
Abel, Wilhelm, Dr rer. pol. habil., Doz.:
Agrarkriſen und Agrarkonjunktur in Mittel-
europa vom 13. bis zum 19. Jahrh. Mit 12
Abb. Berlin: Parey 1935. 179 S. 4. 10,80.
Donat, Helmut: Die Geſchichte d. Agrar;
verfaſſung d. Oſtthüringiſchen Bauernſtandes.
Vom Beginn d. Fronabldfgn 1831 bis zum
Reichserbhofgeſ. v. 1933. VornaLeipjzig 1935;
Noske. Jena, Phil. Diff. VI, 77 S.
Knauer, Paul: Ernſt Moritz Arndt. Der
große Erzieher der Deutſchen. Stuttgart: Gut-
brod 1935. 165 S. 8° — Seſtalten u. Urkund.
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Dünge mehr,
denn höhere Ernten brauchen mehr Tlährftoffe
Dunge richtig,
1
Denn die ährſtoffanſprüche der Kulturpflanzen
Li
4
find verfchieden. Alle Früchte , in erfter Linte
Faackfrüchte, Futterpflanzen u. Brünland brauchen
zur Leiftungsfteigerung neben Stickſtoff u. Phos-
Zë
u
phorfäure eine kräftige und rechtzeitige Düngung
MIT KALI
Dreſchmaſchinen
in Holz⸗ und Stahlbauweiſe, von
43 tr. bis zu den größten Stunden-
leiſtungen
Strohpreſſen
m. untengelagertem Pendel⸗Schwing⸗
kolben, in reicher Auswahl, paſſend
für jede Dreſchmaſchine
Bulldog ⸗ Schlepper
für Acker und Straße 20 PS, 30 PS,
38 PS
Erntemaſchinen
Heuwender, Heurechen, Grasmäher,
Getreidemäher, Normal- und Leicht⸗
binder, Schlepperbinder
Vollölbadroder
in verſchiedenen Größen
| Heinrich Lanz Aktlengesellschaft, Mannheim
Landmaſchinen
im In⸗ und Ausland
weil verbreitet!:
117936
817
Ri OF ILLINOIS
matsschrift für Blut und Boden
Herausgeber R. Walther arre
Gei a
BET
d
ww
i ge =) a oe _ 4
Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorſpru j ww . 623
Rudolf Bemmann / Berftädterung ı und d Aufenpolitit . . . . . 624
* „ * / Sohannes Kepler und die Gegenwart . . . . . 639
Willy Meinhold / Einflüffe der Lehren J. G. Fichtes auf de das
Werk Guſtav Ruh lands . . 648
Wilhelm Ueberrück / Leibesübungen als tänſtleriches Erlebnis . 653
Werner Beterfen / Die Bedeutung der Frühgeſchichte für den
deutſchen Bauern ` . . . . . 655
Ernſt Ferber / Das Ende der en Golts- und pees
ſchaftslehnetnn nn. 664
Wilhelm Scheuermann / Die en 9. 668
Johannes Schottky / Unfruchtbarmachung und Raffenpflege . 671
Felix Havenſtein / Der „Salomonsſtern“ am deutſchen Bauernhaus 679
Das Archi“ .“«.ns 681
Neues Schrifttun mn ? „685
Das Titelbild des Heftes ſtellt dar: Burg Neuhaus, Volkstanzgruppe der „Reichsſchule des
Reihsnährftandes für Leibesübungen“. — (Urheberrecht bei: Reihsnährftand IVE II,
Berlin SW 11, Deſſauerſtraße 26.) Die Bildbeilage dieſes Heftes bringt Wiedergaben
von Originalzeichnungen des Kunſtmalers Wilhelm Ueberrück, Breslau.
Die in dieſer Zeitſchrifſt namentlich bezeichneten Arbeiten geben die Anſichten der
Verfaſſer und nicht des Herausgebers oder Hauptſchriſtleiters wieder.
Nachdruck ift nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Schriſtleitung geſtattet.
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fer a ee een ..... ——. — —
Heft 8 7 4. Jahrgang Februar 1936
Vorſpruch
Wer aber neuen Wahrheiten zum Durchbruch
verhelfen will, muß das mit Nachöruck uns
Jelbſtbewußtſein tun, und das verträgt fih oft
ſchwer mit Temperamentloſigkeit und geſchmei⸗
digem, unterwürſigem Wefen.
Theophraſtus von Hohenheim S Paracelsus
Rudolf Bemmann:
Derftädterung und Außenpolitik
Wer das weltgeſchichtliche Geſchehen in ſeinem tiefſten Grunde als den
Kampf zwiſchen dem nordiſchen Bauerntum, als dem Träger des Blut- und
Bodengedankens, und dem Orient erkannt hat, wird nicht nur dadurch einen
faſt nie verſagenden Maßſtab und Wertmeſſer für die Fülle der einzelnen
hiſtoriſchen Erſcheinungen beſitzen, ſondern auch aus dem Wechſelſpiel dieſes
gewaltigen Dualismus, das ſich über die Jahrtauſende hindurchzieht, den
Glauben ſchöpfen, daß die letzte Schlacht noch nicht geſchlagen iſt und wie im
nationalſozialiſtiſchen Deutſchland auch bei den anderen Völkern mit nor⸗
diſchem Bauernblut der Kampf zu einem ſiegreichen Ende geführt wird.
Die Einfälle der orientaliſchen Nomadenſcharen, gleichviel in welchem
Jahrhundert und in welcher Volksgeſtaltung, ſind in dieſem Kampf nicht die
gefährlichſten und verhängnisvollſten Erſcheinungen. Es ſind vielmehr die im
Orient geprägten Gedanken, Vorſtellungen und Anſchauungen, die das nor⸗
diſche Bauerntum allmählich in die Verteidigung zurückdrängten und die, nad-
dem ſie, über das Mittelmeer kommend, Südeuropa durchſetzt hatten, in
weitem Halbkreis von allen Seiten auf das nordiſche Kernland hereindrangen.
Faft alle diefe Gedanken, das als römiſch⸗katholiſch formulierte Chriſtentum,
die Idee des fürſtlichen Deſpotismus, des Imperialismus, der Begriff der
Weltſtadt, vor allem aber die Auffaſſung des Goldes als Maß aller Dinge,
ſind ein jeder für ſich oder zuſammen zerſtörender geweſen als die Anſtürme
der Hunnen, Tataren und Türken.
Je mehr dieſe Begriffe einem Zeitalter das Gepräge gaben, je bauernfeind-
licher war es; das iſt für uns der Sinn der liberaliſtiſchen Zeit, aber auch die
vorhergehende Epoche, die politiſch angeſprochen die Zeit des fürſtlichen Abſo⸗
lutismus war, zeigte ein ähnliches Geſicht. Deshalb hat eine Betrachtung
dieſes Zeitalters für uns einen beſonderen Reiz, weil in ihm bereits jene
Kräfte und Erſcheinungen wahrzunehmen ſind, die im Liberalismus zum
letzten großen Anſturm gegen das VBauerntum anliefen. Es war die Herr-
ſchaft des Geldes und die beginnende Herrſchaft der Stadt.
Die als Merkantilismus bezeichnete wirtſchaftliche Auffaſſung des abſo⸗
luten Staates ſah in der Schaffung und Vermehrung des Edelmetallvorrates
den Zweck der Volkswirtſchaft, denn Geld war die Vorausſetzung, die
Stellung des Fürſten auf dem Hintergrund eines prunkvollen Hofhaltes, weit-
räumiger Schlöſſer und Bauten über alle Antertanen hervorzuheben, Geld
war die Vorausſetzung für die von einem bezahlten Beamtenſtand getragene
innere Verwaltung, Geld war die Vorausſetzung für das Werkzeug der
äußeren Politik, das Söldnerheer. Der ſo oft wiederholte Ausſpruch des
öſterreichiſchen Generals Montecuccoli, daß Geld, Geld, Geld zum Krieg⸗
führen das wichtigſte ſei, kennzeichnet dieſe ganze Zeit.
Neben dem Fürſten als Träger und Inhalt des abſoluten Staate erſtand,
von dieſem geſchaffen und gefördert, ein zweites Symbol: Die Hauptſtadt, als
Verstädterung und Außenpolitik 625
Mittelpunkt des Hofes, der Regierung und der Verwaltung. Während aber
die einzelnen Herrſcher zeitgebunden waren — Le roi est mort, vive le roi! —,
war die Hauptſtadt das örtliche und dauernde Sinnbild des Staates. Dieſe
Auffaſſung wurzelte ſich ſo tief ein, daß faſt ſtets die Eroberung der feindlichen
Hauptſtadt und nicht die Vernichtung der wenn auch nur in der Form
des Söldnerheeres organifierten militäriſchen Volkskraft das Ziel der kriege⸗
riſchen Aufmarſchpläne wurde. So tief durchdrungen war man von diefer
Anſchauung, daß ſelbſt die Tatſachen vergeblich ihre Sprache dagegen redeten,
denn weder die Beſetzung Berlins im Siebenjährigen Krieg 1760 durch die
Ruffen und Ofterreicher hat 5 Einfluß auf den Gang des Krieges
ausgeübt, noch wurde in den Napoleoniſchen Kriegen das Schickſal Oſterreichs
durch die Belegung Wiens, ſondern bei Auſterlitz und Wagram entſchieden;
und doch glaubte Napoleon als Herr Moskaus Rußland auf die Knie zwingen
zu können und zerſplitterte im Befreiungskrieg ſeine Armee durch die wieder⸗
holten Vorſtöße gegen Berlin. Noch 1866 meinte die ſiegreiche preußiſche
Armee durch den von Bismarck durchgeſetzten Verzicht auf den Einmarſch in
Wien um einen weſentlichen Teil des Sieges gekommen zu ſein.
Die Bedeutung der Hauptſtadt ging nach dem Abtreten des abſoluten Für-
ſtentums nicht etwa verloren, ſondern verſtärkte ſich im Zuge der allgemeinen
Großſtadtentwicklung im liberaliſtiſchen Zeitalter noch ungeheuer, denn ſie
blieb nicht nur der Mittelpunkt der Verwaltung. Als Sitz des Parlamentes
wurde ihre politiſche Rolle fogar geſteigert, und das geſamte öffentliche Leben
konzentrierte ſich mehr und mehr in ihr. Neben der Induſtrie hat beſonders
der Handel mit Bank und Börſe ſich hier niedergelaſſen. Die Verkehrs-
anlagen wurden auf fie zugeſchnitten, und durch Schulen, Theater, Muſeen,
Bibliotheken, beſonders aber durch die Preſſe, wurde fie die Quelle des
geiſtigen Lebens, ſo daß die Großſtädte als die vornehmſten, ja die ausſchließ⸗
lichen Träger der Kultur eines Volkes erſchienen. (Die Großſtadt. Vorträge
und Aufſätze 1903. S. 256.) |
Die Hauptſtädte übten einen über das Maß der in ihnen vereinigten
geiſtigen und wirtſchaftlichen Kräfte weit hinausgehenden Einfluß aus. In
fteigendem Maße wurden alle wichtigen Entſcheidungen in ihnen getroffen.
„Die Bewohner der Hauptſtadt find und fühlen fih als eine Art Muſter⸗
vertretung der Geſamtheit, als ihre geborenen Vorkämpfer und Führer.“
(Ebenda 262, 248.)
Die Geſchichte der Revolutionen gibt mehr als genügend Beweiſe hierfür:
dreimal, 1830, 1848, 1870, wurde das innerpolitiſche Schickſal Frankreichs in
Paris beſtimmt, Belgiens Anabhängigkeit 1830 in Brüſſel, das Schickſal der
polniſchen Revolution in Warſchau, die preußiſche und ſächſiſche in Berlin
und Dresden entſchieden.
Die Sentralifierung aller Entſcheidungen über das Wohl und Wehe der
Geſamtheit iſt aber nicht das Ausſchlaggebende in der Entwicklung, ſondern
es kamen zwei andere Erſcheinungen hinzu: Eine überragende Bevorzugung
der Haupt- und großſtädtiſchen Intereſſen auf jedem Gebiete, denen das Land
dienſtbar gemacht wurde, und dann das Verhängnisvollſte, daß die geſamte
Politik mehr und mehr in die Hand eines neuen, des großſtädtiſchen, Men⸗
ſchentyvs kam. In der Großſtadt für die Großſtadt von der
Großſtadt. Mit dieſen Worten läßt ſich jene politiſche Richtung
zuſammenfaſſen. |
626 Rudolf Bemmann `
Auch als es als Ehrenſache erſchien, die Großſtadt als letzte und höchſte
Blüte der Entwicklung zu preiſen, hat es nicht an zweifelnden und warnenden
Stimmen gefehlt. Zu ihnen gehört W. H. Riehl: „Europa wird krank an der
Größe ſeiner Großſtädte. Die geſunde Eigenart Altenglands wird in London
begraben. Parjs iſt das ewig eiternde Geſchwür Frankreichs, Paris, das
einmal ſelbſt im franzöſiſchen Parlament als ein verbranntes Gehirn bezeich-
net wurde.“ (Die Großſtadt S. 229.)
Den Großſtadttyp aber in ſeinen für die Politik bedenklichen Seiten hat der
Niederdeutſche Dietrich Schäfer, der bereits das Blutbad zu Verden geißelte
und die Bedeutung Heinrichs des Löwen richtig einſchätzte, in einem Bor-
trag im Jahre 1903 zuſammengefaßt: „Erhöhte Einſchätzung der Intelligenz.
Der Großſtädter empfindet es im allgemeinen ſchmerzlicher, wenn an feiner
Geriebenheit und Pfiffigkeit, als wenn an ſeiner Gewiſſenhaftigkeit und
tadelloſen Rechtſchaffenheit gezweifelt wird. Daß fih im großſtädtiſchen
Leben allzu leicht ein Ton der Aberlegenheit als mehr oder weniger allgemein
üblich heranbildet, iſt unverkennbar. Dem Großſtädter iſt es unbehaglich, ſich
etwa der Annahme auszuſetzen, daß er über etwas nicht mitreden kann. So
iſt er mit ſeinem Arteil leicht zur Hand und verfällt damit der Gefahr, ober⸗
flächlich zu werden. Er wird verleitet, Dinge ernſthafter Art nichts weniger
als ernſt zu behandeln. Dem Geiſte ſelbſtbewußter Aberlegenheit entſpricht
nicht die tatſächliche Arteilsfähigkeit. Nimmt man noch hinzu, daß das mo-
derne Großſtadttreiben zu äußerlicher Lebensauffaſſung, zu übertriebener
Wertſchätzung der materiellen Güter ſtarke Antriebe erhält ſo ſind einige
Hauptgefahren gekennzeichnet, die dem öffentlichen Leben drohen.“ (Die Groh-
ſtadt S. 277 — 279. | |
Daß die Hauptſtadt fih das Land bei ihrer wachſenden Machtſtellung
dienſtbar machte, wird eine ſpätere Zeit weniger wundernehmen als die frei⸗
willige Anerkennung der ſtädtiſchen Aberlegenheit durch das Land. Denn tat⸗
ſächlich war ſeit langem die Großſtadt phyſiſch und geiſtig vom Lande ab⸗
hängig. Bereits um die Jahrhundertwende, als Deutſchlands Geburtenzahl
noch Furcht und Hoffnung erweckte, konnte ſich nach der Anſicht maßgebender
Männer die Großſtadt aus eigener Kraft nicht mehr in ihrem Beſtande
halten, und wenn man anerkannte, daß die Großſtadt wohl der Wirkungskreis
geiſtig bedeutender Menſchen ſein ſollte, ſo wurde doch bezweifelt, daß die
Stadt jemals ſolche hervorgebracht habe. Wie im Altertum die herrſchenden
Städte von den Tributen der unterworfenen Völker lebten, ſo beanſpruchte
die moderne Haupt- und Großſtadt laufend Opfer des geſamten Landes, und
jeder Zuzug ließ ſich willig, ſtatt den Einfluß des Landes zu ſtärken, in die
ſtädtiſche Front einreihen.
Ans ſind die Gründe für die Einſtellung bekannt. Je mehr die liberaliſtiſche
Wirtſchaftspolitik die Bauern, die ländlichen Arbeiter und die Handwerker
erfaßte, um ſo düſterer und hoffnungsloſer wurde ihre Zukunft. So verließen
ſie das Land und die heimatliche Kleinſtadt, um jenſeits des Ozeans das zu
erreichen, was ihnen die alte Heimat verſagte, oder ſie verſuchten in der
Großſtadt, wie fie glaubten unter beſſeren Bedingungen, den Daſeinskampf
aufzunehmen. And die Großſtadt mit ihrem Verkehr und ihrer glänzenden
Faſſade verfehlte ihren Eindruck nie, ebenſo wie das ſichere Auftreten des
Großſtädters den Neuling mit Neid und Bewunderung erfüllen mochte.
Daß ſich auch die auf dem Lande verbleibende bäuerliche Schicht vielfach
ſo leicht der ſtädtiſchen Aberlegenheit unterordnete, hat einen hiſtoriſchen
Verstädterung und Außenpolitik 627
Grund. Nachdem die letzten heldenhaften Verſuche, uralte Rechte zu behaup⸗
ten, in den Bauernkriegen geſcheitert waren, hatten fich allmählich große Teile
der ländlichen Bevölkerung reſigniert in ihr Schickſal finden müſſen, als die
unterſte Schicht, Objekt, nicht nur der Staatspolitik, ſondern auch der Willkür
einer Vielheit mit obrigkeitlicher Gewalt ausgeſtatteter Herren zu gelten.
Durch die mehr und mehr in der Großſtadt konzentrierte Preſſe und der
in ihr geſchöpften öffentlichen Meinung wurde inſtinktiv der Blick auf die
Stadt gezogen. „Die Großſtadt habe“, jo ſagte Dietrich Schäfer, „ein Privi-
leg erworben, der Menſchheit jahraus, jahrein vom 1. Januar bis 31. De⸗
zember tagtäglich ein-, zwei⸗ oder dreimal vom weiten Erdenrund dasjenige
vorzulegen, was ihren Inſaſſen bemerkenswert und wiſſenswert erſcheint. Es
müßte ſchwer ſein, im Laufe der Weltgeſchichte ein gleiches Beiſpiel geiſtiger
Gängelung und Bevormundung aufzuweiſen, und die leſende Menſchheit
möchte fic) beileibe nicht dem Banne entziehen, dem fie fich ergeben und der
ſie umſtrickt hat.“ (Die Großſtadt S. 264.) Wer ſich der Mühe unterziehen
würde, aus Karikaturen, Poſſen, Romanen vergangener Zeiten nach herab⸗
ſetzenden und jeder Kenntnis baren Darſtellungen des deutſchen Bauerntums
zu ſuchen, würde erſchrecken, wie ruhig, ja vielleicht wie gern weite Kreiſe
der Großſtadt das Neſt beſchmutzen ließen, aus dem fie ſelbſt ſtammten. So
konnte Darré 1929 mit vollem Recht ſchreiben, daß das heutige Großſtadt⸗
gemüt ſeit ee daran gewöhnt fei, mit dem Begriff „Bauer“ fo
etwas wie einen Freibrief für Dummheit zu verknüpfen. (Das Bauerntum
als Lebensquell S. 282.) Daß Literatur und Preſſe ſich mit Vergnügen zur
Herabſetzung des Bauerntums hergaben, iſt für den verſtändlich, dem die Be⸗
herrſchung durch das Judentum klar ijt, denn dem uralten Nomaden⸗
inſtinkt muß jede Verbindung von Blut und Boden ein Greuel ſein. So
glaubte ſchließlich die Landbevölkerung ſelbſt an ihre Rückſtändigkeit und
neigte mehr und mehr dazu, ihr altes Brauchtum gegen die großſtädtiſchen
Moden einzutauſchen, ahmte die Stadtſitten und Anſitten nach und hielt die
ſtädtiſchen Berufe für feiner. Die Anſicht des alten Bauern, der ſeinen Sohn
ſtudieren ließ, weil er zu ſchlecht ſei, um etwas Ordentliches zu lernen, war
wohl kaum noch häufig anzutreffen. (Ebenda S. 79.)
So unerfreulich vielfach die Geſchichte der fürſtlichen Dynaſtien iſt, die ja
auch häufig aus finanziellen Gründen dem Judentum manche Tür öffneten,
ſo wird man ihnen zubilligen, daß ſie in dem Kampf gegen die wachſende
Macht. der Parlamente dem Verſtädterungsprozeß in der Politik entgegen-
zutreten verſuchten. Im Landadel, der häufig in der Regierung und in der
Verwaltung die leitenden Stellen beſetzte, fand er hierbei eine Stütze, da
dieſer durch ſeine jahrhundertealte Verbundenheit mit dem Lande, der Grund⸗
lage feiner Wirtſchaft und feiner ſozialen Stellung, als oberſte Schicht der
Bevölkerung der ſtädtiſchen Gleichmachung abgeneigt und zugleich wider⸗
ſtandsfähiger dagegen als der Bauer war.
Einer der letzten, größten Kämpfer dieſer Art war Bismarck. Vom Lande
ſtammend, hat er immer wieder auf dem Land, fern von der Stadt, im engen
Zuſammenhang mit der Natur Kraft geſucht und gefunden für feine ſchweren
außenpolitiſchen Entſchlüſſe und zum Kampf gegen die Reihe ſeiner inneren
Gegner, die fich aus Freiſinnigen und Sozialdemokraten, aus Zentrum, evan-
geliſchen Geiſtlichen und preußiſchen Konſervativen zuſammenſetzte. Immer
wieder weiſt er auf den Schaden der verſtädterten Politik hin, wenn er von
der ſogenannten öffentlichen Meinung ſpricht, dem Lärmen der Redner, den
628 Rudolf Bemmann
Phraſen der Schwätzer und Schwindler. Schon in einer feiner erſten Reden
vom 6. September 1849 ſpottet er über das Phantom, welches unter dem
fingierten Namen von Zeitgeiſt oder öffentlicher Meinung die Vernunft der
Fürſten und Völker mit ſeinem Geſchrei betäubt, bis jeder ſich vor dem Schat⸗
ten des anderen fürchtet, und alle vergeſſen, daß unter der Löwenhaut des
Geſpenſtes ein Weſen ſteckt von zwar lärmender, aber wenig furchtbarer Natur.
Immer wieder klagt er über die Anehrlichkeit und Vaterlandsloſigkeit der
politiſchen Parteien, die weniger durch ihr Programm geſchieden ſind als
durch Perſonen, parlamentariſche Kondottiere mit einer möglichſt großen
Gefolgſchaft aus a... und publiziſtiſchen Strebern, die hofften, mit
ihren Führern zur Macht zu kommen. (Gedanken und Erinnerungen 1 S. 21.)
Es kann hier nicht der Ort ſein, in einzelnen politiſchen Vorgängen den
nordiſch⸗bäuerlichen Wurzeln Bismarckſcher Politik nachzugehen. Sie find
vom Beginn ſeines politiſchen Auftretens bis auf die Rückſchau auf ſein
ſtaatsmänniſches Wirken, die er in Friedrichsruh hielt, feſtzuſtellen, ob er
nun am 10. April 1848 gegen die Aufhebung der Mahlſteuer ſprach, da dies
eine Captatio benevolentiae für den die Großſtädte beherrſchenden Zeitgeiſt
auf Koſten des platten Landes und der kleinen Städte ſei, oder ob er ſein
Mißtrauen gegen die Bevölkerung der großen Städte ausſprach, ſo lange ſie
fich von ehrgeizigen und lügenhaften Demagogen leiten ließ (20. März 1852),
oder ob er in ſeinen Gedanken und Erinnerungen die Amwandlung des Land-
rates aus einem Organ der Selbſtverwaltung in einen Regierungsbeamten
bedauerte. (Gedanken und Erinnerungen II S. 179.)
Wie tief das Weſen Bismarcks bäuerlich war, kann jeder feſtſtellen, dem
ſein Wirken einigermaßen vor Augen ſteht und der es mit den Ausführungen
Darrés über die Welt- und Staatsauffaſſung des nordiſchen Bauern ver-
gleicht, nämlich das Tun am Denken zu prüfen und durch Denken die Not-
wendigkeit der Ausführung zu erkennen, das zähe Feſthalten am einmal Ge.
faßten Plan mit Anpaſſung an die gegebene Lage, die vorausſchauende Bes
rechnung der Auswirkung der Maßnahmen und der Sinn für das Gewordene.
(Das Bauerntum als Lebensquell S. 277 ff.)
Nach Bismarcks Sturz und mit dem Sieg der Demokratie nach dem Welt-
kriege ſetzte ſich die Verſtädterung der Politik ohne Hemmung durch. Die
politiſchen Kondottiere, die ſich bereits unter Bismarcks Staatsleitung breit⸗
nemacht hatten, und die politiſchen Söldner, die zwar nicht ihre Knochen,
aber eine ſpitze Feder und ein flottes Mundwerk zur Verfügung ſtellten, die
politiſchen Korruptionen und Beſtechlichkeit gewannen als Kampfmittel
wachſende Bedeutung, gleichgültig in welcher Form, denn ſelbſt Vorſchriften
des H. G. B. boten die Möglichkeit, einflußreiche Perſonen für den Dienſt
beſtimmter wirtſchaftlicher Beſtrebungen zu gewinnen. Ohne über die Geſamt⸗
heit der Berufspolitifer und Journaliſten jener Zeit ein Arteil abgeben zu
wollen, werden fie als maßgebende Sachverſtändige eine erſchöpfende Aus-
kunft über die Zuſtände der vergangenen Zeit erteilen können.
Wie die Innenpolitik mußte naturgemäß auch die Außenpolitik ausſehen.
Auch hier iſt das Städtertum nur der fruchtbare Boden, auf dem der ſeit
Jahrhunderten aus dem Orient und den Nomadenſtämmen herübergeflogene
Samen: Mißachtung der organiſchen Verknüpfung von Blut und Boden,
Volk und Raum, der beiden Grundelemente nordiſcher Weltauffaſſung,
wuchern konnte.
Verstädterung und Außenpolitik 629
Schon die Geſchichte des abſoluten Zeitalters gibt zahlreiche Beweiſe, wie
fern dieſe Argedanken des nordiſchen Bauern den damals führenden Männern
erückt waren, wenn ſie die Länder und Völker hin und her ſchoben und
öchſtens die Entſchädigung einer depoſſedierten Dynaſtie in Betracht zogen.
Im Anfang des 19. Jahrhunderts hatte der Wiener Kongreß dieſer Auf⸗
Fafjung ein Denkmal geſetzt, als er heterogene Volksteile wie die Holländer
und Belgier zuſammenſchmiedete oder Teile desſelben Volkes wie in Italien
auseinander zu halten verſuchte. Dieſe Art, die Dinge zu ſehen und zu be⸗
handeln, eignete ſich beſonders für Politiker, die dem Großſtadttyp angehören
und von der großſtädtiſchen öffentlichen Meinung abhängen, vortrefflich. Wer
Volk und Raum nur nach Kopfzahl, Quadratmeilen, nach wirtſchaftlichen
Werten und der Höhe des Steuereinkommens einſchätzt, kann ohne große
Sachkenntnis mit ihnen handeln. Die Oberflächlichkeit kann hier Triumphe
feiern, jeder kann mitreden und durch Gewandtheit und Schlauheit Siege da⸗
vontragen. Leicht konnte hier auch der öffentlichen Meinung Genüge getan
werden, wenn es gelang, ſich einem anderen Staat gegenüber überlegen zu
zeigen, wenn man für fremde Siege Kompenſationen forderte und erreichte
und ſich für das imaginäre europäiſche Gleichgewicht einſetzte.
Kein Zufall ijt es, daß Frankreich, deffen Hauptſtadt wie in keinem anderen
Land den Staat repräſentierte und beherrſchte, in der Perſon Napoleons III.
ein typiſches Beiſpiel hierfür bietet. Nachdem dieſer nach Wiedererrichtung
des Kaiſerreiches das Wort geſprochen hatte, daß das Empire den Frieden
bedeute, war er in den achtzehn Jahren ſeiner Herrlichkeit oft gegen ſeine
innere Aberzeugung gezwungen, durch ſeine Politik der Pariſer öffentlichen
Meinung das franzöſiſche Übergewicht in Europa vor Augen zu führen.
Mit richtiger Erkenntnis der Pariſer Bevölkerung hatte bereits bei Napo-
leons Regierungsantritt Barthelemy St. Hilaire gejagt: „Wenn Napoleon
unſerer Eitelkeit und Einbildung nicht ſchmeicheln kann, wird er ſich nicht
drei Jahre halten können.“ (Otto Kaemmel, III. Geſchichte der neueſten Zeit,
Seite 58.) Wie fremd aber dem franzöſiſchen Landvolk die Kriege in der
Krim, in Italien und Mexiko waren, beweiſt die Entrüſtung der franzöſiſchen
Bauern beim Ausbruch des italieniſchen Krieges, daß ſich ihre Söhne für den
Murmeltierkönig totſchießen laſſen und ihre Töchter ledig bleiben ſollten
(ebenda S. 137). Die Pariſer Bevölkerung glaubte, das iſt ja bekannt, die
Machterweiterung Preußens und die Cinigung Deutſchlands nur gegen Ent-
ſchädigung hinnehmen zu können. Deshalb bereits während des böhmischen
Feldzuges die franzöſiſchen Verſuche, Kompenſationen auf dem linken Rhein-
ufer zu erhalten, deshalb die Bemühung, Belgien und Luxemburg einguver-
leiben, die Einmengung in die ſpaniſche Thronfolge, bis ſchließlich die die
Pariſer Straßen widerhallenden Schreie nach Rache für Sadowa zum Krieg
mit Deutſchland und zum Sturz des Kaiſers führten.
Napoleon III. und fein großer Gegner, Bismarck, verkörperten zwei ent-
gegengeſetzte Auffaſſungen in der Politik, die ſchließlich auf den Gegenſatz
zwiſchen dem von nomadiſcher Anſchauung durchſetzten Großſtädtertum und
dem nordiſchen Bauerntum zurückgehen. Napoleons Anterwürfigkeit unter die
großſtädtiſche öffentliche Meinung, die meiſtens nur ſo viel Macht beſitzt als
man ihr zubilligt, und die in raſchem Aufeinander die gleichen Dinge bald in
den Himmel hebt und bald verflucht, ſtachelte ihn zu raſtloſer Tätigkeit auf,
n daß er ein Ziel bis zum Ende verfolgte oder nur ein ſolches feft ins
ge faßte. Man denke an den Abſchluß des Krieges gegen Oſterreich, ohne
630 Rudolf Bemmann
die proklamierte Einigung Italiens durchzuſetzen, oder an die mexikaniſche
Expedition, um dieſem Land einen Kaiſer zu geben, deſſen wiſſenſchaftliche
Leiſtungen den braven Indios wohl ziemlich unbekannt waren. Damit verband
ſich jene Oberflächenpolitik, die im Munde das Nationalitätenprinzip führte,
tatſächlich aber nicht verlegen war, zur Aufrechterhaltung der großſtädtiſchen
Stimmung bald Savoyen von Italien ſich abtreten zu laſſen oder rein deutſche
Gebiete zu verlangen.
Bismarck dagegen wird der Mann der Tat, nicht der Tätigkeit, bleiben, der
unbeirrt durch den Beifall oder das Mißfallen der Offentlichkeit dem als
richtig anerkannten Ziel zuſtrebte, aber dabei die Zeit und den Weg der
Durchführung den Verhältniſſen anpaßte, und der Achtung vor dem geſchicht⸗
lichen Werden und den hiſtoriſchen Tatſachen beſaß. |
Der Anterſchied feiner auf die geſchichtliche Erfahrung begründeten und
die Zukunft berechnenden Außenpolitik und Napoleons Verhalten wird treff-
lich beleuchtet durch die Saa une über die Stellung des eigenen Staates in
drohenden oder ausgebrochenen Konflikten. Bismarck ſprach ſich von dem
„Kitzel, eine Richterrolle in Europa zu fpielen, frei“. Er erklärte fih zum
Gegner der Intervention, bei der man ſich wie Napoleon die Finger verbrenne,
und lehnte es ab, den napoleoniſchen Weg zu gehen, um, wenn nicht der
Schiedsrichter, auch nur der Schulmeiſter in Europa ſein zu wollen. Er wollte
ſich mit der beſcheideneren Rolle des ehrlichen Maklers begnügen, um die
Gegenſätze zwiſchen den Großmächten ausgleichen zu helfen.
Man wird der Epoche Wilhelms II. die Bismarck ſchuldige Anerkennung
nicht zuſprechen können. Daß die Politik des letzten Kaiſers allerdings wie
die napoleoniſche allzuviel auf die Stimmung von Stadt oder Land Rückſicht
nahm, kann man nicht fagen, aber dafür ſchwand die nordiſch⸗ bäuerliche Ge-
ſinnung aus der deutſchen auswärtigen Politik immer mehr. Auch dieſe Epoche
kann man kurz kennzeichnen: Tätigkeit, aber keine Tat, viele Wege, aber kein
einheitliches, überragendes Ziel. Viel Reden über Geſchichte ohne Kenntnis
der wirkenden Kräfte und daher Oberflächenpolitik, die man fälſchlich als
Realpolitik rühmte.
Wenn Wilhelm II. auch keine Schiedsrichterrolle beanſpruchte, fo atmet
ſein Ausſpruch, daß auf dem Ozean und in der Ferne, jenſeits von ihm, ohne
Deutſchland und den deutſchen Kaiſer keine große Entſcheidung mehr fallen
dürfe, ſtädtiſchen Geiſt, und feine Drohung, mit den ſtärkſten Mitteln vor-
zugehen, um nicht bei den großen auswärtigen Entſcheidungen beiſeite geſcho⸗
ben zu werden (Kaiſerreden, herausgegeben von A. Oskar Klaußmann), ſteht
im ſchroffen Gegenſatz zu Bismarcks Erklärung vom 5. 12. 1876, daß er zu
einer aktiven Beteiligung Deutſchlands an der orientaliſchen Frage nicht
raten könne, da er in dem Ganzen kein Intereſſe für Deutſchland ſehe, das
auch nur die geſunden Knochen eines pommerſchen Musketiers wert wäre.
Den Höhepunkt erreichte aber die Großſtadtpolitik, als nach dem Zuſammen⸗
bruch Deutſchlands und ſeiner Verbündeten ſich die Diplomaten in Paris
zuſammenſetzten, um der Welt ein neues Geſicht zu geben, und zur Sicherung
ihrer Arbeit den Völkerbund ſchufen.
Anüberſehbar iſt die Literatur über die Friedensdiktate, denn ſie haben
einer nach Frieden rufenden Welt nur ein vermehrtes Maß an Anruhen,
Elend und Verbitterung beſchert, und man hat oft die Kurzſichtigkeit der
Friedensmacher beklagt. Kurzſichtigkeit anzunehmen, dürfte aber nicht immer
den Tatſachen entſprechen. Für Frankreichs Politiker galt damals der Frie⸗
Verstädterung und Außenpolitik 631
densſchluß nur als ein Sprungbrett für die weitere Zertrümmerung feines
öſtlichen Nachbars, und alle die Bedingungen, die er enthielt, ſollten Mög-
lichkeiten zu einem ſolchen Vorgehen bieten. Dieſe Tendenz Frankreichs, die
als Vollſtreckung des Teſtaments Richelieus bezeichnet wird, fußt freilich auf
der im Zeitalter des abſoluten Staates herrſchenden Auffaſſung. Daß aber
die anderen Mächte, wenn zuweilen auch ſchweren Herzens und ungern, der
franzöſiſchen Auffaſſung nachgaben, iſt wohl zum Teil aus der politiſchen
Lage zu erklären, die durch die deutſche Selbſtentwaffnung mit beſtimmt
worden war, zum großen Teil aber dadurch, daß den Politikern die Grund⸗
lagen der nordiſchen Auffaſſung, das Geſetz von Blut und Boden, innerlich
fremd war. Anbekannt war ihnen die Bedeutung von Volk und Naum im
hiſtoriſchen Werden allerdings nicht. Denn es iſt bezeichnend für die Begrün⸗
dung der Beſchlüſſe, daß man nach dem zu erreichenden Zweck jene Gedanken
zur Begründung heranzog. So zwängte man in die Tſchechei Millionen
Deutſche unter der Verufung auf Geſchichte und geographiſche Lage und be⸗
raubte Ungarn zugleich nach dem Gebot des Nationalitätenprinzips feiner
naturgegebenen Grenzen.
Dieſe Entwertung der hiſtoriſchen Gedanken und ihre Herabwürdigung zur
Erreichung politiſcher Geſchäfte ähnelt einer oft bemerkten Händlermethode,
egoiſtiſchen Vorteilen unter patriotiſcher, weltanſchaulicher und religiöſer
aste nachzugehen. In Verſailles hat die Oberflächlichkeit und die Ankennt⸗
nis der primitivften geographiſchen und geſchichtlichen Tatſachen geradezu
Orgien gefeiert und, was vielleicht noch bezeichnender iſt, vielfach fehlte auch
völlig das Gefühl für die Lücken in den Kenntniſſen, die für die Ordnung
der europäiſchen Verhältniſſe Vorausſetzung waren. |
Haben die anderen nichtfranzöſiſchen Großmächte wirklich in Verſailles
etwas Bleibendes ſchaffen wollen, ſo konnten ſie dies Werk nicht mehr ge⸗
fährden, als durch die Paragraphen, die dauernd die Hoheit der beſiegten
Staaten beeinträchtigten, wie durch die Einſchränkung der Wehrhoheit, die
Internationaliſierung der Ströme uſw. Sie haben ſich damit ein Denkmal
einer völligen Verſtändnisloſigkeit von Weſen und Sinn des lebendigen
Staates geſetzt. |
Schon Bismarck hat 1870, als Rußland das Ergebnis des Krimkrieges,
nämlich das Verbot, im Schwarzen Meer Kriegsſchiffe zu halten, revidieren
wollte, auf die Bedenklichkeit ſolcher Friedensbedingungen hingewieſen: „Der
Vertrag von 1856“, fo äußerte er fic) dem engliſchen Vertreter im deutſchen
Hauptquartier Ruſſel gegenüber, „enthält Bedingungen, wie fie meines Er-
achtens große Nationen einander gegenſeitig nicht auferlegen ſollten. Für das
Nationalgefühl find Landabtretungen unter Amſtänden leichter zu ertragen
als die Anterwerfung der Souveränität eines Landes innerhalb ſeiner eigenen
Grenze unter fremde Kontrolle, wie beiſpielsweiſe Stipulationen, daß feſte
Plätze geſchleift und die Berechtigung, in der Amgebung zu bauen, von frem⸗
der Kontrolle abhängig gemacht werden ſoll, ſind ſtets mit der Verletzung des
Nationalgefühls des kontrollierten Landes verbunden.“ Ob die engliſchen
Politiker wohl den gleichen Gedanken gehabt haben wie Lord Palmerſton,
der nach dem Abſchluß des Pariſer Vertrages 1856 ſagte, daß die die ruſ⸗
ſiſche Souveränität einſchränkenden Bedingungen ſich keine zehn Jahre lang
halten würden? (Die diplomatiſchen Akten des Auswärtigen Amtes II S. 14.)
Verſtädtert, wie der Friede ſelbſt, wurde auch das Antlitz des neuen durch
ihn geſchaffenen „Kosmos“. Denn die beſiegten, verſtümmelten, neu entſtan⸗
632 Rudolf Bemmann
denen und vergrößerten Staaten zogen faſt ausnahmslos den in der weft-
europäiſchen Großſtadtwerkſtatt geſchneiderten demokratiſch⸗parlamentariſchen
Rock an, gleichviel, ob er zu ihnen paßte und wie er ihnen zu Geſicht ſtand.
Viel koſtbare Zeit wurde dadurch innen⸗ und außenpolitiſch vergeudet, die
beſſer zum inneren Aufbau und Konſolidierung in den einzelnen Ländern und
zur Verſtändigung miteinander benutzt worden wäre.
Mißbrauch geſunder Gedanken, Mißachtung der organiſchen geſchichtlichen
Bedingungen, ein Durcheinander von Sein und Schein macht auch den
Völkerbund zu einem Produkt und Träger großſtädtiſcher und unbäuerlicher
Gedanken. Die zweifellos richtige und fogar notwendige Idee, eine Sufammen-
arbeit der Völker in irgendeiner Form ins Leben zu rufen, wurde durch die
Gründung des Völkerbundes in Mißkredit gebracht, denn angeblich war er
eine Organiſation der internationalen Gemeinſchaft, tatſächlich aber eine Ver⸗
einigung zum Schutze der durch die Kriegsverträge feſtgeſetzten neuen Ordnung,
alſo ein Organ zur Niederhaltung und wirtſchaftlichen Vernichtung Deutſch⸗
lands. (Völkerbund und Völkerrecht I S. 259.)
Sobald er ſich einer anderen Aufgabe zuwandte, ſcheiterten faſt immer ſeine
Bemühungen, und er wurde, man kann das Wort, das der Pole Stronſky
auf die Weltwirtſchaftskonferenz prägte, auf ihn anwenden, zur Weltaus-
ſtellung der Hilfloſigkeit. And der italieniſche Senator Davanzati erklärte,
der Völkerbund habe ſich unfähig gezeigt, ein einziges wichtiges Problem zu
löſen, trage den Mißerfolgen keine Rechnung und ſtelle ein Hindernis zur
Regelung der europäiſchen und weltpolitiſchen Beziehungen dar. (Tribuna.)
Immer mehr zeigt ſich der Doppelſinn, der Mangel an jedem Gefühl für
organiſches Denken. Dem Wortlaut nach ein Bund, iſt er tatſächlich nur ein
„intermittierender Diplomatenkongreß“, denn kein Staat verzichtete auf irgend-
einen Teil ſeiner Zuſtändigkeiten oder ſeiner Souveränität zugunſten dieſer
zwiſchenſtaatlichen Einrichtung, was uns im Zeitalter der zunehmenden ſtaat⸗
lichen Totalität durchaus verſtändlich erſcheint. (Völkerbund und Völker⸗
recht I S. 7/8.) Eingekleidet in die Form der weſteuropäiſchen Demokratie,
wurde bei den Beſchlüſſen des Völkerbundes der wirklichen Machtverteilung
keine Rechnung getragen. Das gleiche Stimmrecht der Weltmacht und der
Staaten geringerer Bedeutung ſtellt dieſe in gleiche Reihe, und ungeachtet,
wo das politiſche Schwergewicht oder die Bedeutung der einzelnen Staaten
liegen, gibt ein jeder Staat ſeine Stimme auch über Verhältniſſe ab, zu deren
Beurteilung die nötige Vertrautheit kaum vorauszuſetzen iſt. Doch beſchränkt
ſich die Art zu urteilen und zu entſcheiden nicht nur auf das politiſche Gebiet.
Z. B. führte der bekannte Bauernführer der Schweiz, Dr. E. Laur, über
das Gutachten des Völkerbundes über den Agrarprotektionismus aus, der
nach Wirtſchaftskomitee die Haupturſache der europäiſchen Wirtſchaftskriſe
fein fol: „Es muß leider fonftatiert werden, daß die Arbeit des Wirtſchafts⸗
komitees ohne genügende Sachkenntnis verfaßt worden iſt. Es iſt ja in land⸗
wirtſchaftlichen Kreiſen ſchon oft bedauert worden, daß der Völkerbund fich
nicht entſchließen konnte, einige landwirtſchaftliche Vertreter zu Mitgliedern
des Wirtſchaftskomitees zu ernennen.“ (Schweizer Freie Preſſe vom
24. Juni 1935.)
Im inneren Widerſpruch mit dem angeblichen Grundgedanken des Völker⸗
bundes glaubten viele der durch den Frieden vergrößerten und neuentſtandenen
Staaten wohl aus dem dunklen Gefühl heraus, daß die Verletzung der Geſetze
von Blut und Boden gewaltſame Reaktionen hervorrufen könne, durch Bünd⸗
Verstddterung und Außenpolitik 633
niſſe, Ententen, Abmachungen vim. das Refultat von Verſailles, Trianon
und St. Germain ſichern zu müſſen. Aus der verworrenen, unklaren und ſelbſt
für manche der gewinnenden Staaten unbefriedigenden Geſtaltung der euro⸗
päiſchen Verhältniſſe heraus entwickelte ſich eine Bündnispolitik, die als
ga bezeichnet wird und noch keineswegs ihr Ende erreicht zu haben
n
Mit dem Grundgedanken des Völkerbundes, der Sanktionen gegen Wider⸗
ſtrebende vorſieht, ſtehen die Beiſtandspakte einzelner Mitglieder miteinander
im Widerſpruch, und im engliſchen Oberhaus iſt dies Verfahren als Aber⸗
tretung bezeichnet worden.
Aber abgefehen hiervon gehört die Paktinflation in die Richtung der hier
behandelte Politik. Denn der Abſchluß eines Bündniſſes, das im Ernſtfall den
Einſatz eines ganzen Volkes verlangt, gehört zu den verantwortungsvollſten
Handlungen eines Staats führers; er bindet damit den eigenen Staatswillen an
einen anderen und legt den Entſchluß, die Exiſtenz des eigenen Staates in die
Waagſchale zu werfen, in andere Hände. Daher die Worte Bismarcks, der
es mit der Bündnistreue ſehr ernſt nahm, daß es kaum möglich wäre, die
Kraft des Landes für ein befreundetes gegen die Aberzeugung des Volkes
einzuſetzen, und daß keine große Nation ihr Veſtehen auf dem Altar der Ber-
tragstreue opfern werde, wenn es zwiſchen beiden wählen mie, (Gedanken
und Erinnerungen II S. 247, 249.)
Deshalb wird ein Bündnis, wenn die Partner überhaupt die Abſicht haben,
ihr Verſprechen einzulöſen, eine Reihe Vorausſetzungen haben müſſen: ein-
mal einen begrenzten konkreten Inhalt und eine beſtimmte politiſche Kon⸗
ſtellation; dann eine ähnliche geopolitiſche und wehrgeographiſche Lage, um
Vorteile und Laſten p pen leich zu verteilen, vor allem aber — dies
iſt eigentlich ſelbſtverſtändlich — Anerkennung der äußeren Integrität und
Achtung der inneren Verſaſſung des verbündeten Landes.
Betrachtet man die Bündnispläne unſerer Tage, ſo wird eine gewiſſe
Skepfis erlaubt fein, ob fie alle wirklich ernſt gemeint find. Am den Frieden
zu erhalten, denn das ſoll ja bezweckt werden, will man, ſtatt den Krieg zu
lokaliſieren, ganz Europa in Brand ſtecken. Man kann fih doch wohl eine
Konſtellation z. B. auf dem Balkan vorſtellen, die es ferngelegenen Nationen
ſchwermachen möchte, an die Notwendigkeit einer kriegeriſchen Beteiligung zu
lauben, vorausgeſetzt, daß es ſich tatſächlich um den Zwiſt zweier Nachbarn
bandelt und dieſe nicht die getarnten Exponenten anderer größerer Mächte
find. In dieſem Fall wird nach der politiſchen Stellungnahme die Beurteilung
des Friedensbrechers, des Angreifers verſchieden ſein, und ohne die Möglich⸗
keit einer Entſcheidung zu haben, würden größere und kleinere Mächte in
einen blutigen Strudel hineingezogen werden. Durch ſeine Lage aber kann
mancher Staat Kriegsſchauplatz werden, der ohne Teilnahme an einem ſolchen
Pakte kaum ein lebensnotwendiges Intereſſe zum Kriege nachzuweiſen ver⸗
möchte. Seltſame Bundesgenoſſen ſollen zuſammengeſchloſſen werden: fatu-
rierte und unzufriedene Siegerſtaaten mit Ländern, die durch Beraubung
ſtammesgleicher Landsleute, naturgegebener Grenzen und lebensnotwendiger
Meereszugänge verſtümmelt ſind, weſteuropäiſche Demokraten mit faſchiſti⸗
ſchen Staaten, dem nationalſozialiſtiſchen Deutſchland und mit Sowjet⸗
rußland, dem Hort der Weltrevolution.
Wer aus dieſen Elementen ein im Ernſtfall funktionierendes Organ zim⸗
mern will, hat wohl kaum mit Erfolg Geſchichte geleſen; aber die Bereit⸗
634 Rudolf Bemmann
willigkeit mancher Staaten, zwar einen Pakt abzuſchließen, aber den milt-
täriſchen Konſequenzen auszuweichen, läßt den Gedanken aufkommen, daß
dieſe ganze Politik mehr auf die Erreichung papierener als tatſächlicher Er-
folge gerichtet fet; als handele es ſich um ein ſcheinbares Nachgeben kleinerer
und mittlerer Mächte, damit ſich beſtimmte Führer europäiſcher Großmächte
in der öffentlichen Meinung ihrer Länder als erfolgreiche Diplomaten
ſonnen können. o,
Die Aufnahme Sowjetrußlands in den Völkerbund und fein Militär-
bündnis mit Frankreich, der Tſchechoſlowakei und vielleicht mit Rumänien
hat nicht nur in Deutſchland berechtigtes Aufſehen erregt. (Völkerbund und
Völkerrecht I S. 212.) Denn wenn der Schweizer Bundespräſident Motta
mit ſeinem Ausſpruch, daß ein Mindeſtmaß von moraliſcher und politiſcher
Verwandtſchaft die Vorausſetzung für das Beſtehen des Völkerbundes ſei,
richtig iſt, ſo war dieſe Homogenität zweifellos nach der Idee des Präſidenten
Wilſon in der Welt- und Liberaldemokratie zu ſehen, die den Weltkrieg
gewonnen hatte. (Ebenda S. 264.) Durch die Abkehr einiger europäiſcher
Staaten von dieſem Ideal erſchüttert, ſchien der Eintritt Rußlands in den
Völkerbund dieſen ſeines urſprünglich von Wilſon angeſtrebten Charakters
zu berauben, eine Bölkerfamilie und ein wirklicher Bund zu ſein, und damit
in ſeiner Exiſtenz bedroht zu werden. An Stelle eines Bundes, ſo glaubte
man, ſei eine Allianz vorkriegsmäßiger Art getreten. Wenn wir aber unſer
Arteil über den Völkerbund nicht aus dem Wortlaut ſeiner Satzung, fon-
dern aus ſeinem Verhalten beſonders gegen Deutſchland bilden, ſo hatte ſich
kaum eine weſentliche Anderung vollzogen. Verwunderlich konnte es nur er⸗
ſcheinen, daß europäiſche Mächte durch Aufnahme Rußlands in den Völker⸗
bund und durch den Abſchluß eines Bündniſſes mit ihm die mit der Natur
des bolſchewiſtiſchen Imperialismus untrennbar verbundene Tendenz, in
anderen Staaten den Kommunismus auf dem Wege des Bürgerkrieges und
der Staatszerſetzung zum Siege zu bringen, unterſtützten. Man ſchien von
dem Irrglauben befangen, daß man einen Feind durch Offnung der Tür des
eigenen Hauſes unſchädlich macht, einen Feind, der doppelt gefährlich iſt als
der Träger einer durchaus noch nicht in allen Ländern überwundenen, dem
Europäertum todfeindlichen Weltanſchauung und eines gewaltigen militä⸗
riſchen Machtapparates. Man räumte ihm freiwillig eine auf ſeiner geopoli-
tiſchen und politiſchen Lage beruhende Schlüſſelſtellung in Europa ein, ähn⸗
lich wie ſie die kommuniſtiſchen Parteien in einzelnen liberal⸗demokratiſchen,
pluraliſtiſchen Parteiſtaaten beſitzen und beſaßen. (Völkerbund und Völker⸗
recht I S. 268.) | u 8
And doch liegt in dieſer Entwicklung eine geſchichtliche Logik. Denn die
treibenden Kräfte waren diejenigen Siegerſtaaten, Frankreich an der Spitze, die
um jeden Preis die Statik des Verſailler Friedens, vor allem das damals
in Europa feſtgeſetzte Machtverhältnis erhalten wollen. Deshalb wurde dem
Geiſt von Verſailles der von Moskau zu Hilfe gerufen. Wenn geſagt wird,
daß fih ein jeder Staat durch die gleichen Mittel erhalte, durch die er ge-
ſchaffen wurde, ſo kann man dies ſinngemäß auf das Friedensdiktat anwenden.
Der Geiſt von Verſailles und Moskau find Kinder einer Mutter, der groß ⸗
ſtädtiſchen, der nomadiſchen Auffaſſung der Welt. Zum großen Teil von An-
gehörigen des gefährlichſten Zweiges des Nomadentums aus der Wiege
eboben, in den Großſtädten großgezogen, wollen beide den auf Blut und
Boden ruhenden Staats und Volksgedanken vernichten, den organiſchen
Verstddterung und Aufenpolitik 635
Gemeinſchaftsgedanken, der wohl dem einzelnen das Seine gibt, ihn aber
dem großen Ganzen unter- und einordnet, um angeblich an beten Stelle den
einzelnen Menſchen ohne Anſehen ſeines Wertes und ſeiner Bedeutung für
die Volksgemeinſchaft zu ſetzen, tatſächlich aber, um das plamte Volk der
Ausbeutung und der Herrichaft einiger weniger preiszugeben. Wurde einſt
der deutſche Tortſchritt, die Linksdemokratie, als Vorfrucht des Sozialismus
(der Sozialdemokratie) bezeichnet, fo ſteht Liberalismus und Bolſchewismus
in einem ähnlichen Verhältnis. Der Liberalismus wird, wie einſt der Fort-
ſchritt, das trefflich vorbereitete Feld dauernd der Nachfrucht überlaſſen
müſſen. Denn in ſeinem unmöglichen Beſtreben, die einmalige und unter
ganz beſonderen Amſtänden vorgenommene Inventur der europäiſchen Macht-
verhältniſſe gegen das Lebensgeſetz von Volk und Raum vielleicht für kurze
Zeit zu ſtabiliſieren, ſetzt er ſeine eigene Exiſtenz nach dem Motto „Nach uns
die Sintflut“ aufs Spiel. :
Diejenigen, denen der Gedanke von Blut und Boden zur Richtſchnur ihres
Denkens und Handelns geworden ift, und die die oben ſkizzierte großſtädtiſche
Politik ablehnen müſſen, werden dem Verſchwinden des Liberalismus kaum
eine Träne nachweinen. Sie ſind aber um ſo ſtärker verpflichtet, darüber zu
wachen, N mot etwa der VBolſchewismus als noch ſchlimmerer Feind des
nordiſchen Bauerntums fih in den eroberten Stellungen einniſtet.
So große Vorſicht am Platze iſt, um jene Weltdämmerung zu verhüten,
ſo wenig iſt Peſſimismus berechtigt, daß der ſtädtiſche Liberalismus ſich bis
zu dieſer letzten ungewollten Konſequenz auswirken wird, da ſich die Erkennt⸗
nis ſeines Weſens und ſeiner Früchte durchzuſetzen beginnt. Was
Schon feit langem laffen fih die immer lauter werdenden Stimmen ver-
nehmen, in denen das „Meiſterſtück“ des Liberalismus, die Friedensdiktate,
weniger vielleicht wegen ihrer territorialen Beſtimmungen als wegen ihrer
die geſchichtliche Entwicklung hemmenden Paragraphen als Haupturſache der
Anruhen und Anſicherheit in Europa geſchildert wird. |
Im Schwinden ift ferner der Glaube begriffen, daß nur unter der Herr⸗
ſchaft des Parlamentarismus die Staaten gedeihen und dieſer die einzige
eines Kulturvolkes würdige Verfaſſung ſei. Die Zahl der Staaten, die unter
Verzicht auf dieſes Arcanum ſich einer ihrem Volkstum und ihrer Eigenart
entſprechenden neuen Form der Staatsleitung zugewandt haben oder um eine
ſolche noch ringen, iſt bereits beträchtlich, von den größeren europäiſchen
Mächten Deutſchland, Polen und Italien angefangen bis zu den Hiem:
ſtaaten am Baltiſchen Meer. KE d
Einige kritiſche außerdeutſche Stimmen über den Charakter des Völker⸗
bundes wurden bereits angeführt, und jeder Leſer fremder Zeitungen kann
ihre Zahl beliebig vermehren. Zur Zeit werden ſogar gewichtige Zweifel über
feine Fortexiſtenz ausgeſprochen oder man verfuchte, wie es in einem Artikel
der „Times“ geſchah, ihm einen anderen Sinn zu geben, denn dort wurde
geſagt, daß der Völkerbund nach engliſcher Auffaſſung nicht ein Mittel zur
Verewigung vorhandener Zuſtände fei, ſondern daß Claſtizität am richtigen
Platze einen Teil der Sicherheit bilde. Es handelte ſich, ſo wurde in dem Ar⸗
tikel weiter ausgeführt, nicht nur darum, Kriege zu verhüten, ſondern auch
darum, die Arſachen von Kriegen zu beſeitigen und das natürliche Spiel der
internationalen Kräfte auszugleichen. | | |
And kaum war Sowjetrußland im Völkerbund aufgenommen worden und in
Bündnisbeziehungen mit europdijden Staaten eingetreten, alfo mitten in
636 Rudolf Bemmann
europäiſche Politik hineingerückt, fo erteilte ber Kommunismus in Befolgung
der Beſchlüſſe der letzten Komintern auch dem Anbelehrbarſten einen ernften
und blutigen Anſchauungsunterricht. Nach Anſicht eines polniſchen Beob-
achters haben ſich in dem mit Rußland verbündeten Frankreich die Zer⸗
ſetzungserſcheinungen im ſozialen und politiſchen Leben ſeit Abſchluß des
ee vermehrt und das Bündnis habe Frankreich geſchwächt ſtatt geſtärkt.
enn nach dieſem Bericht auch die Durchſchnittsfranzoſen der bolſchewiſti⸗
ſchen Gefahr gegenüber noch optimiſtiſch und gleichgültig bleiben, ſo rufen
doch manche franzöſiſchen Blätter bereits zur Wachſamkeit auf. Von dem
„jetzt wiſſen wir, woran wir find. Die Komödie ift aus“ des „Echo de Paris“
bis zu dem Ausſpruch der Berichterſtatterin des „Matin“ — ſie mag wohl
an ihr Vaterland denken, wenn fie über Beziehungen Muſſolinis zu Rup-
land ſagt: „Niemand iſt geſchützt vor den ſchlechten Kräften, wenn ſie auch
noch ſo entfernt ſind. Man verträgt ſich nicht mit ihnen, ſondern rottet ſie
aus.“ And das gleiche Blatt berichtete, daß auch das andere Bündnisland,
die Tſchechoſlowakei, im gleichen Grade von der kommuniſtiſchen Zerſetzung
wie Frankreich heimgeſucht werde. Wie die Polen aus erklärlichen Gründen
die ruſſiſchen Dinge beſonders aufmerkſam verfolgen, ſo haben ſie nicht nur
die Zerſetzungstätigkeit, ſondern auch deren Ziel, nämlich die imperialiſtiſchen
Beſtrebungen Sowjetrußlands, erkannt: „Wir haben es mit einer Ausgabe
der Expanſion Rußlands nach Weſten zu tun, einer Expanſion, die ſich auch
auf den Balkan, an die Donau und an die Adria erſtreckt.“ (Czas.)
Folgten auch den Proteſten Amerikas, Englands, Italiens, Japans ufw.
gegen diefe Mobiliſierung aller proletariſchen Kräfte unter Moskaus Füh⸗
rung keine energiſchen Taten, ſo müſſen wir es jedenfalls begrüßen, daß der
trügeriſche Schleier, den Moskau über ſo manchen gerngläubigen europäiſchen
Diplomaten geworfen hatte, ſchon nach ſo kurzer Zeit zerriſſen wurde.
Wichtiger vielleicht als das Erſchrecken über diefe bolſchewiſtiſchen Aus-
wirkungen ift die Erkenntnis der Gefahren und Verheerungen, die das Juden-
tum über die Länder gebracht hat. Wenn auch durch die jüdiſche Preſſe die
Anſicht vertreten wird, daß ſich Deutſchland durch ſeine Stellung gegen das
Judentum von allen Staaten unterſcheide, ſo finden wir doch aus zahlreichen
Ländern judengegneriſche Außerungen und Maßnahmen, aus denen man,
ohne voreilig Lä fein, Schlüſſe ziehen kann, daß fih allmählich eine beſtimmte
Auffaſſung über den „Nutzen“ dieſes Gaſtvolkes zu verbreiten beginnt.
Z. B. haben die polniſchen Kaufleute gegen die Teilnahme der Juden an
einer Ausſtellung der Handels- und Gewerbeſchulen proteſtiert. Im gleichen
Land hatte die nationaldemokratiſche Partei ein antijüdiſches Programm.
Ein ähnliches Ziel verſolgt die chriſtliche nationale Partei in Rumänien, und
auch aus Angarn wurde über die Gründung einer nationalſozialiſtiſchen
Partei berichtet, deren Mitglieder kein Judenblut in ſich haben dürfen.
Selbſt in England ſoll nach Mitteilung der „News Chronicle“ die anti⸗
jüdiſche Bewegung ſtärker ſein, als man annehme, und die Vernichtung
jüdiſcher Blätter in den öffentlichen Leſehallen an der Tagesordnung ſein.
And „Aftenpoſten“ klagt, daß auch in Norwegen „leider“ der Antifemitis-
mus zunehme. Der Ausſpruch auf dem letzten Zioniſtenkongreß, daß die
Juden immer und überall arbeiten dürften, als fie ihren Gaſtvölkern „nützlich“
ſeien; dann würden ſie hinausgedrängt, läßt vermuten, daß die Juden ſelbſt
ſich über die Entwicklung klar zu werden beginnen. |
Verstädterung und Außenpolitik | 637
Wenn auch die offizielle Diplomatie in manchen europäiſchen Ländern noch
unter dem Zwang der alten Anſchauung ſteht und voll Mißtrauen und Un-
glauben auf die Verſuche, eine reinere Atmoſphäre herbeizuführen, blickt, ſo
erheben ſich bereits Stimmen, die einen wirklichen Frieden und eine wirkliche
Verſtändigung herbeiführen möchten.
Als Träger einer ſolchen Geſinnung haben fih z. B. die Frontkämpfer
gezeigt, die ſich durch ihre gegenſeitigen Beſuche und Ausſprüche näher⸗
gekommen find. Noch find in friſchem Gedächtnis die Worte des Führers
der engliſchen Kämpfer bei ihrem Aufenthalt in Deutſchland, daß die den
Krieg am eheſten verhüten würden, die ſeine Schrecken kennengelernt hätten,
und daß es eine abfolute Pflicht fei, der Jugend das Erlebnis der Front-
ſoldaten zu übermitteln, fie im Geiſte aufrichtigen Friedens zu erziehen und
deshalb auch ein Austauſch der Jugend der Frontſoldaten beſonders begrü⸗
ßenswert ſei. Da nach dem natürlichen Verlauf der Dinge die Zahl der ehe⸗
maligen Frontkämpfer zuſammenſchrumpft, ſo iſt gerade die ſtarke Betonung,
die eigene Jugend zum Erben der Erfahrung zu machen, beſonders wertvoll.
Die Frontkämpferjugend wird in der großen Schar der Jugendlichen zahl-
reiche Bundesgenoſſen finden. Wenn ſich die heranwachſende Jugend mit
Recht gegen die Herrſchaft einer vergangenen Zeit wendet, ſo bekämpft ſie
damit auch jenen großſtädtiſchen liberaliſtiſchen Geiſt, der der Welt ſoviel
Unglüd gebracht hat, um ihrem eigenen Recht und ihrem eigenen Willen, der
he mbe auf politiſchen und wirtfchaftlichen Imperialismus richtet, nad-
zuleben.
Am wichtigſten aber iſt das Erwachen des Bauerntums an allen Enden
der Welt. Verſchieden, wie die Staaten und Völker ſelbſt ſind, iſt auch ihr
Bauerntum und verſchieden die Wege und Mittel, dieſes Bauerntum wieder
in feine verlorenen Rechte einzuſetzen. Dieſe Mittel können hier nicht unter-
ſucht werden, wohl aber foll feſtgeſtellt werden, daß überall das Selbſtbewußt⸗
ſein der Bauern, das auf einen bedenklichen Tiefſtand geſunken war, ſich
wieder erfreulich hebt und gegen den Druck jener ihm feindlichen und ſeine
iſtenz und ſein Weſen zerſtörenden Kräfte erfolgreich zu wenden beginnt.
it der geficherten Exiſtenz und dem wiedererwachten Bewußtſein feines
Wertes, ſeiner Notwendigkeit für den ganzen Staat wird auch ſein eigent⸗
liches inneres Weſen wieder ſich durchzuſetzen beginnen, das in ehrlichem
Schaffen, in der Zuſammenarbeit, nicht in der Niederwerfung des Nächſten
den Zweck des Daſeins fieht und deshalb innere und äußere Ordnung und
inneren und äußeren Frieden als Vorausſetzung braucht und wünſcht.
Man würde der Mehrheit unſeres Volkes in den Städten Anrecht tun,
wollte man ihr dieſe Geſinnung abſprechen. Wohl in den meiſten europäiſchen
Völkern iſt jener alte nordiſche Bauernſinn von dem großſtädtiſchen libera⸗
liſtiſchen Geiſte wohl verdunkelt, aber nicht getötet worden. Wäre es anders,
ſo hätte in Deutſchlands Städten der Nationalſozialismus keine Wurzeln
ſchlagen können. Je ſtärker aber dieſe nordiſch⸗bäuerliche Geſinnung in Stadt
und Land ſich in Europa wieder durchſetzt, deſto leichter wird auch die Außen⸗
politik ein anderes Geſicht erhalten können. Wie der Völkerbund dem Wort
nach, ſo wird dieſe neue Außenpolitik tatſächlich als wichtigſtes Ziel einen
konſtruktiven Frieden im Auge haben, aber an Stelle jener nicht aus der
bäuerlichen Anſchauung ſtammenden Liberal⸗Demokratie wird dieſe Zuſam⸗
menarbeit in der bäuerlichen Geſinnung die notwendige Homogenität erhalten;
bäuerlich⸗nordiſcher Gett ift für uns Deutſche mit nationalſozialiſtiſcher Ge-
638 Rudolf Bemmann, Verstädterung und Außenpolitik
ſinnung identiſch, kann aber je nach dem Volkstum eines Landes auch einen
anderen Ausdruck finden. Jedes VBauerntum mag fih für feine Weltanſchau⸗
ung die ihm paſſende Form gießen, aber ohne den Grundgedanken von Blut
und Boden ift weder bäuerliche Gefinnung noch eine wirkliche Friedens-
politik möglich: nur wer dieſes Geſetz in fih trägt, kann den ähnlich Gefinn-
ten verſtehen und achten, denn die Erkenntnis des eigenen Blutes und deſſen
Verknüpfung mit dem Boden bedeutet folgerichtig volle Anerkennung des
anderen, wenn auch weſensverwandten Blutes, und bringt, ſoweit ſich dieſes
durch Verwurzelung mit dem Raum im höchſten Sinne als ſtaatsbildend be⸗
währt hat, die Anerkennung dieſer Länder mit ſich. Das von der Geopolitik
nachgewieſene Geſetz der Nachbarfeindſchaft muß allmählich an Kraft ver⸗
lieren wie fo manches andere „Geſetz“, deſſen Wirkung und Anabänderlichkeit
ſich vor dem energiſchen Willen des Führers und des Volkes zum Heil des
Staates als nichtig erwieſen hat; und ebenſo die für die europäiſche Lage ſo
unheilvoll gewordene Auffaſſung, daß man andere Staaten als Figuren im
politiſchen Schachſpiel hin und her ſchieben, tauſchen und opfern dürfe. Dies
bedeutet Gleichberechtigung im vollſten Sinne, neben der Homogenität die
notwendige Grundlage jeder wirklichen Friedenspolitik, die ihren Ausdruck
in einer ehrlichen, politiſchen, kulturellen und wirtſchaftlichen Zuſammen⸗
arbeit findet.
Aber den Weg mag hier nur geſagt werden, daß bis jetzt das bilaterale
Verfahren, die Beſprechung von Land zu Land, beſſere Erfolge erzielt hat
als die großen, allgemeinen Verſammlungen. Wohl wird häufig die Ver⸗
mittlung dritter Staaten fördernd wirken können, aber jener Hinweis in der
franzöſiſchen Zeitſchrift „Le Capital“, daß Deutſchlands Führer eine große
Rolle hätte ſpielen können, wenn er ſich in die europäiſchen Verhandlungen
eingeſchaltet und das Gewicht des Machtfaktors Deutſchland in die Waag⸗
ſchale geworfen hätte, zeigt, daß die Welt ſich nur ſchwer von alten Gleiſen
trennen kann, und hat in der Nürnberger Reichstagsrede des Führers eine
grund ſätzliche Erwiderung gefunden.
Die Sammlung der bäuerlichen Welt zur Zuſammenarbeit, die ſich vor⸗
zubereiten ſcheint, bedeutet eine neue Phaſe in dem uralten Kampf Bauer
gegen Nomade, bäuerliche Geſinnung gegen Bolſchewismus und Judentum
und gibt berechtigte Hoffnung auf einen erfolgreichen Ausgang. Als der am
meiſten gehaßte und befehdete Gegner des Nomadentums gehört der Bauer
in dieſer neuen Schlacht in die vorderſte Reihe. Dabei wird er nicht, wie
das Großſtädtertum im liberaliſtiſchen Zeitalter, in deſſen Fehler verfallen
und nun die Stadt und ihre Bewohner bekämpfen, ſondern Bauer und Bürger
werden Seite an Seite ſtehen, weshalb auch eine lokale Anderung des poli-
tiſchen Zentrums weniger wichtig iſt als die Anderung der Geſinnung und
immer ſtärkerer Rückkehr zur alten Gedankenwelt. Auch der Bauer hat hier
noch an fih zu erziehen, um dies zu erreichen. Aber um Träger und Bor-
kämpfer in dieſem Streit zu ſein, wird er ſich auch bemühen müſſen, aus den
eigenen Reihen in immer größerem Maße politiſche Führer und bäuerliche
Politiker hervorzubringen. Wenn es in der großſtädtiſchen liberalen Epoche
hieß: In der Großſtadt für die Großſtadt von der Großſtadt, jo lautet die
un der Bauern im neuen Deutſchland: In Land und Stadt fürs ganze
olf vom Bauerntum. ,
Johannes Kepler und die Gegenwart
Vorbemerkung der Schriftleitung: Johannes Kepler
wurde am 27. Dezember 1571 als Sohn eines Schenkwirtes in Magſtadt,
einem Orte des württembergiſchen Oberamtes Böblin gen, geboren. Seine
Schulzeit verbrachte er in den Kloſterſchulen von Hirſau und von Maulbronn.
Seine urſprüngliche Abſicht, proteſtantiſcher Geiſtlicher zu werden, gab er zugunſten
der Aſtronomie und Mathematik auf.
Bereits mit 22 Jahren wurde er Profeſſor der Mathematik in Graz, wo er
drei Jahre ſpäter, 1596, fein erſtes bedeutendes Werk: „Das Weltgebeimnis“
herausgab. Mit dieſem ſtützte er die Lehre des Kopernikus, was ihm naturgemäß
den Ruf eines Ketzers einbrachte. So mußte er ſeine Tätigkeit in Graz aufgeben,
wurde aber von Tycho Brahe als Mitarbeiter nach Prag gerufen. Dieſer, ein
Gegner des Kopernikus, ſtarb verhältnismäßig bald darauf, und Kepler wurde ſein
Nachfolger. Mangelhafte Beſoldung zwang ihn, diefe Tätigkeit aufzugeben. 5614
ging er wieder als Profeſſor nach Linz, wo er ſeitens der Geiſtlichkeit nach
Kräften als Proteſtant angefeindet wurde. Seine wirtſchaftliche Lage erfuhr auch
bier keine Beſſerung. 1627 folgte er einer Einladung Wallenſteins, kam mit
dieſem aber zu keinem näheren Verhältnis. Keplers vernünftige Einſtellung zur
Aſtrologie mag die Urſache dafür geweſen ſein. Immerhin erhielt er von dem
Feldherrn eine Profeſſur in Roſtock. Aber auch dort die gleichen wirtſchaftlichen
Nöte, die ihn endlich. veranlaßten, zu einbrechender Winterszeit nach Regensburg
zu wandern, um dort vor dem Kaifer ſelbſt fein Recht zu fordern. Die Anſtrengung
der Märſche ließ ihn erkranken. Am 15. November 1630 ſtarb er an den Folgen
dieſer Uberanſtrengung. Ge
Unter ſeinen nachgelaſſenen Werken berühren den Nichtaſtronomen außer
ſeinem „Weltgeheimnis“ noch feine „Zuſammenklänge der Welt“ am ſtärkſten.
Beide Schriften verraten uns heute noch eindeutig, daß Kepler mehr geweſen iſt
als nur Aſtronom. Seine Weltauffaſſung und Darſtellung entſpringt einer tiefen
Weisheit, die nicht Phantaſterei war — als welche ſie ſo vielſeitig verſchrieen
worden iſt — ſondern einer Schau entſprang, die weit über alles ſchulmäßige
„Begreifen“ hinausging. Diefer Kepler, der um Wahrheit und Erkenntnis ringende
Menſch, iſt der Große, der uns Heutige auf das ſtärkſte angeht; denn er vermag
der Gegenwart Wege zu weiſen, die zu jenen Zielen führen, um die ſie ringt. Er
gehört damit in die Reihe jener großen deutſchen Rebellen, die zumeiſt der
heutigen Ahnenreihe des Nationalſozialismus angehören.
„Ich ſehe das Reſultat; aber die Wege, auf denen ich zu ihm gelangen
werde, kenne ich noch nicht.“ — In dieſem Sinne kennzeichnete Karl Friedrich
Gauß die Weiſe ſeines ſchöpferiſchen Denkens. Es iſt auffallend, wie häufig
gerade auf dieſen Satz in jüngſter Zeit immer wieder hingewieſen wird, und
zwar von den verſchiedenſten Seiten. i
Das ift mehr als Zufall. Das ift Symptom, Kennzeichen; ein Kennzeichen
dafür, daß die Denkgewohnheiten ſich ändern, weil Geiſteskräfte wieder⸗
erwachen, die dem mittelalterlichen Menſchen noch geläufig waren, von der
Scholaſtik aber in den Hintergrund gedrängt und von dem Materialismus
vollends verſchüttet worden find. ; u
Odal Heft 8, Jahrg. 4, Bg. 2 | | | =
640 .
Plato hatte die Lehre von der Idee oder — deutſch geſprochen — vom
Weſen gegeben, das als geiſtiges Arbild die geſamte ſtoffliche Gr,
ſcheinungswelt als Abbilder ſeiner ſelbſt hervorruft. Er ſuchte — wie
ſpäter Goethe — aus der Einheit die Einzelheit zu erkennen. Er dachte
gewiſſermaßen umfänglich, aus dem Mittelpunkt des Kreiſes heraus, univerſal.
Denn „die Einheit verſinnbildlicht die urbildliche Idee und den Geiſt und die
reine Form; und wie die Einheit unteilbar iſt, ſo ſind auch die Ideen unteil⸗
bar und allgemein gültig und immer ſich gleich“.
Ariſtoteles, Platos Schüler, ging in entgegengeſetzter Richtung vor: vom
Kreisumfange zum Mittelpunkt, radial, aus den Einzelheiten zur Einheit,
die er ſelbſt zwar nie aus den Augen verlor, die aber ſeinen Nachfolgern in
immer ſtärkerem Maße entſchwand.
Ariſtoteliſche Denkart wurde die Denkweiſe der Kirche, die an die Stelle
der Idee als Einheit einen allzu menſchlichen Gott ſetzte, den ſie aus Einzel⸗
heiten, den dogmatiſch feſtgelegten Glaubensſätzen, zu erklären ſuchte. Auf
dieſe Weiſe verlor der Menſch immer mehr ſeine urſprüngliche Nähe zur Ein⸗
heit, zum Weſen, zu Gott.
All dieſe Begriffe, die dem frühen Menſchen Wirklichkeiten waren, die er
erlebte, verblaßten zu blutleeren Abſtraktionen und erſtarrten zu Glaubens-
ſätzen. Die lebendig gegliederte Einheit des Lebens wurde zergliedert und in
Einzelheiten aufgeſpalten. Die bildſame Welt der Gedanken wurde zu harten
Steinen „feſtſtehender Begriffe“ geprebt. Mit dieſen konnte der Verſtand
theoretiſierend zwar verblüffende Lehrgebäude zuſammenſetzen; ein auch nur
kärgliches Weltbild indeſſen ließ ſich auf dieſe Art nicht geſtalten.
Das Daſein wurde weſenlos, das Leben ſinnlos. Geiſtesöde machte ſich
breit. Geſichtspunkte der Zweckmäßigkeit wurden maßgebend. Die Götter
wurden Geſpenſter, Gott wurde Götze, und „vom Bazillus zum Affenmenſchen“
ließ man eine willensblinde Materie „ſich entwickeln“. Sie wurde Menſch,
als das Affenhirn endlich anfing, Gedanken auszuſchwitzen und die menſch⸗
liche Denkfähigkeit als „Schwingung der Großhirnrinde“ eine nahezu Ton,
ſtante Größe“ wurde.
Jeglicher Zuſammenhang war verlorengegangen. Beziehungsloſes Wiſſen
wurde angehäuft — je zahlreicher die Scherben, deſto größer der Haufe —,
bis die Menſchheit entweder darunter erſtickte, oder ſelbſt — und zwar im
Spezialiſtentume — fih zerſplitterte. Idealismus wurde als törichte Welt-
fremdheit verſchrien oder als Aberglaube verdächtigt. Nur mehr die klotzigſten
„Realitäten“ galten und wurden je nach ihrer Zweckmäßigkeit bewertet und
überbewertet. Daß eine ſolche willkürliche Wertung ſinnwidrig wurde, blieb
eine Angelegenheit minderer Bedeutung und wurde dünkelhaft oder gefliſſent⸗
lich überſehen.
Als der Weltkrieg alle Zweckmäßigkeit in ihrer ganzen Hohlheit bloßgeſtellt
und zertrümmert hatte, brach auch die materialiſtiſche Weltkonſtruktion zu⸗
ſammen. Bergehoch lag der Schutt, in dem Liberaliſten als Freidenker und
Freibeuter die Geſchäfte der Leichenmaden beſorgten. Vergebens ſah man ſich
nach Trümmerreſten um, die wenigſtens noch durch die Großartigkeit ihres
Verfalles Achtung hätten erwecken können. Aber Coe dergleichen. Schutt,
Schutt und Lumpen waren die hauptſächlichſten Aberreſte einer Zeit, die es
„ſo herrlich weit gebracht“ hatte.
*
Johannes Kepler und die Gegenwart 641
Es gibt ein Geſetz, das heißt Polarität. Sprechen wir deutſch und
nennen wir es Widerſpiel. Es iſt das Kennzeichen allen Lebens. Leben
in dieſem Sinne iſt Spiel. Wenn es aber nicht ſpielen kann, dann wird es
ftreiten. Es gibt keine Ruhe; außer im Toten. Darum ift Leben ohne Spiel
nicht denkbar. Erſt wenn es entartet, wird es Streit. Streit iſt nicht Leben,
aber er iſt die Notwendigkeit des Lebens. And nur inſofern gilt der Satz, daß
das Leben ein Kampf ſei, als der Kampf das Mittel iſt, das dem Leben ſein
ewiges Spiel gewährleiſten kann. |
Spiel ift nicht törichtes Tun. Es ift das müheloſe Schaffen des gefunden
Herzens, das gleichgewichtige Schweben ber Geſtirne, die zeugende Geſtaltung
der Natur, der lebendige Wechſelgeſang von Farben und Klängen. Spiel iſt
ewige Wiedergeburt. |
In unſerem ſittlichen Ur-Zeile (und nicht in unferer Ur-Selle)
erleben wir dieſes Widerſpiel des Lebens als Gut und Böſe. — Anſerer
Wahrnehmung ſtellt es ſich durch unſere Sinne als Widerſpiel von Licht
und Finfternig, von Klang und Stille dar. — Anſerem Denken wird es
in Zeit und Raum begreiflich.
- Diefe drei Wirklichkeiten: Sittlichkeit, Erſcheinung oder Wahrnehmung
(die ſich zur Vorſtellung vereinen) und Weſen, Idee, find die Grundlagen
aller ltanſchauung.
„Während der Geiſt unbeweglich die oberſte Einheit iſt, war die Zweizahl
(das Widerſpiel) die Zahl der Seele. Die Dreizahl aber galt als die Zahl
der Körperdinge, da ſie aus Form und Materie (wie die Vorſtellung aus
Wahrnehmung und Erſcheinung) zuſammengeſetzt ſind, und da die Körper der
Welt fo viel Dimenfionen haben, wie die Dreizahl Einheiten enthält.“ —
„Die Eins iſt der Kosmos; die Zwei bezeichnet die erſte in ihr enthaltene
Vielheit; die Drei das Band und den Knoten, der zum Zuſammenhalt der
Dinge nötig iſt. Denn damit zwei Einzeldinge in ein Ein-
ziges, außer durch das Zutun eines Dritten, zuſammen⸗
kommen, iſt unmöglich.“ — Mit dieſem Satze ſpricht Kepler das aus,
was die Edda als Eins Gap⸗Ginnunga nennt; als Zwei im Widerſpiel von
Niflheim und Muspellheim wirkſam werden läßt; was als Drei durch Odhin,
Wili und We feine Geſtaltung erfährt.
Nur der Menſch, der dieſe drei Wirklichkeiten in ſich zu einem Zuſammen⸗
klange zu bringen vermag, gelangt zu einer echten Welt⸗Anſchauung, zu einer
Er⸗ Kenntnis.
Fehlt von dieſer Dreiheit die Sittlichkeit, dann gibt es beſtenfalls eine
wiſſenſchaftliche Theorie, die jedoch nur das phyſikaliſche Geſetz und den mecha⸗
niſchen Ablauf einer Lebens⸗Erſcheinung zu beſchreiben vermag und zu
unbeftreitbaren Kenntniſſen führt, aber über das Leben ſelbſt nichts aus-
ſagt. Auch die größte Summe von Kenntniſſen iſt noch lange keine Erkenntnis.
Fehlt dagegen die Wahrnehmung (Erſcheinung), dann geſtalten Sittlichkeit
und Weſen die religiöſen Vorſtellungen des Menſchen. Da ihnen jedoch die
Ausrichtung nach der Erſcheinungswelt mangelt, befinden ſie ſich ſtets in der
Gefahr, wirklichkeitsfremd zu werden. And in dem Maße, wie dies eintritt,
nehmen die religiöſen Vorſtellungen, und namentlich die daraus abgeleiteten
Glaubensſätze, die wunderlichſten Formen an. Hexenwahn uſw. Der Menſch
verliert den Boden unter den Füßen, feine Rechtsanſchauung wird ebenfalls
krank. Dogmen und Paragraphen ſind der letzte Halt, an den derart wirklich⸗
Qt
642 * p *
keitsfremde Frömmler fih noch klammern können und mit allen rafters
klammern. Dann rauchen die Scheiterhaufen für die Ketzer und die Hexe.
Fehlt das Weſen, die Idee, im menſchlichen Weltbilde, dann verliert aud
die Sittlichkeit ihre Kraft. Die Erſcheinungswelt und die aus ihr abgeleiteten
Nützlichkeits⸗Vorſtellungen, die der Menſch ſich macht, werden allein und
anmaßend maßgeblich. Bloßes Zweckbewußtſein beherrſcht das „nomadiſche
Oberflächen⸗Bewußtſein“ (Darre). Die Welt wird nicht mehr be⸗ trachtet,
geſchweige denn er⸗kannt, fie wird nur noch aus⸗gebeutet. |
Das Weſenhafte der Welt erkennt nur, wer aus dem Widerſpiele von Gitt-
lichkeit und Erſcheinung das Weſen ſchöpferiſch als Drittes in ſich ſelbſt zu
geſtalten vermag. Sittlichkeit und Erſcheinung, Sinn und Zweck, bewegen die
„zwei Seelen“, die in jeder Bruſt wohnen, und nur da, wo der Menſch in
dieſen notwendigen Kampf des Lebens (mit dem inneren Schweinehund) rin⸗
gend eingreift, kann er dieſe beiden Kräfte: die Sittlichkeit, das Moraliſche,
und die Vorſtellung zu einer Vereinigung im Weſen bringen; zu der „unio
mystica“. Es iſt dieſer Kampf das ewige Ringen, das den germaniſchen
enſchen ſeit jeher vor allen anderen auszeichnet. Wo dieſes Trachten fehlt,
da fällt die Welt auseinander. „Für den Menſchen zerteilt die Oberfläche
der Erde den Himmel in zwei Hälften.“ — Wirklichkeitsfremde, wenn nicht
gar lebensfeindliche Dogmen follen dann dieſen Weltzerfall verhindern, wäh-
rend eigenſüchtige Zweckbeſtrebungen das bereits Geteilte noch weiter zerſtückeln
wollen. Das Weſen, aus dem alles feinen Sinn erhält, entſchwindet. — Die
Götter erleiden den Tod. Bloßer Daſeinstrieb triumphiert: „So taumel ich
von der Begierde zum Genuß, und im Genuß verſchmacht' ich nach Begierde.“
„Dieſe beiden Armächte zerren die Menſchenſeele hin und her. And die gleiche
Seele, die im Schwebepunkte der Waage herrſchen ſollte, laſtet in deren
Schalen, unerbittlich dem hetzenden Auf und Ab des Daſeins preisgegeben.
Dem Menſchen fehlt das Weſen, die wahre Perſönlichkeit! — Das Weſen⸗
hafte iſt eine Gabe der Götter. Aber Göttergabe iſt nicht Geſchenk an den,
ſondern Aufgabe für den Menſchen.
Der frühere Menſch war ſich ſeiner Maß⸗Gebung für die Welt als einem
Nachklange uralter Weisheit noch bewußt. Erft mit Anwachſen feiner intellef-
tuellen Verſtandeskräfte verdämmerte dies „Erberinnern“ mehr und mehr. Der
Menſch wurde klug um den Preis der Weisheit. Er wurde ſo klug, daß er
ſogar die alte kosmiſche Ordnung umſtürzen konnte. Nicht mehr die Erde
war, die Sonne wurde der Mittelpunkt der Welt. ö
Solange die Erde als Weltenmittelpunkt galt, erhielt ſich im Menſchen ein
Bewußtſein dafür, daß er ſeine Lebensaufgabe nur im Dienſte an ihr erfüllen
konnte; daß die Nahrung, die ſie ihm bot, der Lohn war, den er ſeinem Dienſte
zu verdanken hatte. Das ließ ſeine Erdverbundenheit zugleich eine Ehr⸗
verbundenheit bleiben. Ehrfurcht wurde ihm als höchſte Erdfrucht gegeben.
Sie bewahrte ihn davor, in ſeiner Nährmutter ein bloßes Ausbeutungsobjekt
zu ſehen. — Das alte Brauchtum, eine letzte Garbe auf dem Felde, letzte
Früchte an den Bäumen zu laſſen, ſpricht deutlich hierfür. |
Es fei ein einprägſames Spiel geftattet: Als Kopernikus die G-e-o-zentrif
befeitigte, rief er damit zugleich die E-g-o-zentrik im Menſchen hervor. —
Solange die Erde Mittelpunkt des Alls war, war der Menſch mit ihr in ihm
geborgen. Als es anders wurde, wurde er haltlos und mußte ſich an ſein Ego
klammern, um nicht ins Weſenloſe zu verſinken. Die Tat des Kopernikus
kennzeichnet eine Zeitenwende, die fih einige Jahrhunderte hindurch vor-
Johannes Kepler und die Gegenwart 643
bereitet und ebenſo lange nachgewirkt hat, ehe ſie in der materialiſtiſchen und
liberaliſtiſchen Weltkonſtruktion, namentlich des neunzehnten Jahrhunderts,
endgültig abſtarb und erſtarrte. |
Da wir gegenwärtig in einer ähnlichen Zeitenwende ſtehen, in der ein über⸗
lebtes Weltbild zuſammengeſtürzt iſt und immer noch weiter ſtürzt, liegt es
nahe, nach einem großen Menſchengeiſte Amſchau zu halten, der in jener
früheren e noch aus der damals verblaſſenden Weisheit einer fernen
Vergangenheit die erſten Schritte in die junge Neuzeit tat. Wenn es gelingt,
unſer heutiges Weltbild mit dem damaligen in unſerem Weſen zu einem
neuen Zuſammenklange zu bringen, dann werden ſich vielleicht Einblicke für
die Zukunft geſtalten laffen, die uns auch „das Refultat ſehen“ laffen, das
unſerem Suchen nach rechten Wegen Ziel und Richtung weiſen kann.
Der große Menſchengeiſt, den wir bei dieſer Amſchau erblicken, ijt der
Schwabe Johannes Kepler; ein Menſch, der ſich bewußt war, uraltes
Weistum in ſich zu tragen: „Ja, ich bin es, ich habe die goldenen Gefäße der
Agypter geraubt, um meinem Gotte aus ihnen ein Heiligtum zu errichten.“ —
Daß es ein neues Heiligtum ſein muß, keine bloße Nachahmung des alten,
ift ihm klar, denn: „ich ſchreibe dieſes Buch für den heutigen wie den der⸗
einſtigen Leſer — was liegt daran? — And wenn es auf ſeine Leſer hundert
re warten muß.“ — Aus den hundert Jahren ſind drei Jahrhunderte
geworden. Sollte die Gegenwart da nicht die Aufgabe haben, das Vermächtnis
fruchtbar zu machen, das dieſer große Geiſt ihr vermacht hat? :
Verſetzen wir uns in Keplers Zeiten, die ihn, den Lutheraner, in das
papiſtiſche Oſterreich verſchlugen. — Der Dreißigjährige Krieg ſteht vor der
Tür. Die umſtürzende Lehre des Kopernikus hat die bibliſch⸗ kirchliche YAn-
ſchauungswelt in ihren Grundfeſten erſchüttert und macht jeden ihrer Künder
der Kirche als Ketzer verdächtig. — Ein lockender Goldſtrom findet ſeinen
Weg aus dem fabelreichen neuen Erdteile Amerika in das alte Europa und
blendet den zeitgenöſſiſchen Menſchen nicht nur durch feinen Glanz, ſondern
auch durch die Gerüchte und Verheißungen, die auf ſeinem Rücken mit daher⸗
geſchwommen kommen und dem der Heimat müde gewordenen, ſchollengebun⸗
denen Bauern ein fernes, freies Paradies vorſpiegeln. Denn Volksverbun⸗
denheit hat in den blutig unterdrückten VBauernkriegen, die noch nicht ver-
ſchmerzt ſind, ein gewaltſames Ende gefunden. Herriſches Herrentum zerreißt
die Volkheit in willkürliche Fetzen. Die Lüge vom Gottesgnadentume trieft
den weltlichen, die der Gottgeſalbtheit den geiſtlichen Fürſten von den Lippen.
„Scheiterhaufen und Folterſtätten überall. Auch Keplers Mutter ſollte als,
Hexe auf den Scheiterhaufen gezerrt werden, doch der Sohn konnte das
Schlimmfte verhüten. | | E
Das Weſen, die Idee, ift unerkennbar geworden. Die Menſchheit ſchwankt
zwiſchen Dogma und Zweckmäßigkeit hin und her. In Luther und dem
Proteſtantismus, in Wiedertäufern und Bilderſtürmern ſucht ſie noch einmal
ins Weſenhafte durchzuſtoßen. Aber, verſtrickt in wirklichkeitsfremde Hirn⸗
geſpinſte, verfällt ſie dem Intellekt. u: nde
Wiedertäufer und Bilderſtürmer werden vernichtet. Luther verrät ſich ſelbſt,
indem er den Wahn der 5 Obrigkeit, den er eben noch gegenüber
der Kirche ſo leidenſchaftlich bekämpft hat, für die fürſtlichen Herren neu zur
Geltung bringt. Römiſche Juſtiz gibt dieſem Wahne den Schein des Rechtes.
Das koſtet dem Deutſchen Rechte das Leben. Freiheit muß der Willkür
644 ä
weichen. Die größte „Analyſe“, die allgemeine Auflöſung, der Tod von allem
und für alles, ſetzt ein.
Grinſend ſiegt die Einzelheit; die Einheit entſchwindet. Dem menſchlichen
Bewußtſein ſtirbt das Weſen; die Götterdämmerung wird irdiſches Ereignis.
In dieſem großen Verfall ſteht Kepler als der Letzte einer großen Zeit.
Mit gewaltigem Griffe langt er noch einmal nach dem entſchwindenden
Himmel. Er zerreißt die Schleier, die das Große⸗Ganze zu trennen und zu
teilen ſcheinen, und enthüllt dem ſtaunenden Blicke den lebendigen Zuſammen⸗
hang der Welteinheit. a
Ihn kümmert nicht, daß da oben unzählige Sterne fteben oder ihre Bahn
ziehen. Seine Frage iſt: welchen Sinn will der Schöpfer uns offenbaren, daß
er den Planeten gerade dieſe Bahnen gab? — Er hat noch den Glauben, daß
„die Arſachen für die meiſten Dinge in der Welt aus der Liebe Gottes zu
den Menſchen hergeleitet werden können“. Da ſpukt noch kein zufallsblinder
Spiralnebel, der ſich aus unbekannten Gründen mechaniſch um ſich ſelbſt zu
drehen begann, bis er in ein Sonnenſyſtem zerfiel. Nein, „Zweck der Welt
und jeglichen Geſchöpfes iſt der Menſch!“ — Ihm gebührt als Maß der Vor⸗
rang; denn jegliches Maß iſt es nicht, „weil die Menſchen es fo wollen ...,
ſondern weit mehr ſeiner Natur nach“. i
Ein Maß ift ein Maß und nicht nur ein Meſſer. Ein Maß muß alle
Eigenſchaften des zu Meſſenden in ſich vereinen, wenn es wirklich maß⸗gerecht
fein ſoll. Darum kann man nur mit einem Raummaße den Raum wirklich
ausmeſſen. Es hat, wie der Raum, die drei Dimenſionen in ſich wirkſam und
nicht nur wie das Flächen⸗ oder Längenmaß zwei oder eine. Längen und
Flächenmaße bleiben für den Raum bloße Meſſer, mit denen ſich ein Raum
wohl errechnen, aber nicht ermeſſen läßt. Dasſelbe gilt für das Längenmaß
als Meſſer für die Fläche. |
Im Zeitlichen tritt dieſer Anterſchied noch weſentlicher zutage. Dort ver-
bindet das Maß, während der Meſſer trennt. Im einigenden Strome der
Zeit verfließt die Zeit und ſchließt ſich im Jahreslaufe zum Kreiſe, der gleich⸗
zeitig das neue Jahr aus ſich herausgebiert. So ſchließt ſich Jahr an Jahr in
ununterbrochenem Reigen und gibt uns der Zeiten Maß. — Im tickenden
Pendelſchlage der Ahr trennt der Schlag Sekunde von Sekunde und zerlegt
die Zeit in Zeiteinheiten von beſtimmter Dauer, die kein Zeitmaß mehr, wohl
aber Zeitmeſſer ſind.
Darum iſt der Kreis, der in ſich geſchloſſen iſt, der Ausdruck des Maßes.
Aber fein Durchmeſſer ift — wie das Wort ſchon jagt — der Meſſer des
Kreiſes, deſſen Einheit er zugleich in zwei Hälften trennt, wie die „Ober⸗
fläche der Erde den Himmel“. Doch das Maß iſt nicht nur Kreis, „ſondern
auch urbildliche, kreisförmige Bewegung und als ſolche doppelter Natur; ſie
iſt darum, durch die Bewegung, auch urbildliche Zeit“. — Der Mittelpunkt
iſt der Zeitengrund ſelbſt — „da man den Anbeginn der Zeit nicht zeithaft
anſehen darf“ —, und er iſt zugleich Arſprung des Kreiſes.
In der Krummen des Kreisumfanges und in der Geraden des Durchmeſſers
ſieht Kepler „eine Symboliſierung göttlicher und menſchlicher Dinge zugleich“.
Nur „muß die Idee (das Weſen) des Kreiſes ebenſoſehr von allem Mate⸗
riellen und Sinnlichen reingehalten werden, wie die Verhältniſſe des Ge⸗
krümmten, als Symbol des Seeliſchen, vom Geraden, der Ausdeutung des
Körperlichen ..“ „Rein von allem Materiellen und Sinnlichen“ aber ijt der
Punkt, deſſen Weſen ja das Nichtſein iſt.
Johannes Kepler und die Gegenwart 645
In dieſem Sinne ift der Kreis Maß, fein Durchmeſſer aber das Mittel,
mit dem man die Größe des Kreiſes errechnet. Seine Zahl iſt Pi; — eine
Zahl, die ſtets lebendig bleibt und nie zu bloßer Ziffer erſtarren kann.
Auch die Welt iſt in dieſem Sinne Maß und der Menſch ihr Meſſer. Aber
wie man einen Raum mit einem Raummaße Ne nur ausrechnen, ſondern
auch tatſächlich ausmeſſen kann, ſo kann auch der Menſch die Welt nicht nur
errechnen, ſondern auch ermeſſen. Iſt die Welt ein Kreis, deſſen „Durch⸗
Dreier"? der Menſch ift, der die Welt „durchmißt“, dann ift die Zahl auch
dieſes Kreiſes Pi. Doch die Welt des Menſchen iſt nicht nur Kreis, ſie iſt
zugleich Kugel und hat Tiefe. Darum iſt die Zahl des Menſchenmaßes für
dieſe Kugel nicht Pi. Dieſe Zahl iſt: Gott! |
So groß oder fo klein ein Menſch denkt, fo groß oder klein ift auch feine
Welt. Denn unveränderlich, wie für ſeinen „Horizont“ die Zahl Pi, bleibt
auch die in ihm wirkende Zahl Gott als Ausdruck des Verhältniſſes, in dem
er als Mittelpunkt zu der Kugelfläche ſeiner Welt, zu ſeiner „Sphäre“, ſteht.
Wie Pi die Flächengröße für den Geſichtskreis des Menſchen iſt, ſo iſt Gott
die Tiefengröße, die ſich aus dem Verhältnis der Erſcheinungswelt zum ſitt⸗
lichen „Ar⸗Teile“ des Menſchen ergibt. In dieſem Zuſammenhange ift die
Kugel auch das Sinnbild des dreieinigen Gottes: „des Vaters durch den
Mittelpunkt, des Sohnes durch die Oberfläche, des Heiligen Geiſtes durch die
Gleichheit der Lagebeziehungen zwiſchen Punkt und Oberfläche ...“ — „Nichts
Krummes ift adeliger und vollkommener als die Oberfläche der Kugel.“ — —
Die unbedingte Einheit der Zahlengröße Pi kennzeichnet das durch fic
bedingte Verhältnis von Kreisumfang zum Durchmeſſer. Die unbedingte
Einheit Gott kennzeichnet ebenſo das durch fie bedingte Verhältnis des Men-
ſchen zu ſeiner Welt. Darum mag eine Gottesvorſtellung ausſehen, wie fie
will: ihr Wechſel verurſacht ebenſowenig eine Anderung der Weſenheit Gott,
wie die Verſchiedenheit des Kreiſes — die ſich nur durch ſeine Größe zum
Ausdruck bringen kann — eine Underung der Zahl Pi hervorzurufen vermag.
Hier liegt der Kern der Weltanſchauung Keplers. Nicht die einzelnen
Größen ſind das Weſentliche, ſondern das Verhältnis, in dem ſie zueinander
fteben bzw. in dem fie fih in fih bewegen. (Daher das Bedeutſame der
Amlaufszeiten der einzelnen Planeten.) Dieſes Verhältnis kann harmoniſch
oder unharmoniſch ſein. Harmoniſch iſt es, wenn es in einem geſetzmäßigen
Verhalten des Geraden zum Krummen ſich darſtellt. Der höchſte Ausdruck der
dabei möglichen Verhältniſſe find — abgeſehen von der Kugel — die regu-
lären, maßgerechten fünf Körper. Sie ſind es, weil ihre Seitenflächen alle den
Kreisumfang harmoniſch teilen, weil ihnen ſelbſt eine Kugel — der höchſte
und vollkommenſte Körper — eine und umbeſchrieben werden kann. Da durch
die Geraden dieſer Körper die Wirkſamkeit der lebendigen Zahl am eindeutig⸗
ſten zum Ausdruck kommt, ſo ſind ſie die reinſte Erſcheinung der Quantität,
d. h. der meßbaren Größe.
Quantität als Körper iſt aber auch zugleich die bedingte Erſcheinung für das
Weſentliche einer Qualität. Qualität bedingt die Geſtalt, die Form der
Quantität. Hierbei iſt Quantität als „Ordnung“ zu verſtehen, als Form,
während Qualität auf den „Sinn“ zielt, der als Inhalt das Weſentliche einer
Form erſt ausmacht. Wo eine Form ſo „geordnet“ iſt, wie der ihr „zugedachte“
Sinn es bedingt, iſt ſie ſchön, harmoniſch. Denn „wie das Lebensprinzip dem
Körper im Range vorangeht und die Form der Materie, ſo geht der harmo⸗
niſche Schmuck dem bloß Geometriſchen voran“. Das Harmoniſche alſo
* *
646 =
bedingt das Verhältnis der Quantitäten: Kanten, Eden und Flächen, die dem
Körper zugrunde liegen. |
Daber blidte Repler auch nicht auf die einzelnen Sterne, fondern auf das
Verhältnis ihrer Bahnen zueinander und kam derart zu feinem größten Satze:
„Die Erde iſt das Maß für alle anderen Bahnen. Ihr umſchreibe einen
Dodekaeder; die dieſe umſpannende Sphäre iſt der Mars. Der Marsbahn
umſchreibe einen Tetraeder; die dieſe umſpannende Sphäre iſt der Jupiter.
Der Jupiterbahn umſchreibe einen Würfel; die dieſen umſpannende Sphäre
tft der Saturn. — Nun lege in die Erdbahn einen Ikosaeder; die dieſem ein-
beſchriebene Sphäre iſt die Venus. In die Venus lege ein Oktaeder; die
dieſem einbeſchriebene Sphäre iſt der Merkur.“
Mit dieſem Satze beſtätigt Kepler nicht nur die in der damaligen Zeit noch
heiß umſtrittene Lehre des Kopernikus; er gibt ihr zugleich auch einen weſent⸗
lichen Inhalt. Er entkleidet ſie des Mechaniſtiſchen und beſeelt ſie. Kopernikus
ſtieß die Erde aus dem Mittelpunkte des Alls; Kepler aber machte ſie zu der
Zahl Pi des Alls, ließe ſich ſagen. Er erteilte ihr damit die Aufgabe, Maß
zu fein für den Kosmos. Das Maß ⸗Gebende bleibt aber auch da der Lebeng-
mittelpunkt eines Weſens, wo er es räumlich nicht ift. Viologiſch geſprochen,
könnte man die Erde zwar nicht den Zentralkörper des Alls, ſein Zentroſom,
aber ſeinen Zellkern, ſein Chromoſom, nennen.
Der oben angeführte Satz Keplers vom Verhältnis der Planetenbahnen
zueinander iſt nahezu unbekannt. Die Aſtronomie hat ihn als belanglos
abgetan. And doch können wir ficher fein, daß Kepler die drei — von der
aſtronomiſchen Wiſſenſchaft heute noch ſo hochgeprieſenen — Sätze vom
Radius vector, vom Verhältnis der Amlaufszeiten zu den mittleren Entfer-
nungen zweier Planeten und von der elliptiſchen Bahn der Himmelskörper
niemals gefunden haben würde, wenn er ſeinen größten Satz nicht hätte auf⸗
ſtellen können.
Mögen die angegebenen Körper- und VBahnverhältniſſe auch nicht „mathe⸗
matiſch genau“ ſtimmen, Kepler weiſt ſelbſt vorhandene Abweichungen auf,
ſo bleibt das doch völlig unweſentlich, da wir es hier ja nicht mit einer toten
Maſchinerie, ſondern mit einem lebenden Organismus zu tun haben. Worauf
es allein ankommt, das iſt die Denkart Keplers, und die iſt richtig. Sie iſt
allein Maß⸗gebend, eben weil ſie den Kosmos als eine Einheit und als
lebendes Weſen betrachtet, das auch die Erde der Seele teilhaftig ſein läßt.
Hier ift keine Rede von „toter Materie“ oder von der „Arzelle“. Steine
und Metalle „wachſen“; inſofern wenigſtens, als die Metalladern der Erde
entgegen aller Schwergeſetze nach der Tiefe zu an Mächtigkeit verlieren, anſtatt
zuzunehmen, wie es der „Schwerkraft“ entſprechen würde.
Zu derartigen Abirrungen des Geiſtigen ins Intellektuelle war Kepler ſich
feines fittlichen Ar⸗Teiles noch viel zu ſtark bewußt. In ihm erlebte er Gott
als den Urgrund der Welt. Ihm wurde Gott nicht nur die kirchlich heraus-
geputzte Puppe wie den meiſten ſeiner Zeitgenoſſen. Alſo konnte Gott „die
Idee zur Grundlegung der Welt keinem anderen Weſen entnehmen als ſich
ſelbſt, damit die Welt eine ſchönſte und beſte werde“. — Derart bejahte
Kepler die Welt als Werk Gottes noch in einer Zeit, da die Kirche ſie ſchon
ſeit langem als ein Blendwerk des Teufels verſchrien hatte. — „Es iſt
etwas Großes um das Wort Gottes, gewiß; aber es iſt auch
etwas Großes um das Werk Gottes!"
Johannes Kepler und die Gegenwart 647
So konnte nur ein Menſch ſprechen, der durch und durch germaniſcher
Menſch war, der weit, weit über aller Konfeſſion und über allem Kirchentume
ſtand, das nicht nur aus Gottes Werk, ſondern auch aus Gottes Wort ein
Teufelsblendwerk gemacht hat. „Iſt einmal die Schärfe der Axt auf Eiſen
geſtoßen, ſo taugt ſie hernach auch für Holz nicht mehr. Möge das bedenken,
wen es angeht.“ — „Ich meine nicht, das iſt Gottesfurcht, ihm Hunderte von
blutigen Opfern darzubringen, und Wohlgerüche und Spezereien, ſondern daß
ich erkenne und dann allen Menſchen verkünde, wie groß Er iſt in ſeiner Weis⸗
heit und Herrlichkeit und Güte.“ — Ä
Kepler wußte: „Nichts Geordnetes kommt zufällig zuftande”. Zudem: „Die
Natur liebt die Einfachheit, ſie liebt die Einheit. Nichts in ihr iſt je untätig
oder überflüſſig.“ `
In dieſer Anſchauung liegt Keplers ganze ſittliche Grundhaltung. Ihm
ging es nicht um den Buchſtaben, ſondern um das Wort; nicht um deſſen
Schall, ſondern um deſſen Sinn. Trotzdem blieb ihm der Buchſtabe das
Mittel, durch das der Sinn ebenſo ſeine äußere Erſcheinung, ſeinen Ausdruck,
indet wie das Weſen (die Idee) durch den Körper. Deswegen ſchuf Gott
ie Körper „vor allem anderen“, damit die „Quantität erfaßt werden könne“.
Quantität aber birgt Qualität; Form bringt Sinn, den ſie dem verrät, der
nicht nur an ihrer Oberfläche haften bleibt.
Kepler ſuchte die Qualität nicht hinter, ſondern durch die Quantität; aus
der Form erkannte er den Sinn, aus dem Antlitz den Geiſt. Darum konnte
er mit Recht von ſich ſagen: „Ich habe die Wahrheit mehr zu faſſen bekom⸗
men, als ich irgend hoffen konnte“ —, und entgegen jenen, „die in ihrer
geiſtigen Beſchränktheit vor Inangriffnahme des leichteſten wie des ſchwerſten
Geſchäftes immer die Götter anrufen“, geſtaltete er die Wahrheit aus ſeinem
Menſchenweſen, aus ſeinem Ich. |
*
Der germaniſche Menſch in Kepler geſtaltete den großen Zuſammenklang
von: Sittlichkeit, Erſcheinung und Weſen.
Geit as Wefen erfannte er in der Sonne, in dem geometrifierenden
eifte. | :
Die Erſcheinung nahm er wahr in den Abſtänden der Planeten-
bahnen und den dazugehörigen maßgerechten Körpern.
Die Sittlichkeit erlebte er in der Reinheit der harmoniſchen ſinn⸗
lichen Töne und in den, aus den Amlaufszeiten der Planeten und ihren „Kon⸗
ſtellationen“ ſich ergebenden geiſtigen Harmonien.
Die Perſönlichkeit Kepler hatte fih damit die Einheit errungen; die Ein-
heit, die wir heute als Volk zu geſtalten ſuchen. — Sie ift „das Refultat”,
das wir, wie Gauß, bereits „ſehen“. — „Aber die Wege, auf denen wir zu
ihm gelangen werden?“ — ,
Die Gegenwart kann wohl guten Gewiſſens behaupten, daß fie diefe Wege
bereits abgeſteckt hat. , | |
Sittliche Forderung fand ihre Geftaltung in Erbhofgeſetz und Marktordnung.
Ordnung ſehen wir durch Arbeitsdienſt und Wehrpflicht in Erſcheinung treten.
Weſen wird uns als Kunſt, als deutſches Recht zu der Erkenntnis ver⸗
helfen, die als ſittliche und lebendige Wirtſchaftsform ihre Ausprägung
erhalten wird. |
648 Willy Meinhold
Kunſt und Religion (nicht Kirche) geftalten das Verhältnis von Menſch
zu Gott; Wirtichatt ordnete das Verhältnis von Menih zu Menſch; Recht
aber iſt „das Band und der Knoten, der zum Zuſammenhalt der Dinge nötig
iſt; denn damit zwei Einzeldinge in ein Einziges, außer durch das Zutun
eines Dritten, zuſammenkommen, iſt unmöglich.“ —
In dieſer Weiſe ſpricht Johannes Kepler zu unſerer Gegenwart, wenn wir
ihn richtig begriffen haben.
*
Willy Meinholoͤ:
Einflüſſe der Lehren J. G. Fichtes auf das Werk
BruVſtav Ruhlands
Die Bedeutung Nuhlands für die nationalſozialiſtiſche Agrarpolitik und
darüber hinaus für die geſamte Volkswirtſchaftslehre verlangt gebieteriſch nach
einer gründlichen Anterſuchung und Würdigung der Schriften Ruhlands.
Deshalb iſt es auch notwendig, den weltanſchaulichen Hintergrund aufzuzeigen,
auf dem die einzigartige wirtſchaftstheoretiſche Leiſtung Guſtav Ruhlands
entſtanden iſt. Nun ſind deutliche Verbindungslinien zwiſchen dem Werke
Ruhlands und dem des großen Ethikers und Sozialphiloſophen Fichte unver-
kennbar. Läßt fih aber diefe Befruchtung Ruhlandſchen Schaffens von feiten
Fichtes klar erweiſen, fo vermag dies nicht zuletzt den Wert der Arbeit Ruh:
lands ſelbſt zu ſteigern, zumal gerade Fichte in vielen Beziehungen philo⸗
ſophiſcher, ethiſcher, pädagogiſcher und wirtſchaftlicher Art dem National-
ſozialismus im Innerſten verwandt iſt. Eine bewußte geiſtige Verbindung
zwiſchen Fichte und Ruhland ift um fo naheliegender, als es fih bei beiden
um Ethiker einer organiſchen Kulturauffaſſung handelt, die beide mit dem
gleichen und einzigen Mittel einer Erziehung zu ſittlichem Gemeinſchafts⸗
bewußtſein dem nationalen Volkskörper Geſundung und ungefährdete Lebens⸗
dauer in Ausſicht ſtellten.
1. Wirtſchaft und Geſinnung.
In ſeiner ſehr leſenswerten — leider vergriffenen — Schrift: „Für die
Getreidezölle. Eine Antwort an ſämtliche Freihändler“ ) finden fih klare
Hinweiſe Ruhlands auf Theoretiker der Volkswirtſchaftslehre und anti-
liberaliſtiſche Philoſophen (John Ruskin, Friedr. Liſt, Fichte), die er als
Kronzeugen für ſeine eigene volksorganiſche Auffaſſung aufführt. Die Schrift
vermag dem Ruhlandforſcher wertvolle Aufſchlüſſe über den Einfluß der
Lehren Fichtes auf die Ruhlands zu vermitteln.
Ausgangspunkt für eine ſolche Anterſuchung muß die von Ruhland ſtets
betonte Erkenntnis bilden, daß die Volkswirtſchaft niemals ein unabhängiges
1) G. Ruhland, „Für die Getreidezölle. Eine Antwort an ſämtliche Freihändler.“ Berlin,
Verlag Kairos. |
Einflüsse der Lehren I. G. Fichtes auf das Werk Gustav Ruhlands 649
Eigendaſein führt, eine vom übrigen Kulturleben losgelöſte Eigengeſetzlichkeit
in ſich trägt, ſondern ein organiſches Glied des nationalen Geſamtlebens mit
mannigfachen außerökonomiſchen Beſtandteilen darſtellt; dieſe organiſche Kultur⸗
auffaſſung entſpringt der uralten Vorſtellung vom wahren Weſen des Men⸗
ſchen als organiſcher Grundzelle des Volkskörpers, deſſen Daſein ſich, entgegen
einer materiell beſtimmten und liberaliſtiſchen Theorie, bei weitem nicht in der
Erfüllung vorwiegend ökonomiſcher Zwecke erſchöpft. Der Menſch iſt eben
nicht — nach einer gelegentlichen treffenden Bemerkung Treitſchkes — im
Sinne der Freihandelslehre ein „zweibeiniges Weſen, defen höchſte Beſtim⸗
mung e3 ift, billig zu kaufen und teuer zu verkaufen“). Die Bedingungen
wirtſchaftlichen Geſchehens liegen für Ruhland nicht allein in der volkswirt⸗
ſchaftlichen Zelle als unbeeinflußbare Geſetze begründet, und ſomit reichen
nach ſeiner Aberzeugung auch die Zwecke der Wirtſchaft weit über den rein
wirtſchaftlichen Bereich hinaus. Ein Sachverhalt, den er treffend in die Worte
kleidet: „Die Lehrbücher unſerer freihändleriſchen Nationalökonomen be⸗
innen ... mit den Gütern und dem Reichtum. Sie ſollten ſtatt deſſen
eginnen mit der Frage nach Begriff und Weſen des Menſchen“ );
denn „der Menſch bleibt Mittelpunkt und Zweck aller Wirtſchaft““ ). Mit
dieſer Feſtſtellung, die ganz klar auch der nationalſozialiſtiſchen Welt⸗
anſchauung entſpricht, iſt der Punkt gefunden, von dem aus der Weg zu
Fichte zurückführt. Denn auch ſchon für Fichte vollziehen ſich Wirtſchafts⸗
wandlungen nicht in der Wirtſchaft ſelbſt, ſondern vorher und in erſter Linie
außerhalb des Wirtſchaftlichen im Bereiche der Erziehung und Ausbildung.
(Hier iſt der Punkt, an dem der Nationalſozialismus weit über Fichte und
Ruhland hinausgreift. Denn wenn auch Fichte wie Ruhland den Menſchen
in den Mittelpunkt ſtellen, ſo nicht als erbgebundenes Weſen, ſondern als
Objekt von Erziehung und Bildung. Die Schriftleitung.) Die von Fichte
vertretene Erziehung iſt geradezu dadurch gekennzeichnet, daß mit ihrer Hilfe
auch die kriegeriſche und wirtſchaftliche Tüchtigkeit des Volkes unmittelbar
vorbereitet werden ſoll. Was bei Fichte im allgemeinen für die deutſche Nation
ilt, nämlich, daß ſie ihre Exiſtenz nur im Wege einer Wiedergeburt der
eſinnung und Bildung gewinnen kann, trifft im beſonderen für die orga⸗
niſche Zelle der Wirtſchaft zu. Wirtſchaftlichen Maßnahmen iſt nur dann
ein dauernder Erfolg beſchieden, wenn ihnen — diefe Erkenntnis teilt Ruh-
land mit Fichte — „eine dementſprechende große nationale Schul-
reform vorausgegangen iſt, welche das Volk ſo erzogen und gebildet hat,
daß die neuen geſetzlichen Beſtimmungen für jeden ein-
zelnen zur ſelbſtgewollten Notwendigkeit werden“. Es muß
„eine große umfaſſende Schulreform im Fichte ſchen Sinne einſetzen,
die jedem werdenden Menſchen zum Bewußtſein bringt, daß er ſich
als nützliches, dienendes Glied der nationalen Volks⸗—
gemeinſchaft zu fühlen und zu betätigen hat. Wenn dieſes
volksorganiſche Bewußtſein wieder in Herz und Verſtand eines jeden Men-
{chen eingepflanzt würde, denn erft wird unſere Zeit reif für eine volks⸗
organiſche Geſetzgebung großen Stils“).
2) G. Ruhland, a. a. O. S. 11.
3) G. Ruhland, a. a. O. S. 7. !
) G. Ruhland, Die Wirtſchaftspolitik des Vaterunſer, Berlin 1895, S. 60.
5) G. Ruhland, Für die Getreidezölle, S. 14,15. |
650 | -Willy Meinhold
Die Gleichheit der Auffaſſung, die die beiden großen Sozialreformatoren
Fichte und Ruhland hinſichtlich der Stellung der Wirtſchaft im nationalen
Volkskörper und hinſichtlich der Mittel und Wege einer Einflußnahme
auf das wirtſchaftliche Geſchehen verbindet, diefe Gleichheit der Aberzeugunng
iſt auch im Hinblick auf das Ziel vorbenannter Erziehung als Mittel einer
ſinnvollen Geſtaltung der Wirtſchaft anzutreffen. Wenn „die wahre Wiffer-
ſchaft von der Nationalökonomie nicht die Lehre von dem nationalen Reich-
tum der Völker“ ſein kann, „wie das Adam Smith und andere geſagt haben,
ſondern ... die Lehre von der Lebenskraft der Völker“), fo
muß es für Fichte in gleicher Weiſe wie für Ruhland Ziel der Erziehurrg
ſein, die Vorausſetzungen für beſagte Lebenskraft zu ſchaffen; dieſe werden
nicht durch Reichtum, nicht durch Geldvorräte in den Kellern der Banken,
nicht durch Technik, nicht durch Fortſchritte der Wiſſenſchaft, ſondern allein
durch den „Vorrat an idealerem Empfinden im Volke“ 7) dargeſtellt. Ruhland
beweiſt an Hand der Geſchichte, daß dieſer Idealismus als Quelle des Gemein-
ſchaftsbewußtſeins und des feſten Willens, für die Erhaltung des nationalen
Lebens alles zu opfern, ſtets grundlegend für den Beſtand und die Freiheit
der Nationen geweſen ift. Aus dieſer geſchichtlichen Lehre, die nur eine Be-
wahrheitung der ethiſch-organiſchen Weltanſchauung darſtellt, entſtanden bet
Fichte die „Reden an die deutſche Nation“ und ergab fic für Ruhland die
Forderung: „Prüfet jede wirtſchaftliche Maßnahme und jede
wirtſchaftspolitiſche Anterlaſſung vor allem auf ihre
Wirkung zur Mehrung des Vorrats an idealen Empfin-
dungen im Volke!“ Mit Deler Forderung ſtellt fih alfo Ruhland
ganz eindeutig auf den Boden der Lehren Fichtes, deffen Beſtreben ja auch
dahin ging, die wirtſchaftliche Tätigkeit wieder in den Bereich der Sittenlehre
aufzunehmen, dergeſtalt, daß an Stelle eines herrſchenden Materialismus der
ſittliche Adel der Arbeit, an Stelle liberaliſtiſcher Willkür ſoziale Sittlichkeit,
an Stelle eines wahnwitzigen Kosmopolitismus glühende Vaterlandsliebe
treten, mit einem Worte: „Eine gänzliche Veränderung des bisherigen Er⸗
ziehungsweſens iſt es, was ich, als das einzige Mittel, die deutſche Nation im
Daſein zu erhalten, in Vorſchlag bringe... Wir wollen durch die neue Er⸗
ziehung die Deutſchen zu einer Geſamtheit bilden, die in all ihren ein-
zelnen Gliedern getrieben und belebt fei durch dieſelbe eine Angelegen⸗
heit!“).“ Die grundlegende Forderung einer Einflußnahme auf menſchliches
Denken, Fühlen und Wollen entſpringt eben bei Ruhland wie bei Fichte der
Aberzeugung, daß wirkſamen geſetzlichen Eingriffen in politiſche und insbe⸗
ſondere wirtſchaftliche Verhältniſſe ſtets ein Einwirken auf Gemüt und Ge⸗
dankenwelt vorangehen müſſe, als deſſen Frucht hernach jede politiſche wie
wirtſchaftliche Reform entſpringe. ö -
Die bisherige Erziehung, die Fichte verwirft, baute entſprechend ber Vor⸗
herrſchaft individualiſtiſch⸗liberaliſtiſcher Lehren in Staat und Wirtſchaft
grundſätzlich auf der Selbſtſucht auf, mit der ſchon allein wirtſchaftlichen Folge
eines „endloſen Krieges aller im handelnden Publikum gegen alle“, eines
Krieges „zwiſchen Käufern und Verkäufern“ ). Die Zöglinge dieſer Erziehung
e) G. Ruhland, a. a. O. S. 9. Vgl. auch Friedr. Lifts Theorie der produktiven Kräfte.
7) G. Ruhland, a. a. O. S. 10. ' S
8) J. G. Fichte, Reden an die deutſche Nation, I. Teil, Jena 1928 (Herdflamme), S. 209, 212,
2) J. G. Fichte, Der geſchloſſene Handelsſtaat, Jena 1920, S. 69.
Einflüsse der Lehren I, G. Fichtes auf das Werk Gustav Ruhlands 651
haben „insgeſamt nicht... fittlichen Vorſtellungen und Ermahnungen, fondern
fie haben den Antrieben ihrer, ihnen natürlich und ohne Beihilfe der Er⸗
ziehungskunſt erwachſenden Selbſtſucht gefolgt“ »). Die Selbſtſucht aber ift
„die Wurzel aller andern Verderbtheit“ mit den innenpolitiſchen Folgen
einer „weichlichen Führung der Zügel des Staates, die mit ausländiſchen
Worten ſich Humanität, Liberalität und Popularität nennt, die aber richtiger
in deutſcher Sprache Schlaffheit und ein Betragen ohne Würde ift”).
Eine Neuſchöpfung der Volkswirtſchaftslehre durch Ruhland, die im Ge⸗
genſatz zur Freihandelslehre auf dem organiſchen Gedanken der Volksgemein⸗
ſchaft beruht, iſt natürlich an dieſe ſchon von Fichte geforderte Erſetzung indi⸗
vidualiſtiſchen Gewinnſtrebens durch gemeinſchaftsorientiertes Pflichtbewußt⸗
ſein gebunden; denn „Endziel und Entwicklungsrichtung ſollen für jeden ein⸗
zelnen Menſchen ein menſchenwürdiges, ein ſittliches fein !).“ Auch diefe
Tatſache zeigt mit Deutlichkeit die Geiſtesverwandtſchaft zwiſchen Ruhland
und Fichte, wie ſie Ruhland mit folgenden Worten zum Ausdruck bringt:
Eine „recht naheliegende Beziehung zu Fichte liegt für uns darin, daß nach
Fichte der letzte Grund für den furchtbaren Zuſammenbruch des preußiſchen
Staates nach der Schlacht bei Jena in dem Geiſte der ‚Selbſtſucht' zu ſuchen
war, den er, der grobe Pädagoge, mit Hilfe einer allgemeinen nationalen
Schulreform mit der Wurzel ausrotten wollte, um an deren Stelle den Geiſt
des Gemeinſchaftsbewußtſeins und der Aufopferung zu ſetzen, der dann in
der Tat die Jahre von 1813 und 1870—71 mächtig durchwehte“ ).
Dieſes übergeordnete Ziel einer Ertötung der Selbſtſucht iſt für Fichte wie
für Ruhland fo bedeutſam, daß zu feiner Erreichung und Förderung „kein
Opfer an Gut und Blut zu groß“ ) ift. Deshalb bei Fichte die harte For-
derung einer reſtloſen Anterbringung aller Kinder in ſtaatlichen Anſtalten, in
„Nationalſchulen“ als Erziehungs⸗ und Arbeitsgemeinſchaften! Deshalb bei
Ruhland die gleiche Forderung im Rahmen der Teilzelle der Wirtſchaft:
„Damit aber dieſe große Zukunftsaufgabe einer nationalen Reform unſerer
Schule für das praktiſche Leben in engſter Verſchmelzung mit der dazu gehö⸗
rigen volksorganiſchen Neuordnung unſerer geſamten Wirtſchaftsverhältniſſe
wachſen und gedeihen kann, wird es notwendig, in einem beſonderen Root,
lichen Forſchungsinſtitut die nationalökonomiſchen, juriſtiſchen und
pädagogiſchen Diſziplinen zuſammenzufaſſen zu einer Einheit des Geiſtes und
der menſchlichen Erkenntnis ... Speziell zu Anfang wäre es... Aufgabe dieſes
Forſchungsinſtitutes, die ſchweren Irrtümer der Freihandelslehre auf den ver⸗
ſchiedenen Gebieten unſeres Volkslebens durch wiſſenſchaftliche Aufklärung
überwinden zu helfen ).“ | e EM
Die aufgezeigten Verbindungslinien zwiſchen Ruhland und. Fichte find —
wenn auch ihre praktiſche Ausgeſtaltung zeitgebunden ſein mag — inſofern
bedeutſam, als ſie ſich vollkommen mit nationalſozialiſtiſchem Gedankengute
decken. Denn es bleibt unerſchütterlicher Erkenntnisbeſtand, daß grundlegenden
Wandlungen der Wirtſchaftsſtruktur ſtets eine grundlegende Anderung der
16) J. G. Fichte, Reden an die deutſche Nation, S. 210.
11) J. G. Fichte, a. a. O. S. 204. |
12) G. Ruhland, a. a. O. S. 8.
18) G. Ruhland, a. a. O. S. 6.
14) G. Ruhland, a. a. O. S. 10.
18) G. Ruhland, a. a. O. S. 16,
652 willy Meinhold, Einflüsse der Lehren I. G. Fichtes
—— entſprechen muß, daß wahrer Sozialismus als Näbhr-
boden einer organiſchen Volkswirtſchaft durch eine innere Geſinnung bedingt
iſt, nämlich durch den unwiderſtehlichen Willen des Einzelnen, ſein geſamtes
Handeln in den Dienſt der Volksgemeinſchaft zu ſtellen “). In dieſem Sinne
find auch die Worte Adolf Hitlers vom November 1933 zu verſtehen: „Nicht
die Eroberung der Macht, ſondern die Erziehung des Menſchen iſt
das Entſcheidende.“
2. Individualismus und organiſche Weltanſchauung. |
Es ift klar, daß die enge geiftige und weltanſchauliche Verwandtſchaft
zwiſchen Ruhland und Fichte, wie ſie in den aufgezeigten grundſätzlichen
Fragen der Wirtſchaft beſteht, ſich auch auf die von Ruhland vorgeſchlagene
Behandlung von Einzelfragen in ſämtlichen Zweigen des Wirtſchaftslebens
erſtreckt. Freilich hat Fichte als Philoſoph und Ethiker keine umfaſſende Volks⸗
wirtſchaftslehre ſchaffen wollen, etwa im Sinne des Ruhlandſchen „Syſtems
der politiſchen Okonomie“. And wenn er ſich auch in einzelnen ſeiner Schriften
mit wirtſchaftlichen Problemen auseinandergeſetzt hat (vgl. Geſchloſſener
Handelsitaat), fo war es ihm doch vorwiegend um eine Geſamtſchau in wirt⸗
ſchaftlichen und politiſchen Fragen unter ethiſchen Geſichtspunkten zu tun. Es
verleiht dem Werke Ruhlands einen erhöhten Grad von Anangreifbarkeit, daß
er in breitem Maße die aus der Fichteſchen organiſchen Geſamtſchau gewon-
nenen Grunderkenntniſſe in der Teilzelle der Wirtſchaft bis zur letzten Kon⸗
ſequenz fortführt und damit gewiſſermaßen ſeine eigene Leiſtung mit dem
Geiſte Fichtes befruchtet. Dem aufmerkſamen Lefer der Schriften Ruhlands
wird alſo allenthalben der Geiſt Fichtes entgegenſtrömen, auch wo dies nicht
— wie in der vorbenannten kurzen Abhandlung „Für die Getreidezölle“ —
ausdrücklich ausgeſprochen wird. Weſentlich bleibt dabei immer die Erkennt⸗
nis, daß Fichte wie Ruhland in ihrem Kampf gegen die individualiſtiſch⸗
liberaliſtiſchen Grundſätze, die ihrer Zeit ein verhängnisvolles Gepräge
namentlich in wirtſchaftlicher und agrarpolitiſcher Hinſicht aufzwangen, in
erſter Linie die in jedem Menſchen zutiefſt ruhenden ſittlichen Grundkräfte
und Gemeinſchaftskräfte wachzurufen beſtrebt waren.
Wenn das herrſchende ſoziologiſche Schrifttum der Zeit Fichtes und Rup-
lands dem unzulänglichen Individualismus ſtets den Sozialismus (im Sinne
des Marxismus) gegenüberſtellte, ſo hegte Fichte die Aberzeugung, daß dem
Individualismus nur jene Weltanſchauung entgegengeſetzt werden könne, die
von der Aberſchau des Ganzen ausgeht, in dem der Einzelne nur organiſches
Glied iſt. In der von ihm vertretenen geſellſchaftlichen Ordnung muß „jeder
Einzelne um des Ganzen willen immerfort gar vieles unterlaſſen, was er,
wenn er fih allein befände, unbedenklich tun könnte“ ). Der Idealiſt Fichte
war ſich eben bewußt, daß Sozialismus (Marxismus) und Individualismus
der gemeinſamen Wurzel des ebenſo verwerflichen Materialismus entiprin-
gen. In dieſer für jede volkswirtſchaftliche Theorie grundlegenden Frage ſteht
Ruhland auf gleichem Boden wie Fichte, wenn er ſagt: „Dem freihändle⸗
16) Vgl. W. Mein ho Id „Der volkswirtſchaftliche Arbeitsbegriff Ruhlands (Ber. über Landw.),
Berlin 1935, S. 215/216.
17) J. G. Fichte, a. a. O. S. 233.
Wilhelm Ueberrück, Leibesübungen als künstlerisches Erlebnis 653
riſchen Grundſatz des Individualismus wurde in allen Lehrbüchern der So⸗
zialismus gegenübergeſtellt. Das muß ſchon deshalb bedenklich erſcheinen,
weil bekanntlich der Liberalismus der Vater des Sozialismus iſt ).“ „... Im
Grunde ift auch der Sozialiſt (immer im Sinne des Marxismus zu verſtehen!
Verf.) nur ein Individualiſt. In Wahrheit gibt es noch einen viel tiefer-
greifenden prinzipiellen Gegenſatz zum freihändleriſchen Individualismus,
einen Gegenſatz, der in dem einzelnen Menſchen — ſtatt einem ſelbſtändigen
freien Mittelpunkt der Weltauffaſſung — nur ein Abgeſplittertes vom Ganzen
Ga 7 Das ift die ſogenannte organiſche Auffaſſung der Volkswirt⸗
a Sa
Der Gett Fichtes ſpricht aus dieſen Worten, in denen Ruhland zwar nicht
ausdrücklich Bezug nimmt auf Fichte, ebenſo deutlich wie in der eingangs
behandelten einheitlichen Stellungnahme Fichtes und NRuhlands zu dem wirt-
ſchaftspolitiſchen Mittel der Erziehung zu ſittlichem Gemeinſchaftsbewußtſein.
Dieſe wenigen, jedoch grundſätzlichen Beiſpiele aber reichen aus, um die
fruchtbringende Geiſtesverbundenheit zwiſchen Ruhland und Fichte, die
beider Lehren einigt und gegenſeitig durchdringt, überzeugend darzutun. —
Wilhelm Ueberrück:
Leibesübungen als künſtleriſches Erlebnis
Der Reichsnährſtand hat einer Anzahl bildender Künſtler die Möglichkeit
gegeben, fih in feiner Reichsſchule für Leibesübungen Burg Neuhaus mit
der beſonderen Art der ländlichen Leibeserziehung eingehend zu beſchäftigen.
Der Aufenthalt in Neuhaus hat den Künſtlern Gelegenheit gegeben, einige
Tage lang das Leben der Schüler zu beobachten und daraus reiche Anregun⸗
gen und wertvolle Erkenntniſſe für das eigene Schaffen zu gewinnen.
Nach dem Abſchluß des 3. Reichsbauerntages, auf dem fie ſchon einen
tiefen Einblick in die Arbeit des Reichsnährftandes auf dem Gebiete der
Leibesübungen erhalten hatte, fuhr die kleine Gruppe in Kraftwagen von
Goslar nach Burg Neuhaus. Schon von weitem winkte vom Turm der
alten Waſſerburg die flatternde Fahne den erſten Gruß der Neuhaus⸗Schüler
entgegen, mit denen wir Künſtler eine kurze Zeit kameradſchaftlichen Zuſam⸗
menſeins verleben ſollten. |
Da der gerade laufende Lehrgang wenige Tage vor feinem Abſchluß ftand,
war die Zeit koſtbar. Bald ftand die Staffelei in der geräumigen hellen Turn-
halle, die in dieſen herbſtlichen Tagen meift das Betätigungsfeld für die
Schüler und Schülerinnen bildete. Es waren lauter kräftige junge Männer
und friſche Mädchen, die für einige Wochen den väterlichen Hof verlaſſen
hatten und hier aus allen Teilen Deutſchlands zuſammengekommen waren,
18) G. Ruhland, Volkswirtſchaftliche Grundbegriffe, 2. Aufl. Berlin 1935, Vorwort S. IX.
10) G. Ruhland, Ausgewählte Abhandlungen, Aufſätze und Vorträge, Berlin 1910, S. 197.
654 Wilhelm Ueberrück, Leibesübungen als künstlerisches Erlebnis
um am eigenen Leibe die Wirkung richtig betriebener Leibeserziehung zu
ſpüren. Wenn ſie im Rhythmus der Tamburinklänge ihre ſchönen Körper
bewegten, fanden ſie in uns aufmerkſame Zuſchauer. Aber wir waren auch
ebenſo aufmerkſame Zuhörer, denn für den Künſtler bedeuteten die erklä⸗
renden und kritiſierenden Bemerkungen des Lehrers den Schlüſſel zum Ber-
ſtändnis der Abungen. So wurden wir bald mit dem Kerngedanken der
ländlichen Leibesübungen vertraut.
„Wenn für den ſtädtiſchen Menſchen der Sinn der Leibesübungen vor allem
darin liegt, ihm einen Ausgleich für ſein Stubenhocken und ſeine körperliche
Antätigkeit zu ſchaffen, alſo den Körper zu kräftigen und zu ſtählen, ſo ſollen
die Leibesübungen für den Menſchen vom Lande etwas ganz anderes be⸗
zwecken. Seine Tätigkeit ſorgt ſchon von ſelbſt für eine genügende Ausarbei⸗
tung des Körpers. Die dauernde ſchwere und einſeitige körperliche Arbeit
zeitigt häufig als natürliche Folgeerſcheinung eine gewiſſe Verkrampfung und
Verſteifung des Körpers. Da zwiſchen dem Körper und dem inneren Men⸗
ſchen enge Zuſammenhänge beſtehen, führt dieſe körperliche Verkrampftheit
zwangsläufig auch zu Parallelerſcheinungen auf ſeeliſchem Gebiet — zu inne⸗
ren Hemmungen, die den Menſchen an der vollen Entfaltung ſeiner Fähig⸗
keiten hindern. Am Delen Zuſtand zu beſeitigen, muß vor allem die körper-
liche Anbeholfenheit behoben werden. Hier liegt das Aufgabengebiet für die
Leibesübungen auf dem Lande. Sie ſollen den verkrampften und verſteiften
Körper wieder auflockern und ihm die natürliche freie Beweglichkeit zurück⸗
geben. Der Körper muß wieder zu jener Claſtizität erzogen werden, die
ſchließlich zur völligen Beherrſchung jeder Bewegung führt. Aus dieſem
Grunde beſteht die ländliche Körperſchulung vorwiegend aus ſolchen Abungen,
die die Glieder beweglich und geſchmeidig machen. |
Weſentlich ift bei dieſer Beweglichmachung, daß jede Bewegung, auch die
eines einzigen Gliedes, aus dem ganzen Körper kommt. Erſt dann verliert ſie
alle Steifheit und wirkt frei und natürlich. Den Beweis für diefe Behauptung
bietet uns überall die Natur. Jedes Tier, alle unziviliſierten Völker und die
kleinen Kinder der ziviliſierten Völker bewegen ſich auf dieſe Art. Dieſe natür⸗
liche Bewegungsfähigkeit wiederzuerlangen, die ihren letzten Antrieb und ihre
an aus der ſchwingenden Körpermaſſe erhält, das ift der Zweck dieſer
ungen. |
Die Tatſache, daß eine jede Bewegung aus dem Körperganzen heraus⸗
ſchwingen muß, iſt gerade auch für den Künſtler von beſonderer Bedeutung.
Aus dieſem Geſichtswinkel heraus iſt es viel leichter, mit dem Auge einen
Bewegungsvorgang in allen Feinheiten zu erfaſſen und mit dem Stift feft-
zuhalten. Es genügt z. B. nicht, wenn man einen werfenden Menſchen dar⸗
ſtellen will, daß die Bewegung durch den werfenden Arm ausgedrückt wird,
der an einem fonft an der Wurfbewegung unbeteiligten Körper Dë. Der
ſchnellende Armſchwung muß aus dem ganzen Körper heraus entſtehen. Erſt
aus dem richtigen Zuſammenſpiel aller Muskeln, aus den verſchiedenartigen
Spannungszuſtänden der einzelnen Muskelpartien entſteht das Bild einer
lebendigen Bewegung. Gerade dieſes Zuſammenwirken von Teilen größter
Anſpannung und Entſpannung, dieſes gleichzeitige Anhäufen von Kraft und
Lockern der Muskeln an verſchiedenen Körperſtellen unterſcheidet die organiſche
Bewegung eines Menſchenkörpers von der mechaniſchen einer Maſchine. In
den flüchtigen Fauſtſkizzen konnten naturgemäß dieſe Dinge nicht zum Ausdruck
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Werner Petersen, Die Bedeutung der Frühgeschichte 655
gebracht werden, fie follten vielmehr nur den jeweils zur Darſtellung günſtig⸗
ften Bewegungszuſtand eines ganzen Bewegungsablaufs feſthalten. Der
etwas mehr ausgeführte Steinſtoßer z. B. läßt aber ſchon erkennen, wie auch
die nicht unmittelbar an der Krafthäufung in der rechten Schulter beteiligten
Muskeln wie ſogar das lockere linke Bein und der linke Arm mit dem gerade
beginnenden Stoß zuſammenhängen. So haben mich die Bewegungsübungen
in Neuhaus zu einem Studium der Bewegung ſelbſt getrieben.
Dieſe jungen bäuerlichen Menſchen, die erſt vor wenigen Wochen mit einem
ungelenken und ausdrucksloſen Körper nach Neuhaus gekommen waren, wur⸗
den für den Künſtler zu einem tief beeindruckenden Erlebnis. Die Körper
hatten in dieſer kurzen Zeit die verlorengegangene Sprache wiedergefunden.
Da die Beziehungen zwiſchen körperlicher Beweglichkeit und innerer Beweg⸗
lichkeit gefühlsmäßig jedem bekannt ſind, erſcheinen dieſe Menſchen, die ſich
jetzt äußerlich natürlich bewegen können, auch als innerlich gewandt und rege.
Daß eine ſolche Wandlung tatſächlich vorgegangen iſt, haben mir einige der
Neuhaus⸗Schüler beſtätigt. Wenn fie bei ihrer Ankunft Mühe hatten, ein
paar zuſammenhängende Sätze zu ſprechen, fühlten ſie ſich jetzt fähig, ohne
Schwierigkeiten frei vortragen zu können. Durch die Leibesübungen gelingt
es, die jungen Menſchen vom Lande ſo umzuwandeln, daß ſie auch äußerlich
ſo werden, wie es ihrem inneren Wert als den Blutsträgern unſeres Volkes
entſpricht.
werner Peterfen:
Die Bedeutung der Frühgeſchichte für den oͤeutſchen Bauern
Die Frage: warum fic) der deutſche Bauer und feine Führer heute im
Gegenſatz zu einer vergangenen Zeit ſo eingehend mit dem Leben ihrer Vor⸗
fahren in frühen und früheſten Zeiten befaſſen, bedarf einer kurzen Begrün⸗
dung. Es wird an uns häufig die etwas erſtaunte Frage gerichtet, ob wir denn
überhaupt für das Gebiet der Vorgeſchichte irgendwie maßgeblich ſeien, ob
wir etwa Vorgeſchichte auf der Aniverſität ſtudiert hätten. — Dieſe Frage nun
kann uns aber in keiner Weiſe beirren und die Berechtigung nehmen, uns mit
a A zu befaſſen, die nicht die Wiſſenſchaft allein angehen, ſondern die für
die Geſchichte und damit die Zukunft des deutſchen Bauerntums von ſo ent⸗
ſcheidender Bedeutung ſind.
Gewiß verſtehen wir es febr gut, wenn die Fachvorgeſchichtsforſchung es fih
verbittet, daß irgendwelche eingebildeten Stümper und Altertumsſammler nun
den Spaten hernehmen und die wenigen noch vorhandenen Denkmäler aus
unſerer Frühzeit zerſtören. Das lehnen auch wir auf das ſchärfſte ab, und nie⸗
mand iſt gerade mehr als der deutſche Bauer daran intereſſiert, daß eine Gra⸗
bung auf das ſorgfältigſte mit allen Mitteln der modernen Grabungstechnik,
3. B. wenn nötig, unter Heranziehung der Mikrochemie und Pollenanalyſe,
und vor allem immer von Fachleuten durchgeführt wird.
Opal Heft 8, Jahrg. 4, Bg. 3
656 Werner Petersen
Was dem deutfchen Bauern aber in erfter Linie am Herzen liegt, das ift
doch eine echte, naturwahre und daher allein glaubhafte Darftellung des Lebens
unſerer bäuerlichen Ahnen. Weil aber eine ſolche Darſtellung bisher trotz aller
Einzelforſchungen weitgehend fehlte, weil eine römiſch⸗liberaliſtiſche Wiſſen⸗
ſchaft vielfach den Germanen als einen Baſtard aſiatiſcher Wanderhirten und
weſtlicher Jägerſtämme hinzuſtellen beliebte, weil man ihnen Menſchenopfer
und tierähnliches, völlig unbäuerliches Leben, fogar in Wohngruben, zu-
ſchrieb, ihnen Geiſterbeſchwörung, Geſpenſterfurcht und Mondanbetung an-
dichtete, deshalb hielt es die nationalſozialiſtiſche Bauernführung für ihre
Pflicht, ſelbſt die Ehrenrettung der bäuerlichen Ahnen des deutſchen Bauern-
tums in die Hand zu nehmen. And niemand kann beſtreiten, daß es das
große Verdienſt unſeres Reichsbauernführers R. Walther Darre ift
und bleiben wird, daß er als erſter in feinem großen Werk: „Das Bauern-
tum als Lebensquell der Nordiſchen Raſſe“ diefe Ehrenrettung des germani-
ſchen Bauern in unvergleichlicher und lückenloſer Weiſe durchführte.
Gewiß ſind wir uns auch darüber einig, daß die Beweiſe, die wir bringen,
wiſſenſchaftlich einwandfrei fein müſſen. Aber das eine iſt klar, wer ſolche ein-
wandfreien Beweiſe erbringt, das iſt dabei ganz gleichgültig. Es iſt völlig
belanglos, ob er Fachmann oder Nichtfachmann iſt, ob er Vorgeſchichtswiſſen⸗
ſchaft ſtudiert hat oder nicht. Aber wenn man ſich auch heute noch über den
Kompetenzbegriff Fachmann ſtreiten will, ſo fragen wir, wer denn für die
Darſtellung des Lebens unſerer bäuerlichen Vorfahren, in vieler Hinſicht we⸗
nigſtens, mehr Fachmann iſt, der Vorgeſchichtler oder der Bauer?
Der Wiſſenſchaftler, deſſen Wiege vielleicht in der Großſtadt ſtand, deſſen
Jugend ſich deshalb zu mehr als drei Vierteln fernab von dem naturnahen
Leben da draußen abſpielte, oder der Bauer, der durch ſeine praktiſche Arbeit
und ſein naturnahes Leben einen ganz anderen Blick für praktiſche Notwendig⸗
keiten und Möglichkeiten beſitzt als jeder, der dem ländlichen und damit natür-
lichen Leben entfremdet ift.
Es zeigt ſich vielleicht aus dem eben Geſagten, wie not-
wendig es iſt, daß Bauer und Wiſſenſchaftler auf dem Ge⸗
biet der Frühgeſchichte zuſammenarbeiten. Beide werden davon
ihren Vorteil haben. Für den nationalſozialiſtiſchen Bauern aber iſt die Auf-
klärung über die frühgeſchichtlichen Verhältniſſe keineswegs eine Frage wifjen-
ſchaftlichen Intereſſes allein, ſondern geradezu eine febr ernſte Lebensfrage.
Jahrhunderte hindurch unter dem Einfluß fremden Rechtes und fremder
Weltanſchauung war der Bauer verfemt, ja noch mehr, geknechtet und als
Leibeigener erniedrigt. And als vor mehr als hundert Jahren ſeine Sklaverei
äußerlich aufgehoben wurde, geriet er um ſo tiefer in die unwürdige Zins⸗
knechtſchaft jüdiſchen Leihkapitals. Erft durch den Sieg des Nationalſozialis⸗
mus iſt die völlige Befreiung des Bauern eingeleitet worden. Was für uns
hieran aber wichtig iſt, iſt das, daß dieſe Befreiung nicht allein politiſche,
wirtſchaftliche und ſoziale Verhältniſſe betraf, ſondern vor allem melt,
anſchauliche und kulturelle. Der Bauer, jahrhundertelang von den
ziviliſierten Stadtleuten verfemt, hat heute ſein Selbſtbewußtſein wieder⸗
gewonnen. Er iſt ja auch nach dem Willen des Führers der erſte Stand im
deutſchen Volke geworden. Aus dieſer niederdrückenden Verfemung zur klaren
Erkenntnis ſeines Wertes gelangt, erkennt der deutſche Bauer heute klarer als
je, daß alle Kultur letzten Endes auf ihm, ſeinem Weſen
Die Bedeutung der Frühgeschichte für den deutschen Bauern 657
und feiner Arbeit beruht. — Da kommt nun der Bauer auch zur
Wiſſenſchaft und verlangt Näheres über ſeine Geſchichte, über ſeine früheſte
Vergangenheit zu hören. Da darf die Wiſſenſchaft ihm keine Steine ſtatt Brot
geben. Darf ihm nicht mit blutloſen Hypotheſen von Wanderhirtentum,
Dämonenfurcht, Menſchenopfern uſw. abſpeiſen, ihn, den einfachen Bauern,
der weiß und fühlt, daß alle wahre und echte Kultur letzten
Endes auf dem Pfluge ruht. Vor allem aber weiß der Bauer
nur zu gut, daß es auch damals ſo anfing, zweitauſend und tauſend
Jahre früher, als zunächſt die Römer und nachher die Römlinge ins Land
kamen und behaupteten, er, der Bauer, hätte keine Kultur, ſie aber wollten
ſie ihm bringen. So begann damals die Knechtſchaft, und deshalb be⸗
ginnt jetzt die Freiheit mit dem Nachweis der hochſtehenden
arteigenen bäuerlichen Kultur unſerer germaniſchen Vor:
fahren. Da hat die Wiſſenſchaft eine hohe und heilige Aufgabe. Sie, die
ernährt wird letztlich vom Bauern und Arbeiter, fie, die im luftleeren Raum
nicht leben kann. Sie iſt ja nicht und kann ja nicht für ſich ſelbſt da ſein.
Wiſſenſchaft nur für die Wiſſenſchaft ift liberaliſtiſcher
Irrwahn. Wiſſenſchaft kann nur für das Volk und die Le-
bensbedürfniſſe dieſes Volkes, mögen fie auch geiſtiger
Natur ſein, da fein. . | l
Es ift unſere Aufgabe, die geficherten Ergebniſſe der Frühgeſchichts⸗
forſchung, aus denen die unvergleichliche Kultur unſerer germaniſchen Urväter
hervorgeht, dem Bauern ſo zu vermitteln, daß er ſie verſteht und glauben kann.
Lebensvoll dargeſtellt, ift bei der Erziehung der Jugend zum nationalſozia⸗
liſtiſchen Denken die Frühgeſchichte überhaupt nicht zu entbehren, und ſie wird
daher in Zukunft gerade bei der politiſch⸗weltanſchaulichen Erziehung und
Schulung unſerer Landjugend die allergrößte Rolle ſpielen. Vielleicht ſtellt
aber dieſe Schulungsarbeit der Jugend, insbeſondere die Schulung der Land⸗
jugend, die wiſſenſchaftliche Vorgeſchichtsforſchung ſelbſt, die ja an ſich nichts
oder wenig mit Schulung zu tun hat, vor gewiſſe neue Aufgaben.
Ich könnte mir zum Beiſpiel denken, daß für die Erziehung zum national-
ſozialiſtiſchen Denken der altgermaniſche Grundſatz: Gemeinnutz geht
vor Sondernuß und feine praktiſche Anwendung im alten germani-
ſchen Genoſſenſchaftsweſen von größter Bedeutung wäre. Ich könnte
mir vorſtellen, daß derjenige, der dazu berufen iſt, die deutſche Landjugend zu
ſchulen, ſich an die wiſſenſchaftliche Frühgeſchichtsforſchung mit der Bitte
wendet, einmal die wiſſenſchaftliche Erforſchung der germa-
niſchen Genoſſenſchaftsverfaſſung in Angriff zu nehmen.
Auch das alte germaniſche Boden- und Odalsrecht als weſentliche Rechtsform,
nach der unſere Vorfahren ihre Verhältniſſe ordneten, muß und kann nur mit
Hilfe der Vor⸗ und Frühgeſchichtswiſſenſchaft in allen Einzelheiten erforſcht
und dargeſtellt werden. Gewiß werden derartige Probleme nicht allein durch
Auswertung von Grabungsergebniſſen zu löſen ſein, aber es gehört doch nun
einmal mit zur Aufgabe der Frühgeſchichtswiſſenſchaft, nicht einſeitig etwa nur
die Grabung, die Grabungstechnik und die Ausdeutung der Funde zu kulti⸗
vieren, ſondern ſie darf ſich gewiß, um uns ein lebensvolles Bild unſerer
Vorfahren zu geben, aller Hilfsmittel bedienen, ſozuſagen aus allen Quellen
ſchöpfen, literariſche Quellen, ſchriftliche und mündliche Quellen jeder Art
ausnutzen. Ich bin ficher, daß auch im noch lebenden Volksbrauchtum, insbe⸗
3
658 Werner Petersen
fondere im lebenden Brauchtum der deutſchen Bauernſchaft, viel gefunden
Hinde kann, was geeignet ift, das Bild unferer frühen Vorfahren zu vervoll-
igen.
Ich weiß, daß auch auf dem Gebiete der Frühgeſchichtsforſchung bereits eine
große Spezialiſierung eingeſetzt hat, daß der eine ſich vielleicht in der
Hauptſache für Fauſtkeile aus der Altſteinzeit intereſſiert, während der andere
die Jungſteinzeit vorzieht. Andere bemühen ſich vielleicht ein halbes Leben
lang, aus gefundenen Pfoſtenlöchern frühgeſchichtliche Häuſer zu konftruieren,
und noch andere intereſſieren fih vielleicht nur für die Beſiedlung der Mar-
{chen und haben fih auch hier noch weiter auf die Warftenſiedlungen ſpeziali⸗
ſiert. Das mag vielleicht notwendig ſein, ein notwendiges Abel. Aber
es wird ja Gott ſei Dank immer unter den Wiſſenſchaftlern Leute geben, die,
obgleich ſie von ihren Kollegen etwas ſchief angeſehen werden, noch das ganze
Gebiet beherrſchen und überſehen, und ſogar dabei noch einen gewiſſen Aber⸗
blick über die Nachbargebiete ihrer Wiſſenſchaft, z. B. für Geologie, Geſchichte,
Anthropologie, Volkskunde und bäuerliche Brauchtumskunde befigen. Die
Arbeit ſolcher Männer iſt naturgemäß für die notwendige
Schulungsarbeit beſonders wertvoll. Deshalb haben wir es auch
als ſehr bitter empfunden, wenn ſolche verdienſtvollen Männer, die verſucht
haben, uns ein möglichſt vollſtändiges Bild, ſozuſagen eine Totalanſicht, von
unſern Vorfahren zu geben, wenn ſolche Männer als Dilettanten verfemt
werden. Wenn z. B. ein Mann mit großem Allgemeinwiſſen und intuitiver
Schöpferkraft herkommt und die bisher faſt völlig fehlende Verbindung zwiſchen
Vorgeſchichte und Volkskunde ſchafft, wenn er nachweiſt, daß die Zeichen und
Symbole, die auf Scherben, Waffen und Geräten überall im nordiſchen Raum
5 werden, kultiſche Bedeutung hatten, und daß dieſe kultiſchen Bräuche
is weit in die geſchichtliche Zeit hinein, ja zum Teil bis heute noch, im
bäuerlichen Brauchtum leben, ſo iſt das, auch wenn dieſer Mann ſich in ein⸗
zelnen Behauptungen einmal geirrt hat, in unſeren Augen ein ganzgroßes
Verdienſt. Wir nehmen ihn vor allem gegen jede perſönliche Verunglimp⸗
fung in Schutz, und zwar, weil die Arbeit eines ſolchen Mannes
unter Amſtänden für unſere Idee und damit für unſere
Jugend und unſer Volk weit mehr bedeutet und wertvoller
iſt, als wenn jemand, wenn auch in fleißiger Arbeit, Hunderte von
Arnen ausgräbt und ſie zu den vorhandenen Tauſend in irgendeinem Muſeum
aufſtellt, wiſſenſchaftlich einordnet und dann, vielleicht nach dem Stil der
Keramik, behauptet, beweiſen zu können, daß die Germanen wie die Zigeuner
hin und her gezogen ſeien.
Den deutſchen Bauern intereſſieren grundſätzlich keine wiſſenſchaftlichen
Feſtſtellungen, mögen ſie auch als rein ſachlich und objektiv abgeſtempelt ſein,
wenn ſie dazu angetan ſind, uns unſere Vorfahren verächtlich zu machen oder
ſie nur irgendwie herabzuſetzen. Der Bauer iſt nun einmal Nationalſozialiſt
und glaubt auf Grund ſeiner Erfahrung nicht mehr daran,
daß es überhaupt eine ſogenannte abfolute, rein objek⸗
tive, vorausſetzungsloſe Wiſſenſchaft gibt. Das Bild, das
ſich jemand von unſeren Vorfahren macht, wird ſtets be-
einflußt ſein von den Vorſtellungen, von denen der ⸗
jenige, der das Gemälde entwirft, ſelbſt beherrſcht wird.
Die Bedeutung der Friihgeschichte fir den deutschen Bauern 659
Ein römiſch eingeſtellter Vorgeſchichtsforſcher, das hat
die Praxis zur Genüge erwieſen, wird unſere Vorfahren
ſtets in römiſcher Beleuchtung ſehen. Er wird niemals, weil er
innerlich dem Weſen des Germanentums mit ſeinen Höchſtwerten ganz fremd
gegenüberſteht, das Weſentliche an unſeren Vorfahren erkennen, denn das
Leben der Menſchen wird nun einmal durch die von ihm anerkannten Höchſt⸗
werte und den Charakter beſtimmt. Wer beidem, germaniſchem Weſen und
Charakter, fremd gegenüberſteht, wird niemals eine echte und wahrhafte Dar⸗
ſtellung zu geben vermögen. Aber dennoch wird ein ſolcher Mann uns ſtets
beweiſen wollen, daß ſeine Methode und Art, die Germanen zu ſehen, die
einzig richtige ſei, weil ſie vorausſetzungslos, „abſolut“ und „objektiv“
wiſſenſchaftlich ſei.
Wir find aber der Meinung, daß derjenige, der das Leben unſerer germaniſchen
bäuerlichen Vorfahren erforſchen will, außer einer eingehenden wiſſenſchaft⸗
lichen Vorbildung Eigenſchaften beſitzen muß, die dem Weſen
des Germanentums zum mindeſten ähnlich ſind. Das heißt,
der Vorgeſchichtsforſcher darf dem bäuerlichen Leben
nicht allzu fern ſtehen. Eine längere praktiſche Lehrzeit
auf einem Bauernhof würde ſicherlich febr nützlich fein.
And er muß vor allem feiner Perſon nach die Gewähr bo,
für bieten, daß er dem Geiſt des wahren Germanentums
weltanſchaulich nicht feindlich gegenüberſteht. Er muß die
Gewähr dafür bieten, daß er nordiſch empfindet und daß, wenn er nicht im
Außeren, ſo doch ſeinen Charakteranlagen nach vorwiegend nordiſch iſt.
Wenn wir Nationalſozialiſten die ſogenannte Vorausſetzungsloſigkeit der
Wiſſenſchaft ſchlechthin als unmöglich ablehnen, fo lehnen wir aber
ganz beſonders die Vorausſetzungsloſigkeit der Vor und
Frühgeſchichtswiſſenſchaft ab, denn abgeſehen von rein theore⸗
tiſchen Aberlegungen haben wir wirklich Grund genug dazu. Was hat man
uns denn alles über unſere Vorfahren unter dem Mantel der ſogenannten
wiſſenſchaftlichen Vorausſetzungsloſigkeit und abſoluten Objektivität nicht
für ſchauderhafte Greuelmärchen erzählt. Da behaupten die einen dieſer For-
ſcher, die Germanen hätten ihren Toten aus Angſt vor dem Wiedererſcheinen
Mund, Naſe und Ohren zugenäht und ſie überdies noch
gefeſſelt. Andere erzählen uns, die unvergänglichen und impoſanten Groß⸗
ſteingräber ſeien errichtet, um ebenfalls den Toten an der Wiederkehr zu hin⸗
dern. Das Hakenkreuz ſei das Symbol des Mondes und ein Beweis dafür,
daß die Germanen den Mond nicht nur verehrt, ſondern auch angebetet hätten.
Die germaniſchen Symbole, die wir überall auf altgermaniſchen Waffen fin⸗
den, ſeien, ſo behauptete noch vor zwei Jahren ein bis dahin angeſehener
Vorgeſchichtsforſcher, Kritzeleien arbeitsloſer Germanen. Wieder andere be⸗
haupten, die Germanen hätten überhaupt keine Schriftzeichen gekannt, die
Runen ſeien erſt von den Goten am Schwarzen Meer aus dem griechiſchen
Alphabet übernommen worden. Anſer Pflug ſollte vor noch nicht langer Zeit
aus Agypten oder aber Babylon ſtammen, die Bronze aus dem Orient fom-
men, obgleich ſie an verſchiedenen Stellen in Deutſchland in der natürlichen
Miſchung der Metalle Kupfer und Zinn bergwerklich gewonnen werden
konnte, und der Getreide- ſowie der Weinbau dazu, überhaupt der Anbau von
Gartengewächſen, ſei von fremden Völkern übernommen worden. Es iſt hier
660. | Werner Petersen
nicht der Platz, um auf ſolche und ähnliche das Weſen des Germanentums
völlig entſtellenden Behauptungen näher einzugehen. Es intereſſiert uns nut,
daß alle diefe Behauptungen im Gewande einer ſogenannten vorausſetzungs⸗
loſen objektiven Wiſſenſchaft, meiſt noch ſtark gewürzt mit fremdſprachl ichen
Fachausdrücken, zu uns gekommen find.
Ich weiß, daß der weitaus größte Teil der NE ſolche Be-
hauptungen und Anſichten niemals verbreitet hat. er es iſt daraus zu
erſehen, daß der deutſche Bauer durchaus nicht alles glauben darf und auch
durchaus nicht alles glaubt, was in mehr oder weniger gelehrten Zeitſchriften
über feine Vorfahren geſchrieben wird. Mit ſolcher eben geſchilderten Früh⸗
geſchichte können wir den deutſchen Bauern trotz ſehr ſchöner Abbildungen
ſtilſchöner Waffen und Geräte nicht zum Selbſtbewußtſein und Stolz auf
ſeine Vorfahren erziehen. Aber es genügt auch bei weitem nicht, daß wir
unſerer bäuerlichen Jugend die hohe Sivilifation und Technik der Germanen
eigen. Gewiß iſt es notwendig, daß wir den Bauernjungen zeigen, wie
ſchon vor mehr als 5000 Jahren ihre Vorfahren Pflüge zu bauen verſtanden,
und daß zu eben derſelben Zeit von dieſen ſchon Beilklingen und Dolche
angefertigt wurden, deren Linienführung an Formſchönheit nichts zu wünſchen
übrig läßt. Es genügt nicht, wenn wir der deutſchen Jugend zeigen, daß ſchon
in der Bronzezeit auf hochentwickelten Webſtühlen herrliche Gewänder gewebt
wurden, und daß man ſchon verſtand, dieſe Stoffe mit ſelbſtgewonnenen
Farben zu färben, ſelbſt wenn wir betonen, daß dieſe prächtigen Gewänder
uns heute noch als Vorbild für unſere Kleidung dienen könnten. Das alles,
auch wenn wir unſeren Bauern noch viel mehr von dieſer längſt vergangenen
altgermaniſchen Kultur zeigen würden, das alles genügt nicht, denn das iſt
ja nur die eine Seite, das iſt nur die Sachkultur. Wir müſſen tiefer
eindringen, bis zu den geiſtigen Wurzeln hindurchdrin⸗
gen, aus denen der Antrieb und die Befähigung zu dieſem
Kulturſchaffen kommt.
Dieſe Sachkultur allerdings iſt das Gebiet, auf dem die Vorgeſchichtler
zu Hauſe find, auf dem fie hauptſächlich arbeiten. Das kann uns aber nicht
davon abhalten, dem Bauern die Entwicklung und den Stand der geiſtigen
Kul tur unſerer Vorfahren zu zeigen, für welche neuerdings einige ſogenannte
„Außenſeiter“ ſo weſentliche Beiträge gebracht haben. Denn es iſt nicht
wahr, daß uns für die geiſtige Kultur unſerer Vorfahren alle Beweiſe fehlen.
Es ijt auch nicht wahr, daß z. B. die überall eingeritzten Symbole nur Krige-
leien und Spielereien arbeitsloſer Germanen ſind. Wir können heute ohne
jede Phantaſie, auch ohne Erberinnern und ohne eine nicht zu verſtehende
Myſtik von einer Reihe dieſer altgermaniſchen Symbole beweiſen, was ſie
bedeutet haben. And weil wir das können, ſo können wir daraus nicht allein
die geiſtige Haltung, ſondern auch die Vorſtellung ableiten, die man ſich einſt
von dem Anendlichen wie von dem Endlichen der Welt machte.
Es iſt ein Irrtum, zu glauben, daß wir aus den durch
Grabungen gewonnenen Trümmern allein dieſe verſun⸗
kene herrliche Welt der Germanen wieder aufbauen fönn-
ten. Dazu bedarf es ganz anderer Anſtrengungen und wahrſcheinlich auch
völlig neuer wiſſenſchaftlicher Methoden. Nun iſt aber deshalb eine neue
Forſchungsmethode und ein bisher noch nicht beſchrittener Weg nicht verkehrt,
weil er bisher von der Wiſſenſchaft noch nicht beſchritten wurde, ſondern
Die Bedeutung der Frühgeschichte für den deutschen Bauern 661
manches, was bisher, mit welchen Methoden auch immer, noch nicht erforfcht
werden konnte, iſt uns auf ganz anderen, bisher noch nicht beſchrittenen Wegen
zugänglich.
Wer aber, ob von der Fachwiſſenſchaft anerkannt oder nicht, dieſe in
zahlloſen Trümmern nun vor uns liegende Welt des (Ger,
manentums in dem ſie einſt beherrſchenden Geiſt wieder
vor unſerem geiſtigen Auge erſtehen läßt, gibt uns, gibt dem
Bauern und dem ganzen deutſchen Volke mehr als viele von denen,
die zu den Millionen Scherben in unſeren Muſeen immer
neue Bruchſtücke und Trümmer ſammeln. Nicht nur im deut-
ſchen Boden, ſondern im Brauchtum, in der Sprache, in den überlieferten
Symbolen und Sinnbildern, in Sprichwörtern, Märchen und Sagen und in
Flurbezeichnungen iſt das Erbe unſerer germaniſchen Ahnen zu finden. And
wir haben die Pflicht, all dieſe Quellen unſerer Jugend zu erſchließen.
Im letzten Jahrtauſend nahm man unſerem Volke ſeine Geſundheit.
Syſtematiſch wurde das Vertrauen zu feinem eigenen
Werte ihm genommen. Man zog das deutſche Volk bewußt und
raffiniert von ſeinem eigenen Weſen ab und erſetzte das entſtehende Vakuum
durch weither aus der Fremde geholte Elemente artfremder Kultur und Zivi⸗
liſation. Durch dieſes in gewaltigen Doſen verabreichte Gift iſt der germa⸗
niſche Volkskörper ſchwer erkrankt. Aus dem Germanentum allerdings wurde
ſo unter dem Einfluß des fremden Elementes etwas Neues, und das war
ſicherlich geſchichtlich notwendig. Es wurde das Deutſchtum des
Mittelalters. Aber als man genau zuſah, war es mehr
römiſch, griechiſch und orientaliſch als germaniſch. And
je länger es dauerte, um ſo mehr fremdes Gift in Geſtalt fremder Kultur
drang in den Organismus dieſes deutſchen Volkes ein. And nachdem der
nordiſche Geiſt, das germaniſche Weſen ſich vergeblich gegen das Fremde zu
allen Zeiten aufbäumte, erkrankte unſer Volk, unſere Kultur immer mehr und
mehr, wenn auch auf kulturellem Gebiet und hier und da aus dem Zwie⸗
ſpalt des Fremden und Arteigenen herrliche Kulturſchöpfungen
erblühten. Die Krankheit griff immer weiter um ſich. Das deutſche Volk
verkam einerſeits im düſteren mittelalterlichen Aberglauben, andererſeits aber
in einem ſtoffanbeteriſchen Aufklärungsgeiſt und zuletzt in einem jüdiſch⸗
orientaliſchen Marxismus.
Aber in der allerhöchſten Not wandte ſich das Volk von den „approbierten
Fachärzten“ ab und genas ſozuſagen durch Naturheilmethoden. D. h. Männer
ſeiner Art und ſeines Weſens mit heißem Herzen für die germaniſche Art und
hoher ſchöpferiſcher Geſtaltungskraft deckten die Quellen der arteigenen deut⸗
ſchen Volkskraft wieder auf und verhalfen den alten germaniſchen Höchſt⸗
werten wieder zu allgemeiner Anerkennung. So fing unſer Volk an, zu ge⸗
funden. Aus den Tiefen ſeines Weſens brach nun germani-
ſcher Geiſt wieder hindurch zum Licht und begann wieder
die Wirklichkeit geſtaltend zu beeinfluſſen. Wenn der Natio-
nalſozialismus in, Deutſchlands ſchwerſter Zeit das Volk um ſeine Fahnen
ſcharen konnte, ſo nicht zuletzt deshalb, weil Männer wie Richard Wagner,
Houſten Stuart Chamberlain, Guſtav Ruhland, Guſtaf Coſſinna, Hermann
Wirth, Hans F. K. Günther, R. Walther Darré und andere germaniſches
Weſen und germaniſche Werte zum erſten Male wieder zu allgemeiner Gel-
662 Werner Petersen
tung gebracht hatten und weil fchließlich der Führer ſelbſt durch den ell
an dieſe Werte die politiſche Revolution vollzog. >
‚Die germanifche Wiedererweckung aber ift mit der Machtergreifung noch
nicht beendet. Wir ſtehen am erften Anfang. Der Volkskörper
beginnt erſt jetzt allmählich zu gefunden. Erſt langſam wird
das fremde Gift ausgeſchieden, und artfremde Begriffe und Werte werden
durch arteigene erſetzt. Dabei iſt der Kampf um arteigenes Weſen auf allen
Gebieten unſeres Lebens entbrannt. Wer uns da mithilft, ob Fachmann
oder nicht, iſt uns willkommen. Es geht in dieſem Kampf nicht um wiſſen⸗
ſchaftliche Hypotheſen und Kompetenzen, es geht um Deutſchland
{elbft. In diefe große Auseinanderſetzung von ficherlich größter geſchicht⸗
licher Bedeutung hat uns das Schickſal und der Führer hineingeſtellt, und
die Geſchichte allein wird einſt feſtſtellen, ob wir unſeren Aufgaben gewachſen
waren. Dieſer große Kampf aber bewegt die Jugend in
erſter Linie. Die Jugend, der wir die geiſtigen Waffen zu liefern haben
für einen Kampf, der vermutlich nicht mehr von uns, ſondern von unſeren
Kindern zum entſcheidenden Siege geführt wird.
Aber noch eine andere Aufgabe hat die Vor- und Frühgeſchichte im natio-
nalſozialiſtiſchen Erziehungswerk zu leiſten. Wie die Geſchichte nicht
zuletzt dazu da iſt, um aus ihr zu lernen, ſo vor allem auch
die frühe und früheſte Geſchichte. Während uns z. B. die Stein⸗
und Bronzezeit auf Grund der bisher gewonnenen Erkenntniſſe nur wenig
und Anſicheres über das Schickſal der einzelnen germaniſchen Stämme erzählt,
erfahren wir zur Römerzeit aus den verſchiedenſten, insbeſondere aber aus
den Quellen römiſcher Schriftſteller manches, was für uns heute noch von
größtem Wert ſein kann, wenn wir es nur richtig ſehen und darſtellen.
Wenn wir dieſe Zeit unſerer bäuerlichen Jugend wieder lebendig machen,
wenn wir zeigen, wie z. B. das Bauernvolk der Cherusker ſich fiegreich gegen
Rom erhebt und verteidigt und ſogar das beſte römiſche Heer in einer gewal-
tigen Schlacht vernichtete, wenn wir erzählen, wie dieſer ſtolze germaniſche
Herzog, der als erſter vielleicht verſuchte, die germaniſchen Stämme gegen
Rom zu einigen, aber von der Eiferſucht und gehäſſigen Zwietracht im eigenen
Volke ſchmählich verraten wurde, ſo iſt das wohl in erzieheriſcher Hinſicht
wertvoller, als wenn wir unſere Jugend ſämtliche griechiſchen und lateiniſchen
Klaſſiker auswendig lernen laſſen. Der bataviſche Bauernführer Civilis, der
mit ſeinen Bauern das feſte Lager zweier römiſcher Legionen am Niederrhein
ſtürmt, bedeutet uns deutſchen Bauern heute mehr als irgendeiner jener vor:
nehmen Potentaten, deren Geburts- und Sterbejahr wir in Ermangelung
bemerkenswerter Taten in der Schule auswendig lernen mußten.
Genau ſo verhält es ſich mit der Geſchichte der germaniſchen Stämme zur
Völkerwanderungszeit. Dieſe germaniſche Geſchichte kann in unſeren Schulen
gar nicht eingehend genug vorgenommen werden, denn ſie zeigt uns zweierlei
wichtige Momente überaus draſtiſch. Zunächſt beweiſt dieſe Geſchichte, daß
germaniſche Stämme niemals ohne Not auf die Wanderſchaft
gegangen ſind. Immer war es der Mangel an Nahrung, der Mangel
an Land, der die germaniſchen Bauern dorthin trieb, wo ſie Ackerland
erhofften. Intereſſant und lehrreich iſt faſt in jedem Falle beſonders die
Landnahme. Faſt immer ſchicken die Germanen Geſandtſchaften und
bitten den Staat, in deſſen Gebiet ſie ſich anſiedeln wollen, um Anweiſung
von Ackerland. Sie erklären ausdrücklich, daß ſie friedlich ihren Acker bebauen
Die Bedeutung der Frühgeschichte fiir den deutschen Bauern 663
wollen und daß He den Landesgeſetzen gehorchen wollen. Niemandem wollen
ſie Hab und Gut fortnehmen. Nur dann, wenn man ihnen ihre Bitten nicht
gewährt, wenn ſie nicht anders können, greifen ſie zum Schwert. Das zeigt
geradezu ergreifend die Geſchichte der Goten. Dieſe Men-
ſchen waren nicht ſo, wie manche römiſche Schriftſteller ſie 1 hatten.
Sie wollten nicht mit dem Schwerte das erreichen, was ſie ebenſogut mit dem
Pfluge erlangen konnten. Die Geſchichte der Völkerwanderung beweiſt das
wiederholt, und nichts iſt ſo charakteriſtiſch für das angeborene Bauerntum
dieſer germaniſchen Stämme als die Tatſache, daß die Germanen jedesmal
im neubeſetzten Lande Acker- und Gartenbau zu höchſter Voll-
kommenheit bringen. Die Städte aber werden von ihnen ängſtlich
EA ja fie ſpotten über diefe als Zwingburgen und Gefängniſſe freier
enſchen.
Zum zweiten aber zeigt die Geſchichte der germaniſchen Völkerwanderung
unwiderleglich, daß germaniſche Völker nur ſo lange leben können, wie Blut
und Boden in engſter Verbindung bleiben. Finden dieſe germa⸗
niſchen Stämme nicht den ihnen zuſagenden Ackerboden, oder iſt das Klima
für einen Ackerbau im europäiſchen Sinne nicht geeignet, ſo gehen die Völker
ſchnell zugrunde.
Anter dem üppigen Klima verweichlichen ſie. Die Vandalen um Karthago
beleuchten das ſehr gut. Das Klima ſcheint auch, da es nicht mehr alle Kräfte
zur Selbftbehauptung beanſprucht, die ſittliche Kraft der germaniſchen Völker
nachteilig zu beeinfluſſen. Es kommt zur Vermiſchung mit fremdraſſigem Blut,
und ſchon nach wenigen Geſchlechterfolgen können die Enkel und Arenkel nicht
mehr das Land behaupten, das die Ahnen mit Blut einſt erworben hatten.
Lehrreich und tragiſch zugleich iſt aber auch deshalb dieſe germaniſche Ge⸗
ſchichte der Völkerwanderungszeit, weil ſie den alten Erbfehler der Germanen,
die Zwietracht oder doch das Sich⸗nicht⸗einigen⸗Können, und die hieraus
entſtehenden Folgen zu wiederholten Malen draſtiſch zeigt.
Aberblicken wir noch einmal rückſchauend die Bedeutung der Frühgeſchichte
für das deutſche Bauerntum, ſo ergibt ſich, daß der deutſche Bauer der in
germaniſch⸗deutſchem Sinne betriebenen Frühgeſchichtswiſſenſchaft die Be-
freiung von einem ihm Jahrhunderte hindurch aufgezwungenen Minder⸗
wertigkeits gefühl verdankt. Daß aber weiterhin eine im wahrhaft
deutſchen Sinne betriebene und angewandte Frühgeſchichte
uns wieder zu unſerem eigentlichen Weſen und den ewigen Werten un⸗
ſeres Volkstums zurückführen kann und damit nicht nur zu einer
möglichen neuen deutſchen Kultur Antrieb und Ausgangspunkt ſein wird,
ſondern daß eine ſolche Frühgeſchichte den Boden ſchon ſeit Jahrzehnten vor⸗
bereitet hat, auf dem ſpäter die nationalſozialiſtiſche Revolution gedeihen
konnte. Eine im deutſchen Sinne betriebene Frühgeſchichte hat aber darüber
hinaus die große Zukunftsaufgabe, wirkſame Waffen in dieſem welt⸗
geſchichtlichen Kampfe um Deutſchland gegen die Herrſchaft des Mittelalters
zu liefern. Das deutſche Bauerntum aber wird erkennen, daß ſchon in fernſter
Zeit germaniſches Schickſal, wie heute das deutſche Schickſal, von der engen
Verbindung zwiſchen Blut und Boden abhing. l
Für die weltanſchauliche Schulung der Landjugend ift die Frühgeſchichte
heute als wahrhaft nationale Wiſſenſchaft gar nicht zu entbehren,
und es iſt unſer Wille, dieſem Gebiet weiteſtgehenden Platz bei der Erziehung
zu nationalſozialiſtiſchem Denken einzuräumen.
Ernſt Ferber: | |
Das Ende der liberalen Volks⸗ und Landwirtfchaftsiehre
Zur neuen volle» und land wirtſchaftlichen Studienordnung
Sozialismus ift die geiſtige Haltung, die aus dem Glauben an den Bor-
rang der Gemeinſchaft vor dem eigenen Ich erwächſt. Von dieſer innerlichen
Haltung hängt, weil fie Grundlage alles Handelns ijt, mehr oder weniger
alles ab. Aber dieſe Haltung allein tut es noch nicht. Denken wir nur an die
Zeit, in der die deutſche Landwirtſchaft noch unter der Botmäßigkeit eines
volksfremden, parafitären Händlerkapitals ſtand, das die Preiſe berout, oder
heruntergehen ließ, ob die Bauern dabei zugrunde gingen oder nicht! Hätte
bei dem Tiefſtand der landwirtſchaftlichen Preiſe vor der Machtübernahme
ein deutſcher Händler ſich geſagt, bei dieſen Preiſen kann die Landwirtſchaft
nicht leben, und hätte er dieſe Erkenntnis in die Tat umgeſetzt und höhere
Preiſe gezahlt, als fie die Börſe notierte, hätte er fih ſelbſt zugrunde ge-
richtet und doch nicht helfen können!
Die Geſinnung, die Haltung allein genügt alſo noch nicht. Solange es
Menſchen gibt, die nichts von dieſer Geſinnung wiſſen wollen, bliebe der
Sozialismus einzelner ohne die gewünſchte Wirkung. Anders aber, wenn dieſe
Geſinnung im Wirtſchafts recht einen Niederſchlag gefunden hat, wenn eine
Rechtsordnung beſteht, die die allgemeine Verwirklichung dieſer ſozialiſtiſchen
Geſinnung verbürgt. Hätte, um auf das frühere Beiſpiel zurückzukommen, der
Staat für den Bereich der Landwirtſchaft keine neue Rechtsordnung ge⸗
ſchaffen, gäbe es das Reichsnährſtandgeſetz nicht, dann würde der Bauer trotz
nationalſozialiſtiſcher Revolution genau ſo ausgebeutet werden wie früher,
oder es hätten ſich kartellähnliche ee die dann in Gruppen:
egoismus gemacht hätten, während heute die Marktverbände des Reichsnähr⸗
ſtandes durch Geſetz auf das Gemeinwohl verpflichtet ſind. Allerdings gilt
von dem neuen Recht das, was Profeſſor Dr. von Gottl-Ottlilienfeld, einer
der Schöpfer der neuen volkswirtſchaftlichen Studienordnung, jüngſt ſo
treffend von der neuen Rechtswiſſenſchaft ſchrieb, daß man ſich hinter ihr
„eben nicht länger die alte Jurisprudenz geſchäftig vorſtellen darf, mit ihrer
Begriffsrabuliſtik und ihrem wortgebundenen Denken; nicht alfo jene Juris⸗
prudenz, in deren Licht ſich das Recht, als ſchales Paragraphenrecht, rein nur
wie etwas das Wirtſchaftsleben ſchlechthin Zwingendes ausnahm. Vielmehr
muß man ſich das juriſtiſche Denken, zu dem nun auch der Wirtſchaftsrechtler
regelrecht geſchult werden ſoll, ſchon in ſeiner neuen Haltung vorſtellen, als
ein das wahre Recht erfaſſendes Ordnungsdenken. Dieſes geläuterte juriſtiſche
Denken aber kommt geradeaus dem richtigen Denken über die Wirtſchaft ent⸗
gegen, einem Denken, mit dem die Wirtſchaft ſelber als eine ſtets von neuem
zu ſchaffende Ordnung erfaßt wird; als eine Geſtaltung nämlich, als ein
Zuſammenordnen aller Vorgänge des Lebens zu Dauer und Beſtand, in
Das Ende der liberalen Volks- und Landwirtschafslehre 665
an beſtimmten Geiſte — im Geiſte dauernden Einklangs von Bedarf und
e ng.“ e
Soll Recht und Wirtſchaft im nationalſozialiſtiſchen Sinn geftaltet werden,
ſo bedarf es einer Wiſſenſchaft, die ſelbſt von einer völkiſchen und ſozialiſti⸗
ſchen Grundentſcheidung ausgeht, alſo nicht jede Bindung an Volk, Staat,
Raffie und Berufsſtand verneint, die individualiſtiſch ift, wie die der Ober,
kommenen Volks wirtſchaftslehre. Entſprechend dieſer falſchen Grundeinſtellung
erſchöpfte ſie ſich ja ſchließlich in der Aufweiſung der im mathematiſchen Sinne
funktionalen Abhängigkeitsverhältniſſe der Güterpreiſe voneinander. Ihr Ge⸗
genſtand war alſo eine abſtrakte Verkehrswirtſchaft, in der nicht die der Wirt⸗
ſchaft vom Staat geſetzten Ziele zu herrſchen hätten, wie es eine völkiſche
Grundentſcheidung fordert, ſondern das angeblich automatiſch wirkende Geſetz
von Angebot und Nachfrage. Nun gab es ſicher Wiſſenſchaftler, die ſich ſtets
darüber klar geweſen ſind, daß es ſich bei dieſer Lehre nur um eine Abſtraktion
handelt. Tatſächlich galt aber dieſe abſtrakte Verkehrswirtſchaft ohne Bindung
an Volk, Staat und Verufsſtand als das zu erſtrebende Ideal. Was bedeutete
nun dieſes im Mittelpunkt der überkommenen Volkswirtſchaftslehre ſtehende
Geſetz von Angebot und Nachfrage in der Praxis? Wie die Wirtſchafts⸗
geſchichte lehrt, einen durchgängigen ökonomiſchen Nationalismus, der alles
dem losgelöſten Erwerbsſtreben unterwirft und notwendig zur Proletarifie-
rung der arbeitenden Menſchen führte. Es bedeutete den Drang zur mög⸗
lichſten Beweglichkeit, den Grund und Boden, den völkiſchen Lebensraum
nicht ausgenommen. Es bedeutete eine revolutionär fortſchreitende Technik, die
großbetriebliche, vorwiegend anorganiſch bedingte Maſſenerzeugung. Es be⸗
deutete die Leitung der volkswirtſchaftlichen Kapitalſtröme nach dem Ort des
(vermeintlich) höchſten Zinsertrages und deshalb Vernichtung der kleineren
und mittleren Exiſtenzen in Gewerbe und Landwirtſchaft. Es bedeutete
ſchließlich die Beſeitigung aller wirtſchaftlichen Bindungen und die Zer-
ſtörung der Selbſtverſorgung auf allen Stufen der Wirtſchaft, der Volkswirt.
ſchaft, die ihre Rohſtoffgrundlage verkümmern ließ, der VBauernwirtſchaft, die
ihre betriebseigene Futtergrundlage aufgab: mit einem Wort das Chaos.
Von der Volkswirtſchaftslehre gingen dieſe vom Weſten übernommenen
individualiſtiſch⸗ liberalen Anſchauungen, wie ſchon angedeutet wurde, auch in
die Landwirtſchaftslehre über. In Deutſchland war es Albrecht Thaer, der die
Folgerungen aus dieſer Lehre für die Landwirtſchaft zog. Als das Ziel, das
dem Landwirt bei ſeiner Arbeit vor Augen zu ſchweben habe, galt ihm: „nicht
die höchſtmögliche Produktion aus dem Boden zu ziehen, ſondern den höchſt⸗
möglichen Gewinn daraus zu erhalten“. Deshalb gab er auch dem Groß⸗
betrieb, was für die ganze landwirtſchaftliche Betriebslehre bis zur Macht⸗
übernahme (mit Ausnahmen ſelbſtverſtändlich) bezeichnend war, einſeitig den
Vorzug. Zwar wandte er ſich gegen das Bauernlegen, das damals an der
Tagesordnung war, aber auch gegen jeglichen Bauernſchutz. „Will der arm⸗
ſelige, verſchuldete Bauer“, ſchreibt er einmal, blind für die Wirklichkeit,
„ſeinen Hof freiwillig an den großen Gutsbeſitzer verkaufen ... fo werden
Produktion und Bevölkerung mehr dabei gewinnen als verlieren.“
Einen heute noch zu wenig gewürdigten Vorſtoß gegen das Eindringen
weſtleriſchen Denkens in die deutſche Volks⸗ und Landwirtſchaftslehre unter⸗
nahmen die Romantiker — allen voran der freilich hier und da auch von über⸗
holten feudaliſtiſchen Vorſtellungen ausgehende Adam Müller. „Ver⸗
mehrung des jährlichen Reinertrages, insbeſondere des Geldertrages“, hält
666 Ernst Ferber
er der liberalen Wirtſchaftslehre entgegen, „ift der anerkannte Zweck dieſer
vorgeblich rationalen Theorie; alſo die freie Konkurrenz der Käufer und Ver⸗
käufer über die ganze Erde Grundgeſetz und Hauptbedingung aller Wirtſchaft.
Könnten Sie leugnen, daß auf dieſem Wege das heilige Bündnis eines
Volkes mit ſeinem Boden, die Verſchlungenheit aller arbeitenden Glieder der
Geſellſchaft untereinander und ihr Verwachſenſein in einen unabhängigen
Körper in jedem Moment wieder aufgelöſt wird, daß der Staat unaufhörlich
auswärtiger Handelskraft und deshalb auch auswärtiger Waffenkraft anheim⸗
fällt, und daß die Arbeit und das Bedürfnis dieſes Volkes ſich nicht etwa
untereinander, wie es ſich gebührt, bedingen und verſchlingen, ſondern daß
jeder einzelne Arbeiter für fih mit den Bedürfniſſen des Weltmarktes in ab-
geſonderten Verkehr tritt, während ſein beſonderes Vaterland dieſen Verkehr
zu verbürgen immer unfähiger wird.“ Beſonders ift aber unter dieſen Män-
nern Friedrich Liſt zu nennen. Nicht die Tauſchwerte machen nach Liſt
den Reichtum einer Nation aus, wie er einmal gegen die von Weſten über⸗
kommene Lehre, die Verwirtſchaftung des ganzen Lebens und die Kapital-
fehlleitungen in ihrem Gefolge ſchreibt; entſcheidend ſei vielmehr, ob Wiſſen⸗
ſchaft und Künſte blühen, ob die öffentlichen Inſtitutionen und Geſetze Reli-
gioſität, Moralität und Intelligenz, Sicherheit der Perſon und des Eigentums,
Freiheit und Recht ee ob in der Nation alle Faktoren des mate-
riellen Wohlſtandes, Agrikultur, Manufakturen und Handel, gleichmäßig und
harmoniſch ausgegliedert ſind, ob die Macht der Nation groß genug iſt, um
den Individuen den Fortſchritt in Wohlſtand und Bildung von Generation
zu Generation zu ſichern und fie zu befähigen, nicht nur ihre inneren Natur-
kräfte in ihrer ganzen Ausdehnung zu benutzen, ſondern auch durch auswärtigen
Handel und Kolonialbeſitz die Naturkräfte fremder Länder ſich dienſtbar zu
machen. And jetzt nur noch einen letzten, früher nicht geachteten, aber heute
wieder zu Ehren gekommenen Namen: Guſtav Ruhland. Da war ein
Mann, der den Mut hatte, Außenſeiter zu ſein, der den liberalen Schwindel
von der Eigengeſetzlichkeit der Wirtſchaft, von Wirtſchaftsautomatik und Frei-
handel nicht mitmachte, dagegen Vorſchläge zu einer Ordnung der Märkte
mit landwirtſchaftlichen Erzeugniſſen brachte, von denen fih der Reichsnähr-
ſtand bei ſeiner praktiſchen Geſtaltung teilweiſe leiten laſſen konnte — aber
die offizielle reichsdeutſche Aniverſitätswiſſenſchaft erkannte ihn nicht an, eine
Großbank kaufte ſchließlich ſeine Werke auf, bis R. Walther Darré das
Hauptwerk wieder herausgab. |
Dieſer kurze geſchichtliche Aberblick zeigt, daß es nicht nötig war, daß fih
die Volkswirtſchaftslehre in Deutſchland an weſtleriſchen Vorbildern, die
noch dazu deutſchem Weſen nichts zu geben vermochten, orientierte. Erfreu⸗
licherweiſe ift die neue volkswirtſchaftliche Studienordnung weniger auf eine
Anderung des Studienbetriebes als vielmehr der Wiſſenſchaft eingeſtellt, und
die neuen Richtlinien verlangen eine gänzliche Abkehr von der überkommenen
liberalen Lehre. So bringt das erſte Semeſter eine Vorleſung über „Volk
und Wirtſchaft“, zu der es in den Richtlinien heißt, daß ſie zeigen ſoll, daß
Wirtſchaft nicht vom Markte oder von der Anternehmung (wie bei der libe⸗
ralen Lehre alſol), ſondern vom Volke her verſtanden ſein will, und wie ſie,
in Geſtalt der Volkswirtſchaft, den deutſchen Sozialismus zu verwitklichen
hat. Mit dieſer Vorleſung, heißt es in den Richtlinien weiter, foll allen
wirtſchaftswiſſenſchaftlichen Vorleſungen die völkiſch⸗ſozialiſtiſche Richtlinie,
alſo die allem Studium und allem praktiſchen Tun vorausgehende richtige
Das Ende der liberalen Volks- und Landwirtschafslehre 667
Grundentſcheidung, von der ich oben ſprach, vorgezeichnet werden. Es folgt
dann im zweiten Semeſter die eigentliche Volkswirtſchaftslehre, die in ſyſte⸗
matiſcher Weiſe mit den Weſensgeſetzen und der Geſtalt der Wirtſchaft ver⸗
traut zu machen hat. Im Anſchluß an dieſe Vorleſung ſollen, wie es in den
Richtlinien heißt, Abungen die allgemeinen Lehren von Geſtalt und Bewe⸗
gung der Volkswirtſchaft im Sinne lebensnaher (nicht alſo der überkommenen,
abſtrakt⸗individualiſtiſchen) Theorie dem Verſtändnis näherbringen. Zur
Vorleſung „Geſchichte der Wirtſchaft und der Wirtſchaftslehre“ im ſelben
Semeſter heißt es, daß ſie ſowohl die Geſchichte der bewegenden Kräfte und
der geſtalthaften Ordnung auf wirtſchaftlichem Gebiet im Rahmen der völkiſch⸗
politiſchen und kulturellen Geſchichte wie auch die Geſchichte der wirtſchafts⸗
wiſſenſchaftlichen Lehrmeinungen in ſinnvoller Eingliederung behandeln ſoll.
Es wird damit auf den inneren Zuſammenhang zwiſchen Leben und Lehre,
der nicht geſtört ſein darf, hingewieſen. Daß die Richtlinien eine grund⸗
ſätzlich neue Einſtellung der Wirtſchaftstheorie verlangen, geht weiter aus der
Bemerkung zu der gleichfalls im dritten Semeſter abzuhaltenden Vorleſung
„Bewegungsvorgänge in der Volkswirtſchaft“ hervor. Sie ſoll nach den Richt-
linien zwar beſonders auf die dynamiſchen Vorgänge in der Volks wirtſchaft
abgeſtimmt ſein, jedoch nicht nur im Sinne der bisherigen Konjunkturtheorie
einer fih ſelbſt überlaſſenen kapitaliſtiſchen Wirtſchaft. Ebenſo fol die Bor-
leſung über Außenwirtſchaft nicht Weltwirtſchaftslehre als bloße Weltmarkts⸗
lehre ſein, ſondern alle über die Grenzen hinausgehenden Wirtſchaftsvorgänge
als einen Teil der Volkswirtſchaft ſelbſt und von da aus das Zuſammenſpiel
aller Volkswirtſchaften behandeln. Schließlich ſoll die Vorleſung über „Geld
und Kredit“ keine Geld- und Leihprofitlehre im kapitaliſtiſchen Sinne fein,
vielmehr im allgemeinen und vom Standpunkt der deutſchen Volkswirtſchaft
aus behandeln, wie in dieſe ſich das Kredit⸗ und Währungsweſen einbaut und
welche Funktionen es erfüllt.
Auch die Landwirtſchaftslehre wird nach den neuen Richtlinien für das
landwirtſchaftliche Studium aus einem engumgrenzten Fachgebiet mit einer
ganz auf den rechenhaften Erfolg und den Großbetrieb eingeſtellten Problem-
ſtellung nunmehr von den großen volkspolitiſchen Aufgaben von Bauer und
Landwirt ausgehen und die landbautechniſchen und betriebswirtſchaftlichen
Fragen von hier aus ſehen und löſen müſſen. Man wird deswegen ſelbſt⸗
verſtändlich die kauſalmechaniſche und experimentelle Betrachtungsweiſe nicht
aufzugeben brauchen, aber ihrer Grenzen wird man ſich bewußt ſein müſſen, in
ihr nur ein Hilfsmittel der Forſchung ſehen dürfen. Das Experiment, ſagt
Profeſſor Dr. Konrad Meyer, der zuſtändige Referent im Anterrichtsminiſte⸗
rium, jüngſt in dieſem Zuſammenhang richtig, könne immer nur Teilerſchei⸗
nungen erfaſſen, während die Wirklichkeit aber ein unteilbares Ganzes iſt,
das nur als Ganzes wahrgenommen oder, wie er ſagte, erlebt werden könne.
Man könne ſich wohl einen landwirtſchaftlichen Betrieb in rationell-vollendeter
Weiſe Eonftruieren, man erhalte dann aber einen Mechanismus, kein geglie⸗
dertes und lebendiges Ganzes, das zur Dauerleiſtung befähigt wäre.
Dieſer kurze Aberblick dürfte wahrſcheinlich ſchon die ganze Bedeutung der
neuen volks- und landwirtſchaftlichen Studienordnung haben erkennen laffen.
Sie ſtellt an die landwirtſchafts⸗, noch mehr aber an die ſtaatswiſſenſchaftlichen
Fakultäten die größten Anforderungen. Nicht nur weil ſie eine Fülle neuer
Vorleſungen bringt, ſondern weil dieſe Vorleſungen eine Abkehr von der
überkommenen, individualiſtiſch⸗liberalen Lehre verlangen. Es iſt aber laum
668 Wilhelm Scheuermann
möglich, daß ein Wiſſenſchaftler, der geftern noch ſolche Tehlvorſtellungen
vom Weſen der Wirtſchaft hatte, daß er die entſcheidenden Grundgedanken
der Volks wirtſchaftslehre in eine mathematiſche Formel hineinpreſſen zu
können meinte, der weiter den Boden, gar ſelbſt die Arbeitsleiſtung theoretiſch
mit irgendwelchem Sachgut auf die gleiche Stufe ſtellte, heute Vorleſungen
im Sinne der Richtlinien halten kann. Der Hauptſchriftleiter der „National-
ſozialiſtiſchen Landpoſt“, Edmund Sala, ſchreibt daher jüngſt treffend: „Es
ſteht außer Zweifel, daß jede Studienreform nur der erfte Schritt ſein kann,
dem folgerichtig eine Reform des Lehrkörpers nachfolgen muß. Hier iſt noch
eine Aufgabe zu erfüllen, bei der die Kompromißloſigkeit des Vorgehens erſte
Vorausſetzung für den Erfolg iſt.“ .
Wilhelm Scheuermann:
Die Bauernverſklavung
Während wir für viele Gebiete aus Mangel an Einzelforſchungen den
ganzen Amfang des Elendes nur ſchätzen können, den der Weſtfranke Karl
über den germaniſchen Frei- und Edelbauern gebracht hat, liegen genaue und
bisher nicht genügend beachtete Anterſuchungen ſeitens des Luxemburger
Archivars N. van Werveke (eines liberalen Katholiken) vor. Sie betreffen
das Kerngebiet der karolingiſchen Hausmacht, das jetzige Großherzogtum
Luxemburg mit den anſchließenden Nachbarſtrichen des Erzbistums Trier,
Lothringens, des Saarlandes, nördlich anſchließend die heute zu Frankreich,
Belgien gehörenden und bis an die deutſche Eifel reichenden Bezirke der
Ardennen, der ehemaligen Grafſchaft Chiny, Eupen⸗Malmedys mit der ebe,
maligen Abtei Stevelot.
Für die vorkarolingiſche Zeit der Freiheit ſtellt der Forſcher eine ftarfe
Viehhaltung feft, die neuerdings vereinzelt, aber ohne Angabe von Unterlagen,
bezweifelt worden iſt. So erreichte entſprechend der Bedeutung, die gerade
der Reichsbauernführer Darré der germaniſchen Schweinehaltung zugewieſen
hat, der Beſtand an Schweinen beim durchſchnittlichen Einhufenbauer bis an
50 Stück, womit er der Zahl der gehaltenen Schafe gleichkam. Den Pferde⸗
beſtand beziffert der Forſcher auf 7 bis 12 Stück, die Rinderherde auf 17 bis
25 Haupt, beides in Abereinſtimmung mit den uns in den Geſetzen der ſaliſchen
Franken gemachten Angaben.
Im Jahre 888 ergeben die Archive folgendes verändertes Bild: Freie Hufen
ſcheinen nur noch vereinzelt in den wegloſen Ardennen zu beſtehen, wo ſie ſich
nach Ausweis der Weistümer bis ins 16. Jahrhundert erhalten. Ihre Inhaber,
die in den ſpäteren franzöſiſchen Arkunden die Bezeichnung francs hommes
führen, bleiben abgabenfrei, haben nur dem Landesherrn mit Roß und Har-
niſch zu dienen.
Die ganze Maſſe der Bauern iſt unfrei geworden bis zu dem Grade, daß
ihnen nicht einmal das Recht zur Ehe zuſteht, ſondern nur zu einem Beilager
Die Bauernversklavung 669
nach Art der römiſchen Sklaven. Eine Urkunde des 10. Jahrhunderts beklagt
ſich nach Aufzählung der langen Reihe der Gutsarbeiterinnen und ihrer ledigen
Kinder geradezu darüber, daß zwei der mannbaren Mädchen noch kinderlos
find und „zu der Vermehrung der unfreien Leute noch nicht den ſchuldigen
Tribut entrichtet haben.“ |
Die Bauern haben durchſchnittlich in der Woche drei volle Frontage zu
leiſten, alſo im Jahre 156 Tage. Dazu ergeben ſich im einzelnen u. a. folgende
Verpflichtungen neben der ſelbſtverſtändlichen Zahlung des Zehnten: Die
Bauern der Abtei Prüm in Remich, Bech, Schwebſingen, Winchringen und
Remerſchen haben gemeinſam alle Arbeiten auf den in Remich liegenden
30 Hufen der Abtei zu verrichten, dabei alle Ackerländereien, Wieſen, Wein⸗
berge und den Wald zu beſorgen. Außerdem haben ſie je Kopf und Jahr
abzuliefern ein fettes Schwein, ein halbes Pfund Flachs, zwei Denare in bar
für die Befreiung von der Pflicht, Pferd und Wagen für den Heeresdienſt
zu ſtellen, drei Hühner, zehn Eier, 50 Pfähle, 100 Schindeln; jeder ſtellt drei⸗
mal im Jahr ein Pferd, um nach Prüm, Verdun oder Chateau⸗Salins die
Ernten zu führen und von letzterem Orte Salz abzuholen. Jeder muß jährlich
fünf Mütt (altdeutſches Scheffelmaß von zu verſchiedener Zeit wechſelnder
Größe) Korn oder Wein nach Prüm führen, 15 Karren Miſt auf die Felder
oder in die Weinberge fahren. Ferner ſechs größere Pfähle ſtellen, einen für
das Fiſchwehr an der Moſel und fünf für die Amzäunung des Herrenhauſes.
Endlich hat er in der Zeit um Weihnachten während 15 Tagen täglich einen
Karren Brennholz am Herrenhauſe abzuliefern.
Eine Arkunde über eine Sondervereinbarung liegt für einen Prümer Unter-
tanen, den Bauer Haiſtolf in Baſtnach vor. Für die Bewirtſchaftung einer
Hufe hat er jährlich, ſtatt eines Schweines, fünfzehn Denare zu zahlen. Im
Mai hat er ein Schaf mit der Wolle abzuliefern oder wieder fünfzehn Denare
zu zahlen. Ferner hat er jährlich zu liefern drei Hühner, fünfzehn Eier, zehn
Knäuel oder Stränge Wolle, zwei Mütt Hafer. Er muß jährlich vier Morgen
roden, vom 1. Lenzmond ab während der Dauer der Saatzeit wöchentlich einen
Tag Saatfron leiſten. Im Gilbhart hat er mit zwei Ochſen nach der Moſel
zu fahren, um die leeren Weinfäſſer der Abtei dorthin zu ſchaffen und die
gefüllten zurückzubringen. Im Nebelung hat er zehn Mütt Hafer oder fünf
Mütt Korn nach Prüm zu führen. Im Hornung hat er fünfzehn Tage un⸗
unterbrochen an dem ihm zugewieſenen Ort zu fronen. Im Mai hat er wieder
eine Woche ununterbrochen zu fronen und zehn Mütt Hafer oder fünf Mütt
Korn nach Prüm zu führen. Während der übrigen Zeit des Jahres hat er
wöchentlich drei, im ganzen Jahre — ar 150 Frontage zu leiſten. Außer
den Naturalabgaben hat er im ganzen jährlich 42 Denare im Gewicht von
etwa 60 Gramm Silber zu zahlen, wozu wiederum ſelbſtverſtändlich die
Abgabe des Zehnten als Kirchenſteuer kommt. Als beſonders ſchwer wurden
die Fronfahrten nach Prüm und an die Moſel empfunden.
Die Luxemburger Akten berichten uns aber auch, wie gut es inzwiſchen den
mit dem Land der früher freien Bauern ausgeſtatteten Geiſtlichen und Feudal⸗
herren erging. Der große Zehnt als Kirchenſteuer wurde nur vom Ertrage
der Acker, Wieſen und Weingärten erhoben. Dazu kam der kleine Zehnt vom
Ertrage der Gärten und des Viehs. Bau und Anterhaltung der Kirche und
des Pfarrhauſes oblag den Pfarrgenoſſen. Dazu kamen die in ihrer Maſſe
erdrückenden Stolgebühren, die bei jeder Gelegenheit fällig wurden.
670 Wilhelm Scheuermann, Die Bauernversklavung
Eine der älteſten, zur Zeit des großen Bauernlegens ausgeftatteten Pfarreien,
Merſch, ein Ort, der es 1900 zu noch nicht 2000 Einwohnern gebracht hatte
und früher noch viel unbedeutender war, beſaß noch im Jahre 960 anderthalb
Quadratmeilen Kirchenbegüterung. Das war aber nur noch ein Reſt der
früheren Herrlichkeit, denn zuerſt beſaß ſie etwa vier Quadratmeilen, ein
Zehntel der Fläche, welche jetzt das ganze Großherzogtum einnimmt. Viel
beſſer verſtand es das Kloſter Echternach, ſeinen Beſitz auszudehnen, denn bis
mitten nach Frankreich, bis in die Niederlande, bis nach Thüringen hinein
mußten die Bauern auf den zerſtreuten Gütern dieſes Kloſters auf der Scholle
für das Kloſter fronen, die einſt das Odal ihrer Vorfahren geweſen war.
Nicht immer war dieſer Beſitz der Geiſtlichkeit und der Feudalherren auch
nur mit dem Schein des Rechtes erworben. Van Werveke ſtellt auf Grund
ſeiner Anterſuchungen in den Luxemburger Archiven feſt: Zum Zwecke der
Mehrung des Klofter- und Kirchengutes und um es gegen etwaige Anſprüche
zu ſchützen, war die Fälſchung von Stiftungsurkunden an der Tagesordnung.
„TFälſchungen find feit dem 9. Jahrhundert ungemein zahlreich, und es gibt
kaum ein altes Kloſter, kaum eine alte kirchliche Stiftung, in deren Arkunden⸗
ſchatz nicht eine bald mehr, bald minder große Anzahl von falſchen Schen⸗
kungen, Teſtamenten oder ähnlichen Gebietsübertretungen zu finden ſind.
Beſonders tüchtig war in dieſer Hinſicht das Stift St. Maximin in Trier.
Der Forſcher gibt eine Reihe von „bezeichnenden“ Beiſpielen an, wie man
dieſe Fälſchungen ausführte. Er ſchließt dieſe Betrachtung: „Die Fälſchungen
haben angedauert, ſolange unſere (Luxemburger) Klöſter beſtanden haben:
noch im 18. Jahrhundert wurden, um die Anſprüche des Kloſters Clairefon-
taine auf eine Anzahl ſtreitiger Güter zu begründen, eine große Anzahl ſolcher
falſchen Arkunden angefertigt, deren Arheber allerdings derart ſtümperhaft vor-
ging, daß ich nicht verſtehen kann, wie ſogar damals jemand ſich konnte
täuſchen laſſen.“
Auf dieſem Gebiete wetteiferte der damalige Adel aber mit den geiſtl ichen
Herren. Auch dafür führt der Forſcher eine Reihe von kennzeichnenden Bei⸗
ſpielen an. So war im 14. Jahrhundert den Herren von Simmern das Hoch⸗
gericht für ein gewiſſes Gebiet zugeſprochen worden. Im 17. Jahrhundert
erſetzten ſie das Wort Pfarrei an einer Stelle der Arkunde durch das Wort
Herrſchaft und gelangten fo mit einem Federſtrich zu einer erwünſchten Macht⸗
ausdehnung. Die Adelsbriefe des Luxemburger Adels wimmeln von Fälſchun⸗
gen, denn die Wappenherolde waren im 17. und 18. Jahrhundert zu gewerbs⸗
mäßigen Fälſchern herabgeſunken, und „gar manche ſich hochadlig dünkende
Familie verdankt ihren Adel nur der Fälſchung“. Trotzdem konnten für das
urſprünglich 175 Mitglieder zählende adlige Rittergericht 1778 nur noch ganze
neun Mitglieder aufgebracht werden, welche die Ahnenprobe beſtehen konnten,
fo unbekümmert waren die zur Wahl ſtehenden Grafen und Barone Ged-
heiraten eingegangen.
Zur Geſchichte der Bauernbefreiung bringen die Luxemburger Archive ſehr
wertvolle Beiträge bei. Haben wir bisher, ſo auf der bekannten eindrucksvollen
Lehrſchau des Reichsnährſtandes, die erſten Aufbäumungsverſuche der geknech⸗
teten Bauern in das hohe Mittelalter geſetzt, ſo erfahren wir jetzt, daß wir
die Vorläufer dieſer Bewegung viel früher anſetzen müſſen. Schon im
10. Jahrhundert hatte der Erzbiſchof Theoderich von Trier den leibeigenen
Bauern von Waſſerbillig das freie Eigentum ihrer Güter beſtätigen müſſen.
Johannes Schottky, Unfruchtbarmachung und Rassenpflege 671
Im 12. Jahrhundert mußte Erzbiſchof Thebald (Thiebaut) von Reims in
Beaumont eine ähnliche Freiheitsurkunde ausftellen, worin er den Bauern
ſogar die freie Jagd und Fiſcherei in beſtimmtem Amfange wieder zurückgeben
mußte. Diefes Beaumonter Recht machte unter dem Namen „Böhmer Recht“
ſo tieſen Eindruck weitum, daß auch die Gräfin Ermeſinde von Luxemburg
und ihr Sohn Heinrich von Diedenhofen dem nn folgen mußten. Diefe
wenig bekannten Vorgänge, die beweiſen, daß die Bauern niemals das von
ihnen geraubte Odalrecht vergeſſen hatten und ſchon ſehr kurze Zeit nach dem
karolingiſchen Raub mit der te enwehr begannen, verdienten wohl eine ein-
gehendere Anterſuchung, als fie bisher vorliegt.
Allerdings hatten dieſe örtlichen Befreiungen keine Dauer. Die Fron-
verpflichtungen wurden darin auch nur teilweiſe au N Der Zehnte
wurde ſelbftverſtändlich beibehalten. And ſchon derſelbe Sohn peu der
Ermefinde faßte, als er nach dem Tode feiner Mutter den Bauern des Be-
zirkes Grevenmacher eine neue Verfaſſung gab, die Befreiung ſo auf, daß er
dem kirchlichen Zehnten einen zweiten Zehnten in Naturalien als landeg-
errliche Steuer hinzufügte, ſo daß alſo die Bauern ein volles Fünftel ihrer
Ernte abliefern mußten, außerdem ließ er das Herdgeld, die außergewöhnlichen
Abgaben beim Ritterſchlag eines Grafen oder der Heirat einer Gräfin weiter
beſtehen, und Lata at erfand man noch beſonders gehäſſige 1
arten, indem man die „Antertanen“ zwang, ihr Getreide nur in der B
mühle mahlen, ihr Brot nicht mehr zu Hauſe, ſondern in dem Bannbadofen
baden und ihre Trauben nur noch in der Bannkelter preſſen zu laffen, alles
gegen beſondere Abgaben.
Johannes Schottkn:
Unfruchtbarmachung und Raffenpflege
Vor kurzem wurde in dem Staate Kalifornien der Vereinigten Staaten
von Nordamerika, in dem ſeit über 25 Jahren ein Steriliſationsgeſetz in Gel⸗
tung iſt, eine lehrreiche Amfrage veranſtaltet. Die bekannte amerikaniſche
rafjenbysienticne Zeitſchrift „Eugenical News“ berichtet darüber, daß im
ganzen 1225 Perſonen von Studenten daraufhin gefragt wurden, ob ſie die
Sterilif — billigten und ob ſie den Anterſchied zwiſchen Steriliſation und
Kaſtration kennten.
Es ergab fig dabei folgendes: Insgeſamt 76 v. H. der befragten Perſonen
kannten das Weſen SS Steriliſation. Von Delen waren 92 v. H. für die
Anfruchtbarmachung, 7 v. H. dagegen, 1 v. H. zweifelhaft. Nicht verſtanden
wurde der Anterſch ed fot, den beiden Eingriffen von zuſammen 22 v. H.
der Teron Von dieſen ſtimmten im Gegenſatz zur erſten Gruppe nur
56 v. 5 r und 42 v. H. dagegen, bei 2 v. H. zweifelhaften Fällen.
itſchrift zieht aus der Tatſache, daß nur rund 34 der Bevölkerung,
Ba man das Ergebnis verallgemeinern darf, die Steriliſation fennen, ob-
Odal Heft 8, Jahrg. 4, Bg. 4.
672 l Johannes Schottky
wohl fie doch feit über 14 Jahrhundert geübt wird, den richtigen (uf,
die Aufklärung weiterhin in ausgedehnten Maße geübt 1 1
Wert dieſe Aufklärung hat, erfieht man ohne weiteres daraus, daß die über⸗
wiegende . der Kenner der Anfruchtbarmachung dafür ſind und daß
fio die große Mehrzahl der Ablehner unter ihren Nichttennern befinden.
zemerkenswert iſt dabei noch, daß ein beſonders hoher Hundertſatz von zu-
ftimmenden Urteilen unter all denjenigen feſtzuſtellen war, die beruflich am
eDeften von der Steriliſation Kenntnis haben mußten. l
In Deutſchland ift bekanntlich auf Grund des Geſetzes zur Verhütung erb-
kranken Nachwuchſes vom 14. Juli 1933 eine geſetzliche Regelung der An⸗
fruchtbarmachung aus raſſenhygieniſchen Gründen mit Wirkung vom 1. 1. 1934
in Kraft getreten. Immer wieder macht man aber auch heute noch trotz aus⸗
gedehnter Aufklärung die Erfahrung, daß über die Vorausſetzungen dieſes
Eingriffes, über ſein Weſen und über die geſchichtliche Entwicklung der
Anfruchtbarmachung vielfache Ankenntnis herrſcht. Daher ſei im folgenden
5 Weſentliche darüber berichtet, unter Beſchränkung auf die Haupt⸗
ge punkte. po
Die Anfruchtbarmachung
Es gibt zwei grundſätzlich verfchiedene Arten der Anfruchtbarmachung.
Einmal kann man die Keimdrüſen ſelbſt zerſtören (mechaniſch oder durch
Beſtrahlung) oder ſie entfernen. Dieſen Eingriff nennt man Kaſtration.
Er wurde ſeit den älteſten Zeiten bis heute bei männlichen Tieren wie bei
Männern immer wieder aus den verſchiedenſten Gründen heraus angewendet.
So diente er, um einige wenige Beiſpiele zu nennen (ſelbſt noch im letzten
italieniſch⸗abeſſiniſchen Kriegel) , zur Beſtrafung der Feinde. Einzelne Per-
fonen (fo der Kirchenvater Origines) wie ganze Sekten haben feit vielen Jahr⸗
hunderten hier und dort die N aus religiöſen Gründen angewendet.
Am den Geſchlechtstrieb herabzuſetzen oder zu beſeitigen und eine Zeugung zu
verhindern, wurde er z. B. bei Haremswächtern vorgenommen. Am die knaben⸗
haft hohe Stimmlage mit der Klangfülle eines männlichen Bruſtkorbes zu
vereinigen, wurden bis vor nicht allzu langer Zeit zahlreiche Knaben, vor allem
in der Amgebung des Papſtes, kaſtriert. Heute wird die Kaſtration auf Grund
geſetzlicher Regelungen im Auslande wie auch in Deutſchland bei Sittlichkeits⸗
verbrechern angewandt, um die krankhafte Stärke und Richtung des Triebes
herabzuſetzen. Anabhängig davon iſt ſelbſtverſtändlich die Kaſtration in all den
Fällen geſtattet, in denen ſie bei beſtimmten Krankheiten zur Abwendung einer
das Leben bedrohenden Gefahr notwendig wird. Die vor der Geſchlechtsreife
vorgenommene Kaſtration bringt beim Manne wie bei der Frau ſehr kenn⸗
zeichnende Veränderungen der Perſönlichkeit auf körperlichem wie ſeeliſchem
Gebiete hervor (Eunuchen). In einer Reihe von Fällen iſt auch die Kaſtration
als Kriegsverletzung in Erſcheinung getreten. Bemerkenswert erſcheint, daß
nach von Hentig vor dem amerikaniſchen Bürgerkriege die Kaſtration an
Negern ſtrafweiſe oder „als Methode, fleißige Arbeiter zu produzieren“, bis-
weilen angewandt worden iſt (nach Landmann). Im übrigen iſt ſeit den
älteſten Zeiten die Kaſtration als Strafe für ſexuelle Vergehen, Ehebruch uſw.,
früher bei den verſchiedenſten Völkern gebraucht worden (ſ. von Hentig).
Die grundſätzlich von der Kaſtration zu unterſcheidende andere Art der
Anfruchtbarmachung, die hier im folgenden allein weiter behandelt werden ſoll,
Unfruchtbarmachung und Rassenpflege 673
ift die fog. Sterilifation. Darunter verfteht man die künſtliche Unters
bindung der Leitungswege der Geſchlechtszellen. Beim Manne ift es der
Samenſtrang, bei der Frau der Eileiter, die verlegt oder unterbunden werden.
Die Keimdrüſen, die bekanntlich ſehr wichtige innerſekretoriſche Aufgaben
haben, bleiben dabei voll erhalten; mithin werden auch alle diejenigen Fähig⸗
keiten und Kräfte körperlicher wie ſeeliſcher Art nicht im geringſten angetaſtet,
die von den Keimdrüſen aus ihre Steuerung erfahren. Vor allem betrifft dies
die Fähigkeit zum Geſchlechtsverkehr und das normale geſchlechtliche Empfin⸗
den. Die Steriliſation konnte erſt an Geltung gewinnen, als genügend fichere
unſchädliche und einwandfreie Operationsmethoden ausgearbeitet worden
waren. Beim Manne handelt es ſich dabei um einen völlig harmloſen und
raſch zu vollziehenden kleinen operativen Eingriff an dem dicht unter der Haut
liegenden Samenſtrang, bei der Frau SEH SC techniſch beute gut durch⸗
a verhältnismäßig einfache Operatio
Daß die Anfruchtbarmachung tatſächlich che alle ſchädlichen Folgen vers
läuft, dafür fei als eines von zahlreichen Beiſpielen der Selbſtbericht eines
Erbkranken (aus einem Briefe) wiedergegeben:
„Die Schwerhörigkeit erhöht den an und für ſich ſchon ſchwierigen Da⸗
ſeinskampf um ein beträchtliches. Nicht ſelten müſſen die von ihr Betroffenen
fremde Hilfe in Anſpruch nehmen oder fallen gar der öffentlichen Fürſorge
gue Laft. Schon dieſer Gedanke wird den einen Menſchen mehr bedrücken
als den anderen. Kein Wunder, wenn dem verantwortungsbewußten Teil
eines Ehepaares auch ängſtliche Gedanken in bezug auf die Nachkommen ⸗
ſchaft fih aufdrängen, zumal wenn, wie es bei mir der Fall ift, Großmutter,
Mutter und ein Vetter ſchwerhörig waren bzw. ſind. Im Jahre 1931 ließ
ich mich nach reiflicher Aberlegung ſteriliſieren. Heute, nach drei Jahren,
kann ich und meine Frau nur immer wieder fagen, uns ift eine große Wohl⸗
tat erwieſen worden. Die Steriliſation hatte bisher nicht die geringſten
nachteiligen Folgen. Deshalb begrüße ich das Steriliſationsgeſetz in ſeiner
jetzigen Form und halte es ſogar für angebracht, daß der Staat in manchen
Fällen einen Zwang ausübt. Ich bedaure nur, daß das Geſetz als negative
Maßnahme erklärt wird, denn mir iſt die Steriliſation eine Hilfe geweſen.“
Die Hauptbedeutung der Anfruchtbarmachung (wie im folgenden ſtatt Steri⸗
liſation gejagt werden foll) liegt auf raſſenhygieniſchem Gebiete. Durch den
barmlofen Eingriff wird es nämlich möglich, die Zeugung von Kindern zu
verhindern. Immerhin iſt auch die Unfrudtbarmadung zuweilen als Strafe an-
gewandt worden. So hat ſie ſich in wenigen amerikaniſchen Staaten in dieſer
Form gehalten, und zwar offenbar vor allem aus dem Grunde, weil man gegen
Neger und fremdraſſige Einwanderer vorgehen wollte. Die in Deutſchland
geübte Anfruchtbarmachung dient allein der Verhütung erbkranken Nachwuchf es.
Anfruchtbarmachung und Raff enpflege
Immer wieder find es zwei Grundtatſachen, die den raſſiſchen Beſtand ner
Volkes gefährden und bei deren Nichtbeachtung fein Niedergang unaufhaltſam
fortſchreiten muß. Die Raflenmifhung und raſſiſche Aberfremdung beſeitigt
allmählich aber ſicher die kennzeichnenden Eigenſchaften der Ausgangsraſſe,
bis dieſe ſchließlich endgültig ausgelöſcht iſt und ein Miſchvolk zurückbleibt,
aus dem nie mehr die urſprüngliche Rafe ſich ee läßt. In Deutſch⸗
As
674 Johannes Schottky
land drohte die Gefahr der raſſiſchen Aberfremdung vor allem durch die Raffen-
beſtandteile des Judentums. Bekanntlich hat der nationalſozialiſtiſche Staat
durch das Gefetz zum Schutze der deutſchen Ehre und des deutſchen Blutes
dieſer Vermiſchung einen endgültigen Riegel vorgeſchoben.
Der andere Weg zum Raſſentod iſt die unterſchiedliche Fortpflanzung.
Dieſe ift einmal durch eine wachſende Überdurchſchnittliche Vermehrung der
erbuntüchtigen Teile des Volkes gekennzeichnet. Seit Jahrzehnten drohte
Deutſchland dieſe anſchwellende Gefahr. Insbeſondere ſind es beſtimmte
Schwachſinnsgruppen und gewiſſe Gruppen von Geſellſchaftsfeinden, ſozial
Antauglichen, deren weit überdurchſchnittliche Vermehrung durch ungeeignete,
raſſenfeindliche ſoziale Verhältniſſe noch Vorſchub geleiſtet wurde. Beſchleu⸗
nigt wird die Verpöbelung der Raſſe durch die unterdurchſchnittliche Ber-
mehrung der Erbtüchtigen, die bekanntlich ſeit längerem nicht einmal ihren
eigenen Beſtand durch ihre Kinder zu erhalten vermögen.
Daß die erbtüchtigen und kulturtragenden Teile des Volkes wieder eine
ſtärkere Vermehrung aufbringen, iſt letztlich Angelegenheit der Gefinnung,
wenngleich entſprechende ſoziale und politiſche Einrichtungen, wie eine fami⸗
lienpolitiſch ausgerichtete Steuerordnung und Beſoldungsordnung uſw., diefe
weitgehend unterſtützen können. Schon heute macht ſich hier ein deutlicher
Amſchwung bemerkbar. In Zukunft wird immer mehr die Förderung einer
Vermehrung der Erbtüchtigen in den Vordergrund treten und ſo allmählich
eine Aufartung, biologiſche Aufforſtung und raſſiſche Höherentwicklung an die
Spitze aller raſſenpflegeriſchen Maßnahmen treten müſſen.
Dagegen mußte in dem Augenblick, als das Anwachſen der Erbuntüchtigen
richtig erkannt worden war, deren Zurückdrängung eine allererſte Sorge des
Staates werden. Neben ſchwächlichen Anſätzen von anderer Seite wurde dieſe
Forderung mit Folgerichtigkeit allein von der NSDAP vertreten und nach
der e ee mit wiſſenſchaftlicher Anterſtützung und raſſenhygieniſcher
Zielklarheit in die Tat umgeſetzt. Es gibt dabei verſchiedene Maßnahmen, die
zwar das gleiche Ziel verfolgen, aber auch nicht annähernd gleichen Wertes
und gleichen Erfolges ſind. Der Rat zur Eheloſigkeit und Kinderbeſchränkung
wird nur bei einſichtigen Menſchen Erfolg haben können. Gerade aber die
Schwachſinnnigen, deren Vermehrung guriidgedrdngt werden foll, werden
weder die notwendige Einſicht noch die nötige Selbſtbeherrſchung, die zum
Wohle des ganzen Volkes notwendig wäre, aufbringen. Eine Abſonderung
aber der Schwachfinnigen und übrigen Erbuntüchtigen wäre mit unverhältnis⸗
mäßig hohen Koſten verbunden, die auf die Dauer nur wieder von den noch
geſund gebliebenen Teilen des Volkes getragen werden müßten. Außerdem
iſt heute bereits das auf das Einzelweſen bezogene Denken ſo ſtark ausgebildet,
daß in einer dauernden Abſonderung eine unerhörte Härte geſehen werden
würde. Ferner gibt es nicht wenige Erbkranke, zumal unter den Geiſteskranken,
die nur ſehr vorübergehend eine ernſtere Störung zeigen, dann aber wieder
für längere Zeit durchaus berufsfähig und geſchäftsfähig ſind. Auch dieſe
können ſelbſtverſtändlich nicht dauernd in Abſonderung gehalten werden. Die
einzig ſichere Maßnahme, um tatſächlich erbkranken Nachwuchs zu verhindern,
ohne andere ſtärkere Eingriffe in die perſönliche Freiheit vorzunehmen oder
die Volksgemeinſchaft zu ſtark zu belaſten, iſt vielmehr die Anfruchtbarmachung.
Es handelt ſich alſo bei dieſer Maßnahme darum, bei allen denjenigen Volks⸗
genoſſen, deren Nachkommen mit Sicherheit eine weit höhere Erkrankungs⸗
— —
Unfruchtbarmachung und Rassenpflege 675
gefährdung haben werden, als fie dem Durchſchnitt entſpricht, eine Nachkom⸗
menſchaft zu verhüten. Der Ausdruck raſſenhygieniſch beſagt alſo in dieſem
Zuſammenhange nicht, daß durch die geſetzliche Anfruchtbarmachung raſſen⸗
fremde Beſtandteile an der Fortpflanzung gehindert werden ſollen, nur weil
ſie raſſenfremd ſind; derartige Maßnahmen mögen andere Staaten, ſoweit
ſie bei ihnen Geltung haben, für fih verantworten. In Deutſchland wird die
Anfruchtbarmachung nur vorgenommen, um zahlreichen Kranken ein Leben
voll u und Elend zu erfparen.
Zur Geſchichte der Anfruchtbarmachung
Bereits gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wurden verſchiedentlich, auch
in Deutſchland, Anfruchtbarmachungen aus raſſenhygieniſchen Gründen aus-
geführt. Der Staat Indiana der Vereinigten Staaten von Nordamerika erließ
im Jahre 1907 ein Steriliſationsgeſetz. Weitere Staaten Nordamerikas
ſchloſſen ſich mit eigenen zum Teil recht unterſchiedlichen Geſetzen an. Heute
find bereits in 27 Staaten derartige Geſetze in Kraft.
n Kalifornien, wo am 26. April 1934 das Steriliſationsgeſetz
25 Jahre alt war, waren zu dieſem Zeitpunkt insgeſamt 10 123 Sterilifierun-
gen vorgenommen worden. Leider hat die wiſſenſchaftliche Auswertung der
Erfolge der Anfruchtbarmachung in Kalifornien lange Zeit ſehr zu wünſchen
übriggelaſſen. Immerhin liegen jetzt bereits einige Ergebniſſe auf Grund der
erſten 6000 Steriliſierungen vor, und zwar vor allem über ſchwachſinnige
Frauen
In t der S chweiz wurde im Kanton Waadt bereits im Jahre 1905 ein
Steriliſationsgeſetz erlaſſen, das im Jahre 1928 eine neue Faſſung erfuhr.
Dort können Perſonen, die an Geiſteskrankheit oder Geiſtesſchwäche leiden,
ſteriliſiert werden, wenn ſie für unheilbar erklärt worden ſind und aller Bor-
ausficht nach eine geſchädigte Nachkommenſchaft erwartet werden muß.
Ferner hat die kanadiſche Provinz Alberta 1928 ein Sterili-
ae N erlaſſen.
In Dänemark wurde bereits Ende 1924 die Grage der Sterilijation
in einer Sachverſtändigen⸗Konferenz durchberaten und ſchlielich nach manchen
Anderungen das Geſetz am 1. Juni 1929 in Kraft ft gelebt. Bemerkenswert iſt,
ech Diels Geſetz gleichzeitig auch die Kaſtration bei Sittlichkeitsverbrechern
um
Ine eutſ chland iſt, unter grundſätzlicher Trennung des Gedankens der
Raffenpflege, welche verpflichtet, von dem der Strafe und Beſſerung, die
Raftration von Sittlichkeitsverbrechern durch ein eigenes, Maßregeln der
Sicherung und Beſſerung betreffendes Geſetz geregelt worden.
Die Regelung in Deutſchland
Bereits vor dem 1. Januar 1934, an welchem das deutſche Geſetz in Kraft
trat, iſt vereinzelt die Steriliſation aus raſſenhygieniſchen Gründen ausgeführt
worden. Aber erft das Geſetz hat eine eindeutige Rechtslage geſchaffen. Steri-
liſationen aus anderen als durch das Geſetz erlaubten Gründen ſind heute in
Deutſchland verboten. Es kann alſo nicht mehr vorkommen, wie es in Nach⸗
barftaaten geſchehen iſt, daß in beſtimmten Großſtadtkreiſen ſich junge Männer
ſteriliſieren laſſen, um damit, weil ein Kind nicht zu erwarten iſt, als beſon⸗
ders begehrenswert zu erſcheinen.
676 Johannes Schottky
ct i Vorzüge des deutſchen Geſetzes liegen vor allem in folgenden zwei
Erſtens iſt eine beſtimmte und umgrenzte Gruppe von Erbkrankheiten heraus;
gegriffen worden, deren Träger ſteriliſationspflichtig ſind. Damit iſt allen
Arzten eine klare Handhabe für raſſenhygieniſche Maßnahmen gegeben wor-
den. Zum anderen iſt die Steriliſation eines Erbkranken an einen genau feſt⸗
gelegten Verfahrensgang gebunden worden, bei dem Urzte wie Richter in
gleicher Weiſe mitwirken.
Die Feſtlegun 5 Erbkrankheiten für die Steriliſation hat ſelbſt
verſtändlich zur Vorausſetzung gehabt, daß die mediziniſche Erbforſchung in
ihren Ergebniſſen genügend weit vorgeſchritten iſt. Das iſt bei den im Geſetz
aufgeführten Erbleiden auch tatſächlich der Fall. Einmal handelt es ſich dabei
um Krankheiten, bei denen im einzelnen durch genaue Forſchung der Erbgang
und die Erbkraft feſtgeſtellt werden konnten; zum anderen ſind es Erbkrank⸗
heiten, bei denen zwar der Erbgang im einzelnen noch nicht feſtgelegt iſt, bei
denen aber die Tatſache der Erblichkeit überhaupt als einwandfrei erwieſen
gelten muß; es ſind Leiden, bei denen ausgedehnte ſtatiſtiſche Forſchungen, wie ſie
insbeſondere Ridin und feine Schüler ausgeführt haben, den überragenden
Einfluß der Erblichkeit feſtſtellen konnten. So gilt, um ein Beiſpiel zu nennen,
von einer der im Geſetz aufgeführten Geiſteskrankheit, daß, ſelbſt wenn nur
ein Elter daran erkrankt iſt, die Kinder zwölfmal ſo ſtark wie die Durchſchnitts⸗
bevölkerung hinſichtlich der Erkrankung gefährdet find, und daß dieſe Gefähr-
dung noch um ein Vielfaches ſteigt, ſobald weitere Fälle in der Verwandt⸗
ſchaft vorkamen oder ſogar beide Eltern das Leiden gezeigt haben.
Der Verfahrensgang iſt genau feſtgelegt. Von der Meldung des Arztes
geht der Weg über das Geſundheitsamt bis zum Erbgeſundheitsgericht,
welches alle notwendigen weiteren Erhebungen anſtellt, um ſchließlich zu einem
mediziniſch wie rechtlich gleicherweiſe begründeten Arteil zu kommen. Die
Berufung, von der nicht ſelten Gebrauch gemacht wird, geht von dort an das
Erbgeſundheitsobergericht, bei dem nicht nur Erbärzte, ſondern erſte Wiſſen⸗
ſchaftler mitarbeiten, um jedem Falle je nach ſeiner beſonderen Lage bis ins
letzte gerecht zu werden.
Selbſtverſtändlich hat die Anfruchtbarmachung nur dort einen Sinn, wo
die Möglichkeit oder Wahrſcheinlichkeit der Kindererzeugung noch beſteht.
Sie wird unterlaſſen bei cone die zu alt find, ferner bei ſolchen, deren
Geſundheitszuſtand den Eingriff nicht zulaſſen würde. Hervorzuheben iſt
beſonders, daß die Anfruchtbarmachung auch in den ſeltenen Fällen ausgeſetzt
werden kann, bei denen es fic) um eine zwar erbkranke, aber im übrigen hoch⸗
begabte, gegebenenfalls auch aus einer hochwertigen Sippe ſtammende Perſön⸗
lichkeit handelt.
Einwände gegen die Anfruchtbarmachung
Es konnte nicht ausbleiben, daß von mancher Seite Einwände gegen das
deutſche Steriliſationsgeſetz erhoben wurden. Zu einem nicht geringen Teile
ſtammen ſie einfach aus der Ankenntnis der tatſächlichen el In
dieſem Falle kann nur empfohlen werden, ſich einmal gründlich z. den
Kommentar von Gütt, Rüdin, Ruttke anzuſehen, der auch eine data?
allgemeine Cinleitung über Vererbung und Erbleiden enthält. Auch wäre es
Unfruchtbarmachung und Rassenpflege 677
cher für manchen Gegner, der von den wahren Verhältniſſen wenig Ahnung
t, febr fruchtbar, wenn er einmal durch eine unſerer Epileptiker⸗ oder Idioten⸗
anſtalten geführt werden könnte. Mancher Einwand ſtammt auch aus einer
grundſätzlich anderen weltanſchaulichen Haltung heraus; indem man den hohen
fittlichen Wert der Anfruchtbarmachung Erbkranker verkennt und den Wert
des Einzelmenſchen, ſelbſt wenn er krank, geiſtesgeſtört oder mißbildet iſt, über
alles ſtellen möchte, verſteigt man fih fogar zuweilen zu der Behauptung, die
Anfruchtbarmachung durchbreche eine natürliche Ordnung. Grundſätzlich liegen
die Dinge gerade umgekehrt. Die Anfruchtbarmachung ſucht nachzuholen, was
durch Einflüſſe der Ziviliſation und Kultur den Völkern allmählich an natür⸗
lichen Ordnungen verlorengegangen iſt. Im Kampfe um das nackte Leben
gegen Klimaſchäden, wilde Tiere und feindliche Stämme wird bei unzivili⸗
fierten Völkern dauernd ein Ausleſeprozeß aufrechterhalten, den die Kulturvölker
längſt verloren haben. Dieſe unter natürlicheren Verhältniſſen rückſichtslos ger
übte Ausleſe der Anzulänglichen holt die Anfruchtbarmachung in einer völlig
ungefährlichen und unſchädlichen Form nach, im Hinblick auf das dem Volke
und der Rafle vom Schöpfer geſteckte Ziel. Im übrigen ſcheint uns eine lebens-
längliche freiwillige Enthaltſamkeit, wie ſie von manchen Sekten gefordert wird,
die natürliche Ordnung meiſt in einem ganz anderen Maße zu durchbrechen,
insbeſondere ſoweit es ſich um erbtüchtige und geſunde Volksgenoſſen handelt.
Schließlich iſt auch jeder ärztliche Eingriff, der eine vom Schickſal geſandte
Krankheit beſeitigen will, eine „Durchbrechung natürlichen Geſchehens“.
Auch hat man dem deutſchen Steriliſationsgeſetz vorgeworfen, daß es ein
Zwangsgeſetz ſei. Auf dem Gebiete der Seuchengeſetzgebung hat man ſich
längft daran gewöhnt, daß zum Wohle des Ganzen es oft notwendig wird,
wenn ein Seuchenkranker, mag er nun ſelbſt wollen oder nicht, von der Am⸗
welt abgeſondert wird und fo lange abgeſondert bleibt, bis die Anftedungs-
gefahr beſeitigt ift. Und fo wie andererſeits der Staat zum Schutze des Volkes
und der Heimat von ſeinen en im Notfalle ſogar das Leben fordern darf,
ſo darſ er unſeres Erachtens ebenſo von ſeinen erbkranken Mitbürgern den
völlig gefahrloſen Eingriff fordern, der nicht nur erbkranken Kindern das
Leben erſpart, ſondern zugleich einer Geſundung und Weiterentwicklung der
eigenen Art dient. Letzten Endes handelt es ſich hier einfach für die Rafje um
eine Tat der Selbſterhaltung, die uns künftige Geſchlechter einmal danken
werden. Auch der zuweilen gehörte Einwand, daß die Geſchlechtskrankheiten
durch die Anfruchtbarkeit vermehrt werden würden, iſt nicht haltbar, da die
Anfruchtbarmachung das natürliche Geſchlechtsempfinden nicht ändert. Bahl-
reiche Erbkranke haben zudem einen nicht einmal durchſchnittlichen normalen
Geſchlechtstrieb. Im übrigen ſorgen das Geſetz zur Bekämpfung der Ge⸗
ſchlechtskrankheiten und die ſtets verbeſſerten Behandlungsarten dafür, daß
dieſe Leiden, wie die Statiſtiken zeigen, immer weiter zurückgedrängt werden.
Schließlich hört man zuweilen auch, die Anfruchtbarmachung beſchränke die
Zeugung von Genialen, weil man in einer längſt überholten, wiſſenſchaftlich
unhaltbaren Art an irgendwelche Zuſammenhänge zwiſchen Geiſteskrankheit
und Schöpfertum glaubt.
Die Anfruchtbarmachung im Auslande
Trotz mancher Angriffe auf die deutſche raſſenhygieniſche Geſetzgebung, die
zum Teil nur dem böſen Willen entſpringen, beſonders wenn ſie aus Ländern
678 Johannes Schottky, Unfruchtbarmachung und Rassenpflege
mit eigenen, nur weniger vollkommenen raſſenhygieniſchen Geſetzen ſtammen,
erleben wir es, daß bei allen Einſichtigen im Auslande heute immer ſtärker
raſſenhygieniſche Gedankengänge ſich gleichfalls Bahn brechen, und daß von
allen ehrlichen Fachleuten im Auslande das deutſche Geſetz als geradezu vor⸗
bildlich empfunden wird. Man erlebt beim Durchblättern ausländiſcher Zeit⸗
ſchriften immer wieder, wie befruchtend die deutſche Geſetzgebung und das
deutſche Schrifttum für alle Naſſenhygieniker im Auslande gewirkt haben und
noch wirken. Als befonders vorbildlich wird dabei vom Auslande immer wie⸗
der die wiſſenſchaftliche Durcharbeitung unſeres Geſetzes und ſeine einheitlich
ausgerichtete Anwendung bezeichnet.
Im folgenden ſeien beiſpielhaft, ohne jeden Anſpruch auf Vollſtändigkeit,
nur noch einige Staaten genannt, die ſeit dem Inkrafttreten des deutſchen
1 gleichfalls raſſenhygieniſche Geſetze angenommen oder durchberaten
aben
In Dänemark beſtätigte die Reviſion des Geſetzes vom Jahre 1929, die
am 16. 5. 1934 erfolgte, daß das Geſetz erfolgreich geweſen iſt.
In Norwegen wurde im Jahre 1934 das norwegiſche Steriliſationsgeſetz
vom Storthing gegen nur eine Stimme angenommen.
In Schweden wurde das Geſetz über Steriliſierung oder Internierung
geiſtig Minderwertiger dem Geſundheitsminiſterium vorgelegt, genehmigt
und am 1. Januar 1935 in Kraft geſetzt.
In Finnland iſt gleichfalls das dem Reichstag in Helſingfors vorgelegte
Steriliſationsgeſetz durchgegangen. Nach f 1 dieſes Geſetzes kann ein Idiot,
ein Geiſtesſchwacher oder Geiſteskranker ſteriliſiert werden, wenn Anlaß zu
der Befürchtung beſteht, daß ſeine Gebrechen ſich auf ſeine Nachkommen
vererben können. |
Auch in Ungarn ift inzwiſchen ein Steriliſationsgeſetz erlaſſen worden.
In Polen wird zur Zeit der Vorſchlag eines entſprechenden Geſetzes von
der Polniſchen Geſellſchaft für Eugenik ausgearbeitet.
In Japan wird von der japaniſchen Geſellſchaft für Raſſenhygiene in
ausgedehntem Maße Propaganda für ein raſſenhygieniſches Steriliſations⸗
geſetz gemacht.
In England haben die verſchiedenſten Kreiſe, u. a. die Konferenz des
Nationalrates der Frauen, die Regierung dringend aufgefordert, geſetzliche
Maßnahmen für die Steriliſation zu treffen.
Aus den verſchiedenſten anderen Ländern Europas wie der anderen Erd⸗
teile liegen Berichte darüber vor, daß auch in ihnen die Steriliſationsfragen
eifrig bearbeitet werden und daß ſich dauernd die Stimmen der Fachleute
mehren, die eine Einführung der Anfruchtbarmachung verlangen.
So hat ſich Deutſchland tatſächlich mit feinen raſſenpflegeriſchen Beſtre⸗
bungen die Führung in der Welt erobert, und es dürfte nur noch eine Frage
der Zeit ſein, bis nicht nur die Fachleute des Auslandes, auf deren Arbeit es
freilich ſtets zuerſt und zuletzt ankommt, ſondern auch die öffentliche Meinung
der anderen Länder dieſen Vorſprung Deutſchlands erkennen, bewundern und
immer mehr nachahmen werden.
Felix Havenſtein:
Der „Salomonsſtern“ am deutſchen Bauernhaus
An den Giebeln alter deutſcher Bauernhäuſer, in alten Wirtshausſchildern
und auf altertümlichem Hausrat finden wir neben vielen anderen Zeichen und
Sinnbildern, die in ihren ſtrengen Formen geiſtige Erkenntniſſe ausdrücken,
in häufiger Wiederkehr auch den aus zwei übereinandergelegten Dreiecken
beftehenden Sechsſtern, den der Volksmund kurzerhand als Juden, Davids
oder Salomonsſtern bezeichnet. Man hat das in vergangenen Zeiten einfach
fo bingenommen, ohne darüber nachzudenken, was ein jüdiſches Zeichen eigent-
lich an einem deutſchen Bauernhaus, auf einer Neujahrsgebäckform aus der
Eifel oder auf einer frieſiſchen Salzmetze zu tun haben foll.
Nun, es ſei gleich vorweggenommen, dieſer Salomonsſtern hat zu dem
Judenkönig Salomon ebenſowenig Beziehungen wie ein deutſches Bauern⸗
haus zum geſamten Judentum. Der ſeltſame Stern ift ario⸗germaniſches
Areigen wie all die anderen Heils, Glücks- und Segenszeichen (Hakenkreuz,
Sonnenwirbel, Achtſtern, Raute uſw.), von denen wir die meiſten ſchon in
vorgeſchichtlicher Zeit auf Gefäßen und Geräten finden. In Wirklichkeit iſt
der Salomonsſtern nämlich ein Salmannsſtern. Den Salmann, der
ſoviel wie ein Heilsmann war, finden wir noch im alten deutſchen Nechtsleben
als Wahrer mancherlei Rechtsabmachungen, von Vermächtniſſen uff. Das
Sal⸗Buch als Bezeichnung für Grundbuch ift heute noch in einzelnen Teilen
Deutſchlands gebräuchlich, und die Sal⸗Weide hat ihren Namen von der aus
dreifach gedrehten Weidenzweigen beſtehenden Schlinge, die einſt neben dem
Schwert auf dem Richtertiſche lag. „Sal“ ift Heil und Recht; der Salmann
war einſt Wiſſer und Wahrer dieſes Rechtes und Heiles, die beide nach ger-
maniſcher Auffaſſung nicht gut voneinander zu trennen ſind.
Da Salmann aber mit Salomon lautlich faſt übereinſtimmt, fiel es in der
Zeit der Chriftianifierung nicht ſchwer, das germaniſche Lebeng- und Segens⸗
fombol des Salmannes zum Symbol des Judenkönigs Salomon umzufälſchen.
Durch die chriſtliche Kirche wurde dann zwar der neue Name befeſtigt, aber
ern und Handwerker, die aus Aberlieferung beffer um feine Bedeutung
und Herkunft wußten, fügten ihn als Glücks und Segenszeichen weiter dem
Mauerwerk am Giebel ein, ſchnitten ihn weiter in Wäſchemangeln und
Truhen, und auch die Schmiede ſtellten ihn kunſtgerecht in die Wirtshaus⸗
ſchilde hinein, zumal e ja ebenſo wie die zünftigen Brauer, Maurer und
Zimmerer Träger und Wahrer alten Heilsgutes waren.
Wenn man aus der Reichhaltigkeit der Verbreitung eines ſolchen Zeichens
Schlüſſe auf ſeine hohe Bedeutung ziehen darf, dann muß man gerade beim
Sechsſtern zu der Aberzeugung kommen, daß er als Zeichen des Salmannes
einſt allerdings von hohem Nange geweſen ſein muß. Bemerkt ſei, daß der
Sechsſtern nicht allein durch zwei übereinandergelegte Dreiecke gebildet wird,
ſondern ebenſo häufig als ſechsſpeichiges Rad oder einfach aus ſechs
680 Felix Havenstein, Der „Salomonsstern“
von einem Mittelpunkt ausgehenden Strahlen dargeſtellt
wird. Die Bezeichnung Salmannsſtern findet dabei jedoch nur auf die durch
die beiden Dreiecke gebildete Form Anwendung, in der er ſchon früh den Juden
bekannt geworden fein dürfte, die ihn als Hoheitszeichen in ihren Ritus über-
nahmen. Sehr wahrſcheinlich iſt, daß dieſe „Abernahme“ zur Zeit des Königs
David erfolgte, deſſen Leibwache ſich bekanntlich aus Kretern und Philiſtern
zuſammenſetzte. (Daher die Bezeichnung „Kreti und Pleti“.) Kreter und die
nichtſemitiſchen Philiſter aber haben ſchon in früher Zeit nordiſche Kultur
güter übernommen. So zeigt eine altböotiſche Bafe, die zum joniſch⸗kretiſchen
Kulturkreis gehört, Rautenmuſter, Hakenkreuz und Hagal. Kein Wunder alſo,
N auch den Juden ſchon zu Davids Zeiten nordiſche Heilszeichen bekannt
wurden.
Eine weitere Beſtätigung dafür, wie tief der Salmannsſtern in der Ge⸗
ſchichte unſerer Raſſe wurzelt, erhalten wir durch einen Blick in die Pflanzen⸗
kunde. Im Frühling bis in den Sommer hinein blüht in unſeren Wäldern
ein Maiglöckchengewächs, der „Salomonsſiegel“ (Convallaria polygonatum).
In botaniſchen Büchern ſteht zu leſen, daß er ſeinen Namen nach dem
„Siegel“ trage, das ſichtbar wird, wenn man die Knötchen in feinen Wurzeln
durchſchneidet. Gewiß, da entſteht ein rundes Gebilde, das mit einiger Phan-
taſie als Siegel angeſprochen werden könnte; aber niemals zeigt ſich dort ein
Salomonſiegel in der Form des Sechsſternes. Dieſes Siegel trägt die
Pflanze in ihrer Blüte, deren ſechs Blütenblätter ſo angeordnet ſind, daß die
miteinander verbundenen Spitzen das richtige Siegel ohne Phantaſie
erkennen laffen. Hinzu kommt, daß die Siegelträgerin Convallaria poly gona-
tum über ganz Europa und Teile Aſiens verbreitet iſt und überall den
gleichen Namen „Salomonsſtern“ trägt! Die weite Verbrei⸗
tung, die dieſer Name doch beſtimmt ſchon in ſehr früher Zeit gefunden hat,
beſagt wohl am deutlichſten, daß bei der Namensgebung nicht der Judenkönig
Salomon Pate geſtanden hat, fondern der ario⸗germaniſche Salmann, den
man dann in Verfallszeiten vergaß und dem bibliſchen Salomon gleichſetzte.
Ebenſo zeigen die von Dr. G. Pritzel und Dr. C. Jeſſen geſammelten deutſchen
Volksnamen für den „Salomonsſiegel“, daß dieſe Pflanze ſchon in ſehr früher
Zeit die Aufmerkſamkeit der Menſchen auf ſich lenkte und von ihnen mit vielen
anderen hineingeſtellt wurde in das Reich ihres Glaubenslebens und Brauch⸗
tums. Neben der ſchon im Mittelalter gebräuchlichen lateiniſchen Bezeichnung
„Sigillum salutis“ finden. wir die Namen: Allermannsharniſch
(Alraune) in Kärnten, Dittiwurz im Aargau bei Baden, Enbern oder
Eynbern im Mittelhochdeutſchen, Erger oder Stechkraut im Schweizer
Kanton Waadt, Anſer Frouwenkrut im Mittelniederdeutſchen, Glidd⸗
wurzel in Siebenbürgen, Jageteufel in Schleſien, Magerata im
Althochdeutſchen. j ,
Marienfiegel und Stern des Herrn find ferner zwei Namen, die
von Toxites aus dem 17. Jahrhundert überliefert wurden. „Schminkwurz“
heißt der Salomonsſiegel in Schleſien, während Triangel und Wiss, Wit-,
Wys- oder Wytwort gleichfalls von Toxites überliefert find, jedoch nicht als
typiſch für eine beſtimmte Landſchaft.
Gerade die letztgenannten Namen beweiſen, daß mit dem Salomonsſiegel,
der draußen im Walde blüht, uraltes Heilswiſſen und uralte germaniſche
Glaubensvorſtellungen verbunden find. Namen wie Jageteufel, Marienfiegel
Das Archiv | 681
i
und Stern des Herrn zeigen — obwohl die letzten beiden ſchon verchriſtlicht
find —, daß unſere Väter den Pflanzen und ihren Blüten etwas tiefer ins
Angeſicht ſchauten. Jageteufel: Man kann damit dem Vöſen wehren, wenn
man ihm das Zeichen des Rechtes und des Heiles zeigt, das die Blüte birgt!
Wer denkt da nicht an Goethes Fauſt: „... daß ich hinausſpaziere, verbietet
mir ein kleines Hindernis, der Drudenfuß auf Eurer Schwelle.“ Warum ſoll
d der Sechsſtern nicht die gleiche Wirkung haben wie das Pentagramm, der
Drudenfuß?! „Marienſiegel“ und „Stern des Herrn“, fo hießen auch die
Salmannsſterne, mit denen man einſt den Chriſtbaum ſchmückte, und auch
dieſer Brauch hat wohl ſeinen Urfprung im Sulfeft unferer germaniſchen Väter.
Warum gab denn aber der Menſch den Pflanzen ſchon in vorchriſtlicher
Zeit ſo ſinndeutende Namen? Warum hob er ſie damit heraus über andere?
Weil er ſeine heiligen Zeichen und Siegel, den ſeltſamen Zahlenrhythmus
wiederfand in Blättern, Blüten und Früchten von Blumen, Bäumen und
Sträuchern. Er ſah den Sechsſtern des Salmannes im Blütenkelch jener
Waldblume, den Trifuß oder Tychfal an der Wacholderbeere, deren Stamm-
bolz ihm zum Verbrennen ſeiner Toten diente, den Fünfſtern an den fünf
Kelchblättern der Hagroſe. Ihm waren das Herz des Lindenblattes und das
kreisrunde Näpfchen, darin die Eichel ſteckt, ſinndeutende Symbole göttlicher
Offenbarungen.
Sprechen wir alſo fortan nicht mehr vom Salomonsſtern, ſondern vom
Salmannsſtern und tragen wir Sorge, daß das durch jüdiſchen Miß⸗
brauch in Verruf gekommene und vielgeſchmähte Zeichen jenes Sechsſternes,
um deſſen Sinndeute unſere alten Baumeiſter, Bauern und Handwerker als
Hüter alten Heilswiſſens noch wußten, wieder zu Ehren komme und von jeder⸗
mann verſtanden werde. |
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Das Ardiv
Der Bauer im Umbruch der Zeit wenn auch der Mationalfosialismus
Die Frageſtellung „Bauerntum oder und feine Agrarpolitik hierzu nur eine grund»
Letifundienbeſitz“, die durch das Buch ſätzliche Stellungnahme kennen und vorwegge⸗
„Der Bauer im Umbruch der Zeit“ von Mes nommen haben, fo wird doch letzten Endes nur
gierungsrat Dr. Clauß aufgeworfen wurde, ift die kompromißloſe Durchführung ier Erkennt⸗
nicht nur weltanſchaulich von größter Bedeutung. nis auch in ſpäteren Jahrhunderten das deutſche
Alle Kulturvölker der Erde wurden vor dieſe Volk vor dem Schickſal anderer alter Kultur⸗
Frage geſtellt, und die Antwort, die ihre völker bewahren. |
Staatsmänner auf fie gegeben haben, war ent- Nachrichtendienſt Nr. 282 vom 16. 12. 1935:
ſcheidend für das Schickſal jener Völker. Das In den vergangenen Jahren hat die Frage
lehrt uns jedenfalls die Weltgeſchichte, und das Bauer oder Großgrundbeſitz viel Staub aufge⸗
bat der große Agrarpolitiker Ruhland in ſeinem wirbelt. Eine Entſcheidung in der einen oder
„Syſtem der politiſchen Okonomie“ noch anderen Richtung it mehr als nur ein Urteil
einmal treffend veranſchaulicht. | l nach praktiſchen Geſichtspunkten, es ift zugleich
Es tft daher durchaus verſtändlich, wenn dieſes eine Einſtellung zu einer beſtimmten, weltan⸗
Buch ein lebhaftes Echo gefunden hat, denn ſchaulich gebundenen Wirtſchaftsordnung. Ganz
682
eindeutig hat ih der Nationalſozia⸗
lismus zum Bauerntum bekannt
... Wie verheerend hätte f der
Weiterbeſtand eines Bodenrechts für das Schick⸗
ſal des deutſchen Volkes ausgewirkt, das zu
einer ununterbrochenen Verkleinerung der bäuer⸗
lichen Grundlage geführt hätte. Allein im
19. Jahrhundert find Mill. Morgen Bauern-
land an den Großgrundbeſitz überge⸗
gangen. Der Großgrundbeſitz war das Gegenteil
vom bodenverbundenen Bauern, es fehlte im
allgemeinen die Grundlage, die gerade den Wert
des Bauerntums ausmadte, die Verbundenheit
mit der Scholle der Väter. Dieſe Haltung des
Bauerntums beſtimmt die Einſtellung national-
ſozialiſtiſcher Agrarpolitik, die nicht um des
Bauern willen, fondern wegen ſeiner volker⸗
haltenden Funktion den Bauern in den Mittel-
punkt ihrer Wirtſchaftsordnung ſtellt.
Korreſpondenzen
N. S. K. Nr. 296 vom 19. 12. verbreitet eine
Beſprechung von E. Fritz Baer: ... Diefe
geiſtig⸗politiſche wie vor allem auch die ſoldatiſche
Wehrkraft des Bauerntums wird in einem
Buche aufgezeigt
.. . Der Inhalt des Buches ift grundlegend
und maßgebend für die Beurteilung des deut⸗
foen Banerntums...
.. . Dieſes Buch wird eine unentbehrliche
Waffe in der Hand derer, die für das neue
Deutſchland kämpfen — gegen alle, die nicht zu
ſehen vermögen oder nicht ſehen wollen, was die
Erhaltung des deutſchen Bauerntums für die
Geſamtnation bedeutet. |
Zeitungsdienſt (Graf Meiſchach) vom 18. 12.:
Ein aufſehenerregendes Buch.
Man iſt oft verſucht, einen beſtehenden Tat⸗
beſtand ſchon dadurch ohne weiteres anzuerkennen,
weil eben die geſchichtliche Entwicklung zu ihm
hingeführt hat. Jedoch beweiſt die Geſchichte
immer wieder, daß die Anerkennung dieſes
Syſtems der zwangsläufigen Entwicklung uno
möglich iſt. Nicht immer hat die Geſchichte
Entwicklungen gezeigt, die einer organiſchen
Lebensordnung entſprechen. Mißbräuchlich
angewendete Macht hat ſehr oft Ergebniſſe ge⸗
zeigt, die vielleicht dem beſonderen Intereſſe einer
kleinen Gruppe dienten, die aber in der gleichen
Zeit ſich aufs ſchwerſte gegen das
Lebensrecht des Volkes wandten. So⸗
wohl die Geſchichte des deutſchen Bauerntums
wie auch die dagegen verhältnismäßig kurze Ent⸗
wicklungsgeſchichte des deutſchen Arbeitertums
Das Archiv
gibt dafür mehr als eindringliche Be-
weiſe. So iſt bei der Behandlung der Frage,
ob Großgrundbeſitz oder Bauernland, von den
Kreiſen des Großgrundbeſitzes immer wieder die
Behauptung aufgeſtellt worden, daß die
Berechtigung des Großgrundbeſitzes ſich allein
ſchon aus feiner Entwicklung ergäbe
Dabei beweiſt die Geſchichte, daß die Ent-
ſtehung des Großgrundbeſitzes zurückzuführen ift
auf eine Reihe von Geſchehniſſen, die vom ethi-
ſchen, volklichen Standpunkt aus aufs tief ſt e
bedauert und abgelehnt werden müſſen.
Denn der Großgrundbeſitz iſt zum entſcheidenden
Teil nur durch die Knechtung und Ver⸗
nichtung bäuerlicher Menſchen und bäuer⸗
licher Betriebe entſtanden. Uber dieſe Entwick⸗
lung der Bodenbeſitzverhältniſſe gibt das Buch
. . erſchöpfende Uberſicht
Dieſe Zurückdrängung eines freien Bauern⸗
tums war nur möglich durch ungerechte,
einſeitige Machtan wendung, durch
Rechtlos machung der Bauern und durch
brutale Anwendung ausgeſprochen eigen ⸗
ſüchtiger Gewalt mittel.
Immer wieder haben ſich die Bauern dagegen
gewehrt, von ihrem Hofe vertrieben zu werden,
und mehr als einmal mußten die Machthaber
der damaligen Zeit das Militär einſetzen, um
ſchwere und revolutionäre Bauernunruhen zu
unterdrücken. Die Behauptung, daß gerade der
Grofigrundbefig ſich durch eine beſondere Boden-
ſtändigkeit hervorgetan habe, beruht überhaupt
auf recht tönernen Beweiſen. In
der Praxis hat ſich gezeigt, daß gerade beim
Großgrundbeſitz ein recht häufiger Wechſel fatt-
fand, der dabei zum allergrößten Teil auf frei-
willigen Verkauf zurückzuführen iſt. Die kapi⸗
taliſtiſche Mobilifierung des Bodens macht fid
im Gegenteil beim adligen Großgrundbeſitz im
19. Jahrhundert außerordentlich ſtark be⸗
merkbar l
Mit dieſen und ähnlichen Behauptungen alfo
die Notwendigkeit des Großgrundbeſitzes und
feine Berechtigung nachzuweiſen it verfehlt.
Demgegenüber ſtehen die Lehren der Ges
ſchichte, die immer wieder beweiſen, daß ein
Volk allen Stürmen des Schickſals nur trotzen
kann, wenn es ſeine Lebensordnung auf einem
echten und bodenſtändigen Bauerntum aufbaut.
Nur darum iſt ſchließlich auch das Reichserbhof⸗
geſetz erlaſſen worden!
. . . Es gibt immer nur Kreiſe, die der Auf⸗
faſſung find, daß der Großgrundbeſitz im Um-
bruch der Zeit eine beſondere politiſche Aufgabe
Das Archiv
habe oder ihm eine folde Sonderſtellung im
Dritten Reich fogar zugewieſen werden müſſe.
Aus dieſen Gründen war es notwendig, einmal
jufammenjufaffen, was der Bauer im Umbruch
der Zeit zu dem Neubau unſeres Volkes bei⸗
getragen hat, beitragen kann und muß
Hervorzuheben iſt, daß die Frageſtellung:
„Wer ſichert die Ernährung, Bauer oder Groß⸗
betrieb?” an ſich als falſch bezeichnet wird, weil
tatſächlich Bauer und Großbetrieb gemeinſam
die Ernährung des deutſchen Volkes ſicherſtellen.
Es iſt jedoch notwendig, die Leiftungen der
Bauernwirtſchaft und des Großbetriebes für die
Volksernãhrung näher zu unterſuchen, weil von
intereffierter Seite, insbeſondere von einzelnen
Großgrundbeſitzern und von getarnten Gegnern
der Meubildung deutſchen Bauerntums, immer
wieder die Auffaſſung verbreitet wird, daß der
Sroßgrundbeſitz für die Verſorgung der ſtãdtiſchen
Bevölkerung mit Nahrungsmitteln unentbehrlich
ſei. Dieſe Feſtſtellung wird durch die Darſtellung
der Verſorgungslage bei einzelnen Nahrungs⸗
mitteln belegt K. H.
Seoßdentſcher Preſſebienſt vom 19. 12.: Wer
ſichert die Ernährung des deutſchen Volkes?
Für die Verſorgung it alfo zum größten
Teil der Bauernbetrieb entſcheidend
Es läßt gé fogar im Gegenteil, wie der Ber-
faſſer ausführt, eher eine volkswirtſchaftlich
günſtigere Leiſtung der Bauernwirtſchaft nach⸗
weiſen
Der Verfaſſer kommt zu dem Ergebnis, daß
man den Großgrundbeſitz ſehr wohl in dem
Kampf um die Nahrungsfreiheit entbehren
könne. Im Gegenteil erweiſe ſich die bäuerliche
Wirtſchaftsform als beſonders geeignet, den
Nahrungsmittelbedarf des deutſchen Volkes aus
eigener Scholle völlig zu decken und ſpräche nicht
gegen, fondern für eine weitere Inangriffnahme
der Neubildung deutſchen Bauerntums.
Voͤlkiſcher Beobachter Nr. 354 vom 20. 12.:
.. . Die Zahl der bäuerlichen Betriebe ift aber
feit Verfälſchung der Steinſchen Bauerube⸗
freiung in Deutſchland in verhängnisvoller Weiſe
verringert worden
Die Tandarbeiter werden in dem Buche
„Der Bauer im Umbruch der Zeit“ treffend
„Bauern ohne Land“ genannt... So iſt in der
Tat zu wünſchen, wie der Reichsnährſtand und
das Reichs ⸗ und Preußiſche Miniſterium für
Ernährung und Landwirtſchaft in ihrem Vor⸗
wort abſchließend ſagen, daß das Buch „Der
Bauer im Umbruch der Zeit“ eine weite Ber-
683
breitung finden und vor allem von allen denen
geleſen werden möge, die mit größerer oder
kleinerer Verantwortung irgendwo im Volk an
führender Stelle ſtehen — und von allen,
die ſich berufen glauben, einſtmals an führende
Stelle zu kommen. E. Fritz Baer.
Der Angriff Me. 296 vom 19. 12.
Bauernbetriebe ſchaffen Fleiſch und Fette.
Größere Leiſtungs fähigkeit gev»
genüber den Großbetrieben.
Die kulturellen und politiſchen Aufgaben, die
dem deutſchen Bauerntum zufallen, find ein ein⸗
deutiger Beweis für die Notwendig keit,
ein boden verbundenes Bauernt um
zu ſchaffen. Es ergibt ſich nur die Frage, kann
man es auch wirtſchaftlich vertreten, wenn an
der Stelle von landwirtſchaftlichen Großbetrieben
bäuerliche Betriebe geſchaffen werden
An der Marktverſorgung waren die bäuer⸗
lichen Betriebe insgeſamt mit 85 v. H.
beteiligt
. . . Damit wäre es in weit ſtärkerem Maße
als bisher möglich, die Auslandsabhängigkeit auf
dieſem Gebiet zu verkleinern und dem erhöhten
Bedarf nach dieſen Lebensmitteln gerecht zu
werden. R.
Berliner Nachtausgabe Ne. 296 vom 19. 12.
. . . Bei aller Anerkennung der Wichtigkeit
dieſer Fragen darf aber nicht überſehen werden,
daß Bauernpolitik im nationalſozialiſtiſchen
Deutſchland nicht nur die Produktionszweige der
Ernährungswirtſchaft umfaßt, ſondern weit
darüber hinausgeht
Berl. Lokal⸗Anzeiger Nr. 303 vom 19. 12.:
Eine erſchöpfende, zuſammenfaſſende Dar-
Relung der in den letzten 234 Jahren durch⸗
geführten Maßnahmen der nationalſozialiſtiſchen
Bauernpolitik gibt das ſoeben im Reichsnähr⸗
ſtands⸗Verlag erſchienene Werk
Berl. Börfen-Zeitung Nr. 592 vom 18. 12.:
Großbetriebe als Erbhöfe.
. . . So gliedert fib beſonderen Aufgaben ge⸗
mäß auch ein wertvoller Teil des Großgrund⸗
beſitzes in der Form des Erbhofrechts in die
bäuerliche Ordnung ein.
Das Blatt leiſtet ein rabuliſtiſches Ver⸗
drehungskunſtſtück indem es nämlich nur aus
dem Kapitel: „Großbetriebe als Erbhöfe“ einen
Abſchnitt zum Abdruck bringt. Der Leſer ge⸗
winnt ſo den Eindrck, daß es ſich hier um ein
Buch zur Beförderung der Großbetriebe zu Erb⸗
höfen handelt und daß ſich daraus der Titel der
684
Bauer im Umbruch der Zeit, den das Blatt als
Untertitel bringt, erklärt. Von der Bedeutung des
Bauerntums ift in dieſer Zeitung nicht mit
einem Wort die Rede.
Deutſche Allgemeine Zeitung Me. 593 vom
19. 12.: brachte aus den Ausführungen des
Staatsſekretärs Backe einen längeren Auszug
zum Abdruck.
Berliner Tageblatt Nr. 599 vom 19. 12.:
Das Buch enthält eine Fülle von Material für
den, der die Neubau- und Aufbauarbeit im
agrariſchen Abſchnitt unſerer Wirtſchaft mit
Intereſſe verfolgt. In manchen feiner Teile if
dieſes Sammelwerk polemiſch gefärbt, ſo ins⸗
beſondere in den Kapiteln, die ſich mit der Frage
nach dem volkswirtſchaſtlichen und volkspolitiſchen
Wert des Großgrundbefiges beſchäftigen. Das
iſt kein Nachteil, es verleiht dem Werke einen
aktuellen Rei z. Und es verdeutlicht jedem die
Ziele, nach denen die Bauernpolitik des Dritten
Reiches ſtrebt. Chriſtoph v. d. Ropp
Niederdentſcher Beobachter Nr. 302 vom
29. 12.: .. . Dieſe Erkenntniſſe zwingen zu einer
rielbewußten Durchführung aller Arbeiten, die
dem Zwecke der Neubildung deutſchen
Bauerntums dienen. Eine Tatſache, die in
erſter Linie die Landjugend angeht, weil gerade
durch die Neubildung deutſchen Bauerntums der
ganzen Landjugend neue Lebens und Entwick⸗
lungs möglichkeiten geſchaffen werden!
Niederdeutſcher Beobachter Nr. 303 vom
31. 12.: . . . Erſt der politiſche Umſchwung, wie
er feit der Machtübernahme durch den National-
ſozialismus bedingt wurde, ließ die jahr⸗
hundertealten Poſitionen des
Großgrundbeſitzes erſchüttern
Es fällt dem Großgrundbeſitz ſehr ſchwer, ſich in
ſein Schickſal zu fügen und nicht mehr im Sinne
ſeiner politiſchen und wirtſchaftlichen Ziele die
Hand an der Klinke der Geſetzgebung zu haben.
Er iſt der Auffaſſung, daß ſeine Rolle noch
keineswegs ausgeſpielt fei, im Gegenteil, ...
Dieſe Auffaſſungen ſpiegeln ſich nur zu deutlich
in einem Buch „Großgrundbeſitz im Umbruch der
Zeit“, das vor einigen Monaten von Rechtsan⸗
walt Dr. Hans Olof von Rohr herausge⸗
geben worden tft...
Es genügt zu einer Charakteriſtik der Hin⸗
weis, das ſeinen politiſchen Beitrag eine ſo
überaus einſeitige Perſönlichkeit wie Herr von
Rohr ⸗Haus⸗Demmin geſchrieben hat,
deſſen reaktionäre Vergangenheit ja
offenkundig daliegt und von ihm ja auch nie be⸗
ſchönigt worden iſt und daß in dieſem Aufſatz,
Das Archiv
der dem „Staatsdienſt“ gilt, der Führungsam
ſpruch des Grundbefiges mit erfaunliger
Brutalität erneut angemeldet wird. Die
Veröffentlichung eines folgen Auffages in
unſerer Zeit genügt, um die geſamte Arbeit, die
ja der Rechtfertigung dienen will, von vorm-
herein abzutun und zu den Akten gu
legen
Weſtfäliſche Landeszeitung ⸗ Mote Erde Nr. 348
vom 20. 12. Großgrundbeſitz oder Bauernbetrieb ?
60 000 bäuerliche Betriebe vom Großgrundbeſitz
geſchluckt. Wer iſt bodentreu?
.. . Die Behauptungen von der geſchichtlichen
Notwendigkeit des Großgrundbeſitzes find ſchon
darum unhaltbar, weil doch die Großgüter in
der Hauptſache durch den Vorgang des Bauern-
legens entſtanden find...
Auch die Behauptungen, daß der Sroß betrieb
in weit größerem Ausmaße zur Marktverſorgung
beitrage, ſind unhaltbar
.. Dabei berückſichtigt aber diefe Feſtſtellung
nicht die Grundſätze politiſcher, ſozialpolitiſcher
und bevölkerungspolitiſcher Art, die nach natio
nalſozialiſtiſcher Weltanſchauung dem bäuerlichen
Betrieb den Vorzug geben.
Karlheinz Backhaus
N. S. Z. Nhein⸗Front vom 20. 12. 35: Es iR
jedoch notwendig, die Leiſtungen der Bauern wirt ⸗
ſchaft und des Großbetriebes für die Volkser⸗
nährung näher zu unterſuchen, weil von inter
eſſierter Seite, insbefondere von einzelnen
Großgrundbeſitzern und von ges
tarnten Gegnern der Neubildung deut⸗
ſchen Bauerntums immer wieder die Auffaſſung
verbreitet wird, daß der Großgrundbeſitz für die
Verſorgung der ſtädtiſchen Bevölkerung mit
Nahrungsmitteln unentbehrlich fei...
. . . Die Agrarpolitik des nationalſozialiſtiſchen
Staates hat es nicht nötig, eine Veröffent⸗
lichung anzugreifen, die einer Geiſtesrichtung
von geftern zu dienen ſich bemüht. So polemifiert
man denn auch an dieſer Stelle nicht gegen das
Buch der Herren von Rohr und Genoſſen, wie
es überhaupt nur in Fußnoten Erwähnung findet.
Daß man ihm die Wucht der Tatſachen ent⸗
gegenſetzt, iſt ganz natürlich
. . . Die neue Veröffentlichung wird... dazu
dienen, die Aufklärung weiterzuführen und
auch den Außenſtehenden ein objektives Urteil
ermöglichen, das ihnen bisher durch einſeitige
Veröffentlichungen der früheren berufsſtändiſchen
landwirtſchaftlichen Organiſationen nicht möglich
werden konnte.
Neues Schrifttum
Stuttgarter Neues Tageblatt vom 27. 12.:
A D. Durch die Jahrhunderte deutſcher Ge
ſchichte hindurch zieht ſich der verzweifelte Kampf
des deutſchen Bauern gegen übermächtige Grund-
herren. Fronhofſpſtem, Leibeigenſchaft und
Bauernlegen find die Markſteine auf dieſem
Wege. Eine der Bedeutung des Bauerntums
fremd gegenüberſtehende Wirtſchaftsauffaſſung
trug dazu bei, den Bauern zu entwurzeln und
ihn von Grund und Boden zu löſen.
Mpein-Werfäl. Zig. Nr. 1 vom 1. 1. 36:
..das Buch.. iſt .. leſenswert auch für den
größeren Beſitzer, um ſo mehr, als die einzelnen
Auffäge nicht nur bei dem Nachweis haltmachen,
daß eine politiſche Sonderſtellung des Groß⸗
gtundbefiges unzeitmäßig ift, ſondern darüber
hinaus Ré auch um die Feſtſtellung bemühen,
daß er keinerlei wirtſchaftliche Sonder⸗ oder un⸗
erfeglide Aufgabe bat...
Generalanzeiger f. Stettin vom 20. 12.:
Vaenernhof oder Großgrundbeig? . . Die
685
Stellung des Nationalſozialismus zu der Frage
ift allein durch die Schaffung des Reichs⸗Erb⸗
hofgeſetzes ſchon ganz eindeutig
Der Großgrundbeſitz war das Gegenteil
vom boden verbundenen Bauern.
Mit der zunehmenden Verkleinerung der bäuer⸗
lichen Grundlage Deutſchlands wuchs mehr und
mehr die Gefahr eines volklichen Zerfalls des
Reiches. Die nationalſozialiſtiſche Agrarpolitik
hat es ſich zur Aufgabe geſtellt, die Bindung
zwiſchen dem Bauern und der Scholle für alle
Zeiten wiederherzuſtellen 8
Magdeburgziſche Zig. Nr. 647 vom 21.22.
12. 35: . . Eine hochoffizielle Ane
gelegen beit. Der gewiſſermaßen am to
liche Charakter der Schrift bürgt für die
Richtigkeit des angeführten Zahlenmaterials.
Mit manchen in weiten Kreiſen feſtgewurzelten
Vorurteilen, die auf Erfahrungen früherer
Zeiten beruhen mögen, die den heutigen Ver⸗
hältniſſen aber nicht mehr gerecht werden, wird
aufgeräumt...
Nenes Schrifttum
Sein Wällenweber: „Altgermaniſche
Erziehung.“ Hanſeatiſche Verlagsanſtalt Hanv
burg. RM. 6.60.
Auf Grund einer umfaſſenden Quellenſamm⸗
lung geftaltet Dr Fritz Wüllen weber ein
weitreichendes Bild über die Erziehungsgrund⸗
lagen des germaniſchen Menſchen.
Er gliedert dieſe Erziehung in drei Stufen,
deren erſte ganz naturgemäß im Boden wurzelt
und mit der Sipye verbunden bleibt. Ackerbau,
Geſchicklichkeit in der Herſtellung der notwen⸗
digen Geräte find die Vorausſetzungen, von
denen hierbei ausgegangen wird.
Dieſer Wille zum Dienſt an der Erde und
am Blut wird fortentwickelt durch die Er⸗
ziehung zum Mute zum Kampf. In diefe Er-
ziehung ſpielen bereits erhebliche Geſinnungs⸗
kräfte hinein, die als Treue zum Führer und
anch zu ſich ſelbſt zum Ausdruck kommen.
Die dritte Stufe iſt die Erziehung zum
Weiſen. Sie gründet ſich auf all das Weisheits⸗
gut, was durch die Überlieferung von den
Matern überkommen war und feine wirkſamſte
Geſtaltung in der damaligen Rechtspflege ge⸗
funden hatte.
Man kann aus der Arbeit des Verfaſſers
ſehen, wie dieſe drei unverrückbaren Grundlagen
jeglicher Menſchenerziehung bereits von unſeren
Vorfahren erkannt und gehandhabt worden find.
Das gibt dem Buch eine gewiſſe Gegenwarts⸗
nähe und macht es zu einem eindeutigen Be⸗
weismittel für die ſo oft beſtrittene und doch
unbeſtreitbare Kulturhöhe der germaniſchen
Völker. H.
Dr. Erich Murr, Privatdozent an der
Univerſität Berlin: „Sippenkunde“, Guſtav
Fiſcher⸗Verlag, Jena 1936, Preis broſch. 6.—,
geb. 7.50, 136 S.
Eine Einführung in die wiſſenſchaftlichen
Grundlagen und Begriffe der Sippenkunde
wäre ein ſo umfaſſendes Thema, daß der Ver⸗
faſſer den Untertitel „Gedanken und Lehren zum
Aufbau einer Wiſſenſchaft von der Blutsgemein⸗
ſchaft“ hinzufügt. So iſt es wohl Schuld des
Lefers, wenn er von einer Sippenkunde eigent⸗
lich mehr als Einzelgedanken und ausgeführte
686
Teilgebiete erwartet hat und deshalb enttänſcht
wird. Sicherlich enthält das Buch gute Ab-
ſchnitte, die zur Klärung wichtiger Begriffe
beitragen. Wichtiger aber als „Sippekunde und
Sippenkunde“, „Vielſippigkeit“, „Sippekraft“
und „Geſippſchafts verhältnis“ ſcheint uns der
größere Zuſammenhang, in dem die Sippenkunde
zu ſtehen hat, und ihre Aufgaben auf raſſenbio⸗
logiſchem, kulturbiologiſchem und geſchichtlichem
Gebiet. Wenn die Forderung einer Hochſchulver⸗
tretung für die Sippenkunde aufgeſtellt wird, ſo
ware gerade für dieſe das Aufgabengebiet einer
1. Geſchichte
Baſtian, Willy: Der Boddenfund, eine
nordiſche Fauſtkeilkultur von altſteinzeitlichem
Gepräge. 180 Abb. Frankfurt a. M.: Dieſter⸗
weg [1935]. 133 S. ©r..8%. [ Beſt. Nr] 1068.
Lw. 5.50.
Behn, Friedrich, Prof. Dr, Kuſtos: Alt⸗
nordiſches Leben vor 3000 Jahren. Mit e. Einf.
München: J. F. Lehmanns Verl. 1935. 12 S.,
40 Taf. Gr.-8°, 3.—.
Drevhaus, Hermann, Dr, Dr Erich
Ludwig! Schmidt, Arnold Hillen Zieg-
feld: Deutſche Geſchichte von der Urzeit bis
zum Weſtfäliſchen Frieden. Mit 72 Kt. und
6 Stammtaf. im Text, mit 3 Zeittafeln und
37 Abb. im Anh. Braunſchweig, Berlin, Ham⸗
burg: Weſtermann [1935]. 239 S., 16 S. Abb.
Gr.⸗8o. — Volk und Boden. 1. Lw. 4.80.
Endler, [Carl Auguſt,] Staatsarchivr. Dr:
Die Geſchichte des Landes Mecklenburg⸗Strelitz
(1701 - 1933). Hamburg: Hermes 1935. 101 S.
Gr.-8°, Aus Mecklenburgs Volkstum und Ge
ſchichte. [2.] 4.60.
Liebers, Benno, Dr: Unſere Stein-
freuje — germaniſche Kultſtätten? Naumburg
a. d. S.: H. Sieling (1935). 32 S. mit Abb.
—.80. Aus: Naumburger Tageblatt. Heimat-
beilage. 1935.
Naumann, Hans: Sermaniſche Spruch⸗
weisheit. Jena: Diederichs [1935]. 65 S. 8°.
Deutſche Reihe. Nr 7. Pp. — . 80.
Paſtenaci, Kurt: Das goldene Zeitalter
der Germanen. Vorw. von Georg Uſadel.
Berlin: Junge Generation [Komm.: Volckmar,
Leipzig, 1935]. 93 S., 9 Taf., 2 Kt. Kl.-80.
Deutſches Volksbuch. Bd. 6. —.50; Pp. 1.—.
Pommern. Ein Gang durch feine Ge
ſchichte. Hrsg. von d. Landesgeſchichtl. Jorſchgs⸗
Neues Schrifttum
Verwertung des großen Einzelmaterials zu zeigen
und herauszuſtellen, wo die Anſatzpunkte für die
Beurteilung von Ausleſe⸗ und Züchtungsvor⸗
gängen, von Berufsſiebung, kulturbiologiſchen
Fragen und anderen Gebieten gegeben find. Dies
alles finden wir bei Murr nur im Kleindrud
angedeutet. Durch ſchwer verſtändliche Jorma-
lierungen, wie z. B. die Uberſchrift „Aber die
Bedeutung der Sippenkunde als Folge ihrer
Wirkung“, ſchließt ſich das Buch von ſelbſt von
der Verbreitung außerhalb der Hochſchule und
wiſſenſchaftlich geſchulter Kreiſe aus. W.
ſtelle für Pommern. Stettin [, Tanbeshaus]:
Landesgeſch. Forſchgsſtelle .. 1935. 53 S. mit
Abb. Gr.⸗80.
Schuchhardt, Carl: Deutſche Vor und
Frühgeſchichte in Bildern. München und Berlin:
Oldenbourg 1936. XI S., 80 S. Abb. 4°. 3.80.
Torinus, Heinz, Laskowitz: Die Ent-
ſtehung des preußiſchen Beamtenethos unter
Friedrich Wilhelm I. Ein Beitr. zur Seſchichte
d. Staatserziehg. Würzburg 1935: Mayr.
71 S. 8% Köln, Phil. Diff.
Zſchaetiſch, Karl Georg: Atlantis, die
Urheimat der Arier. Mit 1 Kt. 3., bearb. u.
erw. Aufl. Berlin: Arier ⸗Berl. 1935. 128 S.
80. Lw. 3.20.
2. Bevalkerunge und Naſſenpelittt
Bethe, Erich: Ahnenbild und Familienge⸗
ſchichte bei Römern und Griechen. Mit 7 Abb.
München: C. H. Beck 1935. XIII, 121 S.
80. 2.80; Lw. 3.80.
J. Demleitner — A. Moth: De
Weg zur Volksgenealogie. Aultg. z. überſichlichen
Darſtllg. d. fippenfundl. Inhalts d. Kirchen;
bücher in Familienbüchern. Verlag RN. Olden⸗
bourg, München / Berlin. — . 60.
Eickſtedt, Egon Frh. von, Prof.: Grund-
lagen der Raſſenpſychologie. Stuttgart: Enke
1936. 163 S. 80. 5.40; Lw. 6.80.
Katt, Walter: Am Wege der germaniſchen
Raſſe. Bilder von german. Entwicklg in Mittel-
und Oſtdeutſchland. Stuttgart, Kolbenſtr. 17a:
Marby⸗Verl. 1935. 82 S. 80. 1.—.
Nehring, Ludwig, Rektor: Naturgeſchichte
nebſt Menſchenkunde und Geſundheitslehre, Ver⸗
erbungslehre, Erbgeſundheitslehre, Familien ⸗ und
Raſſenkunde. Ein Merk- u. Arbeitsb. f. Volle
ſchulen, nach biol. Geſichtspunkten m. d. bebdrdl.
Neues Schrifttum
Beſtinumgn bearb. 16. Seſamtaufl., 1. Aufl.
nach d. nat.⸗ſoz. Erhebg. Breslau: Handel
[1935]. 105 S. mit Abb. 80. Kart. 1.—.
B. Fer v. Nichthofen, Maffe und
Volkstum in der bolſchewiſtiſchen Wiſſenſchaft.
Sonderdr. aus „Altpreußen“, Vierteljahresſchrift
f. Ur- u. Frühgeſchichte. I. Jbg, Heft 3.
Ritters haus, Ernſt, Dr, Univ. Prof.: Kon-
ſtitution oder Raſſe? Mit 170 Abb. München:
J. F. Lehmanns Verl. 1936 ([Ausg.] 1935).
209 S. Gr.-8*, 7.40; Lw. 8.80.
Schenke, Cent: Dorf der Ahnen. Cin
Buch vom Brauchtum u. Humor d. Väter. (Um
ſchlagzeichng u. Bebilderg von Georg Wenzel.)
Schweidnitz: Heege 1935. 168 S. 8%. 2.50.
Schult, Bruno Karl], Dr: Raſſenkunde
deutſcher Gane. Bauern im ſüdl. Allgäu, Leg-
tal u. Bregenzer Wald. Mit 35 Tab., 244 Abb.
u. 2 Sippſchaftstaf. im Text u. auf Taf.
München: J. F. Lehmanns Verl. (1935).
136 S. 40. 11.—; Lw. 12.60. l
Thieme, Erich, Stud N.: Vererbung,
Maffe, Volk. 7. [, veränd.] Aufl. Mit 57 Abb.,
4 Taf. u. e. Ahnentaf. Leipzig und Berlin:
Teubner 1935. 59 S. Gr.⸗80. Beſt. Nr 8074.
Kart. 1.20. Erg. zu biol. Unterrichtswerken,
insbeſ. zu: Schäffer, Leitf. d. Biologie.
Viernſtein, Thleodor], Min. R. Dr: Die
biologiſch-erbbiologiſche Unterſuchung der Erbhof
bauern. Aus d. Seſundheitsabt. d. Bayer.
Staatsminiſteriums d. Innern. München und
Berlin: Oldenbourg 1935. 27 S. 88.
yun — 0.
Zſ haet ſch, Karl Georg: Die Arier. Her-
kunft u. Seſchichte d. ariſchen Stammes. Mit
[1] Kt. u. Abb. J., bearb. u. erw. Aufl. Berlin:
Arier Verl. 1935. 446 S., 1 Titelb. Gr. 80.
Lw. 9.60.
J. Ländliche Siedlung, Land-
arbeiterfrage, Banerntum.
2000 Jahre germaniſches Bauerntum am
linken Miederrhein. Feſtſchrift zur Ausſtellung
„2000 Jahre germaniſches Bauerntum am linken
Niederrhein im Kaiſfer⸗Wilhelm⸗Muſeum in
Krefeld vom 27. Okt. bis Ende Nov. 1935.
(Krefeld 1935: Th. Sippers [; lt Mitteilg:
687
Krefeld: Heimatmuſeum].) S. 145-338 mit
Abb., 1 Pl. 40, [F u. Ant.] — Die Heimat.
Zeitſchrift f. niederrhein. Heimatpflege. Ig 14,
H. 3/4. un 2.80.
Vom Bauerntum der Saar. Bonn,
Endenicher Allee 60: Rhein. Verein f. ländl.
Wohlfahrt u. Heimatpflege [, Landesbauernſchaft
Rheinland 1934]. 30 S. mit Abb. 21, & 24,5 em.
— RX.
Schwarz, Paul, Dipl. Volksw., Hannover:
Die Lohnverhältniſſe in der hannoverſchen Land⸗
wirtſchaft. (Würzburg) 1933 [Ausg. 1935]:
Mayr. 75 S., 8 Tab. 80. Würzburg, R. — u.
ſtaatswiſſ. Diff.
4. Verſchiedenes
Buſch, W., Dr habil. Assist.: Die Landy
bauzonen im deutſchen Lebensraum. Mit 8 Kärt⸗
chen u. 1 farb. Uberſichtskt. Stuttgart: Ulmer
1936. 189 S. Gr.⸗80. Lw. an 11.—.
Mayrhofer, Nobert Joſef: Vom Boden
der Heimat. TI 1. Wien, Leipzig: Deutſcher
Verl. f. Jugend u. Volk (1935). Kl.⸗8e —
Heimat u. Schule. Bd 2. 1. Mit 35 Abb.,
darunter 3 geolog. Kt. Skizzen. 191 S. Lw. 2.50.
Meinhold, Willy, Dipl. Volksw., Nüͤrn⸗
berg: Der Arbeitsbegriff im ökonomiſch⸗theore⸗
tiſchen Syſtem Ruhlands als Ausdruck feiner
organiſchen Auffaſſung der Volkswirtſchaft. Lan⸗
genſalza (1934): Beyer. S. 185 — 220. 4°. Aus:
Berichte über Landwirtſchaft. Bd 20, H. 2. —
Erlangen, Phil. Diff.
Rommel, Margarete, Karlsruhe: Von
dem Fiſcher un fyner Fru. Eine vergl. Märchen
unterſ. Karlsruhe 1935: Macklot. 139 S. 80.
Heidelberg, Phil. Diff.
Sohnrey, Heinrich: Die Sollinger. Eine
Volkskunde d. Sollinger Waldgebietes (im
Weſerberglande). 2., verm. u. verb. Ausg.
Berlin: Deutſche Landbuchh. (1936). 415 S.
80. Lw. 5. —
Stoll, Heinrich, Dr: Deutſches Bauern;
recht. Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck),
Tübingen 1935. 3.60.
Tonſcheidt⸗Wiepking, Charlotte:
Erlebtes und Selebtes. Selbſtverlag T. Ton-
ſcheidt, Henkenhagen, Oftfee.
Anſchriftenverzeichnis der Mitarbeiter der Monatsſchrift „Odal“
Heft Februar 1936 |
Dr. Rudolf Bemmann, Berlin W 35, Tiergartenſtraße 7.
Dr. Willy Meinhold, Erlangen, Nathsbergerſtraße 15.
Wilhelm Aeberrück, Breslau, Hirſchſtraße 47.
Dr. Werner Peterſen, Berlin W 35, Tiergartenſtraße 1/2.
Dr. Ernſt Ferber, Düſſeldorf, Orſoyer Straße 2.
Wilhelm Scheuermann, Freienbrink, Poſt Erkner in der Mark.
Dr. Johannes Schottky, Berlin W 35, Tiergartenſtraße 1/2.
Felix Havenſtein, Kleinſchönebeck, Poft Fichtenau.
Dr. Hans Neumann, Berlin SW 11, Deſſauer Straße 26.
Anton Broſch, Berlin N 65, Lynarſtraße 9, I. Aufgang.
Für unverlangt eingefandte Manuffripte feine Sewährl
Su ay eng und verantwortlich für den zn textlichen Inhalt: Dr. Hermann Reifchle,
rlin W, Friedrich Wilhelm Straße 18M. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Gurt Otto
Arndt, Berlin-Pankow. Berlag: „Jeitgeſchichte“ Verlag und Vertriebs- Seſellſchaft m. b. B.,
Berlin W 33. DA. 4908 IV. Bj. 35. Pl. Nr. 4. Druck: Meyerſche Hofbuchdruckerei. Detmold
Aufruf an Alle!
Der Kampf um die Machtergreifung durch die WSD Ap. gehört der Vergangenheit
an. Blut und ſchwere Opfer feelifcher und materieller Natur, Entbehrung, Drangſal
und Ditternis kennzeichnen die Wege, die der Nationalſozialismus marſchieren mußte.
Es gilt heute, Berichte und Bildmaterial aus dieſer Jeit zuſammenzuſtellen, um eine
Sammlung zu vervollſtändigen, die von größter Wichtigkeit iſt, denn die Geſchichte der
Partei wird einmal die Geſchichte des neuen Deutſchland werden. Das a
der VIGDAP fammelt alle Urkunden, Berichte, Dokumente, Tagebücher, Abzeichen,
Zeitungen, Jeitſchriften, Photos, Plakate, bildliche Darſtellungen und dergleichen aus
dieſer Jeit. Auch Briefe und Jeitungen aus dem Auslande ſind, ſoweit ſie ſich mit dem
Nationalſozialismus beſchäftigen, willkommen. Sendet alles, denn manches, was als
wertlos betrachtet, 5 wird, kann für den Forſcher, für den fpateren Ge⸗
ſchichtsſchreiber von weſentlicher Bedeutung fein.
Falls der Beſitzer glaubt, das Original nicht entbehren zu können, ſo nimmt das
Zauptarchiv Abſchrift oder ſtellt von Bildern Abzüge her. Vertraulichkeit wird, 3. B.
bei Tagebüchern, ausdrücklich zugeſichert. Der Sendung ſoll ein Verzeichnis des In⸗
haltes, dazu bei Bildern ein kurzer Tatſachenbericht beigefügt werden. Beſonders auch
auf Berichte ehemaliger Gegner, gleich welcher Art, wird größter Wert gelegt. Der-
trauliche Behandlung dieſes Materials wird gewährleiſtet. Es ergeht daher an alle
Dienſtſtellen und Volksgenoſſen die Bitte. das Zauptarchiv in feinem Beſtreben nach
einer lückenloſen Sammlung für die Grundlagen der Parteigeſchichte zu unterſtützen.
Anſchrift: Zauptarchiv der WSD Ap, München, Barerſtraße js.
Sauptardiv der S DAp, München, Barerſtraße js.
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ſondern ein bewußter, ſorgfältig überlegter Maſchineneinſatz
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nn LANZ MANNHEIM
~AKTIENGESELLSCHAFT.
J 1644
tion chri d
Herausgeber R. We
p j a ws we
Konrad Weyer:
Die Erzeugungsſchlacht als Ausoͤruck deutfchen
Leiſtungswillens
„Wir können die Erzeugungsſchlacht nur gewinnen, wenn wir uns ganz
rückſichtslos zur Leiſtung bekennen.“ So hat der Reichsbauernführer in ſeiner
grundlegenden Rede auf dem 3. Reichsbauerntag in Goslar geſagt. Leider
hat jene verſunkene Epoche des Liberalismus uns eine ſolche babyloniſche
Verwirrung der Menſchen, Sprachen und Begriffe hinterlaſſen, daß dieſes
von Anfang an ſo klare Bekenntnis unſerer Bauernführer zur Leiſtung nicht
immer richtig verſtanden worden ift. Es hat daher in der Zeit nach der Macht⸗
ergreifung nicht an Nörglern und Beſſerwiſſern gefehlt. Sie haben ſich die
Mühe gemacht, daran Kritik zu üben, daß zunächſt nach dem Einzug der
nationalſozialiſtiſchen Bauernführer in die Wilhelmſtraße und in die Deſſauer
Straße nur wenig über landwirtſchaftliche Betriebsfragen und ackerbautech⸗
niſche Probleme geſprochen wurde, aber um ſo mehr von „Blut und Boden“,
vom Erbhofgeſetz und dem Reichsnährſtandsaufbau. Sie glaubten fogar, daß
mit der Heraushebung des Blutsmäßigen im Bauerntum nun zwangsläufige
Fragen der Leiſtungsfähigkeit und der Wirtſchaft eine Vernachläſſigung er⸗
fahren würden, und daß nun ſchließlich ein Krebsgang zur Wirtſchaftsform
des ſpäten Mittelalters beginne. Dieſe kritiſierenden Zeitgenoſſen haben
folgendes nicht tief genug ins Bewußtſein aufgenommen, daß nämlich der
Wille zur Leiftung beim Nationalſozialismus eben in
der Gemeinſchaft des Blutes, alſo auf einem ganz anderen
Grunde als beim Liberalismus, wurzelt, und daß wir
unter Leiſtung heute ganz etwas anderes verſtehen als in
der Vergangenheit der letzten hundert Jahre. Dieſe Tatſache
wird in dem Kleinkram des Alltags häufig überſehen, und daher reden die
Menſchen ſo oft aneinander vorbei. Sie wenden zwar dieſelben Worte und
dieſelben Begriffe an, aber ein jeder hat doch ſeine perſönliche Vorſtellung
von den Begriffen und ſetzt dieſe auch bei den anderen voraus.
Es ſpricht daher für die ſelbſtſichere und gemeſſene Art des Vorgehens
unſerer agrarpolitiſchen Führung, wenn im erſten Abſchnitt der Durchführung
des Agrarprogramms — unbekümmert um alle offenen und verborgenen An⸗
griffe — zunächſt erſt einmal durch die bewußte Betonung der Blutsfragen
und die geſetzliche Sicherung des Bauerntums der Boden umgepflügt wurde,
auf dem allein nur auf die Dauer eine einheitliche, nämlich durch die Gleidh-
heit des Blutes garantierte, Willensbildung heranwächſt. In den Agrargeſetzen
von 1933 iſt der neue Glaube niedergelegt, aus dem heraus wir künftig, der
deutſche Bauer und mit ihm das deutſche Volk, arbeiten, ſchaffen und ges
ſtalten werden. And die Erzeugungsſchlacht iſt für uns der Ausdruck dieſes
neuen Leiſtungswillens und ſeine Bewährungsprobe.
— H —
Die Erzeugungsschlacht als Ausdruck deutschen Leistungswillens 693
Ich habe an dieſer Stelle im letzten Jahr über den Einſatz der Wiſſenſchaft
in der Erzeugungsſchlacht geſprochen und dabei im großen Rahmen den Auf⸗
gabenbereich der Wiſſenſchaft abzuſtecken verſucht. Wir ſind im hinter uns
liegenden Jahr erfreulich weitergekommen. Die deutſche Landwirtſchafts⸗
wiſſenſchaft hat mutig und fleißig die neuen Aufgaben in Angriff genommen,
und ſie iſt mit dem Reichsnährſtand zu engſter Kampfgemeinſchaft zuſammen⸗
gewachſen, wovon auch dieſe Tagung ein Zeugnis ablegen mag.
Es ſei mir geſtattet, heute die Erzeugungsſchlacht unter den Gedanken der
Leiſtung und des Leiſtungswillens zu ſtellen und ſie ſo in ihrer geſchichtlichen
und wegweiſenden Bedeutung zu beleuchten. Meine Ausführungen ſind
diktiert von dem Wunſche nach Klarheit. Sie follen der Geantwortung der
Wiſſenſchaft auf die Frage, was eigentlich Leiſtung in der Landwirtſchaft iſt,
nicht vorgreifen. Sie ſind mehr Worte des Herzens als des Verſtandes.
Kein anderes Volk iſt in ſeinem Werdegang ſo ſehr dem Andrängen fremder
Einflüſſe ausgeſetzt geweſen wie das deutſche. Wir haben aus dieſem Grunde
bisher auch noch nicht die rechte Eigenform und Vollendung finden können
und erlebten daher die wechſelvollſte Geſchichte. Wir erleben erſt heute den
völligen Durchbruch zu den Kräften unſeres eigenen Blutes. And was um
uns geſchieht, iſt das gewaltige Bemühen, unſer Volkstum nun endlich von
Aberfremdungen zu befreien und es in allen ſeinen Lebensäußerungen art⸗
gemäß und rein zur Verwirklichung und vollendeten Geſtaltung zu bringen.
Dieſe Kraft der Gegenwart gibt uns auch die Fähigkeit, das Vergangene
zu deuten. Wir ſuchen daher zurück zur Frühzeit unſeres Volkes, die uns Art,
Charakter und Seelenbild am reinſten offenbart, und knüpfen dort den Faden
und weben ihn durch die Geſchichte hindurch bis zu dem heutigen Tag. So
gelangen wir ſchließlich zu einer Schau, die uns die tiefſten Einblicke in die
Verge und Talbewegungen deutſchgermaniſcher Geſchichte geſtattet, und wir
erkennen auf dieſe Weiſe über Anebenheiten und Störungen hinweg am klarſten
die Lebens-, Wachstums- und Leiſtungsgeſetze unſeres Volkes — und wir
lernen daraus!
Ein Grundzug deutſch⸗germaniſchen Charakters, der fih ſtetig und treu, wie
ein roter Faden durch die Geſchichte zieht, iſt der Wille zur Leiſtung.
Mögen auch die Vorſtellungen über das Weſen echter Leiſtung und der ſie
bedingenden Kräfte jeweils mit den geſchichtlichen Lagen gewechſelt haben,
der Leiſtungswille und die Schaffensfreudigkeit ſind immer als raſſiſch bedingte
Weſenszüge die gleichen geblieben!
Wir Deutſchen haben eben ein ganz beſonderes Verhältnis zur Leiſtung.
Spricht doch auch der deutſche Raflenforfcher vom nordiſch⸗germaniſchen
Menſchen geradezu vom Leiſtungsmenſchen, und er meint damit einen Typus,
deſſen Lebensinhalt Kampf und Leiſtung iſt.
Wenn wir das Weſen der Leiſtung und die Einſtellung des deutſchen
Menſchen zum Leiſtungsgrundſatz recht begreifen wollen, müſſen wir uns mit
zwei ebenſo tief in unſerem Volkstum wurzelnden Eigentümlichkeiten aus-
einanderſetzen; das iſt das Verhältnis des deutſch⸗germaniſchen
Menſchen zur Natur und zur menſchlichen Arbeit. Beide
Weſenszüge ſind notwendig zum Verſtändnis deſſen, was eigentlich Leiſtung
ft. Denn der nordiſch beſtimmte Menſch erblickt in jeder Leiſtung irgendwie
ein Geſchenk der Natur und eine Schöpfung durch Arbeit. Er verbindet mit
Leiſtung immer die Vorſtellung von etwas Wuchshaftem, das wie ein pflanz⸗
694 Konrad Meyer
licher Organismus in der Erde wurzelt und nad aufbauender Arbeit feine
erſtrebte Geſtaltung erfährt. Leiſtung ift alfo organiſche Wert-
ſchöpfung, mit allen Merkmalen und Eigenſchaften, die
wir am natürlichen, lebensgeſetzlichen und raumhaften
Wachstum erkennen.
Anſere Altvorderen hatten ein beſonders inniges Verhältnis zur Natur.
Den geheimnisvollen Wechſel der Jahreszeiten, das Wunder des wachſenden
Baumes, das unaufhörliche Werden und Vergehen alles Irdiſchen auf dieſer
Welt, erlebten ſie in myſtiſch⸗gläubiger Ergriffenheit und als Offenbarung
göttlichen Wirkens. Natur und Gott iſt ihnen eins; jede Pflanze, jedes Ge⸗
ſchöpf iſt einbezogen in den allumfaſſenden Organismus dieſer gottbeſeelten
Welt und trägt ein Stück von Gott in ſich. Auch der Menſch iſt eingebettet
in den kosmiſchen Rhythmus dieſer beſeelten Welt. Er offenbart als ein
Stück Gottnatur das gleiche Argeſetz und die gleiche Geftalt- und Gormidee
der Natur. So erwächſt aus dieſer Weltſchau jene tiefe Ehrfurcht vor dem
ewigen Geheimnis des Naturwaltens, aber andererſeits wieder auch das
gläubige Vertrauen zu dem ſinnvollen Wirken und Schaffen der Natur und
jener kraftvolle, lebensbejahende Diesſeitsglaube der nordiſch⸗germaniſchen
Rafie. Der Lebensraum gilt als Sinnbild des ſchaffenden Lebens und ift
ein heiliges Symbol.
Da auch der Menſch nicht außerhalb der Natur ſteht, ſondern ein Stück
Natur ſelbſt iſt, ſtellt er ſein Leben und Schaffen unter die gleichen Geſetze.
Das raſſiſche Denken und der Sippengedanke der Ger-
manen wurzelt in dieſem tiefen Lebensernſt und der Ehrfurcht und Achtung
vor dem naturhaft Gewachſenen. Die nordiſchen Sagas und die Edda geben
uns heute noch Aufſchluß über die hohe Bedeutung, die unſere Vorfahren
dem Blutsgedanken und dem Sippenzuſammenhang für geſtaltungskräftiges
Leben und Wirken beimaßen. So iſt der germaniſche Leiſtungsgrundſatz nur
aus der Blutsgemeinſchaft der Familie und Sippe zu verſtehen. Der Wille
zur Leiſtung wurzelt daher in der Treue zum angeſtammten Blut und in dem
Schaffen für Erhaltung und Wachstum des Blutsverbandes. Leiſtung iſt
alfo eine organiſche, für die Gemeinſchaft gewollte Wert.
ſchöpfung.
Auf dieſer Grundlage erfüllt ſich Sinn und Ziel des Daſeins und
der Arbeit. Leben heißt wirken und ſchaffen aus der Gemeinſchaft und
für die Gemeinſchaft. Arbeit wird um der Arbeit willen getan. Sie iſt Sinn
und Inhalt des Lebens und gilt als ein Beitrag, den eine jede Generation
als Glied in dem Blutszuſammenhang der Geſchlechter in ſittlicher Berant”
wortung dieſer Gemeinſchaft gegenüber zu liefern hat. Es entſpricht deut⸗
ſcher Weſensart, wenn einer unſerer Denker fagt, daß das Leben fich feines-
wegs darſtelle „als ein Geſchenk zum Genießen, ſondern als eine Aufgabe, ein
Penſum zum Abarbeiten“. |
Dieſe Grundanſchauungen über Natur, Arbeit und Leiſtung finden ihre
tiefere Begründung und Geſtalt im Arberuf des Germanen: dem Ackerbau.
So wie der Lebensbaum, der als heilig verehrt wird, nur wachſen und ge-
deihen kann, wenn er feſt im Boden wurzelt, ſo muß auch der Bauer mit
ſeinem Werk unlösbar verbunden ſein. Der Sippengutsgedanke iſt alſo die
Übertragung biologiſcher Glaubens- und Erkenntniswerte auf den Bereich
menſchlichen Wirkens. Indem ſo die Reinheit des Blutes und der Sippe ge⸗
Die Erzeugungsschlacht als Ausdruck deutschen Leistungswillens 695
ſichert ift, werden die in den Blutswerten der Familie und der Fruchtbarkeit der
Böden ruhenden Kräfte durch die Geſchlechterfolge hindurch in ſtetig wachſen⸗
dem Maße zur Entfaltung gebracht. Jedenfalls verbindet ſich im altgermani⸗
ſchen Ackerbau mit dem Begriff Leiſtung neben der pflanzlichen und tieriſchen
Leiſtung aus dem Feldbau ſtets der Begriff des Familien- und Sippenwachs⸗
tums. In dieſer Gemeinſchaftspflege und -förderung findet jedes Handeln
ſeinen oberſten ſittlichen Maßſtab und die ſchöpferiſche Perſönlichkeit ihre
Rechtfertigung. 8
Wenn man zuweilen von einem Individualismus der Germanen Spricht, fo
erweiſt ſich dieſes Ich⸗Prinzip bei näherer Betrachtung meiſt als überindivi⸗
duelles Familienprinzip. Man verwechſelt hier nur zu leicht Perſönlichkeits.
bewußtſein mit Einzelmenſchentum. Es iſt etwas ganz Verſchiedenes, ob
jemand nur an ſein eigenes Selbſt glaubt und denkt, oder ob er aus einem
ſtarken Lebensgefühl und geſunden Selbſtbehauptungswillen heraus für ſich
und die Seinen ſtrebend fih bemüht. Wie ſtark im germaniſchen Rechtsgefühl
der Leiſtungsgrundſatz verwurzelt war, erhellt am beſten die Tatſache, daß das
gebräuchliche Recht der Landnahme ohne weiteres den kinderreichen und tat⸗
kräftigeren Sippen eine entſprechend größere Erweiterung ihres Grundeigen-
tums ermöglichte, ſo daß damals ſchon je nach Leiſtungsfähigkeit eine gewiſſe
Befigungleichheit angenommen werden kann.
So vollzog fih unter dem Einfluß dieſes Leiſtungsgrundſatzes die Beſie⸗
delung und Raumbildung nach natürlichen Geſetzen. Der Raum und
ſeine Nutzung blieben immer im richtigen Verhältnis zur Zahl, zu den Fähig⸗
keiten und Anſprüchen ſeiner Bewohner. And ſo entſtanden die ſelbſtgenüg⸗
ſamen Dorfſchaften und Gemarkungen und ſpäter, nach der Herausbildung
geſonderter gewerblicher Niederlaſſungen und Städte, die bodenſtändigen und
geordneten Markt- und Stadtwirtſchaftsräume. In Abſtänden von vier bis
acht Wegſtunden bedeckten dieſe Landſtädte und Marktflecken das Land, und
es ſtiegen ſo auf dem breiten Rücken eines bodengebundenen Bauerntums Ge⸗
werbe, Handel und Verkehr empor. Alles in allem ein leiſtungsfähiger Er⸗
jeugungs- und Wirtſchaftsorganismus voll innerer Harmonie. So verläuft die
allgemeine Entwicklung ins 13. und 14. Jahrhundert hinein.
Es iſt lehrreich, gerade die landwirtſchaftliche Entwicklung in dieſer Zeit zu
verfolgen. Wir haben vom 11. bis 14. Jahrhundert eine Vermehrung der Be⸗
völkerung um das Dreifache gehabt. Aber mit dieſer Steigerung der Volks-
dichte wächſt im innigen Verhältnis die Intenſität und Ausdehnung der
landwirtſchaftlichen Kultur. Die Ackerflächen werden durch Rodungen und
Arbarmachungen erweitert, die alten Betriebsſyſteme verbeſſert, die Technik
des Landbaues wird vervollkommnet. So finden wir z. B. in Weſtdeutſchland
ſchon Anſätze zur Fruchtwechſelwirtſchaft und zur Bebauung der Brache; wir
können auch zum Zwecke der Ertragsſteigerung die Vermehrung der Pflug-
arbeiten beobachten, und ſelbſt die verſtärkte Zufuhr von Dünger (Stallmiſt
und Mergel) läßt fich feſtſtellen. And als der Boden im alten mitteleuropäi-
[hen Siedlungsgebiet zu knapp wurde, ſetzte fih die Beſiedlung und Raum-
bildung im menſchenarmen Oſten nach den gleichen natürlichen Wachstums⸗
und Leiſtungsgeſetzen fort. Der deutſche koloniſierende Bauer brachte auch in
dieſen Raum „den wechſelweiſen Aufſchwung von Stadt und Land, die Ver⸗
dichtung der landwirtſchaftlichen Beziehungen zwiſchen Bauer und Städter zu
696 Konrad Meyer
beider Vorteil“. (W. Abel: Agrarkriſen und Agrarkonjunkturen: Mitteilungen
vom 13. bis 19. Jahrhundert. Berlin 1935.)
Dieſes Bild, nur flüchtig und lückenhaft hingeworfen, ſteht aber im völligen
Gegenſatz zu jenem, was wir von einer nomadiſchen Raſſe, wie etwa
den Juden, entwerfen. Hier finden wir nicht jene tiefreligiöſe Weltgebor⸗
genheit und Naturverbundenheit und darum auch nicht die hohe ſittliche
Wertung der Arbeit. Arbeit gilt (vergl. Altes Teſtament) geradezu als Laſt
und Fluch für die Sünde der Menſchheit. Bei uns Deutſchen iſt die Liebe
zum Volk gar nicht zu trennen von der Liebe zum deutſchen Lebensraum.
Anſere landſuchenden germaniſchen Völkerſtämme ſind immer zugrunde ge⸗
gangen, wenn es ihnen nicht gelang, eine Heimat zu finden und ſich feſt mit
dem Boden zu verwurzeln. Die Juden haben nach der Zerſtörung Jeruſalems
keine Heimat mehr und beſtehen weiter. Das jüdiſche Volk hat aber bisher
auch noch keine ſchöpferiſchen Leiſtungen aufzuweiſen vermocht. Es kennt auch
nicht den weltanſchaulichen und tiefbegründeten Leiſtungsbegriff der ſeßhaften
Völker, ſondern nur die nomadiſchen Methoden des Raffens, des Ausnutzens
und der Verteilung der Beute. An die Stelle des nordiſchen Ge⸗
ftaltungs- und Leiſtungswillens tritt hier das materielle
Streben nach Erwerb und Gewinn.
Es mag hart klingen — aber Wahrheiten ſind oft hart — das ſittlich hohe
nordiſche Prinzip der Leiſtung iſt ſeit der Ausdehnung des Chriſtentums bei
uns bis in die jüngſte Zeit hinein immer bedroht geweſen durch dieſen vorder-
aſiatiſch⸗ſemitiſchen Geiſt. Er war eine Gefahr, da er nicht nur in der mannig⸗
faltigſten Tarnung dem germaniſchen Geiſt entgegentrat, ſondern weil auch
gewiſſe Richtungen des romaniſch⸗weſtiſchen Kulturkreiſes und zeitweiſe auch
der angelſächſiſchen Geiſteswelt parallel liefen mit dieſem fremdartigen jüdiſch⸗
nomadiſchen Geiſt. Das ganze ſpäte Mittelalter und die Neuzeit ſind ange⸗
füllt mit Kämpfen und Auseinanderſetzungen zwiſchen dem deutſchen und
dieſem Fremdgeiſt. Er bedroht uns heute noch in Geſtalt des jüdiſch⸗bolſche⸗
wiſtiſchen Geiſtes. Dieſe geſchichtlich bedeutſamen Auseinanderſetzungen ſind
beftig und blutig auf weltanſchaulich⸗religiöſem und politiſch⸗wirtſchaftlichem
Gebiet ausgetragen; verborgen, aber nicht minder folgenſchwer, auf biologiſch⸗
raſſiſchem Gebiet. Erſt durch die Revolution von 1933 hat ſich
der deutſche Geiſt aus der Amklammerung der verſchiede⸗
nen artfremden Einflüſſe und Wirkungen befreit, und er
erlebt nun feine umfaſſende Geſtaltwerdung.
Ich muß es mir leider verſagen, hier im einzelnen die vielfachen und felt-
ſamen Verſchlingungen und Bedingtheiten der verſchiedenen Zeitſtrömungen
und Auseinanderſetzungen des deutſchen Geiſtes mit dem fremden Geiſt auf-
zuführen. Ich greife nur einige Erſcheinungen heraus, wie fie zum Verſtänd⸗
nis des hier Abzuhandelnden gehören.
Die ſtärkſte Bedrohung erfuhr der alt⸗germaniſche Leiſtungsgedanke durch
die Entwicklung, welche die Naturwiſſenſchaft zu Beginn der Neuzeit nahm
und durch die Herausbildung der Geldwirtſchaft zum modernen Kapitalismus.
Was die Entwicklung der Naturwiſſenſchaft anbetrifft, ſo hat
ſich die alte germaniſche Weſensſchau der Natur, die wir eingangs kennen⸗
lernten, jpäter in der Wiſſenſchaft leider nicht durchſetzen können. Sie iſt
urſprünglich als eine Art Laienwiſſenſchaft und ſpäter, ja bis heute, meiſt
außerhalb der Aniverſitäten gepflegt worden von Männern mit ſtarkem Per-
Die Erzeugungsschlacht als Ausdruck deutschen Leistungswillens 697
ſönlichkeitsbewußtſein und echter Glaubenskraft. Ihre Linie ift gezeichnet von
Meiſter Eckehard her über Kepler, Paracelſus, Goethe, Schelling u. a. Kenn⸗
zeichnend für dieſe Richtung iſt aber ſtets die tiefe Ehrfurcht vor der natür⸗
lichen Größe und Ordnung der Schöpfung geweſen.
Anter der mittelalterlichen Herrſchaft kirchlicher Dogmatik und Scholaſtik
wurde dieſe echte deutſche Naturanſchauung umgebogen und zur völligen Be⸗
deutungsloſigkeit herabgedrückt durch eine völlige entſeelte Vernunftwiſſen⸗
ſchaft. Sie hat fih in gewiſſer Weile ſpäter in dem mechaniſtiſch⸗materialiſti⸗
ſchen Nationalismus der modernen Naturwiſſenſchaften fortgeſetzt. Für ihre
Grundhaltung iſt kennzeichnend die Vorſtellung, daß ein göttliches Prinzip
von außen her auf die Erde wirkt, oder aber — wie in der modernen
Naturwiſſenſchaft —, daß ein ſolches mehr oder weniger ganz geleugnet wird.
Eine im Leben auf der Erde ſelbſt wirkende ſchöpferiſche Kraft wird
jedenfalls geleugnet. And ſo glaubt ſie alle Bewegungen und Vorgänge der
Natur als ein Syſtem funktioneller Beziehungen, aus einem ſeelenloſen,
mathematiſchen Geſetzen gehorchenden Mechanismus heraus erklären und her⸗
leiten zu können. Der Menſch ſteht dabei, losgelöſt von allen Bindungen,
dieſer entzauberten Natur gegenüber als ihr vermeintlicher Herrſcher und Ge⸗
bieter. Wir können diefe Richtung nach der raſſiſch⸗ſeeliſchen Zugehörigkeit
ihrer Vertreter als die „weſtliche Linie“ der Naturforſchung bezeichnen. Ihr
gehören Männer wie Galiläi, Gaſſendi, Descartes u. a. an. In dieſer
wiſſenſchaftlichen Richtung haben ſich die Juden beſonders wohlgefühlt und
getummelt.
Die vorherrſchend rationaliſtiſche⸗mechaniſtiſche Naturwiſſenſchaft hat den
weltanſchaulichen Anterbau für das ganze individualiſtiſche und
kapitaliſtiſche Wirtſchaftsdenken abgegeben. Der Menſch, nach
Auffaſſung der Rationaliften außerhalb der Natur ſtehend, glaubt tid
losgelöſt aus den übergeordneten Bindungen. Er genügt ſich ſelber und fühlt
Hoi keinem Höheren verpflichtet. Dabei erhält aber auch das Leben des
Menſchen einen völlig anderen Sinn. Nicht mehr Dienſt an der Gemeinſchaft
als Verpflichtung und Arbeit, als Lebensinhalt, ſondern Anſpruch auf Genuß
und Arbeit als Laſt — ſo etwa läßt ſich dieſe Wendung auf kurze Formeln
bringen. And wenn wir nunmehr berückſichtigen, daß in jener Zeit das Geld
im Wirtſchaftsleben immer mehr und mehr an Bedeutung gewann, und daß
gar in der kalviniſtiſchen Ethik die wunderlichſte Verbindung von Eigennutz
und ſittlicher Idee gelang, ſo fällt es nicht ſchwer, einzuſehen, wie nun für den
Einbruch des modernen Kapitalismus und damit für die Abwandlung des
deutſchen Leiſtungsgedankens die großen Tore geöffnet ſind. Es iſt wiederum
bezeichnend, daß auf romaniſch⸗weſtlichem Boden der Erwerbsſinn und die
Rechenhaftigkeit der Wirtſchaftsführung ſich am eheſten ausbildeten und
ferner, daß es wiederum ein Vertreter des weſtlichen Kulturkreiſes war, näm⸗
lich ein Franzofe (Buridane), der erſtmalig Tatſachen des Wirtſchaftslebens,
wie z. B. die Preisbildung, mit der mathematiſchen Naturwiſſenſchaft, alſo
kauſal⸗mechaniſtiſch zu erklären verſuchte.
Zum Verſtändnis unſeres Leiſtungsgedankens mögen diefe kurzen Hinweiſe
über die geiſtesgeſchichtlichen Wandlungen am Ausgang des Mittelalters
genügen. Was die weitere Entwicklung der Naturlehren und Wirtſchafts⸗
theorien von dieſer Zeit an bis in das erſte Drittel des 20. Jahrhunderts
hinein brachten, iſt im weſentlichen eine weitere Ausbildung und Fortführung
698 Konrad Meyer
der hier gelegten Grundlagen. Ob wir die merkantiliſtiſche Ged- und Handels-
bilanztheorie, ob wir die naturrechtlichen Vorſtellungen eines Rouffeau heraus-
greifen, ob wir von den Phyſiokraten oder von den ſogenannten Wirtſck
theoretikern ſprechen, ſie haben alle das eine gemeinſam, daß ſie ſich als
geeignete Lehren erwieſen zur Amwertung des deutſchen Leiſtungsgedankens.
Das Denken und Fühlen des Bauern, das vom lebendigen Sujam-
menhang des Lebens ausgeht, und das daher vornehmlich die Wahrung und
Vertiefung dieſes Lebenszuſammenhanges als Leiſtungsaufgabe kennt, wird
nun umgewertet in das Denken des Händlers, das nicht gemeinſchafts⸗
bewußt, bodenverwurzelt und urſprünglich iſt, ſondern ſich in Begriffen,
Zahlen und Mengen bewegt.
Es bedeutet in dieſem fortſchreitenden Amwertungsprozeß eine Auflehnung
deutſch⸗germaniſchen Geiſtes, die leider nur eine zeitliche Stockung, nicht aber
eine Amkehr in der Richtung bewirken konnte, wenn ein Friedrich II. fein
ſittliches Prinzip des Dienſtes am Ganzen aufrichtete; oder wenn Fichte den
Kapitalismus von innen her, vom ſelbſtſüchtigen und falſchen Eigentums⸗
und Geldbegriff zu überwinden ſuchte und uns einen deutſchen Staatsſozia⸗
lismus lehrte; oder wenn Adam Müller und Liſt gegen A. Smith und
Ricardo auftraten und deren Tauſchwert⸗ und Preislehren die Produttivi-
tätslehre und die an den nationalen Raum gebundene Theorie der produktiven
Kräfte entgegenſtellten; oder wenn E. M. Arndt von der Verwelſchung und
vom Weſen der politiſchen Stellung des Bauerntums ſpricht; oder wenn in
jüngerer Zeit ein Ruhland feine volksorganiſche Wirtſchaftslehre begründet.
Friedrich der Große machte ſich die ganze Welt zum Feinde; Fichte
wurde wegen Gottloſigkeit aus dem Amt gejagt, und als er ſeine Reden an
die deutſche Nation hielt, wirkte er ſtändig unter Gefahr ſeines Lebens.
Müller wurde als Schwärmer verächtlich gemacht; Lift gab verkannt und
verbittert den Kampf ſelbſt auf und erſchoß ſich; Arndt lebte zwanzig Jahre
lang ſeines Amtes enthoben und war den ärgſten Schikanen und Schnüffe⸗
leien ausgeſetzt, und ſchließlich Ruhland hat die bitterſten Anwürfe und
Verleumdungen erleben müſſen und wurde totgeſchwiegen.
Was iſt nun in jener Entwicklung des individuellen Wirtſchaftsdenkens aus
dem deutſchen Leiſtungsgedanken geworden, und welche Folgen ergaben ſich
aus dem Amwandlungsvorgang? Die Beantwortung dieſer Frage führt uns
unmittelbar in die Gegenwart hinein und läßt uns die Bedeutung der Er-
zeugungsſchlacht im vollen Amfange erkennen. Es wäre einfältig, behaupten
zu wollen, daß die letzten Jahrhunderte keine Leiſtungen aufzuweiſen hätten.
Nein, wir wiſſen alle, daß jene gewaltige Entfaltung des Einzelmenſchen ein
Zeitalter der Entdeckungen und Erfindungen ausgelöſt hat und uns aus mittel-
alterlicher Erſtarrung befreite. Daher war vielleicht dieſe Befreiung des
Einzelmenſchen von ſeinen Bindungen geſchichtlich notwendig zur Erſchlie⸗
pung und Eroberung der Welt — wie es Staatsſekretär Bade in feiner fo
grundlegenden Rede auf dem Reichsbauerntag aufgezeigt hat —. „Das mo-
derne Volk“, ſo ſagt Ruhland, „muß — wie es ſcheint — die Schule des
Kapitalismus einmal durchmachen, um zu lernen, in welchem Maße die pro-
duktiven Kräfte ausgenutzt werden können.“ Wir haben aber dieſe Lehre er-
kauft mit dem Zerfall unſeres Volkes. Denn der bei dieſer Ausnutzung
der produktiven Kräfte ſich entwickelnde Leiſtungsgedanke hat immer mehr den
Charakter einer organiſchen und für die Gemeinſchaft gewollten Wertſchöpfung
Die Erzeugungsschlacht als Ausdruck deutschen Leistungswillens 699
verloren. Durch die Entfeſſelung des Ichs lockerten fich alle bisherigen Bin-
dungen. Selbſt die Gemeinſchaft des Volkes, aufgebaut auf dem Bluts⸗
zuſammenhang der Familien und Sippen und beruflich gegliedert durch die
Stände, löſte ſich auf. Wo früher Volk war, wurde Bevölkerung, und wo es
früher aus dem organiſchen Gemeinfchaflsgefüge heraus eine Art ,,Gefellen-
ſchaft“ gab, wurde jetzt der liberaliſtiſche Begriff der „Gefellſchaft“ geboren.
Die Arbeit als ſittliche Verpflichtung gegenüber der Geſamtheit wird
zu einem ökonomiſchen Grundmaß. Galt bisher die menſchliche Arbeit im
Wirtſchaftsgeſchehen als die aktiv tätige und ſchöpferiſche Kraft, der Natur
und Kapital gedanklich untergeordnet war, und die ſich der Menſch nutzbar
machte, ſo hebt ſich jetzt das Kapital als ſouveräne Größe immer mehr heraus
und zwingt Arbeit und Natur in ſeinen Dienſt. Die Natur wird zu
einem untergeordneten Produktionsfaktor, den man „mit
Hebeln und mit Schrauben“ bezwingen zu können glaubt;
die menſchliche Arbeit aber wird zu einem blutleeren Pro-
duktionsmittel und Ankoſtenfaktor erniedrigt.
Alles wird gleichzumachen verſucht, um es auf einen einheitlichen Geld-
nenner bringen zu können. Da man den Familiengedanken und die Boden⸗
ſtändigkeit als aufbauenden und gemeinſchaftbildenden Grundſatz leugnet,
glaubt man auch nicht mehr an die Verſchiedenwertigkeit der Blutlinien. So
entſteht der „homo oeconomicus in Din-Format“, und fo wird die Arbeitskraft
zum handelsfähigen Objekt und der Boden zur beweglichen Ware. Erwerbs-
prinzip und Rentabilitätsſtreben gelten nun als der alleinige Motor der Wirt⸗
ſchaft. Leiſtung wird nun nicht mehr in Verbindung mit der ſchöpferiſchen
Perſönlichkeit geſehen und mit dem Maße der Perſönlichkeit gemeſſen, ſon⸗
dern nur noch als „Saldo-Größe“ aufgefaßt. Die ganze Wirtſchaft —
von Volkswirtſchaft ift kaum noch zu ſprechen — wird zu einem Syſtem
von käuflichen und verkäuflichen Werten und Rechnungen;
fie verliert völlig den Charakter eines großen Erzeugungs-
organismus, bei dem nicht die Preiſe und Wertberechnun⸗
gen des Tauſchverkehrs das Wichtigſte ſind, ſondern die
Nutzbarmachung aller ſchöpferiſchen Kräfte und die Let:
ſtungen ſelbſt. Es vollzieht fih alfo eine Nangverſchiebung zum Unnatür-
lichen hin. Steht bisher die Leiſtung vor dem Preis, ſo ſchiebt
ſich jetzt der Preis vor die Leiſtung!
Wir ſahen, daß in der deutſch⸗germaniſchen Auffaſſung von der Leiſtung
immer etwas Wuchshaftes war, das in irgendeiner Beziehung Verbindung
mit dem Boden beſaß. Luther äußert ſich noch aus Anlaß der Wuchergeſchäfte
der Fugger in bezeichnender Weiſe darüber — hier ſpricht die deutſche Sub-
ſtanz ſeines Herzens —: „Ich weiß die Rechnung nicht, aber das verſtehe ich
nit, daß man mit hundert Gulden mag des Jahres erwerben zwanzig, ja, einen
Gulden den anderen, und das alles nicht aus der Erde und von dem Viehe.“
(M. Luther: An den Adel deutſcher Nation.) Dieſe organiſche Auffaſſung
entſpricht durchaus noch bodenſtändigem Denken. Es bedeutete das
nicht eine Aberſchätzung des Stofflichen, nein, auch geiſtige Leiſtungen be-
dürfen der Bodenſtändigkeit; erſt dann werden ſie zu kulturellen Leiſtungen!
Jede Leiſtung und jeder echte Fortichritt ift eine Art Kreisbewegung und
Kugelausweitung, wobei ſich gewiſſermaßen der Radius verlängert (Liebig).
Deutſches Leiſtungsdenken enthält immer etwas Zielgerichtetes und Geſtal⸗
700 Konrad Meyer
tendes. Dagegen bewegt fih in der mechaniſchen Betrachtungsweiſe jeder
Fortſchritt am „laufenden Band“ und gewiſſermaßen flächenhaft auf irgendein
unbekanntes Ziel los. Es fehlt hier ſozuſagen die dritte Dimenſion zu denken.
Man kann eben nicht alle Leiſtungen mit der Elle meſſen. Gerade die Lei-
ſtungs güte ift zumeiſt im cm.g⸗Syſtem nicht ausdrückbar. Als Beiſpiel für
dieſe Art der Leiſtungsbewertung erinnere ich hier nur an die bisher in der
Wiſſenſchaft übliche Methode bei Berufungen und Beförderungen. Hier galt
faſt ausſchließlich die Schwere des „wiſſenſchaftlichen Gepäcks“ als Leiſtungs⸗
maß, d. h. es wurde nach der Zahl der Veröffentlichungen und nach der Dicke
und Schwere der geſchriebenen Bücher gemeſſen.
Die nachhaltigſten und . Wirkungen aber hat der materia-
liſtiſche und rationaliſtiſche Leiſtungsbegriff auf die Bevölkerungsver⸗
teilung und Nutzung des deutſchen Raumes gehabt. Mit der
hemmungsloſen Entfaltung des Einzelmenſchen und der Auflöſung aller über-
perſönlichen Bindungen mußten natürlich auch das Bewußtſein von der Zu⸗
gehörigkeit von Volk und Raum und der Verbundenheit von Volk und Wirt-
ſchaft ſchwinden. Vollzog fih unter dem Einfluß des deutſchen Leiſtungs⸗
gedankens die Verteilung der Menſchen, ihrer Arbeit und ihrer Güter im
Raum nach den natürlichen Geſetzen des Wachstums und der Naumbilduna,
ſo mußten ſich dieſe Verhältniſſe der Raumordnung und Gliederung nun von
Grund auf umkehren. Die Raumbildung wurde nun auch ebenſo wie gewöhn⸗
liche Wirtſchaftsvorgänge in die Geldwirtſchaft einbezogen. So entſtand die
heutige Boden- und Beſitzverfaſſung und Volksordnung, die von privatwirt⸗
ſchaftlicher Einſtellung her und vom kapitaliſtiſchen Denken aus als durchaus
„in Ordnung“ bezeichnet werden kann, die aber von uns als gröbſte Raum⸗
unordnung bezeichnet werden muß.
Die bisherige Standortslehre wurde rein privatwirtſchaftlich vom
Koſtenvorteil bzw. nachteil aus geſehen. Fragen des volkswirtſchaftlich rih-
tigen Standortes erhielten untergeordneten Rang. Da eben, rein wert- und
gewinnmäßig gedacht, die Zuſammenfaſſung verfügbarer Kräfte auf engſtem
Raum am wirtſchaftlichſten iſt, ſo wurden — unterſtützt durch die entſprechende
Verkehrspolitik — die Städte die Treibhäuſer induſtriekapitaliſtiſcher Entwick⸗
lung. Daneben aber entftanden die weiten, leeren Räume des Oſtens, aus
denen die Menſchen gleichſam herausgeſaugt wurden und in denen die
Bauernarbeit wertlos wurde. Oder aber es entſtanden aus verkehrspolitiſcher,
nicht etwa natürlicher Angunſt der Lage, die wirtſchaftlich verödeten Räume
und toten Winkel. Das Ganze aber ſtellt ſich dar als ein Raubbau an den
eigentlichen ſchöpferiſchen Kräften eines Volkes, zugunſten einer Okonomie
von Handelswerten. b
Was hier im großen in der Ordnung und Gliederung des deutſchen Raumes
fih abſpielte, vollzog fih ähnlich in der Art und Weiſe der landwirt⸗
ſchaftlichen Nutzung des Bodens. Die ungehemmte Freiheit des
individuellen Erwerbſtrebens ließ auch hier volkswirtſchaftliche Forderungen
und Belange verkümmern und führte ſchließlich zur Vernachläſſigung der
wirklich produktiven Kräfte. Die Standortsfragen in der Landwirtſchaft wur-
den ausſchließlich privatwirtſchaftlich geſehen und mußten folgerichtig, wie es
innerhalb der liberaliſtiſchen Verkehrs- und Marktpolitik nicht anders möglich
fein konnte, ganz im Bann verkehrs- und transportwirtſchaftlicher Erwägungen
Die Erzeugungsschlacht als Ausdruck deutschen Leistungswillens 701
ſtehen. v. Thühnens geniales Lehrgebäude ift ganz und gar aus dieſem Geift
heraus geboren. Erzeugung und Leiſtung wurden alſo dabei
viel mehr durch die Verkehrslage beſtimmt als durch die
natürlichen Produktionsvorausſetzungen und -bedingun-
gen, wie ſie durch die Fähigkeiten und die Tatkraft der
bäuerlichen Familien und die Natur des Bodens gegeben
find. And dort, wo bei gleicher Verkehrslage die natürlichen Erzeugungs-
bedingungen unterſchiedlich find, hat das kapitaliſtiſche Rentabilitätsprinzip
die natürliche Bodenungleichheit noch auffallender gemacht. Wenn wir z. B.
heute allein für die Nachkriegszeit unterſuchen, welche Böden bei annähernd
leicher Verkehrslage die Vorkriegserträge am nächſten erreichen, ſo ſtellen wir
eſt, daß die ſchlechten Böden durchweg mehr hinter den guten zurückbleiben.
Dies läßt alſo darauf ſchließen, daß wir bereits begannen, dem geringen Boden
nicht mehr die nötige Pflege und Aufmerkſamkeit zu widmen. Hier würden
fih alfo bereits die Vorſtellungen des VBörſenjuden Ricardo verwirklichen,
nämlich, daß um der Steigerung des Kapitalprofits willen und zwecks Senkung
des Reallohnes die ſchlechten Böden der eigenen Landwirtſchaft preisgegeben
werden müßten zugunſten irgendwelcher fremder Märkte. Tatſächlich ſpukten
ja auch bereits Pläne kurz vor der Machtergreifung über die Aufforſtung
weiter Gebiete des Oſtens.
And nicht nur die Böden wurden preisgegeben, ſondern ganze Erzeu-
gungszweige und Feldfrüchte wurden über die Grenzen nach den
billigen Arbeitslöhnen oder den billigeren Erzeugungsgebieten hinausgetrieben.
Schließlich wurde, um den Ankoſtenfaktor „Arbeit“ zu verringern und damit
die Rentabilität der Wirtſchaft zu ſichern, das Taylor⸗Syſtem in die deutſchen
Höfe und Güter hineingequält. Das Ende dieſer ganzen Entwicklung iſt uns
genügſam bekannt: wachſende Verſchuldung unſerer deutſchen Höfe, wobei
nicht etwa die ſchlechteſten Bauern und Landwirte, ſondern gerade die unter-
nehmungsfähigften und leiſtungswilligſten in Not gerieten; ſteigende Arbeits-
loſigkeit; Kontingentierungen und Aberſchüſſe einerſeits und völlige Auslands-
abhängigkeit bei einzelnen Erzeugniſſen andererſeits. — Das waren alſo die
letzten Auswirkungen der freien Wirtſchaft und des Rentabilitätsprinzips, das
den deutſch⸗germaniſchen Gedanken der Leiſtung völlig in Zahlen und in ein
rentenmäßiges Denken umbog. Rente iſtalſokein Maßſtab für echte
Leiſtungen! Ein Hof kann eben rentabel ſein und doch leiſtungsunfähig,
und ebenſo kann er unrentabel ſein und doch Leiſtungen hervorbringen.
Wir haben uns nach der Machtergreifung in der deutſchen Landwirtſchaft
von dem kapitaliſtiſchen Rentabilitätsprinzip frei gemacht und dafür das
nationalſozialiſtiſche Leiſtungsprinzip an die Stelle geſetzt. Die Agrar-
geſetze von 1933 find die Geſetze der Befreiung des Bodens
und des Menſchen von der Herrſchaft des Kapitalismus.
Durch die Wiederverwurzelung des Bauern mit ſeinem Grund und Boden iſt
für den für die Volkskrafterhaltung wertvollſten Teil des deutſchen Volkes die
uralte Gebundenheit wiederhergeſtellt. Damit fordert aber auch der in
dieſer Gebundenheit ruhende Leiſtungsgedanke in ſeiner
Arſprünglichkeit und Echtheit ſeine Geſtaltung.
And Gott ſei Dank, wir haben das rationaliſtiſch verbogene Denken der
letzten Jahrzehnte gründlich abgelegt. Der geſunde, unverbildete Menſchen⸗
702 Konrad Meter
verſtand leitet uns wieder. Wenn ein Volk mehrere Millionen Arbeitsloſe mit
ſich ſchleppt, was liegt näher, als Arbeitsbeſchaffungsmaßnahmen zu ergreifen;
wenn ein Volk an mangelnder Geburtenzahl zugrunde zu gehen droht, was ift
verſtändlicher, als daß es die Forderung nach Hebung der Gebärleiſtungen
ſtellt; und wenn ſchließlich die Ernährung dieſes Volkes wegen einer unzu-
reichenden und ungeordneten Bodenerzeugung bedroht iſt, kann es dann eine
andere Entſcheidung geben, als mehr und geordneter zu erzeugen und das
Erzeugte beffer und geordneter zu verwerten? In dieſen Selbſtverſtänd⸗
lichkeiten liegt der im Grunde fo einfache Gedanke unſeres deutſchen Leiſtungs⸗
willens begründet. Er iſt aus geſunder Erdkraft und Lebensbejahung geboren
und findet feinen tieferen Sinn im Handeln und im Aberwinden der Schwie-
rigkeiten. Anſere Erzeugungsſchlacht iſt in ihrem geiſtigen
Gehalt nichts anderes als die Erziehungsſchlacht zu einem
un verbogenen natürlichen und urſprünglichen Wirt-
ſchafts- und Leiſtungsdenken. Für uns regiert nicht mehr Geld die
Welt, ſondern uns regiert nur noch der Wille, alle produktiven Kräfte der
Arbeit und des Raumes zur Sicherung der deutſchen Ernährung und Meh-
rung der deutſchen Volkskraft zu wecken und am richtigen Ort zu entfalten!
Wir erblicken in den Mehrleiſtungen aus dem Ackerbau gleichſam
das „offene Ende“ und die „verſchiebbare Grenze“ der geſamtvolkswirtſchaft⸗
lichen Leiſtungsausweitung. Jeder Zentner Mehrleiſtung von einem Erzeug-
nis, an dem wir Bedarf haben, iſt Schöpfung zuſätzlicher Kaufkraft. Es muß
Ziel ſein, dieſe Kaufkraft wiederum bevorzugt in der Landwirtſchaft einzuſetzen,
und zwar möglichſt in den bisherigen verödeten marktfernen und durch die
Natur ſpärlich ausgeſtatteten Erzeugungsgebieten. Es bedeuten uns heute —
volks- und auch ernährungswirtſchaftlich geſehen — die geringen Böden — fo-
weit ſie überhaupt eine Ackernahrung bieten — ebenſoviel wie die guten Böden.
Sie gehören in den großen Hof Deutſchland ebenſo mit dazu wie etwa die
Außenſchläge oder leichteren Acker eines Einzelhofes. Ja, wir haben hier eine
Menge Anterlaſſungsſünden von früher wieder gutzumachen. Anſere ganze
Sorge hat ſich der großen Zahl unſerer bäuerlichen Wirtſchaften gerade in den
bisher vernachläſſigten und beungünſtigten Gebieten zuzuwenden, wie z. B.
den marktfernen Winkeln oder den ſchwierigen und wechſelreichen Berg ⸗ und
Hügelgebieten. .
Die Mobilifierung dieſer Bauernhöfe und Güter ift fo-
zialiſtiſch und vollzieht fic) gegen alle bisherigen Regeln. Wenn fih bisher
die Erzeugung in ſklaviſcher Abhängigkeit der Verkehrs- und Preisverhältniſſe
bewegte, ſo ſtellen wir jetzt den Preis als ein politiſches Zweckmittel in den
Dienſt der Erzeugung und verſuchen damit, den Einfluß der Verkehrslage zu
beſeitigen. Das ift der tiefere Sinn der Preis- und Marktord-⸗
nung und ſoll es ſein. Gewiß, heute mögen die Preiſe hier und da im Oſten
vielleicht noch nicht befriedigen. Das liegt daran, daß wir eine Erbſchaft ver-
gangener Sünden der Raumbildung mitſchleppen, nämlich, daß das Getreide
des Oſtens in die verhängnisvolle Oſt⸗Weſt⸗ Richtung in Bewegung kommen
muß. And wir können aber erſt Schritt für Schritt ohne Störungen unſerer
Ernährungswirtſchaft und Erſchütterung unſeres geſamten deutſchen Lebens-
ſtandards zu einer Beſſerung gelangen. Als Ziel aber ſchwebt uns bei all dieſen
Bemühungen vor — ob es voll erreichbar iſt oder nicht, iſt dabei gleich⸗
Die Erzeugungsschlacht als Ausdruck deutschen Leistungswillens 703
gültig —: das Ideal einer Raumgeſtaltung, inneren Gliede-
rung und Bodennutzung, das gerade das Gegenteil des
Thünenſchen Staates iſt! Alſo nicht ein großer zentraler Markt und
die weitgehende Abhängigkeit von den Marktentfernungen und Transport-
koſten, ſondern ein gleichmäßig aufgegliederter Raum mit vielen kleinen,
mittelgroßen und kaufkräftigen Städten und Märkten und mit der beſtmög⸗
lichſten Entfaltung aller wirklich ſchöpferiſchen Kräfte.
In dieſem Zuſammenhang bejahen wir auch die Technik und ſtellen ſie in
unſeren Dienſt. Die Erſchließung unſerer toten Winkel iſt mehr eine Frage
des weiteren Ausbaues des Straßennetzes und der Entwicklung des Kraft-
verkehrs, als der Eiſenbahn. Wir können auch auf die übrigen induſtriellen
Erzeugungsmittel für die Landwirtſchaft, wie z. B. Dünger und Maſchinen,
nicht verzichten, wenn ſie geeignet ſind, unſere Leiſtung und die Wirkſamkeit
von Arbeit und Natur zu verbeſſern und zu erhöhen. Wir ſind nicht etwa
Maſchinenſtürmer, wie es uns gern diejenigen nachſagen möchten, die irgend-
wie von der Vergangenheit her ein ſchlechtes Gewiſſen haben. Wir wiſſen
wohl, daß die Maſchine eine wertvolle Waffe des Lebens iſt, und daher
bejahen wir ſie; nur lehnen wir dieſe ab, ſobald ſie ſich gegen das Leben
ſelbſt richtet!
Die Erzeugungsſchlacht hat auch die Wiſſenſchaft aus ihrer Stuben⸗
luft herausgeriſſen und ſie wieder in Wind und Wetter der Wirklichkeit
geſtellt. Die Wiſſenſchaft ſieht heute die Landwirtſchaft nicht mehr als ein
Gewerbe, das Gewinn erzielen und Geld erwerben ſoll, ſondern ſie erblickt
in ihr ein Syſtem von Leiſtungen, die das Landvolk als Nährſtand
und völkiſcher Lebensquell im Dienſt und zum Nutzen der Volksgemeinſchaft
hervorbringt! An die Stelle des Verzinſungsgedankens iſt
alſo auch hier der Leiſtungsgedanke getreten. In einer für
das Ganze nützlichen Weiſe die höchſten, ſicherſten und dauerhafteſten Lei⸗
ſtungen zu erzielen, iſt der Kerngedanke der neuen Landbaulehre geworden.
Wir haben uns als nächſte, dringendſte Aufgabe geſtellt, bis in die Gemein⸗
den hinein die Erzeugungsbedingungen und bisherigen Leiſtungen der Böden
zu ermitteln und vergleichend nebeneinanderzuſtellen. Auf dieſe Weiſe hoffen
wir jeder Landesbauernſchaft eine Generalſtabskarte ihres Aufmarſchgebietes
zu geben, die in alle Einzelheiten hinein Mängel und Möglichkeiten der
Schlachtordnung und die einzuſchlagende Wegroute kenntlich macht. Die
heutige Aufgabe der Mobiliſierung aller bodenſtändigen Kräfte verlangt ein
viel tieferes Eingehen auf die Vielgeſtaltigkeit der deutſchen Erzeugungs-
bedingungen, als es in der bisherigen Betriebslehre und Agrarkartierung
üblich war. Sie verlangt vor allem von der Wiſſenſchaft heute eine ſtärkere
Beſchäftigung mit jenen Wirtſchaften, die rund 90 % der ganzen Wirtſchaft
ausmachen, nämlich den drei Millionen Bauern- und Kleinbetrieben. Die
Pflanzenbauwiſſenſchaft und Pflanzenzüchtung wird uns die Arbeitsleiſtun⸗
gen unſerer Kulturpflanzen erhöhen helfen, und die Tierzucht wird aus den
Blutlinien unſerer bodenſtändigen Raflen das Beſte herausholen müſſen.
Alles in allem werden wir in unſerer Wiſſenſchaft künftig nicht mehr ſo viel
von Renten, Verzinſungen und Einkommen ſprechen, ſondern um ſo mehr
von Leiſtungen, die wir in natürlichen und volkswirtſchaftlichen Maßſtäben
meſſen.
704 Otto Bratengeyer
And wenn fo im Dienfte diefes Leiſtungsgrundſatzes Pra-
ris, Wirtſchaftsberatung und Wiſſenſchaft unzertrenn-
bar nebeneinanderſtehen, und wenn wir fo alleſamt dem
deutſchen Erbhofgedanken treu bleiben, dann iſt der Sieg
unſer, und das deutſche Volk wohnt einmal ſtark und frei
im freien Raum!
Vorſtehende Arbeit des Herrn Prof. Dr. Konrad Meyer — ein Vortrag, gehalten auf der Vor⸗
tragstagung des Reichsnährſtandes und des Forſchungsdienſtes am 28. Januar 1936 anläßlich der
Grünen Woche — bringen wir an dieſer Stelle feiner grundſätzlichen Bedeutung wegen zum Abdruck,
obwohl er im Reichsnährſtandsverlag in der Schriftenreihe „Arbeiten des Reichsnährſtandes“ der
Allgemeinheit zugänglich gemacht wird. Die Schriftleitung.
Otto Bratengeyer:
Der Schweinemord 1915
Der Schweinemord von 1915 kann in feinem Werdegang nur richtig be-
urteilt werden, wenn man ihn zunächſt hineinſtellt in den allgemeinen Rahmen
der politiſchen und wirtſchaftlichen Verhältniſſe, wie ſie vor dem Krieg und
während des Krieges beſtanden. Wirtfchafts- und insbeſondere ernährungs⸗
politiſch ging Deutſchland ungerüſtet in den Krieg, auf den es lediglich oi,
täriſch gerüſtet war. Viele auch unter den „Gebildeten“ haben dieſe Rüſtung
nie verſtanden und nie gebilligt. Es herrſchte eine pazifiſtiſche Grundſtimmung;
man glaubte an den ewigen Frieden, weil man ſelbſt den Krieg nicht wollte.
Es war geradezu zum Dogma geworden, daß die zwiſchenſtaatliche wirtſchaft⸗
liche und kapitaliſtiſche Verflechtung einen Krieg unmöglich mache. So wollte
man auch die immer mehr zunehmende Einkreiſung durch England, Frankreich
und Rußland nicht ernſt nehmen. In kapitaliſtiſcher Geſinnung wollte man
Geſchäfte machen und vergaß darüber, daß für andere der Krieg zu einem
Verſuch eines kapitaliſtiſchen Geſchäfts gemacht werden könne. In dieſer
Sorgloſigkeit nahmen die Auswüchſe des politiſchen Lebens immer ſtärker zu.
Die Landwirtſchaft wurde als eine Gruppe empfunden, die man genau ge-
nommen nicht notwendig habe, die man lediglich dulde und mit fortſchleppe.
Mochten ihre Forderungen noch fo berechtigt fein, fie wurden als Brot. und
Fleiſchwucher abgetan. Die Agitation für Einfuhrerleichterungen bei Vieh
und Fleiſch ſpitzte ſich immer weiter zu. Fleiſchnotdebatten waren eine regel-
mäßig wiederkehrende Erſcheinung. Futter- und Düngemittel wurden in
Maſſen eingeführt. Im Nordweſten waren die Schweinemäſtereien entſtanden,
die ſich ausſchließlich auf ausländiſche Futtermittel ſtützten. Wohl hat die
Landwirtſchaft gegen die Politik der Sorgloſigkeit immer wieder Front ge⸗
macht; man denke an den Antrag Kanitz, der unter der Beſtätigung der Lehren
Guſtav Ruhlands ſtetige mittlere Getreidepreiſe und für den Kriegsfall eine
Vorratspolitik erſtrebte, oder man denke an die Kämpfe um den Bülowſchen
Der Schweinemord 1915 705
Zolltarif von 1902, bei dem noch einmal die Entſcheidung fiel, ob fih die
deutſche Viehzucht weiterhin auf ausländiſche Futtermittel gründen ſolle. Alle
Erwägungen zugunſten der Nahrungsfreiheit aber prallten an der Feſtſtellung
ab: Wir ſind ein Induſtrieſtaat! Dieſe Feſtſtellung war nicht nur auf der
Linken von Bebel bis Streſemann beheimatet, ſondern wurde auch in weiten
Kreiſen des Zentrums und der Reichspartei (Freikonſervativen) zu recht⸗
fertigen geſucht. Typiſch für die damalige Zeit war die Außerung des frei-
finnigen Abgeordneten Gothein vom Jahr 1912: „Das patriotiſche Gee
ſchrei, daß für den Kriegsfall die heimiſche Landwirtſchaft den Bedarf des
deutſchen Volkes decken müſſe, iſt eitel Humbug, iſt nur das patriotiſche Män⸗
telchen für eigennützige Zwecke.“
1914 zogen ſich die Wolken über Deutſchland mehr und mehr zuſammen.
Der Glaube an den ewigen Frieden mußte aufgegeben werden. Wieder war
die Landwirtſchaft mit ihren Warnungen zur Stelle. Am 25. 5. 1914 hatte
ſich der Wirtſchaftliche Ausſchuß unter dem Vorſitz des Staatsſekretärs des
Innern Dr. Delbrück zum erſten Male mit der Frage zu beſchäftigen, was
im Fall des Krieges zur Sicherung der Volksernährung zu geſchehen habe.
Eindringlich betonte der Vorſitzende des Bundes der Landwirte Freiherr
von Wangenheim, die Landwirtſchaft habe die Erzeugung an Roggen
ſoweit geſteigert, daß in den letzten Jahren wiederholt eine erhebliche Ausfuhr
möglich geweſen ſei; zwar beſtehe ein Mehrkonſum an Weizen, aber er könne
durch Zuhilfenahme von friſchen und getrockneten Kartoffeln zum größten Teil
ausgeglichen werden. Die Verſorgung mit Fleiſch bleibe nur um wenige
Prozent hinter dem ſehr hoch geſchraubten Bedarf zurück, werde aber bei
weiſer Sparſamkeit gleichfalls genügen. Sicherlich ſei aber nun der Augenblick
gekommen, wo nach dem Grundgedanken des Antrags Kanitz das Reich ſofort
mit der Aufſpeicherung großer Vorräte vorgehen müſſe, um für alle Fälle
geſichert zu ſein. Staatsſekretär Dr. Delbrück konnte zu dieſen Anregungen
die einſtimmige Zuſtimmung des Ausſchuſſes feſtſtellen. Charakteriſtiſch war
die Außerung eines Vertreters aus Großbankkreiſen Roland⸗Lüdke:
„Dieſe Vorſchläge von landwirtſchaftlicher Seite ſind für mich das Anſym⸗
pathiſchſte, was ich kenne; ich gebe aber offen zu, daß der darin gewieſene Weg
der einzig mögliche iſt.“ — Die Vorſchläge Wangenheims waren einſtimmig
gutgeheißen. Nichts aber geſchah zu ihrer Verwirklichung. Delbrück meinte
ſpäter, es ſei aus finanziellen und anderen Gründen unterblieben.
Plötzlich war der Krieg da. Die militäriſche Mobilmachung klappte vor-
züglich. Die erſten Siege wurden gemeldet. Daheim aber trat für den kriti⸗
ſchen Beobachter mit unheimlicher Deutlichkeit hervor, daß Deutſchland
ernährungspolitiſch ungerüſtet war, und daß in feiner Ernährungspolitik auch
nicht die geringſte Führung beſtand. Wer war zuſtändig in Ernährungsfragen?
Das Reich oder die Bundesſtaaten? An beiden Stellen aber fehlte die ein⸗
heitliche Hand, die alles Notwendige entſchloſſen durchführte. Die in der
Hochſtimmung des Auguſts zurückgedrängten Parteien begannen ſich erneut zu
regen und ſtürzten ſich mit beſonderem Eifer auf die Ernährungsfragen. In
der Theorie ſagte man: Im Kriege wird gehorcht. In der Praxis des poli-
tiſchen Lebens aber ging das Debattieren und Verhetzen in alter Schärfe
weiter. Gegenſätze und Streitfragen wurden weiterhin in der Öffentlichkeit
ausgepaukt. Dabei wußte niemand, wie es mit der Ernährung von Heer und
Heimat eigentlich ſtand. Wo aber Ernährungsfragen in Angriff genommen
706 Otto Bratengeyer
wurden, wurden fie nicht im Benehmen mit der Landwirtſchaft, ſondern meiſt
gegen ſie entſchieden. Noch Anfang 1915 konnte auf einem Lehrkurſus für
Redner über Kriegsernährungsfragen ausgeſprochen werden: „Es iſt eine
wunderliche Tatſache, daß erſt während des Krieges feſtgeſtellt werden mußte,
wie wir eigentlich mit unſeren Nahrungsmitteln ſtehen, was wir an Nah⸗
rungsmitteln bedürfen, was wir verbrauchen, was wir von dieſen Nahrungs-
mitteln im Inland erzeugen können, und daß dieſe Arbeit nicht von irgend⸗
einer amtlichen Stelle geleiſtet worden iſt, ſondern von einem Kreiſe von
Privatleuten, der fih ohne amtliche Anterſtützung, ohne finanzielle Förderung
ſelbſtändig zuſammengefunden hatte, einfach aus dem Bedürfnis heraus, das
zu tun, was die Zeit gebot.“ |
Unter dieſen Verhältniſſen war es ſchon ein Fortichritt, daß man fih zu-
nächſt wenigſtens der Heeres verſorgung annahm. Wenige Tage nach Aus:
bruch des Krieges wurden die Vorſitzenden ſämtlicher Vertretungen der Land⸗
wirtſchaft in das Reichsamt des Innern geladen, um über die zweckmäßigſte
Beſchaffung der Heeresverſorgung zu beraten. Vorſchläge wurden von der
Regierung nicht gemacht. Wieder war es die Landwirtſchaft, die anregte, mit
Hilfe der preußiſchen Landwirtſchaftskammern und der entſprechenden Ver⸗
tretungen in den anderen Bundesſtaaten unter Heranziehung von Handel,
Mühlen und Genoſſenſchaften und nach Bildung einer Zentrale in Berlin
die nötigen Vorräte zu beſchaffen. Anter dem Druck der Verhältniſſe wurde
dieſe Anregung ſchnell verwirklicht. Die Heeresverſorgung hat auch ſchon in
der erften Zeit vorbildlich gearbeitet. Im Laufe eines Jahres wurden Vor⸗
beſch A Höhe von 1020 Millionen Mark bei verſchwindend geringen Unfoften
eſchafft.
Schon damals aber wies die Landwirtſchaft auf die Einführung von Höchſt⸗
preiſen nicht nur für Brotgetreide, ſondern auch für Mehl und für Futter-
und Düngemittel hin. Sie forderte weiter, entſprechend der Zentrale für die
Heeres verſorgung, eine Zentrale für die Volks verſorgung entſtehen zu
laſſen. Sie mahnte wiederum, mit allen Mitteln auf die Vermehrung der
landwirtſchaftlichen Erzeugung bedacht zu ſein, die Odlandkultivierung in
weitem Amfange durchzuführen und dazu die Arbeiter aus den etwa zum Stil-
liegen verurteilten Teilen der Induſtrie heranzuziehen.
Man vermochte dieſe Anregungen nicht abzulehnen, entſchloß ſich aber auch
nicht, ſie durchzuführen. Wurde doch hinter den Kuliſſen lange Wochen über
die Wege gerungen, die man in der Ernährungspolitik einſchlagen ſolle. Die
Regierung, die Induſtrie und der Handel wollten von einer Einteilung und
gleichmäßigen Verteilung der Lebensmittelbeſtände nichts wiſſen. Sie mein-
ten, die Einteilung ergebe ſich aus hohen Preiſen von ſelbſt. Die landläufige
Auffaſſung dieſer Kreiſe faßte damals der freiſinnige Abgeordnete Naumann
dahin zuſammen: „Ich habe nie ein Hehl gemacht, daß in Sorge um das Vor⸗
handenſein der Beſtände und um den Ankauf aus dem Auslande ich es für
beſſer gehalten hätte, die Preiſe hochſpielen zu laſſen mit allem
Riſiko, mit aller Gefährdung und mit allem Wucher unter nötigem Zu-
ſchuß und Beihilfen für alle, die die Preiſe nicht zahlen können.“ So bedurfte
es ernſteſter Vorſtellungen der Landwirtſchaft beim ſtellvertretenden General-
kommando der Mark. Dieſes berichtete an das Große Hauptquartier. Hier
hatte Reichskanzler von Bethmann Hollweg zu erſcheinen, und bald
ſtellten ſich Höchſtpreiſe ein. Der innere Widerſtand aber gegen diefe Regelung
Der Schweinemord 1915 707
war noch nicht gebrochen, der Irrwahn von der regulierenden Kraft hoher und
böchſter Preiſe beſtand fort. Höchſtpreiſe ſtellten fih zunächſt nur für Brot-
getreide ein. Die Preiſe für Mehl, Brot und Fleiſch ließ man munter weiter
in die Höhe klettern, ebenſo tat man nichts gegen das ſcharfe Anziehen der
Dünge- und Futtermittel. | |
Die deutſche Ernährungspolitik bei Kriegsbeginn war rate und führerlos.
Wer in der Offentlichkeit mit einigem Selbſtbewußtſein und mit einigen
Spitzen gegen die Landwirtſchaft auftrat, konnte die Führung an ſich reißen.
So wird es verſtändlich, daß eine Reihe von Profeſſoren ſtärkſten Einfluß auf
die Ernährungspolitik im Kriege nehmen konnten. Es erſchien, herausgegeben
von dem Leiter der Berliner Handels hochſchule, Prof. Dr. Eltzbacher, die
Denkſchrift „Die deutſche Volksernährung und der engliſche Aushungerungs⸗
plan“. Gelehrte — und vorſichtig geſiebte Praktiker — wie Friedrich Aere-
boe, Karl Ballod, Robert Kuczynſki, Karl Oppenheimer, Max
Rubner, Hermann Warmbold und Nathan Sung hatten ſich vereinigt,
um erſt einmal Klarheit darüber zu ſchaffen, wie es um die Ernährungslage
Deutſchlands ſtand und was geſchehen müſſe, um das Durchhalten zu ermög⸗
lichen. Insgeſamt war dieſe Denkſchrift eine verdienſtvolle Arbeit, wenn ſie
auch von Theoretikern geſchaffen war und in mancher Einzelheit überſah, daß
die landwirtſchaftliche Praxis noch manchen anderen Weg zulaſſe. Bedenklich
war nur, daß fih diefe Profeſſoren und Kommunalſtatiſtiker gleichzeitig be,
rufen fühlten, der Kriegsernährungspolitik die Wege zu weiſen. Es kam zu
einem Lehrgang für Redner über Kriegsernährung im Preußiſchen Abgeord⸗
netenhaus vom 3. bis 6. Februar 1915. Hier ſprachen nach einleitenden Worten
des Preußiſchen Miniſters des Innern v. Loebell in der Hauptſache die
gleichen Profeſſoren, die jene Denkſchrift herausgegeben hatten, wie Eltz⸗
bacher (Judel)“, Kuczynſki (Jude!)“, Oppenheimer (Zudel)* und
Geheimrat Prof. Dr. Nathan Sung (Jude!) “. Neu hinzu traten der frei-
ſinnige Abgeordnete Friedrich Naumann und Geheimrat Prof. Gering
(Judenſtämmling)“. Sie waren in erſter Linie die Treiber und Träger des
Schweinemordes von 1915, zumal da fie auch in der Preſſe zu dieſem Gegen-
ſtand immer das Wort nahmen. of. Kuczynſki z. B. veröffentlichte
einen Aufſatz mit der Aberſchrift: Krieg dem Schwein! Der erſte Satz des
Aufſatzes lautete: „Das Schwein iſt in dieſem Kriege unſer 9. Feind.“ Kein
Nadikalismus war dieſen Herren zu verſtiegen. Geheimrat Nathan Suns
war es, der darauf drängte, die Abſchlachtung der Schweine unter allen Um-
ftänden raſch erfolgen zu laſſen, und der hinzufügte, wenn die Konſervierung
des Fleiſches ſich nicht ermöglichen laſſe, müſſen die abgeſchlachteten Schweine
eben verſcharrt werden. Max Sering aber faßte ſeine Auffaſſung auf jenem
Rednerkurſus dahin zuſammen: „Sollen die reichlich vorhandenen Kartoffel-
vorräte bis zur nächſten Ernte reichen, fo werden %4 aller in Deutſchland vor:
handenen Schweine eingeſchlachtet werden müſſen — etwa 16 Millionen
Tiere.“ Er hat diefe Außerungen, als die Sache ſchiefgegangen war, beſtritten.
Daß ſie aber gefallen ſind, deſſen waren gleich mir Hunderte Zeugen. Die
verhängnisvolle Wirkung war vor allem, daß die Parteien der Linken nur
noch lauter nach der Abſchlachtung der Schweine riefen. Vom „Vorwärts“
über die „Welt am Montag“, die „Frankfurter Zeitung“ und das „Berliner
*) Die Schriftleitung.
Odal Heft 9, Jahrg. 4, Bg. 2.
708 Otto Bratengeyer
Tageblatt“ bis zur „Germania“ und bis hinüber zum „Reichsboten“ drängte
alles auf den Schweinemord. In der Budgetkommiſſion des Reichstags fand
die Agitation Niederſchlag namentlich in ſozialdemokratiſchen und freiſinnigen
Anträgen, eine Folge auch einer Eingabe von Berliner Hochſchullehrern an
die Reichstagsabgeordneten mit der Forderung, alle Schweine über 35 kg
abzuſchlachten. Denkt man daneben noch an die gleichen Forderungen des
„Kriegsausſchuſſes für Konſumenten⸗Intereſſen“, dann find die Gruppen ver-
eint, die in erſter Linie für den Schweinemord von 1915 neben der ſchwäch⸗
lichen Regierung im Reich und in den Bundesſtaaten verantwortlich zu
machen ſind.
Gegen dieſe nach Zahl und Einfluß großen Gruppen ſtand lediglich der
engere Kreis der Landwirtſchaft. In der Öffentlichkeit ſchwamm gegen den
Strom der herrſchenden Auffaſſung insbeſondere Freiherr von Wangen-
heim, der mit Aufſätzen in der Deutſchen Tageszeitung und mit der Spitze
gegen die Profeſſoren um Dr. Eltzbacher eindringlich davor warnte, bei
der Verminderung des Schweinebeſtandes über das Ziel hinauszuſchießen.
Er ließ keinen Zweifel, daß die auf ausländiſche Futtermittel gegründeten
Schweinemäſtereien abzudroſſeln waren, forderte aber ſofortige Beſchlag⸗
nahme aller in den Händen des Handels vorhandenen Futtermittel und
Einführung von Höchſtpreiſen für dieſe, und dann überlaſſe man es den
Landwirten und ihren Vertretungen, wie ſie der beſtehenden Schwierigkeiten
Herr werden. — Die Antwort in der Preſſe waren Außerungen des Sinnes,
die Landwirtſchaft wolle eine Nebenregierung, wenn nicht gar eine Oberregie⸗
rung bilden. Im Kreiſe der Regierung aber hörte man allein auf die Kuczynſki,
Sering und Zuntz.
So kam es in den erften Monaten 1915 in ſchneller Folge zu den Maß⸗
nahmen, die mit einem großen Teil der Schweinebeſtände aufräumten. Durch
die Bundesratsverordnung vom 25. 1. 1915 wurden die Städte und Land-
gemeinden über 5000 Einwohner verpflichtet, Fleiſchvorräte in Form von
Dauerwaren und in Höhe von 15 Mk. je Kopf ſicherzuſtellen. Durch die Ver⸗
ordnung vom Februar 1915 konnten Schweine im Gewicht von 60 bis 100 kg
enteignet werden, und zwar zu Höchſtpreiſen von 49 bis 66 Mark für 50 kg
Lebendgewicht, je nach der Schwere des Tieres anſteigend. Die damaligen
Marktpreiſe waren 85 bis 112 Mark. Im März 1915 ſtellte ſich dann noch
der Erlaß des Preußiſchen Miniſters des Innern ein, der eine weitgehende
Abſchlachtung — 5 bis 6 Millionen wurde als ungenügend bezeichnet, eine
erhebliche Aberſchreitung dieſes Quantums ſei unbedingt notwendig — for⸗
derte, weil ſonſt die Kartoffel der menſchlichen Ernährung entzogen werde.
Der Landwirtſchaft ſtellte man dabei lediglich den Wechſel aus: „Nach dem
Kriege wird euch der Staat beim Wiederaufbau der Schweinezucht helfen!“
Wie radikal man damals vorging, zeigt die Feſtſtellung z. B. der Landwirt-
ſchaftskammer in Kaſſel: „Auch die Zuchtſauen ſind bis zur Hälfte, in vielen
Gemeinden bis auf ein Drittel ihres im vorigen Herbſt vorhandenen Ve⸗
ſtandes veräußert und abgeſchlachtet worden.“
Nachdem das Morden aber vollzogen war, wurde die Schweinezählung vom
15. 4. 1915 abgeſchloſſen und ebenſo die Erhebung über die Kartoffelbeſtände.
Die genauen Zahlen wurden nicht veröffentlicht. Man nahm an, daß 9 bis
12½ Millionen Schweine weniger vorhanden waren als zu Beginn des.
Der Schweinemord 1915 709
Krieges, und daß die Kartoffelernte 1914 um 2 bis 3 Millionen Tonnen
größer war als beim Schweinemord angenommen wurde. So wurden bereits
am 6. 5. 1915 die obengenannten Verordnungen wieder aufgehoben, und in
der Reichstagsfitzung vom 29. Mai 1915 ließ Staatsſekretär Dr. Delbrück
keinen Zweifel darüber, daß der Schweinemord ein Fehlgriff geweſen ſei.
Ein kritiſcher Rückblick hat zunächſt zu beanſtanden, daß man unter dem
Druck eines Profeſſorenkreiſes und der politiſchen Parteien abſchlachtete und
erſt dann ſtatiſtiſch prüfte, ob die Maßnahme in ihrem Radikalismus auch
notwendig war. Bei Kriegsbeginn waren 25 339 000 Schweine vorhanden.
Man ſtarrte auf dieſe Zahl. Hätte man ſie gegliedert, entweder in 9 Millionen
reife, 8 Millionen halbreife und 8 Millionen unreife Tiere oder in Schweine
in induſtriellen Mäſtereien und in Schweine in Landwirtſchaftsbetrieben mit
wirtſchaftseigenem Futter, dann wäre ſofort klar hervorgetreten, was damals
zu geſchehen hatte. So ging zwar der Schweinebeſtand um 9 bis 12½ Mil-
lionen vom Auguſt 1914 bis Mitte 1915 zurück, aber der Schweinefleiſchpreis
ſtieg in derſelben Zeit von 68 auf 156 Pfg. je Pfund. Der Schweinemord
hatte alſo das ſtarke Anziehen der Preiſe nicht verhindern können, hatte aber
die Fleiſch⸗ und Fettverſorgung auf das ernſteſte bedroht. Schon im Juli 1915
ſetzte in der Preſſe der Linken die neue Hetze gegen die Fleiſchnot ein. Die
ſozialdemokratiſchen Zeitungen, die zuvor die radikale Abſchlachtung gefordert
hatten, warfen der Regierung und den Landwirten vor, daß zuviel ab-
geſchlachtet worden ſei. Man ſchalt auf den Profeſſoralismus und mußte be⸗
obachten, daß der Profeſſorenkreis völlig verſtummt war. Als unmöglich hatte
ſich herausgeſtellt, Gemeinden von 5000 Einwohnern an mit der Beſchaffung
von Dauerware zu beauftragen. Die meiſten von dieſen Gemeinden hatten die
notwendigen Einrichtungen nicht, und ſo ſind damals höchſte Werte verdorben.
Aber auch die größten Gemeinden waren ihrer Sache nicht ſicher. Berlin zum
Beiſpiel begann ſchon im April 1915 mit dem Verkauf ſeiner Dauerware,
offenbar weil man es für unmöglich hielt, die Ware auch nur über einen ein-
zigen Sommer hinaus zu erhalten. |
Ahnlich unerfreulich entwickelten fih die Verhältniſſe auf dem Kartoffel-
markt. Als man unter dem Einfluß der Profeſſoren annahm, man werde mit
der Kartoffelernte nicht reichen, hatten die Kommunen einen rieſigen Bedarf
angemeldet. Als ſie ihn ſpäter abnehmen ſollten, blieben die abgenommenen
Mengen um 23 hinter den Voranmeldungen zurück. Die Reichsregierung blieb
auf ihren Beſtänden ſitzen, und zur Trocknung entſchloß man ſich erſt, als der
Stärkewert der Kartoffeln erheblich geſunken war.
Die Schweinezucht hat ſich während des Krieges von den Schlägen des
Jahres 1915 nicht wieder erholen können. Der Schweinemord war einer der
Hauptgründe, weshalb fih der Fleiſch⸗ und Fettmangel immer weiter ver-
ſchärfte und daß daran ſchließlich in der Heimatfront der Wille zum Durch⸗
halten zerbrach. Wurden in der Vorkriegszeit insbeſondere 3 Millionen
Tonnen Guttergerfte und 1 Millionen Tonnen Mais vom Ausland eingeführt,
ſo war es klar, daß man die im Nordweſten entſtandenen induſtriellen Mäſte⸗
reien nicht beibehalten konnte. Ebenſo klar aber war es für die Landwirtſchaft,
daß man 1915 den übrigen Teil der deutſchen Schweinebeſtände im weſent⸗
lichen unangetaſtet beibehalten konnte. Ohne eine verantwortungsbewußte,
9°
710 Hans Merkel
ſachverſtändige Führung in der Ernährungspolitik, geſtützt auf ſtatiſtiſche Fehi-
annahmen und folgend dem Geſchrei der Gaffe, der Theoretiker und der Partei-
politiker hat man den Schweinemord von 1915 durchgeführt. Niemand ſtärker
als der Feindbund konnte fic dieſer Maßnahme freuen. Die Geſchichte aber
urteilte abermals mit Friedrich von Schiller: |
Der Staat muß untergehen, früh oder ſpät,
Wo Mehrheit ſiegt und Anverſtand entſcheidet.
Hans Merkel: m; |
Karl Chriftian Pland, ein Kinder neuer
Berufsordnung -
Der Schwabe Karl Chriſtian Planck hat kurz vor feinem Tode 1880 ein
Werk geſchrieben: „Teſtament eines Deutſchen“ (Tübingen 1881). Dieſes
Buch iſt heute noch leſenswert, weniger wegen der in ihm enthaltenen welt-
anſchaulichen Gedanken als vielmehr wegen der ſozialethiſchen Ideen, die in
ihm enthalten find und vielfach an einzelne Gedankengänge Fichtes anklingen.
Auch Planck teilte das Schickſal vieler Deutſcher, von Fichte bis Ruhland:
Er wurde überſehen oder vergeſſen. Deshalb ſollen einzelne ſeiner Gedanken
wieder unſerer Zeit nahegebracht werden.
Im „Stand des Grundeigentums“ ſieht Planck „die Wurzel alles Volks-
lebens“ (S. 622). Das organiſche Recht an Grund und Boden muß über-
haupt die Grundlage der geſamten Volksordnung werden (S. 580). Eine neue
Geſtaltung des Bodenrechts müſſe gefordert werden. „Von einſeitigem Kapi-
talbeſitz, der aus größeren Ländereien ſein Einkommen zöge, wird ſo wenig
mehr die Rede ſein können wie von einem ländlichen Proletariate“ (S. 621).
Das Grundübel ſieht Planck in der „ungezügelten Erwerbswirtſchaft“, die
durch eine lebendige „Berufsordnung“ erſetzt werden müſſe. Zwei Erſcheinun⸗
gen haben die Geſellſchaftsform des ungezügelten Erwerbes, die „Erwerbs⸗
geſellſchaft“, beſonders begünſtigt: das römiſche Recht und das Judentum. Das
römiſche Recht iſt „durch die einſeitige Schärfe, mit welcher es in Eigentum,
Erwerb und Vertrag das Recht der bloßen freien Privatperſon ausgebildet
hat, ſicherlich zu einem Hemmnis für die tiefere Vollendung und Durchbildung
des Rechtsbegriffs und zu einer Förderung für den Geiſt des bloßen Sonder⸗
und Eigenrechts des einzelnen Bürgers geworden“ (S. 465). Das „jüdiſche
Volkselement mit feinem zäh⸗verſtändigen Spekulationsgeiſte ſpielt in unſeren
Erwerbs und Verkehrsverhältniſſen eine fo hervorragende Rolle” (S. 441).
Durch die „ordnungsloſe Freiheit“ finde „der Handel jetzt ſo viele Möglich⸗
keiten ſelbſtiſcher Bereicherung“. Die „von den organiſchen Rechtszwecken des
Vaterlandes wie der Staatenordnung abgewandte und nur ſelbſtiſch für Hd
Karl Christian Planck, ein Kinder neuer Berufsordnung 711
erwerbende Handels und Geldmacht“ fei „die geſteigerte Verkörperung des
ſelbſtiſch auf ſich geſtellten und in ſeinem Höhepunkt ebenſo den wahrhaft
nationalen wie den gemeinſamen menſchlichen Intereſſen entfremdeten Eigen-
ſtrebens, der Gipfel der jüdiſch unwahren Außerlichkeit und einſeitigen Welt-
lichkeit“ (S. 637/638). f |
Treffend ſchildert Planck das Weſen der „freien Wirtſchaft“: „Der Geiſt
des ſelbſtiſchen bloßen Eigenrechtes macht ſich zwar nicht mehr in roh mittel-
alterlichem Gauft- und Fehderecht geltend, aber in einer um fo ausgebreiteteren,
durch die ganze Geſellſchaft hindurchgehenden Form, als ſelbſtiſch willkürliche
Ausbeutung anderer in Erwerb und Verkehr, als erbitterter Intereſſenkampf
ganzer Klaſſen, als feindliche Konkurrenz und als Korruption alles tieferen
Rechts und Pflichtbewußtſeins durch eine von der Geſetzgebung ſelbſt auf-
68.438 ER Willkür und Angebundenheit der bürgerlichen Erwerbsſtellung“
Gegenüber der ungebundenen freien Wirtfchaft ſtellt Planck die Grund-
forderung einer „organiſch zweckmäßigen Berufsordnung“ auf, „die wechſel⸗
ſeitige Verpflichtung aller zu einer beſtimmten Berufstätigkeit, welche durch
Art und Inhalt ihrer Hervorbringung ſowie durch angemeſſene Beſtimmung
des quantitativen Verhältniſſes, in welchem die einzelnen Berufszweige ver⸗
treten find, dem wahren Bedürfnis der ganzen Gemeinſchaft entſpricht“
(S. 578). „Keinerlei bürgerliche Beſchäftigung und Lebensform kann bloßer
Privaterwerb fein, ſondern muß ein dem umfaſſenden ſittlich⸗ rechtlichen Ge-
ſamtzweck entſprechender Beruf fein” (S. 581). „Selbſt Leiſtungen, die in
ganz hervorragender Weiſe die allgemeineren Zwecke und Bedürfniſſe der
bürgerlichen Geſellſchaft betreffen, wie die konzentrierteſten Hauptverkehrs⸗
mittel, die Eiſenbahnen, die ebenſo ſchon in ihrer ganzen örtlichen Richtung,
wie in der geſamten Ordnung ihrer Güter- und Perſonenbeförderung, in
deren Preiſen uſw. die Zwecke der ſämtlichen Geſellſchaftsteile in der ein⸗
greifendſten Giele betreffen, wurden nichtsdeſtoweniger von jener Anſchau⸗
ungsweiſe als ſolche betrachtet, die am beſten der reinen freien Konkurrenz
und ihrer Tätigkeit anheimzugeben wären“ (S. 581). „Niemals hat Schwin⸗
del und Jagen einer rückſichtsloſen Geldmacherei, die nur nach möglichſt
raſchem und müheloſem Erwerb ſtrebte, ſchnödes Schrauben und Steigern der
Preiſe, weitgehende Fälſchung der Ware, insbeſondere der verbreitetſten
Lebens- und Genußmittel, und mannigfachſte trügliche Ausbeutung, ſowie
traurige Lockerung und Entartung des Lehrlingsweſens, widerſinnige Aber⸗
füllung vor allem gerade der unproduktivſten, nur dem eigenen Nutzen dienen⸗
den Erwerbszweige, und im Zuſammenhang mit dem allem Anſolidität der
Arbeit und Anſicherheit der Erwerbs- und Kreditverhältniſſe in ſolchem Maße
zum fih gegriffen, als eben in dieſer Zeit des neuerſtandenen Deutſchen
Reichs“ (S. 598). „Das Prinzip der bloßen möglichſten Erwerbs⸗ und Ver⸗
kehrsfreiheit habe eine völlige Anſicherheit und Regelloſigkeit in betreff der
quantitativen Produktions- und Bedarfsverhältniſſe herbeigeführt. So wurde
denn widerſinnige Aberfüllung und Aberproduktion in den verſchiedenſten
Zweigen das verderblichſte Hauptübel der Zeit, an deffen Folgen die all-
gemeinen Erwerbs- und Verkehrszuſtände noch lange genug leiden werden“
(S. 596). In dieſem Zuſammenhang weiſt er auf die „völlige Anzulänglichkeit
aller bloßen Freihandels⸗ oder Schutzzolltheorien“ hin. „Eine gleiche regelloſe
712 Hans Merkel
reine Freizügigkeit habe der zweckwidrigſten Anhäufung Tür und Tor ge-
öffnet. Ein widerſinniger Zudrang zu den am leichteſten zugänglichen Er⸗
werbs⸗ und Handelszweigen, und ſo insbeſondere Aberfüllung der kleineren
Lokalgewerbe, derer, welche ohnehin bis jetzt die zahlreichſten ſind, war die
notwendige Folge, und eben damit nicht bloß eine gemeinſchädliche Ber-
ſchwendung von Kräften, ſondern auch die mannigfachſte Gefährdung und
Anſicherheit des eigenen Erwerbszweckes der in ſolcher Weiſe überfüllten Ge⸗
werbe“ (S. 596/597). Dies verleite manches Gewerbe dazu, „in Verſchlechte⸗
rung und Verteuerung ihrer Ware ihre Entſchädigung zu ſuchen, ſo daß
Konſumenten wie Produzenten in gleicher Weiſe geſchädigt ſind“ (S. 597).
Planck ſchildert „die ganze Verderbnis“, die fih an das Börſenſpiel knüpft,
„denn zum Heilloſeſten und Verächtlichſten in all der Verderbtheit unferer
bürgerlichen Zuſtände gehört doch ſicher auch jenes Treiben, das eben auf die
unſicheren Schwankungen und Wechſel des Staats- und Privatkredites fein
berechnendes Spiel gründet und ſelbſt in feinem niedrigen Intereſſe auf ſolche
Schwankungen hinzuarbeiten ſucht“ (S. 608). Die in dieſem Chaos ſich er⸗
gebende freie Preisbildung habe alle Grundlagen des Wirtſchaftslebens er⸗
ſchüttert. „Alles Bewußtſein, daß im Verkauf des eigenen oder fremden
Erzeugniſſes ein Rechtsgeſetz des ſachlichen Wertmaßes und Arbeitswertes
beſtehe, war damit ſachlich hinweggenommen, geſchweige daß von dem Be-
wußtſein irgend etwas hätte vorhanden ſein können, daß ſchon die ganze Er⸗
werbsform, die ihre Ware in den Verkehr bringt, ein wahrhafter Rechtsberuf
gegen die Gemeinſchaft fei, und darum in ihrem Verkehr, wie in ihrer Her-
vorbringung, einer umfaſſenden und gegliederten Berufsordnung unterliegen
ſolle. Keine äußere Schranke war mehr da für die ſchamloſe Ausbeutung
anderer, als die Furcht vor dem Verrufe und Schaden, den man ſich ſelbſt
zuziehe, und auch dieſe war unzulänglich genug da, wo ſtatt der erhofften
Wirkungen der Konkurrenz vielmehr umgekehrt das zuſammen verſchworene
Intereſſe der gemeinſamen Erwerbsklaſſe die Preiſe feſtſtellen konnte (wie
dies insbeſondere bei unſeren Lokalgewerben mit den gewöhnlichſten Lebeng-
bedürfniſſen ſo vielfach geſchehen iſt). Daß endlich bei ſolcher Rechtloſigkeit
der Verkehrs- und Preisverhältniſſe auch vollends Betrug und Fälſchung
nahe genug gelegt wurde, hat ja die letzte Zeit ſattſam gelehrt“ (S. 582). Er
ſchildert die — übrigens gerade durch den jüdiſchen (Get beſonders geförder⸗
ten — Zerfalls oder Zerſetzungserſcheinungen der Zeit, fo im Modeweſen
(S. 586), Annoncenweſen (S. 598), Zeitungsweſen (S. 598).
Eine Aberwindung der ſo entſtandenen Chaotiſierung der Wirtſchaft ſieht
Planck in einer organiſchen Berufsordnung. Schon der Zugang zu den Be-
rufen müſſe geordnet fein. Keinem dürften die Mittel für diejenige Berufs-
bildung fehlen, zu welcher er ein entſchiedenes Talent und eine natürliche
Beſtimmung zeige. Der bloßen Willkür der Berufswahl müſſe aber entgegen-
getreten werden, einmal mit der „Forderung der vollen Berufstüchtigkeit,
andererſeits im Hinblick auf die organiſche Zweckmäßigkeit aller Berufsver⸗
hältniſſe“ (S. 587).
Durch eine ſolche Anderung der Verhältniſſe erfahre allerdings der Handel
ſeine größte Amſtellung. Obwohl er innerhalb der Geſamtwirtſchaft eine die⸗
nende Aufgabe habe, dürfe er fih „nirgends mit feiner vermittelnden Tätig-
keit eindrängen, wo es nicht durch die Zweckmäßigkeit der Verhältniſſe ſelbſt
Karl Christian Planck, cin Kinder neuer Berufsordnung 713
gefordert ift, und daß er in allem und jedem Vertriebe nur eben den gebühren-
den Lohn dieſer feiner vermittelnden Berufstätigkeit anzuſprechen hat, nicht
aber, wie es in der bloßen Erwerbsgeſellſchaft und vor allem bei den Handels.
geſchäften im großen der Fall iſt, ſeine Ware zur ſelbſtiſchen Spekulation und
Ausbeutung der jeweiligen wechſelnden Bedarfs und Produktionsverhältniſſe
mißbrauchen darf“ (S. 633/634). „Während bis jetzt unleugbar der ſpeku⸗
lierende Handel durch ſeine eigene Tätigkeit, durch maſſenhaften Aufkauf,
durch Zurückhaltung der Ware uſw. Verhältniſſe herbeizuführen ſucht, die er
in jenem Sinne ausbeuten kann, ſo muß ja gerade umgekehrt dies eine der
weſentlichſten Sorgen der zuſammenwirkenden öffentlichen Berufsordnung
ſein, daß durch möglichſte Zweckmäßigkeit in den quantitativen Verhältniſſen
der Produktion und des Verkehrs von vornherein ſolche Lagen ausgeſchloſſen
werden, die zu einer Ausbeutung in jenem Sinne mißbraucht werden könnten“
(S. 634). Daraus ergibt fih auch eine Amſtellung des Außenhandels. Seine
Tätigkeit in Einfuhr und Ausfuhr müſſe einheitlich organiſch ſein, einheitlich
geleitet werden. Das gleiche Geſetz gelte aber auch für den Binnenhandel.
Ihm obliege die zweckmäßige Verteilung ſeiner Glieder, um die zweckmäßigſte
Verteilung der Güter zu gewährleiſten (S. 635).
Eine Geſamtordnung der ſozialen Lebensverhältniſſe laſſe ſich nur durch
eine berufsgenoſſenſchaftliche Zuſammenfaſſung der einzelnen Berufszweige
ermöglichen (S. 590). In ausgezeichneter Weiſe ſchildert er das Weſen einer
ſolchen Ordnung: „Nur in der Berufsgenoſſenſchaft ift jederzeit die volle
Tüchtigkeit und Kenntnis des ganzen betreffenden VBerufszweiges vorhanden.
Nur durch ſie alſo, und dadurch, daß vor allem die beſten und tüchtigſten
Kräfte dieſes beſtimmten Berufsgebietes ihren vollen Einfluß in ihm äußern
können, wird auch der ganze Berufszweig ſelbſt fortwährend auf der vollen
Höhe ſeiner Aufgabe bleiben. Schon hierin liegt zugleich eine entſchiedene
Widerlegung jener kurzſichtigen und niedrigen Auffaſſung, als ob innerhalb
einer ſolchen organiſchen Geſamtordnung der berufsmäßigen Arbeit die freie
Beſonderheit und Tüchtigkeit des Einzelnen nicht mehr die volle Befriedigung
ihres perſönlichen Intereſſes fände, ſondern einem unfreien und das berech⸗
tigte Eigenintereſſe zerſtörenden Mechanismus anheimſiele. Vielmehr gerade
ſo erſt finden die beſten und hervorragendſten Kräfte auch ihre vollſte und
edelſte Entfaltung und Wirkſamkeit. In der jetzigen bloßen Erwerbsgeſellſchaft
wirken ſie ihrer rechtlichen Stellung nach nur für ſich, als vereinzelte Atome;
in der organiſchen Berufsgemeinſchaft erſt gelangt jeder nach dem Maße
ſeiner Tüchtigkeit und Tätigkeit zu ſeiner vollen und eingreifenden Bedeutung
für das Ganze. Denn in der Rechtsforderung des Berufsgeſetzes ſelbſt liegt
es ja, daß jene genoſſenſchaftliche Ordnung nicht eine unfreie, in irgendwelcher
mechaniſchen Weiſe auferlegt ſein, ſondern aus dem ſelbſttätigen Zuſammen⸗
wirken der Berufsgenoſſen hervorgehen muß, da ja nur in ihnen die volle
Geſamteinſicht und Tüchtigkeit dieſes Berufszweiges vorhanden iſt“ (S. 591).
Innerhalb einer ſolchen Berufsordnung ergibt ſich die Forderung nach
einer zweckmäßigen Ausgeglichenheit aller Berufe im Verhältnis zueinander
unter beſonderer Berückſichtigung der jeweiligen örtlichen und regionalen Be⸗
dürfniſſe (S. 594/595).
Das Schaffen des Einzelnen iſt nicht ſein bloßer Privaterwerb allein, ſon⸗
dern vor allem ſein öffentlicher Beruf. Daraus folgt aber nicht, daß die Pro⸗
714 Hans Merkel, Karl Christian Planck, ein Kinder neuer Berufsordnung
duktionsmittel ſozialiſiert werden müßten (S. 603). Im Gegenteil, Planck
wendet ſich in klaren Worten gegen marxiſtiſche Sozialiſierungstendenzen.
Das Weſentliche ſieht er darin, daß die ſchöpferiſche Tätigkeit der Arbeit und
der Leiſtung ausgerichtet ſein müſſe auf das Gemeinwohl. „Warum ſollte es
alſo nicht möglich ſein, daß z. B. irgendwelche induſtrielle Betriebsform, ſo
ſehr ſie dem allgemeinen Berufszwecke dient, doch in der Einrichtung ihrer
hervorbringenden Tätigkeit, wie in dem öffentlichen Vertriebe ihres Pro-
duktes, zunächſt ganz der eigenen freien Tätigkeit der Betreffenden anheim
gegeben wäre, wenn auch unter dem ſtetigen organiſch rechtlichen Einfluſſe des
ganzen Berufszweiges und feiner Stellung innerhalb der ganzen Berufs-
gemeinſchaft“ (S. 604), Gedanken, die in der Marktordnung des Reichsnähr⸗
ſtandes durchaus ihre Beſtätigung finden. Ebenſo fordert Planck auch die
Zuſammenarbeit der organiſch zuſammengehörenden Berufsgliederungen:
„Die Frage, ob und inwieweit der lokale Berufsverband auch mit unmittel-
barer Gemeinſamkeit der Produktion und des Vertriebes derſelben zu ver-
binden iſt, muß ſich natürlich nach der inneren Zweckmäßigkeit der Sache und
der hieraus entſpringenden Berufsforderung entſcheiden“ (S. 620). Planck
fordert eine harmoniſche Geſamtordnung der Wirtſchaft (S. 629). Die Be⸗
rufsverbände haben die Berufsehre ihrer Glieder zu wahren und über ſie zu
wachen (S. 632). Die regelnde Verkehrs- und Preisordnung des ganzen
Standes unterliegt dagegen der ergänzenden Mitaufſicht der anderen Berufs-
ſtände (S. 632).
Letztes Ziel einer ſolchen Ordnung fei die Selbſt verwaltung. Inner⸗
halb einer ſolchen Selbſtverwaltung ſei der Gegenſatz von Geſetzgebung und
Verwaltung gar nicht mehr vorhanden. Denn die hier ſich entfaltende geſetz⸗
gebende Tätigkeit befinde ſich in vollkommenſter Einheit mit der in den man⸗
nigfachen Gebieten ſelbſt wurzelnden heimiſchen Verwaltung (S. 639).
Innethalb einer ſolchen Geſamtordnung wird auch erſt das Ziel der ſchöpfe⸗
riſchen Perſönlichkeit erreicht. „Vollkommenſte freie Selbſtbetätigung der
eigenen Tüchtigkeit, ſo wie ſie eben erſt im organiſch univerſellen Zuſammen⸗
wirken der rechtlichen Berufsgemeinſchaft (nicht aber in der ſelbſtiſchen Er-
werbsſtellung) möglich wird, dies iſt das Ziel wahrhaften Rechts“ (S. 631).
Im einzelnen mag man manche Fragen anders ſehen und anders löſen, als
dies bei Planck geſchehen iſt. Sein dauerndes Verdienſt bleibt es aber, viele
Probleme einer wahrhaften Volksordnung im Kern richtig geſehen zu haben.
Sein „Teſtament eines Deutſchen“ blieb viele Jahrzehnte lang unbeachtet.
Heute aber können wir feſtſtellen, daß ſein Sehnen im Nationalſozialismus
Erfüllung gefunden hat.
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Entwicklung der Balkenkonſtruktion beim Bauernhaus der Marſch
IId. Grundriß des „Husmannshus“ IIc. Grundriß des „Holſtenhauſes“
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IV. Wilſtermarſch⸗Stube mit „Fenſterſchapp“
V. Alter Schrank (Wilſtermarſch)
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VI. Vordertür eines Marſchbauernhauſes
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Claus Franzenburg:
Bauer und Boden in Marſch und Geeft
Die Hauptſtraße von Hamburg nach dem Norden verläuft zwiſchen Elms⸗
horn und Itzehoe ein Stück durch die Kremper Marſch. Kurz vor dem kleinen
Orte Dägeling führt ſie in ſteilem Anſtieg auf die etwa zwanzig Meter
höhere Geeſt. |
Weit ſchweift von hier der Blick über die faft baumloſe, dunkelgrüne
Marſch, in deren zahlloſen, ſchnurgeraden Gräben das Waſſer blinkt. Fett-
weiden voll ruhenden Viehs wechſeln mit Ackerland, auf dem der anſpruchs⸗
volle Raps, der Weizen und die Pferdebohne üppig gedeihen.
Wie anders hier oben die Geeſt! Der Oſtwind bläſt uns den Sand der
umgeſtürzten Ackerſchollen ins Geſicht, er hätte noch mehr freie Bahn, wenn
ihn nicht die Knicks hinderten, diefe mit Buſch bepflanzten Wälle, die wie
ein Netzwerk das ganze Land überſpannen und nur ſelten freie Sicht ge⸗
währen. Hier auf der trockenen Geeft wünſcht der Bauer jeden anderen Tag
Regen für ſeine Felder mit Roggen, Kartoffeln und Buchweizen.
I. Flurformen.
Auf unſerer dem Bildteil beigegebenen Karte, einem Ausſchnitt aus dem
Meßtiſchblatt Hohenfelde, tritt der ſcharfe Gegenſatz zwiſchen Marſch und
Geeſt deutlich hervor. Er wird noch verſtärkt durch die mit verſchiedener
Schraffur eingezeichneten fünf Erbhöfe, zwei in Dägeling, drei in der Marſch.
Während hier das ganze Land in einem Stück am Hauſe liegt, iſt es bei den
Geeſthöfen über die ganze Feldflur verſtreut. Der ca. 34 Hektar große Hof des
Bauern W. in Dägeling zerfällt in 21 Parzellen von verſchiedenſter Form
und Größe!
Das Flurbild des Geeſtdorfes Dägeling macht den Eindruck eines alten,
liebgewordenen Kleides, an dem immer wieder geflickt und gebeſſert iſt. Noch
aus der ent Gorm ift die unendlich lange und ſchwerfällige Entwicklung
zu erkennen. Die Streulage der zu einem Hofe gehörenden Felder weiſt zurück
auf die altgermaniſche Flurverfaſſung, als jeder Bauer gleichen Anteil hatte
an Acker und Weide, an Wald und Moor. Die Knicks, welche die einzelnen
Felder umſchließen, wurden angelegt, als die uralte Allmende als gemeinſame
Weide des Dorfes verſchwand und um die Wende des 18. Jahrhunderts end⸗
gültig aufgeteilt wurde. |
Die ſtrohgedeckten Niederſachſenhäuſer Dägelings liegen ohne ſtrenge Ord-
nung um eine Wegegabelung; auch hier weiſt alles hin auf eine lange Ent⸗
wicklung. Dies germaniſche Haufendorf iſt ſicher weit über tauſend Jahre alt,
ja, Funde aus der Steinzeit machen es wahrſcheinlich, daß Dägeling ſeit
dieſer Zeit ununterbrochen beſiedelt war.
716 Claus Franzenburg
So alt wie die Geeft, fo jung ift die Marſch. Ihr Alter beträgt nur foviel
Jahrhunderte, wie das der Geeft Jahrtauſende. Holländer, und zwar in unje-
rem Falle von der Mündung des Led’), deichten um 1200 die Elbmarſch ein.
Die Marſch iſt Neuland. Anabhängig von traditionsbedingten Hemmungen
und alten Rechten konnte hier der Menſch Land ganz nach ſeinem Willen
geſtalten. In ſcharfem, klarem Denken ward der Flurplan der Marſch vor
der Eindeichung auf dem Reißbrett aufgezeichnet, Deiche, Gräben und
Wettern auf Ruten, Fuß und Fingerbreit vermeſſen. Der neue Marſchbauer
wohnt nun inmitten ſeines Landes, das in einem einzigen Stück liegt.
Schnurgerade find die Grenzen, alle hindernden Ecken und Winkel find
peinlichſt vermieden. Unfere Karte zeigt, wie in Neuenbrook die Einzelhöfe
an einer langen Straße liegen; das ift nicht überall der Fall. In der benach-
barten, ebenfalls von Holländern eingedeichten Wilſtermarſch liegen die Höfe
mitten im Feld, meiſt auf Wurten, jeder vom anderen mehrere hundert
Meter entfernt.
So iſt die Marſch eine neue Welt auf neuem Land. Der Menſch gewann
ſie dem Meere ab und geſtaltete ſie durch ſeine Arbeit. Es mag nicht leicht
eine Landſchaft geben, der er ſo wie ihr den Stempel ſeines Weſens auf⸗
gedrückt hat.
II. Hausformen.
Noch mehr als mit ſeinem Land iſt der Bauer mit ſeiner Wohnſtätte ver⸗
bunden, und die Formen unſerer alten Bauernhäuſer mögen uns wohl mehr
vom Weſen feiner Bewohner, die es ja in langen Geſchlechterreihen ent-
wickelten, künden, als mancher ahnt. Bild J zeigt ein niederſächſiſches Haus
aus Dägeling. Es iſt nicht allzu ſtattlich, und tief reicht das Strohdach an
den beiden Längsſeiten herunter. Nur an den Wohnräumen iſt die Seiten⸗
wand, auf dem Bilde deutlich erkennbar, ſtufenweiſe höhergezogen, um mehr
Licht für die Stuben zu gewinnen. Von „vorne“, d. h. der Dorfſtraße her,
führt das große Einfahrtstor auf die Diele, an derem Ende urſprünglich
der Herdpla war. Hinten an der Schmalſeite des Hauſes liegen die Wohn-
räume; links und rechts der Diele, alſo mit den Wohnräumen unter einem
Dach, die Ställe für das Vieh (val. den Grundriß des „Holſtenhauſes“).
Die erſten Siedler übertrugen das Niederſachſenhaus der Geeſt in das
Neuland der Marſch, und hier machte es nun im Laufe der Jahrhunderte
eine eigenartige Entwicklung durch. Um den Wohnſtuben mehr Licht zu
geben, hat man, wie wir es an unſerm Niederſachſenhaus aus Dägeling
ſahen, die Seitenmauern erhöht. Das iſt in der Marſch ebenfalls geſchehen,
aber man blieb hier nicht dabei ſtehen. Wie auf ſeinem Felde ertrug der
Marſchbauer auch an ſeinem Hauſe nur Gradlinigkeit. So ging er einen
Schritt weiter. Er vergrößerte die Ausmaße der Haupttragbalken ſo, daß
dieſe direkt auf den Außenmauern ruhen. Dieſe haben jetzt dieſelbe Höhe
wie das Einfahrtstor. Abb. II zeigt ein Bauernhaus dieſer Form aus der
Krempermarſch, die Zeichnungen die Entwicklung der Holzkonſtruktion.
1) Dr. h. c. Th. H. Engelbrecht wies zuerſt darauf hin, mir ſcheint ſeine Auffaſſung geſtützt
zu werden durch die volkstümliche Ausſprache des Ortes Lägerdorf (vgl. Karte). Es wird Lekker⸗
dörp geſprochen. Das würde alſo analog zu Leckerkark ſein und Dorf der Leute vom Leck bedeuten.
— — —
i —
Bauer und Boden in Marsch und Geest 717
Dem Grundſatz der Gradlinigkeit und ebenſo der ſprichwörtlichen hollän-
diſchen Sauberkeit des Marſchbauern widerſprach auch die lichtloſe Diele
des alten Niederſachſenhauſes. In den Bauernhäuſern der Marſch ward
nun die Diele ganz bis zur jenſeitigen Stirnwand durchgeführt. Die Woh⸗
nungen rückten an die Seite, und die Diele hatte ſo Licht von beiden Enden.
Die Abgrenzung der Viehſtälle wurde ſchärfer. Der Baugedanke des Nieder-
ſachſenhauſes iſt hier, nach einer Entwicklung von Jahrhunderten, folgerichtig
zu Ende gedacht. Vergleichen wir den Grundriß des „Holſtenhauſes“ mit
dem neuen Typ des Marſchenhauſes — iſt es da nicht, als zeigten ſie die
Wiederholung der Flurbilder von Geeſt und Marſch? In weiterer Entwick⸗
lung werden nun zuerſt ein, dann zwei Flügel mit eigenem Giebel an das
urſprünglich reine Längshaus angebaut (vgl. Grundriß des „Husmanns⸗
hus“). Das ſo in der Marſch entſtandene Husmannshus iſt nach unſerer Auf⸗
faſſung die edelſte bis heute erreichte Form des Niederſachſenhauſes (Abb. III).
Die Schönheit des Husmannshus beruht auf der wunderbaren Abgeſtimmtheit
ſeiner Maße, bei der man unwillkürlich an Bauten der Antike erinnert wird.
Das Verhältnis von Flügel zum Längshaus, vom Seitengiebel zum Vorder⸗
giebel, Zahl und Einſatz der Fenſter ſind dabei von Bedeutung. In feinem
künſtleriſchen Takt ift es vermieden, die Giebel ſelbſt zu ſchmücken, beim Hus-
mannshus würde dies überladen wirken, zu ihm paßt der einfach grün ge⸗
ſtrichene Holzgiebel.
Holländiſche Sauberkeit und holländiſcher Farbenſinn gehören zum Hauſe
der Elbmarſch. Auch hier wird die Wirkung durch Einfachheit erzielt. Die
Holländer brachten die Milchwirtſchaft ins Land; auf jedem Wilſtermarſchhof
wurde die Milch, bis zur Zeit der modernen Meiereien hin, im eigenen Be⸗
trieb zu Butter und Käſe verarbeitet. Die aus Holz gefertigten Gefäße waren
innen rot, außen blau geſtrichen. Satte Farben herrſchten auch im Hauſe.
Rot war die Decke mit den gekerbten Balken und das Holz der Fenſter. In
den Stuben ſind die Wände mit holländiſchen Kacheln und mit Panneel
bekleidet, das entweder aus rotpoliertem Holz oder geſchnitzter Eiche ange⸗
fertigt iſt. Glastüren führen zu eingebauten Wandbetten und Schränken. Ein
beſonderes Fenſter der Stube blickt auf die große Diele, es iſt das mit altem
Hausrat geſchmückte „Fenſterſchapp“. Von hier aus beobachtet der Bauer
die Dreſcher auf der großen Diele. In ſchönen Eichentruhen mit feinſter Ein⸗
lege ⸗ oder Schnitzarbeit bewahrt die Hausfrau den Leinenſchatz auf. Reiche
Bauernfamilien beſitzen noch heute Schränke, wie ſie kein Fürſtenhaus ſchöner
aufweiſen kann (Abb. IV u. V).
Am ſchönſten wirkt das Bauernhaus der Marſch um die Pfingſtzeit. Das
Vieh ift auf der Weide und das Haus reingemacht. Hell leuchten die Paneel-
wände und die mächtigen Balken der großen Diele. Durch die geöffnete doppel-
flüglige Vordertür (Abb. VI) und durch die Fenſter flutet die Sonne auf
die große Diele. Weit ſchweift der Blick durch die Tür über den Weg, das
leiſe ſchwankende Reth an der vorüberfließenden Au bis hin zu dem fernen
Elbdeich. Dreht man fih um, fo gleitet der Blick durch das große Cinfahrts-
tor hinaus aufs Feld über Herden rotbunten Viehs, Windmühlen, die Baum⸗
reihen einer fernen Landſtraße zu den grauen Hügeln der Geeſt, die wie eine
ferne Küſte herübergrüßt. Zur Linken und zur Rechten, etwa drei Stufen
höher als die Diele, liegen die Wohnräume. Wie die Farben leuchten! Wie
in altem Hausrat die Sonne ſpiegelt.
718 Claus Franzenburg, Bauer und Boden in Marsch und Geest
Das Niederſachſenhaus der Geeft mag heimeliger fein mit feiner E
Diele, dafür ift das Haus der Marſch großzügiger, klarer und feiner ab-
gewogen in ſeinem Aufbau. Der alles beherrſchende Raum, die große Diele,
iſt mit wahrer Platzverſchwendung ausgeſtaltet, hier ift nicht gezeizt in Elein-
lichem Sinn, ebenſowenig wie in den herrlichen Dielen hanſiſcher Kaufleute
in Lübeck. Solche Häuſer ſind ein ſchlechter Lebensraum für kleinliche enge
Geiſter! Vom Menſchen gebaut, auf Menſchen zurückwirkend, ſind dieſe
Häuſer der Marſch ein wunderbares Beiſpiel der Wechſelwirkung von Bauer
und Boden. Stolz und Abſtand heiſchend liegen fie einſam auf ihrer Wurt
zwiſchen hohen Bäumen, von dem breiten Hofgraben wie eine Feſtung ume-
geben. Nur über die weißgeſtrichene Brücke, den mit Marmorflieſen belegten
ing SE führt Der Weg durch die Haustür auf die Ge Diele, das Herz
es Hauſes
III. Das Geſicht des Bauern.
„Marſchbauer“ und „alter Bauer von der Geeft”. 2
Die Abbildungen VII und VIII reden ohne Worte eine deutliche Sprache.
Sie zeugen davon, wie jeder der beiden Bauern in ſeinem eigenen Weſen
ruht. Der Geeſtbauer ift geſelliger, ja gütiger als der Marſchbauer. Er iſt
aufgewachſen und wirkt in der Gemeinſchaft des Dorfes. Hier herrſcht die
Sitte, daß der alte Bauer bis zu feinem Tode auf dem Hofe bleibt. Der Alten-
teiler der Marſch und der junge Bauer ertragen das Zuſammenleben ſchwer,
darum zieht hier der alte Bauer meiſtens in die Stadt.
Die Arbeit in der Marſch drängt ſich auf kurze Zeiten zuſammen; dazwiſchen
bleibt Zeit, ſich umzuſehen und den Blick zu weiten.
Der Marſchbauer iſt härter und eigenwilliger als der Geeſtbauer. Jeden
Eingriff in ſeine Welt lehnt er ab! And er weiß darum zu kämpfen! Nie
war er leibeigen. Er iſt wie ſein einſamer, ſtolzer Hof. Das „Abſtandhalten“
und das „Türſichleben“ ift der Schwerpunkt feines Weſens. And doch war
der Marſchbauer fähig, ſoviel Gemeinſinn zu entfalten, daß das großartige
Werk der Bedeichung geſchaffen und bis in die Neuzeit hinein in eigener
Verwaltung erhalten wurde.
og GC das Notwendige hinausgehende Beſchränkung feines Eigenlebens
lehnt er ab!
Notwendig aber bleibt eins: Wer nich will dieken, de mutt wieken!
|
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Georg Halbe:
„Amtmann und Diener Gottes auf Erden”
Dieſen Untertitel gab Hans Heyd feinem Roman „Friedrich Wil-
helm J.“ der jüngſt im Verlag „Zeitgeſchichte“, Berlin, er-
ſchienen ift 7).
In einer groß angelegten Schilderung gibt uns der Verfaſſer eingangs ein
getreuliches Bild der Zeit- und Sittenverhältniſſe in Deutſchland zu Beginn
des achtzehnten Jahrhunderts. Tonangebend waren die Fürſten und Herren,
die ſtandesherrlich und volksvergeſſen dem zweifelhaften Prunke des fran⸗
zöſiſchen Königshofes nacheiferten und durch unzählige Intrigen mit. und
noch mehr gegeneinander verſtrickt waren. Es iſt ein unentwirrbares Heer von
Fäden, das von Wien nach Paris, von dort nach Madrid, Hannover, London,
Stockholm, Berlin uſw. läuft, ſich in Dresden verfilzt, in Warſchau zerreißt,
in Petersburg neu geknüpft wird, nach Rom ſührt und überall in kleinen und
kleinſten Hofgeſellſchaften Knoten ſchlägt. Es war eine Zeit, in der nicht nur
der adlige Diplomat ſich wohlfühlte; noch mehr kam der politiſche Abenteurer
auf ſeine Koſten und fühlte ſich namentlich als Jeſuit in ſeinem Elemente.
Der hatte beim Kaiſer in Wien ſein Hauptquartier aufgeſchlagen und zog die
Drähte, wie es ſeinen und den päpſtlichen Machtgelüſten entſprach.
Die Städte, namentlich die Freien und Reichsſtädte, hatten fic) eine ge-
wiſſe Selbſtändigkeit und Macht errungen, und ſo war es immer wieder der
Bauer, der die Kriegs- und Friedenslaſten der geiſtlichen und weltlichen
Herren zu tragen hatte. |
Es war ein frevelhaftes Spiel, das mit dieſen feit den Bauernkriegen völlig
entrechteten Menſchen getrieben wurde. a,
Vergebens hatte Preußen verfucht, fih von dem Intrigenſpiele der europdi-
ſchen Kabinette freizumachen. Noch der Große Kurfürſt hatte erfahren müſſen,
wie wenig man mit Mut, Tapferkeit und ſelbſt kriegeriſchen Erfolgen gegen
dieſe Verfilzung höfiſcher Vetternwirtſchaft ausrichten konnte. Erſt ſeinem
Enkel, Friedrich Wilhelm I., gelang es, Preußen in zäher und unbeirrbarer
Arbeit von dieſem Netzwerk ſo weit zu befreien, daß ſein Sohn, der Große
Friedrich, das Geſpenſt vollends zerſtören konnte.
Es war eine bedeutſame Zeit, dieſes 18. Jahrhundert, in dem mehr willens.
ſtarke, zielbewußte und ſogar geniale Perſönlichkeiten in Europa wirkten als
jemals vor- oder nachher. |
Im Often hatte Peter der Große Rußland zu einer Großmacht zuſammen⸗
gezwungen. Im Welten ſetzte Ludwig XV. das Machtſtreben feines Vaters
fort. Im Norden griff Karl XII. mächtig in die Geſchicke Europas ein. Im
Süden ſuchte Karl VI. die ſchon damals zerfallende Hausmacht der Habsburger
zuſammenzuhalten. Bündniſſe wurden geſchloſſen, gegeneinander ausgeſpielt,
) In Leinen gebunden 5,50 RM.
720 Georg Halbe
aufgelöſt, wieder geſchloſſen — kurz, es war ein ewiges Hin und Her, das durch
den religiöſen Zwieſpalt im deutſchen Volke noch verſtärkt wurde.
Inmitten etwa all dieſer Strömungen lag das jüngſte Königreich Europas,
Preußen; — zu ſchwach, als daß es von den damaligen Großmächten hätte
unbedingt berückſichtigt werden müſſen, zu ſtark, als daß ſie es hätten völlig
überſehen dürfen. Da trat Friedrich Wilhelm I. das Erbe feiner Väter an.
Es erforderte einen ganzen Mann, wenn Preußen einen entſcheidenden Auf-
trieb erhalten ſollte, zumal es als proteſtantiſche Macht dem Papſte und den
Jeſuiten ein Dorn im Auge und dem Kaiſer mehr als unbequem war.
Schon als Kronprinz hatte Friedrich Wilhelm I. 2 all diefe Verhältniſſe
eindeutig klar gemacht. Ein deutſcher Mann, der er bis in den innerſten Kern
ſeines Weſens war, erkannte er bald, daß Preußen mit franzöſiſcher Höfelei
niemals einen Erfolg gegenüber den verwelſchten Mächten Deutſchlands
würde erreichen können. Alfo tat er das Richtigſte, was er tun konnte: er
ſetzte deutſches Weſen aller Verwelſchung entgegen und wurde — Bauer.
Er wurde Bauer im umfaſſendſten Sinne des Wortes, das heißt, ein
Mann, der ſeine Kraft aus dem Boden zog, in dem er verwurzelt war und
zu deſſen Herrn das Schickſal ihn gemacht hatte. Alſo leitete er ſeine Aufgaben
nicht aus irgendwelchen — und ſei es auch genialen — Plänen und Abſichten
her, ſondern nahm ſie einfach und ſchlicht als die Erforderniſſe auf ſich, die
das ihm anvertraute Reich aus ſeiner Eigenart heraus geltend machte.
Da galt es zunächſt, die Hüter des Bodens, die Bauern, in eine menſchen⸗
würdige Lage zu bringen. Mit harter Hand griff er durch. And wenn er die
Aufhebung der Leibeigenſchaft auch noch nicht durchführen konnte, ſo brach er
doch die Willkür der Grundherren und ließ den Großgrundbeſitz erkennen, daß
es höhere Geſetze gab als feudale Privilegien.
Durch perſönliche Reifen in die einzelnen Provinzen feines Landes machte
fich der König bis in die Einzelheiten mit deren Verhältniſſen vertraut. Es
war wenig Erfreuliches, was er namentlich in Preußen zu ſehen bekam. Weite
Strecken der Provinzen waren menſchenleer und verwildert. Die Peſt hatte
furchtbar gehauſt. Was von der bäuerlichen Bevölkerung am Leben geblieben
war, wurde von den Grundherren bis zum äußerſten ausgenutzt, die ihrerſeits
kaum mehr aus ihren weiten Ländereien heraus wirtſchafteten, als fie für ihren
eigenen Bedarf nötig hatten. Das Steuerſyſtem, der „Landkaſten“, war völlig
unzuverläſſig und nahm es mit der Ehrlichkeit nicht genau. Der König erſetzte
es durch den „General-Hufenſchoß“, febr zum Leidweſen der Grundherren,
die dagegen Sturm zu laufen verſuchten und fih beim Kaiſer in Wien be-
ſchwerten. Doch der König blieb unerbittlich. In dem Erbtruchſeß Karl Heine :
rich Graf zu Waldburg fand er einen entſchloſſenen Mann, der die königlichen
Verordnungen gegen ſeine Standesgenoſſen durchzuſetzen verſtand, was ihm
allerdings deren offene Feindſeligkeit eintrug.
Ein zweites Mittel, mit dem der König den durch Peſt und Not ver-
wüſteten Gebieten wieder aufzuhelfen verſuchte, war die Siedlung. Aus allen
Teilen des Reiches zog er Bauern in ſein Land, namentlich waren es die
Salzburger Bauern, die von dem dortigen Erzbiſchof wegen ihres proteſtan⸗
tiſchen Glaubens bedrückt und geprellt worden waren. Friedrich II. ſetzte dieſe
Siedlungspolitik feines Vaters fort, ebenſo den Kampf gegen die Grofarund-
beſitzer. Aber auch ihm gelang es nicht, den geſchloſſenen Widerſtand des
Landadels zu brechen, an dem ſpäter auch der Reichsfreiherr vom Stein fheis-
„Amtmann und Diener Gottes auf Erden“ 721
terte. Der „Oſtelbier“ verftand es immer, bauernfreundlich gemeinte Map-
nahmen zu verbiegen und zu feinen Gunſten zu verdrehen. Das beweiſt das
große Gauernlegen des verfloſſenen Jahrhunderts, und das beweiſt heute der
Widerſtand, den er den Maßnahmen der nationalſozialiſtiſchen Regierung
entgegenzuſtellen ſucht).
Zum Bauern gehört das Schwert. Doch was ſollte ein Stand mit der
Waffe anſangen, dem ſeit zwei Jahrhunderten und länger mit unheimlicher
Zweckbewußtheit das Rückgrat gebrochen und immer wieder gebrochen worden
war. Dieſen Menſchen, in denen der Wehrwille ſchon nahezu erloſchen war,
mußte dieſer Wille durch ſorgfältige Erziehung wiedergegeben und neu geſtärkt
werden, ehe er zu dem Angriffswillen geſteigert werden konnte, der die preußi⸗
ſchen Heere in ſpäteren Zeiten ſo berühmt und gefürchtet gemacht hat.
Die „langen Kerls“ wurden die Keimzelle eines Heeres, das immer mehr
und mehr — in dem Maße, wie der Bauer geſundete — aus Söhnen des
eigenen Landes aufgeſtellt wurde.
Man erinnere ſich, daß zu jener Zeit das Söldnerweſen noch überall üblich
war. Ein Mann, der die Fähigkeiten, oder manchmal auch nur die Verwegen⸗
heit beſaß, Krieg zu führen, ſammelte eine Schar zumeiſt entwurzelter Men⸗
ſchen um ſich, drillte ſie bis zu einem gewiſſen Grade und verkaufte ſich mit⸗
ſamt ſeinem Haufen dem großen Herrn, der ihm am meiſten — ſei es Sold,
ſei es Ausſicht auf Beute — bot. Irgendeine ſittliche Bindung war nirgends
vorhanden. Wer ſich anwerben ließ, konnte heute ſeinem Kameraden von
geſtern als Feind gegenüberſtehen und morgen ſeinem heutigen Feinde Freund
ſein müſſen. Der Söldner war ein Spielball in der Hand ſeines Herrn, der
den wehrhaften Feind oft nur deswegen in Kauf nahm, weil er den wehrloſen
Freund ausbeuteln und ausplündern konnte. Der Krieg mußte den Krieg
ernähren, und der Leidtragende war immer der wehrlos gemachte Bauer des-
jenigen Landes, in deſſen Grenzen der Krieg geführt wurde.
Friedrich Wilhelm gab dem Soldaten wieder eine ſittliche Grundlage, in⸗
dem er die eigenen Landesſöhne immer mehr und ſtärker in die Armee ſtellte
und die Armee nicht für die Machtgelüſte fremder Fürſten bluten ließ — wie
es einige Jahrzehnte ſpäter viele ſogenannte Landesherren in Deutſchland
taten, die ihre „Antertanen“ an England verkauften, das ſie in Aemrika ver⸗
bluten ließ. Machte Friedrich der Große dieſes fürſtliche Geſchäft nicht mit,
ſein Vater hätte es noch viel weniger getan.
Friedrich Wilhelm I. kannte für fein Heer keine andere Aufgabe als die
Wahrung von Ehre und Freiheit des Vaterlandes. Dieſe Aufgabe erforderte
auch einen neuen Offizier. Größere Befehlsgewalt und größeres Beuterecht
waren bislang das geweſen, was den Offizier — meiſt nur kärglich — von
dem gemeinen Soldaten unterſchied. Jetzt wurde er unlösbar an die Perſon
des Königs gebunden. Das bedeutete erſt in zweiter Linie geſellſchaftliche
Vorrechte; in erſter Linie hatte das doppelte und dreifache Pflichten im Ge⸗
folge. Ehre, Tapferkeit und Treue hießen dieſe, die den Offizier mit ſeinem
Könige zum gleichen Ziele verbanden; der Sold war eher kärglich.
Langſam mußte der König ſeine Offiziere erſt in dieſem Sinne erziehen,
ehe ſie einſehen lernten, daß die Vorrechte, die der König ihnen als Grund⸗
1) Vergleiche „Der Bauer im Umbruch der Zeit“, Reichsnährſtandsverlag 1935. „Die Ver-
teilung des deutſchen Bodens.“
722 Georg Halbe
herren und Landadel genommen hatte, ihnen auf dieſem Wege in noch
größerem Maße wiedergegeben werden ſollten. Allerdings blieben es Vor-
rechte, die niemandem nur durch die Geburt in den Schoß fielen, ſondern von
jedem ſelbſt erworben werden mußten. And gerade dieſes Erwerbenmüſſen
wurde der Anſporn, der die beſten Männer, die vom Leben mehr verlangten
als billige Standesvorrechte, ins Heer des Königs drängte. So wurde das
preußiſche Offizierkorps in erſter Linie eine Ausleſe der Söhne adliger Ge⸗
ſchlechter, die mit Einführung der ſpäteren allgemeinen Wehrpflicht auch die
Bürgerſöhne ſiebte und nicht zuletzt auch manchen Bauernſohn an die Spitze
der Wehrmacht berief.
Friedrich Wilhelm leitete eine Erziehungslaufbahn des Offiziers ein, wie
fie heute ſeitens des Reichsbauernführers für den Bauern angeſtrebt wird.
And es ift nicht einzuſehen, weshalb der Bauer nicht genau fo ehrenhaft, treu
und zuverläſſig in all ſeinen Gliedern werden ſollte, wie es das preußiſche
Offizierkorps als Stand ebenfalls geweſen iſt.
Eine weitere Angelegenheit, die der König als weſentlich ſich angelegen
ſein ließ, war die Neuordnung des Rechtes für ſein Reich. Das Preußiſche
Landrecht war ein Ergebnis dieſer Fürſorge. Es war eine ſeiner erſten Taten,
daß er die Geſtaltung eines einheitlichen Rechtes anordnete. Dieſes Recht
ſollte mit römischer Jurisprudenz möglichſt wenig zu tun haben, ſondern deut-
ſchem Rechtsgefühl und Rechtsbewußtſein entſprechen. Kein Wunder, daß
dieſe königliche Verfügung da faſt eine papierene Anordnung geblieben wäre.
Das Jahr, nach deffen Ablauf die neue Geſetzgebung verfaßt fein ſollte, Ger,
ging, und noch ſo manches Jahr dazu, ehe die preußiſchen Juriſten ihr krauſes
Winkelzugdenken ſo weit geſundet hatten, daß ein vernünftiges Geſetzbuch
zuſtande kam. So ſtark war der Juriſt damals ſchon dem deutſchen Rechts-
leben entfremdet, daß ſelbſt dieſer willensſtarke König ihn nur durch ſchärfſte
Anordnungen zu einem deutſchen Rechtsgedanken zurückzwingen konnte.
verhalf. war der Mann, der dem königlichen Willen dann endlich zur Geltung
verhalf.
Der König war, wie bereits geſagt, Bauer im umfaſſendſten Sinne des
Wortes. Der Bauer ift fromm. And fo war es auch der König. Seine Fröm⸗
migkeit wurzelte ſchichtgläubig in Gottes Wort, wie die reformierte Kirche es
lehrte. Das erklärt viele feiner Schroffheiten und, fagen wir ruhig, Beſchränkt⸗
heiten, die ihn namentlich innerhalb ſeiner Familie ſo ſehr gefürchtet machten.
Dieſes kirchlich verbogene Chriſtentum ſteht hinter allem, was dem Könige
den Weg zur Volkstümlichkeit verſperrte.
Ganz abgeſehen von dem faſt tödlichen Zerwürfnis, in das der Kronprinz
zu ihm geriet, führte es zu vielerlei Härten und Angerechtigkeiten gegenüber
Andersdenkenden. Die ſchmähliche Entlaſſung, mehr noch, Verjagung des
Philoſophen Chriſtian Wolff von der Aniverſität in Halle zeigt deutlich, daß
die proteſtantiſchen Pietiſten eine gleiche Nolle bei dem Könige hätten ſpielen
können, wie die katholiſchen Jeſuiten ſie beim Kaiſer und vielen andern Fürſten
geſpielt haben, wenn nicht der dem Könige eigentümliche Gerechtigkeitsſinn
auf die Dauer ſtärker geblieben wäre als die Verlogenheit jener heuchleriſchen
Theologen. |
Nur die innere, faft elementare Wahrhaftigkeit des Königs ermöglichte die
ſpätere Ausſöhnung mit feinem Sohne und veranlaßte ihn in ſpäteren Jahren,
dem gleichen Philoſophen Wolff von neuem eine Lehrſtelle in Preußen anzu⸗
„Amtmann und Diener Gottes auf Erden“ 723
bieten. Ebenfo hatte der König ſchon gleich bei ſeinem Seer ein
Anrecht gutzumachen geſucht, das ſein Vater dem Freiherrn Eberhard von
Danckelmann angetan hatte; und es ſpricht nicht wenig für ſeine Seelengröße,
daß er die ſchroffe Ablehnung dieſes verbitterten Mannes wenn auch nicht
verſtand, ſo doch achtete. Es war dem Könige eine Selbſtverſtändlichkeit, ein
Anrecht freimütig einzugeſtehen und großzügig auszugleichen, wenn er es als
ein ſolches erkannt hatte.
Geſunde Wirtſchaft, aufgebaut auf einem kräftigen Bauerntume: klares
Recht, gewachſen aus deutſchem Gerechtigkeitsſtreben und Gemeinſinn, ſowie
ein frommes Gottvertrauen waren die drei Grundpfeiler, die Friedrich Wil⸗
beim I. feinem Staate gab, den er nach außen durch ein Heer zu ſchützen
ſuchte, das er zur Pflichttreue und zum Gehorſam erzog.
Die Vaterlandsverbundenheit, die er dem einfachen Soldaten noch nicht
geben konnte, weckte er vorerſt im Offizier, der durch die Kräfte der Treue und
der Ehre ſeiner Mannſchaft ebenſo verbunden wurde, wie er durch ſie an die
Perſon des Königs gebunden war. Hiermit hatte der König ſchon den erſten
Schritt getan, der knappe hundert Jahre ſpäter in Preußen zur allgemeinen
Wehrpflicht führte und damit jeden einzelnen zum Wahrer und Hüter des
preußiſchen Bodens und des preußiſchen Rechtes machte.
Es iſt dem Verfaſſer außerordentlich gut gelungen, all dieſe Entwicklungen
in ihrem Werden, ihrem Kämpfen und ihrem Wirken anſchaulich zu ſchildern.
In lebendigen Bildern läßt er die einzelnen Perſönlichkeiten ihre Nollen
ſpielen, die ſich immer mehr und mehr um die Perſon des Königs ſelbſt
gruppieren.
Wehrpflicht, Rechtsgeſtaltung, Weltanſchauung und Volkswirtſchaft waren
dem Könige ebenſo bedeutſame Lebensfragen, wie fie es dem Nationalſozialis⸗
mus heute wieder ſind. In dem alten, damals noch jungen Deſſauer hatte der
König einen zuverläſſigen Helfer. Cocceji iſt ſchon genannt. Weltanſchauung
war dem Könige ſeine glaubensſtarke Frömmigkeit, die mit Dogmatik wenig
zu tun hatte. Daher hielt er auch nicht viel von den Theologen. Auch für die
Mediziner hatte er nicht viel übrig, denn dieſe verſtanden damals ſchon von
der Heilkunſt des Arztes nicht viel mehr als ſpäter. Da war ihm, dem
willensſtarken Manne, die Chirurgie ſchon lieber. Die Finanz⸗ und Wirt⸗
ſchaftsgröße des Königs war der Vizepräſident des Generaldirektoriums
F. W. von Grumbkow. Ein mit allen Waſſern gewaſchener Geſchäftsmann
von perſönlicher Feigheit, aber mit offener Hand für jeden, der etwas hinein⸗
tat, auch wenn er Staatsfeind war. Im übrigen aber außerordentlich geſchickt
und gewandt.
Es berührt eigen, daß der Köni ar ſolche Kreatur um fic) duldete, die er
mehr als klar durchſchaut hatte. Man kann ſich das nur damit erklären, daß
er fie „benutzte“, jo weit fie für feine Pläne geeignet war — und aufs Geld-
geſchäft verſtand Grumbkow ſich nun einmal wie kein Zweiter. Es paßt zu
ſeiner Vielgewandtheit, daß er rechtzeitig juſt in dem Augenblick eines natür⸗
lichen Todes ſtarb, als ihm der Galgen, an den er gehörte, endlich unentrinn⸗
bar bevorſtand.
Dann wäre noch der Profeſſor Gundling zu nennen, der gelehrte Narr
oder der närriſche Gelehrte, was ja ſo ziemlich auf dasſelbe hinausläuft. Als
man ihn, den unentwegten Zecher, in einem Weinfaß begrub, verlor das
Odal Heft 9, Jahrg. 4, Bg. 3
724 Felix Havenstein
Tabakskollegium feinen beliebteſten Geſellſchafter, fträubten fih die Perücken
der kirchlichen Würdenträger ob der Form dieſes Sarges.
Heyck vergißt. nichts und niemanden, der das Vild der damaligen Zeit
wirklichkeitsnahe und bunt machen könnte.
Doch bei aller Fülle der Bilder bleibt der König immer der leuchtende
Mittelpunkt ſeines Kreiſes. Friedrich Wilhelm hat — man könnte faſt ſagen
— das Pech gehabt, der große Vater eines großen Sohnes zu ſein. Das
Strahlende, was von dieſem, Friedrich dem Großen, ausgeht, läßt leicht ver⸗
geſſen, daß ein auf ſeinem Gebiete ebenſo bedeutender Mann ihm voran⸗
gegangen ift. Friedrich Wilhelm I. hat feinem Sohne erft die Waffe geſchmie⸗
det, die den Ruhm Preußens über die ganze Welt tragen ſollte: ein wirt⸗
ſchaftlich geſunder Staat, eine ſaubere und pflichttreue Beamtenſchaft, eine
wohlgefüllte Kriegskaſſe, und vor allem ein ſchlagfertiges und ſchlagkräftiges
Heer waren das Erbe, das der größte preußiſche König antrat.
Heyck zollt dem Könige die Anerkennung, die ihm zukommt. Offenbar aus
einer großen Verehrung für die Perſon dieſes Königs ſchrieb er deſſen Ge⸗
ſchichte und bringt ihn durch ſie auch dem Herzen des Leſers nahe. Friedrich
Wilhelm war kein kühl überlegender und geſchickt rechnender Kopf. Er war
ein echter Mann, dem das, was er tat, eine Aufgabe innerſter Aberzeugung
geweſen iſt. Dieſe Stärke ſeiner Aberzeugung war zugleich die Stärke ſeiner
Pflichterfüllung und die Kraft ſeines Willens, der wohl oft ſtur, niemals
aber willkürvoll geweſen iſt.
Darum glaubt man dem Verfaſſer ohne weiteres, daß dieſer nach außen
jähzornige und harte Mann ein gütiges und warmes Herz gehabt hat. Wie
ein Verhängnis liegt es über dieſem Könige, daß er durch ſeine pflichtgebun⸗
dene Art gerade bei den Menſchen Furcht und Abneigung erregte, deren Ver⸗
trauen und Liebe ihm mehr wert geweſen wäre als mancher äußere Erfolg.
Die endliche Verſöhnung mit dem Thronfolger verrät da vieles.
Heyck ſchildert ſchlicht und ohne Effekthaſcherei. Er läßt die Menſchen auch
da Menſchen bleiben, wo ſie gekrönte Häupter ſind. Das iſt es wohl, warum
es ihm gelingt, uns dieſen König auch menſchlich ſo außerordentlich nahe zu
eg der fih ſelbſt einen Amtmann und Diener Gottes auf Erden ge-
nannt hat.
Es gibt wenig Romane, die als Zeitbild und Perſönlichkeitsgeſchichte ſo
vorzüglich geftaltet find wie dieſer „Friedrich Wilhelm J.“ von Hans Heyd.
Felix Havenſtein:
Lebenoͤiger Germanengeiſt
Wohl kein Volk hat ſeinen von den Vätern ererbten Glauben und politiſche
Anabhängigkeit ſo hartnäckig verteidigt wie die Frieſen. Dem Eroberungszug
Pipins von Heriſtall, durch den 689 das weſtliche Friesland dem Franken⸗
reiche unterworfen wurde, war noch lange kein bleibender Erfolg beſchieden.
Schon 25 Jahre ſpäter erhoben fih die Frieſen unter ihrem König Radbod,
Lebendiger Germanengeist 725
eroberten in wilden Kämpfen das Land zurück und rotteten den chriftlichen
Glauben, ſoweit er Eingang gefunden hatte, mit Stumpf und Stiel wieder
aus. Erft nach Radbods frühem Tode gelang es Karl Martell, Weft- und
ſpäter Mittelfriesland erneut zu unterwerfen und das Chriſtentum mit Feuer
und Schwert einzuführen. Aber die Erfolge waren auch nur äußerlich. Anter
der Aſche glühte der alte Geiſt weiter, ſprungbereit, um jeden Augenblick
wieder zu lohender Flamme emporzulodern. And 715 hat es den Anſchein,
als wollte es noch einmal gelingen, das fremde Joch abzuſchütteln. Bei Dok.
kum in Mittelfriesland wird Bonifatius erſchlagen. Aber ſo ſcharf die
Frieſenſchwerter auch find, fo heiß die Sehnſucht nach Freiheit auch brennt,
die Macht der Eroberer iſt zu groß. And als gar Karl I. mit feinen Heeren
ins Land bricht, unterliegen die tapferen Frieſen endgültig. Friesland wird
Provinz des fränkiſchen Reiches, und nun muß auch in Oſtfriesland der
Glaube der Väter weichen. |
Aber ob auch der alte, ſtolze Frieſenwille gebrochen, die alten, heiligen
Stätten zerſtört ſind, und von den Kanzeln herunter das Chriſtentum gepredigt
wurde, daheim in den vier Wänden, im Amgang mit den Nachbarn, überall
brachen die vorchriſtlichen Sitten und Bräuche wieder durch und drangen
ungehindert ein ins öffentliche, rechtliche Leben, wo ſie lebendig geblieben
find bis in unſere Zeit.
In der frieſiſchen Rechtsſprache, wie fie das Volk pflegte, haben wir jedoch
nicht nur nüchterne Rechtsformeln erhalten, die wohl in der Mehrzahl auf
uraltes Gewohnheitsrecht zurückgehen und das geſunde Empfinden einer unver-
dorbenen germaniſchen Rechtsauffaſſung widerſpiegeln, ſondern in dieſer
Rechtsſprache ſind uns Denkmale erhalten geblieben, die uns eine geradezu
künſtleriſche Beherrſchung, eine tiefe Durchſättigung der Sprache mit dichte⸗
riſchen Vorſtellungen und Anſchauungen offenbaren. Man begnügte ſich nicht
mit einfachen Begriffen, ſondern man umſchrieb, entfaltete und malte mit
Worten in ſo treffender, plaſtiſcher Form, daß in einem einzigen kurzen Satz
mehr ausgedrückt wurde, als es der vom römiſchen Recht grundlegend ver-
derbte Juriſtenſtil nicht auf ganzen Aktenbogen vermag. Die folgenden wenigen
Beiſpiele mögen das beſtätigen.
So heißt es, um die Schwere eines Einbruches darzulegen: „Wer in ein
Haus einbricht bei rauchendem Feuer und bei verſchloſſenen Türen, der hat
ſein Haupt verloren.“ Oder: „Der Gehängte bezahlt alle ſeine Schulden, er
vergilt mit ſeinem Halſe allen Leuten zu Danke.“ Von einem, der nicht in
der Lage iſt, die ihm abverlangte Buße zu entrichten, heißt es: „Der ſoll in
den Kragen, der die Kuh nicht hat.“ Der Kragen iſt hier der Halskragen des
Henkers, die Schlinge, während „Kuh“ hier für Geld geſetzt iſt. Eine ähnliche
Bedeutungsentwicklung hat auch das frieſiſche fia (Vieh) und das lateiniſche
pecunia durchgemacht. In üblem Rufe ſtand die Falſchmünzerei. Von einem
Falſchmünzer heißt es: „Er iſt der ärgſte Dieb, er beſtiehlt Herren und Hei⸗
ligen und allem Volke.“ „Den Mord aber foll man mit Morde kühlen!“ Da-
gegen ſoll man ſich „für den Totſchlag und Lähmung mit Land verbürgen“.
Einen weiten Raum nimmt im frieſiſchen wie auch im geſamten germa⸗
niſchen Rechtsleben das Erbrecht ein. Da heißt es zunächſt: „Die blutige
Hand nimmt kein Erbe.“ Ein Mörder hat alſo keinen Erbanſpruch. Das
Vorrecht der zahlenmäßig ſtärkeren Familie kommt zum Ausdruck in der
Formel: „Doppelte Sippe überwindet einfache Sippe.“ Eine ſtrenge Regelung
3*
— — oe
726 Felix Havenstein
hatte auch das Erbrecht der Kinder erfahren. So heißt es: „Ein neugebo-
renes Kind iſt erſt dann erbfähig, wenn es die vier Wände des Hauſes be⸗
ſchrieben hat“, oder: „Solange die Eltern leben, kann das Kind nicht über
Vaters oder Mutters Schoß taſten“ (d. h. das Kind kann kein Erbgut emp⸗
fangen, ſolange die Eltern leben). Vom eingebrachten Gut der Weiber heißt
es: „Weibergut iſt half bate, half ſchade“ (halber Nutzen, halber Schade),
oder auch: „Weibergut macht niet vormern noch vormynnern“ (nicht ver⸗
mehren noch verringern). Wie gründlich aber das Erbrecht ſowie die Stel-
lung der Frau und ihrer Kinder nach dem Tode des Mannes geregelt waren,
das erleuchtet der folgende Satz: „Wenn ein freies Weib, das einen leib-
eigenen Mann genommen und ihm vier Kinder geboren hat, nach dem Tode
des Mannes auf ſein Gut verzichtet und ihr Gewand von der Achſel fallen
läßt, in der Tür ſtehend, ſo macht ſie die Knaben und ſich ſelber frei.“ Eine
ähnliche Faſſung, die die gleiche uralte Wurzel ſolcher Rechtsauffaſſung be-
zeugt, finden wir im alten deutſchen Recht: „Die Witwe wird der Schulden
ihres verſtorbenen Mannes ledig, wenn ſie ihren Mantel oder die Schlüſſel
auf das Grab des Mannes fallen läßt.“
Die Erhaltung der Art war einer der heiligen Mittelpunkte des Lebens.
Darum heißt es auch im oſtfrieſiſchen Recht, daß der Verluſt der day aa
kraft eines Mannes mit dem neunfachen Wehrgelde gebüßt werden muß, weil
er neun Kinder hätte zeugen können! Hatte der Mann dagegen ſchon Kinder,
ſo wird ihre Zahl von den neunen in Abzug gebracht.
Die Erfahrungen über den Kauf oder Verkauf eines Stückes Landes finden
in dem folgenden Vers einen treffenden Niederſchlag:
„De dar will land kopen de ſchall lude ropen,
De dar will land felen (verkaufen) de fhal [ude bellen,
Landprank (Streit um Land) hefft einen fortgank,
Landkop hefft einen ruggelop (Rücklauf, kann alſo rückgängig gemacht werden).“
Von ſchöner Poeſie erfüllt und kündend von tiefer Naturverbundenheit ſind
auch die Ausſprüche über die Dauer des Rechtes und des geſchloſſenen
Friedens: „Das Recht ſoll dauern, ſolange das Land ſteht und Menſchen
leben.“ „Der Friede ſoll gehalten werden, ſolange als Wind weht und
Kind ſchreit, Gras grünet und Blume blüht, ſolange als Tau fällt, Topf
wallt, Gras grünt und Baum blüht“, oder: „Solange wie der Wind von
den Wolken weht und Gras grünt und Baum blüht und die Sonne aufgeht
und die Welt ſteht.“
Von ſolcher dichteriſchen Sprache durchweht iſt auch die Formel über die
Totſchlagsſühne in der isländiſchen „Graugans“. In ihr werden Zeit und Raum
in ihrer Anendlichkeit mit geradezu ergreifend ſchönen Worten umſchrieben:
„Wer die Totſchlagsſühne bricht, der fol landflüchtig und vertrieben fein,
ſoweit Menſchen landflüchtig und vertrieben ſein können, ſoweit Chriſtenleute
in die Kirche gehen und Heidenleute in ihren Tempeln opfern, Feuer brennt
und Erde grünt, Kind nach der Mutter ſchreit und Mutter Kind gebiert,
Menſchen Feuer entzünden, Schiff ſcheitert, Schild blinkt, Sonne ſcheint,
Schnee fällt, Finne ſchreitet, Föhre wächſt, Habicht fliegt den langen Früh⸗
lingstag, und der Wind ſteht unter beiden ſeinen Flügeln, Himmel ſich
wölbt, Welt gebaut iſt, Winde brauſen, Waſſer zur See ſtrömt, und die
Männer Korn ſäen!“
Lebendiger Germanengeist 727
So utalte Refte nordiſcher Rechtsſprache find auch in frieſiſchen Fluch⸗
formeln erhalten: „Verflucht und vermaledeiet ſeien dir alle deine Knochen
und alle deine Gliedmaßen, flüchtig werde dir dein Vieh und dein Woldvieh,
alſo ſollen dir vergehen deine Schmuckſachen (dieſer Fiadeid wurde beſonders
Frauen auferlegt!), wie dir vergehe dieſes Kleid auf deinem Leibe (der
Schwörende mußte dabei den Schoß ſeines Gewandes mit der Hand berühren),
deinem Leibe foll kein Erbe entſprießen!“
Von ſchlichter Schönheit ſind auch die folgenden Beſchreibungen. Das
bewegliche Gut heißt: „Gold und Gewand, Kuh und Ei, Kleinvieh und Acker⸗
knecht und Werkzeug“; die Abendzeit heißt: „Wenn die Sonne untergeht,
und die Kuh ihre Klauen niedertut“; bei tödlichen Verletzungen durch ein
Tier heißt es: „Wo jemand ſtirbt durch Pferdes Huf, oder Rindes Horn,
oder Hundes Zahn, oder Hahnes Sporn, oder Schweines Hauer.“
Der zuſtändige Gerichtsort wird beſchrieben: „Jeder Mann iſt ſchuldig,
ſich dort vor Gericht zu verantworten, wo er wohnhaft iſt, und wo ſein Topf
wallt, ſein Haken fällt und das Haus raucht, und er ſeine Feiertage begeht.“
In engem Zuſammenhang hiermit ſteht auch die merkwürdige Bezeichnung:
„Ein Bauer gilt als reich, wenn er fünf Joch Ochſen im Stalle hat am
Walpurgistage (alſo am 1. Mai), als ſein Haken an die Erde fiel.“
Gerechtigkeit um jeden Preis zeichnete unſere germaniſchen Vorfahren aus,
fremd waren ihnen römiſche Spitzfindigkeiten; aber wehe dem, der für ſchuldig
befunden wurde. Da gab es kein Erbarmen! So unbarmherzig die Arteile oft
auch geweſen fein mögen, fo abſolut ſauber war auch das voraufgehende Ge-
richtsverfahren. Da gab es keine vorherigen „Verſtändigungen“! Im Eider-
ſtädter Recht heißt es: „Die 12 Bauern, die zu beſonderen Richtern aus-
erwählt ſind, ſollen dann, ohne ſich vorher zu beſprechen, zuſammen⸗
treten in die Mitte des Ringes der Gerichtsverhandlung und folen ihre
Köpfe zuſammenſtecken, und dann ſollen ſie den Mann verurteilen oder frei⸗
ſprechen“ ;
In den gefällten Arteilen ſpiegelt fih gern die verübte Miſſetat wider.
So ſoll „der nächtliche Einbrecher mit dem Halſe, mit dem er ſich hinein⸗
ſchmiegte und kroch, mit demſelben Halſe ſoll er ſchwingen und hangen am
Galgen“. Der aber, „der Anzucht getrieben, fol fih zur Strafe ſelbſt ent-
mannen”! And: „Die Ehebrecherin fol mit demſelben Schwerte enthauptet
werden, unter dem ſie bei ihrer Hochzeit hindurchſchritt.“
Die alte frieſiſche Rechtsſprache entbehrt aber auch nicht eines gewiſſen
Humors, der häufig in geradezu draſtiſcher Form durchbricht. Hierfür nur
zwei kleine Beiſpiele. So heißt es: „Wenn jemand einen Bienenſchwarm in
der Nähe eines fremden Stockes findet, ſo gehört ihm der Schwarm; aber
der Beſitzer des Stockes hat das Recht, ſo viel von dem Funde für ſich zu
behalten, wie er durch Hammerwurf abwerfen kann. Dabei muß er jedoch mit
der linken Hand ſein rechtes Ohr anfaſſen und dann mit der rechten Hand
den Hammer über den linken Arm wegwerfen.“ Oder: „Ein Huhn darf nur
ſo weit außerhalb ſeines Herren Hofe in die Mark gehen, wie eine Frau mit
dem rechten Pflugeiſen werfen kann, wenn ſie in der Tür ſteht und zwiſchen
den Beinen hindurchwirft.“ | u
Ein herrliches Schmuckſtück nordiſcher Rechtsſprache und nordiſchen Redhts-
empfindens iſt auch die Schilderung „der drei Nöte“ des Landrechtes. In
728 Felix Havenstein, Lebendiger Germanengeist
der Emsgauer Faſſung heißt es da: „Eine Mutter darf das Gut ihres minder-
jährigen Kindes auch mit Zuſtimmung ihrer Blutsverwandten nicht verkaufen
oder verſetzen, es ſei denn, daß eine der drei Hauptnöte ſie dazu zwinge.
Dies iſt die erſte Not: wo ein Kind gefangen und gefeſſelt wird nordwärts
über die See oder ſüdwärts über das Gebirge, da darf die Mutter ihres
Kindes Erbe verſetzen oder verkaufen, und ihr Kind löſen und dem Leben
erhalten. Die zweite Not iſt die: wenn ſchlimme Jahre kommen, und der
heiße Hunger über das Land fährt, und das Kind ſterben will, ſo darf die
Mutter ihres Kindes Erbe verſetzen oder verkaufen, und ihm dafür kaufen
Kuh und Korn, um ihm ſein Leben damit zu erhalten. Die dritte Not iſt die:
wo das Kind iſt ſtocknackt und hauslos, und dann die nebeldüſtere Nacht und
der notkalte Winter über die Zäune ſteigt; ſo fährt jedermann in ſeinen Hof
und in ſein Haus, und das wilde Tier ſucht den hohlen Baum und der Berge
Schlupfwinkel, wo es ſein Leben retten könne: dann weint das minderjährige
Kind und beſchreit ſeine nackenden Glieder und ſeine Hausloſigkeit und ſeinen
Vater, der ihm helfen ſollte wider den kalten Winter und wider den heißen
Hunger, daß er ſo tief und ſo dunkel liegt mit den vier Notnägeln unter Eiche
und Erde beſchlagen und bedeckt. Hierum darf die Mutter ihres Kindes Erbe
verſetzen und verkaufen, weil ſie die Fürſorge und Pflicht für das Kind hat,
ſolange es minderjährig iſt.“
Nicht minder groß und ſchön iſt auch der kleine Abſatz über die Menſch⸗
werdung, der fich in der älteſten Emſiger Rechtshandſchrift findet: „Gott ſchuf
Adam, den erſten Menſchen, aus acht Stoffen: das Gebein aus dem Stein,
das Fleiſch aus der Erde, das Blut aus dem Waſſer, das Herz aus dem
Winde, die Gedanken aus den Wolken, den Schweiß aus dem Taue, die
Locken aus dem Graſe, die Augen aus der Sonne; und da blies er ihm den
lebendigen Odem ein; und da ſchuf er Eva aus ſeiner Rippe, Adams Geliebte.“
Hier iſt allerdings deutlicher als in anderen erhaltenen Aufzeichnungen der
chriſtliche Einfluß zu erkennen; es ift der ins Chriſtliche gewandte Nieder-
ſchlag der altgermaniſchen Weltſchöpfungsſage, für die es verſchiedene Paral-
lelen aus altnordiſcher Überlieferung gibt. Das aber, was hier als germa-
niſcher Niederſchlag herausleuchtet, das iſt tiefer erſchaut, größer geſehen und
gewaltiger erlebt, als es die Bücher Moſes aus der Bibel zu verkünden
wiſſen! Ein Volk, das ſo dachte und ſprach, war kein Barbarenvolk! So
konnte nur ein Volk denken und ſprechen, das auf leuchtender Kulturhöhe
ſtand, das rein war und ſtark, edel und gut! Drum wollen wir eingedenk ſein,
vaf N ol Volkes Erben find, und Walter feiner herrlichen, heiligen
enfmale
Martin Müggenburg:
Blut und Boden im Spiegel unferer Perſonennamen
I
Sonne ſchien über dem germaniſchen Wald und über dem ſtattlichen Hof in
ſeiner Lichtung. Sonne ſchien auch im Herzen des germaniſchen Freien, der
am Zaun ſeines Hofes ſtand und ſeine Augen freudig über die weite Halle
und die Felder ſchweifen ließ. Ein Söhnlein war ihm geboren worden, blond-
haarig und helläugig wie er ſelbſt und ſein Weib. Der aus ſeinem Blute
entſproſſen war, ſollte einſt den Pflug über dieſen Boden führen, wie er
ſelbſt es getan hatte. Möchte er das Geſchlecht weiterführen, frei, rein, tapfer!
Möchte er reich, mächtig werden an Erbgut! Reich an Aodall Dieſer
Wunſch des Vaters ſollte dem Neugeborenen Lebensinhalt werden. Täglich
und ſtündlich ſollte er daran erinnert werden, in jedem Anruf, morgens, wenn
er ihn weckte, wenn er ihn zur Feldarbeit rief, wenn er ihn auf die Jagd
und Heerfahrt mitnahm. Zum Namen ſollte der Anruf werden: Wodalric!
Werde mächtig an Erbgut!
Längſt war der kleine Aodalrich groß geworden und in Walhall wieder ein-
gegangen, und nach ihm Söhne und Enkel. Längſt ſaß das Geſchlecht nicht
mehr auf dem Erbgut. Große Wanderungen hatten es weggeführt. Sehnſucht
nach neuem Odal, nach neuem Erbgut im ſonnigen Süden hatten ihm den
Weg gewieſen. Die Bezeichnung Aodal (Odal) verſtand man nicht mehr.
Deshalb verkürzte fih der Name, den man immer wieder den Söhnen bei-
gelegt hatte, zu Alrich.
Je mehr nun die alte Bezeichnung Odal für die Menſchen an Inhalt ver⸗
lor, um ſo weiter ſchliff ſich der Name ab. Wenn die Mutter ihrem Söhnlein
Alrich bei ſeinen erſten Sprechverſuchen ſeinen Namen vorſprach und es zum
Nachſprechen veranlaßte, dann kam aus dem unbeholfenen Mäulchen etwas
heraus, was ganz beſtimmt nicht wie Alrich klang, ſondern etwa wie Ado.
Aber die Mutter war ſo glücklich und nannte ihn ebenſo, hängte zärtlich wo⸗
möglich noch eine Verkleinerungsſilbe, ilo, izo oder iko an (entſprechend den
heutigen Verkleinerungsſilben —el, —tz, — ke). So entſtand denn ein kleiner
Adilo, Adizo oder Adiko. Schließlich vergaß ſich der Name ganz, ſchliff ſich
noch weiter ab, und aus Ado wurde Uhde, aus Adilo Ahl und aus Adizo Az.
So waren von dem edlen und ſchönen Gefäß Aodalrich, das jener Germanen-
vater einſt mit ſeinen hohen Wünſchen gefüllt hatte, ein paar ganz kümmerliche
Scherben, Ahl und Az, übriggeblieben, klangarm und inhaltleer.
II.
In geradezu verſchwenderiſcher Fülle wuchſen in jenem Frühling der deut⸗
ſchen Namengebung Namenpracht und Namenfülle, getragen von hoher
Geiſtigkeit, idealem Schwung und poetiſchem Reichtum, und durchdrangen die
730 Martin Müggenburg
Wortſtämme mit Wunſch und Willen der Eltern, ja, des ganzen friſchen
Bauernvolkes. Der Geiſt des Heldenhaften, Kühnen, Hehren, Gewaltigen
waltet in dieſen Namen, Waffenklang ſchallt aus ihnen heraus, kluger Nat
und ruhmvolles Walten werden in ihnen hoch gewertet. Die Namengebung
iſt „einheitlich wie aus einem Geiſt und Guß, gleich dem Germanenvolk
ſelber, daß ein einheitliches an Abſtammung und Ausſehen war, ein eigenes,
reines, nur ſich ſelbſt ähnliches Geſchlecht.“
Angezählte tauſende altdeutſcher Perſonennamen, meiſt aus zwei Wort⸗
ſtämmen zuſammengeſetzt, find uns überliefert worden gegenüber den ungefähr
300 in Deutſchland heute üblichen, teils deutſchen, teils fremden Vornamen.
Welch eine Verkümmerung und Verarmung! Aus dieſem Reichtum ſoll an
dieſer Stelle nur auf ein einziges Teilgebiet hingewieſen werden, das den
Germanen nicht in erſter Linie als Krieger, ſondern als Bauern zeigt. Das
ſind zunächſt die Namen, die ihre Entſtehung dem altdeutſchen Stamm „od“
(ot) verdanken. Er bezeichnet „Beſitz“, und es iſt bezeichnend, daß das zuge⸗
hörige gotiſche Wort „audahafts“ „beglückt“ bedeutet, ein Beweis, wie ſtolz
der Germane auf ſeinen Beſitz, ſein Allod, ſein Odal war, und wie ſehr es
Legende iſt, ihn nur oder in erſter Linie als berumſchweifenden Krieger oder
Hirten zu ſehen.
Eine fehr große Zahl von zweiſtämmigen Namen mit dieſem Stamm iſt
bezeugt, d. h. als vorhanden geweſen tatſächlich nachgewieſen. Audobald
(bald = kühn), Audoberht (berht = glänzend), Audagar (ger = Wurfſpieß),
Authari (bari = Heer), Otleip (liotan = wachſen) find einige von ihnen.
Auch zu der beſonderen Form von od, Odal, gibt es eine große Zahl von alt-
deutſchen Namen: Odalbrand (brand = Schwert), Odalgar (ger = Speer),
Odalhart (hart == ffarf; noch erhalten im heutigen Familiennamen Oehlert),
Odalbreht (breht — glänzend; Ulbricht), Odallant (wahrſcheinlich nand =
berühmt; Uhland). Die heute in England noch vielgebrauchten Namen
Edmund, Edwin, Edward, Edgar, Edith, Ethel gehen ebenfalls auf den
Stamm Odal zurück.
Im ganzen zählt die deutſche Namenkunde von Gottſchald 36 bezeugte
zweiſtämmige männliche Namen mit dem od⸗Stamm auf. Dazu kommt noch
etwa ein Dutzend Kofe- und Verkleinerungsformen, unter denen die befann-
teſte der verbreitete Name Otto iſt.
Ebenſo zahlreich find die altdeutſchen Namen um den „adel“-Stamm, der
„Adel, Geſchlecht“ bedeutet. Adel und Odal hängen eng zuſammen. „Adel in
germaniſchem Sinne iſt nichts weiter als die im Erbhof der Sippe zuſammen⸗
gefaßte Einheit von Blut und Boden, um durch ‚Zucht‘, d. i. Reinhaltung
des Blutes, den Ahnherrn zu verehren, dem man ſein Daſein auf dieſer Welt
verdankt.“ Neben dem heute aus dem Adel -Stamm noch erhaltenen und
gebräuchlichen Namen Albrecht, Adalbert, Albert, Adolf, Alwin, von dem
gleichfalls etwa drei Dutzend bezeugt ſind, ſind auch hier die übrigen längſt
vergeſſen oder — unverſtanden und verkümmert — in Familiennamen erhalten
geblieben. Auch mit dem adel-Stamm find etwa drei Dutzend Namen bezeugt.
Anter ihnen ſei nur an Ahlborn erinnert, der von dem idealen Sinn und dem
hohen Geiſtesſchwung des erſten Namengebers redet, als er in grauer, ferner
Zeit ſinnend über ſeinem Knaben ſtand und ihn Athalbarn nannte und dabei
heiße Wünſche und ernſte Mahnungen in ſeinem Herzen bewegte: Athalbarn!
Du biſt in Adel, biſt edelgeboren! Sorge weiter für Einheit von Blut und
ES ren ee eer 3 m ——— —L——ͤ—ê—
en e Wem, ` = ECK E
—— — — — — — — il u —
Blut und Boden im Spiegel unserer Personennamen 731
Boden! Sorge für Reinhaltung des Blutes deiner Sippe! (Athalbarn ift —
un 0 — im 8. Jahrhundert bezeugt, im 9. Jahrhundert ſchon
orn. , |
III.
Doch ergab es ſich, daß man nicht nur gemäß uraltem Herkommen die
Kinder nach den eigenen Geſippen nannte. Das deutſche Volk ſah ſeine Heer⸗
könige und Helden, hörte von Sigfrid und Dietrich, hörte von den mächtigen
Kaiſern, wie Konrad, Heinrich, Otto, Friedrich.
Die Eltern gingen nun immer mehr dazu über, bei der Benamung ihrer Kinder
nicht mehr aus dem ſippengebundenen Namensgut zu ſchaffen, ſondern ſich an
die großen Vorbilder anzulehnen. Damit verſchwand die ſchier unerſchöpfliche
Mannigfaltigkeit der alten deutſchen Namen. Die Lieblingsnamen, d. h
Modenamen, drängten die altererbten in den Hintergrund. Während aber
bei der dünnen Beſiedlung Deutſchlands und der unerſchöpflichen Namen⸗
fülle der eine Name vollkommen ausgereicht hatte, ergaben ſich jetzt bei der
Schrumpfung des Namensvorrates, der Dichte der Bevölkerung (in Städten
und Dörfern) und ihrer Beweglichkeit (auf Wanderungen und Kriegszügen)
allerhand Verwechſelungsmöglichkeiten, die bei den zunehmenden Geld. und
Rechtsgeſchäften unerträglich wurden. So ergab fic) deshalb die Notwendig-
keit beſonderer Bezeichnungen neben dem Namen, und zwar in Geſtalt der
Beinamen. Beinamen hat es allerdings ſchon in der germaniſchen Arzeit
gegeben. Aber ſie blieben ganz, wie noch heute, im Vereich des Zufälligen.
Sie ſind meiſt nicht urkundlich belegt. Es haben damals auch nicht alle einen
Beinamen gehabt, während andere wieder mehrere hatten, die nebeneinander
gebraucht wurden oder nach Zeitabſchnitten wechſelten. Sie wurden gebraucht,
wie heute noch Spitznamen, Abernamen, Annamen gebraucht werden. Sie find
vielleicht ſehr bekannt geweſen und viel angewandt worden, weil fie wahr-
ſcheinlich für manchen Namenträger viel kennzeichnender waren als der eigent-
liche Name. Sie hatten unter Amſtänden hohen Tageswert, aber immer doch
nur Tages wert. Sie bezogen ſich häufig nur auf eine Perſon,
ohne auf die Kinder und Enkel übertragen zu werden.
IV.
Neben dieſer Entwicklungslinie, die die Anterſcheidungs möglich
keiten zwiſchen Trägern des gleichen Perſonennamens beabſichtigt, alſo zur
Mannigfaltigkeit ſtrebt, läuft eine zweite, die im Gegenſatz dazu ſteht,
da fie wieder zu einer gewiſſen Vereinheitlichung und Zuſammen⸗
faſſung kommen will, indem fie die Zugehörigkeit zu einer Fa-
milie, zu einer Sippe zum Ausdruck bringen möchte. Auch dieſe zweite Linie
beginnt ſchon früh, durch allerhand Gleichartigkeiten in den Perſonennamen,
ſo durch den Stabreim: Gibich, Gunther, Gernot, Giſelher, Grimhild, durch
die Abereinſtimmung einer Silbe: Sigmund, Sigelinde, Sigfrid, oder durch
Vereinigung beider Möglichkeiten: Heribrand, Hildebrand, Hadubrand. In
der oſtgotiſchen Königsfamilie gab es die Familienſilbe Theod = Diet, die
in den Namen, z. B. Theodorich = Dietrich, wiederkehrte, bei den Merwo⸗
ingern Chlod oder Chil, und bei ihren Hausmeiern wechſelten die Namen
Karl (mann) und Pipin ab.
732 Martin Müggenburg
Eine befondere Bedeutung fommt dabei aud) den Endfilben -ing oder
singen zu. Sie bedeuten Nachkommen, Sippe, Merowinger = Sippe des
Merowech, Alaholfinger = Sippe des Alaholf, Göring = Nachkomme des
Gero, Eggeling = Nachkomme eines nach einer Form von ecke (= Schärfe
des Schwertes; z. B. Eggehart) benannten Mannes. In den Silben ing, ingen
liegt aber nicht nur „Blut“, ſondern auch „Boden“. Sie bezeichneten auch die
Siedlung der Sippe, wenn bei der Einwanderung oder der Eroberung
der Boden unter die Sippen verteilt worden war und nach dem Stammvater
benannt wurde, fo daß die Sippe auch in den Orts namen weiterlebte.
Beiſpiele des Ineinanderwachſens von Perfonen- und Ortsnamen find etwa
die Familiennamen Sindelfinger und Wülflinger. Da war ein
Mann, ein Sippenhaupt, mit Namen Sintulf oder Sindolf. Einen ſeiner
Nachkommen nannte man Sindolfing, alle zuſammen, d. h. ſeine ganze Sippe,
waren die Sindolfinger. Der Ort, in dem die Sippe Sindolfs ſaß, hieß fortan
Sindelfingen. And wiederum der nach dieſem Ort benannte ſpäte Nach⸗
komme: Sindelfinger. Wülflinger geht zurück auf ein Sippenhaupt, etwa
Wulfhart, mit der Koſeform Wulfilo = Wölflein genannt. Seine Sippe
hieß nach ihm die Wülflinger und der Ort der Sippe Wülflingen.
Die Beiſpiele ließen ſich beliebig vermehren: Sigimar — Sigmaringen,
Markwart — Marko — Merkingen, Willimunt — Willmandingen, Eppo —
Eppingen, Giſilo — Geislingen, Enzilo — Enslingen, Fricko — Frickingen,
Heimhart — Heimertingen, Angulf — Ingelfingen, Goto — Gotilo — Gött-
lingen, Eberhard — Ebert — Eberdingen, Boto — Böttingen ufw.
Die ſtärkere Betonung der Sippenzugehörigkeit zügelte und hemmte zwar
die willkürliche Namengebung, ließ auch den Sinn für die Namenbedeutung
nach und nach in den Hintergrund treten, weil die Namenwahl ja durch die
Sippenüberlieferung beſchränkt war, aber ſie zeigt dabei auch ein
ſtarkes Sehnen und Suchen nach einem Familiengleich⸗
klang, nach einer Feſtlegung des Sippencharakters im
Namen, mit einem Wort: Die Gedanken, die wir unter „Blut
und Boden“ begreifen, ringen in der Namengebung — be
wußt oder unbewußt, gewollt oder ungewollt — immer wieder zum
Durchbruch.
V.
Beide Entwicklungslinien, die Notwendigkeit, das Namenweſen fo zu ver-
feinern, daß Verwechſelungen ausgeſchloſſen ſind, und daneben die Schaffung
einer feſten Aberlieferung, die einen Familiengleichklang ſchaffen will, finden
etwa in dem Zeitraum zwiſchen 1100 und 1500 ihre Vereinigung. Von der
erſten her kommt der Beiname, der das Weſen des Namenträgers als
Einzelperſönlichkeit kennzeichnet, von der zweiten die Erblichkeit des Bei⸗
namens, die die Gebundenheit in der Sippe betont. Aber dieſe Entwickelung
endet damit, daß ſich der Gedanke der Familienzugehörigkeit,
des Bekennens zur Sippe, als der ſtärkere erweiſt. Die Bei-
namen gehen nicht nur vom Vater auf den Sohn, den Enkel und die übrigen
Nachkommen über, wenn ſie den Namenträger zutreffend bezeichnen, ſon⸗
dern fie werden auch dann beibehalten, wenn fie für den Namen-
träger gar nicht mehr kennzeichnend ſind. Denn der Sohn
mochte ja die Eigenſchaft von feinem Vater erben, mochte auch den Beruf aug-
Blut und Boden im Spiegel unserer Personennamen 733
üben, mochte auch in dem Haufe wohnen bleiben, was alles der Beiname des
Vaters bezeichnen konnte: es gab natürlich aber auch ſehr viele Fälle, in denen
das nicht zutraf, beſonders nicht hinſichtlich der Wohnſtätte und des Berufes
bei den jüngeren Söhnen. And trotzdem führten auch dieſe Söhne und
Enkel den für fie nicht mehr zutreffenden Beinamen als erblichen Familien-
namen weiter! So wurde der bewegliche Beiname zum
feſten Familiennamen. Da erkennen wir den ſtarken Zwang des
Odalgedankens, des Gedankens von Blut und Boden. Zum
Boden ſogar in ſehr handgreiflicher Form. Die im Laufe der Zeit einſetzende
ſtärkere Inanſpruchnahme rechtlicher Maßnahmen, der Abfaſſung von Urkun-
den, Verträgen und Lehnsbriefen ließ nicht nur die Verwendung von Bei-
namen überhaupt notwendig erſcheinen, ſondern die Wahl folder Bei-
namen, die die Verbundenheit eines mit dem Boden verwurzelten Geſchlechtes
beſonders deutlich machten. Wenn beiſpielsweiſe jemand ſeinen rechtlichen
Anſpruch auf ein Stück Land, ein Erbgut, gegenüber von Gefährdungen durch
Nebenbuhler, die in der Zeit des Lehensweſens häufig genug vorkamen, beſon⸗
ders wirkſam vertreten wollte, nannte er ſich auch nach ſeinem Vater.
Da war der alte Olf!) geſtorben. Sein Sohn Albrecht wollte fein Beſitz⸗
tum übernehmen. In die entſprechenden Arkunden wurde aber nicht nur
Albrecht geſchrieben, ſondern Albrecht Olf⸗Sohn, der Sohn des Olf, der ſchon
vor Albrecht auf dem Erbgut geſeſſen hatte, um damit anzudeuten, daß hier
das größere, weil ältere Recht liege. Als Albrecht ſeinen Hof an ſeinen Sohn
Adalbert weitergab, wurde aber nicht Adalbert Albrechts Sohn, ſondern Adal⸗
bert Olfſen, d. h. Olf-fohn, geſchrieben. Das war eigentlich nicht richtig; denn
der „Sohn“ traf nicht mehr zu, weil er ja ſchon der Enkel war; aber Adalbert
wollte es trotzdem, weil er glaubte, damit ſeinen Beſitz um ſo feſter an ſich zu
knüpfen, je älter das Recht war, das er für ſich und fein Geſchlecht nachweiſen
konnte, und weil er vorausſetzte, daß ſich auch die andern beugen würden vor
der Wucht des Vererbungs-, des Odalgedankens. Bei feinem Sohn Adolf
wurde Adolf Olfſen geſchrieben, obgleich Adolf den Argroßvater gar nicht
mehr gekannt hatte. Aber der Name Olfſen hatte ſich ſchon eingebürgert. Der
Hof war nicht mehr der Hof Adolfs, ſeines Beſitzers, ſondern der Olfſenhof,
der Hof des Geſchlechts. | l
So lief der Name Olfſen an der Kette der Nachkommen hinab, und in der
Sippe wurde die alte Weisheit wortwörtlich wahr: Des Vaters Segen bauet
den Kindern Häuſer. Da meldet ſich auch die Stimme des Blutes: Die Ehr⸗
furcht vor den Ahnen, der Stolz auf die Zugehörigkeit zu dem alten Geſchlecht
mit den edlen, tüchtigen Menſchen, die Freude, nicht allein zu ſtehen in der
Welt, ſondern das Glied einer ſtarken Kette zu ſein, und das Bewußtſein der
Pflicht, alle die hohen Werte an die zukünftigen Träger des Namens Olfſen
unverſehrt und womöglich vermehrt weiterzugeben. Der Name Olfſen erwies
ſich ſpäter dauerhafter als der Hof ſelbſt, namentlich für die jüngeren Brüder,
die draußen irgendwo in der Welt ihr Glück verſuchen mußten und den
Namen Olfſen trotzdem weiterführten.
Die alte Annahme, die Familiennamen ſeien entſtanden aus dem Beſtre⸗
ben, den einzelnen näher zu kennzeichnen, um Verwechſelungen vorzubeugen,
ift alfo nicht oder nur ganz bedingt richtig. Denn dieſes Beſtreben ſpräche
1) Olf, nordiſch Olaf, Kurzform zu Audulf, gleichfalls ein zweiſtämmiger Name zum Adel⸗Stamm.
734 | Martin Müggenburg
höchſtens für den wirklich kennzeichnenden Beinamen, nicht aber für den
nicht mehr kennzeichnenden erblichen Familiennamen. Der „felt”-
gewordene Familienname wuchs nicht heraus aus dem Gedanken, die Cin-
zelmenſchen zu unterſcheiden, ſie auseinanderhalten zu können, ſondern
aus dem Gedanken, die Sippen zuſammenfaſſen zu können, ſie zu binden.
Der Einzelmenſch tritt hinter das Geſchlecht, hinter die Sippe ganz zurück.
Wenn der Geſichtspunkt der Anterſcheidungsmöglichkeit der Einzelmenſchen
bei der Entſtehung der Familiennamen maßgebend geweſen wäre, hätten ſich
dieſe dort zuerſt bilden müſſen, wo die Bevölkerung am dichteſten wohnte, bei
den Hörigen, ſpäter bei den Bürgern und freien Bauern und zuletzt bei dem
febr verſtreut wohnenden Adel, bei dem die Gefahr, feine Angehörigen zu Der,
wechſeln, doch am wenigſten vorlag. In Wirklichkeit bildeten ſich erbliche
Familiennamen gerade bei ihm, weil bei ihm die Betonung des Sippengeiſtes
aus den dargelegten Gründen am ſtärkſten ſein mußte. Der Hörige, der keinen
„Boden“ beſaß, war auch dem „Blute“ nach wurzellos. Familiennamen bil-
deten ſich daher bei ihm erſt ſehr ſpät.
VI.
In dem eben gewählten Beiſpiel war der urſprüngliche Beiname und dann
vllt gewordene Familienname der Name des Vaters oder des Ahnherrn
geweſen, alſo ein Perſonenname, ein Vorname oder Taufname der ſpäteren
Zeit. Neben dieſer an Formen reichſten Gruppe ſind auch Stand und
Beruf in der Namengebung ausgiebig verwendet worden, hauptſächlich
natürlich in der Stadt, wo die berufliche Gliederung ſtärker als auf dem
Lande war. Aber wenn dieſe Gruppe die an Trägern reichſte wurde, ſo haben
es doch gerade die wenigen Stände und Berufe mit ſich gebracht, die vor⸗
wiegend oder faſt ausſchließlich in ländlichen Verhältniſſen beſtanden: Die
Familiennamen Schulz (der mit ſeinen Nebenformen Schultz, Schultes und
Schulze der verbreitetſte deutſche Familienname überhaupt ift), Müller ),
Maier (zu dem es die meiſten Zuſammenſetzungen gibt), Schmidt, vielleicht
noch Krüger. Denn in den meiſten Dörfern gab es einen Schulzen (Schult⸗
heiß, der die „Schult“, d. i. die Abgaben, zu „heiſchen“, zu fordern hatte),
einen Müller, einen Maier (einen Verwalter oder Erbpächter des Gutes des
Grundherrn), einen Schmied, einen Krüger, den Inhaber eines Rruges, Gaft-
hofes. Aber in den meiſten gab es immer nur einen, der dieſen Beruf aug-
übte. Deshalb war dieſer Beruf zur Anterſcheidung von andern als Beiname
und Familienname durchaus ſinnvoll; auch heute noch werden in ländlichen
Verhältniſſen die Träger dieſer Berufe meiſt nach dieſen, nicht nach ihren
Namen genannt. Der Name Bauer hatte demgegenüber — ebenſo wie der
Name Dörfler — natürlich keinen Sinn, da ja die Mehrzahl der Dörfler
Bauern waren. Der Familienname Bauer wurde daher meiſt auch nur einem
Bauern mit beſonderem Grunde beigelegt. Häufig iſt aber der Name Bauer,
ebenſo wie Maier, zur beſſeren Anterſcheidung noch mit einer näheren
Bezeichnung verbunden: Wieſen⸗, Wald-, Tal-, Holz⸗, Linden⸗, Kraut,,
1) Müller iſt allerdings kein altdeutſcher, ſondern ein Lehnwort aus dem Lateiniſchen. Der ent-
ſprechende Familienname altdeutſchen Urſprungs ſind Korner oder Kerner, die man auf das altdeutſche
quirn — Handmühle zurückführt.
Blut und Boden im Spiegel unserer Personennamen 735
Moos-, Rirh-, Neus, Jungbauer, oder — plattdeutſch — Niebuhr (Neubauer),
Ledebur (Lehde = wüſtes Land), Molkenbuhr (Molten, Käſebereitung),
Hansbur (Bauer Hans). |
VII.
Die Mehrzahl der Namen aus ländlichen Verhältniſſen ift aber auf did
Wohnhätten zurückzuführen. Auch in ihnen prägt ſich das Bewußtſein der Zu⸗
gehörigkeit zum Boden aus. Das gilt beſonders für den Adel. Einige Bei-
ſpiele mögen die Bildung von Familiennamen nach der Wohn-
ftätte auch bei Bauern dartun: |
Blödorn (der Bauer, an deffen Hof ein großes Dorngebüſch ftand, das zur
Zeit der Blüte allgemein auffiel), Heydebreck (deſſen Hof an der Brache in
der Nähe der Heide lag), Wurthmann (deffen Hof eine beſonders auffallende
Wurt hatte), Groenefeld (grünes Feld), Hohenböken (bei den hohen Buchen),
Oldenkott (an der oder in der alten Kate), Beethoven (Hof der Bete, Rüben),
Heidkrüger (aus dem einſamen Gaſthof auf der Heide), Steinacker (Acker mit
Feldſteinen und Findlingen), Weizſäcker (auf dem fruchtbaren Weizacker),
Gerſtäcker (auf dem Gerſtenacker), Havermann oder verwelſcht: Avenarius (der
vorzugsweiſe Hafer baute), Buddenbrock (aus dem von Budde erbauten Hauſe
am Bruch, Sumpf), Schönbeck (am ſchönen Bach), Nettelbeck (am Neſſelbach),
Arnswald (an dem nach Arno, vielleicht einem Grundherrn, benannten
Walde), Nottebohm (Nußbaum), Odendahl (am öden Tal), Delbrück (an der
Brücke über die Delle, Schlucht), Kronau (Kron = Kranich, au = Wieſe),
Waldeck (an der Waldecke). Valbuſch (Fohlenbuſch), Dittfurth (Furt des
Dietrich), Haſelhorſt (am Haſelgeſträuch), Grund (in der tiefgelegenen Stelle),
Elßholtz (am Erlenholz), Mey (bei den Birken, Mey — niederdeutſch: Birke),
Lehmkuhl (Kuhle = Grube), Kreuzkamp (Kamp = eingeſchloſſenes Grund-
ſtück eines einzelnen Bauern, das am Kreuzweg lag, oder eine kreuzförmige
Geſtalt hatte), Kuhlenkampf (Kamp an der Kuhle = Grube), Zahn (gant =
Felsſpitze), Bühler (am Bühel — Hügel), Diekmann (am Deich), Wald-
mann (in dem Walde wohnend), Holzmann (etwa Törſter, Holzhüter), Ruhl-
mann (an der Grube; aber auch Kohlmann oder Köhler).
Vielfach hat ſich bei ſolchen Namen der alte Sinn des Beinamens dadurch
erhalten, daß die Verhältnis. und Geſchlechtswörter vor den Wohnſtättenbe⸗
zeichnungen ſtehengeblieben find, manchmal allerdings bei der Niederſchrift zu-
ſammengezogen, ſo Abderhalden (unten an der Halde), Am Zehnthoff (Hof,
an den der Zehnte abgeliefert wurde), Amend (am Ende des Dorfes), Amthor,
Auffenberg, Tomforde (zur Furt), Terboven (boven — niederdeutſch oben,
alfo zur Höhe), Vorbeck (vor dem Bache), Zumbuſch, Zurlinden, ten Brink
(Grashügel im Sumpf), Fahrenwald (vor dem Walde). Amrain (am Rain).
Manchmal kann man aus den verſchiedenen Endungen — bei ſonſt gleichen
Stammſilben — auf die Herkunft des Namensträgers ſchließen. Die En⸗
dung -er ijt ſüddeutſch, die entſprechende Form für Norddeutſchland ift
‚mann. Ein Eichler, Büchler, Heider, Brückner, Brunner, Winkler ſtammen
alſo in der Regel aus Süddeutſchland, während in Norddeutſchland die
Namen Eichmann, Büchmann, Heidemann, Brüggemann, Brunnemann,
Winkelmann entſtanden ſind. |
Bildungen auf bot, -haus, -baufen, -hus, Hufen, -famp, -fampf, -famper
find wahrſcheinlich in Gegenden entſtanden, in denen einzelne Höfe zer⸗
736 Martin Müggenburg
ſtreut lagen, beiſpielsweiſe in Weſtfalen. Hülshoff (Hof, in deffen
Hülſen = Stechpalmen, Mäuſedorn wachſen), Brockhaus (Haus am B
Sumpf), Münchhauſen (Münch = Mönch), Niehus (Neuhaus), Wa
huſen (Haus am wâg = See, Weiher; derſelbe Stamm wie Woge;
Haus des Waccho).
VIII.
Naer Ooſtland willen wy ryden,
Naer Ooſtland willen wy mes,
All over de groene heiden,
Friſch over de heiden,
Dar is een betere ſtes.
Das war der gläubige Geſang, unter dem deutſche Bauern ihre alten Wohn⸗
ſtätten verließen, teils weil ſie als jüngere Söhne auf dem Erbhofe, der nach
germaniſchem Recht in der Regel ungeteilt auf den älteſten Sohn überging,
nicht ausreichende Nahrung fanden, teils weil ſie nicht wollten, daß ihr Blut
in den Abhängigkeiten der Lehensherrſchaft, der Hörigkeit und der Leibeigen⸗
ſchaft verdumpfte.
„Een betere ftcé”, eine beſſere Stätte, ein beſſeres Odal!
In diefe Zeiten verſetzt uns die Endſilbe hagen, die wir auch bei Familien-
namen finden. Die Oſtſeeküſte entlang von Lübeck bis Danzig gibt es eine
große Zahl von Gründungen deutſcher Bauern mit dieſer Endung. Am dieſe
Siedlungen war eine Amzäunung aus Buſchwerk gezogen, um Schutz zu ge-
währen in dem wilden Lande. Sie war der Hagen. Das Wort iſt ſinnverwandt
mit „hegen“, einhegen, Hecke, behaglich (ſich geſchützt fühlend). Die Einzäu⸗
nung beſtand meiſt aus Dornſtrauch, „Hagedorn“. Dieſe „hagen“ ⸗Siedlungen
wurden manchmal nach dem Führer der Siedlerſchaft genannt. Wenn dieſer
Bucco oder Buck hieß, fo wurde die Siedlung Buggenhagen genannt, und
wenn einer der Siedler von hier aus anderswohin verzog, ſo war er etwa
Hinrich aus dem Buggenhagen, Hinrich Bugenhagen. Dieſer Name zeigt alſo
den Weg vom Perſonennamen zum Ortsnamen und zum Perſonennamen
zurück. Nach andern Merkmalen benannt — zuerſt Ortsnamen, nachher Fa-
miliennamen — find Eſchenhagen, Ziegenhagen, Varnhagen (Garren = junger
Stier), Falkenhagen. Drenkhahn = Hagen an der Tränke. Die Zahl dieſer
Bildungen wird noch größer, wenn man berüdfichtigt, daß bom eine Zuſam⸗
menziehung von Hagen ift, wie Lichtenhain. Auch zu hahn ift ⸗hagen vielfach
zuſammengezogen, da Namen wie Roſenhahn, Ziegenhahn, Hirſchhahn,
Probſthahn, Schlehan keinen Sinn hatten, wenn man ſie auf den Haushahn
zurückführen wollte. Hahner deshalb ſicher Hagener. Zuſammenſetzungen, die
mit Hagen an lauten, find ebenfalls reichlich vorhanden: Hagenmüller, Hagen-
gruber, Hagewiſch (wiſch = Wieſe), Hagenmaier, Hagenbeck.
Im Hagen finden wir noch etwas, was uns vom Odal-Gedanfen her inter-
eſſiert. Der Hof des Bauern im Hagen vererbt ſich — ähnlich der Beſtim⸗
mung des Reichserbhofgeſetzes: „Der Erbhof geht ungeteilt auf den Anerben
über“ — nach älteſtem germaniſchen Recht auf den älteſten Sohn. Während
dieſer nun in ſeinem an die Dorfſtraße ſtoßenden Hofe wohnte, hauſte der
jüngere in einem ganz kleinen Anweſen auf der Hinterſeite des Grundſtückes,
dort, wo dieſes durch die Dornumzäunung, den Hagen, abgeſchloſſen wurde.
Blut und Boden im Spiegel unserer Personennamen 737
Sein Beſitztum war fo klein, daß es allein ihn nicht ernähren konnte, er alfo
von ſeinem älteren Bruder mitunterhalten werden mußte. Dieſer gewährte
ihm alſo — um wieder mit den Worten des Erbhofgeſetzes zu reden — „eine
Heimatzuflucht“. Er war der „Hageſtolz“, beten Beſitz nur am Hagen lag
(ſtaldan = beſitzen). Weil er keinen Hausſtand gründen konnte, alſo unver-
heiratet blieb, konnte ſeine Bezeichnung Hageſtolz wohl zu einem Beinamen,
nicht aber zu einem vererbten Familiennamen werden, den wir alſo in Namen⸗
büchern vergeblich ſuchen, da ähnlich klingende Bildungen auf andere Arſachen
zurückzuführen ſind.
Faft genau dieſelben kulturgeſchichtlichen Bilder wie die Endung -Hagen
läßt die Bildung rode (mit den Nebenformen »rade, roth, -rath, -reut,
Rhode) lebendig werden. Hier handelt es ſich um Namenbildungen, die bei
der Arbarmachung der gewaltigen Waldflächen entftanden find. Dort wurde
gerodet, Bäume wurden abgeſägt, Stubben ausgegraben (Familienname
Stubbe, wenn Stubben, d. h. Stümpfe ſtehengeblieben waren), gelegentlich
auch ein Wald kurzerhand niedergebrannt (Familienname Sennewald, d. h.
Sengewald). Wer an einer Rodung wohnte, war ein Röder oder Reuter),
und nach ihrer Rodung wurden fie, wenn fie einmal aus der Siedlung wegs
zogen, in ihren Familiennamen bezeichnet: Kirchrode, Lindenrode, Eick⸗
(Cichen)-roth, Olden((Alten)⸗roth, Neurath (neue Rodung). Villroth bezeich-
net wieder den Weg vom Perſonennamen Bilo über den Ortsnamen Billroth
(Rodung des Billo) zum Familiennamen Billroth. Hergenröder ift der Mann
von der Rodung des Hergt.
Jeder Neuſiedler erhielt eine Hufe, eine Ackernahrung, wie wir heute ſagen
würden, etwa 30 Morgen, und war dann ein Huber, ein Hübner, ein Höff⸗
ner, ein Hüffner. Da es nun in einer Rodung mehrere Huber gab, ergibt ſich
— ebenſo wie oben bei dem Namen Bauer gezeigt — eine große Zahl von
Zuſammenſetzungen mit Huber, etwa Schönhuber, Freihuber (von Abgaben
frei), Anderhuber (Andreas), Vierhuber (dem vier Hufen gehörten), Schlee-
— babe Schlehdorn), Oberhuber, Brunnhuber, Hinterhuber, Schmidhuber,
Shuber.
| IX.
In der Art und Weiſe der Namensdeutungen geht heute eine gewiſſe Ber-
ſchiebung von der Berückſichtigung der ſtädtiſchen zugunſten der ländlichen
Verhältniſſe vor ſich. Viele Familiennamen deutete man beiſpielsweiſe bisher
in Anlehnung an die ſogenannten Hausmarken, d. h. Gegenſtände, Tiere,
Pflanzen, Waffen, Geräte oder deren Abbilder, die man an den Häuſern der
Städte als Erkennungsmarken (ſtatt Straßenbezeichnungen und Hausnum⸗
mern) anbrachte, wie ſie heute noch Apotheken und Gaſthäuſer tragen, und
2) Reuter kann natürlich auch auf Reiter zurückgeführt werden. Es ſei überhaupt darauf hin⸗
gewieſen, daß mancher Name auf verſchiedene namenbildende Urſachen zurückgeführt werden kann.
Alle Deutungen von Namen, die dieſen nur ſprachlich nachſpüren, können immer nur Ms g-
lichkeiten geben. Eine endgültige Löſung kann nur die Familienforſchung bieten, die
bis zu dem Ahn vordringt, der der erſte Träger dieſes Familiennamens war, und dann würde ſie auch
nur für ihn zutreffen. Die Familienforſchung kann bei demſelben Namen in einer anderen Familie
zu einem ganz anderen und doch zutreffenden Ergebnis kommen. Mit dieſer Einſchränkung ſind des⸗
halb auch alle in dieſem Aufſatz verſuchten Namendeutungen zu verſtehen.
738 Müggenburg, Blut und Boden im Spiegel unserer Personennamen
führte dann den Familiennamen des darin wohnenden Bürgers darauf
zurück. Den Namen Schlange alſo leitete man etwa ab von dem Bild einer
Schlange, das vielleicht am Giebel des Hauſes angebracht war. Fraglos
kommt dieſen Hausmarken auch eine erhebliche Bedeutung bei der Bildung
der Familiennamen zu. Aber ſorgfältige Anterſuchungen haben ergeben, daß
nur wenig Städte allgemein Hausmarken geführt haben. Man darf heute
als ſicher annehmen, daß in vielen Zweifelsfällen der Familienname nicht
in der Stadt, ſondern auf dem platten Lande entſtanden iff. Den Namen
Schlange wird man daher heute leichter in Anlehnung an einen Flurnamen
zu deuten geneigt ſein, an volkstümliche Bezeichnungen aus der Flur des
Dorfes, vielleicht an ein Stück Land, das im Gegenſatz zu den ſonſt viereckigen
Ackerſtücken infolge der Beſchaffenheit des Geländes eine ſchlangenförmige
Geſtalt hatte. Der Beſitzer war dann etwa Konrad von der Schlange, Konrad
Schlange. Das Übergewicht der Flurnamen in der Deutung der Familien-
namen wird noch mehr in Erſcheinung treten, wenn die Flurnamen, deren
Bedeutung man ja erſt in neuerer Zeit recht erkannt und gewürdigt hat, mehr
erforſcht ſein werden. Dieſer Bedeutung der Flurnamen für die Namen-
gebung ſcheint allerdings zu widerſprechen, daß beiſpielsweiſe alle die Zuſam⸗
menſetzungen mit »beck, baum, -briid, holz, ⸗horſt, born, ⸗buſch, mit auer,
hauſer, -bofer, -bacher, -fteiner, -taler, felder ſchon frühzeitig in den Städten
vorkommen. Aber man findet hier bald den Schlüſſel in der Tatſache, daß die
ſtädtiſchen Geſchlechter ziemlich ſchnell ausſtarben. Sei es, daß „in dem Druck
von Giebeln und Dächern“ die Neigung, viele Kinder aufzuziehen, nicht groß
war, ſei es, daß „in niedriger Häuſer dumpfen Gemächern“ die Sterblichkeit
größer war als auf dem Lande, ſei es, daß „in den Straßen quetſchender
Enge“ die Peſt viel ſchlimmer wütete als in den lockeren Siedlungen des
Landes: es war damals ſchon dieſelbe Erſcheinung wie heute: die Städte
wären ausgeſtorben, wenn ſie nicht dauernden Zuzug vom Lande her bekom⸗
men hätten. Das Land war ein Jungbrunnen der Städte, eine Möglichkeit
zur Auffriſchung des müde gewordenen Bürgerblutes, und endlos zog ein
Strom junger Landbewohner in die Städte, und ſie brachten ihre Namen in
den Zeiten, wie die Familiennamen feſtgeworden waren, natürlich mit. Das
Lehensweſen überwucherte draußen ja längſt die Bauernfreiheit. Das ſehr
häufige Vorkommen des Namens Lehmann (Lehnsmann) läßt das ja erkennen.
Der Odalgedanke war längſt unter Hörigkeit und Leibeigenſchaft, unter Fron
und Kriegsleid, das den Bauern noch mehr traf als den Bürger, verſchüttet
worden. „Stadtluft macht frei!“ war die neue Loſung, mit der mancher Bauer
der harten Fauſt des Adels und der Geiſtlichkeit zu entgehen hoffte, eine
Loſung, der er feine Heimat und feine Verbundenheit zum Boden opferte ...
So ſind alſo unſere Perſonennamen ein Spiegel für Anſchauungen und
Gefühlswerte, die mancher als längſt verſchollen angeſehen hat, ein Spiegel
beſonders auch für Denkweiſe und Brauchtum des deutſchen Bauerntums, die
zu erſchließen die Bauernſchaft heute wieder unternommen hat, damit der
angeſtammte, in Geſchlecht und Art erhaltene Boden eher
ein Hort der Freiheit werde als die unter den mannigfach⸗
ften geſellſchaftlichen und wirtſchaftlichen Abhängig-
keiten ſeufzende Stadt, ein Spiegel für unſere ſchickſal⸗
hafte Verbundenheit mit Blut und Boden.
Bernhard Hogrebe:
dur Rultuelage nad) dem durchbrach der gp |
Das Wort Kultur einem 1 Grundwort vorangeſetzt bedeutet nicht
immer eine Empfehlung. Wir ſagen beiſpielsweiſe, unſere hochdeutſche
Schriftſprache werde mehr und mehr eine Kulturſprache und deuten damit die
Kluft an zwiſchen einer vorwiegend gedanklichen Hochſprache und jenem Ar⸗
auftand, wo in den Namen der „Funke glomm, der aus der Seele ar —
run geſchla agen. wurde“. Wir kennzeichnen das Mißverhältnis zwiſchen
dem lediglich Erdachten und dem ſchollenhaft Gebundenen. Wir meinen
unbewußt Naturſprache, wenn wir mißbilligend Kulturſprache ſagen.
Aus demſelben Gefühl heraus allerdings bewußt und keineswegs miß⸗
billigend habe ich vor etwa zwölf Jahren, im praktiſchen Nature und Heimat:
ſchutz ftehend, das Wort Kulturheimat geprägt und in das Schrifttum ein-
geführt‘). Auch hier ſteht das Wort Kultur nicht im Gegenſatz zum ſtammes⸗
batt oder ſchollenhaft Gebundenen. Auch hier ift letzten Endes Naturheimat
gemeint, wenn wir Kulturheimat ſagen.
Dieſe uns felbftverftändlich erſcheinende Gleichung Kultur = Natur klingt
manchem vielleicht überraſchend. Sie iſt jedoch ſolgerichtig für jeden, der die
beiden Begriffe der Gleichung lebensgeſetzlich und volksverbunden auffaßt.
Gleich zu Beginn unſerer Ausführungen kommen wir damit zum Weſent⸗
lichen deſſen, was an dieſer Stelle gesagt werden ſoll. Es wird aber nötig ſein,
das Ergebnis an weiteren Beiſpielen zu erhärten und zu klären.
Wit nehmen eine Stadt in deutſchen Landen an, die vor hundert Jahren
vielleicht fünftauſend Seelen zählte, die heute zehn⸗ oder zwanzigmal ſoviel
Einwohner hat. Die anwachſende Großftadt und die e häufende Zahl ihrer
Bewohner galt bis vor kurzem als unbedingtes Anzeichen menſchlicher Hoch⸗
ms ng, obwohl deren Schöpfer Jahr und Tag ausrechnen konnten, wo ihre
i Geſchlechter und Sippen für diefe „Hoch-Befittung” nicht mehr in Betracht
amen. |
Kaum etwas bezeichnet die Oberflächlichkeit und Grundſatzloſigkeit des ver-
floſſenen liberaliſtiſ chen Zeitalters ſo wie dieſe Tatſache. Heute fällt es ſo
leicht keinem mehr ein, eine vergebliche oder gar ſchädliche Ausleſe, die gewöhn⸗
Oe S Koften des lebensſpendenden Bauerntums ging, als Fortſchritt
zuſtellen. ;
Eine Zeitlang glaubte man auch, diefe ſtädtiſche Gefittung könne auf ihren
Arſprungsherd beſchränkt werden. Beiſpielsweiſe hat der Heimatſchutz dieſen
Trugſchluß getan, wie das Grundwort Schutz beweiſt. Er hat damit Gangheits-
anſprüche von vornherein aufgegeben, die man mit allem Nachdruck hätte auf-
ftellen und verfolgen müſſen. 2
1) Wgl. Mannus, Zeitſcrift für Vorgeſchichte, Erg.⸗Bd. IV, S. 60-75. Serner: Wege zur
Kultur heimat, Verlag Adolf Klein, Leipzig.
Odal. Heft 9, Jahrg. 4, Bg. 4
740 Bernhard Hogrebe
Denn feit der Mitte des vorigen Jahrhunderts etwa griff jene Stadt-
gefittung mehr und mehr auch auf das Land über mit dem Ergebnis, daß ein
jahrtauſendealtes, vorzugsweiſe bäuerliches Volkstum ganz neue Formen
annahm. Ein induftrialifiertes Volkstum war in verhältnismäßig kurzer Zeit
an die Stelle des überkommenen bäuerlichen getreten, das zwar auch noch lebte,
FS br nn ein.
olks e Gedankenſchieber (Ideologen) benutzten ſpitzfindig den zwiſchen
Volk und Gebildeten vorhandenen Gegenſatz, der ſchon in der erwähnten
Kleinſtadt ſeine Blüten trieb, und pflanzten in die ſtädtiſchen Maſſen, die
zum größten Teile gut bürgerlicher Herkunft waren, den dieſen von Natur
aus fremden Klaſſenhaß.
Mit der Verkraftung und Verſtromung ſtädtiſcher und ländlicher Betriebe
ging eine Verkraftung der Seelen und Geiſter Hand in Hand. Dazu kam eine
raffende, ſelbſtſüchtige Wirtfchaftsgefinnung des kapitaliſtiſchen Syſtems mit
fiberftaatliden Zielen. Das Verſailler Diktat und ſeine Auswirkungen taten
das übrige. And ſchließlich ſtanden alle Räder fil, obwohl der bewußte
ſtarke Arm gern gearbeitet hätte.
Jetzt hatten die Antergangspropheten Oberwaſſer und anſcheinend mit Keng
Behauptung recht, die Tage dieſes Maſſenvolkstums feien gezählt. Es bliebe
ihm nur eine Galgenfriſt, das Ende ſei ſchickſalsmäßig beſchloſſen.
Entgegen allen Antergangsvorherſagen hat jedoch dieſes induftrialifierte
Volkstum, wenigſtens ſoweit es im deutſchen Volke verkörpert ift, feine Feuer-
probe in der nationalſozialiſtiſchen Revolution beſtanden.
Mit mythiſcher Urkraft iſt das Volkstum durchgebrochen. Die in der Erb-
folge von den Ahnen überkommenen ſeeliſch⸗geiſtigen und körperlichen Eigen⸗
ſchaften haben wieder einmal ihre ewige Lebenskraft an den Tag gelegt.
Das deuffhe Wunder? Gewiß, nach der intellektuellen Natlofigkeit auf
allen Gebieten der Geſittung kann man hier von einem Wunder ſprechen. Ein
Wunder, das der Glaube hervorgebracht hat und das man nicht erklären ſollte.
Dem einen offenbart es ſich im Werkraum bei der Arbeit, dem andern hinterm
Pfluge, dem dritten in der marſchierenden und fingenden Kolonne.
Hier fei an die anfangs aufgeſtellte Gleichung Kultur = Natur erinnert.
Danach müſſen wir jeden Kulturbegriff ſchöngeiſtiger Faſſung ausſchalten.
Wir müſſen gleichfalls den Kulturbegriff der Antergangspropheten ablehnen.
Hauptſächlich deshalb, weil er an der Hand eines irreführenden Vergleichs
lebensgeſetzlich unwahr iſt und ſchließlich nur zu einer bequemen Ausſprache
über Kultur einerſeits und Ziviliſation anderſeits führt. Anſer Kulturbegriff
iſt zunächſt weitgehend abhängig von unſerm Volkstum. Was ihm entſpricht,
gehört zur Kultur. Was ihm nicht entſpricht, oder ſich ihm als weſensfremd
aufdrängt, lehnen wir ab als Ankultur oder Scheinkultur.
Demnach ift Kultur zunächſt das Körperlich ⸗Naſſiſche, das Erſcheinungsbild
des deutſchen Menſchen. Kultur ift ferner das Geiſtig⸗Naſſiſche in Kunſt,
Wiſſenſchaft und Technik, in der Sprache, iſt die gleichſam vorherbeſtimmte
innere Haltung auf jedem Gebiete unſerer Bildung und Geſittung. Kultur ift
uns vor allem Bauerntum, das damit aus feiner Aſchenbrödelſtellung erlöſt
wird. Dies alles aber iſt von angeborener Beſchaffenheit und Art, iſt Natur.
Schließlich und nicht zuletzt iſt unſer Kulturbegriff aufs engſte mit dem heimat⸗
lichen Grund und Boden verbunden. Das will auch zunächſt die Wortverbin-
dung Kulturheimat beſagen.
Zur Kulturlage nach dem Durchbruch der Volkheit 741
Ich bin ſeinerzeit und — wie ich meine — folgerichtig und zwangsläufig
vom Naturſchutz zur Kulturfrage gekommen. Wenn wir den Naturſchutz
befürworteten, ja, ihn als Grundlage des geſamten Heimatſchutzes auffaßten,
dann nicht deshalb, weil wir die Amwelt auf Koſten der in der Erbfolge von
den Ahnen überkommenen Eigenſchaften überſchätzten, ſondern weil wir ver⸗
hindern wollten, daß der Heimatboden nur oder ausſchließlich nach techniſchen
Möglichkeiten ausgenutzt würde, wie es gewiſſe überkluge Nützlichkeitsfanatiker
im Fahrwaſſer des kapitaliſtiſchen Wirtſchaftsſyſtems wollten, die groß⸗
ſprecheriſch bei jeder Gelegenheit durchblicken ließen, ſie hätten die Natur
überwunden. Während wir mit Bacon der Meinung ſind, wir könnten die
Natur nur dadurch beherrſchen, indem wir uns ihren Geſetzen unterwürfen.
And dieſe Geſetze zu befolgen, iſt Aufgabe des wirtſchaftlichen Naturſchutzes,
wie ihn die Landesplanung des neuen Reiches zugrunde legen wird.
Das Ergebnis dieſer Landesplanung ſehen wir im Geiſte vor uns: Unfere
Heimat, der deutſche Raum, untergeteilt wie bisher in Induſtriegebiete, vor⸗
wiegend gebunden an Siedlungen mehr oder weniger ſtädtiſcher und groß⸗
ſtädtiſcher Art, und in bäuerliche Siedlungsbereiche der Dörfer und Einzel-
höfe. Aber in der Beurteilung dieſer grob geſehenen Siedlungsweiſe iſt in⸗
zwiſchen ein grundlegender Wandel eingetreten.
„Eine einzige Großſtadt vom Niederrhein die Ruhr und Lippe herauf bis
zum öſtlichen Hellweg, das Herz des Landes!“ Wie oft mußten wir vom
Heimatſchutz dieſen liberalen Wunſchtraum hören, wenn wir warnten und
unſere Forderungen anmeldeten. Gewöhnlich wurde uns dann noch der weſens⸗
enge Satz entgegengehalten, der Generaldirektor eines großen Konzerns brauche
ſich um den Naturſchutz nicht zu kümmern. ö i
Heute wiſſen wir es alle. So ein Induſtrieherz kann aufhören zu ſchlagen,
und das Land muß doch leben. And es lebt auch, wenn draußen der Bauer
in Ruhe den Acker beſtellen, ſäen und die Frucht im Laufe des Jahres ernten
kann. Zwar wird auch ein von rechter Wirtſchaftsgeſinnung getriebenes rieſiges
Induſtriegebiet eine Kraftquelle des Volkes ſein. In erſter Linie aber halten
wir uns an die Erbhöfe des neuen Reiches, die nach und nach das ganze Land
in einem dichten Netz überziehen werden. Denn „alle Schwankungen ſind am
Ende zu ertragen, alle Schickſalsſchläge zu überwinden, wenn ein geſundes
Bauerntum vorhanden iſt“. (Adolf Hitler.) | Ea |
Und unfer deutſches Bauerntum ift nordiſcher Herkunft und Art. Darüber
iſt ein Zweifel nicht mehr möglich. Die Siedlungsweiſe und Einzelfunde der
jüngeren Steinzeit im nordeuropäiſchen Raum reden eine eindeutige Sprache.
Damit ſtehen wir tatſächlich am Anfang unſerer Kultur auf der Scholle, bei
Hacke und Pflug. Auch die Geſchichte des Wortes Kultur beginnt hier; denn
der urſprüngliche Sinn des Wortes iſt Bearbeitung des Bodens. |
Wenn etwas unferer geiftigen Haltung von heute den Rücken ſtärken kann,
dann die Tatſache: Anſer Bauerntum, unſer Volkstum, kurz, unſere geſamte
völkiſche Geſittung und Art iſt in den Grundlagen nordiſchen Arſprungs.
Dieſe Tatſache auf die kürzeſte Formel gebracht heißt: Kulturheimat. Das
Wort im unbedingten Sinne als nordiſche Heimat unſerer arteigenen Kultur.
Zu Beginn unſerer Zeitrechnung wohnte der Stamm der Cherusker zwiſchen
der Oker, dem Steinhuder Meer, Dümmer, Teutoburger Walde und Harz.
Quer durch fein Gebiet ging die Lößgrenze, die heute ungefähr der Mittelland-
A8
742
Das Archiv
kanal bezeichnet. Die Lößbewohner waren in erſter Linie Ackerbauern, die
Bewohner des Sandgebietes außerdem kunſtſertige Schmiede, die den anfteben-
den Raſeneiſenſtein ausbeuteten. Dieſe naturgebundene Landesplanung jenes
wehrhaften Bauernvolkes ift eine Tatſache und ein Gleichnis. Die lebeng-
geſetzlichen Grundlagen des neuen Reiches ſind keine andern.
Das Archiv
„Grüne Woche.“
Die „Grüne Woche 1936“ hat in noch ein⸗
drucksvollerer Weiſe als im Vorjahre die poſitiven
Leiſtungen nationalſozialiſtiſcher Agrarpolitik dar⸗
gelegt. Noch eindrucksvoller, weil der
Abſchnitt Landwirtſchaft der deutſchen Wirtſchaft
im Jahre 1935 wieder einen gewaltigen Schritt
vorwärtsgekommen iſt und weil die Technik der
Darſtellung durch großzügige Betrachtungsweiſe
ein noch anſchaulicheres Bild der Leiſtungen und
Ziele gibt.
Die Ausſtellung hat erneut den Beweis er⸗
bracht, daß die deutſche Landwirtſchaft wahrhaft
nationalſozialiſtiſch durchgeſtaltet und
geführt wird. Es darf nicht überſehen werden,
daß der Führer gewiſſermaßen ſein Urteil
über die „Grüne Woche“ und die Notwendigkeit
der Übertragung des nationalſozialiſti⸗
ſchen Geiſtes und der national
ſozialiſtiſchen Wirtſchaftsgrund⸗
ſätze vom landwirtſchaftlichen Sektor auf die
Geſamtheit der deutſchen Wirtſchaft anläßlich
der Eröffnung der Internationalen Auto-Aus-
ſtellung, in noch eindeutigerer Weiſe
als zur 100-Jahr⸗Feier der Reihe
bahn, zum Ausdruck gebracht hat.
Nach dem Väölkiſchen Beobachter Nr. 47 vom
16. 2. ſagte der Führer u. a.:
Wir ſind zuviel Menſchen auf einem zu klei⸗
nen Lebensraum. Es fehlen uns Kühe und
Schweine und Schafe uſw., aber nur, weil
uns der Grund zu ihrer Erhaltung fehlt.
Was der deutſche Bauer und
Landwirt aus unſerem Boden
herausholt, grenzt ein fach an
das Wunderbare.
Allein, um fo mehr find wir verpflichtet, die
Ausgaben des deutſchen Volkes
weniger durch Belehrungen zu regu»
lieren als durch die Schaffung eines
ſchaft
natürlichen Anreizes. Wenn einige
Millionen unſeres Volkes ſich bei dem Konſum
von nicht ganz notwendigen Lebensmitteln etwas
einſchränken würden, um ihre Kaufkraft auf ein
Gebiet hinzulenken, auf dem wir ſie volkswirt⸗
ſchaftlich ohne weiteres befriedigen können, dann
würde dies manche Schwierigkeiten unſerer GC
nährung fofort befeitigen. ...
.. Der nationalfopialifiit ae
Wirtſchaftsgedanke if entweder
in Deutſchland erfolgreich, oder die
deutſche Wirtſchaft als ſolche würde
allmählich erlahmen, ſo wie wir dies
vor wenigen Jahren ja erlebt haben.
Auslands⸗Echo
Ungarn:
Uj Magvarſag vom 25. 1. veröffentlichte eine
Unterredung ſeines Berichterſtatters Franz
Fiala mit dem Präſidenten der ungariſchen
Hauptlandwirtſchaftskammer Andreas Mee ⸗
ſer, in der u. a. ausführte:
.. Je mehr th diefe Miefen-
organiſation der deutſchen Lande
wirtſchaft analyſiere, um ſo mehr
Hochachtung flößt ſie mir ein, denn
ihre Erfolge ſind bewunderungs würdig
... An der Eröffnung der „Grünen Woche“
nahmen die bekannteſten und berühmteſten Ver⸗
treter und Fachmänner der Landwirtſchaften
Deutſchlands und des Auslands teil. Sie be⸗
trachteten mit Neugierde die mächtige Ausftel-
lung, die Darrés und der deutſchen Landwirt⸗
erfolgreiche Arbeit zeigt und
betätigt.
Dem Reichsbauernführer Darré ift es
n das Bauerntum voll.
kommen zu befreien und ihm zum gro⸗
ßen Vorteile die Marktordnung zu geben.
Das Archiv
. . Seſchickt gewählte Ghlag-
worte und Sätze lenken des Beſuchers Auf⸗
merkſamkeit auf jene Lebensmittel, die aus
Deutſchlands Fluren und Höfen auf den tage
kichen Tiſch gelangen.. Dänemark und
Litauen dürften binnen kurzer Zeit den deut⸗
ſchen Buttermarkt verlieren.
.. . Die Ausſtellung ... it ein Beweis
dafür, daß das Bauerntum bereits in eine
Volksgemeinſchaft mit der Induſtriebevölkerung
der Stadt gekommen ift. ...
Rumänien:
Bukareſter Tageblatt vom 1. 2. 36: C. von
Kügelgen, Leitartikel
.. . Die „Grüne Woche“ it in hö ch ſte m
Maß eine kulturelle Lehrſchau.
.. . Die „Grüne Woche“ dient mit mehr als
der Hälfte ihres Raumes der weltanſchau ⸗
lichen, der geiſtigen Ausrichtung des Bauern
in politiſcher, wirtſchaftlicher und kultureller Be⸗
ziehung. Das it keine blaue Bauern ⸗
romantik, ſondern die Frucht der
Erkenntnis, daß nur ein Bauerntum, das
wirklich weiß, worum es ſich bei den neuen Zie⸗
len handelt, das weltanſchaulich erzogen iſt, auch
erfolgreiche Arbeit zu leiſten vermag.
. . . Die neue Lehre, daß der Verbraucher an
der Erzeugungsſchlacht ebenſo beteiligt iſt wie
der Bauer, findet, wie alles in dieſer Ausftel-
lung, einen außerordentlich plaſti⸗
ſchen, bildhaften Ausdruck. Mit
Hilfe künſtleriſcher Darſtellungen und erſtaun⸗
licher Tricks werden die Tatſachen dem Beſchauer
eingehãmmert.
. . . Niemand in Deutſchland braucht zu hun⸗
gern, wie etwa in der Sowjetunion, im Gegen-
teil — man nährt fih rationeller und
beſſer als vor dem Kriege.
. . . Man kann behaupten — und das lehrt die
„Grüne Woche“ —, daß eine folgerichtig durch⸗
geführte Zuſammenarbeit der deutſchen
Hausfrau und des deutſchen Bauern
foon heute die Selbſtverſorgung des deutſchen
Volkes in einem viel beträchtlicheren Ausmaß
löſen würde bei zweckentſprechenderer Ernährung,
als das von den meiſten Sachkennern für möglich
gehalten wird.
Tſchechoſlowakei:
Die Zeit vom 26. 1.:
. . . Wenn der Städter früher die „Grüne
Woche“ zumeiſt nur als eine der vielen Ausſtel⸗
lungen angeſehen hat, fo wird er diesmal
743
ſeine Betrachtungsweiſe ſehr viel vertiefen, weil
ihn unmittelbarer Anſchauungs⸗
unterricht zu den Aufgaben des deutſchen
Bauerntums eine ganz andere Einſtellung gelehrt
bat...
... Ein überzeugendes Beiſpiel
für die Notwendigkeit der bevölkerungspolitiſchen
Maßnahmen des neuen Reiches, das die Urquelle
ſeiner Kraft, das Bauerntum, geſund und ſtark
erhalten will, und es liegt auf der Hand, wie
febr die Erbhofgeſetzgebung auf dieſem
Wege vorwärtshilft. ...
Polen:
Freie Preſſe vom 28. 1.:
. . . Angeſichts dieſes außerordentlichen Wachs⸗
tums der „Grünen Woche“ hörte ich einen Ber⸗
liner Meckerer (es ſoll auch ſolche geben)
feinen Unwillen über den großen Auf ⸗
wand äußern: eine „Grüne Woche“ alle drei
Jahre müßte genügen! Der Mann hat un,
recht. Ganz abgeſehen davon, daß die Ausftel-
lung ein gutes Geſchäft (63 Sonderzüge) und
auch die Deutſchlandhalle ausverkauft iſt, erfüllt
die „Grüne Woche“ einen wichtigen propagandiſti⸗
ſchen Zweck: fie it in höchſtem Maf eine tultu-
relle Lehrſchau. C. v. Kügelgen.
Deutſche Nundſchan Nr. 28 vom 4. 2.:
.. . Sehr rege war das Intereſſe des
Auslandes, das, vom Reichsnährſtand ein⸗
geladen, zahlreiche Bauernabordnungen zur
„Grünen Woche“ entſandt hatte. ... Bei allen
dieſen Abordnungen hat die Ausſtellung der deut⸗
ſchen Landwirtſchaft einen nachhaltigen
Eindruck binterlaffen. ...
Lettland:
Migaſche Nundſchau vom 31. 1.:
.. . Bei der Darſtellung der Erzeugungs⸗
ſchlacht treten ihre Notwendigkeiten und die be⸗
reits erzielten Erfolge in einer gerade ⸗
zu vollendeten Ausſtellungstech⸗
nik der graphiſchen und bildlichen Darſtellung,
des Lichtbildes und des mechaniſch bewegten
Schaubildes ſehr plaſtiſch zutage.
.. . Das typiſche Beiſpiel für die
ſoziale Preispolitik iſt die deutſche Ge⸗
treidewirtſchaft.
Schweiz:
Baſeler Nachrichten vom J. 2:
... die urwüchſigen Seſtalten mit
den Lodenmänteln und den bekannten Raſier⸗
pinfeln auf dem grünen Hut, die kräftigen
744
Blondinen am Arm eines ftrammen Vaters
. .. die Jäger und Wildhüter find wieder aus
dem Berliner Straßenbild abgerückt: Die „Grüne
Woche“ it zu Ende. Sie war ein großer
Erfolg und brachte an vielen Tagen bedeu⸗
tend mehr Beſucher als die vergangenen Jahre.
Flandern:
De Schelde, Antwerpen, vom 30. l.:
Die „Grüne Woche“ des Jahres 1936 iſt, das
iſt unſer erſter Eindruck, künſtleriſcher als in
den vergangenen Jahren. Es find glänzende
Dioramas vorhanden
Es iſt den Veranſtaltern der Ausſtellung ge⸗
lungen, hervorragende Künſtler her
anzuziehen
.. . Die Politik ſpielt auf dieſer Aus-
ſtellung wieder eine große Molle... Aber die
Politik wurde hier in einer feinen Form
gebracht. Die Propaganda iſt nicht aufdring-
lich, ſondern vielmehr überzeugend. ...
Der gleiche Artikel wird von den holländiſchen
Blättern:
Nieuwe Courant, Haag, vom 29. l.,
Nieuwe Leidſche⸗Courant vom 5. 2.,
De Rotterdammer vom 6. 2. gebracht.
Deutſches Echo
Korreſpondenzen:
MSK., Folge 16, vom 20. Januar:
. . . Es war eine Selbſtverſtändlichkeit, daß
diefe Lehrſchauen die politiſchen Gedan⸗
ken bewußt in den Vordergrund rückten. An
Stelle des Trennenden war die Einheit getreten.
Wenn heute im Ausſtellungsweſen das auf⸗
klärende und erzieheriſche Moment im Mittel-
punkt ſteht, dann muß vor allem auf den Be⸗
ſucher Rückſicht genommen werden. Der verant⸗
wortliche Leiter einer Ausſtellung muß ſich in
die Pſyche des Beſchauers verſetzen können, d. h.
er muß Pſychologe fein. Man muß ſich dare
über klar ſein, daß dem Beſucher häufig nur
wenig Zeit zur Verfügung ſteht. Zum anderen
ſoll der einfache Volksgenoſſe, der Arbeiter und
Bauer, der die Volksſchule beſucht hat, das Dar-
geſtellte ver fteben können... Wenn zu ihrem
Verſtändnis „höhere Bildung“ verlangt werden
muß, iſt ihr Zweck in der heutigen Zeit ver⸗
fehlt.
Auf der diesjährigen „Grünen Woche“ in Ber⸗
lin wurden dieſe neuen Wege bewußt beſchritten.
Dem Verbraucher folen mit den einfach-
ſten Mitteln die großen Zuſammenhänge unſerer
Verſorgungslage vor Augen geführt werden. Er
Das Archiv
ſoll erkennen, daß ohne ſeine Mitarbeit das
große Ziel, die Erringung unſerer Nahrungs-
freiheit, nicht zu erreichen iſt. Er ſoll aber
auch erkennen, daß dieſes Ziel zuſammen mit
der Erringung der Wehrfreiheit die Woran
ſetzung für die Geſtaltung der deutſchen Zukunft
überhaupt iſt. Beſucher aus Stadt und Land
müſſen das Gefühl mit nach Hauſe nehmen, daß
ſie blutsmäßig eine Einheit darſtellen, und
daß die Arbeit für ein Ziel ſte engſtens verbindet.
Das politiſche Ziel der Volks ver bun den ⸗
heit und Volksgemeinſchaft kommt in allen
Teilen der „Grünen Woche“ in all ihren Tepr-
und Sonderſchauen ſichtbar zum Ausdruck.
Wirtſchaftspolitiſcher Dienſt vom 24. 1.:
.. . Man mag dabei der Auffaſſung gedenken,
die von den Führern der nationalſozia⸗
liſtiſchen Agrarpolitik ſtets betont
wurde, daß die Arbeit des Nährſtandes der Ent⸗
wicklung der deutſchen Landwirtſchaft nur info-
weit gilt, als diefe ein Glied in der großen
deutſchen Schickſalsgemeinſchaft darſtellt.
Zeitungsdienſt Graf Reiſchach vom 24., 1.:
„in den letzten Monaten ift die Landwirt-
ſchaft mit allen ihr verbundenen Wirtſchaftsglie⸗
derungen oft in den Mittelpunkt des öffentlichen
Intereſſes gerückt. Auch der Großſtädter hat ge⸗
merkt, daß bei der inzwiſchen überwundenen Ver⸗
knappung auf einzelnen Gebieten Entwicklung
und Fortſchritt der Landwirtſchaft ihm felbft
durchaus
fann... Und fo it die „Grüne Woche“ eine
Schau deutſcher Arbeit und Leitung gu
gleich.
Landwirtſchaftl. Wochenſchan vom 13. 1.:
.. . Erzeugungsſchlach und Markt
ordnung . . . in ihrer feinen Veräſtelung und
gleichzeitig ihrer Zuſammenfaſſung kennenzu⸗
lernen, iſt für den Städter ebenfo wichtig
wie für Bauern und Landwirte... das Ver⸗
ſtändnis auf beiden Seiten, das Bewußtſein, für
ein gemeinſames großes Werk, wenn
auch an verſchiedenen Poſten, zu ſchaffen, dies
alles wird durch die „Grüne Woche“ Stadt und
Land nahegebracht.
Landwirtſchaftliche Wochenſchan vom 25. 1.:
. . . Wenn fo die „Grüne Woche“ alle Voraus-
ſetzungen erfüllt, um das Band des Verſtänd⸗
niſſes und gemeinſamer Leiſtung zwiſchen Stadt
und Land feſter zu knüpfen, ſo dient ſie nicht
irgendeiner „Bauernromantik“, fon-
dern ſie iſt eine Schau der Leiſtung und der
Arbeit zugleich.
nicht gleichgültig feis -
Das Archiv
Dentſcher Schnelldienſt vom 4. 2.:
... Der Wille zur Leiſtungsſtei⸗
gerung in den landwirtſchaftlichen Betrieben
kam beſonders in der vom Reichsnährſtand in
Gemeinſchaft mit dem Forſchungsdienſt, den
Reichsarbeitsgemeinſchaften der Landbauwiſſen⸗
ſchaft, veranſtalteten Vortragstagung zum Aus⸗
druck .. Auch der Städter wird von dieſer
Grünen Woche den Eindruck gewonnen haben,
daß im landwirtſchaftlichen Sektor unferes Wol-
kes alle Kräfte aufs höchſte angeſpannt find, um
das Aufbauwerk des Führers zu fördern.
Deutſche Siedlung vom 4. 2.:
Bauer und Arbeiter Schulter an
Schulter in der Erzeugungsſchlacht ... Die
Griine Woche dieſes Jahres hat dieſen Gedanken⸗
gang in einer ſo lebendigen und klaren
Weiſe herausgearbeitet, daß es ſich lohnt, die
wichtigſten Züge dieſes Bildes wiederzugeben, um
fo mehr, als dieſes Bild zugleich program⸗
matiſch ganz beſonders deutlich — den natio-
nalſozialiſtiſchen Willen zur Volksgemeinſchaft
ausdrückt.
Meichsjngend⸗Preſſebienſt Nr. 27 v. 2./3. 2.:
. . eine Ordnung und ein Wille, deren Richt⸗
ſchnur der deutſche Sozialismus und
die deutſche Freiheit find...
.. Man kann der Jugend kaum
etwas von höherem vaterländi-
ſchem Erziehungswert zeigen... Diefe
Jugend iſt unter den deutſchen Geſchlechtern die
erſte, die mit vollem Herzen und vorbehaltlos das
Bekenntnis zum Bäuerlichen ab
legt
Berliner Zeitungen.
Völkiſcher Beobachter Nr. 29 vom 29. 1.:
.. . Der Reichsnährſtand zeigt fat ausſchließ⸗
lich belehrende Dinge... Mit wenig Text und
viel Bildern, farbig und die Dinge vergleichend
und den Blick durch bewegliche Modelle an⸗
ziehend.
Der Angriff vom 11. 1.:
Es iſt eine {Hine Sitte, daß ſich Stadt
und Land zum Jahresanfang einmal herzlich
guten Tag fagen...
Der Montag Mr. 5 vom 3. 2.:
.. . Die Ausſteller können mit dem Er-
gebnis . . zufrieden fein. Außerordentlich
ſtark begehrt waren vor allem moderne Feldbear⸗
beitungsmaſchinen, ... bedeutende Umſätze wur⸗
den auch in der Halle 8 erzielt, wo die ländlichen
Hausfrauen .. ihren Bedarf ... eindeckten
745
7
Berliner Nachtausgabe Nr. 26 vom 30. 1.:
. . . Unter Garantie: nach zehn Minu»
ten iſt auch die Frau, ja gerade die Frau,
gefangen von vielen intereſſanten Dingen,
die ſie eigentlich längſt hätte wiſſen wollen und
müſſen, und die ihr nun hier anſchaulich gegen⸗
übertreten
. . . Es gibt mehr Dinge zwiſchen (ländlichem)
Himmel und (bäuerlicher) Erde, als eure Schul⸗
weisheit ſich träumt, Berliner
Gabriele.
Berliner Lokal⸗Anzeiger Nr. 26 vom 30. I.:
. . . Nee wirklich, det nenn ich Aufbau
. . . alles klar und einleuchtend. Der dämlichſte
Charlottenburger muß det ja begreifen
F. Huſſong.
Deutſche Allgemeine Zeitung Nr. 58 v. 4. 2.:
. . . Der Städter . . iſt ſich auch bewußt,
daß der Landwirt die erzielte Erlösſteigerung im
Wirtſchaftskreislauf dem Städter wieder zur
Verfügung ſtellt. Der Bauer darf aber auch
auf der anderen Seite nicht vergeſſen, daß trotz
allem die Kaufkraft des Städters nur beſchränkt
iſt
Berliner Tageblatt Nr. 42 vom 25. 1.:
. . . Die dritte „Grüne Woche“ im Dritten
Reich ſetzt die Linie, die vor zwei Jahren mit
dieſer wichtigen Schau eingeſchlagen worden war,
konſequent fort. Wer nur ſchauen will,
wird die Ausſtellungshallen ebenſo zufrieden
verlaſſen wie der Beſucher, der ſich Zeit nimmt
und der hier auf bequeme Art wert vollſte
Kenntniſſe zu gewinnen vermag.
Berliner Tageblatt Nr. 69 vom 10. 2.:
Schau der Bauernarbeit.
Anknüpfend an die bisherigen Leiſtungen ber
„Grünen Woche“ ein Vorſchlag, wie das
gegenſeitige Verſtehen von Bauer und Städter
noch weiter gefördert werden könnte.
. . . Es ſcheint im Intereſſe der Vermittlung
des gegenſeitigen Verſtändniſſes gut, wenn der
Menſch, Betriebsführung und Ge-
folgſchaft bei ihrer Arbeit gezeigt
werden... Durch Vorführung einzelner Feld⸗
und Hofarbeiten, wie Pflügen, Eggen, Walzen,
Saen, Getreideeinfahren und abladen, Dreſchen
und ähnliches.
Germania Nr. 25 vom 27. Januar:
.. niemals vorher iſt dem Bauern-
ſtand ſoviel Anerkennung zuteil
geworden, wie in den letzten drei Jahren.
746
Unzulänglich ift aber immer noch das Willen
um ſeine Exiſtenz und das Verſtändnis für ſein
Wefen...
. . . Es iſt aber notwendig, den viel zu großen
Einfluß der ... Großſtädte auf ein
natürliches Maß zurückzuführen, um ſo über⸗
haupt erſt die Vorausſetzungen für eine geſunde
Harmonie zwiſchen Stadt und Land zu ſchaffen
Am Bauern iſt ein altes Unrecht wieder
gutzumachen, und es gehört zu den unabdingbaren
Forderungen der Gerechtigkeit, daß dieſe Wieder⸗
gutmachung nicht haltmacht vor fragwür ⸗
dig gewordenen Standesrechten,
alſo vor der Frage der Grundbeſitzverteilung im
Oſten. Freilich ohne Haß und ohne Liebe
Die beſondere Bewertung, deren ſich der
Bauer heute erfreut, entſpringt keiner roman-
tiſchen Vorliebe ... ſondern ganz nüchternen Er-
wägungen. Der Bauer iſt das Element
der Stabilität und Ordnung innerhalb
eines Volkes; er iſt der konſervative Menſch
von Natur aus. Jedes Lebensgefühl, das in Ge⸗
ſchlechterfolgen denkt, muß ſich daher mit innerer
Notwendigkeit auf den Bauern ſtützen .. Nie⸗
mals wird aber das Land ungeſtraft auf die
Dauer vernachläſſigt. Wer den bäuerlichen Men-
ſchen mißachtet, mißachtet die konſervativeſten
Kräfte eines Volkes und untergräbt da⸗
mit feine eigene Exiſtenz .. Der Bauer
bildet das notwendige Gegengewicht gegen das
Weltbürgertum der Großſtadt, das in dieſer
immer keimhaft vorhanden ift..
So traditionslos die Stadt if, fo trabitions-
gebunden ift das Tand..
Proving Zeitungen.
Weſtdentſcher Beobachter Nr. 26 vom 27. 1.:
. . . Solange wir nicht in der Lage find, den
überwiegenden Bedarf an Lebensmitteln im
eigenen Lande zu decken, find wir der inter ⸗
nationalen Hochfin anz ausgeliefert, in
deren Belieben es ſteht, uns den Brotkorb,
wenn ſie es für notwendig hält, höher zu hängen.
Von dieſem Grundgedanken ging der Reichs⸗
bauernführer aus...
Neues Tageblatt, Waldenburg, vom 28. 1.:
Es muß feſtgeſtellt werden, daß die Dar-
ſtellung der Sonderſchauen ſich durch außer⸗
ordentliche Klarheit auszeichnet
Alles in allem ſei feſtgeſtellt, daß die „Grüne
Woche“ . .. die große Zuſammenhänge aufweiſt,
die den Reichsnährſtand mit dem Leben jedes
einzelnen verbinden. As m u s Berlin.
Das Archiv
Thüringer Ganzeitung Nr. 23 vom 28. l.:
.. . Wer die Schau aufmerkſam in ſich auf
nimmt, der erkennt daraus, wie die wichtigen
Staats aufgaben im Dritten Reich in-
einandergreifen und wie in ihrer Erfüllung
Bauer und Arbeiter unlöslich miteinander
verbunden find.
Hannoverſcher Kurier vom 26. 1.:
.. . Go traff und einheitlich wie
die deutſche Landwirtſchaft iſt wohl noch nie
ein EE gelenkt und geordnet wor⸗
den.
GES EH Fremdenblatt Nr. 31 vom 31.
.. die ſtarke Anteilnahme ausländiſcher Be-
fuger erklärt Ré aus dem zunehmenden Jnter-
eſſe des Auslandes für die nationalſozialiſtiſche
Agrarpolitik
Königsberger Allgemeine Ztg. Nr. 44 vom
27. ks
.. Man kann fagen: Es ift eine wahre Bolts-
gemeinſchaft, die ſich hier zuſammenfindet
... Man kann hier in der Schau
des Reichsnährſtandes ... ſowohl den
Arbeiter als auch den Bauern ſtundenlang in der
großen Halle ſehen und beobachten, wie die Bil⸗
der mit den knappen Zahlen und Beſchriftungen,
die plaſtiſchen Darſtellungen, die Schaukäſten
und Wandtafeln eingehend ſtudiert werden. Da⸗
bei freut ſich der Fachmann, und der Laie wun⸗
dert ſich.
Zeitſchriften.
Braune Wirtſchafts⸗Poſt Heft 31 v. 1. 2.:
Weltanſchauung und Wirtſchaftslehre im Na⸗
tionalſozialismus.
. . Im Reichs nährſtand, in dem die
nationalſozialiſtiſchen Ordbnungs
gedanken und Wirtſchaftsgrund⸗
ſätze tatkräftig der Verwirk⸗
lichung zugeführt werden, mußten ... die
Mängel im organiſatoriſchen und im geſamten
Verfaſſungszuſtand der übrigen Wirtſchaft aufs
deutlichſte erkannt und — verſpürt werden. In⸗
fofern find es daher auch nicht nur theore⸗
tiſche Überlegungen, die die über
ihren engeren Bereich hinausreichenden Willens
kundgebungen der Reichsnährſtandsführung be⸗
timmen, ſondern auch handfeſte praf-
tiſche Erfahrungen, die die Praxis der
Trennung der Wirtſchaft in einen nach national⸗
ſozialiſtiſchen Grundſätzen geordneten und einen
ſolcher Ordnung noch ferner ſtehenden Bereich
gelehrt hat. Inſofern beanſpruchen ſolche Über-
Das Archiv
legungen aber auch das ftarifte Jnter»
eſſe aller einſichtigen Kreiſe auch der Praxis
eben der noch nicht nach nationalſozialiſtiſchen
Grundſätzen geordneten Wirtſchaft.
Das Entſcheidende iſt aber wohl doch,
... daß man im Reichs nährſtand in
intenſiver geiſtiger Arbeit von den
Anſchauungen und Grundſätzen des National-
ſozialismus aus zu klaren Vorſtellun⸗
gen über das Bild einer nationalſozialiſtiſchen
Wirtſchaft gelangt iſt, und daß man hier
— wie füglich jeder Nationalſozialiſt — nicht
einzuſehen gewillt ift, daß für den Ordnungs-
zuſtand in der übrigen Wirtfhaft
andere Anſchauungen und Grundſätze — etwa
die vom freien Spiel der Kräfte und das öko⸗
nomiſche Prinziy — maßgebend fein
ſollen als im Reichsnährſtand. Wenn alſo
bier bereits auf der Grundlage ber
nationalſozialiſtiſchen Weltanſchauung eine ent⸗
ſprechende, durch geiſtige Vorarbeiten auch theo⸗
retiſch geſicherte Wirtſchaftsordnung praktiziert
wird, fo hat der Reichspreſſechef der NSDAP.,
Dr. Dietrich, in ſeiner Eſſener Rede deut⸗
lich zum Ausdruck gebracht, daß dieſer national⸗
fozialiſtiſchen Weltanſchauung eine einheitliche,
alſo die geſamte Wirtſchaft und alle wirtſchaft⸗
liche Betätigung umfaſſende Wirtſchaftsanſchau⸗
ung entſpreche, daß ſie ein einheitliches wirt⸗
ſchaftliches Ideengebäude in ſich berge.
. .. wenn der Reichsnährſtand auf dieſem
Wege bereits erheblich weiter vorgeſchritten iſt
als etwa die Induſtrie, fo folte das dieſer
doch nicht immer nur Anlaß geben, an den man»
cherlei Unzulänglichkeiten, die ja ganz zwangs⸗
läufig mit dem Vorſtoß in organiſatoriſches
Neuland verbunden find, her umzukriti⸗
ſieren. Vielmehr follte es gerade in der In⸗
duſtrie dazu anregen, die Vorausſetzungen zu
- überprüfen, unter denen fie einmal eine ihren
beſonderen ſachlichen Gegebenheiten entſprechende
Meugeftaltung ihres Bereichs nach denſelben
grundlegenden nationalſozialiſtiſchen Zielſetzungen
wie der Reichsnährſtand vorzunehmen haben
wird. Nach denſelben grundlegenden Zielſetzungen
entſprechend der einheitlichen nationalſozialiſti⸗
ſchen Wirtſchaftsanſchauung — das dürfte aus
den Ausführungen Pg. Dr. Dietrichs deutlich
genug hervorgegangen fein. ...
Dr. Kurt Peterſen.
Die Deutſche Volkswirtſchaft Nr. 4:
Zum dritten Male ſteht die „Grüne Woche“ im
Zeichen nationalſozialiſtiſcher Wirt
ſchaftserkenntniſſe und zeigt mehr als
747
je die abgrundtiefe Abkehr von der
Intereſſentenſchau der „Landwirte“ von einſt zur
Lehr ⸗ und Aufklärungsſchau. Unter den zahl⸗
reichen Bildern und Modellen des Reichsnähr⸗
ſtandes erſcheint uns die Veranſchaulichung der
Erzeugungsſchlacht beſonders gelungen
und beachtenswert. .. Welch große
Schwierigkeiten entgegenſtehen, hat die
Anſprache des Reichsnährſtandsminiſters gezeigt.
... Um fo anerkennenswerter ift
es, wenn der Beſchauer aus den leicht faßlichen
Bilderreihen die Gewißheit mitnimmt, daß wir
die Frage in abſehbarer Zeit löſen können.
Ahnliche Erkenntniſſe ergeben ſich aus den an⸗
deren Ausſtellungsobjekten
. .. Bei dieſer Gelegenheit möchten wir für
fpätere „Grüne Wochen“ eine Anregung geben,
nämlich auch einmal die eigentliche Stra⸗
tegie der Speicherwirtſchaft und
der Erzeugungsſchlacht darzuſtellen, ſo
daß der Beſchauer einen Eindruck davon erhält,
wie ſchwierig in der Praxis die Marktordnung
und Erzeugungsſteigerung zu bewerkſtelligen und
einzelne Entſchlüſſe in ihrer Tragweite zu über⸗
ſehen ſind. Wir haben den Eindruck, daß der
Reichs nährſtand ſelbſt etwas zu ſtark
hinter ſeinem Werk zurückgetreten
iſt, d. h. vordringlich die Ergebniſſe ſeiner Be⸗
mühungen, aber nicht den mühſeligen Weg ge⸗
zeigt hat, den er zu ihrer Erreichung gehen
mußte. Um dieſe „Lücke“ der Darſtellung zu
einem Teile zu ſchließen, geben wir der heutigen
Ausgabe unſerer Zeitſchrift eine Beilage
mit, die unter dem Titel „Die landwirt⸗
ſchaftliche Erzeugungsſchlacht“ ſteht
und deren Lektüre wir allen Leſern unſeres
Blattes recht eindringlich empfehlen möchten.
Deutſches Adelsblatt Nr. 6 vom 1. 2.:
Die „Grüne Woche 1936. Von Dr. Fran
Große, Berlin.
. . . Niemand, der durch die großen Hallen
geht, wird den Eindruck haben, daß die Aufgabe
nicht im vollen Umfang und in glänzender,
überzeugender Weiſe gelungen iſt.
. . . Niemand, der diefe Schau geſehen hat,
wird noch die Meinung vertreten können, daß
die Betonung von „Blut und Boden“ von ſei⸗
ten des Reichsnährſtandes nur eine romantiſche
Spielerei ift. Er wird die ungeheure Rear
lität dieſer Fragen erkennen.
Und eben ſo klar wird jedem die große Bee
deutung der landwirtſchaftlichen Marktord⸗
nung werden.
748
Deutſches Wollen Nr. 5 vom 30. I.:
. . . Miemand, der es geſehen hat, wird noch
an der Notwendigkeit der Erhaltung eines
blutsmäßig gefunden Bauernſtandes zweifeln
Eine verantwortungsbewußte Regierung ſorgt
unermüdlich für den Bauernſtand. Und mit
innerer Befriedigung wird zudem
jeder Bauer auf dieſer Ausſtellung feſtſtellen,
daß der Reichsnährſtand ebenfo uner-
müdlich daran arbeitet, bei allen anderen
Ständen des Volkes das Verſtändnis für
Bauerntum und bäuerliche Arbeit zu wecken
Niemand, der durch die Hallen am Kaiſerdamm
gegangen ift, wird daran zweifeln, daß diefe Auf⸗
gabe diesmal noch beſſer und voll⸗
kommener gelöſt it als bei den Ausſtellun⸗
gen der beiden letzten Jahre.
Dt. Nahrungsmittelgroßhandel Nr. 6 v. 6. 2.:
Die „Grüne Woche“ iſt auch dieſes Mal
wieder ein großer Erfolg geweſen
von wirtſchaftlichem Nutzen für
alle Ausſteller.
Neues Schrifttum
Dt. Müller Nr. 7 vom 14. 2.:
Wochenbetrachtung. Die Mühlen
wirtſchaft auf der „Grünen Woche“
Berlin 1936.
.. Wohl niemals hat eine „Grüne
Woche“ ſoviel Beachtung gefunden.
. . . Es ift für alle Berufskameraden der deut⸗
ſchen Mühlenwirtſchaft ſicher wertvoll geweſen,
daß die Bedeutung der Mühlen einmal ſo her⸗
ausgeſtellt wurde l
Deutſche gleiſcher Zeitung Nr. 30 vom 5. 2.:
. . . Die früher übliche wiſſenſchaftliche Ein»
zelgängerei ift jetzt beſeitigt; damit
ſind dem Einſatz der Forſcher und der Forſchung
für die Ziele der deutſchen Bedarfsdeckung nun-
mehr die Wege freigegeben... Die „Grüne
Woche“ hat mit dazu beigetragen, auch im
Reichsnährſtands handwerk die Überzeugung zu
ſtärken, daß alle Maßnahmen der
Reichsnährſtandspolitik auf das
Ganze gerichtet find. ...
Neues Schrifttum
„Die letzten Meiter.“
Von Edwin Erich Dwinger.
Verlag Eugen Diederichs, Jena.
Preis 5,80 RM.
Sie hatten „Trotzdem“ auf ihre Fahne
geſchrieben; jene Männer, die den deutſch⸗
ſtämmigen Balten halfen, die mordenden und
brandſchatzenden Bolſchewiſten nach Rußland zu-
rückzuſchlagen. Im Grunde war es nur eine
Handvoll Männer, die ſich in den Freikorps zu-
ſammengefunden hatten. Doch jeder dieſer Män⸗
ner war eine Perſönlichkeit im beſten Sinne des
Wortes. Und ſo wog ein jeder von ihnen die
„zigfache“ Maſſe des Feindes auf.
Dwinger ſchildert andere Sachen als Spitz⸗
weg, aber er ſtellt ſie uns nicht weniger lebendig
und treffſicher vor Augen als jener Meiſter des
Pinſels. Sein Buch iſt Geſchichte, die Geſchichte
einer Zeit, in der die Gegenſätze von Schwarz
und Weiß ſo hart aufeinanderprallten wie kaum
je. Im Novemberſtaat ein Wettſtreit zwiſchen
Niedertracht und Gewinnſucht; in den Frei⸗
ſcharen ein Ekel davor und der Wille Trog-
dem“.
In dieſem Willen, der der Kern einer ſtarken
und unverbrüchlichen Geſinnungstreue wurde,
bäumte ſich das alte preußiſche Deutſchland noch
einmal auf gegen ſeinen Tod; trieb zugleich das
neue junge Deutſchland ſeine erſten ſtarken
Sprößlinge. Was die Vergangenheit an Cha-
rakterwerten geſchaffen hatte und was die Gee
genwart als Zukunftskräfte ſtark werden laffen
wollte, verband ſich damals in dieſem einen
Willen „Trotzdem“.
Männer kämpften. — Wofür? — Für ein
Vaterland, das ihnen teuer war und zugleich
von Tag zu Tag verächtlicher wurde. — Warum
fie es taten! — Warum fingt der Vogel, trägt
die Biene Honig? — Sie wußten es ſelbſt
nicht! Sie gehorchten einer inneren Stimme, die
ſie Geſinnungs⸗, Kampf⸗ und Blutsgemeinſchaft
zu ſuchen hieß. | |
Dadurch ftanden fie in unüberbrüdbarem Ge⸗
genfage zum Novemberſtaat, in dem jene un-
wägbaren Werte nichts mehr galten; — nichts
mehr gelten durften, ſollte dieſes geſchäftstüchtige
Intereſſenkonglomerat nicht am erſten Tage
ſchon auseinanderfallen. So kämpften ſie im
luftleeren Raum. Der Novemberſtaat ließ ſie
im Stich, der Engländer verriet ſie. Dieſer
Neues Schrifttum
Verrat des blutsverwandten Vetters brachte
dem alten preußiſchen Menſchen den Tod, ſchickte
den jungen deutſchen Menſchen zurück in die
Hölle, zu der Geſinnungslumperei und Geſchäfts⸗
tüchtigkeit die Heimat gemacht hatten. Damals
konnte keiner von ihnen wiſſen, daß dieſe Höllen⸗
Heimfahrt die Vorbedingung war, die zwölf
Jahre ſpäter zur Auferſtehung des zertrümmer⸗
ten Reiches führen würde. Nicht nur der Ein⸗
zelne, das ganze Zeitalter hatte vergeſſen, daß
Tod und Höllenfahrt einer jeden Auferſtehung
vorangehen müſſen. — „Trotzdem!“
Dieſes „Trotzdem“, dieſes Sich⸗ nicht ⸗ergeben⸗
Wollen war der erſte ſchwache Bogen, der die
Brücke aus der Vergangenheit in die Zukunft
ſchlug, die heute tragfeſt geworden iſt.
Dwinger ſchildert diefe kämpfenden und wil-
lensgeballten Männer, die das Schickſal an die
Brennpunkte zweier Zeitalter geſtellt hatte, mit
unübertrefflicher Meiſterſchaft. Er läßt uns die
Spannungen miterleben, in die ſie geſtellt waren.
Spannungen, die jedes Bürgergemüt zerriſſen
hatten und dem Leſer heute noch den Atem ver⸗
ſetzen, wie ein — man verzeihe den ſchlechten
Vergleich — Kriminalroman. -
Dwingers Buch ift ein hohes Lied auf die
Unwägbarkeiten des Lebens, auf die Seelen ⸗
größe des Menſchen, die ſich am ſtärkſten da
offenbart, wo zugleich Untermenſchentum und
Vertiertheit, — nein, wir wollen dem Tier nicht
Unrecht tun — Verbolſchewiſiertheit ſich aus-
toben. ’
Der Novemberſtaat ſtellte ſich blind gegen-
fiber dieſen Unmächten. Das war ſchlimm; Eng⸗
land aber machte ſich zu deren Handlanger; das
war noch ſchlimmer und will einem nicht aus
dem Sinn. Bis man ſich klar wird, daß es
nicht der Engländer war — Dwinger ſchildert
dieſen in dem engliſchen Fliegeroffizier —, ſon⸗
dern der kapitalsknechtiſche Krämer engliſcher
Nationalität, der den Verrat beging, weil er
die Unwägbarkeiten des Lebens nicht kannte.
Und in dieſer Hinſicht iſt Dwingers Buch
heute noch wegweiſend für die Zukunft, obgleich
es eine zurückliegende Zeit ſchildert. Kapitalis-
mus ift heute noch zum Verrat bereit. Laſſen
wir uns von keiner Maske täuſchen, in der er
auftritt, und ſorgen wir dafür, daß die Unwäg⸗
barkeiten des Lebens überall und immer ſtärker
bleiben als der größte Profit.
Das iſt die Mahnung, die Dwingers „letzten
Reiter“ der Gegenwart geben, und zwar in einer
Form, wie man es nicht wirkungsvoller und
eindringlicher wünſchen kann.
749
„Gott und feine Bauern.“
Roman von Heinz Kükelhaus.
Wilh. Gottl. Korn⸗Verlag, Breslau.
Ein gedankenarmes und niederziehendes Buch,
das mit Bauern nichts zu tun hat, wenngleich
der Verfaſſer ſeine Geſpenſter Strindbergſcher
Prägung in Bauernkleider ſteckt und über fie
mehr im Stil der Reportage als in dem des
Erzählens berichtet. Die Art der Darſtellung
erinnert an die bekannten Radierungen von Käthe
Kollwitz; auch an Zilles Bild „Die Waſſerleiche“
läßt ſich denken. Das Ganze iſt durch und durch
krank und ohne jede Größe. Auf junge Menſchen
muß es lähmend wirken. Der Titel iſt ein Fre⸗
vel ſowohl gegen Gott wie gegen den Bauern,
denn der Inhalt iſt ein wüſtes Zerrbild beider.
Wer Seſpenſtergeſchichten liebt, mag es Tefen,
wer geſundes Bauerntum ſucht, wird es ver⸗
ſchmähen. Man muß ſich durch dieſes Buch hin⸗
durchquälen, denn leſen läßt es ſich nicht. H.
von Metz ſch, Horſt:
Schlummernde Wehrkraͤfte.“
Viermal drei Aufſätze und ein Schlußwort
als „Neue ſoldatiſche Blickfelder“. Der Ver⸗
faſſer weitet den militäriſchen Horizont über das
Soldatiſche ins Kämpferiſche und kommt aus.
dem Kämpferiſchen zu deſſen naturbedingtem
Gegenſpiel: dem Weltanſchaulichen. Ein Militär
ohne Weltanſchauung iſt denkbar, ein Soldat
ſchon weniger, ein Kämpfer beſtimmt nicht.
Abgeſehen von einem ſchiefen Bilde, das ſich
der Verfaſſer über die Wirtſchaft macht, ſind
ſeine Aufſätze außerordentlich leſenswert. Wehr⸗
kraft, Lehre und Wirtſchaft ſind nach ihm das
Dreigeſpann völkiſcher Kraft. In dieſem Que
ſammenhange ſpricht er von Blomberg, Ruft und
Schacht. Wenn foon Namen genannt werden,
dann hätte hier der Name Darré unbedingt
dazugehört, denn die Ernährungspolitik gibt erft
die Grundlagen für die Wirtſchaftspolitik. Im
übrigen aber iſt das Buch in jeder Beziehung
zu empfehlen.
Nutzungslehre.
In der Reichs nährſtand⸗ Verlags G. m. b. H.,
Berlin, erſchien vor kurzem als 4. Teil der Land⸗
wirtſchaftlichen Lehrbuchreihe von Prof. Dr.
Schürmann, Göttingen, das Werk: „Nutzungs⸗
lehre“, welches als bäuerliches Arbeitsbuch nicht
nur die Beachtung unſerer Landjugend, ſondern
all derjenigen verdient, die ſich irgendwie mit
landwirtſchaftlichen Fragen befaſſen. Der Inhalt
750
des Buches ift auf die wichtigſten Aufgaben, die
der Bauer im nationalſozialiſtiſchen Staat zu
erfüllen hat, nämlich neben der Erhaltung und
Vermehrung geſunden Blutes zur Sicherſtellung
unſeres völkiſchen Staates vor allem den Nah⸗
rungsmittelbedarf des Volkes aus eigener Scholle
zu gewährleiſten, abgeſtellt. Von dem Gelingen
dieſer Aufgaben iſt überhaupt das Schickſal
unſeres Vaterlandes abhängig. Ein Höchſtmaß
von Rohſtoffen zu erzielen iſt unbedingte Vor⸗
ausſetzung. Die landwirtſchaftliche Nutzungslehre
hat in Anbetracht der Erringung dieſes Zieles
weſentliche Aufgaben zu erfüllen, denn fie foll
dem Bauer die Wege weiſen, die zu einer Ge⸗
winnung großer Rohſtoffmengen führen. Damit
ſteht heute im Mittelpunkt aller wirtſchaftlichen
Maßnahmen die Erzielung großer Roherträge,
die bei gleichzeitiger Beachtung eines tragbaren
Verhältniſſes zum Aufwand zu ſteigern ſind.
Da Reichsnährſtands⸗ und Erbhofgeſetz dem
Bauern die Erhaltung des Beſitzes und der
bäuerlichen Familie die Sicherung des Lebens-
unterhaltes garantieren, kann der Bauer ſich nur
von dem Gedanken leiten laſſen, nach Erreichung
eines auskömmlichen privaten Einkommens in
Form eines angemeſſenen Wirtſchaftsüberſchuſſes
ein möglichſt hohes volkswirtſchaftliches Ein-
kommen zu erzielen, und jedes Beginnen, das
irgendwie im Zuge eines hemmungsloſen Er⸗
werbsſtrebens auf Koſten der Maſſe unſeres
Volkes abzielt, zu unterlaſſen!
Die Aufgabe der landwirtſchaftlichen Nutzungs⸗
lehre beruht alſo darin, den Bauer ſo zu ſchulen,
daß er ſelbſt unter ungünſtigen Boden und
klimatiſchen Verhältniſſen, im Bewußtſein ſeines
Könnens und ſeiner Tatkraft, durch vorbildliche
Bebauung ſeiner Scholle Höchſterträge abzu⸗
ringen vermag. Hier liegt der grundſätzliche Unter⸗
ſchied gegenüber der bisherigen Auffaſſung vom
Weſen der Wirtſchaftslehre, die das Landgut
als ein kapitaliſtiſches Unternehmen anſah, aus
dem möglichſt viel Geld herausgeſchlagen werden
mußte, ſelbſt wenn damit eine weitgehende Ex⸗
tenſivierung verbunden war. Heute dagegen hat
der Bauer nicht mehr Kaufmann, ſondern in
erſter Linie Praktiker zu ſein. Für ihn iſt es
eine Ehrenpflicht, im Kampfe um die Freiheit
ſeines Volkes alle die Maßnahmen zu ergreifen,
die darauf abzielen, höchſte Erträge auf dem
Felde, höchſte Leiſtung im Viehſtalle zu erzielen.
Ein Bauernhof, der ſich dieſen großen Pflich⸗
ten unterzieht, muß nun innerlich geſund und
ordnungsmäßig geführt fein. Eine Überfiht über
die Wirtſchaftsvorgänge im Betriebe ſelbſt zu
gewinnen, iſt unbedingt erforderlich. Wichtiges
Neues Schrifttum
Hilfsmittel hierzu iſt eine einwandfreie Buch⸗
führung, die vor allem dort helfen ſoll, wo den
Rohertrag ſchmälernde Fehler zu finden und zu
vermeiden ſind. In Zukunft wird ſich der Bauer
nicht mehr dem Zwange entziehen können, den
Nachweis über Gewinnung höchſter Roherträge
zu erbringen. Eine derartig gewiſſenhafte Ober-
wachung, im eigenen Betriebe ſelbſt durchgeführt,
erleichtert dem Staate die auf dem Gebiete der
Agrarwirtſchaft zu treffenden Maßnahmen ganz
ungemein, denn eine Buchführung, die alle
Unterlagen über wichtige Betriebsvorgänge ber,
beibringen kann, ermöglicht Betriebsvergleiche
und gibt die Handhabe zur Auswertung der ge⸗
wonnenen Ergebniſſe im Intereſſe einer der
Bauernwirtſchaft gerecht werdenden Agrarpolitik.
Die landwirtſchaftliche Nutzungslehre hat
nicht einſeitig privatwirtſchaftlichen Intereſſen zu
dienen, ſondern hat ſich in den Dienſt des ge⸗
ſamten Bauerntums und des geſamten deutſchen
Volkes zu ſtellen, eines Volkes, das im Kampfe
um feine wirtſchaftliche und politiſche Unabhän⸗
gigkeit nur auf ſich ſelbſt geſtellt iſt.
i Dr. K. H. Althoff.
Deutſche Rechts wiſſenſchaft
Hanſeatiſche Verlagsanſtalt,
Hamburg 1936.
Unſere Zeit iſt auf dem Weg zu einer neuen
Rechtsordnung. Alte Rechtsbegriffe ſind ins
Wanken geraten, und aus neuen Lebensordnun⸗
gen erquillt auch ein neues Recht. Deshalb iſt
es beſonders zu begrüßen, wenn einer der Führer
des neuen Hochſchullebens, Profeſſor Karl Auguſt
Eckhardt, im Auftrag des Reichs- und Preußi⸗
ſchen Miniſters für Wiſſenſchaft Ru fk und des
Reichsminiſters Dr. jur. Frank eine Zeit⸗
ſchrift „Deutſche Rechtswiſſenſchaft“ heraus-
bringt, um hier die Plattform zur Erörterung,
Darſtellung und Geſtaltung des neuen werdenden
Rechts zu bieten. Zwei Aufſätze der Nummer |
ſollen vor allem herausgegriffen werden, der des
Herausgebers über „Recht oder Pflicht“ und
ber Aufſatz von Reinhard Höhn „Das ſubjek⸗
tive öffentliche Recht und der neue Staat“.
Eckhardt weiſt den neuen Weg, der zur Erkennt⸗
nis des Rechts als einer Pflichtenord⸗
nung führt, und Höhn zeigt, wie innerhalb
einer Gemeinſchaftsordnung für über⸗
lebte Rechtsbegriffe, wie der der juriſtiſchen
Perſon oder der des Staatsgedankens in der
Vergangenheit, kein Raum mehr iſt. Gerade im
Lebensbereich des deutſchen Bauern, im Gebiet
des Reichsnährſtands, ſind ſolche Gedanken von
Neues Schrifttum
Anfang an verwirklicht und praktiſch geftaltet
worden. Die Standesordnung, die Bodenordnung
und die Marktordnung find Pflichtenordnungen
und Gemeinſchaftsordnungen. Die lebendige Ent⸗
wicklung zeigt, daß hier aus neuer Weltanſchau⸗
ung auch neue Ideen und Rechtsbegriffe geſtaltet
werden. Daraus ergibt ſich die Forderung, daß
auf allen Lebensgebieten die national ſozialiſtiſche
1. Geſchichte
Arndt, Johannes: Germaniſche Kunſt. Von
d. altnord. Kunſt bis zur Kunſt d. Wikingerzeit.
Leipzig: Bibliogr. Inſt. (1935). 32 S. mit
Abb., 47 S. Abb. Kl.-80, pp. —,90.
Bubenzer, Mar], Dr, u. Wlilhelm!]
Lindenberg: Das Werden des deutſchen
Volkes. Abriß d. dt. Geſchichte. Mit 8 Kt.
Berlin: Beenken 1935. 239 S. 80. Lw. 2,80.
Kattermann, Gerhard, Freiburg i. Br.:
Markgraf Philipp I. von Baden (1515 — 1533)
und ſein Kanzler Dr Hieronymus Veus in der
badiſchen Territorial⸗ und in der deutſchen
Reichsgeſchichte bis zum Sommer 1524. Düſſel⸗
dorf: Nolte 1935. VI, 89 S. 80. Freiburg
i. Br., Phil. Diſſ. v. 1932.
Klein, Eitel, Karlsruhe: Die wirtſchaft⸗
lichen und ſozialen Verhältniſſe in der Grafſchaft
Sayn⸗Wittgenſtein⸗Hohenſtein vom 16. bis zum
Beginn des 19. Jahrhunderts. Marburg 1935.
IX, 144 S., 1 Kt. Gr.-8% Bonn, Phil. Diff.
v. 1934; auch im Buchh. bei d. Elwert'ſchen
Verlbh., Marburg, als: Schriften d. Inſt. f.
geſchichtl. Landeskunde von Heſſen u. Naſſau.
Stück 13. .
Peter, Carl: Nordiſches Wörterbuch. Be-
arb. von Prof. Arno Schmieder. Mit Anh.:
Germanenkunde. Leipzig: Fahrenkrog⸗Verl. 1935.
125 S. Kl.-8o. Lw. 2,20.
Stelzer, Jakob: Geſchichte der Gemeinde
Meilen. (Bd. 1.) Meilen [, Schweiz]: Mitt⸗
wochgeſ. 1934. Gr.⸗80. 1. (Von den Anfängen
bis 1830.) XII, 262 S. mit Abb., 18 z. T.
farb. Taf. Lw. Fr. 12, —.
Ueding, Leo: Geſchichte der Kloſtergrün⸗
dungen der frühen Merowingerzeit. Berlin: Ebe⸗
ring 1935. VII, 288 S. Gr.⸗80. München, Phil.
L Sekt. Diſſ.; auch im Buchh. als Hiſt. Stu⸗
dien. H. 261.
Deutſches Volkstum in Polniſch⸗Wol⸗
hynien. Warnemünde [, Moltkeſtr. 3]: Volks⸗
bund f. d. Deutſchtum im Ausland (1935).
48 S. mit Abb. Kl.⸗80.
751
Gefinnung auch zu einem nationalſozialiſtiſchen
Gemeinrecht und darüber hinaus zu ſozialer Ge⸗
ſtaltung führen muß. Gerade deshalb iſt es be⸗
ſonders zu begrüßen, wenn die Rechtslehre und
die Rechtserkenntnis hier ein neues Organ er⸗
halten, in dem aus neuem Geſtaltungswillen
geſchaffen wird an dem Werden eines neuen
Rechts, eines deutſchen Gemeinrechts. M.
$
Wobbe, Heinrſich]: Trübe Zeiten. Die
franz. Fremdherrſchaft 1807 bis 1814. Kirch⸗
wärder⸗Warwiſch: Selbſtverl. d. Verf. (1935).
105 S. 80 — Aus den Erzählungen alter Vier
länder Gemeindevorſteher. Bd. 1.
2. Bevölkerungs⸗ und Mafienpolisit
Ahnentafeln berühmter Deutſcher. Hrsg.
von d. Stiftg Zentralſtelle f. Deutſche Per-
fonen- u. Familiengeſchichte in Leipzig. (Schriftl.:
Peter von Gebhardt u. Johannes Debt,
feld.) N. F. Leipzig: Zentralſtelle f. Deutſche
Perſonen⸗ und Familiengeſchichte 1933 — 35
([Ausg.] 1935). XVI, 323 S., 1 Taf., 4 S.
Abb. 40. Lw. 50, —.
Erbbiologie und Alkoholfrage in Erzie⸗
hung und Unterricht. 2 Vorträge, geh. auf d.
1. Bundestag d. Dt. Bundes f. alkoholfreie
Kultur in Dresden 1935 von Prof. Dr Cäſar
Schäffer u. Dr Adolf Kuleſſa. Berlin:
Neuland⸗Verl. G. m. b. H. (; Auslfg f. d.
Schweiz: Lauſanne, Avenue Dapples 5: Alkohol⸗
gegner ⸗Verl.) 1935. 24 S. Gr.⸗8o — Alkohol
u. Erziehung. H. 16. —,40. Enth.: Erbſchädi⸗
gung u. Alkohol, ein notwendiges Thema d. erb-
biol. Unterrichts. Von Caefar Schäffer. —
Raſſenpflege, Alkohol u. Erziehung. Von Adolf
Kuleſſa.
Fiſcher, Hans Albrecht, Dr, Univ.-Prof.
Oberlandesger.⸗R. a. D., Breslau: Familie und
Erbe. Berlin: Induſtrieverl. Spaeth & Linde
1936. 96 S. 40, 2,20; Lw. J, —.
Geilen, Vlitalis], Dr, Marienburg: Der
deutſche Erbhof der Zukunft. (Marienburg,
Weſtpr. 1933: Großnick [; zu beziehen: ebd. J.)
4 Bl. 80. [Nachtr. eing.] —,30. Aus: Zſchr.
d. Verb. d. ehem. Schüler d. Hindenburgſchule
zu Marienburg. 1933, Nov.
Gieſeler, Wilhelm, Univ.⸗Prof. Dr: Ab⸗
ſtammungs⸗ und Raſſenkunde des Menſchen
(Anthropologie). Mit 96 Kunſtdrucktaf. u. zahlr.
Textbildern. (T. 1.) Oehringen: Hohenlohe ſche
Buchh. 1936. Gr.⸗8o — Schriften d. Dt. Na-
752
turkundevereins e. V. Bd 56. (Alte Reihe.)
(1. Abſtammungs kunde des Menſchen.) VIII,
198, 10 S. Lw. 4,50.
Grau, Wilhelm: Die Judenfrage als Auf⸗
gabe der neuen Geſchichtsforſchung. Hamburg:
Hanſeat. Verl.⸗Anſt. (1935.) 29 S. 80 —
Schriften d. Reichsinſt. f. Geſchichte d. neuen
»Deutſchlands. 1, —.
Kadner, Siegfried: Maffe und Humor.
Mit 50 Abb. München: J. F. Lehmanns Verl.
(1936). 236 S. 80. 3,80; Lw. 4,80.
Krieck, Ernſt, Prof. Dr h. c.: Menſchen⸗
formung. Grundzüge d. vergleichenden Erzie⸗
hungswiſſenſchaft. J. Aufl. Leipzig: Quelle &
Meyer 1935. 371 S. Gr.⸗80. Lw. 7, —.
Mielert, Fritz: Deutſches Ahnengut im
Weſtfalenland. Mit 134 Bildern. München:
Verl. d. Aerztl. Rundſchau [1935]. 156 S. mit
Abb. Gr.⸗80. 5,70; geb. 6,90.
Rutz, Ottmar: Neue Wege zur Menſchen⸗
kenntnis. Einführung in d. Geſichts⸗ u. Körper⸗
ausdruckskunde d. Menſchen. Kampen / Sylt:
Kampmann [1935]. 235 S.; 27 Bl. mit Abb.
u. Facſ. Gr.⸗80. 2,90.
Schultze Naumburg, Bernhard: Wen
fol man heiraten? Das darafterl. Zuſammen⸗
paſſen in d. Ehe. Mit 20 Taf. u. 24 Abb.
Frankfurt a. M.: Bechhold 1935. 152 S. 8°.
4,30.
J. Ländliche Siedlung, Landarbeiterfrage,
Bauerntum
Ackermann, Arthur: Die wirtſchaftlichen
und ſozialen Verhältniſſe des bremiſchen Bauern⸗
tums in der Zeit von 1870 bis 1930. Bremen:
Geit 1936. 158 S., 1 Kt. Gr.⸗80 — Veröff.
aus d. Staatsarchiv d. freien Hanſeſtadt Bre⸗
men. H. 12 — Schriften d. Bremer wiſſen⸗
ſchaftl. Gef. Reihe F (früher A“). nn 6,
Leipzig, Phil. Diſſ.
2000 Jahre germaniſches Bauerntum am
linken Niederrhein. Führer durch d. Ausſtellg im
Kaiſer⸗Wilhelm⸗Muſeum Krefeld vom 27. Okt.
bis Ende Nov. 1935. (Krefeld⸗Uerdingen: Kai⸗
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büttel, Berlin: Kallmeyer 1936. 23 S. Ki.-8°
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Neues Schrifttum
Fehn, Hans, Dr: Das Siedlungsbild des
niederbairiſchen Tertiärhügellandes zwiſchen Iſar
und Inn. Mit 4 Bildtaf., 2 Pl., 2 Textſkizzen.
München: Lindauer 1935. 94 S. Gr.-80
Landeskundliche Forſchungen. H. 30. un 3, —
—
—
Geilen, Vlitalis], Dr, Marienburg: Ge
danken über das Weſen des Bauerntums. (Ma⸗
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4. Verſchiedenes
Harmening, Rudolf, u. Dr Mar Nab-
ler, [beide] Min.⸗Dir.: Handbuch der landwirt⸗
ſchaftlichen Schuldenregelung. [Loſeblatt⸗Ausg.!]
Stuttgart u. Berlin: Kohlhammer; Berlin:
Vahlen 1936. Etwa 250 S. in getr. Pag. 80.
In Lw.⸗Ordner 11, —
Herbſt, Günther Reinhold: Die Betriebs-
ſtruktur der landwirtſchaftlichen Kreditgenoſſen⸗
ſchaften, dargeſt. an Hand d. Verhältniſſe in d.
Prov. Sachſen. Borna: Moste 1935. VIII,
98 S. 8%, 4, 20. Halle, R.- u. ſtaatswiſſ. Diff.
Ley, Alexander von der, Dipl.⸗Kfm., Lub-
wikowa: Litauens wirtſchaftliche Entwicklung
unter beſonderer Berückſichtigung der Agrar⸗
reform. (Berlin) 1933 ([Ausg. 1935]: Bratus).
122 S., 1 Kt. 40. [Maſchinenſchr. autogr.)
München, TeH., Diff.
Pilſudſki, Joſef: Erinnerungen und Do-
kumente. Von Joſef Pilſudſki, d. erſten Mar⸗
ſchall von Polen, perſönlich autor. dt. Geſamt⸗
ausg. Ausgew., bearb. u. red. von Maj. Dr
Waclaw Lipinſki u. Gen.⸗Konſul Ilean)
Pawel] Kaczkowſki. Mit e. Geleitw. von
Min.⸗Präſ. Gen. Hermann Göring. Bd. 3.
Effen: Eſſener Verl.⸗Anſt. (1936). Gr.-8°
3. Militäriſche Vorleſungen. (Aus d. Poln.
übertr. von Jean Paul d' Ardeſchah.) Vorw.
von Gen.⸗Maj. Dr Flriedrich! von Rabenau.
Mit 1 Porträt, 1 Fakſ. u.
375 S. 7,20; Lw. 8,50.
1 Kt. XXIII,
Neues Schrifttum | 753
Reich, Eduard, Dipl.⸗Agr.⸗Ing. Dr, Priv.. Rolfes, Mar: Die Bodennutzung in bäuer⸗
Doz.: Die tſchechoſlowakiſche Landwirtſchaft. lichen Betrieben. Berlin: Parey 1935. 83 S.
Ihre Grundlagen u. ihre Organiſation. (Aus d. Berichte über Landwirtſchaft. N. F. Son-
agrarpolit. Inſt. d. Tſchechoſlow. Akad. d. Lande derheft 113. 4,20; Subſkr.⸗Pr. 3,60. |
wirtfchaft.) Mit 1 Abb., 33 Kt., 58 Diagram- Schönberg, Max, Dr: Die Landarbeit.
men u. 190 Tab. Berlin: Parey 1935. 312 S. Probleme, Begriffe, Geſetze d. menſchlichen Ar⸗
4° Berichte über Landwirtſchaft. N. J. Gen, beit in d. zer Dresden: Riffe-Werl.
Derheft 108. 13,20; Subſkr.⸗Pr. 12,—. 1935. 124 S. 80. 3,—
Anſchriftenverzeichnis der Mitarbeiter der iaai Odal“
Heft März 1936 |
Profeif or Dr. Konrad Meyer, Berlin-Dahlem, Albrecht-Ihaer-WWeg- 1
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Anton Broſch, Berlin N 65, Lynarſtraße 9, I. Aufgang
Far unverlangt etngefandte Manuſkripte keine Sewährl
. und verantwortlich für den geſamten textlichen Inhalt: Dr. Hermann Reifchle,
rlin W, Friedrid)-Wilhelm-Srrafe 1811, Verantwortlich für den Anzeigenteil: Kurt Otto
Arndt, Beclin-⸗Pankow. Verlag: „Zeitgeſchlchte“ Verlag und Vertriebs. Seſellſchaft m. b. H.,
Berlin W 35. DU. 4208 IV. Bj. 35. Pl. Nr. A. Druck: Meyerſche Hofbuchdruckerel. Detmold
Aufruf an Alle!
Der Kampf um die Machtergreifung durch die WSD Ap. gehört der Vergangenheit
an. Blut und ſchwere Opfer feelifcher und materieller Natur, Entbehrung, Drangſal
und Ditternis kennzeichnen die Wege, die der Nationalſozialismus marſchieren mußte.
(Ge gilt heute, Berichte und Bildmaterial aus dieſer Zeit zuſammenzuſtellen, um eine
Sammlung zu ver vollſtändigen, die von größter Wichtigkeit iſt, denn die Geſchichte der
Partei wird einmal die Geſchichte des neuen Deutſchland werden. Das Zauptarchiv
der SD Ap ſammelt alle Urkunden, ge Dokumente, Tagebücher, Abzeichen,
Jeitungen, Jeitſchriften, Photos, Plakate, bild iche Darſtellungen und dergleichen aus
diefer Zeit. Auch Briefe und Zeitungen aus dem Auslande find, ſoweit fie ſich mit dem
Nationalſozialismus beſchäftigen, willkommen. Sendet alles, denn manches, was als
wertlos betrachtet, fortgeworfen wird, kann für den Forſcher, für den fpäteren Be
ſchichtsſchreiber von weſentlicher Bedeutung ſein.
Falls der Beſitzer glaubt, das Original nicht entbehren zu können, ſo nimmt das
Kai pail i Abſchrift oder ſtellt von Bildern Abzüge her. Vertraulichkeit wird, 3. B.
bei Tagebüchern, ausdrücklich zugeſichert. Der Sendung fol ein Verzeichnis des In
haltes, dazu bei Bildern ein kurzer Tatſachenbericht beigefügt werden. Beſonders auch
auf Berichte ehemaliger Gegner, gleich welcher Art, wird größter Wert gelegt. Ver⸗
trauliche Behandlung dieſes Materials wird gewährleiſtet. Es ergeht daher an alle
Dienſtſtellen und Volksgenoſſen die Bitte, das Zauptarchiv in feinem Beſtreben nach
einer lückenloſen Sammlung für die Grundlagen der Parteigeſchichte zu unterſtützen.
Anſchrift: Zauptarchiv der VIGDAP, München, Barerſtraße js. |
Zauptarchiv der VIGDAP, München, Barerſtraße 35.
Syftem der politischen Ökonomie
von Dr. Guſtav Ruhland
weil. o. ö. Profeſſor an der Untverfitdt Freiburg
mit einem Vorwort von Reichsbauernführer
R. Walther Darré
Unveränderter Nachdruck à Bände in Ganzleinen 9 RM.
N
Genau 30 Jahre find vergangen, ſeitdem Guſtav Ruhland fein Lebenswerk, das „Syſtem
der politiſchen Okonomie“, veröffentlichte. Aber bald nach Erſcheinen war das Werk nicht
einmal antiquariſch mehr zu beſchaffen, planmäßig hatte man es aufgekauft, um ſeine Ver⸗
breitung zu hindern. So wird das große Werk erft heute, ein Menſchenalter fpäter, zum
erſtenmal allgemein zugänglich gemacht. Nun ſteht es im Mittelpunkt der wirtſchaftlichen
Neuordnung: denn es iſt das wirtſchaftliche Lehrbuch des neuen Deutſchland geworden.
„Feitgeſchichte“
Verlag und Vertriebs⸗Geſellſchaft m. b. H., Berlin W 35
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im Rahmen sachgemaBer Volldungung
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bildung der Zellen bildung der Zellen.
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HEINRICH LANZ MANNHEIM
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Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorſpruch 759
J. G. Miles EN Todestage Engelbrekt Engelbrettsfons.
Ein Führerſchickſals. 760
Rudolf Bode / Der Gedanke von „Blut we Boden” aa die
bäuerlichen Leibesübungen 785
Heinz K. Haushofer / Der vollkommene Hof 772
Ferdinand Fried. Zimmermann / Die baltiſchen Gilden o Teil) 777
Johann von Leers / Die wirtſchaftliche Belaſtung des Bauern
durch die karolingiſche Fronhofverfaſſung . . . 790
Hans Schirmer / Friedrich Chriſtoph Dahlmann — ein Mahner
und Künder deutſch⸗germaniſchen Schickſals . . 798
Ernſt Schaper / Das land- und forftwirtfchaftliche Grundeigentum
im Deutſchen Reich und feine Befigverhältniffe . . . . 806
Bauer Werner Bethge / Das Reichserbhofgeſetz nach praktiſchen
Erfahrungen . . nnn 821
Dag Ah . on... 824
Neues Schrifttnunnunu 832
Das Titelbild dieſes Heftes ift eine Wiedergabe des Engelbrekt⸗Standbildes in Arboga von Carl
Eldh, 1935. Copyright Svenska Dagbladets. — Das Urheberrecht zu den Bildern des Auf⸗
ſatzes Zimmermann liegt bef der Staatlichen Bildftelle, Berlin W 35, Woyrſchſtraße 11.
Dieſer Ausgabe liegt ein Proſpekt Deutſcher Ring Krankenverſicherungsverein
auf Gegenſeitigkeit, Hamburg 36, bei.
Die in dieſer Zeitſchriſt namentlich bezeichneten Arbeiten geben die Anſichten der
Verfaſſer und nicht des Herausgebers oder Hauptſchriſtleiters wieder.
Nachdruck iſt nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Schriſtleitung geſtattet.
Jedes Heft RM. 1.50 + Vierteljährlich 3 Hefte RM. 3.60
zuzüglich Beſtellgeld. Beſtellungen durch alle Buchhandlungen, Poſtanſtalten und
den Verlag. Poſtvertrieb ab Detmold.
Odal
Monatsſchriſt für Blut und Boden
Hauptfhriftleitung: De. hermann Reiſchle
EEN
„Beitgefchichte" Verlag und Vertriebs-Gefellfchaft m. b. §., Berlin W 35
Lütowftraße 66
„ꝗ„ꝗũòãö . ASAE
Heft 10 4. Jahrgang | April 1936
5 Vorſpruch
| Frömmigkeit iſt das Sewußtfein
höchſter Gefunöheit
Paul de Lagarde
J. G. Miles:
Zum Todestage Engelbrekt Engelbrektsſons
Ein gührerſchickſal
Am 27. April wird ein halbes Jahrtauſend vergangen ſein, ſeitdem der
ſchwediſche Hochadel ſich mit der ruchloſen Ermordung des von ſeinem ver⸗
zweifelnden Volke zum Reichshauptmann erkürten Bauernführers Engelbrekt
Engelbrektsſon ein ewiges Schandmal ſchnödeſten Verrätertums errichtet hat.
Die Amſtände und Hintergründe dieſer ehrloſen Tat find in dieſer Zeitſchrift
früher ſchon“) ausführlich behandelt. Indeſſen wird es in unſerer eigenen
Lage nicht als ein Zuviel erſcheinen, wenn wir den Tag, an dem dieſer volks⸗
tümlichſte ſchwediſche Nationalheld zum Märtyrer der Bauernfreiheit wurde,
noch einem kurzen Verweilen bei Gedanken widmen, die das Schickſal dieſes
Mannes und ſeines Lebenswerkes umkreiſen.
*
Rein äußerlich geſehen, unterſcheidet ſich das Schickſal Engelbrekts und
der von ihm geleiteten Erhebung keineswegs von demjenigen anderer Bauern
führer und anderer Bauernerhebungen. Sie alle zerſchellten nach anfänglichen
Erfolgen früher oder ſpäter an dem harten Panzer und der ſkrupelfreien Fauſt
des zur ſtärkſten „Internationale“ der damaligen Zeit zuſammengeſchloſſenen
Feodalrittertums, die hohe Kleriſei als gewinnfrohen Partner nicht zu ver-
geſſen. Ausnahmen ſehen wir nur dort, wo die Natur des Kampffeldes den
leicht bewaffneten, ungeſchulten und deshalb wenig ſchlagkräftigen Gauern-
truppen zu Hilfe kam, ſo in den engen Talpäſſen der Alpen, in den frieſiſchen
Mooren und den fäliſchen Wäldern. Sonſt geſtaltete ſich das bittere Ende,
wie es in dem bekannten Liede reſignierender Bauernſtreiter heißt:
Bald liegen wir trotz Amulett und Kreuz
Wohl auf der Wahlſtatt nieder.
Den einen freut's, den andern reut's,
Doch keiner erhebt ſich wieder.
Für die Aberlebenden der deutſchen Bauernkriege beſtand es, wie wir leider
nicht verleugnen können, in dem größten Schimpf auf deutſches Menſchentum,
in der Leibeigenſchaft als vollgeſetzlicher Inſtitution, der unweigerlichen Cin-
verleibung des Bauern mit Kind und Kegel, Hab und Gut in das GFeod, die
fahrende Habe der gewalttätigen Grundherren, nicht anders, wie wir es, prak⸗
tijd genommen, heute wieder bei den Kolchoſen und Sovchoſen des öſtlichen
Judenparadieſes ſehen, in dem verblödenden Schickſal menſchlicher Haustiere.
Wie Engelbrekt von dieſer Internationale mittelalterlicher Bauernſchinder
in dem für fie kritiſchſten Augenblicke gemeuchelt wurde, fo erlagen nun aud.
Ze Hartung- ⸗Heft 1935, S. 485, Thilo von Trotha, Engelbrekt Engelbrektſon. Julmond⸗-Heft 1935.
S. 474, J. G. Miles, Die Engelbrektfehde und wir.
Zum Todestage Engelbrekt Engelbrektssons 761 |
Die meiſten feiner Anterführer ſchnödem Verrat, wobei fic wiederum die hohe
Kleriſei unrühmlich hervortat. Die führerlos gemachte Freiheitsbewegung aber
ging in dem Terror des Bürgerkrieges unter, jenes Kampfmittels, das Engel⸗
brekt gegenüber dem verräteriſchen Hochadel ſelbſt verſchmäht hatte, das dieſer
jetzt aber mit abſcheulichem Sadismus über die verteidigungsloſen Maſſen
ergehen ließ, dieſelben Maſſen, deren Schwerter und rte noch rauchten von
dem gemeinſamen Kampfe, den ſie ſoeben unter Engelbrekts Führung Schulter
an Schulter mit dem Adel gegen den gemeinſamen däniſchen Feind beſtanden
hatten. Auf Scheiterhaufen, Richtblod, Rad und Galgen endete die Freiheits⸗
bewegung der tapferen Scharen, weil ſie ſich nicht darein finden wollten, nach
der Vertreibung ihrer däniſchen Peiniger und Blutſauger nun ſich um ſo tiefer
unter das Joch ihres eigenen Hochadels zu beugen. Nach Zerbrechung der
letzten Widerſtände ſetzte der adlige Reichsrat auf einer Herrentagung in
Strängnäs ſelbſtherrlich die Laſten der Bauern erneut in erdrückender Höhe
feſt und verband ſie mit dem entehrenden Verbot des Tragens von Panzer,
Schwert und Armbruſt ſowie aller anderen Waffen, die zu kriegeriſchen
Zwecken dienen konnten.
Wohl ſelten hat ein zur nationalen Selbſtbehauptung geſammeltes und
ſiegreich geführtes Volk eine ſo ſchwere und grauſame Enttäuſchung durch
eigene Volksgenoſſen erlebt wie das Volk Engelbrekts durch die macht ⸗ und
geldgierigen Großen ſeines eigenen Landes. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß unter
den blutigen Trümmerhaufen, die dieſer Ausgang der Engelbrektfehde überall
im Lande hinterließ, und in den Seelen der fo ſchmachvoll erniedrigten Odal-
bauern die Glut der Erbitterung und Nachgier ebenſowenig erlöſchen konnte
wie die inbrünſtige Sehnſucht nach einem neuen, kraftvollen Führer, der, dem
verruchten Adel an Macht überlegen, das politiſche Teſtament Engelbrekts
zum Siege führen würde.
*
Trotz dieſes äußerlichen Mißlingens als Freiheitskampf wird der Engel⸗
brektfehde von der Geſchichtsſchreibung gleichwohl eine weit größere politiſche
Tragweite beigemeſſen als den übrigen Bauernkriegen.
Da iſt zunächſt der durchaus handgreifliche Erfolg des erſtmaligen Zu⸗
ſtandekommens eines alle Schichten und Stände der Bevölkerung gleichmäßig
erfaſſenden Reichstages zu nennen. Er war ein für alle Welt ſichtbarer
Erfolg, deſſen Bedeutung für die ſozialpolitiſche Entwicklung des Landes
nicht zu unterſchätzen iſt. Die Erinnerung an die wunderbar einhelligen erſten
Arboga⸗ Reichstage mußte z. B. ſelbſt den überheblichſten Reaktionär und
Bauernſchinder daran hindern, die Erhebung der an und für fic ſchon recht
weitgehenden Hörigkeit des Landvolkes zur vollſtändigen Leibeigenſchaft als
geſetzlicher Inſtitution nach deutſchem oder däniſchem Vorbilde ernſtlich anzu⸗
ſtreben. Ein Menſchenalter nach Engelbrekts Tode war die Erinnerung an
ſeine ſtarke Perſönlichkeit und die eindeutige Haltung des ihm mit Leib und
Seele ergebenen Bauernheeres einſchließlich der Mehrheit des niedrigen
Adels noch ſo lebendig und wirkſam, daß der Reichsvorſteher Sten Sture der
Altere, der ſich der Sache der bedrückten Bauern wieder energiſch annahm, die
maßloſen Forderungen der gierigſten Fronherren in der derben Ausdrucks-
762 I. G. Miles
weile der damaligen Zeit mit der Warnung abtun konnte: „Mäßigt Euch,
ſonſt wird Euch das Volk bald einen neuen Engelbrekt aus dem Halſe kotzen)!“
Es iſt ſchon richtig, wenn die Geſchichtsſchreibung hervorhebt, daß Engel⸗
brekts Einſatz die ſchwediſchen Bauern vor der Leibeigenſchaft be⸗
wahrt und im ſchwediſchen Volke das Bewußtſein einer freien
Nation erweckt habe, die unerläßliche Vorausſetzung für den Bau eines
ſtarken Nationalſtaates, eines Reiches. Übrigens zwei Gewinne, die pſycho⸗
logiſch aufs innigſte verbunden, ja durch einander bedingt ſind. Das wird uns
beſonders klar, wenn wir das gleichzeitige Schickſal der deutſchen Bauern und
des deutſchen Volkes danebenſtellen. Ein tief beſchämendes Bild bietet ſich
uns: In großen Teilen Deutſchlands ein in härteſter Leibeigenſchaft faſt bis
zur Verblödung abgeſunkener fried- und rechtloſer Bauernſtand, dem erſt drei
Jahrhunderte ſpäter die Erwecker und Retter in Männern wie dem Freiherrn
vom Stein und Scharnhorſt erſtehen konnten, erſt nachdem die Hammerſchläge
Napoleons den mittelalterlichen Raubbau an Blut und Boden und die unecht
4 Schmarotzerkultur des deutſchen Feodaladels zum Wanken gebracht
atten
Eine weitere bedeutungsvolle Golge ſeeliſcher Natur der Engelbrektfehde
haben wir oben ſchon hervorgehoben, nämlich die ſtarke, national betonte
Führerſehnſucht, die in dem von ſeinem reaktionären Hochadel ſchwer
betrogenen und unverſöhnlich verletzten ſchwediſchen Landvolk erweckt wurde.
Dieſe Sehnſucht ift es geweſen, die auf jedem Bauernhofe und in jeder Eiſen⸗
oder Kupferhütte die Sinne unabläſſig auf den machtpolitiſchen Streit gerichtet
hielt, in dem einerſeits die beiden Parteien des Hochadels, die Anhänger und
die Gegner der kalmariſchen Anion, miteinander lagen, andererſeits der jewei⸗
lige Inhaber oder Verweſer der ſchwediſchen Krone mit dem übermütigen,
unionsfreundlichen Teile des Hochadels rang. Sie hat jedesmal kampffreudige
Mannſchaften zu den Fahnen getrieben, wenn ein volkstümlicher Führer das
Landvolk aufbot zum Kampfe gegen den däniſchen Anionskönig und deſſen
anationalen Anhang im ſchwediſchen Hochadel, der zugleich die hochmütigſten
und nimmerſatten Bauernſchinder umfaßte. So geſchah es unter den drei
Stures und, am gewaltigſten, nach dem vom Dänenkönig Chriſtian II. ver⸗
brochenen Stockholmer Blutbade 1520 unter dem Volkshelden Guſtaf Waſa,
dem es mit einem ſtarken Bauernheere gelang, den Alp der kalmariſchen Anion
endgültig vom ſchwediſchen Volk und Land zu nehmen.
Während das deutſche Landvolk im Sumpfe der Leibeigenſchaft verſank, hat
ſich die durch die Engelbrektfehde ausgelöſte Führerſehnſucht und unerfchütter-
liche Eingeſchworenheit des ſchwediſchen Landvolkes auf jeden ſtarken natio⸗
nalen Führer oder König, der zugleich redlich und mit aller Kraft den erpreſſe⸗
riſchen Hochadel zu bändigen ſuchte und dem Volke die Herrſchaft im eigenen
Hauſe erhielt, durch Jahrhunderte als eine nationale Kraftquelle allererſten
Ranges ausgewirkt. Sie hat das unvergänliche Fahnentuch gewoben, das die
ehrwürdigen Sinnzeichen der ruhmvollen Großmachtszeit Schwedens getragen
hat und in der Geſchichte immer tragen wird.
*
2) Nach Bertil Waldén, Engelbrektsfejden, Stockholm, 1934, S. 357.
Zum Todestage Engelbrekt Engelbrektssons 7563
Wir bemerkten oben und haben in einem früheren Beitrage“) fennen-
gelernt, daß und weshalb Engelbrekt gegenüber dem reaktionären Hochadel
des eigenen Landes niemals zu den Waffen gegriffen hat, obwohl er in ihm
letzten Endes doch den gefährlichſten und unverſöhnlichſten Feind der Bauern-
ſache erblicken mußte und zweifellos auch erblickt hat. Mit Aufwand einer
beiſpielloſen Staatskunſt, Kaltblütigkeit und Nachſicht glückte ihm dieſe eigen⸗
artige unblutige Innenpolitik, ſolange er lebte und den Bauernkrieg als
einen nationalen Freiheitskampf gegen die fremden Bluthunde des Unions.
königs gewiſſermaßen nach außen tragen konnte. Nachdem aber der ſchwediſche
Hochadel ſelbſt die Mordwaffe gegen den Bauernführer erhoben und die ihres
Führers beraubten Bauern und Bergleute mit Feuer und Schwert in ſeine
Knechtſchaft gezwungen hatte, lagen die Verhältniſſe anders. Die Männer,
die ſpäter das politiſche Programm Engelbrekts wieder aufnahmen, ſehen wir
deshalb nun im offenen Feldkrieg ſtehen nicht allein gegen den däniſchen
Anionskönig, ſondern auch den von Engelbrekt geſchonten unions freundlichen
Hochadel. Hier liegt alſo eine Tatſache vor, die als eine weſentliche Ab-
weichung von dem politiſchen Teſtamente Engelbrekts erſcheinen könnte,
wenn es nicht wahrſcheinlich wäre, daß auch er, falls er am Leben geblieben
wäre, ſich früher oder ſpäter zu einer blutigen Abrechnung mit dem wider⸗
ſpenſtigen und verräteriſchen Teil des Hochadels hätte entſchließen müſſen.
Die Erfolge der Nachfolger Engelbrekts zeigen jedenfalls eindeutig, daß die
Abweichung von der eigenartigen Innenpolitik ihres Vorbildes eine Ber-
beſſerung war. Sie erſt ſchuf wirkliche Klarheit darüber, daß es letzten Endes
um Blut und Boden ging. Anwillkürlich fragt man ſich aber auch, ganz be⸗
ſonders unter dem Eindruck von Engelbrekts tragiſchem Ende, weshalb er nicht
ſchon ſelbſt gegen dieſen zu jeder Schandtat bereiten hochadligen Klüngel ein⸗
geſchritten ift. Es ift die alte Frage der Geſchichts⸗ und Seelenforſcher nach
verborgenen Hemmungen, die dem Helden zum Verhängnis werden. |
Die Geſchichte der Bauernerhebungen, die als eine Fortſetzung der Engel-
brektfehde zu gelten haben, weiſt noch einen zweiten Vorgang ſeeliſcher Natur
auf, den wir bei einer kritiſchen Betrachtung von Engelbrekts Einſatz und Ver⸗
halten nicht überſehen dürfen. Es iſt die Tatſache, daß erft ein fo blutiger
Anblick, wie ihn die vom Dänenkönig Chriſtian dem Böſen treulos befohlene
und im Neblung 1520 vollzogene Hinrichtung von 600 Adligen und Bürgern
bot, dem jungen Volkshelden Guſtaf Waſa nicht bloß friſchen Wind in die
erneut aufgerollte Fahne des Freiheitskampfes wehte, ſondern im ganzen
Schwedenlande einen nationalen Sturm von fo urwüchſiger Kraft entfeſſelte,
daß Guſtaf Waſa die Dänen wie Spreu aus dem Lande jagen und die
eigenen reaktionären Großen auf die Knie zwingen oder in die Verbannung
treiben konnte. Es iſt die alte Erfahrung, daß nur ſeeliſche Erſchütterungen,
Stöße von unerhdrter Heftigkeit das Höchſtmaß von Kraftentfaltung auslöfen,
zu dem ein Lebeweſen, ein Volk überhaupt fähig iſt.
Weckt nicht die Würdigung dieſer beiden Tatſachen die Frage nach einer
tragiſchen Schuld Engelbrekts, der er ſelbſt und die von ihm getragene Sache
der Bauern zum Opfer fallen mußte? Hat er gefehlt, wenn er den Bürgerkrieg
gegen die unverbeſſerlichen Quertreiber, die heimlich und offen zum Unions-
könig haltenden reaktionären Großen des Landes, grundſätzlich mied? Hat er
8) Julmond⸗Heft 1935, S. 474, J. G. Miles, Die Engelbrektfehde und wir.
764 I. G. Miles, Zum Todestage Engelbrekt Engelbrektssons
gefehlt, wenn er ihr Leben ſchonte, auch als es für jedermann offenbar ver-
wirkt war? Hat er für den Angriffsgeiſt und die Stoßkraft ſeines Bauern⸗
heeres und den Schwung ſeiner Sache den pſychologiſchen Augenblick verſäumt,
als er die ſchwere Beleidigung, die der Reichsrat ihm und dem jungen Reihs-
tage zufügte, indem er ſelbſtherrlich den hochadligen Marſchall Karl Knutsſon
Bonde zum Reichshauptmann an feiner Stelle wählen ließ, nicht mit Ber-
haftung und Standgericht beantwortete? Würde der Anblick der rollenden
Köpfe der hochverräteriſchen Elektoren und des rebelliſchen Reichsrats in dem
mit ſeinem Führer ſchwer beleidigten Bauernheer nicht ebenſo einen furor
teutonicus entfeſſelt haben, wie 85 Jahre ſpäter das von einem Fremdling
verhängte Stockholmer Blutbad in den Bauernſcharen Guſtaf Waſas? ) Und
vor allem: durfte der Hochadel die meuchleriſche Beſeitigung des vom Volke
erwählten Führers als den entſcheidenden Schachzug betrachten un d wagen,
weil Engelbrekt es verſchmäht hatte, ihn ſelbſt als Rebellen Rechtens richten zu
laſſen? Lag in dieſer Anterlaſſung des Führers, mochte ſie nun edle Mäßigung
oder ſchwächliches Zaudern ſein, eine Verwäſſerung der Bewegung? Lag in
ihr die ſteinharte Schwelle zwiſchen Auf und Nieder, über die er ſtrauchelte,
und das Verhängnis des Landvolkes, das im Glauben an ſeinen ſterblichen
Helden unſicher geworden war?
Wer vermöchte aus Urds heiligem Brunnen die Antwort zu ſchöpfen?
Aber auch uralte menſchliche Weisheitsworte, überliefert in den Sprüchen
eines um die Mitte des letzten vorchriſtlichen Jahrtauſends lebenden Denkers,
laſſen die Frage offen. Dieſer ſeltſame Mann war ein zum Himmel ragender
Idealiſt, der in einem langen, prüfungsreichen Leben „die Bahn und den
rechten Weg des Vollendeten“ wohl erkannt hatte, zugleich aber auch die Hem⸗
mungen und Schwächen, die den in irdiſcher Anvollkommenheit wandelnden
Menſchen vom „rechten Wege“ trennen. Dieſer Lao-Tfe) ſieht die Führer-
Loſung eines „Vollendeten“ im Blitzlicht folgender Antitheſen:
Sieg ohne Kampf,
Gehorſam ohne Befehl,
Anziehung ohne n
Handlung ohne T
Das Netz des überall hat weite Maſchen,
Doch nichts entwifdt..
And als ſorgenſchwere Erkenntnis aus ET ER Anvollkommenheit ſchickt er
folgenden taumelnden Zweifel voraus:
Wer kühn iſt, wagt töten,
Wer nicht kühn iſt, wagt leben laſſen.
Beides iſt etwann gut, etwann ſchlecht:
Wer kennt das Arteil des All?
Der Vollendete bleibt hier in Sorge.
* | Ä
£) Es ſoll doch nicht überſehen oder verſchwiegen werden, daß die feelifhen Impulſe der in Vergleich
geſtellten Fälle grundverſchiedener Art ſind: Hier Genugtuung über eine gerechte Strafverhän⸗
gung des geliebten Führers, dort Empörung über eine ruchloſe Verfolgungstat eines ver⸗
haßten Fremdlings. Ihre Wirkung auf den Angriffsgeiſt der von ihnen getroffenen Truppen möcht e
doch dieſelbe ſein.
5) Auf deutſch „Greis⸗Kind“. — Die Bahn und der rechte Weg des Lao⸗Tſe. Der chineſiſchen Urſchrift
nachgedacht von Alexander Ular. Inſel⸗Verlag (Nr. 253 der Inſel⸗Bücherei.) S. 49.
Rudolf Bode, Der Gedanke von ,,Blut und Boden“ 765
Wohl in jedem Freiheitskampf oder Ambruch eines Volkes hat es ſolche
Augenblicke gegeben, wo alles gewonnen oder alles verloren werden konnte.
Doch der gottbegnadete Führer vermag fie zu erkennen, ehe fie dahin find;
und ein Alexander trifft im ſperrenden Bande mit raſchem Schwerthieb den
löſenden Knoten.
Rudolf Bode:
Der Gedanke von „Blut und Boden’ und die
bäuerlichen Leibesübungen
Unter den vielen Zeugniſſen, welche für die wurzelhafte Arſprünglichkeit des
nationalſozialiſtiſchen Lebenswillens ſprechen, ſind zwei Tatſachen beſonders
bedeutungsvoll, einmal, daß dem deutſchen Bauer endlich im Volksgefüge die⸗
jenige Wertung zugewieſen wurde, welche feiner Aufgabe entſpricht, Deutſch⸗
lands Zukunft auf ſeinen Schultern zu tragen, zum anderen, daß es möglich
war, die große Aufgabe dieſes Standes gleichſam zuſammenzufaſſen in zwei
Worte, welche aus den Wurzeln unſerer ſprachlichen Vergangenheit ſtammen
und jene geheime Kraft beſitzen, welche immer dort aufleuchtet, wenn zu einem
Bild ſich in geheimer Spiegelung das Gegenbild geſellt. „Blut“ allein iſt eine
Hälfte, „Blut und Boden“ ſind das Ganze. In vielen Aufſätzen und Vor⸗
trägen hat man dieſen beiden Bildworten ihren tieferen Sinn zu entringen
verſucht. Wenn ich ihnen heute einen beſonderen, in ſeiner Tragweite bisher
vielleicht noch nicht ganz erfaßten Sinn gebe, fo mag dieſes Unterfangen ein-
mal die in der Tiefe wurzelnde Fruchtbarkeit dieſer beiden Bilder bezeugen,
zum anderen aber auch ſeine tiefere Begründung finden in der Notwendigkeit,
den Gedanken der Erziehung tiefer hineinzuprägen in die Seelen deutſcher
Bauern. Denn in dieſem Bildpaar ift verborgen eine tiefe Spannung. Keineg-
wegs iſt es fo, als ob zu dem Worte „Blut“ das Wort „Boden“ nur gleich-
fam hinzugefügt wäre, ſondern fo, wie der eine Pol eines Magneten dem an-
deren Pol nicht nur äußerlich beigeordnet, ſondern zugleich mit ihm geſetzt
und in einem inneren geheimen Wechſelbezug zugeordnet iſt, ſo ſpiegeln auch
die Worte „Blut und Boden“ gleichſam die beiden Pole eines umfaſſenden
Ganzen. Wie zur Wurzel eines Baumes zwangsläufig der belaubte Stamm,
zu ſeinem Leben in der dunklen Erde das Leben in der hellen Sonne gehört,
ſo paart ſich zum ruhenden dunkeln und trächtigen Mutterſchoß des deut⸗
ſchen Bodens das ſtrömende, hellere, aus geheimen Quellen geborene Blut.
And wenn der deutſche Boden als der geheime Träger des deutſchen Blutes
angeſprochen wird, fo kann dies nur in dem gleichen Sinne geſchehen, in wel-
chem der deutſche Leib als Träger der deutſchen Seele erſcheint. Wie Blut
und Boden gehören Seele und Leib zuſammen. And die Einverleibung einer
deutſchen Leibeserziehung in das Wollen des deutſchen Bauern hat zur un⸗
766 Rudolf Bode
umſtößlichen Vorausſetzung, daß der Seele des deutſchen Bauern dadurch
keine Gewalt angetan wird, welche ſich gegen die bodenträchtigen Wurzeln
ſeiner Exiſtenz richtet. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, wollte man die
Formen der ſtädtiſchen Leibeserziehung ohne weiteres aufs Land verpflanzen,
und wenn es z. T. ſchon geſchehen iſt und man ſogar von Erfolgen ſpricht, ſo
beweiſt dieſes nichts gegen unſere Auffaſſung. Der ſchnelle Erfolg allein ift
noch lange kein Beweis für die Richtigkeit einer Sache, wie es das Auftreten
aller Modeerſcheinungen beweiſt. Der Beweis für die Richtigkeit kann nur
gefunden werden, wenn das Neue an inſtinktſichere Menſchen herangebracht,
von ihnen innerlich verarbeitet wird und in ſeinen Folgen von neuer
Fruchtbarkeit für die Weiterentwicklung ſich erweiſt.
Zwiſchen Stadt und Land beſteht nicht nur äußerlich, ſondern auch innerlich
ein Gegenſatz, deſſen Aberbrückung im Wirtſchaftlichen notwendig und daher
auch möglich iſt, im Seeliſchen aber auf kaum zu überwindende Widerſtände
ſtößt. And worin beſteht dieſer Gegenſatz? Ich will ihn durch ein Sinnbild
wiedergeben. Der Bauer lebt gleichſam auf der Peripherie eines Kreiſes, ſeine
Wurzeln gehen zum Zentrum, der Städter lebt auf der ausgerichteten Sehne.
Der Bauer verleibt dem kreisläufigen Geſchehen wohl Teile dieſer Sehne als
Wegſtücke zielgerichteter Tätigkeit ein, aber vorherrſchend bleibt bei ihm das
Verhaftetſein an den Kreislauf, der ihn bindet an das geſamte kosmiſche Ge⸗
ſchehen. Der Städter dagegen verleibt ſeiner faſt immer zielgerichteten Tätig-
keit wohl Teile des kreisläufigen Geſchehens ein, aber vorherrſchend bleibt
bei ihm das mehr oder weniger vorhandene Gefühl der Anabhängigkeit vom
kreisläufigen Geſchehen urſprünglichen Lebens. Da nun aber körperliche Er⸗
ziehung wie jede Erziehung eine zielgerichtete Tätigkeit iſt, ſo müſſen wir,
bevor wir an die Aufgabe herantreten den Bauern von der Notwendigkeit
ue körperlichen Erziehung zu überzeugen, verſuchen, folgende Fragen zu
eantworten:
1. Aus welchen Gründen verlangen wir Körpererziehung für den deutſchen
Bauern und welche Widerſtände ſind dabei zu überwinden?
2. Welche Formen der deutſchen Leibeserziehung ſind für den deutſchen
Vauern tragbar und welche nicht?
Der nationalſozialiſtiſchen Idee iſt eingeboren der Gedanke der Totalität,
d. h. der Einbezogenheit aller Glieder in ein Ganzes. Es iſt die organiſche
Geſchloſſenheit, wie ſie jegliches Wachſen und Blühen, jeder Baum, jede
Pflanze und auch die Geſtalt der Menſchen zeigen, die in den Mittelpunkt
nationalſozialiſtiſchen Aufbauwillens geſetzt ift und die ſchon in der germani-
ſchen Mythologie in der Welteneſche, welche alles Leben in ſich birgt, ihr
uraltes Symbol fand. Dieſer Gedanke der Totalität fordert in der Erziehung
mit gebieteriſcher Notwendigkeit die Ausbildung der beiden entſcheidenden An-
lagen der jungen Deutſchen: Der körperlich -ſeeliſchen auf der einen Seite,
der geiftig-willenbaften auf der anderen Seite. Jede einſeitige Ausbildung der
einen oder anderen Seite vernichtet die Möglichkeit, eine geſchloſſene Volks.
gemeinſchaft zu ſchaffen, welche nicht nur vorübergehend ſich geſtaltet in An⸗
lehnung an eine tragende Idee oder eine überragende Führerperſönlichkeit,
ſondern gleichzeitig dauernd ſich eingräbt in das Weſensgefüge von Blut und
Boden. Das geſamte Leben der bäuerlichen Bevölkerung ſteht einmal unter
dem ſchon genannten Geſetz des kreisläufigen Geſchehens, zum anderen aber
Der Gedanke von ,,Blut und Boden“ 767
unter dem Zwang faſt unaufhörlicher ſchwerer körperlicher Arbeit, einer Arbeit,
welche, wie jede Arbeit, ihre Spuren eingräbt in das Erſcheinungsbild des
bäuerlichen Körpers nicht weniger als in das Erſcheinungsbild der bäuer⸗
lichen Seele. Solange nun das kreisläufige Geſchehen urſprünglich noch in
den Arbeitsprozeß hineinflutete, war die Gefahr einer Formzerſtörung des
Erſcheinungsbildes nicht in dem Grade gegeben wie heute, wo an Stelle
des frei ſchwingenden Arbeitsgerätes (3. B. der Senſe, des Dreſchflegels
uſw.) der ſtarre Gleichtakt der Maſchinen getreten ijt. Mag durch diefe die
körperliche Kraftbeanſpruchung eine Herabminderung erfahren haben, die
pſychiſche Belaſtung iſt nicht verringert, ſondern vergrößert worden, und zwar
im Sinne einer Annäherung der Vauernſeele an die ſtädtiſche Lebenshaltung,
ihres Bewegungslebens an ausgerichtete Bahnen. Man unterliege keinem
Irrtum. Entſcheidend für einen Organismus iſt nicht die Quantität, ſondern
die Qualität der geforderten Arbeitsbewegung. Der Feind der Bauernſeele
Ut nicht die Arbeit, ſondern eine faſt ausſchließlich nur noch in vor geſchrie⸗
benen Bewegungsbahnen ablaufende Arbeitsbewegung. Denn jede ſtreng
vorgeſchriebene Bewegung entreißt ihrem Träger den geheimen Einfluß von
Blut und Boden, iſoliert ihn von ſeiner Amgebung und hat eine ſterili⸗
ſierende Wirkung auf das Seelenleben. Steriliſation aber bedeutet in jedem
Fall Abtötung weſentlicher Eigenſchaften. So notwendig die körperliche Steri⸗
liſation beim erbbiologiſch Kranken iſt, ſo furchtbar und in ſeinen Folgen
überhaupt noch nicht abzuſehen iſt die Steriliſation, welcher das Seelenleben
geſunder Menſchen erliegen kann, wenn man den geheimen Zuſammenhang
aufhebt zum kreisläufigen Geſchehen alles Natürlichen. Mag die zielgerichtete
Bewegung zum Leben noch ſo notwendig ſein, ihr tragender Antergrund hat
das rhythmiſche Geſchehen zu bleiben. Und wenn Oberflächliche uns erzählen
wollen, das Maſchinenzeitalter erzwänge unter allen Amſtänden auch eine
einſeitig gerichtete Lebenshaltung und einſeitig vorgeſchriebene und gehemmte
Bewegungsbahnen, fo können wir nur antworten: Die Natur kennt keine
Geradlinigkeit und ein Menſch iſt nur in dem Maß naturverwachſen, als
das große Naturgeſetz des rhythmiſchen Kreislaufes in ihm ſchwingt und
letzthin auch ſeinen gerichteten Bewegungen, wo ſie notwendig ſind, den
Charakter verleiht. Jahrhundertelang ift der deutſche Bauer durch den Volfs-
tanz der Gefahr der Erſtarrung und Verhemmung ſeines Bewegungslebens
begegnet, indem er die eigene Lebenskraft überſchäumen ließ und alle Störun-
gen inſtinktkräftig beſeitigte. Nichts iſt unſinniger als der oft gehörte Ein⸗
wand, der Bauer fei abends viel zu müde, um noch Leibeserziehung zu treiben.
Man höre nur alte Bauern aus der Lüneburger Heide oder aus Oberbayern
von ihrer Jugend erzählen. Tag für Tag, jeden Abend iſt auf den Spinn⸗
ſtuben oder in den Dorfkrügen getanzt worden. Was bedeutet es demgegen⸗
über, wenn gelegentlich noch bei Feſten Volkstänze vorgeführt werden. Die
Aufgabe einer bäuerlichen Leibeserziehung iſt aber nicht unmittelbar die
Schaffung eines neuen Volkstanzes — der kann nur aus dem Leben ſelbſt
entſtehen —, ſondern die Freilegung aller Bewegungsbahnen, durch welche
hindurch auch ein neuer Tanz ſich von innen heraus geſtalten kann. Aber
damit iſt die Aufgabe bei weitem nicht erſchöpft.
In Zeiten, in denen die Berufe ſich gliederten in Wehrſtand, Lehrſtand
und Nährſtand, mag für den Bauern das Eingebettetſein im kreisläufigen
Geſchehen allein ausreichend geweſen ſein, dem Leben die weſentlich bäuer⸗
768 Rudolf Bode
liche Geſtaltform zu geben, heut ift jeder Bauer zugleich Soldat und damit
verhaftet allen Bewegungen, welche die Aufgabe haben, die Wehrfähigkeit
des Mannes zu ſteigern. Kurz geſagt: Die körperliche und willenhafte
Leiſtung muß zum eiſernen Beſtand bäuerlicher Leibeserziehung gehören und
damit der Einbezug von im weſentlichen einſeitig zielgerichteter Arbeit. Das
Heranbringen dieſer Aufgabe an den bäuerlichen Körper kann aber nur dann
ohne Schaden ſtattfinden, wenn jede Bauernleiſtung getragen wird von jener
inneren und äußeren Elaſtizität, wie ſie jeder gewachſene Organismus hat.
Jede Anſtrengung ift gleichſam nur die Folge vorübergehender Biel-
ausrichtung einer an fih rhythmiſch federnden Lebensbewegung. Das, was
beim Schießen die Zielleiſtung im Grunde iſt, vorübergehende Anterdrückung
der Eigenbewegung, das iſt im Grunde jede echte Leiſtung, und wehe
dem Menſchen, deſſen Leiſtungen maſchinellen Charakter annehmen infolge
Erſtarrung bzw. Gehemmtheit ſeiner urſprünglichen Lebensbewegung. Da
der bäuerliche Körper, namentlich beim Getreidebauer, infolge der ſchweren
wenig abwechſlungsreichen Arbeit immer in Gefahr ift, Dauerſpannungen
anheimzufallen, jo hat die Wiederherſtellung und Steigerung der Elaftizität
weſentliche Aufgabe bäuerlicher Erziehung zu ſein. Die Folgen einer ſolchen
Beeinfluſſung des Körpers wirken ſich tief im Seeliſchen aus. Denn der
Menſch iſt an ſich eine Ganzheit und Störungen auch nur eines Teils können
weittragende Folgen für das Geſamtgefüge haben. Die Aufgabe einer bäuer⸗
lichen Leibeserziehung iſt ſomit:
1. Die Wiederherſtellung des rhythmiſchen Wechſels von Arbeit und Ruhe
in jeder Bewegung.
2. Die Wiederherſtellung der Bewegungstotalität, d. h. der Einbezug aller
vorhandenen Kraftquellen für die körperliche Arbeit bzw. körperliche Auf-
aft als da find: Einbezug der Schwerkräfte, Schwungkräfte, Mustel-
äfte.
Die techniſchen Fächer ſind ſomit:
1. Gymnaſtik im Sinne der Wiederherſtellung der ſchwingenden Bewegung
als Ausdruck organiſch beſtimmter Lebenshaltung.
2. Sport im Sinne einer Herbeiführung höchſter Leiſtung bei relativ ge⸗
ringſter Kraftausgabe als Ausdruck wehrhaft beſtimmter Lebeng-
haltung.
Es erheben ſich nunmehr die ſchwerwiegenden Fragen:
1. inwieweit die Form der Bewegung ſelbſt raſſenmäßigen Forderungen
Genüge zu leiſten hat; f
2. Ben die Form der Bewegung geſchlechterweiſe verſchieden zu fein
at; |
3. inwieweit die Leibeserziehung zur raſſenmäßigen Höherzüchtung des
Volkes beizutragen vermag.
Es kann keinem Zweifel obliegen, daß der Ausdruck jeder Bewegung den
Charakter der raſſenmäßigen Zugehörigkeit ihres Trägers trägt. Zwei gleiche
Bewegungen von einem Nordländer oder Romanen ausgeführt, werden im
Charakter weſentlich verſchieden ſein, und zwar vor allem in Hinſicht auf
ihre Entladungsform. Es dürfte kein Zweifel ſein, daß die größere Fähigkeit
Der Gedanke von ,,Blut und Boden“ 769
zum Herrſchen, welche dem Nordländer eigen ift, fih auch ausſpricht in der
größeren Gemeſſenheit feiner Bewegung bzw. in deren größeren hin weiſen⸗
den Kraft, während die Bewegung des Romanen ihren Schwerpunkt im
Gefühl und Triebleben hat und daher vor allem mitreißende Kraft beſitzt.
Hinzu kommt die allen Herrſchernaturen eingeborene größere Ruhe, welche
ſich vor allem manifeſtiert in den Pauſen des Geſchehens. Ein pauſenloſes
Vorführen von Abungen mag ſtoffwechſelfördernde Bedeutung haben. Der
Ausdruck raſſenmäßiger Geſinnung wird ſich nie darin offenbaren. Beim
Romanen wird das leichter Sprudelnde ſeiner Lebenshaltung ſich auch äußern
in dem unaufhörlichen Spiel ſeiner Muskeln und Ausdrucksgebärden. Zum
dritten kann kein Zweifel ſein, daß die ausladende Wucht beim Nordländer
größer ſein wird als beim Romanen. Ebenſo wird ſich die raumſymboliſche
Bedeutung der ſchützenden Gebärde auch in der Bewegung des Nordländers
kundtun. Die Schwierigkeiten für die Ausgeſtaltung einer rein nordiſch
beftimmten Leibesübung liegen vor allem in den z. T. ganz verfahrenen An-
fichten über Leibeserziehung überhaupt. Mit dem Schlagwort „Körperbeherr⸗
ſchung“ wird jedes Gauklertum in der Leibeserziehung gutgeheißen. Mag
der Ausbildung des Mutes in der Leibeserziehung eine noch ſo entſchiedene
Bedeutung zugeſprochen werden, wir können eine Auffaſſung nicht gut heißen,
welche deſſen Ausbildung faſt ausſchließlich durch ein Gauklertum geſchehen
läßt, welches das Anterſte zu oberſt kehrt, dauernd die phyſiologiſchen Be⸗
flimmungen von Becken und Schultergürtel miteinander vertauſcht und dann
von dieſen Varietékunſtſtücken weſentliche Einwirkung auf die ſeeliſche Haltung
erwartet. Das Blutgeſetz des nordiſchen Menſchen verlangt, daß alle Be⸗
wegungen ihren Antergrund in der aufrechten Haltung haben, denn ſie iſt
die königliche und allein ethiſch wertvolle.
Wir kommen zum zweiten: Der Anterſchied der Frau vom Mann iſt darin
gegeben, daß die Frau ſtärker als der Mann dem kreisläufigen Geſchehen
alles Werdens verhaftet iſt, während beim Mann das immer gradlinig ge⸗
richtete Wollen überwiegt, den Kreislauf neu zu geſtalten, d. h. der Mann
arbeitet in viel ſtärkerem Maße als die Frau mit den rhythmiſchen Kräften
der Phantafie auch in feinem willenhaften Bewegungsleben. Alle Bahnen,
die der Mann bewegungsmäßig erfüllt, ſind vorher von ihm geſchaut durch
innerliche Vorſtellungskräfte. Hierauf beruht die große Geſtaltungskraft des
Mannes, während die Frau den ihr vom Leben ſelbſt zugewieſenen Lebens-
bahnen folgt. Aber man hüte ſich, dieſe beiden Gegenſätze zu verſelbſtändigen
und Gegenſätze zu ſehen, wo es nur Abergänge mit dem Aberwiegen der einen
oder anderen Seite gibt. Es kann daher gar keine Rede davon ſein, dem Mann
ausſchließlich die offene Bewegungsbahn und der Frau die geſchloſſene zuzu-
weiſen. Nicht die Form der Bewegung iſt entſcheidend, ſondern die Frage, ob
ſie gezeugt oder empfangen wird. Da der Mann auch die kämpferiſche Seite zu
erfüllen hat, ſo wird ſich ſeine Zeugekraft vor allem in offenen Bahnen bewe⸗
gen, aber dieſe offenen Bewegungen müſſen in gleichem Maße ſchwingenden
Charakter haben wie die meiſten geſchloſſenen der Frauen, und umgekehrt wer⸗
den die Frauen auch teilnehmen an offenen Bahnen, denn von der kämpfe⸗
riſchen Arbeit des täglichen Lebens haben ſie ein gutes Teil zu bewältigen.
Die Schwingung iſt keine männliche oder weibliche Form der Bewegung, ſon⸗
dern eine Arform der Lebensbewegung ſelbſt.
770 Rudolf Bode
Es bleibt die dritte Frage, inwieweit die Leibeserziehung zur Höherzüch⸗
tung des geſamten Volkes beizutragen vermag. Wir ſind der Aberzeugung,
daß alle züchteriſchen und erbbiologiſchen Maßnahmen ohne entſcheidende
Wirkung bleiben müſſen, wenn ihnen nicht von ſeiten der Leibeserziehung eine
entſcheidende Anterſtützung zuteil wird, allerdings in einem weſentlich an⸗
deren Sinne, als es den landläufigen Anſchauungen von der Bedeutung der
Leibeserziehung entſpricht, welche faſt alle auch heute noch liberaliſtiſch orien-
tiert ſind und im Quantitativen der Leiſtung die Entſcheidung ſuchen. Erb⸗
biologiſch hat Leibeserziehung nur dann einen Sinn, wenn durch ſie
1. die Totalität von zeugenden und empfangenden Seelenkräften wieder
hergeſtellt wird. Darunter verftehen wir folgendes: Jede Naſſe ift bedingt,
nicht nur durch körperliche Merkmale, ſondern ebenſo ſtark durch die ſeeliſche
Wechſelbeziehung zu dem Milieu, in welchem ſie lebt oder welches ſie ſich
kraft eingeborener Seelenenergien geſtaltete. (Man vergleiche die milieuſchaf⸗
fende Kraft nordiſcher Raffe in der Antike!) Nichts ift heute tiefer geſchwächt,
als die Schaukraft der Seele für wahrhaft lebendiges Geſchehen. Tote Ziffern,
Rekorde ſind der Feind aller urſprünglichen Lebensenergie, welche zwar auch
den Kampf ſucht, aber meilenfern iſt von aller toten Meſſerei lebendiger Le⸗
bensvorgänge. Das überlaſſe man der Wiſſenſchaft, aber man ſchütze die bäuer⸗
lichen Kampfplätze vor dieſen Abertriebenheiten. Denn hier geht es um an⸗
deres, nicht um einſeitige Leiſtung, ſondern um Leiſtungen, welche den gan-
zen Menſchen einbeziehen, ihn kräftig machen, aber zugleich weltoffen für
alles Geſchehen um ihn herum. Raſſenmäßige Eigenſchaften offenbaren ſich
entweder total oder überhaupt nicht, und ſie offenbaren ſich immer am ſtärkſten,
wenn die Seele entweder antwortet auf die Amgebung oder dieſe angreift.
Erbbiologiſch haben Leibesübungen die hohe Bedeutung, daß durch die körper⸗
liche allſeitige Bewegung einmal das raſſige Bild rein herausgebildet werden
kann und fih dieſes Bild dem ſchauenden Auge unmittelbar in feiner Geftal-
tung darbietet. Alle erbbiologiſchen Maßnahmen können nur halbes erreichen,
ſolange der Blick für Geſtalt und Bewegung des Menſchen derartig troſtlos
verkümmert iſt, wie bei den Menſchen der Gegenwart. Aber wir müſſen auch
hier warnen vor einer Einſeitigkeit, welche gleichfalls eine Folge des herrſchen⸗
den Betriebes der Leibesübungen iſt. Nicht auf das Erzeugen harmoniſch ge⸗
formter Körper im Sinne der griechiſchen Plaſtik kommt es an, ſondern auf
die Erzeugung ausdruckskräftiger Menſchen. Kommt beides zuſammen, gut.
Aber die Erzeugung ſchöner Menſchen iſt keine Aufgabe der Leibeserziehung,
ſondern der bildenden Kunſt. Der Anterſchied muß mit aller Schärfe betont
werden, ſoll nicht großes Anheil entſtehen. Man glaube doch um himmels⸗
willen nicht, daß die Proportionen eines ſogenannten ſchönen Körpers irgend-
einen Rückſchluß zulaſſen auf die Seelenbeſchaffenheit feines Trägers. Körper⸗
liche Schönheit iſt durchaus erträglich mit raſſiſcher Degeneration im ſchlimm⸗
ſten Ausmaß. Denn ſeeliſche Degeneration kann ſchon weit vorgeſchritten ſein,
bevor die viel ſtabilere körperliche Organiſation davon ergriffen wird, fo ähn-
lich, wie ein Apfel durchaus ſchon faul ſein kann, ohne daß man es ihm außen
anſieht, weil das feſte Gewebe der Oberfläche den Durchbruch der zerſetzenden
Säfte noch verhindert. And man vergeſſe nicht, daß der Apfel ſeine höchſte
Schönheit, das heißt Formerfülltheit, in dem Augenblick erreicht hat, in wel-
chem er fih vom Baume löſt. So laufen viele herum, welche äußerlich Traft-
ſtrotzende und harmoniſche Körper haben, aber innerlich längſt vom Baume
Der Gedanke von ,,Blut und Boden“ 771
des Lebens abgefallen find. Unfere ſtädtiſchen Sportplätze find voll von ſolchen
Elementen. Kraftſteigerung hat immer nur dann Wert, wenn damit gleich⸗
zeitig eine Steigerung der Seelenkräfte verbunden iſt, nicht aber, wenn ſie auf
Koſten der Seelenkräfte ſtattfindet, wie es auf weiten Gebieten des heutigen
Sportbetriebes der Fall iſt. Seelenkräfte haben, heißt: Immer und in jedem
Fall naturverbunden ſein, und dort, wo das Schickſal den Menſchen hingeſtellt
hat, ſeinen Platz auszufüllen, ſei es auch auf Koſten der Schönheit des Kör⸗
pers. Es gilt, erbbiologiſche Forderungen mit ethiſchen Forderungen in Ein⸗
klang zu bringen, nicht aber, fie ausſchließlich in Einklang zu bringen mit
äſthetiſchen Forderungen, welche ihre Herkunft aus einem liberaliſtiſchen Zeit-
alter verraten, indem ſie eine iſolierte Körperſchönheit wollen, welche äußeren
Proportionsgeſetzen entſpricht, aber nicht Ausdruck innerer Kräfte iſt. Die
völlig kindliche Einſtellung, welche unſere meiſten Sportler zum rhythmiſchen
Geſchehen haben und ihre Unfähigkeit zur einfachſten rhythmiſchen Geſtaltung,
le Bände für den, welcher gelernt hat, das Weſen vom Schein zu unter-
cheiden.
Die bäuerliche Leibeserziehung iſt ſomit aufzubauen nach Geſichtspunkten,
welche der Seele des Bauern und ſeinen Berufsaufgaben gemäß ſind. Nur in
dieſem Falle wird ſie die große Bedeutung erlangen, beizutragen zu einer
neuen Bauernkultur, welche nur aus der Totalität kräftiger Anſchauung und
inſtinktkräftig geführter Bewegung entſtehen kann. Die Freilegung des Anter⸗
grundes jeglicher Kultur iſt ihre Aufgabe; denn eine neue deutſche Kultur
kann nur entſtehen unter Einbezug aller rhythmiſchen Kräfte, welche im deut-
ſchen Bauern noch wirkſam ſind. Die Erneuerung der geſamten deutſchen Rul-
tur ruht nicht minder auf Blut und Boden, wie erbbiologiſche Raffenpflege
und innere Wehrfähigkeit. Einſt gab es in Deutſchland VBauernkulturen, deren
Erzeugniſſe man heute in den Muſeen bewundern kann und von denen hier
und da auch heute noch Spuren zu finden find. Der große Prüfftein für die
bäuerliche Leibeserziehung wird ſein, ob es ihr gelingt, die Bewegungsbahnen
wieder freizulegen, auf welchen die Geſtaltungskräfte von Blut und Boden
ſich entladen können in den Bewegungen, welche nicht nur das alltägliche
Leben, ſondern auch Feſte und jedes handwerkliche Stück geſtalten, welche
beſtimmt ſind, den Bauer durchs Leben zu begleiten. Nicht die Einverleibung
von künſtlichen Fähigkeiten und körperlichen Kunſtſtücken iſt die Kernaufgabe
der bäuerlichen Leibeserziehung, ſondern den Körper wieder Inſtrument wer⸗
den zu laſſen für die ewigen Kräfte, welche im Blut und Boden verwurzelt
ſind und ſich auswirken einmal in der Erzeugung ausdruckskräftiger, lebendiger
Leibesgeſtalten, zum anderen in der Erzeugung ausdruckskräftiger, lebendiger
Geſtaltungen (Lied, Tanz, Kunſt). Der deutſche Bauer trägt Deutſchlands
Zukunft, ſowohl erb- wie kulturbiologiſch. Aber er kann dieſe Doppelaufgabe
nur erfüllen, wenn wir ihm helfen, Nationalſozialiſt nicht nur in der Idee,
ſondern in der Realität des gelebten Lebens zu werden, und das iſt die immer⸗
währende Bereitſchaft, dem Genius von Blut und Boden zu dienen.
Aufgabe der bäuerlichen Leibeserziehung iſt, im Bauern die Ehrfurcht zu
wecken vor den geheimen Kräften, welche nicht nur Wachſen und Blühen ſeiner
Felder bewirken, ſondern in jedem Menſchenleibe wirkſam ſind und auch dort
Geſtalt auf Geſtalt entſtehen laſſen. Nur aus dieſer Ehrfurcht entſteht die
Freiheit, welche wir als germaniſch im tiefſten Sinne anſprechen müſſen. Sie
ſtammt aus der Wurzel echten Bauerntums und bedeutet das Verwachſenſein
772 Heinz Konrad Haushofer i
mit dem göttlichen fret ſchwingenden Leben. Nur aus dieſem Freiheitsgefühl
heraus entſtehen Männer, welche jederzeit opferbereit ſind, das eigene Leben
in die Schanze zu ſchlagen für ein größeres, da ſie ja in dieſes ſelbſt mit der
Wurzel hineingeſenkt ſind. So wie Bäume gleichzeitig nach unten und oben
wachſen, jo müſſen Bauernleib und Bauernfeele zuſammenwachſen. Nur dann
wird die höchſte Ehre, welche Deutſchland zu vergeben hat, in Ehren getragen
werden können, die Ehre, „Deutſcher Bauer“ zu heißen.
Die Aufgabe, welche vor uns liegt, iſt groß und ſchön. Mit Treffſicherheit
hat der Reichsbauernführer die Forderung erhoben, daß es jetzt darauf an-
käme, aus der bäuerlichen „Weltanſchauung heraus die vor uns liegende Auf⸗
gabe anzupacken, d. h. ſie zu durchſeelen und ihr damit jene Tönung zu
geben, die dann als die deutſche Art der Leibesübungen auf dem Lande be⸗
zeichnet werden kann“. Erſt wenn dieſe leibliche Grundlage geſchaffen worden
iſt, kann das Wort des Führers Wahrheit werden, daß „jedes große politiſche
Zeitalter in der Weltgeſchichte das Recht feines Daſeins durch die ſichtbarſte
5 ſeines Wertes ſich ausſtellen wird, die es gibt: durch ſeine kulturellen
eiſtungen“.
Heinz Konrad Haushofer:
Der vollkommene Hof
Zur Entwicklung des land wirtschaftlichen Betriebs⸗Odeals
Die Gedanken der Bauern und der Landwirte kreiſen ſeit jeher um ihren
„vollkommenen Hof“. And wenn ein Name in der Geſchichte der Landwirt⸗
ſchaftswiſſenſchaft viel bedeutet, ſo faſt regelmäßig deswegen, weil mit ihm
eine Neufaſſung des Idealbildes des landwirtſchaftlichen Betriebs verbunden
ijt. Wirtſchaftstheorien und techniſche Tortſchritte verblaſſen gegenüber den
Forderungen eines Vorbildes, das von ſolchen Männern mitten in ihre Zeit
geſtellt worden iſt. Dieſe Vorbilder entſprangen durchweg einem Zuſammen⸗
wirken wirtſchaftlichen Arbeitswillens mit den weltanſchaulichen Strömungen
ihrer Zeit. Es iſt für kein Jahrhundert zu behaupten, daß der einen dieſer
Bildungskräfte der Vorrang vor der andern gebührte. Als z. B. Thaer auf
Grund ſeiner engliſchen Vorbilder die Fruchtwechſelwirtſchaft auch für
Deutſchland als betriebswirtſchaftliches Ideal hinſtellte, fand Sch werz diefe
Betriebsform in der Rheinpfalz ſchon ſeit einigen Jahrzehnten voll ausge⸗
bildet vor. Dieſe Entdeckung veranlaßte den Erfahrungsmenſchen Schwerz zu
der nachdenklichen Feſtſtellung: „Der Ackerbau iſt das gemeinſte, das älteſte,
das nothwendigſte aller Gewerbe. Es wäre alſo zu verwundern, wenn die un⸗
zähligen Menſchenköpfe, die ſich unter allen Völkern, in allen Ländern und zu
allen Zeiten damit getrieben haben, nicht ſchon alle Entdeckungen gemacht hät⸗
ten, die darüber zu machen find... Niemand kann das beſſer beurteilen, als
der, welcher den Ackerbau ſelbſt getrieben, darüber geleſen, das Geleſene durch⸗
Der. vollkommene Hof | 773
dacht hat, und fih dann aufmacht, das Handwerk bei den gewöhnlichen Bauern
in verſchiedenen Gegenden anzuſehen. Staunen wird er da nicht ſelten, das⸗
jenige hier und dort in alltäglichem Amlaufe zu finden, was er bisher für eine
on Ce Schaumünze gehalten hatte, bloß, weil fie eine neue Präge
trug“
Dieſer Gedanke von Schwerz zu Ende gedacht, bedeutet nichts anderes, als
daß auch die wiſſenſchaftliche Vorſtellungskraft kein Betriebsideal zu bilden
in der Lage ſei, das nicht im Ganzen oder in ſeinen Teilen im wirklichen
Leben ſchon vorhanden war. Es iſt die Weltanſchauung des Erfahrungsmen⸗
ſchen, des Empirikers, für die auch manche Beiſpiele aus anderen Gebieten
ſprechen. Bekannt ſind die immer wiederholten Verſuche der Künſtler, über⸗
irdiſche Weſen, ſeien es Engel oder Teufel, darzuſtellen: noch niemals haben
ſie ſich davon entfernen können, tatſächlich Geſehenes, ſeien es Vogelflügel
oder Bocksfüße, abzubilden. Genau ſo ſind es im Landbau immer wieder die
gleichen Formelemente, die für das Bild eines vollkommenen Hofs zur Ber-
fügung ſtehen: die Vererbungsgeſetze der organiſchen Welt, ihr Wachstums⸗
rhythmus, das Bodenleben und der jährliche Ablauf der Witterung. Setzt man
voraus, daß der ſeinerzeit entſprechende „Vollkommene Hof“ in der Wirklich⸗
keit vorhanden und vom Empiriker in ſeinen Weſenszügen herausgearbeitet
worden iſt, dann ſetzt die Arbeit des Theoretikers ein. Denn, empiriſch geſehen,
iſt dieſer vollkommene Hof ein Einzelfall oder der Fall eines abzugrenzenden
Landſtrichs, der ſich unter der Gunſt einer beſtimmten Lage entwickeln konnte.
Aus der Weltanſchauung des reinen Erfahrungsmenſchen (Empirikers) kann
niemals der Entſchluß kommen, dieſen ſcheinbaren Einzelfall zu verallge⸗
meinern und zum Grundſtein einer Theorie zu machen, welche ſeine Verallge⸗
meinerung auch da verlangt, wo er nicht bodenſtändig erwachſen iſt.
Erfahrung und geiſtige Forderung haben ſich alſo von jeher in der Geſchichte
der Landwirtſchaft gegenſeitig die Bälle zugeworfen. Das Beiſpiel von Thaer
und Schwerz iſt oa das aus dem 19. Jahrhundert bekannteſte Beiſpiel
für dieſe Polarität. Schwerz ſah den vollkommenen Hof hundertfach in der
Landſchaft ſtehen, die er bereiſt hatte, und er hat die Namen der Bauern und
der Höfe in feinen Büchern überliefert, die an der Schwelle des 19. Jahrhun⸗
derts die Bauſteine für die neue Land wirtſchaftswiſſenſchaft abgaben. Thaer
baute aus dem Bild dieſer und vieler anderer Einzelbeobachtungen das Syſtem
der „rationellen Landwirtſchaft“.
Die Geſchichte des „vollkommenen Hofs“ iſt alſo einerſeits ein Teil der
allgemeinen Geſchichte des Landbaues, andererfeits ein Teil der Geiftes-
ae i die aus unzähligen Höfen den einen oder andern gum Vorbild ber,
aushob.
Wieder ein Beiſpiel: die Schweiz feiert in dieſem Jahr das Andenken des
Klijogg, des Jakob Gujer, eines Bauern aus dem Kanton Zürich, deſſen
Katzenrüti⸗Hof während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von den De,
deutendſten Geiſtern der Zeit als ein vollkommener geſehen wurde ). Lavater
in feiner „Phyſiognomik“; der ältere Mirabeau, der Führer der Phyſiokra⸗
ten; der Maler Chodowiecki, der ſein Bildnis geſtochen hat; Goethe, Heinſe
und Rouſſeau — alle haben fih auf ihre Art mit dieſem Bauern und feinem
Hof von 94 Jucharten und ſeinen 10 Stück Vieh auseinanderſetzen müſſen.
N. Schwerz, Beobachtungen über den Ackerbau der Pfälzer. Berlin 18 16.
2) F. Ernſt, Kleinjogg der Muſterbauer in Bildern ſeiner Zeit. Zürich 1935.
774 Heinz Konrad Haushofer
Das „Katzenrüti“ gab — nebenbei — ſchon 1761 dem Züricher Hirzel An-
laß zu der folgenden Bemerkung: „daß man den Mangel an Fruchtbarkeit
unſeres Landes vergeblich dem Mangel der Einwohner zuſchreibe; nicht der
Mangel der Menſchen zur Arbeit, ſondern die Trägheit und Weichlichkeit,
die bei uns ſich täglich vermehren, und die unſichere, dabei leichtere Arbeit für
die Fabriken, der harten Feldarbeit vorziehen, und die üble Anwendung des
Gewinnſtes ſind die immer wachſenden Quellen des Elends.“
Dieſe Klage über innere Widerſtände gegen die Fortentwicklung, die fidh
in ähnlicher Form bis in die letzten Jahre wiederholt hat, blieb aber nicht
ohne Wirkung. Man darf aus ihrem Andauern nicht darauf ſchließen, daß aus
dem gewaltigen geiſtigen Anſtoß dieſer Zeit in Richtung auf eine Neuwürdi⸗
gung des Bauern keine Früchte erwachſen wären. Noch 1818 erſcheint z. B.
ein Gegenſtück in Franken). Dieſe Beiſpiele folen erhärten, daß man auch
in vergangener Zeit über dem betriebswirtſchaftlichen Ideal niemals den
Menſchen vergeſſen hat. Immer wieder iſt es der Menſch, der die innere Be⸗
harrungskraft der natürlichen Grundlagen ſeines Betriebs überwindet: das
gilt ebenſo für die muſterhaften Bauernbetriebe, an denen ſich die Neubewer⸗
tung des Standes überhaupt entzündet, wie für die Männer, die in Petkus
den Boden des Flämings überwanden oder in Lupig den Sand.
Die Namen von Petkus oder Lupitz ſind zugleich kennzeichnend für die
innere Beziehung, die zwiſchen dem „vollkommenen Hof“ und dem „Spitzen⸗
betrieb“ unſerer Zeit beſtehen. Es handelt ſich hier nicht um ein Entweder —
Oder, ſondern um eine tiefgehende Wechſelwirkung. Auch die Höfe, die etwa
Schwerz zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts beſchreibt, waren zum
Teil „vollkommen“, zum Teil techniſche Spitzenbetriebe. Vieles von dem, was
dieſe Spitzenbetriebe mühſam und durch koſtſpielige Experimente erreicht hat⸗
ten, iſt inzwiſchen Allgemeingut eines jeden gutgeleiteten Betriebs geworden.
Die Notwendigkeit des techniſchen Spitzenbetriebs hat ſich ja, ſolange wir
überhaupt Aufzeichnungen über die Geſchichte des Landbaues haben, von Jabr-
hundert zu Jahrhundert erneut erwieſen. Das gilt für die Betriebe, die als
erſte den Kleebau, die Luzerne oder die Kartoffel einführten ebenſo, wie für
die mittelalterlichen Krapp- und Waid⸗Dörfer. Die Aufgabe des Spigen-
betriebs war von je, Vorſprung zu ſchaffen; und wenn ſie die Bezeichnung
eines Spitzenbetriebs in der Geſchichte zu Recht behaupteten, dann nur des⸗
halb, weil ſich dieſer Vorſprung mit der Zeit dadurch verringerte, daß ihre
Errungenſchaft der breiten Maſſe der Betriebe zuteil wurde. Derjenige
Spitzenbetrieb, dem dieſer befruchtende Ausgleich verſagt blieb, blieb als Ma⸗
rotte des Beſitzers ſo lange ſtehen, bis er von ſelbſt zuſammenſtürzte und eines
Tages wieder der landesüblichen Betriebsweiſe anheimfiel.
Dies führt zur Aberlegung über den Wert des Verſuchs im weiteſten Sinn.
Seit überhaupt eine Verkehrswirtſchaft beſteht (und wir können ihr Entſtehen
kaum früh genug anſetzen), beruht die Erweiterung des Beſtandes an Kultur-
pflanzen und Haustierraſſen nur mehr zum Teil auf der bodengebundenen
Wanderung der Frühzeit, ſondern mit auf dem planmäßigen Verſuch. Es ſind
immer nur wenige Betriebe, die dadurch den Rahmen des bodenſtändigen
Hofs ſprengen, daß das anfängliche Experiment zum ſtehenden Betriebszweig
2) Johann Klör, ein merkwürdiger Landmann in Franken. Dargeſtellt von Dr. Franz, Oberthür.
Sulzbach 1818.
Der vollkommene Hof 775
wird. Jede „Veredelung“ eines der früheren deutſchen Landſchläge, die Ein-
führung des Zuckerrübenbaues, in unſeren Tagen der Silo, die Ausbreitung
des Maisbaues — das ſind eben ſo viele Beiſpiele dafür, wie ein ehemaliges
Experiment ſchon zu einem Teil des bodenſtändigen Betriebstyps geworden
iſt oder im Begriffe iſt, es zu werden. Dann erſt beeinflußt die durchgeſetzte
Neuerung das Betriebsideal, dann erſt gehört ſie zur Vorſtellung des „voll⸗
kommenen Hofs“.
Der techniſche Spitzenbetrieb, dem — zumindeſt in feinen Anfängen — got,
wendigerweiſe immer etwas vom Verſuch anhaftet, deckt ſich alſo keineswegs
mit dem Betriebsideal ſeiner Zeit. Was ihn davon unterſcheidet, iſt letzten
Endes die Anmöglichkeit, ihn als verpflichtendes Beiſpiel für die Geſamtheit
der Höfe ſeiner Landſchaft aufzuſtellen. Der Anterſchied zwiſchen dem pionier⸗
haften Spitzenbetrieb und dem „Idealbetrieb“ iſt an vielen geſchichtlich gewor⸗
denen Beiſpielen zu zeigen. Wer irgendeine Gegend landwirtſchaftlich kennt,
wird von fih aus genug Beiſpiele aus dem Urmel ſchütteln können.
Die Klarſtellung des Anterſchieds zwiſchen dieſen beiden Vorſtellungen iſt
keine Gedankenſpielerei. Denn man wird dadurch manche Fehleinſchätzungen
vermeiden können: Über- und Anterſchätzungen des Pionierbetriebs ebenſo wie
des landesüblichen Hofs, wenn man von beiden Vorbildern gleiches verlan-
gen wollte, was fie nicht leiſten können und follen. In Seiten, in denen Agrar-
politik und Betriebswirtſchaft nebeneinanderliefen, ohne daß ſich aus ihrer
gegenſeitigen Durchdringung die Schlußfolgerungen ergaben, die heute gezogen
werden müſſen, war das ungefährlich. Klarheit darüber iſt für uns Heutige
um ſo beglückender, als wir die Aufgabe hatten, uns als Generation ein klares
Bild des „vollkommenen Hofes“ unſerer Zeit zu erarbeiten.
Das heutige Betriebsideal kann im folgenden nur angedeutet werden. Es
ift zunächſt blutgebunden und bodengebunden: wir verzichten darauf, land-
wirtſchaftliche Arbeit für den deutſchen Bauern in allen Gauen des Reichs
als etwas vom Menſchen Trennbares zu ſehen. Jahrtauſende alte aderbau-
liche, waldbauliche oder tierzüchteriſche Schulung iſt ein Beſtandteil ſeines
inneren Erbes. Zugleich wiſſen wir, daß ein Volk mit den Raſſen ſeiner
Haustiere und Kulturpflanzen nicht nur arbeitet, ſondern in einem engeren
Sinne lebt. Der Dinkel (Veſen), die Leitpflanze der Schwaben, iſt eines der
bekannteſten Beiſpiele dafür. Folge dieſer Blutgebundenheit iſt, daß wir heute
kein Betriebsideal kennen, das von der Familie des Bewirtſchafters getrennt
ift. Ein Betrieb, der von Hand zu Hand geht, kann bei aller techniſchen Boll-
kommenheit nicht mehr als Vorbild betrachtet werden. Zum erſten Mal ſeit
einigen Jahrzehnten gehört die Dauer der Bewirtſchaftung durch eine Familie
wieder als unlösbarer Beſtandteil zum Betriebsideal. Es iſt keine Frage,
daß dies früher eine Selbſtverſtändlichkeit geweſen iſt und auch in den geſtör⸗
teften Zeiten von der Landwirtſchaft ſelbſt aufrecht erhalten worden ift. Flo-
rinus z. B. ſtellt die ganze Landwirtſchaft unter das Geſetz der Familie. Bei
ihm findet fih auch jener Satz: „. .. daß ein vernünfftig kluger Haussvatter,
ſo er ſich den Adel ſeiner Seelen geziemender Maßen zu Gemüthe ziehet,
keinen fo groben Zweck, als der obangeſezte ſchnöde Gewinn iſt, den Haupt-
zweck ſeyner Hausshaltung ſeyn laſſen und darauf beruhen ſollte“ ). Anter
1) Francisci Philippi Florin’ Allgemeiner Kluger und Rechtsverſtändiger Haussvatter, Ausgabe
1722, Seite 4.
Odal Heft 10, Jahrg. 3, Bg. 2
776 Heinz Konrad Haushofer, Der vollkommene Hof
ähnlichen Geſichtspunkten bleibt die ganze landwirtſchaftliche Literatur be-
ſtehen, bis in die erſte Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Bodengebunden: wir
bejahen den deutſchen Raum als Heimat, ſeine Grenzen als Schlachtfeld,
alſo auch ſeinen Boden als Standort von Lebensgemeinſchaften. Aus dem
Standort leitet ſich zwangsläufig der Begriff der Bodenſtändigkeit ab. Die
Folge iſt die Forderung einer gleichmäßigen Ausbildung der vorhandenen
bodenſtändigen Betriebszweige: die Vielſeitigkeit des Betriebs iſt deshalb
nicht nur, wie in vergangenen Jahren, eine Sicherung gegen konjunkturelle
Gefahren; fie entſpringt auch nicht einmal allein aus dem Anſpruch der Er-
nährungswirtſchaft, ſondern ſie gehört zum Weſen des vollkommenen Hofs
überhaupt. In größerem Zuſammenhang find die Grundlagen dieſer Bor-
ſtellung zuletzt von Buſch herausgearbeitet worden).
Zur Bejahung der Bodenſtändigkeit muß die Bejahung des Entwicklungs-
gedankens treten. Das ergibt fih von vornherein aus dem geſchichtlichen Rüd-
blick, was etwa im 19., 18. oder 17. Jahrhundert als „bodenſtändig“ hätte
betrachtet werden können. Das heißt, es iſt ebenſo gefährlich, an die Gegeben⸗
heiten des Raumes oder des Standortes blind zu glauben, wie ſie zu ver⸗
nachläſſigen. Man verſuche fic) vorzuſtellen, daß man 3. B. im vorigen Jahr-
hundert den Standort der abſoluten Schafweide als „naturgegeben“ angeſehen
und beibehalten hätte! Anſer Betriebsideal von heute iſt alſo das Ergebnis
von Gebundenheit und Entwicklung. Man muß immer wieder daran feſthalten,
daß es aus der Wurzel der geſchloſſenen Hauswirtſchaft erwachſen iſt. Der
Anteil der Selbſtverſorgung an der marktfähigen Erzeugung wird eher unter⸗
als überſchätzt. Er beträgt z. B. bei den oberbayriſchen Bauernbetrieben der
Größenklaſſe von 5 bis 50 Hektar zwiſchen 15 und 50 v. H., im Durch⸗
ſchnitt etwa ein Drittel der Erzeugung. In Bergbauernhöfen der eigentlichen
Alpenländer mag er noch höher liegen, während er in Gebieten ſtärkerer
Arbeitsteilung niedriger ſein kann. Auf dieſer Grundlage der geſchloſſenen
Hauswirtſchaft hat ſich der deutſche Bauernhof geſchichtlich aufgebaut, und es
iſt darum zu Recht, daß die hauswirtſchaftliche Vorſtellung auch unſerer heu⸗
tigen von einem vollkommenen Hof zugrunde liegt. Zu ihr iſt ſchon ſehr früh
die verkehrswirtſchaftlich und arbeitsteilig bedingte Erzeugung hinzugetreten,
die fich von den wenigen Verbrauchsplätzen in immer größer werdenden Krei-
ſen innerhalb der Volkswirtſchaft ausbreitete. Wenn man verſucht, an Hand
von einzelnen Betriebsgeſchichten dieſer Entwicklung nachzugehen, ſo wird
man fih deffen bewußt, welche ungeheure Bereicherung des landwirtſchaft⸗
lichen Lebens damit einſetzt; eine Bereicherung nicht im kapitaliſtiſchen Sinne,
ſondern hinſichtlich des Geiſtes⸗ und Arbeitseinſatzes, kurz: der Geſamt⸗
ſpannung. Die verkehrswirtſchaftliche Vorſtellung hat bis 1914 und wieder
vom Abbau der Kriegswirtſchaft bis zum Entſtehen der Marktordnung in
immer ſteigendem Maße das Betriebsideal beeinflußt; ein ſcheinbar vorhan⸗
Denes ingenieurtechniſches VBetriebsideal ift nur eine Abwandlung gewefen,
die wieder in den Hintergrund trat. Trotzdem wird es ſpäter wichtig fein, feft-
zuſtellen, wieviel an Arbeitsmethoden auch der gebundene Hof dieſen Betrieben
verdankt, welche ihre Aufgabe in einer techniſchen Durchkonſtruktion ſahen.
Endlich beginnt feit 1914 die ernährungswirtſchaftliche Vorſtellung das Bild
des vollkommenen Hofs zu beſtimmen; zuerſt durch die Kriegswirtſchaft an⸗
1) W. Bufh, Die Landbauzonen im deutſchen Lebensraum, 1936.
Ferdinand Fried. Zimmermann, Die baltischen Gilden 777
geregt, dann unter der Dede der Nachkriegsjahre verſchwunden und endlich
ſeit 1933 als Folge ſeiner Verantwortung zur wirtſchaftlichen Richtlinie des
Neichsnährſtandes geworden. In der ernährungswirtſchaftlichen Auffaſſung
behält die hauswirtſchaftliche Grundlage des deutſchen Betriebsideals nicht
nur nicht ihren alten uneingeſchränkten Platz, ſondern greift weiter aus: die
Abertragung der Auffaſſung des Hofs auf die ganze Volkswirtſchaft hat in
dieſer Bedeutung ihren tieferen Sinn. Dieſes Betriebsideal hat die not⸗
wendige Folge der Einheitlichkeit, d. h. es iſt von der Betriebsgröße unab-
hängig. Einem für das Volksganze zugeſchnittenen Vorbild muß mit den
familieneigenen Mitteln an Kapital und Arbeitskraft ebenſo nachzukommen
ſein, wie mit ihrem denkbar größten Einſatz. Die Mittel dieſes Einſatzes ſind
1 zum Teil aus der Vorſtellung vergangener Vorbilder erarbeitet
worden. |
Die Entwicklung des landwirtſchaftlichen Betriebsideals ift alfo — um ein
Beiſpiel aus der verwandten organiſchen Welt zu gebrauchen — mit dem
Querſchnitt eines Baumſtammes zu vergleichen: Wachstumsring hat ſich um
Wachstumsring gelegt — und nur die verjährten Ringe verbürgern die Dauer
des Stammbaumes und nur der jüngſte den Säfteſtrom im Baum.
Feroͤinand Fried. Zimmermann:
Die baltiſchen Gilden
Ein letztes Stück deutfchen Mittelalters
Von all den vielen Blutſtrömen, die das Deutſchtum fruchtſpendend über
die Erde geleitet hat, war jener einer der eigenartigſten, der die Küſtenländer
der Oſtſee hinauffloß. Im ununterbrochenen Strome ging es bis nach Oft-
preußen, immer den Bauern mit ſich führend als den Träger und Bewahrer
deutſcher Kultur — bis er plötzlich den weiten litauiſchen Raum überſprang,
heute noch eine Wüſtenei von Wald und Moraſt, und in Livland, Kurland
und Eſtland wieder zum Vorſchein kam als eine ganz beſondere, eigenwillige
Blüte deutſcher Art und deutſcher Kultur, die erſt heute, nach faft einem Jahr⸗
tauſend, wieder zum Verdorrren gebracht werden ſoll.
Gerade die deutſche Geſchichte zeigt uns an vielen Beiſpielen, daß nur dort
ein erobertes Gebiet dem Volkstum auf die Dauer erhalten bleibt, wo ſich das
Blut mit dem Boden verbindet, wo der Bauer ſelbſt den neuerworbenen Bo⸗
den befitzt und beackert. Deswegen wurde Oſtpreußen ein deutſches Land, und
deswegen blieben die baltiſchen Länder nicht deutſches Land. Die Geſchichte
zeigt uns aber auch, daß der Deutſche, gerade dort, wo er ſich nicht als Bauer
niederläßt, nur zu leicht bereit ift, in fremdem Volkstum aufzugeben, als deut-
ſcher Blutſtrom in fremder Erde zu verſickern. Das Schickſal der Deutſchen in
*
778 Ferdinand Fried. Zimmermann
Nordamerika bildet ein mahnendes Beiſpiel. Hier aber, in den baltiſchen Sen,
dern, haben wir das in der deutſchen Geſchichte vielleicht einzige Beiſpiel da⸗
für, wie ſich das Deutſchtum ein Jahrtauſend hindurch als ſolches ſtolz und
ſelbſtbewußt, ſogar herrſchend behaupten konnte, obwohl die Erde nicht mit
deutſchen Bauern beſiedelt wurde, obwohl ſich das Deutſchtum nur auf den
adligen Herrenſitzen und vor allem aber in den Städten als Mittelpunkt des
geſamten Handels feſtſetzte.
Wenn heute, nach einem wechſelvollen Verlauf der Geſchichte, das Deutſch⸗
tum in dieſen Gebieten mit harter oder mit weicher Hand doch immer mehr
zurückgedrängt wird, dann rächt ſich jetzt erft die verhängnisvolle Anterlaſſung.
den Bauern damals nicht mitgeführt zu haben. Aber daß ſich dieſes abgeſplit⸗
terte Gebiet dennoch faſt ein Jahrtauſend hindurch als Bollwerk des Deutſch⸗
tums erhalten konnte, daß hier nicht Bauern, ſondern Kaufleute, Handels
herren und Handwerker die Bürgen deutſchen Blutes und deutſcher Kultur
ſein konnten — das ſtellt eine der eindrucksvollſten Kraftleiſtungen des deut⸗
ſchen Blutes dar! Dieſe Kraft reicht aus, nicht nur um ſich ſelbſt in fremder
Amgebung ſtark zu erhalten, ſondern auch um ſich fremdem Volkstum führend
zur Verfügung zu ſtellen. So wie der baltiſche Adel im ruſſiſchen Zarenreiche
eine führende Rolle ſpielen konnte und den Aufſchwung Rußlands feit Peter
dem Großen mittrug, ſo nahm der baltiſche Kaufmann an der wirtſchaftl ichen
Entwicklung Schwedens oder Rußlands — wer nun gerade der politiſche
Oberherr jener Provinzen war — führenden Anteil, ſo wurde Niga die größte
und bedeutendſte Handelsſtadt des Schwedenreiches.
Heute nun ſoll dieſe gewaltige Kraft endgültig gebrochen werden. In der
großen Kataſtrophe des Deutſchtums find gleichſam am Rande Staaten ent-
ſtanden, die ſonſt nie die Kraft zu ſtaatlichem Eigenleben aufgebracht hätten,
und die ſogar auch nur mit den letzten Kräften des zuſammenbrechenden
Deutſchtums vor der bolſchewiſtiſchen Sturzwelle bewahrt blieben. Aber die
Kräfte, die den neuen Gebilden innewohnten, erprobten ſich nur am Deutſch⸗
tum. Sie ſchufen ſich hieran ihre nationale Bewährung, ihr Nationalgefühl,
weil es ſonſt kaum einen Prüfſtein gab, und weil tatſächlich das Deutſchtum
als herrſchende Schicht über dem Lande lag. Zuerſt wurde die adlige Herren⸗
ſchicht rückſichtslos enteignet, und nun wird die Stellung des Deutſchtums in
den Städten, als Handwerk, Handel oder Gewerbe, von allen Seiten unter⸗
graben und langſam zu Fall gebracht. Die Auflöſung der Rigaer Gilden
durch die lettiſche Regierung hat dies Beſtreben mit brutaler Offenheit zum
Ausdruck gebracht. Der deutſche Stamm, der dort auf fremder Erde Wurzel
gefaßt hatte, ſoll in den Wurzeln getroffen, ſoll gefällt werden.
Wir hängen an den baltiſchen Gilden nicht allein deswegen, weil ſie nach
der Enteignung des deutſchen Grundbeſitzes die letzten Träger deutſchen Blutes
und deutſcher Kraft darſtellen, ſondern weil ſich gerade in ihnen auch ein Stück
echten, unverfälſchten deutſchen Mittelalters lebendig erhalten hatte. Aber die
Jahrhunderte hinweg, in denen die ureigene deutſche Wirtſchaftsordnung des
Mittelalters im Mutterlande immer mehr zernagt wurde und ſchließlich im
Wirbelſturm der induſtriellen und liberaliſtiſchen Revolution zuſammenbrach,
hat ſie ſich hier auf kolonialem Boden und etwas abgelegen vom Strom der
Zeiten wohl erhalten und faſt bis auf unſere Tage herübergerettet. Daran
ſehen wir und können daraus gerade heutigen Tages lernen, wie beides ein⸗
ander bedingt und gegenſeitig bezogen ift: Volkstum und Wirtſchafts⸗
Die baltischen Gilden 779
»tdnung. Denn ohne ſelbſtbewußtes Deutſchtum hätten fih die alten Wirt-
chaftsformen auch nicht in ihren Reften im Baltikum erhalten können, aber
indererſeits hätte fih ohne diefe Wirtſchaftsform, ohne die Gilden das (nicht⸗
zäuerliche) Deutſchtum im Baltikum nicht bis heute fo kräftig erhalten können.
In den Gilden müſſen alſo für das Deutſchtum Kräfte gelegen haben, die
neben den aus dem Boden gezogenen geſtellt werden dürfen und nur der Raffe
entſpringen können, weil ſie ſchließlich Ausdrucksform der Naſſe ſind.
Die Entſtehung der Hanſe
Will man die Eigenart der Gilden erfaſſen, vor allem die eigenartige Tat⸗
ſache, daß ſich die baltiſchen Gilden bis heute erhalten konnten, ſo darf man
ſie zunächſt nur unter dieſem Geſichtspunkt: als beſondere Ausdrucksform der
Raffle betrachten. Und von hier aus müſſen fie wieder in einen noch größeren
Rahmen hineingeſtellt werden, in den der geſamten Wirtſchaftsordnung Ober,
haupt, ſoweit diefe als Ausdrucksform der Raſſe gilt. Die Gilden gehören
nach Arſprung und Eigenart zur Wirtſchaftsordnung der Hanſe. Ganz gewiß
iſt nun die Hanfe eine befondere Erſcheinungsform des Deutſchtums, ja fogar
im engeren Sinne: niederdeutſcher Art, und zwar ſowohl in politiſcher als
auch in wirtſchaftlicher Hinſicht. Die Hanſe iſt alſo zunächſt in jedem Falle
blutsbedingt; keine andere Raffe hat zu irgendwelcher Zeit in der Ge-
ſchichte eine Erſcheinungsform gefunden, die mit der deutſchen Hanſe irgendwie
vergleichbar wäre. Daneben iſt die deutſche Hanſe aber auch zeitbedingt
geweſen. Verſchiedene Amſtände wirkten zuſammen, und zwar in ganz bemer-
kenswerter Gleichzeitigkeit, um auf dem einmal vorhandenen Boden jene eigen-
artige Pflanze des Deutſchtums ſprießen, aufblühen — und ſchließlich auch
wieder verwelken zu laſſen.
Wir find leider zu ſehr gewohnt, die deutſche Geſchichte lediglich als Kaifer-
geſchichte zu ſehen. Es entſteht dadurch der Eindruck einer ununterbrochenen
Folge von Herrſchern und damit auch einer einheitlichen Reichsgeſchichte —
etwa beginnend mit Karls Kaiſerkrönung und endend mit Auſterlitz. Aber mit
dem neuen großen Geſchichtserlebnis des Deutſchtums im Nationalſozialismus
formt ſich auch immer mehr eine neue Art der Geſchichtsbetrachtung, ein neues
Geſchichtsbild. Wir neigen jetzt viel mehr dazu, in der deutſchen Geſchichte
verſchiedene, voneinander verhältnismäßig unabhängige Abſchnitte zu ſehen,
und wie wir einerſeits das Verbindende des Deutſchums durch alle Abſchnitte
ſpüren, ſo erkennen wir doch auch die Anterſchiede ſtärker, die durch die ver⸗
ſchiedenen Raffebildungen bedingt find. Wir erblicken alfo in dem Frankreich
Karls gerade feit der Kaiſerkrönung eher eine Fortſetzung des alten römischen
Kaiſerreiches — wie es ja von Karl ſelbſt auch gewollt war —, während wir
die eigentliche Schöpfung eines Deutſchen Reiches, einer deutſchen Nation, den
beiden Sachſenkaiſern, Heinrich I. und vor allem Otto dem Großen, zuſchreiben.
Hier beginnt die glanzvolle eigentliche deutſche Kaiſerzeit, ſie führt zu dem
weltpolitiſchen Höhepunkt der Hohenſtaufen — und ſie endet auf dem Schaffott
von Neapel. Seit dem Antergang der Hohenſtaufen iſt die deutſche Kaiſermacht
nicht mehr „politiſch wirkſam“, um mit heutigen Begriffen zu ſprechen. Aber
während ſich ſeitdem im Zwiſchenreiche die Kräfte zerſplittern, Hausmächte ſich
bilden und neue Kräfte ſich ſammeln für ſpätere Jahrhunderte, verſchiebt ſich
780 Ferdinand Fried. Zimmermann
das weltpolitiſche Schwergewicht vom oberdeutſchen zum niederdeutſchen
Gebiet, und entſteht dort als neue deutſche Ausdrucksform, als neue politiſche
Macht des Deutſchtums die Hanſe, die die Geſchichte für die nächſten Jahr⸗
hunderte beſtimmen ſollte. |
Die Wurzeln der Entſtehung der Hanfe reichen noch in die letzte Zeit des
Kaiſerreichs, in die Stauferzeit zurück; bezeichnenderweiſe liegen ſie auch im
Gegenſatz Friedrichs I. von Hohenſtaufen und Heinrichs des
Löwen begründet. Während der Rothbart zur Wahrung der Macht des
Kaiſertums gegen die Städte vorgeht und das ſtolze goldene Mainz in Schutt
und Aſche legt — gründet und errichtet der Löwe das gerade wieder nieder-
gebrannte Lübeck aufs neue und ſtattet es mit beſonderen Vorrechten aus, das
ſpäter als lübiſches Recht das ganze hanſiſche Gebiet beherrſchte. Man ſieht,
wie fih hier ſymboliſch die beiden Gegenſätze gegenüberſtehen; es find zwar
Männer, aber im Grunde ſind es zwei entgegengeſetzte Ideen. Jeder hat für
ſich recht — nur verteidigt der eine das Alte und bildet damit das Ende einer
Entwicklung, während der andere für das Neue kämpft und eine neue Zeit
heraufführt; ebenſo wie der eine in Italien verblutet, während der andere den
neuen deutſchen Oſten koloniſiert.
Damit kommen allmählich die verſchiedenen Amſtände zuſammen, die alle
gleichzeitig das Entſtehen der Hanſe bewirkten. Die deutſchen Städte waren
allmählich immer mehr erſtarkt, und die Zuſammenſchlüſſe der Bürger in ihnen
zu Innungen, Zünften und Gilden ſetzten ſich durch, obwohl ſich alle Kaiſer,
von Karl bis zum Rotbart, heftig gegen diefe „conjurationes gewehrt hatten,
ebenſo wie übrigens auch gegen jeden Bund oder Zuſammenſchluß der Städte
untereinander, wofür ſchon frühzeitig die Bezeichnung „Hanſe“ aufkam. Die
Städte erreichten die Anerkennung der Zünfte und Gilden ſowie der Ratsver-
faſſungen durch ihre jeweiligen Landesherren, Fürſten oder Biſchöfe, auch
gegen die kaiſerliche Gewalt, die ja ſchon durch die Kämpfe des Löwen, viel
mehr aber noch unter dem zweiten Hobenftaufen-Griedrid und deſſen Sohn,
König Heinrich, an Anſehen einbüßte. Schon vor der Neugründung Lübecks
durch den Löwen gab es in Deutſchland Soeſter Recht und Kölner Rauf-
mannsrecht, das nun Vorbild für das lübiſche Recht wurde. 1158 wurde die
erſte Zunftrolle durch Erzherzog Wichmann von Magdeburg beſtätigt. Zur
gleichen Zeit, als Lübeck und lübiſches Recht entſtand (es handelt ſich hier
immer um die Jahre 1157 und 1158), wurde die alte Handelskönigin der Oft-
ſee, Haithabu, das ſpätere Schleswig, von den Dänen verwüſtet und gebrand⸗
ſchatzt und ſank ſeitdem unaufhaltſam zur Bedeutungsloſigkeit herab; ähnlich
erging es der ſlawiſchen führenden Handelsſtadt Julin (Wollin), dem fagen-
umwobenen Vineta. Hiermit in Zuſammenhang kam die Niederwerfung der
Wenden durch den Löwen und den Bären (deren Züge ebenfalls ſeit 1158
beginnen) und die Koloniſation des Oſtens.
Dieſer Drang in die Weite, der immer Begleiterſcheinung neuer politiſcher
Kräftebildung iſt, greift nun gleichzeitig weit nach Weſten und nach Oſten.
Am 1157 wird der Stahlhof in London als Niederlaſſung deutſcher Kauf⸗
leute zum erſten Male erwähnt, und 1158 erfolgt die Entdeckung Livlands
durch ein bremiſches Schiff, das von Wisby verſchlagen wurde. Von hier aus
wurden weiter Beziehungen geknüpft bis nach Nowgorod, wie nach anderen
Richtungen bis Flandern, Gotland und Bergen. Es kann damit nur ange⸗
deutet werden, wie ſich die Hanſe um die Meere kriſtalliſierte, um das deutſche
Die baltischen Gilden 781
Meer wie um das baltiſche; ja, wie der Eintritt der Oftfeegebiete in das Licht
der Geſchichtsſchreibung und vor allem aber die Entſtehung der baltiſchen
Städte urſächlich und unbedingt mit der Entwicklung der deutſchen Hanſe ver⸗
knüpft iſt, genau ſo wie die neuen baltiſchen Städte einen Weſensbeſtandteil
der deutſchen Hanſe bildeten.
Mit den vielen, bereits geſchilderten Amſtänden waren nun zwar die Vor⸗
ausſetzungen für das Entſtehen jenes eigenartigen Städtebundes gegeben, aber
zum eigentlichen Durchbruch kam die Entwicklung doch erſt durch den Sturz
des Löwen, und zur eigentlichen Entfaltung kam ſie erſt durch die Zuſammen⸗
arbeit mit dem Deutſchen Orden. So ſehr der Löwe den Keim der Entwicklung
gelegt hatte, mußte gerade die Gewalt ſeiner Perſönlichkeit eine freie Ent⸗
faltung des Bürgertums in den Städten ungewollt hemmen; als er ſtürzte,
waren die Bürger plötzlich bar ſeines gewohnten und auch geſchätzten Schutzes,
ganz auf ſich ſelbſt geſtellt, und mußten daher im weiteren Verlauf ihr Schick⸗
fal ſelbſt in die Hand nehmen. Hinzu kam, daß der Notbart in ſeinem Kampf
mit dem Löwen der Stadt Lübeck große Freiheiten und eine Verfaſſung gege⸗
ben hatte, die man faſt republikaniſch nennen konnte; freilich nicht aus grund⸗
ſätzlichen Erwägungen, ſondern aus Zweckmäßigkeitsgründen. Der Zuſammen⸗
bruch der ſtarken ſächſiſchen Zentralgewalt förderte ſchließlich auch die Aus-
wanderung aus Sachſen in die neuerſchloſſenen Kolonialgebiete und damit
die Gründung und das Wachstum neuer deutſcher Städte — vor allem auch in
den baltiſchen Gebieten, die noch ſpäter betrachtet werden ſollen.
Von ganz entſcheidender Bedeutung für die Entſtehung der Hanſe war aber
die Gründung und Tätigkeit des Deutſchen Ordens. Der Deutſche Orden
wirkt wie eine notwendige Entſprechung der Deutſchen
Hanſe; nicht nur durch die gemeinſame Wurzel der Entſtehung im Nieder⸗
deutſchtum, aus bremiſchen, hamburgiſchen und lübiſchen Patriziergeſchlechtern,
ſondern vor allem auch durch die Art des Zuſammenwirkens beider ſo echt
deutſchen Ordnungsformen in dem Lauf der Geſchichte und in dem neuen deut⸗
ſchen Oſtraum. Es iſt ſchwer, beider Verhältnis zueinander auf kurze Formeln
zu bringen; es erſchöpft ſich jedenfalls nicht in ſo einfachen Gegenſatzpaaren
wie Landmacht und Waſſermacht, Ritter und Bürger, Burgen und Städte,
Siedlung und Handel. Tatſache iſt, daß das Zuſammenwirken dieſer beiden
Kräfte für ein großes, geſchloſſenes Gebiet der machtpolitiſche Ausdruck des
Deutſchtums wurde und das Schwergewicht der weltpolitiſchen Entwicklung
hierher verlagerte. Solange Orden und Hanſe zuſammenwirkten, ſtrahlten von
ihnen gemeinſam gewaltige Kräfte aus und war die Vorherrſchaft jedes ein⸗
zelnen von ihnen unbeſtritten — erſt als ſie ſich gegenſeitig befehdeten, ſetzte
der Verfall dieſes gewaltigen Herrſchafts⸗Syſtems ein, das nach einem Aus-
ſpruch Guftav Waſas „Drei gute Kronen“ (Schweden, Norwegen und Däne⸗
mark) als Kramware behandeln konnte, das gleichberechtigt neben die Könige
von England trat, Rußland als Kolonialgebiet betrachtete und die Meere der
damaligen Welt beherrſchte.
Ebenſowenig wie das Verhältnis von Hanſe und Orden zueinander läßt
ſich auch der Aufbau und die innere Verfaſſung der Hanſe ſelbſt ſchildern oder
gar auf eine Formel bringen. Es kommt hier nämlich ganz deutlich das zum
Ausdruck, was wir als eigentlich „germaniſch“ bezeichnen können und was
wir heute noch an dem Syſtem des engliſchen Staates und des britiſchen
Weltreiches bewundern und teilweiſe noch nicht begreifen: die Abneigung
782 Ferdinand Fried. Zimmermann
gegen das niedergeſchriebene Wort, das geprägte Geſetz; den Aufbau eines
Staates, eines Bundes und einer Weltherrſchaft auf Herkommen und Gewohn⸗
heit; ihre Begründung ſchließlich in der Rafie.
Die Entſtehung der Gilden
And nur aus dieſer letzten Wurzel aller Dinge, dem Blut, iſt in dem großen
Rahmen der hanfifchen Ordnung auch die Entſtehung der Gilden und Zünfte
zu erklären, die bereits als eine der weſentlichen Vorausſetzungen für die Ent⸗
ſtehung der Hanſe ſelbſt gekennzeichnet wurden. Da ſie nur aus dem Blut zu
erklären find, müſſen fie ebenſo deutſchen, im engeren Sinne germaniſchen
Arſprungs und Weſens ſein wie die Hanſe, wie der Orden, wie übrigens auch
die Feme und andere Einrichtungen und Kräfte, die ſich damals, nach dem
Zuſammenbruch des Kaiſerreiches, überall in den deutſchen Landen zeigten
und regten.
Der ſtarke Ordnungswille der Deutſchen führte ſchon frühzeitig zur Bildung
von Gemeinſchaften oder Genoſſenſchaften, teils in Anlehnung an die Sippe
als älteſter Arform einer Gemeinſchaft, teils weſentlich über die Sippe hinaus.
Aber ähnlich wie bei der Sippe hatten dieſe Gemeinſchaften, Genoſſenſchaften
oder Bruderſchaften von jeher und urſprünglich einen kultiſchen, wenn nicht
ſogar religiöſen Gehalt. Man tat ſich zuſammen zur gemeinſamen Pflege be⸗
ſtimmter altüberlieferter Bräuche, gemeinſamer Geſelligkeit und vor allem aber
gegenſeitiger Anterſtützung und Beihilfe der Genoſſen. Dieſer kameradſchaft⸗
liche Sinn war wohl immer die Hauptriebfeder des Bundes, wie er ſich auch
nennen mochte.
Es bürgerte ſich bald, beſonders im Norden, hierfür die Bezeichnung
„Gilde“ ein. Gilde bedeutet noch jetzt im Däniſchen ſoviel wie „Gelage“;
man führt es zurück auf „Geld“ — oder gelten, gield, zahlen; alſo ein Gelage
für gemeinſchaftliche Geldbeträge, und Gilde halten heißt Gelage halten.
Hieraus entwickeln ſich die Gelagshäuſer, die gilleſtuwor (Gildeſtuben) in
Skandinavien. Die Verbindung von Gilde mit Gelage wird deutlich, wenn
man ſpäter die Entwicklung der baltiſchen Gilden und ihrer umfangreichen,
peinlich genauen Beſtimmungen über das Gelagsweſen verfolgt. Dabei muß
man ſich aber immer vor Augen halten, daß auch das Gelage früher eine andere
Bedeutung hatte als wir dem Worte heute vielleicht beilegen mögen, daß es
alſo entſtand als kultiſche Handlung, zu Ehren von Göttern und Verſtorbenen;
und daß ſelbſt ſpäter, als ſich das eigentliche Trinkgelage daraus entwickelt
hatte, der urſprünglich kultiſche Gehalt, die umſtändlichen Zeremonien und ihre
tiefere Bedeutung nie ganz verlorenging und dem einzelnen immer wieder zu
Bewußtſein gebracht wurde.
Das gilt ganz beſonders auch nach der Chriſtianiſierung der Germanen.
Wie auf ſo vielen anderen Gebieten auch, wurden zwar chriſtliche Gebräuche
eingeführt, aber im Grunde knüpften ſie an den alten Kultus an und bedeuteten
nichts anderes als eine Abwandlung alter Bräuche, vor allem das Weih⸗
nachtsfeſt und die Faſtnacht — beides wichtige Feierlichkeiten gerade für die
Bruderſchaften und Gilden. Dort, wo kein kirchlicher Sinn unterſchoben
werden konnte, wurden die „heidniſchen“ Bräuche als Volksfeſte umgeſtaltet:
das Maigrafenfeſt und das Bogel- (ſpäter Papageien.) Schießen.
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Große Strandpforte in Reval
Portal des Rathauſes von Pernau
Die baltischen Gilden 783
Der Gemeinſchaftsſinn drängt alſo bei den Deutſchen überall im Mittel-
alter zu beſtimmten Ordnungsformen, ob es auf dem Lande die Dorfgemein⸗
ſchaften find, oder in den neu entſtehenden ſtädtiſchen germaniſchen Gemein-
melen die Gilden, Bruderſchaften oder Innungen. Und es ift für den Fort-
gang der Entwicklung nur zu natürlich, daß dieſe Zuſammenſchlüſſe allmählich
auch immer wichtigere politiſche und wirtſchaftliche Aufgaben übernehmen und
erfüllen müſſen; politiſch in dem Maße, in dem das höhere Gemeinweſen,
etwa die Stadt, einen entſcheidenden Anteil an der Geſamtentwicklung nimmt;
wirtſchaftlich in dem Maße, in dem ſich aus der Autarkie der einzelnen
Bauernhöfe eine größere Verkehrswirtſchaft und ein Tauſchhandel über größere
Räume entwickelt. Die Gilden werden damit zum Träger der politiſchen Ent⸗
wicklung des deutſchen Städteweſens und zum weſentlichen Beſtandteil der
hanſiſchen, deutſchen Wirtſchaftsordnung des Mittelalters.
Zunächſt kommt ein wirtſchaftlicher Zug dadurch in die Gilden hinein, daß
aus der ſelbſtverſtändlichen, unausgeſprochenen gegenſeitigen Anterſtützung
und Beiſtandspflicht der Genoſſen oder Brüder untereinander die wohlgeord-
nete Pflege einer Wohltätigkeit wurde, zu welchem Zwecke ſogar beſon⸗
dere Gilden errichtet wurden, ſogenannte „Tafel gilden“, zur Anterſtützung
verſchämter Hausarmer „von der Tafel“. (Dieſe Tafelgilde beſteht beifpiels-
weiſe in Reval heute noch in der modernen Form der „Hausarmenkaſſe“.)
Aus ſolchen Anſätzen entwickelten ſich dann die Zuſammenſchlüſſe mit immer
ſtärker ausgerichtetem wirtſchaftlichen Zweck, alſo die Gilden der großen Kauf⸗
leute, die Zünfte und Innungen der Handwerker mit ihren Anterteilungen in
verſchiedene Umter.
Nun iſt dieſer rein wirtſchaftliche Zweck ſelten ausdrücklich ausgeſprochen
oder ſchriftlich niedergelegt. Auch hier muß man, wie bei der Hanſe überhaupt,
wie heute noch beim britiſchen Weltreich, die Abneigung gegen die geſetzliche
Niederſchrift von Beſtimmungen berückſichtigen. Freilich enthalten die Schra⸗
gen (die eigentlichen „Verfaſſungsurkunden“) der Gilden und Umter ganz aus⸗
führliche Beſtimmungen über die Aufnahme von Mitgliedern, über das Zere⸗
moniell der Trinkgelage und über die Strafen — auf die noch zurückzukommen
ſein wird —, aber niemals finden ſich Beſtimmungen über rein wirtſchaft⸗
liche Dinge. And trotzdem war der Ablauf des wirtſchaftlichen Geſchehens
beim Kaufmann wie beim Handwerker in jeder Beziehung bis in die kleinſten
Einzelheiten wohlgeordnet, durch Brauch und Gewohnheit, durch Hanſerezeſſe
und Ratsverordnungen, durch kleine Kniffe, über deren Bedeutung wir uns
auf den erſten Blick gar nicht im klaren find, weil wir uns eben bei der
Betrachtung des wirtſchaftlichen Geſchehens an ganz andere Maßſtäbe gewöh⸗
nen müſſen.
Die Gilden und die Zünfte waren die Träger der wirtſchaftlichen Ordnung.
Dabei müſſen wir uns erinnern, daß durch den mittelalterlichen Lebensſtil der
einzelne außerhalb dieſer Gemeinſchaften einfach nicht beſtehen konnte, weder
wirtſchaftlich noch geſellſchaftlich. Der einzelne war alſo tatſächlich gezwungen,
einer Gemeinſchaft anzugehören, ohne daß dieſer Zwang irgendwo ausge⸗
ſprochen oder geſetzlich niedergelegt war und ohne daß der einzelne dieſen
Zwang als ſolchen empfand. Vielmehr war es eine unbewußte Selbſtver⸗
ſtändlichkeit. Der einzelne für ſich galt nichts, die Gemeinſchaft alles.
784 Ferdinand Fried. Zimmermann
Die deutſche Sendung im Often
Wenn in dieſem Rahmen nun die Entwicklung des Gildenweſens in den
baltiſchen Städten betrachtet werden ſoll, ſo muß man ſich vor allem immer
deſſen bewußt ſein, daß dieſe baltiſchen Städte nichts anderes waren als
Pflanzſtätten der Deutſchen Hanſe. Es waren alſo von Anfang
an deutſche Städte im neuentdeckten baltiſchen Kolonialgebiet. Gemein ſam mit
dem deutſchen Ritter brachten der deutſche Kaufmann und der deutſche Hand⸗
werker — als Sendboten der Hanſe — deutſches Kulturgut in ein fremdes,
entlegenes Land mit einer Bevölkerung, deren Kultur auf erheblich niedrigerer
Stufe ſtand. Nitterburgen, Herrenſitze und machtvolle Städte legten fic als
beherrſchende Schicht über ein Land und über Volksſtämme, die von jeher
gewohnt waren, beherrſcht zu werden und die auch nach dem Zuſammenbruch
der deutſchen Herrſchaft immer unter einer fremden Oberhoheit ſtanden, mögen
es nun Dänen, Schweden, Polen oder Ruſſen geweſen ſein. Erſt ein Deut-
ſcher, Johann Gottfried Herder, mußte kommen, um die eigenartigen
jenes Volkstums zu heben und damit auch den Völkern ſich ihres Volks⸗
tums, ihrer Stammeseigenart bewußt werden zu laſſen, ſchließlich alſo ein
eigenes Nationalbewußtſein zu erwecken, das heute gegen das Deutſchtum
zurüdichlägt...
Am die Anfänge deutſcher Arbeit in dieſen Gebieten zu bewerten, muß man
die Pioniertaten der erſten Siedler, Händler, Ritter und Handwerker, die
aus dem ſächſiſchen und anderen niederdeutſchen Gebieten hierher zogen, ver⸗
gleichen mit der Aufgabe, die auch in moderner Zeit noch jedem Pionier in
neuerſchloſſenen Kolonialgebieten geſtellt wird. Kurland und Livland lagen
damals, als das bremiſche Schiff an ihren Geſtaden ſtrandete, für die abend⸗
ländiſche Welt genau ſo weit entlegen und waren von demſelben Schauer der
Ferne und Fremdheit umwittert, wie im 18. und 19. Jahrhundert etwa die
außereuropäiſchen Erdteile. Man befand ſich hier fern von der Heimat, in-
mitten heidniſcher (fremdraſſiger) Stämme und in einem Gebiet von Wäldern,
Sümpfen und Strömen.
Dieſe beſonderen Amſtände haben den beſonderen Charakter der baltiſchen
Hanſeſtädte entwickelt. Im Gegenſatz zu den Hanſeſtädten in den deutſchen
Landen — den wendiſchen, pommerſchen, preußiſchen, ſächſiſchen, weſtfäliſchen,
kölniſchen, märkiſchen, geldriſchen Städten — blieben die livländiſchen, vor
allem Riga, Reval und Dorpat, immer auf kolonialem Boden, in einem frem⸗
den Land, von fremdem Volkstum umgeben. Das rief natürlich eine beſondere
Stärke deutſchen Stammesbewußtſeins hervor und brachte eine beſondere Gtel-
lung der Städte im Laufe der Geſchichte mit ſich: Welche Wechſelſchläge auch
eintraten, wer auch die Oberhoheit des Landes innehatte, immer blieben
die Städte Angehörige der deutſchen Hanſe und damit peut,
ſche Städte; ſie waren immer in erſter Linie deutſche Hanſeſtädte, in
zweiter Linie landesfürſtlich oder biſchöflich, ſchwediſch oder polniſch. Dieſe
ſelbſtverſtändliche Kraft deutſchen Blutes in fremdem Boden ijt bewunderungs⸗
würdig; wir vermögen die überſinnlichen Zuſammenhänge, mit denen der Bund
der Deutſchen Hanſe damals aufgebaut wurde, mit unſerem Verſtand ebenſo⸗
wenig zu begreifen wie das unveränderte, zähe Beſtehen gerade dieſer deutſchen
Pflanzſtädte auf fremdem Boden bis auf unſere Tage, und zwar gerade unter
Bewahrung der alten, deutſchen, ehrwürdigen Ordnungen. Wir könnten es
Die baltischen Gilden 785
nicht erklären, wenn wir nicht heute die Kräfte des Blutes, der Raffe wieder
erkannt haben würden.
Die Eigenart dieſer deutſchen Pflanzſtätten wird noch deutlicher, wenn man
berückſichtigt, daß es fih hier nicht um Bauern handelt, die deutſches Kultur-
gut bewahrten — dann wäre das Land freilich wohl deutſch geworden und
deutſch geblieben —, ſondern um Kaufleute und Handwerker: das iſt
bemerkenswert in der deutſchen Geſchichte, da dieſe ſonſt eher dazu neigen, in
fremdem Volksgut aufzugehen. Aber es handelt fih ja hier um den mittelalter.
lichen, deutſchbewußten Menſchen, der ſich unbewußt von der Stimme des
Blutes leiten ließ und der infolgedeſſen auch von der Kraft der Gemeinſchaft
getragen wurde. Es wird zu zeigen ſein, wie das Deutſchtum in den bal⸗
tiſchen Städten ſeine bewunderungswürdige Leiſtung, vor allem aber die Er⸗
haltung des Deutſchtums bis auf unſere Tage, nur durch die Gemeinſchafts⸗
bindungen bewältigen konnte, und daß daher die Gilden und Bruderſchaften
über ihre ſonſtige Bedeutung hinaus als der eigentliche und ausſchließliche
Träger des Deutſchtums in den baltiſchen Ländern anzuſehen iſt. Nicht der
einzelne hätte dieſe Aufgabe erfüllen können — und er maßte ſie ſich auch gar
nicht an; nicht die adlige Ritterfchaft ſpürte diefe Aufgabe in fih, denn fie
war es, die immer zuerſt bereit war, ſich unter eine fremde Oberhoheit zu
begeben, inſonderheit, wenn ihr eigener Nutzen auf dem Spiele ſtand; aber
das, was ſonſt in den deutſchen Landen den Bauern an ſeinen Boden feſſelte
und ihn zum Bewahrer des Deutſchtums machte, der Odals gedanke,
das wirkte bei dem deutſchen Kaufmann und Handwerker im Oſten in Ge⸗
ſtalt ihrer Gilden und anderer Gemeinſchaften. Die Gilden
wieder als Beſtandteil der Hanſe und die Hanſe als Erwecker und Törderer
der Gilden.
So iſt die Geſchichte der baltiſchen Hanſeſtädte eine Geſchichte ihrer Gilden.
Aber ein ganz kurzer Blick auf den äußeren Ablauf der Geſchichte ſoll geworfen
werden, gleichſam zur Erinnerung, bevor die Entwicklung der Gilden ſelbſt
betrachtet wird.
Das politiſche Geſchehen
Obwohl Bremen, geſchwächt durch aufreibende Kämpfe mit einem macht⸗
lüſternen Biſchof, keine führende Nolle im deutſchen Hanſebunde ſpielte, hatte
doch der Zufall dieſer Stadt die Führung bei der Entſtehung der baltiſchen
Kolonie zugewieſen. Das geſtrandete bremiſche Schiff zog reiſende Kaufleute
und vor allem einen miſſionierenden Biſchof, Albert von Bremen, nach ſich,
und dieſer wiederum ließ den Schwertbrüderorden entſtehen, ein Bruder-
gebilde des Deutſchen Ordens, in den er ſpäter, nach ſeiner Niederlage durch
die Litauer, teilweiſe aufging, während ein anderer Teil fih zum Deutſchritter⸗
orden umbildete, der dann den livländiſchen Ordensſtaat trug, die
Burgen in Riga und Reval beherrſchte und ſich meiſt (gemeinſam mit den
Ständen in den Städten) mit dem Biſchof herumſchlug. So entſtand 1201 an
den Afern der Düna Riga als ſtädtiſche Siedlung, während Reval ſeine
eigentliche Gründung (aber auch nur als Burg, nicht als Stadt!) den Dänen
verdankt, die 1219 vom Biſchof Albert zur Hilfe gegen die Eſten herbeigerufen
wurden. Obwohl dieſe Dänenherrſchaft nur kurz und beiläufig war und die
786 Ferdinand Fried. Zimmermann
Oberhoheit nach einigem Wechſel mit dem Schwertritterorden ſchließlich doch
an den Ordensſtaat überging, und obwohl die eigentlich ſtädtiſche Siedlung
zu Füßen der Ordensburg von Anfang an nur deutſch geweſen war, ſo deutſch
wie Riga, bevorzugt man heute den Namen Tallinn als „Dänenſtadt“.
(Fremdherrſchaft drückt es auf jeden Fall aus!) Dieſe deutſche Stadt Reval
entſtand um 1230 und wurde 1284 mit dem lübiſchen Stadtrecht beliehen. Am
dieſe Zeit ſtehen alſo die führenden deutſchen Hanſeſtädte im Baltikum, Riga,
Reval und auch Dorpat, während Narva lediglich Ordensſchloß und
Ordensſiedlung bleibt.
Der Ordensſtaat als ftaatliche Ordnung des Landes und die mit lübiſchem
Recht (Ratsverfaffung) beliehenen Hanſeſtädte als Ordnung des ftädtiſchen
und gewerblichen Lebens entſprechen einander. Unter dem Ordensſtaat und mit
ihm entfalten die Hanſeſtädte ihre hohe Blüte und ihr reiches Leben im Mittel.
alter. Riga und Reval gehören dann zu den erſten Städten, die die Refor-
mation annehmen; hier beginnt der Einſchnitt der Geſchichte, der zum Verfall
der Hanfe, der Zünfte und Gilden und zum Aufſtieg der jungen National-
ſtaaten führt — ein neuer Abſchnitt in der deutſchen Geſchichte überhaupt nach
dem erſten Abſchnitt des Kaiſerreiches und dem zweiten der Deutſchen Hanſe.
An der Schwelle dieſes neuen Zeitalters ſtehen jene Helden oder Gewalt-
menſchen junger, aufſteigender Nationen, die gerade im niederdeutſchen Naum,
alſo im Gebiet der Hanſe, eine führende und für die Hanſe verhängnisvolle
Rolle ſpielen ſollten: Swan der Schreckliche, Chriſtian von Dänemark, Guftav
Waſa von Schweden, Heinrich VIII. von England und deren Nachfolger über
Guſtav Adolf, Eliſabeth von England bis zum Großen Kurfürſten, Karl XII.,
Auguſt dem Starken und ſchließlich vor allem Peter dem Großen.
In dem alles aufwühlenden Beginn dieſer Wirren, den Geburtswehen der
Nationalſtaaten, im Ruſſenkrieg 1558 bis 1581, ging auch der livländiſche
Ordensſtaat unter. Der letzte Heermeiſter Gotthard Kettler wußte zu retten, was
zu retten war, indem er den Ordensſtaat in ein weltliches Herzogtum „Kur⸗
land und Semgallen“ umwandelte. Aber unter den Anſtürmen der moskowi⸗
tiſchen, halbaſiatiſchen Horden Iwans des Schrecklichen brach das Gebiet den⸗
noch auseinander: ängſtlich ſuchte man nach allen Seiten Schutz unter noch
ſtärkeren nationalſtaatlichen Fittichen, Eſtland hielt zu Schweden, Livland zu
Polen — während nur Kurland als weltliches Herzogtum verblieb, allerdings
auch unter polniſcher Oberhoheit. 1561 unterwirft ſich Reval freiwillig Erich XIV.,
dem Sohne Guſtav Waſas, und damit der ſchwediſchen Oberhoheit; es mußte
nachher zweimal (1570 und 1577) harte Belagerungen durch die Moskowiter
aushalten. Riga dagegen unterwirft ſich 1582 mit Livland dem polniſchen
König — nicht ohne erbitterte innere Kämpfe, bei denen bezeichnenderweiſe
gerade die Gilden aufs heftigſte für das Deutſchtum (gegen den Rat und das
Patriziat) eintreten.
Aber die Verknüpfung der polniſchen mit der ſchwediſchen Krone durch
Sigismund ſtiftet nur neue Wirren, auch Wirren innerhalb der Stadt
(Kalender⸗Anruhenl), in deren Verlauf Riga 1621, alfo nach vierzigjähriger
Polenherrſchaft, ſchwediſch wird — wie Reval ſchon feit 1561. Guſtav Adolf
hält feierlichen Einzug in Riga, der Ausgang des Dreißigjährigen Krieges
begründet die ſchwediſche Vorherrſchaft im Norden und Oſten Europas, und
unter ihr ſetzt ein neues Aufblühen der beiden führenden Städte im Baltikum
Die baltischen Gilden 787
ein: Reval hatte von jeher die engſten Handelsbeziehungen zu Schweden, und
Riga wurde die reichſte und größte Handelsſtadt des Schwedenreiches — vor
Stockholm. Aber der Verlauf der Wirren zeigt aufs neue, daß die Stände ihre
verſchieden gelagerten Belange durchaus zu vertreten und durchzuſetzen gewillt
waren, ſelbſt wenn es gegen das Gemeinwohl des Ganzen und gegen das
eigene Volkstum verſtieß. Die Haltung von Rat und Patriziat von Riga im
ruſſiſchen Krieg wurde bereits angedeutet. Die „gebildeten“ Stände neigten
von jeher zu Polen, ſchon weil man etwas „katholiſierte“, während das Volk
in den Gilden der Stimme des Blutes folgte und für den Anſchluß an das
Deutſche Reich eintrat. Aber jetzt wirkte es ſich verhängnisvoll aus, daß in⸗
mitten des Verfalles der hanfiſchen Macht die Stadt vereinſamt im tolo-
nialen Raume daſtand — und Anlehnung an einen der drei Nationalſtaaten,
Rußland, Schweden oder Polen, ſuchen mußte.
Ahnlich ging es aber nun nach einem kurzen Jahrhundert des friedlichen
Gedeihens der Städte und des Landes der Schwedenherrſchaft: durch die
Maßnahmen der Schweden, insbeſondere Karls XI., fühlt fih der baltiſche
Landadel in ſeinen Belangen empfindlich geſtört. Von ihm gehen die Beſtre⸗
bungen aus, das ſchwediſche „Joch“ wieder abzuſchütteln und möglichſt die
(für den baltiſchen Adel) leichtere, weiche Hand der Polenkönige dafür einzu⸗
tauſchen. Ein hervorragender Vertreter des baltiſchen Landadels, Johann
Reinhold von Patkul, darf fih das Verdienſt zuſchreiben, das Bündnis
zwiſchen Rußland, Sachſen und Polen gegen Schweden zuſtande gebracht zu
haben — und damit einerſeits als „Livonorum juris defensor“, andererſeits
aber auch als Hochverräter bezeichnet zu werden und zu enden. Immerhin: der
Feuerkopf Karl XII. geht in die Falle, die ihm von Peter dem Großen und
Auguſt dem Starken aufgeſtellt wurde. ö
1700 wird Riga von einem ſächſiſchen Heere belagert — Riga, die nieder-
ſächſiſche Gründung —, Karl XII. eilt von Dänemark zur Hilfe herbei und
erringt feinen glänzenden Sieg bei Narva über eine fünffache ruſſiſche ber»
macht. Aber während Karl in Polen und Sachſen, ſeine Kräfte zerſplitternd,
mit ſeinem perſönlichen Feinde Auguſt abrechnet, um nachher bei Poltawa
endgültig zu verbluten, ſetzt ſich Peter mit zäher Verbiſſenheit in den Oſtſee⸗
provinzen feſt, erobert Reval und bringt 1710 Riga zu Fall und damit auch
den Nordiſchen Krieg zum ſiegreichen Abſchluß. Rußlands Eintritt in die
Weltpolitik wurde gleichſam ſymboliſiert durch die Beſitzergreifung der Oſtſee⸗
provinzen und die Oberhoheit über die dortigen deutſchen Städte.
Sowohl Peter, der Liebhaber weſtlicher und deutſcher Kultur, als auch die
folgenden ruſſiſchen Herrſcher und Herrſcherinnen wandten ihre beſondere
Gunſt dieſen deutſchen Städten zu, da fie ihnen als wertvolles Stück abend-
ländiſcher Kultur im eigenen Reiche galten, alſo als Nachweis oder
Aushängeſchild der eigenen Kultur. Wenn auch der Zuſage Peters gemäß das
Deutſchtum in Sprache, Sitte und Gewohnheit geachtet wurde, ſo erlagen die
Einrichtungen doch allmählich dem Zuge der Zeit, dem ſtaatlichen Sentralis-
mus, dem aufkommenden Merkantilismus und ſchließlich dem Kapitalismus.
Erſt die Entſtehung der jungen Nationalſtaaten von 1918 brachte neue Beein⸗
trächtigungen nationaler Art, auf die noch zurückzukommen ſein wird. Immer⸗
hin: aus den deutſchen Hanſeſtädten waren ruſſiſche Provinzſtädte geworden.
788 Ferdinand Fried. Zimmermann
Der wirtſchaftliche Hintergrund
Aber nicht nur politiſch, ſondern auch wirtſchaftlich iſt die Entwicklung der
livländiſchen Hanſeſtädte ein glänzendes Beiſpiel einer Koloniſation durch
eine führende Raſſe, die ſich dadurch führend hält, daß ſie ſich rein erhält.
Die Niederlaſſungen der Kaufleute am Oſtſeegeſtade und am Düna⸗Afer waren
urſprünglich nur vorübergehend gedacht; man kam zur günſtigen Jahreszeit
hierher, kaufte die Erzeugniſſe des Landes ein und brachte ſie auf die heimat⸗
lichen Märkte. In dieſem ſtändigen Wechſel blieben doch einige Kaufleute
ſitzen, ließen ſich ſtändig nieder, Handwerker ſiedelten ſich an und zogen immer
neu aus dem niederdeutſchen Stammgebiet hinzu; aber es iſt bezeichnend, daß
mit der wachſenden ſtädtiſchen Siedlung, mit wachſendem ſtädtiſchen Selbſt⸗
bewußtſein und Verfaſſungsleben nach wie vor die „fremden“, vorübergehend
fih aufhaltenden Kaufleute das Übergewicht hatten über die eingeſeſſenen
Bürger und im ſtädtiſchen Verfaſſungsleben ihnen durchaus gleichgeſtellt
waren. Hierauf ruht auch die Bedeutung der Schwarzenhäupter-Gefellichaften
in den livländiſchen Hanſeſtädten, auf die noch beſonders eingegangen wird.
Dieſe vorübergehenden, bürgerrechtlich aber voll anerkannten Kaufleute
waren das lebendige Bindeglied der Städte zur Deutſchen Hanſe. Die Hanſe
betrachtete ſie zunächſt nicht ſo ſehr als vollwertige Glieder wie als eine
Niederlaſſung, aber mit dem ſelbſtändigen Erſtarken der Städte, mit dem
Wachstum der eingeſeſſenen Bürgerſchaft entwickelten fie fih doch immer mehr
zu einem durchaus ſelbſtändigen Stützpunkt, deſſen wirtſchaftliche Stärke
darauf beruhte, daß er eine Monopolſtellung im Handel mit dem
Hinterlande einnahm. Am das zu verſtehen, muß man ſich die verkehrs⸗
geographiſchen Verhältniſſe jener Zeit vor Augen halten. Die großen Ströme
waren die Schlagadern des Verkehrs, beſonders im Oſten, wo ſonſt viel Wald
und Wildnis war, und wo die Ströme mit ihren ſchiffbaren Nebenflüſſen
wirklich ein ganz gewaltiges Hinterland umſpannten. So entſtanden immer in
den Mündungsgebieten der großen Ströme die großen, befeſtigten Handels-
und Amſchlagsplätze, die monopolartig, auf dem Wege einer natürlichen
Marktordnung, den geſamten Handel eines Stromgebietes beherrſchten. So
beherrſchte Danzig mit der Weichſelmündung das Stromgebiet der Weichſel,
alſo den ganzen Polenhandel; Königsberg das Stromgebiet der Memel,
alfo den Handel mit Litauen; Riga das ausgedehnte Düna⸗Gebiet, alfo
Livland, bis tief hinein nach Rußland, über den uralten Handelsweg der
Varäger zu den Griechen, auch in das Stromgebiet des Dnjepr, über Smolenſk
hinaus. Reval nahm an der Felſenküſte der Oſtſee eine beſondere Stellung
ein, ſeine wirtſchaftliche Stärke beruhte als am weiteſten vorgeſchobener Poſten
auf dem monopolartigen Handel mit der Handelsrepublik Nowgorod und deren
Verbindungen mit dem Innerſten Rußlands und Aſiens.
Während zu Beginn der Entwicklung ganz naturgemäß die Kaufleute die
ſelbſt im Often eingekauften Rohſtoffe auf eigenen Schiffen nach dem Weſten
führten und dort auf die großen Märkte brachten, vor allem nach Brügge, ver-
ſchwand dieſer „Aktivhandel“, je ſelbſtändiger die Städte, je eingeſeſſener die
Bürger wurden. Jede Stadt ſchaltete fih für ihr Gebiet als monopolartige
Amſchlagsſtelle ein; die eigenen Kaufleute hatten allein das Recht, die Rop-
ſtoffe am Arſprungsort einzukaufen und die Einfuhrgüter aus dem Weſten ins
Hinterland wieder abzuſetzen. Später kamen die Bauern und Hinterwäldler
Die baltischen Gilden 789
fogar jelbft auf ihren Struſen nach Riga und lieferten ihre Erzeugniſſe ihrem
ganz beſtimmten rigaiſchen Kaufmann ab. Dieſer verfandte die Güter weiter
zum Weſten, meiſt durch holländiſche Reeder, die wiederum im Laufe der Zeit
die Schiffahrt zwiſchen Oſt und Weſt monopoliſierten. Dieſer Ordnung des
Warenaustaufdes zwiſchen Oft und Weft entſprach es auch, wenn beifpiels-
weiſe in Riga ein ſtrenges Verbot des Gäſtehandels ausgeſprochen wurde.
Kein „Fremder“ durfte ſelbſt bei den Bauern oder auf den Gütern einkaufen,
nur beim rigaiſchen Kaufmann. Das konnte vielleicht hier und da als läſtiger
Zwang empfunden werden (beſonders, nachdem man in den erſten Pionier-
tagen dieſer Kolonialgebiete große Freiheiten kennengelernt hatte), aber für
die Dauer gewährleiſtete es doch eine gewiſſe Ordnung des Handels und vor
allem den ſtetigen Aufſtieg der livländiſchen Hanſeſtädte.
Daß die genaue Kenntnis des Landes, der Bewohner, ihrer Erzeugniſſe
und Eigenarten ſeitens der livländiſchen Kaufleute hinzukam, erleichterte und
rechtfertigte dieſe Ordnung des Handels. Im ganzen waren es nur wenig Güter,
die zwiſchen Oſt und Weſt ausgetauſcht wurden, aber beiderſeitig doch recht
wichtige. Livland lieferte, wie heute noch zum großen Teil, in erſter Linie
Flachs und Hanf, Leinſaat und Hanfſaat, Holz, Korn, Teer, Wachs und
Pottaſche (die in den Webereien Flanderns und des Rheinlandes zur Auf-
bereitung der Tuche gebraucht wurde). Die wichtigſten Einfuhrgüter waren
Salz und Heringe, daneben (ſpäter) Weine aus Spanien, Frankreich und
Rheinland ſowie Tuche. Der ſchwunghafte Handel der Städte war aljo auf
dem ſoliden Boden einer gewiſſen Selbſtverſorgung aufgebaut und hielt auf
dieſe Weiſe ja auch einige Jahrtauſende hindurch.
Im ganzen war die Handelsbilanz (über die man ſich natürlich keine Ge⸗
danken machte) nicht ausgeglichen und aktiv zugunſten Livlands. Der zahlungs⸗
bilanzmäßige Ausgleich erfolgte durch Einfuhr von barem Gelde, Gold und
Silber nach Livland. Die livländiſchen Kaufleute wiederum brauchten dieſes
bare Geld, um damit ihren Kredit- oder Borghandel mit dem Lande durd-
zuhalten, der die Grundlage ihres Geſchäfts bildete. Dieſer Borghandel
darf als eine beſondere Eigenart des Oſtgeſchäftes gelten,
übrigens bis auf den heutigen Tag! Wer auf dem Lande die Bezahlung ſeiner
Warenlieferungen nicht ſtunden konnte, bis der Empfänger ſie mit ſeinen
Erzeugniſſen vielleicht nach Jahren abgetragen hatte, der konnte keine Geſchäfte
abſchließen. Es mußten alſo im Laufe der Zeit beträchtliche Forderungen der
Kaufleute an das Land (Ritterſchaft und livländiſche Bauern) entſtehen, die
natürlich einfroren, alſo in langfriſtige umgewandelt wurden. Der ſtädtiſche
Kaufmann betrachtete ſchließlich diefe langfriſtigen Forderungen als ein feft-
liegendes Geſchäftskapital, das nicht etwa zurückgezahlt werden ſollte, ſondern
das lediglich als Mittel angeſehen wurde, den Schuldner zur dauernden
Warenlieferung und Geſchäftsverbindung mit dem Gläubiger⸗Kaufmann anzu-
halten. Es entſtand alfo ein ganz feſtes Verhältnis zwiſchen Kauf
mann und Lieferanten auf dem Lande; jeder Kaufmann hatte auf dem
Lande ſeinen ganz beſtimmten, feſten Kundenkreis, in den niemand einbrechen
durfte, und der auf beiden Seiten vererbt wurde; der Großkaufmann hatte
ſeine feſten Verbindungen zum Adel, ſpäter beſonders zum hohen pol⸗
niſchen Adel.
Es hatte ſich alſo ein gebundener Handel herausgebildet, den man nur zum
Teil richtig als Bauernhandel bezeichnet, und der ſich ſinnvoll in die bereits
790 Johann von Leers
geſchilderte Ordnung des Handels und der Wirtſchaft einfügte, auch Anſätze
zu einer Art Kreditwirtſchaft zeigte. Denn die Kaufleute führten „Bauern⸗
bücher“, in denen ihre Forderungen an die Adligen oder Bauern eingetragen
waren, und die von anderer Seite wieder beliehen, verkauft oder vererbt werden
konnten. Da zwiſchen Kaufmann und Bauer ein feſtes Kundenverhältnis
beſtand, ſo gaben die Bücher über die „Kreditwürdigkeit“ des Bauern ſofort
Auskunft, bildeten alſo das, was unſere moderne Kreditwirtſchaft gerade auf
dem Gebiete des Agrarkredits bis heute noch nicht erreicht hat, eine Art
Evidenzzentrale oder Kreditkarte. Dieſe Bauernbücher bilden auch in anderer
Hinſicht einen Beitrag zu einer heute noch umſtrittenen Frage, nämlich der
des Erbhofkredits. Die Schulden waren zwar an die Perſon des Bauern
gebunden, wurden aber aus den Erträgen ſeines Hofes geſpeiſt. Das führte zu
der ſelbſtverſtändlichen Folge, daß bei dem natürlichen Erbgang vom Vater
auf den älteſten Sohn dieſer mit dem Hof. aud) die Schulden übernahm.
Andererſeits war es aber auch keine dinglich geſicherte Schuld, für die der Hof
haftete und die vollſtreckt werden konnte, da der Hof nicht dem Bauern,
ſondern einem ritterſchaftlichen Großgrundbeſitzer gehörte. Hieraus entwickelte
ſich alſo ein Mittelding zwiſchen Realkredit und Perſonalkredit, das unſere
Kreditwirtſchaft heute einfach nicht mehr zu erdenken in der Lage ift, anſchei⸗
nend weil die Kräfte des Blutes erſchöpft ſind. Damals waren die Beziehun⸗
gen dadurch zufriedenſtellend geregelt, auch für Jahrhunderte, allerdings auf
der Grundlage einer in ſich een und geordneten Wirtſchaft.
(Fortſetzung im nächſten Heft.)
Johann von Leers:
Die wirtschaftliche Belaſtung des Bauern durch die
karolingiſche Fronhofverfaſſung
Dreifach waren die Abhängigkeiten, in die der einſt freie Bauer zuerſt der
Franken, dann der übrigen germaniſchen Stämme hineingezwungen wurde:
Abhängigkeiten von der Kirche, vom König und von deren Vaſallen.
Dreifach waren auch die Mittel, mit denen die wirtſchaftliche Abhängigkeit
von der Kirche durchgeſetzt wurde. Die urſprüngliche Mitgabe des beſten
Stückes aus dem Beſitz eines Toten wurde in ein pflichtgemäßes Beſthaupt
zugunſten der Kirche verwandelt. Die Auferlegung des Zehnten, bald in der
dreifachen Geſtalt des großen Zehnten von allem Kornertrag des Feldes, des
ſogenannten „Blutzehnt“ von allem neugeborenen und geſchlachteten Vieh,
des kleinen Zehnt von allem, „was Topf und Hafen faßt“, war eine allgemeine
Belaftung des geſamten Landbaues zugunſten des kirchlichen Apparates, die
ſowohl freie wie abhängige Bauern traf.
Die wirtschaftliche Bedeutung des Bauern 791
Schließlich als entſcheidendes Moment fam die erzwungene Aufhebung des
Odalsrechtes und die Auferlegung der Schenkungsfreiheit von Land an die
Kirche auf dem Totenbette hinzu. Bei Franken und Bayern fand eine Ab⸗
ſchichtung in der Weiſe ſtatt, daß der Vater den Hof mit den Söhnen teilte
und ſeinen eigenen Anteil der Kirche ſchenkte, bei Alemannen und Schwaben
lex Alamanorum I, 1) konnte er fogar den ganzen Hof der Kirche übergeben.
ei den Burgundern kann der Vater fogar die Hälfte des Beſitzes ausſon⸗
dern — auch des Landbeſitzes — und der Kirche ſchenken, bei den Thüringern
iſt, nach der Auffaſſung von Brunner, ſogar entſprechend wie bei den Schwaben
und Alemannen es dem Vater freigeſtellt geweſen, das geſamte Erbe der
Kirche zu ſchenken (lex Angliorum et Verinorum hoc est Thuringorum c. 51:
„Libero homini liceat hereditatem suam cui voluerit tradere“).
Die Wirkung war überall die gleiche mit einem ſehr geringen Anterſchied.
Wo, wie bei Alemannen, Schwaben und Thüringern, der ganze Hof der
Kirche geſchenkt wurde, gab diefe ihn in der Form des römiſch rechtlichen
precariums als Bittbeſitz den Erben gegen feſtgeſetzte Leiſtungen zurück. Wo
eine Teilung zwiſchen dem Vater und den Söhnen ſtattfand, wie bei Franken
und Bayern, entſtanden lebensunfähige Zwergwirtſchaften der Söhne, und
dieſe waren gezwungen, bei der Kirche, dem König oder den großen königlichen
Vaſallen um Verleihung von Land nachzuſuchen, das ſie ebenfalls nur in der
Form des precarium bekamen, d. h. als Bittbeſitz gegen Dienſtleiſtungen. In
Bayern entſtand fo der Stand der Varſchalke, die für ihren kleinen Hof noch
„bar“, d. h. frei, für das Kirchen⸗ oder Herrenland aber „Schalke“, d. h.
Knechte geworden waren, und die auch im Wergelde gegenüber den Freien
raſch abſanken. Zur Zeit des Erlaſſes der lex Bavarica betrug das Wergeld
aller von Geburt Freien noch 160 Schillinge; das Zuſatzedikt der lex Bavarica
aber beſchränkte dieſes Wergeld auf diejenigen, die noch in der Lage waren,
ſich für den Krieg auszurüſten — die es nicht mehr waren, alſo gerade die ver⸗
armten Barſchalke, wurden jetzt niedriger eingeſtuft; ſoweit fie keinen Kriegs-
dienſt mehr leiſten konnten, wurden ihnen nur noch 6 Schillinge gewährt; aber
auch diejenigen Barſchalke, die noch Kriegsdienſte leiſteten, verloren das Wer⸗
5 der Vollfreien und wurden auf ein Wergeld von 40 Schillingen herab⸗
geſetzt. |
Die königliche Macht hat bis zum Tode Karls bei allen feftlandgermani-
Iden Stämmen ausgeſchaktet: die Mitwirkung des Volkes und damit der
alten Freibauernſchaften an der Staatsverwaltung durch ausdrückliches Ver-
bot der Volksverſammlungen, die Mitwirkung bei der Geſetzgebung durch
Aufſchreibung und Redigierung der „Volksgeſetze“ in lateiniſcher Sprache und
hat ſchließlich durch die Gewährung von ſogenannten Exemtionen Verwaltung
und Rechtspflege den großen neugeſchaffenen weltlichen und geiſtlichen Grund.
herren überwieſen.
Die geiſtlichen und weltlichen Grundherren wiederum ſind perſönlich in
weitgehendem Maße Träger ſtaatlicher Verwaltungsaufgaben, vor allem der
Grafenämter und des Heerbannrechtes geworden. Auf dieſer Grundlage haben
ſie die Möglichkeit, durch immer wiederholte Aufbietung zum Kriegsdienſt
und auch andere Verwaltungsſchikanen die Freibauernſchaften, ſoweit ſich
ſolche noch halten, mürbe zu machen und ſchließlich zu veranlaſſen, ihren Beſitz
einem Herrn oder Kloſter aufzutragen, von dieſen als precarium zurückzuemp⸗
fangen und Hinterſaſſen der Grundherren zu werden.
Odal Heft 10, Jahrg. 4, Bg. 3.
792 Johann von Leers
Aus diefer allgemeinen Umwandlung des allergrößten Teiles des Odals⸗
bauerntums ergibt ſich eine große Anzahl von Leiſtungen und Abhängigkeiten.
Der Amfang dieſer Leiſtungen iſt in geringerem Maße geſetzlich feſtgelegt,
zum größten Teil in den Verträgen zwiſchen den Grundherren und den ein⸗
zelnen Bauern beſtimmt. Dieſe Leiſtungen ſind außerordentlich vielſeitig und
— was für unſere Anterſuchung entſcheidend iſt — bringen bereits alle Laſten,
die ſpäter auf dem mittelalterlichen Bauern gelegen haben.
Es ſoll hier verfucht werden, jedenfalls einen Aberblick über die ſo geſchaf⸗
fenen bäuerlichen Laſten zu geben, die faſt ein Jahrtauſend das deutſche
Bauerntum bedrückt haben. Ihre Eintreibung erfolgte in der Form der Fron;
hofverfaſſung, d. h. an ein Kloſter, Herrenhof (Fronhof, Salhof), bzw. an ein
Vorwerk des Grundherrn waren beſtimmte Laſten abzuführen, für den Eigen-
wirtſchaftsbetrieb des Fronhofes waren Arbeiten und Dienſte zu leiſten.
Eine geſetzliche Beſtimmung über ſolche Laſten finden wir in der lex
Ba juvarorum I, 13: „Von Hörigen oder Knechten der Kirche, wie fie dienen
oder welche Abgaben ſie leiſten ſollen.“
Hier handelt es ſich um den Ackerzins gemäß der Schätzung des Richters.
Dies aber ſehe der Richter vor: gemäß dem, was einer hat, gebe er; von
30 Scheffeln gebe er 3 Scheffel, und den Weidezins entrichte er nach des Lan⸗
des Brauch. Die geſetzmäßigen Felditüde, d. h. 4 Ruten in der Breite, 40 in
der Länge, die Rute zu 10 Fuß gerechnet, pflüge, beſäe, umzäune, (den Ertrag)
ſammle, bringe und lagere er ein; eine Tonne Wieſe umzäune, (das Gras)
mähe, ſammle und bringe er ein. Von einer Tremiſſe ſoll jeder Bauer 2 Schef⸗
fel Saat herausleſen, ſäen, ſammeln und lagern, und Weinſtöcke ſoll er pflan⸗
zen, umzäunen, umgraben, aufpfropfen, beſchneiden (und) leſen. Vom Lein
folen fie ein Bündel leiſten; von Bienen 10 Gaffer; 4 Hühner, 15 Eier follen
ſie leiſten. Reitpferde ſollen ſie ſtellen oder ſelbſt dahin gehen, wo es ihnen
aufgetragen iſt. Frondienſte mit Wagen ſollen ſie bis zu einer Entfernung von
50 Meilen leiſten; weiter ſollen ſie nicht fahren.
Am die Herrenhäuſer zu unterhalten, zur Wiederherſtellung von Heuſchober,
Kornſpeicher oder Zaun follen fie ihre angemeſſene Teilarbeit übernehmen, und
wenn es nötig iſt, ſie ganz aufbauen. Den Kalkofen ſollen, wofern er nahe iſt,
50 Mann mit Brennholz und Steinen beliefern; wofern er weit iſt, ſollen
100 Mann es ausführen; und zu dem Ort oder zu dem Hof, wo er nötig iſt,
ſollen ſie dieſen Kalk hinbefördern.
Die Knechte der Kirche aber ſollen gemäß ihrem Beſitz Abgaben leiſten.
3 Tage in der Woche tue er Dienſt für die Herrſchaft, 3 aber arbeite er für ſich.
Wenn aber ſein Herr ihm Rinder oder andere Sachen, die er hat, gibt, diene
er ſoviel, wie ihm nach Können auferlegt iſt. Aber niemanden bedrücke man
ungerecht! Schon dieſe Beſtimmung iſt ſehr weitgehend und ſtellt den Amfang
der Arbeiten in das Ermeſſen des Richters, d. h. des Amtmannes der Grund-
herrſchaft. Nicht unrichtig ſchreibt Gfrörer („Zur Geſchichte deutſcher Volks⸗
rechte im Mittelalter“, Schaffhauſen 1865): „Die Einſchränkung, die hinter⸗
drein kommt: tamen injuste neminem opprimas klingt wie Hohn, wie jäm⸗
merliche Heuchelei.“
Die lex Alamanorum gibt eine etwas genauere VBeſchränkung der Abgaben,
aus der ſich aber ergibt, daß das ſpätrömiſche Halbpachtweſen nunmehr auch
in Germanien ſeinen Einzug gehalten hat (lex Alamanorum 22): „1. Kirchen⸗
knechte ſollen ihre Abgaben geſetzmäßig leiſten, nämlich: 15 Maß Vier, ein
Die wirtschaftliche Bedeutung des Bauern 793
Schwein im Werte einer Tremiſſe, 2 Scheffel Brot, 5 Hühner, 20 Eier. 2. Die
Mägde aber follen die auferlegten Dienſte ohne Säumen tun. 3. Die Knechte
folen die Hälfte für fih und die Hälfte für die Herrſchaft unter den Pflug
nehmen; und im übrigen ſollen fie es fo machen wie Kirchenknechte: 3 Tage
für ſich und 3 für die Herrſchaft.“ Dieſes Halbpachtweſen iſt auch vielfach
freien Höfen auferlegt worden, ſo kennen wir zu Hohenſtatt aus dem Gau
Speyer zwei Hufen, von denen die eine 4 junge Hühner, 5 Eier und die Hälfte
des ganzen Jahresertrages an die Grundherrſchaft abführen muß. Immerhin
iſt dieſes Halbpachtweſen nicht ſehr ſtark verbreitet.
Es iſt auch nicht unintereſſant, daß, während die Kirche mit dem größten
Eifer beftrebt war, durch Schenkungen auf dem Totenbett Land in ihren Beſitz
zu bekommen, ſie unter gar keinen Amſtänden Land abgab. Lex Alamanorum
20 beſtimmt: „Kein Prieſter noch irgendein Kirchenhirt habe Gewalt, Kirchen⸗
land zu verkaufen, wenn nicht gegen anderes Land, noch einen Anfreien, wenn
er nicht einen anderen Anfreien wieder erhält; und wenn er einen Tauſch, ſei
es über einen Anfreien oder über Land, macht, ſtelle er immer einen Sicher⸗
heitsbrief aus, damit kein Streit entſtehe noch die Kirche verliere, was ſie
geſetzmäßig beſitzen ſoll.“ Damit war auch der Möglichkeit, daß etwa die
Bauern ſich von der kirchlichen Grundherrſchaft wieder loskauften, ein Riegel
vorgeſchoben. Unter gar keinen Amſtänden gab die Kirche ihr Recht auf das
Land wieder auf. Was ſie hatte, das hatte ſie, und davon ließ ſie nicht ein
Stück wieder los.
Vielſeitig ſind nun die Laſten der Bauern, die auf ihrem einſt freien Beſitz
nunmehr als Prekariſten figen.
Man wird bei dieſen Leiſtungen zu unterſcheiden haben Arbeitsleiſtungen
für die Wirtſchaft des Fronhofes, beſondere Dienſte für die neugeſchaffene
Herrenſchicht auf den Fronhöfen bzw. das Kloſter, und endlich Abgaben aller
Art. Man wird dabei niemals vergeſſen dürfen, daß zu den jetzt abzuſtellenden
Laften der kirchliche Zehnte hinzukommt.
Die Fronden beſtehen in Handdienſten und Spanndienſten. Die Jahres-
fronen ſchwanken zwiſchen wenigen Tagen und unbegrenzt. Die Kloſterurkun⸗
den, vor allem von Prüm in der Eifel und von Kloſter Lorſch, geben ein ſehr
genaues Bild der Belaſtungen. Da ſind die Bauern des Dorfes Nerſten, die
24 Tage im Jahr jede Arbeit leiſten müſſen, außerdem 3 Tage in der Ernte
mähen, 2 Tage Wieſen ſchneiden, 2 Tage Heu ſammeln müſſen. Im Dorfe
Langen haben die Bauern 3 Tage auf dem Salhof zu arbeiten, in Saſſenheim,
Erhardshuſen, Weinheim ebenfalls. Im Dorſe Weinheim beſteht ſogenanntes
Planſcharwerk, d. h. jeder Bauer pflügt jährlich drei Joch, ſät ſie mit herr⸗
ſchaftlichem Saatkorn ein und muß ſie für den Fronhof abmähen. Im Dorfe
Eſchelbach beſteht eine ſechswöchentliche Jahresfron, dazu muß aber jeder Hof
im Sommer zwei Joch und im Herbſt wiederum zwei Joch pflügen. Eine Voll⸗
hufe in Askemundeſtein hat ein Joch zu pflügen. Manchmal iſt die Fronpflicht
ganz unbeſtimmt, ſo heißt es von bäuerlichen Hufen zu Mergenſtadt: „Er
dient, wie ihm vorgeſchrieben wird.“ Für manche Dörfer iſt ſogar der Anteil
des Bauernlandes genau angegeben in ſeinem Verhältnis zum Herrenland.
So ſagt das Lorſcher Zinsbuch: „In Eſchelbach ſind fünf Hufen und vier Joch
Herrenlandes und 15 Knechtshufen“ oder „in Niewenheim iſt anderthalb Hufe
kirchlichen Lehens und 7 Sallandes“, oder auch „in Mannheim ſind zwei
3°
794 Johann von Leers
Hufen, eine Herrenhufe und eine Hinterſaſſenhufe“, „in Gundheim find acht
Hinterſaſſenhufen und 270 Hufen Herrenland.“
Neben den direkten Verpflichtungen zur Ackerarbeit treten zahlreiche Ver⸗
pflichtungen zum Transport. Die Bauern von Eſchelbach müſſen „Wein und
Getreide und was ſonſt ihnen befohlen wird, zum Neckar und zum Rhein
bringen und von dort holen“. Das Kloſter in der Stadt Mainz beſitzt 17
hörige Höfe in der Karolingerzeit, von denen der eine keinen Zins zahlt und
nicht ackert, ſondern zu Schiff für das Kloſter heranholt und wegbringt, was
dieſes ihm aufgibt. Gelegentlich iſt ſogar beſtimmt, was die Bauern heranzu⸗
ſchaffen haben. So muß eine Bauernhufe bei Kandern Eiſen im Wert von
5 Solidi an das Kloſter Lorſch abliefern.
Daneben ſind aber noch andere Leiſtungen zu erbringen. Das Dorf Fran⸗
kenheim hat 2 Hufen, die Töpfe an das Kloſter liefern müſſen, das Dorf
„Haimoniswilree“ muß „Tonnen und Fäſſer“ liefern. Ferner aber beſteht eine
Spinnpflicht der Bauernfrauen für die Grundherrſchaft. Das Lorſcher Zins⸗
buch ſagt, daß eine Hufe zu Mingolsheim jährlich ein sarcile Wollenzeug zu
liefern habe, ebenſo die 22 Hufen im Amtsbezirke Manods, ebenſo 3 Hufen
zu Weilheim.
Gelegentlich liefert die Grundherrſchaft den Stoff und die Frauen müſſen
ihn lediglich verſpinnen. So müſſen die Bauernfrauen der 11 Hufen zu Lor-
bach jede ein Stück Leinwand von 60 Ellen Länge und 5 Ellen Breite ab-
liefern, und zwar an das Kloſter Lorſch, das ihnen dazu den Flachs liefert.
Oft findet ſich beides zuſammen. 16 Hufen in Rietvelden müſſen 11 genau
vorgeſchriebene Stücke Leinwand aus eigenem Lein und 8 aus Herrſchaftslein
— 4 Faſt überall finden wir dieſe Spinnpflicht den abhängigen Dörfern
auferlegt.
Gelegentlich geht dies ſogar ſo weit, daß die Bauernfrauen nicht nur den
Zinsflachs anbauen, abernten, verſpinnen und verweben müſſen — ſondern ſie
müſſen auch noch daraus — Anterhoſen für die Mönche nähen! So ſagt Eäfa-
rius vom Kloſter Prüm: „Die Benediktinerregel erlaubt den Mönchen, wenn
ſie auf Reiſen geſchickt werden, Beinkleider anzuziehen, und die Frauen
unſerer Hinterſaſſen ſind verpflichtet, ſolche Beinkleider aus Zinsleinwand zu
nähen.“ Die Hauptbelaſtung der Fronden aber find doch die Ackerbauarbeiten
auf dem Herrenlande. Sie heißen techniſch corvada (noch bis zur Franzöſiſchen
Revolution corvée). Das Zinsbuch von Prüm gibt uns eine ſehr genaue Dar-
ſtellung dieſer corvada. Manchmal müſſen die Bauernhöfe täglich auf dem
Herrenhof arbeiten oder einen Knecht zur Arbeit ſchicken. So ſagt das Zins⸗
buch: „Es ſind in Wiemesheim 16 Manſi (Höfe), jeder leiſtet ein Schwein
im Wert von 5 Denaren, ein Huhn und 9 Schafe und arbeitet täglich auf dem
Herrenland.“ Daneben gibt es aber auch Höfe in Gembrich, die zwei Tage in
der Woche je zwei Knechte zu ſtellen haben, ferner Höfe, die drei Tage zu
arbeiten haben, wie in Alesheim, gelegentlich auch ſolche, die vier Tage in der
Woche zu arbeiten haben. Unbeftimmte Dienſtleiſtungen ſind 5 Höfen in Ette⸗
lendorf auferlegt, „von dieſen hat Reingerus einen Hof und. arbeitet wöchent⸗
lich, was ihm vorgeſchrieben wird.“
Die corvada iſt im eigentlichen Sinne Pflugarbeit; ſo finden fih gelegent⸗
lich neben ihr auch noch beſondere Verpflichtungen zur Beſorgung der Ernte,
zur Pflege der klöſterlichen Wieſen, zum Weinbau und zum Gartenbau. Der
Gartenbau ift im Gebiet des Kloſters Prüm offenbar im Großbetriebe durch⸗
Die wirtschaftliche Bedeutung des Bauern 795
geführt worden, denn das Zinsbuch bringt eine große Anzahl von Beſtim⸗
mungen folgender Art: „Elemboldus macht einen Acker im Herrengarten
es ſind in Witzſelle 31 und ein halber Hof. Jeder legt im Garten ein Beet
an. . es find in Munichhuſen 5 Höfe, jeder legt im Garten ein Beet an.“
Vor allem ſind Zwiebeln und Lauch in Großwirtſchaft angepflanzt worden,
zum Jäten des Ankrautes wurden ebenfalls die Bauern aufgeboten.
Neben dieſen Ackerarbeiten ſtehen dann noch die Gotenfronden. Faft überall
finden ſich Bauern, die Reit- und Botenpferde für das Kloſter halten müſſen.
„Es find in Ettelendorf 5 Höfe und ein halber; fie ſtellen ein Botenpferd.“
Solche Beſtimmungen ſind zahlreich. Daneben finden ſich noch im Kloſter
Prüm ſogenannte scararii, von denen der Mönch Caeſarius im Zinsbuch
bemerkt: „Schar tun heißt, wenn man dem Abte aufwartet, wenn er es befiehlt,
und ſeine Briefe und Botſchaften an die von ihm genannten Orte trägt.“
Dieſe Scharmänner, die teils zu Fuß, teils zu Pferde, teils ſogar zu Schiff
für das Kloſter reiſen müſſen, ſind dafür gelegentlich von anderen Laſten ent⸗
Laftet. Groß aber kann man fih diefe Entlaſtung kaum vorſtellen, denn das
Zinsbuch gibt an: „Es ſind in Geinheim und Hildensheim 24 und eine halbe
Hörigenhufe; jeder muß ein Schwein im Werte von fünf Solidi, ein Lamm `
zu Oſtern, einen Friſchling, 5 Hühner, 15 Schafe geben und macht Schar mit
ſeinem Pferde nach Prüm und trägt Leinwand bei...”
Wenn der Abt reiſt, müſſen ihm Pferde geſtellt werden, das Gefolge des
Abtes muß aufgenommen werden, und ſein Gepäck muß zur nächſten Herberge
mit Karren oder Pferd transportiert werden.
Neben dieſen scatarii gibt es noch beſondere Laſtträger, die zum Transport
von Laſten herangezogen werden.
Neben dieſen Fronden und dem nie zu vergeſſenden Zehnten ſtehen die
Gülten. Sie beſtehen in der Ablieferung von tieriſchen und pflanzlichen Er⸗
zeugniſſen der Landwirtſchaft. Meiſtens find es Schweine, Läufer, Ferkel,
Lämmer, Schafe, Hühner und Eier. Daneben ſtehen Zugochſen für den Heeres⸗
bedarf. Gelegentlich kommen auch pflichtmäßige Abgaben von Honig vor; dieſe
ſogenannte Zeidlerabgabe iſt aber in Weſtdeutſchland ſelten. Caeſarius von
Prüm erwähnt nur auf einer Stelle ſolche Honigabgaben: „Man muß wiſſen,
daß der Herrenhof zu Alve jährlich 4 Gelten Honig zu liefern hat, ebenſo die
Höfe zu Savern, Salrich, Olmeze und Morlebach je zwei. Dieſer Honig wird
gewonnen aus dem Ertrag der wilden Vienen, welche man in den Wäldern
der Kirche findet; aus beſagtem Honig bereitet man Meth zum Gebrauch der
kranken Brüder und zum Auftiſchen bei Feſten.“ Daneben müſſen Fiſche ge-
liefert werden, vor allem Forellen. Die dazu notwendigen Reuſen hatten die
Bauern ſtets bereitzuhalten und ebenfalls Forellenwehre in den Bächen anzu-
legen. Selbſt Blutegel müſſen geliefert werden, aus den beiden Orten Gein-
heim und Rembach jährlich allein 3040. Bei dieſer guten Ernährung aus der
Arbeit anderer Leute lag bei den Mönchen offenbar der Bedarf, gelegentlich
ſich überflüſſiges Blut abſchröpfen zu laſſen, vor. Dazu kam, daß die dama⸗
lige höchſt unentwickelte Arzneikunde überhaupt gerne mit dem Mittel des
Aderlaſſes arbeitete. |
Neben dieſer Ablieferung von Tieren ſteht die Pflicht zur Mäftung von
ſogenannten „Herrenbeeſtern“, d. h. von Kloſtervieh, das die Bauern aufzu⸗
ziehen haben. Wieder ſagt das Zinsbuch von Prüm: „Iſt die Eichelmaſt nicht
geraten, ſo übernimmt jeder Bauer der 16 Höfe zu Wiemesheim auf Sankt
796 Johann von Leers
Martinstag drei Schweine der Herrſchaft und füttert fie von feinem Eigenen
bis in den Maimonat.“ Das ift eine außerordentlich harte Beſtimmung, da
ja der Bauer für ſein eigenes Vieh auch Futtermangel leidet und trotzdem
noch das aufgedrängte Kloſtervieh dazu ernähren muß. Bei einem Hof heißt
es ausdrücklich: „Wenn von dem Kloſtervieh ein Stück krepiert, muß er es
aus dem ſeinigen erſetzen.“
Neben dieſer Abgabe von Vieh und tieriſchen Erzeugniſſen und der Aber⸗
nahme von „Herrenbeeſtern“ findet ſich eine weitere Abgabe von pflanzlichen
Erzeugniſſen. Hinterſaſſen von Hettingen und Schweich müſſen Senf ablie-
fern, in ſehr großem Amfang wird Wein abgeliefert, vor allem aber liegen auf
zahlreichen Höfen Bierfronden. Hierbei beſteht ein Anterſchied — im Kloſter
Prüm iſt die Brauerei bereits dem Kloſter allein vorbehalten. Es hat ein
eigenes Brauhaus, und die Bauern müſſen, wenn ſie brauen wollen, dort
brauen laffen. In anderen Klöſtern dagegen und bei anderen Grundherrſchaf⸗
ten wird noch daheim gebraut, und wir finden etwa in Kloſter Lorſch mehr
als 100 Höfe, die je 15 Gelten Bier abzuliefern haben. Eine Arkunde vom
Jahre 759 berichtet, daß ein gewiſſer Hetti, ein Freibauer, der Kirche ſeinen
Beſitz in Hagenweil geſchenkt habe und von dieſer als precarium zurück-
bekommen. Er verpflichtet ſich, 30 Ohm Bier, 40 Brote und einen Friſchling
jährlich zu liefern und außerdem drei Tage im Jahr Arbeit zu leiſten. Mhn-
liche Arkunden finden wir zahlreich. Später aber iſt dieſe Bierlieferung in
Abgang gekommen, da die Klöſter ſelber brauten und Vier ausſchenkten, ſo
daß Caeſarius von Prüm ſagt: „Die Camben (eklöſterliche Backhäuſer und
Mühlen“ werfen der Kirche keinen geringen Nutzen ab, ebenſo wie die
len
Für den Betrieb dieſer Brau- und Backhäuſer wurden ebenfalls die Kloſter⸗
bauern aufgeboten. Dieſe Arbeit mußte zum großen Teil nachts geleiſtet
werden. So finden wir zahlreiche Beſtimmungen gerade im Prümer Zins⸗
buch, wo 15 Nächte Arbeit auferlegt worden ſind. Dieſe Arbeit wird beim
Brauen und Backen geleiſtet. Sehr richtig bemerkt Gfrörer: „Erwägt man
alle im Zinsbuche erwähnten, hierher bezüglichen Tatſachen, ſo war der Gang
der Sache dieſer: wollte der Bauer ſein Korn in Brot verwandeln, ſo mußte
er ſich an die herrſchaftliche Mühle wenden, und der Müller behielt dann von
dem Getreide, das der Bauer brachte, als Mahlzins ſo viel zurück, daß er dem
Kloſter jenen Abtrag geben konnte; wollte der Hinterſaſſe Weißbrot oder
Vier anſchaffen, konnte er beides nur in der herrſchaftlichen Cambe und
Brauerei — obgleich Eigentum des Kloſters, wie wir wiſſen, die von Frönern
betrieben wurden — bekommen, und abermals nahmen die herrſchaftlichen Bor-
ſteher der bratsinae und cambae ſolchen Gewinn, daß jener reine Ertrag
herauskam. Hieraus folgt nun: im Prümer Gebiet hatte die Herrſchaft, wie
auch Caeſarius zu verſtehen gibt, ausſchließlich das Vorrecht, Anlagen der er⸗
wähnten Art zu machen, die dortigen Camben, Mühlen, Brauereien waren
gebannte Werke.“
Zu dieſer Nachtarbeit tritt eine weitere, ebenfalls nachts auszuführende Ber-
pflichtung hinzu — der Wachtdienſt. Es findet ſich eine ganze Anzahl von
Höfen, die Nachtwachen ſtellen müſſen, „damit nicht von böſen Leuten Brand-
ſtiftung angelegt wird“. Das deckt ſich mit Kap. 21 des bekannten Capitulare
Kaiſer Karls de villis et curtis: „Anſere Gebäude ſollen dauernd Wachen
haben, damit ſie ſicher ſind.“ Es muß alſo offenbar manch einen dieſer geplag⸗
Die wirtschaftliche Bedeutung des Bauern 797
ten Bauern gereizt haben, aus Rachſucht über die grauenvolle Ausbeutung die
Gebäude in Brand zu ſetzen. Diejenigen Höfe, die Wachen zu ſtellen haben,
ſind verpflichtet, jeden Diebſtahl und jeden Schaden aus eigenem zu erſetzen,
der während ihres Wachtdienſtes dem Kloſterbeſitz angetan wird.
Aber damit ſind die Laſten der karolingiſchen Bauern immer noch nicht er⸗
ſchöpft. Die Höfe müſſen außerdem Holzfuhren aus dem Walde leiſten. Caeja-
rius ſchreibt: „Jeder Hof iſt verpflichtet, nach Prüm ein Klafter, 12 Fuß lang,
7 Fuß breit und 12 Karren füllend zu liefern ... der Kämmerer des Kloſters
nimmt dasſelbe in Empfang und feuert damit die Ofen der Brüder ein von
Allerheiligen bis zum Oſterfeſt, alſo, daß die Räume gehörig warm ſind.“
Daneben muß Zimmerholz, Dielenholz, ja ſogar Kienſpan geliefert werden.
Zur Fütterung der Kloſterſchweine müſſen Eicheln geſammelt werden. Eine
Anzahl von Höfen haben Eichenrinde zum Gerben zu liefern, wieder andere
müſſen neben einer großen Anzahl von Belaſtungen Brombeeren für das
Kloſter ſammeln.
Zu allen dieſen Laſten treten ferner hinzu ſolche Gülten, die gleich dem
Zehnten auf allen Höfen liegen, in erſter Linie die ſogenannte Grabſteuer.
Tür die Beerdigung jedes Bauern muß eine beſondere Steuer bezahlt werden,
von der der Pfarrer ein Drittel, der Abt zwei Drittel erhält.
Neben dieſer Grabſteuer tritt noch das Beſthauptrecht, nicht, wie Gfrörer
meint, eine Erleichterung für die Bauern, da urſprünglich die ganze Erbſchaft
an die Grundherrſchaft gefallen ſei — ſondern vielmehr die Amwandlung der
früheren germaniſchen Grabbeigabe in eine Abgabe für das Kloſter. Kaiſer
Karl hatte ſchon 812 verfügt: „Von einem Mann ſoll die Kirche den beſten
Zugochſen, wenn er ſolchen nicht hat, das beſte Gewand haben, von der Frau
das ſchönſte Kleidungsſtück.. .“ Das hat im Kloſter Prüm fih wohl erhalten.
Caeſarius ſagt: „Wenn ein Hinterſaſſe des Kloſters ſtirbt, ſo gehört das
Beſte, was der Verſtorbene hinterläßt, dem Gutsherrn. Das übrige fällt mit
Erlaubnis des Gutsherrn und des Amtmannes den Angehörigen des Toten
zu. . man muß willen, daß alle Leute des Kloſters, und zwar ſowohl die
eigentlichen Hofbauern als ſolche, welche nur Kopfgeld zahlen, im Todesfalle
die cormeda zu zahlen ſchuldig ſind.“ Dieſe cormeda iſt das Beſthauptrecht.
Faßt man alle dieſe Laſten zuſammen, ſo zeigt ſich zuerſt einmal, daß wirt⸗
ſchaftlich kaum irgendein Anterſchied zwiſchen perſönlich unfreien Bauern und
ſolchen Bauern geblieben iſt, die als freie Leute lediglich Kloſterland als
precarium genommen hatten. Ihre wirtſchaftliche Belaſtung iſt gleich ſchwer,
und praktiſch iſt ein Anterſchied offenbar abſichtlich verwiſcht, wo er noch be⸗
ſtanden haben mag.
Zum Zweiten muß man einmal dieſe ungeheure Anzahl der bäuerlichen
Belaſtungen ſo an ſich vorüberziehen laſſen, um die vielfache Behauptung von
der landwirtſchaftlichen Hebung Deutſchlands durch die Klöſter richtig zu wür⸗
digen. In der Tat haben diefe fih, wie das Zinsbuch von Prüm mit Rlar-
heit ausweiſt, darauf beſchränkt, von ihren Bauern ſo ziemlich alles ſich her⸗
ſtellen und liefern zu laſſen, ſelber aber offenbar gar nicht gearbeitet. Ihre
Tätigkeit war im beſten Falle organiſatoriſch, zum größten Teile paraſitär.
Entſcheidend aber iſt für die ſpätere Entwicklung und wäre noch darzu⸗
ſtellen, wie dieſe Laſten der karolingiſchen Zeit ſich faſt unverändert bis zum
großen Bauernkrieg und über ihn hinaus gehalten haben, ja endgültig erſt den
798 Hans Schirmer
Bauernbefreiungen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts
gewichen ſind.
Summiert man dann aber die Leiſtungen, die aus dem deutſchen Bauern
ein Jahrtauſend für den Anterhalt dieſer karolingiſchen Grundherrſchaften und
Klöſter herausgeholt worden ſind, ſo ergeben ſich einfach unvorſtellbare Sum⸗
men an Werten, und es drängt fih die Frage auf, ob dieſen eine auch mu
einigermaßen entſprechende Gegenleiſtung je gegenübergeſtanden hat.
hans Schirmer:
Frieoͤrich Chriſtoph Dahlmann - ein Mahner und
Künder deutſch⸗germaniſchen Schickſals
Als ſich am 13. Mai 1935 der Geburtstag Friedrich Chriftoph Dahlmanns
zum 150. Male jährte, ging die deutſche Offentlichkeit ſtill und ohne ein
Zeichen der äußeren Anteilnahme darüber hinweg. Nur eine Tageszeitung
brachte einen kurzen Aufſatz. And doch war das 75 jährige Leben dieſes
Mannes ein unermüdliches Ringen um die Erziehung des deutſchen Men-
ſchen, ein immer neuer Kampf um die Bewahrung des deutſchen Volkes, um
die Erreichung ſeiner Sehnſucht: ein Volk und ein Staat zu ſein in nie
zerbrechender Einheit.
Wer Dahlmanns Leben kennt, wird das Schweigen um ſeinen Namen,
wenn er es auch bedauert, doch erklärbar finden, denn er weiß, daß die eigent⸗
liche Wirkung dieſes Mannes nicht nach außen auf den Erfolg gerichtet war,
ſondern in der Stille ihren größten Einfluß entwickelte.
Dahlmann war ein Gelehrter im Grunde ſeines Weſens. Aber er gehörte
noch zu jener alten Schule, für die der Beruf des Forſchers und des Lehrers
zugleich eine Forderung an den ganzen Menſchen enthielt, der die Kraft des
Charakters und die Geradheit der Geſinnung mehr bedeutete als geiſtreiche
Rede und trügeriſche Schärfe des Intellekts, für die Wiſſenſchaft und
Kämpfertum noch keine ſich ausſchließenden Begriffe waren.
Als Politiker blieb Dahlmann der äußere Erfolg verſagt. Er, deffen poli-
tiſche Haltung geprägt worden war in der Zeit der Freiheitskriege, deren
Verpflichtung für ganz Deutſchland ihm doppelt lebendig wurde, weil es ihm
als Gcleswig-Holfteiner und damals noch Antertan der Krone Dänemarks
verſagt bleiben mußte, für ſein Volk mitzukämpfen, er trug dieſe Verpflichtung
durch ſein ganzes Leben. Wenn er politiſch ſcheiterte, ſo geſchah es letzten
Endes darum, um das wirkliche Gewinnen ſeines Kampfes in der Zukunft
möglich zu machen. Am es deutlicher zu ſagen, war ſein Fehler der idealiſtiſche
Irrtum, in den Jahren 1840 — 1848 noch immer dasſelbe Volk vor fih zu
haben, das 1813—1815 das Erlebnis der Volksgemeinſchaft gehabt hatte.
Daran ſcheiterte er, und darum nannte man ihn einen Doktrinär. Weil er
Friedrich Christoph Dahlmann 799
aber feinen Kampfruf immer wieder an jenes Deutſchtum richtete, das in-
zwiſchen „unmodern“ geworden war, bewahrte er das Bewußtſein von deffen
Kraft im Volke am Leben. An ſeiner Treue iſt Dahlmann äußerlich geſcheitert
— wir aber wiſſen, durch diefe Treue hat er endlich geſiegt.
In den vergangenen Jahrzehnten unſeres politiſchen wie auch wiſſenſchaft⸗
lichen Lebens wurden die Werte der Treue und des Charakters leider nur
gering geachtet, und darum gelang es auch nicht, das Bild dieſes „erfolg⸗
loſen Politikers“ und „politiſchen Wiſſenſchaftlers“ in ſeiner eigentlichen Be⸗
deutung zu bewahren. Jahrzehntelang hat ſich die Wiſſenſchaft der geiſtes⸗
geſchichtlichen Entwicklungsgeſchichte darüber geſtritten, ob dieſer Mann mehr
ein „konſervativer“ oder mehr ein „liberaler“ Politiker geweſen ſei und durch
welche geiſtige Strömungen ſein Denken beeinflußt worden ſei. Eine neue
junge Hiſtorikergeneration findet hieran keinen Geſchmack mehr; ſie hat einen
neuen Maßſtab, um Geſtalten der Vergangenheit zu meſſen und damit einer
Perſönlichkeit wie Dahlmann allein gerecht zu werden. Wir fragen nach der
Haltung ſeines Lebens, nach den Hintergründen ſeines Wollens, wir wiſſen,
daß er in dem äußeren Erſcheinungsbild, um einen geläufigen Begriff der
Erblehre zu verwenden, bedingt ſein muß durch ſeine Amwelt, durch die Zeit,
in der er wirken mußte — was für uns aber entſcheidet, das iſt das Erbgut,
das raſſiſch bedingte Weſen, oder wenn wir es in die Ebene der geſchichtlichen
Arteile übertragen: die befondere Artung feines Denkens und fein Bewußtſein
der Werte, für die er fich freudig einſetzte.
: Gemeſſen hieran, feben wir in Dahlmann einen Kämpfer, der uns im
Innerſten weſensverwandt iſt, deſſen ganzes Leben die ungebeugte Gradheit
ſeines nordiſch⸗germaniſchen Charakters ſpiegelt. And darum iſt es gut, wenn
wir uns heute auch dieſes Mannes wieder entſinnen und damit beginnen, eine
Dankesſchuld gegen unſere Vergangenheit abzutragen, in der ſich immer wieder
Männer fanden, die es auf ſich nahmen, im äußeren Leben zu ſcheitern, und
die dadurch uns Späteren unerſetzliches Charaktergut bewahrten.
Dahlmanns geſamter Lebenskampf war ein Einſatz für die großen national-
politiſchen Ziele des deutſchen Volkes, die zu ſeiner Zeit noch nicht reif waren
zur Vollendung, die aber heute bereits zu den ſelbſtverſtändlichen Grundlagen
unſeres Seins zählen.
Als junger Gelehrter verfocht er ſiebzehn Jahre lang die Rechte der
vereinigten Herzogtümer Schleswig⸗Holſtein gegen den Anumſchränktheits⸗
anſpruch der däniſchen Krone. Er focht gegen das Dänentum wie gegen die
volksfremde dynaſtiſche Intereſſenvertretung am Frankfurter Bundestag, für
das Eigenleben und die Freiheit der nördlichſten Grenzmark unſeres Vater⸗
landes. Aus dieſem Kampf erwuchs die deutſche Freiheitsbewegung im Nor⸗
den, der Dahlmann auch in ſeinem ſpäteren Leben treu blieb.
Im Jahre 1848 betrat er als Abgeordneter des Kreiſes Segeberg die Frant-
furter Nationalverſammlung, und um der Treue willen zu Schleswig⸗Holſtein
wurde er der Hauptverantwortliche für die Bloßſtellung der ganzen Schein⸗
macht und politiſchen Schwäche der Bundesverſammlung im Arteil der Offent⸗
lichkeit. So ungern er der guten Sache, an die er geglaubt hatte, ſchadete, ſo
willig nahm er das perſönliche Anglück eines völligen parlamentariſchen Miß⸗
erfolges in Kauf. Er ging unbeirrt ſeinen Weg, auch wenn er wußte, daß er
ohne Erfolg enden würde.
800 Hans Schirmer
Nachdem Dänemark verſucht hatte, Schleswig feinem Königreich einzuver⸗
leiben, hatte ſich 1848 in den Herzogtümern die deutſche Volksbewegung er⸗
hoben. Die Nationalverſammlung hatte Schleswig in den Deutſchen Bund
aufgenommen. Preußen war in Holſtein unter Wrangel einmarſchiert, aber
trotz der großen militäriſchen Erfolge ſchloß der preußiſche Staat, unter dem
Druck der Großmächte, den Waffenſtillſtand von Malmö ab und ließ die
Freiheitskämpfer im Stich. Die Reichsregierung der proviſoriſchen Zentral-
gewalt hatte entgegen ihrer vorherigen großen Worte zugeſtimmt. Es blieb
nur die Berufung an das Parlament als Ausweg, um Preußen durch den
moraliſchen Druck einer Abſtimmung zu zwingen, weiterzukämpfen. Den tat⸗
ſächlichen Verhältniſſen nach hätte aber die Nationalverſammlung, ohne Heer
und ohne Möglichkeit, aus eigenem Willen Krieg zu führen, oder auch Preu⸗
ßens Entſchlüſſe nur zu beeinfluſſen, nichts anderes tun können, als dem Ver⸗
trag von Malmö zuzuſtimmen. Das wäre das Gebot der politiſchen Klugheit
geweſen. Dahlmann aber folgte feinem geſchichtlichen Verantwortungsbewußt⸗
ſein gegenüber dem Geſamtſchickſal des Volkes, und darum konnte er auf die
Intereſſen des parlamentariſchen Anſehens keine Rückſicht nehmen. Er ſetzte
die Abſtimmung durch — in den Augen der Politiker eine Dummheit —, in
den Augen der Volksgeſamtheit jedoch die Tat eines heroiſchen Willens zur
Selbſtbehauptung, nicht nur für den Augenblick der zufälligen Gegenwart,
ſondern für alle Zukunft. Nur durch dieſe Treue blieb die ſittliche Wider⸗
ſtandskraft der Herzen im Norden ungebrochen, auch als ſie äußerlich ver⸗
laſſen, ohne die militäriſche Hilfe Preußens, nur nicht im Stiche gelaſſen
von dem ehemals preußiſchen General von Williſen, nach tapferer Gegenwehr
von den Dänen beſiegt wurden.
In dem entſcheidenden Augenblick der Abſtimmung in der Paulskirche, als
es galt, nach der Gewinnung des verſammelten Ausſchuſſes nun noch die Boll-
verſammlung mitzureißen, zeigte ſich die ganze Stärke der unbeugſamen
Gradheit von Dahlmanns Weſen und ſein Verantwortungsgefühl gegen die
große geſamtdeutſche Gemeinſchaft. Dieſes waren die Schlußworte der
großen Rede, in der er das Gewiſſen der Nation anrief:
nee Iſt nicht die ſchleswig⸗holſteiniſche Sache eine deutſche? And fo laffen
Sie mich denn ſagen, was noch ungleich mehr, noch ungleich ſchwerer in dem
verſammelten Ausſchuß gewogen hat als Schleswig⸗Holſtein: Es war der
Hinblick auf unſer geſamtes deutſches Vaterland! Dürfen wir unſere neue
Laufbahn mit dem Bruche der heiligſten Zuſagen beginnen? Dürfen wir
unſere Landsleute, unſer eigenes deutſches Fleiſch und Blut, dem ſicheren
Verderben überliefern, der Rachfucht ihrer haßerfüllten däniſchen Feinde ..
Anſere eigenen Landsleute dem Antergange zu überliefern, das iſt es, wozu
ich den Mut nicht beſitze, und darum eben bin ich fo mutig! ... Unterwerfen wir
uns bei der erſten Prüfung, welche uns naht, den Mächten des Auslandes
gegenüber, kleinmüthig bei dem erſten Anblick der Gefahr, dann, meine Herren,
werden Sie Ihr ehemals ſtolzes Haupt nie wieder erheben! Denken Sie an
dieſe meine Worte: Nie! Zwar gewiß nicht die Deſpotie, davor bin ich ſicher,
aber die Anarchie wird in dieſen Räumen herrſchen und darüber hinaus, und
die werden fallen, welche jetzt in ihrem Wahne glauben, ſie triumphierten
über uns. Ich habe geſprochen.“
Bei der Abſtimmung wandte ſich ſeine Partei gegen ihn, er ſiegte mit
17 Stimmen Mehrheit nur durch die Hilfe der Radikalen Linken, deren
Friedrich Christoph Dahlmann 801
welſches Weſen er verabſcheute. Darum weigerte er fih auch, mit diefen eine
Regierung zu bilden. Eine zweite Abſtimmung machte den erſten Entſchluß
rückgängig.
Dahlmann hatte den Kampf verloren, Schleswig-Holftein aber hatte er für
Deutſchland erhalten. Nicht ein parteipolitiſches Programm, ſondern ſeine
ei deutſche Aberzeugung hatte er vertreten gegen eine Welt von Wider-
en
Es war dasſelbe Handeln nach der inneren Notwendigkeit, das ihn 1837
als den Führer der Göttinger Proteſtanten auf den Kampfplatz gerufen hatte.
Auch damals opferte er ſeine deeg private Exiſtenz in dem Kampf für die
Treue, in echt germaniſchem Weſen, für die Treue zum eigenen Schwur, und
auch hier wollte er kein anderes Glück, als das ſeines Volkes. Als er 1838,
ein vertriebener Mann, ohne Möglichkeit der Wirkung in Deutſchland, einen
Ruf als Profeſſor an der Aniverſität Baſel erhielt, lehnte er es ab mit fol-
gender Antwort: „Ich will ſo viel als möglich kein beſſeres Schickſal haben als
mein Vaterland und mich in der Citadelle ſo lange es geht behaupten.“
In Hannover war 1837 König Wilhelm IV. geſtorben. Dieſer hatte ſeinem
Staat eine Verfaſſung und ein Hausgrundgeſetz gegeben, auf die das Volk
und der Gurt vereidigt worden waren. Sein Nachfolger, der Herzog Ernſt
Auguſt von Cumberland, aber gedachte nicht, die Bindungen der beſtehenden
Rechtsverhältniſſe auf fih zu nehmen, ſondern wollte als unumſchränkter
Herrſcher von Gottes Gnaden ohne Berufung und Beſtätigung ſeines Land⸗
tages regieren, ja, er forderte von ſeinen Beamten einen Eid auf ſeine Regie⸗
rung, die er ohne Rechtsgrundlage angetreten hatte.
Dieſen Eid verweigerte Dahlmann und mit ihm die Brüder Jacob und
Wilhelm Grimm, ſeine Freunde, ſowie vier andere Göttinger Profeſſoren,
Gervinus, Albrecht, Ewald und Weber. Dahlmann, Jacob Grimm und Ger-
vinus mußten das Land innerhalb dreier Tage verlaſſen.
In dem Kampf, den er zu ſeiner Rechtfertigung führte, iſt uns die ganze
Kraft ſeines nordiſchen Weſens offenbart. Wenn auch die Tat als ſolche
ſpäter von ungeheurer politiſcher Wirkung wurde — als Flammenzeichen
leuchtete ſie in die Verhältniſſe der deutſchen Politik, nicht weil ſie aus einer
politiſchen Intereſſenvertretung heraus geboren war, ſondern weil ſie ein
Mahnruf war an die Grundkräfte der eigenen Art unſeres Volkes.
Die unzertrennliche Einheit von Menſch und Lehre hatten die Männer
bewieſen, wenn fie ihrem ungetreuen Fürſten entgegenhielten: „... Das ganze
Gelingen ihrer (der unterzeichneten Profeſſoren) Wirkſamkeit beruht nicht
ſicherer auf dem wiſſenſchaftlichen Wert ihrer Lehren, als auf ihrer perſönlichen
Anbeſcholtenheit. Sobald ſie vor der ſtudierenden Jugend als Männer erſchei⸗
nen, die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben, ebenſobald iſt ihre
Wirkſamkeit dahin.“
Die Handlung ſelber verteidigte Dahlmann in einer kleinen Schrift „Zur
Verſtändigung“, die er in Baſel drucken laſſen mußte. Hier ſpricht er ſeine
Überzeugung nochmals aus: „Die Proteſtation ... iſt von Grund auf eine
Proteſtation des Gewiſſens, welches ſich keine pflichtwidrige Handlung auf⸗
dringen laffen will; nur durch ihren Gegenſtand ift fie eine politiſche Pro-
teftation... Die Tendenzen der franzöſiſchen Revolution find die unferen
nicht. Das iſt auch kein franzöſiſcher Liberalismus, daß wir dem drohenden
Gewiſſenszwange ... vorzubeugen geſucht haben... Ich will mich nicht beffer
802 Hans Schirmer
machen als ich bin; aber ſchweigend die Zerftörung aller menſchlichen Ordnung
zuzuſehen, nur zu beten und zu ſeufzen, wo noch geſetzliche Mittel bleiben,
oder zu ſagen wie ein Beamter des Landes: Ich unterſchreibe alles, Hunde
ſind wir ja doch!“ halte ich des Mannes, des Chriſten für unwürdig. Ich
kann keine Revolution hervorbringen, und wenn ich's könnte, tät ich's nicht;
allein ich kann ein Zeugnis für Wahrheit und Recht ablegen gegen ein
Syſtem der Lüge und der Gewalttätigkeit, und ſo thu' ich. Ehemals wurde
die Tapferkeit zu den chriſtlichen Tugenden gezählt. Das Rittertum ergriff
den Glauben ganz von dieſer Seite, die Geiſtlichkeit lehrte nicht bloß dulden,
ſondern auch kämpfen für die höchſten Güter
Jedes einzelne dieſer Worte iſt uns ein ſchönes Bekenntnis ſeines Kämpfer⸗
tums, und es wirft zugleich ein Licht auf feine Auffaſſung der Reli-
gion und des Chriſtentums, von dem er bei der Schilderung ſeiner Anfänge
im germaniſchen Norden einmal ſagte: „Denn Beeiferung zur Tat ging da⸗
mals durch das Chriſtentum, welches jetzt nach tauſend Jahren zum ſiechen
Kinde geworden iſt, das in Baumwolle verpackt in der Ofenwärme rütet,
in den rauhen Wind des Lebens nicht hinaus ſich wagen darf.“ (Geſch. v.
Dän. I S. 41.)
Als ſich Dahlmann auch für die Verſtändigungsſchrift rechtfertigen mußte,
ſprach er aus, was ihm als das höchſte Gut galt — höher als Vorteile, Glück
und bürgerliches Leben: „Mir iſt Luſt an Verläumdung ſo fremd wie ſchrift⸗
ſtelleriſcher Vorwitz. Als ich mich am 5. Januar zum Schreiben niederſetzte,
ein durch Machtſpruch entſetzter und verbannter Mann, der nicht an Ort und
Stelle die Quelle nachprüfen konnte, tat ich das, um aus d en Trümmern
meines Glücks meine Ehre zu retten.“
Aber Hannover ſelber und die anderen, die ſich nicht gescheut hatten, ihrem
Wohlergehen die Ehre zu opfern, ſagte er nur kurz: „Hannovers Zukunft
mögen andere deuten. Ich traue nicht dem Mut der Liebeloſen und nicht der
Liebe der Mutloſen. Hier gilt es Deutſchland.“ In einem Brief an Wilhelm
Grimm aber, vom 8. Dezember 1837, ſagt er deutlicher, wie er im Herzen
fühlt und was er von ſeinem Volke verlangt: „Man kann einzelne Rechte
aufgeben, um der Ruhe und des Friedens willen; aber das ift ein verächt-
liches Volk, das ſich ſeinen Rechtsboden zertrümmern läßt, ohne daß er mit
ſeinem Blute überſchwemmt iſt. Das iſt die einzige Hoffnung unſerer Zeit,
daß alle Schande deutlicher als je ans Licht tritt.“
Wer von uns heute muß bei dieſen Worten nicht an das ungleich ſchwerere
Schickſal unſerer Tage denken — an die Novemberverbrecher — an Verſailles
— die ganze Not unſeres Volkes 1918—33. Heute aber erft können wir das
Kämpfertum dieſes Mannes ganz begreifen und uns zu ihm bekennen.
Das unbewußte Gefühl des Volkes für die eigentliche Bedeutung von
Dahlmanns Tat hat ihrem Sinn auch in gewiſſer Giele Rechnung getragen,
denn im Gedächtnis der meiſten Deutſchen lebt er heute noch immer als einer
der „Göttinger Sieben“. Aber leider war bisher mit dieſer Erinnerung zu⸗
gleich eine parteipolitiſche Amdeutung verbunden, und in dem Kampfe der
politiſchen Parteimeinungen wurde Dahlmann zum Vorkämpfer des Libe⸗
ralismus ſchlechthin geſtempelt und ſeine Tat in der Richtung jener ausge⸗
münzt, die ihm ſelber innerlich am fernſten ſtanden. Denn gerade mit der
Richtung des weſtlichen artfremden Liberalismus, der immer mehr in Deutſch⸗
land Fuß faßte, wollte Dahlmann Zeit ſeines Lebens nichts zu tun haben,
Friedrich Christoph Dahlmann 803
wie er dann ja auch 1848 in der Paulskirche bewies. Er bekämpfte ihn viel-
mehr aus ſeinem germaniſchen Bewußtſein auf das ſchärfſte.
Wohl aber war Dahlmann „Liberaler“, inſofern er eintrat für die Grün⸗
dung eines deutſchen Volksſtaates, der einheitlich „König und Volk gleicher-
maßen“ enthalten ſollte. Er kämpfte für die Selbſtverwirklichung der deut⸗
ſchen Nation und glaubte den Weg zu ihr nur über das Volk und feine
Freiheit, garantiert in einer Verfaſſung, finden zu können. Als Vorbild hierzu
ſah er aber nicht die franzöſiſche Demokratie, fondern die germaniſche Volks-
freiheit, deren Fortentwicklung er in England erkennen zu können glaubte.
Der Erforſchung der Arform germaniſchen Gemeinſchaftslebens, nach der
er die Gegenwart geſtalten wollte, war die geſamte wiſſenſchaftliche Arbeit
ſeines Lebens gewidmet. In den Jahren, als er in Jena in der Verbannung
ſtill arbeitete, ſchuf er die große dreibändige „Geſchichte von Dänemark bis
zum Zeitalter der Reformation”. In dieſem Werk ſetzt er ſich vor allem mit
der germaniſchen Staatsform des frühen Mittelalters in Dänemark, Nor-
wegen und beſonders ausführlich in Island auseinander. Wie er ſelber ſagt,
ſuchte er damit: „in der Geſchichtsſchreibung eines germaniſchen Staates die
Ster 7 auf, in welchen die neuere Menſchheit ihren Frieden zu finden
hoffen da
Es iſt hier nicht der Ort, um auf ſeine beſonderen verfaſſungsrechtlichen
Forderungen und Konſtruktionen einzugehen, eines aber kann uns das Wiſſen
um ſeine Grundlagen deutlich machen: jene „liberalen“ Strömungen nach den
Freiheitskriegen bargen in fih die Keime zu einer echten deutſchen Grei-
heitsbewegung, bevor ſie unter dem Druck der Reaktion und unter dem
Einfluß des franzöſiſchen „Vorbildes“, das vor allem im Südweſten Deutſch⸗
lands geprieſen wurde, verfälſcht wurden. Im Norden aber ſuchte ſich eine art-
eigene Form der Selbſtbeſinnung durchzuſetzen, anknüpfend an dem germani-
ſchen Erbgute, aber behindert in der politiſchen Entwicklungsmöglichkeit durch
das Gebundenſein an die philoſophiſchen Theorien des klaſſiſchen Idealis⸗
mus. Dahlmann war der eigentliche. Vorkämpfer dieſer Richtung, und wenn
er auch noch zu ſehr an die Kraft und Selbſtverwirklichung der „Bildung“
4 ſo war ſeinem nüchternen Sinn doch jede wirklichkeitsfremde Geiſtig⸗
eit fern.
Im Norden Deutſchlands fah er eine lebendige germaniſche Tradition wei-
terleben, an deren Wirklichkeit er ſtets die theoretiſchen Forderungen meſſen
konnte: das freie, ſelbſtbewußte Bauerntum. Aus dieſem ſtarken Bauerntum
ſchöpfte er den Glauben an die . Lebenskraft germaniſchen We⸗
ſens, dieſem freien Bauerntum, vor allem Dithmarſchens, galt ſeine ganze
Liebe. In ihm fab er germaniſches Blutserbe lebendig fortwirken — ein Blut-
erbe, das ungebrochen ſich ſelber aufrecht erhalten hatte durch die Jahrhunderte
hindurch —, trotz aller Verfolgungen, die es immer wieder überdauern konnte,
weil es ſich niemals ſcheute, den Sinn des eigenen Lebens mit dem eigenen
Lebensblut zu befiegeln.
Die Freiheit, die zn, erkämpfen wollte, war kein franzöſiſches Lehn⸗
wort, ſondern ſchon 1815 rief er in ſeinem „Wort über Verfaſſung“ altes,
germaniſch⸗deutſches E Erbe an, er beſchwor die „Sachſenfreiheit“, von der er
glaubte, daß ſie denſelben harmoniſchen Entwicklungsgang zu einer in ſich
vollendeten Blüte durchlaufen hätte, wie es den glücklicheren Brüdern der An⸗
geln und Sachſen in England möglich war, ohne die Dazwiſchenkunft des
4
804 Hans Schirmer
Frankenkaiſers Karl. Aber die Sachſenkriege ſagte Dahlmann ſpäter in der
däniſchen Geſchichte: „dreißig Jahre lang tränkte Karl das weite Sachſenland
mit Blut und verkündigte nach dem Beiſpiel der Kalifen, aber weniger ent-
ſchuldigt, die Religion der Chriſten mit dem Schwerte.“ In der früheren
Schrift aber bekennt er ſich zu dieſen Sachſen und ihrer Art: „Der vorige Zu⸗
ſtand (vor Karls Kriegen), wenn auch nicht ſonderlich fortbildend, war ſo
glücklich und in ſich gerundet, ſo der eigene Bürge ſeiner Freiheit geweſen,
daß die Sachſen ſich nicht daran gewöhnen mochten, einen weit entlegenen
Mittelpunkt als den ihren zu betrachten und für eine Geſamtheit mitzuwirken,
welche ſie aus ihrem inneren und äußeren Gleichgewicht geriſſen hatte.
Daher ſooft ſie auch in den Edikten Karls die lieben Getreuen (fideles
Saxones) heißen, jie nannten, jagt man, den Würger ihrer Jugend, der Tau-
ſende ihres Volkes in die Ferne verpflanzt, ihre alten Götterhaine ausgerottet
hatte, nur den häßlichen Schlächter (aiskena slaktenare).“
Der Wiedererweckung alten germaniſch⸗nordiſchen Geſchichtserbes galt
Dahlmanns Streben, und nur dann kann man das ureigenſte Weſen dieſes
Mannes wirklich begreifen, wenn man ihn nicht nur in der äußeren Bedingt⸗
heit der wenigen Augenblicke ſieht, in denen er „hiſtoriſch handelnde Perſon“
war, ſondern wenn man begreifen lernt, woher die Quellen ſeiner Kraft floſſen.
Das ganze Werk über die däniſche Geſchichte iſt eine Auseinanderſetzung
mit dem Germanentum, das für ihn, wie er hier beweiſt, immer nur zugleich
Heldentum und Bauerntum ſein konnte. In dieſem Buche, geſchrieben mit
größter wiſſenſchaftlicher Genauigkeit und kritiſcher Benutzung der altnordi⸗
ſchen Quellen einſchließlich der Sagaliteratur für Island, legte er zugleich
einen der Grundſteine unſerer nordiſch⸗germaniſchen Forſchungen. In beinahe
verwirrender Fülle von Einzelheiten und Charakterſchilderungen entwirft er
das Bild der großen germaniſchen Vergangenheit, in der es der Kraft einer
Gemeinſchaft von freien Bauern und einer ſtarken Führung gelang, ein Reich
aufzurichten, das alle nördlichen Meere umſpannte. In der geſamthiſtoriſchen
Aberſchau wird uns heute das Buch in vielem eng und manchmal beinahe
annalenmäßig vorkommen, aber trotzdem wird es uns lieb durch die herbe Auf⸗
richtigkeit ſeiner Urteile und die Kraft ſeiner Zu- und Abneigungen.
Dahlmann will darſtellen die ungebrochene Volkskraft und verfolgt im
Wechſel der Staatsentwicklung des Nordens vor allem die ſeinen Zielen nahe⸗
liegende Frage der „Volksfreiheit“. Er gibt eine genaue Schilderung der Land⸗
und Gerichtsordnung, zeigt die bäuerliche Wehrordnung, ihre Hof⸗ und Dorf⸗
gemeinſchaften, und ſchreibt damit zugleich eine germaniſche Kultur⸗ und
Sittengeſchichte. Vor allem bei der Schilderung Islands geht er auf alle Cin-
zelheiten des germaniſchen Lebens ein. |
Er fegt fih auch ausführlich mit der alten Form des Götterglaubens aus-
einander, indem er mit Jacob Grimm, dem Freunde, für ſeine Echtheit und
ſittliche Höhe eintritt. Immer wieder fühlen wir ſein Bemühen, der großen
germaniſchen Vergangenheit gerecht zu werden und ſie von den Entſtellungen
einer falſchen Aberlieferung zu reinigen. Im Mittelpunkt des nordiſchen Men⸗
ſchentums ſteht immer für ihn unzertrennlich verbunden damit das Bauerntum.
Ja, man könnte dieſe „Geſchichte Dänemarks“ eine Geſchichte des nordiſchen
Bauerntums nennen. |
Wir ſpüren Dahlmanns Freude, wenn er von einem gelungenen Aufſtand
der Bauern berichten kann, oder von ihrem Kampfe gegen das Zölibat der
Friedrich Christoph Dahlmann 805
Geiſtlichkeit, „um Frauen und Töchter vor ihnen ficher zu ſtellen“ (Geſch. v.
Dän. I, S. 240). In der Folge von drei Kapiteln des dritten Bandes erleben
wir, „Wie es mit dem alten Volksſtande der däniſchen Bauern rückwärts
ging“ — das nächſte Kapitel trägt die Aberſchrift „Schmählicher Antergang
der Bauernwohlfahrt“. In der Schilderung des allgemeinen Verfalls von
Dänemark unter der immer ſtärker wachſenden Adelsherrſchaft gibt Dahlmann
als ein Gegenbeiſpiel geſunder Kraft und ſtaatsmänniſcher Fähigkeiten die
Geſchichte des Bauernſtaates der Dithmarſchen. Hier wird Dahlmanns ganze
Liebe offen ausgeſprochen, und in dieſer Schilderung, die mit dem genauen
Bericht der heldenhaften Verteidigung und des Sieges bei Hemmingſtedt ab⸗
ſchließt, findet das ganze Werk ſeinen Höhepunkt.
Bereits 1827 hatte Dahlmann die Chronik des Dithmarſchen Bauern⸗
ſtaates, den „Neocorus“, vollſtändig herausgegeben, um damit die bäuerliche
Tradition zu bewahren und der Gegenwart als Mahnung entgegenzuhalten.
Gerade dieſe Herausgabe in niederdeutſcher Mundart zeigt noch einmal das
Weſen und die geiſtige Heimat dieſes kämpfenden Gelehrten. Einige ſeiner
Zeitgenoſſen hatten ihn zu überreden verſucht, das Werk in hochdeutſcher Aber⸗
ſetzung zu veröffentlichen, er aber hatte bereits einem Dithmarſchen Bauer
verſprochen, die Ausgabe in ihrer Arſchrift zu beſorgen.
Dieſer Bauer, der kein Wort hochdeutſch ſprach, hatte doch fich mit Dabl-
mann über Hume, Adam Smith und Johannes Müller unterhalten können,
und Dahlmann war ſtolz auf dieſes Bauerntum und die Eigenart feiner
bodengebundenen Sprache und Sitte. Darum ſetzte er ſich auch, ganz abgeſehen
von der Forderung der wiſſenſchaftlichen Originaltreue der Neuveröffent⸗
lichung, für die ſprachliche Ausdrucksform dieſer niederdeutſchen Bauernkultur
ein. In der Einleitung zum „Neocorus“ ſchreibt er
„Das Vornehmtun gegen die ſächſiſche Sprache hat unſerer vaterländiſchen
Geſchichte nur Fehler die Fülle und überhaupt ein untüchtiges Weſen einge⸗
bracht. Wer ſich rühmt, es in der Bildung nun ſo weit gebracht zu haben, daß
er die Sprachen unſeres Bauernſtandes nicht mehr verſteht, läßt das künftig
wohl, wenn er bedenkt, daß er ſich eben dadurch für unfähig erklärt, irgend⸗
einen Punkt älterer vaterländiſcher Angelegenheiten gehörig aus dem Grunde
zu begreifen. Was Du heute mit ekelem Anbedacht verwirfſt, wird Dein Enkel
als gelehrte Sprache wieder lernen, weil er ſie nicht miſſen kann, vielleicht
auch, weil ihn die Luſt beſchleicht, von den verſchollenen Creiheitsbriefen, die
der Großvater nicht mehr leſen konnte, einmal etwas zu erfahren.“
ee ſpricht der eigentliche Dahlmann als Mahner und Künder nordiſchen
Weſens, dem er ſelber durch ſein Leben die Treue hielt, und oft will es
ſcheinen, als habe er das Schickſal des Volkes mit vorausahnendem Wiſſen
ſchon damals kommen ſehen. So erſcheint es uns heute, wenn wir die Worte
leſen, in denen er ſeinem eigentlichen Glauben an die raſſegebundenen Werte
des Bauerntums Ausdruck gibt, aus denen eine Erneuerung des deutſchen
u einmal wachſen wird. Und damit ſchließt fih uns das Bild diefes
annes.
„Hier wird im Kampfe mit der Natur Tag für Tag das Anentbehrliche er⸗
ſtrebt, die ſtrengen Werktage des Lebens treten uns entgegen, doch bildet ſich
auch hier im ernſten Haushalten ein Staat ab, aus Entbehrung und Hilfs-
bedürftigkeit erwachſen, allein ſtark durch dieſe Schwäche, die Natur beſtim⸗
mend und von ihr beſtimmt. Trachte jeder andere Stand mit unbefriedigten
806 Ernst Schaper
Trieben, fih Fülle und Behagen zu mehren, aber das Notwendige in feiner
Vollkommenheit haben, muß des Bauern Ehrgeiz bleiben, denn er wohnt auf
dem Boden der Welt, in der Wurzel des Gemeinweſens, welche nicht in Far:
ben und Formen prangend, ſondern kraftvoll, zäh und im Verborgenen ftark
ſein ſoll. Wo er ſich ihrer vergißt, da folgt Ausartung, und ſicherlich kehrt die
Beſinnung einſt zurück, wenn in den ſchlimmen Tagen der Sturm den Baum
ganz ergreift. And wie mancher Stand, wie mancher Staat möchte nicht oder
ſollte nicht gegenwärtig wünſchen, in dieſe alte Wurzel wieder einzugehen
und die vergeudete Lebenskraft erneuern zu können. Von allem, was Glück
und Freiheit verweichlichter Geſchlechter repräſentiert, fände ſich hier, wollte
ſcher nur ſuchen, das beſſere Weſen noch... die Gemeinfreiheit aller Deut⸗
chen.“
Ernſt Schaper:
Das lands und forſtwirtſchaſtliche Grundeigentum im
Deutſchen Reich und feine Beſitzverhältniſſe !)
„Während man ſehr ſorgfältig in jedem Jahre regiſtriert,
wieviel Bohnen, Runkel⸗, Mohr⸗ und Kohlrüben gebaut und
geerntet werden, fehlt es noch an jeder genaueren Feſtſtellung
der Zahl der Grundbeſitzer und der Größe ihres Beſitztums.“
(Johannes Conrad, 1888.)
Nachdem durch die nationalſozialiſtiſche Agrarpolitik der Nährſtand ſeiner
natürlichen Aufgabe zugeführt iſt, die Ernährungsfreiheit unſeres Volkes ſicher⸗
zuſtellen, iſt es notwendig, über den Amfang und die Verteilung des land⸗
und forſtwirtſchaftlichen Grundeigentums im Deutſchen Reiche eine Aberſicht
zu gewinnen. Leider fehlt in dieſer Hinſicht noch immer eine amtliche Erhebung,
ſo daß die eingangs erwähnte Klage von Johannes Conrad auch in der Gegen⸗
wart berechtigt iſt. Die Schuld hierfür liegt bei den früheren Regierungen,
von denen eine offene Darſtellung der Grundeigentumsverteilung vermieden
wurde. Für uns beſteht daher deſto mehr Veranlaſſung, dieſe Mängel zu
beheben und die oft recht unklaren und falſchen Vorſtellungen über die Ber-
teilung des ländlichen Grundbeſitzes zu berichtigen. Dieſer Aufgabe ſollen vor-
erſt, bis zur Erhebung einer amtlichen Statiſtik, die nachfolgenden rechneriſchen
Ermittlungen dienen.
Nach Abzug der durch den Verſailler Vertrag abgetrennten deutſchen
Gebiete beträgt die geſamte Bodenfläche des Deutſchen Reiches mit Aus-
nahme des Saarlandes gegenwärtig 468 000 qkm oder in Hektar umgerechnet
46,8 Millionen ha. Davon entfallen auf Wohn-, Induſtrie⸗ und Verkehrs⸗
1) Bearbeitet nach Rauterberg, Dr. M., Verteilung des land- und forſtwirtſchaftlichen
Grundeigentums. Jahrbuch f. Nationalökonomie und Statiſtik. Berlin 1931; und Häbich, Th.,
Deutſche Latifundien, Königsberg 1929. Der Verf.
Das land- und forstwirtschaftliche Grundeigentum 807
gelände ſowie auf Waſſerflächen und ſonſtige unbenutzte Ländereien 5,2 Milli-
onen ha. Von der Land- und Forſtwirtſchaft einſchließlich Gartenbau werden
insgeſamt 41,6 Millionen ha für die Nutzung in Anſpruch genommen.
Dieſer Stand entſpricht den Ergebniſſen der landwirtſchaftlichen Betriebs⸗
zählung vom Jahre 1925. Nach der Bodenbenutzungserhebung aus dem Jahre
1927 beträgt dieſe Fläche dagegen 42,1 Millionen ha, ſo daß auf die nicht
land- und forſtwirtſchaftlich genutzten Ländereien nur 4,7 Millionen ha ent-
fallen würden.
Da die vorliegenden ſtatiſtiſchen Erhebungen, ſoweit ſie verwertbar ſind,
aber aus dem Jahre 1925 ſtammen, wird für die nachfolgende Aberſicht über
die Verteilung des Grundbefitzes in Deutſchland die Zahl von 41,6 Millionen
ha land- und forſtwirtſchaftlich genutzter Flächen zugrunde gelegt. Eine Gren,
nung zwiſchen landwirtſchaftlich und forſtwirtſchaftlich genutztem Örundeigen-
tum ijt der Aberſicht halber erft am Schluß diefer Arbeit in der Aberſichts⸗
tafel 2 und ihren Erläuterungen durchgeführt.
Die land- und forftwirtſchaftlich genutzte Fläche des Deutſchen Reiches von
41,6 Millionen ha (41 583 549 ha) verteilt ſich auf folgende Gruppen von
Grundeigentümern:
Gruppe I : Private Eigentümer . . 32752498 ha
Gruppe II: Offentlich⸗ rechtliche und ähnliche Körperſchaften 8831051 ha
insgeſamt: 41 583 549 ha
Die Verteilung der Beſitzzahlen und größen innerhalb dieſer zwei Gruppen
geht aus der beigegebenen Aberſichtstafel 1 hervor.
Bei der Aberſichtstafel 1 handelt es fih keineswegs um genaue ſtatiſtiſche
Erhebungen, ſondern um rechneriſch ermittelte Zuſammenſtellungen aus dem
vorliegenden amtlichen ſtatiſtiſchen Zahlenmaterial des ſtatiſtiſchen Amtes
über die landwirtſchaftliche Betriebszählung und Vermögensbeſteuerung ).
In dieſem Zuſammenhang wird darauf hingewieſen, daß die Zahl der
Steuerpflichtigen mit land- und forſtwirtſchaftlichem Grundbeſitz im Jahre
1925 1551774 Perſonen mit 29 290 118 ha betrug. Hierbei handelt es ſich
um die in der Aberſichtstafel, Gruppe I, zuſammengefaßten privaten Grund-
eigentümer mit Ausnahme eines Teils der landwirtſchaftlichen Privatbetriebe
unter 20 ha (Zwergwirtſchaften). Im Gegenſatz zu den privaten Grundeigen-
tümern find die Körperſchaften mit öffentlich rechtlichem Charakter: Reich,
Länder, Gemeinden uſw. ſowie die Kirchen und milden Stiftungen
neben allen anderen gemeinnützigen, kulturellen und mildtätigen Einrichtungen
nicht ſteuerpflichtig.
Im einzelnen wird zu der Aberſichtstafel, „Gruppe II: Offentlich- rechtliche
und ähnliche Körperſchaften“, folgendes bemerkt:
Sämtliche Betriebsgrößen und zahlen der Aberſicht ſind zuſammengeſtellt
nach dem Ergebnis der landwirtſchaftlichen Betriebszählung vom Jahre 1925
im Deutſchen Reich.
Bei dem Eigentum der öffentlichen Körperſchaften handelt es ſich ebenſo wie
bei den Gutsbetrieben nur um wenige Eigentümer mit außerordentlich großem
Grundbeſitz. Die Nuhniezung iſt dagegen bei ee nicht auf private
1) Statiſtik des Deutſchen Reiches. Bd. 337, 409, 411.
Obal Heft 10, Jahrg. 4, Bg. 4
808 | Ernst Schaper
Eigentümer, fondern auf beſtimmte Gemeinſchaften abgeftellt, die durch
öffentlich⸗rechtliche Körperſchaften vertreten werden. Die Kenntnis von der
Geſamtfläche des Grundbeſitzes aller öffentlich⸗rechtlichen Körperſchaften ift
für die Beurteilung der Grundeigentumsverhältniſſe im Deutſchen Reid
von größter Wichtigkeit. Durch dieſen ausgedehnten öffentlichen Grund-
beſitz werden nicht nur finanzielle Vorteile, ſondern eine Reihe anderer öffent-
licher Intereſſen wahrgenommen. Bedeutende Dienſte kann z. B. der ſtaatliche
Grundbeſitz bei Durchführung ſtaatlicher Sonderaufgaben leiſten. Dieſes trifft
insbeſondere bei dem Siedlungsweſen zu, bei dem in der heutigen Zeit ein
ungenügendes Angebot an ſiedlungsfähigem Lande beſteht.
Ein beſonderer Mangel bei der Feſtſtellung einer Aberſicht
über den land- und forſtwirtſchaftlichen Grundbeſitz der
öffentlich⸗-rechtlichen Körperſchaften ift der Amſtand, daß
keinerlei Nachweiſe über das Grundeigentum der Kirche
beſtehen. Da gerade der kirchliche Anteil des Grundbeſitzes im Rahmen der
öffentlich⸗ rechtlichen Körperſchaften ſehr bedeutend ift, muß es bedauert werden,
daß bisher in keinem Gebiete des Reiches eingehende Ermittlungen über den
Amfang dieſes Kircheneigentums gemacht worden ſind.
Zur Ergänzung der Aberſichtstafel, „Gruppe II: Offentlich⸗ rechtliche und
ähnliche Körperſchaften“, ſeien folgende nähere Einzelheiten angeführt:
an die Nr. 1 und 2: Staatsforſten und Staatsanteils⸗
orſten.
Die einzelnen Betriebsgrößen bei den Staatsforſten und Staatsanteils⸗
forſten ſetzen ſich wie folgt zuſammen:
1. Staatsforſten
Anzahl Geſamtfläche dieſer | Anteil v. H. an der
0,1
Anzahl
der Betriebe
100 bis 1000
mehr als 1000
Das land- und forstwirtschaftliche Grundeigentum 809
Su Ifde Nr. 3: Gemeindeforſten einſchließlich A
wald.
Während bei dem forſtwirtſchaftlich genutzten Teil des ſtaatlichen Grund⸗
beſitzes die Großbetriebe (91,3 v. H.) vorherrſchen, handelt es ſich bei den
Gemeindeforſten um eine große Anzahl von dörſlichem und ſtädtiſchem Eigen⸗
tum mit verſchieden großem Waldbeſitz. Der überwiegende Teil der Gemeinde⸗
forſten (62,5 v. H.) wird in mittleren Betrieben bewirtſchaftet, wie die fol⸗
gende Aberſicht zeigt:
3. Gemeindeforſtbetriebe
| , Anzahl Geſamtfläche dieſer [ Anteil v. H. an der
e mee Betriebe in ha Seſamtfläche
ss
1) In der Sefamtflähe der Gemeindeforſten von 2180 425 ha find an Allmendewald 1 021 072 ha ents
halten (vgl. auch Ifde. Nr. 6).
Zulfde. Nr. 4: Stiftungsforſten.
Die Reinerträge der Stiftungsforſten ſollen den Aufgaben dienen, die ihnen
von ihren Stiftern geſtellt ſind. Da es ſich hierbei in erſter Hinſicht um die
Anterſtützung von in fih abgeſchloſſenen Kreiſen handelt, find diefe Stiftungs-
forſten in der Regel den öffentlich⸗ rechtlichen Körperſchaften unterſtellt, denen
im allgemeinen die Betreuung dieſer Kreiſe zufällt. Neben den Körperſchaften
der Gemeinden find die Stiftungsforſten daher vorzugsweiſe den Kirchen
verwaltungen unterſtellt.
Im allgemeinen entſpricht bei den Stiftungsforſten jeder Betrieb einer ein⸗
zelnen Beſitzung. Die Anzahl und Größe dieſer Betriebe iſt der folgenden
Aberſicht zu entnehmen:
4. Stiftungsforſten
Betriebs- bzw. Beſitzgröße in Zahl der Betriebe | Geſamttfläche dieſer | Anteil v. H. an der
ha bzw. der Beſitzungen Betriebe in ha Geſamtfläͤche
1940 27 457
278 15 122
121 10 899
182 60 497
42 116 919
— ES
810 | Ernst Schaper
Zulfde Nr. 5: Sonſtige landwirtfhaftlih genutzte Lände-
reien öffentlich⸗ rechtlicher Körperſchaften.
Außer dem forſtwirtſchaftlich genutzten Grundeigentum des Reiches,
der Länder, der Kirchen, Gemeinden und ſonſtigen öffentlich⸗ rechtlichen Rör-
perſchaften befindet ſich in der öffentlichen Hand ausgedehntes Grundeigentum
mit land wirtſchaftlicher Nutzung. Es handelt fih hierbei um die felb-
ſtändigen landwirtſchaftlichen Betriebe der Domänen, Staatsgüter, Stadt⸗
güter uſw. und weiterhin um Grundſtücke, die als Dienſtland und als Deputat-
land vergeben find.
a) ſelbſtändige landwirtſchaftliche Betriebe: '
Die Domänen, Staatsgüter und Stadtgüter ſowie die landwirtſchaftlichen
Betriebe der ſonſtigen öffentlichen Körperſchaften, z. B. der Kirchen, Reichs⸗
bahn, Stiftungen uſw., ſind in den bisher vorliegenden Betriebszählungen faſt
nur nach der Zahl der Betriebe angegeben, während die Flächen dieſer Be⸗
triebe nicht bekannt ſind. Am dennoch eine Aberſicht im großen zu ermög⸗
lichen, iſt in der nachfolgenden Aberſicht die Zahl der Betriebe, die aus der
Betriebszählung bekannt iſt, mit der Durchſchnittsfläche vervielfacht, woraus
ſich * 9 ORI aller Betriebe der einzelnen Größenklaſſen annäherungs⸗
weiſe ergibt:
5. a) Landwirtſchaftliche Betriebe der öffentlich ⸗rechtlichen Körperſchaften
außer Staats-, Staatsanteils-, Gemeinde: und Stiftungsforſten
| Geſamtfläche | Anteil v. H.
[ i
Betriebsgrößen in ha Bah Suren Reg dieſer Betriebe an der
der Betriebe größe in ha e hi Geſamtlläche
2 bis
5 bis
10 bis
20 bis
50 bis
100 bis
200 bis
1000 und mehr
b). Dienſtländereien unter 2 ha, die von den öffentlichen Körperſchaften ver-
geben ſind:
Neben den unter a) aufgeführten ſelbſtändigen landwirtſchaftlichen Betrie⸗
ben der öffentlichen Körperſchaften mit mehr als 2 ha beſtehen eine größere
Anzahl von Betrieben von einer Größe unter 2 ha, die den Beamten der
öffentlichen Körperſchaften als „Dienſtland“ zur Ergänzung ihrer Beſol⸗
dung überlaſſen ſind. Die Zahl dieſer Dienſtlandſtellen iſt nicht feſtzuſtellen,
Da fie in der Betriebszählung mit den Deputat- und Allmendelandbetrieben
zuſammenfällt. Es läßt ſich daher nur ihre geſamte Landfläche ſchätzungsweiſe
mit 26 000 ha beſtimmen. Dabei iſt zu beachten, daß dieſe Fläche nur den
Das land- und forstwirtschaftliche Grundeigentum 811
Teil des geſamten Dienſtlandes darſtellt, deſſen einzelne Betriebsgrößen unter
2 ha liegen. Das von allen Körperſchaften vergebene Dienſtland iſt dagegen
weit umfangreicher. Beiſpielsweiſe beträgt nach der preußiſchen Schulſtatiſtik
das allein in Preußen an die Schullehrer abgegebene Dienſtland 62 813 ha.
c) Deputatländereien, die von den öffentlichen Körperſchaften an die land-
wirtſchaftlichen Arbeitnehmer vergeben find:
Den landwirtſchaftlichen Arbeitnehmern der öffentlichen Körperſchaften ſind
als Ergänzung ihres Arbeitslohnes Deputatländereien überlaſſen.
Sofern nur die Deputatländereien der land- und forſtwirtſchaftlichen Be-
triebe über 100 ha berüdfichtigt werden, ergibt ſich:
in den Staats- und Gemeindeforſten beſchäftigte Derfonen 144 428
in den landwirtſchaftlichen nn der LE
beſchäftigte Perfonen . . . 116 277
Ce geen insgeſamt: 260 705
Die Fläche des geſamten Deputatlandes im Deutſchen Reich beträgt nach
den amtlichen Ermittlungen des Jahres 1925 114694 ha und die Gejamt-
zahl der zugehörigen Perſonen in Betrieben über 100 ha Amfang 116 277.
Mithin entfällt auf einen Arbeiter der Betriebe über 100 ha eine Deputat-
landfläche von 0,1 ha.
Die Deputatländereien der öffentlichen Körperſchaften umfaſſen ſomit:
260 705 Perſonen mit je 0,1 ha = rund 26 071 ha.
Zulfde. Nr. 6: Allmende.
Bei den Allmenden handelt es ſich um die reſtlichen Ländereien, die aus
den gemeinnützigen Einrichtungen des alten bäuerlichen Markgenoſſenſchafts⸗
weſens erhalten geblieben find. Sie befinden ſich weder im Privateigentum ein-
zelner Perſonen, noch find fie dem Eigentum öffentlicher Körperſchaften gleich-
zuſtellen. Die Nutznießung der Allmende ſteht nur ſolchen Perſonen zu, die
den in Frage kommenden Allmendegemeinden angehören. Doch ſind auch bei
ihnen mit den Nutzungsrechten keine Eigentumsrechte verbunden.
Bei der Nutzung der Allmendeflächen ſind zwei verſchiedene Formen zu
unterſcheiden:
a) gemeinſame Nutzung, wobei jedem Allmendeberechtigten ein beſtimmter
Anteil des Ertrages zuſteht, und
b) ln der Nutzungsrechte unter den Allmendeberechtigten durch
as Los. |
Die erite Gorm der Bewirtſchaftung wird als unaufgeteilte, die zweite
als aufgeteilte Allmende bezeichnet. Gemeinſame Nutzung, alfo unaufge-
teilte Allmende, findet fic) vorwiegend bei Wald- und Weideallmende, die
auch den größten Teil der geſamten Allmendefläche einnimmt.
Der größte Teil der Allmendefläche, und zwar die Waldallmende, iſt ſchon
unter 3. zu den Gemeindeforſten gezählt. Eine Trennung der Gemeindewal-
dungen in Privatforſten der Gemeinden und Allmendewaldungen läßt ſich an
Hand der vorliegenden ſtatiſtiſchen Ermittlungen nicht zahlenmäßig durch-
führen. Nach der Betriebszählung im Jahre 1925 beträgt die
unaufgeteilte Waldallmende 1021072 ha.
812 | Ernst Schaper
Die außerdem vorhandene zeigt die folgende Aberſicht:
6. Allmende
Gemeinden whe. 163.8:
1. Die unaufgeteilte Allmendeweide
2. Die aufgeteilte Allmende 6672 107 727 36
— . — —
Zu [fde. Nr. 7: Das land- und forſtwirtſchaftliche Grund-
eigentum der Kirche:
Die geſonderte Erfaſſung des kirchlichen Grundeigentums iſt nicht möglich,
da in der Betriebszählung das Geſamteigentum aller öffentlich rechtlichen Rör-
perſchaften feſtgeſtellt worden iſt, wobei man das Kircheneigentum nicht aus⸗
geſondert hat. Ein Teil des kirchlichen Grundbeſitzes, und zwar die in Einzel⸗
parzellen verpachteten Ländereien, ſind in der Erhebung überhaupt nicht erfaßt
worden. Am wenigſtens über dieſen Teil eine Aberſicht zu bekommen, iſt die
Annahme zugrunde gelegt, daß die als Pachtparzellen der öffentlich ⸗ rechtlichen
Körperſchaften aufgeführten Ländereien Eigentum der Kirchen find. Der Um-
fang dieſes parzelliert verpachteten Grundbeſitzes der Kirche wird auf etwa
850 000 ha geſchätzt. Neben dieſem Teilbeſitz der Kirche ſind aber vor allem
die nichterfaßbaren vollſtändigen Betriebe verpachteter kirchlicher Beſitzungen
und auch die zahlreichen Dienſtlandſtellen der geiſtlichen und der anderen
kirchlichen Beamten zu berückſichtigen. Von Rauterberg) wird der ge:
ſamte Kirchenbeſitz in Deutſchland auf rund 1 Million ba geſchätzt.
Zulfde. Nr. 8: Die Schulländereien:
Der Amfang der parzelliert verpachteten Eigenländereien der Schulen und
96005 ftaatlichen und ſtädtiſchen Bildungsanſtalten wird mit rund
50000 ha angegeben.
Das geſamte bäuerliche Grundeigentum an land- und forſtwirtſchaftlich
genutzten Ländereien:
In der Aberſichtstafel 1 „Gruppe I: Private Eigentümer“ find unter lde.
Nr. 4 die 20 993 landwirtſchaftlichen Betriebe mit 100 — 1000 ha als Guts-
wirtſchaften bezeichnet. Eine beſchränkte Anzahl dieſer Betriebe, bis zu einem
Amfang von 125 ha, muß dagegen nach dem Reichserbhofgeſetz noch zu den
großbäuerlichen Betrieben gerechnet werden. Ihre richtige Einordnung konnte
aber nicht erfolgen, da die bäuerlichen Betriebe nur bis zu einem Amfang von
100 ha ermittelt worden ſind. Die Zahl der großbäuerlichen Betriebe mit
100—125 ha wird auf etwa 4000 geſchätzt und ihre geſamte land- und forſt⸗
wirtſchaftlich genutzte Fläche auf 500 000 ha. Unter Berückſichtigung dieſer
Annäherungsziffern ſetzen ſich die geſamten bäuerlichen Eigenbetriebe wie
folgt zuſammen:
1) Rauterberg, Dr. M., Die Verteilung des land- und forſtwirtſchaftlichen Grundeigen⸗
tums. Berlin 1931.
=
Das land- und forstwirtschaftliche Grundeigentum 813
Die privaten bäuerlichen Eigenbetriebe
Anteil an der land» und
Durch⸗
Private Eigentümer Größenklaſſen schnittliche 1
der Gutswirtſchaften Größe in Deutſchen Reiches
Kleine und Mittelbauern mit
weniger als 20 ha
Mittel- und Großbauern mit
Großbauern mit 50 — 100 ha
Eee bis zu 125 ha.
Die großgrundbefigenden privaten Eigentümer
Nah Abzug der 1 Betriebe von 100 bis 125 ha ergibt ſich
folgende Aberſicht über:
Die privaten Gutswirtſchaften )
Antell an der land» und
i ; 3 -ar:a forſtwirtſchaſtlich genutzten
Private Eigentümer Größenklaſſen Geſamtflache des
der bäuerlihen Betriebe Deutſchen Reiches
Gutswirtſchaften mit
100 — 1000 ha
Große Gutswirtſchaften über
Geſamtanteil an der land- und forſtwirtſchaft⸗
lichen Geſamtfläche des Deutſchen Reiches
Aus dieſer Aberſicht iſt zu entnehmen, daß den 18 715 privaten Gutswirt-
ſchaften mit 9 444 228 ha Geſamtfläche 3 914 016 private bäuerliche Eigen-
betriebe mit einer Geſamtfläche von 23 308 270 ha gegenüberſtehen. Das ent⸗
ſpricht einem Verhältnis der Geſamtflächen zu den Eigentümern von
100,92 : 1,19 zugunſten der privaten Gutswirtſchaften oder einer durchſchnitt⸗
lichen Betriebsgröße der Gutswirtſchaften von 504,6 ha gegenüber 5, 95 ha
bei den bäuerlichen Betrieben.
Aus der Unterfuchung über den Großgrundbeſitz des Adels von Th. Hä-
bidh?) find in folgender Aberſicht die Grundeigentümer über 2500 ha Um-
fang zuſammengeſtellt:
1) Zur Ergänzung dieſer Überfiht ift die Uberſichtstafel 4: „Der private Großgrundbeſitz in den
einzelnen Gebieten des Deutſchen Reiches“ beigegeben.
2) Häbich, Th., Deutſche Latifundien, Königsberg 1929.
814 Ernst Schaper
Großgrundbeſitze über 2500 ha
Zahl der | f
Defiggrdge in ha | abligen Grundpefiger ` ES in ba
5 000 bis 10 000
10 000 bis 20000. .
mehr als 40000... . EERE
— ——
In der Aberſicht „die privaten Gutswirtſchaften“ wurden an großen Guts-
wirtſchaften mit über 1000 ha Fläche insgeſamt 1722 Betriebe mit einer Ge⸗
ſamtfläche von 4812364 ha feſtgeſtellt. Von dieſer Geſamtfläche umfaſſen
alſo die allergrößten adligen Grundbeſitze mit mehr als 2500 ha über die
Hälfte, nämlich 2 608 036 ha. Dieſe im Eigentum von 412 adligen Grund-
herren befindliche Fläche kommt dem Geſamtlandbeſitz von 104 321 deutſchen
Mittelbauern mit je 25 ha gleich.
Nach den von Th. Häbich durchgeführten Ermittlungen ergibt ſich folgende
Aberſicht über:
Die größten privaten Landeigentümer in Deutſchland
| Lande ⸗ Wälder
Name Gelamtflähe | wirtfhaftlid und
benutzte Fläche] Holzungen
Wilhelm von Hohenzollern (Preuß. Haus fideikommiß)
Chriſt. Kraft Fürſt zu Hohenlohe⸗Oehringen
(Familien -Stiftungßn )))
Friedr. Bilt. Fürſt von Hohenzollern⸗ Sigmaringen
Friedr. Fürſt zu Solms- Baruth
Chrift. Ernft von Stolberg Wernigerode
Herzog von Ratibor a / Rauden
Friedrich Herzog von Anhalt⸗Deſſauuuu
Graf Tiele⸗Winkler, Moſ chen
Engelbert Maria Herzog von Arenberg- Nordkirchen
Friedr. Reichsgraf Scha ffgotſch⸗hhh
Dr. jur. Ad. Graf v. Arnim⸗ Muskau
Friedr. Leop. Prinz v. Preußen
Friedr. Jof. Reichsgraf v. Brühl
Friedr. Aug. vorm. König v. Sachſen
Thurn und Taxis
Conr. Graf von Finken ſte n ete
zuſammen
Das land- und forstwirtschaftliche Grundeigentum 815
Die fich im Eigentum Deler 16 adligen Grundherren befindliche, allein land-
wirtſchaftlich genutzte Fläche von 146562 ha entſpricht dem Geſamtlandbeſitz
von 5862 deutſchen Mittelbauern mit je 25 ha Eigenland.
Das geſamte land- und forſtwirtſchaftliche R
des Adels:
Die beigegebene Aberſichtstafel 2 veranſchaulicht die von Th. Häbich durch⸗
geführte Anterſuchung über den Umfang des geſamten land- und forſtwirtſchaft⸗
lich genutzten Grundeigentums des Adels in den einzelnen deutſchen Ländern.
Gleichzeitig ſind neben den Geſamtflächen auch die rein landwirtſchaftlich
genutzten Flächen der Länder, auf Grund der landwirtſchaftlichen Betriebs ·
zählung vom 16. 6. 1925, in die Aufſtellung einbezogen.
Aus der Aberſichtstafel 2 iſt erſichtlich⸗ daß der adlige Großgrundbeſitz am
ſtärkſten in Nordoſtdeutſchland und im Odergebiet ausgebreitet iſt. In dieſen
Gebieten hat der Adel auch nur einen Hundertſatz von 18,5 — 27,4 feiner
Eigenländereien verpachtet, da die Großgrundbeſitze hier überwiegend in
eigener Wirtſchaft genutzt werden. Die ſehr häufig auftretende Behauptung,
daß die Verpachtung von Höfen und Gütern ſeitens des Adels gerade in Oſt⸗
deutſchland ſehr verbreitet ſein ſoll, trifft alſo nicht zu. Dagegen beträgt die
Verpachtung in den dichter bevölkerten Gebieten Nordweft-, Weft- und Süd-
deutſchlands über 50 v. H.
Das Grundeigentum des Adels im Deutſchen Reiche beträgt nach der Aber⸗
ſichtstafel 2 insgeſamt 5 503 258 ha mit 5554 Beſitzern. Hierbei handelt es
ſich faſt ausſchließlich um Großgrundbeſitzungen. Am nun die nichtadligen
großgrundbeſitzenden Eigentümer zu ermitteln, iſt es erforderlich, das Grund⸗
eigentum des Adels von der vorſtehenden Aberſicht Ober „die privaten Guts-
wirtſchaften“ in Abzug zu bringen:
18 715 großgrundbeſitzende Eigentümer mit 9 444 228 ha
abzüglich 5 554 adlige Grofgrundbefiger . . mit 5503258 ha
13 161 nichtadlige Großgrundbefiger. mit 3 940 970 ha
Die Beſitzgruppen an der land und forſtwirtſchaftlich ge-
nutzten Fläche des Deutſchen Reiches:
Die beigegebene Aberſichtstafel 3 zeigt die Zuſammenſtellung der aus den
einzelnen Aberſichten ermittelten Reihenfolge der Beſitzgruppen an der land-
und forſtwirtſchaftlich genutzten Fläche des Deutſchen Reiches nach der Größe
des Amfanges geordnet.
Aus dieſer Aberſicht geht hervor, daß die Kirche mit ihren
1000000 ha Ländereien, nach dem Staat, das größte Grund-
eigentum im Deutſchen Reiche beſitzt. An dritter Stelle folgt der
private Grundbeſitz der Hohenzollern mit 97 000 ha und dann die weiteren
auf Seite 814 zuſammengeſtellten größten Landeigentümer in Deutſchland.
Mit der vorſtehenden Darſtellung iſt der Verſuch gemacht, die Verteilung
und Beſitzverhältniſſe des land- und forſtwirtſchaftlichen Grundeigentums in
Deutſchland klarzuſtellen. Daß es fic) hierbei um rechneriſch ermittelte Bu-
ſammenſtellungen aus den amtlichen Statiſtiken über die landwirtſchaftliche
Betriebszählung und Vermögensbeſteuerung und nicht um genaue ſtatiſtiſche
816 Ernst Schaper
Erhebungen handelt, ift bereits eingangs erwähnt. Die Aberſicht entſpricht
daher auch keiner abſoluten Genauigkeit, zumal die verwerteten Anterlagen
nicht vollſtändig ſind. Trotzdem wird die Arbeit aber den Zweck erfüllen, über
die Verteilung des ländlichen Grundbeſitzes in Deutſchland die richtige Vor⸗
ſtellung zu gewinnen.
Die Grundbeſitzverteilung, wie wir fie heute vor uns haben, ift das Er-
gebnis einer tauſendjährigen Entwicklung, bei der ſich das mittelalterliche
Lehnsweſen und beſonders die liberaliſtiſch⸗kapitaliſtiſche Wirtſchaftsweiſe
der Neuzeit zum Nachteil des bäuerlichen Beſitzumfanges ausgewirkt hat.
Den Weg zur Wiederherſtellung einer gefunden Verteilung des land-
und forſtwirtſchaftlichen Grundeigentums im Deutſchen Reiche, von der das
Leben unſeres geſamten Volkes abhängt, zeigt uns die nationalſozialiſtiſche
Agrarpolitik. Eine ganze Reihe ihrer bedeutendſten Vorkämpfer hat die Rid-
tigkeit ihrer Maßnahmen mit überzeugenden Worten zum Ausdruck gebracht.
So ſagte u. a. ſchon Schmoller (1882):
„Der Einfluß der Grundbeſitzverteilung auf die ganze ſoziale Glie⸗
derung, das Wohlbefinden der Nation, auf die politiſche Verfaſſung, auf
die gewerblichen Zuſtände, die Lebenshaltung aller Klaſſen kann gar nicht
überſchätzt werden, es gibt keinen Amſtand von der Bedeutung für das
Volk wie die Verteilung des Grundeigentums; denn dieſe beſtimmt die
ganze Gliederung der Geſellſchaft, die Verkehrs- und Marktverhältniſſe,
die Erhaltung des Handwerkerſtandes, die Lebensverhältniſſe und Sitten
der Volksklaſſen weit über alles andere hinaus.“
Das land- und forstwirtschaftliche Grundeigentum 817
Die Verteilung des land» und forſtwirtſchaſtlichen ir
Srundeigentums im Deutſchen Reiche
Gruppe I: Private Eigentümer
Antell an der land» und forſt⸗
wirtſchaftlich gen dë: amts
* L Landwilrtſchaftliche ges
Zahl hy ES Betriebe Größe fläche des Deutſchen Neiches
Kleine und „ mit
weniger als 20 ha
Mittel- u. Groß bauern mit 20-50 ha
41 Großbauern mit 50—100 ha
Gutswirtſchaften mit 100—1000 h
Große Gutswirtſchaften üb. 1000 ha
Geſamtanteil an der land- und forſt⸗
wirtſchaftlichen Geſamtfläche des
Deutſchen Reiches 32 752498 78,4
Gruppe II: Eigentum der öͤffentlich⸗ rechtlichen und ähnlichen Koͤrperſchaſten
rechtlichen und ähnlichen Körperſchaften en Reiches
er = in v. ©.
K Anteil an der lande und forſt⸗
Sand» und forſtwlrtſchaftliche Betriebe der öffentlich⸗ Age bes“ Dun ten Geſamt⸗
Staats for ſten
Staatsanteilforſten
16 208 Gemeindeforſten (einſchl. 1 021 072 ha Waldallmende)
2563 Stiftungsforſten
Sonſtige landwirtſchaftlich genutzte Ländereien öffentlich- recht⸗
licher Körperſchaften:
a) ſelbſtändige landwirtſchaftliche Betriebe
b) Dienſtländereien unter 2 ha
c) Deputatländereien
Allmende:
a) in Gemeindeforſten mitenthaltene unaufgeteilte
Waldallmende 1021072 ba
b) unaufgeteilte Weideallmende 191151 ba
c) aufgeteilte Allmente . . . 107727 ba 1310950 ha
Kirchenland, parzelliert verpachtet
Schulland, parzelliert verpachtet
Geſamtanteil an der land- und forſtwirtſchaftlichen Fläche des
Deutſchen Reiches 8 831 051 21,60
Zuſammenſtellung
a an der Geſamtflãche
Deutſchen Reiches
— — — e ha in v. H.
Gruppe I: Private Eigentümerr‚r‚ e 32 752 498 78,4
ffentlid-redtlide Körperſchaften a 8 831 051 21,6
Gruppe II:
Lands und forſtwirtſchaftlich genutzte Geſamtflächen des Deutſchen
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Ernst Schaper
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Das land- und forstwirtschaftliche Grundeigentum
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820 Ernst Schaper, Das land- und forstwirtschaftliche Grundeigentum
Uberfidtstafel ı
Der private Geoßgrundbefit an land» und forſtwirtſchaftlich genutzten
Ländereien in den einzelnen Gebieten des Deutſchen Reiches
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1088 | 213 227 281 85 330 244 704 511 968 7.71
9
6 | 3956| 23781 2717
34| 265 | 8981
[1436 | 221 | 316066 | 121_| 3901 | 473538
Weſtdeutſchland
Heſſen⸗Oberheſſen
Rheinprovinz
Weſtfalen
Llppe - Detmold, Waldeck,
Schaumburg Lippe, Braune
ſchw eig
Heſſen⸗Naſſan
Miitteldeutſchland
Provinz Sachſeen
Anb alt e
Thüringen
Freiſtaat Sachſen
Nordweſtdeutſchland
Hannover
Oldenburg -
SE e d > e
etzwig⸗Holſtein
Hamburg
Lübeck e 8 e 0 e 0
Odergeblet
Brandenburg
Berln Se Ze
Schleſen
Grenzmark Poſen⸗Weſtpr.
Nordofdeutfgland
1 411 860 Medlenburg
2 846 781 Bommern
3 492 980 Ofpreußen . . . .
7 751 621
41 611 916 | Deutſches Reichsgebiet
Abzüglich der großbaͤuerlichen
Betriebe von 100—125 ha .
ergeben ſich für das geſamte
Reichsgeblet TE
16 993 | 275 Dees
Da dieſes Zahlenmaterfal aus den ſtatiſtiſchen Erhebungen über die Vermögensbeſtenerung entnommen If, ergeben |
ſich für einige Gebiete Abweichungen, die dadurch entſtanden find, daß der Grundbe tz unter dle Héogeblete gezählt tR,
in denen dle Grundeigentümer ihren Wohnfig hatten. So umfaßt z. B. das geſamte Stadtgebtet Berlins nur etwa
8500 ha, während der errechnete Großgrundbeſit der im Stadtgebiet wohnhaften Eigentümer 188 673 ha beträgt. Diefe
91 N au 28 fe cave REESEN . SCD Mecklenburg Gg 5 Ent ſprechend
e n Tell des unter Hamburg aufgeführten Grund beſitzes zu les wig⸗Holſteln ecklen burg und Hannover.
In den übrigen Reichsgebleten find diefe Abweichungen mab ee j rn S
Werner Bethge:
Das Reichserbhofgeſeh nach praktiſchen Erfahrungen
Das Reichserbhofgeſetz ift wohl das fundamentalſte Geſetz des National-
ſozialismus. Wenn nach dem Wort des Führers das Deutſche Reich ein
Bauernreich werden ſoll, ſo bildet der Boden die Grundlage, auf dem nach
beſtimmten Geſetzen und in beſtimmter Ordnung ſich das geſamte Leben ab⸗
wickelt. Erft nach der Feſtlegung des Bodens durch das Reichserbhofgeſetz
konnten die Geſetze der Marktordnung, das die Ernährung ſichert, und die
Raflegefege von Nürnberg, die die Reinheit des Blutes ſichern, wirkſam
werden. Quelle für Blut und Brot aber iſt der Boden.
Auch große Teile des Bauerntums hatten ſich ſchon an die tauſendjährige
Entwicklung in der Bodenfrage gewöhnt und hatten ſich ſchließlich daran
gewöhnt, den Boden mit Hypotheken zu belaſten, um das Geld für ſich zu ver⸗
wenden, oder um es den weichenden Erben zu geben, ganz gleich, ob der Hof
von der nachfolgenden Generation gehalten werden konnte oder nicht. Dieſe
Dinge geſchahen nach dem liberaliſtiſchen Grundſatz: „Was wir heute tun, iſt
nach 150 Jahren ganz egal.“ Dieſes Wort war ſchon ein geflügeltes geworden.
Dieſe Leute waren es, die in der erſten Zeit geradezu empört waren über
das Reichserbhofgeſetz, die von der Einſchränkung ihrer Rechte ſprachen, die
erklärten, nun gerade würde das Einkinderſyſtem gezüchtet — ſie hatten es bei
fic) aber ſchon eingeführt vor Schaffung des Reichserbhofgeſetzes —, denn die
übrigen Kinder bekämen nichts vom Hofe. Solche und noch viele Einwendun⸗
gen hörte man. |
Inzwiſchen ift nun die Zeit fortgefchritten. Die Anerbengerichte haben man-
chen Spruch gefällt, und die Zahl der Gegner im Bauerntum wird immer
geringer. Nur felten hört der im Volk ſtehende Anterführer des Reichsnähr⸗
ſtandes noch Anwürfe gegen dieſes Geſetz. Immer mehr ift dank der Auf-
klärungsarbeit der Partei und des Reichsnährſtandes die Idee Allgemeingut
geworden, daß der Boden nicht dem Intereſſe des Bauern nur allein zu
dienen hat, ſondern daß der Bauer den Boden, den Erbhof, zu verwalten hat
im Intereſſe der Sippe. So verſteht auch heute faft jeder Bauer den Haupt-
gedanken des Reichserbhofgeſetzes, den Gedanken der grundſätzlichen Anbe⸗
laſtbarkeit und Anteilbarkeit des Bodens und Erbhofes.
Heute liegen die Dinge aber ſo, daß dieſer Idealzuſtand des unbelaſteten
Hofes noch nicht erreicht iſt. Iſt er erſt einmal erreicht, dann wird die Tätig⸗
keit der Anerbengerichte nicht mehr eine ſo ſchwere ſein wie heute. Dann wird
auf dem ſchuldenfreien Hofe der tüchtige Bauer mit feiner erbgeſunden Fa-
milie, Frau und einer Reihe von Kindern, unter dem Schutze der Markt-
ordnung wirken und ſchaffen; dann wird innerhalb einer Wirtſchaftsperiode
ſo viel erarbeitet ſein, daß den weichenden Erben eine Exiſtenzgrundlage
geſchaffen werden kann. Die Töchter werden Bäuerinnen auf anderen Erb-
höfen ohne große Abfindungshypotheken. Der zukünftige Gatte braucht nicht
822 Werner Bethge
auf die große Mitgift, den Hypothekenbrief, zu feben, denn auf dieſem Erbhof
iſt ja in gleicher Weiſe geſchafft. Nur Tüchtigkeit und Erbgeſundheit entſchei⸗
den bei der Gattenwahl. .
In der Übergangszeit ift die Tätigkeit der Anerbenrichter eine febr ſchwie⸗
rige und verantwortungsvolle. Es gilt hier, bei Erbfällen und Hofverlaßver⸗
trägen darüber zu wachen, daß, beſonders bei belaſteten Höfen, aber auch bei
Höfen, die zwar nicht belaſtet find, wo der Bauer aber auch kein Barver-
mögen hat, der Hof nicht belaſtet wird, daß den weichenden Erben aber auch
eine angemeſſene, den Kräften des Hofes entſprechende Ausſtattung zuteil wird.
Anter Ausſtattung iſt auch hier oft eine Summe Geldes zu verſtehen. Dieſe
Ausſtattung hat ſich aber grundſätzlich zu unterſcheiden von den früheren Ab⸗
findungen in Geſtalt der Hypothek mit Verzinſung. Es war eine meiner
ſchönſten Anerbengerichtsſitzungen, als es uns zum erſten Male, allerdings
nach langem Verhandeln, gelang, einen Hofverlaßvertrag unter Dach und
Fach zu bringen, in dem feſtgelegt wurde, daß die Ausſtattungsſummen an
die weichenden Erben vom Hofannehmer in tragbaren Raten ohne Verzinſung
gezahlt werden ſollten. Die weichenden Erben konnten unter dieſen Bedin-
gungen faſt die früher üblichen Beträge vom Hof erhalten, ohne Gefahr für
dieſen, weil der Zinſendienſt für das Leihkapital fortfällt. Ein kleines Bei⸗
ſpiel mag das erläutern:
Nehmen wir an, ein Hof hatte früher 25 000 RM. an die weichenden
Erben zu zahlen. Wenn der Hofannehmer nicht gerade einen Goldkäfer ſich
zum Ehegemahl erfor, fo ging das eingebrachte Gut der Frau drauf zum
Möbelkauf, zur Hochzeitsfeier, zum Auffriſchen der Wohnung, zur Bezahlung
der Gerichtskoſten, der Erbſchaftsſteuer uſw., ſo daß der Hof mit einer Hypo⸗
thek von 25 000 RM. belaſtet werden mußte. Für dieſe Hypothek wären bei
einer Verzinſung von 5 Prozent jährlich 1250 RM. Zinſen zu zahlen. Die
Schuld bleibt, denn an eine wirkſame Abzahlung iſt nicht zu denken. Soll
nun unter den obengenannten Bedingungen den weichenden Erben auch
25 000 RM. vom Hof gezahlt werden, ſo kann allein an den erſparten Zinſen
in zehn Jahren beiſpielsweiſe die Hälfte der Summe abgeſtoßen werden, die
ſonſt in den Schlund des Leihkapitals flöſſe.
Durch dieſe Maßnahmen gehen wir auch den erſten organiſchen Schritt zur
Brechung der Zinsknechtſchaft, dadurch, daß ungeheure Kapitalien der Land-
wirtſchaft nicht mehr den Weg durch die Banken laufen.
Die Theſe von der Rechtloſigkeit der weichenden Erben hält der praktiſchen
Auswirkung des Reichserbhofgeſetzes nicht ſtand. Wenn den weichenden Erben
nicht immer das gegeben werden kann, was der Vater gerne möchte, ſo iſt
daran nicht das Reichserbhofgeſetz ſchuld, ſondern die ſchlechte finanzielle Lage,
in der ſich noch viele Höfe befinden. Es ſollte Brauch ſein und bleiben, daß der
wirtſchaftende Bauer dann, wenn der Anerbe das Alter erreicht hat, daß er
ſelbſt eine Familie gründen und den Hof bewirtſchaften kann, fih aufs Alten-
teil zurückzieht und der jungen Kraft den Hof überläßt. Durch einen Hofverlaß⸗
vertrag, zu dem das Anerbengericht ſeine Zuſtimmung zu geben hat, werden die
Rechtsverhältniſſe geregelt. Der Bauer kann dabei alle Wünſche vortragen, die
er in bezug auf dieſe Regelung hat. Das Anerbengericht wird dieſen Wünſchen
in weiteſtem Maße Rechnung tragen, ſoweit es der Sinn des REG. zuläßt.
Vollkommen verfehlt iſt es aber, den Hof bis ans Lebensende in ſeinem Beſitz
behalten zu wollen. Ein Teſtament, welches alle Anſprüche der weichenden
Das Reichserbhofgesetz nach praktischen Erfahrungen’ 823
Erben regeln fol, hat nur Gültigkeit, wenn es vom Anerbengericht anerkannt
wird. Ein Anerbengericht wird ſchwerlich ſchon zu Lebzeiten des Bauern einem
Teſtament mit Ausſtattungsanſprüchen feine Zuſtimmung geben, da es ja nicht
immer weiß, ob ſich der Hof beim Tode des Erblaſſers nicht in einer erheblich
ſchlechteren Lage durch Schickſalsſchläge (Hagelſchlag, SS Krankheit) - be,
findet als bei der Abfaſſung des Teſtaments.
Als Beiſpiel diene folgender Fall:
Ein Notar verfaßt einem Bauern, der längſt ſeinem jetzt in den vierziger
Jahren ſtehenden Anerben, der von Jugend an in der Wirtſchaft tätig war,
der Frau und zwei Kinder hat, den Hof hätte übertragen können (Größe des
Hofes 60 Morgen), kurz vor deſſen Tode ein Teſtament. Das Schriftſtück
enthält die Klauſel, daß die vorhandenen Barmittel neben den trotzdem auch
da hohen Ausſtattungsbeträgen einem der weichenden Erben zufallen, trog-
dem noch ſonſtige Verbindlichkeiten beſtanden, die die Höhe der Barmittel
überſtiegen. Die Koſten für dieſes Teſtament betrugen 450 RM. Dieſes
Teſtament war ſchon deswegen nicht durchführbar, weil nach dem Reichserb-
hofgeſetz mit vorhandenen Barmitteln zunächſt die Nachlaßverbindlichkeiten
geregelt werden müſſen. Richtiger wäre es geweſen, man hätte beizeiten einen
Hofverlaßvertrag abgeſchloſſen. Man ſieht aber weiter an dieſem Fall, daß
es ſelbſt Juriſten noch nötig haben, ſich mit dem Geiſt und dem Inhalt des
REG. näher zu beſchäftigen.
Auch bei Hofverlaßverträgen werden dem Anerbengericht oftmals Verträge
zugeleitet, die erkennen laſſen, daß die Verfaſſer dieſer Verträge noch wenig
von dem Geiſt verſpürt haben, der als Sinn des Lebens anſieht Verpflichtung
gegen Vergangenheit und Zukunft, Verpflichtung gegen Eltern und Kinder
als Glied in einer langen Reihe von Geſchlechtern, Verpflichtung gegen die
Gemeinſchaft des Volkes, ſondern daß die Verfaſſer den Sinn des Lebens
ſehen nur im Egoismus. Sonſt wäre es wohl nicht möglich, daß ein Bauer
eines großen Hofes, dem jeder Morgen bald bis zur äußerſten Grenze belaftet
iſt, belaſtet iſt durch Großzügigkeit auf allen Gebieten, der Wirtſchaftsweiſe,
des Haushaltes, der Kindererziehung uſw., nun dem Anerben den Hof über⸗
geben will, dergeſtalt, daß er ein Drittel des Hofes für fih behält, unbelaſtet,
und alle Schulden auf die zwei Drittel, die dem Anerben übergeben werden
ſollen, konzentriert werden. Ganz abgeſehen davon, daß die Gläubiger dieſem
Plan ſchon nicht zugeſtimmt hätten, hat dieſer Vertrag nur eine gewiſſe Heiter-
keit bei den Richtern erregt. Der Rechtsberater dieſes Bauern aber, der eine
einflußreiche Perſönlichkeit im früheren Syſtem war und noch kurz vor der
Machtübernahme ſeine Gloſſen über den Nationalſozialismus machte, glaubt
vielleicht auch heute noch, die „köpfeloſen“ Nazibauern in den Anerbengerichten
übertölpeln zu können, indem er ihnen ſolche Brocken vorwirft.
Auch in dieſem Fall erleben wir den Segen des Reichserbhofgeſetzes. Früher
wäre eine derartige Eintragung möglich geweſen. Heute werden Entſchlüſſe
gefaßt nur im Hinblick auf das Wohl des Hofes, der ja die ewige Grundlage
für das Leben der Geſchlechter bleiben ſoll und damit die Quelle für den
ewigen Blutſtrom, der durch Deutſchland fließt.
Ich wollte an dieſen praktiſchen Beiſpielen einmal zeigen, wie ſich das
Reichserbhofgeſetz in der Praxis auswirkt.
Dadurch, daß zwei Bauern und ein Juriſt mit gleichem Stimmrecht richten,
iſt die Gewähr geboten, daß bäuerlichem Empfinden und den Bedürfniſſen
Ddal Heft 10, Jahrg. 4, Bg. 5
824 Das Archiv
des Bauerntums voll Rechnung getragen wird, daß nicht vom fogenannten
grünen Tiſch gehandelt wird. Es iſt auch nicht ſo, daß die weichenden Erben
nichts bekommen, fondern gerade durch das Reichserbhofgeſetz ift für alle
Zeiten dafür geſorgt, daß für immer der Erbhof ſeinen Sprößlingen die
Exiſtenzgrundlage ſichert, daß nicht in einem Erbgang der Hof für alle Zeiten
ſo kraftlos wird, daß er ſich nicht wieder erholen kann. Für immer iſt die
Gefahr gebannt, daß einmal ein Verſager in der Kette der Geſchlechter den
Sippenbeſitz verludern läßt. Nur verſtockte und dumme Menſchen können ſich
dieſer beſſeren Einſicht verſagen. Noch nach Jahrhunderten wird man das
Reichserbhofgeſetz als Grundlage des Beſtehens des Bauerntums preiſen.
Das Archiv
Dr. Goebbels in der Deutſchlaudhalle
D. N. B. vom 11. 3. 36:
.. . Im Jahre 1932 haben wir für 4%
Milliarden Nahrungsmittel ein⸗
geführt, im Jahre 1935 brauchten wir dafür
nur noch 0,9 Milliarden auszugeben. Wir
haben für die erſparten Deviſen ſolche Dinge
eingeführt, die der Arbeitsbeſchaffung zugute
kommen.
. Allein die Kartoffeln, die
durch die Winterhilfe den bedürftigen Volksge⸗
noſſen geliefert worden find, würden einen Cifen-
bahnzug füllen, der von Berlin bis
Addis ⸗ Abeba reicht.
.. Wir haben die Erfolge gehabt, die wir
1923 in unſeren kühnſten Träumen uns nicht
vorzuſtellen gewagt hätten.
Berliner Volks⸗Zeitung vom 12. 3. 1936:
Leiſtung überzeugt.
.. Der „ ſtatiſtiſche!“ Teil der Rede des
Propagandaminiſters gehört zu den bes
ſten und ſtärkſten, was je über die Lei⸗
ſtungen des Nationalſozialismus innerhalb
dreier Jahre geſagt worden it... Wie eine
drucksvoll it es, wenn er beiſpiels⸗
weiſe die Kartoffellieferungen der Winter⸗
hilfe durch das Bild bekräftigt, ſie erforderten
einen Eiſenbahnzug, der von Berlin bis Addis-
Abeba reicht.
Göring in Königsberg
Königsberger Allgemeine Ztg. vom 13.3. 36:
. . . Auch bei der deutſchen Landwirtſchaft
wäre ein neues Aufblühen und ein neues
Hoffen zu verzeichnen. Die Bauern ſollten nie
mals vergeſſen, daß, während früher Not und
Elend auf ihrem Beſitz herrſchte, ſie heute ihren
Hof behalten dürften, wenn ſie auch einmal den
Leibriemen in Notzeiten enger ſchnallen
müßten. Das Erbhofgeſetz fei das gewaltigſte
Geſetz, das man je geſchaffen habe.
So ſei es auf der ganzen Linie geglückt, in
Deutſchland wieder neues Leben zu ſchaffen,
und zwar durch einen Geit, der NSDAP.-
Deutſchland heiße
.. Hermann Göring erklärte, daß er von
dem deutſchen Bauern die Dankbarkeit
verlange.
Darré in Guben
Onbener Zeitung vom 19. 3. 1936:
Gubens Bekenntnis zum Führer.
Geſtern ſprach Reichsernährungsminiſter und
Reichsbauernführer Walther Darré in unſerer
Stadt.
Die Stadt Guben beging den Tag... wie
einen Feiertag. Schon am frühen Mor⸗
gen leuchteten unzählige Fahnen in den Frũh⸗
lingstag. Fahnen des Bekenntniſſes, Fahnen der
Treue, Fahnen einer feſtlichen Freude. Denn
das iſt ja das ergreifende Merkmal
auch dieſes nationalſozialiſtiſchen Wahlkampfes
im Dritten Reich, daß nicht die Leidenſchaften
aufgepeitſcht werden, wie dereinſt, als un-
zählige Parteien darauf aus waren, ſich gegen-
ſeitig umzubringen, ſondern daß ein Appell an
die hohen Eigenſchaften des Menſchen ergeht,
an feinen Willen zur Treue, an feine Bereit-
ſchaft zum Glauben an die Idee
= — sp ow re ne
ee mp ee M Wen, oe
Das Archiv
Bemerkenswert an der Rede des Mi-
nifters war vor allem, wie er immer wieder die
kleinen Tagesfragen, die heute da find und
morgen überwunden ſein werden, lostrennte von
den großen Dingen, um die es geht. Mit
einer wahren inneren Gläubig-
keit verwies er auf den Führer
Aus einem ehrlichen deutſchen Her⸗
zen heraus ſtimmten die Tauſende dem Reichs⸗
miniſter zu, als er auf die Friedensliebe und
Friedensbereitſchaft des deutſchen Volkes hin⸗
wies, das genau fo friedliebend ift wie dat
franzsſiſche Volk
Als der Miniſter nach feiner großen Rede
freudig um jubelt den Platz verließ, war
für Guben ein großer Tag beendet...
Völkiſcher Beobachter vom 19. 3. 1936:
Der große Hindenburgplatz in
Guben, der mit Fahnen reich geſchmückt war,
faßte kaum die Menfden, die an
dieſem erſten ſchönen Vorfrühlingsabend in
Scharen hinausgewandert waren, um Reichs⸗
miniſter Darré... zu hören und vor ihm das
Bekenntnis zu treuer Gefolgſchaft abzulegen
Pg. Darré... bezeichnete es als eine
Freude... wieder einmal nahe fein zu können
und ſo Feiertage der politiſchen
Werkarbeit ju erleben.
Der Reichsminiſter wandte ſich dann im be⸗
ſonderen an das Landvolk und rief die Erinne⸗
rung an jene Zeiten wach, wo ſich zwiſchen
Erzeuger und Verbraucher ein Volk einge⸗
ſchaltet hatte, das nicht unferer Art war. Dem
an der Börſe ſpekulierenden Juden
ſei es gleichgültig geweſen, ob das deutſche
Volk hungere. Lediglich der Gedanke an das
Geſchäft und an den Profit habe ihn beherrſcht.
.. . Es müſſe eine Selbſtverſtändlichkeit und
ein Zeichen ein fachſten Anftandes
ſein, wenn jeder Volksgenoſſe die ihm entgegen⸗
gebrachte Treue mit Treue erwidere. Es
komme gar nicht darauf an, daß die Wahl
„bo mbenſicher“ fei. Der Führer müſſe den
anderen Nationen mit dem Hinweis gegenüber-
treten können, daß hinter ihm 66 Millionen
deutſcher Menſchen ſtänden, und deshalb offe
jeder von der Notwendigkeit dieſer Wahl über⸗
zeugt fein, da es ſich um den Kampf Deutſch⸗
lands um Licht und Sonne handle.
Der Angriff Nr. 67, vom 19. J. 1936:
Die Ernährung iſt geſichert.
Bauernführer Darré in Guben. ... Das deut-
ſche Landvolk weiß, was es Adolf Hitler zu ver⸗
danken hat. In ſchwerſter wirtſchaftlicher und
3
825
politifder Zeit hat ihm der Führer in allen Ta⸗
gen die Treue gehalten und an die ſtarke Kraft
des Bauerntums geglaubt
Berliner Boͤrſen⸗Zig. Nr. 134 vom 19. 3. 36:
. . . Für das deutſche Landvolk, fo fuhr der
Reichsbauernführer fort, ift die politiſche
Freiheit des deutſchen Volkes nicht nur ein
Begriff der äußeren Ehre, ſondern auch eine
ſehr reale Tat ſache. Ein Volk it nie
mals frei, wenn es den Brotkorb nicht
beherrſcht.
Berliner Lokal⸗Anzeiger vom 19. 3.:
Tit.: Darrè: Die Ernährung iſt geſtchert.
.. . Immer wieder wurde der Reichsminiſter
von minutenlangem Beifall un-
terbrochen, als er die Lage der deutſchen
Ernährungswirtſchaft ſchilderte. Er erklärte u. a.:
An dieſer Tatſache läßt Gë nicht herumden⸗
teln. Eine ausreichende Ernährung des deutſchen
Volkes iſt und bleibt geſichert! In zehn und
zwanzig Jahren werden die Menſchen den
Wahnſinn gar nicht mehr für moglich hal⸗
ten, der früher in Deutſchland organiffert
wurde; denn iſt es kein Wahnſinn, wenn
wir in unſerem Volke über einen Boden ver⸗
fügen, der bei richtiger Bebauung eine aus⸗
reichende Ernte abgibt und niemand Hunger lei⸗
den läßt, trotzdem aber Millionen in der Stadt
nichts zu eſſen hatten?
Deutſche Allgemeine Zeitung vom 19. 3.:
. . Dieſer Zuſtand, unter dem unfer ganzes
Volk litt, hatte aber ſeinen Grund. Man
hätte annehmen ſollen, daß nichts in einem
Staate fo ernft genommen wird, wie die Anf-
gabe, die Bevölkerung ausrei hend zu ernähren.
Aber damals war es anders. Da hatte ſich zwi⸗
ſchen dem Erzeuger und dem Verbraucher je⸗
mand eingeſchaltet: der Indel Der
hatte den Handel an ſich geriſſen und ſpekulierte
an feinen Börſen mit den Arbeitserträgen des
Bauern und ſeinen Ernten und lieferte den
Volksgenoſſen drinnen in der Stadt nur ſo
viel, wie es ihm und feinen Spekulations⸗
geſchäften paßt e. Unter Volk arbeitete und
bungerte, und ein Paraſit, ein Schma⸗
roger, hatte ſich in feine Wirtſchaft ein,
geniſtet. Nicht nur wurde das Landvolk um
feinen Arbeitslohn geprellt, viel ſchlimmer: der
Jude beherrſchte praktiſch den
Brotkorb des deutſchen Volkes.
Berliner Tageblatt vom 19. 3. 36:
. . . Die vom deutſchen Landvolk mit freudi-
ger Energie geführte Erzeugungsſchlacht ſchafft
das von allen liberalen Wirt ⸗
826
fGaftsthbeoretifern als unmög-
lich beieichnete Ziel, Deutſchland in
feiner Ernährung unabhängig zu machen
.. . Der Wechſel zwiſchen 1932 und heute
wirkte in der Darſtellung durch den Reichs⸗
bauernführer überzeugend und kraß,
fo daß jedem der Beſucher, unter denen befon-
ders zahlreich das Landvolk vertreten war, die
Entwicklung der letzten Jahre noch einmal
ylarifh vor Augen geführt wurde.
Immer wieder unterbrach ſtarker Beifall den
Reichsbauernführer.
Berliner Bolks⸗Zeitung vom 19. 3.:
.. . Es iR der nationalſonialiſtiſchen Agrar-
politik in überraſchend kurzer Zeit gelungen, den
Zuſammenbruch unſerer Landwirtſchaft durch
umfaſſende Maßnahmen aufzuhalten und ſie zu
befähigen, inmitten einer verworrenen Welt⸗
wirtſchaft das deutſche Ernährungs-
ſchiff fider und ruhig durch alle Fähr⸗
niſſe der internationalen Nahrungspolitik hin ⸗
durchzuſteuern.
. . . Ich möchte einmal den Bauern erleben,
der einen vollkommen verluderten und
verwirtſchafteten Bauernhof übernehmen
muß und fd einbildet, er könne ihn in drei
Jahren zu einer Muſterwirtſchaft
machen. Hier muß man Schritt für
Schritt vorgehen. Und ich glaube, daß heute
das deutſche Landvolk weiß, daß alle unſere
Maßnahmen die Vorausfegung dafür ſchufen,
damit es in ſo kurzer Zeit wirtſchaftlich
wieder gefund werden konnte.
Darrk in Pillallen
Königsberger Allgemeine Ztg. vom 20. 3.:
45000 auf dem Pillkaller
Marktplatz. l
. . . In den 14 Jahren marxiſtiſcher Miß⸗
wirtſchaft hatte die Landwirtſchaft im Kreiſe
Pillkallen beſonders {wer zu leiden
gehabt. Hier fand alle 4 Tage eine Zwangs⸗
verſteigerung fott, Ge kam es denn auch am
13. Juli 1930 zu der großen Banerne
revolte. Wieder einmal war im Amtsgericht
eine Zwangsverſteigerung angeſetzt. Die ver⸗
zweifelten und bis zum Außerſten aufgereisten
Bauern verfuchten, ſie mit Gewalt zu verhin⸗
dern. Die Polizei ſetzte drei Hundert⸗
ſchaften ein, und es gab auf beiden Seiten
Verwundete. Dann folgte der große Pro-
zeß in Königsberg.
. . Mehr alt einer der ſeinerzeit verurteilten
Bauern ſtand nun mit auf dem weiten Markt-
Weiſe
Das Archiv
plag... Von den größeren Städten aus, wie
Stalupsnen, Gumbinnen, Inſterburg und
Tilſit, kam l
Sonderzug auf Sonderzug
an. Alle wollten fie dabei fein, alle wollten fie
Reichsminiſter Darré, einen der alten und
bewährten Mitlämpfer des Führers, in ihrer
Heimat begrüßen.
Im Umkreiſe von mehr als 20 Rilo
meter prangten alle Ortſchaften, auch die aller⸗
kleinſten noch, in herrlichem Fahnen
ſchmuck. Ober alle Landſtraßen ſpannten Sé
große Spruchbänder, auf denen die Treue
zum Führer bekräftigt wurde
500 Bezirks- und Orts bauern
‚führer
aus den benachbarten Kreiſen ſtanden in einem
geſchloſſenen Block. Noch niemals hat
dieſer Kreis, noch niemals hat Pillkallen eine
ſolche gewaltige Kundgebung er⸗
lebt. :
.. In allen Ortſchaften wurde der
Reichs bauernführer herzlich begrüßt...
Reichsleiter Darré hielt dann eine große
Re dee. Inter wieder wurden feine ont,
rüttelnden Worte von begeiſterter
Stimmung unterbrochen, und das bewies, wie
ſehr ſie der oſtpreußiſchen Bevölkerung aus
dem Herzen geſprochen waren. Was
Oſtpreußen an Liebe und Verehrung
für den Führer ſchon in beiſpielloſer
am Vortage bei dieſem Beſuch in
Königsberg bewieſen hatte, das alles klang hier
in Pillkallen noch einmal machtvoll auf
Ein einziger begeiſterter Sturm,
der mehr als ein Gelöbnis war.
Königsberger Allgemeine Zeitung. Nr. 134
vom T9. 3. 1936: Ä
.. . Der Minier kann fid auf Teiftun-
gen und Erfolge berufen, die ſich nicht
nur ſehen laſſen können, ſondern auch
die Anerkennung des Auslandes
bereits gefunden haben. Dieſe Er⸗
folge ſind um ſo höher zu werten, als der
Reichsbauernführer bei feiner Amts übernahme
eine Lage antraf, die ohne Übertreibung als
troſtloſe zu bezeichnen war
Dieſe Leiſtungen und Erfolge, in drei Jahren
mühevoller Arbeit errungen, ſprechen für Ré
ſelbſt. Niemand aber hat die Abſicht, jetzt die
Hand in den Schoß zu legen. Der Kampf geht
weiter bis zur Erringung des vom Führer ge⸗
ſteckten Zieles.
|
Das Archiv
Bölkiſcher Beobachter Nr. 80 vom 20. 3.:
Tit.: Der Bolſchewis mus it und
bleibt der Feind des Bauern.
Neichsbauernführer Darré ſprach in Pillkallen.
.. . Der Reichsbauernführer wandte ſich in
feiner Rede ſcharf gegen den Bolſche⸗
wis mus, denn dieſer fei und bleibe der Feind
des Bauerntums, und im Bauerntum liege die
gefunde Kraft zur Abwehr des Bolſchewismus.
.Der oſtpreußiſche Bauer konnte ſich vor dem
Bolſchewismus bewahren, verfiel aber der
Syſtemregierung, zu deren Zeit der Bauer
v ogelfrei war,
Berliner Börsen- Zig. Nr. 135 vom 20. 3.:
Tit.: Der ärgſte Feind des Pan-
erntums. Reichsminiſter Darr in Pillkallen
über den Bolſchewismus.
.. . Der Reichsbauernfũhrer erinnerte an jene
Zeiten, als... das Syſtem ... auf. feinem (des
Bauern) Rücken den Polizeiknüppel
tanzen ließ. )
Germania Mr. 80 vom 20. 3.: i
Zit: Darré in Guben und Pill.
Fallen.
. .. Bei uns ift der Führer der Beauftragte
des ganzen Volkes und nicht der einer Partei.
Bei den kommenden Verhandlungen wird er
ſagen können: „Hinter mir ſteht das
ganze Volk.“
Berliner Tageblatt Nr. 69 vom 20. 3. 36:
Tit.: Treuekundgebungen im gan-
sen Reich.
Viele Tauſende hören die
Darré, Frick und Ruſt.
. . . Unter dem Jubel der Menge erklärte
er: „Es geht bei der Wahl nicht ſo ſehr um
dieſes oder jenes Problem, fondern darum, daß
das deutſche Volk einhellig bekundet, daß es
mit dem Bolſchewismus nichts zu
tun haben will.““. |
Berliner Bolle- Zeitung Nr. 136 vom 20. J.:
„Jeder kann dem Führer Bel,
fen“ — Dorré ruft Oſtpreußens Bauern zur
Wahl auf — Rede auf dem Marktplatz in
Pillkallen.
. . . Jeder einzelne muß KH in dieſer Stunde
bewußt fein, daß von ihm das Schickſal Deutſch⸗
lands abhängt, muß ſeine Pflicht tun,
gerade wie jeder einzelne Soldat i m
Kriege ſeine Pflicht getan hat.
Meinberg in Paffan
Baperiſche Oſtmark v. 16. 3. 36:
„Wir deutſchen Bauern danken
dem Führer.“ Das große Erlebnis
Reichsminiſter
»Reichsnährſtandes beleuchtet
827
des 2. Kreisbauerntages in Paſſau — Treu ⸗
bekenntnis des niederbayeriſchen Bauern-
tums zum Führer — Aufrüttelude Rede
Reichsobmanns Staatsrat Meinberg —
.Die roten Fahnen wehten und die
Spitzen ſchimmerten golden. Immer rieſi⸗
ger wuchs die Zahl der Bauern.
.. Immer dichter wurde das Meer
bet roten Fahnen der Bauernſchaft
Verſchwunden find die ſchwarzen Fahnen der
Bauernnot, eine neue Zeit verkündet das fieg-
hafte Rot der nationalſozialiſtiſchen Revolution,
die auch den Bauernſtand aus der jahrhunderte⸗
langen Knechtſchaft geführt hat und das ur-
alte Sehnen der deutſchen Bauern
zur Wirklichkeit werden ließ, für das.
Millionen deutſcher Bauern gefallen waren.
„Unſere Enkel fechtens beſſer aus!“ Sie haben
es befier ausgefochten! Der deutſche Bauer ift
wieder freier Herr ſeiner Scholle, eine ſtarke
Wehrmacht ſchützt feine Saat vor gierigen Han .
den Welſcher, und der deutſche Bauer iſt wieder
Träger der Ernährung feines Volkes. Hundert-
jährige Bauernkraft it im Auferſtehen und
legt Zeugnis ab vom Lebenswillen eines Bol
kes, das für ſich beanſpruchen kann, das er ſt e
Acervolk der Erde gu fein, wie verſchie⸗
dene Funde beweiſen.
.. Soldat und Bauer ſchloſſen einen Bund,
der alle Anſtürme überwinden wird.
.. . Dicht umfäumten die Paffaner
die Straßen und verliehen ſo ihrer Verbunden⸗
heit mit dem Bauernſtand und ihrer Freude über
den Tag Ausdruck. Die erten Frühlings
blumen wurden ſogar von manchen geopfert
und ſchmückten die Bruſt des einen oder anderen
Bauers, der das Jahr über hinter ſeinem Acker⸗
gaul auf lehmiger Erde einherſchreitet.
Bayeriſche Oſtmark d. 1 J. J. 36:
.. Die Gefinnung des Reichsobmannes des
am beſten ſein
Wahlſpruch: |
i Saend in der Furche ſterben,
das iſt Bauernart und recht!
Voͤlkiſcher Beobachter (München) Nr. 76
vom 16. J. 36:
Der Bauer dankt dem Jahrer
Staatsrat Meinberg auf dem Kreisbauerntag
in Paſſan
Zu einem unvergeßlichen Erlebnis
für die Beteiligten wurde der zweite Kreis⸗
bauerntag der Kreisbauernſchaft Paſſan
828
. Staatsrat Meinberg... Wie
der Bauer beſtrebt fein muß, den von
ſeinen Vorfahren übernommenen Hof auch ſeinen
Nachkommen zu erhalten und zu fördern, ſo muß
auch jetzt das deutſche Volk bemüht ſein,
unſer Deutſchland den kommenden Generationen
gu ſichern
.. Staatsrat Meinberg ſchloß feine mit fu-
belndem Beifall aufgenommenen Ausführungen
mit den Worten: „Möge die Geſchichte ſpäter ein-
mal ſchreiben: „Als der Herrgott dem deutſchen
Volke einen Adolf Hitler geſchenkt hat, da war
auch eine Generation vorhanden, die eines ſol⸗
chen Führers wert geweſen ift.”
Münchner Meueſte Nachrichten Nr. 76 vom
(6. J. 36:
Der Kreishauerntag in Paffau im Zeichen
des Wahlkampfes
Neichsobmann Meinberg ... Haß
in den Städten und Dörfern und 30 000 von
der Scholle vertriebene Bauern war der
Erfolg der im Jahre 1918 ausgegebenen Parole
von Schönheit und Würde. 60 Prozent
aller Bauern und Landwirte lebten noch von
der Subſtanz. In dieſer Zeit, als jeden Augen⸗
Wid die Kataſtrophe eintreten konnte, in dem
Augenblick, als man mit dem völligen Nieder ⸗
bruch des Reiches rechnete, ergriff gerade noch
zur rechten Zeit ES Führer die Zügel der
Reichsregierung
Donan⸗ Zeitung, Paſſan, Nr. 63 v. 16. 3. 36:
Bauern, der Führer ruft Euch
Staatsrat pg. Meinberg ſpricht:
Meine lieben Freunde! Wir Men-
ſchen, wir vergeſſen ja ſo leicht! Man vergißt
fehr leicht die Vergangenheit, aber wenn wir
einen Maßſtab für die große Zeit, in der wir
heute leben, finden wollen, dann müſſen wir
einmal zuruckdenken in jene Jahre, die hinter
uns liegen.
Ein Volk der Vorkriegszeit, ein ſolches Volk,
wenn es auch äußerlich reich war, das ange ⸗
freſſen war vom jüdiſchen Geift, ein
ſolches Volk wäre niemals eines Adolf
Hitlers wert gewefen...
.. eine Generation, die durch dieſe ſchlechte
Zeit gehen mußte, eine ſolche Generation iſt in
tiefen Sinne hart geworden, daß fie dem Führer
Adolf Hitler die Gefolgſchaft geben kann, die
er notwendig hat, um unſer Volk wieder
auf die Höhe zu führen.
Das Archiv
Donau - Zeitung, Paffan, Nr. 62
14.115. 3. 36:
Willkommen im ſchönen Paſſan
Dem Nährſtand gilt der Gruß der Dreiflüſſeſtadt
... Unſer Gruß gilt vor allem dem
Reichsobmann Meinberg, dem uner-
ſchrockenen Kämpfer für ein gefun
des deutſches Bauerntum, dem
Mahner zur Erhaltung der geſunden Scholle
und dem Wahrer bäuerlicher Raſſenreinheit.
Seine Anweſenheit gibt dem Kreishauerntage in
Paſſau die beſondere Bedeutung und verleiht
dem Tage den e einer großen politiſchen
Kundgebung
Donau » ER Paſſan, Nr. 62 vom
14.115. 3. 36:
Zweiter Keeishanerntag in Paffan
Banerunst in den letzten Jahrhunderten
. . Ert das Dritte Reich endlich
untermauerte die Fundamente, auf denen ein
freier und geſunder Nährſtand als wirklich wich;
tigſter Stand des Volkes nicht nur anerkannt,
ſondern erft lebensfähig gemacht wurde.
Wilhelm Meinberg
Es liegt eine tiefe Bedeutung in
der Tatſache, daß der Reichsobmann bes
Reichsnährſtandes ſowohl einem Kerulanbe des
deutſchen Bauerntums, Weſtfalen, entſtammt,
wie auch einer Bauernfamilie, deren Beſitz nach
uraltem Bauernrecht ſich als ungeteil⸗
ter Hof ſeit dem 12. Jahrhundert von Seſchlecht
zu Geſchlecht vererbt hat.
Meinberg in Pocking
Voͤlkiſcher Beobachter Nr. 78 v. 18. 3. 36:
. . Wer deutſchen Heimat boden bear
beitet, der habe die Verpflichtung, auf ſeiner
Scholle das Höchſtmögliche herauszuholen, damit
der deutſche Arbeiter, der Schulter an
Schulter mit dem Bauern unſer Vaterland
verteidigt hat, jederzeit Arbeit und Brot habe.
Die Schwere der Zeit und die noch lange nicht
überwundene Not erfordern in Zukunft erſt
recht, daß wir zurückſtehen, um die im Kriege
1914—1918 und in einem vierzehnjährigen
Niedergang erkämpfte deutſche Volksge⸗
meinſchaft noch weiter zu vertiefen.
Meinberg in Eggenfelden
Bayeriſche Oſtmark vom 17. 3. 36:
Eggenfelden erlebte geſtern eine
Maſſenkundgebung, wie man fie
bierorts noch nie geſehen hatte.
vom
Das Archiv
--- Pg. Meinberg bemerkte, daß die
Polizei eigentlich feſtſtellen müßte, daß die
Sicherheit der Volksgenoſſen in der vollgeſtopf⸗
ten Halle nicht mehr gewährleiſtet ſei.
Von Anbeginn feiner packenden Aus-
führungen fand der Redner in nigſten
Kontakt mit der aufmerkſamen Hörerſchaft,
die ſeine Worte immer und immer wieder mit
zuſtimmendem Beifall unterbrachen.
Mit rückſichtsloſer Deutlichkeit
umriß der Staatsrat das Bild des Nachkriegs⸗
deutſchland, jener erſchreckenden Zeit des Nie⸗
dergangs, in der der heimkehrende Frontkämpfer
Deferteure und Drückeberger als
Machthaber in der Heimat vorfand, die die
Not des deutſchen Volkes zum Spekulations⸗
objekt machten. wo die Zukunft un»
ſerer Kinder durch Abſchluß von „Ver⸗
trägen“ in feiger Eigennützigkeit verkauft
wurde, indeß wir heute gerade für die Zukunft
unferer Kinder arbeiten.
Meinberg in Traunſtein
Vöͤlkiſcher Beobachter v. 19. 3. 36:
. . . Sie konnten ſich damals an den Fingern
abzählen, wann auch ſie den weißen Stab
in die Hand nehmen mußten.
. . . In den drei Jahren nationalſozialiſtiſcher
Regierung hat ſich alles gründlich ge-
andert. 700 000 Bauern wurden durch
das Reichserbhofgeſez auf immer mit ihrer
Scholle verbunden. Das Reichsnährſtandegeſetz
hat die Grundlage geſchaffen für die Markt⸗
ordnung
In einem kraſſen Gegenfag zu
Deutſchland kann man in vielen Staaten
heute beobachten, daß bei ſteigenden Lebensmittel-
preiſen die Bauern zugrunde gehen. Wenn dieſe
Preisſteigerung, wie z. B. in den Vereinig ⸗
ten Staaten, teilweife 40 Prozent aus
macht, die ſteigende Zahl der Erwerbsloſen ſchon
lange die zehnte Million überſchritten habe und
die Farmer nicht wiſſen, was ſie tun ſollen und
vielfach ihre Höfe verlaſſen, dann gebe das
ſehr zum Denken Anlaß.
.. . jede Stimme ift ein Bauſtein an der Zu-
kunft unſeres Vaterlandes.
Staatsſekretär Backe
Nheiniſche Landes⸗Zeitung Nr. 76 v. 17. J. 36:
Deutſchlands Ernährung
.. . Im Jahre 1927 hatten wir einen Cin-
fuhrüberſchuß an im Inland erzeugbaren Nah⸗
rungs⸗ und Futtermitteln im Werte von 3%
Milliarden Mark. Im Jahre 1935 belief ſich
829
dieſer Einfuhrüberſchuß nur noch auf 650 WNL
lionen Mark... Ihr volles Gewicht erhalten
dieſe Zahlen aber erſt, wenn man ſich vor Au⸗
gen hält, daß in den letzten Jahren der
Nahrungsmittel verbrauch nicht etwa
geſunken, ſondern geſtiegen
ift. ... Schließlich und nicht zuletzt kann man
nur dann die deutſche Ernãhrungswirtſchaft und
ihre Leiſtungen voll beurteilen, wenn man ſich
klar macht, daß das deutſche Volk nur über
einen ſehr engen Lebensraum verfügt.
Zur Ernährung jeden Einwohners ſtehen in
Argentinien fat 13 Morgen und in Deutſch⸗
land nur knapp 2 Morgen landwirtſchaftlich
genutzter Fläche zur Verfügung. Trotzdem wird
in Deutſchland jeder fatt, während in dem
„Paradies“ Moskau die Lebensmittel
preife zwei bis dreimal fo hoch wie
in Deutſchland find.
| Dr. Reiſchle
N. S. K. vom 17. J. 36:
Aufgaben und Erfolge der Erzengungsſchlacht
. .. Durch Bodenverbeſſerung und Dränage
wurde die Leiſtungs fähigkeit der deutſchen Scholle
erheblich geſteigert. |
Die in der Zeit von 1933 bis 1935 meli.
orierten Flächen von 1,2 Mill. Bet,
tar entſprechen einer Neulandgewin⸗
nung von rund 240000 Hektar
oder der landwirtſchaſtlichen Nutzfläche des
Staates Braunſchweig.
Es iſt alſo in friedlicher Arbeit eine neue
Provinz gewonnen worden.
Frhr. von Kanne
NRheiniſche Landeszeitung — Note Erde —
vom 18. 3. 36:
... Durch fie (die Marktordnung)
war es möglich, das wirtſchaftliche Fun⸗
dament für die Erzeugungsſchlacht zu ſchaffen,
eine Erzeugungsſteigerung fo gewaltigen Aug-
maßes, daß damit wiederum eine ungeheure Ar⸗
beitsbeſchaffung verbunden iſt und der Devifen-
bedarf für die Einfuhr immer geringer wurde,
was eine Sicherung und Verbreiterung der Rop-
ſtoffbaſis und damit der Arbeitsbaſis in der ge⸗
werblichen Wirtſchaft zur Folge hat.
Durch ſie war es möglich, die
Reichsnährſtandsinduſtrie und das Reichsnähr⸗
ſtandshandwerk zum vollkommenen Leiſtungs⸗
prinzip zu bringen, das wiederum mit Arbeits⸗
beſchaffung weiteſten Ausmaßes verbunden iſt.
830
Durch fie war es möglich, eine Sta-
bilifierung der Einkommenaufteilung des großen
Verbraucherheeres herbeizuführen, dergeſtalt, daß
ein feſtumriſſener gleichbleibender Satz für die
Ernährung aufgewendet wird und ein ebenſo
feſtumriſſener Satz für die Bedarfsdeckung aus
der übrigen gewerblichen Wirtſchaft zur Ber-
fügung ſteht.
Sowjet- Paradies
Die Franzoſen ſpielen ſich immer als die
Träger der europäiſchen Kultur auf. Hervé
hat dieſe Behauptung jetzt im „Victoire“ er⸗
neut unterſtrichen, um Deutſchland damit eine
nachgeordnete Rolle zuzuweiſen. Er hob die
„7oojäͤhrige“ chriſtliche Kultur Frank
reichs beſonders hervor.
Wie Ré dazu das Bündnis mit den bet,
ſchewiſtiſchen Maſſenmördern reimt,
verſchweigt er wohlweislich. Er ſollte die Wieder⸗
einführung der Leibeigenſchaft durch die
Sowjets als neuen Beitrag zur Förderung der
menſchlichen Kultur fleißig ſtudieren; wie über⸗
haupt dieſe neue Ungeheuerlichkeit der jüdiſchen
Gewalthaber wie eine Welle durch alle Zeitungen
laufen und immer wieder bekanntgemacht wer⸗
den ſollte.
Volkiſcher Beobachter Nr. 65 vom J. J. 36:
„Sowjet-Paradies. Moskau befiehlt
Zwangsarbeit. Rückkehr der Leib ⸗
eigenſchaft für die ſowjetruſſiſche
Landbevölkerung. — Männer und Frauen
auf Straßenbau unter G P U.⸗Aufſicht.
. .. Die jetzt durch eine Verordnung der höch⸗
ſten bolſchewiſtiſchen Regierungsſtellen verfügte
unentgeltliche perſönliche Arbeitspflicht der ge⸗
famten ſowjetruſſiſchen Landbevölkerung, der
Frauen wie der Männer, geht auf eine regel⸗
rechte Zwangsarbeit der Bauern
hinaus, wie ſie bis zur Aufhebung
der Leibeigenſchaft im Jahre 1861 durch
den Zaren Alexander II. beſtan⸗
den hat.
Nat.⸗Soz, Landpoſt vom 13. J. 36:
Wie der ruſſiſche Bauer geknechtet wird:
Zwangsarbeit wird eingepeitſcht.
Wir ſtehen heute vor der Tatſache, daß Mos⸗
kau, das ſich ſo gern der „vom lapi»
taliſtiſchen Regime ausgebeuteten
arbeitenden Klaſſen“ in allen fremden
Staaten annimmt, ein neues arbeiter ⸗
feindliches Geſetz erlaſſen hat, das ſich
dieſes Mal gegen die Landbevölkerung richtet.
. . . Die Urheber dieſes Jubiläumsgeſchenks find
Das Archiv
dieſelben Elemente, die die ganze Zeit vor dem
Kriege bis zum Ausbruch der Revolution um
ermüdlich gegen das Kaiſerreich als dem Regime
der Ausbeutung, Knechtung und Unterdrückung
der Bauern und Arbeiter gehetzt Hatten. Wi e
traurig muß es um diefes „ſozi⸗⸗
liſtiſche“ Syſtem beſtellt fein, wenn
feine Vertreter zu folgen unwürdigen Maßnah⸗
men greifen müſſen! .
. . . Die durch ein Lockſpitzelſvſt em in
einem gebrauchs fähigen Inſtrument ausgebaute
Organiſation pon „politifh zuverläſſigen““ Cle
menten der GPU. oder, wie fie eigentlich heißt,
die „ſtaatliche politiſche Verwaltung“, hat von
allen Fragen, die die bäuerliche Bevölkerung be⸗
treffen, nicht die geringſte Vorftel-
lung. Sie hat ſich im Laufe der Jahre zur
Niederwerfung von Bauer nauf -
ſt anden „beſtens“ bewährt, und aus dieſem
Grunde wurde ſie auch beauftragt, ſowohl die
einzelnen Punkte des Geſetzes nach den „aufge⸗
ſtellten Plänen“ auszuarbeiten als auch
für die praktiſche Durchführung des Se⸗
ſetzes Sorge zu tragen.
Es liegt auf der Hand, daß diefes „Beleg“
einem neuen Vernichtungsfeldzug ge
gen die im Sowjetſtaat geknechteten Bauern
gleichkommt.
.. . Das Unwürdigſte an dieſem „Ge⸗
feg” ift aber, daß nicht nur Männer, ſondern
auch Frauen mitarbeiten müſſen! Auf dieſe
Weiſe werden Familien gewaltſa m
auseinandergeriſſen, während zu Hauſe
die minderjährigen, ohnehin halbverhungerten
Kinder gänzlich verkommen
. . . Durch Experimente auf allen Gebieten,
die Millionen Menſchen datz Leben gekoſtet ha⸗
ben, iſt Rußland ruiniert worden. Wir kennen
ja die Erfolge dieſer Experimente — Verelen⸗
dung der arbeitenden Maſſen in Stadt und
land ... Verödung ungeheurer Flächen
beſten Ackerbodens. N
Man ſtelle ſich ſolche Methoden und deren
Auswirkung auf Deutſchland übertragen vor
Für Europa gehört das Kapitel der Leth
eigenſchaft des Bauern ſeit 150 Jahren
der Geſchichte an. Sowjetrußland hat aber
mit ſeiner Wiedereinführung öffentlich dokumen⸗
tiert, daß es von der europäiſchen Kultur abge-
rückt und zu den finfteren Methoden Aſient
zurückkehren will. Dr. Lüder⸗Lührs.
Zeitungsdient des Reichsnährſtandes vom
10. J. 36:
. . . Leider erfahren wir nur viel zu wenig,
wie es dem Arbeiter und vor allem dem
4 Das Archiv
Bauern im Sowjetparadies geht... Wie es
aber in der Tat in Rußland ausfieht, läßt ſich
in Worten nicht befhreiben... Die
Bauern, wenn man überhaupt noch von ſolchen
ſprechen kann, werden, ſofern ſie ſich nicht dem
Terror beugen, in Maſſen erſchoſſen,
ihre Frauen in die Wälder gejagt und ihre
Höfe verbrannt. Die Zahl der in den früher
reichſten Getreidegebieten verhungerten „verſtaat⸗
lichten Bauern geht gleichfalls in die Mili-
onen. Man läßt ſie einfach liegen, wo ſie zu⸗
ſammenbrechen, wozu noch beerdigen?
.. . Heute halten es die angeblichen
Befreier der werktätigen Bevölkerung für
nötig, ſie (die Leibeigenſchaft) wieder einzufüh⸗
ren. . Man kann es Bé aber denken, was
dieſen Unglücklichen bevorſteht.
So ſieht der neueſte Erfolg des fowpetiſtiſchen,
angeblich doch ſo arbeiterfreundlichen Regimes
aus. In der Tat, eine unheimliche Errungen⸗
ſchaft! Der ruſſiſche Bauer ift der Arbeits ⸗
sklave der Sowjetmachthaber geworden, die
ihn rückſichtslos einſetzen und ausnutzen, wie es
ihnen paßt, nachdem ſie ihm vorher Land und
Vieh genommen haben. Machtlos iſt der
Bauer den Moskauer Gewalthabern ausge»
lie fer t. Ganz ſyſtematiſch wurde von
dort aus von Beginn der bolſchewiſtiſchen Re⸗
volution an der Bauernſtand zugrunde gerichtet.
. . . Bezeichnender konnten die Sowjets den
fünfundſiebzigſten Jahrestag der Aufhebung der
Leibeigenſchaft nicht begehen als hierdurch. Ihr
Jubiläumsgeſchenk für die ruſſiſchen Bauern, die
Erhebung der allgemeinen Bauernfron zu
einem Geſetz des zwanzigſten Jahr ⸗
hunder is, öffnet allen die Augen, die bisher
noch immer nicht wußten, wie es im bolſche⸗
wiftifhen Paradies ausſieht.
Mit um fo größerem Stolz blik⸗
ten wir deutſchen Bauern nach Deutſchland,
wo Adolf Hitler durch feinen Nationalſozialis⸗
mus Deutſchland vor dem Kommunismus be⸗
wahrte und den Bauern ſowie allen anderen
Ständen wieder Arbeit, Freiheit, Ehre und Le⸗
bent möglichkeit brachte.
Deutſcher Schnelldienſt vom 5.3. 36:
Tote Seelen. .. In aflatifhen Deſpo⸗
tien — und Bolſchewikien iſt eine Deſpotie —
gilt das Volk nichts. Aber dieſer Rückfall in
die Zeiten, da der Ruſſe je nach Belieben von
dem Herrn verſchachert und verkauft werden
konnte, ift doch in unferen Zeiten etwas Un,
erhörtes. . . Jetzt ſcheuen ſich die Macht⸗
haber im Kreml nicht, auch die äußerfie Kon-
831
ſequenz zu ziehen und die Landbevölkerung võ I-
lig zu entrechten.
Kein Land der Welt, nicht einmal orien»
taliſche Staaten oder Abeſſinien,
fennt diefe Form der Verſkla⸗
vun g. . . . Das Rad der ruſſiſchen Geſchichte
iſt gründlich nach rückwärts gedreht
worden. ... Als die Bolſchewiſten ans Ruder
kamen, verſprachen ſie gerade der über⸗
wiegenden Maſſe der ruſſiſchen Bevölkerung,
den Bauernſöhnen, fie ſollten Freie auf
eigener Scholle werden und der Großgrundbeſitz
würde enteignet. Unter dem Schlagwort „Frie⸗
den, Freiheit und Brot für alle“ ſiegte der
Bolſchewismus. Das machte feine Volkstümlich⸗
keit, feine überraſchende Stoßkraft aus. Aber
ſehr bald wandelte er ſich.
.. . Die ſogenannte Sozialiſierung
der Muſchiks begann, und heute gibt es
im weiten ruſſiſchen Reiche keine
ſelbſtändigen Bauern mehr, fon
dern nur ländliche Lohnarbeiter, die unter der
Knute der roten Zaren ihr Daſein friſten.
.. . Wenn fie jetzt diefer Maffe Zwangsarbeit
vorſchreiben, dann läßt das den ungeheuren Ab-
ſtand erkennen, der die europäiſchen Völker und
ihre wirtſchaftlichen und politiſchen Syſteme von
den Methoden des socialismus asi»
aticus trennt. Der Bolſchewismus iſt die
Knechtung und Verkümmerung der Maſſen
ſchlechthin.
V. d. D. vom 4. 3. 36:
. . . was fagen die demokratiſchen
Verbündeten dieſer aſiatiſchen Marxiſten
zu einer ſolchen Abkehr von allen humanitären
Ideen?
Germania vom 5. 3. 36:
Volk unter der Knute
... Die neue Maßnahme der ruſſiſchen
Machthaber it geeignet, die Auf merkſam ⸗
keit der Kulturſtaaten der Welt
erneut auf die men ſchenun würdigen
Zuſtände zu lenken, unter denen das ruſ⸗
ſiſche Volk nun ſchon ſeit achtzehn Jahren lebt
und leidet. ... Arbeitsleiſtung unter den Augen
der GPU.... das .. zeigt wieder einmal die
näckte Wahrheit hinter den Potemkinſchen
Dörfern, mit denen Gowjfetdiploma-
ten jonglieren: nämlich Volk unter der
Knute eines Syſtems, das jede Freiheitsregung
unterdrückt, die Perſönlichkeit entrechtet und den
Menſchen zu einem Muskelbündel er ⸗
niedrigt.
832
Großgrundbesitz wohin?
Monatshefte für MS. Sozialpolitik Nr. 5
vom Februar 1936:
Großgrundbeſitz wohin? In der
tiefen Erkenntnis der Bedeutung des Bauern⸗
tums für das Leben unſerer Nation hat die
nationalſozialiſtiſche Staatsführung den Bauern
aus ſeiner kataſtrophalen Lage, in die ihn die
liberaliſtiſche Wirtſchaftspolitik geſtürzt hatte,
befreit .. . nach Zeiten der Mißachtung des
Bauern wurde ihm wieder die Achtung zuteil,
auf die er gemäß feiner Stellung im Geſamt⸗
leben des Volkes Anſpruch hat. Zugleich iſt
damit für tauſende deutſcher Menſchen eine
jahr hundertelange Leidenszeit
endgültig beendet worden. Im Laufe
der Geſchichte vielfach unterdrückt und durch
Kriege dezimiert, hat das Bauerntum eine faſt
unerſchöpfliche Lebenskraft bewie⸗
ſen, die der Staat von nun an hüten wird.
Es it ein un anſtändiges Begin-
nen, wenn fetzt gewiſſe Teile des
Großgrundbeſitzes aus der Einſtellung
des nationalſozialiſtiſchen Staates zum Bauern⸗
tum für ſich Kapital zu ſchlagen verſuchen.
. . . Sie ſcheuen dabei nicht davor zurück, die
Leibeigenſchaft entweder glatt zu
leugnen oder fie für juriſtiſch und mo-
raliſch nicht anfechtbar, ja für cine Cin
richtung zu erklären, die ſowohl für den
Großgrundbeſitz wie für den Bauern und das
Neues Schrifttum
deutſche Volk gleich ſegensreich geweſen ſei. Ein
politiſcher Klüngel von Grofgrund-
beſitzern Halt ſogar die Zeit für gekommen, um
vom nationalſozialiſtiſchen Staat feine Wieder
einfetzung in ehemalige politiſche Stellungen zu
erwarten.
Dieſen Abſichten dienen neuerdings zwei
Bücher, und es lohnt ſich, dieſe den Auſchein
objektiv⸗wiſſenſchaftlicher Forſchung wahrenden
Tendenz ſchriften näher zu beleuchten. Sie mögen
zugleich als treffende Beiſpiele dafür gel⸗
ten, was Reaktion heißt und be⸗
deutet.
. . . ein Buch mit dem Titel „Großgrundbeſitz
im Umbruch der Zeit“, herausgegeben von Dr.
Hans Olof von Rohr.
.. . Der erten Schrift voller politiſcher Aſpi⸗
rationen des herrenklübleriſchen
Großgrundbefites folgte eine weitere
mit dem Titel: „Ritter und Bauer in Medlen-
burg.“ Sie erſchien im Schlieffen⸗Verlag, Ber-
lin. Der Verfaſſer war Hans Jürgen von
Gadow.
. . . eine tollere Tendenzſcrift für
die Belange des Sroßgrundbeſitzes it fled-
terdings undenkbar!
.. Die wüſten Rechtszuſtäͤnde findet
von Gadow ganz in Ordnung.
.. ein Muſterbeiſpiel übelſter
Seſchichtsfälſchung it von Gadows
Buch. von Mandypwel.
Neues Scheiſttum
Zur Auslegung der deutſchen Naſſengeſetzgebung
Der Nationalſozialismus ſieht eine ſeiner
Hauptaufgaben in der Reinerhaltung und Er-
neuerung des deutſchen Blutes. Die geſetzliche
Grundlage hierzu wurde in den Nürnberger Ge⸗
ſetzen und dem Ehegeſundheitsgeſetz geſchaffen.
Der leitende Sachbearbeiter im Reichsinnen⸗
miniſterium, der am Zuſtandekommen dieſer Ge⸗
fege beteiligt war, Staatsſekretär Dr. Stuckart,
und ſein engerer Mitarbeiter Oberregierungsrat
Dr. Globke haben einen ausführlichen Kommen⸗
tar zum Reichsbürgergeſetz, Blutſchutzgeſetz und
Ehegeſundheitsgeſez mit allen Ausführungsbe⸗
ſtimmungen und den einſchlägigen Geſetzen und
Verordnungen veröffentlicht. (Verlag C. H.
Beck, München und Berlin, 300 S. Oktav-
format, Leinenband RM. 5,80.)
Der Kommentar felbft gliedert ſich in die drei
Hauptgeſetze und die bisher erſchienenen Aus⸗
führungsverordnungen, die einzeln erläutert
werden. Wertvoll ift, daß auch das Seſetz zum
Schutze der Erbgeſundheit des deutſchen Volles
(Ehegeſundheitsgeſetz) ausführlich ausgelegt wird.
Dieſe drei Raſſengeſetze bilden ein einheitliches
Ganzes, deſſen Beſtimmungen ineinandergreifen.
Dieſe Zuſammenhänge werden aufgewieſen, die
allgemeinen Fragen wie auch die Einzelheiten
der Raſſengeſetze eingehend und gemeinverfländ-
lich erklärt. Die einſchlägigen Beſtimmungen aus
41 Gefegen und Verordnungen und 13 wichtige
Neues Schrifttum
Erlaſſe find wörtlich abgedruckt. Der Benutzer
des Werkes hat alſo auch das geſamte geſetz⸗
geberiſche Material beiſammen. f
„Süße Fendt, bittre Frucht China“
Im „Fernen Often”, in China wie auch in
Japan, ſind Kräfte in Bewegung gekommen, die
in ihren lauten Äußerungen — kriegeriſchen Er⸗
eigniſſen, Aufruhr, in China ſchier ewiger
Bruderkrieg — uns Abendlander wohl out,
horchen laſſen müſſen. Der gineſiſche wie der
japaniſche Menſch von heute find ſich des Wider⸗
ſtreites bewußt geworden, in welche herein⸗
brechende weſtliche Ziviliſation und weſtlicher
Intellekt Volk und Land notwendig hineingezo⸗
gen haben, und dies, wie wir glauben, zu end⸗
gültigem Verderben, gibt er nicht dem Gefühl
für die Urkräfte feines Wefens wieder entſchei⸗
dend und geſtaltend Raum, die bei dem Aflaten
in nichts anderem beſchloſſen liegen, als bei uns
Abendländern, in Blut und Boden. Das ferne
Afien erſcheint uns plötzlich in merkwürdige und
bedeutungsvolle Nähe gerückt.
Nach einem in der Konzeption gänzlich un⸗
politiſchen und ohne jedes Zweckmäßigkeitsſtreben
geſchriebenen Buch von Nora Waln, „Süße
Frucht, bittre Frucht China“, erſcheinen dieſe
Urkräfte in China aus offen zutage liegenden
Quellen geſpeiſt, ſtrömen dieſe kraftvoll und
ſtetig wie je, und mehr als in irgendeinem
andern Land iſt das Gefühl für den Urbeginn
und die Ewigkeit alles Seins, die ſich ſtetig er⸗
neuernde Kraft der Erde lebendig wie vor Jahr⸗
tauſenden. Das „uralte China“ erſcheint ewig
jung.
Eine junge Amerikanerin gelangt für die
Dauer von Jahren auf wunderbare, romantiſche
Weife in den Fremden fonft unzugänglichen, ver⸗
ſchloſſenen, ummauerten Bereich einer vornehmen
chineſiſchen Familienheimſtätte. Auf der Reiſe
dorthin mit den chineſiſchen Freunden, winters,
im großen Segelſchlitten auf dem eisbedeckten
„Großen Kanal“, der berühmten alten Waſſer⸗
ſtraße, wird uns ein Bild der auf uns ein⸗
dringenden geheimnisvollen Fremde vor Augen
gezaubert, wie es nur die Wirklichkeit noch le⸗
bendiger machen kann. An welcher Fülle der
Erſcheinungen auf dem Waſſer und an ſeinen
Ufern zieht der Reiſeſchlitten nicht vorbei!
Welche Buntheit und Vielfalt von Menſch, Tier
und Pflanze, von Himmel und Wolken, Licht
und Luft! Sie nimmt gefangen und feſſelt.
Immer wieder it man bereit, das Buch ſinken
zu laſſen, damit diefe Buntheit wirke.
833
Gewährt dieſe Reiſeſchilderung die erſten be⸗
deutſamen Einblicke in das Weſen des Landes,
das Leben in der Heimſtatt — es wird uns von
der Verfaſſerin auf gleich meiſterliche Art le⸗
bendig nahe gebracht, ohne jede trockene Lehr⸗
haftigkeit — führt erſt in das eigentliche China
hinein oder baut es gleichſam vor uns auf. Da⸗
bei erleben wir, und dies intereſſiert vornehmlich
den Lefer von Odal”, wie die Begriffe der Fa-
milie und der Sippe, von Staat, Religion,
Natur — in dieſem Lande und in diefer Maffe
alle in eins verwoben, einer den andern durch⸗
dringend — von einem Leben geformt wurden,
das natürlich war und darum harmoniſch, ein
Leben voller Weisheit, Schönheit und Ruhe.
Dem Buche beigegeben iſt ein Schutzumſchlag,
der ein Bild Moritz von Schwinds wiedergibt,
„Sieſta einer chineſiſchen Familie“. Eine Hänge⸗
matte iſt gefpannt hoch zwiſchen ſchattenſpenden⸗
den Bäumen. Darin ruhen der Chineſenvater
mit Frau und Kind. Hier reichte wohl der Blick
über die alle Weite ſonſt abſchließende Mauer.
Aber die Augen der Menſchen ſind geſchloſſen,
bewegungslos ragt der Fächer, in trägen Händen
ruhend, in die Luft. Schwind fab in dieſem
Bilde, wie angegeben wird, „die reinſte Dar⸗
ſtellung menſchlichen Glückes, wie einer ſo mit
ſeinen Lieben, in den kleinſten Raum zuſammen⸗
gepackt, in ſeliger Ruhe zwiſchen Himmel und
Erde ungeflört und ſicher ſchwebe “. Wir möch⸗
ten betonen, „chineſiſcher Glückſeligkeit“.
Aus ſeinem Paradieſe iſt der Chineſe vertrie⸗
ben, das wiſſen wir. Uberſehen wir nicht, daß es
die gleichen, feinem Glide entgegenwirkenden
Kräfte find, die auch das Abendland aus dem
Gleichgewicht brachten und noch bedrohen. Bo.
Banuerngeſchichte leicht gemacht
Die Beſinnung auf das Werden unferes
Volkes hat zu der Feſtſtellung geführt, daß die
deutſche Geſchichte im tiefſten Grunde eine Ge-
ſchichte des Bauerntums geweſen iſt. „Ehe alle
anderen Stände da waren, iſt der Bauer da⸗
geweſen. Viele Jahrtauſende hindurch haben
Recht und Sitte, Brauchtum und Weſensart
des Bauern unſer Volk beſtimmt. Was der
Bauer für recht hielt, hat gegolten, bis fremde
Rechtsauffaſſungen bei uns eindrangen... Die
Geſchichte deutſchen Bauerntums iſt alſo keine
enge Standesgeſchichte, ſondern der bedeutendſte
Teil der wirklichen Volksgeſchichte.“ Dieſe
Worte entſtammen dem Vorwort des neueſten
Heftes der von uns bereits früher angezeigten
„Landwirtſchaftlichen Lehrbuch ⸗
reihe“, in der Dr. Johann von Leers
834
bas 5. Heft unter dem Titel „Bauerntum“
bearbeitet hat. Der Reichsnährſtands⸗Verlag
hat, das muß man herausſtellen, mit dieſer
Schriftenreihe einen guten Wurf getan. Das
geſteckte Ziel, der Landjugend daheim und in
bäuerlichen Werkſchulen allgemein verſtändliche
Bücher an die Hand zu geben, ſcheint gerade
mit dem neuen Heft ganz beſonders glücklich er⸗
reicht worden zu ſein, um ſo mehr, als man zu⸗
gleich vielleicht eine Löſung im Sinne der For-
derungen des Führers für den Geſchichtsunter⸗
richt gefunden hat.
Man erinnert ſich dabei an jene Stelle im
„Kampf“, an der der Führer einmal darauf
hingewieſen hat, daß früher im deutſchen Ge-
ſchichtsunterricht zwar Daten, Beburtssiffern
und Namen gelehrt, die weſentlichen Dinge
aber überſehen wurden. Deingegenüber verlangte
er: „Im Geſchichtsunterricht muß eine Kürzung
des Stoffes vorgenommen werden. Der Haupt-
wert liegt im Erkennen der großen Entwick⸗
Iungslinien... Denn man lernt eben nicht Ge-
ſchichte, um nur zu wiſſen, was geweſen iſt,
ſondern man lernt Geſchichte, um in ihr eine
Lehrmeiſterin für die Zukunft und für den
Fortbeſtand des eigenen Volkstums zu erhal⸗
ten... Der normale Durchſchnittsmenſch aber
ift kein Seſchichtsprofeſſor. Für ihn ift die Ge-
ſchichte in erſter Linie dazu da, ihm jenes Maß
geſchichtlichen Einblicks zu vermitteln, das nötig
iſt für eine eigene Stellungnahme in den politi-
ſchen Angelegenheiten ſeines Volkstums.“
Überprüft man unter dieſen Blickpunkten das
hier zu beſprechende Heft der Lehrbuchreihe,
dann erkennt man: Mit ihm iſt eine Bauern⸗
geſchichte entſtanden, die leicht gemacht, wirk⸗
lich auf den Jungbauern zugeſchnitten und nicht
für „Geſchichtsprofeſſoren“ geſchrieben ift. Hier
wimmelt es nicht auf Schritt und Tritt von
Zahlen und Daten. Klar ſind dagegen die Ent⸗
wicklungslinien herausgearbeitet, und mutig
werden auch die Nutzanwendungen gezogen. Zu⸗
gegeben — wie der Verfaſſer in ſeiner Einlei⸗
tung ſelbſt betont —, daß ſeine Darſtellung
nicht von „erſchöpfender Vollſtändigkeit“ ift.
1. Gefhidte
Albert, Franz: Der Name Wünſchelburg.
Eine heimatkundl. Studie zur Glatzer Früh⸗
geſchichte. — Bad Reinerz: Richard Pohl 1935.
38 S. Gr.⸗80. nn — 75.
Behn, Friedrich, Prof. Dr, Kuſtos: Alt.
germaniſche Kunſt. Mit e. Einf. J. verm. Aufl.
Neues Schrifttum
Aber das iſt, unter der Zielſetzung der Schrift
gefeben, fogar gut fo! Denn wir betonen es noch
einmal ausdrücklich: Nicht darauf kommt es an,
daß unſere bäuerliche Jugend zu Spezialiſten
der Geſchichtswiſſenſchaft erzogen oder zu einem
wandelnden Geſchichtskalender gemacht wird, fon-
dern darauf, daß fie die Grundzüge des geſchicht⸗
lichen Ablaufs und ihre Lehren für die Segen⸗
wart erfaßt. Die Vorausſetzung dafür aber ift
nicht zuletzt die Art und Weiſe der Darſtellung.
Und auch von dieſer Seite her kann man die
Neuerſcheinung als vollauf gelungen bezeichnen.
Der Inhalt der Schrift iſt keineswegs mit
dem geſchichtlichen Uberblick erſchöpft, der viel ⸗
mehr nur einen der drei Hauptteile ausmacht.
In dem erſten Teil wird der Bauer in feiner
Heimat geſchildert — wobei ein Rundgang
durch Haus und Hof, Familie und Sippe,
Brauchtum und Landſchaft führt —, der bäuer⸗
lichen Arbeit und ihrer Helfer gedacht, vor
Dorfklatſch und -ftreit, vor dem „Prozeßhanſel“,
vor Säufern, Wirtshausfigern, Spielern und
liederlichen Leuten gewarnt. In einem letzten
Hauptſtück zeichnet der Verfaſſer ſchließlich das
Schickſal des Bauern im Dritten Reich und
will fein Verſtändnis für die nationalſozialiſti⸗
ſche Weltanſchauung, für die Maßnahmen von
Partei und Staat, wie etwa für den Kampf
gegen Judentum, gegen Raſſeverſchlechterung
und Verftadterung wecken. Dem wird das Bild
des Bauern von morgen gegenübergeſtellt mit
ſeinen Rechten, aber auch mit ſeinen Pflichten
für Volk und Vaterland. Daß dabei die Mei-
lenfteine der nationalſozialiſtiſchen Bauernpolitik
in die rechte Beleuchtung gerückt werden, fei nur
am Rande vermerkt.
Man kann die Neuveröffentlichung nur Ileb-
haft empfehlen, beſonders aber dort, wo der
Bauer ſelbſt noch tiefer in den Sinn der Agrare
politik des Dritten Reiches eingeführt werden
fol. Es will uns ſcheinen, daß das ſoeben er-
ſchienene Heft durch feine ſchlichte Einfachheit
neue Wege in der Aufklärung bei der Landbe⸗
völkerung gewieſen hat.
Dr. Bernhard Gommerlad.
Mit 56 Bildtaf. (Hrsg. von Hans Teig-
mann.) — München: J. F. Lehmanns Verl.
1936. 16 S., 56 S. Abb. Gr.⸗80. 3,60.
Brackmann, Albert: Reichspolitik und
Oſtpolitik im frühen Mittelalter. — Berlin:
Akad. d. Wiſſenſchaften; de Gruyter in Komm.
1935. 23 S. 40. nn 1,50,
Neues Schrifttum
Drube, Friedrich: Mühlen in Schleswig ⸗
Holſtein. — Hamburg: Hamburger Verl. Anſt.
Wachholz [1936]. 172 S. mit Abb., 10 Taf.
4° Sprache u. Volkstum. 6. Kiel, Phil. Diff.
un 4,50.
Gamillſcheg, Ernſt: Romania Germa-
nica, Sprach⸗ u. Siedlungsgeſchichte der Ger-
manen auf d. Boden d. alten Römerreichs. Bd 3.
— Berlin u. Leipzig: de Gruyter 1936. Gr. -80
Grundriß d. german. Philologie. 11/3. 3. Die
Burgunder. Schlußwort. Mit 3 Kt. XII,
252 S. 12, —; Lw. 13, —. ,
Gemeinbuch von Wenkheim, Amt Tau-
berbiſchofsheim in Baden, angefangen am A.
Nov. 1578, geſchloſſen. am 11. Aug. 1873. Hrsg.
von Johann Steger, Pfr. — Doffenheim:
Selbſtverl. [It. Mitteilg: Wertheim a. M.,
Eichelgaſſe: W. Bechſtein Nachf.] 1935. VIII,
164 S. 80. un 3,50.
Deutſche Geſchichte bis zum Ausgang des
Mittelalters. Von Prof. Dr Friedrich Metz ⸗
Freiburg (un a.]. H. 1). — Potsdam: Athe-
naion [1936]. 48 S. 4° — Handbuch d. dt.
Seſchichte. Bd 1, H. 1 = Le 1 ld. vol.
Werkes]. 1,35.
Heusler, Andreas: Germanentum. Vom
Lebens ⸗ und Formgefühl der alten Germanen.
2. Aufl. — Heidelberg: Carl Winter [Verl.
1936]. 143 S. 8° = Kultur u. Sprache. Bd 8.
3, — |
Hoffmann, Matz, Dr, Arzt, Sertianoſch:
Hundertfünfzig Jahre deutſches Gertianoſch,
Banat, Rumänien. 1785 — 1935. — Timisvara
[Temes var]: Schwäb. Verl.⸗A. G. (it Mitteilg:
Deutſche Buch.) 1935). 368 S., 14 Bl. Abb.,
2 Taf.; 2 Kt. 80. nn J, —. |
Hofmeifter, Hermann: Germanentunde.
— Frankfurt a. M.: Dieſterweg. 1936. VIII,
254 S., Abb., Taf. 80. Beſt.⸗Nr 8158. 5, —;
geb. 6, —.
Lohmeyer, Karl: Die Sagen von der
Saar, Blies, Nahe, vom Hunsrück, Soon- und
Hochwald. Gel. Zugl. 3., weit mehr als vers
doppelte Aufl. d. Sagen d. Saarbrücker und
Birkenfelder Landes. — Saarbrücken: Hofer
1935. 616 S., mehr. Taf. Gr.⸗80. Lw. 5,—.
prinz, Jofeph], Dr: Die mittelalterlichen
Lehnbücher der Biſchöfe von Osnabrück. Regiſter.
— Osnabrück: (Hiſt.) Verein [It Mitteilg:
Schöningh] 1935. 163 S. 40 = Osnabrücker
Geſchichtsquellen. Bd 5. nn 12,50.
Schloſſarek, Max: Die Taciteifwe
„Germania“ als Künderin eines urdeutſchen
Heroismus. — Breslau: Franke 1935. 45 S.
835
80 — Sammlung Neudt. Humanismus. Boch.
1 SEN ö
5000 Jahre Miederſächſiſche Stammes-
kunde. Im Auftr. d. Oberpräfid. d. Prov.
Hannover hrsg. von Dr Hlermann] S rol-
ler u. Dr S. Lehmann. Mit 136 Abb. im
Text u. 34 Taf. — Hildesheim u. Leipzig: Lax
1936. VIII, 281 S. 8° = Darftellgn aus
Niederſachſens Urgeſchichte. Bd 3. 6, -; geb. 7,50.
Süßkand, Peter, Dr: Germaniſches Leben
im Spiegel der altnordiſchen Dichtung. — Ber-
lin: Junker u. Dünnhaupt 1936. 123 S. Gr.
80. 3,80. |
2. Bevslteeunges und Maffepolitit
Die Ahnen deutſcher Bauernführer. Bd 2.
— Berlin: Reichsnährſtand Verlags⸗G. m. b. H.
[1936]. 80. 2. Wilhelm Meinberg. (Bearb. von
Dr Herbert Wü n f ch.) 70 S., 1 Taf. Lw. 2,10.
Folkerts, Enno: Oberbayriſcher Bauern-
Adel. 48 Bilder mit e. Vorw. — München:
J. F. Lehmanns Verl. 1936. 7 S., 48 S.
Abb. 40. 3, —.
Friehe, Albert: Was muß der National-
ſozialiſt von der Vererbung wiſſen? Die Grund-
lagen d. Vererbg u. ihre Bedeutg f. Menſch,
Volk u. Staat. Mit zahlr. Abb. 4., verb. u.
erw. Aufl. — Frankfurt a. M.: Dieſterweg
1936. 80 S. Gr. -o. Beſt. Nr 1600. 1,—.
Hartmann, Rudolf, Dr: Die ſchwäbiſche
Türkei im 18. Jahrhundert. — Budapeſt (IXI,
Badacſonyi u. 23]: Neue Heimatblätter) 1935.
62 S. Gr.⸗8o = Schriftenreihe der Neuen
Heimatblätter. 2. nn 2,50. |
Mein, Ditert), Oberſtud. R. Dr: Waffe
und Kultur unferer Urväter. Ein method.-fhul-
techn. Hilfsbuch für Unterricht u. Vorträge in
d. Vorgeſchichte. Mit 65 Abb. — Frankfurt
a. M.: Dieſterweg 1936. 126 S. mit Abb.
Gr.-8°, Beſt. Nr 2074. 2,60.
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germantſcher Lebens formen: von
Familien- und Rechtsleben, vom
ochentwickelten Handwerk, von
ufizferen und Aus drucks kunſt,
von Sitte und Brauch, Sport und
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Verlag Morig Bielterweg Franfſurt / N.
836
Spohr, Oswald: Volksbeſtandes⸗Aufnahme
ſeit etwa 1600. Ein unentbehrliches Tatſachen⸗
material f. d. Maffen-, Vererbungs⸗, Sippen⸗
Forſcher u. Bevölkerungspolitiker. Zuel, d. Nach⸗
weis d. Volks⸗ u. Blutsgemeinſchaft. — Leipzig:
Degener & Co. 1936. 16 S. Gr.⸗80 — Familie,
Rafie, Volk im nat. ⸗ſoz. Staate. H. J. nn — ‚50.
Steinmüller, Karl, Dr: Die Altzelli⸗
ſchen Wiedemänner. Sippengeſchichte u. Stamm⸗
tafeln. Bearb. im Auftr. von Komm. R. Joh.
Wiede. — Leipzig: Zentralſtelle f. Deutſche
Derfonen- u. Familiengeſchichte 1936. 155 S.,
3 Taf., 1 Kt. 40 = Stamm u. Ahnentafel⸗
werk d. Zentralſtelle f. Dt. Perſonen⸗ u. Fami⸗
liengeſchichte. Bd 12. Lw. 20, —.
Steller, Walther: Volkskunde als natio-
nalſozialiſtiſche Wiſſenſchaft. Eine Neuordng d.
Volkskunde. — Breslau: Oſtdeutſche Verl. Anſt.
(1935). 77 S. Gr.-80. 1 80; Lw. 3,—.
Ungern-Sternberg, Roderich von,
Dr: Biologie und Oekonomie. Die Urſachen u.
Folgen d. Geburtenriidgangs u. d. Abwehrmittel
gegen volksbiol. Verfall. — Berlin: R. Schoetz
1936. 119 S. mit Fig. Gr-8° = Veröffentl.
a. d. Sebiete d. Medizinalverwaltg. Bd 46,
H. 1 (= Der ganzen Smmlg H. 406). nn 4,60.
Das deutſche Volk. Sein Weſen, feine
Stände. [7 Abt. von je 2 Bden: je 1 Textbd
u. 1 Atlas.] Vo 3. 4. — Leipzig: Bibliogr.
Inſt.; Berlin: Stubenrauch [1936]. 40. Vor⸗
beſtellpr. Lw. 210, —, Hidr 280, -; nach Čr-
löſchen d. Vorbeſtellpreiſes wird jede Abt. in
Lw. einzeln f. 35,—, in Hor f. 45,— abge⸗
geben. Bd 1, 2 noch nicht erſchienen. J, 4. Die
deutſche Volkskunde. Hrsg. von Prof. Dr Adolf
Spamer. 2. verb. u. verm. Aufl. Bd 1.
TText.] 632 S. — Wd 2. Bilderatlas. Mit
730 Abb., 9 Farbtaf. u. 4 3. T. farb. Orig.”
Beil., e. Perfonen- u. Sachverz., Ortsverz. u. e.
volkskundl. Schrifttums verz. 513, 87 S.
Willimſky, Walther, Dr: Volk und
Führer. Ein Beitr. zu d. Grundfragen d. völki⸗
ſchen Reichs. Mit e. Vorw. von Prof. Dr Guſt.
Adolf Walz. — Leipzig: Armanen-Werl. 1936.
67 S. 80. 2,40.
J. Ländliche Siedlung, Landarbeiterfrage,
Bauerutum
Franke, Heinrich, Dr⸗Ing.: Oſtgermaniſche
Holzbaukultur und ihre Bedeutung für das deut⸗
ſche Siedlungswerk. — Breslau: Korn (1936).
209 S. mit Abb. 40. 9,50; Lw. 11, —.
Käubler, Rudolf, Niederdorf i. Erzgeb. :
Die ländlichen Siedelungen des Egerlandes. —
Neues Schrifttum
Leipzig 1935: Jordan & Gramberg. 107 S.;
6 Kt. 80. Leipzig, Phil. Diſſ. v. 1934; auch im
Buchh.
Lembke, Friedrich: Buntes Derfleben.
Bearb. — Hamburg: Hanſeat. Berl- Anf.
[1936]. 96 S. Gr.⸗8o = Feſte und Feiern dent
ſcher Art. H. 15. 2,—.
Mielke f, Robert, Hochſch.⸗Prof.: Der
deutſche Bauer und ſein Dorf in Vergangenheit
und Gegenwart. Mit 13 Bildern auf Taf., 27
Zeichn. im Text, 11 Srundr. u. e. ausfübrl.
Sachverz. 2. Aufl. — Weimar: Duncker (1936).
134 S. 80. 1,75; Lw. 2,50.
Atlas Niederſachſen. Natur u. Bersl⸗
kerg, Siedlgs⸗, Wirtfhafte u. Verkehrs verhält⸗
niſſe e. dt. Kultur- u. Lebensraumes, Aberfidten
f. Wirtſchafts⸗ u. Sieblungsplanung. Hrsg. vom
Oberprafidenten d. Prov. Hannover (Verwaltz
d. Provinzial verbandes). Bearb. von Kurt
Brüning. Kartenbd. (Volksausg.) — Oken-
burg: Gerh. Stalling [in Komm.] 1936. 122
Kt.⸗Bl. 20. 19, —.
Scheele, Heinrich, Kreisſchulr.: Die lauen
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Kieler Staatsarchiv. Mit Einf. u. mit Meg.
veröffentlicht. — Ratzeburg: Lauenburg. Heimat-
verl. 1935. 51 S. Gr.-80. 1,20.
4. Ver ſchiedenes
Borchers, Carl, Karl Theodor Wei ⸗
gel: Goslar. Alte Wohnbauten u. Sinnbilder.
Die Entwicklg d. Bürgerhauſes u. f. Schmuck⸗
formen u. d. nordiſch⸗german. Sinnbilder in d.
Reichsbauernſtadt. — Soslar: Blut u. Boden
Verl. 1935. 64 S. mit Abb. 40. Lw. 3,90.
Decken, Hans v. d., Dipl.⸗Landw. Dr:
Deutſchlands Verſorgung mit landwirtſchaft⸗
lichen Erzeugniſſen, unter bef. Berückſ. d. Aus-
lands abhängigkeit. Mit 5 Abb. — Berlin: Parey
1935. 117 S. 10 — Berichte über Landwirt-
ſchaft. N. F. Sonderh. 115. 8, -; Abonn.-Pr.
6,—.
Elſter, Hanns Martin: Reichsfreiherr vom
und zum Stein. Der Mann u. d. Werk. Mit
7 Bildern u. 1 Kt. — Leipzig: G. Weiſe
(1935). 367 S. 80. Lw. 4,50.
Große⸗ Eggebrecht, Marta, Eſſen⸗
Borbeck: Der Ständegedanke beim Freiherrn
vom Stein. — Bochen⸗Langendreer 1935: Pöp-
pinghaus. 98 S. 8°, Münſter, Phil. Diff. v.
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Hardt, Hans⸗Joachim von der, Dipl.⸗Kfm.,
Nordhauſen, Harz: Die Lage der ſchleſiſchen
Neues Schrifttum
Landwirtſchaft in der Nachkriegszeit. — Bres-
lau: Korn 1935. 133 S. mit Abb. 80. Köln,
Wirtſch.⸗ u. ſozialwiſſ. Difi., auch im Buchh.
Kaf gny, Konrad: Die Agrarreform in der
Tſchecho⸗Slowakei. — Coſel O.⸗S. 1932 [Ausg.
1936]: Radek. IV, 72 S. 80. Breslau, R. u.
ſtaatswiſſ. Diff.
Ko ch, Hermann, Unterabtlgsleiter im Reichs⸗
nährſtand: Lehrling, Lehrherr, Landwirtſchaft. —
Berlin: Reichsnährſtand Verlags⸗G. m. b. H.
[1936]. 106 S. 80. 2,25.
Lagler, Ernſt: Theorie der Landwirtſchafts⸗
kriſen. — Berlin: C. Heymann; Wien: Oeſterr.
837
Wirtſchaftsverl. Payer & Co. 1935. 190 S.
Gr.8° = Volkswirtſchaft. N. F. Bd 1. 7,50;
S 15, —.
Rühle, Gerd, Rege N, M. d. R.: Raſſe
und Sozialismus im Recht. (Mitgeſtaltet durch
Dr Erich Ri ſt o w.) — Berlin: Deutſche
Rechts- u. Wirtſchafts⸗Wiſſ. Verlagsgeſ. [1936].
142 S. 80 = Deutſche Rechtsbücherei. 4. Dim,
4,50.
i Werle, Günter, Berlin: Landwirtſchaft und
Induſtrie in der Südafrikaniſchen Union unter
Berückſichtigung der deutſchen Pionierarbeit
Eisfeld i. Thür. 1935: Beck. VII, 111 S. 80.
Erlangen, Staatswiſſ. Diff.
Für unverlangt eingefandte Manuſkripte keine Gewähr!
uptſchriftleitung und verantwortlich für den
lin W, Friedrich ⸗Wilhelm⸗ Straße 1811,
ef
Be
amten textlichen Inhalt: Dr. Hermann Reiſchle,
rantwortlich für den Anzeigenteil: Gurt Otto
Arndt, Berlin. Verlag: „Jeitgeſchichte Verlag und Vertriebs Seſellſchaft m. d. H., Berlin W 35.
DA. 4100 L Vj. ae Pl. Nr. 4. Druck: Meyerſche Hofbuchdruckerei, Detmold
Anſchriftenverzeichnis der Mitarbeiter der Monatsſchrift „Odal“
Aprilheft 1936
J. G. Miles, Aber die Schriftleitung
Dr. Rudolf Vode, Burg Neuhaus bei Vorsfelde, über Braunſchweig
Dr. H. K. Haushofer, Berlin W 35, Admiral-von-Schröder-Straße 44
Ferdinand Fried. Zimmermann, Berlin W 35, Tiergartenſtraße 1/2
Dr. Joh. von Leers, Berlin-Dahlem, Goßlerſtraße 17
Dr. Hans Schirmer, Berlin W 35, Drakeſtraße 1
Gott Schaper, Berlin-Tempelhof, Friedrich⸗Karl⸗Straße 92
Bauer Werner Bethge, Löſſewitz über Gardelegen
Dr. Hans Neumann, Berlin SW 11, Deſſauer Straße 26
Anton Broſch, Berlin N 65, Lynarſtraße 91, 1. Gute,
5 Sie finden.
zweckmäßigen
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Deutſcher Vauerndienſt
Allgemeine Verſicherungs⸗A. G. Lebens verſicherungs⸗Geſ. a. G.
Rraſtfahrzeug Srofieben Rinderverforgung
ſtyflicht Transport Rleinleben Alters verſorgung
einbruch lebſtahl Seraubung Sterbekaſſe Binterbliebenenverf.
Unfall Gagel Crbregelung Penfion
Zterverfiherungs-Gefellfhaft a. G.
Tierleben Schlachtvieh
uchttier Transport
eide Ausſtellung
Koſtenloſe Auskunft und Beratung durch die Landesſtellen, die örtlichen Vertrauens⸗
leute ſowie durch die Direktion Berlin⸗ Charlottenburg 2, Hardenbergſtraße 1a
Sachgemäße
ftärft die Cibivehrtrafte
der Keldfrüchte gegen
WDachstums{chasdsen durch
Dürte, Lager, Roft und
sichert imRahmen
einer Dolldungung.
Gute Ernten
-. -
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in der Erzeugungsschlacht:
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Heinrich Lanz Aktiengeselischaft, Mannheim
J 1640 l ' |
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nut fa, `: Pee ZE, `. oF
Inhaltsverzeichnis
Seite
em apen D . 8847
* / Bauerntum ne Geopolitik 8 & « . 848
Bernhard Sommerlad / Showa. Das nationale ee cud z A
Ferdinand Fried. Zimmermann / Die baltiſchen Gilden (II. Teil).
Herman Wirth / Die älteſten Odal-Urkunden des ne
Bauern 882
Johann von Leers / Der Feudalismus ia feine Rolle in Dit Ge⸗
ſchichte des deutſchen Bauerntumn ss 890
Walter zur Ungnad / Conrad Wider holt. 896
Meyer tom Koldenhove / Die freien Hagen als mittelalterliche
Siedler⸗Genoſſenſchaften 90906
Adalbert Schoettl / Grundeigentum und Erbpacht 2.2... 914
Ludwig Herrmann / Deutſchland und die Schweiz, zwei Bauern-
(ander. 917
Das Archi“ . 921
Neues Schrifttum ` nnn 927
Das Umſchlagbild dieſes Heftes, „Kurmärkiſche Bäuerin“, tft die Wiedergabe eines Originals
des Kunſtmalers Wolf Willrich, Berlin-Frohnau. — Die Bildbeilage zum Aufſatz
von Herman Wirth wurde nach photographiſchen Aufnahmen angefertigt, die der Ver⸗
faſſer zur Verfügung ſtellte. — Der Abdruck des Gedichtes „Die Bauern“ erfolgte
mit freundlicher Erlaubnis des Verlages Ullſtein⸗ AG., Berlin SW 68.
Dieſer Ausgabe liegt ein Proſpekt der Firma Deutſche Tierzucht und
Handelsgeſellſchaft Andriſt & Co., Leipzig C1, bei.
Die in dieſer Zeitſchrift namentlich bezeichneten Arbeiten geben die Anſichten der
Verfaſſer und nicht des Herausgebers oder Hauptſchriſtleiters wieder.
Nachdruck ift nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Schriftleitung geſtattet.
Jedes Heft RM. 1.50 . Bierteljabrlid 3 Hefte RM. 3.60
zuzüglich Beſtellgeld. Beſtellungen durch alle Buchhandlungen, Poſtanſtalten und
den Verlag. Poſtvertrieb ab Detmold.
. 3
Odsal —
Monatsſchriſt für Blut und Boden
Hauptfhriftleitung: dr. Hermann Reiſchle
—— — — — —— — —— —
„Feitgeſchichte Verlag und Vertriebs- Geſellſchaft m. b. H., Berlin W 35
EKE.uützowſtraße 66 |
Heft 11 4. Jahegang Mai 1936
Die Bauern
the Ró 8 f
— a aS en
Warfen in das Land den Samen,
Das uns ackern fah.
Sind aus altem Gottes Stamme,
deugend. fein Geſchlecht,
Halten an des Herdes Flamme
ew ges Recht.
muſſen einſt ihm wiedergeben
Lanb, das er bebaut / i
Das in ſtetem Weitergeben
Uns ward anvertraut.
Des Geſchlechtes lange Kette
Ur und
Glieder wir auf feiner Stätte |
In ber Wiederkehr, Wilfrid Bade
Bauerntum und Geopolitit
„Nationalſozialismus ift nichts anderes als angewandte RNaſſenpflege!“
So erklärte Rudolf Heß, der Stellvertreter des Führers, auf dem Reihs-
parteitag 1933. „Raflenfrage ſtellt die Achſe alles politiſchen Denkens des
Nationalſozialismus dar“, fo ſchließt R. W. Darré ſeinen Nachweis über
Satan Boden als Grundgedanken des Nationalſozialismus in diefer
ei ;
Aus tiefftem innerften Glauben, aus dem Blut felbft ift diefer Gedanke
entitanden und geprägt worden. Er formt das Weltbild des Nationalfozia-
liften, und das geſchichtliche Geſchehen bedeutet für ihn Schickſal des eigenen
Blutes und Volkes, feiner Auseinanderſetzung mit andersartigem Blute und
mit den mannigfaltigen Einflüſſen der Amwelt. Dieſer Gedanke iſt deshalb
auch die Richtſchnur der deutſchen Bauernpolitik. Er muß allen Betrach-
tungen und Beſtrebungen, die fih mit dem Wirken und Schaffen, den Zu-
ſtänden und dem Schickſal der Völker beſchäftigen, zugrunde liegen. Ein Ziel
und viele Wege. Dies gilt auch für das Verhältnis des Menſchen zum Boden
und zum Raum; wobei unter Boden am beſten das Stück Erdoberfläche ver-
ſtanden wird, mit dem der einzelne nach dem Geſetz ſeines Blutes in
irgendeinem Verhältnis ſteht, während der Raum jenen Teil der Erde dar-
Hellt, ber eine Gruppe Menſchen mit ihrem Boden zuſammenſchließt. Des⸗
halb wird der einzelne beſonders mit feinem Boden tief und untrennbar ver»
wachſen können, während die Gruppe ſich mehr dem Raume verbunden fühlt.
Iſt nun die Gruppe weſensgleich und ſich deſſen bewußt und wird ſelbſt zu⸗
ſammengehalten durch die feſteſte Verbindung von Blut und Boden, durch
Bauerntum und Menſchen von bäuerlicher Herkunft und mit bäuerlichem
oe dann erft entſteht die Gleichung Blut und Boden gleich Volk und
aum.
Es ijt ein Irrtum zu glauben, daß der Boden und der Raum ber Ver-
wurzelung und der Vereinigung der einzelnen Menſchen ſtets Vorſchub
geleiſtet hätten. Man hat es mit Recht als Merkmal der nordiſchen Naffe
bezeichnet, daß fie im Kampf mit dem Boden und feiner Aberwindung groß
geworden iſt, daß der Bauer nordiſcher Herkunft einen oft wenig fruchtbaren
und klimatiſch ungünſtigen Boden, daß er Sümpfe und Waldesdickichte in
fruchtbare Acker und Weiden verwandelt hat; und der Naum hat mit ſeinen
durch Gebirge und Gewäſſer gebildeten natürlichen Landſchaften ſich dem
Zuſammenſchluß der Menſchen eines Blutes entgegengeſetzt und Beſtre⸗
bungen unterſtützt, Sonderbildungen an Stelle der völkiſchen Einheit ins
Leben zu rufen.
Wichtig iſt deshalb die Betrachtung des Raumes für die Vergangenheit
und für die Zukunft eines jeden Volkes, alfo für feine Geſchichte und feine
politiſche Lenkung. Anwillkürlich erſcheint das Wort Geopolitik vor
unſeren Augen. Es wurde allerdings unter einem anderen Geſichtspunkt durch
den ſchwediſchen Staatswiſſenſchaftler Rudolf Kjellen um das Jahr 1900 in
Bauerntum und Geopolitik 849
Die Wiſſenſchaft eingeführt; als Geopolitik bezeichnete er die Lehre vom
Staatsgebiet, von der räumlichen Seite des Staates zum Anterſchied von der
nationalen, der wirtſchaftlichen, der geſellſchaftlichen und verfaſſungsrecht⸗
lichen.
In Deutſchland faßte man unter Geopolitik nach dem Kriege alle die not-
wendigen und begrüßenswerten Beſtrebungen zuſammen, die nachwieſen, daß,
ſehr im Gegenſatz zu den Engländern, den deutſchen Staatsmännern und dem
deutſchen Volke der Mangel an geographiſchem Verſtändnis bei der Beurtei⸗
lung und Führung der Politik geſchadet hat, und die ſchilderten, welches
Schickſal vom geographiſchen Standpunkt aus geſehen unſerem Volke durch
das Friedensdiktat von Verſailles bereitet worden war: die ungeheure Ver⸗
längerung der Grenzen, die Losreißung Oſtpreußens vom übrigen Reiche und
die Mißgeſtaltung unſeres Staatsgebietes. Dadurch wurde die Geopolitik in
Deutſchland in weiten Kreiſen bekannt. Es begann die große Zeit des Raumes,
und gern bediente man ſich in Rede und Schrift geopolitiſcher Hinweiſe und
Wendungen. Dieſer Siegeszug machte es der Geopolitik ſchwer, eine richtige
. zu den anderen Faktoren und Kräften der Geſchichte und Politik
zu finden. |
Das Publikum wurde mit einer Fülle von Deutungen überſchüttet, und
mit vollem Recht findet ſich im erſten Heft des neuen Jahrganges der Zeit-
ſchrift für Geopolitik ein Bekenntnis, daß über das Weſen der Geopolitik
ſoviel geſtritten worden ſei, daß ſich die geopolitiſche Literatur buchſtäblich zu
einem Haufen zu türmen beginne. Jedem Deutſchen ſeine eigene Geopolitik,
manchem ſogar mehrere! |
Es ift der Geopolitik bis jetzt nicht gelungen, über fih ſelbſt Klarheit zu
gewinnen, und bei den Verſuchen hierzu ift fie teilweife auf wunderliche Ab-
wege geraten. Man muß dies bedauern wegen ihrer Verdienſte um die
nationale Aufklärung und Erziehung. Auch die deutſche Bauernpolitik, als
die ſtärkſte Trägerin des Blut- und Bodengedankens, würde eine Feſtlegung
des Begriffes Geopolitik begrüßen. Das bisherige Ergebnis der Ausein-
anderſetzung mit den gefchichts- und ſtaatsbildenden Kräften muß aber von
der deutſchen Bauernpolitik abgelehnt werden.
Die deutſche Bauernpolitik lehnt entſchieden die Behauptung R. Hen⸗
nigs ab, die in der Amwelt, alſo auch im Raum, die ausſchlaggebende
Kraft ſieht. Für ihn find die pſychiſchen Raſſe. und Charaktereigen⸗
ſchaften der Völker eine Folge der zufälligen Beſchaffenheit der Amwelt, des
Amraumes. „Die vielgerühmten Charaktereigenſchaften eines Volkes und
einer Raffe find die Produkte der Erziehung durch die Natur. Anpaſſung
an die jeweiligen Zufälligkeiten der natürlichen Amgebung konnte ſelbſt die
raſſiſchen Charaktereigenſchaften entſtehen laſſen und ausbilden.“ Kein ver⸗
nünftiger Menſch wird den Einfluß des Raumes „bagatelliſieren“, und eine
artgemäße Amwelt wird die Anlagen einer Naſſe entwickeln, eine ungünſtige
fie verkümmern oder die Naſſe gar ſelbſt zugrunde gehen laffen. Der Raum
kann ausleſend wirken, aber nie raſſeerzeugend. Erſtaunlich ift oft die Wider-
ſtandsfähigkeit einzelner Raſſen gegen den Einfluß neuer Räume. Die aus
der Wüſte ſtammenden Juden wurden niemals Seefahrer wie ihre phöni⸗
ziſchen Nachbarn, ebenſowenig wie die aus der Steppe kommenden Türken,
obwohl fie den Raum der Griechen erobert hatten. Das deutſche Bauerntum
850 . SZ e =
im Banat und in Rußland bewahrt feine Eigenart durch hundert bis zwei-
hundert Jahre hindurch und widerlegt die Behauptung Hennigs, daß eine
neuartige Amgebung innerhalb weniger Generationen weitgehend die feeli-
ſchen Eigenſchaften einer Nation verändern könne. Daß Goten, Vandalen
und andere germaniſche Völker im Mittelmeer durch das weichere Klima ent⸗
nervt und verweichlicht und dadurch ſtaatlich ausgelöſcht worden ſeien, iſt
lediglich eine Behauptung. Nicht durch den Raum als ſolchen, ſondern durch
die Miſchung mit der dort wohnenden zahlenmäßig weit größeren Bevölke⸗
rung hat eine Ausmerze des germaniſchen Blutes ſtattgefunden. Nicht nur
der Raum und das Klima, ſondern der Menſch hat hier raſſetötend gewirkt.
Wer allerdings die Züge der Kimbern und Teutonen und die der Hunnen
und Araber auf die gleichen Arſachen und die gleichen Ziele zurückführt und
nicht die raumformende Kraft der Raffe kennen will, wer Bauerntum und
Nomaden als Folge der zufälligen Beſchaffenheit der Amwelt ſieht, kann
kaum ernſt genommen werden. :
Die Erklärung, daß die Geopolitik die Lehre von der Erdgebundenheit
der politiſchen Vorgänge ſei, wird immer noch wiederholt. Letzten Endes iſt
ja alles Tun und Handeln „erdgebunden“, wenn aber zwiſchen erdgebundenen,
d. h. geographiſchen, und zwiſchen in rein menſchlichen Verhältniſſen ruhenden
Arſachen unterſchieden wird und nur den erdgebundenen Vorgängen im
engeren Sinne eine Dauerwirkung beſchieden ſein ſoll, ſo muß die deutſche
Bauernpolitik auch dieſe Erklärung ablehnen, da ſie in Blut und Volk die
entſcheidenden Kräfte ſieht und ihnen deshalb die anhaltendſte und tiefſte
Wirkung zuſchreibt. Wenn ſeitens der Geopolitik ausgerechnet wird, daß nur
ein Viertel der Fragen menſchlicher Entwicklung aus den erdbeſtimmten
Arſachen abgeleitet werden kann, fo kann die deutſche Bauernpolitik die bet,
bilde Seite des Menſchen und fein und feiner Raſſe Gegenſatz zur Umwelt
nicht als Ergänzung der geopolitiſchen VBetrachtungsweiſe anſehen, ſondern
ordnet umgekehrt diefe den aus der Natur des Menſchen und der Raſſe ber,
vorgehenden Beweggründen unter. | |
Wer im Blute und im Volke die entſcheidenden Kräfte der Geſchichte ſieht,
wird deshalb auch mit der Behauptung der Geopolitik, die erdgebundenen
und erdbeſtimmten politiſchen Vorgänge vorausſagen zu können, wenig an⸗
fangen können. Auch die erdgebundenen Arſachen wirken ſich erſt aus, wenn
das Volk und feine Führer ihre Vollſtrecker werden, und ſelbſt bet klaren geo-
politiſchen Verhältniſſen mag niemand. die nähere und fernere Zukunft des
ſtaatlichen Schickſals mit einiger Beſtimmtheit vorausſagen, wenn er nur den
Raum betrachtet und nicht das in ihm wirkſame Volk. And es iſt gut fo.
Denn wenn tatſächlich die raſch anwachſende Schar der Geopolitikbefliſſenen,
die ſicherlich über einen reichen Schatz von Kenntniſſen verfügen, durch ihre
politiſche Vorausſicht Staatsmänner würden, ſo würden wir in Bälde eine
Inflation an politiſchen Köpfen erleben, die unterzubringen und ihrer Fähig⸗
keit entſprechend zu beſchäftigen einige Schwierigkeit bereiten möchte. Daß
natürlich der Staatsmann geographiſche Kenntniſſe, genau wie geſchichtliche
und volkswirtſchaftliche, beſitzen muß, ift eine Selbſtverſtändlichkeit. |
Die deutſche Bauernpolitik hat kein Verſtändnis dafür, wenn nur dem
Raum geheimnisvolle Kräfte und Wirkungen zugeſchrieben werden. Es mag
ſein, daß es ſich bei dieſen Wendungen zuweilen um redneriſche Figuren
Bauerntum und Geopolitik 851
handelt und daß man Selbſtverſtändlichkeiten durch eine poetiſche Einkleidung
ſchmücken will. Der Raum hat kein Eigenleben, nur die in ihm lebenden Men-
ſchen können durch Erkenntnis ſeiner Eignung ihn wirken laſſen. Der Staat
entwickelt fih nicht nach einer immanenten Raumgefeglichkeit, ſondern nach
der Kraft und dem Willen des Volkes. Die Grenzlandſchaften Deutſchlands,
wie die Schweiz und die Niederlande, wurden nicht infolge des fehlenden
Naumgeſetzes „abgetriftet“, ſondern trotz eines ſolchen. Durch die Zerriſſenheit
unſeres Volkes infolge einer unſerem Blute fremden und feindlichen dynaſti⸗
ſchen Politik ſchrumpfte der Amfang des Deutſchen Reiches zuſammen. Nicht
durch ſeine geographiſche Geſtaltung wurde Thüringen in fo und fo viele
„Vaterländer“ zerriſſen, ſondern durch die privatrechtliche Auffaſſung des
deutſchen Fürſtentums von Land und Leuten, und andere nicht von Bergen
durchzogene Landſchaften, z. B. die welfiſchen und die askaniſchen Herzog⸗
tümer, haben ein ähnliches Schickſal gehabt. Nicht durch Räume, mögen fie
noch ſo groß ſein, wird ein Volk bedroht, ſondern nur durch die Bewohner
dieſes Erdabſchnittes. Die verſchiedene geographiſche Bedeutung einzelner
Gegenden und Punkte kommt erſt zur Geltung, wenn ein Volk ſich dieſer
bewußt wird und ſie in den Bereich ſeines Handelns einbezieht. Die Schlüſſel
zu den verſchiedenen Meeren bedeuten nur etwas, wenn fie im Befig einer
Macht ſind, die von ihrem Hausrecht Gebrauch machen kann. |
Es ift eine wichtige Aufgabe der Geopolitik, dem Wandel in der Bedeu-
tung des Raumes durch den Willen und die Tatkraft der Menſchen nachzu-
gehen. Die geographiſchen Großräume, ob Land oder Meer, werden nur durch
den Menſchen wirkſam, wie z. B. das Mittelmeer zur Römerzeit. Solange
die Völker in dieſen „Großräumen“ fih wirtſchaftlich und politiſch befehden,
find dieſe nur Wunſchträume oder Hilfskonſtruktionen zur leichteren Ein- i
ordnung der Vorgänge im Leben der einzelnen Staaten.
Das Bauerntum muß vor allem die Idee der Eigengeſetzlichkeit des Rau-
mes und die Naumdynamik bekämpfen, da diefe Auffaſſung geeignet ift und
wohl auch dazu benutzt wird, um durch Betonung dieſer Raummyſtik die
Einheit und die Vereinigung gleichen Blutes zu hemmen und zu zerſtören.
Würde fih das deutſche Volk dieſen geheimnisvollen Raumgeſetzen unter-
werfen, fo würde ein Teil nach dem Oſtraum, der andere nach dem Mittel-
meerraum, ein dritter nach dem Donauraum und ein vierter vielleicht nach
dem Nordſeeraum blicken. Das Raumgefet ſchriebe ihnen dann den Zuſam⸗
menſchluß mit den anderen Bewohnern dieſer Räume vor, zum Beiſpiel Oft-
deutſchland mit Polen und Ruffen, den Deutſch⸗Oſterreichern mit den Ungarn
und Slawen, und eine ſaubere Einteilung „in die von der Geographie als
Weſenheit anerkannten Räume“ würde an Stelle der Gliederung der Erde
nach dem Willen und den Geſetzen der Völker treten. Das deutſche Bauern⸗
tum wird dieſer Gefahr nicht unterliegen; denn ſo ehrfürchtig es auf die wirk⸗
lichen Geheimniſſe des Blutes und damit des Geſchehens ſchaut, lehnt ſein
nüchterner Sinn alle Magie ab. |
Von Kiellen übernahm die Geopolitik die Auffaſſung vom Staat als
Lebensform, Lebeweſen, vom organiſchen Staat und vom Staatsorganismus,
während die deutſche Bauernpolitik ſich an die Beurteilung des Führers hält:
„Wir Arier vermögen uns unter einem Staate nur den lebendigen Organig-
mus eines Volkstums vorzuſtellen, der die Erhaltung dieſes Volkstums nicht
nur ſichert, ſondern es auch durch Weiterbildung ſeiner geiſtigen und ideellen
852 Te P
Fähigkeiten zur höchſten Freiheit führt.“ Für das deutſche Bauerntum ift
außerdem das Wort des Reichsbauernführers ausſchlaggebend, „daß durch
den inneren Zuſammenhang eines Volkes mit feinem Ge-
biet und mit ſeiner ſtaatlichen Organiſation die Eigenart des Staates ent⸗
ſteht, daß er dadurch ſein lebendiges Gepräge erhält, d. h. aus einem Problem
der Organiſation ein lebensvoller Organismus wird.“
*
Findet ſich ein Volk im Staat zuſammen, ſo wird das für das Volk
von ungeheurer Bedeutung fein, und dann wird dieſer Staat eine Lebeng-
form werden, nicht an ſich, ſondern eine Lebensform des Volkes. Der Nach⸗
weis der organiſchen Natur des Staates wird rah durch Vergleich mit dem
Einzelweſen geführt. Aber ſchon bei der Geburt hapert es, denn die Grün-
dung der Tſchechoſlowakei zum Beiſpiel, des Freiſtaates Danzig uſw. kann
man ſchwerlich als einen organiſchen Vorgang anſehen. Das meiſte Kopf⸗
zerbrechen bereitet aber das Wiedererſtehen eines Staates wie Polen, nadh-
dem er geſtorben war. Sieht man aber im Volk den Organismus, im Staat
nur ſeine Erſcheinungsform, dann verſteht man die Wiedergeburt dieſes
Staates, weil ſein Träger, das polniſche Volk, am Leben und ſich ſeiner
Zuſammengehörigkeit bewußt blieb.
Dieſer organiſche Staat ſoll ähnliche geheime Kräfte wie der Raum haben,
die, unbeirrt durch etwaige tief einſchneidende Anderungen in der Staats-
ſtruktur, beſonders in der Außenpolitik gleichmäßig wirken ſollen. R. Walther
Darré weiſt im Zuſammenhang mit dem oben angeführten Ausſpruch über
den Staat auf einen febr wichtigen Amſtand hin: die Bedingtheit des Staates
durch die außerhalb ſeiner Grenzen wirkenden Kräfte mannigfacher Art. Durch
die zwangsläufige Auseinanderſetzung mit dieſen Kräften und mit der ge⸗
famten Amwelt jenſeits der Grenzen, die nicht von den Wandlungen inner-
halb eines Staates abhängig iſt, konnte die Vorſtellung einer von der Füh⸗
rung des Volkes und der Verfaſſungsform unabhängig wirkenden Staats-
idee aufkommen und damit der Gedanke von dem Eigenleben des Staates.
Wohl herrſcht in der Welt noch vielfach dieſe Idee vom „Gotte Staat“,
dem alles dienen muß und der alle beherrſcht. Der Faſchismus huldigt dieſer
Anſchauung, und ſie wird beſonders dort gepflegt, wo kein Volk, ſondern eine
Nation lebt, wo an Stelle des Gefühls für die Gemeinſamkeit des Blutes
die Sprachgemeinſchaft und Gemeinſchaft der Geſittung oder ſonſt eine Erfah-
gemeinſchaft getreten ſind, und wo man verſucht iſt, völkiſchen Minderheiten
anderer Art durch Lockung und durch Gewalt den Stempel einer gemein⸗
ſamen, mitunter erſt kürzlich organiſierten Nation aufzuprägen.
Die Geopolitik hat beſonders in früheren Jahren ſich vielfach mit fremden
Staaten beſchäftigt und damit den Blick des deutſchen Volkes verdienſtlicher⸗
weiſe geſchärft und auf die weite Welt gerichtet. Schon ein Blick auf die
unſerem Staate unähnlichen Bildungen, wie etwa die Tſchechoſlowakei, die
Vereinigten Staaten, die Schweiz und Belgien mit ihren organiſierten Na-
tionen hätten warnen müſſen, die Geopolitik als die Lehre vom Staat als
Lebeweſen zu bezeichnen. Für den Nationalſozialismus und damit für die
deutſche Bauernpolitik iſt der Staat an ſich niemals ein Organismus, und
deshalb gibt es für ſie auch keine Wiſſenſchaft von ihm als einen Organismus.
Bauerntum und Geopolitik 853
Cine eigenartige Löſung des Verſuches, fih mit den geſchichteſchaffenden
Kräften auseinanderzuſetzen, bedeutet ſchließlich das Beſtreben eifriger Geo⸗
politikjünger, alle diefe Kräfte unter dem Namen Geopolitik zuſammenzu⸗
faſſen. Zunächſt begnügte man fih, die von Kjellén als die Naturſeite des
Staates bezeichnete Raum- und Volksſeite unter dem Namen Geopolitik
zuſammenzufaſſen, die in eine Raum- und Volkskunde geteilt wurde. Dann
aber wurde Geopolitik zur nationalſozialiſtiſchen Staatsauffaſſung, national-
ſozialiſtiſchen Staatslehre und Staatswiſſenſchaft erhöht. Sie ſoll eine alle die
Wiſſenſchaftszweige ordnende und einende Stellung einnehmen; ſie wird zur
„Brückenwiſſenſchaft“, zur Weltanſchauung, die das Wiſſen ordnet, erklärt.
Eine weitſchweifige Auseinanderſetzung iſt hier nicht nötig. Bis zur „national⸗
ſozialiſtiſchen Staatslehre“ hat die Geopolitik noch einen weiten Weg.
Ein ernſter Verſuch der Geopolitik, als ordnende „Wiſſenſchaft“ über dem
Ganzen zu ſchweben, würde ſie ihres eigentlichen Inhaltes berauben und ſie
zerſtören. Tatſächlich iſt es meiſtens anders. Trotz aller Betonung der Ani.
verſalität gleitet die einzelne Anterſuchung mit Vorliebe auf rein geogra-
phiſche Gedankengänge ab, und Karte und Skizze bleibt ihr liebſtes Kind.
Will man der Geopolitik den richtigen Platz anweiſen, ſo muß man von
dem Gedanken von Blut und Boden ausgehen. Als Grundlage des
Bauerntums iſt er die Grundlage des Volkes und all ſeines Denkens, Tuns
und Handelns. Alle Wiſſenſchaften, die ſich mit dem Menſchen befaſſen,
werden durch dieſen Gedanken des Blutes geeint und geordnet.
Das Rüftzeug der Geopolitik ift die Geographie; fie ſelbſt hat kein eigenes
Wiſſensgebiet und iſt damit ſelbſt keine Wiſſenſchaft, ſondern eine Betrach⸗
tungsweiſe; ein Weg zur Erkenntnis. In dieſem Sinne ſpricht auch Darre
von den Arbeiten der Geopolitik, die den Einfluß des Raumes auf die geſchicht⸗
lichen Vorgänge unterſuchen (Odal III, Heft 11, Seite 795).
Die Geopolitik hat die Aufgabe, den Einfluß der von der Geographie
erkannten Tatſachen auf das Volk und all ſeine Außerungen und auf den
Staat, gleichviel, ob er Lebensform des Volkes oder nur eine Organiſation
iſt, in der Vergangenheit, Gegenwart und für die Zukunft zu betrachten und
zu unterſuchen. Ihr eröffnet ſich damit ein großes und noch unerforſchtes Feld
der Tätigkeit, und ſie kann hier zur Erkenntnis der von Blut und Boden ſich
aufbauenden Geſchichte im weiteſten Sinne des Wortes beitragen.
Die Geopolitik darf dann allerdings nicht auf dem Standpunkte ſtehen, der
kürzlich in der Zeitſchrift für Geopolitik geäußert wurde: „Der Boden ift
etwas Anveränderliches, und infolgedeſſen find auch feine Wirkungen auf den
Menſchen etwas Bleibendes.“ Sie wird ſich im Gegenteil mit dem Wandel
der Raumbedeutung befaſſen; fie wird feſtzuſtellen haben, daß die in der Ber-
gangenheit maßgebenden räumlichen Faktoren heute anders einzuſchätzen ſind.
Die Geopolitik, die fih gern des Begriffes „Geſetz“ bedient, wird zum Geſetz
der abnehmenden Raumbedeutung kommen, abnehmend nicht nur durch die
ungeahnte Entwicklung moderner Technik, ſondern mehr noch durch die
Wiederbeſinnung gemeinſamen Blutes auf ſeine Zuſammengehörigkeit, über
Flußſyſteme und -gräben und Gebirgsmaſſen hinweg, auf die Volksgrenzen
an Stelle der Strukturgrenzen der Naturlandſchaft. Sie nimmt damit den
Gedanken des auch von ihr anerkannten Geographen Alexander Supan auf,
der die Entwicklung der Menſchheit als den ſiegreichen Kampf der Bolts-
und Nationalpolitik gegen die Territorialpolitik ſah.
854 * „ , Bauerntum und Geopolitik
Eine Betrachtung unter dieſem Zeichen leiftet für die Geſchichte und Politik
des eigenen Volkes und für die Erkenntnis und die Regelung der zwiſchen⸗
völkiſchen Beziehungen Wertvolles.
Geſchichte unſeres Volkes heißt Bezwingung und Aberwindung des
Raumes. Schon die Bildung der großen deutſchen Stämme bewegte ſich in
dieſer Richtung. Erft als das Stammesgefühl mit der Ausbildung der Teil-
herrſchaften abnahm, erhielten viele räumliche Elemente das Gewicht und
die Bedeutung, von der man noch heute ſprechen hört. Die Aberwindung des
Stammes und Länderpatriotismus durch den nationalſozialiſtiſchen Volks.
und Raſſegedanken wird deshalb die Geopolitik wirkſam fördern durch den
Nachweis von der wechſelnden und ſich wandelnden Bedeutung der bisher
oft für ſchickſalsbeſtimmend gehaltenen Raumeigentümlichkeiten.
Sieht die Geopolitik den tiefſten Sinn der innerdeutſchen Raumordnung
im Zuſammenwachſen des Volkes, der Erhaltung und Stärkung des deutſchen
Volkstums, fo wird fie als wichtigſtes Ziel bie geographiſchen Vorbedin⸗
gungen feſtſtellen, die die Vermehrung des Bauerntums und ſeine Anſetzung
in ſiedleriſchen Hohlräumen begünſtigen. Ihr Anſpruch, das geographiſche
Gewiſſen des Volkes zu fein, richtet ihr Augenmerk auf die geopolitiſch geführ-
deten Zonen des Deutſchen Reiches, damit dort geographiſche Schwäche durch
Stärke des Blutes aufgewogen werden kann.
Der Aufſatz Prof. Konrad Meyers im Märzheft dieſer Zeitſchrift met
nach, wie durch den materialiſtiſchen und kapitaliſtiſchen Wirtſchaftsgeiſt wirt-
ſchaftlich verödete Räume und tote Winkel entſtanden. Das Streben nach
einer neuen Raumgeftaltung, einem gleichmäßig aufgegliederten Raum wird
an den natürlichen Raumgeſtaltungen nicht achtlos vorübergehen. Wo es
möglich und dienlich iſt, werden ſie Berückſichtigung finden; aber die Geo⸗
politik folte beweiſen, daß größer als die Raumgeſtalterin Natur der Raum-
geſtalter Menſch iſt. |
Die deutſche Geopolitik wandte fih zuerſt — dies ergab fih aus Zeit und
Lage — der Außenpolitik zu und hat hier neue Zuſammenhänge aufgezeigt.
Durch den Nachweis in Wort und Karte, wie häufig und ſtark räumliche
Ziele, Meeresküſten und Gegengeſtade, natürliche Grenzen und Flußmündun⸗
gen die Politik beſtimmten, hat ſie die geſchichtliche Anüberfichtlichkeit ordnen
helfen. Das Wiſſen um das Feſthalten vieler Staaten an geopolitiſchen
Zielen auch heute noch läßt uns ihre Außenpolitik verſtehen. Italien ſieht in
Oſterreich das Glacis vor den Alpen, wie Ofterreid) bis zum Jahre 1866 im
Königreich Sachſen ein Glacis vor ſeiner Erzgebirgsgrenze gegen Preußen ſah.
Gewinnung und Beherrſchung geopolitiſch wichtiger Punkte und Gegenden
ohne und gegen den Willen ihrer Bewohner gehört zum Weſen des Impe—
rialismus, unter deffen Auswirkungen die Welt noch heute ſeufzt. Die Hod-
ſchätzung des eigenen Blutes und die Achtung und die Anerkennung des
anderen Volkstums macht es uns unmöglich, uns eine geopolitiſche Ziel-
ſetzung zu geben. Kein Gegengeſtade und keine Flußmündung vermag uns
zu verlocken, fremdes Volkstum zu unterjochen. Vielmehr ſtellt der National-
ſozialismus dem Imperialismus die friedliche Zuſammenarbeit gegenüber,
und beſonders die deutſche Bauernpolitik iſt auf dem Wege, ſich mit dem
wahrhaft europäiſchen Bauerntum zu verſtändigen, fih gegenſeitig zu unter:
ſtützen und ſo einen wirklichen europäiſchen Frieden in die Bahn zu leiten.
Bernhard Sommerlad, Showa 855
Die Geopolitik wird alfo der Außentätigkeit des deutſchen Bauerntums
und der Außenpolitik des deutſchen Volkes nicht das Ziel ſetzen, aber ihr den
Weg bereiten helfen. Denn die Art der Zuſammenarbeit wird durch die geo⸗
graphiſche und geopolitiſche Lage der einzelnen Staaten mitbeſtimmt; alſo
durch die von Klima und Boden mitbeſtimmte Wirtſchaftsweiſe eines jeden
Bauerntums und durch die Lagerung der einzelnen Staaten zueinander und
beſonders zum deutſchen Lebensraum in der Mitte Europas.
Wie die deutſche Bauernpolitik nicht Selbſtzweck iſt, ſondern eine Dienerin
des deutſchen Volkes, wird auch die Geopolitik nur in der Anterordnung unter
den Gedanken des Blutes, der Raffe und des Volkes ihre richtige Stellung
finden und in dieſem Dienſte ihr Beſtes leiſten können.
Bernhard Sommerlad:
Showa `
Das nationale Erwachen Japans
Wieder einmal, wie ſchon fo oft in den letzten Jahren, wurde Japan mit
den Schüſſen, die an einem der letzten Februartage des Jahres 1936 beim
Morgengrauen durch die Straßen ſeiner Hauptſtadt peitſchten, in den Brenn⸗
punkt unſeres Intereſſes gerückt. War das erſte Echo, das der Putſch junger
Offiziere im Abendland auslöſte, faſt durchgängig lebhafteſte Aberraſchung,
ſo ſetzte alsbald ein 1 Ratfelraten über die Hintergründe der Mili-
tärrevolte ein. Erneut beſtätigte dieſes Frageſpiel, daß beſonders in Deutſch⸗
land die Kenntniſſe über die „Preußen des Oſtens“ im Grunde genommen
reichlich dürftig ſind. Ja, man konnte Menſchen mit dem Geſichtskreis einer
Eintagsfliege die Frage aufwerfen hören: „Was kümmern uns Deutſche
innerpolitiſche Vorgänge des japaniſchen Kaiſerreiches? And überhaupt, Aſien
ift ja fooo weit!“ Solche Leute vergeſſen nur allzu leicht, daß uns diefer
Erdteil ſeit einem Menſchenalter zwar nicht räumlich, wohl aber dynamiſch
mindeſtens um die Hälfte nähergerückt iſt. Man ſcheint ebenſowenig davon
gehört zu haben, daß Japan im Verlauf weniger Jahre im Welthandel an
die fünfte Stelle vorgedrungen iſt und noch heute zu den wenigen Ländern
gehört, die von Deutſchland mehr kaufen, als ſie an uns abſetzen. Man hat
ſich ſchließlich wohl auch noch keine Gedanken darüber gemacht, daß das inſu⸗
lare Kaiſerreich als ſtärkſter Gegenſpieler des Bolſchewismus gerade für uns
von gar nicht zu überſchätzender internationaler Bedeutung iſt und noch
werden kann. Angeſichts dieſer ganz willkürlich herausgegriffenen Tatſachen
erſcheint es durchaus am Platze, einmal etwas eingehender die Strömungen
zu umreißen, die ſich ſeit einiger Zeit im inneren Leben Japans mehr oder
weniger deutlich abzeichnen. Zu ihrem Verſtändnis aber muß man kurz auf
die Arſachen zurückgehen.
856 Bernhard Sommerlad
Fanale einer Volksſtimmung
Was fih nämlich an dem „blutigen Mittwoch“ des Februar in
der japaniſchen Hauptſtadt abgeſpielt hat, iſt zweifellos kein unerwartetes
Aufflammen der Leidenſchaft beſtimmter Kreiſe eines Volkes, wie man es
auch kaum mit einer führenden deutſchen Tageszeitung als den „bedauerns⸗
werten Abſchluß einer Bewegung“ von „Aberpatrioten“ bezeichnen kann.
Die lange Kette der Attentate, die ſeit 1930 gegen führende japaniſche Poli⸗
tiker und Miniſter verübt wurden, insbeſondere aber die Beweggründe der
Attentäter, ſprechen ebenſo deutlich gegen die Annahme, als ſeien die Ereig⸗
niſſe auf einzelne Offizierskreiſe beſchränkt. Verfolgt man die Perſönlichkeiten
der Ermordeten und die Motive der Täter, fo kann man ſich kaum des Ein-
drucks erwehren, daß es ſich hier um die Fanale einer mehr und mehr
um ſich greifenden Volksſtimmung handelt. Am 14. November
1930 wurde der liberale Miniſterpräſident Hamagutſchi von der Kugel eines
japaniſchen Nationaliſten niedergeſtreckt, der ſeinem Opfer die Anterzeichnung
der Londoner Flottenkonferenz zum Vorwurf machte, die Japan beeinträch⸗
tigende Abmachungen enthalte. Im Februar 1932 wurde der Finanzminiſter
Inouyi und im März des gleichen Jahres der Großinduſtrielle und Finanz-
gewaltige Tokuma Dan niedergeſchoſſen. Der Anlaß, der zur Ermordung
dieſer beiden Männer führte, iſt beſonders charakteriſtiſch. Man warf ihnen
nämlich Bereicherung am Nationalvermögen vor. Der Grund dafür war fol⸗
gender: Im Oktober 1931 hatte man die Abwertung des Jen beſchloſſen.
Baron Tokuma Dan, der Leiter der Mitſui⸗Bank, und der damalige Finanz-
miniſter trafen gemeinſam die Vorbereitungen zu dieſer Abwertung. Die
Zeitdifferenz zwiſchen den Vorbereitungen und den ſtaatlichen Maßnahmen
benutzten nun die beiden führenden Großhandelshäuſer Mitſui und Mitſu⸗
biſhi dazu, den allergrößten Teil ihres verfügbaren Geldes nach den Vereinig⸗
ten Staaten zu bringen und nach dem Kursſturz des Jen, der dem Goldaus⸗
fubrverbot folgte, mit 40% Gewinn zurück nach Japan zu verkaufen. Man
verdiente dabei rund 700 Millionen. „Siebenhundert Millionen, die dem
Vaterland geſtohlen wurden“, ſo erklärten die Nationaliſten. „Millionen für
das Vaterland im Ausland gewonnen“, antworteten die Bankiers. Aber man
glaubte ihnen nicht. Tokuma Dan und Inouyi wurden ermordet. Es war
bezeichnend, daß der Mörder erklärte: „Die Politik und das ganze Land ſelbſt
ſind von der Geldmacht beſtochen. Am eine endgültige Säuberung durchzu⸗
führen, gibt es nur ein Mittel: die führenden Häupter zu beſeitigen. Die
Verbrechen erfüllen uns ſelbſt mit Abſcheu, aber ſie müſſen begangen werden
. . zum Beſten des Vaterlandes!“ Am 15. Mai 1932 wurde dann der Mi-
niſterpräſident Inukai in ſeiner Wohnung von Verſchwörern erſchoſſen. Bei
den gleichzeitig erfolgten Anſchlägen auf Banken, öffentliche Gebäude, Partei-
büros und die Wohnungen verſchiedener Parteiführer forderten Flugblätter:
„Fort mit den korrupten Politikern! Fort mit der Vorherrſchaft des Grop-
kapitals! Fort mit den Parteien! Wiederherſtellung der Macht des Kaiſers!
Wir müſſen das Land retten!“ In dieſe Reihe gehört auch der Angriff des
Oberſtleutnants Aizawa auf den Generalmajor Nagata am 12. Auguſt 1935,
gehört das Revolverattentat auf den Profeſſor Minobe am 21. Februar
1936, auf das weiter unten noch zurückzukommen ſein wird, gehören aber
ſchließlich auch die letzten Schüſſe im Februar.
Showa 857
Gegen die „Dreieinigkeit der Volksvergiftung“
Bei dem Verſuch, uns in die Gedankengänge der Nationaliſten einzufühlen,
ſind zwei Verteidigungsreden vor Gericht von größtem Wert. So ſagte der
ſchon genannte Oberſtleutnant Aizawa aus, er habe den General Nagata
5 weil der General Maßregeln ergriffen habe, die der Wiederaufbau-
ewegung widerſprochen hätten. Der General habe weiter Beziehungen zu älte⸗
ren Staatsmännern (d. h. Liberaliſten), zu Bürokraten und Kapitaliſten unter-
halten und die Showa-Bewegung unterdrückt. Die jungen Offiziere feien ent-
ſchloſſen, alle „Kerenſkis“ umzubringen. Abrigens ließ auch der Verteidiger
des Attentäters, Oberſtleutnant Sakichi Mitſui, an die Richter des Tribunals
ganz unmißverſtändlich eine Warnung ergehen, ſie möchten ſich bewußt ſein,
daß der Angeklagte den (Get der Showa⸗Bewegung im Heere repräſentiere.
„Sollte der wahre Geiſt des Oberſtleutnant Aizawa nicht verſtanden werden,
dann wird ein zweiter und ein dritter Aizawa erſtehen. Es iſt mein Wunſch,
daß die Richter die Erwartungen des geſamten Heeres verwirklichen werden.“
Noch deutlicher wurde vor Gericht der Offizieranwärter, der an dem genann-
ten Mordanſchlag auf den Miniſterpräſidenten Inukai beteiligt war. In ſeiner
Verteidigungsrede, die eher einer öffentlichen Anklagerede glich, machte ſich
der junge Patriot zum Interpreten einer offenſichtlich weithin herrſchenden
Volksſtimmung, wenn er ſagte: „Politiſche Parteien, Finanzmagnaten und
privilegierte Klaſſe bilden eine Dreieinigkeit der Volks vergiftung.
Der verſtorbene Premier Inukai war perſönlich ſauber, und ich bedauere
deshalb feinen Tod; aber feine Ermordung war notwendig, weil er als Re-
gierungshaupt zugleich Haupt einer politiſchen Partei war. Die Dollarſpeku⸗
lation großer Geldmächte unmittelbar vor Japans Abgang vom Goldſtandard
(ſ. o.) beweiſt, daß ſie einen Raubzug an der allgemeinen Wohlfahrt der
Nation nicht ſcheuten. Alle Berufspolitiker ſind korrupt und an eigenſüchtige
Intereſſen gebunden; ſie kehren ſich keinen Deut um die vernichtenden Wirt⸗
ſchaftsverhältniſſe, um die kleinen Händler, Kleinbetriebseigner und Bauern.
Hätte man die öffentliche Angelegenheit ſo weiter laufen laſſen, ſo wäre es zu
einem Bauernaufſtand gekommen, und die Truppen hätten Befehl er⸗
halten, auf die Bauern zu ſchießen. Das wäre nichts anderes geweſen, als
Kinder auf die Eltern ſchießen zu laſſen (ein für den Japaner unvorſtellbares
Verbrechen! D. Verf.). So würden die Bauern und Soldaten einander ent⸗
fremdet worden ſein, und das würde zur Zerſtörung des Heeres geführt haben.“
Die Finanzmagnaten
Klar für den Eingeweihten zeigte der junge Anwalt einer immer deutlicher
faßbaren Bewegung die Ziele ſeiner Geſinnungsfreunde. Was man bekämpft,
iſt danach klar: die Herrſchaft des Parlamentarismus, die Ausbeutung durch
das Großkapital, privilegierte Klaſſen und ihren Eigennutz. Wenn gerade
immer wieder im Vordergrund aller Forderungen die rückſichtsloſe Kampf⸗
anſage an das Großkapital ſteht, dann wird man das nur aus der Tatſache
heraus verſtehen, daß ſich faſt das geſamte japaniſche Kapital in der Hand
von etwa 15—20 Familien befindet. Geht man aber die Handelsregiſter und
die Liſte der Aktionäre durch, dann ſtößt man faſt ſtändig vor allem auf zwei
Familien: die Mitſui und die Mitſubiſhi. Am Hoi nur eine annähernde Vor.
ſtellung von ihrer Bedeutung machen zu können, mögen folgende Angaben
858 Bernhard Sommerlad
genügen: Das perſönliche Vermögen der Mitfui betrug 1935 etwa 1% Mili-
arden Mark. Unter ihrer direkten Kontrolle ſtanden damals 224 der verſchie⸗
denartigſten, zumeiſt wichtigſten Induſtrieunternehmungen mit einem Geſamt⸗
kapital von 4½ Milliarden Mark. Im Jahre 1933 gingen 85 % der gefamten
nach Japan eingeführten Wolle, 40 % des Getreides, 57 % der Kohlen und
40 % aller importierten und exportierten Maſchinen, dure ihre Hände. Neben
ihnen ſtehen die Mitſubiſhi, die allerdings „nur“ 92 Firmen mit einem
Geſamtkapital von 2½ Milliarden Jen 1 Wurden die geſchäft⸗
lichen Transaktionen der Mitſui 1930 amtlich auf eine Milliarde 700 Milli-
onen Jen geſchätzt, ſo beliefen ſich die der Mitſubiſhi damals auf mehr als
eine Milliarde. Aniverſitäten, Rundfunk und Preſſe werden von dieſen beiden
Mammutbetrieben finanziert und beherrſcht. Banken und Verſicherungsunter⸗
nehmen ſind in ihrer Hand. Enge Verbindungen mit dem Staate ſowie mit
engliſchen und franzöſiſchen Firmen machen ſie zu den wahren Herren des
Kaiſerreiches. Kein Wunder, daß ſich gegen dieſe Vorherrſchaft des Kapitals
ein immer ſtärkerer Haß richtet, zumal die Finanzmagnaten auch nachhaltig
die führenden politiſchen Parteien beeinfluſſen. Ganz folgerichtig iſt aus dem
Kampf, den man dem Großkapital angeſagt hat, damit auch ein vn gegen
die SR erwachſen.
Die Parlamentarier
Faft nirgend ift die enge Verflechtung von Parlamentarismus und Kapi-
tal ſo deutlich greifbar wie eben in Japan. Die mehr konſervative Partei
der Seiyukai nämlich, die, durchaus weſtleriſch orientiert, Großgrundbeſitz,
Schwerinduſtrie und Großkapital in ſich vereint, erhält ihre notwendigen Kapi⸗
talien von der Firma Mitſui. Deren Bant hat z. B. den prachtvollen Partei-
bau finanziert, und die Wahlagenten dieſer Partei werden ſogar auf den
Lohnliſten der Mitſui geführt. Dagegen befindet ſich die völlig liberale Partei
der Minſeito, die, armeefeindlich und rein weltwirtſchaftlich eingeſtellt, Ber-
treterin der Kaufmannſchaft und verarbeitenden Induſtrie iſt, völlig in finan⸗
zieller Abhängigkeit von den Mitſubiſhi. Am aber ganz ſicher zu gehen, ſpen⸗
den die Mitſui von Zeit zu Zeit auch an die Liberalen, die Mitſubiſhi wieder
an die Konſervativen namhafte Summen. So ai um die beiden führenden
Finanzmagnaten die beiden Parteien und umgekehrt, wenn man das natürlich
auch überall leugnet. Jahrelang ſtanden die beiden Parteien im üblichen par-
lamentariſchen Machtkampf. Wie bei dem en Englands
ſchwankte die Waagſchale zwiſchen ihnen ſtändig hin und her. Den rapiden
Verfall des parlamentariſchen Spſtems, der fih durch das Auftauchen neuer
Parteien bereits fühlbar macht, konnte auch der Zuſammenſchluß zwiſchen den
Seiyukai und Minſeitos „zum Zweck der Verteidigung des parlamentariſchen
Syſtems“ nicht aufhalten, und bei den Wahlen im Februar erlangten die
Arbeiterparteien den beachtlichen Zuwachs von 4 auf 22 Mandate. Auf der
anderen Seite ſteht das Anſchwellen der nationaliſtiſchen Welle, die von dem
ganzen Parlamentarismus nichts wiſſen will. Eine Reihe rieſenhafter Kor-
ruptionsſkandale, in die Miniſter und Abgeordnete verwickelt wurden, hat die
antiparlamentariſche Propaganda der nationalen Kreiſe ungeheuer unterſtützt.
Die Verweigerung von Rüſtungsforderungen der Armee hat ein übriges
getan. In einer Anterredung, die der Generalſekretär der Seiyukai 1933 einem
Showa 859
franzöſiſchen Journaliſten gewährte, gab diefer auch offen zu, daß feiner Partei
die Ausgaben für Heer und Marine untragbar ſchienen. In der gleichen Anter⸗
redung berichtete der Generalſekretär weiter, daß man feine Partei beſchul⸗
dige, „auf der Reichstagstribüne der Wortführer der Kapitaliſten
zu ſein“, Vorwürfe, die übrigens auch gegen die Minſeitos erhoben werden,
denen man beſonders die Verteidigung des Waſhingtoner Vertrages ver-
übelt hat. Hier ijt es, wo die Agitation der jungen Offiziere einſetzt. Am aber
ee das Bild abzurunden, muß noch ganz kurz auf die Lage des japaniſchen
auerntums eingegangen werden. |
Sterbendes Vauerntum
Im allgemeinen macht man fih in Deutſchland darüber keinen Begriff, wie
weit die Verſchuldung der japaniſchen Landwirtſchaft vorgeſchritten ift. God,
kenner ſchätzen dé allein auf 8 bis 9 Milliarden Jen. Von japanifcher Seite
wird auch nicht ne daß der Bauer in manchen Gegenden dem Hunger:
tode nahe iſt. Man kann hier und da Bäume ohne Blätter und Rinde ſehen
— die Bauern haben fie gegeſſen! Da die Reispreiſe von der Induſtrie aus
Lohngründen künſtlich niedergehalten werden, um die Konkurrenzfähigkeit der
Induſtriewaren auf dem Weltmarkt zu ſichern, ift beſonders der japanifche
Bauer der Leidtragende des fogenannten Aufſchwungs. 30 bis 60 % feines
Ertrages muß er an den Grundeigentümer abgeben, denn er iſt ja meiſt nur
noch Pächter des Landes, das das ſtädtiſche Kapital an ſich gebracht hat. Von
den insgeſamt 51% Millionen Landvolkfamilien ſitzen 26 % nur noch auf
Pachtland und 42% haben einen fo geringen Eigenbeſitz, daß fie Pachtland
hinzunehmen und fih ſomit in Abhängigkeitsverhältnis bringen müſſen. Zu-
dem ſteigt der Anteil des verpachteten Bodens noch unentwegt. Dabei ent,
fällt auf jede Bauernfamilie nur etwa ein Hektar im Durchſchnitt. And da
nur ungefähr die Hälfte des japaniſchen Volkes zum Bauerntum gehört, bleibt
zum eigenen Leben einer Familie von etwa 5 Köpfen der Ertrag eines halben
Hektars, der für die Familie monatlich ganze 17 Jen (etwa 12,50 Mark)
abwirft. Ein ſyſtematiſches Bauernlegen hat feit dem Ausgang des 19. Jahr⸗
hunderts diefe verhängnisvolle Verſchiebung der ländlichen Beſitzverhältniſſe
mit ſich gebracht. Abwanderung in die Stadt und Bildung eines befitzloſen
Landarbeiterſtandes ſind auch in Japan die Kennzeichen eines ſterbenden
Bauerntums. Die alte Tragik eines liberaliſtiſch geführten Bauernſtandes
hat in Japan ebenfalls die Folge, daß gute Ernten faſt immer zur Verarmung
führen. Fällt aber die Ernte ſchlecht aus, ſo reicht der Erlös wieder nicht zur
Deckung der Produktionskoſten. Damit lockert fich zwangsläufig die Boden-
ſtändigkeit der Bauern. Die parlamentariſche Regierung aber unterdrückt jed-
wede Bodenreformbeſtrebung. Die Notlage des Bauerntums ift alfo alles in
allem geradezu unbeſchreiblich. In der japaniſchen Agrarkriſe aber
5 der Haupturſachender revolutionären Stimmung
des Landes.
„Aberpatrioten?“
Iſt man ſich über die vorſtehend geſchilderten Verhältniſſe klar, dann wird
man auch die Vorkämpfer der immer ſtärker werdenden antiparlamentariſchen
Strömungen nicht mit dem Worte „Aberpatrioten“ abtun können oder ſich
= — —
860 Bernhard Sommerlad
mit dem billigen Bemerken begnügen, daß wir „bei dem Verſuch, uns in die
Gedankengänge der Japaner hineinzufühlen, vor einem Grenzgraben ſtehen,
den wir nicht zu überſchreiten vermögen“. Für verfehlt halten wir es aller⸗
dings, dieſe Volksſtimmung in Japan unbedingt auf einen europäifchen
Nenner bringen und von Militär-⸗Faſchismus, National⸗ Marxismus, Na-
tional⸗Bolſchewismus oder National⸗ Sozialismus ſprechen zu wollen. Auch
den vielen ungezählten Organiſationen zur Pflege des „Nippon Seiſhin“
Gapaniſchen Geiſtes) nachzuſpüren, verſpricht wenig Erfolg. Ob es fih dabei
um die Kokuonſho (japaniſch⸗imperialiſtiſche Vereinigung) mit ihren drei
Millionen Mitgliedern, ob um die Nippon⸗Kokka⸗Shakai⸗To (ſozialiſtiſche
Partei des nationalen Staates), die Dinmufat, die Kinmo Iſhindomé, die
Shin ⸗Nihon⸗Kokumin⸗Domei oder um die Dai⸗Nihon⸗Seiſanto handelt, oder
wie die anderen Verbände alle heißen mögen. Viel zutreffender kann man alle
diefe Beſtrebungen als Showa- oder Kodo⸗ Bewegung bezeichnen,
wie es mit Recht in der deutſchen Preſſe anläßlich des Februar⸗Putſches
geſchah. Aberprüft man nämlich die zahlreichen Organiſationen und Organi⸗
ſatiönchen des erwachenden Japans, deren es über 600 gibt, dann tritt dieſes
Wort Showa immer wieder in den Vordergrund.
Showa — ein Programm!
Nach chineſiſchem Muſter wird in Japan feit unvordenklichen Seiten jeder
kaiſerlichen Regierungsperiode ein poetiſcher Name gegeben, der den Geiſt der
jeweiligen Epoche bezeichnen ſoll — ein Brauch, der noch lebendig iſt. Die
neue Ara des gegenwärtigen Herrſchers nun hat den Dichtungsnamen Showa
erhalten. „Strahlender Friede“ oder noch beſſer „Soziale Gerechtigkeit“, das
iſt etwa die Aberſetzung. Es iſt kein Wunder, daß dieſe Bezeichnung zum
Programm der Aktiviſten geworden iſt. Kennt man die Entſtehung des Wortes
Showa, dann wird man fic künftig davor hüten, in der fog. Showa-Gewegung
etwa eine feſt organiſierte politiſche Organiſation ſehen und ſie vielleicht mit
dem feſten Gefüge unſerer NSDAP. vergleichen zu wollen. So iſt auch das
Programm, von dem im folgenden häufiger die Rede ſein wird, keine feſt
formulierte Niederſchrift nach Art der 25 Punkte des Nationalſozialismus,
ſondern der Wunſch der aktiviſtiſchen Jugend. In dieſem Sinne iſt allerdings
ein ſolches Programm bereits im Jahre 1919 entworfen, in dem Buch „Plan
der nationalen Reorganiſation Japans“ nämlich, das von Ikki Kida geſchrie⸗
ben und heute im Beſitz jedes japaniſchen Offiziers und jedes Nationaliſten
ift. Die Forderungen, die alfo überall wiederkehrend erhoben werden, kann
man etwa folgendermaßen formulieren: Begrenzung der Kapitalbildung, Kon⸗
trolle der Wirtſchaft gegenüber den kapitaliſtiſchen Einflüſſen, Abbau der
Truſts, Aufhebung des mit dem Kapitalismus eng verflochtenen demokra⸗
tiſchen Prinzips, Ausſchaltung des Parlaments und Anderung der Verfaſſung
ſowie Ausſcheidung aller unnationalen Elemente vom Wahlrecht auf der nega⸗
tiven Seite. Auf der poſitiven Seite dagegen verlangt man eine gerechte Ber-
teilung der Laſten, Hilfe für die arbeitende Bevölkerung (Induſtriearbeiter
und Bauer), autoritäre Regierung und Neubau des Staates auf ſtändiſcher
Grundlage. So wenigſtens hat im Vorjahr ein Kongreß die Vorſchläge der
Nationaliſten zuſammengefaßt. Auch die Forderungen der Armee, die im
Zuſammenhang mit dem Februarputſch kürzlich bekannt wurden, ſtoßen in der
Showa | 861
gleichen Richtung vor, nur daß hier natürlich ſolche wehrpolitiſcher Art hinzu-
treten, nämlich:
1. Die endgültige Feſtſtellung, daß Armee und Marine einzig und allein
ee verantwortlich find, die Regierung alfo gänzlich ausgeſchaltet
wird.
2. Die Erfüllung der Rüftungsforderungen der Armee ohne Einmiſchung der
Regierung im allgemeinen und des Finanzminiſteriums im beſonderen.
3. Ausgleich zwiſchen Induſtrie und der notleidenden
Landbevölkerung.
4. Eine energiſche Außenpolitik, die der Bevölkerungszunahme Japans ge-
recht wird und die Handelshemmniſſe ſowie das Auswanderungsverbot
nach anderen Ländern in Betracht zieht.
Im Vordergrund des Programms ſteht die Stärkung des Kaiſergedankens
auf Grund der göttlichen Abſtammung der Herrſcherhauſes, die Rettung des
Bauerntums als der Grundlage der Volkskraft, die Reform des Staatsbaues
durch den Kaiſerſozialismus, die Rückkehr zum altjapaniſchen Geiſt, die Her⸗
ausſtellung des Sippengedankens, die Herſtellung einer Volksgemeinſchaft
ſowie eine ſtarke Außenpolitik.
Kaiſergedanke und Kodo
Nur wer die unbeſchreibliche Verehrung kennt, die der Japaner ſeinem
Kaiſerhaus entgegenbringt, das von Gott abſtammen ſoll, wird die Aufnahme
der Stärkung des Kaiſergedankens in das Programm einer revolutionären
Bewegung verſtehen. Für die nationaliſtiſchen Kreiſe wie für die breiten
Maſſen der Bevölkerung iſt die Perſon des Kaiſers nun einmal Mittelpunkt
jener religiöſen Verehrung, die die Grundlage der japaniſchen Staatsreligion
und der japaniſchen Weltanſchauung darſtellt. Der Kaiſer iſt die Verkörpe⸗
rung der von Ewigkeit zu Ewigkeit währenden Weisheit, er ift der Anantaſt⸗
bare und Anfehlbare, in dem das Glück und die Zukunft des Volkes Geſtalt
gewonnen hat. Dieſe religiös erhabene Stellung der Perſon des Kaiſers iſt
auch in den Anſchauungen der Showa⸗Bewegung zutiefſt verankert. And
gerade deshalb war der Kommunismus in Japan zum Scheitern verurteilt,
weil er ſich an die Perſon des Mikado wagte. Aus der gleichen göttlichen
Verehrung des Kaiſers heraus iſt auch die immer wiederkehrende Außerung
aller Nationaliſten verſtändlich, daß die Revolution gegen den parlamenta-
riſchen Staat nur mit und für den Kaiſer gemacht werden ſoll. Man verſteht
ſo auch, daß der amtliche Bericht des japaniſchen Kriegsminiſteriums über den
Februarputſch mit dem Satze ſchloß: „Die jungen Offiziere wollten die alten
Miniſter, die Kapitaliſten, die Bürokraten und die Parteien beſeitigen, da ſie
in ſchwerer Zeit nach innen und außen unſere Staatsform zerſtören wollten.
Die jungen Offiziere wollten durch ihr Vorgehen die Gerechtigkeit im Staate
wiederherſtellen, um den Beſtand der kaiſerlichen Staatsform zu ſichern.“ Es
war alſo keine Irreführung der öffentlichen Meinung über die Ziele, wenn
die Offiziere ſelbſt ihre Erhebung damit begründeten, „daß ſich das japaniſche
Kabinett mehr und mehr vom wahren japaniſchen Geiſte entfernt und wider⸗
rechtlich in die Rechte des Mikado eingegriffen habe“. Die gleiche Einſtellung
führte ja kürzlich zur Ermordung des Profeſſors Minobe, der es gewagt hatte,
862 Bernhard Sommerlad
den religiöſen Mythos von der unmittelbaren göttlichen Abſtammung des
japaniſchen Kaiſerhauſes mit wiſſenſchaftlichen Argumenten entkräften zu
wollen. Minobes Lehrbücher des Staatsrechtes, in denen er den Kaiſer als
Organ der Nation, als eine Einrichtung bezeichnete, wurden öffentlich
verbrannt. In einer von den oppofitionellen Kräften erzwungenen Verlaut.
barung aber wurde erklärt, daß der Kaiſer Inhaber der höchſten Gewalt ſei
und daß eine anders lautende Theorie im offenen Widerſpruch zu dem wahren
Charakter des nationalen Geiſtes ſtehe. Mit dem Wort des Kaiſers ſtehen
und fallen alle revolutionären Verſuche, wie auch der letzte Putſch bewies.
Auch der Führer einer nationaliſtiſchen Organiſation erklärte einmal einem
ausländiſchen Journaliſten: „Falls der Kaiſer unſere Wünſche nicht in Er⸗
wägung ziehen wollte, fo würden wir — und mit uns alle faſchiſtiſch Denten-
den — uns ſeinem Willen beugen, ohne ein Wort des Widerſpruchs. Nie⸗
mals würde es in Japan eine Revolution geben, wie ſie ſich anderwärts
ereignen könnte. Die Revolution wird vom Kaiſer, auf das Verlangen ſeines
Volkes, gemacht werden, oder ſie wird nicht gemacht werden.“
In ſeinem Buch „Japanese and Oriental Political Philosophy“ ſagte ein-
mal einer der Führer in der Showa⸗Bewegung, Chifao Fufiſawa: „Am die
Showa-Erneuerung in die Tat umzuſetzen, müſſen wir die augenblickliche kor⸗
rupte Parteipolitik und die Bürokratie beſeitigen. An deren Stelle iſt ein für
allemal die unverfälſchte und gültige Herrſchaft von Kodo
zu ſetzen, in Abereinſtimmung mit 9 altehrwürdigen nationalen Tradi-
tion.“ Die Wiederbelebung des Kodo⸗ Prinzips, die moraliſch⸗
ethiſche Staatsphiloſophie des „Kaiſerlichen Wegs“, ſteht alſo am Beginn
der Erneuerungsbewegung. Es gilt alſo die Erziehung der Jugend zum Kodo.
Dieſe Wiederbelebung des Gott⸗Kaiſer⸗Mythos erſtrebt die Schaffung der
organiſchen Staatsfamilie, die ſich um den Kaiſerthron wie um einen uner⸗
ſchütterlichen Felſen ſchart. And darum wendet fich der Anhänger der Showa
leidenſchaftlich gegen alles, was ſeiner Anſicht nach den Kodo, den „Kaiſer⸗
lichen Weg“, gefährdet.
„Kaiferſozialismus“
Der Japaner Nohara hat in ſeinem Buch „Das wahre Geſicht Japans“
für die Wirtſchaftsforderungen an einer Stelle folgende Formulierung
gewählt: „Man möge nicht erſchrecken, wenn eines Tages in Japan das
Kapital und die Hauptinduſtrien nationaliſiert werden; es bedeutet das
nicht den Sieg des Kommunismus in Japan, ſondern den Anbeginn des neuen
Japanismus, der politiſch die Form des Kaiſerſozialismus annehmen
dürfte.“ „Nicht die individuelle Bereicherung und perſönliches Glück, ſondern
der Dienſt für Kaiſer und Reich, die Einordnung in die von Ewigkeit zu
Ewigkeit reichende Geſchichte des japaniſchen Kaiſerſtaates und in die Ober,
zeitliche Familie, das iſt der Sinn des diesſeitigen Leben.“ In dieſem Satz
hat der Kaiſerſozialismus vielleicht ſeinen treffendſten Ausdruck gefunden.
Denn ſozialiſtiſch find die Forderungen der Showa-Bewegung. Einwandfrei
enthält ihr Programm ja die „Aufhebung der kapitaliſtiſchen Wirtſchaftsform
und des Privateigentums“. Man mag die Führer der einzelnen Organija-
tionen nur fragen. Ohne Ausnahme ſind ihre Antworten recht deutlich, ob es
da wie bei Herrn Ikeda heißt: „Wir lehnen das Prinzip des Privateigentums
Showa ` 863
ab. Bisher hat das japaniſche Wirtſchaftsſyſtem immer nur für die Mitfui
und Mitſubiſhi gearbeitet. In Zukunft wird es zum Nutzen des geſamten
japaniſchen Volkes arbeiten.“ Der Generalſekretär der Nippon ⸗Kokka⸗Shakato
wieder erklärte: „Anſere erſte Handlung wird die Beſchlagnahme aller Rapi-
talien und Güter ſein.“ Wieder ein anderer forderte: „Das Kapital ſelbſt
muß vom Staat konfisziert werden.“ And der ſchon oft genannte Nohara
ſchrieb: „Das japaniſche Volk betrachtet, um die Wahrheit zu ſagen, den
Großkapitalismus als etwas durchaus Fremdes und Anjapaniſches, als etwas,
das in das Syſtem des bürgerlichen Europa und des plutokratiſchen Amerika
paßt, aber nicht notwendig in Japan einen Platz haben muß ... Man ſpricht
fogar von einem ‚Shogunat des Kapitals’, alfo in Anlehnung an die Shogune
oder Statthalter der Vergangenheit, die des Kaiſers Macht beſchnitten und
eine Nebenregierung errichteten, von einer ‚Nebenregierung des Kapitals“.“
And doch unterſcheiden ſich dieſe ſozialiſtiſchen und antikapitaliſtiſchen Forde⸗
rungen der Showa⸗Bewegung grundlegend vom Marxismus. Denn es heißt:
„Die von uns beſchlagnahmten Güter werden wir dem Kaiſer zur Ver⸗
fügung ſtellen, der es unternehmen wird, ſie im Intereſſe des geſamten Volkes
zu verwalten.“ Aberall trifft man auf die Loſungen: „Keine Kapitaliſten,
kein Privateigentum, der Kaiſer als Verwalter aller Güter!“
Wie auch ſonſt knüpft man mit dieſem Kaiſerſozialismus an altjapaniſche
Ideen an, ſo daß ſchon dadurch eine ideenmäßige Gleichſetzung mit dem
Marxismus als völlig verfehlt erſcheinen muß. Im alten Japan wurde näm⸗
lich der geſamte Grund und Boden als Eigentum des Herrſchers betrachtet.
Indem der Kaifer das Land jedoch an den Hof- und Schwertadel auslieh,
erhob ſich über dem japaniſchen Bauerntum die Geißel des Feudalismus, dem
auch im Inſelreich eine unerhörte Aushungerung und Ausplünderung auf dem
Fuhe folgte. Schon einmal gelang es nun unter der Regierung des Kaiſers
Meiji, den Feudaladel zum Verzicht auf feine Rechte zu bewegen. Mehr
gezwungen als freiwillig ſtellte er dem Kaiſer ſeinen Beſitz zur Verfügung,
und dieſer wieder ſchenkte das Land denen, die es gerade bebauten. 50,1 des
japaniſchen Bodens wurden damals (1871) mit einem Schlage Eigentum des
Bauerntums. Die Freude dauerte allerdings nicht lange. Die Geldwirtſchaft
hielt ihren Einzug, und das freie Spiel der Kräfte begann mit allen jenen
Erſcheinungen, wie ſie uns ſelbſt zur Genüge bekannt ſind. Wucherer gaben
den Reſt, bis eben jener Zuſtand erreicht worden iſt, den wir oben ſchilderten.
Wenn darum die Showa⸗Bewegung erneut einen Staatsſozialismus, eine
Rückgabe des Landes an den Kaiſer fordert, der ja Verwalter des geſamten
Eigentums iſt, dann ſpielen die Erinnerungen an die fog. Meiji-Reftauration
eine gewichtige Rolle, und man verſteht, warum man den Groffapitalijten
und Parlamentariern eine Verfälſchung dieſer Bauernbefreiung größten
Stiles vorwirft. Man verſteht dann auch, wie z. B. Nohara die Hoffnung
ausſprechen kann, bei der wohl der Wunſch der Vater des Gedankens iſt:
„Wir wiſſen, daß unſere Fürſten der Induſtrie und Finanz ſich der Stunde
würdig erweiſen werden; wie einſt im Jahre 1871, als der Fortbeſtand unſerer
Nation die Aufhebung der Fürſtentümer und der Adelsrechte geboten er,
ſcheinen ließ, die Vorgänger unſerer Finanzmagnaten, die regierenden Lehns⸗
fürſten, alle ihre Güter und Einkünfte in die Hände des Kaiſers zurücklegten,
ſo werden ſie dem Kaiſer und unſerer Nation die Betriebe und Banken öffnen
und ſelber wieder das werden, was jeder Japaner im Grunde iſt: Beamter des
Odal Heft 11, Jahrg. 4, Bg. 2
864 Bernhard Sommerlad
Kaiſers in feinem Gebiet, eingeſetzt, gehalten und geleitet von des Kaiſers
öttlichem Willen.“ Eine ſolche Einſtellung hat, wie geſagt, ſicher nichts mit
arxismus zu tun, ſondern ift nur der Wunſch nach einer Rückkehr zu alt-
japaniſchen Gedankengängen.
„Zurück zum japaniſchen Geiſt“
„Zurück zum japaniſchen Geiſt“, das iſt das Schlagwort, das in
vielfachen Variationen in der Jugend, in der Showa⸗Bewegung, immer
wiederkehrt. Die Rückkehr zur Tradition ſpricht z. B. aus den Worten eines
der Führer, der einmal ſagte: „Als ich Kommuniſt war, hatte ich die Stimme
meines Blutes, meines Herzens und meines Geiſtes ebenſo wie die Geſchichte
Japans vergeſſen. Heute habe ich fie wiedergefunden.“ Dieſe Traditions⸗
gebundenheit wird auch von dem Führer der Seiſanto, Herrn Ikeda, vertreten,
der einem Journaliſten zurief: „Wir wollen zu dem Geiſte zurückkehren, der
die Gründung des japaniſchen Reiches vor mehr als 2000 Jahren ins Leben
gerufen hat.“ Die gleiche Forderung ſtellte der Generalſekretär der Nippon-
Kokka⸗Shakato auf, wenn er erklärte: „Was wir wollen, ift, den japaniſchen
Geiſt wieder erneuern, der bei der Gründung und der Reform des Reiches
unter der Regierung des Kaiſers Meiji geherrſcht hat.“ Am treffendſten hat
wohl alle dieſe Gedanken der frühere Kriegsminiſter Araki, die Hoffnung aller
aktiviſtiſchen Kreiſe übrigens, in einer Anterredung mit dem Vertreter der
„Aſſociated Preß“ zuſammengefaßt: „Wir Japaner müſſen wieder zu den
alten Aberlieferungen zurückkehren, zu dem Geſetzbuch der Samurai: Rückſichts⸗
lofe Treue zum Herrſcher, Opfer an Gut, Blut und Befitz für die Größe des
Landes und Kampf gegen das Niedrige.“ Nicht handgreiflicher kann vielleicht
der Anterſchied zwiſchen den Parlamentsparteien und nationalen Organija-
tionen nach außen hin betont werden als dadurch, daß man ſich bei den Letzteren
japaniſch kleidet und japaniſch lebt. Das gerade macht man dem Kapitalismus
zum Vorwurf, er habe „das japaniſche Volk vom Mittelpunkt des japaniſchen
Lebens entfernt“. Hand in Hand mit dieſer Beſinnung auf den japaniſchen
Geiſt geht eine ſolche Beſinnung auf die alten Kulturgüter. Immer kraftvoller
wird dieſe Strömung, die nichts davon wiſſen will, die eigenen Kulturgüter
in die Ecke zu ſtellen, ſondern die ſie wieder in den Vordergrund rücken möchte.
Denn man glaubt, daß die von den Weißen übernommenen Dinge mehr oder
weniger Fremdkörper im japaniſchen Leben bleiben werden.
Erneuerung des Sippengedankens
Die Erneuerung des japaniſchen Geiſtes bedeutet aber auch eine Wieder ⸗
belebung des Sippengedankens, bedeutet die vorbehaltloſe Lin-
erkennung der Familie als Keimzelle des Staates. Die reſtloſe Einſpannung
der Familienzelle in den Staatsorganismus wird denn auch ausdrücklich von
der Showa⸗Bewegung gefordert. Allerdings betont z. B. Nohara, „daß es
ſich bei uns Japanern erübrige, den Sozialismus erſt in dieſes Fahrwaſſer
zu lenken und daß die Familie als Arzelle der Nation nicht neugeſchaffen und
gefeſtigt zu werden brauche, da ſie immer dieſe Funktion erfüllte“. In der Tat,
man achte nur einmal darauf, wie in den Reden der Nationaliſten immer
wieder Kaiſer und Volk, Armee und Bauern, Offizier und Soldat mit Vätern
Showa 865
und Kindern verglichen werden und wie einem der Mörder des Minifter«
präſidenten Inukai als ſchrecklichſte Vorſtellung galt, daß Kinder auf ihre
Eltern ſchießen würden. Die ſcharfe Herausſtellung des Sippengedankens
durch die Nationaliſten erfordert es, ein wenig ausführlicher darauf einzugehen.
Auch hier gibt uns ein Japaner ſelbſt den beſten Aufſchluß: „Eine weitere
familienerhaltende Eigenart iſt die Bildung von Clans oder Sippen. Dieſe
nimmt ihren Ausgang in der Tatſache, daß beim Tode des Vaters der älteſte
Sohn, nicht die Mutter, in deſſen Rechte tritt. Er erbt nicht nur das Haus
und das geſamte Vermögen, ſondern in den Gamurai-, d. h. Schwertadels⸗
familien, auch allein den Adel; ſeine jüngeren Brüder und Schweſtern gehen
leer und bürgerlich aus; es ſteht ihnen jedoch zeitlebens Anterſtützung durch
das neue Gamilienoberhaupt und Obdach im väterlichen, nun brüderlichen
auſe zu.
Auf dieſe Stellung der Dinge werden ſie ſchon zu Lebzeiten des Vaters
vorbereitet; alle — Mutter, Geſchwiſter, Dienſtboten — erweiſen neben dem
Vater dem älteſten Sohn die Ehrerbietung, die einem Haupt zuſteht. Der
Vater ift der Danna“, der „Herr“, der älteſte Sohn ift der, Waka⸗Danna', der
‚junge Herr’. |
Sobald die jüngeren Geſchwiſter Ehen eingehen, entſteht, da fie immer noch
mehr oder weniger mit der Hauptfamilie zuſammenleben, in der Not zu ihr
ziehen, in entſcheidenden Angelegenheiten den Rat des älteren Bruders fuchen,
ja, meiſt durch ihn verheiratet worden ſind, der Clan oder die Sippe, die einſt
auch äußerlich in ganzen Dörfern, Orten und Stadtvierteln oder rund um die
Burg des Clansherrn geſchloſſen lebte. Heute iſt die Sippe nicht äußerlich
beiſammen wie etwa in China, wo ſie weitläufige, palaſtähnliche Gebäude
bewohnt, mit Dutzenden von Höfen; die Macht der Sippe iſt jedoch, wenn
auch unſichtbar, vorhanden und nicht geringer als ehedem.
Der junge Menſch, der ins Leben tritt, tut dies nicht im Bewußtſein, nun
erft richtig frei zu werden; er heiratet nicht, um feine alte Familie, die Bluts⸗
familie, durch eine neue Bindung zu erſetzen; in jedem Augenblick ſeines
Lebens ift er fich bewußt, daß er ſtets um Nat oder Tat zum ‚Ani‘, dem älteren
Bruder, gehen kann, daß das Haus des Ani eine Zuflucht iſt, die ihm ſtets
offenſteht. — So bildet fih im Japaner das ganz große Gefühl nicht allein
der Familienzugehörigkeit, ſondern der Sippenzugehörigkeit; die ganze japa⸗
niſche Nation iſt eine einzige große Sippe von tauſend Namen mit nur einem
einzigen Haupt: dem Kaiſer.“ Die Mitglieder der Sippe haben nach japa⸗
niſcher Auffaſſung die heilige Pflicht, einander unter allen Amſtänden bilf-
reich beizuſtehen. Dieſe bodenſtändigen Familienbeziehungen gehen ſo weit,
daß ſchon mehrfach die Bodenbeſitzer einer Gegend nicht mehr wagen, ihr
Land an Pächter auszutun, ſondern lieber Plantagenbetrieb mit Land-
arbeitern verſuchen.
Aktive Außenpolitik
Es iſt verſtändlich, daß die treibenden Kräfte für eine aktive Außenpolitik
voran und ganz beſonders in der Armee zu ſuchen ſind. Man will nichts
wiſſen von einem Paktieren etwa mit der Sowjet⸗Anion. „Es gibt noch immer
Leute“, ſo heißt es in einer Broſchüre, die im November 1934 aus dem
2
866 Bernhard Sommerlad
Kriegsminiſterium herauskam, „die glauben, internationale Konflikte Tie-
ßen ſich durch diplomatiſche Verhandlungen vermeiden. Dieſe Optimiſten
haben keine Ahnung von der wahren Weltlage.“ Schon in dem genannten
Buch Ikki Kidas fand man die Verkündung einer aktiviſtiſchen Außen⸗
politik! „Der Staat ift berechtigt, jene Nationen zu bekriegen, deren
Bodenbeſitz übertrieben groß iſt oder die in unmenſchlicher Weiſe regiert
werden. Beiſpiel: Auſtralien muß England und Oſtſibirien muß Rußland
entriſſen werden. Der Staat iſt auch berechtigt, einen Krieg zu beginnen, um
unterdrückte Völker zu befreien. Beiſpiel: Indien ift vom engliſchen Joch und
China von den fremden Anterdrückern zu befreien.“ Die Offiziere fühlen ſich
von den Diplomaten verraten. Sie können es zum Beiſpiel nicht faſſen, daß
der ſoeben ermordete Siegelbewahrer Saiko zu den Gründern einer „Gejell-
ſchaft zur Förderung der ruſſiſch⸗japaniſchen Beziehungen“ gehört hat und
eine Zeitlang ihr Präſident war. Auch der ermordete Finanzminiſter Lata-
haſhi zählte zu den Freunden einer Verſtändigung mit der Räteunion. Die
jungen Offiziere empören ſich gegen dieſe Verſtändigungspolitiker, empören
ſich gegen den Völkerbund und verfechten die Weltmiſſion ihres Volkes, wie
ſie General Araki ſchon im Jahre 1932 in die Worte faßte: „Die Weißen
haben aus Aſiens Nationen Sklaven gemacht. Japan kann und darf ihre
Frechheit nicht ungeſtraft laffen... Anſer Land ift entſchloſſen, fein Ideal
über die ſieben Weltmeere zu tragen.“ Wieder ein anderer ſtellte die Theſe
auf: „Das Endziel iſt, den Aſiaten den Namen Japan klarzumachen, daß ſie
vom Okzident unterdrückt werden, daß ſie ſich vereinigen müſſen, um eine
gemeinſame Befreiung zu ermöglichen“, ein Gedanke, der durch viele ähnliche
Zitate unterbaut werden kann. So berührt ſich auch in außenpolitiſchen Din-
gen der Wille des Offizierskorps eng mit dem jener politiſchen Organiſa⸗
tionen, die die Showa⸗Erneuerung auf ihre Fahne geſchrieben haben.
Bauern und Soldaten
Faft 75% der japaniſchen Soldaten und Offiziere find bäuerlicher bzw.
ländlicher Herkunft. Offiziere und Soldaten aber haben die Not des Pächters
und der Bauern in der Jugend am eigenen Leibe durchgemacht. Sie haben,
ob Offizier oder einfacher Soldat, aus nächſter Nähe das Elend der Bauern
geſehen, die mit 17 Jen im Monat für die Bedürfniſſe einer oft fünfköpfigen
Familie aufzukommen haben. Selbſt die Söhne der ſogenannten Samurai
ſind nicht viel glänzender aufgewachſen. Daß daher auch in ihren Kreiſen ein
heftiger Zorn gegen die Kapitaliſten herrſcht, verſteht ſich. Von Kindheit an
find alſo die meiſten der Männer, die heute den Soldatenrock tragen, in dem
Gedanken erzogen, vom Kapitalismus beraubt worden zu ſein und noch zu
werden. Sie leben unter dem Eindruck, daß der Kapitaliſt ihre Eltern oder
Brüder in den wirtſchaftlichen Abgrund getrieben hat und weiter treibt. Die
winzigen Gehälter der Offiziere halten ſie in der Aberzeugung wach, daß der
kümmerliche Verdienſt faſt aller Volksſchichten in die Taſche der Kapitaliſten
wandert. So bleibt es der ſcheinbar unerfüllbare Wunſch diefer Bauern⸗
ſoldaten, die Sippe vom Pachtzins an den Beſitzer zu befreien oder gar ſelbſt
einmal eigenen Grund und Boden zu beſitzen. Verſtändlich, daß in den Flug⸗
ſchriften des Kriegsminiſteriums über die niedrigen Erzeugerpreiſe der land⸗
3 cc S KT
Showa | 867
wirtſchaftlichen Produkte, über die Schulden, die dem Bauernſtand aufge-
bürdet werden, oder über die hohen Preiſe der Düngemittelinduſtrie Klage
geführt wird. Man verlangt hier auch, daß die Induſtrie⸗Truſts dazu gezwun⸗
gen werden müßten, die notleidenden Dörfer zu erhalten. Die einzige Ant⸗
.. wort, die die Mitſuis auf diefe letzte Forderung einer Flugſchrift aus dem
Kriegsminiſterium zur Hand hatten (ein ſcharfer Sturz der Staatspapierel),
war wenig geeignet, das Verhältnis zu Bauern und Soldaten zu beſſern.
Es iſt aber nicht nur die enge Verbindung von Soldaten und Bauern, dieſe
j enge Blutsbrüderſchaft von hungernden Reispflanzern und darbenden, aber
im altjapaniſchen (Get erzogenen Offizieren, die das Agrarproblem zum
Angelpunkt des Kampfes der Showa⸗Bewegung gegen Induſtrialiſierung,
Kapitalismus und Parlamentarismus macht. Es iſt beſonders eine Ange⸗
legenheit der Landesverteidigung, die nicht länger zuſehen will, wie die Ab⸗
würgung des Bauerntums und die ihr folgende Landflucht eine der Haupt-
quellen der Wehrkraft zum Verſiegen bringen können. Denn auch in Japan
S ift das Bauerntum die Grundlage der Armee. Noch werden zwar in jedem
Jahre 500 000 japaniſche Kinder auf dem Lande und nur 300 000 in den
Städten geboren, obwohl hier mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt.
Aber wie lange noch, fo lautet die Frage, wird das dauern, wenn die Ber-
ſchuldung die Bauern weiter in die Stadt treibt. In der Armee hat man
wenigſtens jene Warnungszeichen wohl verftanden, daß die Induſtrie⸗ und
Großſtadtdiviſionen der Japaner im ruſſiſch-japaniſchen Kriege auf den
Schlachtfeldern der Mandſchurei teilweiſe verſagten, während die Bauern-
| diviſionen durchſchnittlich Aberragendes leiſteten. Bauern waren es, die die
Sonnenflagge auf den Wällen von Port Arthur und in den ruſſiſchen Linien
von Lyauyang und Mukden aufpflanzten. So machen die Offiziere auch kein
Hehl daraus, daß ſie die Bauernrekruten als die zuverläſſigſten Stützen des
Soldatentums anſehen. Weil die Offiziere von der Anentbehrlichkeit des
Bauerntums für die Erhaltung eines ſchlagkräftigen Heeres zutiefſt durch⸗
drungen ſind, wollen ſie ſeine Not lindern und berühren ſich alſo auch in
dieſem Punkte mit den Organiſationen des nationaliſtiſchen Japan. Es unter,
ſtreicht diefe Erkenntniſſe ſinnfällig, daß Anfang 1934 der damalige Kriegs-
S miniſter auf einen erheblichen Teil des dringlich geforderten Rüftungshaus-
baltes verzichtete, um daraus Mittel für eine Bauernhilfe bereitzuſtellen.
Auch im höheren Offizierkorps zeigt ſich das ſtarke Mitgefühl mit dem Bauern⸗
tum, denn man ijt der Anſicht, daß nur eine Beendigung der bäuerlichen Tra-
gödie den wahren inneren Frieden bringen kann. Weil man aber auf dem
bisher eingeſchlagenen Weg der Regierungen keine Möglichkeiten zur Ret-
` tung ſieht, darum bekennt man fih 155 dem Programm des Kaiſerſozialismus,
bekennt man ſich zu Showa, dem Geiſt der ſozialen Gerechtigkeit.
Aberprüft man aus dieſen Geſichtspunkten heraus die Ereigniſſe, dann
-> wird man fih darüber klar werden, daß auch die Erhebung der jungen Offi-
7 giere im Februar kein einmaliger Zwiſchenfall, kein bloßer Putih, ſondern
nur ein Glied in der Kette einer politiſchen Entwicklung war, deren Ende
ſicher noch nicht gekommen iſt. Das kann man vorausſagen, ohne ein großer
Prophet zu ſein. Das iſt nicht etwa ein Bekenntnis zu den Putſchiſten ſelbſt,
ſondern eine Folgerung aus den verſchiedenſten Anzeichen der tiefgehenden
Aufgerührtheit eines Volkes, über die zu richten nicht unſere Aufgabe iſt.
868 Ferdinand Fried. Zimmermann
Beuntzte Literatur.
Eine umfaſſende und eingehende Darſtellung der Showabewegung felbſt fehlt bis heute noch.
Neben zahlreichen Aufſätzen und Interviews in der Preſſe wurden beſonders herangezogen:
Edgar Lajtha, Japan, geſtern, heute und morgen, Berlin 1936.
Maurice Lachin, Japan heute und morgen, Erlenbach⸗Zürich und Leipzig O. 7.
Komakichi Nohara, Das wahre Geſicht Japans, Dresden 1935.
Johannes Deinwaldt, Japan, Berlin 1935.
Ernſt Schultze, Japan als Welt⸗ und Induſtriemacht, Stuttgart 1935.
Anton Ziſchka, Japan in der Welt, Leipzig 1936.
Ferdinand Fried. Zimmermann:
Die baltiſchen Gilden
Ein letztes Städ deutfchen Mittelalters
(II. Teil)
Die Großen und Kleinen Gilden
Die geſamte politiſche und wirtſchaftliche Entwicklung der baltiſchen Hanſe⸗
ſtädte, das Deutſchtum in dieſen Gebieten wurde lediglich getragen von den
großen Gemeinſchaften und Vereinigungen, den Gilden und Bruderſchaften.
Wie auch ſonſt in deutſchen Städten, ſind dieſe Gilden kultiſchen Arſprungs
geweſen und haben ihre große kultiſche Bedeutung auch ſpäter nie ganz ver⸗
loren, als wirtſchaftliche Nebenzwecke immer mehr in den Vordergrund traten.
Die erſte Berührung des kultiſchen Gehaltes mit dem wirtſchaftlichen Neben-
zweck war die Wohltätigkeit, beſonders nachdem das Chriſtentum im Volk
eingedrungen war und auch von alten Bräuchen und Einrichtungen Beſitz
ergriffen hatte.
So gab es in Reval urſprünglich eine heilige Leichnams und Tafelgilde,
die vornehmlich geiſtlicher Art war, eine Schiffergilde, eine St. Gertruden⸗
gilde (die ſich dem Krankendienſt, hauptſächlich wohl der Schiffer widmete)
und eine St. Antonius⸗Brüderſchaft, die fich mit Pockenkrankenpflege beſchäf⸗
tigte. Dazu trat dann die Kinder ⸗Gilde, in der fih zwar die Kaufleute
vereinigten, deren Hauptzweck aber zunächſt auch Wohltätigkeit war. Das
Wort Kind hat dabei eine andere Bedeutung als heute, es iſt etwa im Sinne
einer „Geſamtheit“ (3. B. der Kaufmannſchaft) aufzufaſſen. (Die Schiffs⸗
bemannung wurde damals auch „Schiffskinder“ genannt.) In Riga gab es die
Gilde des heiligen Kreuzes und der heiligen Dreifaltigkeit (Heilig-Rreuz-
Gilde), deren Verfaſſung ähnlich wie die der Leichnamsgilde in Reval zum
größten Teil den däniſchen Gilden entnommen war. Im ganzen umfaßte das
Gildenweſen anfänglich alſo neben dem kultiſchen Gehalt (regelmäßige
Morgenſprachen uſw.), neben der Geſelligkeit vor allem ſämtliche Zweige der
Die baltischen Gilden 869
Sozialfürſorge des Mittelalters, Wohltätigkeit, Anterſtützung und Kranten-
pflege. Hierbei entwickelte ſich die Witwen⸗ und Waiſenunterſtützung zu einem
ganz beſonderen Zweig dadurch, daß die Brauerei als Gewerbe nicht etwa von
einer beſonderen Zunft, einem Amt betrieben wurde, ſondern einer Kauf⸗
manns- oder anderen allgemeinen Gilde als alleiniges Vorrecht verliehen
wurde. Sie wurde dann auf genoſſenſchaftlicher Grundlage betrieben mit dem
ausgeſprochenen Zweck, die Hinterbliebenen von Gildenbrüdern zu verſorgen.
So entwickelte ſich ſpäter in Reval eine beſondere Brauereigeſellſchaft, an der
die beiden Gilden beteiligt waren.
Außer den Gilden entwickelten ſich aber auch ſchon frühzeitig Vereinigungen
gewerblicher Art, die einfach mit dem Aufblühen des Handels und Gewerbes
in den Städten ſowie mit dem im deutſchen Mittelalter unbewußten Zwang
zu Gemeinſchaftsbildungen zuſammenhingen. Zur Gründungszeit der baltiſchen
Städte, Anfang des 13. Jahrhunderts, war das Leben noch fließend: Kaufleute
teiften durch, kamen aus dem Weiten Deutſchlands, beſonders aus Weft-
falen, den damals führenden weſtfäliſchen Hanſeſtädten Soeſt und Münſter,
ließen fih teils vorübergehend, teils dauernd in Riga oder Reval nieder,
reiſten weiter zum Kontor nach Nowgorod — kurz es war ein noch unſtetes
Getriebe, und die „Fremden“, die vorübergehend anweſenden deutſchen Kauf⸗
leute, bildeten durchaus den vorherrſchenden Beſtandteil der Städte. Natürlich
kamen ſie regelmäßig zuſammen, wohnten oft auch im gleichen Hauſe, und ſo
bildete ſich zunächſt als Treffpunkt, dann als feſte, ſtändige Einrichtung in
Riga die „Stube von Soeſt“ und die „Stube von Münſter“
heraus. Mit dem ſich entfaltenden Eigenleben ſtrömten auch immer mehr Hand⸗
werker hinzu, ebenfalls meiſt aus dem niederſächſiſchen Gebiet, und ſchloſſen
ſich ganz naturgemäß auch an dieſe Stuben von Münſter oder Soeſt an.
Waren mit weiterem Wachstum der Stadt mehrere Handwerker desſelben
Handwerkszweiges anweſend, ſo bildeten ſich von ſelbſt Zuſammenſchlüſſe auf
genoſſenſchaftlicher Grundlage, aus denen fih verſchiedene Handwerks
ämter entwickelten. 1284, bei der Verleihung des lübiſchen Stadtrechts an
Reval, wurde den Amtern die Erlaubnis zum Abhalten von Morgenſprachen
erteilt, das Gefteben der Amter alfo vorausgeſetzt.
Berſchiedene Gilden der Geſelligkeit, der Wohltätigkeit, der Krankenpflege
und Hinterbliebenenfürſorge, regelmäßige Zuſammenkünfte der Kaufleute und
Handwerker in den Stuben von Münſter und Soeſt, langſam fih herausbil⸗
dende Handwerksämter — dies dürfte ungefähr der Zuſtand im ganzen
13. Jahrhundert geweſen ſein. Hieraus entwickelten ſich nun in den baltiſchen
Hanſeſtädten Riga, Reval und Dorpat gleichzeitig und gleichartig die beiden
großen Zuſammenſchlüſſe in Gildenform, die das ſtädtiſche Leben bis auf die
jüngſte Zeit beherrſchten. In allen drei Städten wurde der Zuſammenſchluß
der eigentlichen Kaufleute die „Große Gilde“ genannt, der Zuſammen⸗
ſchluß der verſchiedenen, bereits beſtehenden Handwerksämter die „Kleine
Gilde“. In Reval entwickelte fic) die Große Gilde ſchon um die Jahrhun-
dertwende aus der bereits erwähnten Kinder ⸗Gilde; die Große Gilde behielt
die Bezeichnung , Kinder-Gilde” nebenbei bis heute. In Riga ging der Anſtoß
von den Handwerkern aus. Dort hatten ſich allmählich die Stuben von Soeſt
und Münſter dergeſtalt geſchieden, daß nicht mehr die Herkunft der Beteiligten
maßgebend war, ſondern daß die Stube von Soeſt zur Einrichtung der Hand⸗
870 Ferdinand Fried. Zimmermann
werfer wurde, die Stube von Münfter zur Einrichtung der Kaufleute. Die
Handwerker bildeten nun 1352 aus der Stube von Münſter und in Anlehnung
an die Heilig⸗Kreuz⸗Gilde die „Kleine Gilde“ (oder St. Johannis⸗Gilde) —
ein Zug in den Verfaſſungskämpfen der Stadt, den die Kaufleute alsbald
(1354) mit der Gründung der „Großen Gilde“ (oder Marien-Gilde) beant⸗
worteten, auch hier in ſtarker Anlehnung an die Arform der Heilig⸗Kreuz⸗
Gilde. Die in Reval bereits beſtehende Tafelgilde wurde dann auch in Riga
nachgebildet (1425), als Anhänger der Großen Gilde und als älteſte Anter⸗
ſtützungskaſſe Rigas. Reval wiederum nahm ſich die Handwerkerbildungen
Rigas zum Vorbild: dort entſtanden neben der Großen oder Kinder⸗Gilde
zwei andere Gilden: die Kleine oder Canuti-Gilde (Schutzheiliger Knut)
der Handwerker und die Olai⸗Gilde (Schutzheiliger Olaus), die damals
mehr die Arbeitsleute umfaßte und die ſpäter in die Kleine Gilde aufging.
Mit dieſer Entſtehung der Gilden bildet ſich alſo deutlich eine ſtändiſche
Schichtung und damit auch eine Ständeverfaſſ ſung heraus. In der Großen
Gilde waren die Kaufleute vertreten, in der Kleinen Gilde die Handwerker —
darüber ſtand der Rat der Stadt und die führenden Natsgeſchlechter, meiſt
Großkaufleute; im ganzen alfo eine Drei- Stände-Verfaſſung. Der
Anſatz zur Bildung eines vierten Standes in der Olai-Gilde in Reval kann
unberückſichtigt bleiben. |
Eine führende Rolle ſpielte natürlich die Große Gilde, weil ihre Verbin⸗
dung zum Rat febr eng war; die Große Gilde allein war ratsfähig. Anderer-
ſeits müſſen doch die Anterſchiede zwiſchen Rat und Großer Gilde beachtet
werden. Zum Rat gehörten ausſchließlich die ritterbürtigen Ratsgeſchlechter,
der Stadtadel, das Patriziat; während zur Großen Gilde neben den patrizi-
ſchen Großkaufleuten auch andere Kaufleute gehörten, ſo vor allem die den ſo⸗
genannten Bauernhandel betreibenden Kaufleute, den reuſſiſchen (weißruſſi⸗
ſchen), litauiſchen, kurländiſchen und livländiſchen Bauernhandel, die Wein.
händler, großen Fuhrleute und Spediteure, die Reeder, ſpäter auch die größe-
ren Krämer, Seidenkrämer, Gewürzkrämer und Nürnberger Krämer (die übri-
gen gehörten zur Kleinen Gilde), die Tuchhändler und Gewandſchneider (das
Geſchlecht Bismarcks ſtammt von einem rittermäßigen Gewandſchneider in
Stendal). In der Großen Gilde war alſo Geldadel mit Geburts-
adel vereinigt. Sie beſtimmte ſehr ſtark die Politik der Stadt, ihr Alter-
mann führte vor dem Nat das Wort — auch im Namen der Kleinen Gilde —
und eine etwa abweichende Meinung durfte der Ültermann der Kleinen Gilde
(in Reval) erit febr viel ſpäter (1681) „mit Beſcheidenheit und Modeſtie“
vortragen.
Während in der Großen Gilde der Handel, wie er bereits geſchildert wurde,
tatſächlich monopoliſiert war, und zwar nach Art einer hanſiſchen Genoffen-
ſchaft, bildete die Kleine Gilde die Vereinigung der Hand-
werksämter, und war infolgedeſſen ihrer Natur nach zunächſt auf die Stadt
ſelbſt beſchränkt. Die Stellung der Großen Gilde erklärt ſich nicht nur aus der
überragenden Bedeutung des Kaufmanns in dieſem Kolonialgebiet, der die
wirtſchaftliche Stellung der Stadt begründete, ſondern auch aus der anfäng⸗
lichen Zurückgebliebenheit des Handwerks. Hier konnte es ſich zunächſt natür⸗
lich nicht fo reich entfalten wie im Mutterland, ſondern mußte ſich auf die not-
wendigſten Arbeiten beſchränken. Wenn beſondere Arbeiten zu vergeben waren,
Die baltischen Gilden 871
an öffentlichen oder kirchlichen Bauten, mußten in der erſten Zeit immer Hand-
werker aus dem Reich geholt werden. Von Handwerksämtern werden um
1400 in Riga und Reval aufgezählt: Goldſchmiede, Schuhmacher, Böttcher,
Schmiede, Lakenſcherer, Kürſchner, Bäcker, Knochenhauer und Zimmerleute.
Aber gerade ſeitdem ſetzt ein eigenwilliger Aufſchwung des Handwerks auch
in den livländiſchen Hanſeſtädten ein, die allmählich dem Handwerk auch zu
der gebührenden geſellſchaftlichen und verfaſſungsmäßigen Stellung verhilft.
Die Gilden ⸗Verfaſſung
Die Verfaſſung der Gilden war in den Schragen (früher noch Sira oder
Schra) niedergelegt. Sie enthielten, wie es der geſchilderten Entſtehung der
Gilden als kultiſcher und geſelliger Gemeinſchaft entſprach, anfänglich nur
Verhaltungsmaßregeln und Strafbeſtimmungen für die Brüder. Die Auf-
nabmebeftimmungen waren einerſeits ſtreng, wie überhaupt die Eingriffe
dieſes Gemeinſchaftsgebildes in das „Privatleben“ des einzelnen zahlreich
und tiefgehend waren; andererſeits aber verftand es fih von ſelbft, daß jeder,
der nicht zu den Ausgeſtoßenen zählen wollte, an dieſer Gemeinſchaft einfach
teilnehmen mußte. Der einzelne lebte nur durch die Gemeinſchaft
und für ſie, es gab eben kein „Privatleben“ im heutigen Sinne, und die
Gemeinſchaft verbürgte ihm ſein Leben und Beſtehen.
Der Aufbau ſtellt ein feines Zuſammenſpiel von Freiheit und Anterordnung
dar, wie es nur deutſchem Empfinden entſpringen konnte. Die Brüder wähl⸗
ten ihren Führer, den „Altermann“, und ſeine Beiſitzer oder Ratgeber, aber
dann hat der Ültermann faſt unumſchränkten Führungsanſpruch, Polizei-
gewalt im Gildehaus, alleinige Vertretung der Gilde nach außen (alſo bei-
ſpielsweiſe dem Rat gegenüber). Aus den ausgedienten Ülterleuten (die für
ein, zwei oder drei Jahre gewählt wurden) und Ratgebern entſtand die ſo⸗
genannte Ülteftenbant im Gildenhaus, eine Art Senat, die ebenfalls mit be⸗
ſonderen Vollmachten ausgeſtattet war und vor allem diſziplinare Straf⸗
gewalt gegenüber ſämtlichen Gildebrüdern hatte. So konnte die Ulteſtenbank
Geldſtrafen, Arreſt oder Einſperren in die „Jungfer“, einen käfigartigen Be⸗
hälter, verhängen. Später wurde die Ulteſtenbank teilweiſe auch unmittelbar
aus der „Jüngſtenbank“ ergänzt. Dieſe Jüngſtenbank umfaßte nun ſämtliche
übrigen Gildenbrüder und hatte ſchon weſentlich eingeſchränkte Rechte. Bei
der Wahl der Ülterleute hatte fie Einſpruchsrecht. Bei wichtigen Gildenange⸗
legenheiten wurde ſie beteiligt, ſo bei Anderung des Schragens, auch bei den
ſtädtiſchen Angelegenheiten. Es wurde dann eine getrennte Abſtimmung beider
Bänke vorgenommen; nach der Abſtimmung in einem beſonderen Raum zogen
die Jüngſten wieder in den eigentlichen Sitzungsraum (Gildenſaal) ein, ihr
Wortführer trat unter die Glocke und verkündete dem Altermann das Ergebnis
der Abſtimmung.
Solche wichtigen Angelegenheiten, wie auch die Wahl der Ulterleute, wurde
auf den Hauptverſammlungen der Gilden, den ſogenannten Steven (aus dem
Skandinaviſchen), vollzogen. Die eigentliche Haupt⸗ oder Jahresverſammlung
war der „große nüchterne Steven“, bei dem nicht getrunken werden durfte.
Hier wurde der Altermann gewählt, der Schragen feierlich verleſen, Abrech-
nung gehalten, Klagen vorgebracht und ſchließlich die Toten aufgezählt, d. h.
872 Ferdinand Fried. Zimmermann
„die Brüder begangen“ (daher unfer Leichenbegängnis). Im Steven erfolgte
auch die Aufnahme neuer Brüder. Die Vorausſetzung für die Aufnahme war
guter Ruf und unbeſcholtene Abkunft (echte Geburt), belegt durch den Geburts⸗
brief. Außerdem mußten für den Aufzunehmenden zwei Brüder bürgen; der
Altermann „läutete ab“ — und wenn kein Einſpruch erhoben wurde, erfolgte
die Aufnahme durch Handſchlag und Gelöbnis auf Einhaltung des Schragens.
Der große Wert, der auf echte oder eheliche Geburt gelegt wurde, bedeutete
nichts weniger als eine zwingende Vorſchrift auf Reinerhaltung
des deutſchen Blutes, eine Vorſchrift, die an ſich auch im Reiche bei
den Zünften und Gilden beſtand, die aber hier, in fremdraſſiger Amgebung,
von ganz beſonderer Bedeutung war. Die Vorſchriften bezogen ſich daher
nicht allein auf die Ehelichkeit ſelbſt, ſondern jede Vermiſchung mit den fremd-
raſſigen Stämmen wurde gar nicht erſt „legitimiſiert“, war aufs ſtrengſte
verpönt. Man mußte alfo auch für feine Frau gewiſſermaßen den Ahnennach⸗
weis bringen bzw. die Heiratsgenehmigung erlangen. „... Wer unfer Bruder
iſt oder werden will, ſoll ſich nicht unter der Gilde verändern (verheiraten), ſo
daß er keine Dienſtmagd, Ammen oder ſonſt loſe Perſonen zur Ehe nehme.
Wer das tut, der fol wieder aus unſerer Gilde treten und in Freund ſchaft
von uns ſcheiden“ (Schragen der Großen Gilde von Reval 1533). „Ferner
ingleichen, was ſolche Mängel der Geburt anlangt, ſo ſoll ein Jeder, der unſer
Gildenbruder werden will, ſeinen Geburtsbrief vorzeigen, daß er aus einem
ehelichen Bette gezogen und geboren ſei, echt und recht, frei und nicht eigen
von Geburt.“ Dasſelbe wird 1541 und 1542 noch einmal ausdrücklich wieder⸗
holt. Ferner aber wird beſtimmt: „Manns- oder Frauensperſonen, welche fid
ſelbſt ſchriftlich oder mündlich ohne ihrer Eltern oder Vormünder Willen
freien, ſollen, wenn ſolches ruchbar wird, der Gilde Gerechtigkeit nicht ge⸗
nießen.“ Sogar in die Brauergeſellſchaft darf niemand eintreten, „er ſei denn
ein deutſcher Mann und habe eines guten deutſchen Mannes Kind zum
Weibe“. Eine Abergangsbeſtimmung wird damals (1486) getroffen: „wer ein
undeutſches, ehrliches Weib hat, der mag dieſe Schra genießen. Nach dieſer
Zeit ſehe ein Jeder zu, mit wem er ſich verändert (verheiratet).“ Die Ehen
waren unter dieſen Amſtänden übrigens auch überaus fruchtbar, allerdings
war auch die Sterblichkeit hoch.
Darüber hinaus achtete die Gilde überhaupt auf Zucht und Sitte ihrer Mit⸗
glieder (wobei wir freilich nicht heutige Maßſtäbe anlegen dürfen). Bruch der
gemeinſchaftlichen Zucht, Verſtoß gegen die Blutsgeſetze bedeutete Verluſt des
Gilderechts und damit, wie ſchon wiederholt betont wurde, des bürgerlichen
Daſeins überhaupt. Außerhalb dieſer bürgerlichen Welt lag die ausgeſtoßene,
verachtete und undeutſche. Die Frage des vierten Standes, die bereits ange-
deutet wurde (Olai-Gilde in Reval), war keine ſtändiſch⸗geſellſchaftliche, ſon⸗
dern eine völkiſch-raſſiſche Frage. Wertarbeit, gehobene Arbeit gehörte zum
Handwerkerſtand; niedere Arbeit verrichteten meiſt die „Andeutſchen“. Hilfs-
arbeiter, wie Bierträger, Salzträger, wohl auh Fiſcher waren in Riga von
jeher Letten; dieſe ſchloſſen ſich nach dem deutſchen Vorbild auch zu lettiſchen
Amtern zuſammen. Später tauchen dann auch Verbindungen undeutſcher oder
„einheimiſcher“ Gewerbetreibender auf, melt lettiſcher Abkunft. Die von ihnen
ausgeübten Gewerbe haben aber merkwürdigerweiſe im Mittelalter alle einen
geringen Beigeſchmack, wie etwa die Badſtüber, die man als nicht anſtändig
Die baltischen Gilden 873
anjah, aber auch die Leineweber. 1582 wurde das Amt der „unteutſchen
Schneider“ gegründet. Dieſe lettiſchen Amter ſpielen, wie noch zu zeigen ſein
wird, ſpäter für die politiſche Entwicklung eine gewiſſe Rolle, die bis in dieſe
Tage reicht.
In dem geſchilderten, durch Verfaſſung, Sitte und Blutsvorſchriften feft-
geftedten Rahmen bewegt fic) das Leben der Gildenbrüder in bunter Abwechſ⸗
lung und Fröhlichkeit. Das äußere Band der Geſelligkeit iſt der Trunk oder
die Drunken. Ausſchließliches Getränk war das Vier, erſt ſpäter traten
Branntwein und Wein hinzu. Die Trinkzeremonien waren genau feſtgelegt,
ein Erinnern hieran mag im Bierkomment der Studenten fortgelebt haben.
Täglich kamen die Brüder zu den „Pfennigdrunken“ zuſammen, die von zwei
erwählten Schaffern beaufſichtigt und abgerechnet wurden. Sie entſprachen
dem täglichen, gewöhnlichen Geſelligkeitsbedürfnis, etwa dem ſpäteren Ver⸗
eins- oder Klubleben. Die Hauptdrunken und Hauptfeſtlichkeiten überhaupt
waren die „Faſtelabend⸗ und Weihnachtsdrunken“, ein⸗ bis zweiwöchige Feſte,
zu deren Teilnahme jeder Bruder verpflichtet war, und auf denen neben dem
Trunk mancher alter deutſcher Brauch fortlebte, wie z. B. das Verbrennen
eines Tannenbaumes auf dem Marktplatz, der Tanz der Gildebrüder über den
Markt zum Nat. Das nächſte große Geht war das Maigrafenfeſt, Ausritt aus
der Stadt, Wahl des Maigrafen und der Maigräfin, wobei auch Turniere
ſtattfanden; ferner das Papageienſchießen, Stechſpiele und Ringelrennen. Be-
ſondere Feierlichkeiten waren auch die Gildehochzeiten, die unter Beteiligung
ſämtlicher Gildenbrüder mit anſchließendem Tanz in der Gildeſtube ftattfan-
den; das Brautpaar verbrachte üblicherweiſe ſogar ſeine Hochzeitsnacht in
einer beſonderen Brautkammer im Gildenhaus. Alles wirkte zuſammen, um
hier, inmitten fremder Umgebung, eine wirkliche, tiefe und geſchloſſene Gemein,
ſchaft deutſcher Menſchen zu geſtalten.
Die Schwarzenhäupter
Neben den Gilden gehören zu den tragenden Gemeinſchaftsbildungen der
deutſchen Hanſe die Bruderſchaften der fahrenden Kaufleute und der Kauf⸗
geſellen. In den baltiſchen Städten wurden ſie die Bruderſchaft, Gilde oder
Geſellſchaft der Schwarzenhäupter genannt und ſpielten hier eine größere
Rolle als in anderen deutſchen Gebieten, weil die Eigenart der Lage dieſer
Städte im Oſtraum ſtändig einen ſtarken Reife- und Durchgangsverkehr aus
den anderen Hanſeſtädten zur Folge hatte. In Riga, Reval und Dorpat biet,
ten ſich immer eine große Anzahl derart „fremder“ hanſiſcher Kaufleute auf,
oft auch für längere Zeit, oft waren es ftändige Vertreter auswärtiger Städte
und auswärtiger Häuſer (Faktoren), die im Rahmen der Hanſe gleiches Bür⸗
gerrecht genoſſen. Nicht nur in den baltiſchen Städten, auch in den Städten
des neuen deutſchen Oſtens hielten ſich viele fahrende Kaufleute aus dem alten
Reichsgebiet auf und ſchloſſen ſich zu Gemeinſchaften zuſammen, wie es ja im
deutſchen Mittelalter nur ſelbſtverſtändlich war. Dieſe Gemeinſchaften der
fahrenden Kaufleute, die natürlich unverheiratet waren und zu denen ſpäter
noch die jungen unverheirateten Kaufleute oder Kaufgeſellen aus den Städten
ſelbſt traten, trugen von Anfang an einen ſoldatiſchen, ja kriegeriſchen Charat-
ter. Wie der Orden die Beſiedlung des neuen kolonialen Landes nur mit
874 Ferdinand Fried. Zimmermann
Hilfe des Schwertes ermöglichte, fo fonnte anfänglich auch ber Handel nur iv
ftändiger Begleitung des Schwertes ausgeübt werden. Seefahrten nach Liv-
land (und die Verbindung hierher ging faft nur über See) waren durchaus
auch kriegeriſche Anternehmungen. Auf dem Lande ſelbſt wiederum hatten die
jungen Kaufleute, die ſich hier ihre Sporen und Geld verdienen wollten, das
Vorbild des Ordens und des Landadels vor Augen. Auf den Schlöſſern und
Herrenſitzen des baltiſchen Adels bildeten ſich zum ſtändigen Schutze polizei⸗
licher Art aus den Dienſtmannen der Schloßherren ländliche Verbände, ſo⸗
genannte Stallbrüderſchaften. Das beförderte ähnliche Gemeinſchaftsbildungen
ſoldatiſcher Art auch in den Städten.
Bei dieſer Entſtehung und der durchaus ſtreitbaren Beſtimmung der neuen
Gemeinſchaften war es nicht verwunderlich, wenn man fih auch kriegeriſche
Namen gab oder ſtreitbare Schutzheilige als Vorbilder erwählte. Der Name
der Schwarzenhäupter ſoll nach der einen Auslegung von den ſchwarzen
Sturmhauben ſtammen, die die jungen Geſellen im Kampfe krugen, nach der
anderen Auslegung aber von dem Schutzheiligen Mauritius, einem Mohr,
der unter Diokletian eine ägyptiſche chriſtliche Legion führte, fih weigerte,
gegen Chriſten in England zu kämpfen und dafür mit ſeiner Legion nieder⸗
gemetzelt worden ſein ſoll. Bemerkenswert iſt dabei nur die Suche nach einem
kriegeriſchen, ſoldatiſchen Schutzheiligen aus der langen Liſte der Heiligen der
Kirche, ſo daß man den Mauritius wählte, weniger als Märtyrer denn als
Legionär. Mauritius trat denn auch in Wettbewerb mit dem anderen kriege ⸗
riſchen Heiligen, dem Ritter Georg. Aber dieſer Drachentöter erinnerte
die deutſchen Kaufleute wieder ſtark an die eigenen deutſchen Sagengeſtalten,
und fo tauchte hiermit in Verbindung der König Artus auf. Die Bezie⸗
hung liegt wohl in der ſagenhaften Tafelrunde, die Verbindung von Ritter-
tum und tafelnder Geſelligkeit, die ja gerade die jungen Kaufleute als Pio-
niere im Oſten erfüllten. So entſtanden zu gleicher Zeit in den preußiſchen
Städten (Danzig, Elbing, Thorn, Braunsberg, Kulm und Königsberg) die
Beorgsbrüder als woblorganifierte Kriegsverbände, deren ſtändige Ber»
ſammlungsorte die Artushöfe waren.
In den baltiſchen Gebieten übernahmen die Bruderſchaften der Schwarzen⸗
häupter dieſelben Aufgaben, und zwar mit dem Beginn des 15. Jahrhunderts
in faſt ſämtlichen Städten; zuerſt in Reval (1399), dann in Nowgorod (wo
diefe Bruderſchaft der fahrenden hanſiſchen Kaufleute mit ſoldatiſchem Cin-
ſchlag beſonders wichtig war), in Riga, Dorpat, Neu-Pernau und auch in
Narva als Zweig von Reval. Die Zuſammenſchlüſſe gingen faſt immer aus
von den fahrenden hanſiſchen Kaufgeſellen, hatten dadurch auch die Neben-
bedeutung einer überſeeiſchen hanſiſchen Vertretung. Dazu
ſtoßen ſpäter die jungen Kaufgeſellen, Söhne der Kaufherren aus den Städten.
felbft, die ſpäter, ſobald fie ſelbſtändig wurden, in die Große Gilde eintraten.
Dadurch ergab fic) von ſelbſt eine dauernde und feſte Verbindung zwiſchen
der Großen Gilde und den Schwarzenhäuptern; ja die Gründung der Schwar⸗
zenhäupter ging zuweilen (Riga und Dorpat) von der Großen Gilde aus.
Dieſe enge Verbindung ergab ſich auch aus den Geſchäften, aus dem Handel
ſelbſt. Die auswärtigen Kaufgeſellen betrieben von der Hanfe aus Vermitt—
lungs-, Tauſch⸗ und Geſellſchaftshandel nach dem Often, und die Kaufleute
der Großen Gilde waren dazu die berufenen (oder auch unerwünſchten) Zwi⸗
Die baltischen Gilden 875
FcHenjtellen. Aus der ftändigen Fühlungnahme miteinander, täglichen awang-
Loſen, gefelligen Zuſammenkünften in den Häuſern der Schwarzenhäupter,
Aus der ſtändigen engen Verbindung aller Schwarzenhäuptergeſellſchaften in
Den verſchiedenen Städten ergab ſich eine Art Börſe, auf der ſich jeder Kauf⸗
Artann unterrichten und feine Geſchäfte beſprechen konnte.
Die Häuſer der Schwarzenhäupter bildeten alſo einen geſellſchaftlichen und
geſchäftlichen Mittelpunkt der Städte und ſtehen heute noch da als Zeugen
Deutſcher Kultur, deutſchen Ordnungswillens und hanſeatiſchen Unterneh-
srrungsgeiftes im Often. Das Haus in Reval zeigt die alten Wappenſchilde
Der vier großen Hanſakontore zu Brügge, Nowgorod, London und Bergen,
als Wappen ſieht man neben dem Mohrenkopf auch den heiligen Georg. Das
Saus in Riga, mit feiner Nenaiſſancefaſſade heute noch das ſchönſte Gebäude
Der Stadt, urſprünglich eine gotiſche Halle, iſt auf ſeinem Giebel gekrönt auch
Durch den heiligen Georg, und im Giebel befindet ſich ein Bruſtbild von
König Artus. Die Bezeichnungen des Hauſes wechſeln auch: bald hieß es das
Neue Haus, bald der Artushof, zuweilen fogat König⸗Karls⸗Hof.
Hier ſpielte ſich nun ein ähnliches, buntes, geſellſchaftliches Leben ab wie
in den Gildehäuſern. Auch die Verfaſſung war ähnlich der der Gilden; hervor⸗
zuheben ijt lediglich die zwingende Vorſchrift der Eheloſigkeit, die
ſich ja aus der Natur der Sache ergibt. Sobald ein junger Kaufgeſelle hei⸗
ratete, und das war gleichbedeutend mit Verſelbſtändigung, trat er zur Großen
Gilde über. Auch hier gab es Ulteſte und Jüngſte, wurden Schaffer gewählt,
Steven zu Weihnacht und Faſtnacht, täglich aber Drunken abgehalten. Sehr
eng war der Verkehr mit der Großen Gilde, aber trotzdem ergaben ſich zu⸗
weilen heftige Streitigkeiten und Fehden, vor allem, wenn der hanfifdhe (alfo
überſtändiſche) Einfluß bei den Schwarzenhäuptern gegenüber dem rein ſtädti⸗
ſchen zu überwiegen ſchien. |
Andererſeits fetten fih die Schwarzenhäupter, auch wenn fie auswärtige
Hanſiſche Kaufleute waren, kämpfend für die Stadt ein, in der fie wohnten;
ähnlich wie ja auch die Hanſen in London, die Inſaſſen des Stahlhofes, die
Verteidigung eines der Londoner Tore übernommen hatten, für die Vertei⸗
digung der Stadt alſo eine feſte Größe bildeten. Anlaß zu kriegeriſcher Betä⸗
tigung im Oſten war ja zunächſt genug gegeben; wie ſchon angedeutet, vor
allem in der Seefahrt. Die Schwarzenhäupter konnten fic) fo im 14. Jahrhun-
dert im Hanſekrieg gegen Dänemark und vor allem im Kampf gegen die
Vitalienbrüder hervortun. Danach trat das Kriegeriſche in Riga immer mehr
zurück; die Schwarzenhäupter wurden zur Ehrengarde. Dafür erhielt ſich das
Soldatiſche aber in Reval um ſo ſtärker. Seit etwa 1525 kann man von den
Schwarzenhäuptern in Reval als einer militäriſch ſtraffen Organiſation ſpre⸗
chen. Im ganzen mochten 200 Brüder waffenfähig geweſen ſein; ſie ſtellten
ein gut ausgerüſtetes Korps von etwa 100 Berittenen mit der „Verpflichtung,
auf Requifition des Rathes in Trauer, Ehren- und Notfällen zu Pferde aug-
zurücken“, wie es im Schragen von 1654 amtlich feſtgelegt wurde. Und im
großen Ruſſenkriege, in dem ſich Reval freiwillig Schweden unterwarf, konn⸗
ten die Schwarzenhäupter ihre Feuerprobe beſtehen; im Gefecht an der Per-
nauer Landſtraße gegen die Ruſſen (1560), dem zehn Brüder zum Opfer
Russe und in der nachfolgenden zweimaligen Belagerung der Stadt durch die
uſſen. Ä
876 Ferdinand Fried. Zimmermann
Seitdem beſchränken fic) die militäriſchen Aufgaben der Schwarzenhäupter
lediglich auf „Trauer und Ehrenfälle“, beſonders feierliche Einholungen fürft-
licher Perſönlichkeiten. Der Nationalſtaat und feine Heere hatten das Hanfi-
fhe Mittelalter abgelöſt, die Schwarzenhäupter bleiben eine ehrwürdige Ober,
lieferung aus dieſer Zeit — ähnlich wie das engliſche Thronzeremoniell —
eine militäriſche Verbindung, die ihre eigentümlichen Aniformen, Waffen und
Kanonen bis heute bewahrt hat. Mit dem Verfall der hanſiſchen Macht geht
auch der hanſiſche Einfluß bei den Schwarzenhäuptern immer mehr zurück und
überwiegen die rein ſtädtiſchen Beſtandteile; ſie werden eine Geſellſchaft jun⸗
ger Kaufleute, in Riga ſogar ſehr exkluſiver Art, deren Geſelligkeit und Ver⸗
kehr ſich nur auf die Alteſten und deren Gäſte beſchränkt — bis ſie in Riga
und in Reval im 19. Jahrhundert zu einem geſelligen Klub werden.
Mittelalterliche Wirtſchaftsordnung
Alles zuſammengenommen: Hanfe, Gilden, mter, Schwarzenhäupter und
Ratsverfaſſung ergaben nicht nur ein feſtes und dauerhaftes geſellſchaftliches
Gefüge, eine in ſich ruhende Gemeinſchaft von Gemeinſchaften, ſondern vor
allem auch ein einheitliches Gewerberecht, eine Wirtſchaftsordnung, die auf
ſtändiſcher Grundlage beruhte und von den Grundgedanken der Gerechtigkeit,
Sicherheit und Ordnung beherrſcht war.
Wie auf allen anderen Gebieten, ſo handelte es ſich auch bei dem Gewerbe⸗
recht nicht um ein ausdrücklich niedergeſchriebenes Recht, ſondern es bildete
ſich zwanglos, aber dennoch in ſtrenger Ordnung und Befolgung, aus den
Ratsverfügungen, den Schragen der Gilden und Umter, den Hanfe-Regeffen
und nicht zuletzt aus der Gewohnheit, dem überlieferten Brauch und Herkom⸗
men. „Recht und Gewohnheit“ bilden einen feſten Begriff im Mittelalter,
der ungefähr das umfaßt, was wir heute in Bürgerlichen oder Handels⸗Geſetz⸗
büchern niederſchreiben. Aus den Schragen, Einzelverfügungen und gelegent⸗
lichen, zufällig feſtgehaltenen, niedergelegten Einzelfällen vermögen wir uns
ein ungefähres Bild von der Wirtſchaftsverfaſſung und dem Gewerberecht zu
machen. Dabei muß immer beachtet werden, daß ſowohl die Wirtſchaft felbft
als auch die Verkehrsſtufe bei weitem noch nicht ſo entwickelt waren. Die Wirt⸗
ſchaft war bis in die einzelnen Teile in ſich ausgeglichen, und nur ein ver⸗
hältnismäßig geringer Anteil ging in den „Verkehr und Handel“ über.
Der Grundgedanke der Gerechtigkeit und Sicherheit kommt vor allem in dem
Schutz des Erzeugers und des Verbrauchers zu gleichen Teilen
zum Ausdruck. Dies waren die beiden tragenden Säulen der Wirtſchaftsver⸗
faſſung. Der Erzeuger, alfo in der Stadt melt der Handwerker, war geſchültzt
durch Brauch, Marktrecht und Zunftweſen, das ſpäter zum ausgeſprochenen
Zunftzwang wurde. Wie ſchon mehrfach betont, konnte der einzelne im Mit⸗
telalter ohne Gemeinſchaft nicht beſtehen; es war alſo eine zwangloſe, unbe⸗
wußte Selbſtverſtändlichkeit, daß er auch zur Zunft und zur Gilde gehörte.
Das wurde nicht als Zwang empfunden und auch nicht als ausdrückliche
Pflicht ausgeſprochen. Erſt ſpäter, als der Verfall des Zunftweſens einſetzte,
wurde die Zugehörigkeit zur Zunft als Zwang ausgeſprochen und auch ſo emp⸗
funden. Im Rahmen der Zunft und der Ratsaufficht konnte fih nun der ein-
zelne durch ſeine Leiſtungen, ſeine Wertarbeit hervortun. Es beſtand alſo
Die baltischen Gilden 877
kein Preiskampf, denn die Preife waren behördlich und ſtändiſch ge-
regelt, ſondern ein Leiſtungs wettbewerb. Gleichzeitig war natür-
lich auch der Verbraucher geſchützt, ſchon durch die RNatsaufſicht und behörd⸗
liche Preisregelung, vor allem aber auch durch die reichhaltigen Beſtimmungen
der Zünfte und Amter ſelbſt ihren Genoſſen gegenüber, die die Güte des Rop-
ſtoffes und der Bearbeitung anſtrebten, auf Anbringung einer Marke drängten.
Je nach den Erfahrungen, aus Einzelfällen wurde nun auf dieſer Grundlage
das Gewerberecht weiterentwickelt, teilweiſe auch in Zuſätzen und Nachträgen
zu den Schragen niedergelegt, ſo daß ſich daraus auch bei einer vielfältigeren
Geſtaltung des Wirtſchaftslebens eine feſtgefügte Ordnung der Erzeugung
und Veräußerung gewerblicher Gegenſtände entwickelte, eine Erzeu-
gungsordnung und eine Marktordnung. Weſentlicher Beſtandteil
dieſer Ordnung wurden ſpäter die „geſchloſſenen Amter“, die etwa den heuti⸗
gen Inveſtitionsverboten entſprechen, die den zugelaſſenen Handwerkern ihre
Erzeugung und ihren Verdienſt gewährleiſteten, alſo eine Nahrungsſicherung
bedeuteten. Unter dieſen Amſtänden entwickeln die Amter und in ihnen auch
die einzelnen Handwerker eine immer größere Wohlhabenheit, die auch äußer⸗
lich in prächtigen Bauten, Sunft- und Gildehäuſern, Haus der Schwarzen⸗
un — bemerkenswerterweiſe nur Gemeinſchaftsbauten! — zum Ausdruck
ommen.
Freilich lagen in der Weiterentwicklung ſchon die Keime des Verfalls ein⸗
geſchloſſen, wie es bei jedem natürlichen Ablauf nur erklärlich ift, und vor
allem bei der allgemeinen Veränderung der politiſchen Verhältniſſe, wie ſie
bereits geſchildert wurden, und bei einem entſprechenden Fortgang auch der
wirtſchaftlichen Zuſtände. Der gegenüber den Ständen und Städten in jener
Zeit erſtarkende Nationalſtaat brauchte auch eine ihm eigene Wirtſchafts⸗
ordnung: den Merkantilismus. Die wirtſchaftlichen Zuſtände der baltiſchen
Städte im ſpäten Mittelalter erklären ſich im weſentlichen aus dieſer Span⸗
nung des Abergangs von einer Wirtſchaftsordnung in die andere.
In dem Maße, wie die Zugehörigkeit zur Zunft als Zwang empfunden
wurde, wie die Amter geſchloſſen wurden, entſteht bei einzelnen natürlich auch
der Hang, ſich frei und auf eigene Fauſt zu betätigen: das waren die viel
verläſterten „Bönhaſen“, und ſie unterlagen als Schädlinge des Gemein⸗
ſchaftsgedankens der gleichen Verachtung und Verfolgung wie heute etwa die
Schwarzarbeiter. Der Kampf gegen die Bönhaſen, bei denen ſich übrigens
beſonders der fremdraſſige Bevölkerungsteil breit macht, nimmt einen immer
größeren Raum im ſtädtiſchen und wirtſchaftlichen Leben in Anſpruch.
Der Abergangszuſtand führt zu einem bemerkenswerten Zwiſchenſpiel in
Kurland, zu dem einzigartigen Beiſpiel eines vom Nationalſtaat entwickelten
Zunftweſens, eines Zuſammenklangs von Zunftverfaſſung und Mer-
kantilismus. Als nach dem Ende des livländiſchen Ordensſtaates und dem
Verfall der Hanſe und der Zunftverfaſſung das eigentliche Kurland ein welt⸗
liches Herzogtum wurde, glaubte der Herzog die Zünfte, die auf dieſem vor⸗
wiegend ländlichen Gebiet noch gar nicht entwickelt waren, nicht entbehren zu
können, vor allem als Träger der mittelbaren Beſteuerung. So entſtanden mit
landes herrlicher Förderung Handwerks und Kaufmannsämter in Goldingen,
Mitau, Bauske, Windau, Grobin, Libau, aber bezeichnenderweiſe nur zu
wirtſchaftlichen Zwecken und ohne Rückſicht auf das Deutſchtum, mit dem das
878 Ä Ferdinand Fried. Zimmermann
echte Zunft⸗ und Gildenweſen in urſächlichem Zuſammenhang Steht. Ja, für
die landesherrlichen merkantiliſtiſchen Zwecke wurde das Deutſchtum ſogar
bewußt ausgeſchaltet durch Zulaſſung von Letten, durch Gründung von beſon⸗
deren lettiſchen Amtern und Zünften, die ſich aus dem flachen Lande, alſo
durch lettiſche Landarbeiter, ergänzten. Die Zünfte wurden mit Zunftzwang
und die Städte mit Bannmeilenrecht ausgeſtattet — aber im ganzen entftand
ein Wechſelbalg als Wirtſchaftsordnung, der ſich nicht lange halten konnte.
Wie im Reich die Zeit der reichen Großkaufleute, der Welſer und Fugger
anbricht, ſo nehmen auch hier einzelne große Kaufleute die Entwicklung in die
Hand und begründen die kapitaliſtiſche Entfaltung. Sie beherrſchen die Städte,
geſellig gegliedert in verſchiedene Gilden oder Garden — Rote, Grüne und
Blaue Bürgergarde — bis 1710 die Hälfte aller Einwohner Kurlands durch
die Deft weggerafft wird und, gleichzeitig mit dem Beginn der Ruſſenherr⸗
ſchaft und begünſtigt durch den Großgrundbeſitz, jene Maſſeneinwanderung
von Juden einſetzte, die ſeitdem dieſem 8 und der weiteren Ent-
wicklung bis heute das Gepräge gaben..
Der Verfall der alten Ordnung
Ein ſo eindrucksvoller und trauriger Verfall der alten Ordnung und damit
des Deutſchtums hat in den livländiſchen und eſtniſchen, alſo in den eigent-
lichen alten Hanſeſtädten, nicht ſtattgefunden — aber das geſchilderte kraſſe
kurländiſche Beiſpiel zeigt deutlich, zu welchem Gang die Geſchichte neigte:
Aufkommen der nationalftaatlichen Entwicklung in immer größerem Mağ-
ſtabe, Entfaltung des Merkantilismus, des ſtaatlichen Zentralismus, Ent-
feſſelung des Kapitalismus, Verleugnung jeder völkiſchen oder blutsmäßigen
Belange, Eindringen und Vorherrſchaft fremden Volkstums, ſchließlich an
der Spitze die Judenſchaft — bis zum . Aberſchlagen und Zuſammen⸗
brechen auch dieſes Gefüges.
Auch in Riga und Reval drückten ſich die Spannungen des Abergangs in
heftigen inneren Verfaſſungskämpfen, in wirtſchaftlichen Erſchütterungen und
in ſtarken außenpolitiſchen Erlebniſſen aus — und alles hing ſchließlich mit-
einander zuſammen. In Reval führte die Große Gilde den Anſchluß an
Schweden herbei; in Dorpat kämpften die Große und die Kleine Gilde gleich-
laufend mit den Polen und Schweden um die Vorherrſchaft, und in Riga
führten die Natsgeſchlechter den Anſchluß an Polen herbei, gegen die beiden
Gilden, und verurſachten damit langanhaltende, heftige innere Anruhen und
Kämpfe. Schließlich brachte aber die allſeitige Schwedenherrſchaft im 17. Jahr-
hundert eine gewiſſe Beruhigung der Verhältniſſe. i
Aber auch bei den Schweden machte fich die nationalſtaatliche Entwicklung
geltend, während gleichzeitig der Verfall der Zünfte einſetzte. Da die Hanſe
endgültig im Niedergang war, da die Herrſchaft des Ordens beſiegelt war,
konnten ſich natürlich die Gilden und Zünfte allein und als ſolche nicht mehr
halten — denn die hanſiſche Ordnung war auf dieſer Dreiheit begründet, bei
der eines auf das andere angewieſen war. Anter nationalſtaatlichem Schutz
nahmen die Zünfte dort, wo ſie ſich hielten, ein anderes Weſen an. Aus der
unausgeſprochenen ſelbſtverſtändlichen Ordnung der Dinge wurden „Privi⸗
legien“, die eiferſüchtig und kleingeiſtig bewacht wurden, der Zunftzwang
Die baltischen Gilden 879
wurde immer ausgedehnter und immer läſtiger, damit natürlich auch die Um-
gehungen, vor allem die Bönhaſen; zur Sicherung des Beſtehenden wurde
der Zugang zu den Zünften immer mehr erſchwert, die Lehr- und Geſellen⸗
zeit weit ausgedehnt, die Meiſtergelder unerſchwinglich feſtgeſetzt, die Preiſe
überſpannt und die Arbeiten läſſig ausgeführt. Die Zünfte wurden auch im
inneren Aufbau bürokratiſcher; wo es früher nur Ehrenämter gab, wurden nun
Beamte angeſtellt und beſoldet, z. B. Kämmerer und Schreiber; kriegeriſche
Ausrüſtung und Abung, Anterſtützungsweſen und Kirchenverwaltung wurden
verwaltungsmäßig ausgebaut.
Sowohl dieſe Entwicklung als auch die zunehmenden Auswüchſe verlangten
nach ſtraffer Aufficht, ja, nach grundlegenden Reformen. Die Beſtrebungen
gingen damals ſchon im Reich fo weit, daß man eine völlige Aufhebung des
geſamten Zunftweſens verlangte (Vorſchlag des Großen Kurfürſten an den
Deutſchen Reichstag 1669). In Schweden führten die Beſtrebungen 1669 zur
Verkündung der neuen Gewerbeordnung, die die Zünfte zwar grundſätzlich
anerkannte, aber doch ganz weſentliche Einſchränkungen vornahm und die
ſchlimmſten Auswüchſe beſeitigte. Da hier die geſamte wirtſchaftliche Ent⸗
wicklung auf dem Deutſchtum beruhte, ſo mußten die Ordnungsformen des
Deutſchtums grundſätzlich erhalten bleiben, wollte man nicht Gefahr laufen,
den Reichtum dieſer Landesteile zu vernichten. Hieraus erklärt ſich die Eigen⸗
art der Entwicklung in den baltiſchen Städten: während im Reich die alte
Ordnung unter den wuchtigen Schritten neuer Gewalten zuſammenbricht und
ſich völlig auflöſt, bleibt hier im Grunde genommen die alte Zunftverfaſſung
beſtehen — auch unter dem Deckmantel ſchwediſcher oder ruſſiſcher Oberhoheit.
Ruffifche Reformverſuche zentraliſtiſcher Art, wie fie beſonders Katharina II.
unternahm, ſcheiterten immer wieder — allerdings mußte unter ruſſiſcher Herr-
ſchaft das Deutſchtum langſam an Gebiet aufgeben, durch Einführung let⸗
tiſcher Amter, Anerkennung der Anzünftigen (meiſt Andeutſcher) — aber im
Grundſatz blieb doch die Zunftverfaſſung beſtehen, und alles andere waren
nur Ausnahmen, Lockerungen davon. So blieb beides aufeinander bezogen:
Zunftweſen und Deutſchtum. Nur durch das Deutſchtum konnten ſich die
Gilden halten und damit die wirtſchaftliche Eigenart und Blüte dieſes
Landesteils, und nur durch die Gilden konnte ſich das Deutſchtum in dieſen
Gebieten ſtark erhalten und ſich der andrängenden fremdſtämmigen Flut, vor
allem auch des wachſenden Einfluſſes des Judentums erwehren.
Aber die innere Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten. Man konnte ſich
wirtſchaftlich auf die Dauer nicht gegen den Kapitalismus und ſeine Folgen
halten, politiſch nicht gegen die zentraliſtiſche Staatsbildung. Der Rapi-
talismus verlangte Gewenbefreiheit, und der Nationalſtaat
verlangte die Aufhebung der immer nod beſtehenden Drei:
Stände⸗Verfaſſung (Rat, Große und Kleine Gilde). 1866 führte Ruß⸗
land, ohnehin faſt als letztes großes Land, die Gewerbefreiheit auch für die
baltiſchen Provinzen ein, 1878 wurde die ruſſiſche Städteordnung verkündet,
womit die ehemaligen Hanſeſtädte endgültig zu ruſſiſchen Provinzſtädten
wurden. Durch beide Maßnahmen, ergänzt noch durch Einführung der ruſ⸗
ſiſchen Gerichtsbarkeit 1889, wurde die alte Städte- und Gildenverfaſſung aus
der Hanſezeit eigentlich erft aufgehoben — nicht aber die AUmter und Gilden
ſelbſt. Dieſe blieben durchaus beſtehen, in dieſer oder jener Form, teils als
Verein, und behielten auch gewiſſe mittelbare Einflüſſe in der SEINE
Odal Heft 11, Jahrg. 4, Bg. 3
880 Ferdinand Fried. Zimmermann
waltung, fo z. B. die Große Gilde auf dem Wege über das „Vörſenkomitee“,
ſpäter durch die Handelskammern und verſchiedene andere Selbſtverwaltungs⸗
körperſchaften, durch Stiftungen und öffentlich anerkanntes Anterſtützungs⸗
weſen; die Kleine Gilde als „Gewerbeverein“ und zum Teil durch die Hand⸗
werkskammer. Die Kleine Gilde behielt außerdem noch andere öffentliche Auf-
gaben, wie das Recht zu Meiſterprüfungen und Verleihung des bevorzugten
Titels „Amtsmeiſter“ und andere innungsmäßige Einrichtungen.
Träger des Deutſchtums
Den eigentlich tiefſten Einſchnitt in der Entwicklung brachte aber der Welt⸗
krieg, der Zuſammenbruch des Zarenreiches und das Entſtehen der kleinen,
ſelbſtändigen völkiſchen Staaten — ein durchaus einmaliger Vorgang in der
Geſchichte. Litauen hatte immer eine beſondere Entwicklung genommen und
ſpielt im Rahmen dieſer Betrachtung auch keine Rolle; aber das kurländiſche,
livländiſche und eſtländiſche Gebiet bzw. die in ihm wohnenden Völker und
Stämme haben bisher noch nie in der Geſchichte die Kraft zu eigener Gtaaten-
oder Gemeinſchaftsbildung aufgebracht. Seit ſie in die Geſchichte eintraten,
haben ſie immer unter fremder Oberhoheit geſtanden, unter der Herrſchaft des
Deutſchen Ordens und der Deutſchen Hanſe, oder der Dänen, Polen, Schwe⸗
den oder Ruſſen. Auch die Staatengründung von 1919 war keine Gemein-
ſchaftsbildung aus eigener Kraft, vielmehr gab die deutſche Politik im Kriege
den Anſtoß, und die Staaten entſtanden unter dem Schutze von Verſailles,
und ſie wurden vor der bolſchewiſtiſchen Aberflutung ſelbſt noch durch deutſche
Heere geſchützt. Damit ſoll das Anſehen der jungen Völker ſelbſt keineswegs
geſchmälert werden, auch nicht ihre eigenen Verdienſte um die Weiterentwick⸗
lung der Staaten, ſondern es ſoll damit lediglich verſucht werden, die Haltung.
jener Staaten zu den noch verbliebenen Reften des Deutſchtums überhaupt
ſeeliſch zu erklären. Jedes derart entſtandene, zunächſt auf fremde Hilfe ange⸗
wieſene Gemeinſchaftsgebilde neigt zu ſehr eiferſüchtiger und mißgünſtiger
Aberwachung ſeiner eigenen geringeren Belange. Auch die Zünfte waren nie
ſo ſtarr, eiferſüchtig und kleingeiſtig wie in der Zeit, als ſie innerlich nicht
mehr ſo ſtark waren. Je innerlich ſelbſtbewußter und ſelbſtſicherer ein Volk iſt,
um fo großzügiger ift es auch fremdem Volkstum und fremden Völkern gegen-
über. Das ſieht man daran, daß das Deutſchtum vor einem Jahrhundert das
fremde Volkstum in jenen Gebieten in Geſtalt von Herder überhaupt erſt
geweckt hat — und das ſieht man auch heute daran, daß das ſelbſtſichere, mit
den ſtarken Finnen völkiſch verbundene Eſtentum dem Deutſchtum bei weitem
großzügiger gegenüberſteht als etwa das Lettentum.
Anter der neuen national-völkiſchen Entwicklung wurde das Deutſchtum
zwar ſtaatlich⸗politiſch und wirtſchaftlich entrechtet — man denke vor allem an
die gewaltſame, unrechtmäßige und entſchädigungsloſe Enteignung des geſam⸗
ten deutſchen Grundbeſitzes, auch des den Kämpfern der Baltiſchen Landes-
wehr verliehenen Grundbeſitzes! —, aber unter dem ſanften Druck allgemeiner
völkerbeglückender Ideen mußte man fih doch dazu bequemen, das Deutſch⸗
tum wenigſtens kulturell anzuerkennen. Das geſchah in Lettland
1923 durch die Anerkennung des international geltenden Minderheitenſchutzes
— alſo einer Mindeſtforderung —, während Eftland den entſcheidenden.
Die baltischen Gilden 881
Schritt weiterging und aus freien Stücken 1925 dem Deutſchtum die Kultur-
Autonomie gewährte und geſetzlich anerkannte.
Die Gilden und auch die Schwarzenhäupter⸗Brüderſchaften waren dieſer
Entwicklung inſoweit innerlich entgegengekommen, als fie fih immer weniger
als Träger ſtändiſch⸗politiſcher und ſtändiſch⸗wirtſchaftlicher Aufgaben fühlen
konnten, jo daß die kulturell-völkiſche Aufgabe von ſelbſt mehr in den Border-
grund trat. Dies lag, wie bereits angedeutet, im Zuge der Zeit überhaupt.
Auch Rußland hatte den ſtürmiſchen kapitaliſtiſchen Wind, der an feinen
Fenſtern zerrte, ſchließlich hereinlaſſen müſſen. Die Gilden und Schwarzen⸗
häupter, allmählich ihres politiſchen und wirtſchaftlichen Zweckes entkleidet,
bis zur völligen Durchführung der neuen Städteordnung und Gewerbefreiheit,
zogen ſich auf den geſelligen Teil ihres Lebens zurück. Die Schwarzenhäupter
wandelten ſich zu einem Klub „Erholung“, oder „Aktienklub“, oder „Schwar⸗
zenhäupterklub“, 1887 wurde auch ihre ſchein⸗militäriſche Organiſation end-
gültig aufgelöſt — aber mit jenem Tiefſtand des Gemeinſchaftslebens, der der
Zeitentwicklung entſprach, und gleichzeitig mit dem immer ſtärker werdenden
ruſſiſchen Druck, den gewaltſamen Ruſſifizierungsverſuchen der letzten Zaren,
erwachte und erſtarkte auch das Deutſchtum wieder. Die Schwarzenhäupter
erftanden neu als Bruderzunft mit der bewußten Ausrichtung auf die deutſchen,
völkiſchen und kulturellen Belange, fo daß fie wenigſtens in Reval heute noch
als Mittelpunkt des deutſchen Geſellſchaftslebens gelten können. Die Gilden
wurden ſich deſſen bewußt, daß ſie auch ohne politiſche oder wirtſchaftliche
Macht die Träger des Deutſchtums in einem fremden Stammesgebiete ſind.
Ja, die Große Gilde in Riga nahm inſofern Anteil am öffentlichen Leben
des jungen Staates, als ſie die Aufgabe der wirtſchaftspolitiſchen Beratung
der deutſchen Fraktion im lettiſchen Landtag bis 1934 übernommen hatte.
Aber während in Eſtland eine erträgliche Form des Zuſammenlebens
gefunden war, wollte Lettland die dauernde Zuſammenarbeit offenfichtlich
nicht. Anter der Flagge wirtſchaftspolitiſcher oder ſozialer Amgeſtaltungen
wurden in Wirklichkeit nationalvölkiſche Gewaltmaßnahmen unternommen,
die ſich ausſchließlich gegen das Deutſchtum richteten. So wie die Enteignung
des Großgrundbeſitzes in Wirklichkeit eine Enteignung des Deutſchtums war,
ein Vernichtungsſchlag gegen das Deutſchum auf dem Lande, ſo zielt die
Auflöſung und Enteignung der Gilden in Riga, wenn auch unter dem Scheine
einer ſtaatswirtſchaftlichen Maßnahme, auf die Vernichtung des Deutſchtums
in der Stadt. And eine genau ſo deutliche Sprache wie die damalige Ent⸗
eignung des deutſchen Domes in Riga ſpricht auch diesmal die Aberführung
des deutſchen Dom⸗Muſeums in lettiſchen Staatsbeſitz: hier gibt es keine
wirtſchaftspolitiſchen Vorwände mehr, ſondern hier geht
es gegen deutſche Kultur und deutſches Volkstum.
Blut und Naſſe läßt fih nicht anlernen oder aneignen, ſondern höchſtens
vernichten; und Kultur kann man nur ausrotten — nicht ſich ſelbſt aneignen.
Es wird ſich zeigen, ob die Schläge gegen die deutſche Kultur in Lettland nicht
Schläge gegen die Kultur ſchlechthin ſind. Politiſch konnte man von einer
Vorherrſchaft des Deutſchums ſeit Jahrhunderten nicht mehr ſprechen; wirt⸗
ſchaftlich hat man es vorgezogen, eine ſtarke, ins Auge fallende Vorherrſchaft
des Judentums dafür einzutauſchen, das auch hier ſchnell eine Lücke füllte. Nun
bleibt nur noch deutſche Art, deutſches Kulturgut, das dieſem Lande über⸗
haupt ſeinen Stempel aufgedrückt hat. Wird nicht dieſer Vernichtungsfeldzug
3*
882 Herman Wirth
gegen deutſches Kulturgut — ob es fih um Burgen, Herrenſitze, Dome,
Muſeen oder Gilden handelt — ſchließlich gegen das Land ſelbſt guriid-
ſchlagen, das ihn heute führt? Denn was ift dieſes Land ohne die jahr⸗
hundertelange deutſche Arbeit und deutſches Kulturgut?
*
Schrifttum zu den baltiſchen Gilden
Barthold, Die Geſchichte der Deutſchen Hanfe, Neue Ausgabe, oo Leipzig 1909
Dietrich Schäfer, Die Deutſche Hanfe, Bielefeld und Leipzig 1
Keutgen, Amter und Zünfte, Jena 1903.
Stieda⸗Mettig, Schragen der Gilden und Amter der Stadt Riga bis 1621, Riga 1896.
v. Nottbeck, Die alten Schragen der großen Gilde zu Reval, Reval 1887.
Brunſtermann, Die Geſchichte der Kleinen oder St. Johannis- Gilde, Riga 1902.
F. Amelung und Baron Georges Wrangell, Geſchichte der Revaler Schwarzenhäupter, Reval 1930.
Dr. Herbert Spliet, Seſchichte des rigiſchen Neuen Hauſes, des heutigen Schwarzhäupterhauſes zu
Riga, Riga 1934.
Walter Ecert, Kurland unter dem Einfluß des Merkantilismus, Riga 1927.
Dr. Georg Jenſch, Der Handel Rigas im 17. Jahrhundert, Riga 1930.
Benutzt wurden die Stadtarchive von Reval und Riga ſowie die Sammlungen der SGeſellſchaft für
Geſchichte und Altertumskunde zu Riga.
Herman Wirth:
Die älteſten Ooͤal⸗Urkunden des germaniſchen Bauern
Im Spätſommer vorigen Jahres unternahm das „Deutſche Ahnenerbe“
eine Forſchungsfahrt in das Gebiet der vorgeſchichtlichen Felsbilder Schwe⸗
dens. Zweck dieſer Forſchungsfahrt war, die älteſten geiſtesgeſchichtlichen
Urkunden der nordiſchen Bauernkultur, die ſteinernen Belege des Odals, erft-
malig in Originalabgüſſen zu ſammeln und nach Deutſchland zu bringen. Es
galt, ein für allemal die rückwärtige Verbindung einer bäuerlich⸗germaniſchen
Weltanſchauung und ihrer Rechtsordnung, von der fernſten Vergangenheit
bis zu ihrem gegenwärtigen Wiederaufbruch, Flare und ſicherzuſtellen. Denn
jene Felsbilder, Steinritzungen Weft- und Oſtſchwedens, die jene älteſten
geiſtesgeſchichtlichen Zeugniſſe bäuerlichen Kultbrauches enthalten, reichen
zeitlich von der jüngeren Steinzeit, aus der uns der nordiſche Pflug über-
kommen ift, bis zum Ausklang gegen Beginn unſerer Zeitrechnung, um im
bäuerlichen Brauchtum und ſeiner Symbolik bis zur Gegenwart weiterzuleben.
Der größte Teil dieſer Felsritzungen erſtreckt ſich über die Provinz Bohus-
län, an der Weſtküſte Schwedens, hauptſächlich in den Bezirken Braſtad und
Tanum, während eine zweite kleinere, bronzezeitliche Gruppe ſich bei Norr-
köping in Oſtergötland befindet. Auch ſonſt im Lande treten fie noch zerſtreut
zutage. Stere, nicht bäuerlich und nicht urgermaniſch, erſcheinen weiter im
Norden. Sie gehören einer älteren Jägerkultur an. Die Felsbilder Bohus⸗
läns und Oſtergötlands dagegen ſind die Schöpfungen einer urnordiſchen Be⸗
Die ältesten Odal-Urkunden des germanischen Bauern 883
völkerung von Bauern und Geefabrern, deren unmittelbare „Nachfahren“,
Bluts- und Geiſteserben die Germanen find. Dieſe Felsbilder find immer
aufs engſte örtlich verbunden mit den uralten Siedlungsſtätten, da wo der
Bauer feit Jahrtauſenden geſeſſen hat und heute noch ſitzt. Durch die Jahr-
hunderte und Jahrhunderte, von Geſchlecht auf Geſchlecht wurden finnbild-
liche Zeichen und Darſtellungen in die von den Gletſchern der Eiszeit einſt
glattgeſchliffenen Granitblöcke und Felsplatten eingehämmert. Entweder
finden ſich dieſe Zeichen und Bilder auf Felſen, die ſich aus der Ackerſcholle
emporheben — vielfach iſt dabei das heutige Wohnhaus oder die Scheune
zum Teil über die Felszeichnungen, den „Hällriſtningar“, gebaut — oder die⸗
Telben erſcheinen auf unteren, glattgeſchliffenen Stellen der Berge, an deren
Fup fih die Acker erftreden. Die Technik der „Hällriſtningar“ ift ſehr ver-
ſchieden, je nachdem fie mit Stein, Bronze⸗ oder Eiſenwerkzeugen eingeklopft,
gemeißelt, eingeſchliffen uſw. fein mögen. Die Eintragungen fe lber ftammen
aus den verſchiedenſten Epochen, häufen, drängen und überſchneiden fih daher
oft. Es iſt darum ein grundſätzlicher Irrtum, wenn man — im Hinblick auf
Eintragungen aus der Metallzeit — die Geſamtheit der Bilder, auch die-
jenigen der jüngeren Steinzeit, in Bauſch und Bogen dieſer Spätzeit Ober,
weiſen möchte. Dagegen gehören die oſtſchwediſchen Felszeichnungen, die von
Oſtergötland, der Bronzezeit, alfo dem 2. Jahrtauſend v. Am, an und reichen
ebenfalls bis ins letzte Jahrtauſend v. Stw. hinein.
Was den Inhalt der Felsbilder betrifft, ſo können wir folgende Gruppen
feſtſtellen:
ah bildliche Darſtellungen von Vorgängen oder Ereigniſſen aus dem Leben
eines Bauern, ſeiner Sippe, bzw. aus der Geſchichte eines Gaues;
b) bildſchriftliche Karten (Theſe von Proſt Halbäck, Bro);
c) einzelne Weihe⸗ und Sinnbilder.
Die beiden erſten Gruppen mögen den kleineren und kleinſten Bruchteil dar-
ſtellen. Der größte Teil der Felszeichnungen ſetzt ſich aus letzterer Gruppe
zuſammen. Zweck und Sinn dieſer Eintragungen iſt ſtets gleichlautend: die
Bitte um die Wiedergeburt, um das neue Leben, um die Vermehrung, für
Menſch wie für die Saat und die Tiere.
Zu den bedeutendſten Urkunden, die jene bäuerlichen Weihe⸗ und Bitt⸗
ſteine am Hof, im oder hinter dem Acker aufweiſen, gehört das ältere odal⸗
oder odil- Zeichen. Dieſes für die bäuerlich⸗germaniſche Geiſtes⸗ und Kultur-
geſchichte wichtigſte Sinnbild ijt bis heute von der Fachwiſſenſchaft, der deut-
{chen Vorgeſchichte wie der Germaniſtik und der deutſchen Rechtsgeſchichte,
völlig unbeachtet geblieben, überſehen und nicht erkannt worden. Belegt iſt uns
das Zeichen in den „Annales Brunnwilarenses“, einer aus dem Klofter
Brunnweiler bei Köln ſtammenden Handſchrift, die ſich im Vatikan befindet.
Auf der letzten Seite hat ein deutſcher Mönch um 900 n. Ztw. zwei nordiſche
Nunenreihen aufgezeichnet. In lateiniſcher Erläuterung fügt er hinzu, daß mit
den folgenden Buchſtaben, den Runen, die Skandinavier ihre alten Geſänge
aufzuzeichnen pflegen. Die betreffende Rune, zwei Kreiſe, die durch einen
Strich verbunden find, erſcheint dort unter Hinzufügung des Laut- oder Zuch,
ſtabenwertes o und des Namens odil (Abb. 1). Es iſt jenes Wort, welches
uns im althochdeutſchen heim⸗odil und in einer anderen germaniſchen
Sprache, dem Gotiſchen, als heim othli erhalten ift, und als Stammwort
od auch im althochdeutſchen heim⸗oti, heim uoti, im mittelbod-
884 | Herman Wirth
deutſchen heim⸗ot, beim-out(e), im mittelniederdeutſchen Hem- Oo de
uſw., neuhochdeutſch „Heim⸗at“ vorliegt.
Odil, altnordiſch odhal, ſchwediſch odal, angelſächſiſch other,
Ethel, altſächſiſch öthil, althochdeutſch uodal, bedeutet „Heimat“, „Erb-
gut“, „Sippenbeſitz⸗. Das odil, odal iſt das Gottes. und Sonnenlehen nach
urgermaniſcher Weltanſchauung und daraus entſtandener Rechtsauffaſſung⸗
Der Adelsmenſch ift der Freie, der den Gottesgeiſt, die Gottesnatur in fich
trägt, der daher das Leben wie die Scholle als Gottes Lehen, Gottes Erbe,
Sippenbeſitz betrachtet, als Erbgut — „Erbmaſſe“ würde wir fagen — heil ig
hält. „Adlig“, nedel™ ift urfprünglich Der Freie Gottes, der das Gotteslehen
in go trägt und in der Heimatſcholle als Sippenbeſitz und Gemeinſchaftsbeſi tz
(Allmende) wahrt. Die ſpätere mittelalterliche Auffaſſung von adel im Sinne
von „Abſtammung, vornehmer Geburt, Adelsſtand“ ſtellt die Abwandlung,
den Bruch der alten Volksgemeinſchaft dar. Dieſer Bruch und die Auflöſun g
der altgermaniſchen Ordnung erfolgt in einer Zeit, wo der germaniſche Herzog
oder König ſich nach ſüdländiſchem Fremdrecht erblich machte und das Königs
recht an Stelle des Gottes- und Gemeinſchaftsrechtes ſtellte.
Die älteſten Belege des bäuerlichen Gottesadels, des Odals, finden wir
alfo in den bäuerlichen Felsritzungen in den Ackern von Bohuslän und Sfter-
sötland. Es ift jene ältere odil⸗Rune 8 , von der mir einer der erſten
Germaniſten Deutſchlands (Neckel) vor Jahren ehrlicherweiſe erklärte, daß fie
nach ſeinem Wiſſen nicht exiſtiere. Sie exiſtiert bis heute noch nicht in dem
Wiſſen einer heimat-, volks- und lebensfremden Fachwiſſenſchaft, die uns aus
dem politiſch vom Nationalſozialismus überwundenen Zeitalter der inter-
nationalen Weltwirtſchaft und ihrer großſtädtiſchen Ziviliſation noch als „ge-
ſicherte deutſche Wiſſenſchaft“ überkommen iſt. Ebenſo vergeblich wird man die
urgeſchichtlichen Denkmäler und ihre bäuerliche Volksläufigkeit in dem vor
kurzem erſchienenen „Handbuch der Runenkunde“ von Helmut Arntz, wie
in dem erneuten Angriff des greiſen Germaniſten Prof. Otto Behaghel
Nad a gegen den Odalsbegriff (Forſchungen und Fortſchritte, 11. Jahrg.
Nr. 29 vom 10. 10. 1935) ſuchen. Sie ſtellen nur Teilerſcheinungen in einem
planmäßigen Vorgehen jener geiſtigen Reaktion dar, die dank der vergeblichen
Langmut des enen noch immer in kathedraler Maßgeblichkeit
ſich halten konnte.
In monumentaler Geſtalt hat die Felszeichnungen⸗Expedition des „Deut-
ſchen Ahnenerbes“ diefe nicht exiſtierende, wiſſenſchaftlich verbotene Odals-
rune auf den bäuerlichen Kultſteinen Schwedens abgegoſſen. Steine künden von
Gottes Nähe und Weihe des Lebens unſerer Ahnen, wo jedes menſchliche
Zeugnis verſtummt iſt bei denen, die dazu einſt berufen waren und es ſich
noch wähnen.
Die Grundform der älteren odil-, odal⸗Rune ? erfcheint in der Steinritz.
technik in zweierlei Geſtalt: entweder iſt jeder Kreis der Rune als einfacher
Kreis geritzt oder die Kreiſe ſind als Schalen (Näpfchen) vertieft, ausgehöhlt.
Letztere Form, zwei Schalen oder Näpfchen, die durch eine Rille verbunden
ſind, befindet ſich beſonders häufig auf den ſogenannten Schalenſteinen, die
mit dem alten Wiedergeburtsglauben als „Wendeſteine“, „Wendelſteine“,
„Kinderſteine“, „Adebaarſteine“ uſw. in engſter Beziehung ſtehen (Abb. 3).
Wie oben bemerkt wurde, handelt es ſich alſo bei unſerer Rune um eine
ältere Form der obt, Rune, die in der germaniſchen Völkerwanderungszeit
——2—Ä— — —
Die ältesten Odal-Urkunden des germanischen Bauern 885
bereits außer Schriftbrauch geraten war, alfo in jener Zeit, in der nach bis-
herigen „geſicherten wiſſenſchaftlichen Ergebniſſen“ die Entlehnung der germa-
miſchen Runenſchrift aus dem lateiniſchen, griechiſchen oder gar einem nord-
ital iſchen Alphabet ſtattgefunden hätte, wie es jetzt in dem philologiſchen Rück.
zug über die Alpen ſchon verlautet. An Stelle der älteren odil⸗ Rune 3 finden
wir dann im Schriftbrauch die & Rune, deren Geſchichte hier nicht er-
örtert werden kann. Ich verweiſe hierfür auf meine erſchöpfende Anterſuchung
in der „Heiligen Arſchrift der Menſchheit“ (Hauptſtück 22, Tafel 225—240).
Sie ift das Sinnbild des kleinſten Sonnenlaufbogens zur Winterſonnenwende,
zur Julzeit, geweſen und daher ebenfalls Kalenderzeichen für den Julmonat,
wie es im Kultgebäck als Julbrot, als Bitte um das neue Leben, heute in
Schweden im bäuerlichen Brauchtum noch bewahrt geblieben iſt.
Die ältere und jüngere odil- (odal-, 0d-) Rune
und ihre Wechſelformen
Grundform
D Kurjiſchrift
Schrägſchriftform eckig eckige Formen
S99 II RAX4
Die germaniſchen Schriftdenkmäler, die wie alle altariſchen Schriftdenk⸗
mäler nach kultiſchem Brauche aus Holz oder Rinde beſtanden, find uns reſt⸗
los verlorengegangen. Wenn in römiſcher Zeit die Stein» und Metallſchrift⸗
denkmäler in Erſcheinung treten, iſt — wie oben bemerkt wurde — die ältere
odil⸗Nune ! bereits aus dem Schriftbrauch verſchwunden. In der bäuer⸗
lichen Kultſymbolik bewahrt ſie dagegen eine Bedeutung, die ihre jüngere
Schweſter, die & Rune, niemals eingenommen hat.
Zunächſt wäre nun die Frage zu beantworten: was iſt der Sinn diefes
Zeichens, mit dem unſere Ahnen einſt den Begriff des Lebens und der Heimat⸗
on angeſtammten, vererbten Gotteslehens und Sippenbeſitzes ver-
anden
Entſtehung der älteren odil- Rune
höchſtes Licht
Sommerſonnenwende
Norden
Süden
Winterſonnenwende
tiefſtes Licht
886 Herman Wirth
Die alteuropäifchen Felszeichnungen der jüngeren Steinzeit, die geiftes-
geſchichtlichen Arkunden des Zuges von Norden, der Raſſe der nordiſchen
Großſteingräber⸗ oder Megalithkultur, gibt darauf unzweideutige Antwort
(vgl. Heilige Arſchrift, Hauptſt. 21, Taf. 213—224): es ift das Zeichen Der
Winter⸗ und Sommerſonne, der Auf. und Antergangsſtätte der Sonne zur
Winters und Sommerſonnenwende, im Süden und im Norden, das Sinnbild
von Leben und Tod in ſeiner ewigen Wandlung, das was die bäuerlichen
Geſchlechter des Nordens durch die Jahrtauſende als unmittelbare Welt⸗
anſchauung erlebt hatten. Denn nur in jener nördlichen Breite von 60° an
kann die Sonne zur Winterfonnenwende im Süden am Horizont auf- und
untergehen und zur Sommerſonnenwende, genau an der entgegengeſetzten
Stelle des Geſichtskreiſes, im Norden. In unſerer Breite, in Südgermanien,
find diefe Punkte des Auf- und Anterganges ſchon nach Südoſt —Südweſt für
die Winterſonnenwende, bzw. Nordoſt —Nordweſt für die Gommerfonnen-
wende verſchoben.
Die nord- und Mée Zeit; . steet, und ee au
Weltbildzeichen
Das nordariſche (nordgermaniſche) Raum- und Zeitzeichen
Sommerſonnenwende Sommerſonnenwende abgeleitete Runen (angelfähflihe und nore
diſche Runen und nordiſche Runenſtab⸗
grüß kalender)
rübe
Herbſt⸗
mr D & d Oi:
gleiche (gear, ger,
gyr, „Jahr“)
A
Winterſonnenwende Winterſonnenwende | = m (madbr „Menſch“)
altgermaniſch
; = o(odil,‚Leben”, „Heimat“,
„Sivpenbefig”)
Das ſüdariſche (ſüdgermaniſche) Raum- und Zeitzeichen
Sommerſonnenwende |
Si NO abgeleitete Runen (angelſächſiſche Runen und nordiſche
e 8 Runenſtabkalender)
5 — |
8 = 8
NN
dÉi . = g (gear, ger, gyr) „Jahr“
Winterſonnenwende
Zum Aufſatz Herman Wirth:
Die älteſten Odal-Urkunden des germaniſchen Bauern
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Abb. 1 Die odil- Rune in den „Annales Brunnwilarenses“
(Vatikan, codex mebr. urbin 290)
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Abb. J. Die Grundformen der odil-Rune in den Felszeichnungen Schwedens
a) Odil- Rune von Litsleby, b) Odil-Rune von Bro Utmark,
Bezirk Tanum Bezirk Tanum
Abb. 4. Felszeichnung von Foſſumtorp, Bezirk Tanum
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Abb. 6. Bauernſtock aus Lenzen, Kreis Dannenberg (Hannover)
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„bäuerlicher Hochſitz von 1777, mit odil- Rune, deren Kreife
Abb. 8. Norwegiſcher Brautſtuhl
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je das Radkreuz aufwei
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Abb 9. 1493: Volkspredigt unter dem Radkreuz des „Pauker von Niklashauſen“ im Frankenland
Die ältesten Odal-Urkunden des germanischen Bauern 887
allgemein urariſch Wann
angel ſächſiſche und Wife Runen
` (Runenkalender)
: 50 banal
EE S
„All- Umheger“
Rechtkreuz + und Malkreuz X, auch als Radkreuz, find die altariſchen,
urgermaniſchen Jahres- und Weltbilder, die Sinnbilder von der Offenbarung
des Weltengeiſtes in Zeit und Raum. Beſonders in der ariſch⸗indiſchen
Aberlieferung, der religions⸗philoſophiſchen Erweiterung einer altariſchen
bäuerlichen Weltanſchauung, ihrer Kultſymbolik und ihres Kultgebrauches,
iſt uns das Sonnenjahr des Weltengeiſtes, des Brahmans, des „Herrn der
Menſchen“, überliefert. „Was mit der Sonne anfing, iſt die Zeit, das Teil-
bare. Die Erſcheinungsform des Teilbaren aber iſt das Jahr, und aus dem
Jahr weiter entſpringen dieſe Weſen (die Menſchen), durch das Jahr auch,
nachdem ſie hier entſprungen, wachſen ſie auf, und in dem Jahre gehen ſie
wieder zugrunde“ (Maitrapyana⸗Apanishad 6,13). In dieſem Jahre des Wel.
tengeiſtes, des Brahmans, gibt es zwei Gänge der Sonne, nach Süden und
Norden, als Nacht und Tag, gleich Winter und Sommer (Pra „
Shad 1,9 und Geſetzbuch des Manu 1,67). Der Gottſohn, die Offenbarung des
Weltengeiſtes in Zeit und Raum, der Puruſcha, iſt der Schöpfer der Men⸗
ſchen: „Doch entſtehen ſeine Geſchöpfe nicht ohne das Jahr, ſondern aus dem
Jahr entſtehen fie" (Maha⸗Apanishad 1). Der altariſche Himmelsgott, der
Beit- und Weltengott, der Schöpfer der Menſchen, wird als „Jahr“ Gott
ſinnbildlich auch mit einem geſenkten (linken) und einem gehobenen (rechten)
Arm dargeſtellt. Er iſt der winterſonnenwendliche Gott des ſinkenden und
wiederaufſteigenden Lichtes, daher Sinnbild von Sterben und Werden, von
Tod und Leben. In den angelſächſiſchen Runenreihen begegnet uns die aus
dieſem Sinnbild entlehnte Rune mit dem Buchſtabenwert g, wie die „Jahr“.
Rune (D oder , deren Name ger, gear, gyr „Jahr“ oder gifu,
geofu, gyfu, geuo „Gabe“ lautet.
Das „Jahr“ iſt die Gottesgabe, die Wiedergeburt, die heilige Wandlung,
das ewige Stirb und Werde der großen göttlichen Weltordnung. Daher
erſcheint die angelſächſiſche „Jahr“⸗Rune O , © , in der altnordiſchen
Runenſchrift auch als „Menſch“⸗Rune O , Wechſelform zu der 7 Rune,
dem Sinnbild des wiedergeborenen auferſtandenen Gottes, des Lebens-
erweckers, der „der Menſchen Freude und der Erde Vermehrer“ ift. Alle dieſe
Sinnbilder und Arrunen goſſen wir in Tanum auf einer großen Platte im
Acker, „Runohällen” genannt, ab. Wir finden nun entſprechend die odil-,
odal-Rune im germaniſchen bäuerlichen Holzkalender, in den nordiſchen
bäuerlichen Runenſcheibe- und Runenftablalendern als Kalenderzeichen für
den Julmonat, den Winterſonnenwendemonat und Sinnbild des Juls, des
heiligſten ariſchen und germaniſchen Feſtes, des Feſtes des Todes und der
Wiedergeburt. Nach heute in bäuerlicher Aberlieferung Deutſchlands noch
lebendigem Glauben der Arzeit öffnen ſich in der Julnacht (24. Dezember)
die Gräber, ſtehen die Seelen der Toten auf, um zu den ihrigen wiederzu⸗
888 Herman Wirth
kehren, in ihrer Sippe wiedergeboren zu werden. Darum legt die germaniſche
Bauernfrau noch heute die odil⸗, odal-Rune als Gebildbrot in allen
Wechſelformen reece auf den Tiſch, als die Bitte um das neue Jahr, das
neue Leben, die ewige Gottesgabe, in ihrer Sippe, wenn die Gräber de
Heimatſcholle, des Odals, fih öffnen zur Licht- und Lebenswende. (Vgl.
meinen Aufſatz „Die heiligen Zeichen der Weihenacht unſerer Ahnen“,
Nationalſozialiſtiſche Landpoſt, Julmond 1934, Folge 51.)
Erklärlich wird uns nun die Felszeichnung von Foſſumtorp (Abb. 4), die
ſinnbildliche Geſtalt mit einem geſenkten und einem gehobenen Arm, die
Jahresgottesgabe des Lebens aus dem odal, aus den Gräbern der Heimaterde.
Eine ähnliche Rigung goſſen wir am Fuße des Berges ab, ebenfalls im
Bezirk Tanum, in Bro Atmark, vor dem die Ader fih erſtrecken. Erklärlich
wird es uns nun auch, warum die alte kultiſche Schwurhaltung des Bauern
der geſenkte linke und erhobene rechte Arm war, ſpäter als „falſcher Eid“, der
„durchgeſchworen“ wurde, rechtsungültig erklärt. Denn das höchſte germa⸗
niſche Thing des Jahres war das Julthing, die Zeit der Lidt- und Lebens-
wende, wo die Toten zu den Lebenden und die Lebenden zu den Toten kom⸗
men. And darum lautet eine ältere frieſiſche Schwurformel noch: „das ſchwöre
ich vor den Lebenden und den Toten, vor den Geborenen und Angeborenen, —
alſo weit die Sonne auf- und niedergeht“, d. i.
Derjenige, der den Eid zu ſchwören hatte, der den Reinigungseid leiſtete, der
Angeklagte, ſtand dabei im Süden, in der Winterſonnenwendeſtelle des Stein⸗
kreiſes, der Dingſtätte, mit dem Geſicht nach Norden, die linke Hand, an der
Weft- oder Abendſeite des Kreiſes, geſenkt, die rechte Hand, an der Oft- oder
Morgenſeite, erhoben.
Das Auf- und Abgehen der Sonne in Zeit und Raum des Jahres Gottes
ijt die göttliche Weltordnung, die in der altariſchen Kultſymbolik als Recht-
oder Malkreuz im Kreiſe (Radkreuz, vierſpeichiges Rad) bezw. als acht⸗ oder
ſechsſpeichiges Rad („Stern“ uſw.) erſcheint, die angelſächſiſch⸗nord iſche
hagal-⸗ Rune e bzw., , das Sinnbild des Weltumhegers, des Welten-
gottes, das auch auf den Chriſtus ſpäter übertragen wurde. Es iſt das heilige
Rad jener göttlichen Ordnung, die alles Leben umfaßt, die drei aett ir des
Jahres Gottes, wie fie altnordiſch heißen, „Himmelsrichtungen“ (S Jahres-
zeiten) oder „Geſchlechter“, gleich Frühling, Sommer und Winter, wie im
Leben des Menſchen, das wie ein Jahr Gottes tft, gleich Kindheit, Erwachſen⸗
ſein und Alter. Dann geht der Menſch in ſein „Jahr“ ein, um aus dem Odal,
der Heimatſcholle, dem Mutterhaus der Heimaterde, als Odil (Odal, Od)
Leben Gottes in ſeiner Sippe wiedergeboren zu werden.
Darum ritzte der Bauer auf der Felsplatte von Backa das heilige Rad mit
Welten, Jahres und Lebensbaum und odil⸗ Rune (Abb. 5), nicht anders,
als wie um Jahrtauſende ſpäter die gleiche Symbolverbindung auf dem Knauf
eines Bauernſtockes vom Anfang des vorigen Jahrhunderts aus Lenzen, Kreis
Dannenberg (Hannover), erſcheint (Abb. 6). Wir ſehen die o dil- Rune, von
der jeder Kreis das Sonnenzeichen O trägt, den Lebensbaum und darüber
auf dem Knauf die hagal-Rune, das ſechsſpeichige Rad, der rechte Stab
des Odalbauern, ein Ahnenvermächtnis der fernen Arzeit der Felszeichnungen.
Nicht anders erſcheint uns die Rune über dem Scheunentor eines früheren
Bauernhofes in Lechſtedt bei Hildesheim, datiert 1856 (Abb. 7); jeder Kreis
ber odil⸗Nune trägt das ſechsſpeichige Rad, das Sinnbild des Welten-
< = — . ey, — — — .
— — —— — ee, E .
— — ——
Die ältesten Odal-Urkunden des germanischen Bauern 889
gottes, des altnordiſchen Veral dar godh, aus dem Germaniſchen im Lap-
piſchen als Waralden Olm ay, „Weltenmenſch“, entlehnt, der auf den
lappiſchen „Runentrommeln“ mit der jüngeren odil⸗Rune als Haupt
dargeſtellt wird, und mit dem Sinnbild des ſechsſpeichigen Rades.
Die Heimatſcholle iſt Gottesſonnenlehen, iſt das odil, odal. Aus der
Heimaterde als Gotteslehen, Sippenbeſitz, kehrt ewig im Jahre Gottes, in der
göttlichen Weltordnung, das Leben in der Sippe wieder. „Das war Glaube
in alter Zeit, daß Menſchen wiedergeboren werden konnten, und das heißt
heute alter Weiber Wahn“, ſagt der Dichter am Schluſſe des herrlichen
Liedes von Helgi, dem Hundingstöter in der Edda. Das iſt der alte, nie ver⸗
ſiegte Bauernglaube vom Jahre Gottes und dem Leben des Menſchen, der
Sippe geweſen bis zur Gegenwart. Solange die Sippe das Odal hat, ſo⸗
lange nährt der Heimatboden die Lebenden, gibt ihnen das Leben nach Seele
und Körper, macht fie zu Adligen, zu Gottesfreien. Aus der Heimatſcholle feh-
ren, wie jede Lidt- und Lebenswende des Jahres, auch unſere Ahnen in
unſerem Blutserbe immer in der Sippe wieder, ſolange wir in dieſer heiligen
Weltordnung, im Rade Gottes ſtehen. Das ift der Sinn der od il⸗ Rune
auf unſeren niederſächſiſchen Bauernhäuſern.
In dem altariſchen Bauernweistum, den Veden Indiens, erſcheint uns das
Nad (cafra) des E als das heiligſte Sinnbild des Weltengottes und
ſeiner Weltordnung. n ihm ift die göttliche Weltordnung, das rta, ent-
halten, das unſerem deutſchen „Art“ wörtlich und ſinngemäß entſpricht. Der
Menſch, die Sippe, das Volk, der Staat ift rta oder anrta, artgemäß oder
nicht artgemäß. Das eine iſt das Leben, das andere Zerſtörung und Tod.
Aus dem Rade der göttlichen Weltordnung, der „Art“, entſtand das Leben
Gottes und feine Rune. Und fo erſcheint uns diefe Rune noch auf dem Hod-
ſitz der Braut, einem norwegiſchen Brautſtuhl von 1777 (Muſeum Oslo),
die odil⸗Rune mit dem Radkreuz in jedem Kreis, wie fie Anfang des
vorigen Jahrhunderts noch in den bäuerlichen Felsritzungen Bohusläns der
jüngeren Steinzeit und Bronzezeit von Holmberg aufgezeichnet wurde.
Es ift die junge Braut, die das Heimat⸗Odil, die „Heim-ot”, „Heim⸗at“,
das Lehen Gottes an dieſem Tage mit ihrem Ehegefährten übernimmt, um
das Lehen Gottes, das odil, in der Sippe weiterzureichen.
Das ift das Rad der göttlichen Weltordnung, das ewige Werden, die bei,
lige Wandlung, von dem es in einem Giebelſpruch eines oberdeutſchen
Bauernhauſes heißt: |
Das Rad all um und umme gaht,
auf Gott vertrau ich früh und ſpat.
Im Vertrauen auf das Rad Gottes, auf die göttliche Weltordnung,
erhoben ſich einſt die deutſchen Bauern, die zu Hörigen herabgeſunkenen
Odalinge, und forderten als „Rädelsführer“ (niederländiſch „Raddreher“) das
„Gottesrecht“ wieder. Unter dem zum Giebelfenſter herausgehängten Rad-
kreuz & hielt nach einem Holzſchnitt von 1493 der „Pauker von Niklas⸗
hauſen“ im Frankenland ſeine Volkspredigten und forderte, daß Waſſer,
Wald und Holz wieder Gemeinbeſitz des freien Bauern werden ſollte (Abb. 9).
Noch war es nicht an der Zeit, noch mußte das Zeitrad Gottes, das Lebens.
ſchickſal des deutſchen Volkes, fih bis in die tiefſte Dunkelheit der Liht- und
890 Johann von Leers
Lebenswende feiner Geſchichte herabſenken, bis es ſich wieder empordrehen
konnte, bis das Odal wieder befreit werden und der Sinn von Leben und Hei⸗
mat, von Blut und Boden wiedergefunden und dem Volke wiedergegeben
werden ſollte. Die Enkel von Florian Geyers „ſchwarzen Haufen“ werden es
„beſſer machen“, wie einſt die Ahnen geſungen.
Johann von n Leers:
Der Feudalismus und ſeine Rolle in der Geſchichte
des oͤeutſchen Bauerntums `
Man kann im eigentlichen Sinne kaum von dem Feudalismus als ſozialer
Erſcheinung im Sinne einer ununterbrochenen Entwicklung reden. Man wird
vielmehr mehrere Perioden zu unterſcheiden haben, die ihrem Weſen und Cha⸗
rakter und ihrer Stellung zur Odalsüberlieferung nach ſtark verſchieden find.
Altfreier Odalsbeſitz wandelt ſich in vom Könige verliehenen Bittbefig
Der Abertritt des fränkiſchen Königs Chlodwig zum römiſch⸗katholiſchen
Glauben geht parallel mit einer völligen Amgeſtaltung der inneren Struktur
des fränkiſchen Volksſtammes. Das große eroberte Land der Statthalterei des
Syagrius, jenes letzte Stück römiſcher Herrſchaft in Gallien, mit ſeinen gewal⸗
tigen Kaiſerdomänen, wird von Chlodwig und ſeinen Nachfolgern nicht an
freie fränkiſche Bauernſöhne zur Anlage neuer, unteilbarer, unverkäuflicher
und auf einen Sohn zu vererbender Odalshöfe verwandt, ſondern an Gefolgs⸗
leute des Königs, teils fränkiſcher, teils römiſch⸗galliſcher Abſtammung, in
der Form des jederzeit widerruflichen römiſch rechtlichen Bittbeſitzes (pre
carium) gegeben. Das knüpft an die ſchon im ſterbenden römiſchen Kaiſerreich
übliche Form der Kriegerausſtattung an. Es handelt ſich hierbei aber nicht um
kleine Landſtücke, ſondern um große Ländereien. Es entſteht ſo ein vom König
völlig abhängiger Stand von großen Grundherren. Entſprechend handelt auch
die Kirche auf ihrem großen Landbeſitz. Indem der König auch im altfrän⸗
kiſchen Gebiet die alten Volks. und Gauallmenden an fih zieht und auf
-diefe Weiſe verlehnt, verbreitert fih diefe Schicht wirtſchaftlich mächtiger,
aber abhängiger Familien. Aus ihr wählen die fränkiſchen Könige ihre Vee
amten. Vielfach werden römiſche Beamtenſtellen übernommen; der Comes,
verdeutſcht vielfach „Graf“, iſt im römiſchen Reiche urſprünglich ein höherer
Finanzbeamter, der die Steuereintreibung durchführt. Mit der gleichen Auf⸗
gabe wird auch der königliche Graf betraut, der alte Greve (Graukopf) aus
Der Feudalismus 891
der Zeit ber Volksfreiheit verſchwindet weitgehend in dieſem neuen Titel.
Geſttützt auf diefe breite Schicht vermögen es die fränkiſchen Könige, die alten
Volksverſammlungen auszuſchalten; fie laſſen die alten Volksrechte in latei-
nifer Sprache aufzeichnen, fie erſetzen die alten Thinggerichte durch könig⸗
liche Richter und ändern die Geſetze in ihrem Intereſſe.
Mit der Chriſtianiſierung wird dem fränkiſchen Bauern an Stelle der alt⸗
germaniſchen Grabbeigabe, der beſten Waffe, für den Toten die Abgabe des
Besten Eigentumsſtückes als „Beſthaupt“ für die Kirche zum „Heil der Seele“
auferlegt. Ihm wird der Zehnte von allem Ertrag abgefordert, ſchließlich wird
ihm, gleichfalls zum „Seelenheil“, unter Aufhebung des bisherigen Odals-
rechtes die Teilung des Hofes und die Ausſonderung eines Sohnesanteiles,
Den der Vater der Kirche zu ſchenken hat, auferlegt. Eine ſolche grund ſtürzende
Veränderung war nur durchzuführen, wenn ſich die königliche Macht und
Später die Macht der Hausmeier aus dem Karolinger Hauſe auf eine ergebene
und daran intereſſierte Schicht ſtützen konnte, die nicht odalsmäßig gebunden
war, ſondern die ſich daran gewöhnt hatte, das Land als frei bewegliches,
verlehntes „Feod“ anzuſehen, alſo eben dieſer neugeſchaffenen Feudalſchicht.
Wo ſie nicht ausreicht, greift das am Hof gehaltene bewaffnete Gefolge des
Königs, die ſogenannten „Antruſtionen“ ein, das dreifaches Wehrgeld wie
Die altfreien Bauern genießt. Aberall, wo die fränkiſche Macht ſich durchſetzt,
bei Schwaben, Bayern, Thüringern und Sachſen, wird eine ſolche geſetzlich
in jeder Weiſe bevorzugte Feudalſchicht geſchaffen, die abſtammungsmäßig
nur zum Teil germaniſch, zum Teil galliſch⸗römiſch, die herkunftsmäßig nur
zum Teil freier Abſtammung, zum Teil von unfreien Dienſtleuten herſtam⸗
mend iſt. Dieſe Schicht trägt in ſich den gegebenen Gegenſatz zu dem ger⸗
maniſchen Freibauerntum überhaupt, in dem ſie notwendigerweiſe ihren Geg⸗
ner ſehen muß. Die Grauſamkeiten der karolingiſchen Heere find auch pſycho⸗
logiſch kaum anders zu erklären, als aus der Kompenſation eines Anterwertig⸗
keitsbewußtſeins, geſteigert durch die fanatiſche Bekehrungsidee gegenüber der
blutsrein gebliebenen und altfreien Odalsbauernſchicht der germaniſchen Völker.
Bei den Franken geht das alte Goden- und Edelingstum vor dieſer Schicht
faſt ganz unter; bei den Bayern wird in der lex Bajuvarorum noch eine
Gruppe von fünf vornehmen alten Godengeſchlechtern erwähnt, die dann wirt⸗
ſchaftlich langſam verſinken; bei den Sachſen macht ein Teil der alten Ge-
ſchlechter, als er die Ausſichtsloſigkeit des Weiterkämpfens erkennt, teils vor
Wittekinds Ergebung, teils mit ihm äußerlich Frieden mit der neuen Königs-
und Kirchenmacht. Aber das geſamte karolingiſche Reich aber legt ſich ſo die
neue Schicht eines intereſſenmäßig mit allen Gegnern des germaniſchen Frei⸗
bauerntums verbundenen Standes.
Was iſt aus dieſen geworden?
Ein Teil davon iſt in den Auflöſungskämpfen des karolingiſchen Reiches
zwiſchen 840—919 zugrunde gegangen, etwa in Weſtfriesland, Dithmarſchen
und anderen Gebieten von den Freibauernſchaften erſchlagen oder vertrieben,
gegen die Angarn, die Normannen und die Wenden gefallen und ſo ver⸗
ſchwunden. Ein Teil dieſer Grafengeſchlechter der karolingiſchen Zeit taucht
in den Herzogsgeſchlechtern der darauffolgenden Periode auf, ein Teil bleibt
große Grundherren und findet den Weg in den ſpäteren Adel.
892 Johann von Leers
Ein entſtehendes Reichsrittertum fegt in der Erblichkeit feiner Lehen
den Odalsgedanken bei ſich wieder durch
Schon Heinrich I. (919—936) ſchafft zur Abwehr der Ungarn und Wenden
einen neuen Kriegerſtand berittener Krieger ſeines Herzogtums Sachſen, die
zum Teil als Burgvögte angeſetzt werden, von denen eine breitere Schicht
offenbar in den ſpäteren Sattelmeiern Weſtfalens und Hannovers fortlebt.
Je mehr der Reiterdienſt als eigentlicher Kriegsdienſt ſich militäriſch durch⸗
jest, um fo breiter wird diefe Schicht. König Konrad II. (1024 — 1039) gibt
Diefer fo werdenden Ritterſchicht die Erblichkeit ihrer Lehen in der constitutio
de feudis. Es iſt die Schicht, die im weſentlichen des Reiches Schlachten
ſchlägt. Auch in ihr ſind natürlich gelegentlich Männer urſprünglich unfreier
Herkunft vorhanden. Die Maſſe machen ſie aber nicht aus. Gerade die alten
Freibauern und Edelingsgeſchlechter erſcheinen hier wieder. Sehr vielfach iſt
an den Wappen, ſoweit dieſe „verkalt“ noch germaniſche Aberlieferung zeigen,
deutlich ablesbar, daß die Geſchlechter ſich als Träger einheimiſcher Aber⸗
lieferung gefühlt haben. Dieſes Reichsrittertum iſt es, das in den ſchweren
Kämpfen zwiſchen Kaiſer und Papft unter Heinrich IV. in ſeiner erdrückenden
Mehrzahl treu zu dem gebannten König ſteht. Seine Tradition iſt im Gegen⸗
fag zur merowingiſch⸗karolingiſchen Tradition nicht bauernfeindlich. Es fest
ſich nicht mit der Kirche, ſondern gerade an der Seite des Königs im Konflikt
mit ihr durch.
Aber ſchon die Bürgerkriege unter Heinrich IV. zeigen in den Schlachten
am Neckar, bei Flarchheim und Melrichſtadt die rein militäriſche Anterlegen⸗
heit von Bauernaufgeboten im offenen Felde. Sowohl der König wie ſeine
Gegner von der päpſtlichen „Partei St. Peter“ unter Herzog Rudolph von
Schwaben müſſen ihre Heere mit immer größeren Maſſen von Soldrittern,
vielfach landloſen Männern, auffüllen. Neben Bauernſöhnen freier oder
urſprünglich freier Herkunft ſteigen hier natürlich auch zahlreiche Männer ver-
ſchiedenſter Herkunft auf.
Immerhin — dieſe Reichsritterſchaft, die fo entſteht und in der Erblichkeit
ihrer Lehen, ſoweit ſie Land beſitzt, ſelber den Odalsgedanken bei ſich wieder
durchſetzt, kann als überwiegend innerlich nicht „feudal“ im karolingiſchen
Sinne angeſehen werden. Sie hat Jahrhunderte hindurch deutſche Reichs-
tradition getragen, und aus ihr ſtammen immer wieder eine große Anzahl von
Vorkämpfern einheimiſchen Rechtes, eine Linie, die über Franz von Sickingen
und Allrich von Hutten, Florian Geyer zu Geyersberg, bis zu gewiſſem Grade
auch Wilhelm von Grumbach, bis zu dem Reichsgrafen Stadion, der 1809
noch Oſterreich in den Kampf gegen Napoleon für den deutſchen Reichsgedan⸗
ken treibt, und zum Freiherrn vom Stein führt. Vielfach, nicht immer, bezeich⸗
net der Freiherrtitel gerade Angehörige altfreier Geſchlechter innerhalb dieſer
Reichsritterſchaft.
Freie und unfreie Ritterfchaft; ihre Einſtellung zum altfreien Bauerntum
Der Zuſammenbruch der Hohenſtaufen in Italien, endgültig 1254 mit dem
Tode Konrads IV., in feinen Wirkungen ſchon früher, läßt diefe Ritterſchaft
vielfach beſchäftigungslos werden und verwildern. Es kommt — nicht als
Allgemeinerſcheinung, aber doch häufig — der ritterliche Schnapphahn auf,
Der Feudalismus 893
der auf den Bauern drückt. Mit der Verſtärkung der Macht der Landes-
fürften, vor allem feit dem „statutum in favorem principum“ unter Fried-
rich II., werden vielfach wieder abhängige landesfürſtliche Dienſtleute zu
Rittern gemacht, ſo daß „Schwabenſpiegel“ und „Sachſenſpiegel“ beide noch
ſehr deutlich freie und unfreie Ritter unterfcheiden, die erft langſam zu einem
neuen Berufs- und Geburtsſtande verſchmelzen.
Die Oſtkoloniſation bringt jenſeits der Elbe ein Rittertum, das urſprüng⸗
lich in völlig geordnetem Rechtsverhältnis zum deutſchen Koloniſationsbauern
ftebt. Dieſer Bauer iſt ein freier Mann, der lediglich einen genau feſtgeſetzten
Erbzins von ſeinem Hofe bezahlt; der über die Elbe gegangene deutſche Ritter
iſt im 12. und 13. Jahrhundert durchaus kein Rittergutsbefiger im modernen
Sinne, ſondern beſitzt mit oder ohne eine kleine Burg einzelne Hufen in den
Dörfern und erfüllt Kriegsdienſt und Verwaltungsaufgaben.
Weniger in Mecklenburg, wo er im Kampfe faſt ganz zugrunde geht, wohl
aber in Pommern, das ſich ziemlich friedlich dem Deutſchen Reiche anſchließt,
wird ein erheblicher Teil des kriegeriſchen Wendenadels in die Ritterſchaft
des Reiches übernommen, vielfach ſehr begabte Familien, die in der ſpäteren
Entwicklung Brandenburg⸗Preußens bedeutende Männer geſtellt haben. Hier
bei den Wenden beſtand . jedenfalls zur Zeit der deutſchen Eroberung,
ein Freibauerntum nicht. Dem ziemlich zahlreichen Kriegsadel ſtanden
„kmiecy', abhängige Bauern, gegenüber. Dieſe blieben auch abhängig, als
das Land zum Teil deutſche Grundbeſiher bekam — auf die Dauer rechtlich
eine bedenkliche Nachbarſchaft für den freien deutſchen Koloniſationsbauern,
der leicht Gefahr laufen konnte, in die ungünſtige Stellung dieſer wendiſchen
Anterſchicht herabgedrückt zu werden. Man übertreibt aber, wenn man von
dieſem Geſichtspunkt Oſtdeutſchland ſchon zur Koloniſationszeit als ein Land
des großen Grundbeſitzes anſehen will. Dazu war die wendiſche Bevölkerung
zahlenmäßig viel zu klein. Der größte Teil der neuen Dörfer, wie die Orts-
namenendungen „hagen, hain, bruch uſw.“ bezeugen, entſtand erſt auf unbe⸗
wohntem Boden durch die deutſche Siedlung.
Wir finden alſo etwa zu Beginn des 14. Jahrhunderts die kriegeriſche
Adelsſchicht des Reiches aus ſehr verſchiedenen Erbſtämmen zuſammengeſetzt,
deren Tradition und Einſtellung zum altfreien Bauerntum naturgemäß rer-
ſchieden fein mußte: Die Reſte der karolingiſchen Dienſtvaſallen, die vielfach
aus Freien, aus Abkömmlingen altfreier Bauerngeſchlechter und Edelingen ge-
bildete Ritterſchaft aus der Zeit der Sachſen⸗ und Salierkaiſer, aufgeſtiegene,
vielfach unfreie landesfürſtliche Ritter, der freie Koloniſationsadel Oſtdeutſch⸗
lands, ſchließlich die Familien des alten Wendenadels.
Wie ſehr vielfach ſpäter berühmte große Geſchlechter auf Freibauern zurück⸗
geben, hat das ſchöne kleine Werk von Kahlke über die Bauernwappen der
ilſter, Kremper und Haſeldorfer Marſch in Holſtein belegt. Wappenmäßig
führen gerade die führenden alten holſteiniſchen Geſchlechter, etwa die Brod-
dorf, Seheſtädt, auch Reventlow (diefe aus Dithmarſchen) auf altfreie Bauern
dieſer Marſchen zurück.
Niedergang der Ritterſchaft
Das Aufkommen des Kapitalismus und die in den Kriegen gegen Türken
und Huſſiten ſichtbar werdende Aberalterung der Ritterheere ändert die Lage
weitgehend. In Süddeutſchland verarmt ein großer Teil der Ritterſchaft und
894 Johann von Leers
lehnt fih an die aufſteigenden Landesfürſten an, ein anderer Teil verſucht fih
gegen die Geldwirtſchaft mit Gewalt zur Wehr zu ſetzen nach dem ſchönen
alten fränkiſchen Lied jener Zeit: „Heraus ſollt man ſie klauben, aus ihren
fuchſenen Schauben, dieſelben Kaufleut gut, um ihren Abermut.“ Ihre ſtädti⸗
ſchen Gegner verleihen ihnen daraufhin den Titel der „Raubritter“, mit dem
ſie durch die üblichen Geſchichtsbücher weiterreiten. Nur ein Teil verſteht es,
alte Führerbegabung im Reichsdienſt an der Spitze von Landsknechtsheeren
nutzbar zu machen, wie der ehrenwerte Jörgen von Frundsberg, „aller teutſchen
Landsknechts lieber Vatter“ auf Mindelheim. Ein Teil wird einfach zu fürſt⸗
lichen Amtsleuten, und einzelne Größere verſuchen ſelber Landesfürſt zu
ſpielen und werden bei der Kleinheit ihres Gebietes auf dieſe Weiſe zu beſon⸗
ders ſchweren Bedrückern des Bauerntums, fo die Grafen von Stühlingen am
Bodenſee, wo der große Bauernkrieg im Herbſt 1524 zuerſt ausbricht, während
der beſte Teil unter Hutten und Sickingen eine Reichsreform verficht, die
weltliche und geiſtliche Fürſten ausſchalten und des Reiches Macht wieder⸗
herſtellen ſoll. Der große Bauernkrieg findet ſo das Rittertum, wie es ſeiner
verſchiedenartigen Herkunft nach nicht anders ſein kann, geſpalten. Das Ge⸗
metzel von Weinsberg treibt die Maſſe der ſchwäbiſchen und fränkiſchen
Ritterſchaft auf die Seite der Fürſten, während nur Florian Geyer und eine
Anzahl ſeiner nächſten Freunde zur „bäuerlichen Sach“ ſtehen, ohne den ent⸗
feſſelten Maſſeinſtinkten gegenüber eine ſtaatsmänniſche und militäriſche
Führung der Revolution noch durchſetzen zu können.
Das füd- und weſtdeutſche Rittertum ſinkt ſeitdem in feiner politiſchen
Bedeutung, entwickelt auch nach dem Dreißigjährigen Kriege keine größere
Kraft mehr; ſoweit es nicht in die landesfürſtliche Beamtenſchaft hinein⸗
kommt, ficht es immerhin in anſtändiger Form in des Kaiſer Kriegen gegen
Franzoſen und Türken zu Ende.
Entſtehung des oſtelbiſchen „Feudalismus“
Wie der Bekehrungsvorſtoß der Kirche zur Zeit der Merowinger und
Karolinger eine erſte, durchaus bauerngegneriſche Feudalität ſchafft, ſo
hat Luthers Obrigkeitslehre für Oſtdeutſchland eine beinahe ähnliche Wir-
kung. Hatte Luther ſchon während des großen Bauernkrieges ſich völlig
auf die Seite der Fürften geſtellt, ja fogar die Leibeigenſchaft gutgeheißen,
weil auch Abraham als gottwohlgefälliger Mann Leibeigene beſeſſen, ſo wirkte
ſeine Lehre von der Anumſchränktheit der fürſtlichen Allmacht, die Melanchthon
noch beſonders unterſtrich, ſich zuungunſten altererbter Freiheiten aus. Schon
vor dem Dreißigjährigen Kriege werden in Oſtdeutſchland dem Bauern gegen-
über die Zügel ſtraffer angezogen. Der Dreißigjährige Krieg bringt eine weit⸗
gehende Verwüſtung gerade dieſer Lande. Bis auf Trümmer wird das alte
freie Kolonialbauerntum vernichtet, ein großer Teil der Ritterfamilien aus
der Oſtlandkoloniſation geht im Kriege zugrunde — neben die Reſte von ihnen
treten jetzt neue Herren, Feldobriſten, die mit der letzten Regimentskaſſe nach
Friedensſchluß gewaltige Landgebiete zuſammenkaufen, gelegentlich geradezu
Kriegsgewinnler. Erſt jetzt wird das Land öſtlich der Elbe zum Land des
großen Grundbeſitzes, neuangeſetzte und verarmte alte Bauernſchaft wird jetzt
abhängig, verliert weitgehend die Vererblichkeit der Scholle, wird grundhörig,
Der Feudalismus 895
fronpflichtig, leibeigen. Die Leibeigenſchaft Oſtdeutſchlands ift nicht mittel-
alterlich, ſondern früh⸗agrar⸗kapitaliſtiſch, ſtammt aus dem 17. Jahrhundert.
Auch erwerben dieſe neuen Grundherren gegen Verzicht auf ſtaatliche Mit⸗
beſtimmung dörfliche Obrigkeitsrechte, Patrimonialgerichtsbarkeit über „ihre“
Bauern, Kirchenpatronat und ſchließlich das bedenkliche, im böhmiſchen und
polniſchen Recht vorgebildete Recht auf Heimfall der Bauernhufe beim Tode
des Bauern. Gerade je mehr ſie ſich wirtſchaftlich für die Verhältniſſe des
17. und 18. Jahrhunderts moderniſieren, um fo mehr verſuchen fie die Bauern-
hufe mit ihrer Dreifelderwirtſchaft im Verbande der Gutswirtſchaft und den
ewigen Streitereien um den Amfang der Frondienſte zu legen und gehen viel-
fad) (fo in Mecklenburg und Schwediſch⸗ Vorpommern), wo die Landesobrig-
keit es nicht verhindert, wie Friedrich Wilhelm I. in Preußen und Friedrich
der Große, zur Koppelwirtſchaft über, d. h., fie laſſen das Bauernland ein-
gehen und ſchaffen abgerundete große Güter mit leibeigenen Tagelöhnern.
Weder Süddeutſchland noch Sachſen mit feinem Syſtem der Erbgerichts⸗
herrlichkeiten, noch auch Nordweſtdeutſchland und Hannover werden von dieſer
Entwicklung ergriffen. Dieſer letzte „Feudalismus“ bleibt oſtdeutſch. Bezeich⸗
nend, daß ohne Zwang der Landesobrigkeit die holſteiniſche Ritterſchaft — fo
ſtark iſt doch die Odalstradition offenbar — bereits 1790 die Leibeigenſchaft
von ſich aus beſeitigt. In anderen Landesteilen nimmt ſie vielfach grauenvolle
Formen an, wobei immer wieder ſelbſtverſtändlich vernünftige Gutsherren
neben wirklichen Plagegeiſtern ſtehen.
Dieſe Feudalität endet mit der Aufklärungszeit und endgültig mit Stein,
wirkt aber, weil der rieſige Getreidebedarf der Induſtrialiſierung erſt Eng⸗
lands, dann Deutſchlands ſelber, die Entſtehung und Ausweitung der großen
Getreidefabriken des Oſtens befördert, ſozial noch lange nach. Die Ber-
wäſſerung der Steinſchen Reform durch die Edikte von 1811 und 1816 ließ
große Maſſen der einſtigen Bauernſchaft ins beſitzloſe Tagelöhnertum hinab-
finken. Die konſervative, wieder ſtark bibliſch und lutheriſch begründete Obrig⸗
keitslehre Stahls (eines getauften Juden) bemühte ſich, dieſe an ſich ungeſunde,
dë? gor nicht alte Entwicklung als „gottgewollte Abhängigkeiten“ erſcheinen
zu laſſen. | e
Auch hier hat ſtets neben rückſichtsloſer Ausbeutung viel verſtändnisvolle
Förderung in einzelnen Fällen geſtanden, angefangen mit dem von Rochow
auf Rekahne in der Mark, der ſchon zur Zeit Friedrichs I. und Friedrich
Wilhelms I. von fih aus Volksſchulen gründet, und auslaufend gerade mit
febr ernſten Reformbeſtrebungen, die aus dieſen Kreiſen ſelber kamen.
Das kann aber nicht darüber hinwegtäuſchen, daß, gebannt vom eigenen
Vorteil und der ſtarren Obrigkeitslehre, vielfach übelſte Mißbräuche von einem
Teil dieſer Schicht zähe verteidigt, das Reformwerk des Freiherrn vom Stein
böslich ſabotiert und zum Schaden der Bauern zu Fall gebracht, verſtändnis⸗
los Härten ausgeübt worden ſind, wie ſie in Mecklenburg ſchon Johann Hein⸗
rich Voß und ſpäter Fritz Reuter mit flammender Anklage gebrandmarkt
en. |
Aberſchaut man diefe auf knappe Formeln zuſammengedrängte Entwicklung,
ſo iſt eines ſicher. Die liberale Zeit ſah zielbewußt aus ihrem tiefen Haß
gegen Blutserbe und Stolz auf gute Herkunft in jedem Träger eines ritter⸗
lichen Wappens fo etwas wie einen Volks und Bauernfeind. Das ift
geſchichtlich nicht richtig. Ein Teil dieſer Familien iſt im Gegenteil Blüte
Ddal Heft 11, Jahrg. 4, Bg. 4
896 Walter zur Ungnad
des alten Odalsbauerntums, ihre Wappen noch heute Träger ſehr alter, ger-
maniſcher Aberlieferung — und wer alte Burgen kennt, weiß, daß auf ihnen
oft mehr „verborgen“ iſt als bloß alte Harniſche und Panzer. Wiſſen um
tiefere Aberlieferung hat in einem Teil dieſer Familien immer gelebt. Dieſe
waren es, die in den Freiheitskämpfen deutſcher Bauernſchaft im Odals-
gedanken ſich mit ihr zuſammenfanden.
Ebenſo unleugbar beſteht eine andere Gruppe, deren Traditionen fürſtlich⸗
kirchlich feit der Karolingerzeit find und in innerem Gegenſatz zum Odals-
gedanken ſtehen müſſen — wobei einzelne Träger des Erbes ſolcher Familien
perſönlich fih zu ihm bekennen können. Das find die Gruppen, die mit unbe-
ſchränkter Fürſten⸗ und Kirchengewalt hoch kamen, die in der Niederhaltung
des Odalsgedankens ihre Tradition ſahen und ſehen mußten und die für fic
in einer unberechtigten Ausdehnung auch auf andere das Wort vom „chriſt⸗
lichen Adel“ prägten. Das alte Odal aber war nicht chriſtlich — und als die
chriſtliche Kirche ins Land kam, wurde es gerade zu ihren Gunſten zerſchlagen.
Jene fränkiſchen Ritter, die 1520 unter Huttens Einfluß ein Bündnis
ſchloſſen, mit der Beſtimmung, „jedes Mitglied ſolle die Pfaffen vom Kar⸗
dinal herab bis zum kleinſten Bettelmönch für des Teufels Apoſtel halten,
jedem Bettelmönch, der einen Käſe fordert, einen vierpfündigen Stein nach⸗
werfen, und keinen Mönch ins Haus laſſen; käme unverſehens doch einer
hinein, ſo ſoll er ausgejagt und ihm mit einem Beſen über die Türſchwelle
nachgekehrt werden“ — haben jedenfalls die andere Aberlieferung gehabt
Walter zur Ungnad:
Conrad Wioͤerholt
Faſt um 280 m überragt der Hohentwiel die Hochfläche des Hegau. Der
Gipfel dieſes ſteilen Baſaltkegels bietet gerade Raum für eine größere Burg,
die mit den Waffen des Mittelalters kaum angreifbar war, ihrerſeits aber
die ganze Gegend nördlich des Bodenſees beherrſchte. Da war es kein Wunder,
daß das Haus Gſterreich nach dem Beſitz des Hohentwiels trachtete, als es
ſeine Beſitzungen im Oſten und Weſten des deutſchen Siedlungsraumes durch
eine Landbrücke, „Vorderöſterreich“, zu verbinden ſuchte. Die Klingenberger
ſaßen damals auf Hohentwiel, und von deren einem erkaufte Habsburg das
Offnungsrecht der Burg, dazu die Befugnis, daſelbſt einen öſterreichiſchen
Burghauptmann einzuſetzen. Herzog Alrich von Württemberg erkannte die
Gefahr, die hierin für die Selbſtändigkeit ſeines Landes ruhte, und ſo kaufte
er ſeinerſeits die ganze Burg mit allen Rechten von einem anderen der Klin-
genberger! Herzog Alrich war zwar landflüchtig und völlig mittellos, aber er
ſelbſt wie auch dieſer Klingenberger verließen ſich darauf, daß die Krone
Frankreich ſchon die Gelder für dieſen Handel hergeben werde, um ſo einen
Machtzuwachs Habsburgs zu verhindern. Das iſt gewiß bezeichnend für die
damaligen Verhältniſſe im Heiligen Deutſchen Reiche, und es iſt bezeichnend
Conrad Widerholt - 897
für die Stellung des Kaiſers, daß er fih in dieſem für fein Haus lebeng-
wichtigen Punkte nicht durchſetzen konnte. Als daher im zweiten Jahrzehnt
des 17. Jahrhunderts der große Krieg ausbrach, der unſer Vaterland dreißig
Jahre lang verheeren ſollte, durch den unſer Volk zwölf Millionen Men⸗
chen, das waren drei Viertel ſeines Geſamtbeſtandes, verlor, nahm Habs-
burg die Gelegenheit wahr, um doch noch ſein Ziel zu erreichen, Hohentwiel
an ſich zu bringen.
Kommandant auf Hohentwiel war damals Hauptmann Löſcher, der ſich
ſtill und untätig verhielt, wie auch der Regent des Herzogtums — der Herzog
ſelbſt, Eberhard III., war minderjährig — es mit keiner der kriegführenden
Parteien verderben wollte. Das wurde anders, als Eberhard III., achtzehn⸗
jährig, im Frühjahr 1633 die Regierung übernahm und nun als Bundes⸗
genoſſe der Schweden, alſo auf evangeliſcher Seite, am Kriege teilnahm.
Löſcher ſcheint ſich jetzt auf der Feſtung nicht mehr wohlgefühlt zu haben;
denn er verließ ſeinen Poſten im Frühjahr 1634 ohne Abſchied, und wir
finden ihn bald darauf in badiſchem Dienſt, alſo jetzt auf katholiſcher Seite,
wieder. Auch das iſt bezeichnend und läßt erkennen, daß es in dieſem Kriege
gar nicht um die großen Dinge des Glaubens ging, wie man uns glauben
machen will, ſondern daß das Gezänk der Theologen nur als Vorſpann diente
für die eigenſüchtigen Machtkämpfe der Landesfürſten, daß die tief innere
Gläubigkeit des Volkes nur mißbraucht wurde, indem ihm Kampf um Glau-
ben und Gewiſſensfreiheit vorgeſpiegelt wurde. And der Kaiſer, der des
Reiches Einheit hätte wahren folen, nahm ſelbſt nur als Landes fürſt am
Kriege anteil, um die habsburgiſche Hausmacht zu ſtärken! Für Herzog Eber⸗
hard nahm der Krieg raſch ein Ende: nach der für die „Evangeliſchen“ unglück⸗
lichen Schlacht von Nördlingen (27. 8. 1634) überſchwemmten öſterreichiſche
Truppen ganz Württemberg, Herzog Eberhard floh nach Straßburg und lebte
dort von den Einkünften feiner franzöfifchen Grafſchaft Mömpelgard. Von
Württemberg blieben ihm nur ein paar feſte Plätze, darunter der Hohentwiel,
deſſen Beſatzung Major Conrad Widerholt befehligte. Feſtungskommandant
dagegen war der hochbetagte Obervogt von Tuttlingen, Herr von Nochau.
Erſt am 13. 9. 1634 ernannte der Herzog Conrad Widerholt zum Komman⸗
danten, „indem Wir eine hohe Notdurft befunden, obgedacht unſere Feſtung
mit einem ordentlichen Kommandanten und Hauptmann wieder zu beſtellen“.
Anlöslich iſt ſeitdem der Name Conrad Widerholts mit dem Hohentwiel ver⸗
bunden, der durch ihn zu einem ewigen Denkmal deutſcher Treue, unbeirr-
barer Mannhaftigkeit geworden iſt. |
Conrad Widerholt ift wohl am 20.4.1598 in Ziegenhain als Sohn eines
Ratsherrn geboren worden. Mit 17 Jahren nahm er als Reiter Kriegsdienſt
bei hanſeatiſchen Truppen, die zuſammen mit Holländern Braunſchweig von
der Belagerung durch ſeinen Herzog Alrich⸗Friedrich entſetzen wollten. Da
mag er das richtige Verſtändnis für die deutſchen Verhältniſſe gefunden
haben. And er hat wohl damals ſchon erkannt, daß in einem kommenden
Kriege die ſchweren Reiter bedeutungslos ſein würden, weil ſie der Wirkung
der immer mehr aufkommenden Feuerwaffen nicht gewachſen waren. So
finden wir ihn 1616 als Musketier in bremiſchem Dienſt, wo er Gefreiter
wird. Als ſolcher, neunzehnjährig, heiratet er die um einige Jahre ältere
Tochter des Kommandanten von Helgoland, Anna Armgard Burghart — ein
Sohn iſt dieſer Ehe entſproſſen, aber in zartem Alter verſtorben. Vier Wochen
4*
898 Walter zur Ungnad
nach der Hochzeit ſchifft Widerholt fih mit dem Regiment des Grafen von
Loewenſtein nach Venedig ein. Beſonders an der Belagerung von Padua
nimmt er mit Auszeichnung teil. Vor allem aber erlernt er in dieſer Zeit
den Infanteriedienſt in allen Einzelheiten und widmet ſich mit beſonderer
Vorliebe der Artillerie und Feuerwerkerei, dem Feſtungsbau und dem
Feſtungskrieg. 1619 kehrt er als „Drillmeiſter“, d. i. Exerzierlehrer, in würt-
tembergiſchem Dienſt nach Deutſchland zurück. Schon 1622 wird er Rapitain-
Leutnant und 1627 Kapitain⸗Major „bei dem Regimente unter der Staig
mit 100 Gulden und 20 Scheffel Haber, vom 30. October 1626 an zu red-
nen.“ Beſonders zeichnet er ſich bei der Eroberung der Feſte Schramberg
aus: Kommandant von Schramberg war ein Italiener, Widerholts Lehr⸗
meiſter im Feſtungskrieg, der ſich hier der überlegenen Kriegskunſt ſeines
einſtigen Schülers beugen mußte. Herzog Julius Friedrich berichtet hierüber:
„Widerholt, ſo der beſte Offizier war, hat das feſte Schloß Schramberg mit
großem Lobe eingenommen.“ And auch der ſchwediſche Oberſt von Degenfeld
bezeichnet ihn als einen der tüchtigſten und einſichtsvollſten Offiziere. Zum
Dank belehnte ihn ſein Landesherr mit dem Hofgut Heiligenbrunn. Wenig
ſpäter wird Widerholt Kommandant der Feſte Hornberg, vom 14. 4. bis
16. 5. 1634 finden wir ihn bei der Belagerung von Überlingen, am 19. 7.
befindet er ſich vor Willingen. Er kann ſein Kommando auf dem Hohentwiel,
das am 13. 6. 1634 verfügt worden war, alſo erſt nach dieſem Zeitpunkt ange⸗
treten haben.
Widerholt fand böſe Verhältniſſe auf dem Hohentwiel vor. Das hatte
doppelten Grund: hatte der Kaiſer die Burg nicht für Oſterreich gewinnen
können, ſo hatte er doch verhindert, daß Württemberg ſie ſich nutzbar machte.
Hohentwiel ſei nur das feſte Haus eines Ritters, durch den Verkauf an Würt⸗
temberg könnten keine höheren Rechte übertragen werden, als von jeher auf
dem Hauſe geruht hätten, alſo dürfe die Burg nicht zur landesherrlichen
Feſtung ausgebaut werden. Württemberg ſchickte zwar papierene Proteſte
gegen dieſen ſchnöden Mißbrauch der landesväterlichen Gewalt des Kaiſers,
fügte ſich aber tatſächlich, indem es auf den Ausbau der Feſte verzichtete. Ja,
ſogar die Inſtandſetzung unterblieb und die Verſorgung der Burg mit Vor⸗
räten an Lebensmitteln und Kriegsgerät. Wurde die Feſtung einmal durch
feindliche Heerhaufen bedroht, warnte ein Kommandant gar zu dringend, ſo
kamen wohl Kommiſſionen, beſichtigten, berieten, beſchloſſen und berichteten,
ehe aber die herzogliche Kammer Geld anwies, ehe gar mit Bauten begonnen
wurde, war die dringendſte Gefahr ſtets vorüber, weil ſich niemand an das
Felſenneſt herantraute. And dann blieb wieder alles beim alten — auf dem
Papier wenigſtens, während die Werke der Feſtung immer mehr verfielen.
Vielleicht liegt hierin ſogar die Erklärung für das Verhalten des Hauptmanns
Löſcher. So kam es, daß Widerholt ſofort bei ſeinem Eintreffen auf Hohen⸗
twiel den Vorſchlag machen mußte, die Beſatzung von 124 auf 43 Musketiere
herabzuſetzen, weil er nicht mehr verpflegen könne! Außerdem hatte er 50
Weiber und viele Kinder vorgefunden, obwohl die Vorſchrift beſagte:
Hauptmann und Keller, jeder ein Weib und eine Magd, Leutnant ein
Weib, Wirth, Hausſchneider, Thorwart, Rebmann und Fuhrknecht, jeder
ein Weib. And iſt hieneben dem Hauptmann auferlegt worden, wann
ihnen ein Kind über 14 Jahre alt würde, daß er ſelbiges nicht länger auf
dem Hauſe laſſe, ſondern ſelbiges abſchaffe.
Conrad Widerholt 899
Der dem Kommandanten gleichgeſtellte „Keller“ war der Verwaltungsbeamte
der Feſtung, der „Intendanturrat“ vielleicht. Widerholt war ja zunächſt nicht
Kommandant, alfo dieſem Keller nicht einmal gleichgeſtellt. And als er ver-
langte, der Keller ſolle die noch auf dem Felde befindliche Ernte ſofort herein-
holen laſſen, lehnte der ab. Man müſſe warten, bis man auf dem Felde
dreſchen könne, um dann nur die Frucht hereinzuholen. Aber die Kaiſerlichen
kamen ihm zuvor. And als Widerholt ſie verjagen wollte, erreichte er nicht nur
nichts, er verlor auch noch 25 Mann durch Tod, 39 durch Gefangennahme —
ein Zeichen für den Kampfwert der „Truppe“, die er vorgefunden hatte! Dieſer
Geiſt zeigte ſich auch, als Widerholt das Vorfeld der Burg fiderte. Zwar
gelang es ihm, die nur ſchwach beſetzten Burgen Hohenkrähen, Mägdeberg
und Staufen zu nehmen, von denen er die beiden erſten niederbrannte. Staufen
wollte er durch eine Beſatzung halten. Aber in der erſten Nacht liefen ihm
14 Mann davon! Da wurde auch dieſe Burg geſchleift. Immerhin waren
dieſe Verluſte ſo hoch, daß des Herzogs Befehl, die Beſatzung in voller
Stärke zu erhalten — er kam zuſammen mit Widerholts Ernennung zum Kom⸗
mandanten —, etwas zu ſpät kam. Widerholt mußte ſich die Beſatzung neu
aufbauen. And auch auf des Herzogs Verſprechen, „daß die Verordnung zur
Verſehung der Feſtung mit Früchten ergehen werde“, verließ er ſich nicht, er
ſorgte lieber ſelbſt vor. And in all den Jahren, mit denen wir es hier zu tun
haben, war nicht ſo ſehr die Verteidigung des Hohentwiels als ſeine Ver⸗
ſorgung mit Lebensmitteln und Kriegsgerät und Geld für Sold und Bauten
Widerholts Hauptſorge. Die Amter Tuttlingen, Balingen, Rofenfeld und
Schömberg hatten die Feſtung mit Geld und Lebensmitteln zu verſorgen, aber
ig waren in Feindeshand. Da machte Widerholt einen Teil feiner Leute
eritten, er „ſetzte Dragoner auf“. And von dieſen ließ er holen, was nicht
freiwillig gebracht wurde. Das war wohl hart für die Bauern, die nun von
beiden Seiten, den Kaiſerlichen und den Württembergern, zur Leiſtung ge-
zwungen wurden, aber es ging nicht anders. And mit der Zeit wurde es auch
beſſer: allmählich ſahen die Oſterreicher nämlich ein, daß ſie gegen Widerholts
Dragoner machtlos waren. Sie ließen es geſchehen, daß Dörfer und Städte,
Burgen und Klöſter nicht erft warteten, bis Twieler Dragoner mit Brand-
briefen geritten kamen, ſondern regelrecht Steuern und Abgaben an Widerholt
zahlten. So wies z. B. im Jahre 1644 Erzherzog Ferdinand Karl von Ofter-
reich den Führer ſeiner gegen Hohentwiel eingeſetzten Truppen zwar an, ſich
zu überlegen, wie dieſem von Hohentwiel drohenden Anheil zu ſteuern ſei,
„wann aber die Mittel ſoweit nicht zulangen ... muß man es gleichwohl zur
Erhaltung der Anterthanen in etwas geſchehen laſſen“. Dieſe Anweiſung fingen
Widerholts Dragoner auf, und er machte ſich die Gegend bis Gmünd dienſt⸗
bar! So zahlte z. B. das Kloſter Weingarten erſt 40, ſpäter 120 Gulden
monatliche Kontribution. Widerholt mißbrauchte die Macht aber nicht, die er
allmählich erlangte. Am 10. 12. 1641 z. B. trat der größere Teil des Adels
im Neckar- und Schwarzwaldviertel an ihn heran mit der Bitte, diefe Gegend
gegen „Bezahlung eines leidentlichen Stückes Geldes mit Brand, Raub,
Nahm und Plünderung zu verſchonen“. Gegen einmalige Zahlung von 300
Gulden und monatlich laufend 160 Gulden ſagte Widerholt dies zu, verſprach
auch gegen Einzelgebühr Schutzbriefe auszuſtellen oder Wachen zu ſtellen.
(Widerholts Schutzbriefe müſſen wohl Kraft gehabt haben; denn ſogar der
Kaiſer erbat ſolche!) Im Vertrage von Wildſtetten wurde die Höhe der monat⸗
900 Walter zur Ungnad
lichen Zahlungen aber auf 750 Gulden heraufgeſetzt, weil der franzöfiſche
General von Oyſonville — Widerholt ging damals mit der Krone Frank⸗
reichs zuſammen — ſich anders nicht zur Anterlaſſung von Beitreibungen in
dieſem Gebiet verſtehen wollte. Dieſe Forderung erwies ſich als zu hoch. Da
die kaiſerlichen und bayriſchen Truppen übel im Lande hauſten, kam der Adel
mit ſeinen Zahlungen bald in Rückſtand, und allmählich belief ſich ſeine Schuld
an Widerholt auf über 8000 Gulden. Widerholt erließ die Schuld bis auf
2000 Gulden und ſetzte die Monatszahlungen auf 160 Gulden herab! Er
konnte aber auch hart und rückſichtslos ſein, wenn es nötig war. 1644 fingen
die Bayern den Hohentwieler Keller Stockmeyer auf einer Dienſtreiſe ab und
ſetzten ihn feft, um Löſegeld zu erpreſſen. Widerholt aber zog mit 300 Muste-
tieren und 200 Dragonern aus, berannte Städte und Burgen mit beſtem Er-
folge, gab aber keinen Gefangenen mehr gegen Löſegeld heraus. Endlich holte
er den Prälaten Dominikus von Kloſter Weingarten auf den Hohentwiel.
Da wurden die Bayern weich; denn es wurde ihnen zu teuer! Der Prälat
hatte es gut auf dem Hohentwiel, aber ſeine Rechnung ſchwoll bedenklich an:
mit 15 431 Gulden löſte er ſich aus, nachdem die Bayern Stockmeyer, ſtatt
Löſegeld für ihn zu erhalten, mit 4000 Gulden heimgeſchickt hatten! Abrigens
waren die Löſegelder, die „Ranzionen“, die für Gefangene üblicherweiſe in
Höhe eines Monatsſoldes gezahlt wurden, eine gute Einnahme für den Hoben-
twiel, während Widerholt ſelbſt ſelten Gefangene verlor — ein gutes Zeichen
für den Geiſt ſeiner Truppe.
Dieſe Erfolge aber konnte Widerholt nicht ohne innere Widerſtände er⸗
reichen. Wir hörten ſchon von den Schwierigkeiten, die er gleich bei ſeinem
Dienſtantritt mit dem Keller hatte. Dieſem verdankte er es ſicher auch, daß
die herzogliche Kammer die Haltung berittener Mannſchaften — der auf-
geſetzten Dragoner — als unzuſtändig erklärte. Widerholt ließ fich dadurch
nicht beirren. Er ſchrieb kurzerhand zurück, die Dragoner würden nicht auf
Koſten herzoglicher Kammer erhalten. Er führte auch mehrfach Klage bei dem
Herzog darüber, daß der Keller ihm gar nicht an die Hand gehe und ihm nur
Schwierigkeiten mache. And als er endlich ſogar bemerkte, daß dieſer ihn beim
Herzog verleumdet hatte, da verlangte und erreichte er ſeine Ablöſung. And
mit dem neuen Keller iſt er dann ſehr gut ausgekommen. Sonſt hatte Wider⸗
holt aber wenig Anterſtützung von ſeinem Herzog. Wie geſagt, war der nach
Straßburg geflohen. And dort lebte er nicht ſchlecht. Er trieb allerhand Kurz⸗
weil auf Schießſtänden und Kegelbahnen und „löffelte gern mit den vor⸗
nehmen Damen“, die es in Straßburg gab wie Sand am Meer. Auch ſeine
Familie wurde immer zahlreicher — zuletzt hatte er anderthalb Dutzend
Kinder. Da blieb denn nicht viel übrig für ſeine Feſtung Hohentwiel! Dabei
war deren Beſatzung immer größer geworden, zeitweiſe waren es über 500
Mann, auch verbündete Truppen, insbeſondere Weimarer mit hohen Offi-
zieren, lagen auf Hohentwiel, ſo daß der Geldbedarf dort groß und größer
wurde. Wir hören, daß Soldzahlungen zeitweiſe bis zu 36 Monaten rück⸗
ſtändig wurden. Dennoch aber hielten die Leute bei Widerholt aus, ſo ſehr
fih die Oſterreicher und Bayern auch bemühten, fie wegzuwerben.
Der Geldmangel war nicht die einzige Schwierigkeit. Die Beſchaffung der
nötigen Verpflegung war ſchwer, insbeſondere war es kaum möglich, den
Mehlbedarf ſicherzuſtellen. Zwar war eine Windmühle auf der Burg, aber
ſie reichte nicht aus, war auch vielfach außer Betrieb. Die Waſſermühlen an
Conrad Widerholt 901
Der Ach aber, dem unter dem Hohentwiel fließenden Flüßchen, gehörten den
KS fterretchern, lieferten alfo nur in ruhiger Zeit, bei Belagerung der Feſtung
Konnte Widerholt auf fie nicht rechnen, und endlich wurden fie von den kaiſer⸗
Lichen Truppen auch ganz zerſtört. Handmühlen und Roßwerke gab es zwar
auf der Burg. Aber Widerholt brauchte jeden Mann und jedes Pferd für
Den Kampf. Re f wuchs durch die zum Betrieb der Hand- und Rop-
tnſihlen nötigen Menſchen und Pferde der Nahrungsmittel- und Gutterbedarf.
Da ließ Widerholt eine völlig neue „Wundermühle“ errichten, über die viel
8 worden iſt. Auf einer Handzeichnung Widerholts iſt ſie klar erkenn⸗
ar: auf einem maſſigen Turm, der alle Gebäude der Feſtung überragt, liegt
ein waagerechtes, vielflügeliges, ſehr großes Windrad. „Windmühl mit
17 Flügel“ iſt dazu von Widerholts Hand vermerkt. Ihre Konſtruktion hat
nicht viel Glauben gefunden, obwohl urkundlich nachgewieſen iſt, daß ſie in
12 Stunden 16 Scheffel mahlen konnte. Man hat angenommen, Widerholt
habe durch dieſe eigenartige Mühle den Wind aus allen Himmelsrichtungen
ausnutzen wollen, ohne die Mühle, wie es ſonſt nötig war, immer in den
Wind drehen zu müſſen. Das iſt wohl nicht richtig. Vielmehr dürfen wir
wohl annehmen, daß das liegende Windrad dazu beſtimmt war, die aufwärts.
gerichteten Luftſtrömungen auszunutzen, die ſich an dem ſteilen Bergkegel des
Hohentwiel bildeten — ein Gedanke, der uns in der Zeit der Segelfliegerei
durchaus geläufig iſt, zu damaliger Zeit aber wohl unerhört war und auch in
der Folgezeit kein Verſtändnis gefunden hat! Wir können hieraus entnehmen,
daß Widerholt weit über ſeine Zeit hinausgedacht hat. Auch ſonſt holte
Widerholt nach, was in den Jahren vor ihm verſäumt worden war. Er ſetzte
die Feſtungswerke inſtand und baute ſie aus. Insbeſondere ſicherte er den
Vorhof der Feſtung und verband ihn mit der oberen Burg durch ſichere
Werke. Zu erwähnen iſt auch, daß er eine große Kirche in der Burg errichtete
und mit allem Nötigen verſehen ließ. Zuletzt war dieſe Kirche die einzige der
ganzen Amgegend, die ihre Glocken über den Hegau erſchallen ließ; denn
Widerholt nahm allen anderen Kirchen die Glocken fort, wohl um zu ver⸗
hindern, daß ſeine Feinde ſich mittels der Glocken Zeichen gaben, wenn ſeine
Dragoner auszogen oder wenn er bei größeren Kampfhandlungen aus der
Burg ausfiel.
An großen Kampfhandlungen hat es nämlich nicht gefehlt. Immer wieder
verſuchte der Kaiſer, ſich in den Beſitz des Hohentwiel zu ſetzen oder doch deſſen
Beſatzung unſchädlich zu machen. Wir wollen nur einiges herausgreifen. Am
23. 6. 1639 wird der Hohentwiel unvermutet angegriffen, während Widerholt
mit einem Teil der Beſatzung im Lande unterwegs war. Sein Vertreter, ein
weimariſcher Oberftleutnant, hatte wohl nicht aufgepaßt, fo daß es den Kaifer-
lichen gelang, den ſtark befeſtigten Vorhof zu nehmen und damit die Feſtung
ſelbſt von der Außenwelt abzuſchneiden, auch den größten Teil ihrer Vorräte
zu erbeuten. Auf dieſe Nachricht hin kehrt Widerholt ſofort zurück. Eines
Nachts ſteigt er an der Spitze ſeiner Leute durch die Weinberge den Burghof
hinauf, als erſter iſt er auf der Mauer des Vorhofes, und es gelingt ihm, die
kaiſerliche rem hinauszuwerfen. Und dann fegt er den Kaiſerlichen durch
Ausfälle von der Burg aus fo zu, daß fie endlich die Belagerung abbrechen,
nachdem ſie 1500 Mann verloren haben, während die Beſatzung trotz der
Schlappe vom Vorhof im ganzen nur 20 Mann einbüßte! Schlimmer erging
es dem ſpaniſchen General Enriquez, der 1640 vor der Feſtung erfchien. 14 000
902 Walter zur Ungnad
Köpfe ſoll fein Heerzug gezählt haben, davon 7000 Soldaten, der Reft Weiber
und Troßleute. Die Zahlen mögen übertrieben ſein, es muß ſich aber um ein
für damalige Verhältniſſe ſehr ſtarkes Heer gehandelt haben. Im Vertrauen
auf ſeine vielfache Aberlegenheit war Enriquez zuerſt ſehr kühn. Als ihm aber
die Twieler Dragoner angefichts feines ganzen Heeres eine ſtarke Streife mit
einem Oberſtleutnant an der Spitze wegfingen, wurde er vorſichtig und brauchte
tagelang, ehe er die Feſtung eingeſchloſſen hatte. Wagenweiſe verſchoß er mit
ſeinem ſchweren Geſchütz Pulver, ohne auch nur bis auf Schußweite an die
Burg heranzukommen. Die Twieler aber fielen ein über das andere Mal
aus und brachten immer Gefangene auf die Burg, wiederholt werden gleich-
zeitig hundert bis zweihundert Mann auf einmal gefangen. Enriquez iſt auch
nicht in der Lage, genügend Lebensmittel für fein übergroßes Heer Heran-
zuſchaffen, und ſo laufen ihm die Soldaten abteilungsweiſe davon, zum Teil
gehen ſie geſchloſſen zu dem mit Widerholt verbündeten General Erlach über.
Nur 700 Mann ſoll Enriquez ins Winterquartier gebracht haben, als er die
Belagerung abbrach. Am 9. 10. 1641 erſchien dann der kaiſerliche Feldzeug⸗
meiſter von Sparr vor der Burg. 3000 Mann hatte er bei ſich. Er ging ſehr
planvoll vor. Nicht nur ſein Geſchütz brachte er auf eine Entfernung heran,
die Wirkung erhoffen ließ, er verſuchte ſogar wochenlang, einen Minenſtollen
in den Berg zu treiben, um die Burg zu ſprengen. Aber das half alles nichts.
2730 Kugeln, 176 Granaten, 90 Geuerballen, 41 Ernſtkugeln und 50 Stück
Feuerwerk ließ er abſchießen. Aber nur 47 Granaten, 25 Feuerballen und eine
Ernſtkugel fielen in die obere Burg. Widerholt hat höhniſch berichtet, durch
die ganze Kanonade „ſeyen nur zwey den Menſchen hoch nöthige Oerter zer-
ſtört worden“. Ganz ſo harmlos war es allerdings nicht; denn wir wiſſen,
daß die ſchon erwähnte alte hölzerne Bockmühle getroffen wurde und abbrannte,
während die Widerholtſche „Wundermühle“ nicht getroffen werden konnte.
Die Bergleute hatten mit dem Minierverſuch auch keinen Erfolg, was nach
unſerer heutigen Kenntnis vom Minenkrieg eigentlich ſelbſtverſtändlich iſt.
Schließlich konnte Sparr ſich auch nicht vor der Feſtung halten, und er hatte
es mit dem Abzug ſo eilig, daß er Geſchütze und Vorräte zurücklaſſen muß,
ja ſeine Leute werfen zum Teil ihr Gepäck fort, um nur ſchnell genug laufen
zu können. Widerholt aber kann mit dieſer Beute ſeine Magazine ſo auf⸗
füllen, daß er nach der Belagerung mehr Munition im Zeughaus hat als vor
deren Beginn. 22 Tote hatte die Beſatzung bei dieſer Belagerung verloren,
davon durch die heftige Beſchießung nur 5 Mann und eine Frau. Sparr aber
feste in Rechnung: an Sold 312000 Gulden, an Brot 65 000, an Pulver
25 000, an Granaten 6000, für die Bergknappen 4000 Gulden und ſo fort.
Zahllos find die Geſchichten von den Kunſtgriffen und Kriegsliſten, die
Widerholt zu Abwehr und Angriff verwandte und die uns an den neuzeit-
lichſten Pionierkrieg erinnern. Aber hierin liegt wohl nicht das Geheimnis
ſeines Erfolges. Viel wichtiger ſcheint es uns zu ſein, daß wir ihn immer in
vorderſter Linie ſehen, daß er immer die gefährlichſten Aufgaben für ſich be⸗
ſtimmt. Wie er als erſter durch die Weinberge die Mauern der Vorburg
erſteigt, ſo ſchraubt er ſelbſt die Petarde an das Tor einer belagerten Stadt,
um es zu ſprergen, fo ſchleicht er fih mit wenigen Getreuen in Orte ein, die
nur durch Aberrumpelung zu nehmen ſind, um dann ſeinen unvermutet anſtür⸗
menden Leuten von innen her mit Gewalt die Tore zu öffnen. Kurz, auf dem
Einſatz ſeiner Perſon bauen ſich ſeine Erfolge auf. Das menſchlich ſchönſte
Conrad Widerholt | 903
Beiſpiel dieſes perſönlichen Einſatzes gibt er uns im Jahre 1635. Das war
ein Notjahr ſchlimmſter Art mit Mißwachs und Seuchen. Trotz aller Vor⸗
ſichtsmaßregeln griff bie (Det auch in der Burg um fic. Gleich zu Anfang
erlagen ihr der Pfarrer und die beiden Feldſcherer, nach und nach alle Offi⸗
ziere und viele Soldaten. Da war Widerholt ſelbſt Arzt und Krankenpfleger,
Seelſorger und Leichenbeſchauer. And ſeine Frau ſtand ihm wacker darin zur
Seite. Wie durch ein Wunder blieben fie beide von der Krankheit verſchont,
der aber ihr Pflegekind, Widerholts verwaiſter Brudersſohn, erlag. Obwohl
aber die Seuche die Beſatzung furchtbar mitnahm, die Kaiſerlichen, die mit
1000 Mann vor der Feſtung lagen, hatten keinen Vorteil davon. Meiſt ver⸗
hielt fih Widerholt allerdings ruhig, als aber der Feind fih bis an den
Meyerhof heranarbeitete und dieſen von der Burg abzuſchneiden drohte, fiel
er mit 50 Mann und 12 Dragonern — mehr hatte er nicht mehr! — aus,
trieb die Kaiſerlichen zurück, warf ſie ſogar aus ihren eigenen Werken und
Schanzen heraus, zerſtörte dieſe und a das Zeltlager in Brand. Beute
und Gefangene nahm er mit auf die Burg.
Bei dieſer Gelegenheit lernen wir Widerholt auch als geſchickten Diplo⸗
maten kennen. Herzog Eberhard hatte ſchon damals, 1635, die Luſt am Kriege
verloren und hoffte, ſich durch Verhandlungen wieder in den Beſitz Württem⸗
bergs zu ſetzen. Den Vorſchlag, den Hohentwiel der neutralen Schweiz zu
übergeben mit dem Rechte jederzeitiger Wiederbeſetzung, hatte Widerholt
nn Er hatte es auch abgelehnt, der Erzherzogin Claudia, deren
Beſitzungen in der Schweiz lagen, fo daß fie „neutral“ war, die Burg zu
öffnen. Als aber für den Abzug der Belagerungstruppen nur noch die eine
Bedingung geſtellt wurde, die Beſatzung der Feſtung ſollte auf den Stand von
1627 herabgeſetzt werden, da ſagte Widerholt zu, und er ſchloß Waffen⸗
ſtillſtand bis auf „anderweitige Regelung“, obwohl der Herzog es unterſagt
hatte, um die Beſatzung nicht ſchwächen zu müſſen. Als nun aber die Ent-
laſſung der zuviel vorhandenen Mannſchaft verlangt wurde, ergab fih, daß
niemand zu entlaſſen war, weil die Seuche die Beſatzung längſt über das
genannte Maß hinaus herabgeſetzt hatte. Der Herzog verhandelte dann weiter
und willigte endlich ein, dem Kaifer den Hohentwiel zu übergeben gegen Rück⸗
gabe des Herzogtums Württemberg. Das aber lehnte Widerholt ab: er könne
es vor Gott und feinem Gewiſſen nicht verantworten, das ihm anbefohlene
Haus in kaiſerliche Hand kommen zu laſſen. Es ift übrigens zweifelhaft, ob
Herzog Eberhard den Befehl zur Abergabe ernſt gemeint hatte; denn er hatte
Widerholt warnen laſſen, ſich nicht durch gefälſchte Befehle täuſchen zu laſſen,
hatte auch angeordnet, daß Widerholt die Feſtung nur übergeben dürfe, wenn
er dieſen Befehl dreimal, vom Herzog Wort für Wort eigenhändig geſchrieben
und perſönlich geftegelt, erhalten folte. Nun hat der Herzog zwar mehrfach
und in aller Schärfe ſchriftlich und durch Beauftragte den Befehl zur Aber⸗
gabe an Widerholt geſchickt. Ob er es dreimal hintereinander in der erwähnten
eiſe getan hat, wiſſen wir nicht. Widerholt hat, wie ſeine Briefe ergeben,
nicht immer gewußt, ob der Herzog wirklich Gehorſam von ihm verlange oder
nur aus „diplomatiſchen Gründen“ die Abergabe befahl in der Hoffnung, ſein
Kommandant werde es doch nicht tun. Wahrſcheinlich hat es der Herzog zuletzt
ſelbſt nicht mehr gewußt; denn abgeſehen von allem anderen wiſſen wir, daß
fein Bruder in bayriſchem Dienſt an einer Belagerung der Feſtung teil-
genommen hat, zu deren Koſten Herzog EE ſelbſt 3000 Gulden zuſchoß,
904 Walter zur Ungnad
während er der Beſatzung feiner Feſtung unentwegt den Sold ſchuldig blieb.
Widerholt wußte alſo mindeſtens, daß er auf Fürſtentreue nicht zählen dürfe.
Er ließ ſich hierdurch aber ebenſowenig beeinfluſſen wie durch Drohungen
und Gewalt. And auch Verſprechungen blieben bei ihm erfolglos. So oft der
Kaiſer die Feſtung berennen ließ, jedesmal verſuchte er es mit Verſprechun⸗
gen, und ſo oft ein Belagerungsheer abziehen mußte, verſuchte man es zuletzt
noch einmal mit Verhandlungen. 30000 Gulden und mehr bot man Wider-
holt, dazu das Recht, alle ſeine Habe an einen feſten Ort nach ſeiner Wahl
fortzuſchaffen, Bezahlung aller aufgelaufenen Soldbeträge an ſeine Leute, die
wie er alle Beute behalten ſollten, Weiterverwendung und Beförderung im
herzoglichen oder kaiſerlichen Dienſt, Auszeichnungen und Ehren — Widerholt
wies jede Beſtechung zurück, und hierbei blieb er keineswegs der höfliche
Diplomat, vielmehr konnte er ſehr grob werden. So ſchickte er einem der hohen
8 deen ſolchen Brief kurzerhand in Fetzen zurück ohne ein Wort der
ntwort
Widerholt ftellte fih aber auch feinen Verbündeten gegenüber nicht anders.
Lange ging er mit Herzog Bernhard von Weimar zuſammen. Als nach deffen
Tode ſeine Truppen in franzöſiſchen Sold traten, hielt Widerholt ihnen die
Vertragstreue und kam ſo ſelbſt in nahe Beziehungen zu Frankreich. Er
wußte fie für fih und fein Ziel zu nutzen, aber er unterwarf fih König Lud-
wig nicht. Weder in der Beſetzung der Offiziers- und Beamtenſtellen noch
in der Organifation feiner Truppen richtete er ſich nach Wünſchen oder Be
fehlen von dritter Seite. And es iſt ein Beweis dafür, wie er eingeſchätzt
wurde, daß König Ludwig dieſen Angehorſam des Mannes, den er als
„Commandant pour mon service 4 Hohentwiel“ bezeichnete, nicht etwa
übelnahm, ſondern zur Beſeitigung der hierdurch entſtandenen Spannungen
zwiſchen Widerholt und den franzöſiſchen Generälen dieſem eine ſchwere gol-
dene Ehrenkette mit ſeinem Bilde ſchickte — für die Frau Kommandantin
brachte der kaiſerliche Geſandte Samt zu einem Kleide mit!
Widerholt tat, was er tat, um ſeiner Pflicht willen zur Erreichung des
Zieles, das er ſich geſetzt hatte: Land und Volk von Württemberg zu ſchützen
gegen die wirtſchaſtliche Bedrückung, gegen die geiſtige und ſeeliſche Knech⸗
tung, die ſeiner Anſicht nach ausging von Habsburg als dem Büttel des
Papſttums. So lauteten die Bedingungen, die er für die Einſtellung von
Feindſeligkeiten ſtellte, immer wieder: reſtloſe Wiederherſtellung Württem⸗
bergs bis auf den letzten Meyerhof, Abzug der Pfaffen und Herausgabe aller
Güter und Rechte, die ihnen, das heißt Kirchen und Klöſtern, gegeben waren.
And hiervon ließ er fih nichts abhandeln. Als daher die Griedensverhand-
lungen in Osnabrück und Münſter anfingen, verlangte der Kaiſer zwar zu⸗
nächſt Abtretung des Hohentwiel, dann wenigſtens Schleifung der Feſtung.
Als aber der Weſtfäliſche Friede zuſtande kam, ſtand nichts von alledem
darin. Der Kaiſer hatte einſehen müſſen, daß es damals keine Macht der
Welt gab, die einen Mann wie Widerholt auf dem Hohentwiel mit Gewalt
zwingen könne, etwas zu tun, wozu er ſich nicht überreden ließ. And über⸗
reden konnte ihn niemand, auch nur einen Finger breit von Ehre und Pflicht
abzuweichen. So erhielt Herzog Eberhard fein Land zurück und den Hohen⸗
twiel dazu. Auf dieſem aber blieb einſtweilen noch Conrad Widerholt. So⸗
lange nicht weit und breit die Heere entlaſſen, die Feſtungen auf Friedens⸗
ſtand gebracht waren, blieb er auf ſeinem Poſten. Ja, wir erleben es, daß er
Conrad Widerholt 905
in dieſer Zeit nicht nur von dem Biſchof von Konſtanz, fondern fogar von
ſeinem eigenen Landesherrn Kontributionen eintrieb, um die Beſatzung erhal⸗
ten zu können — aber er war nicht dazu zu bewegen, mit ſeinen Leuten für
den König von Frankreich in die inneren Kämpfe dieſes Landes einzugreifen:
bis zum letzten Augenblick blieb er ſich treu.
Am 10. Juli 1650 endlich konnte er ſein Kommando in die Hand des Her⸗
zogs zurücklegen. Sein Nachfolger wurde ſein Vetter Johann Georg von
Wiederholt, der ſchon jahrelang als ſtellvertretender Kommandant auf der
TFeſtung gewefen war. Conrad Widerholt behielt den Titel als Oberkom⸗
mandant auf Hohentwiel und übernahm das Amt als Obervogt in Kirchheim
unter Teck. Siebzehn Jahre lang hat er als ſolcher Arbeitskraft und Vermögen
ſelbſtlos zum Wiederaufbau des Landes eingeſetzt, und als er am 13. 6. 1667
ſiebzigjährig ſeiner Gattin in den Tod folgte, hinterließ er ſein Vermögen
den Armen und milden Stiftungen, ſo daß ſein Andenken als Menſch ſeinem
Rufe als Kriegsmann und Beamter in nichts nachſteht. |
Hundertfünfzig Jahre nach Conrad Widerholts Abzug vom Hohentwiel
erfüllte ſich das Geſchick ſeiner Feſtung: noch bei ſeinen Lebzeiten überalterte
die Beſatzung, und der alte Schlendrian riß wieder ein. Aber in Friedenszeit
konnten Kommandant und Oberkommandant ja nichts daran ändern. Als
dann im Jahre 1800 die Franzoſen unter Vandamm mitten im Frieden vor
der Zeitung erſchienen und die Abergabe unter Androhung von Beſchießung
und Sturm verlangten, ſah es dort ſo aus: die Werke nicht der Zeit gemäß
ausgebaut, ſondern baufällig. Der Kommandant 72, ſein Vertreter 57 Jahre
alt, die Leutnants hoch in den Sechzigern, mehr Frauen und Kinder auf der
Burg als Soldaten, unter dieſen aber Jungen von 13 Jahren und viele Greiſe
über ſechzig und fiebzig Jahre! Auf 27 Geſchütze kamen nur 10 Artilleriſten,
dafür waren aber auch nur zwei Kanonen in feuerbereitem Zuſtand — für ſie
fehlte es an Munition. Da brachte es keiner der Offiziere fertig, an Wider⸗
ſtand zu denken, kampflos konnten die Franzoſen einziehen, und im folgenden
Jahre ſchleiften fie die Feſtung, ehe fie abzogen. Was half es, daß dem Kom-
mandanten und ſeinem Vertreter darauf ſchimpflicher Prozeß gemacht wurde!
Gewiß, ſie hätten die Feſtung nicht übergeben dürfen, obwohl ſie ſie nicht
halten konnten, aber die wirklich Schuldigen waren doch die, die den Prozeß
befahlen, obwohl fie ſelbſt es unterlaſſen hatten, die Feſtung verteidigungs-
fähig zu erhalten! |
And fo feben wir: der feſte und unbeugſame Wille eines deutſchen Mannes,
der ohne Rüdficht auf fih ſelbſt für Volk und Vaterland tat, was ihm Ehre
und Gewiſſen geboten, hatte ſich gegen eine Welt, gegen Kaiſer und Papſt
ſiegreich behauptet, ein „wohlverwalteter und regierter“ Staat verſagte ſchmäh⸗
lich, weil kein Kopf da war, ſondern zu viele Köpfe neben⸗ und gegeneinander
regierten, wie es gerade der Augenblick und tauſend Rückſichten erforderten,
nur nicht zum Wohle des Volkes. And das mag ſich jeder vor Augen halten,
wenn er in einem von allen Seiten ſcheel angeſehenen und bedrohten Lande
einmal eine ſtarke Hand fühlen muß, die nicht nach dem Augenblick fragt,
ſondern nur ein Ziel kennt: Leben und Wachſen des Volkes zu ſichern über
Raum und Zeit hinaus!
Meyer tom Koldenhove:
Die freien hagen
als mittelalterliche Sieoͤler⸗Genoſſenſchaſten
Wenn wir in dieſem Aufſatze die ſogenannten „Freien Hagen“ als mittel⸗
alterliche Siedler⸗Genoſſenſchaften und Vorläufer der ſpäteren Städtegrün- `
dungen betrachten wollen, werden wir gut tun, vorher den Weg darzulegen,
auf dem wir auf fie aufmerkſam geworden find. Wir find von der Voraus-
ſetzung ausgegangen, daß die modernen Meßtiſchblätter und Generalſtabs⸗
karten ein überaus wertvolles Hilfsmittel der Geſchichtsforſchung fein wür⸗
den, wenn es gelingen ſollte, auf ihnen politiſche Gebilde nachzuweiſen, denen
eine gewiſſe Ewigkeit innegewohnt hat.
Solche Gebilde ſind in der Tat, wenigſtens in unſerem Anterſuchungs⸗
gebiete in Altſachſen, vorhanden. Die Stürme der Jahrhunderte ſind über
zahlloſe geſchichtliche Bildungen hinweggegangen und haben unzählige Grenzen
ſcheinbar verwiſcht. Sie haben aber das einfachſte Gebilde der meiſten geſchicht⸗
lich⸗politiſchen Organiſationsformen, nämlich die altſächſiſche Bauernſchaft,
niemals in ihrem Beſtande bedroht, ſoweit es ſich nicht gerade um Stadt⸗
bildungen handelt, in denen die Bauernſchaften, aus denen fie entſtanden find,
zwar nicht unmittelbar von dem Meßtiſchblatte abzuleſen, dem gefchulten
Auge aber faſt immer noch erkennbar ſind.
Die Bauernſchaften im altſächſiſchen Gebiete ſind alſo gewiſſermaßen in
der Geſchichte das, was die Atome in der Chemie bedeuten.
Die moderne Chemie hat uns nun gelehrt, daß unter gewiſſen Bedingungen
chemiſche Atome auch beſchädigt werden können. Auch die Bauernſchaften als
Atome geſchichtlicher Entſtehungen ſind im Laufe des letzten Jahrtauſends
mitunter angegriffen worden. Der Atomkern, die urſprüngliche Siedlung, die
der Bauernſchaft den Namen gegeben hat, iſt aber faſt immer unbeſchädigt
2 Mit Wüſtungen haben wir in unferem Anterſuchungsgebiete kaum
zu rechnen. :
Dieſe Atomkerne geſchichtlichen Werdens aber find für uns das Entſchei⸗
dende. Durch ihre Lage zueinander werden die alten Grenzen mit hinreichender
Sicherheit beſtimmt. Die heutigen ſcharfen Trennungslinien der Bauern-
ſchaften gegeneinander ſind aber in der vorchriſtlichen Zeit noch nicht vorhanden
geweſen. Zwiſchen ihnen lagen unbeſiedelte und ungerodete Leerräume: Nie⸗
mandsland. Alles Wald., Moor-, Sumpf-, Berg- und Anland gehörte dem
ganzen Volke.
Aus dieſem Niemandslande ſind im Laufe der Jahrhunderte biſchöfliche
und herrſchaftliche „Hagen“ oder „Sundern“ und ſpäter die Gutsbezirke der
Miniſterialen ausgeſchieden worden. Es iſt auch vorgekommen, daß eine
urſprünglich einheitliche in zwei oder drei verſchiedene Bauernſchaften out,
geteilt worden iſt. Man erkennt dann aber das Ganze meiſt aus ſeinen Teilen.
Die freien Hagen als mittelalterliche Siedler-Genossenschaften 907
Man könnte fie den Abſplitterungen alter Findlingsblöcke vergleichen: die
Bruchſtellen müſſen immer genau aneinanderpaſſen.
Wenn wir nun auf den modernen Mefßtiſchblättern die Grenzen der alten
Bauernſchaften aufſuchen und mit dem Farbſtifte deutlich machen, ſieht man,
daß Weſt⸗Sachſen mit einem lückenloſen Netze von Bauernſchaften bedeckt
iſt, die in ihrer Mehrzahl bereits in vorchriſtlicher Zeit vorhanden geweſen
find. Faft überall erkennt man heute noch die früher zwiſchen ihnen vorhanden
geweſenen Leerräume: die Markengründe, Moore, Sümpfe und Heiden. Sie
ſind mindeſtens als Flurbezeichnungen heute noch vorhanden. Die urſprüng⸗
lichen Siedlungen liegen faſt in allen altſächſiſchen Bauernſchaften mehr oder
weniger zentral.
Wenn man ein ſo entſtandenes Kartenbild geſchichtlich betrachtet, wird man
erkennen, daß im Laufe der letzten tauſend Jahre zwei verſchiedene Arten
geſchichtlicher Organiſationsformen in Sachſen entſtanden und wieder ver⸗
gangen ſind:
1. gebietsmäßig geſchloſſene Rechtsgebilde politiſcher oder wirtſchaftlicher
rt, deren kleinſte Einheit die Bauernſchaft bildete;
2. 8 nicht geſchloſſene, deren kleinſte Einheit der einzelne
of war. |
In die zweite Gruppe werden wir die bäuerlichen Hausgenoſſenſchaften (ont,
genoſſenſchaften), die herrſchaftlichen Villikationsverbände und die frithmittel-
alterlichen Herrſchaftsbezirke der Dynaſten zu rechnen haben (Streubeſitz).
Zur erſten Gruppe aber gehören die bäuerlichen Wirtſchaftsverbände der
Markgenoſſenſchaften und die herrſchaftlich⸗bäuerlichen Hagengenoſſenſchaften
(denen dieſe Anterſuchung gewidmet iſt) und die Städtebildungen.
Die weltlichen und geiſtlichen Landeshoheitsgebiete gehörten in unſerer
Gegend im Mittelalter urſprünglich mehr oder weniger zur zweiten Gruppe,
bildeten dann Miſchtypen und entwickelten ſich erſt im Laufe vieler Jahrhun⸗
derte zu gebietsmäßig geſchloſſenen Einheiten. (Dieſer Vorgang kommt erſt
durch die nationalſozialiſtiſche Geſetzgebung zum Abſchluß. Deutſchrechtliche
Bildungen.) |
Ganz reine Gebilde der erſten Art, d. h. gebietsmäßig geſchloſſene, waren
aber vom Anfang an die kirchlichen Verwaltungseinheiten der Pfarreien
Bistümer und Kirchenprovinzen, die von der fränkiſchen Reichsgewalt ger
ſchaffen worden ſind. (Bildungen römiſchen Rechts.)
Alle dieſe kirchlichen Gebilde hatten aber, genau wie die altſächſiſchen
Bauernſchaften, zur Zeit ihrer Gründung noch keine feſten Grenzen. Auch
zwiſchen den einzelnen Pfarreien, Bistümern und Kirchenprovinzen lag Nie⸗
mandsland. Sie bildeten aber dennoch in ſich geſchloſſene Gebiete inſofern,
als zwiſchen ihnen kaum Ausſchlüſſe oder Einſchlüſſe (Exklaven oder Enklaven)
vorhanden waren. Die ſeltenen ſcheinbaren Ausnahmen erklären ſich leicht
durch Miffions- und Rodungstätigkeit. Im ganzen betrachtet bildeten die
kirchlichen Organiſationen an fih geſchloſſene Gebiete (aber fie beſaßen Streu-
befig als Inhaber weltlicher Rechte).
Jede altſächſiſche Pfarrei iſt aus einer geſchloſſenen Maſſe altſächſiſcher
Bauernſchaften gebildet worden. Die Pfarrkirche mußte aber keineswegs
immer zentral liegen. Die erſten Kirchen entſtanden dort, wo bereits vor-
chriſtlich⸗altſächſiſche Heiligtümer waren. Die karolingiſchen Pfarreien find
im Laufe der Jahrhunderte wiederholt geteilt worden. Die heutigen Pfarr-
908 Meyer tom Koldenhove
grenzen find daher als Ausgangslinien für geſchichtliche Unterfuchungen nur
dort zu verwenden, wo zwei karolingiſche Pfarreien Grenzkirchen zweier Bis-
tümer, beſſer noch zweier Kirchenprovinzen geweſen ſind.
Als kirchliche Bildungen höherer Art haben wir dann die Diözeſen. Jede
von ihnen beſtand aus einer geſchloſſenen Gebietsmaſſe von Pfarreien. Die
Grenzen der Diözeſen haben ſich bis zur Reformation im allgemeinen nicht
verändert, wenn man von möglichen Verſchiebungen im Niemandslande ab-
ſieht. Streitigkeiten über Diözeſanangelegenheiten ſtrittiger Gebiete konnten
durch Verwaltungsbeſchluß des zuſtändigen Erzbiſchofs, notfalls durch den
Papſt, entſchieden werden. Es muß aber beachtet werden, daß Grenzſtreitig⸗
keiten unter den Viſchöfen einer und derſelben Kirchenprovinz während der
Kämpfe um die Landeshoheit vorgekommen ſind. Die Grenzen der Hochſtifter
decken ſich nicht immer mit denen der Diözefen.
Grenzſtreitigkeiten der oben bezeichneten Art ſcheinen aber, in unſerem Ge⸗
biete wenigſtens, zwiſchen den Erzbiſchöfen kaum vorgekommen zu ſein. Die
Grenzen zwiſchen den Kirchenprovinzen eignen ſich daher ganz beſonders gut
als Ausgangslinien für geſchichtliche Anterſuchungen.
Wenn wir nun mit Hilfe der Meßtiſchblätter und Generalſtabskarten die
Grenzen zwiſchen den Erzbistümern Mainz und Köln (das ſind gleichzeitig
die des Bistumes Paderborn gegenüber Osnabrück, Münſter und Minden)
feſtſtellen, werden wir damit gleichzeitig auch die Grenzen verſchiedener alt-
ſächſiſch⸗vorchriſtlicher Gaue abgeſchritten haben.
Wir haben bisher keinerlei Anzeichen dafür gefunden, daß die fränkiſche
Reichsgewalt bei der Bildung der Bistümer und Kirchenprovinzen die alt⸗
ſächſiſchen Gaue zerſtückelt und ihre Teile auf verſchiedene Diözeſen bzw.
Kirchenprovinzen verteilt hätte. Dieſe Frage iſt zwar im Schrifttume noch um⸗
ſtritten. Wir ſind aber der Meinung, daß eine Nachprüfung der bisher ange⸗
EH Gaugrenzen an Hand der Meßtiſchblätter unſere Anſicht beſtätigen
wird.
Das Wort „Gau“ deckt im Sprachgebrauche des Mittelalters mindeſtens
drei verſchiedene Begriffe. Es kann zunächſt den vorchriſtlichen und weiter den
karolingiſch⸗ottoniſchen Großgau bezeichnen. Ferner kann eine Summe folder
ls a gemeint fein. Das Wort bezeichnet dann eine Gebietseinheit, eine
rovinz.
Die altſächſiſchen Volksgaue [heinen als Großgaue zunächſt in den erften
beiden Jahrhunderten der chriſtlichen Zeit in Sachſen erhalten geblieben zu
ſein. Im 11. Jahrhundert aber begannen ſie zu zerfallen. Durch die Vita
Meinwerci iſt dieſer Zeitpunkt für unſere Gegend mit der Regierungszeit
Heinrichs II. genau beſtimmt. Die neu entſtandenen Antergaue wurden aber
in den Arkunden gleichfalls als Gaue 1 bezeichnet. Das Wort deckt alſo
die drei Begriffe: den (altſächſiſchen bzw. karolingiſch⸗ottoniſchen) Großgau,
den Obergau und den (nach⸗ottoniſchen) Antergau.
Nach den bisher gekennzeichneten Grundſätzen haben wir nun die Grenzen
des Erzbistumes Mainz gegenüber dem von Köln unterſucht, und zwar: von
der Lippe durch die Senne (d. h. das Quellgebiet der Lippe und Ems), über
den Osning, die Waſſerſcheiden zwiſchen Elfe- und Aagebiet verfolgend bis
zur Werre, dann die Waſſerſcheiden zwiſchen dem geſamten Werreflußgebiete
und den Zuflüſſen der Weſer, und ſchließlich das obere Flußgebiet der Emmer,
Pyrmont einſchließend, bis zur Weſer bei Polle.
Die freien Hagen als mittelalterliche Siedler-Genossenschaften 909
Die Länge der fo gefundenen Grenze beträgt etwa 160 km. Wenn auf fold
einer Strecke gewiſſe Beobachtungen regelmäßig wiederkehren, muß das nafür-
Lich die Aufmerkſamkeit des Beobachters erregen. Eine der auffallendſten Tat-
fachen ift aber, daß auf dieſer Grenze febr oft Bauernſchaftsnamen wieder-
kehren, die mit dem Worte „hagen“ zuſammengeſetzt find, wie: Hage und
Nordhagen (im Lande Delbrück), Blankenhagen (nördlich Gütersloh), Brod-
hagen und Steinhagen (ſüdweſtlich Brackwede), Rotenhagen (nördlich Werther),
Biſchofshagen, Neuenhagen und Hellershagen zwiſchen Löhne und Vlotho uſw.
Wenn wir nun aber nach den bisher gewonnenen Erkenntniſſen weiter im
Norden des bisher umgrenzten Gebietes die noch nicht beſtimmten ſüdöſtlichen
Grenzen des altſächfiſchen und karolingiſch⸗ottoniſchen Weißgaues (weiter
etwa 100 km) und dann die der aus ihm entſtandenen Antergaue: Aagau
(Serford), Aflon, Havergau, Limegau, Detmold und Schieder (Emmergau)
feſizulegen verſuchen, dann begegnen wir auch auf dieſen Grenzen überall
wieder den Namensbildungen mit der Endung „hagen“. Die Geſamtlänge
der fo gefundenen mutmaßlichen Grenzen beträgt mindeſtens 380 km.
Der Aagau iſt nun das Kerngebiet der Grafen von Ravensberg. Im Gebiete
von Herford waren die Grafen von Sternberg Vögte. Im Havergau, Aflon,
Teilen vom Limegau und Detmold ſaßen die Edelherren zur Lippe. Im öſt⸗
lichen Limegau (Begagebiete) und im Emmergau (Land Schieder) haben wir
die Kernlande der Grafen von Schwalenberg vor uns.
Die „Hagen“ finden wir aber immer dort, wo die Herrſchaftsgebiete an⸗
einander geſtoßen find. l
Wenn wir nun weiter auf der Karte (ohne uns auf Einzelftudien einzu-
laffen) im mittleren Weſergebiete die Ortsnamen mit der Endung „⸗hagen“
ermitteln, fiebt der kundige Blick ſofort, daß die Ortsnamensbildungen auf
„- hagen“ überall alte Territorialgrenzen bezeichnen. |
Beſonders auffallend ift das in der Grafſchaft Schaumburg; dann bei der
Herrſchaft Vlotho und der Grafſchaft Pyrmont (Petri Mons, eine Grenz⸗
feſtung der Erzbiſchöfe von Köln zur Sicherung ihres Herzogtumes Weſtfalen).
Dem Studium der Karte (ohne Hinzuziehung von Arkunden) können wir
folgendes entnehmen: |
1. daß den meiſten dieſer „Hagen“ ein feſter Siedlungskern fehlt, der die
vorchriſtlichen Bauernſchaften oft als Sippendörfer kennzeichnet (Gei,
{piel ſolcher Sippendörfer: Düt-ing-dorf = Dorf der Nachkommen des
Dudo; Lenz⸗ing⸗hauſen = die Häuſer der Nachkommen des Lengo);
2. die verſchiedenen „Hagen“ liegen einander zu beiden Seiten der mutmaß⸗
lichen Grenzen oft fo gegenüber, daß fie dadurch als Konkurrenzunter⸗
nehmen zweier verſchiedener Herren gekennzeichnet find (Beiſpiel: Kirch⸗
dorf Steinhagen in der Diözeſe Paderborn und Kirchdorf Brockhagen in
der Diözeſe Osnabrück. — Da beide Hagen ſpäter zum Landeshoheits-
gebiete der Grafen von Ravensberg gehörten, dürften fie älter fein als
die Territorialhoheit der Grafen von Ravensberg);
3. die „Hagen“ finden ſich ſelten an alten Heerſtraßen. Sie liegen zwar
an den Grenzen, aber in der „Wüſtenei“. Das kann Sumpfgebiet (Get,
ſpiel: die Delbrücker Hagen im Quellgebiete der Lippe) oder auch Stein-
wüſte fein (Steinhagen, am Nordrande der Senne). In den allermeiſten
Fällen aber ſind es Waldrodungen; l
910 Meyer tom Koldenhove
4. die einzelnen Herren haben fih teilweiſe faſt mit einem regelrechten
Kranze von „Hagen“ in ihren Grenzgebieten umgeben (Beiſpiel: die
fieben freien Hagen der Grafen von Ravensberg im Osning und die
gleichfalls fieben freien Hagen der Grafen von Schaumburg im Süntel);
5. durch die Namen find die „Hagen“ als Siedlungsunternehmungen der
Geiſtlichen (VBiſchofshagen, Propſthagen, Mauretaniſcher Hagen) oder
als ſolche der weltlichen Herren (Grävenhagen) gekennzeichnet, falls ſie
nicht durch Eigenſchaften der Zeit (Altenhagen, Neuenhagen) oder ſolche
des Ortes (Sandhagen, Berghagen) benannt worden ſind.
Das drängt den Schluß auf, daß die „Hagen“ von geiſtlichen bzw. weltlichen
Großen gegründet ſein müſſen, in einer Zeit, in der ſie ſich noch mehr auf ein
geſundes Bauerntum als auf Berufsſoldaten glaubten ſtützen zu müſſen. Zeit⸗
lich liegen ſie vor den eigentlichen Städtegründungen, als deren Vorläufer ſie
anzuſehen ſind.
Es gibt in unſerer Gegend zweifellos auch eine Anzahl von „Hagen“, die
im Anſchluſſe an Miniſterialenſitzen gegründet worden find. Unter dieſen gibt
es auch vereinzelte „Freie“ Hagen. Aber ſie ſind ſehr ſelten. Das legt den
Schluß nahe, daß die Hagenbildung im weſentlichen zur Zeit der Entſtehung
der Miniſterialenſitze abgeſchloſſen geweſen ſein muß. Das dürfte zeitlich auf
das 9. bis ſpäte 12. und frühe 13. Jahrhundert hinweiſen.
Es iſt ſchwierig, dieſes Ergebnis des Kartenſtudiums durch Arkunden nach⸗
zuprüfen. Die Hagenrechte ſcheinen bisher noch nicht geſammelt worden zu
i fein. Bei der ſtarken territorialen Zerriſſenheit unſeres Gebietes macht ihre
Auffindung in den Archiven naturgemäß große Schwierigkeiten. Das Recht
der „Sieben Freien Hagen in der Grafſchaft Schaumburg“ iſt in Jacob
Grimms Weistümern, Bd. III, S. 306 ff. gedruckt. Das der „Sieben Freien
Hagen der Grafſchaft Ravensberg“ vom Jahre 1541 findet ſich bei Wed⸗
dingen im Weſtf. Magazin, 6, S. 298, Bielefeld 1786. Hermann Adolf
Meinders gibt in ſeiner Diss. de Jurisdictione, Lemgo 1713, S. 113, hierzu
einige ältere Nachrichten. Aber die biſchöflich Paderborner Hagen im Lande
Delbrück bietet das Delbrücker Landrecht bei Wigand, Provinzialrechte, Leip-
zig 1832, II. S. 123, einige Rechtsſätze. Ein ſehr verderbtes Weistum des
Neuenhagen des Stiftes Sankt Mauritz bei Münſter iſt bei Weddigen i. a. O.
Bd. 6, Bielefeld 1796, S. 300, zu finden. Aber das ſchon recht verderbte Recht
des osnabrückiſchen Freien Hagens zu Gesmold (Miniſterialengut) bietet der
Cas Constitutionum Osnabruggensium, Osnabrück 1783, Bd. II, einige
usbeute.
Mit diefen etwas dürftigen Unterlagen mußten wir uns bisher begnügen.
Wenn wir nun die uns bekannten Hagen⸗Rechte zuſammenfaſſen, kommen
wir zu dem Ergebnis, daß wohl alle Hagen als mittelalterliche Siedlungs⸗
unternehmungen von Biſchöfen oder Grafen anzuſehen find.
Das ſagt der Art. 2 des Schaumburger Hagenrechtes: „Der erſte Pfahl in
den ſieben freien Hagen iſt auf unſeres gnädigen Herren Gnade (Veranlaſſung)
und auf die Sieben⸗Häger⸗Gerechtigkeit (d. h. nach freier vertraglicher Ber-
einbarung) eingeſchlagen worden.“
Art. 3 fährt fort: „Derjenige, welcher den erſten Pfahl in den ſieben freien
Hagen eingeſchlagen hat, war meines gnädigen Herren Antertan und ein Bauer
in den ſieben freien Hagen.“
Die freien Hagen als mittelalterliche Siedler-Genossenschaften 911
Das Hagenrecht beruht alfo auf einem Vertrag zwiſchen freien Bauern und
ihrem Herrn.
Es iſt uns ein Erbteilungsvertrag der Brüder Ludwig und Otto, Grafen
von Ravensberg, erhalten geblieben vom Jahre 1226. Er nennt die freien
Hagen nicht, obwohl fie vorhanden geweſen fein müſſen. Aber er enthält die
febr merkwürdige Beſtimmung, daß „alle diejenigen Frieſen, die in den Graf-
ſchaften des Grafen Ludwig wohnten, ihm zugehören, die übrigen aber unter
der Herrſchaft des Grafen Otto bleiben ſollten“. Man möchte das dahin deu-
ten, daß die freien Hagen der beiden Grafſchaften Ravensberg nördlich und
ſüdlich des Osning dem Grafen Ludwig, die der Burg Vlotho aber dem
Grafen Otto zugeteilt worden find. Die Arkunde nennt auch einen Ort Vryſen⸗
berg (Frieſenberg).
In einer zweiten Arkunde vom Jahre 1231 überläßt der Biſchof Wilbrand
von Atrecht ſeinem Schwager, dem Grafen Otto von Navensberg, diejenigen
Liten ſeiner Kirche, die ſich in Ottos Lande aufhalten, für die Zeit, in der ſie
dort wohnen ſollten. Möglicherweiſe find dieſe Liten mit den obengenannten
Frieſen identiſch.
Man kann alſo als möglich annehmen, daß halbfreie oder unfreie Siedler,
Holländer oder Frieſen, von den Grafen ins Land gerufen und als Vollfreie
in den Hagen angefiedelt worden find.
Die Anſiedlungsverträge bezweckten ſicherlich zunächſt, einen Grenzſchutz
durch die Siedler zu ſchaffen. Art. 4 des Schaumburger Hagenrechtes beſtimmt:
„Wenn unſer Herr verreiſet und nicht wieder ins Land kommen kann, ſo
muß man ihm fünf Meilen zu Fuß und zehn Meilen zu Pferde folgen, damit
man ihn wieder ins Land holen kann.“ And Art. 13 des Delbrücker Cand-
rechtes ſagt: „Wenn der Glockenſchlag währt und der Biſchof (von Paderborn)
im Felde liegen will, ſoll jeder Hausherr, dem das kundig wird, ihm nach
Macht (nach ſeinem Können) folgen.“ Wer das ohne Borſatz unterließ,
ſollte mit fünf Schillingen gebrüchtet (beſtraft) werden. Wer es aber mit
Vorſatz unterließ, ſollte nach der Gnade des Herrn und nach dem Landrechte
gebrüchtet werden. Der Vertrag zwiſchen dem Hagenherrn und den Hägern
ſchaffte ein höchſt eigenartiges Treueverhältnis, das man eine Art von Bluts⸗
brüderſchaft nennen könnte. Die fieben freien Hagen von Ravensberg bildeten
Einzelgenoſſenſchaften, die ſicherlich urſprünglich eine Art von Erbverbrüde⸗
rungen geweſen ſein müſſen. Aber den einzelnen Hagen ſtand aber ein Geſamt⸗
verband, eine Art von Spitzengenoſſenſchaft, die ihr Zentralgericht im „Hol⸗
tiſchen Bruche“ (Schloß Holte bei Stuckenbrock in der Senne) hatte. Dieſes
Gericht ſcheint im weſentlichen Nachlaßgericht geweſen zu ſein.
Der Nachlaß des Hägers verblieb zunächſt denjenigen Erbberechtigten, die
in ſeinem Hagen wohnten. Wenn dort keine Blutsverwandten waren, konnten
diejenigen, die in einem der ſechs anderen Hagen wohnten, das Erbe antreten,
ſobald der Landesherr ſeine Erbſchaftsſteuer (das zweitbeſte Stück Vieh) er-
hoben hatte. Wenn aber in ſämtlichen Hagen kein Blutsverwandter des Erb-
laſſers vorhanden war, galt der Fürſt als fein rechter Erbe. Das Erbe ging
alſo nicht aus den ſieben freien Hagen hinaus, d. h., wer nicht im Hagenrechte
war, konnte nicht erben.
Das führt uns auf die böchſt merkwürdige Erbverbrüderung, die dem deut;
ſchen Genoſſenſchaftsrechte im Mittelalter vielfach anhaftete.
Odal Heft 11, Jahrg. 4, Bg. 5
912 Meyer tom Koldenhove
Die Münſteriſchen Sankt⸗Pauls-Freien lebten mit dem Biſchofe in einem
beſonderen Treueverhältnis. (Ihr Recht iſt abgedruckt bei Sommer: Handbuch
bäuerlicher Rechtsverhältniffe, Hamm 1830, Bd. 2, S. 141.) Es waren auch
ſehr kleine Leute unter ihnen, z. B. Totengräber. Sie ſtanden untereinander
in einem Treue: und Schutzverhältnis, das ſtärker war als alle Blutsbande.
Dafür hat uns das Recht der Gankt-Pauls-Greien ein höchſt ſonderbares
Beiſpiel aufbewahrt: Locke Torwoſten (zur Wüſten) war geſtorben. Ihr Ehe-
gatte ſcheint zwar ein Freier geweſen zu fein. Er gehörte aber nicht zur Ge-
noſſenſchaft der Sankt⸗Pauls-⸗Freien. Daher konnte er feine Ehegattin nicht
beerben. Die Verſtorbene hatte aber eine Schweſter, die noch im Jahre 1400
lebte. Außerdem hatte ſie noch andere Verwandte. Aber keiner von denen
gehörte der Genoſſenſchaft an. Da hat der Albert Hagemann, der ein „Nagel⸗
mage“ der Verſtorbenen und außerdem ein Ganft-DPauls-Greier war, ihre
Erbſchaft angetreten.
Wir modernen Menſchen können uns den Begriff der „Nagelmagſchaft“
kaum noch deutlich machen. Nagelmagen hatten untereinander nur noch eine
Blutsgemeinſchaft von 0,75 vom Hundert und galten in vielen Rechten ſchon
nicht mehr als miteinander verwandt. Nach der Sechs ⸗Sippen⸗Lehre des
Sachſenſpiegels (Sfp. I, 3, § 3 u. Dſp. I, 6, § 1) bildeten die Nagelmagen
die ſogenannte ſiebente Sippe, d. h. fie hatten in der fiebenten Generation ein
Ahnenpaar gemeinſam. Die Lex Visigothorum IV, 1, 7 (MBH. Leg. I, 1)
nennt fie „persone septimi generis, que legibus non tenentur“.
Wenn wir nun nicht annehmen wollen, daß der Sachſenſpiegel und die
Lex Visigothorum auf der einen Seite und das Recht der Sankt⸗Pauls⸗
Freien auf der anderen Seite dem Worte „Nagelmagen“ zwei verſchiedene
Begriffe unterlegen, dann müſſen wir annehmen, daß die Mitgliedſchaft in
der Genoſſenſchaft der Gankt-Pauls-Greten diefe untereinander und mit ihrem
Biſchofe inniger verbunden hat, als die Ehegemeinſchaft Mann und Frau
einigte. Clauſula 9 des Rechtes der Gankt-Pauls-Greien beſtimmte ausdrück⸗
lich, daß der Biſchof erft nach dem Nagelmagen erbte. Aber ein Blutsver⸗
wandter oder Ehegatte, der nicht zur Genoſſenſchaft gehörte, konnte einen
Gankt-Pauls-Greien auch dann nicht beerben, wenn er ſelbſt frei war.
Der uns zur Verfügung ſtehende Raum verbietet eine eingehende Wür⸗
digung des Rechtes der freien Hagen, obwohl beſonders das von Schaumburg
außerordentlich altertümliche Rechtsüberlieferungen bewahrt hat.
Einer der intereſſanteſten Züge dieſes Rechtes ift der unbedingte Anſpruch
des Bauern auf einen Erben. Dieſes Recht ging allen anderen Rechten vor,
ſelbſt dann, wenn der Bauer zeugungsunfähig war. Dann durfte er (oder
mußte er gar) unter ſeinen Blutsverwandten einen Zeugungshelfer ſuchen.
Art. 32 beſtimmte: „Wenn ein Ehemann ſeiner Frau ihre Hege und Pflege
nicht tun könnte, daß ſie damit zufrieden wäre, derſelbe Ehemann ſoll ſeine
Frau auf den Rücken nehmen und tragen ſie über neun Erbzäune. So er ſie
darüber bringt, ſoll er ihr einen (Blutsfreund) kriegen, der ihr Hege und
Pflege tun kann, daß ſie damit zufrieden ſei.“
Wir wiſſen durch andere Weistümer, daß die Zeugungshelferſchaft unter
Verwandten durch Herkommen geregelt war. Ein ſo gezeugtes Kind galt als
ehelich und wurde Erbe des Hofes.
Das Recht auf Erben hat auch die Artikel 30 und 31 veranlaßt. Sie be⸗
ſtimmen: „Wenn ein Ehemann mit ſeiner Frau ſein Korn beſchauete und es
Die freien Hagen als mittelalterliche Siedler-Genossenschaften 913
käme ihm eine Luft an; falls dann einer mit einem Fuder Heues des Weges
gefahren käme; der ſolle den Hemmſchuh unterſetzen, bis ſolches vollendet ſei.
Wenn der Fuhrmann aber nicht ſolange warten könne, dann ſoll er ſo weit
darum hinfahren, als man ein weiß Pferd abſehen könne, damit ſolches nicht
verhindert würde. Wenn aber ein Schweinehirt darauf zutreiben wolle und
ſolches gewahr würde, der ſollte darum hintreiben ſo weit, als ein Reuter im
vollen Trabe eine halbe Stunde reiten könne. Und wenn ihm (dem Schweine⸗
hirten) ein Schwein entlaufe, (ſoll er) nicht eins (einmal) darnach umſehen,
damit ſolches nicht verhindert werde.“
Das Haus des Hägers war unverletzlich. Wenn er in ſeinem Hauſe einen
Hausfriedensbrecher erſchlagen haben ſollte, mußte er ein Loch unter der Tiir-
ſchwelle hindurchgraben und den Leichnam unter ihr hindurchziehen. Dann
mußte er den Haushahn ſchlachten und deſſen Kopf auf die Bruſt des Er⸗
ſchlagenen legen. Er konnte ihm auch einen Drei⸗Orden⸗Schilling als fym-
boliſchen Schadenerſatz für die Geſippen des Erſchlagenen auf die Bruſt legen.
Dann war er von jeder weiteren Verantwortung frei.
In der Bauernſchaft genoß der junge Bauer:
„Salz, Schmalz, Holz,
Waſſer in der Weiden,
Honig in der Heiden!“
Sein beſtes Recht war:
erſtlich, daß kein Zinskorn vom Lande gegeben wurde,
zum andern: kein Mai⸗Haferſchatz, Zehntfüllen, keine Kälber, Mal⸗
ſchweine oder Schafe,
zum dritten: daß Kinder und Erben frei waren, binnen oder außer
Landes ohne Freibrief ſich dahin zu verheiraten, wohin Gott ſie
berufen hat.
Wir verſagen es uns, weiter auf manche an ſich intereſſante Einzelheiten
des Schaumburger Hagenrechtes einzugehen. Es genügt uns, auf dieſe außer-
ordentlich alten Rechtsüberlieferungen hingewieſen zu haben.
Zuſammenfaſſend glauben wir alfo fagen zu dürfen, daß die Rechtsurkun⸗
den das Ergebnis des Kartenſtudiums beſtätigt haben: Die Hagen⸗Genoſſen⸗
ſchaften waren frühmittelalterliche Siedler⸗Genoſſenſchaften zum Schutze geift-
licher und weltlicher Grenzgebiete, fern von großen Heerſtraßen, und Vor⸗
läufer der Städtebildungen. An ihrer Spitze ſtand kein Villicus (kein Meier),
ſondern ein Hagenmeiſter, wie an der Spitze der ſpäteren Stadtverwaltungen
der Burgemeiſter geſtanden hat.
In der Geſchichte des Deutſchen Reiches haben die freien Hagen keine Rolle
geſpielt. Aber es ift wertvoll zu willen, daß in den Jahrhunderten der Oft-
koloniſation, der Römerfahrten und der Kreuzzüge ſelbſt in den am dichteſten
bevölkerten Gebieten, wie Ravensberg es ſicherlich geweſen ift, Menſchen⸗
mangel beſtanden zu haben ſcheint, und daß man anſcheinend auf landfremde
Siedler für die Innenkoloniſation zurückgreifen mußte.
5?
Adalbert Schoettl: |
Grundeigentum und Erbpacht
Eine Erinnerung an Chriſtian Pellet
In den Bücherſchränken oberbayeriſcher Landwirtſchaftsſchulen, wohl auch
in manchen Bauernhäuſern des Oberlandes, findet ſich da und dort noch ein
kleines, vergilbtes Heftchen mit dem Titel:
Grundeigentum und Erbpacht.
Vortrag
gehalten von Chriſtian Pellet, Okonom in Kempfenhauſen, gelegentlich einer
Verſammlung des 8 Vereins Starnberg
am uli 189
Iſt ſchon die Wahl des Vortragsgegenſtandes bemerkenswert, ſo iſt nicht
weniger bedeutſam, daß Pellet in einer Zeit, die vom Heiligtum des unum⸗
ſchränkten Eigentumsrechtes am Grund und Boden in Bann geſchlagen war,
den Bauern des Oberlandes mit eindringlicher Klarheit die letzten Arſachen
der immer ſtärker in Erſcheinung tretenden Verſchuldung und Notlage auf⸗
zeigte und zugleich als Mittel zur Abwendung dieſer Mißſtände und Gefab-
ten Gedanken vortrug, die auf eine völlige Abkehr von den bisherigen An-
ſchauungen über Eigentum am Grund und Boden hinausliefen. Es kann nicht
wundernehmen, daß diefe Gedanken und Vorſchläge bei der Geiſtesverfaſſung
jener Zeit auf eine Verwirklichung durch die Regierung oder durch den
Bauernſtand ſelbſt nicht rechnen konnten. Hat doch ſelbſt die Not des Krieges
und der Nachkriegsjahre eine darauf hinzielende Selbſtbeſinnung nicht aus⸗
zulöſen vermocht. Erſt nach einem von wenigen Männern ſiegreich vorgetra⸗
genen geiſtigen Ambruch, der in die Geſchichte des deutſchen Volkes eingehen
wird, konnte der Reichsminiſter und Reichsbauernführer Darré, der Schöpfer
des Reichserbhofgeſetzes, am 29. September 1933 dieſes große Bauerngeſetz
verkünden, in welchem der nationalſozialiſtiſche Geiſt ſeinen elementarſten
und zugleich mütterlichſten Ausdruck gefunden hat.
Wie weit nun die tragenden Gedanken des Pelletſchen Entwurfes ſich im
Reichserbhofgeſetz wiederfinden laſſen und wie weit ſie dort Blut und Leben
angenommen haben, ſoll nun darzulegen verſucht werden. Es mag hierbei, um
die Anterſchiede plaſtiſcher hervortreten zu laſſen, geſtattet ſein, Bilder aus der
Baukunſt, die ſich bei der vergleichenden Gegenüberſtellung der beiden Ge⸗
dankengebäude aufdrängen, zu verwenden.
Beim erſten Blick fällt auf, daß die beiden Architekten, ſowohl der Schöpfer
des Reichserbhofgeſetzes wie auch Pellet, für die Errichtung ihrer Gedanken⸗
gebäude einen die Amgebung überragenden Bauplatz ausgewählt haben. Beide
fordern für ihr Werk mit unbeirrbarer Feſtigkeit ein neues Fundament, d. h.
eine dem individuellen Wirtſchaftsgeiſt früherer Jahre gegenüber völlig anders-
geartete Einſtellung zum Grund und Boden. Als Weſensmerkmale dieſer neu⸗
+ EEE — ... i a ge
Grundeigentum und Erbpacht 915
zewonnenen Auffaſſung können wir erkennen: Der Eigentumsbegriff von
Zrund und Boden erfährt eine Lockerung aus römiſcher Amklammerung, und
in ſeine Stelle tritt die deutſchem Weſen arteigene, aber faſt ganz vergeſſene
Idee des Lehens. Da und dort Rückgabe des Grund und Bodens an eine
here Inſtanz. Pellet betrachtet Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde,
ils den alleinigen Eigentümer des geſamten Grund und Bodens, und indem
sr ſich anſchickt, ihn dem rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben, wird er
denen, die den Boden bebauen, als Erbpächter Gottes zur Nutznießung Ober,
laffen. Im Neichserbhofgeſetz tritt uns als Lehensherr das deutſche Volk in
ſeiner Geſamtheit und Anvergänglichkeit entgegen, das Grund und Boden
dem deutſchen Bauern zu treuen Händen übergibt. Mit dieſem ihm von der
Vorſehung zugewieſenen Geſchenk hat das deutſche Volk unveräußerliche
Sendung und heilige Verpflichtung übernommen. In Sendung rauſcht die
Melodie des Blutes auf, in Verpflichtung bettet ſich Heiligung des Bodens.
Sendung und Verpflichtung, Blut und Boden werden eine unlösbare Einheit.
Nur auf fo erhabenem und unzerſtörbarem Fundament konnte Darrés Bau
in die Höhe ſtreben, von dort aus fließt ihm unausgeſetzt Recht und Weihe
zu. Es ift nicht zufällig, daß im Wortlaut des Reichserbhofgeſetzes diefe Fun-
damentierung nicht beſonders in den Vordergrund tritt; denn das Geſetz ſelbſt
ſenkt ſeine Wurzeln ſo tief in dieſen neu aufgebrochenen Boden, holt ſich von
dort ſo ausſchließlich ſeine Lebenselemente, daß es, losgeriſſen vom Mutter⸗
boden, vertrocknen müßte.
Scabhen wir fo im Grundbau Geſtein mit gleichartigem Gefüge verarbeitet,
fo tritt uns nirgends mehr die weltanſchauliche Kluft, die Pellet und Darré
trennt, deutlicher vor Augen als dort, wo wir der Baugeſinnung nachſpüren,
mit der beide an ihr Werk gingen.
| Deutſchland hat um die Jahrhundertwende den Blick von feinem Boden
abgewandt. Sein politiſches und wirtſchaftliches Erſtarken, das Emporſteigen
ſeiner leiſtungsfähigen Induſtrie und fein weltumſpannender Handel verur-
ſachen eine Kräfteverlagerung und ſchlagen alle in Bann. Nicht fo Pellet, der
an den anmutigen und geruhſamen Afern des Starnberger Sees ſeinen Hof
bewirtſchaftet. Berge und Seeluft haben feine Augen klar und weitblidend
gemacht. Mit Sorge ſieht er die ſtändig wachſende Verſchuldung des land-
wirtſchaftlichen Grund und Bodens, nur zu oft die Not und Bedrängnis des
zu ſchwer belaſteten Anternehmers und gar nicht ſelten den wirtſchaftlichen
und fittlihen Niedergang alter Bauerngeſchlechter. Aber auch die Liebe zu
ſeinem deutſchen Vaterland läßt Pellet nicht ruhen. Er kennt die Bedeutung
eines wirtſchaftlich und ſittlich geſunden Bauernſtandes für das Wohlergehen
eines Staates, mehr als einmal ſteht in aller Eindringlichkeit vor ſeinem gei⸗
ftigen Auge die ſoziale Frage, die, nicht gelenkt, ihre erſten Schatten voraus⸗
wirft, und er erinnert ſeine Standesgenoſſen an die hieraus hervorbrechenden
Pflichten. And wenn Pellet den Satz niederſchreibt: „... fo aber müſſen wir
froh ſein, wenn das Ausland das Fehlende zuführt; denn wenn dies einmal
z. B. infolge eines Krieges nicht mehr geſchehen könnte, würde bei uns eine
Hungersnot, die wir Landwirte auf dem Gewiſſen hätten, wohl die unaus⸗
bleibliche Folge fein”, dann hat es den Anſchein, als ob in einem Geficht das
Heer der Frauen und Kinder an ihm vorbeigezogen wäre, das zwanzig Jahre
ſpäter der feindlichen Hungerblockade zum Opfer gefallen iſt. Die Sorge um
ſeinen Stand, die Sorge um ſein Land treibt ihn zum Zuſammentragen der
916 Adalbert Schoettl, Grundeigentum und Erbpacht
Steine für feinen Bau und läßt ibn den Baugrund fuchen und finden, worauf
er ihn ſtellen kann.
Auch Darré ſieht den Kampf der deutſchen Landwirtſchaft um ihr Daſein;
ja, ihm bieten ſich die Bilder der Serftörung und Anordnung, die Krieg und
Nachkriegszeit verurſacht haben, in noch grelleren Farben dar als Pellet. Aber
all dies wird für Darrés Tat weder Motiv noch Thema. Darré hat ein tiefes
Wiſſen um das Geheimnis des Blutes. Vielleicht zum letztenmal ſteht das
deutſche Volk vor der Wahl zwiſchen heldiſcher Erfüllung oder knechtiſchem
Untergang, zwiſchen blühendem Leben oder nichtswürdigem Tod. Die Geſetze
des Lebens und des Raumes laſſen für das deutſche Volk keine andere Mög⸗
lichkeit zu. Eine unabwälzbare Verantwortung ſetzt daher den Satz an die
Spitze des Reichserbhofgeſetzes: „Die Reichsregierung will unter Sicherung
alter deutſcher Erbſitte das Bauerntum als Blutquelle des deutſchen Volkes
erhalten.“ Dieſes „will“ iſt ein königliches Wollen, dem die Tat auf dem
Fuße folgt.
Es iſt notwendig, nunmehr noch einen Blick auf die Innenräume der beiden
Bauwerke zu tun. Pellets Haus bewohnt nur ein Gedanke, der der Erbpacht.
Da ſeinem Weſen nach der Begriff der Erbpacht ein Eigentumsrecht am
Grund und Boden und damit auch die Möglichkeit der Verpfändung aus⸗
ſchließt, ſo feſtigt ſich bei Pellet die Aberzeugung, daß mit der Beſeitigung
der Grundurſache aller bäuerlichen Verſchuldung und Not ſein Gedanke, in
geſetzliche Form gegoſſen, Kraft genug habe, um das Geſicht der deutſchen
Landwirtſchaft umzugeſtalten und zu erneuern.
Erinnern wir uns kurz zurück an das einzigartige Fundament, auf das das
Reichserbhofgeſetz geſtellt worden iſt, dann erkennen wir die innere Notwen⸗
digkeit, mit der die Gedanken und Forderungen, wie Anteilbarkeit, Unver-
äußerlichkeit und Anbelaſtbarkeit des Erbhofes, deutſches Bauerntum und
Ehrbarkeit, Erbfolge und Heimatzuflucht hervorbrechen und Geſtalt annehmen
mußten. Gleich Säulen ſtreben ſie empor, um das Gewölbe zu tragen, mit
dem ſch eine harmoniſche Einheit bilden. Im Innern traut, heimelig, mütter-
lich, ſchaut Darrés Burg den Außenſtehenden ernſt, ſtolz und trußig an.
Die Sorge hat Pellet den Erbpachtgedanken finden laſſen, die Liebe zum
Bauernſtand und zu ſeinem deutſchen Vaterland hat ihm Geſtalt gegeben.
Aber Pellets Gedankengebäude macht trotz der gottbezogenen Fundamentie⸗
rung einen etwas ärmlichen und nüchternen Eindruck; man vermißt viele der
wundervollen Säulen und Bogen, die Darrés Bau den Stempel künſtleriſcher
Beſchwingtheit und Vollendung aufdrücken. Pellet legt das ganze Gewicht
einzig und allein auf die Anbelaſtbarkeit des Grund und Bodens. Man wird
dabei der Befürchtung nicht Herr, daß dieſe Konſtruktion nicht allen Stürmen
der Zeit ſtandhalten möchte.
Gewiß, Pellets Baukunſt iſt nicht frei von Fehlern und Mängeln; allein
es wäre unbillig, wollte man das Geſicht der Zeit überſehen, in der fein Gebäude
entſtanden iſt. Was aber Pellets Geſtalt über ſeine Zeitgenoſſen hinaushebt,
was ihn als Vorkämpfer des großen Bauerngeſetzes erſcheinen läßt, das iſt
ſeine verpflichtende Einſtellung zum Volksvermögen am Grund und Boden,
das iſt weiter ſein kämpferiſcher Geiſt, der ſich durch Anverſtändnis ſo wenig
wie durch Vöswilligkeit beirren ließ.
Ihn, den Bauern von Kempfenhauſen, aus dem Dunkel der Vergeſſenheit
herauszuſtellen, war Aufgabe dieſer Zeilen.
Ludwig Herrmann:
Deutſchland und die Schweiz, es Bauernländer
Der ſchweizeriſche Bauernſekretär Profeſſor Dr. Ernſt Laur aus Brugg
at am 8. November 1935 in Zürich einen Vortrag über „Die Agrarpolitik
Deutſchlands verglichen mit der ſchweizeriſchen Bauernpolitik“ (Schweizeriſche
landwirtſchaftliche Monatshefte, XIII. Jahrgang 1935, Heft 12, Verlag Benteli
A.-G., Bern⸗Bümpliz) gehalten. Seit Jahrzehnten vergeht keine internationale
landwirtſchaftliche Konferenz, daß nicht Prof. Laur vor der Weltöffentlichkeit
die Bedeutung des Bauernſtandes für jedes einzelne Volk ebenſo klar und mutig
vertreten hätte, wie er in ſeinem eigenen Land in unermüdlichem ſcharfen
Kampf mit denjenigen Gruppen und Parteien liegt, die im Bauernſtand nur
ein unzeitgemäßes und rückſtändiges Inventar ſehen, deſſen Weitererhaltung
den Staat unnötigerweiſe viel Geld koſtet und das man am beſten aufgeben
verb: denn, wie Otto Korbach im „Berliner Tageblatt“ am 23.1.1924
rie
„Das Zeitalter der Weltlandwirtſchaft iſt angebrochen. Niemand wird
den europäiſchen Einzelbauern von den für ihn verheerenden Wirkungen
retten können.“
Wer die Verhältniſſe in der Schweiz näher kennt, weiß, daß dieſer dauernde
Mahnruf im Heimatland Prof. Laurs nicht ungehört geblieben iſt. Die vom
marxiſtiſchen und kommuniſtiſchen Zerſetzungsgut unverdorbenen Arbeiter,
Handwerker und Gewerbetreibenden find überzeugt, daß ein Aufgeben der
bäuerlichen Exiſtenzmöglichkeiten den Ruin der ganzen ſchweizeriſchen Wirt⸗
ſchaft bedeutet. Die eidgenöſſiſche Landwirtſchaft iſt mit der ſchweizeriſchen
Geſamtwirtſchaft ebenſo unlösbar verflochten, wie dies unſere deutſche Land⸗
wirtſchaft mit der unſerigen iſt. Auch noch ſo laut betonte Exportintereſſen
könnten im Ernſtfalle der Schweiz nicht einen Bruchteil des Schadens wieder⸗
geben, den fie bei Preisgabe ihrer VBauernexiſtenzen ſchon rein wirtſchaftlich
erleiden würde. Dieſer klaren Erkenntnis in weiteſten Volkskreiſen verdankt
die ſchweizeriſche Landwirtſchaft trotz allmählich immer mehr zunehmender
Gegenagitation eine namhafte Zahl weitgehender Schutzmaßnahmen, wie ſie
in den übrigen parlamentariſch geleiteten Staaten nicht anzutreffen ſind. Auch
die deutſche Landwirtſchaft der vorrevolutionären Epoche hat wohl nicht mip-
günſtig, aber doch oft mit hungrigem Blick ihre glücklicheren ſchweizeriſchen
Kameraden betrachtet. Zwei Dinge kamen allerdings dort zuſammen, um zu
einer Hilfe der Landwirtſchaft zu werden: ein gewiſſes Wohlwollen der Re-
gierung und der Reichtum der Schweiz. Je mehr jedoch in den letzten
Jahren mit den fiskaliſchen Mitteln geſpart werden mußte, deſto größer wur⸗
den jährlich auch die Widerſtände gegen die verhältnismäßig hohen Gub-
‘pentionen für die Landwirtſchaft.
918 Ludwig Herrmann
Die guten Erlöfe der ſchweizeriſchen Landwirtſchaft in den Kriegs⸗ und
Nachkriegsjahren haben die Grundſtückspreiſe außerordentlich in die Höhe
getrieben. Es wurden für Bauernhöfe nicht felten 4—5000 Franken je Mor-
gen bezahlt und von den Banken auch entſprechend hohe Darlehen gegeben.
Das ijt der Grund dafür, daß insbeſondere in dieſer Zeit übernommene Land-
wirtſchaften unter den heutigen Preisverhältniſſen beſonders zu leiden haben
und rettungslos ſamt ihren Gläubigern verloren find, wenn die
Preisinſelpolitik in der Schweiz nicht weiter aufrechterhalten wird.
Niemand ſage uns daher, daß es dem Schweizer Bauern deshalb beſſer als
dem deutſchen gehe, weil der Weizen dort 14 RM. und bei uns nur 10 RM.
je 50 kg und das Pfund beſte Butter ab Molkerei dort 1,65 RM., bei uns
aber nur 1,30 RM. koſte. Es kommt auf die Relation der Preiſe unter-
einander an. Gemeſſen an dem bekanntlich febr hohen Lebenshaltungsinder
oder dem Index der induſtriellen Fertigwaren find die ſchweizeriſchen Preiſe
für landwirtſchaftliche Erzeugniſſe ebenfalls ſtark gedrückt, wenn ſie auch den
kataſtrophalen Verfall der Agrarpreiſe in den meiſten anderen Ländern und
auch in Deutſchland in der Seit vor der Machtübernahme nicht mitmachten.
Man kann die ſchweizeriſchen Maßnahmen zum Schutze
der Landwirtſchaft im Grundſätzlichen weit eher mit den
deutſchen Maßnahmen vor der Machtübernahme verglei-
chen als mit den heutigen und kommt dann auch erſt zu der
bei ſolchen Vorausſetzungen verdienten Würdigung. Die
damaligen deutſchen Roggen- und Weizenſtützungsmaßnahmen find abſolut
vergleichbar, wenn im Ergebnis auch unglücklicher, mit der ſchweizeriſchen
Viehpreisſtützung, die zu einem gewiſſen Preis alles Vieh, welches
ſonſt keinen Käufer findet, aus dem Markt herauskauft und mit öffentlichen
oder anderen Mitteln die gekauften Mengen notfalls mit Verluſt exportiert.
Die ſchweizeriſchen Maßnahmen auf dem Gebiet der Milchwirtſchaft
haben durchaus die gleichen Anſatzſtellen, wie fie im deutſchen Reichsmilch⸗
geſetz aus dem Jahre 1930 vorgeſehen ſind. Man darf oft drohen, aber nicht
treffen. Bei uns gab es vor der Machtübernahme auch noch „Wilde“ in der
4 die auch heute noch ein Schrecken der eidgenöſſiſchen Milch⸗
eute ſind. |
Die ſchweizeriſche Löſung des Agrar- und insbeſondere Bauernproblems
mußte jedoch bisher in einem, wenn auch unter den gegebenen Verhältniſſen
oft gut gelungenen Herumkurieren an Einzelſymptomen ſtecken bleiben. Dieſe
Feſtſtellung muß gemacht werden, ohne irgendwie das Verdienſt der Führung
der ſchweizeriſchen Bauernſchaft ſelbſt ſchmälern zu wollen. Sie kann nichts
dafür. Von Regierung und Volk wird das a nicht einſtimmig und rückhalt⸗
los klar genug ausgeſprochen und anerkannt. Bei b fängt man dann in ſchwie⸗
rigen Fällen ſchon zu ſtottern an, und bei einem kümmerlichen e ijt das Alpha-
bet zu Ende. Man anerkennt wohl die Bedeutung der Land-
wirtſchaft, je größere Opfer aber dieſe Anerkennung im
liberal-freihändleriſchen Sinne erfordert, deſto mehr
geht man zur „Sowohl- alsauch“ Politik über. Es kommt zu
einem klaſſenſtaatlichen Auskämpfen und Aushandeln, und die Wirkungen find
dann ebenſo halb wie die Maßnahmen: man nimmt gern billiges Getreide
vom Weltmarkt und vermiſcht es preislich mit teurem Inlandsweizen, ſo daß
der Brotpreis ein Mittelding zwiſchen Weltmarkt. und Binnenpreis bor,
Deutschland und die Schweiz, zwei Bauernländer 919
ſtellt. Je mehr Inlandsgetreide erzeugt und zugemiſ cht wird, deſto teurer wird
Das Brot für den Arbeiter. So würde ſich in der Schweiz eine Erzeugungs⸗
ſchlacht primär preisſteigernd auswirken müſſen. — Die aus dem Ausland
kommenden Futtermittel werden mit Zöllen belegt, die dazu verwendet
werden, die Vieh- und andere Preiſe hochzuhalten. Eine Droſſelung der Fut-
termitteleinfuhr tritt dadurch nicht ein, da ſich durch dieſe Manipulation die
Ausgaben und Einnahmen nur auf einer höheren Preisſtufe treffen. — Mhn-
Lich wie bei der Brotpreisbildung ift es auch bei anderen Erzeugniſſen, bet,
ſpielsweiſe den Eiern: Die Importeure der billigen Auslandseier müſſen
von den Cierverwertungsgenoſſenſchaften die überſchüſſigen Inlandseier zu
einem gewiſſen Preis übernehmen. Durch die preisliche Miſchung von Jn-
Lands- und Auslandseiern entſteht ein Mittelpreis als Konzeſſion an den
Verbraucher. Mehrerzeugung bedeutet auch hier Verbraucherpreiserhöhung
oder ſtaatliche Verbilligung aus anderen Mitteln.
Das ift der Anterſchied zwiſchen der en und der jetzigen deutſchen
Agrarpolitik: Die ganze deutſche Lebenshaltung und ihre
Koſten bauen ſich auf der Erzeugung der eigenen Scholle
als einzig zuverläſſigen Garanten auf. Sie ſucht die
Eigenerzeugung nach Kräften zu ſteigern. Die ſchweize⸗
riſche Verbraucherſchaft würde am liebſten ihre Lebens
baltungskoſten, auf Weltmarkthöhe herunterdrücken, glaubt
jedoch, an die eigene Landwirtſchaft gewiſſe Konzeſſionen
machen zu müſſen, um die bei ihrem Ruin unvermeidlichen
Kriſen in der übrigen Wirtſchaft zu vermeiden. Die Erzeu⸗
gu ungshöhe fol eben fo gehalten werden, daß die Landwirtſchaft beſtehen an.
n einer Ausdehnung der Eigenerzeugung Oe man wegen der damit verbun-
denen Verteuerungen nicht intereſſiert. — Hier alfo eine rein poli-
tiſche Forderung — dort eine kalkulatoriſche Aberlegung.
Hier Schutz von Blut und Boden — dort Erhaltung eines
Zinſenzahlers und Käufers auf dem Binnenmarkt. Hier
Lebensquell des Volkes — dort vielfach unbequemer, aber
aus wirtſchaftlichen Erwägungen heraus doch mitge-
ſchleppter Volksteil! Hier Totalität der Maßnahmen —
dort erpreßte Zugeſtändniſſe!
Prof. Laur ſtellt feſt, daß die Anerkennung des Grundſatzes, daß das Schick.
ſal eines Volkes von der Erhaltung des Bauernſtandes abhänge, in der
Schweiz noch ſehr umkämpft ſei, daß dieſe Frage in Deutſchland aber nicht
mehr diskutiert werde (Seite 28). Mit dieſer Feſtſtellung iſt aber auch der
Anterſchied zwiſchen der ſchweizeriſchen und der deutſchen Agrarpolitik zur
* gekennzeichnet.
Es iſt Aufgabe dieſer Darlegung, mehr die grundſätzlichen Abereinſtimmun⸗
gen und Abweichungen zwiſchen der ſchweizeriſchen und der deutſchen Agrar⸗
politik zu kennzeichnen, als auf fachliche Einzelheiten der beiderſeitigen Maß⸗
nahmen ſelbſt einzugehen. Nur am Rande fet erwähnt, daß für Getreide bei
uns nicht „Minimalpreiſe“ (Seite 18 des Separatabdrucks), ſondern Feſt⸗
preiſe gelten, ferner daß von ſeiten der Hauptvereinigung der deutſchen Ge⸗
treidewirtſchaft nicht eine „Kontingentierung der Getreidefläche“ (Seite 19),
ſondern nur ein Ablieferungsrecht und eine Ablieferungspflicht in beſtimmter
Höhe feſtgeſetzt werden kann. — Weiterhin beſteht in Deutſchland zwiſchen
920 I. Herrmann, Deutschland u. die Schweiz, zwei Bauernländer
der Weizen- und Roggenerzeugung und den Blkuchenzöllen kein Zuſammen⸗
hang. — Die nationalſozialiſtiſche Forderung, daß das rückſichtsloſe Gewinn⸗
ſtreben in der Volkswirtſchaft nicht der Motor aller Leiſtung ſein darf und
die Ausdruck fand in der Parole „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“, hat von
Prof. Laur eine Auslegung dahin gefunden (Seite 11—14), als ob ſich der
deutſche Bauer um eine geſundes Verhältnis zwiſchen ſeinen Einnahmen und
ſeinen Ausgaben überhaupt nicht mehr kümmern ſolle. Dem iſt natürlich nicht
ſo. Ein auskömmlicher „gerechter“ Lohn iſt für die bäuerliche Erzeugung
ebenſo Vorausſetzung wie für jede andere volkswirtſchaftlich wertvolle Leiſtung.
Der deutſche Bauer braucht jedoch nicht mehr Kurszettel, Börſenblätter und
Meinungen von Konjunkturinſtituten für ſeinen Anbauplan zu Rate zu ziehen,
ſondern ſoll und kann das anbauen, was auf ſeinem Hof am beſten gedeiht.
Der Reichsnährſtand mit ſeinen Marktverbänden hat dafür geſorgt, daß die
verſchiedenen landwirtſchaftlichen Preiſe im richtigen Verhältnis zueinander
ſtehen. Der deutſche Bauer bleibt alſo Anternehmer, der ſich allerdings nicht
mehr mit Hauſſen und Baiſſen herumzuquälen hat, ſondern ſein ganzes Können
der Erzeugung ſelbſt zuwenden kann.
Seit einer Reihe von Monaten zeigten in Deutſchland die Preiſe für ver⸗
ſchiedene Nahrungsmittel infolge zeitweiliger Verknappung die Tendenz zum
Steigen. And hier erſt haben ſich die Maßnahmen des Reichsnährſtandes in
ibrer Doppelſeitigkeit bewähren können. Die Preiſe ſind nicht geſtiegen, und
die Verteilung der zeitweilig knappen Lebensmittel ging ſo vor ſich, daß der
Arme ebenſo wie der Reiche ſeinen Anteil erhielt. Vorausſetzung für dieſes
Funktionieren war allerdings das autoritäre nationalſozialiſtiſche Regime.
Ich bin überzeugt, daß Prof. Laur die in ſeinem Vortrag — Seite 29 —
geäußerten Befürchtungen für einen ſolchen Fall, durch Tatſachen widerlegt,
heute gern als Irrtum erkennt.
Es iſt immer ſchwer, Maßnahmen in einem Lande mit denen in einem
anderen in direkten Vergleich zu ſetzen, beſonders aber dann, wenn dieſe Maß⸗
nahmen aus zwei völlig verſchiedenen Weltanſchauungen heraus geboren
werden. Wir kennen Prof. Laur als einen eifrigen und objektiven Erforſcher
des nationalſozialiſtiſchen Deutſchland und nehmen ihm gar nicht übel, wenn
er feſtſtellt, daß dieſe und jene Einſtellung und Maßnahme nicht für die Schweiz
an wäre. Wir haben beiſpielsweiſe volles Verſtändnis dafür, daß die
Schweiz die Raſſenfrage nicht im deutſchen Sinne beantworten könnte.
Einer unſerer größten Dichter hat fih durch den „Tell“ ein ewiges Denkmal
in der Eidgenoſſenſchaft geſetzt. Er hat den Freiheitsbegriff der Bauern am
Vierwaldſtätter See als dem deutſchen Empfinden entſprechend begeiſtert be⸗
ſungen, und wir alle haben als Kinder ſchon im Tell die Verkörperung eines
Freiheitsideals geſehen. And nun: Sind die Schweizer Bauern von heute ſo
„frei, wie ihre Väter waren“, oder find fie aus der Hand der Land-
vögte in die der Kapitalvögte gekommen, find fie von Fronknechten zu Zing-
knechten geworden? Dann wird es nach unſeren Erfahrungen allerdings ſchwer
fein, auf dem Boden der modernen europäiſchen Demokratie Bauernehre und
Bauernfreiheit auszufechten, fo wie es dereinſt auf dem Nittli geſchah. Doch
dieſe Fragen ſind nicht von uns zu beantworten. Anſere frühere Demokratie
hat den deutſchen Bauern jedenfalls täglich tiefer in ſein Anglück verfinken
laſſen, und erſt der Nationalſozialismus hat ihn wieder frei gemacht, frei von
Börſe und Weltmarkt, von Zinswucher und Gerichtsvollziehern!
Das Archiv
921
Wir ſchätzen im übrigen Kritiker von der Art Prof. Laurs und bitten,
ebenſo unſere Betrachtungen über die ſchweizeriſchen Verhältniſſe aufzuneh⸗
men. Solche Ausſprachen lehren uns andere Staaten und Völker beſſer kennen
und vermitteln damit Verſtändnis, Achtung und Vertrauen im Gegenſatz zu
jener Kategorie von Journaliſten, die deſto mehr Anſinn und Lügen ſchreiben
können, mit je weniger wirklicher Kenntnis ſie vorbelaſtet ſind.
Das Archiv
Moderne Agrarpolitik
Schwein:
Schweizeriſche Landw. Monatshefte:
Deutſchland hat auf dem Gebiete der
Agrarpolitik wohl die weitgehendſten
Maßnahmen zum Schutze des Bau⸗
erntums getroffen, die die Land⸗
wirtſchaft zur Zeit kennt.
In Obereinftimmung mit der national ſozia⸗
liſtiſchen Ideologie, die den Gemeinnutz vor
Eigennutz und das höhere Intereſſe des Staates,
der Nation, jedem privatwirtſchaftlichen Nutzen
voranſtellt, ... it dem Bauerntum eine ein ⸗
zigartige, aber auch verantwortungsvolle
Stellung im politiſchen und wirtſchaftlichen
Leben eingeräumt worden: Das Primat der
Landwirtſchaft. In Würdigung der Be⸗
deutung des Bauernſtandes ſind ihm in der
Volksgemeinſchaft des nationalſozialiſtiſchen
Staates drei große Aufgaben zugewieſen:
„Blutsquell der Nation, unerſchütterlicher Ga-
rant des Staatsweſens und Träger der Nah⸗
rungsfreiheit zu fein...
Liidenlos ift hier (im Reichsnährſtand)
eine ſachliche und perſönliche Bindung geſchaffen,
die trotz ihres Umfanges ein bemerkenswertes
Maß von Elaſtizität und Willen in
ſich trägt.
Auch handelspolitiſch geht die Politik
der deutſchen Regierung unter Mitwir-
kung des Reichs nährſtandes neue
Wege, indem ſie den Zuſchußbedarf genau feſt⸗
ſtellt und gewiſſe Preisnormierungen der Import⸗
produkte vornimmt, die die deutſchen Erzeuger⸗
preiſe nicht gefährden.
Die Agrarpolitik Italiens und
Deutſchlands ſtellt in der Welt etwas
durchaus Neuartiges dar, nämlich die
machtvolle Auseinanderſetzung einer wahrhaft
bäuerlichen, ſchollenverbundenen Geſin nung
mit dem rein egoiſtiſchen privatkapitaliſtiſchen
Rationalismus und Materialismus, welche die
ausklingende Phaſe der wirtſchaftsliberalen
Epoche kennzeichnet. Beide Staaten haben aus
den wirtſchaftlichen und weltanſchaulichen Er⸗
kenntniſſen auch die ihren beſonderen Verhält⸗
niſſen angepaßten politiſchen Konſe⸗
quenzen gezogen. |
Eines Geht feft: der Landwirtſchaft wird
ſtaatspolitiſch und wirtſchaftlich eine ganz
andere Wertung zuteil, als das in der
liberalen Epoche der Fall war. Bei aller kriti⸗
ſchen Einſtellung und bei Würdigung der berech⸗
tigten Vorbehalte darf kein ernſthafter
Agrarpolitiker ohne wohlwol⸗
lende Beurteilung oder gar achtlos an
den neuartigen ſtrukturellen Grundformen dieſer
Nationalwirtſchaften vorübergehen, welche kaum
auf die beiden Länder beſchränkt bleiben dürften.
Schweizer. Landw. Monatshefte:
„Die Agrarpolitik Deutſchlands,
verglichen mit der ſchweizeriſchen
Bauern politik.“ Vortrag, gehalten von
Prof. Dr. E. Laur in der Geſellſchaft ſchwei⸗
zeriſcher Landwirte in Zürich. .
. . . Die deutſche Wirtſchaftspolitik it no ch
ausgeſprochener als die italie⸗
niſche zur Bauernpolitik geworden.
.. . Das Wort „Bauer“ ift in Deutſchland zum
Ehrentitel geworden.
. . . In den meiften Fällen (des Erbhofgeſetzes)
iſt es auch für die Geſchwiſter wichtiger, daß
ſie eine richtige Ausbildung und Erziehung be⸗
kommen, als daß man ihnen ein paar tauſend
Franken Kapital bei der Erbteilung auszahlt.
Sind einmal die Höfe ſchulden⸗
frei, dann ſpart der Bauer nicht nur
für den künftigen Nachfolger, ſondern auch für
922
die Miterben. Damit verſchwindet zum großen
Teil die Zurückſetzung der Geſchwiſter.
.. . Das Geſetz kann für die Erhaltung des
Bauernſtandes von höchſter Bedeutung
werden.
Deutſchland den beſten und den geſichert⸗
fen Bauer nſtand der Welt haben, und
dieſer Bauernſtand wird dann auch die Quelle
von Erſparniſſen und Vermögen, aber auch von
geſunden Menſchen für die anderen Berufe und
Volksteile werden l
.Wir teilen die Auffaffung des National⸗
ſozialismus, daß ein Volk feinen Bauernſtand
bewahren muß, es lofte, was es wolle.
In der Demokratie wäre eine ſolche
Löſung, wie ſie der deutſche Mationalſozialismus
getroffen hat, unerreichbar
.. . Die Deutſchen haben es hier
beſſer. Viele wichtige und gute Maßnahmen
der deutſchen Agrarpolitik wären dort ohne ſtaat⸗
liche Autorität und ohne ſtaatlichen Schutz un⸗
durchführbar geweſen. Ich denke insbeſondere an
das Erbbofrecht und die Getreide ⸗
regulierung.
.. Welch tiefgrei fender Unters
ſchied beſteht doch zwiſchen dem ruſſiſchen Bol⸗
ſchewismus einerfeits und dem deutſchen
Faſchismus andererſeits in bezug auf die Land-
wirtſchaft. Rußland hat alles getan, um die
ſelbſtändigen Bauern zu vernichten. In
Deutſchland iſt der ſelbſtändige Bauer die Grund⸗
lage des Staates geworden. Der Bauer
bleibt freier Herr auf eigenem Grund und Bo
den. ... Wie Pé der Bauer immer nach dem
Wetter richten muß, ſo hat er ſich auch hier nach
den ſtaatlichen Vorſchriften einzuſtellen. Im
übrigen aber iſt er frei in ſeiner Wirt⸗
ſchaft.
Oſterreich:
Wiener Zeitung: |
Hofrat Sturm, der verdienſtvolle
Organiſator des niederöſterreichiſchen Bau-
ernbundes und damit einer der beſten Kenner
landwirtſchaftlicher Probleme, bemerkt in einer
Artikelreihe über „Die Landwirtſchaft
des Deutſchen Reiches“: Den
Bemühungen und Anftrengungen
eee
des Reihsnährftandes it es foon
in verhältnismäßig kurzer Beit
gelungen, die Agrarmärkte fo zu organi-
ſieren, daß die Preisbildung für die Erzeugniſſe
der deutſchen Landwirtſchaft auf eine völlig neue
Grundlage geſtellt werden konnte.
. . . Nach der Entſchuldung aber wird
a
Das Archiv
Ungarn:
ui Magvarſag, die ungariſche, regierungs⸗
freundliche Tageszeitung, bringt folgenden Artikel
vom ungariſchen Parlamentsabgeord
neten Megay⸗ Meißner:
. . . Eine ihrer wichtigen Aufgaben beſteht in
der Zuſammenfaſſung famtlider Agrartrafte. ...
Der Reichsnährſtand ift ohne Zweifel richtig
und zielbewußt gegliedert, und es
wäre ſehr zweckentſprechend, wenn
aud bei uns die landwirtſchaftlichen Kräfte
in ähnlichem Sinne organifiert würden
. . . Ich erblicke in der Reform des Erbhof
geſetzes den bedeutendſten Erfolg
der Nationalſozialiſte n... . In einer
gewiſſen Hinſicht wollen wir Ungarn
dasſelbe Ziel erreichen
. . . JO möchte bloß feſtſtellen, daß die Erien-
gungsſchlacht auf dem Gebiete der Selbſternäh⸗
rung unbedingte Erfolge erreichte.
Nach meiner Erfahrung, die auch ven
den ſtatiſtiſchen Daten geſtützt iſt, wir des ten
Deutſchen durch ihre charakteriſtiſch
planmäßige und zähe Arbeit, durch
Senken ihrer Anſprüche bzw. durch neue Ziel-
ſteckung ihres Verbrauches unbedingt ge ⸗
lingen, die „Nahrungsfreiheit
durch Selbſtverſor gung“ zu erreichen.
... Benn wir objektiv diefe Umgeftal-
tung verfolgen, ihre daraus entſtehenden Erfolge
zur Kenntnis nehmen, müſſen wir feſtſtellen, daß
die agrarpolitiſchen Zielſetzungen der National-
ſozialiſten vom deutſch⸗raſſiſchen Standpunkt ans
beurteilt richtig und zweckentſpre⸗
chend find, denn fie allein find fähig, das
Deutſche Reich und die deutſche Raſſe zu kräf⸗
tigen. Wenn es das induſtrielle Deutſchland er-
kannt hatte, daß der Boden und der Bauer die
Grundlage einer nationalen Wiedergeburt und
Zukunft ſein kann, um wie vieles iſt es
notwendiger, daß wir Ungarn
felbft, die wir in einem Agrarſtaate leben,
nicht nur mit Schlagworten, ſondern d ur ch
Taten alles verſuchen, um im Intereſſe
unſeres Vaterlandes und unferer eigenen Maffe
den Lebensquell unſerer Nation, das unga-
riſche Bauerntum, zu kräftigen.
Italien:
Eentralenropa (die große italieniſche Korre
ſpondenz):
... Der Verſuch, den inneren
Markt fo tart wie möglich zu be⸗
Das Archiv
Leben, iff zweifellos geglüdt. ...
Wenn man aus ber Art und Weife, wie die
landwirtſchaftliche Erzeugungsſchlacht
angefaßt worden iſt, urteilen darf, ſo ſcheint es,
daß der deutſche Bauer ſeine Aufgabe
erkannt hat und ſich nun feiner Er ⸗
folge freuen kann. .. . Wir können dar-
aus ſehen, daß man doch, wenn der Natio⸗
nalſozialis mus zwar auch mit nicht weni-
gen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, zugeben
muß, daß er übermenſchliche Anftren-
gungen macht, ... um feinen Boden, ber
wirklich etwas zu knapp iſt für die 66 Millionen
Einwohner, möglihft weitgehend auszunutzen.
Die Lage der deutſchen Landwirt-
ſchaft, die unter dem marxiſtiſchen Regime
äußerft unſicher war, hat durch die neue Agrar⸗
politik der nationalſozialiſtiſchen Regierung eine
erhebliche Beſſerung erfahren
La Mivifia Agricola, Mom: Die deut fame
Agrar revolution. (Verfaſſer: F. V.
Cortina.)
. . . Der RNeichsnährſtand ... faßt die ver⸗
ſchiedenſten Gebiete und Funktionen, die auf den
erſten Blick nichts miteinander gemeinſam zu
haben ſcheinen, die aber in ihrem Endzweck in
einer großen Organiſation zuſammenlaufen.
Meliorationen, Urbarmachung, Gleichgewicht
der Handelsbilanz, Kampf gegen die Arbeits-
loſigkeit durch rationelle Bodenverbeſſerung uſw.,
Beſchaffung der für die Induſtrie notwendigen
Materialien, namentlich für die nationale Kriegs⸗
induſtrie — das ſind in der Hauptſache die Auf⸗
gaben dieſes Komplexes und dieſes Kampfes,
derentwegen Deutſchland heute als ein
einziger großer „Bauernhof“ anzu⸗
fehen ift, als ein gemein ſamer großer Volksbeſitz
der Bauern, eine ungeheure ländliche Geſamt⸗
wirtſchaft, deren Aufgabe es iſt, dem deutſchen
Volke die Autarkie auf ernährungspolitiſchem,
militäriſchem und politiſchem Gebiete zu ſichern.
L'Ora, Palermo:
... Auch die Erzeugungsſchlacht ift
wie alle Kämpfe im Dritten Reich ein Kampf
um die Unabhängigkeit Deutſchlands. Doch be⸗
ſchränkt er ſich nicht nur auf das Materielle.
Man fiebt in dem Boden und in dem Bauern,
der ihn bearbeitet, zwei koſtbare Güter,
die zuſammen gehören und die zuſammen die
Baſis bilden, auf der ſich die Nation aufbaut
und auf ber fle auch weiter ausgebaut wird...
Es ift eine zwar verwickelte, aber tief dur de
dachte Geſetzgebung, die ſich grundſätz⸗
923
lich zum Ziele geſetzt hat, außer der Ergiebigkeit
des Bodens gleichzeitig auch den Bauernſtand
als ſolchen zu heben und zu fördern.
Hitler hat dies in einer kurzen und wei
gnanten Formel zuſammengefaßt:
„Blut und Boden“.
Privateigentum, Erblichkeit und Ausnutzung des
Bodens find die hauptſächlichſten Probleme
geweſen, die in Angriff genommen wurden und
die heute bereits vollſtändig gelök
find...
. . . Und doch ift dies alles bloß ein Anfang!
Man kann fagen, daß es wohl kaum eins
der größeren nationalſozialiſtiſchen Pro ;
bleme gibt, das nicht irgendwie mit
dem Boden verknüpft ift...
Piecolo, Genova:
Die intenſiven Anſtrengungen, die Deutſchland
zur Beſſerung feiner eigenen Landwirtſchaft ge:
macht hat, weiſen einen durchſchlagen⸗
den Erfolg auf
Giornale b Italia:
Brot für den deutſchen Michel.
Not lehrt die Menſchen große
Dinge vollbringen, und befonders den
Deutſchen, die mehr eingeengt und bedürftig
waren als die anderen
... Den Erfolg des Arbeitsdienſtes werden
erſt die kommenden Generationen ſehen und
Nutzen daraus ziehen: die Enkel fo man ⸗
cher Bauern, die heute ſchwerlich begreifen,
was dieſe jungen uniformierten Männer mit
Pickel und Spaten eigentlich bezwecken.
Wer weiter ſchaut, ſieht, wie auf diefe Weiſe
einſt 3 Millionen Morgen, die heute unbebaut
in ... Deutſchland liegen, anbaufähig fein
werden.
Wer weiter ſchaut, der begreift auch, daß
einſt vom Emsland allein, und zwar in nicht
allzu ferner Zukunft, Deutſch⸗
land all das Gemüſe, welches heute
zu Goldpreiſen aus Holland ein-
geführt wird, geerntet werden
wird. :
Juge(lavien:
Javnoſt, Belgrad, das Wochenblatt für Pul-
turelle, ſoziale, wirtſchaftliche und politiſche
Fragen, das bis vor kurzer Zeit febr nega-
tive und offene feindliche Stellung Deutſchland
gegenüber einnahm, und das dem National ſozia⸗
lismus jedwede Erfolge auf irgendwelchem Ge⸗
924
biete und vor allem in der Landwirtſchaft ab-
ſprach, bringt aus der Feder des Redakteurs
Franjo Pakaci, Kopenhagen, einen
Artikel: „Reformen in der deutſchen
Landwirtſchaft“: Die nationalſozialiſtiſche
Weltanſchauung hat im Dritten Reiche die
Landwirtſchaft und den Bauernſtand durch ziel ⸗
klare Maßnahmen in eine beſonders
begünſtigte Lage gebracht. Für uns, als einen
landwirtſchaftlichen Staat, beſtehen wahrſchein⸗
lich genug Gründe, dieſer neuen landwirtſchaft⸗
lichen Politik in Deutſchland unſere große
Aufmerkſamkeit zu widmen. Die Tate
ſache iſt, daß in der nationalſozialiſtiſchen Wirt⸗
ſchaftspolitik überhaupt die Regel gilt, daß alle
anderen Wirtſchaftszweige gelegent⸗
lich der eventuellen Intereſſenkonflikte mit der
Landwirtſchaft auf den zweiten Platz zu
treten haben
Deutſchland weiß es allzu gut, daß die Bedeu⸗
tung der Landwirtſchaft in ſchweren Situationen
nicht genug eingeſchätzt werden kann
Rumänien:
Porunca Bremili, Bukareſt:
Agrarpolitik. ... Die deutſchen Bauern
find die fleißigſten Bauern auf ber
Welt. Das alte Regime zeigte überhaupt kein
Intereſſe für den Bauernſtand. Der deutſche
Bauernſtand begann bereits zu verfallen. Das
Reichserbhofgeſez, das Reichsnährſtandsgeſetz,
das Geſetz der Marktregulierung ſind die Quel⸗
len einer neuen Wirtſchaftsord⸗
nung in Deutſchland. Sie ſtellen das
Band zwiſchen dem einzelnen und der Volks-
gemeinſchaft dar... Es it Harmonie in
das Verhältnis zwiſchen Erzeuger und Verteiler
der Agrarproduktion gebracht worden
Nur auf Grund dieſer Geſetze war eine ge⸗
rechte Beſteuerung möglich, wie auch die
Durchführung
planes.
Volk im Often
ſchreibt in einer Bauernſondernummer im Leit⸗
artikel: Wer an die Löſung der Aufgaben ſchrei⸗
ten will, die den Beſtand ſeines Volkes für die
Jahrhunderte ſichern ſollen, kann dies nicht
tun, ohne die Grunderkenntnis der
W. Darréſchen Lehre vom Bauern⸗
tum in den Mittelpunkt ſeiner Be⸗
trachtungen zu rücken, die darin gipfelt, daß
das Bauerntum die Lebensgrundlage jedes Volkes
bildet
eines großzügigen Erzeugungs⸗
Das Archiv
Belgien:
Monitene des Interets Materiels, Brüſſel:
Die Wirtſchaftspolitik Deutſchlands . im
der Landwirtſchaft.
Hier kommen wir zu einem Mei ſter werke
des deutſchen Nationalſozialis
muß...
(Es folgt eine Darlegung des Erbhofrechtes,
daran anſchließend eine Darlegung der Markt-
regelung.)
. .. Dieſe Politik, die darauf hinzielt, bas
ganze Land vollſtändig mit den Mitteln der
heimiſchen Landwirtſchaft zu verſorgen, konnte
wachſende Erfolge verzeichnen
Niederlande:
Volk en Vaderland, Utrecht:
Die neue Agrarpolitik.
(Der Artikel bringt eine Darlegung des
Reichserbhofrechtes, Reichsnährſtandgeſetzes und
der Getreidemarktordnung aus deutſchen Dar
ſtellungen.)
. .. der Brotpreis ſelbſt aber it über-
haupt nicht geſtiegen. Mit vollfom
menem Recht ſprach man deshalb von dem deut-
ſchen „Brotſozialismus“
Der Erfolg ſpricht deutlich ars
dem wachſenden Abſatz von Induſtrieerzeugniſſen
auf dem flachen Lande, aus dem wachſenden Ge-
brauch von Maſchinen und Kunſtdünger und aus
der daraus erwachſenden Steigerung der Pro-
duktion.
Das Problem der Einfuhr nach
Deutſchland ift durch dieſes Sytem prakti ſch
gels ft worden. Die Feſtpreiſe können durch fie
nicht angetaſtet werden. Die Regierung hat die
ganze Einfuhr vollkommen in ihrer
Hand; fie kann ſie tatſächlich an die jetzt deut-
lich zu überſehende Marktlage anpaflen...
Auslieferung des Bauerntums ?
Das Schwarze Korps, Folge 15:
„Überfpannte Gefühlsduſeleien.“
In Nummer 10 des „German ⸗ American
Commerce Bulletin“ nimmt Herr Direk⸗
tor Fiſcher (Direktor der Reichskreditgeſell⸗
ſchaft in Berlin und Leiter der Banten’) in
einem deutſchſprachigen Leitartikel zur Frage des
Erfolges oder Mißerfolges der Pariſer Tagung -
der Internationalen Handelskammer Stellung
. . . Für Deutſchland würde die Rückkehr yw
dieſen Prinzipien der liberal⸗kapitaliſtiſchen Wirt⸗
ſchaftsauffaſſung nichts anderes bedeuten, als die
Auslieferung des deutſchen Bane
4
|
Das Archiv
:entums an die räumlich und kli⸗
matiſch begünſtigte überſeeiſche
Konkurrenz und damit die erneute Ab⸗
dängigmachung der Ernährung des deutſchen Bol-
des vom reibungsloſen Funktionieren des inter»
nationalen Handels in Krieg und Frieden.
Die Lehre des Weltkrieges allein
ſollte indeſſen genügen, um uns
ein für allemal vor dem Fehler zu
bewahren, die dauernde Sicherung unſerer
nationalen Lebensgrundlagen dem augenblicklichen
Profitintereſſe der Kapitaliſten
zu opfern. Das gleiche gilt für die Verſorgung
unſerer Volkswirtſchaft mit einer großen Zahl
unentbehrlicher induſtrieller Rohſtoffe
Schriften der jungen Nation.
Wille und Macht, Nr. 7:
Bolſchewismus als Forderung der jungen Nation?
--. Wir verwahren uns aufs ſchärfſte bo,
gegen, daß bolſchewiſtiſche Ideen der Offentlich⸗
keit als Forderungen der jungen Generation vor-
gelegt werden.
Erich Röth, Eiſen ach, gibt eine Reihe
heraus mit dem Titel „Schriften der jun⸗
gen Nation“. Heute liegt uns aus dieſer
Reihe eine Schrift von Werner Kreitz vor
„ Kapitalismus, Sozialismus,
Planwirtſchaft“. Dieſe Schrift gehört
ganz dem, was Walter Frank als Spartakus
bezeichnet und bekämpft. Dutzende von Stellen
beweiſen die bolſchewiſtiſche Einſtellung des Ver⸗
faſſers.
Kreitz will die Wege aufzeichnen, auf denen
der Kapitalismus überwunden werden kann
Was Kreitz unter dieſer Planwirtſchaft verſteht,
wird Mar, wenn er es .. ablehnt, den deut⸗
ſchen Menſchen durch die Schaffung von E i g e n-
tum kriſenfeſt zu machen. Immer wieder hat
der Führer betont, daß der Nationalſozia⸗
lismus das Privateigentum achtet und auf die
perſönliche Initiative des wirtſchaftenden deut⸗
ſchen Menſchen baut.
Und immer wieder iſt darauf hingewieſen wor⸗
den, daß der Nationalſozialismus im Gegenſatz
zum Marxismus die beſtehende Ungleichheit im
Beſitz nicht durch die Enteignung des Beſitzen⸗
den beſeitigen will, ſondern durch Schaffung
von Eigentum für die Volksgenoſſen, die
bisher vom Beſitz ausgeſchloſſen waren... Für
Kreitz iſt der Staat die „ratio absoluta“.
Er ſtellt den Staat über das Volk
Statt einer Entgegnung wollen wir einen
Satz aus der Schlußrede des Führers vom
925
Reichsparteitag der Freiheit daneben ftellen:
„Der Ausgangspunkt der nationalſozialiſtiſchen
Lehre liegt nicht im Staat, ſondern im Volk!“
. . . Vor dieſen Menſchen, die die Verwur⸗
zelung des deutſchen Menſchen auf
deutſcher Scholle als Ausdruck „des
Notſtandes und hervorgerufen durch das Streben
nach individueller Exiſtenzſicherung“ (S. 21) ab»
lehnen und den Staat zum alleinigen Arbeit⸗
geber machen wollen, möge uns der Himmel be⸗
wahren.
Dieſe Stellen mögen genügen, um die un-
haltbare Auffaſſung von Kreitz dar⸗
zulegen.
Bedenklicher noch als dieſe Schrift,
deren Forderung die junge Generation ſich in
keinem Punkte zu eigen macht, iſt jedoch die Tat⸗
ſache, daß die Einleitung, die den Ausführungen
von Kreitz vorausgeht, vermuten läßt, daß die
ganze Reihe der „Schriften der jungen Nation“
beſtimmt iſt, diefe bolſchewiſtiſche Auf ⸗
faſſung in die Öffentlichkeit zu tragen. Denn
auch dort (S. 6) wird das Privateigentum als
Ding bezeichnet, „das allein dem Kapitalismus
eigen iſt“.
Die junge Nation, die in den Reihen Adolf
Hitlers ſteht, verwahrt ſich dagegen, daß in
ihrem Namen bolſchewiſtiſche Anſchauungen ver⸗
treten werden. Erich Röth aber möge verfidert
ſein, daß wir nach dieſer Probe auch die anderen
Hefte feiner Reihe unter die Lupe neh⸗
men werden.
Siegfried Faßbender.
Agrarbolſchewismus.
Wer das ehemalige ruſſiſche Reich als eine
der Kornkammern der Welt kennengelernt hat,
wird die ſataniſche Ironie des „Genoſſen Mito-
jan“ und ſeine jüdiſche Verdrehungsmanier in
dem nachfolgenden Bericht beſonders zu würdigen
wiſſen.
Die Nundſchan, Baſel (kommuniſtiſch), Nr. 5:
Die Lebensmittelinduſtrie der
Sowjetunion.
Bericht des Volkskommiſſars für Lebens⸗
mittelinduſtrie, Genoſſen A. J. Mikojan, in
der vereinigten Sitzung des Unionrates und des
Nationalitätenrates der Zweiten Seſſion des
Z. E. K. der U. d. S. S. R
Der Kollektivbauer verlangt fa brik mäßig
hergeſtellte Nahrungsmittel
Der Unterſchied zwiſchen Stadt und Land
wird ausgeglichen
926
UnferDorf will fdoneingelodte
Früchte, Fleifh-, Fiſch⸗ und Ge-
müſekonſerven effen. Es will fen,
denſierte Milch. Es it ganz erſtaunlich,
wie ſchnell man im Dorf von all dieſem erfahren
hat. Aber wir werden dafür kämpfen, daß man
im Dorfe noch mehr von all dem erfährt
Dentſcher Schnelldienst (Politit und Wirt
ſchaft) vom 8. 4.:
Rußland zählte in Millionen Stück
1928/29 . Ende 1935
Rindvieh 705 50,
Pferde 346 16,3
Schweine 260 . . . . 262
Schafe, Ziegen 147,0 . . 63,0
Diefer tataftrophale Zuſammenbruch der Vieh⸗
wirtſchaft hat natürlich aud auf die Ernährung
einen großen Einfluß, denn das Fleiſch ge⸗
hört in den Städten und auf dem Lande
zu den größten Seltenheiten und ift
vor allem erheblich teurer geworden
Landw. Wochenſchan vom 9. 4.:
Nach den Angaben, die in dieſen Tagen die
ſowjetruſſiſche Telegrafenagentur verbreitet hat,
wurden Ende vorigen Jahres von den „Kollektiv⸗
wirtſchaften“ über 87 von Hundert aller Bauern⸗
wirtſchaften Rußlands erfaßt. Das heißt, die
einſtigen Bauern find von der freien Ber-
fügung über ihre Höfe ausgeſchloſſen und arbei⸗
ten im Rahmen der Kollektive als die ſchlech⸗
tet entlobnten Landarbeiter der
Welt. Wenn man bedenkt, daß Millionen ruſſi⸗
ſcher Bauern in den letzten Jahren nicht nur den
Maſſenerſchießungen zum Opfer gefallen ſind, ſon⸗
dern einfach am Hunger ſtarben, weil ihnen auch
die letzten Lebensmittel ſür den eigenen Bedarf
abgejagt wurden, ſo kann man ermeſſen, wel ch
ungeheures Elend ſich hinter der Zahl
von fat 90 % praktiſch enteigneter Bauernhöfe
verbirgt
. . . Der Wahnſinn regiert
Das it übrig geblieben von dem
Verſprechen der „Bauernbefrei⸗
ung“, mit dem einſt die Bolſchewiſten große
Teile des Bauerntums auf ihre Seite lockten!
Germania vom 5. 4.:
Fehlerhafte Mechaniſierung.
.. . Die Medhanifierung der Landwirtſchaft,
die Errichtung von Maſchinen⸗Traktoren⸗Statio⸗
nen, welche ſich im Laufe der Zeit zu Dorf-
fabriken mit allen Attributen der induftriel-
len Lebensform ausbilden, find Faktoren, welche
*
Das Archiv
dazu beſtimmt find, den Bauern in einen
Landarbeiter zu verwandeln.
. . . Die landwirtſchaftliche Arbeit wird fear
zu einer Abart der Induſtriearbeit. Betracht
man die Ergebniſſe der von der Sowjer
preſſe fo geprieſenen Mechaniſterung der eg,
wirtſchaft näher, fo gewahrt man folgendes Bil:
Während in Amerika die Mechaniſierung eim
25prozentige Steigerung der Arbeitsproduktwitit
in den landwirtſchaftlichen Betrieben bervorrid,
überſteigt in der Sowjetunion die WMafdines
arbeit die frühere Arbeitsleiſtung kaum ur
einige Prozent
Ausyländerung der Banerubevalkerung.
Arbeitertum vom 15. Ayril 1936, Folge 2:
Was amtliche ſowjetruſſiſche Statiſtilen er
zählen:
Lebensmittelwucher als Staatsprinzip.
Die Sowjetmachthaber ſcheinen ihre Exiſten
und ihr Vorhaben dadurch zu hern, indem fe
ſowohl Bauern als auch den Arbeiter budftal
lich bis aufs letzte aus ſau gen
Doppelt belaſtet it der Sowjetbauer und gebt
zum Unterſchied zu dem Amerikaner als Leibe
eigener in Fetzen gekleidet.
Über die Hälfte des Ertrages der
Felder wird ohne weiteres von den Somjetbehör
den beſchlagnahmt. Darüber hinaus mul
die Bauernbevölkerung noch erhebliche Ab-
gaben für die Benutzung der Traktoren, Mäh
dreſcher und ſonſtigen Maſchinen aufbringen
Die vom Staate einbehaltenen landwirtſchaſt
lichen Erzeugniſſe werden andererſeits den Ar
beitern und Bürgern ſehr teuer angerechnet. Auf
dieſe Weiſe „verdienen“ die roten
Machthaber Unſummen. So werden
beiſpielsweiſe in dem Budget der Sowjetunion
für das Jahr 1936 als Einnahmen folgende
Milliardenbeträge eingeſetzt:
Staatliche Einnahmen aus der Landwirtſchaft:
Getreide 21 200 000 000 Rubel
Spiritus 6000000000 „
Pflanjendle 2660 O00 000 „
Zucker 5 900 000000 „,
Fleiſch 3025000000,
Baumwolle 4200000000 „
Es werden alfo über 78 Milliarden Rubel aus
der Landbevölkerung heraus gepreßt.
Zu den 58 Milliarden, die aus der Landwirt
ſchaft herausgeholt werden, kommen no 0
—— — 5
—
Neues Schrifttum
hinzu: 868,8 Millionen Gewinn
aus der Nahrungsmittelinduſtrie,
489,1 Millionen verſchiedene landwirt⸗
ſchaftliche Steuern und 530 Mil⸗
lionen Steuern für die „Wohnungs⸗ und Kul⸗
turzwecke auf dem flachen Lande“, alſo nochmals
1,9 Milliarden Rubel. Somit trägt der Bauer
927
den größten Teil der Staatslaſten: 60 von ins⸗
geſamt 78 Milliarden Rubel |...
Auf den Bauer wird abfigtli® |
eine Rieſenlaſt gewälzt, um ihn
wirtſchaftlich zu knebeln. Das iſt das verwerf⸗
lichſte Spiel der jüdiſchen Machthaber und des
ihnen hörigen Stalin.
neues Schrifttum
Oberbayriſcher Bauernadel. Von Enno Fol⸗
kerts. Mit 48 Lichtbildern. Quartband. In
Steifumſchlag 3, — RM. J. F. Lehmanns Ber-
lag, München. | |
„Dieſes Buch fol unſerem Volk ein Spiegel
artechten deutſchen Bauerntums ſein, ein Bild
des Adels aus „Blut und Boden“, den die Füh⸗
rer unſeres neuen Deutſchland erhalten und neu
ſchaffen wollen“, ſo leitet der Verfaſſer den Text⸗
teil zu dem Band von ſchönen Lichtbildern ein,
von dem man ſagen darf, daß er dieſen Sinn
erfüllt und dabei dem Betrachter eine rechte
Freude bereitet. Mögen die dargeſtellten Men⸗
ſchen einen guten Teil dieſer Freude durch ihr
reines Vorhandenſein verurſachen, die Eindring⸗
lichkeit, mit welcher der Verfaſſer ſie uns in
ihren äußeren und inneren Werten vor Augen
führt, muß anerkannt werden und weiſt hin auf
den lehrhaften und erzieheriſchen Zweck, den
Bülchererſcheinungen dieſer Art zu erreichen ver-
mögen. In dieſem Zuſammenhang darf man wohl
wünfden, daß der für raſſiſche Dinge geſchärfte
Blick des Verfaſſers ſich auch in andere Teile
unſeres Vaterlandes ſchauend und ſchildernd
wenden möchte. Bo.
Buſch, W.: Die Landbauzonen im deutſchen
Lebensraum. Verl. E. Ulmer, Stuttgart 1936
(Aueg. 1935), 186 S., acht Kärtchen, eine
farbige Uberſichtskarte. In Leinen geb. 11, —
Mit der zunehmenden Einſicht in die Bedeu-
tung einer planvollen Raumforſchung fällt den-
jenigen Arbeiten wachſendes Gewicht zu, die ſich
mit den Gegebenheiten und Problemen des Land-
bauraumes beſchäftigen. |
Das vorliegende Werk kommt infofern räum⸗
licher Betrachtung des Landbaues näher als
frühere Arbeiten, als der Verfaſſer von den An⸗
bauzonen Engelbrechts zu Landbauzonen vorge⸗
drungen iſt. Das iſt an dem Buch als beſonders
verdienſtlich hervorzuheben.
Im einzelnen iſt es ein Glück, daß der Ver⸗
faſſer die Landbauzonen nicht nur auf Grund von
Intenſitätszahlen errechnet, ſondern verſucht hat,
dieſe Zonen auch zu ſehen. Immerhin iſt hier der
Raum noch zu ſehr Wirtſchaftsproblem und noch
zu wenig Geſtaltungsproblem. Denn aus Blut
und Boden wird nicht zuerſt die Wirtſchaft, ſon⸗
dern der Raum ſelbſt geformt. Dieſer iſt aber
auch für die Betriebswiſſenſchaft eine noch zu
löſende Aufgabe, deren Bearbeitung das Inein⸗
andergreifen der raumgeſtaltenden und -bildenden `
Kräfte, Menſch und Natur, deutlicher erkennen
laſſen muß, als das bisher geſchehen iſt.
Raumſorſchung und Raumſchau find noch jung,
und es bleibt ein Verdienſt der Landbauforſchung
und des Verfaſſers, beträchtliche Beiträge zur
Geſamtraumforſchung beigeſteuert zu haben.
| Schönberg.
1. Geſchichte |
Neue Beiträge zur Geſchichte deutſchen
Altertums. Hrsg. von d. Henneberg. altertums⸗
forſch. Verein in Meiningen. Lfg [= Ig] 38.
— Suhl 1936: Müller [It Mitteilg: Brückner
& Nenner]. VI, 87 S. mit Abb., 3 Bl. Abb.
8°, 3, —.
bal Heft 11, Gabry. 4, Bq, 6
Birkner, Ferdinand, Prof.: Ure und Bor-
zeit Bayerns. Mit 42 Abb. im Text mit insgeſ.
450 Fig. u. 20 Kunſtdr.⸗Taf. — München:
Knorr & Hirth 1936. 215 S. Gr.⸗80. 5,80;
Lw. 6,90. l |
Höhn, Heinrich: Wege und Ziele der Flur⸗
namenforſchung. — Gießen [Johannesſtr. 4]: von
928
Münchowſche Univ.-Druderei 1935. 53 S. Gr.
8% = Gießener Beiträge zur dt. Philologie. 43.
2,50. Gießen, Phil. Diff.
Hühne, Werner: Friedrich der Große, die
europäiſchen Mächte und das Reich am Vor⸗
abend des bayriſchen Erbfolgekrieges. — Uelzen
1935: Niederſächſ. Volkszeitg. 119 S. 80. Göt-
tingen, Phil. Diff. v. 1932.
Latter mann, Alfred]: Vom mittelalter ⸗
lichen Deutſchtum in Kongreßpolen. — ([Grau⸗
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7 S. P,
Nebelſieck, Heinrich, D.: Natſchläge für
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Bing [zu beziehen: Arolſen: Geſchichtsverein f.
Waldeck. . .]. 32 S. 8% An: Geſchichts⸗
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Vereins f. d. Fürſtentum Liechtenſtein. Bd 35.
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Schwertener, Karl Philipp: Beiträge
zur Verfaſſungs⸗, Wirtſchafts⸗ u. Rechtsgeſchichte
der Grafſchaft Rietberg. Mit Überfiht: Höfe
(Vollerben, Halberben, Erbkotten, Markkotten)
d. Grafſchaft u. d. Grundherrſchaft Rietberg.
Hrsg. u. erl. von Dr Franz Flask amp. —
Rietberg i. Weſtf.: W. Vahle 1935. VII, 80 S.
Gr.8° = Quellen u. Forſchungen zur Natur u.
Geſchichte d. Kreiſes Wiedenbrück. H. 17. 4,—.
Die im Pfarrarchiv zu Rietberg liegende Origi⸗
nalhandſchrift aus d. Jahre 1804 trägt den Titel:
Schwertener: Materialien zum Staats. u.
Privat⸗Recht d. Grafſchaft Rietberg in Weft-
phalen.
Stieve, Friedrich: Seſchichte des deutſchen
Volkes. (10 Kt.⸗Skizzen im Text.) 3. Aufl. —
München u. Berlin: Oldenbourg 1936. IV,
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Streicher, Franz Elaver), Pfr: Häuſer⸗
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Noerdlingen) vom 16. Jahrhundert bis 1932. —
Dillingen / Donau 1932: Manz [gu beziehen:
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Ztg.
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Neues Schrifttum
lung (8. Hauptverſammlung) in Jena, 4.—7.
Juli 1935. Im Auftr. d. Gef. hrsg. von Prof.
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[su beziehen: Berlin W 35, Schöneberger Ufer
12 a: Dt. Gef....] 1935. 215 S. mit Fig. 4°.
Nur f. Mitglieder.
Burgdörfer, Friedrich: Deutſches Volk
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Dr Karl Schulz, Stud.⸗R. Mit 6 Abb. —
Bielefeld u. Leipzig: Velhagen & Klaſing [1936].
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Inſtitut f. Dt. Wirtfhaftspropyaganda).) 72 S.
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Wolter, Joachim, Dipl.⸗Volksw.: Die
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Neues Schrifttum
Relung zur nationalſozialiſtiſchen Agrarpolitik.
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Dr Wolfgang Clauß, Reg.⸗R. — Berlin:
Reichsnährſtand Verlagsgeſ. m. b. H. (1935).
236 S. Gr.⸗80. 2,10; Lw. 2,70. Preisberichti⸗
gung d. Verlegers zur Aufn. in d. Dt. Natio-
nalbibliogr. 2. Woche, Nr 695.
Bauerntum und Volksgeſundheit als
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Meyer u. Werner Janſen. — Neudamm
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Fiſcher, Hanns: Aberglaube oder Volks⸗
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Nieft. 57 S. 80. 3, —. Auch im Bud. —
Göttingen, ER. u. ſtaatswiſſ. Diff.
Rolfes, Max, Dr agr., Affift., Berlin:
Die Bodennutzung in bäuerlichen Betrieben. —
B.⸗Schöneberg [1935]: Kaleſſe. 83 S. 40. Bere
lin, Landw. Hab.⸗Schr.; auch im Buchh. bei
Parey, Berlin, als: Berichte über Landwirtſchaft.
N. F. Sonderh. 113.
Sapper, Karl: Seographie und Geſchichte
der indianiſchen Landwirtſchaft. Hamburg (36,
Gorch⸗FJock⸗Wall 15): Ibero⸗amerik. Inſtitut
1936. 98 S. mit Abb., 1 Kt., 2 Taf. Gr.-80 =
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Brünn, Prag, Leipzig, Wien: Rohrer 1934
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Rechts- u. ſtaatswiſſ. Abh. H. 7. — Hamburg,
R.. u. ſtaatswiſſ. Diff.
Ueberſchär, Kurt, Dipl.⸗Landw.: Ge-
ſchichte der Kartoffelzüchtung in Deutſchland, zu⸗
gleich ein geſchichtlicher Beitrag zur Sorten-
kunde. — Oblau i. Schl. [1936]: Eſchenhagen.
VI, 134 S. 80. Berlin Lach. Diſſ. v. 19. Okt.
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| Heft Mai 1936
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Ferdinand Fried. Zimmermann, Berlin W 35, Tiergartenſtraße 1/2.
Prof. Dr. Herman Wirth, Berlin C 2, Brüderſtraße 29/30.
Dr. Johann von Leers, Berlin-Dahlem, Goßlerſtraße 17.
Adalbert Schoettl, Diplomlandwirt, Höchſtadt a. d. Aiſch, Oberfranken.
Dr. Ludwig Herrmann, Berlin W 35, Tiergartenſtraße 1/2.
Für unverlangt eingefandte Manuſkripte keine Sewährl
i so a ie und verantwortlich für den ae textlichen Inhalt: Dr. Germann Reiſchle.
rlin W, Friedrich ⸗Wilhelm⸗Straße 18 M. antwortlich für den Anzeigenteil: Burt Otto
Arndt, Berlin. Verlag: „Seitgeſchichte “ Verlag und Vertriebs- Seſellſchaft m. b. 5., Berlin W 35.
DA. 4100 I. Bj. 36. Pl. Nr. 4. Druck: Meyerſche Hofbuchdruderel, Detmold
Aufruf an Alle!
Der Kampf um die Machtergreifung durch die WSD Ap. gehört der Vergangenheit
an. Blut und ſchwere Opfer ſeeliſcher und materieller Natur, Entbehrung, Drangſal
und Bitternis kennzeichnen die Wege, die der Nationalſozialismus marſchieren mußte.
Es gilt heute, Berichte und Bildmaterial aus dieſer Zeit zuſammenzuſtellen, um eine
Sammlung zu vervollſtändigen, die von größter Wichtigkeit iſt, denn die Geſchichte der
Partei wird einmal die Geſchichte des neuen Deutſchland werden. Das Za EE
u
ber VISDAP fammelt alle Urkunden, Berichte, Dokumente, Tagebücher, Abzeichen,
Jeitungen, Jeitſchriften, Photos, Plakate, bildliche Darſtellungen und dergleichen aus
dieſer zeit. Auch Briefe und Zeitungen aus dem Auslande find, ſoweit fie fih mit dem
Nationalſozialismus beſchäftigen, willkommen. Sendet alles, denn manches, was als
wertlos betrachtet, fortgeworfen wird, kann für den, Forſcher, für den ſpäteren Bee.
ſchichtsſchreiber von weſentlicher Bedeutung ſein.
Falls der Beſitzer glaubt, das SE nicht entbehren zu können, fo nimmt das
auptarchiv Abſchrift oder ſtellt von Bildern Abzüge her. Vertraulichkeit wird, 3. B.
bei Tagebüchern, ausdrücklich zugeſichert. Der Sendung a ein Verzeichnis des In⸗
haltes, dazu bei Bildern ein kurzer Tatſachenbericht beigefügt werden. Beſonders auch
auf Berichte ehemaliger Gegner, gleich welcher Art, wird größter Wert gelegt. Ver⸗
trauliche Behandlung dieſes Materials wird gewährleiſtet. Es ergeht daher an alle
eee und Volksgenoſſen die Bitte, das Zauptarchiv in feinem Beſtreben nach
einer lückenloſen Sammlung für die Grundlagen der Parteigeſchichte zu unterſtützen.
Anſchrift: sauptardiv der Cep, München, Barerſtraße zs. ;
Sauptarchiv der WS DAp, München, Barerſtraße js.
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Man streut frühmorgens 8—12 dz Hederich-
Kainit je ha nach Bildung des 2—4. Hederich-
blattes auf tau- oder regennasse Pflanzen
an niederschlagsfreien, möglichst sonnigen
Tagen.
— ——
Wirlſame Helfe
in der Erzeugungsschlacht:
Heinrich Lanz Aktiengesellschaft, Mannheim |
J 1640
dal
chrift für Blut und Boden
geber RWaltherDarre
eraus
ſtvertrieb Detmold Juni 1936
Inhaltsverzeichnis
Sette
Vorſprucc ß e
Hans Merkel / Debrwirtfhaft . u ee 936
Ferdinand Fried. Zimmermann / Die erch . 943
Johann von Leers / Der Untergang des germaniſchen Landrechts
bei den Bayeern 958
Konrad Meyer / Juſtus Möſer, ein Vorkämpfer des ëng
Bauerngedanfens. . . . . 967
Werner Stief / Auf den Spuren nee SESCH Rult-
und Malſtätten im mittleren Deutſchland (Mit Bildern) 977
Georg Halbe / Zu Herman Wirth: „Die heilige Urfchrift der
Menfchheit” . . . . .. . . . 1006
G. C. Graf v. d. Goltz / Zur Rechtsstellung der ONS Bauern
im frühen Mittelalter e, 1012
DasAUrhiv. . > > > > 2 ee ee 1018
Neues Schrifttum . ee e e eo Baek | © ee,
Die Bildbeilage dieſes Hefted wie auch das Umſchlagbild, „Thinghügel mit Dreilindenfegung
nördlich von Bürgel“, ſtammen von Werner Stief, Berlin-Wilmersdorf.
Die in dieſer Zeitſchriſt namentlich bezeichneten Arbeiten geben die Anſichten der
Verfaſſer und nicht des Herausgebers oder Hauptſchriſtleiters wieder.
Nachdruck iſt nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Schriſtleitung geſtattet.
Jedes Heft RM. 1.50 + Biertelfabrlid 3 Hefte RM. 3.60
zuzüglich Beſtellgeld. Beſtellungen durch alle Buchhandlungen, Poſtanſtalten und
den Verlag. Poſtvertrieb ab Detmold.
Monatsſchriſt für Blut und Boden
g auptſchriftleitung: Dr. hermann Reiſchle
WEE
Zeitgeſchichte Zem und BEEN m. b. §. 7 Berlin W 35
Lützowſtraße 66
Heft 12 | ` u 4. Jahrgang | | Juni 1936
vorſpruch
Ein guter Baum macht gute Früchte, d. h., ift die Mutter
an Leib und Seele gefund und fruchtbar, dann iſt fie wie
ein guter Baum, der gute Frucht gibt. - Der Baum der
Erde gibt ſtets ſeine Frucht, ohne hierzu des Samens zu
bedürfen, der Baum der Frau aber nicht, wenn nicht der
Same in ihn gelegt wird, nämlich durch den Mann. Daher
iſt am Samen viel gelegen. Wenn er nicht taugt, kann
ihn der Baum nicht verbeſſern. Was für den Baum gilt,
gilt daher auch für den Samen. Sie müſſen beide gut fein,
und wenn fie beide gut find, ergeben fie zuſammen ein
Gutes: die Frucht. e? |
OC SÉ ö Theophraſtus von Hohenheim
(Paratelſus)
Hans Merkel:
Wehrwirtſchaft
1
„Wer den Frieden liebt, muß auch zum Kampf gerüſtet ſein.“ Dieſes alte
Wort muß über allen Erörterungen ſtehen, die ſich mit den Fragen des Krieges
beſchäftigen. Wird das Verhältnis von Krieg und Wirtſchaft behandelt, ſo
kann es ſich heute nicht mehr darum handeln, daß etwa die Kriegswirtſchaft
ſich als ſtaatliche Zwangswirtſchaft über alles wirtſchaftliche Geſchehen ſtülpt.
Vielmehr muß umgekehrt die Wirtſchaft ſelbſt aktiv ſich zur Wehr ſetzen, ſie
muß Wehrwirtſchaft werden. Für die individualiſtiſche Auffaſſung konnte es
nur eine Kriegswirtſchaft geben. Denn der Individualismus kannte nur die
einzelnen wirtſchaftenden Menſchen. Mußten daher ſtaatspolitiſche Zwecke
innerhalb der Wirtſchaft verfolgt werden, ſo war es nach dieſer Auffaſſung
Aufgabe des Staates, entweder die einzelnen Wirtſchaftsgebiete monopoliſtiſch
ſelbſt in die Hand zu nehmen, oder aber durch ſtaatliche Polizeigewalt der
Wirtſchaft diejenigen Hemmungen, Bindungen und Zwangsmaßnahmen auf⸗
zuerlegen, die aus den Notwendigkeiten des Krieges heraus geboten ſein
mochten. Sowohl das Staats monopol wie die Vorſtellung der ſtaat⸗
lichen Zwangswirtſchaft ſtammt daher aus individualiſtiſchen Vor⸗
ſtellungen über das Weſen der Wirtſchaft.
Die nationalſozialiſtiſche Auffaſſung über das Weſen der Wirtſchaft iſt eine
andere. Wirtſchaft ſind hier die wirtſchaftenden Menſchen ſelbſt, iſt die Fülle
der von ihnen verrichteten wirtſchaftlichen Handlungen, die Geſamtheit der
durch dieſe wirtſchaftenden Menſchen geſchaffenen wirtſchaftlichen Zuſtände
und Einrichtungen und die wechſelſeitige Bedingtheit und Verknüpfung all
dieſer Faktoren. Wirtſchaft wird fo zur wirtſchaftlichen Lebens:
äußerung des Volkes ſelbſt. Zur Wirtſchaft gehören alle wirtſchaft⸗
lichen Handlungen, die Erzeugung, die Veredelung, die Verteilung und der
Verbrauch von Gütern. In irgendeiner Beziehung iſt alſo jeder Volksgenoſſe
Glied der Wirtſchaft. Deshalb kann es niemals einen Gegenſatz geben At
ſchen Wirtſchaft und Volk, ſondern Wirtſchaft iſt das wirtſchaftliche
Geſamtverhalten eines Volkes. Wirtſchaft ift daher notwen-
digerweiſe Volkswirtſchaft und volkswirtſchaftlichen, da:
mit völkiſchen Lebensgeſetzen unterworfen.
Wird Wirtſchaft ſo vom Volke her geſehen, ſo kann es auch einen inneren
Gegenſatz zwiſchen Staat und Volk gar nicht mehr geben. Denn Staat ift für
eine geläuterte Staatsauffaſſung kein toter Verwaltungsapparat, ſondern ift
lebendige Führung und lebendige Gefolgſchaft innerhalb
der einzelnen Lebensordnungen und Lebensgemeinſchaften
des völkiſchen Geſamtlebens. Auch der Staat wird durchaus zu einer
Lebensäußerung des Volkes. Er wird zur lebendigen Führungs», Gefolg⸗
Wehrwirtschaft | 937
ſchafts⸗ und Gemeinſchaftsordnung des Volkes, ift allerdings nicht die leben-
dige Volksgemeinſchaft ſelbſt, ſondern dient ihr nur. Das ſtaatliche Leben
ſpielt fih ab in den aktiven Lebensgemeinſchaften, Verufsordnungen und Auf-
gabengebieten des Volkes ſelbſt. Gewiß iſt auch hierzu ein Mindeſtmaß von
Verwaltung notwendig. Aber Verwaltung wird aus Staatsverwaltung zu
lebendiger, vom Führungs⸗ und Gefolgſchaftswillen getragener Gemeinſchafts⸗
verwaltung, alſo Selbſtverwaltung. Träger des Staatsgedankens ſind die
Führer der einzelnen Lebensgebiete, und die Gefolgſchaften dieſer einzelnen
Gebiete bejahen den Gedanken dieſes neuen, lebendigen, ſich ſelbſtverwaltenden
und geſtaltenden Gemeinweſens. | | |
Bei Deler Betrachtungsweiſe zerſchmilzt der Gegenſatz von Staat und
Wirtſchaft, der Gegenſatz zwiſchen Werte ſchöpfender und Werte verbrauchen⸗
der Tätigkeit einerſeits (Wirtſchaft) und führender und folgender Ordnung
(Staat) im völkiſchen Gemeinweſen andererſeits. Hierdurch wird weder die
Wirtſchaft verſtaatlicht, noch verfällt der Staat in die Ebene einer öden, rein
rechneriſch⸗wirtſchaftlichen Betrachtungsweiſe. Vielmehr wird Wirtſchaft zum
Wertſchöpfungsorganismus und Staat zum Ordnungsorganismus eines Vol⸗
kes. Der Ordnungsorganismus ergreift auch das wirtſchaftliche Leben des
Volkes, gliedert es ſinnvoll ein in das völkiſche Geſamtgeſchehen, in die völki⸗
ſchen Geſamtziele und Geſamtaufgaben, gibt dem wirtſchaftlichen Handeln die
völkiſche, damit die ſozialiſtiſche und ſittliche Grundrichtung und Grundhal⸗
tung. Amgekehrt kann ſich auch die Wirtſchaft nicht mehr als Gegnerin des
Staates betrachten, ſondern ſie muß ſich erkennen als lebendige Mitgeſtalterin
des geſamten Ordnungsgefüges des Volkes. |
Im Kriege wird das geſamte Volk aufgerufen zu Schutz und Wehr. Der
Selbſtbejahungswille des Volkes erfährt feine umfaſſendſte Beſtätigung. Da-
mit bringt der Krieg die gewaltigſte Ausprägung des Staatsgedankens. Füh⸗
rungs- und Gefolgſchaftswille müſſen fih in fold) durchgreifender Weiſe be,
währen, damit aus beiden ſich die umfaſſendſte Offenbarung des völkiſchen
Gemeinſchaftsgeiſtes entzündet. Doch wird damit nicht das Volk zum Staat,
ſondern der Staatsgedanke erfährt nur feine gewaltigſte VBeſtätigung. Die
gleichen Kräfte müſſen aber auch in der Wirtſchaft lebendig werden. Iſt ſchon
im Frieden die Wirtſchaft nicht Selbſtzweck, ſo erſt recht nicht im Kriege.
Schon im Frieden iſt Aufgabe der Wirtſchaft die Bedarfsdeckung. Dieſe Auf⸗
gabe ſteigert ſich im Kriege in gewaltigſter Weiſe. Die Wirtſchaft — alſo die
wirtſchaftliche Wertſchöpfung eines Volkes — iſt ausſchließlich abgeſtellt auf die
Deckung des völkiſchen Geſamtbedarfs. Umgekehrt erfährt aber auch dieſer Ge-
ſamtbedarf ſeine Ausrichtung nach den heimiſchen Erzeugungs⸗ und Wert⸗
ſchöpfungsmöglichkeiten. Der Führungs-, Gefolgſchafts⸗ und Gemeinſchafts⸗
gedanke innerhalb der Wirtſchaft ſind nunmehr ausſchließlich ausgerichtet auf
die Aufgabe der völkiſchen Bedarfsdeckung, auf die ſachgemäße Erzeugung und
Veredlung, die gerechte Verteilung und den wirtſchaftlichſten Verbrauch der
einzelnen Bedarfsgüter. |
Iſt diefe Erkenntnis gewonnen, fo kann es einen grundſätzlichen Anterſchied
zwiſchen Friedenswirtſchaft und Wehrwirtſchaft nicht geben. Denn ſchon im
Frieden iſt es Aufgabe der Wirtſchaft, die völkiſche Bedarfsdeckung in der beſt⸗
möglichen Weiſe zu vollziehen, eine Aufgabe, die innerhalb eines Krieges ſich
nur unter erſchwerten Bedingungen vollzieht. Deshalb beſteht zwiſchen Frie⸗
denswirtſchaft und Wehrwirtſchaft kein grundſätzlicher Anterſchied, ſondern
938 | Hans Merkel
nur ein Anterſchied in bezug auf die Verſtraffung der Friedensordnung. Denn
im Frieden wie im Kriege bleibt die Aufgabe der Wirtſchaft die gleiche. Soll
ſie ſich im Kriege in der ſachgemäßeſten Weiſe vollziehen, ſo kann doch auch im
Frieden nicht auf eine ſachgemäße Bedarfsdeckung verzichtet werden. Iſt im
Kriege die gerechte, raſcheſte, billigſte und wirtſchaftlichſte Güterverteilung
Grundforderung für die Durchhaltung des Lebenskampfes des Volkes, ſo kann
doch auch im Frieden die Forderung der Gerechtigkeit und der Wirtſchaftlich⸗
keit der Bedarfsdeckung nicht geringer ſein. Fordert der Krieg die ſparſamſte,
wirtſchaftlichſte und zweckmäßigſte Veredlung der Nobftoffe, fo muß auch die
Friedenswirtſchaft diefe Forderung berückſichtigen. Soll endlich im Krieg die
Wirtſchaft geſchloſſen wie ein Mann ſich zur Wehr ſetzen, ſo muß ſchon im
Frieden ſich die Einheitlichkeit der Wirtſchaftsorganiſation, der Wirtſchafts⸗
ordnung und der Wirtſchaftsgeſtaltung ſich bewähren.
Damit ergibt ſich die grundſätzliche Frageſtellung:
Wie wird innerhalb der Wehrwirtſchaft das Problem der Wirtſchafts⸗
organiſation, der Wirtſchaftsordnung und der Wirtſchafts⸗
geſtaltung gelöſt und welche Forderungen ergeben fih damit für die Frie-
denswirtſchaft? Dabei muß noch das eine betont werden, daß die heutige
deutſche Wirtſchaft nicht im eigentlichen Sinne als eine Friedenswirtſchaft im
Sinne einer Aberflußwirtſchaft angeſprochen werden kann. Die Anſpannung
aller wirtſchaftlichen Kräfte des deutſchen Volkes auf allen Wirtſchaftsgebieten
gebietet und fordert die zweckmäßigſte, wirtſchaftlichſte und billigſte Geſamt⸗
geſtaltung der Wirtſchaft nach den Lebensnotwendigkeiten des Volkes, immer
im Sinne einer Bedarfsdeckungswirtſchaft und nicht im Sinne eines einſeiti⸗
gen Rentabilitätsprinzips. Denn auch das Rentabilitätsprinzip iſt privatwirt⸗
ſchaftlich, alſo individualiſtiſch gedacht. Maßnahmen, die privatwirtſchaftlich
rentabel ſein können (z. B. Betriebszuſammenlegungen und Stillegungen),
können volkswirtſchaftlich geſehen ſchädlich, alſo unrentabel, ſein. Notwendig
iſt die volkswirtſchaftliche Rentabilität. Dieſe iſt aber weſensgleich mit awed-
mäßiger Geſamtgeſtaltung der Wirtſchaft, auch wenn im Einzelfalle das
webe. e nicht im vollen Amfange gewahrt
eibt
II.
Wird von dieſen Geſichtspunkten aus die heutige Geſtalt der deutſchen
Wirtſchaft betrachtet, ſo kann man mit aller Deutlichkeit erkennen, daß wir
heute in einer Amſtellung der Geſamtwirtſchaft von gewaltigſten Ausmaßen
begriffen ſind. Dies kann nicht wundernehmen; denn Wirtſchaft beſteht in
Handlungen von Menſchen und Menſchengemeinſchaften. In dem Maß, wie
der nationalſozialiſtiſche Gedanke Beſitz ergreift vom Volksganzen, im gleichen
Maß muß dies notwendigerweiſe Rückwirkungen haben auf das wirtſchaftliche
Geſamtgeſchehen als einer Lebensäußerung des Volksganzen. |
Wirtſchaft ift zu einer völkiſchen Lebenstatſache geworden. Vom recht⸗
lichen Standpunkt aus bedeutet das, daß das wirtſchaftliche Handeln aus
der Ebene des Privatrechts in die Sphäre des Gemeinſchaftsrechts und des
öffentlichen Rechts gehoben wird. Weltanſchaul ich geſehen heißt dies,
daß wirtſchaften aus einer Einzeltatſache zu einer Gemeinſchaftstatſache gewor⸗
den iſt. Dieſer neuen Lage muß Organiſation und Ordnung der Wirtſchaft
Wehrwirtschaft | 939
entſprechen. Jede Organiſation muß den Aufgaben entſprechend geftaltet wer-
den, denen ſie dienen ſoll. Zweck und Aufgabe der Wirtſchaft iſt die Ermög⸗
lichung der Bedarfsdeckung, die höchſtmögliche Steigerung aller Lei-
ſtungen und die Herbeiführung eines ſozialen Ausgleichs unter den
Schaffenden ſelbſt. Dieſen Forderungen muß die Geſtaltung der Märkte,
der Berufe und der Betriebe entſprechen. Die Märkte müſſen
nach dem Geſichtspunkt der Bedarfsdeckung, die Berufe nach
dem Geſichtspunkt von Leiſtung, Ehre und Pflichterfüllung,
die Betriebe nach dem Gedanken des ſozialen Ausgleichs
geſtaltet werden. ,
1. Im Rahmen einer nationaljozialiftiihen Wirtſchaftsauffaſſung ift die
Produktion nicht Selbſtzweck, ſondern Mittel der Bedarfsdeckung. Die Erzeu⸗
gung muß ſich alſo nach den Notwendigkeiten des Bedarfs richten, insbeſon⸗
dere ſoweit ihr Amfang beliebig ſteigerungsfähig iſt. Aber auch die Verarbei⸗
tung und die Verteilung iſt bedarfsbeſtimmt. Die Veredlung der Güter muß
ſich nach der beſtmöglichen Bedarfsdeckung richten (3. B. Typenbereinigung,
Standardiſierung, Qualitätskontrolle), die Verteilung muß den Bedarf in der
beſtmöglichen Weiſe befriedigen (z. B. Vermeidung überflüſſiger Transport-
wege, kürzeſter Weg vom Erzeuger zum Verbraucher uſw.). Was aber be⸗
ſonders wichtig iſt: Weder die Erzeugung, noch die Verarbeitung, noch die
Verteilung, noch der Verbrauch können für fih allein betrachtet werden. Biel-
mehr muß unter Abwägung der wirtſchaftlichen Notwendigkeiten jeder Wirt⸗
ſchaftsſtufe die Löſung gefunden werden, die der geſamten Wirtſchaftslage und
der allgemeinen Kaufkraft entſpricht. Dies fordert eine Geſamtorganiſation des
Marktes, da Teilorganiſationen oder Gruppenorganiſationen dieſe volkswirt⸗
ſchaftliche Aufgabe nicht löſen können, ſondern ſich ſtets in Gefahr befinden,
von ihrem einſeitigen Standpunkt aus das Marktgeſchehen zu beeinfluſſen.
Einſeitigkeit innerhalb der Marktgeſtaltung bedeutet aber geſamtwirtſchaftliche
Anausgeglichenheit, Disharmonie und Angerechtigkeit. Deshalb kann die
Aufgabe der Marktordnung nicht durch Gruppen wahrgenommen werden.
Vielmehr müſſen Marktorganiſationen geſchaffen werden, die alle am jewei⸗
ligen Markt beteiligten Gruppen in Wirtſchaftsgemeinſchaften zuſammen⸗
faſſen. Marktorganiſation iſt daher Organiſation des Geſamtgeſchehens vom
Erzeuger bis zum Verbraucher unter verantwortlicher Führung. Nur ſo
werden die für die Märkte notwendigen einheitlichen Zuſtändigkeiten geſchaf⸗
fen. Nur ſo können die beteiligten Wirtſchaftsgruppen zur verantwortlichen
Mitarbeit und Gemeinſchaftsgeſtaltung aufgerufen und erzogen werden. Dieſe
Forderung gilt insbeſondere für die Güter der Maſſenerzeugung und des
Maſſenbedarfs. Hier kann angeſichts der ungeheuren volkswirtſchaftlichen
Werte, die ſich alljährlich innerhalb des Marktgeſchehens bewegen, auf eine
volkswirtſchaftliche Ordnung nicht verzichtet werden. Dabei muß auch bemerkt
werden, daß bei den lebensnotwendigen Gütern die Ordnung am umfaſſendſten
ſein muß. Je nach der Weſensart des Marktes und der Dringlichkeit des
„Bedarfs kann diefe Geſtaltung immer beweglicher und lockerer werden. Bei
überflüſſigen und unnützen Gütern, ebenſo aber auch bei Gütern von einzig⸗
artiger Bedeutung und Spezialanfertigungen, wird das Problem einer Marft-
ordnung nicht mehr akut, da ein Markt im Sinne eines volkswirtſchaftlichen
Geſamtgeſchehens überhaupt nicht mehr vorhanden ift..
940 Hans Merkel
Wird das Problem der Marktordnung erörtert, fo muß berückſichtigt wer-
den, daß fih die Wirtſchaft zum größten Teil ſelbſt ſchon eine private Markt-
organiſation geſchaffen hat. Die Marktorganiſation der Kartelle und Syndi⸗
kate, innerhalb deren ſich die Konzerne infolge ihrer Kapitalmacht, der Mehr⸗
ſtufigkeit ihrer Betriebsform und aus anderen Gründen wichtige Schlüflel-
ſtellungen verſchaffen konnten, iſt eine private Marktorganiſation, verbunden
mit einer Marktordnung nach gruppenwirtſchaftlichen Geſichtspunkten. Vom
Geſichtspunkt der öffentlichen Wirtſchaftsführung aus müßte es ſich aber
darum handeln, öffentlich rechtlich verantwortliche Marktorganiſationen mit
pflichtgebundener, nicht intereſſengebundener Marktordnung zu ſchaffen. Dabei
muß berückſichtigt werden, daß bei einer Reihe der wichtigſten Gebiete der
Wirtſchaft aus Gründen des öffentlichen Wohles ſich die Notwendigkeit zur
Errichtung öffentlich⸗ rechtlicher Marktregelungsſtellen (ins-
geſamt 27) ergeben hat. Die auf den Hauptgebieten der Wirtſchaft beſtehenden
Aberwachungsſtellen find Stellen mit den Rechten der öffentlich rechtlichen
Marktordnung, die den innerhalb vieler Gebiete beſtehenden privaten Markt-
organiſationen gegenübertreten. Dadurch wird allerdings die einheitliche Aus-
richtung und Verwirklichung der Wirtſchaftspolitik und die volkswirtſchaft⸗
lich verantwortliche Geſtaltung der Märkte unter Mitwirkung der beteiligten
Gruppen nicht voll erreicht. Insbeſondere fehlt es innerhalb der einzelnen
Marktgebiete an Perſönlichkeiten, die die volle Verantwortlichkeit für das
geſamte Marktgeſchehen tragen.
Innerhalb des Reichsnährſtandes iſt dieſes Problem bereits ſeit langem
gelöſt. Durch die Bildung von Marktverbänden auf den einzelnen Gebieten
der Ernährungswirtſchaft und ihre Zuſammenfaſſung in Hauptvereinigungen
find klare Zuſtändigkeiten für die öffentlich⸗rechtlich verantwortliche Markt⸗
geſtaltung innerhalb einer einheitlichen, vom Staat geſchaffenen und geord-
neten Marktorganiſation geſchaffen. Für das Gebiet der Außenwirtſchaft
beſtehen Reichsftellen, die in Zuſammenarbeit mit den jeweils beteiligten
Hauptvereinigungen die Probleme der Einfuhr und der Vorratswirtſchaft
löſen. Damit ergibt ſich bereits ein wichtiges Organiſationsprinzip der Märkte:
Die Aufgabe der Marktordnung läßt ſich nicht etwa durch Reichsſtellen allein
löſen. Würde man dies verſuchen, jo würde die Wirtſchaft fic nicht ſelbſt in
verantwortlicher Weiſe verwalten, ſondern ſie würde durch einen ſtaatlichen
Apparat von außen her ihre Weiſungen erhalten. Durch zentrale Staatsſtellen
läßt ſich eine lebendige Selbſtverwaltung der Wirtſchaft nicht ermöglichen. Der
Staat hat der Wirtſchaft die großen Ziele zu geben. Ihm obliegt es, die Wirt⸗
ſchaft zu impulſieren. Nur dort, wo die Wirtſchaft den ihr geſtellten großen
Aufgaben nicht gerecht wird, hat der Staat das Recht und die Pflicht, einzu-
greifen. Ordnung des Marktes iſt Ordnung des Marktgeſchehens, alſo der
Lieferungs-, Verteilungs- und Abſatzverhältniſſe, der Betriebsausnutzung, der
Preiſe und Preisſpannen uſw. Nur eine ſtetige, geordnete Geſtaltung des
geſamten Marktgeſchehens und die hierdurch bedingte Aberſicht der Märkte
ſchafft die Vorausſetzung für ſtetige Märkte und gleichzeitig damit auch für
ſtetige Preiſe. Eine ſolche Geſtaltung des Marktgeſchehens läßt ſich aber nur
dort vornehmen, wo das wirtſchaftliche Geſchehen ſelbſt ſich abſpielt, nämlich
innerhalb der einzelnen räumlichen Gebiete des Reiches. Damit gelangt man
zur Forderung der regionalen Selbſtverwaltung unter zentraler Leitung. Aber
Wehrwirtschaft 941
auch die Marktorganiſation für fih allein würde den Problemen der verant-
wortlichen Wirtſchaftsgeſtaltung — jedenfalls im heutigen Zeitpunkt — noch
nicht voll gewachſen fein, denn die Probleme der Einfuhr und der Vorrats⸗
wirtſchaft ſind einbezogen in eine Fülle ſtaatspolitiſcher Amſtände, die vom
rein wirtſchaftlichen Geſichtspunkt allein nicht gelöſt werden können. Inſoweit
muß eine Ergänzung der Arbeit der Marktverbände durch Reichsſtellen, die
das Recht eigenwirtſchaftlicher Betätigung haben, ſtattfinden. Daß daneben
auch eine geſamtwirtſchaftliche Ordnung der Außenwirtſchaft ſtattfinden muß,
ſoll hier nur angedeutet werden.
Durch eine ſolche Marktorganiſation wird einerſeits die Geſamtwirtſchaft
zur verantwortlichen Selbſtverwaltung aufgerufen. Andererſeits kann ſich der
Staat auf ſeine großen Aufgaben beſchränken, nämlich der wirtſchaftlichen
Selbſtverwaltung, der verantwortlichen Gemeinſchaftsverwaltung der Wirt⸗
ſchaft die großen Ziele zu ſetzen, die ſie als Trägerin geſamtwirtſchaftlicher
Leiſtungen dem Volksganzen gegenüber zu erfüllen hat. Eine ſolche Markt⸗
organiſation ſchafft auch klare Zuſtändigkeiten und Verantwortlichkeiten, die
weder in der Friedenswirtſchaft noch gar in der Wehrwirtſchaft entbehrt
werden können. Keinesfalls darf auf die verantwortliche Mitarbeit der Wirt⸗
ſchaft verzichtet werden; denn nur durch verantwortliche Mitarbeit wird die
Verantwortlichkeit und die Verpflichtung gegenüber dem Volksganzen geweckt
und zur Grundlage des wirtſchaftlichen Handelns gemacht. Die Kriegswirt⸗
ſchaft im Sinne einer ſtaatlichen Zwangswirtſchaft berückſichtigte dieſe weſent⸗
liche Vorausſetzung einer harmoniſchen Wirtſchaftsgeſtaltung zu wenig. Auch
aus dieſen Gründen konnte ihr ein voller Erfolg nicht beſchieden ſein. Werden
dieſe Geſichtspunkte innerhalb der Wirtſchaftsorganiſation und der Wirt⸗
ſchaftsordnung verwirklicht, ſo erfährt allerdings das bisherige Kartell. und
Syndikatsweſen eine durchgreifende Amwandlung. Der bisher herrſchende
gruppenwirtſchaftliche Geſichtspunkt wird verwandelt in eine geſamtwirtſchaft⸗
liche Aufgabe, die in gemeinſchaftlicher Verantwortung aller am Markt⸗
geſchehen beteiligten Gruppen unter neutraler, der oberſten Wirtſchaftsführung
verantwortlicher Führung gelöſt werden muß. |
2. Mit der Marktordnung der Wirtſchaft muß eine Berufsordnung Hand
in Hand gehen. Die Berufsordnung hat man bisher im weſentlichen mit
ſtändiſchem Aufbau bezeichnet, wobei nicht verkannt werden darf, daß dieſes
Wort zuweilen auch eine mißbräuchliche Verwendung gefunden hat. Jeder
ſchaffende Menſch ift Glied einer Berufsgemeinſchaft, nämlich der Berufs-
gemeinſchaft derjenigen Menſchen, die den gleichen Beruf wie er innerhalb
und zum Wohle der Volksgemeinſchaft ausüben. Wird nun innerhalb der
Berufsgemeinſchaft der Gedanke der Berufsehre, der Berufspflid-
ten und der Berufsaufgaben verwirklicht, dann werden weite Gebiete
des wirtſchaftlichen Lebens von Grund aus verwandelt. Ein Beruf kann nicht
ausgeübt werden ohne Zulaſſung zu dieſem Beruf. Dieſe Zulaſſung kann
nur verliehen, das Recht der Berufsausübung kann nur erteilt werden, wenn
der Bewerber die für die Ausübung dieſes Berufes notwendige menſchliche
und charakterliche Eignung hat und wenn ein ſachlich gerechtfertigter Bedarf
für die Neuzulaſſung beſteht. Das Berufsrecht kann daher weder aus engen,
zunftgenöſſiſchen Geſichtspunkten verſagt werden, noch nach den Grundſätzen
der Gewerbefreiheit, ohne die erforderlichen Vorausſetzungen, dem Bewerber
in den Schoß fallen. — Aus dem Gedanken der Berufsgemeinſchaft ergibt ſich
942 Hans Merkel, Wehrwirtschaft
von ſelbſt die Verufspflicht, die fachlich berechtigte Lebensnotwendigkeit des
Berufsgenoſſen zu achten. Dadurch ändert fic) das Wettbewerbsrecht von
Grund aus. Nicht die Jagd um den Kunden, um den Abſatz, nicht die Schä⸗
digung des feindlichen Mitbewerbers iſt Weſen des Wettbewerbsrechts,
ſondern ſchöpferiſche Leiſtung, Leiſtungswettbewerb, d. h. Leiſtungsein⸗
fag unter Achtung der Berufsgenoſſen und der Berufs-
genoſſenſchaft. | |
Die Einhaltung der Verufsaufgabe muß in Selbſtverantwortung durch die
Berufsgemeinſchaft überwacht werden. Berufsgerichte, alſo Standesgerichte,
Ehrengerichte, wachen über die Reinhaltung des Berufsſtandes und die Er⸗
füllung der Verufspflichten. Nur fo ift es möglich, daß der Leiſtungsgedanke,
der Gedanke der Ehre, der Pflichtgebundenheit auch das ganze Wirtſchafts⸗
leben durchzieht. Damit wird die Wirtſchaft wiederum eingeordnet in die
geſamte Volksordnung, die ihrem Gielen nach auf Leiſtung, Ehre und Pflicht-
erfüllung aufgebaut iſt. Erſcheinungen der Kriegswirtſchaft, wie Schleich⸗
handel, Kettenhandel, Kriegsgewinnlertum, Schiebertum, werden dadurch von
ſelbſt unmöglich, nicht etwa durch Strafgeſetze, ſondern durch die lebendige
Berufsordnung der in der Wirtſchaft ſchaffenden Menſchen.
Dabei iſt es nicht von entſcheidender Bedeutung, in welcher Weiſe ſich dieſe
Berufsordnung und Berufsgliederung vollzieht. Dort, wo ſich ein einheitlicher
Berufstyp des ſchaffenden Menſchen herausgebildet hat, wie etwa beim
Bauerntum oder beim Handwerkertum, liegt die Bildung der ſtändiſchen Ge⸗
meinſchaftsform nahe. Innerhalb der übrigen Wirtſchaft iſt zu berückſichtigen,
daß die Gruppenorganiſation aus der Bereinigung des Verbandsweſens der
Vergangenheit entſtanden iſt, die Organiſation der Kammern dagegen aus den
öffentlichen Berufsvertretungen der Wirtſchaft. Eine organiſche Geſtaltung
der neuen Wirtſchaftsform wird ſich in dieſer Beziehung erſt ergeben, wenn
der Gruppengedanke ſich zum Gedanken der Berufsgemeinſchaft, der Gedanke
der Kammer zum Gedanken der Arbeitsgemeinſchaft verwandelt hat.
3. Marktordnung und Berufsordnung iſt aber nur Stückwerk, wenn nicht
gleichzeitig eine Ordnung der Arbeit im Sinne eines ſozialen Ausgleichs
vor ſich geht. Auch hier bilden fih ſchon wichtige Anſätze in den Leiſtungen
der Deutſchen Arbeitsfront, die nach dem Willen des Führers den Gedanken
der Betriebsgemeinſchaft und den Gedanken der ſozialen Selbſtverantwortung
verwirklicht. Innerhalb einer geſamtheitlichen Betrachtungsweiſe müſſen ſich
notwendigerweiſe Arbeitsordnung und Sozialordnung untrennbar verbinden.
Ebenſo wie aus dem Arbeitsverhältnis für den ſchaffenden Menſchen der An-
ſpruch auf Lohn, Verſorgung und Erholung, auf menſchenwürdiges Daſein
und Schönheit der Arbeit entſteht, muß auch die organiſche Verbindung und
Verknüpfung der Arbeitsordnung mit der Sozialordnung gefunden werden.
Doch ſollen dieſe Gedanken hier nur angedeutet werden.
III.
Wird das wirtſchaftliche Geſamtgeſchehen unter dem Gedanken der Wehr-
wirtſchaft betrachtet, fo ergibt fih nicht die Forderung eines „Kriegsſozialis⸗
mus“, einer zwangsweiſe von außen her an die wirtſchaftenden Menſchen
herangetragenen oder ihnen aufgezwungenen Wirtſchaftsform. Vielmehr muß
Ferdinand Fried. Zimmermann, Die japanischen Ezportgilden 943
die Wehrwirtſchaft die Bewährung der national fopiaiftifchen Wirtſchafts⸗
ordnung fein, eine Gemeinſchaftsordnung der Wirtſchaft, die in Gelbitverant-
wortlichkeit die Lebensnotwendigkeiten des Volksganzen bejaht, weil ſie, die
Wirtſchaft, ja gerade dieſes ſchaffende, ſich ſelbſt durch ſchöpferiſche Kraft
erhaltende Volk ſelbſt iſt. Dann kann kein Gegenſatz mehr beſtehen zwiſchen
Staat, Wirtſchaft und Volk, ſondern die wirtſchaftenden Menſchengemein⸗
ſchaften wiſſen ſich in ihrem ganzen Handeln der Volksgemeinſchaft verpflichtet.
Durch Zuſammenwirken von Führung und. . entſtehen Wirtſchafts⸗
gemeinſchaften, die den nationalſozialiſtiſchen Gedanken der Gemeinſchaft, der
Leiſtung, der Ordnung und der verantwortlichen Geſtaltung des eigenen Ge⸗
ſchickes im Dienſte des Ganzen verwirklichen. Dies ſind die Folgerungen, die
aus dem Gedanken der Wehrwirtſchaft für die en der deutſchen Wirt⸗
* gezogen werden allen: |
Ferdinand Fried. Zimmermann: |
| Die japanifchen Erportgilden
Sozialismus im Außenhandel”
Als d die Weltwirtſchaft zuſammenſtürzte, ſtieg der Außenhandel Japans Sch
Als die Ausfuhrziffern aller Länder der Erde in fich zuſammenſackten, als der
geſamte Welthandel auf den Stand zuſammenſchmolz, den er um die Sabr-
hundertwende hatte, als die Verzweiflung über dieſen ungeahnten Zuſammen⸗
bruch geheiligter und vergötterter Einrichtungen um das Erdenrund kreiſte und
die Weltwirtſchaftskonferenz aus Mangel an Mut und aus Gedankenarmut
wie eine Seifenblaſe zerplatzte — da ging im fernen Oſten im jungen Japan
eine Induſtriemacht auf, die die Welt erſchütterte. And es tauchte, als Japan
die Welt mit billigen Waren überſchwemmte, als es ſeine Ausfuhr in den
Kriſenjahren (ſeit 1931) faſt verdoppelte, in der verängſtigten Welt wieder der
Schreckensruf von der „Gelben Gefahr“ auf, diesmal zwar wirtſchaftlich ge⸗
meint, aber für die Wirtſchaftsmenſchen dieſer Zeit um fo bedenklicher! Man
ſprach von einem „ſozialen Dumping“, was nichts anderes beſagen ſollte, als
daß Japan ſeine wirtſchaftlichen Erfolge auf den Auslandsmärkten nur auf
Koſten ſeiner gedrückten Arbeiterſchicht, infolge offener oder verhüllter Sklaven⸗
wirtſchaft erziele.
In der Tat ſollten wir die Entwicklung in Japan mit um ſo größerer Anteil⸗
nahme verfolgen, weil man heute Deutſchland gegenüber ähnliche Vorwürfe
zu machen geneigt ift, ſobald es einige Ausfuhrerfolge zeitigt; weil uns ferner
aber das Beiſpiel Japans lehren ſoll, wie man ſelbſt in Kriſenzeiten ſeine
Ausfuhr erhöhen kann; weil dieſes Beiſpiel außerdem zeigt, daß ein national-
wirtſchaftlich geſchloſſener, zu einer gewiſſen Anabhängigkeit ſtrebender, alſo:
944 Ferdinand Fried. Zimmermann
man kann beinahe fagen autarker Staat, dennoch kein Feind des Außen-
handels iſt, ja ſogar den Außenhandel gerade aus ſeinen Grundſätzen mehr
fördert als alle anderen Staaten; weil aber ſchließlich dieſes Beiſpiel uns auch
die großen Anterſchiede aufzeigt, die bei aller wirtſchaftlichen Verflochtenheit
zwiſchen den Völkern nun einmal beſtehen, einfach deswegen, weil es ſich um
verſchiedene Völker, um andere Naffen handelt, und man die Lebensbedingun⸗
gen und Lebensgewohnheiten eines Volkes nicht einfach und ohne weiteres auf
ein anderes übertragen kann, wie man vielleicht die Kleidung wechſelt. „Du
bleibſt doch immer, was du biſt“ — das gilt für den einzelnen Menſchen wie
für ein Volk, eine Naſſe; alſo auch für die Wirtſchaft eines Volkes, die ja
Ausdruck ſeiner Lebensform iſt.
Japan konnte fih wohl „europäifieren” in dem Sinne, wie der einzelne
Japaner europäiſche Kleidung anzog und teilweiſe auch europäiſche Gewohn⸗
heiten annahm; aber er blieb trotzdem, was er war: ein Japaner. Er blieb
ſeinem Volke zugehörig, ſeinem Blute verhaftet und ſeinem Boden verbunden.
Er lebte feiner Familie und kleidete fih im Heime japaniſch; er betete zu feinen
alten Schutzgöttern und verehrte die Ahnen. So blieb auch der japaniſche Staat
und die japaniſche Wirtſchaft, mochten ſie ſich noch ſo ſehr „moderniſieren“, im
Grunde immer japaniſch.
Bis zu dieſen letzten Zuſammenhängen muß man aber vorſtoßen, will man
die einzigartige Erſcheinung der japaniſchen Exportoffenſive wirklich ver⸗
ſtehen — will man überhaupt auch die wirtſchaftlichen Vorgänge auf der Welt
heute begreifen. Anſere Wirtſchaftsberatung verfällt zu leicht noch in den über⸗
kommenen Fehler, alles Wirtſchaftliche nur aus dem rechnenden Verſtande
her zu verſtehen und neigt immer noch dazu, die völkiſchen oder blutsmäßigen
Bedingtheiten ſowie die Gegebenheiten des Raumes oder des Bodens außer
acht zu laffen, weil fie fic) eben verftandesmäßig oder gar rechneriſch nicht
erfaſſen laſſen. Dabei drückte eine urwüchſige Wirtſchaftsauffaſſung folde,
gewiſſermaßen von Gott gegebenen Verſchiedenheiten durch die verſchiedenen
Währungen der Länder untereinander aus, und die Einführung der GoM-
währung in den letzten Jahrzehnten, beſonders ſeit der Jahrhundertwende, war
nichts anderes als der Verſuch einer einheitlichen Weltwährung, der durch das
feine Gedankenwerk einer Weltbank in Bafe! gekrönt werden ſollte. Dieſer
Verſuch fiel wie der Turmbau zu Babel in ſich zuſammen, und die Völker
zerſtreuten ſich wieder und ſprachen in verſchiedenen Zungen und zahlten in
verſchiedenen Währungen: der Engländer gründete feinen Sterling ⸗Club,
Amerika machte ſich ſeinen eigenen Dollar und Japan ſeinen Yen.
Aber ein Reſtbeſtand der alten babyloniſchen Denkungsweiſe iſt es, alle
wirtſchaftlichen Entwicklungen lediglich von der Währungsſeite her zu betrach⸗
ten, alſo beſonders etwa die japaniſchen Ausfuhrerfolge faſt ausſchließlich
auf die Abwertung des Yen zurückzuführen, die tatſächlich in einem Ausmaß
von zwei Dritteln des ehemaligen Wertes erfolgt iſt. Eine ſolche Betrachtung
verachtet zu ſehr die wirklichen Leiſtungen eines Volkes, die dahinter ſtehen,
vernachläſſigt die Gegebenheiten des Bodens — abgeſehen davon, daß ſie auch
rein wirtſchaftlich bei weitem nicht erſchöpfend iſt. Die Handhabung der Wäh⸗
rung iſt kein Stein der Weiſen, mit deſſen Hilfe der Alchimiſt aus Dreck viel⸗
leicht Gold machen kann und aus einem zuſammengebrochenen Welthandel
einen rieſigen Ausfuhrerfolg. Gerade das japaniſche Beiſpiel ſoll uns zeigen,
Die japanischen Exportgilden 945
wie ein ſolcher Erfolg nur möglich ift durch den gewaltigen Einfaß einer ge-
ſchloſſenen Kraftleiſtung des zuſammengeballten japaniſchen Volkes und
eines einheitlichen völkiſchen Ordnungswillens.
Japans Ausdehnungsdrang
Sobald wir die rein rechneriſche Betrachtung der wirtſchaftlichen Vorgänge
hintanſtellen (ohne ſie freilich überhaupt außer acht zu laſſen!) und ſie vor⸗
wiegend unter dem Geſichtspunkt völkiſcher und raummäßiger Bedingtheiten
ſehen, offenbaren fih ſogleich zwei Grundtatſachen der japaniſchen Entwick-
lung, auch in ihrer Bezogenheit zueinander: der Ausdehnungsdrang und die
von Natur aus gegenüber europäiſchen Ländern anders geartete Lebensfüh⸗
rung und Lebenshaltung.
Die Japaner ſind ein junges und ſich daher ſtark vermehrendes Volk, dem
aber nur ein begrenzter Raum zur Verfügung ſteht. Die japaniſche Inſelwelt
kann nicht einmal voll ausgenutzt werden; da ſich inmitten der Inſeln unwirt⸗
liche Gebirgszüge erheben, kann das Volk eigentlich nur die allerdings fein⸗
gegliederten Küſtenränder bebauen. Es ſtrebt einerſeits in einem ſorgfältigen
und eingehend bewirtſchafteten Terraſſenbau die Verghänge ſoweit hinauf wie
nur eben möglich; es ſucht andererſeits auch recht tief in das Meer und ſeine
Ertragsmöglichkeiten einzudringen. So lebten die Japaner als Bauernvolk ſeit
Jahrtauſenden, bis ſie Mitte des vorigen Jahrhunderts durch amerikaniſche
Kanonenſchüſſe in die Arena der Weltpolitik und Weltwirtſchaft getrieben
wurden. |
Hier erleben wir nun einen einzigartigen Vorgang in der Weltgefchichte
durch das Zuſammentreffen völlig entgegengeſetzter Entwicklungsreihen: Nord-
amerika, einſt ſelbſt Kolonie des Abendlandes, glaubte durch jene Kanonen⸗
ſchüſſe ſich ein eigenes neues Kolonialland erſchließen zu können, wollte ſich
ſeinen Anteil an dem märchenhaften fernen Oſten ebenſo ſichern, wie es Eng⸗
land in Vorderindien, Frankreich in Hinterindien und Holland in Nieder-
ländiſch⸗Indien bereits getan hatten. Aber das Volk, das da durch die
Kanonenſchüſſe Perrys aufgeweckt wurde, war weder eine alte ausgelaugte
Raſſe, noch ein barbariſcher Wildenſtamm, ſondern beſann ſich auf ſeine eigene
völkiſche Kraft — während auf der anderen Seite die Amerikaner nicht die
völkiſche Geſchloſſenheit und den Willen aufbrachten, aus der „Erſchließung“
Japans die notwendige Folgerung zu ziehen und es im Kampf zu unterwer⸗
fen — wie England Indien unterworfen hatte. Aber die Amerikaner
wollten ja kein politiſches Schickſal auf ſich nehmen, keine
Aufgabe vor der Geſchichte — ſondern ſie wollten nur Ge⸗
ſchäfte machen und wollen es auch heute noch. Sie ließen Japan
freie Hand in der Entwicklung, wollten nur die „offene Tür“, und aus dem
Kunden und Geſchäftsfreund von geſtern wurde heute der erbittertſte Konkur⸗
rent, aus dem Abſatzgebiet von geſtern wurde heute einer der gefährlichſten
Landesfeinde!
Japan hat fih zu einer neuen Weltmacht entfaltet. Ein erwachendes, völ-
kiſch geſchloſſenes und ſtarkes Volk trägt den Drang zur Ausdehnung, zur
Vermehrung ganz natürlich in fih, wie jedes geſunde Weſen. Aus dem jelbit-
genügſamen Bauernvolk ift heute faſt ein 100⸗Millionen⸗Volk geworden, dem
946 | Ferdinand Fried. Zimmermann `
der ohnehin ſchmale Küſtenſaum auf den japaniſchen Inſeln nicht mehr genügt
und das neuen Lebensraum ſuchen muß. Im Oſten, jenſeits des Pazifiſchen
Ozeans, ſammelt ſich die amerikaniſche Hochſeeflotte zur Abwehr gegen ein
japaniſches Vordringen; im Süden ſperren die Geſchütze der gewaltigen
Feſtung Singapore den Weg nach Neu-Guinea, Inſulinde und Auſtralien;
im Norden liegt die Eisbarriere — alſo bleibt nur der Stoß nach dem Weſten,
der freilich mit der ganzen Kraft und Zähigkeit dieſes Volkes geführt wird.
Aber Korea iſt von Koreanern bevölkert und die Mandſchurei von Chineſen.
Dieſes große Gebiet — einſchließlich der nordchineſiſchen Provinzen — kann
Japan nicht als Siedlungsland betrachten, ſondern als ein Land der wirtſchaft⸗
lichen Erſchließung und Ausbeutung. Das was Amerika mit Japan machen
wollte, das macht Japan mit Nordchina: die Mandſchurei iſt das
Indien von Japan. Es liefert Bodenſchätze, vor allem Kohle und Erze;
im Norden wird Weizen angebaut, im Süden Baumwolle, und dazwiſchen die
Sojabohne, die Allerweltsfrucht des Oſtens. |
Damit ift Japan aber in eine ganz andersgeartete Entwicklung gedrängt
worden. Arſprünglich ſuchte es Siedlungsland — denn die Sapa:
ner find ein Bauernvolk — aber es findet nur Rohſtoffgebiete.
So kommt es in die Verlegenheit, ſowohl diefe Rohſtoffgebiete auszunutzen,
als auch ſeine wachſende Bevölkerung auf andere Weiſe als durch fleißigſte
Bodenbebauung zu ernähren. And das war nur möglich, indem man unter
ſorgfältiger Ausnutzung der kolonialen Robftoffquellen zur Ausfuhr von
induſtriellen Erzeugniſſen überging, um mit den Ausfuhr⸗
erlöſen den Lebensbedarf der wachſenden Bevölkerung zu decken — wenig:
ſtens ſolange eigenes, neues Siedlungsgebiet noch nicht zur
Verfügung ſteht. : | |
Die Aufgabe des Außenhandels
Dem Außenhandel Japans iſt damit von vornherein eine dienende Aufgabe
gegenüber der Geſamtheit, gegenüber dem Wohle des ganzen Volkes zuge.
wieſen. Er iſt alſo nicht etwa Selbſtzweck und wird auch nicht, wie in vielen
anderen Ländern, getragen von dem privatwirtſchaftlichen Erwerbstrieb, von
der Rentabilität, geleitet vom Eigennutz; ſondern er wird nur nach volkswirt⸗
ſchaftlichen Geſichtspunkten beurteilt, nach feinen Leiſtungen für die Geſamt⸗
heit, alſo nach ſeiner Produktivität, geleitet vom Gemeinnutz. Auch inſofern iſt
der Außenhandel Japans nicht Selbſtzweck, als er nicht mit ſeinen Geſchäften
frei in den Lüften ſchwebt und ſeine Entfaltung nicht allmählich zu immer
ſtärkerer Abhängigkeit des Landes von wichtigen Erzeugniſſen fremder Länder
führt, ſondern wie von ſelbſtverſtändlich ruht er auf dem feſten und
ſicheren Boden einer ausreichenden Selbſtverſorgung; von
hier aus kann er ſich entfalten und dem Volke neue, zuſätzliche Kräfte zufüh⸗
ren — er ſelbſt muß ſeine Kräfte aber immer wieder wie der ringende Anteus
aus der Berührung mit dem Boden ziehen. |
So ift denn der Außenhandel in wirtſchaftlicher Beziehung etwa das, was
in politiſch⸗militäriſcher Hinſicht etwa die Kwantung⸗Armee darſtellt: die
Heerſäule eines einheitlichen, geſchloſſenen und ſelbſtbe⸗
wußten Staates, eines raſſiſch ſtarken und jungen Volkes mit ſtarkem
S nn go ee — —
p -e
Die japanischen Exportgilden 947
Lebenswillen. Dieſes Volk übernimmt die äußeren Formen der Wirtschaft
und des Handels von anderen, fremden Völkern, die einſt ſeine Eroberer ſein
wollten, ohne freilich dieſen Formen zu verfallen. Das Volk iſt jung und ſtark
genug, das fremde Gut ganz in ſich aufzunehmen, es gewiſſermaßen zu ver⸗
dauen und dadurch feinem (Gett und feiner Naffe anzupaſſen. Man kann alfo
nicht ſagen, daß der Japaner durch die moderne Ziviliſation umgewandelt wor⸗
den fei oder die japaniſche Wirtſchaft durch den Kapitalismus — vielmehr
hat das japaniſche Volk die ihm vom Kapitalismus aufge-
nötigte Wirtſchaft in ſeinem Sinne umgeſtaltet. Das bedeutet:
es hat auch dem Außenhandel eine ſeiner Art gemäße, alſo völkiſche, alſo auch
ſozialiſtiſche Ordnungsform gegeben, ohne dabei die ſeiner Natur gemäßen
Lebensbedingungen aufzugeben, alſo ohne der Verſuchung zu erliegen, mit dem
Einzug der abendländiſchen Ziviliſation auch abendländiſche Lebensformen an⸗
zunehmen. In dieſer eigenwilligen Erhaltung der biluts- und bodenbedingten
Art, in dieſer Selbſtbehauptung der völkiſchen Kraft unter Aneignung fremder
Formen liegt das ganze Geheimnis des japaniſchen Erfolges — nicht nur auf
dem Weltmarkte, ſondern ſchließlich ja auch in der Weltpolitik.
Japaniſche Lebenshaltung
Die Lebensbedingungen des Japaners, wie fie feinem Raum entſpringen
und wie fie feiner Raſſe angepaßt find, haben eine ganz andere Form als etwa
unſere Lebensbedingungen. Man hüte ſich davor, hier eine. Wertung einzu-
ſchalten und die japaniſche Lebenshaltung vielleicht als niedriger zu bezeichnen
als die abendländiſche. Das drückt doch nur die Behauptung aus, daß die
japaniſche Lebenshaltung in unſeren Augen niedriger iſt, während fie tatſäch⸗
lich dem Japaner nicht ſo erſcheint. Man kann ſich ſogar vorſtellen, daß dem
Japaner die europäiſche Lebenshaltung als niedrig erſcheint, ſofern man näm⸗
lich bei der Beurteilung auch noch andere Werte berückſichtigt als die rein
irdiſchen Güter, als Eſſen, Trinken und Kleidung. Es iſt ſchon richtig, den
„Reis⸗Standard“ dem „Fleiſch⸗Standard“ gegenüberzuſtellen — aber nur als
finnbildlicher Ausdruck verſchiedengearteter Verhältniſſe, gewiſſermaßen ver⸗
ſchiedener „Währungen“ im eigentlichen, echten Sinne.
Es wurde bereits geſchildert, wie der Japaner an den Küſtenſäumen der
Natur alles abzuringen ſucht, was ſie hergeben kann. Er ſteht gleichſam mit
einem Fuß an den Berghängen und verſucht dort, durch Reis- und Gartenbau
möglichſt viel an Nährſtoffen herauszuholen; mit dem anderen Fuß im Meere,
das ihm freilich ſeinen Reichtum an Fiſchen aller Art freigebig ſpendet. Der
Bezug der Nahrung aus dem Meer iſt die eine wichtige Säule der japaniſchen
Lebenshaltung; die zweite iſt die Sojabohne, die urſprünglich auch japaniſchem
Feldbau entſtammt, heute aber ſchon vorwiegend aus der Mandſchurei bezogen
wird. Beide Nahrungsmittel, Seefiſche und Sojabohne, ermöglichen den Do,
panern den unmittelbaren Bezug von Fett und Eiweiß, nicht wie bei uns
auf dem Amweg über das Vieh; infolgedeſſen find die Ernährungskoſten Ihon
durch die natürliche Gegebenheit gegenüber den unſrigen etwa um die Hälfte
geringer.
Die dritte Hauptſpeiſe, der Reis als Lieferant der Kohlehydrate, ift freilich
nicht ſo entſcheidend billiger, manchmal ſogar verhältnismäßig teuer, beſonders
948 Ferdinand Fried. Zimmermann
wenn einmal eine große Spekulation im Gange ift, wie bei der Witwe Suzuki
vor dem aufſehenerregenden Zuſammenbruch ihres Konzerns im Jahre 1829.
Neuerdings nimmt ſich aber die Regierung, wie ſo vieler Dinge, auch der
Reisverſorgung und des Reispreiſes an, wobei ſie freilich auch die Lage der
Reisbauern berückſichtigen muß. Doch ſoll auf dieſe innerwirtſchaftlichen und
ſozialen Verhältniſſe Japans in einem ſpäteren Aufſatz eingegangen werden.
Insgeſamt fegt fih alfo die japaniſche Speiſekarte ganz anders zuſammen
als die europäiſche. Sie beſteht in erſter Linie aus Reis, dann aus pflanz⸗
lichen Olen, aus Seſam, Raps oder der Sojabohne (tieriſche Fette, alſo
Butter und Schmalz, werden fo gut wie gar nicht verwendet!), aus Fiſchen
aller Art, alſo Vonito⸗Makrelen, Thunfiſch, Aal, Teufelsfiſch, Tintenfiſch
(dagegen kein Fleiſchl), aus friſchen Früchten und Gemüſen (beſonders Radis,
Karotten, Spinat, Zwiebel), aus getrockneten Gemüſen, Vohnen⸗Paſteten,
getrockneten Bonitos uſw. — und als Getränk in allen Lebenslagen der japa⸗
niſche (grüne) Tee.
Das bemerkenswerte an dieſer Speiſekarte iſt nun, daß ſie auch keine, oder
nur verhältnismäßig geringe ſoziale Abſtufungen zuläßt; ſie iſt von vornherein
gleichſam auf die völkiſche Einheit zugeſchnitten, alſo in tieferem Sinne wirk⸗
lich ſozialiſtiſch. Im weſteuropäiſchen Abendland wurden die Anterſchiede von
einem Engländer treffend ſo gekennzeichnet: der arme Mann genießt Hering
und Tee, der Reiche aber Auſtern und Champagner. Dieſen Anterſchied gibt
es in Japan nicht: dort genießen alle Reis und Fiſch — vom Bauern und
RER bis zum Konzernbeherrſcher und Feudalherren, ja bis zum
aiſer! | i
Diefe natürlichen Gegebenheiten verfucht man neuerdings fogar noch ſtärker
und bewußter auszugeſtalten, indem man durch geſchickte Verbrauchslenkung
das japaniſche Volk noch mehr beeinflußt, diejenigen Nahrungsmittel zu ſich
zu nehmen, die der Boden und das Meer reich und billig liefern. Es gibt da
ein beſonderes, wahrſcheinlich auch vom Staat geſchütztes Laboratorium von
Dr. Saiki, das die Ernährungsgrundlage Japans wiſſenſchaftlich unterſucht
und ausbaut, und das kürzlich einmal ausgerechnet hat, ein Japaner braucht
nur drei tägliche Mahlzeiten zum Preiſe von 12 Pfennigen, die nahrhafter
und reichhaltiger feien als drei europäiſche Mahlzeiten, die etwa das Zwanzig
fache erfordern. | |
Unter dieſem Geſichtspunkt, vor allem der Anvergleichbarkeit der Zahlen,
müſſen nun die Löhne der japaniſchen Arbeiter betrachtet werden. Wenn als
durchſchnittlicher Tageslohn für Männer und Frauen höchſtens 3 Yen an⸗
gegeben werden, ſo bedeutet das zwar nur ungefähr 2 Mark am Tag, aber
dafür find die Lebenshaltungskoſten erheblich billiger als bei uns, auch was
übrigens Kleidung und Miete angeht. Das wärmere Klima geſtattet leichtere
Kleidung und den Bau der leichten Holzhäuſer. Vor allem aber müſſen neben
den bereits aufgezeigten natürlichen Verſchiedenheiten in der Lebenshaltung
auch die Verſchiedenheiten in der ſonſtigen Lebensführung berückſichtigt wer⸗
den, wie ſie einem ganz anders gearteten geſellſchaftlichen Aufbau entſpringen.
Die Frauenarbeit ſpielt eine größere Rolle, aber nur als Durchgangsſtation
vor der Verheiratung; das Verhältnis zwiſchen Anternehmer und Arbeiter iſt
enger, familiärer als bei uns, woraus ſich oft auch ein anderer Aufbau des
Anternehmens oder der Betriebsordnung ergibt — auf alle dieſe Dinge foll
in dieſem Zuſammenhang nur flüchtig hingewieſen werden, um die Anver⸗
Die japanischen Exportgilden 949
gleichbarkeit der ſozialen Bedingungen hervorzuheben und den gewaltigen
japaniſchen Erportangriff auf dem Weltmarkt nicht allzu leicht mit Währungs-
oder ſozialem Dumping abzutun, ſondern um die Aufmerkſamkeit auf die wirk⸗
lichen Zuſammenhänge zu lenken, die viel tiefer im japaniſchen Volk ver⸗
wurzelt ſind, und die infolgedeſſen auch viel ernſter zu nehmen ſind als einfache
Rechenaufgaben. Denn neben die geſchilderten natürlichen Lebensbedingungen
tritt nun noch etwas anderes, das aber ebenſoſehr in der japaniſchen Raffie
verwurzelt ift: der Leiftungs- und Ordnungswille eines ſtarken
und geſchloſſenen Volkes.
Der Leiſtungswille kommt in dem vollendeten techniſchen Ausbau der In⸗
duſtrie und der Anſpannung aller darin arbeitenden Kräfte zum Ausdruck, der
Ordnungswille aber in dem Aufbau des japaniſchen Außenhandels durch
Exportgilden, bei denen der Gedanke der inneren Marktordnung,
in der japaniſchen Binnenwirtſchaft ſchon weitgehend durch⸗
geführt, auch in außenwirtſchaftlicher Hinſicht angewendet
worden iſt und mit feiner Stoßkraft den Durchbruch des japa⸗
niſchen Außenhandels auf dem Weltmarkt ermöglicht hat.
Völkiſcher Leiſtungswille.
Dieſer Durchbruch der Ausfuhr wurde notwendig, als ſich mit dem Zuſam⸗
menbruch der Weltwirtſchaft auch Japans Gleichgewichtslage verändert hatte.
Japans Lebensführung und Kraft ruhte zunächſt — und ruht auch heute
noch — auf ſeinem eigenen Boden und ſeinen natürlichen Hilfsquellen. Aber
die zuſätzlichen Kräfte, die Japans techniſche Ausrüſtung und Entwicklung er-
möglichten und die den Ausdehnungsdrang unterſtützten, holte ſich Japan aus
der übrigen Welt im Austauſch gegen feine Seidenausfuhr. Der Geiden-
bau war und ift auch eine natürliche Hilfsquelle des japanifhen Bodens und
bedeutete nach der Erſchließung Japans eine weltwirtſchaftliche Vorzugs⸗
ſtellung, die Japan auszunützen verſtand — ohne in die Gefahr der
Monokultur zu verfallen. Es tauſchte Seide nicht gegen ſeine geſamte
übrige Lebensführung (dann wäre es zur Kolonie geworden!), ſondern gegen
Maſchinen und Nohſtoffe, die es ſonſt nicht beſaß. Es baute fic) damit ſchon
frühzeitig ſeine eigene Induſtrie auf. Immerhin blieb die Seidenausfuhr die
Grundlage des Bezuges anderer techniſcher Hilfsquellen aus dem Ausland.
Noch vor der Weltkriſe überſtieg beiſpielsweiſe die Seidenausfuhr nach den
Vereinigten Staaten, dem Hauptabnehmer, den geſamten Robftoff- und Ma-
ſchinenbezug von dort. Seit 1929 waren aber die Vereinigten Staaten als
Seidenabnehmer ſo gut wie ausgeſallen, und Japan mußte, aus ſeiner geſchil⸗
derten Zwangslage heraus, um ſeine Rohſtoffe und ſonſtigen Bezüge decken
zu können, verſuchen, mit den anderen Ausfuhrgütern zu bezahlen. And es griff
dabei zu den Fertigwaren aller Art, in richtiger Erkenntnis ſeiner beſonderen
Lage und des Vorzuges ſeiner Arbeitskräfte. Es war die Ausnutzung eines
Anterſchiedes der „Währung“ — nicht in geldlicher Beziehung, ſondern ge⸗
ſamtwirtſchaftlich geſehen, alſo gewiſſermaßen einer Arbeitswährung.
Dieſer von der Natur gegebene Vorteil wurde aber durch geſteigerte Lei-
ſtung und ſoldatiſche Ordnung ausgenutzt. Bei dem Vorhaben, die Welt mit
billigen japaniſchen Waren zu überſchwemmen, durfte man ſich nicht mit
950 Ferdinand Fried. zimmermann
Schund und Tand begnügen, ſollte es ſich um eine Dauerleiſtung handeln.
Japan mußte daher von vornherein auch auf die Hebung der Güte feiner
Waren bedacht ſein — und es entwickelte darin ebenſoviel Ehrgeiz wie An⸗
bedenklichkeit. Es ift faſt weltbekannt, daß die Japaner keine Scheu vor Pa
tenten haben — ſie haben aus ihrer ganzen Einſtellung heraus wohl kein Ver⸗
ſtändnis dafür. Andererſeits empfinden ſie es als beleidigend, wenn ein Eng⸗
länder ihre Waren als „Woolworths“ bezeichnet — was übrigens auf dieſen
ein bezeichnetes Licht wirft. Man kann die Lage Japans in dieſer Hinſicht
ungefähr mit der Deutſchlands Ende des vorigen Jahrhunderts bezeichnen, als
auch Deutſchland verſuchte, ſich mit ſeiner Fertigwarenausfuhr einen Platz an
der Sonne zu ſchaffen. Auch hier kam zunächſt viel Schund auf den Markt
und veranlaßte die Engländer zu dem bekannten Abſchreckungs⸗Stempel
„Made in Germany — aber wer konnte damals ahnen, daß dies in ganz tur-
zer Zeit zu einem Ruhmestitel wurde! Dieſelbe Bedeutung fol — das ift
Japans Ehrgeiz — auch der Marke „Japanese made“ zukommen. Gewiß ſind
He oft gezwungen, billigen Kram und Plunder herzuſtellen, weil fie ihn mit
Vorliebe in jene Gebiete liefern, die bisher von der Kultur noch wenig beledt
waren; man denke beſonders an die rührige Tätigkeit der Japaner in Abeſſinien
vor Kriegsausbruch. Dieſe Gebiete müſſen ſo undenkbar billig beliefert werden,
daß es nur noch auf Koſten der Qualität gehen kann, will man dieſes Gebiet
überhaupt in den „Kulturkreis“ hineinziehen. Aber Japan fühlt ſich hier von
einer ähnlichen geſchichtlichen Aufgabe getragen wie England, als es the white
mans burden auf ſich nahm. And ſobald dieſe Gebiete erſt angelockt und „ge⸗
wöhnt“ find, will Japan verſuchen, ſie ganz allmählich zur Qualität zu erziehen.
Die Qualität hat es aber auch heute ſchon auf Lager und kann mit ihr nach
Nordamerika und fogar nach Europa (beſonders Frankreich!) eindringen, fo
daß man dort ſchon Schutzmaßnahmen treffen mußte; und voller Stolz können
ſchließlich die Japaner auf ihre Schlachtſchiffe hinweiſen, die auch „Japanese
made“ find, und ein drohendes Zeichen von Qualität! ,
Am das zu erreichen — und vielleicht noch mehr — hat fih Japan nicht nur
induſtrialiſiert, ſondern „rationaliſiert“, um ein abgebrauchtes Schlagwort an-
zuwenden. Die Japaner haben dieſen Inbegriff letzter abendländiſcher Entwick⸗
lung, der uns viel Geld und Gemüt gekoſtet hat, auf ihre Art aufgenommen
und, immun gegen das darin enthaltene Gift, umgeſtaltet. Sie nennen es daher
auch in ihrer eigenen Sprache tösei. Infolgedeſſen iſt auch das Verhältnis
zwiſchen Betriebsführer und Gefolgſchaft viel inniger, familiärer und konnte
nicht, wie im Abendland, durch die techniſche Entwicklung und gar durch die
Rationalifierung aufgeſpalten werden zum Klaſſenhaß und Klaſſenkampf.
(Auf die gewaltigen ſozialen Spannungen, die dennoch beſtehen, ſoll in dem
ſpäteren Aufſatz ausführlich eingegangen werden.) Der japaniſche Arbeiter, von
Natur aus ſippengebunden, fühlt ſich auch ſeinem Anternehmen verbunden;
und je mehr auch der Anternehmer dieſem Familiengefühl durch ſeine ſozialen
Einrichtungen entgegenkommt, deſto enger iſt das beiderſeitige Verhältnis.
Dann entwickelt der Arbeiter und auch die Arbeiterin einen Ehrgeiz der Lei⸗
ſtung, die uns unfaßbar bleibt, wie manches andere in der japaniſchen Seele.
And die Erfolge dieſer Anſtrengungen werden wiederum nicht der eigenen
—
—
Leiſtung zugeſchrieben, beſcheiden tritt der einzelne zurück hinter die Schutz-
götter, die dem Werke wohlgefinnt waren, und der heilige Schinto⸗Schrein in
Die japanischen Exportgilden | 951.
der Fabrik iſt zugleich für alle Angehörigen Anſporn zur Leiſtung und vor
allen Dingen: Ausdruck der völkiſchen Zuſammengehörigkeit
aller!
Die Entſtehung der Gilden
Dieſe Grundhaltung des japaniſchen Weſens: die nationale, völkiſche Ge⸗
ſchloſſenheit, die nach außen natürlich noch viel ſtärker in Erſcheinung tritt,
war es auch, die die einheitliche Ordnung des japaniſchen Außenhandels in den
Exportgilden begünſtigte. An fih liegt dem Japaner der Zuſammenſchluß im
Blute, zur Familie, zur Sippe, zur Nation. Und das äußerte ſich überhaupt
ſchon frühzeitig in der Wirtſchaftsentwicklung, ſo daß man faſt ſagen kann,
Japan habe eine Stufe der kapitaliſtiſchen Entwicklung, nämlich die des hem⸗
mungsloſen Individualismus und Liberalismus, überſprungen. : Richtiger
noch: Japan hat den eigentlichen Kapitalismus nie voll übernommen, ſondern
aufgenommen und völkiſch verarbeitet — unter Ausſcheidung der ſchädlichen
Beſtandteile; ein Vorgang, der noch nicht ganz abgeſchloſſen iſt, der ſich heute
noch vollzieht und hin und wieder einige Piſtolenſchüſſe auslöſt. Ä
Japan lernt alfo vom Abendland den Wirtſchaftsbetrieb und den technifchen
Gortidritt (ſelbſt unter Mißachtung der Patente) und knüpft im übrigen feine
wirtſchaftliche Entwicklung an alte Ordnungsformen und Überlieferungen an.
Zu dieſen gehören die Gilden in erſter Linie. Man findet die Gilden ſchon
ſehr ausgeprägt im alten China; vielleicht hat ſie Japan von dort übernom⸗
men. Jedenfalls war ſchon vor dem Kriege und noch früher das Zunft-
weſen in Japan viel ſtärker ausgebildet als in irgendeinem anderen,
beſonders europäiſchen Lande. Gerade vor der Meiji⸗ Revolution, die den
Anſchluß Japans an die Weltwirtſchaft und Weltpolitik herbeiführte, be-
ſtanden feſte alte Handwerker Verbände, und an diefe wurde auch bei der
induſtriellen Entwicklung angeknüpft. Nach zwei Richtungen wurden ſie er⸗
neuert: in der Entwicklung von Anternehmerverbänden, die ſpäter zu
Konzernen, Kartellen, Syndikaten und Exportgilden führten, und in der Ent⸗
wicklung von Arbeiterverbänden, die freilich erſt ihre Blutprobe im
Jahre 1910 durchmachen mußten, ehe fie 1911 durch die Arbeiterſchutzgeſetz⸗
gebung des Staates in das völkiſche Leben eingereiht wurden. ,
Die Bezeichnung „Gilden“ hat fih aus dem Engliſchen eingebürgert. Der
Engländer nennt ſolche Verbände immer Gilden, beſonders wenn fie genoſſen⸗
ſchaftlicher Art ſind. Dabei iſt es fraglich, ob es ſich hier um Gilden im eigent⸗
lichen engeren Sinne handelt, wie ſie dem nordiſchen Menſchen entſprungen
ſind und wie ſie an dieſer Stelle kürzlich an dem Beiſpiel der baltiſchen Gilden
geſchildert wurden. Tatſächlich beruht auch das japaniſche Gildenweſen ſeinem
Arſprung nach auf dem Geſchlechterverband der Großfamilie, aber auch auf
der Erblichkeit des Berufes. Es hat alſo kultiſche und wirtſchaftliche Wurzeln.
Bei den neugebildeten Gilden handelt es fih ganz überwiegend um wirtfchaft-
liche Vereinigungen, freilich genoſſenſchaftlicher Art, ſo daß man ſie beſſer als
Exportverbände oder Exportgenoſſenſchaften bezeichnet — ähnlich auch die Gil⸗
den in der Kleininduſtrie als genoſſenſchaftliche Verbände. Aber es iſt zu
bedenken, nicht nur daß ſich die Gildenbenennung eingebürgert hat, ſondern
vor allem auch, daß die Neigung zu ſolchen Zuſammenſchlüſſen in den Arſprün⸗
Dial Heft 11, Jahrg. 4, Bg. 2 |
952 Ferdinand Fried. Zimmermann
gen doch auf andere als wirtſchaftliche Erwägungen zurückzuführen ift, daß fie
traditionsgebunden und blutsbedingt iſt.
Wirtſchaftliche Erwägungen ſpielten dann freilich eine große Rolle, um die
gildenmäßigen Zuſammenſchlüſſe herbeizuführen und zu beſchleunigen. Es
wurde bereits auf die große Amſtellung der japaniſchen Ausfuhr von der Seide
auf eine Vielzahl von Fertigwaren hingewieſen, die unter letzter Ausnutzung
aller wirtſchaftlichen und techniſchen Vorteile ſo billig und ſo gut wie möglich
hergeſtellt werden, unter Einſatz aller Kräfte. Dieſer Tatbeſtand ver-
trägt keinen freien Wettbewerb mehr. Wenigſtens im Ausland iſt
es nicht möglich, daß ſich die Japaner gegenſeitig Konkurrenz machen, und
zwar einmal, weil es ihr nationaler Stolz ihnen verbietet, vor
dem Ausland nicht einheitlich und geſchloſſen aufzutreten, oder gar fih gegen-
ſeitig die Kunden und Aufträge wegzufangen; und dann, weil es für die ge-
ſamte Nation höchſt unwirtſchaftlich wäre, ſich gegenſeitig zu
unterbieten, denn jede Anterſchreitung des ſchon mindeſt berechneten Prei-
ſes trägt die Geſamtheit der japaniſchen Wirtſchaft dem Ausland gegenüber,
wäre ein nutzloſes, unverlangtes und überflüſſiges Opfer des japaniſchen Bol-
kes an irgendein anderes Volk. Hier kommt alfo beſonders deutlich zum Aus-
druck, daß Japan die Ausfuhrfrage volkswirtſchaftlich be,
trachtet, nicht privatwirtſchaftlich, daß der Außenhandel eine An-
gelegenheit der Wirtſchaft in ihrer Geſamtheit iſt und nicht dem zufälligen
Gewinnſtreben oder Erwerbstrieb einzelner Kaufleute oder Freibeuter aus⸗
geliefert werden darf; zumal ja die Lebenswichtigkeit der Ausfuhr für den
Beſtand der Nation anerkannt iſt. Wenn man nun auch dem Ausland nicht
das Schauſpiel gegenſeitigen Wettbewerbes und gegenſeitiger Betrügereien
bietet, wie es ſonſt oft vorkommen mag, ſondern das Ausland durch
ein einheitliches, geſchloſſenes Auftreten gerade gewaltig
beeindruckt, ſo iſt darum die ſegensreiche Wirkung des Wettbewerbs,
nämlich die Erſtellung des billigſtmöglichen Preiſes, oder die Anterbietung
des billigſten ausländiſchen Wettbewerbers nicht ausgeſchaltet. Das
japaniſche Beiſpiel lehrt ja gerade, daß es ſogar ganz beſonders wirkſam ſein
kann. Der Wettbewerb und ſeine treibenden Kräfte ſind
innerhalb des geſamten Wirtſchaftsablaufes nur „vorver ⸗
legt“ wordenz er findet ſchon, wie geſchildert wurde, in der Anternehmung,
in der Fabrik ſelbſt ſtatt, wo ſich Arbeiter und Anternehmer gegenſeitig zu
höchſten Leiſtungen anſpornen. .
Die Vielzahl von Fertigwaren, bergeftellt von einer Vielzahl von Fabriken,
ſollte dem Auslande alſo nicht in gegenſeitigem Wettbewerb aufgezwungen
werden, der bald genug zur Schmutzkonkurrenz geworden wäre und der den
beginnenden Qualitätsruf japaniſcher Erzeugniſſe unweigerlich vernichtet hätte,
ſondern ſollte gerade in einheitlicher, geſchloſſener Wucht im Ausland wirken.
Dabei iſt aber noch zu berückſichtigen, daß die Vielzahl der Fertigwaren in
eine Vielzahl von Ländern geht: die Streuung der Ausfuhr iſt beſonders groß.
Die Amlagerung des japaniſchen Außenhandels vollzog ſich alſo in doppelter
Beziehung, warenmäßig und raummäßig. Früher handelte es ſich lediglich
darum, Seide nach den Vereinigten Staaten auszuführen, heute eine Vielzahl
von Erzeugniſſen in eine Vielzahl von Ländern. Dieſe gewaltige Um-
lagerung vollzog ſich in einem Jahrzehnt und ſtellt eine der
größten volkswirtſchaftlichen Leiſtungen der Gegenwart dar.
Die japanischen Exportgilden 953
Man bedenke: noch 1925 gingen drei Viertel der geſamten Ausfuhr Japans
in die großen Abſatzländer Nordamerika, England, Frankreich und China,
heute (1935) nur noch die Hälfte — die andere Hälfte zerſplittert fih auf zahl⸗
loſe neue Länder. And während 1925 die Fertigwarenausfuhr noch knapp
40 v. H. der Geſamtausfuhr ausmachte, ſtieg dieſer Anteil heute auf über
70 v. H.! Daß dieſe Leiſtung organiſatoriſch bewältigt wurde, hat Japan im
weſentlichen ſeinen Exportgilden zu verdanken.
Aufbau und Aufgaben der Gilden
Da die Ausfuhrſteigerung und Amlagerung des Außenhandels als eine
völkiſche Aufgabe anzuſehen war, hat fih auch der japaniſche Staat ſchon früh-
zeitig an der Bewältigung beteiligt. Er hat die Entſtehung der Exportgilden
begünſtigt und ſchließlich ſogar herbeigeführt. Das was ſich in der japaniſchen
Wirtſchaft ſchon von ſelbſt regte, hat er nicht, wie in vielen anderen Ländern,
aus doktrinären Gründen unterdrückt, ſondern ſogar in eine geſetzliche Form
gegoſſen. Am 1. September 1925 wurde das Geſetz über die Ausfuhrverbände
erlaſſen. Hiernach wurde allen Ausfuhrgeſellſchaften oder -genoſſenſchaften, die
ſchon entſtanden waren, ſoweit ſie ſich in Abereinſtimmung mit den Geſetzen
überhaupt gebildet hatten, die Stellung einer juriſtiſchen Perſon zugebilligt.
Sie wurden alſo legaliſiert und rechtsfähig gemacht. Dieſes Geſetz wurde 1931
noch ausgebaut und erweitert, indem den Ausfuhrverbänden für beſtimmte
Zwecke, vor allem für die Errichtung von Niederlaſſungen im Ausland, von
der Regierung Anterſtützungen zugebilligt wurden. Dies iſt übrigens die
einzige geldliche Anterſtützung, die der japaniſche Staat den Ausfuhrverbän⸗
den zukommen läßt und damit der japaniſchen Ausfuhrförderung überhaupt;
es dürfte ſich um einen jährlichen Betrag von 100 000 Den handeln. Am fo
dw allerdings unterſtützt der Staat die Ausfuhrverbände in jeder anderen
inſicht.
Während die großen und ſchweren Induſtrien, die ohnehin ſchon ſtraff in
Kartellen und Konzernen geordnet ſind, meiſt unmittelbar ausführen, bezieht
ſich die Bildung der Exportgilden auf die Fertigwaren und bedeutet die Zu-
ſammenfaſſung vieler kleiner und mittlerer Anternehmungen zum Zwecke der
Ausfuhr. Die Zuſammenfaſſung erfolgt entweder nach Warengruppen oder
nach Ländern (Abſatzgebieten). Erſtrebenswert iſt das Zuſammenfallen beider:
gleiche Waren nach den gleichen Auslandsmärkten — in einer Exportgilde.
Die Zuſammenfaſſung nach Warengruppen ſoll nur für „wichtige“ Waren
erfolgen, aber da die geſamte Ausfuhr als lebenswichtig betrachtet wird, ſo
kann tatſächlich jede Ware erfaßt werden. Anfang 1935 wurden etwa 30
Warengruppen gezählt. Es gab nun
Anfang 1934 50 Ausfuhr- Verbände
„ 1935 5 o
Gegenwärtig dürften es noch mehr fein. Unter den Ausfuhrverbänden nach
dem Stande von 1935 befanden ſich nun gebietsweiſe
13 Exportgilden für die Mandſchurei
7
e „ Mittel- und Südamerika
6 S „ Nordamerika
3 n n Europa
954 Ferdinand Fried. Zimmermann
Sie arbeiten befonders wirkſam durch die Möglichkeit des Zwangsbeiſchluſſes,
und fet es auch nur in der Form, daß Beſchlüſſe der Exportgilden (als ſelb⸗
ſtändiger juriſtiſcher Körperſchaften!) durch Geſetz für alle Angehörige eines
Gewerbezweiges bindend gemacht werden, auch wenn ſie nicht formell Mitglied
der Gilde ſein ſollten. Man führt alſo den Gedanken der Ordnung folge⸗
richtig zu Ende; und wie ſtraff dieſe Ordnung iſt, geht daraus hervor, daß ein
Amgehen der Beſtimmungen, ein Verſuch etwa „ſchwarz“ zu exportieren, mit
Gefängnis beſtraft wird.
Der Staat hält alſo ſeine ſtarke und ſchützende Hand über dieſe Vereinigun⸗
gen; aber er beſchränkt fih auch nur auf dieſes, freilich ſtrenge Auffichts- und
Eingriffsrecht; er hütet ſich, die wirtſchaftliche Tätigkeit ſelbſt in die Hand zu
nehmen. Der oberſte Grundſatz der Exportgilden iſt der der
Selbſt verwaltung. In dieſem Rahmen haben ſie jedoch ſehr weitgehende
Befugniſſe, und alles, was erfaßbar iſt, wird mit einem geradezu fanatiſchen
Eifer der einzigen Aufgabe der Ausfuhrförderung unterſtellt.
Sie ſind vor allen Dingen Gemeinſchaftseinrichtungen der Anternehmer,
aber ausſchließlich in den Dienſt der Förderung des Gemeinwohles, der
geſamtjapaniſchen Wirtſchaft, geſtellt. So prüfen und beraten ſie ihre Mit⸗
glieder auf allen Gebieten, ermahnen ſie auch durch ſanften Druck oder erzwin⸗
gen ihren Willen durch härtere Maßnahmen. Sie beraten den Anternehmer
ſchon beim Bezug der Rohſtoffe, ja ſie ermöglichen ſogar den gemeinſamen
genoſſenſchaftlichen Einkauf der Nohſtoffe und von Halbfabrikaten, der dann
anteilsmäßig verteilt wird; auf jeden Fall prüfen fie die Nohſtoffe, die ihre
Mitglieder beziehen, auf ihre Güte. Sie prüfen und überwachen auch den Her⸗
ſtellungsgang der Waren in den einzelnen Fabriken und achten dabei — ſchon
durch beiſpielhafte Wirkungen — auf die beſtmögliche und wirtſchaftlichſte
Ausnutzung der Technik und des Betriebes. And ſie prüfen ſchließlich und vor
allen Dingen auch die Güte der Erzeugniſſe ſelbſt, denn Hebung der Qualität
der japaniſchen Waren iſt eins der Hauptzwecke der Exportgilden. Um all dieſe
Aufgaben durchzuführen, haben die Gilden noch weitergehende wirtſchaftliche
Befugniſſe. Sie können Einlagen von ihren Mitgliedern annehmen und ver⸗
walten, andererſeits ihren Mitgliedern Betriebskredite gewähren, haben alſo
durchaus bankmäßigen Anſtrich, mit allen Maht- und Druckmitteln einer
Bank. And das verſtärkt ſich noch dadurch, daß ſie auch die Rolle einer Ver⸗
ſicherungsgeſellſchaft ſpielen; zunächſt beſteht für die Mitglieder oder Genoſſen
eine Gemeinſchaftshaftung für die Verbindlichkeiten, dazu kommt die Ver⸗
teilung des Erport-Rifitos auf die Geſamtheit der Genoſſen. Nimmt man da-
zu noch die Möglichkeit der Verleihung von Maſchinen an Mitglieder, ſo
hat man alle Aufgaben beiſammen, die die Exportgilden ungefähr der Binnen-
wirtſchaft gegenüber wahrnehmen können: fie vereinigen in fih Einkaufs und
Bezugsgenoſſenſchaften, Kreditgenoſſenſchaft, Abſatzgenoſſenſchaft, Produk⸗
tivgenoſſenſchaft, Bank und Verſicherungsgeſellſchaft, Leiſtungskontrolle und
Verſuchsring — alles Einrichtungen, die ja gerade dem deutſchen Bauern ſehr
vertraut ſind. | | |
Ihre eigentliche und gewaltige Schlagkraft entfalten fie aber erft der Außen⸗
wirtſchaft gegenüber. Wenn die Ausfuhr hier als eine Heerſäule des japani⸗
ſchen Volkes bezeichnet wurde, ſo kann man die Exportgilden die wirtſchaft⸗
lichen Kampfſtaffeln nennen. Ihre wichtigſte Aufgabe iſt die Erzielung des
angemeſſenen Preiſes: einerſeits verhindern ſie die unlautere Preisſchleuderei,
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Die japanischen Exportgilden 955
die Schmutzkonkurrenz untereinander und gewährleiſten ein einheitliches Auf-
treten der Japaner auf dem Weltmarkt; andererfeits verſuchen ſie, gerade den
Preis zu erreichen, der zur Eroberung des betreffenden Marktes ausreicht.
Da die Gilden länderweiſe aufgeteilt ſind, ſo fällt ihnen außerdem noch die
volkswirtſchaftlich bedeutſame Aufgabe zu, mit den einzelnen Ländern
möglichſt einen Ausgleich der Handelsbilanz herbeizufüh⸗
ren. Was in anderen Staaten alſo erſt mühſam durch beſondere Abmachun⸗
gen von Regierung zu Regierung ausgepaukt werden muß, das vollzieht ſich
hier durch Selbſtverwaltungskörper der Wirtſchaft zwanglos und beinahe von
ſelbſt. Es ergibt fih alfo für die Gilden auch die Notwendigkeit der Aber⸗
nahme und Einfuhr von Rohſtoffen, beſonders von dort, wo dafür ein ent⸗
ſprechender Abſatz japaniſcher Waren gewährleiſtet wird. Bei dieſen Rop-
ſtoffbezügen darf man nicht allzu ſcharf auf den Preis ſehen; es kommt viel⸗
mehr auf die Gegenſeitigkeit des Warenaustauſches an als auf den Preis!
Denn wenn ſich wirklich große Preisunterſchiede ergeben und der betreffende
Robftoff zu teuer würde, dann kann die Gilde, um den Anterſchied zu über-
brücken, auf einen Fonds zurückgreifen, der zu dieſem Zwecke aus früheren
Exportgewinnen gebildet worden iſt. Auch dieſe Art des Ausgleiches — die
in ihrem Grundgedanken übrigens von den Stellen des Reichsnährſtandes
ebenfalls ausgeübt wird! — ift nur möglich dadurch, daß die geſamte Aus.
fuhr einer Gruppe einheitlich über die Gilde abgerechnet
a die Geck werden auf die einzelnen Mitglieder anteilmäßig
verteilt. -
Im Auslande ſelbſt führen nun die Exportgilden es völlig das Geſchäft.
Die Errichtung von Zweigniederlaſſungen im Auslande, die der Staat unter⸗
ſtützt, wurde bereits erwähnt; 1934 beſtanden etwa 25 ſolcher Zweigſtellen. Sie
überwachen zunächſt die Vereinbarungen der Mitglieder oder Genoſſen unter-
einander. Dieſe beziehen ſich auf die Einhaltung von Mindeſtpreiſen und von
Höchſtmengen für beſtimmte Warengattungen und Länder. Danach ift der
Export alſo quotenmäßig aufgeteilt. Außerdem haben die Gilden bzw. deren
Zweigſtellen die Möglichkeit, auch ſelbſt zu verkaufen. Ihre wichtigſte Aufgabe
iſt aber, Geſchäftsmöglichkeiten aufzuſpüren und Geſchäfte für ihre Mitglieder
zu vermitteln. Das erfordert eine genaue, eingehende und laufende Beobach-
tung der Auslandsmärkte, die die Tätigkeit der japaniſchen Konſuln und
Handelsattaches trefflich ergänzen mag; mit feinſtem Spürſinn müſſen ſie neue
oder neuartige Bedürfniſſe ermitteln, fo daß fic) die heimiſche Induſtrie als-
bald darauf einſtellen kann; dann veranſtalten ſie Ausſtellungen japaniſcher
Erzeugniſſe (beiſpielsweiſe auch auf der Leipziger Meſſe, wo Kaufleute aus
vielen Ländern zuſammenkommen) und ſchicken Muſterreiſende durch die Lande.
Dieſe feingegliederte, muſtergültige und beinahe ſoldatiſche Organiſation
des japaniſchen Außenhandels erfreut ſich nun des beſonderen Schutzes und
der Gunſt des Staates und wird hierdurch wirklich zu einer großen, natio⸗
nalen Angelegenheit. Sämtliche Gilden haben einen gemeinſamen, einheitlichen
Dachverband, den fogenannten Zentralverband, und der Staat hat ſeine han⸗
delspolitiſchen Intereſſen in einem Außenhandelsamt zuſammengefaßt; beide
Spitzen, Zentralverband und Außenhandelsamt, arbeiten aufs engſte zuſam⸗
men. Außerdem werden den Gilden beſondere fteuerliche Vergünſtigungen
gewährt. Der Staat gewährt für etwaige Verluſte im laufenden Ausfuhrkredit⸗
geſchäft der Gilden eine Ausfallgarantie von 70 v. H. für die Gilden gegenüber
956 Ferdinand Fried. Zimmermann
den Banken; allerdings nur für beſtimmte Märkte, wo man mit folden Mög-
lichkeiten rechnen muß. Selbſt die vom Staat unterftiigten Reedereien müſſen
durch Frachtverbilligung an dem Ziel der Ausfuhrförderung mitarbeiten.
Schließlich kennt Japan auch noch das Verfahren der Zollrückvergütung, wie
es Deutſchland im Avi⸗Syſtem ausgebildet hat: gewiſſe Nohſtoffzölle werden
zurückerſtattet, wenn die aus dieſen Rohſtoffen verarbeiteten Fertigwaren
wieder ausgeführt werden; hierbei übernehmen die Gilden über die Vermittler⸗
ſtellung zwiſchen Anternehmer und Staat hinaus noch eine beſondere Ver⸗
trauensaufgabe, die das enge Verhältnis zwiſchen Staat und Gilden kenn⸗
zeichnet. Alle Verſuche der in Japan ebenfalls zahlreichen und gut ausgebil-
deten Induſtrieverbände oder Kartelle, die Ausfuhr ſelbſt in die Hand zu
bekommen, hat der Staat daher immer wieder abgebogen und im Gegenteil ver-
ſucht, noch mehr Exportgilden zuſammenzubringen und vielleicht die geſamte
GE wenigſtens die Fertigwaren⸗Ausfuhr, in einer ſolchen Ordnung zu
erfaſſen.
Ein Volk überwindet den Kapitalismus
Wie ſoll man eine ſolche Ordnung nennen und wie ſie werten? Es liegt hier
eine Leiſtung vor, die in der gegenwärtigen weltwirtſchaftlichen Entwicklung
und weltpolitiſchen Lage einzig daſteht: in einer Zeit des allgemeinen Nieder-
gangs des Welthandels vermag es eine Nation, ihren Außenhandel zu ſtei⸗
gern. Aus der Angunſt der geſamten Lage, auch für Japan, hat es Japan
zuwege gebracht, einen hervorragenden Glücksfall zu geſtalten. Man denke nur
an die Amlagerung von der Seidenausfuhr auf die Zerſplitterung der Aus⸗
fuhr nach Waren und Abſatzgebieten. Dadurch hat ſich Japan mit Erfolg auf
die Herſtellung faſt ſämtlicher Fertigwaren, auch von Maſchinen, werfen und
eine Induſtrie entwickeln können, die ihm wohl ein für allemal den erſten Platz
im ganzen oſtaſiatiſchen Raume verſchafft. And dadurch hat Japan auch in
Ländern Fuß faſſen können, an die es früher nie gedacht hatte: es hat ſeinen
Handel in Südamerika eingeniſtet, es hat die „unterdrückten“ afrikaniſchen
Völker mit feinen Erzeugniſſen durchſetzt, und es hat ſchließlich die handels⸗
politiſche Vormachtſtellung Englands in Britiſch⸗ und Niederländiſch⸗Indien
brechen können. Das ſind auch politiſch beachtenswerte Vorgänge, die ſich bei
der bekannten Spannungslage um den Stillen Ozean noch einmal auswirken
können. Ebenſogut aber iſt anzunehmen, daß jetzt auch in Nordchina der mili⸗
täriſchen eine wirtſchaftliche Erſchließung folgen wird; ja, daß überhaupt in
China der Handel der Flagge folgen wird.
Dieſen Erfolg kann man nicht allein auf wirtſchaftliche Tatbeſtände zurück⸗
führen. Man erſchöpft eine ſolche Entwicklung bei weitem nicht, wenn man ſie
durch die Den-Abwertung erklärt. Wenn auch hiervon gewiſſe anregende Wir-
kungen ausgegangen ſein mögen, ſo tragen derartige reine Währungsmaß⸗
nahmen, genau wie ein zunächſt aufpulvernder Schnaps, die Gefahr einer
darauffolgenden Ermüdung in ſich. Man erſchöpft die Entwicklung auch nicht
durch die Hinweiſe auf verhältnismäßig niedrige Löhne und auf die ſogenannte
Rationalifierung. Das wäre alles zu billig gegenüber einer Leiſtung, die faſt
ausschließlich auf eine ungebrochene völkiſche Kraft und einen aus gepräg⸗
ten völkiſchen Ordnungswillen zurückzuführen ift.
Die japanischen Exportgilden 957
Tatſächlich haben wir hier ein Schulbeiſpiel vor uns für das Verhältnis
von Volk und Wirtſchaft. Es ift uns gelehrt worden und wird zuweilen
auch heute noch gelehrt, daß man gegen die überkommenen und allgemein aner⸗
kannten „Grundſätze der Wirtſchaft“ oder der „wirtſchaftlichen Vernunft“
nicht verſtoßen dürfe. Die Wirtſchaft wird hier gewiſſermaßen als ein Abſolu⸗
tum hingeſtellt, das auch dem Volk, das allen Völkern der Erde ſeine Geſetze
diktieren kann, und dem ſich die Völker fügen müßten wie einer göttlichen
Weiſung. Das japaniſche Beiſpiel lehrt aber gerade das Gegenteil. Der
Erfolg Japans iſt ausſchließlich darauf zurückzuführen,
daß es aus ſeinem unbändigen völkiſchen Willen heraus
dieſe Geſetze wirtſchaftlicher Vernunft mißachtet und
durchbrochen hat. Denn eine Ordnung des Außenhandels, wie ſie
Japan in den Gilden vorgenommen hat, widerſpricht dieſen Geſetzen der
Wirtſchaft, zu deren oberſten der freie Wettbewerb auf den Weltmärkten
gehört. Es widerſpricht dieſen Geſetzen, wenn ein Volk ſeinen Außenhandel
ſouverän geſtaltet und ihn nicht dem Spiel des Zufalls überläßt, wie er ſich
aus der Fülle einzelner Erwerbstriebe ergeben mag.
Zum Beweiſe ſei eine Beurteilung der japaniſchen Außenhandelsordnung
durch eine deutſche Zeitung wiedergegeben, die in der Vertretung der ſogenann⸗
ten wirtſchaftlichen Vernunft noch heute als führend gelten darf: „Der
ganze Aufbau hat eine gewiſſe Ahnlichkeit mit dem Zuſtand,
der ſich auch in Deutſchland herausbilden würde, wenn man
etwa — wie das manchmal vorgeſchlagen worden iſt — den
Gliederungen der Wirtſchaftsorganiſationen weitgehende
Funktionen übertragen würde.“ Wenn man alſo etwa (!) gewiſſen
Vorſchlägen folgen würde, ſo wären nach den Geſetzen der Logik die Grund⸗
lagen dafür geſchaffen, daß ſich auch der deutſche Außenhandel ähnlich entfaltet
wie der japaniſche — man tut das aber nicht, weil es den Geſetzen der Wirt-
ſchaft widerſpricht. Man betrachtet den japaniſchen Fall nicht als einen eigen⸗
artigen, aus der Naſſe zu erklärenden, ſondern zwängt ihn in das ſpaniſche
Korſett der kapitaliſtiſchen Entwicklung ein. Infolgedeſſen beurteilt man die
japaniſche Sozialſtruktur als „altertümlich“ und die japaniſche Wirtſchaft als
im Stadium des „Frühkapitalismus“ befindlich; anſtatt zu erkennen, daß es
ſich um eine Abernahme von zunächſt fremder Wirtſchaft und fremder Technik
und ſelbſtändiger völkiſcher Weiterentwicklung dieſer Dinge handelt; daß alſo
Japan eine Stufe der kapitaliſtiſchen Entwicklung überſprungen hat und aus
feiner ſtarken Raſſe heraus bereits den Kapitalismus völkiſch abge-
wandelt und damit die nächſte Stufe erklommen, die not-
wendige Folgerung gezogen hat: die Entwicklung zum So-
zialis mus.
Die Gilden, Verbände, Vereinigungen und Kartelle ſind alſo keine feuda⸗
liſtiſchen Reſte — ſo ſehr ſie dem Liberalen nach Familie und Sippe ſchmecken
mögen — find keine Werkzeuge monopoliſtiſcher Beſtrebungen, die den Wett-
bewerb, das Heil der Menſchheit, ausſchalten wollen, ſondern fie find nach
innen wie nach außen Werkzeuge der größeren nationalen japaniſchen Politik;
alſo Werkzeuge des japaniſchen Volkes, bei denen ſich der ein-
zelne dem Geſamtwohl unterordnet und in einen faſt militäriſchen Aufbau ein⸗
ordnet: ſie ſind damit alſo ſozialiſtiſch im beſten Sinne! Nur
weil man es durch dieſe ſtraffe Ordnung ermöglicht hat, den Wettbewerb nach
958 Johann von Leers
innen, untereinander auszuſchalten, ohne darum aber die befte Leiſtungsſteige⸗
rung zu unterdrücken, nur deswegen konnte Japan in ſo heißen und erfolg⸗
reichen Wettbewerb auf dem Weltmarkt eintreten. Weil es ſich jetzt feiner.
Kraft und auch wirtſchaftlichen Aberlegenheit bewußt iſt, kann es auf dem
Weltmarkt die Forderung nach Freihandel vertreten: es kann dadurch nur
gewinnen, genau ſo wie vor hundert Jahren England dieſe Loſung für die
Welt ausgab, weil ſie für England nützlich war.
Ob die Freihandelsloſung für die anderen — ob Ausfuhrförderung oder
Einfuhrüberwachung — niemals dürfen wir vergeſſen, daß alle Maßnahmen
und Geſtaltungen auf der Grundlage einer auf ſich ruhenden Nation getroffen
werden; alles für das Volk, niemals um ihrer ſelbſt, um des Grundſatzes
willen. Die Sicherſtellung des wirtſchaftlichen Daſeins des Volkes und feiner
Weiterentwicklung iſt der einzige Grundſatz dieſer wirklich völkiſchen Wirt⸗
ſchaftspolitik, die natürlich in ihrer japaniſchen Art — eben als völkiſche
Politik — auch als ſozialiſtiſch anzuſprechen iſt. So geſchloſſen ſie ſchon nach
außen wirkt, fo febr befindet fich die geſamte Wirtfchaft und das ganze Volk
noch in dem Abergangszuſtand zwiſchen der Aufnahme des Kapitalismus und
ſeiner Aberwindung. Dieſer Vorgang, auf den noch ein beſonderer Aufſatz ein⸗
gehen ſoll, vollzieht ſich ſchließlich mitten in einem Ambruch der Welt. Aber
außer Deutſchland, das zum Nationalſozial ismus durchgebrochen ift, ift Japan
dank ſeiner unverbrauchten völkiſchen Kraft hierbei am weiteſten vorgeſchritten.
Johann von Leers:
Der Untergang des germaniſchen Landredts
| bei den Bayern
Der bayriſche Stamm taucht ziemlich {pdt in den dunklen Jahrhunderten der
germaniſchen Geſchichte der Völkerwanderungszeit auf. Es iſt vielfach umſtrit⸗
ten worden, zu welcher der großen germaniſchen Völkerfamilien er eigentlich
gehörte. Eine ganz merkwürdige Überlieferung, die im Mittelalter noch leben-
dig geweſen ſein muß, weiſt ſeinen Arſprung auf das Land „Hermenien“ oder
„Armenien“ zurück. Die Kaiſerchronik (V, 317) ſchreibt:
„Die Geſlähte der Baiere
her komen von Armenje.“
Enikels Weltchronik jagt ebenfalls, „fi warn us Armenienlant“, die Lebens-
beſchreibung des Heiligen Altmann, Biſchofs von Paſſau, ſagt gleichfalls
„Bawari traduntur ab Armenia oriundi“, und die Chronik des Johannes
Aventinus weiſt in die gleiche Richtung.
Daß es fic hierbei nicht um Armenien in Kleinaſien handeln kann, ift ein-
leuchtend. Die vielfach heute aufgeworfene Frage eines Zuſammenhanges der
dinariſchen mit der vorderaſiatiſchen Raffe, die übrigens noch in keiner Weiſe
Der Untergang des germanischen Landrechts bei den Bayern 959
geklärt ift, ift damals noch nicht bekannt geweſen. Es handelt fih vielmehr
um das Herminonen-Gebiet, d. h. um die Landſchaft einer der größten der drei
1 Völkergruppen, der Ingwäonen, Iſtwäonen und Herminonen.
aiſer Konſtantin der Purpurgeborene (de administratione imperii 40) ſpricht
von einer Landſchaft „Bagibareia“, an anderer Stelle von „Baioure“ — mit
beiden Namen ift das Bayerland und die Bayern gemeint.
Etwa um das Jahr 508 ſollen nach den Angaben der Annalen von Altaich
und entſprechenden Annalen der Klöſter Admont, Melk und Kremsmünſter
nach einer offenbar noch im frühen Mittelalter lebendigen Aberlieferung die
Bayern unter einem Herzog Theodo das Land beſetzt und zwölf Jahre ſpäter
in einer Schlacht bei Otting die Römer vertrieben haben. Selbſtverſtändlich
kann es fih hierbei nur noch um vorgeſchobene oſtrömiſche Truppen gehandelt
haben. Inwieweit ein Zuſammenhang der Bayern mit dem Reiche ber Oft-
goten und dem Reich der Franken ſtaatlich beſtanden hat, iſt für die frühen
Zeiten nicht geklärt; es ſpricht nichts dagegen anzunehmen, daß dieſer kriege⸗
riſche Stamm ſelbſtändig geweſen ſei. „Schon bei der Einwanderung waren
die Stammväter der Baiern zwar ungeſtüm und kriegeriſch, aber durchaus kein
rohes Jäger- und Hirtenvolk mehr, ſondern fleißige Ackerbauer mit einer
ausgebildeten, eigenartigen Verfaſſung, Rechtsanſchauung, Gottesverehrung,
Sprache, Tracht und Bewaffnung. Das hohe, ſicherlich nicht unberechtigte
Selbſtgefühl des Volkes prägt ſich aus in den am Schluſſe den Kaſſeler
Gloſſen beigefügten Worten: „tole sint uualha, spahe sint Paigira, töricht
find die Welſchen, klug die Baiern“, ebenſo im Nolandslied (Chuoner volc
newart nierhere) und im Annolied (Peiere vurin ie ci wige gerno). (Dr.
Ludwig Wilſer, „Die Germanen“, Bd. 2, S. 94).
In den Grundzügen hat ſich das Landrecht der Bayern von dem der anderen
germaniſchen Stämme in keiner Weiſe unterſchieden. Auch hier finden wir das
ſogenannte Odalsrecht, d. h. den unverkäuflichen, unteilbaren und nur auf
einen Sohn zu verſtammenden Erbhof, der der Familie auf alle Zeit Hof
und Heim ſicherte. Hierin ſtimmen alle Kenner der Rechtsquellen überein.
Adler (Eheliches Güterrecht und Abſchichtungsrecht, S. 29 ff.) ſagt, es ſei „der
wahrſcheinliche Verlauf der geweſen, daß im bayriſchen Rechtsgebiet die
urſprüngliche unlösliche Verbindung zwiſchen Familie und Grundbeſitz zuerſt
bei Vergabungen zum Seelenheile durchbrochen wurde.“ Gerade von dieſer
Durchbrechung wird hier zu reden ſein.
Dieſes alte Odalsrecht, das im Freibauern den Treuwalter für den ewig
unveräußerlichen Hofbeſitz der Familie ſah, das Geſchlecht und den Boden
aufs engſte aneinander band, bedingte zugleich damit ein Höchſtmaß volks⸗
gebundener Freiheit, es machte den Bauern zu einem kleinen König auf ſeinem
Hof und ſicherte in jedem Falle der Familie die Heimat. Seine Zerſtörung
fällt zeitlich zuſammen mit der beginnenden Anfreiheit und Herabdrückung eines
nicht unerheblichen Teiles des Bauerntums in die Hörigkeit bzw. in die wenig
günftige Stellung des „Varſchalken“ im ſpäteren frühmittelalterlichen bayri⸗
ſchen Recht, die, zwiſchen dem Freien und dem Hörigen ſtehend, dauernd die
Gefahr des Abſinkens in die Hörigkeit in ſich trug.
Wie nun hat ſich dieſe Zerſtörung entwickelt?
Im fränkiſchen Reiche haben wir am früheſten die Ausſchaltung des frän⸗
kiſchen Freibauern aus der Rechtſprechung — an ſeine Stelle treten königliche
Richter. Sein mündlich überliefertes Volksrecht wird vom König in latei⸗
960 Johann von Leers
niſcher Sprache aufgezeichnet; der König, nicht mehr das Volk wird Rechts⸗
quelle. Mit der Bekehrung der Franken zum Chriſtentum wird aus der einſtigen
Grabbeigabe des beiten Kleidungs- oder Waffenſtückes für den Toten das
Beſthaupt zugunſten der Kirche. Dem Bauern wird die Zahlung des Zehnten
zugunſten der Kirche auferlegt; ſchließlich wird das Odalsrecht bei den Fran⸗
ken dadurch durchbrochen, daß dem Vater freigeſtellt wird, „zum Heil ſeiner
Seele“ einen Teil aus dem Hofbefike auszuſondern, mit feinen Söhnen zu
teilen und auf dieſe Weiſe ſeinen Anteil der Kirche zu ſchenken. Die Folge iſt
eine Zerſplitterung der alten Odalshöfe in unwirtſchaftlichen Zwergbeſitz, ein
ungeheures Anwachſen des kirchlichen Beſitzes und die Vergebung von Königs⸗
und Kirchenland an die Zwergbauern, die damit leiſtungspflichtig und abhän⸗
gig werden. |
Das etwa im Jahre 719 den Schwaben aufgezwungene Geſetz des Haus: `
meiers Karl Martell, die lex Alamanorum, überträgt dasſelbe Prinzip auf
dieſen Stamm. Nur wird hier nicht mehr zwiſchen dem Vater und den Söhnen
geteilt, vielmehr dem Vater ſogar freigeſtellt, den ganzen Hof der Kirche zu
ſchenken. Schenkt er ihn nicht, ſo beweiſt er damit, daß er ein heimlicher Heide
iſt, und die Kirche bekommt die Möglichkeit, gegen ihn einen Prozeß wegen
Abfalls vom chriſtlichen Glauben durchzuführen, da er ja das Heil ſeiner Seele
geringer ſchätze als den Anteil ſeiner Familie an dieſem irdiſchen Jammertal
— ein Prozeß, der notwendigerweiſe gleichfalls zur Beſchlagnahme des Hofes
zugunſten der Kirche führt. |
Ausdrücklich, geradezu um zu zeigen, worum es hier eigentlich ging, ſteht
dieſe Beſtimmung als allererſte in der lex Alamanorum (Germanenrechte,
Bd. 2, S. 3, Schriften der Akademie für deutſches Recht): „Wenn ein Freier
fein Vermögen der Kirche gibt und durch Urkunde Sicherheit ſchafft, wie es
oben geſagt iſt, und hiernach vom Kirchenhirten es als Leibgut erhält, um den
notwendigen Anterhalt für die Tage ſeines Lebens zu gewinnen, zahle er auch,
was er gelobte, der Kirche als Zins von jenem Grundſtück, und dies geſchehe
durch einen Sicherheitsbrief, auf daß nach ſeinem Abſcheiden keiner von den
Erben widerſpreche.
And wenn es ſich trifft, daß nach dem Tode deſſen, der jenes Vermögen
gegeben hat, ein Sohn zurückbleibt, und dieſer Sohn vielleicht ſagen will, daß
das väterliche Erbe ihm geſetzlich zum Beſitz zuſtehe und ſein Vater nicht
gegeben noch Sicherheit geſchafft habe, ſei es ihm nicht erlaubt zu ſchwören,
ſondern dieſe Arkunde, die ſein Vater ausſtellte, werde vorgelegt, und jene
Zeugen, die ihre Hände auf die Arkunde legten, ſollen zuſammen mit dem
Prieſter der Kirche ſo, wie das Geſetz beſtimmt, bezeugen, daß ſie ſelbſt gegen⸗
wärtig geweſen wären und mit ihren Augen geſehen und Ohren gehört hätten,
daß fein Vater jenes Vermögen der Kirche gegeben und eine Urfunde aus⸗
geſtellt und ſie als Zeugen hinzugezogen habe. Dies ſollen ſie unter Eid
ſagen: ‚So wahr wir wahrhafte Zeugen find.’ Hiernach beſitze der Kirchenhirt
dieſes Vermögen, und jener Vermeſſene, der widerſprach, zahle jene Strafe,
die die Arkunde enthält, an die Kirche.“
Sehr richtig ſchreibt Gfrörer „Zur Geſchichte deutſcher Volksrechte im
Mittelalter“, Bd. 1, S. 180/181: „Wie ein Alp, wie eine Gottesgeißel, die
alles Eigentum bedrohte, muß Titel 1 und 2 des Alamanniſchen Geſetzbuches
auf dem Stamm der Schwaben gelajtet haben... So hart der erſte Titel des
Der Untergang des germanischen Landrechts bei den Bayern 961
ſchwäbiſchen Geſetzes Sicherheit und Beftand des Grundeigentums in Ala-
mannien verletzte, fo einladend waren eben diefe Beſtimmungen für den Klerus.
Ein unermeßliches Feld öffnete ſich der Erwerbsgier des letzteren.“
Zu der Zeit, als dieſes Geſetz mit ſeiner Zerſtörung des Odalsrechtes und
Herabdrückung des freien ſchwäbiſchen Bauern in die Stellung kirchlicher, klö⸗
ſterlicher und königlicher Hinterſaſſen den Schwaben aufgezwungen wurde,
hatte die Macht der fränkiſchen Hausmeier und der mit ihnen verbündeten
Geiſtlichkeit auch ſchon die erſten Anſätze gemacht, um auch die Bayern in
Abhängigkeit zu bringen.
In Bayern gab es neben dem alten Glauben bereits eine geringe Anzahl
von Anhängern des Chriſtentums, im weſentlichen Bekehrte der iroſchottiſchen
Miſſion. Hier drang aber auch die fränkiſche Kirche ein, und zwar zuerſt
zwiſchen 687 und 696 mit dem Biſchof Emeram aus Poitiers. Die Legende
erzählt von dieſem, daß die Tochter des Bayernherzogs Theodo durch den
Sohn eines bayriſchen Edlen Sigibalt ſchwanger geworden ſei. Sie habe ihr
Geheimnis dem Biſchof offenbart und dieſer habe fih aus lauter Herzensgüte
von ihr als Vater des Kindes angeben laſſen, ſei aber zugleich mit dem Vor⸗
wand einer Wallfahrt nach Rom aus dem Lande geflohen. Der Bruder dieſer
Herzogstochter Otha (wahrſcheinlich der altgermaniſche Frauenname Ate) ſei
ihm nachgejagt und habe ihn ſcheußlich verſtümmelt, ſo daß er daran ſtarb.
Dann plötzlich, erzählt die Legende, habe Herzog Theodo den wahren Sach⸗
verhalt erfahren und ſeinen Sohn und ſeine Tochter verbannt, die Leiche des
Biſchofs dagegen in allen Ehren beiſetzen laſſen. So jedenfalls berichtet ſpäter
Biſchof Aribo von Freiſing. Die ganze Geſchichte trägt den Stempel mert,
würdiger und recht tendenziöſer Entſtellung an der Stirn — zumal da kein
Sohn des Herzogs Theodo ihm nachfolgte. Die Einſetzung des Emeram fällt
nämlich im Jahre 687 zuſammen mit einem Siege des fränkiſchen Hausmeiers
Pipin über die Bayern, den dieſer nicht nur durch „mehrere Feldzüge“,
ſondern auch durch „sehr nützliche Natſchläge errungen hat“. Damals alfo
wird Emeram, der ja aus dem Frankenreiche kam, den Bayern als Bekebrungs⸗
biſchof ins Land geſetzt worden ſein. Als Pipin abzog, haben ſich die Bayern
wieder erhoben. und damals iſt auch, möglicherweiſe durch den Sohn des
Herzogs, der VBiſchof getötet worden. Aber Pipin kam wieder, erzwang die
Beſtrafung des Herzogsſohnes, und damals folgt auf Theodo kein anderer
bayriſcher Herzog aus feinem Haufe, ſondern ein anderer Zweig des Herzogs-
hauſes. An die Stelle des toten Emeram aber tritt Viſchof Rupert von
Worms, der ſelber aus dem karolingiſchen Hauſe ſtammt, und dem der Herzog
Theodo am Wallerſee, dann bei Salzburg große Gebiete mit Salzſiederei,
Almen, Dörfern und Fiſchweihern „ſchenkt“ — ſicher nach dem Vorhergegan⸗
genen keine ganz freiwillige Schenkung. Zur gleichen Zeit muß Theodo ſein
Land mit ſeinen drei Söhnen teilen — was ſicher auch ein Herrſcher nicht
machen würde, vor allem, wenn er noch in vollem Mannesalter ſteht, ohne von
einer äußeren Macht gezwungen zu ſein. „Pippin muß es geweſen ſein, der
Theodo zu dem Schritt nötigte; er erwog ohne Zweifel, daß Theodo nach dem
Verluſt von drei Vierteilen ſeiner Macht fügſamer gegen den Willen des
fränkiſchen Hofs und ſeines geiſtlichen Gehilfen, des Biſchofs Rupert, ſein
ae als mit dem vollen Beſitze des Herzogtums Bayern.” (Gfrörer a. a. O.
. 283).
962 Johann von Leers
Ende 714 ſtirbt Pipin. Im Frankenreich brechen Anruhen aus. 716 ſchon
ift Herzog Theodo in Rom, um fih vom Papſt Gregor II. eine geiſtliche Rom-
miſſion zu beſorgen, die den fränkiſchen Biſchof Rupert aus dem Lande räumen
Teer SC der Tat verſchwindet Rupert zur gleichen Zeit und geht nach Worms
zurück. |
Aber die politiſche Lage ändert fich wieder. Karl Martell, der Sohn Pipins,
gewinnt 717 das Hausmeieramt über das geſamte Frankenreich und geht jetzt
auch aufs neue gegen die Bayern vor. Er ſendet den Corbinian, einen Mönch
aus Chartres, zuerſt nach Rom, um dort vom Papſt gewiſſermaßen eine
Gegenbeſtallung gegen die erſte biſchöfliche Kommiſſion zu bekommen. Der
Verſuch glückt nicht. Erſt 722 gelingt es Karl Martell, über die Schwaben
Erfolge davonzutragen. Dann wendet er ſich gegen die Bayern, die im gleichen
Jahre 722 geſchlagen werden. Corbinian wird damals zum erſten Male als |:
Biſchof nach Bayern gebracht, wie ſchon ſeine Vorgänger Emeram und
Rupert. 723 ſtehen die Bayern aber wieder auf — und im gleichen Jahre
zieht Corbinian zum zweiten Male nach Rom, offenbar, um ſich die immer
noch fehlende päpſtliche Beſtallung zu holen. Inzwiſchen muß Theodo geſtor⸗
ben ſein. Von den vier Söhnen iſt nur noch Grimoald übrig, der ſich mit der
Witwe Pilitrud ſeines einen Bruders verheiratet hat — auf dieſe Weiſe die
bayriſchen Landesteile wieder zuſammenfaſſend. Er gibt den Befehl, den Cor⸗
binian einfach feſtzunehmen, ſobald dieſer wieder bayriſchen Boden beträte.
In der Tat wird Corbinian 723, als er bei Schloß Mais über die bayriſche
Grenze kommt, ſogleich verhaftet und ins herzogliche Lager nach Freiſing
abgeführt. Aber die politiſche Lage iſt für den Bayernherzog ungünſtig gewor⸗
den. Karl Martell hat ſich mit dem Langobardenkönig Luitprand verbündet,
Bayern wird konzentriſch angegriffen — und ſo muß der Herzog nachgeben.
Corbinian fordert von ihm ſofortige Eheſcheidung von der Witwe ſeines
Bruders — ſicher nicht ohne politiſchen Hintergedanken, ſo die bayriſche Macht
zu ſpalten —, läßt ſich von dem Herzog die ſchöne Landſchaft Camina für
die Marienkirche zu GFreifing billigſt verkaufen und beginnt jetzt den Herzog
zu beaufſichtigen. Der Herzog und Pilitrud, die treu zuſammenhalten, müſſen
ihn zu ihrem Tiſch hinzuziehen. Als der Herzog bei Tiſch einem ſeiner Jagd⸗
hunde ein Stück Brot gibt — der Herzog lebt noch ganz wie ein altbayeriſcher
Bauer — da fängt Corbinian an zu toben, ſtößt mit dem Fuß die Tafel um,
ſchimpft, weil er den Tiſchſegen geſprochen hatte: „Der iſt meines Segens
unwert, der ihn ohne Scheu den Hunden hinwirft!“ und ſtürzt zur Tür hinaus.
Kurz darauf begegnet er vor den Toren einer alten, heilwiſſenden Frau, die
ein Stück Vieh mit ſich führt. Corbinian fragt ſie, woher ſie das Vieh bekom⸗
men habe. Sie antwortet, ſie hätte es von der Herzogin Pilitrud erhalten,
weil ſie deren Sohn mit Zauberſprüchen geheilt habe. Der Biſchof ſpringt vom
Pferde, fällt mit Fauſtſchlägen und Fußtritten über die alte Frau her und
nimmt ihr den Lohn wieder ab, den er unter die Armen verteilt. Die Königin
ſoll darauf beſchloſſen haben, Corbinian bei Nacht ermorden zu laſſen. Dieſer
wird aber gewarnt und kann entfliehen. f
Sofort ift Karl Martell wieder da und greift Bayern aufs neue an, wie
uns die Dellen für das Jahr 725 berichten. Pilitrud und eine Verwandte von
ihr, Sonihilde, werden in einen fränkiſchen Kerker weggeſchleppt. Drei Jahre
darauf, 728, verſucht Herzog Grimoald zum letzten Male die Selbſtändigkeit
Der Untergang des germanischen Landrechts bei den Bayern 963
Bayerns wieder herzuſtellen. Er unterliegt und wird ermordet, wahrſcheinlich
729. Sein Neffe Hugbert wird ſein Nachfolger, Corbinian wieder nach Frei⸗
ſing zurückberufen. Aribo berichtet: „Hugbert rief, als er zu regieren anfing,
i 25 ee e und aller Ehre den Mann Gottes, Biſchof Corbinian, zu
ich zurückl“ | a
In dieſes Jahr der endgültigen Niederlage des bayriſchen Herzogtums fällt
die Entſtehung der den Bayern aufgezwungenen „lex Bajuvarorum“. Dieſes
Geſetz läßt deutlich den bayriſchen Herzog als einen Vaſallen des fränkiſchen
Königs erkennen. Der eigentliche Geſetzgeber iſt weder der Herzog noch der
bayriſche Stamm, ſondern Karl Martell im Namen des fränkiſchen Königs.
And wieder wird die Kirche, und zwar auf Koſten des bayriſchen Odalsbauern,
vorweg bedacht. Die lex Bajuvarorum beginnt, nur in einem weſentlichen
Punkte unterſchieden, ganz ähnlich wie die lex Alamanorum. An ihrem An-
fang ſteht die Zerſchlagung des altgermaniſchen Odalsrechtes. Sie beginnt:
| „Wenn eine freie Perſon das will und ihr Vermögen der Kirche zum
Heile ihrer Seele gibt, habe fie Erlaubnis hinfidtlid ihres Anteils, ſobald
ſie ſich mit ihren Kindern auseinandergeſetzt hat. Niemand hindere ihn; weder
König noch Herzog noch irgendeine Perſon habe die Macht ihn zu hindern,
und was er ſchenkt, Höfe, Grundſtücke, Unfreie oder irgendein Gut, alles, was
er zum Heile ſeiner Seele ſchenkt, das beſtätige er ſelbſt mit ſeiner eigenen
Hand durch einen Brief und ziehe ſechs Zeugen oder mehr, wenn ſie wollen,
hinzu; ſie ſollen ihre Hände auf den Brief legen, und ihre Namen ſetze dort
hinein, wen jener darum bat. And dann lege er dieſen Brief auf den Altar
und übergebe ſo dieſes Gut vor dem Geiſtlichen, der dort dient. And hiernach
habe er keine Gewalt darüber, weder er felbft noch ſeine Nachkommen, außer
wenn der Vogt dieſer Kirche es ihm als Leihgut einräumen will, ſondern vom
Biſchof werde alles Kirchengut verteidigt, das von den Chriſten der Kirche
Gottes gegeben wird. | | |
Wenn irgendeine Perfon gegen Kirchengut zu Anrecht klagen oder vom
Kirchengut etwas entziehen will, ſei es jener, der es gab, oder einer von ſeinen
Erben, oder was für ein Mann ſich unterfängt, vor allem verfalle er dem
Arteil Gottes und der Strafe der heiligen Kirche und zahle dem weltlichen
Richter 3 Unzen Gold und gebe jenes Kirchengut zurück und füge ein gleidh-
wertiges anderes hinzu auf Geheiß des Königs oder des Fürſten, der in jenem
Gebiet Richter iſt.“ | | E
Im Anterſchied gu der lex Alamanorum, aber in Abereinſtimmung mit dem
fränkiſchen Recht, muß hier der Vater mit den Söhnen teilen, und zwar zu
gleichen Teilen. Wir beſitzen Arkunden, nach denen der Vater neben einem
Sohn über die Hälfte, neben zwei Söhnen über ein Drittel zugunſten der
Kirche teſtiert hat. Wenn die Mutter noch lebt, jo wird auch die Mutter berüd-
ſichtigt. Arſprünglich war dieſer Freititel des Vaters nur zum Zweck der
Schenkung an die Kirche vorgeſehen, ſpäter hat er auch für andere Zwecke ſich
durchgeſetzt. | Yu | |
Die Wirkung war eine doppelte. Auf der einen Seite tritt febr rafd eine
ftarfe. Verarmung ein, von der ſowohl das altfreie Bauerntum des bayriſchen
Stammes wie auch die Edelingsgeſchlechter ergriffen werden. Bereits die lex
Bajuvarorum fordert, daß ein Zeuge vor Gericht in einer Grenzſtreitfrage min⸗
deſtens ein Grundſtück von der Größe des ſtrittigen und ſechs Schillinge bar
beſitzen müſſe. Es gab alſo offenbar ſchon freie Männer genug, die dies nicht
964 i Johann von Leers
einmal mehr hatten. Verarmte Freie, die weder einen Sklaven noch den Wert
eines Sklaven beſitzen, werden ebenfalls in der lex Bajuvarorum (8, 23) vot-
ausgeſetzt. Vor allem aber gerät ein großer Teil der ſo landlos gewordenen
bzw. auf wirtſchaftlich lebensunfähigem Grundbeſitz ſitzenden Bauern, die von
der Kirche Land — oft ihres eigenen Vaters Land — nehmen müſſen, in
harte Abhängigkeit. Die lex Bajuvarorum (1, 13) beitimmt: „Von Hörigen
Le 9.“ Wen der Kirche, wie ſie dienen oder welche Abgaben ſie leiſten
ollen ).“
Wie im einzelnen dieſe Belaſtung des Bauern zugunſten der Klöſter da⸗
mals ausgeſehen hat, zeigt uns eine ganze Anzahl Arkunden, die wir zum
großen Teil der guten Herausgabe der Freiſinger Arkundenſammlung durch
Meichelbeck verdanken. Eine ſolche Freiſinger Arkunde gibt etwa an: „Freie
Männer, welche Barſchalken heißen, haben mit dem Capelan Wago vor mep-
reren Zeugen einen Vertrag geſchloſſen, daß ſie Kirchengut zu Lehen empfan⸗
gen, aber dafür Dienſte leiſten. 5 von ihnen pflügen drei Tage zu verſchiedenen
Zeiten im Jahr und haben weitere drei Tage zu ſchneiden, zu binden und ein⸗
zufahren. Drei andere müſſen 15 Scheffel, darunter drei Scheffel Gerſte und
einen Friſchling liefern. Einer pflügt vollſtändig (ſoll heißen ohne zeitliche
Beſchränkung) und zahlt 10 Scheffel und einen Friſchling.“ Wir ſehen hier
einen gewiſſen Anterſchied. Während ein Teil dieſer abhängig gewordenen
Bauern nur zu zeitlich begrenzten Scharwerken verpflichtet iſt, gibt es auch
bereits ſolche, die völlig wie ein Knecht jederzeit zur Arbeit anzutreten haben.
Die Arkunde ſagt hier auch in ihrem lateiniſchen Text: „sicut alii servi“, d. h.
„wie die anderen Sklaven“. Der Bauer einer Hufe des Kloſters Staffelſee
muß jährlich 14 Scheffel Getreide, 4 Friſchlinge, Flachs für die Kloſter⸗
ſpinnerei, Hühner, Eier, Leinſamen und Linſen liefern, arbeitet fünf Wochen
für das Kloſter, pflügt drei Tagwerk, bringt auf der Kloſterwieſe einen Wagen
Heu ein und verrichtet noch andere Scharwerke. Das iſt eine außerordentlich
hohe Belaſtung.
So verſteht man, daß dieſe in Abhängigkeit geratenen freien Bauern in der
Rechtsſprache jener Zeit als Barſchalken bezeichnet werden, d. h. ſie find zum
Teil noch bar, d. h. frei, zum Teil bereits Schalken, d. h. Knechte nach da⸗
maligem Sprachgebrauch. Der Anterſchied von den eigentlichen Sklaven beſteht
lediglich darin, daß ſie nicht geprügelt werden können. Aber auch dieſes Recht
hat ſich die Geiſtlichkeit in der „lex Bajuvarorum“ bereits einräumen laſſen,
und zwar für den Fall, daß jemand — am Sonntag arbeitet! Hier beſtimmt
die „lex Bajuvarorum“ (VII, 3a): „Wenn jemand am Sonntag Knechts⸗
arbeit tut, verliere der freie Mann, der einen Ochſen anſpannt und mit dem
Wagen fährt, den rechten Ochſen; wenn er aber das Gras mäht oder ſammelt
oder das Korn mäht oder ſammelt oder irgendeine Knechtsarbeit am Sonntag
tut, werde er ein⸗ oder zweimal verwarnt; und wenn er ſich nicht beſſert, werde
fein Rüden mit 50 Schlägen gegerbt; und wenn er ſich wiedrum unterfängt,
am Sonntag zu arbeiten, werde von ſeinem Vermögen der dritte Teil genom⸗
men; und wenn er noch nicht aufhört, dann verliere er ſeine Freiheit und ſei
Knecht, weil er am heiligen Tage nicht frei ſein wollte. Wenn einer aber
Knecht, werde er für ein ſolches Verbrechen geprügelt; und wenn er ſich nicht
beſſert, verliere er die rechte Hand. Deshalb iſt eine ſolche Handlung zu ver⸗
1) Vgl. Odal, Aprilfolge 1936, S. 792.
Der Untergang des germanischen Landrechts bei den Bayern 965
bieten, weil fie Gott zum Zorn reizt und wir infolgedeffen in der Ernte ge-
geißelt werden und Not leiden.
Auch dies ift am Sonntag zu verbieten. Wenn fih jemand auf der Reife zu
Wagen oder zu Schiff befindet, verhalte er vom Sonntag bis zum Montag.
And wenn er die Vorſchrift des Herrn nicht beachten will, da der Herr ſpricht:
„Keine Arbeit tue am heiligen Tage, weder Du, noch Dein Knecht, noch
Deine Magd, noch Dein Ochſe, noch Dein Eſel, noch irgendwelcher Deiner
Machtbefohlenen“, und wer dies auf der Reife oder ſonſtwie irgendwo zu
beachten verſchmäht, werde er zu 12 Schillingen verurteilt; und wenn er dies
häufig tut, verfalle er der obenbenannten Strafe.“ Auch diefe Veſtimmung
dient dazu, das Selbſtbewußtſein der einſt freien Bauernſchaft gründlich zu
brechen. Zugleich aber tritt eine weitgehende Verelendung dieſer ſo abhängig
gewordenen VBarſchalke ein. In jener Zeit konnte nur Kriegsdienſt leiſten, wer
in der Lage war, mindeſtens einige Wochen ſich im Felde ſelber zu erhalten.
Ein großer Teil der Varſchalke hat bald nicht mehr hierzu die nötigen Mittel.
Das zwiſchen 728 und 741 erlaſſene Zuſatzedikt zur „lex Bajuvarorum“ be,
ſtimmt dann auch, daß, während bisher alle Freien, falls fie getötet wurden,
mit einem Friedensgeld von 40 Schillingen gebüßt werden mußten, nunmehr
nur noch für diejenigen VBarſchalke, die noch ins Feld ziehen können, dieſes
Friedensgeld gilt. Wer nicht mehr ins Feld ziehen kann, weil ihm die nötigen
Mittel dazu fehlen, bekommt nur noch ein Friedensgeld von 6 Schillingen.
Deutlich zeigt fich hier das Herabſinken der altfreien Bauernſchaft zum minde-
ſten mit großen Teilen auch in ihrer ſtandesmäßigen Geltung.
So wie der Bauer arm wird, wird der Klerus dagegen reich. Er erwirbt vor
allem Landbeſitz, teilweiſe gewaltige Ländereien. König Pipin ſchenkt 762 dem
Kloſter Fulda das Landgut Deiningen mit 23 Familien Leibeigener,
50 Hufen, 400 Joch Land, 52 Pferden, 58 Kühen, 200 Schafen, 90 Schweinen,
8 Mühlen, 28 Hinterſaſſenfamilien — alſo Barſchalken — mit ihrem Land.
Das Klofter erwirbt: in Anterfranken: 765 Geldersheim, 771 Münnerſtadt,
772 Nüdlingen, 774 Nordheim, 776 Kolzkirchen und Wetzhauſen, 777 Hammel-
burg, Erthal und andere umliegende Ortſchaften, Dippach bei Dettelbach,
779 Stockheim, 780 Bergrheinfeld, Eibelſtadt, Eßleben, Helmſtadt, Ettleben,
Atterpleichfeld, 781 Pfersdorf, 786 Kleineibſtadt, 788 Binsfeld, Birkendfeld,
Büchold, Bühler, Einfirſt, Stetten, Sulzfeld, Thüngen, 789 Fladungen,
Sontheim, 791 Schweinfurt, 792 Maßbach, 794 Stadt Auringen, 795 Vardorf,
796 Merkershauſen, Saal, 800 Euerdorf, Herbſtatt, Irmelshauſen, Salz,
801 Riffingen und Wülfershauſen, 804 Sendelbach, 811 Göſſenheim, Langen-
dorf, Oberlauringen und Oberthulba, 812 Lütter, 813 Bonnlind und Olbach,
819 Gochsheim, 820 Elfershauſen und Arſpringen, 823 Altenſtein, 837
Steinach an der Saale, 867 Waltershauſen, 876 Oberwaldbehrungen, 889
Müdesheim und Volkach, 906 Aſtheim, Gerolzhofen, Wonfurt, 923 Fud-
ſtadt, 944 Bibelried uſw. — Ferner in Oberfranken während des 8. Jahr⸗
hunderts: Ebenfeld, Döringſtadt, Staffelſtein, Kunſtadt, Königshofen
(Königsfeld bei Gollfeld), 833 Seßlach, 837 Gemünda, 874 Gleismutshauſen.
In Mittelfranken: Solenhofen. In Schwaben: während des 8. Jahrhunderts:
Deiningen, Gundelfingen, Lauingen.
Das Bistum Augsburg hatte in der kurzen Zeit vom Erlaß der „lex Baju-
varorum“ bis zum Jahre 812, aus dem uns ein Inventarium vorliegt, erwor⸗
ben: 1006 beſetzte und 35 unbeſetzte Freihufen, 412 beſetzte und 45 unbeſetzte
966 Johann von Leers, Der Untergang des germanischen Landrechts
Dienſthufen, 1427 beſetzte und 80 unbeſetzte Hörigenhufen. Kloſter Staffelfee
beſaß im gleichen Jahre 740 Tagwerk Ackerland, Wieſen zu 610 Karren Heu,
hatte im Mägdehaus 24 Frauen arbeiten und verfügte über 23 Barſchalken⸗
hufen, deren Inhaber Korn, Vieh, Eier, Lein, Linſen liefern und Scharwerke
leiſten mußten, dazu über 19 Knechtshufen. Aber auch ſonſt waren die Klöſter
ungeheuer reich geworden. Staffelſee wieder hatte 812 einen aus Gold und
Silber gebauten Altar, mehrere goldene und ſilberne Kreuze, mit Edelſteinen
beſetzte Reliquienkäſten; die Kirche von Solnhofen hatte 4 goldene Kelche,
7 ſilberne Kelche, 3 mit Gold und Edelſteinen geſchmückte Bibelbücher. Der
Luxus war ſo groß, daß Kaiſer Karl 805 die Errichtung neuer Altäre in den
Kirchen verbot. Dazu war ein erheblicher Teil der Klöſter völlig laſtenfrei.
Steuerfrei waren ſie alle, aber immerhin mußte eine Anzahl von ihnen (ſo
Benediktbeuern, Kremsmünſter, Niederalteich und andere) Kriegsleute ſtellen.
Aber auch von dieſer Laſt waren in Bayern die Klöſter Weſſobrunn, Metten,
Sandau, Moosburg und ſeit Kaiſer Otto I. auch Ottobäuern frei. Sie dienten
nur durch Gebet — |
Die gewaltigen Scharwerke und Fronen zu Bauzwecken, die ſchon in der
„lex Bajuvarorum“ beſtimmt waren, dienten der außerordentlich geſteigerten
Bautätigkeit dieſer ganz neuen und machtvollen Schicht. Dieſe Bautätigkeit
muß vielfach in den Kloſterverwaltungen beinahe als Hauptſache angeſehen
worden ſein, denn ſelbſt Kaiſer Karl mahnt in einem Edikt von 811 mit mil⸗
dem Vorwurf: „Obwohl es gut ift, daß die Kirchen ſchöne Gebäude find, fo
muß dennoch den Gebäuden die Zierde guter Sitten vorgezogen werden, weil,
wie es uns ſcheint, die Sorge für Erbauung ſchöner Kirchen gewiſſermaßen
dem Standpunkt des alten Teſtamentes angehört, die Beſſerung der Sitten
aber eigentlich dem Standpunkt des neuen Teſtamentes entſpricht.“
Was von dieſer Beſſerung der Sitten zu halten und inwieweit ſie wirklich
vorhanden, davon ſpricht uns ein ſo unverdächtiger Zeuge wie der „Apoſtel
Germaniens“, Bonifatius, in einem Schreiben vom Jahre 742 an Papſt
Zacharias II., alſo gerade aus einer Zeit, wo die germaniſche Bauernfreiheit
untergegangen und in Bayern dieſer gewaltige Kloſter- und Kirchenbeſitz ent:
ſtanden war. Er ſchreibt: „Da gibt es Kleriker, die von Jugend an in Hurerei,
Ehebruch und allem Schmutze leben und doch das Diakonat erlangen; Diakone,
die jede Nacht 4—5 Frauen in ihrem Bette haben und doch nicht erröten und
ſich fürchten, das Evangelium zu leſen und ſich Diener Gottes zu nennen.
Diakone, die trotz ſolcher Anzucht zu Presbytern befördert wurden, in dem
neuen Amt ihr Sündenleben fortſetzen und dennoch das Volk vor Gott zu ver⸗
treten und das Meßopfer darzubringen, ſich erkühnen; Diakone, der Sorte, die
— ein Gipfel der Greuel! — auf biſchöfliche Stühle erhoben ſind. Ja es gibt
auch Biſchöfe, die, wenn ſie ſich auch der Hurerei nicht ſchuldig bekennen wol⸗
len, doch weitberühmte Säufer, Zänker und Jäger ſind, die bewaffnet ins Feld
ziehen und das Blut von Menſchen, nicht bloß von Heiden, ſondern auch von
Chriften vergießen.“ (Epiftol. ed. Würdtwein, Nro. 51, S. 107.)
Zwar hat ſich Bonifatius ſelber unzweifelhaft bemüht, den wildeſten Miß⸗
ſtänden auf ſittlichem Gebiet abzuhelfen. Die Anfreiheit des Bauern aber ließ
ihn kalt. Auf ihr beruhte ja der gewaltige wirtſchaftliche Aufſtieg der kirchlichen
Macht im Lande.
Die Bayern haben noch eine Zeitlang ſich gegen dieſe Zertrümmerung ihres
alten Volksrechtes gewehrt, zuletzt 788 der Herzog Taſſilo, der von Kaiſer
Konrad Meyer, Justus Moser, ein Vorkdmpfer ` 967
Karl vor eine Reidhsverfammtung vorgeladen und in einem fränkiſchen Kloſter
eingekerkert wurde.
Wenn man heute über die blühenden bayerifchen Lande fährt und die vielen
ftolzen, alten Bauernhöfe fiebt, dann ergreift einen Bewunderung für die
Zähigkeit, mit der dieſer deutſche Stamm ſeine bäuerliche Lebensart und, wo
immer es ging, ein Stück ſeines alten Landrechtes und Odaltums feſtgehalten
hat — aber die Spuren jener Periode, in der das alte Recht zerſchlagen wurde,
haben ſich der Landſchaft ebenfalls faſt unauslöſchlich aufgeprägt. Wo immer
kleines und kleinſtes Gütlertum um einen Kloſterhof zuſammengedrängt ſitzt,
wo immer die alten ſtolzen Höfe verſchwunden ſind und ländliche Armut und
Landzerſplitterung erſcheinen — da ſpüren wir die Sünden der Vergangenheit,
die nicht die Sünden des Bauern waren.
Konrad Meyer: |
Juſtus Möſer, ein vortänpſer ð deg beutſchen
Bauerngedantens ”
Es gehört zu den Beſonderheiten der hinter uns liegenden Zeitepoche, daß
ſie nur wenig Sinn für Bodenſtändigkeit, Wuchshaftigkeit und echtes Heimat⸗
bewußtſein beſaß. Ein geiſtig verbildetes und jüdiſch infiziertes Literatentum
wirkte dahin, die Quellen und Kräfte echten Volkstums und der Heimat zu
verſchütten. Zugleich zwang die Anerbittlichkeit der ſich überſtürzenden tech⸗
niſchen und wirtſchaftlichen Entwicklung die Menſchen in ihren Bann und lenkte
die Aufmerkſamkeit ab von den gediegenen und wuchshaft gewordenen Bedin-
gungen unferes Dafeing. Männer, die in ihrem äußeren Wirken und geiftigen
Schaffen einen kräftigen Erdgeruch mit ſich trugen, fielen nur zu leicht der Ver⸗
geſſenheit oder Verächtlichmachung anheim. Die Art und Weiſe, gegenſtänd⸗
lich, erdgebunden und wirklichkeitsnah zu denken und zu empfinden, widerſprach
der Beit- und Beziehungsloſigkeit liberalen Denkens und war ſomit verpönt.
Die Betrachtungsweiſe und Denkart eines Mannes wie Möſer konnte daher
in jener Zeitepoche mit ihrer Gegenwartsſeligkeit und ihrem flachgründigen
Tortſchrittsglauben nicht die gebührende Würdigung finden.
Am ſo notwendiger erſcheint es heute, abgeriſſene Fäden wieder anzuknüpfen
und ſo das Gute und Echte der Vergangenheit als koſtbaren Schatz zu heben
und zu bewahren. Es iſt eine beſinnliche und reizvolle Aufgabe, das Wirken
unſerer großen Deutſchen mit dem heutigen Geſchehen in Verbindung zu
ſetzen und nach Gemeinſamkeiten zu ſuchen. Dabei ergibt ſich in voller Cin-
dringlichkeit die Erkenntnis, daß der Nationalſozialismus in Wahrheit die
„Weltanſchauung der Deutſchen“ iſt. Anzählige Fäden verbinden ihn mit der
1) Vgl. hierzu Odal, 2. Jahrgang, Heft 11, Mai 1934.
Odal Heft 12, Jahrg. 4, Bo: A
968 Konrad Meyer
Vergangenheit. Wo auch immer in der Geſchichte deutſche Männer fühlten
und handelten, finden wir irgendwie und irgendwo eine Verwandtſchaft mit
dem nationalſozialiſtiſchen Denken. Was uns heute in den entſcheidenden
Fragen bewegt und was wir darüber denken, hat auch ſchon früher vielfach
unſere Großen beſchäftigt, und ſie haben ſich aus dem Blickfeld ihrer Zeit
heraus dazu geäußert. Wir ſtehen auf den Schultern unſerer Vorfahren, ſind
Schuldner der Vergangenheit und zugleich die Gläubiger der Zukunft.
Was uns heute in der Bauernpolitik angeht, hat auch ſchon früher die beſten
Köpfe auf den Plan gerufen. Die heutigen Geſetze und Maßnahmen haben
alſo das Wachstum von Jahrhunderten hinter ſich und find erſt heute zur
Reife gelangt. Einer der geiſtigen Ahnen des deutſchen Bauerngedankens, ſo
= ihn R. Walther Darré wieder in uns lebendig gemacht hat, ift auch Juftus
öſer.
Juſtus Möſer, der „Patriarch von Osnabrück“, iſt einer der großen
ewigen Deutſchen. Wenn auch ſein ganzes Leben ſeiner engeren Heimat galt,
ſo hat er doch niemals den Blick für die große deutſche Heimat verloren.
Deutſchſein war ihm der letzte Sinn ſeines bodenverwurzelten, heimatlichen
Wirkens. Als Osnabrücker Staatsmann, als Rechtsberater und als Serift-
ſteller, alſo in allen Bereichen ſeines Schaffens, kämpfte er für die geiſtige
Erneuerung und Vollendung des Deutſchtums.
Einfach und ſchlicht wie die Perſönlichkeit dieſes Mannes lief auch ſein Leben
ab. Möſer entſtammte dem Osnabrücker Bürgertum und wurde am 12. Dezember
1720 in Osnabrück geboren. Dort ſtarb er auch am 8. Januar 1794. Er iſt ſeiner
Heimatſtadt ſtets verbunden geblieben. Abgeſehen von ſeinen Studienjahren und
einigen ſpäteren dienſtlichen Reiſen hat Möſer die Stadt und die Grenzen des
kleinen Osnabrücker Staates kaum verlaſſen.
Seine engere Heimat, das damalige Bistum Osnabrück, war erheblich kleiner
dals der jetzige Regierungsbezirk (rund 2500 qkm, 117000 Einwohner). Einer
merkwürdigen, vom Weſtfäliſchen Frieden herrührenden Staatsverfaſſung zufolge
mußten die hier regierenden VBiſchöfe abwechſelnd der katholiſchen und evange-
liſchen Kirche angehören. Die Regierungsgewalt der Biſchöfe, die ſich im allge⸗
meinen nicht einmal in Osnabrück aufhielten, war aber durch die garantierten
Rechte der Landſtände, d. h. Geiſtlichkeit, Adel und Bürgerſchaft ſtark beſchränkt.
Aus der Schwierigkeit dieſer innerſtaatlichen Verhältniſſe und der allgemeinen
Rechtsverwirrung jener Zeit läßt es ſich daher erklären, wenn Osnabrück ein
reger Tummelplatz der Advokaten war; in der kleinen Reſidenz mit 6000 Cin-
wohnern ſuchten und fanden 33 Advokaten ihr Brot.
Auch Möſer wurde auf Grund väterlichen Beſchluſſes Juriſt, obwohl er ſich
wenig zum Rechtsſtudium hingezogen fühlte. Trotz ſeiner vielſeitigen Neigungen
und Begabungen, die beſonders im Bereich der Dichtkunſt lagen, vollendete er
ſein Studium in kurzer Zeit und ließ ſich um 1743 als Rechtsanwalt in Osnabrück
nieder. Bald darauf wurde er Sekretär und ſpäter Syndikus der Ritterſchaft.
Durch ſeine Rechtſchaffenheit, Anbeſtechlichkeit und Feſtigkeit im Auftreten erwarb
er ſich bald das allgemeine Vertrauen der Bevölkerung, und ſo beauftragte ihn
1747 die Regierung mit der Stelle eines Landesanwalts (advocatus patriae).
In dieſer vielfeitigen Tätigkeit als Rechtsanwalt, Syndikus und Landes
anwalt hatte er die beſte Gelegenheit, Land und Leute, Sitten und Gewohnheiten
ſeiner Heimat gründlich kennenzulernen. Aus dem Wunſch heraus, Volk und
Staatsführung enger miteinander zu verbinden und jeden Volksgenoſſen teil-
nehmen zu laſſen an den Geſchehniſſen des Tages, gründete er das ſogenannte
* ge
Justus Möser, ein Vorkämpfer des deutschen Bauerngedankens 969
Osnabrücker Intelligenzblatt 2). Hier fchrieb er wöchentlich Leitartikel, wo er
von feinen täglichen Erfahrungen und Eindrücken aus der Rechtspraxis und Ver-
waltung berichtete und zu den Tagesfragen Stellung nahm. Dieſe Leitartikel,
ſpäter von feiner Tochter als „Patriotiſche Phantaſien“ geſammelt und heraus
gegeben, find das Wertvollſte, was uns Möſer hinterließ. Es iſt ja bekannt, daß
ſich Goethe mehrfach febr anerkennend über diefe Auſſatzſammlung geäußert hat.
Am die Vielfältigkeit der Fragen, die Möſer hier abhandelt, zu zeigen, feien
etre Koſtprobe die Titel einer geringen Auswahl folder Abhandlungen auf-
geführt:
„Gedanken über den Verfall der Handlung in den Landſtädten“; „Schreiben
einer Mutter über den Putz der Kinder“; „Reicher Leute Kinder ſollten ein
Handwerk lernen“; „Man forge auch für guten Leinſamen, wenn der Linnen-
handel ſich beſſern fol”; „Von dem Nutzen einer Geſchichte der Aemter und
Gilden“; „Das Glück der Bettler“; „Anvorgreifliche Beantwortung der Frage:
Ob das häufige Hollandgehen der Osnabrückſchen Untertanen zu dulden fei“;
„Schreiben einer Kammerjungfer“; „Von Verbeſſerung der Brauanſtalten“;
„Von dem Verfall des Handwerks in kleinen Städten“; „Von der Steuerfreiheit
in Städten, Flecken und Weichbilden“; „Schreiben einer Dame an ihren
Capellan über den Gebrauch ihrer Zeit“; „Darf ein Handwerksmeiſter fo
viele Geſellen halten als er will?“; „Aber die Art und Weiſe, wie unſere Bor-
fahren die Prozeſſe abgekürzet haben“; „Vorſchlag zu einer Korn⸗Handlungs⸗
compagnie auf der Weſer“; „Kurze Geſchichte der Bauernhöfe“; „Von der Nei-
gung der Menſchen, eher das Gute als das Böſe von anderen zu glauben”;
„Vorſchlag, wie der Teuerung des Korns am beſten auszuweichen“; „Vorſchlag
zu einem beſtändigen Kornmagazin“; „Ein gutherziger Narr beſſert ſich nie“;
„Sie tanzte gut und kochte ſchlecht“; „Gedanken über den weſtfäliſchen Leibeigen-
tum“; „Nichts ift ſchädlicher als die überhandnehmende Ausheuerung der Bauern-
höfe“; „Betrachtungen über die Abäußerungs⸗ oder Abmeierungsurſachen“; „Be⸗
antwortung der Frage: Was muß die erſte Sorge zur Bereicherung eines Landes
ſein? Die Verbeſſerung der Landwirtſchaft? oder die Bevölkerung des Landes?
oder die Ausbreitung der Handlung? Womit muß der Anfang gemacht werden?“;
„Vorſchlag zu einer Practika für das Landvolk“; „Aber die zu unſeren Zeiten
verminderte Schande der Huren und Hurenkinder“; „Der notwendige Anterſchied
zwiſchen dem Kaufmann und Krämer“; „Schreiben einer betagten Jungfer an
den Stifter der Witwenkaſſe zu ...“; „Der Staat mit einer Pyramide verglichen.
Eine erbauliche Betrachtung“; „Aber die Erziehung der Landleute Kinder“.
Neben dieſen Patriotiſchen Phantaſien ſeien noch beſonders ſeine Werke
„Osnabrücker Geſchichte“ ſowie ſein Drama „Arminius“ hervorgehoben. Auf die
vielen ſonſtigen Arbeiten möchte ich in dieſem Zuſammenhang nicht eingehen ).
Möſer ſtarb im Alter von 74 Jahren; feine ſterbliche Hülle ift in der Marien-
kirche in Osnabrück beigeſetzt. Ein Denkmal, von ſeinen Freunden geſetzt, ziert
jetzt die Domfreiheit in Osnabrück.
Es iſt nicht ganz einfach, aus der Sammlung ſeiner verſchiedenartigſten Auf⸗
ſätze und verſtreut hingeworfenen Gedanken ein geſchloſſenes Gebäude Möſer⸗
ſcher Ideen zu entwickeln. Möſer hat ſeine volkswirtſchaftlichen und insbeſon⸗
dere feine agrarpolitiſchen Anſchauungen nicht irgendwie ſyſtematiſch nieder-
geſchrieben, wie er überhaupt uns weder eine Volkswirtſchaftstheorie noch
irgendeine wiſſenſchaftliche Methode hinterlaſſen hat. Er hat ſich ſtets als
praktiſcher Politiker und Rechtsberater gefühlt, der, ohne doktrinär zu ſein,
mit ſicherem Urteil zu den politifd-fulturellen und wirtſchaftlichen Erſchei⸗
nungen des täglichen Lebens Stellung nahm. So wenig vielleicht die in den
2) Intelligenz iſt hier im Sinne von Einſicht zu verſtehen, alſo Nachrichtenblatt.
3) Vgl. Möſers ſämtliche Werke. Herausgegeben von B. R. Abelen, Berlin 1842.
Eh
970 Konrad Meyer
„Patriotiſchen Phantaſien“ behandelten Gegenſtände auf den erſten Blick eine
einheitliche Grundidee erkennen laſſen, ſo tief gemeinſam verbindend und ein⸗
heitlich iſt jedoch die Haltung und das Arteil bei der Abhandlung der von ihm
aufgeworfenen Fragen. Immer wieder leuchtet aus ſeinen Aufſätzen die Liebe
zu Volk und Heimat hervor und wird das Arbild ſeiner feſt im Volkstum
wurzelnden Staatsauffaſſung ſichtbar. Möſer war eben eine Perſönlichkeit, die
ſtark in ſich ruhte. Seine ruhige und kraftvolle Geſtalt zeichnet ſich vortrefflich
ab von dem aufdringlichen und rechthaberiſchen Aufklärertum des 18. Jahr-
hunderts. Man kann Möſer, deffen gegenſtändliches volfs- und erdnahes Den-
ken niemals der Verſuchung verfiel, zu theoretiſieren und zu verallgemeinern,
weder zur Schule der Merkantiliſten noch der Phyſiokraten rechnen. And doch
ift er — wie auch Roſcher von ihm ſagt — der größte Nationalökonom des
18. Jahrhunderts geweſen und der tiefgründigſte Kenner der ländlichen und
ſozialen Verhältniſſe jener Zeit.
Gerade weil er feſt mit beiden Füßen in der Wirklichkeit des praktiſchen
Lebens ſtand, empfand er die ſchematiſierende und nivellierende Art des römi⸗
ſchen Rechtsdenkens als beſonders verderblich. Er fah, daß der Mannigfaltig-
keit ländlicher Rechtsfälle, wie z. B. bei Beſitzvererbung, Abfindungen, Leib-
zuchtfragen uſw., das römiſche Recht nicht gewachſen war, und ſo forderte er
die Schaffung eines lebendigen Rechts. Am der damals vielfach ſchikanöſen
Behandlung des Landvolkes durch die Advokaten entgegenzuwirken, verlangte
er daher nach einem kurzen Geſetzbuch „Practica fürs Landvolk“, das alle wid
tigen Regeln und Geſetze für den Bauern umfaſſen ſollte. Dieſe allgemeine
Rechtsunſicherheit und verwirrung führte ihn auch zum Studium der Ge⸗
ſchichte und der Erforſchung der Rechtsverhältniſſe unſerer Vorfahren. Wie
febr ihm die mechaniſche Art römiſchen Rechtsdenkens zuwider war, geht am
deutlichſten aus folgendem Ausſpruch hervor: „Wir entfernen uns dadurch von
dem wahren Plan der Natur, die ihren Reichtum in der Mannigfaltigkeit
zeigt, und bahnen den Weg zum Deſpotismus, der uns nach wenigen Regeln
zwingen will und dadurch den Reichtum der Mannigfaltigkeit verliert.“
Am Möſers Stellung zur Landwirtſchaft und zum Bauern-
tum kennen zu lernen, wollen wir ausgehen von dem uns heute bewegenden
Volksgedanken von Blut und Boden. Wenn wir heute uns zu dieſer Idee
bekennen, ſo verbinden wir ja damit nicht nur beſtimmte Auffaſſungen über die
Landwirtſchaft, ſondern zugleich über Volk, Rafie, Staat und Geſamtwirt⸗
ſchaft. Indem wir ſo von unſeren heutigen Anſichten und Vorſtellungen aus⸗
gehen und damit Möſers Auffaſſungen vergleichen, erkennen wir am beſten die
überragende Größe Möſers.
Wir begründen unſere Agrarpolitik nicht auf irgendwelchen ökonomiſchen
Erwägungen und Forderungen, ſondern leiten ſie ab aus dem Glauben an
unſere Raſſe und unfer Blut, ſowie aus der geſchichtlichen Tatſache, daß zum
Germanen der Ackerbau gehört und daher das Bauerntum der tragende
Lebensgrund des Volkes iſt. Wir lehnen es daher auch ab, daß unſere Vor⸗
fahren Barbaren geweſen ſein ſollen, die erſt durch den Einbruch der Römer
und die Bekehrungsarbeit der Kirche Kultur erhalten hätten. Auch Möſer kam
bei ſeinen geſchichtlichen Studien ſehr bald zu der Erkenntnis, daß die deutſche
Frühzeit bereits eine beachtliche kulturelle Höhe beſeſſen habe, die auch für die
Gegenwart nicht ohne Bedeutung ſei. So ſagt er in ſeiner Vorrede zum
Drama „Arminius“: „Anſere Vorfahren ſind nicht ſolche Klötze geweſen, als
Justus Möser, ein Vorkämpfer des deutschen Bauerngedankens 971
man fih gemeiniglich bei dem erſten Anblick des Tacitus einzubilden pflegt.“
And an anderer Stelle: „Auch die neuere Zeit hat durchaus das Licht der alten
notwendig.“ Kennzeichnend iſt ſeine Beurteilung der alten ſächſiſch⸗germa⸗
niſchen Verhältniſſe vor der Karolingerzeit: „Ehe Karl der Große die Sachſen
überwand, zeigt ſich die ſchönſte Periode des freien Adels. Deſſen Einrich⸗
tungen, die Okonomie ihrer Kräfte zur gemeinſamen Erhaltung ihrer Staats-
verfaſſung im Kriege und im Frieden, ihre Religion, welche der Freiheit und
Tapferkeit günſtig ſein mußte, ihre dahin abzielenden Geſetze, ihre Gebräuche,
ihre Kriege mit den Franken, kurz alles, was man nur von ihnen weiß, arbeitet
zu dem gemeinſchaftlichen Endzweck der Freiheit.“
Es entſprach durchaus ſeiner Weſensart, alle Geſchehniſſe der Gegenwart
aus der Vergangenheit heraus zu deuten und ſo ſtets Vergangenheit und
Gegenwart in eins zu ſehen. Damit ſetzte er ſich bewußt in Gegenſatz zum
Zeitgeſetz des 18. Jahrhunderts, dem nur wenig geſchichtlicher Sinn eigen
war. „Wenn ich auf eine alte Sitte oder Gewohnheit ſtoße, die ſich mit den
Schlüſſen der Neueren durchaus nicht reimen will, ſo gehe ich mit dem Ge⸗
danken, die Alten ſind doch auch keine Narren geweſen, ſolange darum her,
bis ich eine vernünftige Arſache davon finde und gebe dann den Neueren allen
Spott zurück, womit ſie das Altertum und diejenigen, welche an deſſen Vorurteilen
kleben, oft ohne alle Kenntnis zu demütigen geſucht haben.“ So konnte auch
ſeinem geſchichtlichen Sinn nicht die Tragik der deutſchen Geſchichte verborgen
bleiben, nämlich daß zu allen Zeiten gegen den deutſchen Nationalgeiſt ein
„feindſeliges Genie“ geſtritten hat.
Möſers Staatsauffaſſung war eine volksorganiſche und erinnert
uns oft an Gedankengänge, wie fie. ſpäter Ruhland vertrat. In der geſamt⸗
politiſchen Einwirkung unſeres Landes bedeuten ihm der Lebensablauf der
Fürſten nur wenig. Ihm kam es vielmehr auf die großen Zuſammenhänge
und geſchichtlichen Perioden an: „Die Geſchichte von Deutſchland hat meines
Erachtens eine ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir die gemeinen Land-
eigentümer als die wahren Beſtandteile der Nation durch ihre Veränderungen
verfolgen, aus ihnen den Körper bilden und die großen und kleinen Bedienten
dieſer Nation als böſe oder gute Zufälle des Körpers betrachten. Wir können
ſodann den Arſprung, den Fortgang und das unterſchiedliche Verhältnis des
Nationalcharakters mit mehr Ordnung und Deutlichkeit entwickeln, als wenn
wir bloß das Leben und die Bemühungen der Arzte beſchreiben, ohne des
kranken Körpers zu gedenken.“ (Aus: Vorrede zur Osnabrücker Geſchichte.)
Möſer vergleicht den Staat mit einer Pyramide, „die alsdann ſchön iſt,
wenn ſie ihr gehöriges Verhältnis hat, unten auf einem guten Grunde ruht
und nach der Spitze zu immer dergeſtalt abnimmt, daß das Anterſte das Oberſte
völlig, aber auch mit der mindeſten Beſchwerde trägt“. Der Stand der Land⸗
befitzer ift der Grund, auf dem der Bau ruht, und von ihm „brauchen wir nichts
weiter zu ſagen, als daß dieſer nicht leicht zu zahlreich, nicht zu ſtark und nicht
zu gut gefugt fein könne; und daß, wo es hieran ermangelt, wo fih hier eine
Lücke bei der anderen zeigt, und der eine Stein geborſten, der andere verwittert
und der dritte geſtohlen iſt, die ganze Pyramide notwendig zuſammenfallen
müſſe“.
Der Bauernſtand iſt für Möſer der Arſtand des Staates. Im Vergleich zu
ihm, als dem Kornfeld, aus dem alle anderen Stände hervorgehen, ſind die
Adligen wie die Blumen, die ſchnell verwelken. Eine geſunde Wirtſchaft
972 Konrad Meyer
gründet fih bei ihm auf Ackerbau, Handwerk und Handel. Sie gehören eng
zuſammen und ſind aufeinander angewieſen. Das Vorherrſchen von Handel
und Handwerk und die Verſchiebung jeglichen Gleichgewichts bedeutet eine
Gefahr. „Gewerbe und Handwerk find flüchtige Güter, die von einer Nation
zur andern ziehen — wieviel dauerhafter iſt dagegen ein Staat, deſſen Wohl
ſich auf den Ackerbau gründet.“
Als den echteſten Beſtandteil der Nation betrachtet Möſer das Eigentum
am Boden, „Landeigentum“ von ihm genannt. Erſt mit der Seßhaftigkeit und
Schaffung von Landeigentum beginnt jedes ſtaatliche Gemeinweſen. Hier
betrachtet Möſer den Staat als einen Zweckverband aus Not und glaubt, daß
die erſten Verträge und Zuſammenſchlüſſe zu einem Gemeinweſen geſchloſſen
wurden zur Abwendung gemeinſamer Not und Gefahr. Vielleicht fehlt Möſer
hier noch das klare Bewußtſein der Volks und Sippengemeinſchaft, das uns
heute den Staat als organiſierten Volks und Blutsverband erſcheinen läßt.
Es ift aber bemerkenswert, daß Möſer im Volk nicht eine zuſammengelaufene
Herde erblickt, ſondern einen geſchichtlich gewordenen lebendigen Organismus,
und daß er die Einzelweſen nicht für ſich, ſondern nur im völkiſchen Zu⸗
ſammenhang ſah.
Aus dem Weſen des Landeigentums und ſeinem beſtimmenden Anteil an
der ſtaatlichen Gemeinſchaft ergeben ſich für ihn die Begriffe Freiheit,
Ehre und Recht; dieſe ſind eng an den Beſitz von Landeigentum geknüpft.
„Die Zeit, wo jeder Franke und Sachſe paterna-rura (d. i. fein allodiales, von
keinem Lehns⸗ oder Gutsherrn abhängendes Erbgut) bebaut und in eigener
Perſon verteidigt, wo er von feinem Hof zu gemeinſamen Landesverſamm⸗
lungen kam und der Menſch, der keinen ſolchen Hof beſaß, und wenn er auch
der reichſte Krämer geweſen wäre, zur Klaſſe der armen und ungeehrten Leute
gehörte, dieſe Zeit war imſtande, uns eine Nation zu zeigen.“ Dem Begriff
der hemmungsloſen Freiheit, wie ihn die Aufklärung verkündete, ſtellte er die
„gemeine Freiheit“ entgegen, d. i. jene Freiheit innerhalb der Bindungen und
Forderungen, die der Staat verlangt zur Sicherung der Geſamtheit. Dieſe
„gemeine Freiheit“ wird aber bei Möſer nur verbürgt durch das Landeigentum
als den Ausdruck verpflichtender Gemeinſchaft im Staat. Beſitz verpflichtet,
das iſt der Grundzug Möſerſcher Sozialethik.
Die Auffaſſungen über Freiheit, Recht und Ehre als ſittliche Forderungen
aus dem Erleben der Gemeinſchaft ſtanden natürlich im ſchärfſten Widerſpruch
zu den weſtiſchen Phraſen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Keiner
hat das damals deutlicher empfunden und ausgeſprochen wie Möĩſer. „Freiheit“
(im weſtiſchen Sinne) „iſt das Recht der Bettler in einer Periode, wo die
Landbeſitzer von ihrem Acker, d. h. aus eigenen Mitteln, zu Felde ziehen und
ihre Ehre in dieſe ihre Schuldigkeit ſetzen.“ Mit harten Worten wendet er ſich
gegen die Lehren Rouſſeaus: „Die Theorie der allgemeinen Menſchenrechte,
welche mit einem falſch⸗philoſophiſchen Auge an jedem Menſchen gleiche
Würde und gleiche Rechte erblickt und den Menſchen vor dem Angeſicht
Gottes, vor dem wir alle gleich ſind, mit dem Menſchen außerhalb dieſes
Verhältniſſes verwechſelt, beraubt jeden Landeingeſeſſenen von aller ſeiner
Würde, die er aus dem urſprünglichen Verein hatte und erhebt allein den
Regenten ſoviel höher.“ Hier klingen ſchon Gedanken an, die man als ſozia⸗
liſtiſch in unſerem Sinne bezeichnen kann.
Justus Möser, ein Vorkämpfer des deutschen Bauerngedankens 973
Sozialiſtiſch im echten Sinne war auch Möſers Einſtellung zur Lohnfrage.
Entgegen den Wirtſchaftstheoretikern jener Zeit, die niedrige Löhne im Inter⸗
eſſe der Warenausfuhr und einer aktiven Handelsbilanz für erſtrebenswert
hielten, forderte er für die Erhaltung des ſozialen Friedens und Erlangung
dauerhafter Volkswohlfahrt gerechte und ausreichende Entlohnung. Auch ſeine
Einſtellung zum Adel und ſeine Auffaſſung über die Pflichten des Adels
atmen geſunden ſozialiſtiſchen Geiſt. Wenn er z. B. unterſcheidet zwiſchen
jenem Adel, der nur mit erblichem Amt, d. h. Landeigentum oder mit erblicher
Würde im Staat verbunden iſt, und dem Edelgeborenen, der kein erbliches
Amt führt, ſo muten uns dieſe Gedanken heute durchaus modern an.
Wir beſitzen übrigens auch aus Möſers Feder die beſten Beſchreibungen
des weſtfäliſchen Bauernhauſes und des dörflichen Lebens, ſo daß wir ſehr
wohl Möſer als den eigentlichen Vater der deutſchen Volts:
kunde bezeichnen können.
Beſonders lehrreich und intereſſant iſt Möſers Einſtellung zur
Bauernbefreiung. Er iſt hier naturgemäß von den Vertretern der libe⸗
ralen Bauernbefreiung nicht verſtanden und daher vielfach abgelehnt worden.
Wir werden ihn aber von nun an den Ahnen des Erbhofgedankens zurechnen
und ihn an den Anfang einer Reihe von Männern ſtellen, die die Geſchichte
einmal als die geiſtigen Vorkämpfer des Erbhofgeſetzes bezeichnen wird:
Möſer, Stein, F. A. L. v. d. Marwitz, Arndt, Rodberthus, Ruhland.
Zu Möſers Zeiten herrſchte in Osnabrück die Grundherrſchaft. Dieſe unter-
ſcheidet fih weſentlich von ihrer oſtdeutſchen Form, der ſogenannten Guts-
herrſchaft, dadurch, daß der Grundherr nicht wie im Oſten ſelber Landwirt iſt,
ſondern Rentenbezieher. Der hannoverſche Grundherr beſaß im allgemeinen
mehrere Meierhöfe und Liegenſchaften zu eigen. Das Recht des Grundherrn
über Menſchen und Land war aber gerade in Niederſachſen weſentlich be⸗
ſchränkt. Der Hörige (Late) war auf ſeinem Hof faſt uneingeſchränkter Herr.
Dem Fronhofthing oder Hofgericht gehörten z. B. außer den Laten auch der
Grundherr ſelber an, der zwar den Vorſitz führte, aber ſich auch dem allge⸗
meinen Arteil zu unterwerfen hatte. Daher hat die Leibeigenſchaft in Nord-
weſtdeutſchland nicht jenen bitteren Beigeſchmack wie im Often. Viele kauften
ſich ſogar in ſie ein und erwarben ſich ſo erblichen Grundbeſitz und den Schutz
der Grundherrſchaft. Nur hier und da traten Härten ein, ſo z. B. durch Ver⸗
ſchuldung oder im Erbfall, wenn der Grundherr die ihm zugefallene Erbſchaft
ſich teuer abkaufen ließ. Nach der Osnabrücker Eigentumsordnung von 1722
bezog ſich das dringliche Nutzungsrecht der „Eigenbehörigen“ auf die beweg⸗
lichen und unbeweglichen Güter. Die Eigenbehörigen hatten die Pflicht der
gewiſſenhaften Verwaltung, als Abgabe war die Zahlung des „Zehnten“ ge-
bräuchlich. Je nach dem Werte des Hofes und nach der Höhe des vorhandenen
Vermögens war bei Antritt des Erbes eine ſogenannte Auffahrt zu entrichten,
ebenſo beim Todesfall der Eltern der ſogenannte Sterbefall, welcher gewöhn⸗
lich die Hälfte der nachgelaſſenen Güter umfaßte.
Dieſe Verhältniſſe muß man ſich vergegenwärtigen, um Möſers Einſtellung
zur Bauernbefreiung richtig verſtehen zu können. Möſer vertrat wohl die Ab⸗
ſchaffung der Leibeigenſchaft, er lehnte jedoch die Aberführung gutsherrlich-
bäuerlichen Beſitzes in frei verfügbares Eigentum ab. Er forderte vielmehr die
Aberführung der Leibeigenſchaft in abgabe⸗ und dienſtpflichtige Erbpacht, wo⸗
bei die Oberhoheit des Grundherrn bzw. des Staates beſtehen bleiben ſollte.
974 Konrad Meyer
Möſer gelangte zu dieſer Forderung auf Grund der Vorftellung, daß über
den Boden der Staat eine Art Obereigentum beſitze. Auf jedem Hof würden
daher immer beſtimmte Reallajten ruben müſſen. Dieſe Gebundenheit des Land-
eigentums war nach Möſers Auffaſſung geſchichtlich erwieſen und lag begrün⸗
det in der Entwicklung der Gemeinweſen, deren Erhaltung und Wohl me
ſchränkungen in der freien Verfügbarkeit erheiſche.
Wir finden hier eine gute Abereinſtimmung mit ſpäteren Zielen und Abſich⸗
ten des Freiherrn von Stein. Auch das vom Freiherrn von Stein eingeleitete
Befreiungswerk verfolgte bekanntlich ähnliche Ziele, nämlich die Bauern von
perſönlichen und ungebührlichen Laſten zu befreien, aber doch Veſchränkungen
in der Verfügungsgewalt über den Boden beizubehalten. Leider gelangten
Steins Pläne nicht zur Durchführung, und wurden durch Hardenberg in
jene unſelige Geſetzgebung umgefälſcht, die zum Vorteil der Großgrundbeſitz⸗
bildung die freie Verfügbarkeit über Grund und Boden und die volle Ablöſung
vorhandener Bindungen und Verpflichtungen brachte.
Aber noch viel enger als im Zuſammenhang mit Stein berühren ſich die
Möſerſchen Gedankengänge mit den heutigen Forderungen
des Erbhofgefetzes. Hier zeigt ſich am deutlichſten, wie wenig Möſers
Einſtellung zum Bauerntum ſich aus wirtſchaftlichen Erwägungen herleitet,
ſondern vom Wohl des Ganzen her beſtimmt war. Möſer weiß, wie eng die
landwirtſchaftliche Erzeugung in Abhängigkeit von den Launen der Natur ſteht
und wie wenig ſie ſich daher vorausbeſtimmen läßt. Viele völlig unbeeinfluß⸗
bare Amſtände können den Bauer in Not geraten laſſen, wie z. B. Mißernten,
Viehſterben, Hagelſchlag, Brand u. dal. Hieraus ergibt fich, daß ein Bauer, der
ein feſt verzinsliches Darlehn aufgenommen hat, vor dem willkürlichen Zugriff
des Gläubigers geſchützt ſein muß. Der Landmann ſei infolge dieſer Abhängigkeit
von höherer Gewalt daher nicht jederzeit in der Lage, die Schuld zurückzu⸗
zahlen, ſo daß er notgedrungen in Schwierigkeiten geraten muß, wenn er ge⸗
zwungen wird, eine beſtimmte Friſt innezuhalten. Wählt der Gläubiger nun
den ungünſtigſten Zeitpunkt für die Kündigung des Darlehns oder der Hypo⸗
thek, ſo bringt er den Schuldner um Haus und Hof; er muß ſich alſo alle
„Güter zum Nachteil des Staates zueignen und ſeine Mitbürger zum Sklaven
machen können“.
Dieſes Recht des Gläubigers, das Darlehn nach eigenem Ermeſſen zu kün⸗
digen, ift jedoch, wie Möſer nachdrücklichſt betont, dem Eigentum und der
Freiheit zuwider. Außerdem ginge es auf Koſten des Staates. Möſer ſchlägt
deshalb den Rentekauf vor, der dem Gläubiger zwar eine feſte Rente ſichert,
der aber die Kündigung des geliehenen Kapitals ausſchließt. Das zu belei⸗
hende Grundſtück iſt in ein amtliches Hypothekenbuch einzutragen mit Angabe
ſeines jährlichen Ertrages. Der Staat übernimmt die Bürgſchaft dafür, daß
der Gläubiger aus den Erträgen des Hofes befriedigt wird. Falls der Schuld⸗
ner dieſe zurückhält, kann der Gläubiger ſie ſich durch Selbſtnutzung des
Grundſtücks verſchaffen. Andererſeits teilt der Gläubiger mit dem Schuldner
alle Gefahren, die mit Landeigentum verbunden ſind. Denn da das Grundſtück
ohne einen feſten Geldwert im Hypothekenbuch verzeichnet iſt, ſo ſteigt und
fällt die Renteverſchreibung genau ſo wie die „liegenden Gründe“ ſteigen und
fallen, während bei der bisherigen Darlehnsform nur der Schuldner alles
Riſiko trägt: „Der Blitz, der die Gründe des Gläubigers nicht hat rühren
können, weil ſein Vermögen in Schuldverſchreibungen beſteht, hat vielleicht
Justus Moser, ein Vorkämpfer des deutschen Bauerngedankens 975
nicht bloß den Schuldner, fondern auch den Gläubiger heimſuchen wollen.
Jener hat ſich gegen die Kriegsbeſchwerden als ein treuer Antertan bewährt,
das Anterpfand des Gläubigers mit Aufopferung ſeines übrigen Vermögens
gerettet und alles Angewitter über ſich ergehen laſſen; dieſer hingegen iſt mit
ſeinem Schuldbuch in fremde Länder geflüchtet und hat dem Sturm vom Afer
zugeſehen.“ Die für den Ackerbau geltende Kreditordnung muß anderen Ge-
ſetzen unterworfen ſein als die des Handel und des Gewerbes. Darum iſt es
Pflicht der Obrigkeit, ſo betont Möſer immer wieder, Kreditformen ausfindig
zu machen, welche der Beſonderheit der landwirtſchaftlichen Erzeugung Red-
nung tragen und dem Bauern die Möglichkeit geben, feine Schuldverpflich-
tungen abzuleiſten, ohne daß der Beſtand ſeines Hofes gefährdet wird. Er
verkennt dabei allerdings nicht die Schwierigkeiten, die ſich bei einer ſolchen
Sonderregelung des ländlichen Kreditweſens entgegen den üblichen privat-
wirtſchaftlichen Regeln ergeben und ſucht daher nach den verſchiedenſten Mit⸗
teln zum Ankauf von Renten.
Im Mittelpunkt von Möſers Bemühungen ſteht die Erhaltung des Hofes
und die Sicherung der bäuerlichen Arbeit. Zu dieſem Zwecke fordert er, daß
das zum Hof gehörige Ackerland und die erforderlichen Betriebsmittel (letztere
„Hofgewehr“ genannt) „eiſern“, d. h. unverpfändbar gemacht werden. Der
„TFreiſtamm“ — dies ift Möſers zuſammenfaſſender Ausdruck für Acker und
Hofgewehr — iſt weder veräußerlich noch verſchuldbar, er bildet die obere
Verſchuldungsgrenze des Hofes. Es iſt Aufgabe des Staates, für die Erhal⸗
tung des Freiſtammes Sorge zu tragen. Vor allem gilt dies im Falle des Erb-
ganges, wo jede Aufteilung die unantaſtbare Einheit des Hofes zerſtören muß.
Die „Notwendigkeit oder der Wunſch, weichende Erben abzufinden, darf nicht
zu einem Eingriff in den Freiſtamm führen, weil hierdurch die Hofwirtſchaft
an ihrer Wurzel Schaden nehmen müßte: „Die abgehenden Söhne erhalten
Koſt und Kleidung in ihrem elterlichen Haufe bis ins 21. ſte Lebensjahr; und
dann bekommen ſie zur Ausſteuer ſechs Hemden, ein vollſtändiges Kleid und
einen Malter Korn. Gibt ihnen der Vater mehr, ſo iſt es ſein freier Wille,
der Sohn aber kann es mit Recht nicht fordern. .. „Das unbewegliche Gut,
die Gebäude, und Alles, was zum Hofgewehr gehört, darf dabei nicht in Be-
tracht gezogen werden”, ‘weil es widerſinnig ift, „den Leuten zu verbieten, ihre
Höfe und Gründe mit Schulden zu beſchweren, und dem ungeachtet nach dem
Werth derſelben etwas herauszugeben.“
An keiner Stelle tritt deutlicher als hier die völkiſch⸗organiſche Betrachtungs⸗
weiſe Möſers zutage. Der Hof darf nicht angetaſtet werden, weil er über alle
Wechſelfälle der Geſchichte hinweg das Hauptfundament des Staates dar⸗
ſtellt. Das von ihm geforderte Erbrecht des jüngſten Kindes, wonach „die
älteren aus dem Neſte ſein müſſen, wenn der Erbe wieder brüten will“, iſt
nur eine andere Form des gleichen Gedankens. Die Arzelle der Volksgemein⸗
ſchaft darf nicht zufälligen Launen und Leidenſchaften einzelner Geſchlechter
ausgeliefert ſein, wenn ſie und damit auch das Ganze Beſtand haben ſoll. Nur
879 feſte Anerbenordnung gibt die ſichere Grundlage für eine ungeſtörte
Erbfolge.
Möſer verfolgte trotz ſeines fortwährend auf die Geſchichte gerichteten
Sinnes doch wachſam und ſcharf beobachtend das Treiben der Gegenwart und
die Strömungsrichtung ſeiner Zeit. Ihm entging darum nicht, daß der out,
ſteigende Liberalismus bereits auch an die Grundfeſten des Bauerntums zu
976 ` Konrad Meyer
rühren begann. ,,...feit wann ift es ein Schimpf, feinen väterlichen Acker zu
bauen? Seit wann hat die Vernunft dem Hochmut das Recht beſtätigt, das
Wort Bauer ſo unſchicklich gebrauchen zu dürfen? Was kann einen Landes⸗
herrn bewegen, denjenigen Mann für den ſchlechteſten zu halten, der monatlich
ſeinen Schatz richtig bezahlt und die erſte Stütze des Staates iſt? In Spanien
iſt das Pflügen ſo ſchimpflich, als in Deutſchland das Abdecken. Sollten wir es
etwa auch dahin bringen? Die Hummeln ehren und die Bienen beſchimpfen?
Möſer erkennt durchaus die Notwendigkeit eines Gleichgewichts von
Handel und Gewerbe und Ackerbau für ein Staatsweſen, doch erfüllt ihn das
ſtändige Anwachſen des ſtädtiſchen Lebens mit großer Sorge. Bitter klagt er
z. B. über die Schreibſeligkeit an den Aniverſitäten: „Die Gelehrten des vori⸗
gen Jahrhunderts hatten noch Ackerbau; aber in dieſem hat die Schreiberei ſo
überhand genommen, daß ſie von dem Morgen bis in den Abend wie ange⸗
ſchmiedet auf einer Stelle ſitzen und mit der Feder rudern müſſen. Was kann
alſo für die künftige Nachkommenſchaft heilſamer und nötiger ſein, als allen
Kindern, die wir zum Studieren verdammen, zugleich eine Kunſt, welche eine
körperliche Abung erfordert, lernen zu laffen...”
Möſer hat mit feinen Forderungen und Plänen zu feinen Lebzeiten wenig
Erfolg gehabt. Der Siegeslauf des Liberalismus war ſo unaufhaltſam, daß
er ſich nicht durchzuſetzen vermochte. Die Idee des freien, d. h. frei verfüg⸗
baren Privateigentums, wurde leitender Gedanke der Agrarpolitik des
19. Jahrhunderts. l
Allerdings hat in der Hannoverſchen Bauernbefreiung ein halbes Jahr⸗
hundert ſpäter Möſerſches Gedankengut noch ſegensreich nachgewirkt. Denn
Stüve, ein Osnabrücker und Verehrer Möſers, dem wir die maßvolle und
gerechte Ablöſung des grundherrlichen Verhältniſſes in Hannover verdanken,
ſtand ganz unter dem Einfluß Möſers. Als Gegner eines radikalen Libera-
lismus lehnte er die Beweglichmachung des Bodens ab, und es gelang ihm,
das Anerbenrecht, die Anteilbarkeit des Grundbeſitzes und das Verbot der
Landabtretung als Ablöſungsmittel durchzuſetzen. An die Stelle der privaten
Grundherrſchaft ſetzte Stüve die öffentliche Grundherrſchaft, d. h. ein Ober⸗
eigentumsrecht am Bauerngute. Dieſe Form der öffentlichen Grundherrſchaft
hat in Hannover bis 1866 beſtanden. Der liberale preußiſche Staat erkannte
jedoch bei der Abernahme Hannovers die beſtehenden hannoverſchen Rechts-
verhältniſſe nicht an und übertrug ſtatt deſſen ſeine eigenen Rechtsnormen auf
dieſes Land. Nur mit Mühe gelang es damals dem hannoverſchen Provin-
ziallandtag, wenigſtens die Höferolle einzuführen und damit die alte Anerben⸗
ſitte zu ſichern.
Später iſt dann noch einmal der Geiſt Möſers lebendig geworden in einem
Mann, der ebenfalls Osnabrücker war, dem preußiſchen Finanzminiſter
von Miquel. Unter feinem Einfluß vollzog fih durch die Rentengutsgeſetz⸗
gebung der achtziger Jahre das erſte Einſchwenken der bis dahin ganz liberalen
Agrarreform des vorigen Jahrhunderts. Man hatte endlich erkannt, daß die
liberale Agrargeſetzgebung die ungeeignetſten Vorausſetzungen für eine ſtarke
nationale Siedlungspolitik bot. Daher ſchuf man die Form des Rentengutes
und glaubte hierdurch ähnlich wie bei einer Erbpacht die Anſiedlung kapital⸗
ſchwacher Siedler fördern zu können. Es iſt daher bezeichnend, daß der eifrigſte
Verfechter liberaler Agrarpolitik, nämlich Brentano, den Einfluß Möſers auf
—— ͤ—g—— —-—-—-t: 4 — —V—y—
Werner Stief, Auf den Spuren vorchristl.-german. Kult- u. Malstätten 977
die ganze Entwicklung der preußiſchen Agrarreform der achtziger Jahre wohl
erkannt hat und daher Möfers Auffaſſungen einer eingehenden Kritik unterzog.
Was Möſer einſt erſehnt und erſtrebt hat, ein Deutſchland mit geſchloſſe⸗
nem, nationalem Geiſt und ſtarkem Bauerntum, iſt Erfüllung geworden. Sein
ganzes Leben hat er als glühender Patriot gegen die Verwelſchung deutſcher
Art und Kunſt gekämpft. Bei aller Bewunderung für Friedrich den Großen
ſagte er noch in ſpäten Jahren mit Bitterkeit: „Es geht mir als ein Deutſcher
nahe, ihn, der in allem Abrigen ja Meiſter iſt und auch in deutſcher Art und
Kunſt fein könnte, hinter Voltaire zu erblicken.“ Nach anderthalb Jahrhun-
derten hat ſich ſein Glaube erfüllt. Das iſt der beſte Beweis für die Echtheit
und für die Ewigkeit unſeres Volkstums, um deſſen Vollendung wir heute
kämpfen. And ſo paſſen mehr als je die würdigenden Worte W. H. Riehls
über Möſer in die heutige Zeit: „Für uns iſt der prophetiſche Patriot von
Osnabrück wieder von den Toten erſtanden. Er ſteht mitten in den ſozial⸗
politiſchen Kämpfen der Gegenwart. Striche man das äußere, nur ſeiner Zeit
angehörende Beiwerk in ſeinen patriotiſchen Phantaſien weg, man könnte ſie
heute wieder als ſchlaghaft wirkende Leitartikel neueſten Datums in unſeren
Zeitblättern anführen.“ |
Schrifttum über Juſtus Möfer:
Zimmermann: Staat, Recht und Wirtſchaft bei Juſtus Möfer. Jena 1933.
Roſcher, W.: Geſchichte der National⸗Okonomik in Deutſchland. München 1874.
Pleiſter, W.: Juſtus Möſer. In „Die großen Deutſchen“. Bd. 2. Berlin 1935.
Brentano, L.: Juſtus Möſer, der Vater der neueſten preußiſchen Agrarreform. In „Alte und
neue Feudalität“. Geſammelte Aufſätze zur Erbrechtspolitik.
Werner Stief: |
Auf den Spuren vorchriſtlich⸗germaniſcher Kult⸗ und
Malſtätten im mittleren Deutfchland
1. Ein vorchriſtlich⸗germaniſcher Kultbezirk im Stammesgebiet der
Thoringe (Landkreis Querfurt)?
Auf Grund zahlreicher geſicherter Erkenntniſſe der deutſchen Altertums⸗
forſchung!) ift es heute für jeden Wiſſenden ein leichtes, in Ortlichkeiten,
deren Namen mit dem chriſtlichen Heiligen Michael in Verbindung ſtehen,
Stätten eines vorchriftlich-germanifhen Wodan⸗Kultes zu vermuten; unge-
mein beglückend iſt es aber für jeden Freund germaniſcher Geſchichte, wenn
fih im Gefolge einer ſolchen Vermutung dem, der mit offenen Augen fein
Vaterland durchwandert, im Sinne etwa der Forſchungsweiſe eines Wilhelm
Teudt neben den bloßen Orts⸗ und Kirchennamen, die den hl. Michael nennen,
in der Landſchaft ſelbſt noch heute ſichtbare Kennzeichen eines vorchriſtlichen
1) E. Jung, „Germaniſche Götter und Helden in chriſtlicher Zeit“, S. 191 f.
978 Werner Stief
Kultes erſchließen, die jene vorgefaßte Vermutung beftätigen. Im folgenden
ſoll dies an einem bisher wohl unbekannten Beiſpiel gezeigt werden. j
Bei Merſeburg, an der Oſtgrenze des Stammesgebietes der Thoringe ),
mündet von Weſten her das durch ſeine vorgeſchichtlichen Funde berühmte
Geiſeltal in das Tal der Saale ein. Durch ein heute völlig dem Braun⸗
kohlenbergbau verfallenes und damit in ſeiner urſprünglichen Form zerſtörtes
Landſchaftsgebiet gelangt man in wenigen Wegſtunden geiſelaufwärts nach
dem Städtchen Mücheln. Hier, kurz oberhalb der Einmündung des Stöbnitz⸗
baches, fließt nun die Geiſel nahe ihrer Quelle in einem ziemlich engen
Eroſionstal durch felſiges Triasgeſtein, während fie in ihrem Mittel- und
Anterlauf gegen die Saale hin ein breiteres, ſanftes Auental in Tertiärboden
beſaß. Nannte ſchon das Städtchen Mücheln, etwas ſprachl ich entſtellt, den
hl. Michael, ſo lautete der Ortsname des nur 2 km oberhalb Müchelns an der
Geiſelquelle liegenden Dorfes St. Micheln genau auf dieſen ritterlichen
Heiligen’). Zwiſchen Mücheln und St. Micheln liegt noch eine kleine Guts⸗
herrſchaft St. Alrich, die mit St. Micheln heute eine Gemeinde bildet.
Alrich ijt (nach E. Jung, a. a. O., S. 119) „der erſte in feierlicher und recht-
licher Form heilig geſprochene Kirchenheilige (993)“, alſo gleich dem
hl. Michael ein ſehr „alter“ Heiliger in Deutſchland. Der ſpärlichen fagen-
haft⸗geſchichtlichen Aberlieferung nach ſoll der Biſchof Otto von Bamberg im
Jahre 1220 auf einem Miſſionszug nach Pommern St. Micheln und St. Alrich
gegründet und den erſteren Ort nach ſeinem Lieblingskloſter in Bayern be⸗
nannt haben. Ans ſcheint jedoch die Siedelung St. Micheln ein weit höheres,
nämlich ſchon vorchriſtliches Alter zu haben, wie ſich eben aus der Gleichung
„St. Michael = Wodan“ und mancherlei Spuren in der Landſchaft ergibt.
Sie war ſicherlich die längſt vor Otto von Bamberg vorhandene, zu einer
Wodan⸗Kultſtätte gehörende Menſchenanſiedelung, die vielleicht (?) ehedem
den Namen „Wodansberg“ (vgl. Gudensberg, Odenberg uſw.) trug.
Zu dieſer Annahme berechtigt folgendes: Die Kirche von St. Micheln, an
deren Stelle das vorchriſtliche Heiligtum zu ſuchen iſt, liegt auf einer ſteilen,
ausgeprägten Bergnaſe genau über der ausnehmend großen Geiſelquelle
(ſ. u.). Die chriſtliche Kirche (als Inſtitution) war von Anfang an gegen jeden
Höhendienſt eingeſtellt, weshalb alte chriſtliche Kirchengebäude auf hohen
Bergen immer die berechtigte Vermutung zulaſſen, daß fie unter „Ausnutzung“
der ſchon vorhandenen Heiligkeit eines Ortes an vorchriſtlicher Weiheſtätte
erbaut ſind. Die genannte felſige Bergnaſe bildet das Ende einer längeren
Bergzunge, die durch zwei in die Triasplatte eingeſenkte, fih an der Geijel-
quelle vereinigende „tote“ (waſſerfreie) Täler aus der Hochfläche heraus⸗
geſchnitten wird. Das nördliche dieſer beiden Täler heißt „Heſſeltal“; dieſer
Name iſt vielleicht von „Haſel“ abzuleiten (ſ. u.); im ſüdlichen führt heute
die Straße nach dem ſüdweſtlich von St. Micheln gelegenen Dorfe Gleina
auf die Hochfläche empor. Vorzüglich Wodan⸗Heiligtümer lagen auf ſteilen
Bergen“); die Geiſelquelle dürfte hier in St. Micheln die zugehörige heilige
Quelle (ſ. u.) am Bergesfuß geweſen ſein.
2) Siehe „Germanien“, IV. Flg. / 1; S. 6 ff., und H. A. Prietze, „Das Geheimnis der deutſchen
Ortsnamen“, S. 256.
3) Vgl. auch Prietze, a. a. O., S. 110.
4) In an ſich bergarmen Gegenden wirken, wie am Ende des Geiſeltales bei St. Micheln, ſchon
bloße Talkanten als „ſteile Berge“.
||| WERE GE
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 979
Auf der Hochfläche liegt weſtlich von St. Micheln, noch innerhalb der von
den toten Tälern gebildeten „Gabel“, alſo auf der oben genannten Bergzunge,
nahe an deren Wurzel, ein in der faſt völlig unbewaldeten Gegend höchſt auf-
fälliger, etwa 1% qkm großer Laubwald mit Namen Müchelholz. Er
beſitzt einen ſehr ſchönen Eichenbeſtand und ſtellt vielleicht den "heit eines
ehedem viel größeren Waldes dar; gerade die kranzförmig zunächſt gelegenen
rtſchaften — und zwar in einem weiteren Amkreis nur diefe — führen
nämlich alle die bezeichnende Namensendung „roda“ (Schnellroda, Alberg-
roda, Baumersroda, Ebersroda, Branderoda; ferner Schleberoda und Münche⸗
roda (dieſe letzten beiden gehören aber wohl eher zum ehemals größeren
Waldgebiet der „Göhle“ bei Freyburg a. d. A.). Das heutige Müchelholz
könnte, im Zuſammenhang mit allem Abrigen geſehen, ehedem ein dem Gott
Wodan geweihter heiliger Hain geweſen fein.
Die Kirche von St. Micheln, nach Dehio ein ſpätromaniſcher Bau aus
dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts — dieſe Kirche (als Gebäude) hat
vielleicht Otto von Bamberg um 1220 „gegründet“, nicht den Ort, die Anfied-
lung als ſolche —, beherrſcht die Landſchaft ſchlechthin. Sie ſchaut mit ihrem
hohen, wehrhaften Turm weit nach Oſten ins Geiſeltal hinein, wie auch weit
nach Weiten hin über die ziemlich ebene Hochfläche „zurück“ ). Stirn⸗ und
Seitenwände des ungegliederten, aus groben Kalkſteinplatten aufgeführten
Turmes zeigen in der bekannten Weile der Bauten der ſächſiſch⸗ „romanischen“
Stilprovinz (hier dreiteilig) gekuppelte Schallöffnungen. Der Giebel des
Chorhauſes wird von einem großen, vierſpeichigen Radkreuz gekrönt.
Dieſes Nadkreuz ift ſtrahlenförmig rings von (zwölf?) Zacken umgeben; die
Zacken könnten die Monate des Jahres andeuten, vielleicht aber auch die nach
vorchriſtlichem Glauben rings um den Erdkreis herumliegende (Jahres.)
Schlange (vgl. die Midgardſchlange der Edda) bzw. das „Kreismeer“ verſinn⸗
bildlichen, deren bzw. deſſen kultſchriftliches Zeichen eben die Zickzacklinie iſt.
Das gezackte St. Michelner Radkreuz erinnert an das ebenjo geſtaltete Rad⸗
kreuz auf dem nördlichen Querſchiffgiebel des Naumburger Domes (erbaut
um 1220). Als uraltes Sinnbild nordiſch⸗germaniſcher Religioſität erſcheint
es hier in St. Micheln gewiß als Erinnerung an die ſchon votchriſtliche
Heiligkeit der Stätte, als Erinnerung an eben das vermutete Wodan-
Heiligtum ).
Nod mehr als das allgemein vordhriftlic)-religidfe Zeichen des Radfreuzes
gemahnt jedoch weiterhin beſonders an Wodan eine merkwürdige Pferde (?)-
Darſtellung, die in höchſt eigenartiger Weiſe am Kirchturm zu St. Micheln
zu finden iſt. In einem Eckſtein der ſüdweſtlichen Turmkante ſehen wir näm⸗
lich auf der Südſeite des Turmes etwa in Bruſthöhe über dem Erdboden
reliefartig ein nach links (Weſten) hin ſpringendes, etwa 30 cm langes Tier
eingemeißelt. Die kurze Geſtalt des Kopfes ließe in der Figur vielleicht auch
einen großen Hund (Fleiſcherdogge) vermuten, zumal eine etwas unterhalb
in einem anderen Eckſtein angebrachte Inſchrift wohl ſicherlich als „DAs
EKIRCHENHUND “ zu leſen ift; die Form der Füße des Tieres jedoch, die
5) Das Chriſtentum kam von Weſten her ins Land.
6) Über das Radkreuz als Sinnbild Wodans vgl. $. Kalliefe bei E. SEH a. a. O., S. 236.
—
980 Werner Stief
deutlich als breite Hufe gebildet find, und die Gorm des breiten Schwanzes
(Schweifes) weiſen vielmehr auf ein Pferd hin. Die Dorfbewohner, die der
Verfaſſer befragte, bezeichneten das Tier, ſofern es ihnen überhaupt einmal
aufgefallen war, als „ſpringendes Pferd“. |
Der Kopf des Tieres könnte feine vielleicht urſprünglich längere „Pferde“.
Geſtalt verloren haben, wenn wir folgendes berückſichtigen: Das Relief
erſcheint in ſeinem heutigen Zuſtand merkwürdig neu. Es iſt aber nach Anſicht
des Verfaſſers ſicherlich ein altes Bildwerk, das man nur in jüngſter Zeit
einmal mit ein paar Meißelhieben wieder aufgefriſcht hat, nachdem es vielleicht
unter den Einflüſſen der Witterung zu verſchwinden drohte. Bei dieſer Er-
neuerung könnte der vordere Kopfteil abgeſprungen und ſo die gedrängte, an
einen Hund erinnernde Schädelform zuſtande gekommen ſein. Leider konnte
der Verfaſſer über die Erneuerung des Bildes, deren Zeit und Gründe ſowie
deren Arheber trotz mancherlei mündlicher und brieflicher Umfragen nichts
Geſichertes feſtſtellen; den wenigſten Leuten im Dorfe ift das kleine Bildwerk
überhaupt bekannt; der Lehrer des Ortes, Herr Brechling, vermutet, daß viel-
leicht einmal ein bei Grabmalsarbeiten auf dem Friedhof beſchäftigter Stein-
metz das Pferd zur Kurzweil eingemeißelt hat. Ein früher öfter in St. Micheln
weilender, heute in Zeitz wohnender Herr, den man dem Verfaſſer als Arheber
des Bildes nannte, beſtreitet, irgend etwas damit zu tun bzw. daran ver⸗
ändert zu haben.
Die Anſicht, jemand hätte in neuerer Zeit das Bildwerk „zum Vergnügen“
ohne Vorbild dort eingemeißelt, ſcheidet wohl völlig aus: denn wie käme je⸗
mand heutigentages dazu, ausgerechnet in eine Kirchenwand aus freien Stücken
ein „profanes“, nicht ganz unbeträchtliches Bildwerk ohne höheren Auftrag zu
meißeln, — hat doch auch heute noch, vor allem auf dem Lande, jede Kirchen⸗
wand etwas Heilig-Anantaſtbares, das man ſchwerlich ohne Scheu ſpieleriſch
verſchandelt oder auch nur in ganz ernſthafter Abſicht mit irgendwelchen Bil-
dern „verziert“! Ein Gebilde von Kinder. oder Narrenhand ift das St.
Michelner Pferd keinesfalls; es iſt in guter, friſcher bildhaueriſcher Technik
ausgeführt, es bleibt alſo höchſt unwahrſcheinlich, daß es eingemeißelt wurde,
ohne daß ein älteres, wenn auch {don faſt unſichtbar gewordenes Bild vorher
vorhanden war.
And eben dieſes ältere Bild, höchſtwahrſcheinlich ein Pferd darſtellend, muß
ſogar ein ſehr hohes Alter gehabt haben, wenn man die doch offenbar irgendwie
zugehörige Inſchrift in die Betrachtung einbezieht. Die Form der Buchſtaben
dieſer Inſchrift ift in gewiſſem Sinne „zeitlos“ (findlid-naiv) zu nennen;
gefühlsmäßig möchte man ſie vielleicht in die erſte Hälfte des 19. Jahrhunderts,
oder gar noch weiter zurück, ſetzen; zweifellos älter als die jüngſt (vielleicht vor
fünf Jahren erſt) erneuerten Formen des Tierbildes iſt die Inſchrift (der
Verwitterungskruſte nach zu urteilen, die am Pferdebild heute fehlt) beſtimmt.
Der Verfaſſer möchte es ſo auffaſſen, daß eine frühmittelalterliche (vielleicht
nur linienhafte?) Pferdedarſtellung (als Erinnerung an das vermutliche
Wodanheiligtum) mit der Zeit in ihren Amriſſen unkenntlich wurde, und daß
die Erinnerung an ihren einſtigen Sinn verlorenging, ſo daß man ſie ſchließ⸗
lich volkstümlich als „den Kirchenhund“ deutete. Vor hundert Jahren etwa
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 981
oder auch {don früher brachte man dann die „erklärende“ Inſchrift darunter
an, und vor etwa fünf Jahren erneuerte ein auf dem Kirchhof beſchäftigter
anonymer Handwerker aus freien Stücken zu feinem und feiner Kollegen Ber-
gnügen mit wenigen geſchickten Schlägen das faſt verſchwundene alte Bildwerk
und rettete es fo (wenn auch auf eine etwas eigenmächtige Weiſe als „Konſer⸗
vator“ tätig) vor dem völligen Antergang. — Dieſe Auffaſſung entbehrt nach
Lage der Dinge nicht einer gewiſſen Wahrſcheinlichkeit.
Zum Vergleich könnte man die linienhaften Pferdedarſtellungen am Brun-
holdisſtuhl bei Bad Dürkheim“) heranziehen, die wohl auch mit dem germa-
niſchen Wodan⸗Kult in Beziehung ſtehen bzw. (wie hier in St. Micheln mit
einem Nadkreuz) zuſammen mit Rädern (Sonnenrädern) auftretend auf einen
Sonnen⸗(Himmels⸗) Kult hinweiſen. Auch am Brunholdisſtuhl glaubte oder
glaubt man bis zu einem gewiſſen Grade an eine ſpieleriſche Einmeißelung
der Sinnbilder durch mehr oder weniger geübte Hand (Steinbrucharbeiter!). —
Bemerkt ſei ferner, ohne eine genaue Beziehung herſtellen zu wollen, daß das
Wappen derer von Helldorf in St. Alrich den Vorderteil eines ſich auf⸗
bäumenden Pferdes zeigt. — Sollte ſchließlich das St. Michelner Bildwerk
kein Pferd, ſondern doch einen Hund („Kirchenhund“, Wolf) darſtellen, fo
könnte auch dieſes Tier als heiliges Tier Wodans aufgefaßt werden: Wie
hufeiſenförmige Spuren (Roßtrappen) find auch Abdrücke von Wolfsklauen
als Siegel der Anweſenheit des „Reiters“ (Wodans) zu deuten; Roß und
Hund, beides Winterſonnenwendtiere, vertreten (ſubſtituieren) einander als
Begleiter Allvaters (Wodans), des winterſonnenwendlichen Totengottes 8) 5).
Die Germanen bewahrten (nach Tacitus) Bilder heiliger Tiere in den Hainen
ihrer Weihtümer auf; zu Kriegszeiten (wie etwa im Bataverkrieg des Jahres
69 n. Zeitw.) wurden dieſelben hervorgeholt und im Kampfe (wie bei Vetera
Caſtra) den Kriegern vorangetragen. Das St. Michelner Tierbild könnte eine
ſpäte Erinnerung an ſolch ein altes, hier aufbewahrt geweſenes germaniſches
Feldzeichen ſein.
Wie in der Krypta der Michaeliskirche zu Hildesheim eine Quelle fließt,
wie gleichermaßen die Michaeliskirche zu Ohrdruff, eine der älteſten Kirchen⸗
gründungen in Thüringen, über einer Quelle erbaut iſt, gehörte ſicherlich auch
zum Bergheiligtum des Wodan im heutigen St. Micheln ein Quelen-
heiligtum am Fuße der Berges): die Geiſelquelle. Dieſe Quelle
war in ihrem früheren Zuſtande ſchlechthin bedeutend, bedeutend ſowohl hin⸗
T) „Germanien“, 1933/9, S. 259, und Wolfg. Sole, „Altgermaniſche Kultur in Wort und
Bild“, III. Aufl. 1935, Tafel 40.
8) Sleipnir, „Wodans Roß, beſitzt acht Füße; es iſt der Spur nach ein Doppelpferd (Pferdepaar),
das Wodan reitet, wie ihm auch zwei Wölfe (Geri und Freki) und zwei Raben (Munin und Hugin)
beigeſellt ſind.
2) Vgl. in der Arb. d. Verf.: „Sinnbilder vorchriſtlich⸗nordiſchen Glaubens an chriſtlichen Kirchen
Mitteldeutſchlands“ (weiterhin als: „Sinnbilder“ zitiert) den Abſchnitt „Hufeiſenformen als Tür⸗
beſchlag in Memleben“; ferner „Germanien“, 1933/7; S. 199.
10) Auch die dem hl. Leonhard — der gleich Wodan in der Religion und im Volksglauben mannig-
fache Beziehungen zum Pferd und deſſen Zeichen, dem Hufeiſen, beſitzt — geweihten Stätten ſtehen
häufig wie die Michaelsſtätten mit einer Quelle in Verbindung (vgl. die ſymbolgeſchichtlichen Bezie⸗
hungen zwiſchen Hufeiſen — „Urbogen“ und „Waſſer“ l); fo z. B. die Leonhardskapelle in Leonhards⸗
pfunzen am Inn (E. Jung, a. a. O., S. 120 f.) und die Leonhardskirche in Gelmersbach bei Weins⸗
berg („F Germanien“, 1933/7; S. 211).
982 : Werner Stief
ſichtlich ihrer Größe und ihrer Stärke als auch ihres Ausſehens. Rings von
ſteilen Felswänden halbkreisförmig umgeben, entſprang ſie, überaus reichlich
und klar fließend, dem Erdboden; ſie mag einen der heutigen berühmten Aach⸗
quelle im Hegau ähnlichen Anblick geboten haben, wenn man ſich dieſelbe in
einem etwas kleineren Maßſtabe denkt. Die Geiſelquelle ift felbft heute noch,
da fie nämlich, in ihren Adern vom Bergbau der Amgebung angeſchnitten
und durch das frevelhafte Hineinpfuſchen des Menſchen in die natürlichen
Waſſerverhältniſſe der Landſchaft (Grundwaſſerſpiegelſenkung, Fluh, Be
gradigung“, Zerſtörung der Auenlandſchaft; vgl. Ch. Grötzner, Heimatſchutz⸗
ſtelle Römhild / Thür., „Schwere Gefahren für die deutſche Erde und Wirt:
ſchaft: Die Zerſtörung der natürlichen Waſſerverhältniſſe“, im Selbſtverlag)
geſchändet, ſeit etwa 1906 nur noch ſpärlich und trübe fließt, in einer trockenen
Landſchaft, wo faſt jedes Dorf ſeinen eigenen Waſſerturm beſitzt, eine Beſon⸗
derheit erſten Ranges. Wenige hundert Meter unterhalb ihrer Quelle trieb
die Geiſel ſchon einige Mühlen. Ihre Aberſchwemmungen zu Zeiten über-
mäßigen Waſſerreichtums bewirkten, daß die Kinder in den Kellern der um⸗
liegenden Gebäude plantſchen und in Waſchwannen gondeln konnten, wie
ältere Dorfbewohner dem Verfaſſer berichteten.
Auch heute noch kann man ſich trotz des traurig ſtagnierenden Waſſerſpiegel
und trotz des benachbarten ſtilloſen Gaſthauſes im Geiſte ein Bild davon
machen, wie herrlich einſt in Arzeiten diefe Quelle mit ihrer natürlichen Um:
gebung als Heiligtum in der Landſchaft gelegen haben mag. Aus einem großen
Quelltopf im Erdboden oder aus einer gletſchertorförmigen Offnung im, fteilen
Felſen der Bergnaſe des heutigen Kirchberges wird das Waſſer rauſchend
geſprungen, nicht nur ſpärlich übergefloſſen ſein; vom friſchen Grün allſeitig
umrahmt, wird die Geiſelquelle den Beſuchern, die gottesvoll an das heilige
Waſſer herantraten, um die überirdiſchen Mächte durch Hineinwerfen von
Weihegaben zu ehren“), einen unbeſchreiblich freudig, rein und andächtig
ſtimmenden Anblick gewährt haben. VBeſonders gern wird man als Weihe:
gaben Hufeiſen in die Geiſelquelle verſenkt haben, und dies zwar nicht, wie in
ſpäterer, ſchon verchriſtlichter Zeit, um „Anholde“ abzuwehren (P. Herrmann,
„Altdeutſche Kultgebräuche“, S. 39 f.), ſondern um eben diefe „Anholde“ in
ihrer urſprünglichen Form, nämlich als noch nicht ſataniſierte germaniſche
Götter, fo vor allem Wodan mit feinem Sinnbild, dem Pferdehufeiſen (dem
| „naturaliſtiſchen“ Abbild des abſtrakten winterſonnenwendlichen „Arbogens“),
zu ehren. Roß (Hufeiſen) und Waſſer (Quelle) gehören mythologiſch und fym-
bolgeſchichtlich geſehen eng zuſammen ); das St. Michelner Roß am Turm
deutet auf die Geiſelquelle, die Quelle auf das Roß. Vielleicht ließe fich auch
hier in St. Micheln (wie an anderen Orten mit ähnlichen Verhältniſſen) )
bei gründlichen Nachforſchungen eine Sage feſtſtellen, welche die Geiſelquelle
durch den Hufſchlag des Noſſes eines Heiligen (bier St. Michaels = Wo-
dans) entitanden erklärt?
11) Vgl. das Pyrmonter Quelenpetigtum; beſchrieben in „Germanien“, 1933/7; S. 198 ff. und
1635/7 S. 208 ff.
12) Vgl. z. B. in den Naturſagen von P. Zaunert (Schaffſteins Blaue Bändchen Nr. 53, S. 73)
das apfelgraue oder ſchwarze Roß, das den Wellen entſteigt.
13) Vgl. „Wittekind und Bergkirchen“, „Germanien“, 1934/1; S. 9 ff.
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 983
Abgeſehen von der großen Geifelquelle gibt es ganz in der Nähe von St.
Micheln, nämlich gegenüber der Schule von St. Ulrich, noch ein merkwürdiges
Quellenphänomen: Wohl den gleichen Waſſerhorizont wie die Geiſelquelle
erſchließend, fließen dort an der Einmündung eines kleinen, ſüdlichen Neben-
tales des Geiſeltales in unbeträchtlichen Abſtänden voneinander zwölf
Quellen in einer Reihe nebeneinander aus dem Berg heraus, welche den
Namen „Die zwölf Apoſtel“ führen. Dieſe Quellenreihe hat ſicherlich
{chon in Arzeiten die Aufmerkſamkeit und die Bewunderung der Menſchen
erregt; ihr ausgeſprochen chriſtlicher Name läßt vermuten, daß fie vielleicht
früher zu Zeiten des Wodan⸗Heiligtums zwölf verſchiedenen germaniſchen
Natur- und Waſſergeiſtern oder den zwölf germaniſchen Hauptgöttern und
-göttinnen geweiht geweſen fein mögen. Ihre Waſſer fließen nicht geradewegs,
wie es der natürliche Lauf mit ſich bringen würde, rechtwinklig der Geiſel zu,
ſondern ſie werden zunächſt in einem der Geiſel gleichlaufenden (parallelen)
Längsgraben geſammelt, um erſt weiter unterhalb in die Geiſel geleitet zu
werden. Nach langjährigen Anterſuchungen von Ch. Grötzner, Heimatſchutz.
ſtelle Römhild / Thür., ſtellt eine ſolche ſicherlich künſtliche Waſſerführung einen
ſehr klug erdachten, möglicherweiſe ſchon uralten vorgeſchichtlichen Schutz gegen
eine Verſumpfung des Haupttales durch die zahlreichen Nebengerinne dar.
Wenig öſtlich von St. Micheln liegt ein „Galgenhügel“, der vielleicht
als Nichtſtätte (Opferſtätte) zu dem Wodan⸗ Heiligtum eine Beziehung gehabt
haben könnte. Doch ſei dieſer Vermutung nicht beſonders verfochten, da Galgen⸗
berge und »hügel gerade in der betreffenden Gegend recht häufig vorkommen.
Faft bei jedem größeren oder bedeutenderen Ort ift ein ſolcher, wohl aber erft
als mittelalterliche und noch nicht vorgeſchichtliche Gerichtsſtätte, zu finden. So
kann man bei nur flüchtiger Betrachtung etwa allein des Generalſtabskarten⸗
blattes Querfurt (388) nicht weniger als ſieben Bezeichnungen mit „Galgen“
leſen. =
Wichtiger erfcheint dagegen, daß auf der Kirche des weſtlich vom Müchel⸗
holz liegenden Dorfes Albersroda wieder ein Radkreuz, genau ſo von
Zacken umgeben wie das St. Michelner, zu finden iſt. Es ſteht auf dem einen
(weſtlichen) Giebeldreieck des romaniſchen Turmes, während auf dem anderen
(öſtlichen) ein gewöhnliches Kreuz ohne Nadkranz angebracht ift. Deutlicher
als mit dieſer Gegenüberſtellung kann wohl für Albersroda im beſonderen
wie auch ganz im allgemeinen nicht ausgeſprochen werden, daß das Radfreuz
durchaus „etwas anderes“ ſein und bedeuten ſoll als das gewöhnliche Kreuz,
eben das (ein) Symbol des Heidentums „gegenüber“ dem Chriſtenkreuz! Daß
es hier in Albersroda, in St. Micheln und vielleicht auch noch anderswo in
dieſer Gegend allein oder zuſammen mit dem Chriſtenkreuz oben auf chriſt⸗
lichen Kirchen gezeigt wird, dürfte vielleicht auf eine duldſame Erſt⸗Chriſtiani⸗
Kerung dieſer Gegend durch die unfanatiſchen und toleranten“) Schotten⸗
mönche ſchließen laſſen; die nur etwa 9 km von Albersroda entfernte Kirche
von Barnſtädt iſt z. B. dem aus Schottland gekommenen „Thüringer Apoſtel“
St. Kilian geweiht; der Dorfname „Schotterey“ bei Bad Lauchſtädt (wieder
neben einem Dorfnamen St. Allrich!), 12 km nordöſtlich von St. Micheln,
14) Deshalb heißen die zwölf Quellen vielleicht auch „Die zwölf Apoſtel“ und nicht, wie es einer
ſpäteren, karolingiſchen „Chriſtianiſterung“ gelegen hätte, „Die zwölf Teufelslöcher“! (Zur kirchlichen
„Kulturpolitik der Transſubſtantiation“ vgl. „Germanien“, 1936/3; S. 72 ff.)
Odal Heft 12, Jahrg. 4, Bg. 4
984 Werner Stief
verdient in dieſem Sinne gleichermaßen Beachtung, wenn er nicht einfach von
„Schott“, „Scatt“, „Schatzung“ (= Steuererhebung) abzuleiten ift (Prietze,
a. a. O., SS. 102, 133, 205).
Wenig weſtlich von Albersroda liegt neben einem kleinen Laubwäldchen
das Vorwerk Lohe. Nach E. Jung (u. a. a. a. O., S. 29) und anderen bezeich⸗
nen die mit „Lohe“ zuſammengeſetzten Ortsnamen alte Hain⸗ Heiligtümer.
Wurde in St. Micheln Wodan verehrt, ſo könnte hier in dieſem Loh ein
anderer germaniſcher Gott, vielleicht Ziu, der Schwertgott, ſeine Kultſtätte
beſeſſen haben.
Das Vorwerk Lohe mit feinem Wäldchen liegt hart am Rande der gewal-
tigen Steilſtufe des Muſchelkalkes, die hier etwa hundert Meter ſenkrecht zum
Anſtruttal (im Buntſandſtein) hinab abbricht. Dieſe Stufe iſt noch in anderer
Hinſicht für unſere Annahme einer gewiſſen vorchriſtlich⸗germaniſchen Heilig-
keit der ganzen Gegend bemerkenswert. Etwa 3 km nördlich des genannten
Lohes liegt über dem heutigen Bahnhof Karsdorf a. d. A. dicht an der Steil⸗
kante der ſogenannte „Hohe Gröden“ bzw. die „Hohe Gröde“, ein zweifel⸗
los künſtlicher, gewaltiger Hügel (mit Wallgraben), auf dem noch heute die
Sonnenwendfeuer abgebrannt werden. Eine idealere Stelle dazu kann man ſich
kaum denken. Wie etwa heute die nimmer fehlende große Rauchwolke des zu
Füßen des Hohen Gröden liegenden Karsdorfer Kalkwerkes meilenweit faſt von
allen Punkten der umgebenden Landſchaft aus zu erkennen iſt, daß man ſie
bei Streifzügen durch das Gebiet als ſicheren Nichtpunkt benutzen kann, fo
bildet auch der Hohe Gröden ſelbſt einen weithin ſichtbaren Feuerpunkt erſten
Ranges. Der künſtliche Hügel auf der Talkante mag ein Thinghügel oder ein
vielleicht dem göttlichen Donar heiliger Geſetzgebungshügel geweſen ſein;
gemeinhin wird er als „Tanzberg“, als Stätte für die Ausführung kultiſcher
Tänze, angeſprochen. In feiner Form erinnert der Hohe Gröden etwa an die
Gipfel des Dreihügelheiligtums der Mark SOſterholz in Lippe und an den
Thinghügel Maleng Knoll bei St. Peter-Ording (St. Petrus = Donar!).
Der Namen „Gröden“ iſt in ſeiner Schreibweiſe und Bedeutung nicht ganz
klar: am beſten bringt man ihn (nach P. Liebeskind) mit der alten indo⸗
germaniſchen Bezeichnung für einen „eingehegten Platz“ (ſlawiſch: „grod“;
lateiniſch: „hortus“; deutſch: „Garten“) in Verbindung.
Wiederum nur etwa zwei bis drei Kilometer nördlich des Hohen Gröden
liegt, abermals an der Muſchelkalk-Steilkante, der Ort Steigra mit feiner
berühmten Trojaburg, einem untrüglichen Zeugen vorchriſtlich⸗germa⸗
niſchen Frühlingskultes. „Trojaburgen“ ſind (hauptſächlich in Nordeuropa
verbreitet auftretende) Irrgärten, die — wie etwa die bekannteſten auf der
Inſel Gotland — mit hellen Steinen auf dunklem Naſen aufgelegt oder (wie
in Steigra) aus dem Naſen ſelbſt herausgeſtochen find. Das Ganze ſtellt je
weils ein gar künſtlich ineinandergeſchlungenes Stein- oder Naſenband dar,
das ſich — bis auf ein hin und wieder erſcheinendes Mittelkreuz — nirgends
überſchneidet, auf dem man in zahlreichen Windungen und Drehungen vom
Anfang bis zum Ende entlanggehen kann. Von dieſem „Drehen“ (altd.:
„drajan“) rührt wohl der Name „Troja“ -Burg her, wenn er nicht — oder
außerdem noch! vgl. das fih „drehende Rad (= r—d)“ — mit der alten
t—r-Wurzel zuſammenzubringen ift (kt r = Baum, „Lebensbaum“; f. d. Arb.
d. Verf. „Die Linde, unſer deutſcher Lebensbaum“; weiterhin zitiert als:
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 985
„Die Linde“). Weil eine Trojaburg⸗Irrgarten⸗Figur auch wie ein zuſammen⸗
geringelt daliegender Wurm erſcheint, heißt ſie auch „Wurmlage“.
Der Raſenwurm von Steigra iſt etwa 235 gewöhnliche Schritte lang und
bildet, vom „Eingang“ aus geſehen, zwölf Bögen übereinander. Er liegt zu
Füßen eines mit alten Linden beſtandenen, ſicherlich künſtlichen Hügels in der
Nähe des heutigen Friedhofes an der Querfurter Landſtraße auf dem Dorf⸗
anger (Gemeindebeſitz!) und blickt mit feinem „Kopf“ nach Nordweſt, alfo in
der Richtung, wo zur Mittſommerszeit die Sonne unter dem Geſichtskreis
SE (Aber den Lindenhügel und den Ortsnamen „Steigra” vgl. „Die
inde”, |
Die Trojaburgen find uralt; man fett ihre Entſtehung in die Bronzezeit
oder gar ſchon in die jüngere Steinzeit. Viele ſolche „Burgen“ mag es früher
auch in Deutſchland gegeben haben; mit der Zeit ſind ſie verfallen oder zer⸗
ſtört und eingeebnet worden. Die Trojaburg von Steigra iſt heute neben den
beiden Trojaburgen in Graitſchen (ſ. u.) und Kaufbeuren in Deutſchland wohl
die einzige noch erhaltene. Manche Orte haben noch Erinnerungen an früher
vorhandene Wurmanlagen bewahrt, ſo vielleicht die Gemeinde Troisdorf
zwiſchen Köln und Bonn oder das Dörfchen Troiſtedt bei Weimar in ihren
Ortsnamen.
Die Herkunft der Trojaburgen iſt zweifellos nordiſch. Vielleicht ſpricht eine
dunkle Erinnerung an eben jene nordiſche, freilich aber ſchon vor geſchicht⸗
lich⸗nordiſche, Herkunft aus der verbreiteten Meinung der Bewohner von
Steigra, gefangene „Schweden“ hätten ihre Trojaburg einſt erbaut. Sie führt
im Volksmunde neben der Bezeichnung „Schlangengang“ auch die Namen
„Schwedenkreis“, „Schwedentreppe“ und „Schwedentanz“. Oft werden im
deutſchen Volksmunde ja vorgeſchichtlich beachtenswerte Geländepunkte (Ring⸗
wälle, Hügelgräber uſw.) fälſchlich mit den geſchichtlichen Schweden des
Dreißigjährigen Krieges in Verbindung gebracht — der Lindenhügel am
„Schwedenring“ zu Steigra heißt „Schwedengrab“! —, daß die Annahme
wohl zu Recht beſteht, die jüngſte „nordiſche Invaſion“ nach Mitteleuropa,
eben die ſchwediſche unter Guſtav Adolf, habe durch ihr unauslöſchlich ein-
drucksvolles Auftreten viele in Deutſchland bis dahin noch vorhandenen „rich⸗
tigen“ Erinnerungen an eine nordiſche Arzeit auf ſich vereinigt, ſo daß ſich
heute unter einem volksläufigen Orts- oder Flurnamen mit der Silbe „Schwe⸗
den“ (Schwedenlöcher, Schwedenſchanze uſw.) oft etwas weit Ulteres, Vor⸗
geſchichtlich⸗Nordiſches verbirgt. Freilich muß man auch an eine Namens:
ableitung aus „Sueven“ denken, wie ein bedeutender germaniſcher Volks⸗
ſtamm hieß.
Zu welchen Zwecken die Trojaburg von Steiara einſt diente, weiß man
heute am Orte ſelbſt nicht mehr zu ſagen; wir wiſſen aber, daß die Troja⸗
burgen mit dem urnordiſchen Sabreslaufs- und Sonnenkult, und zwar mit der
Frühlingsfeier, in Verbindung ſtehen. Der geringelte „Wurm“ zu Füßen der
Linde, des Lebensbaumes, ſtellt die Schlange oder den Drachen („Lindwurm“)
dar, der als Winter die Sonne umſchlungen und gefangen hält, bis ſie am
Frühlingstag zu neuem Aufſtieg erlöſt wird. Das Volk verſinnbildlichte dieſes
kosmiſche Geſchehen durch luſtige Tänze und Spiele: Eine auf einem großen
Stein im Geringel zwiſchen Kopf und Schwanz des Raſenwurmes ſitzende
„Jungfrau“ — urſprünglich der „Gottesſohn in der Wurmlage“ — wurde
von einem „Helden“ befreit und dann als Frühlingskönigin („Maikönigin“)
986 Werner Stief
gefeiert. In vielen Sagen, Mythen und Märchen (z. B. „Dornröschen“)
finden wir dieſes Befreiungs⸗ und Erlöſungsmotiv lieblich ausgeſponnen.
Anſere Kinder ſpielen heute noch in haftender Erberinnerung „Mariechen ſaß
auf einem Stein“ oder „Winde, winde eine Welle“, wie einſt in der nordi⸗
ſchen Vorzeit das ganze Volk ähnliche Na a ag ſpielte. Das „Schlan-
genziehen“ ſelbſt „erwachſener Kinder“ ift (z. B. beim Naumburger Kirſchen⸗
feſt) eine noch heute beliebte Volksbeluſtigung, und auch der „Polonaifen”-
Tanz mag (nach Liebeskind) auf ſolche alten kultiſchen Tänze und Schlangen⸗
reigen zurückzuführen ſein. Ein mittelalterlicher Tanz hieß „Troie“ oder
„Troialdei“, die dazu geſungene und geſpielte Weiſe „Troierleis“. Wenn
wir uns heute beim Bäcker eine „Schnecke“ mit Zuckerguß und Rofinen oder
ein „Schweinsohr“ kaufen, fo halten wir gewiß ein uraltes kultiſches Früh⸗
lingsgebäck in Händen, das vereinfachte Abbild einer Trojaburg. — Die Bö⸗
gen der Wurmlagen, meiſt (wie in Steigra) zwölf übereinander, verſinnbild⸗
lichen die größeren oder kleineren Sonnenlaufbögen über dem Horizont in den
einzelnen Monaten des Jahres. Daß im beſonderen auch die Trojaburg von
Steigra zu Frühlingsſpielen benutzt wurde, läßt ſich aus der Tatſache erſchlie⸗
fen, daß noch heute ihre Ringe im Raſen ausgerechnet um Oſtern herum von
den Dorfbewohnern neu ausgeſtochen werden. Seit Jahrtauſenden wird man
alſo gewöhnt ſein, gerade im Frühling die „Burg“ zum Gebrauch neu her⸗
zurichten und zu verſchönern.
Im Mittelalter verſchwand die Erinnerung an die vorchriſtliche Herkunft
der öſterlichen Frühlingsſpiele an den Trojaburgen; wo ſie weiterlebten,
brachte man ſie kirchlicherſeits mit dem drachenbekämpfenden heiligen Georg
in Verbindung, deſſen Tag ja auch im Frühling (23. Oſtermond) liegt, und
veranſtaltete ſie nun zu ſeinen Ehren. Bezeichnenderweiſe iſt die Kirche zu
Steigra dem St. Georg geweiht; auch der Dorfgaſthof heißt „Zum Ritter
Georg“, und in dem zunächſt gelegenen Städtchen Nebra a. d. A. finden wir
über dem gotiſchen Kirchenportal St. Georgs Drachenkampf und die befreite
(Sonnen-) Jungfrau dargeſtellt. —
Weiterhin folk nicht unerwähnt bleiben, daß in einem nur wenig nordweſt⸗
lich von Steigra zwiſchen Liederſtädt und Spielberg gelegenen, in die Muſchel⸗
kalk⸗Steilkante eingeſchnittenen Tälchen ein „Ardalsquelle“ fließt, deren
Rame fih vielleicht mit den altdeutſchen Ordalien ), den Gottesurteilen, in
Verbindung bringen ließe. Sollte die Gepflogenheit der Ausführung ſolcher
Arteile erſt mittelalterlicher Herkunft ſein, ſo könnten ſie doch an Stätten ſchon
uralt vorgeſchichtlicher Weihung vollzogen worden ſein, und die genannte
Ardalsquelle würde mit ihrem Namen wieder einen Bauſtein mehr im Bilde
Së EE germaniſchen Kultbezirkes im Stammesgebiet der Thoringe
arſtellen
Schließlich findet ſich bei dem oben ſchon genannten Orte Barnſtädt nur
5 km nördlich von Steigra, gewiß an alter Thingſtätte, eine noch heute
wohlerhaltene Lindenſetzung; der Verfaſſer hat fie in feiner Arbeit „Die
Linde“ abgebildet und näher beſchrieben.
Mit allem Vorbehalt betreffs der Deutung ſei noch auf einige Ortsnamen
der hier behandelten Gegend verwieſen, die vielleicht in dem bisher geſchilder⸗
ten Zuſammenhang eine gewiſſe Bedeutung beſitzen könnten. — Oſtlich von
18) Vgl. E. Jung, a. a. O., S. 47 und Herrmann, „Altdeutſche Kultgebräuche“, S. 46.
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstdtten 987
Steigra liegt Kalzendorf, das (nach einer mündlichen Mitteilung) auf
alten Landkarten auch als „Katzendorf“ bezeichnet fein fol. Eine Beziehung
zu den heiligen Katzen der Göttin Freia herzuſtellen, läge nahe. So liegt auch
bei St. Micheln in der Flur ein „Katzenberg“. Von dieſem geht die Sage,
daß man, wenn man nachts dort vorübergeht, von ſpukenden Kräften ſolange
feſtgehalten wird und um den Berg herumwandeln muß, bis die Glocke auf
dem Turm von St. Micheln eins ſchlägt. Eine Gatanifierung der vielleicht
ehedem heiligen Brtlichkeit durch chriſtliches Gerede könnte diefe Sage bers
vorgerufen haben. — Der Nachbarort von Kalzendorf heißt Jüdendorf;
man könnte dieſen Namen ſeiner Lautfolge nach mit Wodan in Verbindung
bringen („Süden — Goden — Guden”), zumal in der hier behandelten Ge-
gend das G ſehr weich (wie j) geſprochen wird. Merkwürdigerweiſe befindet
fich (nach einer Mitteilung von Reinhard Bechert, Leipzig), wie Jüdendorf
weſtlich von St. Micheln bei Mücheln gelegen iſt, auch weſtlich eines in
Oberſachſen gelegenen Ortes St. Micheln — weſtlich von Lichtenſtein⸗Callen⸗
berg; Generalſtabskartenblätter Altenburg (441) und Zwickau (468) — ein
Dorf mit Namen Judenhain ). Bei der Namensſilbe „Jüden“ darf vielleicht
auch an die nordiſchen „Jöten“ (Jaetten), alfo an die „Riefen”, gedacht wer⸗
den. — Daß der Ortsname Aſendorf, 14 km nördlich von St. Micheln
(zwiſchen Schafſtädt und Schraplau), mit den „Aſen“ der nordiſchen Mythen
in Verbindung gebracht werden darf, ſcheidet wohl aus. „Aſen“ als Bezeich⸗
nung des Göttergeſchlechtes iſt eine nordgermaniſche Wortform. Nur der Voll⸗
ſtändigkeit halber ſei dies mit erwähnt. — |
Sbollte es uns gelungen fein, die. Wahrſcheinlichkeit des Vorhandenſeins
eines vorchriſtlich⸗germaniſchen Kultbezirkes im 5 der Thoringe
rings um St. Micheln bei Mücheln zu gründen? Die Zukunft mit hoffentlich
noch mancherlei ſchönen Entdeckungen zur deutſchen Altertumskunde in dieſem
Gebiet mag es lehren. | Ä |
2. Die Trojaburg von Graitſchen a. d. H. bei Camburg
Nach der vorangehenden ausführlichen Betrachtung der. Trojaburg von
Steigra verdient wegen der großen Seltenheit der Erhaltung ſolcher Anlagen
in Deutſchland auch die Trojaburg zu Graitſchen auf der Höhen) (bei
Camburg a. d. Saale) im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine beſondere
Betrachtung. — Gleich der Steigraer Trojaburg iſt auch die Graitſchener nicht
mit Steinen aufgelegt, ſondern aus dem Erdboden herausgeſtochen. Die
Wurmlage iſt 213 Schritte lang, beſitzt einen Durchmeſſer von ungefähr
10 Metern, und zeigt in der üblichen Weiſe zwölf Ringe übereinander. Der
„Eingang“ befindet fih im Süden. Inmitten der eigentlichen Labyrinth⸗
Bögen hat ſich in Graitſchen beſonders hübſch ein kleiner, runder Erdhügel
erhalten (ſ. Grundriß), der als „die Sonne in der Wurmlage“ bzw. als der
10) Desgleichen findet ſich bei dieſem oberſächſ. Orte St. Micheln auch noch der Ortsname
St. Michael; ferner liegt nahe dabei ein „Brandberg“ (eine Entſprechung zu „Lichtenſtein“ [⸗Callen⸗
berg ]), der eine vorgeſchichtliche Feuerſignalſtätte geweſen fein könnte (nach Teudt, „Germaniſche Heilig⸗
tümer’); eine „Fürſtenſtraße“ erinnert ſchließlich ebendort an die ſicherlich vorgeſchichtliche Kultſtraße
gleichen Namens in der Mark Oſterholz / Lippe. =
17) „auf der Höhe“ iſt keine alte, fondern erft eine neuere amtliche Unterſcheidungsbezeichnung.
988 Werner Stief
„Stein“, auf welchem die gefangene Sonnenjungfrau fibt — in welchen der
Gottesſohn zur Winterszeit „eingegangen“ iſt —, anzuſehen iſt (vgl. z. B.
H. Wirth, „Die heilige Arſchrift der Menſchheit“, Taf. 309, 17.
Die Trojaburg von Graitſchen lag urſprünglich zuſammen mit dem Fried-
hof, der Kapelle und dem alten Tanzplatz des Dorfes (ſ. unten) in etwa
Stockwerkshöhe über der Straße auf einer größeren Hochfläche ſüdlich außer⸗
halb des eigentlichen Dorfes; zwiſchen Friedhof und Trojaburg wurden aber
ſeit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts (und zum Teil noch heute) die
Kieslager der genannten Hochfläche abgetragen, ſo daß ſich heute die Troja⸗
burg auf einem wie ein „Zeugenberg“ vor der Steilkante einer Erdformation
iſoliert ſtehenden Kegelſtumpf befindet. Das „Tal“ (die Kiesgrube) zwiſchen
dem Trojaburg⸗Berg und dem Steilabfall der Hochfläche ift heute zum Teil
verſumpft und dient als — Schuttabladeplatz (II) (f. u.).
Wenn man von der Entſtehung des Kegelſtumpfes nicht genau unterrichtet
wäre, könnte man dieſen bei oberflächlicher Betrachtung leicht als ein Hünen⸗
grab, jedenfalls als einen künſtlich aufgeführten Hügel anſprechen, was er
nicht iſt. Am den Kieshügel und damit die Trojaburg auf ſeinem Gipfel vor
dem Zuſammenſinken zu ſchützen, bepflanzte ihn Armin Grämer, der damalige
(1868 — 1877) Lehrer des Dorfes, in den ſiebziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts dankenswerterweiſe mit Sträuchern und ſetzte an ſeinem Fuß
eine Anzahl heute hochgewachſener (leider italienifcher) Pappeln. Zwei auf
den ioe zur Trojaburg hinaufführende Wege wurden ebenfalls von ihm
angelegt. f
Wie in Steigra heißt auch die Trojaburg von Graitſchen der „Schweden⸗
ring“, ſie wird aber auch allgemein „Schwedenhieb“ genannt. Dieſer Name
hat gewiß nichts mit unſerem erſt ſehr jungen deutſchen Wort „Hieb“ (von
„hauen“) zu tun, ſondern dürfte aus dem älteren, heute ungebräuchlichen Wort
„Hübel“ (S „Hügel“, „Berg“) entſtanden fein. Die Sage berichtet, unter
dem „Schwedenhieb“ ſeien „zwei ſchwediſche Offiziere zuſammen mit einer
Kanone“ begraben; es fol auch einmal ein Galgen dort geſtanden haben).
Nach einer anderen Erzählung hat ein im Dreißigjährigen Kriege unter
gewiſſen Amſtänden von den eigenen Landsleuten verwundeter Schwede,
nachdem er von einer Graitſchener Einwohnerin wieder geſund gepflegt
worden war, aus Dankbarkeit und zur Kurzweil den „Schwedenring“ in
Erinnerung an die zahlreichen Trojaburgen ſeiner Heimat als Spielplatz für
die Kinder angelegt. Derſelbe ſchwediſche Soldat ſoll dann auch nach Steigra
gekommen ſein und dort den „Schwedenring“ für die Kinder ausgeſtochen
haben (1). Ein älteres Gemeindeſiegel von Graitſchen (vielleicht aus den drei-
ßiger Jahren des 19. Jahrhunderts) zeigt (wie auch noch das Gemeinde⸗
wappen der Gegenwart) in dieſem Sinne die Trojaburg — in nicht original:
getreuer Wiedergabe des Grundriſſes — mit der Anterſchrift „Denkmal vom
30jährigen Kriege“.
Wenn man bedenkt, daß man die nordeuropäiſchen Trojaburgen als ſolche
in weiteren Kreiſen Deutſchlands eigentlich erſt ſeit 1881/82 durch Aufſätze
im „Daheim“ und ſeit 1893, dem Erſcheinungsjahr des bahnbrechenden
Buches von E. Krauſe, „Trojaburgen Nordeuropas“, kennt, dürfte der heu⸗
18) Vgl. zu dem Zuſammenhang „Trojaburg und Galgenplatz“: „Germanien“, 1934/12; S. 359;
ferner „Die Linde“.
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 989
Die Trojaburg von Graitſchen auf der Höhe
Überlieferter Grundriß. (Der geſtrichelt gezeichnete Ring fehlt heute
zum größten Teil)
Die Trojaburg von Steigra an der Unftrut
Grundriß
990 Werner Stief
tige Hinweis des Volksmundes auf die „Erinnerung des Schweden an die
Trojaburgen ſeiner Heimat“ erſt als ganz junger Zug der Sage zu erkennen
ſein, und man wird viel richtiger, wie oben ſchon gelegentlich der Beſchreibung
der Trojaburg von Steigra ausgeführt wurde, auch in der Graitſchener Aber⸗
lieferung die „Schweden“ einfach als die verblaßte Erinnerung an die „Nord⸗
leute“ (die nordiſchen Menſchen) ſchlechthin auffaſſen dürfen, welche Nord:
leute allerdings (in Arzeiten) die „Erfinder“ und Schöpfer der Trojaburgen
im Norden ſowohl wie auf ihren weltweiten Zügen auch anderswo waren.
Nun freilich, wie es P. Liebeskind („Die Trojaburgen in Thüringen“, Zeitz,
1922, S. 8) tut, alle mit dem „Schweden“ Namen belegten Irtlichkeiten
in Deutſchland ſpeziell auf ehedem dort vorhanden geweſene Trojaburgen zu
deuten, dürfte zu weit führen. Man wird auch andere nordiſche Bodenalter⸗
tümer als gerade nur Trojaburgen als von den „Schweden“ herrührend
bezeichnet antreffen und als ſolche — etwa als Gräber und Wallanlagen —
ohne den Gedanken an das ehemalige Vorhandengeweſenſein einer Wurm⸗
lage zu nehmen haben. l | ` i
Der Gagengug, daß die Graitſchener wie die Steigraer Trojaburg „für die
Kinder“ erbaut worden ſeien, iſt wohl ausſchließlich darauf zu deuten, daß
man eben früher in den Trojaburgen „ſpielte“ (tanzte), wie noch heute die
Kinder in Graitſchen und Steigra in ihren Schwedenringen ſpielen. Bewahren
doch gerade die Kinder in ihrer urtümlichen Seelenhaltung oft Arälteſtes bis
in die jüngſten Zeiten hinein. . d
Von größter Bedeutung für die Verfechtung eines „vorſchwediſchen“, eben
ſogar ſchon vorgeſchichtlichen Alters der Graitſchener Trojaburg iſt die ſchon
enannte Tatſache, daß fie fih in unmittelbarer Nachbarſchaft des Fried-
bofes mit ſeiner „Kapelle“ (aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts)
und der Baumſetzung des alten Dorftanzplatzes befindet“): Die chriſtlichen
Kultſtätten pflegten in der Frühzeit des neuen Glaubens immer in der Nähe
von bzw. auf den Stätten vorchriſtlich-heidniſcher Weihung ſelbſt angelegt
zu werden. Hier in Graitſchen ſpricht alſo die „Kapelle“, die einzige Kirche
des Ortes (wohl ein Neubau an Stelle einer mittelalterlichen Kapelle ) 2),
gleich der Trojaburg in ihrer unmittelbaren Nachbarſchaft außerhalb des
eigentlichen Dorfes gelegen, eine ganz deutliche Sprache, da doch im allge⸗
meinen die chriſtlichen Dorfkirchen mit ihren Friedhöfen zuſammen nicht,
wie heidniſche Heiligtümer und Grabſtätten, in freier Natur, ſondern mitten
in den Ortſchaften zu liegen pflegen
Der Dorftanzplatz neben dem Friedhof auf der Hochfläche beſteht aus
einer Kaſtanienſetzung (ſicher an Stelle einer älteren Lindenſetzung; die
Kaſtanien mögen ſchätzungsweiſe achtzig Jahre alt ſein), in deren Mitte (nach
P. Liebeskind, a. a. O., S. 12) ehedem eine mächtige Föhre mit anderthalb-
mal um ſich ſelbſt gewundenem Stamme ſtand, die 1911 verdorrte und wäh⸗
rend des Weltkrieges beſeitigt wurde. Nach anderer Ausſage ſoll eine uralte
19) Ob der heute in Schlegels Garten nördlich der Trojaburg verhältnismäßig tief gelegene Teich
mit in den alten kultiſchen Zufammenhang einbezogen war, fet dahingeſtellt. Er iſt (heute) ein privater
Teich, kein der ganzen Gemeinde gehörender „Dorfteich“. |
20) Wir denken dabei an eine möglicherweiſe vorhanden geweſene kleine frühmittelalterliche Miſſions⸗
kapelle, von der keine geſchichtlichen Nachrichten vorliegen. Unmittelbar vor der 1707 erbauten heutigen
Kapelle beſaß Graitſchen keine eigene Kirche und keinen eigenen Friedhof; es gehörte bis dahin zur
Nachbarpfarre Aue (f. den Ortsnamen „Aue“ in der Arbeit d. Verf. „Sinnbilder“).
Auf den Spuren BORCHIISELICH germanischer Kult- und Malstatten 991
Linde bei den jüngeren Kaſtanien geſtanden haben, die man im Kriege wegen
Holzmangels fällte. Von Bedeutung iſt die von Liebeskind mitgeteilte Sage,
daß unter der Föhre ein Schatz liegen ſollte: Der „Schatz“, das „Gold“, d. i.
die „goldene Sonne“, liegt nämlich motbologiſch und ſymbolgeſchichtlich
betrachtet immer „am Fuße A eines Baumes“, d. i. im „Süden“ des Lebens-
baumes X. (der Linde, der Föhre, der „Wißmaidlitanne), als winterlich
„in die mütterliche Erde eingegangen“ und „gefangen“, dort, wo auch die
„Schlange“ (der Drache, der Wurm, die Wurmlage — die Trojaburg) liegt,
der ſie umwindet und „hütet“ (ſ. „Die Linde“). Der Graitſchener Dorftanz⸗
platz an der Kapelle wurde noch bis ins letzte Drittel des vergangenen Jahr⸗
hunderts hinein zu Pfingſten und wohl auch zum Erntefeſt als ſolcher be⸗
nutzt), bis ſchließlich der Bau eines „modernen“ Tanzſaales auch hier, wie
an ſo vielen Orten, die ſchöne Aberlieferun „ und das letzte Bewußt⸗
fein von der ehemaligen Bedeutung der Ortlidfeit in den Menſchen end-
gültig auslöſchte, ſo daß die Generation der Gegenwart nichts dabei findet,
kaff ehedem heiligen Platz aur das unwürdigſte zu ſchänden und verfallen zu
aſſen.
Die Benutzung ee nächſten Amgebung von Trojaburg, Tanzplatz, Fried⸗
hof (!) und Kapelle (!) als Schuttabladeplatz (1) wurde [chon erwähnt; das
Transformatorenhäuschen brauchte auch nicht gerade dort neben dem Schweden⸗
hieb zu ſtehen, wo es heute ſteht, ganz zu ſchweigen aber von dem Leitungs-
maſt, den man mit tödlicher Sicherheit und vollendeter Geſchicklichkeit aus-
gerechnet auf den Hügel der Trojaburg geſetzt hat! Wie ſollen wir Deutſche
den Vorwurf der Barbarei von uns weiſen, der ſo oft gegen uns erhoben
wird, wenn wir ſolche Zuſtände ſchaffen und, wenn ſie geſchaffen ſind, fried⸗
lich dulden?
Einer Nachricht im „Camburger Tageblatt ⸗ (März 1935, Nr. 72: „Ar.
beiten am Schwedenhieb“) zufolge hatte es Lehrer Hover in Graitſchen
Anfang 1935 unternommen, zuſammen mit ſeinen Schulkindern in ſelbſtloſer,
ſachkundiger Arbeit die Trojaburg in einen würdigen Zuſtand zu verſetzen
und durch zweckvolle Maßnahmen vor weiterem Verfall zu ſchützen.
Er beabſfichtigte u. a., wie es dringend notwendig geweſen wäre und noch
dringend notwendig ift, die Ringe der Wurmlage neu auszuſtechen und ihre
Böſchungen mit junger Grasnarbe zu belegen, die bei mangelnder Pflege
auf dem Kiesboden des Hügels von ſelbſt nur ſchlecht gedeiht, aber zur Erhal
tung der Schlangenformen unerläßlich iſt; er beabſichtigte vor allem, den
ib — auf einem von dem 1898—1913 in Graitſchen tätigen Lehrer
. Graul aufgenommenen Grundriß noch deutlich verzeichneten — zwölften
Ning der Wurmlage wieder aufzubauen, der heute faſt völlig zerſtört und
verſchwunden iſt, weil die materielle Gier nach den Kiesſchätzen des Bodens
bis unmittelbar an den Rand der Trojaburg berangegangen iſt, der SEH
Ring ſomit ſchließlich die Hügelkante bildete und abbrödelte.
Am 28. März 1935 wurde dieſe Gemeinſchaftsarbeit von Lehrer und Schul E
kindern in einem Artikel des „Naumburger Tageblattes“ („Die alte Troja⸗
burg in Graitſchen wird hergerichtet“) ausdrücklich gewürdigt und in ihrer
3 anerkannt, vor ate auch hervorgehoben, wie eben dieſe Arbeit
21) Zu Diesen Zwecke wurde er mit „Maien“ bekränzt, die Tansfläge ſelbſt mit Lehm nieft:
Bela d. h. geglättet. . |
992 Werner Stief
vom pädagogiſchen und völkiſchen Geſichtspunkt aus höchſt wertvoll und ganz
beſonders geeignet iſt, die Dorfkinder auf das innigſte mit „ihrer“ Trojaburg
|
|
vertraut zu machen und zu verbinden, — was aber kann man in einem etwa
zur gleichen Zeit wiederum in „Camburger Tageblatt“ erſchienenen „Gegen⸗
artikel“ („Arbeiten am Schwedenhieb“), unterzeichnet vom Graitſchener Ge⸗
meindevorſteher E., leſen? —: daß man dem Lehrer und ſeinen Schulkindern
— A
jedes weitere Arbeiten am Schwedenhieb verboten habel! Grund? Die
Gemeinde fühlt ſich in dem erſtgenannten Artikel ungerecht „beſchuldigt“,
den Schwedenhieb bisher nicht genügend gepflegt zu haben! Ein unbefangener
Leſer wird aber aus dem ſachlich geſchriebenen erſten Artikel nicht die min⸗
deſte „Beſchuldigung“ herausleſen können, wenn er nicht in überſpitzter Emp⸗
findlichkeit den ſehr richtigen Schlußſatz desſelben als ſolche auffaſſen
will, der beſagt, es wäre eigentlich Sache der Erwachſenen geweſen, und nicht
der Kinder, die Schutzarbeiten am Schwedenring durchzuführen. Aus dem
„Gegenartikel“ der Gemeinde Graitſchen ſpricht für jeden hellhörigen Heimat⸗
freund einzig und allein das ſchlechte Gewiſſen! Wenn darin leichthin be⸗
hauptet wird, die Trojaburg wäre immer genügend gepflegt worden, ſo daß
fie noch Jahrhunderte überdauern werde, fo iff das offenſichtlich eine falſche,
beſchönigende Behauptung: Ein gepflegtes Kulturdenkmal (vgl. § 2 der deut⸗
ſchen Gemeindeordnung vom Januar 1935 und die Erläuterungen dazul) ſieht
anders aus, als die Graitſchener Trojaburg ſamt ihrer nächſten Amgebung
— egegeier
2 e
Zeng, at ër sien. Set
a „„ tgs e ae
heute ausſieht! Mit ein paar Stunden gärtneriſcher Arbeit etwa des (e,
meindedieners iſt es nicht getan; die Trojaburg muß vielmehr von Grund
auf wiederhergeſtellt und befeſtigt werden, um dann von einer verantwort⸗
lichen, ſachkundigen Perſon, die am beſten von übergeordneter Stelle (etwa `
vom Landeskonſervator) ernannt wird, dauernd beaufſichtigt und gepflegt
zu werden.
Man unterdrücke doch jedes kleinliche Beleidigtſein und lege zum Zelten |
dieſes ſeltenen Schatzes aus der deutſchen Vergangenheit gemeinſam
Hand an, um ihn zu retten und in einen angemeſſen⸗ würdigen Zuſtand zu
bringen! Heute vor allem, da man doch den Wert der Denkmäler aus der
deutſchen Vorzeit richtig erkannt hat und dieſelben als koſtbares Ahnenerbe
mit allen Mitteln zu bewahren bemüht ift, dürfte die Gemeinde bei der Erhal⸗
tung ihres Kulturdenkmales, auf das ſie wegen ſeiner hohen Seltenheit mit
Recht voller Stolz blicken darf, auch der freudigen Anterſtützung aller ſtaat⸗
lichen Stellen (Heimatſchutz, Landeskonſervator, Landesbauernſchaft, Kreis⸗
|
— m
leitung) gewiß fein, wenn fie in echter Volksgemeinſchaft zuſammenſteht und
in ihren Beſtrebungen ohne kleinliche Zänkereien einig ift. An ſolchen Auf-
gaben — das Graitſchener Beiſpiel eines für viele in Deutſchland! Deshalb
wird es bier fo ausführlich behandelt! — bewährt fich Heimatliebe und Volks.
verbundenheit: Löſt dieſe Aufgaben, ohne viel Worte zu verlieren, zum Segen
der Heimat und im Gedenken an unſere Kinder und Enkel, auf daß ſie nicht
ob unſerer Schuld und Nachläſſigkeit dereinſt ein an Natur: und Kultur-
ſchätzen völlig verarmtes und ernüchtertes Deutſchland vorfinden, zu dem es
ſchon „dank“ der materialiſtiſch⸗liberaliſtiſchen „Taten“ der verfloſſenen Jahr⸗
zehnte beinahe geworden iſt!
Abſchließend ſeien noch zwei kurze Hinweiſe gegeben:
1. Der knapp 3 km ſüdweſtlich von Graitſchen gelegene Nachbarort heißt
„Thierſchneck“. Sollte fic, falls nicht eine andere Ableitung des Dorf-
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 993
namens bekannt und gefichert ift, dieſer Name etwa auf das „Schneckentier“
von Graitſchen, auf die geringelte Wurmlage, beziehen? Daß mit „Schnecke“
gebildete Orts⸗ und Flurnamen mit Trojaburgen zuſammenhängen können,
erwähnt auch Liebeskind in ſeiner ſchon angeführten kleinen Schrift (S. 18).
2. Nach neueren Anterſuchungen von W. Kunze in „Germanien“, 1935/10;
S. 291 ff., können Steinkreuze oder Kreuzſteine (neben anderen Bedeutungen)
hin und wieder auch „Wegweiſer“ zu vorchriſtlichen Kult- und Malftätten
geweſen fein. Fünf Kilometer entfernt von Graitſchen, dort, wo am nordöft-
lichen Ausgang von Frauenprießnitz die Straße über Thierſchneck nach
Graitſchen von der Camburg — Wetzdorfer Landſtraße abzweigt, ſtehen fünf
(heute z. T. verſtümmelte) Steinkreuze nebeneinander, die vielleicht ſolche
„Wegweiſer“ zur Trojaburg geweſen ſind. Vom gleichen Punkt aus gelangt
man über Wetzdorf und Nodau, weiterhin über eine Lindenſetzung an der
Abzweigung der Straße nach Poxdorf, wo früher das im Dreißigjährigen
Kriege zerſtörte Dorf Hausdorf lag, in etwa acht Kilometer Marſch nach
der vom Verfaſſer in ſeiner Arbeit „Die Linde“ abgebildeten und behandelten
Thingſtätte auf Punkt 345 nördlich oberhalb von Bürgel. Dieſe Thingſtätte
(ſ. das Amſchlagbild des vorliegenden Heftes) heißt der „Goldberg“. Nach
H. A. Prietze (a. a. O. S. 205 f.) bezeichnen gerade mit „Gold“ zuſammen⸗
geſetzte Ortsnamen deutlich alte Thing- und Malſtätten, denn an ſolchen
Stätten wurden früher, wie heute in ſtaatlichen Gebäuden, die der Allgemein⸗
heit gehörenden Schätze (Staatsſchätze für Kriegsfälle z. B. und Beuteſtücke) auf-
bewahrt. Der Goldberg in der Arbeit „Die Linde“ (und weiterhin der abge⸗
bildete und behandelte Thinghügel von Beulbar) liegen faſt genau ſüdlich
von Graitſchen, obwohl nicht fo genau auf einer Nord⸗Südlinie, daß man
eine Ortungserſcheinung (vgl. Teudt, „Germaniſche Heiligtümer“) vermuten
dürfte. — Die fünf Frauenprießnitzer Steinkreuze zeigen u. a. ein einge⸗
meißeltes Ordenskreuz, ein Schwert und den Stiel eines heute zur Ankennt⸗
lichkeit verſtümmelten Gerätes. Der Kreuzſtein in der vorderen „Spitze“ der
dreiecksförmigen Steinkreuzſetzung ſtellt ein an ſeinen Enden verziert geſtaltetes
Nechtkreuz dar; zwiſchen den Kreuzarmen ift der Steinkörper erhalten geblie-
ben und nur an den Kanten abgeſchrägt worden, fo daß fic eine achtſeitige
Amrißlinie des Ganzen ergibt. — Ein weiteres einzelnes Steinkreuz
ſteht zwiſchen Frauenprießnitz und Camburg, dort, wo abermals ein Weg
(über Schleuskau und Kleinprießnitz bzw. die ehemalige Dorfſtelle Quaſitz)
nach Graitſchen von der Hauptſtraße abzweigt. Dieſes Steinkreuz zeigt auf
ſeiner Vorderfläche ein Schwert (Schwerter auf Steinkreuzen: ſ. u.).
3. Das Hammermännchen und die Rundkapelle von Kirchhaſel
bei Rudolſtadt
KLeinka«s neben der ſüdlichen Tür des ziemlich außerhalb (d. h. am Rande)
des eigentlichen Dorfes ſtehenden Gotteshauſes von Kirchhaſel bei Rudol-
ſtadt / Thür. findet fih in etwa Meterhöhe ein uraltes Steinbild in die
Wand eingelaſſen. Es beſteht aus rotem Sandſtein und mißt genau 50 cm
im Geviert. Dargeſtellt iſt darauf eine männliche Geſtalt in langem, gegürteten
Gewand, auf deſſen unterem Teil zwei breite Gürtelenden herabhängen; der
Kopf iſt von einem mit radial verlaufenden Kerben verſehenen Kranz umgeben,
994 Werner Stief
der rechts und links je einen „ohrenartigen“ Anſatz zeigt; an den Füßen iſt
die breitbeinig daſtehende Geſtalt mit ſpitzen, etwas „herabhängenden?
Schuhen bekleidet; in ihrer linken Hand trägt ſie einen (an ihr gemeſſen)
etwa ſchulterhohen Stab oder Balken; in der Rechten hält fie ein kurz.
geſtieltes Werkzeug, das ein Hammerbeil, vielleicht auch eine Spitzhacke oder
Doppelaxt ſein könnte. Am eheſten ähnelt dieſes im Vergleich zum Hammer⸗
körper ſehr a geftielte Werkzeug, wenn man fih feine breite (linte)
„Schneide“ bzw. „Pinne“ um 90 Grad verdreht denkt, gewiſſen dächſel⸗
artigen Hämmern, welche die Steinſetzer heute beim Belegen der Straßen
mit Kleinpflaſter einerſeits zum Sandhacken und andererſeits zum Feſtklopfen
der Steine benutzen. Was hier auf eine Axt bzw. auf einen ſolchen Steinſetzer⸗
hammer ace „Schneide“ oder „Pinne“ genannt wird, kann aber ebenſo⸗
gut die ſeitliche nficht eines großen, ſchweren Hammerkörpers mit einer ſehr
großflächigen „Bahn“, das ganze Werkzeug alſo ein reiner Hammer (keine
Axt oder Hacke) ſein. Vom Geſicht der Geſtalt ſind die beiden großen, runden
Augen, weniger deutlich die Naſe und der Mund zu erkennen.
Man weiß nicht, was der Bildſtein bedeuten ſoll; man hält ihn für die
Grabplatte eines Baumeiſters bzw. die darauf dargeſtellte Geſtalt mit „Hei ⸗
ligenſchein“, „Schurzfell“, „Hammer“ und „Richtſcheit“ für den heiligen
Reinhold, den Schutzpatron der Maurer, oder auch für einen Zimmermann,
vielleicht den heiligen Joſef. Die bildliche Darſtellung iſt u febr alt,
fie weiſt auf die Anfänge der deutſchen Steinmetzkunft zurück und erinnert
z. B. in gewiſſen Zügen an die bekannten, im ganzen aber beſſer erhaltenen
und ſchon vollendeter ausgeführten Thing- oder Grabſteine von Niederdollen-
dorf und Hornhauſen, die man ihrem Alter nach in die Völkerwanderungs⸗
zeit (ſpätgermaniſche Zeit) ſetzt. Die Art der primitiven künſtleriſchen Aus⸗
führung und dazu die an der Geſtalt gezeigte Bekleidung laſſen das Hammer⸗
männchen von Kirchhaſel alfo wenigſtens als in früheſter „romaniſcher“ (otto:
niſcher), höchſtwahrſcheinlich aber ſchon in karolingiſcher oder eben ſpätgerma⸗
niſch⸗vorchriſtlicher Zeit entſtanden denken. Damit müßte verglichen werden,
jeit wann man kirchlicherſeits einen heiligen Reinhold verehrt bzw. den þei-
ligen Joſeph überhaupt einzeln bildlich darſtellt.
Nimmt man eine vorchriſtliche Entſtehungszeit oder Bedeutung des Bild⸗
werkes an, ſo darf angeſichts des abgebildeten „Hammers“ zuerſt un zunächſt
an ein Donar⸗(Thor ) Bild gedacht werden, wie (nach Adam von
Bremen, Lib. IV, Kap. 26) ein ſolches in Vollplaſtik neben einem Odin⸗
und einem Frey⸗Standbild etwa im Tempel zu Apſala aufgeſtellt war. Thor⸗
bilder ſchnitzte man im germaniſchen Norden, wie uns die isländiſchen Sagas
überliefern, auch in hölzerne Hallen- und Saalpfoſten, in Schiffsſchnäbel, Schilde,
Wande und Stuhllehnen ein). Sie mögen fo ähnlich wie das Hammermännchen
von Kirchhaſel ausgeſehen haben, das ja in ſeiner ganzen Art (wie jedes früh⸗
deutſche Steinbildwerk) mit ſeinem flachen Relief und der linienhaften Zeich⸗
nung der Einzelheiten an die bei den Germanen im Gegenſatz zur Stein:
bearbeitung ſchon frühzeitig hochentwickelte künſtleriſche Holzverarbeitungs⸗
technik gemahnt. — Bekannt ſind auch die Darſtellungen von Thorshämmern
in den Skulpturen nordiſcher Nunenfteine und die kleinen Thorshämmer als
Amulette, die man häufig als Grabbeigaben im germaniſchen Norden ge-
funden hat. |
22) B. Kummer, „Midgards Untergang’; u. a. e 44.
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten: 995
Der Hammergott (Hercules Malliator, Donar) ilt in feiner vorchriſtlichen
Eigenſchaft als Fruchtbarkeit bringender Gewittergott im deutſchen Volks⸗
bewußtſein noch bis weit ins chriſtliche Mittelalter hinein lebendig geblieben;
Frauenlob (1270—1318) kennt ihn noch als den „ſmit uz Oberlande“ (= den
Schmied aus dem Himmel), der ſeinen ſegnenden Hammer herabwirft, und
Muskatblüt ſingt noch im 15. e da er den Bund Mariä mit dem
Jefus find A
„Der ſchmidt warf feinen re
Von oben ab ze tal,
Schal hub fih in den lüfften.“
Auch in dem bekannten „Heidenlied“ aus Gent: „O, vijand, wat gott `.
hebt ‘gis in uw gedacht!“ heißt es noch im zweiten Vers, zum Feind gee.
ſprochen: „Ait Vlaandren komt gis niet, der hammer ſal u ſlaan, met Blaan:
dreng mannen is God en Wodan.“
Seiner Bedeutung nach könnte das Hane den von Kirchbaſel,
etwa gleich dem Männchen von Ochſen („Germanien“, 1933 / 1; S. 16), ein
kleines Kultbild geweſen ſein. Möglicherweiſe haben wir aber in ihm auch
einen Thingſtein vor uns, wie ja Donar ⸗Thor vorzüglich auch als Gott des
Rechtes verehrt wurde, und weil wir in Kirchhaſel gewiß auf dem Platze
einer uralten Thing- und Malſtätte (ſ. u.) ſtehen, die vielleicht noch bis ins
Mittelalter hinein als ſolche Verwendung fand, als fie ſchon längſt chriſt⸗
licher Kirchhof geworden war. Hielt man doch noch in dieſer Zeit Beratungen
und Gerichtstage gern auf den Friedhöfen und an Kirchenportalen ab.
Der Hammer des Kirchhaſeler Bildes würde dann alſo Thors Waffe
Möölnir darſtellen (vgl. den Hammer auf dem Heidenſtein von Arnau, „Ger⸗
manien“, 1933/2; S. 43, und den in der Arbeit „Sinnbilder“ abgebildeten
Hammer auf dem Grabſtein zu Droyßig); der Gürtel mit ſeinen langen,
herabhängenden Enden) wäre dann des Gottes kraftverdoppelnder Gürtel
Megingiarder und die als „Heiligenſchein“ angeſprochene Hauptesumrahmung
ſein wallendes (rotes) Haar (vgl. die ähnliche kranzartige Ausführung des
Haupthaares auf der alten ſteinernen Darſtellung des gekreuzigten Jahrgottes
im Dom zu Merſeburg). Der Stab in der linken Hand der Geſtalt könnte
ein Wanderftab *) oder auch ein Votenſtab =) fein (Thor ift ein ausgeſprochen
nichtreitender Gott, der viele Fußwanderungen ausführt, wenn er nicht gerade
mit feinen Böcken fährt), oder auch eine Art Zepter (Rechtsſymbol) ) bzw.
ein Runenſtab (Zauberſtab, Kalenderſtab) ). Donar ift, wie ſchon geſagt,
Schützer des Rechtes, und der „weiße Stab“ gilt bekanntlich als Amtszeichen
des Richters. Falls der Bericht Adams von Bremen über die Götterbilder
von Apſala ſtimmt, war auch dort Thor mit einem Zepter dargeſtellt. Der
antike Zeus Jupiter führt das Zepter; Thor aber, „der Donnergott, war des
23) Vgl. die Ausführungen E. Jungs in feinem Buche „Germaniſche Götter und Helden in Grift-
licher Zeit“ (1922) über ebenſolche herabhängende Gürtelenden auf alten Darſtellungen als Kenn⸗
zeichen beſonders heidniſcher Geftalten.
34) Vgl. die bei Jung, a. a. O., S. 290, beſchriebene beidniſche Geſtalt mit „ Wanderſtab, deibroc⸗
und Bart“ an der Kirche zu Langenſtein.
25) Vgl. P. Herrmann, „Altdeutſche Kultgebräuche“, S. 4.
26) Literaturangabe bei Jung, a. a. O., S. 324.
27) Vgl. Jung, a. a. O., S. 314.
996. Werner Stief
Nordens Mächtigſter, fein Jupiter“ (E. M. Arndt) ). Sollte aber die Hauptes⸗
umrahmung doch einen Nimbus darſtellen, der die Heiligkeit oder Göttlichkeit
der Geſtalt andeuten ſoll, und nicht das bloße Haar, ſo könnten die genannten
ſchwer zu erklärenden „ohrenartigen“ Anſätze rechts und links die Enden eines
waagerechten Kreuzbalkens ſein: Der Nimbus wird ja auf alten Bildern oft
radkreuzartig geſtaltet (vgl. als ſchöne Beiſpiele etwa das Gerokreuz in Köln
oder das ſchon genannte Kruzifix in Merſeburg, ferner den Nimbus Gott⸗
vaters am Externſtein⸗Relief der Kreuzabnahme); der ſenkrechte Kreuzbalken
über dem Haupte wäre dann auf dem Bild von Kirchhaſel aus Platzmangel
nicht zur Darſtellung gekommen. Selbſt Donar könnte ja einmal unter erft-
chriſtlichem Einfluß in der Ambruchszeit des Glaubens oder auch ohne ſolchen
Einfluß — denn der „Heiligenſchein“ iſt, wie alles Chriſtlich⸗Symboliſche,
nicht etwas urſprünglich Chriſtliches, ſondern ſchon etwas Alt-Indogerma-
niſches) — von miſſionierenden, die alten Götter „hinausbannenden“
Chriften oder von gläubigen Heiden eben als „Gott“ mit einem Nimbus ab: .
gebildet worden fein, wie auch auf dem Bild von Elſtertrebnitz ) ber ver-
mutliche altgläubige (heidniſche) Prieſter einen ſolchen Nimbus trägt. Viel⸗
leicht könnten aber die „ohrenartigen“ Anſätze des Kopfes auch als Hörner,
als Zeichen göttlicher Kraft, angeſprochen werden, wie z. B. auf einem ger⸗
maniſch⸗römiſchen Flachrelief aus Straßburg der hammerſchwingende Thor:
Donar-Toranus einen Hörnerhut trägt (Wirth, „Heilige Arſchrift“, Taf. 326, 6b).
Seit Bernhard Kummers Anterſuchungen „Midgards Antergang“ wiſſen
wir, daß die göttliche Geſtalt des Sohnes Allvaters und der Erde, Thor⸗
Donar, ehedem, d. h. vor der Vielgötterei der Spätzeit, die einzige über⸗
ragende Gottheit des nordiſchen Bauern war (val. das ſoeben zitierte Wort
von E. M. Arndt). Hermann Wirth hat dieſen Gottesſohn als den „Jahr,
gott“ der nordiſchen Arreligion erkannt und für unſer im Laufe
der Jahrhunderte verdunkeltes Bewußtſein wieder geklärt. Stellt das Bild
von Kirchhaſel den göttlichen Thor⸗Donar dar, ſo dürfen wir auch einige
ſeiner Abzeichen (Attribute) noch als auf den alten „Jahrgott“ der Arreligion
bezüglich deuten.
Das hinter dem Haupt vermutlich zu denkende Nadkreuz (f. o.) würde die
Geſtalt (gleich zahlreichen frühmittelalterlichen „Chriſtus“⸗Geſtalten) deutlich
als „Jahrgott“ kennzeichnen, wenn eben nicht mit den geſchilderten ohren⸗
artigen Anſätzen Hörner als Zeichen der neuen Kraft des frühlingshaft aus
dem winterlichen Grabhaus Auferſtandenen dargeſtellt fein folen. Als „Jahres-
oder Grabesſpalter“ führt auch der alte „Jahrgott“ ſchon den Hammer, die
Axt (die Doppelaxt) oder den ſchon ſteinzeitlichen „Dolchſtab“, der in den
Runenreihen als „Dorn“ > p auftritt. Der Jahresgott mit dem Dolchſtab,
dem „Dorn“, iſt der „Dorngott“. An eben ſolch einen „Dolchſtab“ erinnert
die „Spitzhacke“ der Kirchhaſeler Geſtalt ſehr deutlich. Noch in den nordiſchen
Runenſtabkalendern des ſpäten Mittelalters erſcheint am 1. Dezember der
Jahrgott mit Gehörn und Hammer (H. Wirth, Heilige Arſchrift“, u. a. Taf. 44
und 322). Der Strahlenkranz unſerer Kirchhaſeler Geſtalt wäre im gegebenen
Zuſammenhang als Kennzeichen des göttlichen Wiedergeborenſeins nach der
29) Arndt, „Nordiſche Volkskunde“ (psg. von O. Huth, Reclam, Leipzig), S. 52.
29) „Germanien“, IV. Folge, H. 2; S. 40.
30) Ebenda.
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Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 997
Winternacht („neues Licht“) aufzufaſſen; ſchon auf Felszeichnungen der
Steinzeit iſt dieſe Erſcheinung des „Strahlens“ mittwinterlicher Symbole und
Geſtalten von H. Wirth aufgezeigt worden. Thorbilder auf einem lappiſchen
Opferaltar von 1671 zeigen ebenfalls Strahlenkränze um ihre Häupter, wäh⸗
rend zu Füßen neben ihnen je ein Gehörn aufgeſtellt iſt (abgebildet in
P. Herrmann, „Das altgermaniſche Prieſterweſen“, S. 49). Abrigens trägt
auch der auf dem obengenannten Stein von Niederdollendorf dargeſtellte
„Held“, wie ein Reſurrexus einherſchreitend, einen Strahlenkranz. — Daß
man einen „Strahlenkranz“ in der Form eines mit radial verlaufenden Kerben
verſehenen Ringes vielleicht auch als eine Kalenderſcheibe (Kerbſcheiben⸗
kalender) anſehen könnte, fei noch erwähnt (vgl. Wirth, „Heilige Arſchrift“,
Anm. I, 17, S. [13).
Der Stab als Attribut des Hammermännchens von Kirchhaſel endlich darf
vielleicht — wenn man nicht an einen Speer, eine Lanze denken will; vgl.
die Lanzenſtange (mit der „Siegesfahne“) des auferſtehenden Chriſtus; auch
die Niederdollendorfer Geſtalt trägt eine Lanze — als winterliche Schlange
aufgefaßt werden, die vom Jahrgott mittwinters bekämpft und überwunden
wird. Den Hammer in der rechten, die Schlange in der linken Hand wird der
Jahrgott ſchon auf einer jungſteinzeitlichen Felszeichnung von Bullarevägen
(Südſchweden) (Wirth, a. a. O.; u. a. Taf. 130, 1) dargeſtellt. (Vgl. auch a. a. O.,
Taf. 129; 5—9, die baleariſchen Münzen mit dem Schlangenkämpfer: Auch
er hält den Hammer in der rechten, die Schlange in der linken Hand.) Sagen⸗
und Märchenmotive, daß ſich ein Stab in eine Schlange oder umgekehrt eine
Schlange in einen Stab verwandelt, ſind allgemein bekannt, angefangen beim
Stab des Moſes im Alten Teſtament der Bibel (2. Moſ. 4, 3) bis zum
Zauberſtab im deutſchen Märchen „Der geſtiefelte Kater“. Wer kennt ferner
nicht die deutlich ſchlangenförmig gedrehten Wanderſtäbe derjenigen Hand⸗
werker, die als Hauptarbeitsgerät (als „Attribut“) die Axt führen, und die
in Deutſchland noch bis in die Gegenwart hinein ſtreng an ihrer Tracht und
an ihren Zunftſitten feſtgehalten haben, die „Ziegenhainer“ der Hamburger
Zimmerleute? Zur Axt „gehört“ wahrſcheinlich überlieferungsmäßig der
Schlangenſtab (bzw. die Stabſchlange) und umgekehrt“). Hölzerne Schulzen⸗
ſtäbe (Votenſtäbe), die in manchen Gemeinden mit Nachrichten von Haus zu
Haus geſchickt werden, die in der Arzeit hauptſächlich zum Hauptthing des
Jahres um die Julzeit (wo die R Rune im Kalender ſteht) einluden, beſitzen
häufig noch heute eben die Form der jüngeren Odil-Rune 2 Aber auch diefe
Rune „bedeutet“ idiogrammatiſch letztlich wieder die winterliche „Schlange“ )!
81) Dürfen vielleicht auch die römiſchen Liktorenbündel als Abzeichen der Gerichtsbarkeit (I), be-
ſtehend aus einer Axt und einer Anzahl von Stäben, in dieſen Zuſammenhang geſtellt werden?
82) Der „über dem Haupt“ eines Verbrechers gebrochene (Richter ⸗) Stab bedeutet in dieſem Sinne
vielleicht, daß die Schlange (als winterliches Totentier) „über“ den Verurteilten kommen möge (7).
Der Stab (die Schlange) wird über dem Haupt durch das „Brechen“ in einen Ur⸗Bogen A (Todes-
bogen, „tödliche Windung“ der Schlange) verwandelt, „unter“ dem der Todeskandidat nun ſteht (ſ. den
beidſeitig ſchlangen⸗ (!) köpfigen N -Bogen über dem Haupt der ſchwerttragenden Geſtalt auf dem
Grabſtein von Niederdollendorf, ferner das mit Vogel- (7) Köpfen verſehene „Schlangen“.
Band = N über dem Haupt des Toten im Spielmannsgrab von Oberflacht und ſchließlich auch die
wiederum zweiköpfige N «Schlange über dem Haupt der auf dem Runenkäſtchen von Clermont hinter
dem Bogenſchützen Agili figend dargeſtellten Geſtalt! Abbildungen u. a. in: Schultz, „Altgermaniſche
Kultur in Wort und Bild“, III. Aufl., 1935, Tafeln 54, 55 und 109).
998 | | Werner Stief
Nicht unerwähnt fol bleiben, daß der Stab in der linken Hand der Hier
beſprochenen hammerführenden Geſtalt vielleicht auch ein Kalenderſtab (Stab-
kalender) ſein könnte: Auf den Stabkalendern iſt die Reihe der urſprüngl ich
kreisförmig auf einem „Schildrand“ angeordneten runiſchen Tages- und
Monatszeichen (ſ. „Die Linde“) „in die Länge gezogen“, d. h. geradlinig
dargeſtellt. Wie der Art- oder Hammergott auf den älteſten Darſtellungen das
„Jahr“ in kreisrunder Schildform O (SKalenderjcheibe) „ſpaltet“, könnte der
„Jahresſpalter“ hier in Kirchhaſel mit Axt und „Jahr“ in langgeſtreckter Stab-
form („Himmelsleiter“) dargeſtellt fein (?). — Daß wir jedenfalls im
Hammermännchen von Kirchhaſel den alten Jahrgott in ſeiner ſpäten Form,
als germaniſchen Thor⸗Donar, als Schützer des Rechtes und der Thingſtatt
vor uns haben, dürfte nach allem Angeführten febr wahrſcheinlich fein. —
Das Steinbild von Kirchhaſel iſt weitaus älter als der heutige Kirchen-
bau, an dem es ſich findet. Dieſer ſtammt in ſeiner Hauptmaſſe aus dem
ſpäten Mittelalter. Jedoch beſitzt auch eben dieſer Kirchenbau noch einen kleinen,
ſehr alten Teil, der in dieſem Zuſammenhang unbedingt mit genannt werden
muß, nämlich eine Rundkapelle. Betrachten wir doch oe die Dinge
nicht mehr in ihrer (toten) Vereinzelung, wie es die Wiſſenſchaft bisher nur
zu oft tat, fondern — nach der weitgehend von Wilhelm Teudt begründeten
und geförderten Methode der Landſchaftsforſchung — in ihrem ganzheitlichen
(lebendigen) Zuſammenhang. Hat ſich ſo neben einem alten Steinbild von
höchſtwahrſcheinlich Fultifcher Bedeutung noch ein altes, merkwürdiges Bau-
werk, wie hier in Kirchhaſel jene Rundkapelle, erhalten, ſo dürfen wir daraus
vielleicht auch noch weitere Schlüſſe, etwa auf eine ehedem hier vorhanden
geweſene erſtchriſtliche (iroſchottiſche?) oder auch wo ſchon vorchriſtliche
Kultſtätte ziehen.
Die Vermutung einer vorchriſtlichen Kultſtätte wird durch die
Namen einiger Berge, die (nach der Generalſtabskarte 1: 100 000) in
Kirchhaſels näherer Amgebung liegen, beſtärkt: Neben einem „Haſelberg“
bei Oberhaſel — gleich Kirchhaſel und Anterhaſel am „Haſelbach“ gelegen —
erſcheint ein „Heidenberg“ bei Großkochberg, ein „Rieſenberg“ bei Teichroda,
ein „Lindig⸗Berg“ bei Neuſitz und ein „Heiligenberg“ nordöſtlich von Saal-
feld. Alle diefe Berge liegen nicht weiter als ſechs Kilometer von Kirchhaſel
entfernt. Die nächſten des Heidentums „verdächtigen“ Bergnamen treten dar⸗
über hinaus (abgeſehen von den Bergen bei Weißen; ſ. u.) erſt wieder in grö⸗
ßerer Entfernung von Kirchhaſel und nicht in folder Häufung auf — etwa
der „Weißenberg“ bei Wittersroda (! f. u.), 11 km nordöſtlich von Kirchhaſel,
den der Verfaſſer zu einer vielleicht bei Reinftädt (am „Reinſtädter Bach“)
zu vermutenden vorchriſtlichen Thingſtätte in Beziehung ſetzen möchte — die
Ortsnamen mit „rein“ deuten auf „beraten“ hin (vgl. „Sinnbilder“) — u. a. m.
Die von Kirchhaſel nächſtentfernten Steinkreuze, die nach den Anter⸗
ſuchungen von W. Kunze (ol „Wegweiſer“ zu vorchriſtlichen Kult und
Malſtätten geweſen ſein können, befinden ſich nach dem Wiſſen des Verfaſſers
vier Kilometer öſtlich von Kirchhaſel am Eingang des Friedhofes zu
Weißen; es ſind zwei, beide etwas verſtümmelt, von denen das eine ein
eingehauenes Schwert auf ſeiner Oberfläche zeigt. Wie das Schwert auf eine
in der Nähe befindliche Thingſtatt deutet — das Schwert auf dem Schwert⸗
ſtein, dem Schwertpoel, wurde (nach O. S. Reuter) als Weltachſe betrachtet;
Blick auf St. Micheln von Weiten ber. Das gezackte Radkreuz auf dem öſtlichen
Der Beſchauer ſteht auf der Hochfläche zwiſchen den Hiebe Rirde S ~
beiden „toten Tälern“. Links die Stirnfeite des Giebel der Kirche von St. Micheln.
Kirchturmes, rechts davon die an ihren Hängen
bewaldete Einſenkung des Geiſeltales.
St. Miche ln St. Micheln.
Inſchriſt: „DAS KIRCHENHUND“. Springendes „Pferd“.
Albersroda. Albersroda.
Kirchturm mit gezacktem Radfreuz (rechts) Gezacktes Xadkreuz auf dem weſtlichen Giebel
„gegenüber“ dem gewöhnlichen Kreuz (links). des Kirchturmes allein.
Der „Hobe Gröden“.
Im Hintergrund rechts tief unten die Felder des Unſtruttales, links die
Muſchelkalk-Steilkante, darüber die Raudfabne des Karsdorfer Werkes
Die Trojaburg von Stetgra. Die Trojaburg von Steigra.
Geſamtanſicht. Geſamtanſicht.
Die Trojaburg von Steigra.
Geſamtanſicht.
Um Geſamtanſichten der Troſaburgen zu gewinnen, it dieſes Bild aus je zwei Einzelaufnahmen zuſammengeſetzt
worden. Einige Unſtimmigkeiten im einzelnen find daraus zu erklären.
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Die Trojaburg von Steigra. Die Trojaburg von Steigra.
Teflanfidt. Teilanſicht.
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Die Trojaburg von Steigra. Die Trojaburg von Steigra.
Tellanſicht. Teflanfidt.
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Der von Pappeln umftandene Kieshügel Graitſchen.
der Trojaburg von Graitſchen mit Der Troſaburg-Hügel von der Klesgrube aus
hinaufführendem Weg; geſehen. Leitungsmaſt und Schuttabladeplatz.
Leltungsmaſt und Transformatorenhäuschen.
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Die Trojaburg von Graitſchen.
Geſamtanſicht.
Um Geſamtanſichten der Trojaburgen zu gewinnen, ift dieſes Bild aus je zwei Einzelaufnahmen zuſammengeſetzt
worden. Einige Unſtimmigkeiten im einzelnen ſind daraus zu erklären.
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Die Trojaburg von Graitſchen. Die Trojaburg von Graitſchen.
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Steinkreuz Steinkreuz
bei Frauenprießnitz. bei Frauenprießgnitz.
Steinkreuz Das Steinkreuz an der Camburg—
bei Frauenprießnitz. Frauenprießnitzer Straße.
Portal an der Stadtkirche von „Wetzrinnen“ an einem Strebe—
Borna bei Leipzig. pfeiler der Stadtkirche zu
(Aus: „Leipziger Neueſte Nachr.“ 1936. Eisfeld.
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Das „Hammermännchen“ von Kirchhaſel.
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von Kirchhaſel.
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Die Rundkapelle von Kirchhaſel.
Das weſtliche Fenſter und das Kuppelgewölbe
von innen gelehen.
Die „Lilie“ oben an der nördlichen Seite
des Kirchturmes von Kirchhaſel.
Der untere Teil des Rundturmes an der Kirche
zu Kirchhaſel von Nordweſt.
Vorn zu „ebener Erde“ das weſtliche Fenſter der Rund—
kapelle, links die gotiſch ummauerte „Heiligenblende“.
Das obere, jüngere Mauerwerk hebt ſich deutlich vom
unteren, älteren ab.
Die Rundkapelle von Kirchhaſel.
Altartiſch in der öſtlichen Mauerntiſche.
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Die Steinkreuze von Weißen.
Die Umrahmung der Kirchentür Die Kirchentür von Gundorf.
von Gundorf. Das „Abtskreuz“.
Die Kirchentür von Gundorf. Die Kirchentür von Gundorf.
Der „Schlüſſel“. Der „Pfeil“.
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Der „Teufelsſtein“ von Piltitz. Der „Kaufſtein“ von Buda,
Dahinter die Steinſtele mit Inſchrift.
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 999
Thinggemeinde und Gericht aber tagten e am Fuße der
Weltenachſe, d. i. am „Lebensbaum“ -Fuß (f. „Die Linde“) —, fo deutet auch
der Ortsname „Weißen“ auf eine ſolche: er leitet ſich (nach Prietze) von
„witten“ = „Recht finden“, „beraten“ (val. die altdeutſche Bezeichnung
„Weistum“ —= „Rechtsſatz“, „Geſetz“) ab. Bei unſerem Weißen liegt fibers
Dies auch noch ein „Weißbach“ (= „Weif-Bed” — Beratungshügel) und eine
„Weißenburg“. Daß diefe drei „Weißen“ Orte heute ausgerechnet zwiſchen
einem „Kreuzenberg“ und einem „Teufelsberg“ liegen, macht ſie weiterhin
vorchriſtlicher Heiligkeit „verdächtig“. Auch ſei erwähnt, daß wenige Kilometer
unterhalb Weißen ein Bach in die Saale mündet, deſſen Tal der „Heren-
grund“ heißt.
Der Ortsname „Kirchhaſel“ weiſt aber auch ſelbſt deutlich auf eine alte
Thingſtätte hin; er leitet ſich nämlich von der „Haſelſtaude“ ab, die in alt⸗
deutſcher Zeit zur Einhegung („Haſelung“) von Kult und Malſtätten diente
(P. Herrmann, „Altdeutſche Kultgebräuche“, S. 45). [— Vgl. auch den Orts-
namen „Haſſel“ in der Arbeit des Verfaſſers „Sinnbilder“. Ein Nachbar-
dorf dieſes Ortes „Haſſel“ führt auffälligerweiſe ebenfalls einen „Weißen“.
Namen: es heißt „Weißenborn“. Wie ſich vielleicht aus dem zur ehemaligen
vermutlichen Kult⸗ und Thingſtätte Kirchhaſel⸗Weißen gehörenden Edelhof im
Mittelalter die Weißenburg entwickelt hat, könnte zur vermutlichen Kult-
und Thingſtätte Haſſel⸗Weißenborn (10 km weſtlich von Zeitz) die ritterliche
Herrſchaft Droyßig als Nachfolgerin einer älteren Edelherrſchaft gehören.
Der Ortsname „Droyßig“ (älteſte Formen: Droiz, Drewiske, Droizk), der
auf das ſorbiſche „droisk“ = „waldreich“ zurückgehen fol, klingt übrigens
ſtark an die oben behandelten, mit „Troi⸗ gebildeten Ortsnamen an. Auch
das genannte ſlawiſche Wort dürfte, wie feine Bedeutung ausweiſt, aus der
uralten ¢(d)-r(()-Wortwurgel = Baum, „Lebensbaum“; (gr.) 8508, (ſchwed.)
träd, (engl.) tree, (got.) triu) abzuleiten ſein und ſolchermaßen auf die ehe⸗
malige kultiſche Bedeutung der damit bezeichneten Ortlichkeit hinweiſen (vgl.
„Die Linde“). —] Die Haſel war feit alters ein heiliger Strauch, „dem Him-
melsgotte, im beſonderen dem Donnergotte“ (1) geweiht (P. Herrmann, „Das
altgermaniſche Prieſterweſen“, S. 59); im deutſchen Volkslied tritt ſie häufig
wiſſend und redend als ſittige „Frau Haſelin“ auf. Die Haſelſtecken wurden
zur Hegung der Thingſtatt kreisförmig rings in die Erde „geſteckt“ bzw. die
Haſelbüſche in einem großen Ring angepflanzt (zu kreisförmigen Stein⸗
und Baumſetzungen vol. „Die Linde“). Nehmen wir die weitgehend wahr⸗
ſcheinlich gemachte Ableitung des Wortes „Kirche“ aus „Kerk“, „circus“
(Kreis, Ring) an, fo bedeutet „Kirchhaſel“ einfach eine ſolche ringförmige
Setzung von Hafelftauden. Die in Kirchhaſel vorhandene Rundkapelle
wäre dann vielleicht als ein unmittelbarer ſteinerner Nachfolger“) jener freig-
förmigen Thingſtatt im Freien aufzufaſſen.
Sie befindet ſich im Kellergeſchoß — oder wenn man will: im Erdgeſchoß;
denn von Süden her iſt die Kirche ſamt ihrem Turm etwas in den nördlich
liegenden Berg hineingebaut, ſo daß die Zählung der Stockwerke von Norden
oder von Süden her verſchieden ausfällt — des nördlich an (zwiſchen) Chor
und Langhaus der Kirche ſtehenden runden Glockenturmes. Schon dieſe
83) Über frühdeutſche Steinbauten in Deutſchland f. „Germanien“, IV. Folge / I, S. 1 ff.
Obal Heft 12, Jahrg. 4, Bg 5
1000 | Werner Stief
faſt iſolierte Stellung des Turmes iſt merkwürdig“); angeſichts des ſehr
hohen Alters der unteren Turmmauern ſcheinen Chor und Langhaus in
ſpäterer Zeit an den ehemals freiſtehenden Turm angebaut worden zu ſein.
Das Mauerwerk des Rundturmes tft in feinem unteren Teil in etwa zwanzig
bis fünfundzwanzig Steinquaderſchichten viel unregelmäßiger als in ſeinem
oberen Teil, der um vieles jünger ſein wird. Nachweislich ganz jung iſt der
auf den alten Rundturm aufgeſetzte achteckige Oberbau mit der ſpitzen Haube.
Das Mauerwerk iſt im unteren, älteſten Teil des Turmes überaus mächtig;
es wird nur von einigen ſchießſchartenartigen Fenſterſchlitzen durchbrochen
und (von Norden her geſehen) von zwei größeren, ſpitzbogigen Offnungen,
welche die Rundkapelle im Inneren von Oſten und Weſten her erhellen. Dieſe
beiden Spitzbogenfenſter mögen ſpätere, „gotiſche“ Erweiterungen urſprünglich
wohl ebenfalls ganz ſchmaler Mauerſchlitze darſtellen.
Die an der Turm⸗Nordſeite außen eingelaſſene, heute (oder ſchon immer?)
bildleere Heiligenblende (?) iſt, ihrer Amfaſſung nach zu urteilen, wohl
gleichermaßen ſpäte (gotiſche) Zutat zum weit älteren Turm. Sie könnte aber
auch — nicht ihren Zierformen, ſondern ihrer urſprünglichen Anlage nach,
d. h. als einfache bogenüberwölbte Höhlung in der Mauer — ſchon weit
höheren Alters ſein, wenn man ſie nämlich als Arbogen⸗Darſtellung, als
Höhle, auffaßt, wozu man vielleicht berechtigt ift, weil fic) hoch darüber
(an einem der Abergangsdreiecke des alten Rundturmes in das neuere Oktogon)
eine wiederum auf einem beſonderen kleinen Arbogen A ſtehende „Lilie“
findet — die man heute im Dorf als „Haſelſtaude“ auf den Ortsnamen
„Kirchhaſel“ bezüglich deutet —, die vielleicht von einem älteren Turmbau
übernommen bzw. aus Traditionsgründen am neuen Turm an der gleichen
Stelle, wo ſie am alten ſtand, neu abgebildet wurde. Die „hohe Lilie“, d. h.
die Lilie im „Norden“ als Sinnbild des hohen Sommers, findet ſich nämlich
gern motivlich mit einem winterlichen Sinnbild „unten“, „im Süden“, zu⸗
ſammen, und das Sinnbild der Mittwinterszeit iſt eben der „Arbogen“ N
und die „Höhle“. (Vgl. die hier beigegebene, aus den „Leipziger Neueſten
Nachrichten, Ig. 1936, entnommene Abbildung der Türumrahmung an
der Stadtkirche zu Borna bei Leipzig: Hier ſitzt die hohe, „nördliche“ Lilie
(der Sproß) deutlich „oben“ auf einem von dem eigentlichen Türbogen als
etwas Beſonderes abgehobenen „ſüdlichen“ Arbogen. Jede Tür, jeder „Durch⸗
gang“ iſt in übertragenem Sinne ein Arbogen. Vgl. vor allem aber auch das
Heiligtum der Erternfteine mit feinem Felſengrab⸗Arbogen „unten“ am Fuße
und der erſchloſſenen Irminſäule (dem „Sproß“) „oben“ auf dem Gipfel
des Felſens.) sc = j
Die Rundkapelle im Inneren des Kirchhaſeler Turmes mißt etwa
3,50 m im Durchmeſſer und iſt etwa 3 m hoch. Sie beſitzt ein rundkuppeliges
Gewölbe, in das die beiden Fenſter als Stichkappen im Oſten und im Weſten
eingearbeitet find. Unter dem öſtlichen Fenſter ſteht eine leicht in die Mauer ⸗
niſche gerückte ſteinerne Altarmenſa; rechts (ſüdlich) daneben iſt eine kleine
Sakramentsniſche in der Rundmauer ausgeſpart. Man betritt die Rund-
kapelle durch eine niedrige, tiefe Tür im Süden der Rundmauer vom Kirchen⸗
84) Ober freiſtehende Glockentürme auf germaniſchen Thingſtätten vorchriſtlicher Zeit ſ. Prietze,
a. a. O., S. 93, ; |
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 1001
innern her, wo das Langhaus an den Chor ſtößt EN die im Güden gelegenen
Haupteingänge der ſkandinaviſchen Rundfirchen) *). . lt
Auch die Rundkapelle von Kirchhaſel befindet fih heute, wie leider fo viele
alte und älteſte Denkmäler unſeres Vaterlandes, in verwahrloſtem Zuſtand:
Sie ift — in unmittelbarer Nachbarſchaft des Altares einer Kirche! — zu
einem verfallenden, ſchuttbedeckten Gerümpelſtall entweiht, der zum Zwecke der
photographiſchen Aufnahme erſt einigermaßen entleert und hergerichtet werden
mußte. Viele Aufgaben harren noch eines ſtrengen und ſorgfältigen Heimat⸗
und Kulturſchutzes im Dritten Deutſchen Reich! we, on,
*
Wie fih bei einem mit „Haffel-” zuſammengeſetzten Ortsnamen bezeich⸗
nenderweiſe die Geländenamen häufen, die irgendwelche Schlüſſe auf eine
alte kultiſche Bedeutung der betreffenden Gegend zulaſſen, ſei noch an einem |
weiteren Beiſpiel aus dem Harz erläutert. Die Namen find wiederum nur
der Generalſtabskarte 1: 100 000 entnommen; das Studium der entſprechenden
Meßtiſchblätter ergäbe vielleicht noch eine reichere Ausbeute und würde dann
zu einer unmittelbaren Durchforſchung der Gegend nach Reften vorchriſtlich⸗
germaniſcher Kult⸗ und Malſtätten an Ort und Stelle auffordern. — Auf der
Hochfläche des Südharzes liegt 30 km nordweſtlich des altheiligen Queſten⸗
berges das bekannte Städtchen Haſſelfelde. Sein Nachbarort heißt
„Stiege“ (vgl. „Steigra“ und die Ausführungen über die Bedeutung des
Namens „Stiege“ in der Arbeit des Verfaſſers „Die Linde“). Zwiſchen
Haſſelſelde und Stiege liegt ein „Galgenberg“. Im ſüdlich von Haſſelfelde
gelegenen Forſt II ift die Bezeichnung „Am Radewege” (= am „r-d⸗ Wege“ l;
fiehe die eben genannte Arbeit) zu lejen. (Vgl. den Ortsnamen „Radevorm-
wald“ [= rh vor dem Wald] bei Solingen.) Auf die „Einhegung“ eines
„Feldes“ (Beratungsfeldes, Natfeldes, ret-Feldes) mit Haſelbüſchen deuten die
Namen „Hagen Mühle” und „Hagenbach“ neben einem „Haſſelbach“ weſtlich
von Haſſelfelde hin. Verlängert man eine zwiſchen dem „Galgenberg“ und dem
„Radewege“ gedachte Linie nach Südweſten, jo kommt man auf eine „Lichten⸗
Höhe“, verlängert man ſie nach Nordoſten, ſo trifft man einen Großen und
einen Kleinen „Klingenberg“. Dieſe beiden Bergnamen weiſen (nach Teudt)
auf einen ehedem hier wie bei allen Malſtätten betriebenen Licht- und Laut-
fignaldienft hin. Schließlich mag man auch noch den „Nabenſteinen“ nord-
weſtlich von Haſſelfelde Beachtung ſchenken, entweder als einer Richtſtätte
oder als einem dem Wodan geweihten Ort. Die Raben waren ihm heilig;
die chriſtliche Zeit erfand im Hinblick auf ihn ſpäter den Schimpfnamen
„Nabenvater“. Alle in diefem Zuſammenhang genannten Ortlichkeiten befinden
fich innerhalb eines Amkreiſes von nur fünf Kilometern um Haſſelfelde herum.
A
20 Über die Bedeutung von alten kultiſchen Rundbauten in Deutſchland und anderen germaniſchen
Ländern fei auf die Beiträge des Verfaſſers: „Vorchriſtlich⸗germaniſche Erinnerungen in Fulda?“
(„Germanien“) und „Die Rundkirchen auf Bornholm“ in Odal”, Hartungsfolge 1935, ferner auf
E. Jung, a. a. O., S. 292 ff., und H. Ibbecken, „Die Kirche in Blexen“ („Germanien“, 1935/8,
S. 234 ff.) verwieſen. Desgleichen Bebe den alten Rundturm an der Kirche zu Radekau bei Lübeck
(um 1160) und die Rundkirche zu Drüggelte am Möhneſee. 5 .
59
1002 Werner Stief
Daß ein einziges heute noch in der Landſchaft ſtehendes Steinkreuz gege-
benenfalls auf die ehemalige kultiſche Bedeutung einer Gegend führen kann,
mag gleichermaßen noch an zwei Beiſpielen gezeigt werden. — Zwiſchen Jena
und Kahla a. d. Saale liegen die Dörfer Rothenſtein und Mau a. Maua
beſitzt noch heute eine alte Linde mit einem Prangereiſen, das auf ſeiner Ober-
fläche als „Verzierung“ den doppelten, auf⸗ und abſteigenden Lebensbaum
zeigt (f. „Die Linde“). Nothenftein met mit feinem Ortsnamen deutlich auf
einen Gerichtsſtein (r-t-Stein) hin. Rot ift die alte Farbe des Gerichtes.
Zwiſchen Nothenſtein und Maua aber ſteht an der Gaaletal-Landftraße ein
herrliches großes Steinkreuz, und zwar gerade dort, wo ein Feldweg nach
einem wenig weſtlich gelegenen „Lichtersberg“, alfo einem Lichtſignal⸗Berg,
abzweigt! Verlängert man die obengenannte, durch die Landſchaft gelegte
Nord⸗Südlinie zwiſchen Graitſchen, Bürgel und Beulbar noch weiter nach
Süden, fo trifft man bald auf das oſt⸗weſtlich verlaufende Roda⸗Tal. Zwiſchen
Lippersdorf und Erdmannsdorf an der Roda ſteht ein wohlerhaltenes Stein-
kreuz mit eingemeißeltem Schwert, und zwar eben dort, wo der Weg nach
einem „Weißbach“ (! f. o.) abzweigt. 1 km öſtlich von Weißbach liegt,
von wehrhaften Mauern (mit Turmreſten) umgeben, das große Gut Roth-
vorwerk“ (r-t⸗Vorwerk). 1% km nordweſtlich von Weißbach bzw. ſüd⸗
weſtlich vom genannten Steinkreuz lautet ein Bergname „Brand“, der wohl
wieder eine Feuerſignalſtätte bezeichnet. Das Gut Nothvorwerk (zur Herr-
ſchaft Meuſebach gehörend) liegt zwiſchen einem „Pfarrberg“ und einem Berg
mit Namen „Steinbock“, was ein entitelltes „Steinbeck“ (= Berg mit Thing⸗
ſtein) fein dürfte (vgl. „Steinbach“ in der Arb. d. Verf. „Sinnbilder“ ).
Nördlich von Lippersdorf treffen wir auf einen „Kanzelberg“ (über „Kanzeln“
vgl. P. Liebeskind, a. a. O., S. 17 ff.). An der Lippersdorfer Kirche (aus der
Barockzeit; mit bemerkenswerten gotiſchen Kunſtſchätzen) iſt hoch oben am
Turm ein ſeltſamer ſteinerner Kopf eingemauert. Man deutet ihn als
„Mohrenkopf“, wie er im Meuſebacher Wappen zu finden iſt. Es könnte ſich
dabei aber auch um ein weit älteres Steinbild (altkultiſcher Bedeutung?)
handeln. Ein heute im Lippersdorfer Pfarrhaus aufbewahrter Meſſingkelch
aus Weißbach vom ge 1671 zeigt an feinem Fuße ein ſchönes Radkreuz. —
(Zur r-t-Garbe „rot“ beachte man an der Bahnſtrecke zwiſchen Hersfeld und
Fulda auch den Ort Rothenkirchen. Hier liegt eine einſame, kleine
„romaniſche“ Kirche, die man vom vorüberfahrenden Zuge aus gut ſehen
kann, gewiß auf ſchon alter vorchriſtlicher Kultſtätte am Bergeshang. Hier,
wie bei Rothenſtein⸗Maua, wäre die geſamte Amgegend einmal genauer auf
weitere Kennzeichen und Aberreſte altkultiſcher Bedeutung hin zu durch⸗
forſchen.)
4. Wodan, Donar und Ziu in Gundorf bei Leipzig?
Die ſteinerne gotiſche Umrahmung der Kirchentür zu Gundorf (Böh⸗
litz⸗ Ehrenberg) bei Leipzig zeigt auf ihren den Spitzbogen bildenden Hau-
ſteinen fünf kleine, flacherhabene Rundbilder (Medaillons): im Gipfel des
Bogens ein Kreuz, das mit feiner kreisförmigen Umrahmung als Nadkreuz
erſcheint, zu deſſen Seiten die Namenszeichen (Monogramme) Jeſu und
Mariä, weiterhin einen Schlüſſel mit nach rechts oben gerichtetem Bart und
endlich einen kurzen Pfeil mit nach unten weiſender Spitze.
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 1003
Das Kreuz wird als „Abtskreuz“ gedeutet, weil Gundorf, eine febr alte
Gründung — u. a. mit einem noch bis in die jüngere Zeit hinein lebendigen
alten „Ablaßfeſt“, verbunden mit einem Ochſen⸗(Opfer⸗) Schmaus), und
einer ehemaligen Wenzelskapelle mit wundertätigem Bild —, früher (ſeit 974)
dem Bistum Merſeburg zugehörte. Den Schlüſſel bezeichnet man als den
„Schlüſſel Petri“ und den Pfeil als das „Schwert des Paulus“ )).
Mögen die Deutungen von Kreuz und Schlüſſel hohe Wahrſcheinlichkeit
beſitzen, die letzte, den Pfeil betreffend, muß uns ſtutzig machen. Niemals
wird man wohl zu einer Zeit, in der alle Welt das Schwert als Hauptwaffe
führte, die ein hohes bildhaueriſches Können beſaß, und die ſoeben einen
Schlüſſel ganz „naturaliſtiſch“ darſtellte, ein Schwert ausgerechnet wie einen
Pfeil abgebildet haben). Sollten an der Gundorfer Kirchentür nicht viel-
mehr Erinnerungen an weit Alteres bewahrt fein, wenn auch verſteckt und in
verſtellter Form, Erinnerungen nämlich an ein vorchriſtlich⸗germani⸗
ſches Dreigötterheiligtum?
E. Jung macht in feinem Buche „Germaniſche Götter und Helden in chriſt⸗
licher Zeit“ wahrſcheinlich, daß der Schlüſſel des Wettermachers Petrus in
chriſtlicher Zeit den Hammer des germanischen Wettergottes Donar“) erſetzt
habe (u. a. S. 247); verbergen ſich doch z. B. auch unter zahlreichen deutſchen
„Petersbergen“ ehemalige „Donnersberge“. Das Wappen der Stadt Bremen
zeigt einen Schlüſſel; ſein alter Dom iſt ein Petridom. Auf S. 236 des
ſoeben genannten Buches wird Hellmar Kalliefe mit ſeiner Feſtſtellung zitiert,
das Radkreuz gäbe uns im beſonderen dem Wodan geweihte Orte an“)
(St. Micheln! f. o.). Der Pfeil nun, und zwar in aufgerichteter Form
mit nach oben weiſender Spitze, ſtellt die Rune des alten Himmels⸗
gottes Siu (Tiu) dar. Sollte man nicht in chriſtlicher Zeit hier in Gundorf
deſſen auf den Kopf geſtellte und dadurch unſchädlich gemachte Pfeilrune zu⸗
ſammen mit dem im „Schlüſſel Petri“ verhehlten Donarhammer und dem
im „Abtskreuz“ verſteckten Wodanszeichen neben die Namen Jeſu und Mariä
geſtellt haben, um damit die drei alten oberſten Germanengötter doppelt wirt-
ſam zu bannen, die vielleicht ehedem in der Gegend von Gundorf gemeinſam
verehrt wurden? Vielleicht leitet fidh der Ortsname „Gundorf“ (älteſte Ober,
lieferte Form: Gunthorp) von einem älteren „Gudensdorf“ her, das „Wodans⸗
ort“ bedeuten würde? (Oder ift eine Ableitung aus „Hundorf“ = „Huno“⸗
Dorf = das Dorf eines germaniſchen „Huno“, eines „Hundertſchaftsführers“,
möglich? H verwandelt ſich ja lautlich gern in g.)
86) „Volksfeſte und -braude früherer Zeit im Werten Leipzigs“, „Leipziger Tageblatt“ vom 4. Juli
1915, S. 20. Man denke an das Stieropfer der Angelſachſen, welches Papſt Gregor der Große in
einer Botſchaft an den Bekehrer Auguſtin dieſem Volke auch nach der Chriſtianiſierung zu belaſſen riet
(„ Germanien“, 1936/3, S. 79). :
87) Der mit einem Schwert gekreuzte Schlüſſel bildet in dieſem Sinne das Wappen des ehemaligen
Bistums Naumburg a. d. S. — Zuſammen mit dem Erfurter (Mainzer) ſechsſpeichigen Rad findet
man es z. B. ſchön auf zahlreichen Grenzſteinen im Walde oberhalb der Haarberg⸗Wirtſchaft bei
Erfurt, wenn man von Darſtellungen in Naumburg ſelbſt abſieht.
88) Siehe auch die ganz „naturaliſtiſchen“ Abbildungen von Schwertern auf oftmals viel älteren
Steinkreuzen.
8) Gewiſſe Schlüſſel der ſpätgermaniſchen Zeit (Völkerwanderungszeit) glichen in ihrer Form
einem Hammer: Abbildung bei Wirth, „Heilige Urſchrift“, S. 631.
40) Siehe das Zuſammenvorkommen von Schlüſſel und Rabkreuz an der Kirchentür von Avolsheim
im Elſaß; Abb. bei Jung, a. a. O., S. 212 u. 246.
—
1004 | S Werner Stief
Die Möglichkeit einer germaniſch⸗deutſchen Dauerüberlieferung über eine
zeitweilige ſlawiſche (ſorbiſche) Beſetzung des betreffenden Landſtriches, der
nahe an der immer gegen die Slawen gehaltenen Elfter- und Saalegrenze
liegt (vgl. „Sinnbilder“), hinaus, darf man mit hoher Wahrſcheinlichkeit
annehmen, da ſich ja oft ſchon ſolche Aberlieferungen in Sage und Sitte auch
unter anderen, weit verwickelteren Verhältniſſen gehalten haben. Auch die
volkstümliche Deutung des Pfeiles als „Schwert“ wäre in dieſem Falle leicht
zu erklären, indem ja der Gott Siu bei den Germanen als „Schwertgott“
verehrt wurde. (Vgl. hierzu die Ausführungen E. Webers über den „Witte⸗
kindſtein“ in „Germanien“, IV. Folge / 2; S. 54: Auch auf dieſem Stein finden
ſich Hammer und Schwert in runiſcher Gorm eingemeißelt.) |
Die heutige gotiſche Kirchentür von Gundorf mag eine ältere, heute nicht
mehr vorhandene Tür oder ein anderes Steinbild mit den verhehlten Zeichen
der germaniſchen Götterdreiheit zum Vorbild gehabt haben — die Kirche
von Gundorf iſt auch heute noch in ihren Hauptteilen ein ſehr alter, roma⸗
niſcher Bau; nur das Portal iſt neben anderen Einzelheiten gotiſch —, wenn
man eine bewußte Verwendung der alten Götterzeichen bzw. ihrer chriſtlichen
Entſtellungen in gotiſcher Zeit für unwahrſcheinlich hält. — Gleich dem Kir-
chenportal von Hayna bei Leipzig (ſ. „Sinnbilder“) leidet auch das Gundorfer
heute durch eingeſchlagene Nägel. Läßt ſich ſolche unachtſame, nichtsdeſto⸗
weniger aber immer unverzeihliche Schändung nicht mit Strenge verhindern?
5. Der „Teufelsſtein von Piltitz bei Landsberg
Am Nande des Dorfes Piltitz bei Landsberg (Kr. Delitzſch) ſteht am
Wege ein merkwürdiger Stein, den man den „Teufelsſtein“ nennt. Der
Teufel ſoll ihn einſt vom Petersberg bei Halle nach der neuerbauten Lands⸗
berger Burgkapelle geſchleudert haben, um dieſe zu zerſtören; weil aber der
Stein durch das Gebet eines Mönches ſeine Flugkraft verlor, fiel er kurz vor
dem Ziel bei Piltitz aus der Luft herab und blieb liegen, wo er jetzt noch
liegt. Seiner Form nach iſt der Stein gewiß ein Naturgebilde; der eben
erzählten Sage nach, welche den Stein deutlich „ſataniſiert“, und auf Grund
zahlreicher ganz in der Nähe gefundener vorgeſchichtlicher Gräber (ſ. u.) haben
wir aber in ihm ſicherlich einen alten Rult-, Opfer- oder Thingſtein zu ver-
muten, wie deren in der näheren und weiteren Amgebung von Piltitz noch
mehrere erhalten geblieben ſind. „ , `
. Der Piltiger Stein zeigt die ausgeſprochene Form einer aus der Erde auf-
ragenden geballten rechtshändigen Fauſt. Daraus hat man geſchloſſen, daß
der Stein ehedem dem vorwodaniſtiſchen oberſten Himmelsgott Siu geweiht
geweſen war, der ja bekanntlich (nach der Edda) feine rechte Fauſt opferte,
indem er fie dem Genriswolf in den Rachen legte, um ſich und ſeine Mit⸗
götter von dieſem ſchrecklichen Angeheuer zu befreien. Die Sage, daß in
dunklen Nächten am „Teufelsſtein“ ein ſchwarzer Hund mit glühenden Augen
erſcheinen ſoll, welcher jeden Vorübergehenden ſtumm bis vor ſein Haus
begleitet, deutet der Güetzer Heimatforſcher B. Brühl auf eben den gebändigten
Fenriswolf. — Später wurde in der Piltitz- Landsberger Gegend der Ziu-
Kult mehr und mehr vom Donar⸗Kult verdrängt (der im weiteren Verlauf
durch einen von den eingedrungenen Slawen (Wenden) gepflegten Prove-
Auf den Spuren vorchristlich-germanischer Kult- und Malstätten 1005
Kult abgelöft wurde). Der unweit gelegene Halleſche Petersberg war ehedem
ein Donar-Berg (ſ. o.). : | |
Vor etwa fünfzehn Jahren wurden der halb verſunkene Piltitzer Stein von
der älteren Dorfjugend wieder gehoben und geſichert aufgeſtellt; der eben-
genannte Heimatfreund B. Brühl ſetzte eine Steinſtele daneben, welche außer
dem Fenriswolf die Midgardſchlange und den Donarhammer zeigt und in
einer von Lehrer Oſtermann, Güetz, verfaßten Inſchrift auf die Geſchichte des
Steines hinweiſt: ENEE | vo |
Zi, dem mächtigen Gott der Germanen
War diefe ſteinerne Fauſt geweiht, 2
Weil er in Fenriswolfs Rachen den Wanen
Die Hand geopfert, die Aſen befreit.
Später, dem Wettergott Donar zum Zeichen,
Ließ man hier mächtige Brandopfer ſteigen.
Als dann die Chriſten kamen ins Land,
Wurde der Donar als Teufel verbannt,
And um die Ohnmacht der Fauſt zu beweiſen,
Durft' ſie hinfort nur Teufelsſtein heißen.“
Außer einer tieferen, wahrſcheinlich aus kultiſchen Gründen oben in den
Stein hineingehauenen, heute ſtark verwitterten, nord⸗ſüdlich verlaufenden
Kerbe weiſt der Teufelsſtein noch mancherlei Rillen und Rinnen auf, die.
man volkstümlich als Spuren der Teufelskrallen deutet. Höchſtwahrſcheinlich
find es aber fog. „Wetzrinnen“, aus denen die Leute im Mittelalter Stein-
mehl herauskratzten, um es gegen die verſchiedenſten Krankheiten einzunehmen.
Wie von heiligen Steinen vorchriſtlicher Herkunft holte man fih ſolches Stein-
mehl ſpäter auch von Kirchenmauern. Anſere Abbildung zeigt als beſonders
ſchönes Beiſpiel einen mit tiefen Wetzrinnen faſt völlig bedeckten Strebe⸗
pfeiler an der 1 ee Stadtkirche zu Eisfeld (Thür.). | |
Der Piltiger Stein ift bis heute erhalten geblieben, weil er nicht in einem
wertvollen Acker, ſondern am Wegesrand ſteht, wo er keinen Menſchen ſtört;
auch ſind genügend Steinbrüche in der Nähe, daß er nicht, wie zahlreiche
alte Kultſteine in ſteinärmeren Gegenden, in ehrfurchtsloſer Zeit zerſprengt,
zerſchlagen und verbaut wurde. 5 ;
Dicht neben unſerem Teufelsſtein ſtand bis zum Jahre 1845. ein großes
Hünengrab, das man damals einebnete; gleichermaßen befanden ſich ehedem
bis auf den Güetzer Berg hinauf zahlreiche grasbewachſene Hügel, unter denen
verwitterte Menſchenknochen gefunden wurden. Aus der jüngeren Steinzeit
wurden Arnenſcherben und ein Steinmeſſer geſammelt. Wenige hundert Meter
vom Piltitzer Stein entfernt legte man 1923 ein größeres Gräberfeld frei; es
wurden zwölf Skelette mit allerlei Beigaben geborgen. 3. T. ſind die genann-
ten Funde heute im Heimatmuſeum Güetz, z. T. im Provinzialmuſeum Halle
ausgeſtellt. Bei den zuletzt genannten Beſtattungen handelt es ſich um Gräber
der germaniſchen Warnen aus dem vierten Jahrhundert n. Ztw., die von den
aus dem Oſten her nachrückenden Wenden als Siedler der betreffenden Gegend
abgelöſt wurden. | eo | ze
Die Gräber weiſen klar auf die kultiſche Bedeutung der Brtlichkeit um den
„Teufelsſtein“ herum hin. Piltitz liegt überdies in unmittelbarer Nachbar-
ſchaft von Landsberg, das mit ſeinem Namen auf eine Thingſtätte erſten
4
1006 Georg Halbe
Ranges, auf ein Landesthing (Völkerſchaftsthing) deutet. Die Landsberger
Gegend ift gleichſam ein nach Often vorgeftredter „Ausläufer“ der weſtlich
der Saale liegenden Mansfelder Gegend, die reich an vorgeſchichtl ichen
Erinnerungen iſt, auf welche der Verfaſſer gelegentlich in einer Sonderarbeit
zurückzukommen gedenkt.
6. Der „Kaufftein“ von Buda
In dem Dorfe Bucha unweit von Memleben a. d. Anſtrut liegt vor der
Kirche auf niederen Sockelſteinen tiſchförmig eine große Platte, der ſog.
„Kaufſtein“. Er foll früher außerhalb des Dorfes in der Flur gelegen
haben; ein heimatliebender Ortspfarrer ließ ihn hereinbringen und ſo, wie er
heute zu ſehen iſt, vor die Kirche legen, um ihn vor unachtſamer oder bös⸗
williger Zerſtörung zu ſchützen. In früheren (geſchichtlichen) Zeiten wurden
nämlich an dieſem Stein feierliche Abmachungen und Verträge, vor allem
Kaufverträge, geſchloſſen, wovon der „Kaufſtein“ ſeinen Namen hat. Wir
dürfen auf Grund dieſer Tatſache wohl mit Sicherheit auf einen Gebrauch des
Steines bei Rechts oder Kulthandlungen ſchon in vorchriſtlicher Zeit ſchließen;
pflegt doch das Volk oft noch bis in die Gegenwart hinein in unbewußter
Ahnung eben an den heiligen Stätten der Vorzeit ſeine Verabredungen,
Verlöbniſſe, Verträge uſw. zu ſtiften und zu befeſtigen (Teudt, „Germaniſche
Heiligtümer“), wie ſchon in älteſten Zeiten wichtige Verträge, etwa über
Güterwechſel oder Dienſtverhältniſſe, auf der Thingſtatt von der verſammelten
Gemeinde gebilligt werden mußten (vgl. unſer Wort „ſich verdingen“). Die
bewußte Erinnerung an die vorchriſtliche Heiligkeit und Weihe folder alt-
bedeutſamer Örtlichkeiten ift freilich heute faſt in allen Fällen erloſchen, jo daß
wir bei unſeren Forſchungen meiſt auf derartige kleine Dauerüberlieferungen,
wie beim „Kaufſtein“ von Bucha, als Fingerzeige angewieſen find.
Georg Halbe:
Zu Herman Wirth: die heilige Urſchriſt der Menſchheit“)
Dinge ſind, was man ihnen anſieht. Man ſieht ihnen aber nicht mehr an,
als der eigenen 5 dem Niederſchlag von Wiſſen und Erlebnis —
entſpricht. In gleichem ße antworten die Dinge uns. Hieraus entſteht
das Bild, das wir uns von ihnen machen, unſere Vorſtellung. Dieſe Bor-
ſtellung wird zur Grundlage unſerer Weltanſchauung, die mit der Welt.
wirklichkeit nur inſofern übereinſtimmt, wie unſere Vorſtellungen wahr, d. h.
1) Verlegt bei Koehler u. Amelang, Leipzig 1936. Pr. geb. 88. — RM. — Der Bedeutung und
dem Umfange dieſes Werkes entſprechend, beabſichtigt die Schriftleitung noch weitere Aufſätze folgen
zu laſſen.
Zu Herman Wirth: „Die heilige Urschrift der Menschheit“ 1007
richtig find. Aus falfden Anſichten und halben Wahrheiten ergibt fic ein
Auseinanderlaufen (Diskrepanz) von Wirklichkeit und Vorſtellung. Der
Menſch wird welt. und wirklichkeitsfremd. Es kann lange dauern, ehe ein
derartiger Widerſpruch zwiſchen Vorſtellung und Wahrheit erkannt wird.
Immer aber wird er einmal ſo groß, daß das Leben uns zu einer Berichtigung
und Neuausrichtung nach der Wirklichkeit zwingt. Der Amſchwung durch
den Nationalſozialismus war der erſte Schritt zu einer ſolchen Neuausrich⸗
tung des Lebens entgegen alten kapitaliſtiſchen, liberaliſtiſchen und materia-
liſtiſchen Weltanſchauungen.
Einzig in den Naturwiſſenſchaften läßt ſich die Wahrheit bis zu einem
gewiſſen Grade durch Rechnung oder Verſuch, Experiment, „beweiſen“. Auf
allen anderen Gebieten gibt es derartige „Beweiſe“ nicht. Da iſt allein unſer
Kichtig und die Lauterkeit unſeres Wahrheitsſtrebens der Maßſtab für das
tige. .
Im allgemeinen muß man ſchon fagen, fie war es. Denn nachdem erft ein-
zelne die Grundwahrheiten des Lebens denkend erkannt haben, glauben die
vielen, dies ſelber nicht mehr nötig zu haben. Sie lernen aus⸗wendig, was
fe in-wendig erarbeiten müßten. Sie denken das Vorgedachte nicht nach,
ondern begnügen fih damit, es nachzubeten. Wie Heraklit, Plato oder Arijto-
teles oder ſonſt eine „Autorität“ etwas betrachtet haben, das wird zum „Be⸗
weiſe“ der eigenen Meinung „angezogen“ — wie ein Schauſpieler die Tracht
deſſen anzieht, der zu ſein er vorgibt —. Nicht mehr das eigene Anſchauen
gilt, nur das Nachbeten „anerkannter“ Lehrmeinungen hat Geltung — und
wehe jedem, der aus der Reihe tanzt! —; Schleich, Graf Zeppelin, die Brüder
Lilienthal und jeder „Neuerer“ iſt der zünftigen Wiſſenſchaft ſeiner Zeit⸗
genoſſen immer ein Dorn im Auge geweſen. Auch Hitler und Darré waren
bis vor kurzem noch „Phantaſten“ für alle die, die ſie heute mit beſonderer
Vorliebe „anziehen“.
Das ptolemäiſche Weltbild hat — trotz Ariſtarch — durch Jahrtauſende
geherrſcht, ehe Kopernikus kam und es umſtieß; und Jahrhunderte hat es
gedauert, ehe Kopernikus endgültig anerkannt wurde. Vor rund hundert
Jahren ſtanden die kopernikaniſchen Schriften noch auf dem päpſtlichen Inder
und waren für den gläubigen Katholiken als „ketzeriſch“ verboten.
Die wiſſenſchaftlich „erhärtete Tatſache“, daß die „germaniſchen Nomaden⸗
horden“ ihre Schriftzeichen aus dem Orient übernommen haben, iſt zwar nur
Jahrhunderte alt, wird deswegen aber nicht minder dogmatiſch und autoritativ
als „unumſtößliche Wahrheit“ von allen Nachbetern verfochten, als die
ehemalige ptolemäiſche Lehre.
Nun kommt da ein Mann namens Herman Wirth und vermißt ſich, dieſe
durch die Jahrhunderte erprobte Lehrmeinung der Germaniſten über den
Haufen werfen zu wollen. Weshalb ſollte es ihm von ſeinen zünftigen Zeit⸗
genoſſen leichter gemacht werden als ſeinerzeit dem Kopernikus? — Man
treibt doch nicht Geſchichte, um daraus zu lernen! — Alſo wird als falſch
und irrig angeſehen, was vorerſt nur neu iſt.
Wirth iſt ſicherlich der letzte, zu behaupten, daß ſeine Anſichten in allen
Einzelheiten frei von Irrtum wären. Doch das waren die Anſichten des Ko-
pernikus auch nicht. Etwa hundert Jahre ſpäter erft machte Kepler das koper⸗
1008 Georg Halbe
nikaniſche Weltſpſtem zu dem, was es für die Aſtronomie En nod) ift; zu
der elementaren Grundlage ihrer Wiſſenſchaft. Kepler fand die Planeten-
geſetze und beſeitigte durch ſie die Irrtümer, denen Kopernikus noch unterlag.
Trotzdem blieben die kopernikaniſchen Grundgedanken genau ſo richtig, wie ſie
es von vornherein geweſen waren.
Kepler miſchte ſich nicht in den Streit der Meinungen, der für oder wider
Kopernikus tobte. Er ging vorurteilslos und im Vertrauen auf die eigene
Arteilskraft an die Lehre ſeines Vorgängers heran und konnte fie fo beridh-
tigend beſtätigen. Dieſe Vorausſetzungsloſigkeit, die weder urteilslos ablehnt
noch nachbetet, iſt die einzige Forderung, die Wirth an ſeine Leſer ſtellt: „die
grundſätzliche Loslöſung von allen bisherigen Arbeitstheorien“, — Da muß
man ja ſelber denken! — Welche Anbeſcheidenheit und welche Anmaßung!! —
Nun, wer ſich dieſer Anmaßung nicht freuen kann, weil er ſeiner eigenen
Arteilskraft nicht trauen darf, der wird Wirth weiterhin ablehnen oder nach⸗
beten, bis Wirth eines Tages auch ſeinen Kepler gefunden haben wird, der
ihm endgültig hilft, das Zerrbild zu ſtürzen, das aus gedankenloſem Rad-
beten wiſſenſchaftlich erhärteter Ergebniſſe fih in den Köpfen 5 cher
— aber ungermaniſcher — Profeſſoren mumifiziert bat.
o%
Wer, wie der Mathematiker oder Techniker gezwungen iſt, ſelbſt zu denken,
beruft ſich nicht auf andere. Wer nach der Formel a“ plus b' gleich c rechnet,
pflegt Pythagoras ebenſowenig anzuziehen, wie etwa ein Ingenieur Archi⸗
medes, deſſen Hebelgeſetze er verwendet. Darum ſind Größen auf dieſen Ge⸗
bieten dem Namen nach meiſtens bald vergeſſen i im Gegenſatz zu den Begründern
weltanſchaulicher Syſteme. — Wer erinnert ſich noch, daß vor 150 Jahren der
Maſchinen⸗Webſtuhl erfunden worden ift, und daß deffen Erfinder Cartwright
hieß? — Anter Tauſenden kaum einer. Das ſchadet auch nicht und ſoll hier
nur angeführt werden, um zu zeigen, wie ſchnell jemand vergeſſen wird, deſſen
Nachfolger nicht einfach nur nachzubeten brauchen, ſondern ſelbſt weiterdenken
müſſen, wenn fein urſprünglicher Gedanke weiterwirken fol. Cartwrights
Denken hat die Erde ſtärker umgeſtürzt als Plato, Kopernikus oder Kant;
und doch iſt er — kaum mehr als hundert Jahre tot — bereits vergeſſen.
Wer dagegen nicht ſelbſt zu denken gelernt hat, beginnt mit: „ſchon Plato
bat gejagt...” oder „bekanntlich hat Kant... Nun, wenn Kant „bekannt-
lich“ etwas geſagt hat, dann wird der Leſer das Bekanntliche ja auch kennen,
wie etwa das Einmaleins, und es brauchte nicht aufgewärmt zu werden. Nur
wenn jemand etwas ſchon beſſer geſagt hat, als man ſelbſt es ausdrücken
könnte, ſollte man ſeine Worte wiederholen. Heute aber gehört es geradezu
zum Kennzeichen eingebildeter Wiſſenſchaftlichkeit, daß andere ſchon das ein⸗
mal geſagt haben, was man ſelbſt vorzubringen gedenkt.
Würde Wirth mit der nötigen Anzahl von Autoritäten aufwarten, die
bereits dies und jenes geſagt haben, was ſeinen Anſichten entſpricht, dann
würde die Wiſſenſchaft ſeine Ausführungen zum mindeſten als „ſehr beacht-
lich“ bezeichnen, anftatt fie als Phantaſtereien abzulehnen, wie es immer noch
geſchieht. Aber: es it ſeit jeher ſchwerer geweſen, Gold zu * als Blech
auszuwalzen.
D
Zu Herman Wirth: „Die heilige Urschrift der Menschheit“ 1009
$ d Ge ; S
Dabei macht es Wirth feinen gelehrten Fachkollegen wirklich leicht, die
Nichtigkeit ſeiner Grundgedanken zu erkennen. „Die Heilige Arſchrift der
Meenſchheit“ gibt eine ſolche Aberfülle von Verichtquellen und in dem dazu-
gehörigen Bildatlas eine in die Tauſende gehende Zahl von Bildurkunden,
daß jeder, der auch nur ein wenig eigene Arteilskraft beſitzt, Wirths großen
gedanken als richtig anerkennen müßte. a |
Wirths Grundgedanke ift, daß es eine atlantiſch⸗arktiſche Arkultur gegeben
hat, die in ſtärkſtem Maße die Mehrzahl der uns bekannten Kulturen — fet
es in Amerika, fei es in Aſien oder Europa. — geſtaltet hat. Am reinſten hat
Dieſe Kultur fih bei den germaniſchen⸗ Völkern erhalten, die deren eigentliche
Träger find. Tatſächlich hat ſich ja auch vieles, was dieſer Kultur an Brauch⸗
tum entwachſen iſt, bis auf unſere Tage — wenn auch meiſtens in kirchlichem
Gewande — lebendig erhalten. | | |
Als Grundlage dieſer Arkultur ſieht Wirth das Sonnenjahr, deffen Ablauf
er in den uns überkommenen Sinnzeichen immer wieder zum Ausdruck gebracht
findet. Von dieſen Sinnzeichen ausgehend, geſtaltet er die Weltanſchauung
der alten Völker nach und kommt zu einem Monotheismus als Arreligion.
Wirths Eingottglaube bezieht ſich nicht auf einen perſönlichen Gott — wie
etwa Jahve es war —, ſondern auf das Göttliche ſchlechthin. Dieſes Göttliche
tritt in Erſcheinung durch den „Sohn“, der zur Zeit der Winterſonnenwende,
Gi der Mütternacht“, geboren wird und als Jahresgott durch die Welt
reitet. 5 | dë S E
Sein Weg durch den Jahreskreis — der fih in jedem Menſchenleben
ſpiegelt — ijt der Argrund zahlreicher Sinnbilder und die Wurzel urzeitlichern
Weltanſchauung, Gegen die Berechtigung dieſer Auffaſſung wird nur der
etwas fagen können, der Widerſpruch aus Grundſatz betreibt.
Wer ſich eindringlich und ehrfürchtig — und nicht nur wiſſenſchaftlich —
mit einer Aufgabe beſchäftigt, wie Wirth es muſtergültig tut, dem gehen
Zuſammenhänge auf, die dem Fernſtehenden verſchloſſen bleiben. Darum will
dieſer auch immer erſt „bewieſen“ haben, was dem lebendig Denkenden als
Erlebnis zu unbedingtet Gewißheit geworden iſt, die ihm nicht erſt bewieſen
zu werden braucht, die einem andern aber nur ſchwer oder gar nicht übermittelt
werden kann. Denn bei ſolchem Denken iſt das Herz wichtiger als der Verſtand.
Dieſes innere Verbundenſein mit einem Stoffe aber birgt die Gefahr in
fich, daß man bei feinem Lefer eine Empfänglichkeit vorausſetzt, die nicht vor-
banden iſt und ohne weiteres auch nicht vorhanden ſein kann. Deshalb muß
dieſem auch manches, wenn nicht gar vieles, zuſammenhanglos erſcheinen,
was der Verfaſſer ſelbſt als organiſches Ganzes vor ſich ſieht. Dieſer Schwie
rigkeit kann man nur dadurch begegnen, daß man möglichſt lebensnahe zu
{childern ſucht, um die Aufmerkſamkeit des Leſers auf ihm vertraute Lebeng-
vorgänge zu richten und derart ſein Verſtändnis für das ihm noch fremde
Gebiet zu wecken. Dieſe Schwierigkeit hat Wirth nicht genügend berückſichtigt.
Wirth ſchreibt z. B. viele Seiten über den Fünfſtern, ohne jedoch eine
lebensnahe Beziehung zu dieſem Sinnzeichen zu geben. Das aber iſt für den
Leſer das Weſentliche. oe 7
Der Fünfſtern ift heute noch in jedem lebenden Menſchen wirkſam und
ebenſogut als deffen Sinnbild aufzufaſſen wie das der „Welteinteilung“. —
Der Menſch ſteht im Kräfteſpiel des Fünfſternes, wenn er geht; — wenn
ſein Gleichgewichtsſinn aus dem Kopfe in den antretenden Tuß wirkt, von
1010 Georg Halbe
dieſem aus den entgegengeſetzten Arm ſchwingen läßt, der wiederum den
anderen Arm entgegengeſetzt zu ſich zum Pendeln bringt, der dann ſeinerſeits
den nachfolgenden Fuß mit ſich zieht, bis der vollendete Doppelſchritt wieder
auf den Gleichgewichtsſinn im Kopfe zurückwirkt. — Wer dieſes Spiel des
TFünfſternes in fih erft einmal lebendig bewußt gemacht hat, dem wird es
ohne weiteres klar ſein, daß der Fünfſtern auch in der übrigen Natur eine
der hervorragendſten Rollen zu ſpielen hat. Man braucht nur Haedels „Kunſt⸗
formen in der Natur“ aufzuſchlagen, wenn es einem um einen Beweis für
dieſe innere Gewißheit zu tun iſt. Der Fünfſtern und das ihm zugehörige
Fünfeck ift zuſammen mit Vier-, Sechs- und Achteck fraglos die bedeutendſte
Grundform überhaupt.
Wirth würde zwar kaum ſich, aber ſeinen Leſern das Eindringen in ſeine
Gedankenwelt weſentlich erleichtern, wenn er die von ihm herausgeſtellten
Sinnbilder in ähnlicher Art mit dem Menſchen ſelbſt in Verbindung bringen
wollte, wie er es jahreszeitlich und ſternenkundlich tut. Wenn er es unterläßt,
dann iſt das vielleicht ein Mangel, aber doch nicht etwas, was ihm als falſch
vorgeworfen werden könnte, wie es geſchieht. Wer nicht ſo ſehen kann, wie
Wirth es tut, der muß ſich eben einen eigenen Blickpunkt ſuchen. Er darf
aber nichts als falſch und phantaſtiſch verſchreien, weil er den Sinnbildern in
keiner Weiſe das anſehen kann, was Wirth ihnen auf ſeine und ein anderer
wieder auf die ihm gemäße Art anzuſehen vermag.
Auf eines mag noch nachdrücklich hingewieſen werden: Sinnbilder
dürfen nicht als ſtarr angeſehen werden. Ihre Linien ſind
nicht Striche, ſondern Bahnen, in denen Kräfte wirken! —
wie ſoeben bezüglich des Fünfſternes ausgeführt worden iſt. Man betrachte
einmal die „Doppelaxt“ auf dieſe Weiſe. Wirth nennt die Doppelaxt auch
den „Jahresſpalter“ und verweiſt darauf, daß ſie aus den Kreisausſchnitten
zuſtande kommt, die das in den Kreis gezeichnete Malkreuz bildet © . Nun
gibt es kein geſpaltenes Jahr, wenn es auch in ihm ſo ſtarke Gegenſätze wie
Sommer und Winter gibt. Doch die Abergänge von einem zum anderen voll-
ziehen ſich faſt unmerklich. |
Geht man in dieſem Sinne vom Gommerfoliftitium aus und läßt man
dieſen Stillſtand der Sonne als Senkrechte abſinken, dann führt die dazu⸗
gehörige Schräge — ebenſo gleichmäßig zum Winterſoliſtitium, drückt dieſen
Sonnenſtillſtand wieder durch die Senkrechte aus und leitet von dort in einer
gleichen Schrägen wieder zum Sommerſoliſtitium über.
><
Derart wird die Doppelart zugleich zum Sinnzeichen der jahreszeitlichen
Abergänge im Frühling und Herbſt und drückt aus, wie das Leben ſich in deren
Verlauf dem Stoffe, der Erde, zunehmend verbindet und abnehmend fi
wieder zurückzieht. Gleichzeitig begrenzt es die Punkte des Geſichtskreiſes,
zwiſchen denen während dieſer Jahreszeiten die Sonnenauf- und -untergdnge
liegen. |
Dieſes Wechſelſpiel der Kräfte wird noch deutlicher, wenn man die Doppel⸗
axt nicht eckig, ſondern rund zeichnet. Dann offenbart ſie klar, was ſich hinter
ihr verbirgt: die Anendlichkeit, für die ſie heute noch das Zeichen des Mathe⸗
matikers iſt: O.
Zu Herman Wirth: „Die heilige Urschrift der Menschheit“ 1011
Sinnzeihen find mehrdeutig und abhängig von dem Sufammenbange, in
dem fie ſtehen. Planetenzeichen bedeuten nicht nur die kosmiſchen Körper,
ſondern auch deren irdiſche Kräftewirkſamkeiten, die z. B. als Metalle,
Pflanzen, in Erſcheinung treten. Ferner kennzeichnen ſie die Wochentage. Es
iſt alſo durchaus ſinnvoll, daß Wirth auf die kosmiſchen Zuſammenhänge
verweiſt, wenn er von den Sinnbildern ſpricht und diefe mit dem Jahres-
laufe in Verbindung bringt. Erinnern wir uns, daß der Himmelskreis ſeit
älteſter Zeit ſich in zwölf Tierkreiszeichen gliedert, und daß die Edda uns
von den zwölf Strömen (Kräftewirkſamkeiten) berichtet, die im Norden dem
Brunnen Hwergelmir entſpringen. Sie nennt ſie giftig; aber das Wort Gift
bedeutet heute im Engliſchen noch: Gabe.
Auf die Anterſchiede, die ſich für die Sinnzeichen daraus ergeben, daß ſie
ſowohl kosmiſch als auch irdiſch⸗kalendariſch geleſen werden können, macht
Wirth ausdrücklich aufmerkſam, indem er darauf verweiſt, wie Jahres⸗ und
Tageskreiſe entgegengeſetzt zueinander verlaufen. |
Wirths Anficht, daß Sinnzeichen älter find als jegliche Schriftzeichen, ift
ebenfalls durchaus zu bejahen. Weshalb folte der alte Menſch, der noch er-
lebend im Kräfteſpiel der Natur ſtand, mühſelig unzählige Buchſtaben anein-
anderreiben, fo lange er durch ein einziges Sinnzeichen die gleichen Vorſtel⸗
lungen in ſeinem Mitmenſchen hervorrufen konnte, wie wir es heute nur
durch lange Sätze zu erreichen vermögen?
Sinnbilder find Zeichen engſter Gott⸗ und Naturverbundenheit der Men-
ſchen, die ſie verwandten. Als der Städter ſchon lange keine Verbindung mehr
zu ihnen hatte, ſtellte ſie ſich der lebensnahe Bauer immer noch im Fachwerk
äere Haufes, in den Pferdeköpfen feiner Giebelbalken uſw. ſinnfällig vor
ugen.
Sinnzeichen waren die Hieroglyphe, das Heilige Zeichen, das nicht etwa
willkürlich gebraucht, ſondern aus kultiſcher Handlung geſtaltet wurde. Noch
in Agypten war Schreiben eine Tempelkunſt, an die fih magiſche Kräfte
knüpften. Und daß es im Nordlande nicht anders war, geht aus dem Stirnir-
liede der Edda hervor. Runen, die richtig geritzt wurden, waren nicht nur
Sinnbild magiſcher Kräfte, ſondern machten dieſe zugleich auch wirkſam.
Wirths „Heilige Arſchrift“ läßt ſich in all ihren Grundzügen durchaus
bejahen. And wenn einzelnes vielleicht noch wird berichtigt werden müſſen,
dann denken wir noch einmal an das Weltbild des Kopernikus, das auch
nicht falſch war, weil ſein Geſtalter die Planetenbahnen als kreisförmig
annahm. Es tat Kopernikus keinen Abbruch, daß erſt Kepler dieſe Bahnen
als elliptiſch erkannte. Ahnlich ſteht es um das Werk von Wirth. Ein glattes
Nein wird es nirgend zulaſſen, eine andere Anſichtsart häufig fogar heraus-
fordern. Hierdurch wird „Die Heilige Arſchrift der Menſchheit“ zu einem
Werke, wie es ſein ſoll. Denn das iſt die Aufgabe jeder geiſtigen Arbeit, daß
ſie die Arteilskraft der Mitmenſchen erregt und zur Eigenarbeit aufruft.
Für jede Eigenarbeit aber wird Wirths Buch von unſchätzbarem Werte
ſein. Eine derartig gewaltige Aberſicht über die Sinnbilder europäiſcher, aſi⸗
atiſcher, amerikaniſcher und afrikaniſcher, beſonders aber nordiſcher Völker hat
es bisher nicht gegeben. Sie wird auch kaum mehr zu überbieten ſein; allenfalls
wird ſie hie und da ergänzt werden können.
Wirth macht dem abendländiſch⸗kirchlichen Dünkel ein Ende, daß heidniſche
Völker, und namentlich die Nordvölker, nur ein roh⸗barbariſches Hordendaſein
- 1012 a G. C. Graf v. d. Goltz
geführt hätten. Volker, aus deren GE jo ſtarke und tiefe Geiſtigkeit
ſpricht, wie Wirth es nachweiſt, haben Kultur! —
Wirth hat eine ungeheure Arbeit geleiſtet. Das kann nur der Menſch, der
aus innerer Berufung ſchafft und den ehrlichen Willen hat, ſeiner Aufgabe
nach beſten Kräften gerecht zu werden. Das allein ſollte jedermann — und
auch den Wiſſenſchaftler — davon abhalten, ſich ihr gegenüber gehäſſig oder
auch nur hochmütig einzuſtellen. Wer der Schau und dem vom Herzen belebten
Denken von Wirth nicht zu folgen vermag, der ſuche zuerſt die Schuld daran
bei ſich und nicht bei Wirth, damit er nicht gegen die Achtung verſtoße, die
Wirths Werk uneingeſchränkt verdient. Denn es iſt aus der Ehrfurcht vor
der Größe einer vergangenen Zeit geſchaffen worden; aus einer Ehrfurcht,
die zugleich ein aufrechtes und mutiges Treuegelöbnis zu der tiefen Weisheit
unſerer geiſtigen und leiblichen Ahnen bedeutet.
Es gibt ſo manchen „Meiſter Klügling, der da in der grimmen Qualität
qualifizieret“, und deſſen „endgültiges“ Wiſſen um keinen Preis mehr über
ſeinen engen Tageshorizont hinaus will. Er ſei vor dieſem Buche gewarnt,
denn es würde ſeinem eingebildeten Wiſſen einen zu ſtarken Stoß verſetzen.
„Die Nacht iſt tief und tiefer als der Tag gedacht. “And Wirths „Mütter⸗
nad iſt noch tiefer.
| 6. €. Graf A gor:
dur Rechtoftellung der engliſchen Bauern im
frühen Mittelalter
Bur Beit der Römer war England von Kelten bewohnt. Es war feit Cafar
römiſche Provinz mit dem Namen Britannia. Die ſpätrömiſche Wirtſchafts⸗
verfaſſung großer Latifundien, die mit einer „Villa“ als Mittelpunkt von
Sklaven betrieben wurden, herrſchte auch in England, als im 5. Jahrhundert
zwei germaniſche Völkerſchaften, die Angeln und die Sachſen, ſich in den
Beſitz des engliſchen Bodens ſetzten.
Es iſt zeitweiſe angenommen worden, daß die Angeln und Sachſen nur die
ao der römiſchen Herren zugleich mit der „Villa“ eingenommen hätten,
d. h. daß ſie als zahlenmäßig geringere Oberſchicht über eine zahlenmäßig
größere Anterſchicht von Sklaven vorwiegend keltiſchen Blutes eine Herrſchaft
ausgeübt hätten.
Die engliſche i iſt jedoch zu der Aberzeugung getom-
men, daß die Angeln und Sachſen ebenfo wie die germaniſchen Wanderungen
auf dem Feſtlande als bäuerliche Siedler das Land in Beſitz genommen
haben. Dieſe neuere Anſicht wird in der engliſchen Literatur als „Teutonic
Theory“ bezeichnet, weil nämlich damit zugleich geſagt iſt, daß die raſſiſche
Herkunft der Engländer überwiegend als germaniſch un nicht als keltiſch
bezeichnet werden muß.
= dé. gë a —
Zur Rechtsstellung der englischen Bauern 1013.
Die Gründe fur den Niedergang des freien Bauerntums der Angeln und
Sachſen und für den Übergang zum ſogenannten Manorial⸗Syſtem (the
Manor = Herrenhaus, Herrſchaft) find ähnlich wie die Gründe für derartige
Entwicklungen auf dem Feſtlande. Insbeſondere aber iſt anſcheinend in Eng⸗
Land ein frühzeitiger Verfall der Sippenverfaſſung eingetreten, die urfprüng- .
Lich den Schutz des einzelnen gewährleiſtete. Da keine ſtaatliche Zentralgewalt
vorhanden war, um dieſen Schutz des einzelnen zu übernehmen, waren die
ſchwächeren Stammesmitglieder darauf angewieſen, Schutz bei einem Lord
zu ſuchen, deſſen Friede verletzt wurde, wenn ſein Mann an Leib, Leben
oder Gut angegriffen wurde. '
Der Lord galt auch vor Gericht als Sicherheit oder Bürge, und es kam ſo
weit, daß ein Mann ohne Lord wie der Bruderloſe zu Homers Zeiten als
außerhalb des Rechts ſtehend angeſehen werden mußte. Es war daher kein
Wunder, daß im Laufe der Zeit der Titel und die Stellung eines Mannes
vom Gericht als vom Lord ausgehend angeſehen wurde. Schließlich wurde
die Gerichtsbarkeit in vielen Fällen vom König auf die Kirche und auf
Magnaten übertragen. Den Anfang dieſer feudalen Rechtfprechung wird man
in dem Beſtreben der Kirche ſehen müſſen, innerhalb ihres großen Seber
Immunitckt vor der weltlichen Rechtſprechung zu genießen.
Ein weiterer Grund für den Niedergang des freien Bauerntums war das
Aufkommen eines kriegeriſchen Adels. Die alte angelſächſiſche Bauernmiliz,
nord” genannt, reichte nicht aus, das Land gegen die zahlreichen Einfälle
der Dänen und ſpäter der Normannen zu ſchützen, und es ſtellte ſich als not-
wendig heraus, daß eine beſondere Klaſſe den Landesſchutz beruflich übernahm.
Es waren nunmehr drei Klaſſen vorhanden: die Krieger, die Kirche und
die Bauern. Die alten Bauernhäuptlinge, die Earls, ſanken in Anſehen und
Macht herab, und der. Berufskrieger, „Thegn“, wurde außer feinen militä- ` EN
riſchen Funktionen bald unc mit Regierungsfunttionen, mit denen größerer
Landbeſitz verbunden war, betraut. Der Anterſchied zwiſchen dem Krieger und
dem Bauern, der den Boden bebaute, iſt der Arſprung der feudalen Entwid- =
lung und der Entwicklung zum Manor in England. |
Die normanniſche Eroberung 1066 ift ein Wendepunkt in der englifchen
Geſchichte⸗ Im Gegenſatz zu den Angeln und Sachſen kamen die Normannen
nicht als bäuerliche Siedler, ſondern als Herren⸗ und Kriegerkaſte. Der er.
oberte Boden wurde neu verteilt, aber nur zu dem Zweck, die auf dem Lande
ſchon beſtehenden Herrſchaften auf Normannen zu übertragen und den letzten
eſt freier bäuerlicher Siedlungen, wo er noch vorhanden war, dadurch zu
zerſtören, daß die Siedlung unter den Schutz eines normanniſchen Lord
geſtellt wurde. Es entſtand der Rechtsgrundſatz: Jeder, der zur unterworfenen
Raſſe gehört und Grund und Boden beſitzt, hat dieſen entweder von einem
Lord als Lehen oder durch Vertrag erworben. Die komplizierten Rechts-
beziehungen aus der ungelſächſiſchen Periode, in der ein Mann unter dem
Schutz des einen Lords, unter der Rechtſprechung eines anderen Lords ſtand
und fein Land von einem Dritten zum Lehen erhielt, wurde erſetzt durch eine
einzige Rechtsbeziehung, die im Boden ihre Grundlage hatte. Der Dienſt
und die Dienſtleiſtung kamen vom Beſitz und waren mit ihm verbunden und
rein perſönliche Rechtsbeziehungen hörten auf.
Durch die normanniſche Eroberung wurde die Manorialherrſchaft zu ihrer |
vollen ö ur Die engliſche nnn kann als ein
1014 G. C. Graf v. d. Goltz
landwirtſchaftliches Gut bezeichnet werden, das im Eigentum eines Lords
ſtand und das durch eine Gemeinſchaft von dem Lord abhängiger Bauern,
„Villeins“ (Vill = Village = Villa), bebaut und bewohnt wurde.
Dieſe Villeins find zahlenmäßig die ſtärkſte Klaſſe des damaligen Eng-
land (ca. 38%). Ohne fie iſt das landwirtſchaftliche Syſtem des Manor
überhaupt nicht denkbar. Wenn daher nachfolgend von ihrer Rechtsabhängig-
keit vom Lord die Rede iſt, ſo iſt zu bemerken, daß der Lord wirtſchaftl ich
ebenſo abhängig von den Villeins war, auf deren Dienſten und Geldrenten
nicht nur ſein perſönliches Einkommen, ſondern die Aufrechterhaltung des
Manor beruhte.
Der perſönliche Stand der Villeins war im Anfang zur Zeit der Angel-
ſachſen noch durchaus frei; die einzige Einſchränkung dieſer Freiheit beſtand
darin, daß fie ihren Boden nicht frei beſaßen (no freehold). Sie konnten
aber vom Rechtsſtandpunkt den Beſitz aufgeben, was allerdings praktiſch
Armut, Elend und Schutzloſigkeit bedeutete. Dieſe gegenſeitige Abhängigkeit
von Lord und Villeins macht die politiſche und wirtſchaftliche Stärke des
Manorialſyſtems aus.
Nach engliſchem Gewohnheitsrecht (custom) hatte der Lord dem Bauern
Grund und Boden zur landwirtſchaftlichen Nutzung zu überlaſſen, während
die Bauern zu landwirtſchaftlichen Dienſten auf dem Privatgut des Lords
(Demesne) verpflichtet waren. Die Demesne war verſchieden groß, gewöhnlich
war ſie jedoch nicht größer als die Hälfte des ganzen Manor.
Der dem einzelnen Villein verbleibende Boden beſtand aus einer Reihe
von Ackerſtreifen, die unter den Ackerſtreifen der übrigen Bauern verſtreut
lagen. Die Größe des Beſitzes ſchwankte zwiſchen 15 und 80 Acres; durch⸗
ſchnittlich betrug fie ca. 30 Acres, d. h. ungefähr 50 Morgen. Dieſer Befig
war vererblich und wurde gewöhnlich als Einheit auf den älteſten Sohn über⸗
tragen. Ferner teilte der Villein mit dem Lord Wiejen-, Weiden- und Od⸗
landrechte. Er beſaß einen Bauernhof, war aber nicht in der Lage, ohne Zu⸗
ſtimmung des Lords weſentliche Veränderungen vorzunehmen, z. B. Bäume
zu fällen oder dergleichen. |
Die Pflichten des Villein dem Lord gegenüber beſtanden aus landwirt⸗
ſchaftlichen Dienſtleiſtungen. Der Villein hatte zwei- bis dreimal in der
Woche, jedoch nicht immer volle Tage, auf dem Gut des Lords landwirt-
ſchaftlich zu arbeiten (weekwork) und zu dieſem Zweck auch ein Paar Ochſen
zur Verfügung zu ſtellen. Ferner hatte er Fuhrdienſte zu leiſten. Dieſe Fuhr⸗
dienſte hielten zum großen Teil den Verkehr der damaligen Zeit aufrecht.
Die Länge dieſer Fuhren war verſchieden; konnte der Bauer jedoch nicht vor
Einbruch der Nacht zurück ſein, ſo hatte der Lord die Koſten der Reiſe zu
bezahlen.
Außer den ſoeben genannten Dienſten hatte der Villein zu beſonderen
Zeiten, vor allem zur Erntezeit, Sonderdienſte (boon-works) zu leiſten. Zur
Entſchädigung der Villeins für Mehrarbeit (love-boon) bei der Ernte wurden
ihnen von den Lords love-meals zur Verfügung geſtellt. Schließlich waren
ſeitens der Villeins Geld und Sachleiſtungen beſonderer Natur zu erlegen,
z. B. „poultry at Xmas, eggs at Easter and grain at Martinmas“. Ferner
hatte er für das Mahlen des Korns in der Mühle des Lords zu zahlen und
für das Weiden ſeines Viehs in den Wäldern. War der Villein reich genug,
Zur Rechtsstellung der englischen Bauern 1015
ſo konnte er zu den Dienſtleiſtungen auch einen ſeiner Arbeiter ſchicken. Nur
zur Erntezeit mußte er ſelbſt und ſeine ganze Familie mitarbeiten.
Aus dem Geſagten geht hervor, daß die Stellung des Villein nicht frei,
aber auch nicht gänzlich unfrei war. Nach dem offiziell herrſchenden römiſchen
Recht freilich war der Villein vollkommen vom Willen des Lords abhängig.
Seine Dienſtleiſtungen waren nicht geſetzlich feſtgelegt, fondern waren einzig
und allein vom Lord zu beftimmen. Er beſaß auch kein Eigentum, ee
alles, was ihm gehörte, gehörte dem Lord. Die Praxis und das Gewohnheits⸗
recht lauteten aber anders. In den Manorialbüchern und Rollen find die
Dienſtleiſtungen der Villeins bis ins einzelne beſtimmt. Ferner iſt der |
Bauer in der Lage, Eigentum zu erwerben und über Eigentum zu verfügen,
ausgenommen den Grund und Boden, der dem Lord gehört. Aus verſchie⸗
denen Kontrakten iſt erſichtlich, daß die Villeins eines Ortes Vereinbarungen
mit dem Lord auf gleicher Baſis geſchloſſen haben. Im Gegenſatz zum römi⸗
ſchen Recht, das zwiſchen Sklaven und abhängigen Bauern keinen Anterſchied
machte, haben auf Grund des engliſchen Gewohnheitsrechts die Bauern das
Recht, vor Gericht gegen Freie und Anfreie auf Schadenerſatz zu klagen.
Dieſes Recht beſtand auch dem Lord gegenüber mit der einzigen Beſchränkung,
daß es kaum praktiſch zur Anwendung kam, da ja der Lord als Vorſitzender
des Gerichts Richter in eigener Sache geweſen wäre. Der Villein war ſchließ⸗
lich im Beſitz von Waffen und war dem Staate ſteuerpflichtig, was ebenfalls
für ſeine perſönliche Freiheit und gegen eine ſklavenartige Stellung ſpricht.
In ſozialer Beziehung unter den Villeins ſtehen die „Cottars“, die ſich
im weſentlichen aus den jüngeren Söhnen der Villeins und aus freigelaſ⸗
ſenen Sklaven, die vom Lord angeſiedelt waren, zuſammenſetzten. Die Cottars
unterſcheiden ſich von den Villeins durch einen weſentlich kleineren Landbeſitz,
der für ihren Lebensunterhalt nicht ausreicht, ſo daß ſie gezwungen ſind, auf
= Demesne des Lords zu arbeiten. Ungefähr 32 % der Bevölkerung find
ttars. i |
Die Sklaven verſchwanden bald nach der normanniſchen Eroberung. Sie
arbeiteten im Haushalt des Lords und auf der Demesne. Ihre Zahl wird für
das Jahr 1086 auf 9% der Bevölkerung geſchätzt. „
ABBiur vollſtändigen Schilderung des Manor feien noch die Manorialbeamten
erwähnt. An der Spitze ſtand der Senechal, der insbeſondere vorhanden war,
wenn ein Lord mehrere Manors beſaß und eine ſchwierige Verwaltung zu
führen war. Der Bailiff (Begellus) vertrat den Lord als Verwalter des
Manor. Der Reeve (Gerefa) vertrat die Intereſſen der Villeins bei der Ver⸗
waltung. Schließlich iſt noch der Hayward zu nennen. Er hatte „früh und
ſpät in Wäldern und Wieſen und auf dem Acker tätig zu ſein und nach dem
Rechten zu ſehen“. | GE
Außerhalb der Manorialwirtſchaft ſtanden die freien Bauern (Free „daß fe
Ihre Rechtslage unterſchied ſich von den Villeins vor allem dadurch, daß ſie
vor dem e Gericht (King's Court) Rechtsſchutz genoſſen. Sie konnten
über ihren Beſitz frei verfügen und ihn frei vererben. Ihre Dienſtleiſtungen
gegenüber dem Lord waren je nach Lage verſchieden und beruhten nicht auf
Gewohnheitsrecht, ſondern auf Vertrag. Nur zur Erntezeit hatten ſie, ebenſo
wie die Villeins, mitzuarbeiten, ſo z. B. hatte ein freier Mann in Derbyſhire
Arbeit für ſechs Erntetage zu leiſten, und zwar hatte er am erſten Tage einen
Mann, am zweiten zwei Leute zu ſtellen, und die übrigen Tage hatte er
Odal Heft 12, Jahrg. 4, Bg. 6 )
1016 G. C. Graf v. d. Goltz
ſelbſt mit feinem ganzen Haushalt mitzuarbeiten. Die meiſten freien Bauern
kamen in den früheren däniſchen Diſtrikten vor und ſtammten von däniſchen
Kriegern ab, die ſich dort angeſiedelt hatten. In dieſen Gegenden betrug der
Prozentſatz der freien Bauern 40—45 %. Im ganzen wurden fie jedoch nur
auf 12% der Bevölkerung geſchätzt.
Es iſt bereits erwähnt worden, daß der Beſitz des Villein aus über das
Er Manor verſtreuten Aderftreifen beſtand. Dieſe eigenartige Wirtſchafts⸗
orm (open field system) beſchränkte ſich nicht nur auf die Villeins, ſondern
auch der Grund und Boden der übrigen Mitglieder des Manor, des Lords
und der freien Bauern, bildeten keine zuſammenhängende Einheit, ſondern
lag ebenſo verſtreut. Der Arſprung dieſer eigenartigen Einrichtung hängt mit
der Entwicklung des landwirtſchaftlichen Syſtems in England zuſammen.
Die Wirtſchaftsform bei wandernden Bauern⸗Trecks war ertenfiv, d. h.
eine ſcharfe Trennung zwiſchen Odland und Ackerland gab es bei ihnen nicht,
ſondern ſie beackerten jeweils einen Teil des Odlandes, in dem ſie ſich befan⸗
den, um dann wieder weiterzuziehen und neuen Ackerboden zu ſuchen. Hierbei
ergab fich, daß das Recht des einzelnen am Grund und Boden kein dauerndes
Eigentumsrecht war, ſondern nur das Recht, bei der jährlichen Verteilung
des Ackerbodens einen entſprechenden Anteil zu erhalten. Bei der Verſchieden⸗
heit der Güte des Bodens wurde dieſer in kleine Einzelſtreifen zerlegt, um
eine gerechte Verteilung zu gewährleiſten. Dieſe Einzelſtreifen waren gewöhn⸗
lich ſo groß, daß ſie mit einem Pflug an einem Tage beackert werden konnten.
Es wird daher auch das open field system auf das gemeinſame Pflügen der
Frühzeit zurückgeführt, indem nämlich jeden Tag ein neuer Ackerſtreifen um-
gepflügt wurde und entſprechend der perſönlichen und Sachleiſtungen der ein⸗
zelnen Mitglieder an diefe verteilt wurde. Hierbei muß beſonders hervor-
gehoben werden, daß dieſe Zeit zwar ein gemeinſames Pflügen kannte, daß
jedoch nach Verteilung des Grund und Bodens die Ernte den Beſitzern der
einzelnen Streifen als Eigentum verblieb. |
Nach Eintritt der Seßhaftigkeit und Ubergang zur intenfiven Landwirt-
ſchaft verwandelte fih das Idealrecht allmählich in ein Realrecht am Grund
und Boden. Während aber der Ackerboden allmählich in das Eigentum des
einzelnen überging, ſind die Wieſen das frühe Mittelalter hindurch jedes
Jahr neu verteilt worden. Noch heute werden die Waſſerwieſen bei Darnton
in der Nähe von Oxford jedes Jahr neu verteilt.
Die Mitglieder des Manor, ob ſie Villeins oder freie Bauern waren,
batten ferner die ſogenannten „Rights of Common“: Weide- und Odland⸗
rechte. Dieſe Rechte waren kein Eigentum, auch nicht Gemeinſchaftseigentum
oder zeitweiſer Beſitz, ſondern gemeinſchaftliche Benutzungsrechte.
Anter dieſen Rights of Common gibt es zunächſt das Common Appendant.
Dieſes Recht war nur mit Eigentum an Ackerland verbunden und bezog ſich
nur auf Weiderechte für Vieh, das zur Kultivierung des Ackerlandes benutzt
wurde, alſo Ochſen und Pferde zum Pflügen, Schafe und Kühe für Dün⸗
gungszwecke.
Das zweite Recht war das Common Opportenent. Auf Grund dieſes
Rechts konnte man eine größere Menge Vieh, oder auch Vieh, das nicht zur
Bodenkultivierung verwandt wurde, z. B. Schweine, Gänſe, Ziegen, weiden
an Dieſes Recht wurde vom Lord verliehen oder durch einen Vertrag
erworben. |
Zur Rechtsstellung der englischen Bauern 1017
Schließlich beftand das Common in Gross. Diefes Recht hatten diejenigen,
die kein Ackerland beſaßen, alſo im weſentlichen wohl die Cottars oder Ma-
norialbeamte. : |
Endlich gab es noch das Right of Common over Woods and Forest, das
Recht für Holz und Wälder. |
Bei der Betrachtung dieſer Rechte ift wieder ein Gegenſatz zwiſchen dem
offiziellen römiſchen Recht und dem tatſächlichen Gewohnheitsrecht zu bemer-
ken. So unterſteht auch der Lord den oben erwähnten Gebräuchen und muß
ſich ihnen fügen, wenn er auch nach römiſchem Recht Eigentümer des Od⸗
lands KSE ift. Die Villeins können zwar, wie ſchon geſchildert, nicht
gegen ihn klagen, wohl aber die freien Bauern. Derartige Klagen hat es im
Verlauf des Mittelalters oft gegeben, insbeſondere dann, wenn der Lord
verſuchte, Teile des Odlands zum Zwecke der Beackerung oder Beſiedlung für
ſich in Anſpruch zu nehmen.
Das Manor beherrſchte das wirtſchaftliche und ſoziale Leben Englands bis
Ende des 14. Jahrhunderts. Seine Nachteile liegen von unſerem Standpunkt
aus vor allem in dem Verſchwinden eines unabhängigen freien Bauerntums,
ferner in den Mängeln einer feudalen Rechtſprechung und ſchließlich in der
Anwirtſchaftlichkeit des open field system mit feinen verſtreut untereinander
liegenden Ackerſtreifen.
Die Vorzüge des Manor werden indeſſen deutlich durch Vergleich mit
dem ihm nachfolgenden Zeitalter eines beginnenden liberaliſtiſchen und indi⸗
vidualiſtiſchen Wirtſchaftsſyſtems, Dieſes hatte feine Arſache in der Entwick⸗
lung des Geldweſens und kam endgültig zum Durchbruch, als die durch den
„ſchwarzen Tod“ (1348) in England entſtandene Entvölkerung die Löhne der
neu auftretenden landfremden Arbeiter um 50% und mehr ſteigerte und das
alte auf Dienſt und Naturalleiſtungen beruhende Manorialſyſtem gewaltſam
erſchüͤtterte.
Das „open field system“ verſchwand, nachdem die Amzäunung des Bodens
enclosure) die Gemeinſchaft zerſtörte und zum Zweck wirtſchaftlichen Fort-
chritts das ſchrankenloſe Eigentum des Individuums proklamierte. Im
Mittelalter ſtanden die Intereſſen der Gemeinſchaft über dem Intereſſe des
einzelnen; auch der Lord war, wie geſchildert, in der unumſchränkten Herr-
ſchaft durch Gebräuche gebunden, die Gewohnheitsrechtscharakter annahmen.
Die Pflichten, die im Mittelalter mit dem Beſitz von Land zwangsläufig
verbunden waren, verloren nunmehr dieſen Zuſammenhang und damit ihren
Sinn. Land wurde wie anderes Eigentum lediglich eine Quelle des Reichtums.
6
das Rrchiv
Frankfurt a. Main.
Valkiſcher Beobachter v. 18. S.: ;
Reichsbauernführer R. Walther
Darré: ... Auch frühere Regierun-
gen verſuchten, die landwirtſchaftliche Erzeugung
im Hinblick auf die Einfuhrerſparnis zu ſtei⸗
gern. Daß ſie ihr Ziel aber nicht erreichen konn⸗
ten, lag an dem aus ihrer liberalen Gin,
ſtellung kommenden falſchen Verhältnis des
Staates zum Bauerntum. Heute können wir
fagen, daß der Nationalſozialismus
hier von richtigen Vorausſetzungen ausgegangen
iſt. Wir konnten es aber nur tun, weil wir uns
davor hüteten, uns in die romantiſchen
Träumereien weltwirtſchaftli cher
Utopien zu verlieren, die ſeit dem
Weltkriege 1914/18 niht mehr in die
harte Welt der Tatſachen hinein ⸗
paſſen.
Volkiſcher WBesbachtet v. 15. 5.:
Leitartikel: Raſſe und *
Zur J. Reichs nährſtandsſchau in Frankfurt a. M
Von Stu AL. E. Wiegand. ... Man kann wohl
die Behauptung aufſtellen, daß es überhaupt erſt⸗
malig der Reichs nährſtand geweſen iſt,
der den kühnen Verſuch unternahm, den
nationalſozialiſtiſchen Forderungen nach Befund-
erhaltung der Raſſe in den Mittelpunkt einer
Wirtſchaftsſchau zu rücken.
. . . In den Mittelpunkt der jetzigen Darſtel⸗
lungen bei den Reichsnährſtandsſchauen ift der
bäuerliche Menſch getreten, ſowie auch im Ge⸗
ſamtrahmen der Nation das Bauerntum am
Ausgangspunkt alles völkiſchen Geſchehens ſteht.
Damit wurde die Wirtſchaft und die Dar⸗
ſtellungen wirtſchaftlicher Vorgänge den großen
Werten des Blutes bewußt untergeordnet
und bekommt dann erſt den rechten Platz. Das
Maſchinendenken wurde abgelöſt von dem Ge⸗
danken an die Ewigkeitswerte des deutſchen Men⸗
ſchen. Dadurch werden die Ausſtellungen des deut⸗
ſchen Bauerntums im Dritten Reich finnfallige
Erläuterungen zu dem Wahlſpruch „Blut und
Boden“. Das, was die Ausſtellung im letzten
bezweckt, iſt, unſerem Volke unzweideutig und
einprägſam zu zeigen, welche Werte des
Blutes im Bauerntum lebendig ſind und welche
Pflichten ſich für die Geſamtheit daraus ergeben
Raſſe und Wirtſchaft werden auf diefe
Weiſe in den rechten Zufammenhang gebracht
und ioe innere Abhängigkeit voneinander aufge
ieigt. f
Traditionelle Kräfte.
Die Deutſche Volkswirtſchaft Nr. 14. Her-
ausgeber: Profeſſor Dr. H. Hunke, g
Die traditionellen Kräfte
. . . Die Deutſchen find bis in die letzte
Zeit, was ihr Unglück war, ein traditio»
nell un revolutionäres Volk geweſen.
Sie find deshalb immer wieder wider ihr beſſeres
Wiſſen viel mehr als andere Völker den alten
Autoritäten und Gewalten, die fe eben
glaubten abgeſchüttelt zu haben, verfallen. Das
warnendſte Beiſpiel hierfür it die Refor-
mation als der größte revolutionäre Verſuch,
den Willen zum Deutſchſein im Glauben, in der
Sprache, in Wort und Schrift, aber auch in der
Nation, und gerade in ihr, wider die Auwtorita-
ten durchzuſetzen und zu erkämpfen. Der Friede
von 1648 zu Osnabrück bedeutete aber zum
Schluß die Zerſplitterung der deutſchen Landkarte
in tanſend Atome und die Auslieferung des Bol-
kes an Lokalautoritäten, deren Spuren wir. über-
all in Deutſchland noch heute begegnen.
Wenn man ſich einmal die Mühe machen
wollte, nachzuweiſen, wie weitgehend in Osna-
brück es materialiſtiſch⸗kapitaliſtiſche
Kräfte geweſen find, die die politiſche Auto-
miſierung des Volkes betrieben, um die Folgen
der fozialen Bewegung der Bauernkriege
nieder ⸗ und ihnen die lokale Macht der Grund-
herren entgegenzuhalten, ſo würde man wohl ein
klareres und logiſcheres Bild der ſozialen Struk⸗
tur Deutſchlands bekommen, von dem ſich bas
wilhelminiſche Deutſchland nur in
den Ausmaßen, aber nicht in der Grundhaltung
unterſchied. Warum wird denn von gewiſſen
Seiten fo gerne vergeſſen gemacht, daß Fried ⸗
rich der Große mit den adligen Grund ⸗
herren, die feine Bauern kujonierten, in nicht
weniger ſchwerer Fehde lag, als Bis mar ck
fpäter mit feinen konſervativen Standesgenoſſen ?
Warum wird denn heute immer noch verſucht,
den Skandal der fogenannten Bau-
ern befreiung nach 1815 mit ihrer Sabo-
Das Archiv
tierung des friderizianiſchen Siedlungswerkes und
der Stein⸗Hardenbergſchen Reformen zu vertu -
ſchen? Einzig und allein darum, weil ſich aus
den Grundherren als den Bauernträgern der
traditionellen. Kräfte in Deutſchland
ſeit je und je, dem im 19. Jahrhundert ent-
wickelten Induſtriereichtum ſamt der mit beiden
auf das „engfte verſippten akademiſchen höheren
Geamtenſchaft ‘in Deutſchland eine Schicht gleich⸗
gerichteter materieller Intereſſen gebildet hat,
die die Flagge bes en hoch
halt
Et geet fiberaus wenig angebracht, wenn die
Reaktion heute fo tut, als ob fie den Libera-
lismus verdamme, da ſie ihn doch in wirtſchaft⸗
licher Hinſicht fo weiblich ausgenutzt hat, wie nie-
mand anders. Darum muß feſtgehalten werden,
daß Reaktion auf der einen und Marxismus
auf der anderen Seite ſich unausweichlich gegen ⸗
ſeitig bedingen und daß deshalb für beide heute
kein Raum mehr ift..
Es wird alſo der 1 gegen die
Bodenſperre für den freien Bauern als der
Kampf gegen die Preisſperre für den
Verbraucher geführt werden müflen..
heute in Deutſchland jeder in den Genuß ſeiner
„Arbeit“ geſetzt werden, und darum erregt es ein
peinliches Mißbehagen, wenn das Spiel mit
VBoörfenkurſen auf der einen Seite, mit ſpekula⸗
tiven Preiserhöhungen auf der anderen Seite
wieder begonnen hat, einem verantwortungsvollen
Spiel, dem wir zu nicht geringen Teilen die
fürchterlichen Ausmaße der Kriſe von 1932 ver⸗
danken
Wenn der lächerliche Verſuch gemacht wie, f
Sie blung
die landwirtſchaftliche
totzuſchweigen, gleichzeitig ſich aber zeigt, daß in⸗
folge der beſſeren Induſtriebeſchäftigung wieder
die Landflucht aus dem Oſten einſetzt, weil
das Volk nicht mehr minderbezahlter Land-
arbeiter ſein „will“, ſo muß daraus eben die
| Folgerung bhundertproientiger
Auffiedlung des Großbeſitzes gezo⸗
gen werden. Wenn ſich zeigt, daß das kapitaliſti⸗
ſche Gewinnſtreben, ſobald die Zeiten beſſer wer⸗
den, eine unverantwortliche Preisgeſtaltung Bet,
borruft, fo wird man für ein Jahr einmal die
Kartelle ganz verbieten müſſen, um
fie auf dem neuen, niedrigeren Preis ſpätet zu
ftabilifieren. Aber es geht nicht, daß man den
alten Trott von Wirtſchaftspolitik einfach
weitermacht, als ob ſeit 1914 gar nichts mehr
geſchehen ware... Dr |
.Es fl
1019
| Die Weligefahr . l `
Volkiſcher Beobachter Mr. 134 v. 13 5. 1946:
Die Weltge fahr "o
Worte an ſchwarze Schafe aus
| dem Vatikan
o ayt Pius XI. wandte ib am Montag
bei einem Empfang ungariſcher Pilger mit ſehr
ſcharfen Worten gegen die kommuniſtiſche Gefahr.
Er führte u. a. aus:
Es ift leider wahr, daß es einen gemein ⸗
famen Feind gibt, der alle und alles
bedroht, der ſelbſt das heiligſte Familien ⸗
leben nicht verſchont. Der Kommunismus
ſucht überall einzudringen, fei es mit Gewalt, fei
es mit Hinterliſt. Viele laſſen ſich täuſchen oder
wollen den Feind nicht ſehen, viele unterſtützen
ihn durch Gleichgültigkeit oder durch ſtillſchwei⸗
gendes Einverſtändnis. Manche gehen fogar ſo⸗
weit, ihn offen zu begünſtigen, und fühlen dabei
gar nicht die Bedrohung durch diejenigen, die den
Ruin der menſchlichen Gefelle :
FGaft auf ihr Programm geſchrieben haben.
Wenn wir in der Welt ſoviel Blindheit gegen-
fiber dieſer großen Gefahr ſehen, müſſen wir uns
in der Verſtändigung nicht nur in der
Religion, ſondern auch in der menſchlichen Ge
ſellſchaft zuſammenfinden.
Morgenpoſt Nr. 116 v. 14. 5.:
Ungariſcher Kampfruf gegen kom⸗
Imuniſtiſche Weltgefahr.
Aufſehenerregende Abgeordneten⸗Erklärung im
Budapeſter Parlament: „Deutſchland heute ein
geſchloſſener Schutzwall gegen die Sowjetgefahr”.
.. Der Vorſitzende der chriſtlich⸗ſozialen Wirt-
ſchaftspartei, Dr. Karl Wolff, . . über die
wachſende Bedrohung Europas durch die bolſche⸗
wiſtiſche Gefahr.. Wenn Adolf Hitler
nicht das Dritte Reich errichtet
hätte, ſtänden die e |
beute am Rhein.
Bei diefen Worten ertönten von den Kopie i
rungsbänken ſtũrmiſche Eljen Rufe 5
Der Chriſtliche Ständeſtaat v. 10. 5. 1936:
Die bolſchewiſtiſche Gefahr i n Frantreid,
Bolfhewismus it das — geordnete
— Reich des Teufels auf Erden,
das mit verſchiedenattigen biesfeitigen Glück⸗
ſeligkeitsverſprechungen, im Namen irgendeines
kollektiven Ideals, die einzelne Seele knechtet
und vergewaltigt und den Menſchen in allen
feinen Lebensbereichen entmenſcht.
1020
Das ift ja gerade das Diaboliſche am
Bolſchewismus, wie er ſich zu maskieren
verſteht
Vor drei Jahren ſagte ein Geiſtlicher, der die |
Zeitgeſchichte mit befonders klarem, vor-
ausſchauendem Blick zu ſehen pflegt: „In ſpäte⸗
ſtens fünf Jahren haben Sie in Frankreich den
Bolſchewismus.“ Heute aber ſieht man das Ge-
ſpenſt {hon mit Rieſenſchritten ankommen. Nicht
nur, daß von Spanien her noch ein weiterer
Anſteckungs ⸗ und Zerſetzungsherd an den Volks⸗
körper heranrückt, deſſen Wirken von Moskauer
Gelder unkerhalten wird
Jeder Schritt, den Lauheit, Ichſucht, Unacht⸗
ſamkeit, Trägheit, Genußgier im Reiche der
wahren Werte und der wahren Ordnung aufgibt,
wird ſofort vom Feinde beſetzt. Der Widergeiſt
nimmt den achtlos preisgegebenen Raum ſo un⸗
fehlbar ein, wie eine nachquillende
Flüſſigkeit, jener dämoniſche Feind, der
ſchon drinnen iſt, bevor man es noch recht ahnt.
Zap muß man die finnvolle Konſequenz fürch⸗
ten, daß der Totentanz, den die Völker
Europas ſeit langer Zeit führen und der in ſeiner
letzten politiſchen Form und Phaſe von Frankreich
ausgeht, zwangsmäßig dorthin zurückkehren muß.
Denn ſchließlich iſt der Bolſchewismus nichts an⸗
deres, als die radikalſte Konfequenz
ber franzöſiſchen Revolution.
.. . Wer noch kämpfen will, hole feine Sachen
zuſammen und rücke an ſeinen Nachbar und bleibe
wach. Und es wird gut ſein, wenn man aufge⸗
wacht iſt und das Grauen ſieht mit offenen
Augen
Agrarpolitił
draußen und drinnen.
USSR.
Le Progres, Agricole de TOneft, Rennes, vom
10. 5. 1936:
Wir bringen einige Auszüge aus einer Bro-
ſchüre von Pierre Neſterof f, der in Paris
und Moskau das Studium der Rechte abgeſchloſ⸗
ſen hat:
Indem fle die individuellen Höfe beſeitigten,
glaubten die Führer Moskaus folgende
Vorteile zu haben: |
1. die Beſeitigung der individuellen Höfe
folte die landwirtſchaftliche Produk ⸗
tion vermehren;
2. die Bewirtſchaftung in der Form großer
Unternehmungen ſollte ein Sinken der
Preiſe veranlaſſen; .
3. die Beſeitigung der individuellen Bauern
ſollte den Prozeß der Proletarifie-
Das Archiv
rung der Bevölkerung, ben die Anhänger
von Karl Marx für unumgänglich hielten,
beſchleunigen.
. . . So find auch der Bauernſtand und die
Arbeiterklaſſe in dem Wirrwarr nicht verſchont
geblieben
Frankreich
Wochenbericht für Wirtſchaft und Kultur
Nr. 19 v. 8. 5. 1936:
Wir veröffentlichen einige kurze Vergleichs
zahlen, die für ſich ſprechen, wenn man bedenkt,
taf der Flächeninhalt Frankreichs grö ⸗
ßer iſt als der Deutſchlands.
Deutſchland Frankreich
Landwirtſchaftliche
Nutzfläche 30 Mill. ha rd. 385 Mill. ha
Ackerland Eh 205 „ „ ip oes
Forſtl. gen.
Fläche rd. 12,6 p „ nOn „
Folgende Zahlen der landwirtſchaftlichen Sta⸗
tiſtik ſind beſonders lehrreich:
Deutſchland Frankreich
Geſamtertrag
a. Getreide o. Mais 22,0 Mill. 98 Mill.
Rinderſtapel 198 „ 15,0 „
Schweineſtapel 230 „ 70 „
Schafſtapel 40 „ 9, „
Intereſſant iſt auch folgende Erwägung: Eine
Landbevölkerung von 18 Millio.
nen ernährt in Frankreich auf beſſerem
Boden und unter beſſerem Klima 23 Millionen
Städter, während in Deutſchland. eine
Landbevölkerung von 18 Millionen etwa
48 Millionen Städter ernährt. Dieſe Zahlen
bilden eine hübſche Illuſtration zu der am deut⸗
ſchen Rundfunk häufig propagierten ehemaligen
Mär demokratiſch⸗ſozialiſtiſcher Kreiſe, Deutſch⸗
land fei ein Land mit einer „leider ſtark zurück⸗
gebliebenen“ Landwirtſchaft.
Polen
B. Tagebl. Nr. 223 v. 12. 5.:
Polens Landwirtſchaft. Eindrücke
von einer Reife in Pommerellen. Von Bruno
Saekel. ... Selb in dem — verhältnismäßig
— reichen Poſen konnten nur 28 Prozent
der Landbevölkerung mehr als 70 Groſchen
täglich ausgeben... Siebzig Sroſchen find
umgerechnet nicht einmal ganz 35 Dien,
nig, jedoch eine ſolche Umwertung hätte nur
dann wirklich Sinn, wenn die Kaufkraft des
Geldes der valutariſchen Relation entſprechen
Das Archiv
würde... Wieviel ſchlechter der pol-
niſche als der deutſche Bauer beim
Verkauf ſeiner Erzeugniſſe geſtellt iſt, zeigt auch
ſchon die primitive Gegenüberſtellung von Zloty⸗
und Markpreiſen:
Richtpr. Zl. je 100 kg RM. fe 100 kg
Roggen . Lëils 17,10
Weizen 22% 20,70
Selbe Lupinen . 12,25 30,00
Geradela . 25,00 46,00
Sojaforet . . . 21,50 15,50
. . . Sieht bei Roggen und Weizen, wohl dank
der Erportprämien, der Vergleich noch verhält⸗
nismäßig günſtig für den polniſchen Bauern aus,
ſo iſt er bei allen anderen Produkten um ſo
niederſchlagender. Den beſtenfalls gleichen Zloty⸗
preifen für die eigentlichen bäuerlichen Erzeug⸗
niſſe ſtehen weſentlich höhere der induſtriell be⸗
arbeiteten Futtermittel (Leinkuchen, Sojaſchrot)
gegenüber
. . . Für eine landwirtſchaftliche Maſchine,
die in Deutſchland 1000 RM. koſtet, muß ein
deutſcher Bauer höchſtenfalls — die niedrigſte
Preisſtufe genommen — 124 Btr. Roggen
aufwenden. 1000 RM. find hingegen für den
polnif@en Bauern mit 2200 Zloty nicht
weniger als 275 Ztr. Roggen
. . . Ein Blick auf unſere Preisaufſtellung
zeigt, wie ſehr dem polniſchen Bauern geholfen
würde, könnte er nur etwas den deutſchen Prei-
ſen näherkommen. Er wäre ſehr zufrieden, würde
er für ſeine Butter vielleicht 1,60 Zloty (für
500 Gramm) erzielen, anftatt 1,10 Zloty heute
— frei Markt! — oder 50 ftatt 40 Zloty je
Ztr. für ſeine Schweine
Deutſchlaud
Le Petit Parifien v. 4. 5.:
Die landwirtſchaftliche Organi-
ſation des Dritten Reiches. ... Stel-
len Sie ſich vor, daß man in Frankreich eines
Tages mit Gewalt tut, was die „Confederation
Nationale des Aſſociations Agricoles“ nach dem
Kriege vergeblich durch Überzeugung zu erreichen
geſucht hat: Ordnung in die Beziehungen der
landwirtſchaftlichen Verbände zu bringen; zu ver⸗
hindern, daß große Gebiete ohne Kooporation
1021
find, während in einem Dorfe zwei verſchiedene,
die an denſelben Aufgaben arbeiten, Mitarbei-
ter haben; unnötige Verſchwendung und Mif-
helligkeiten zu vermeiden. Stellen Sie ſich
weiter vor, denn wir ſind unter einem tota⸗
litären Regime: man hebt mit einem Schlage
alle Syndikate, alle links oder rechts eingeſtell⸗
ten landwirtſchaftlichen Verbände auf, und von
dieſem ſogenannten techniſchen Neuaufbau iſt
man zu einer viel diskutableren politiſchen Re⸗
form geſchritten, man erſetzt fie durch 40 000
Ortsgruppen. Das hat ſich in Deutſch⸗
land vollzogen ... Zwiſchen den klein⸗
ſten Fuchsſchwänzen und dem Reichsbauernführer
— der der Landwirtſchaftsminiſter Darré it —
eine ganze Hierarchie von Orts- und Kreisführern
— aufgerichtet, die entweder der Partei ange⸗
gliedert waren oder mit ihr ſympathiſierten. Dieſe
„Unterführer“ hätten Rechtsanwälte oder von
den Städten abgeordnete Beamte fein konnen.
Die, die ich auf einer Rundfahrt durch Südoſt⸗
deutſchland kennengelernt habe, waren im
Gegenteil ihrer phyſiſchen Erſcheinung nach
derbe Bauern. Wenn die Politik der Re-
gierung auf dem flachen Lande in Deutſchland
verteidigt wird, ſo ſcheint ſie dort wenigſtens nicht
vom Bürokraten verteidigt zu werden. Hier
können wir einen poſitiven Punkt
für Deutſchland verzeichnen.
. . . Die Regierung ſtellt die Stabilität ber
Preife mit Stolz den Schwankungen der äuße-
ren Kurſe, die in der „Hölle der Handelsbörſen“
ſtecken, entgegen
Pariſer Tageblatt v. 21. 4.:
.. . Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß
die Nationalſozialiſten aus der Vergangenheit
und aus der erſten Zeit ihrer Regierung gelernt
haben. |
. . . als Kriegswirtfhaftsorgani.
ſation werden alle dieſe Vereinigungen und
Organe des Reichsnährſtandes erheblich
wirkſamer fein, als die deutſche Zwangs⸗
wirtſchaft während des Weltkrieges
war. Ende 1917 beſtanden 39 Kriegsgeſellſchaf⸗
ten, die dem Kriegsernährungsamt in Berlin
unterſtanden. In einem künftigen Kriege würde
das ſicherlich anders fein...
neues Schriſttum
Alfred Thoß: „Heinrich I.“ (919-936)
Blut und Boden Verlag G. m. b. H.,
Goslar 1936. Preis: geb. 1.50 RM.
„Wir glauben nicht, daß es ſo ſehr darauf an⸗
kommt, was die Menſchen erleben, ſondern viel-
mehr darauf, wie fie es erleben. Dieſe Anſicht
iſt von unbedingter Gültigkeit. Und wenn Men⸗
ſchen irgendwo und irgendwann feindſelig aufein-
andergeprallt find, dann war die Urſache ihrer
Kämpfe nie die Wahrheit, ſondern nur die ver⸗
ſchiedene Art, wie die Gegner ſich die Wahrheit
vorſtellten. Im Dreißigjährigen Kriege ging es
keiner der Parteien um Gott, aber jeder Partei
war „ihr“ Gott ebenſo Antrieb zu Heldenmut
und Tod wie zu Mord und Brand.
Wenn der Verfaſſer obigen Satz im Vorwort
ſeiner Geſchichte über Heinrich I. voranſetzt, hat
‚er recht. — Jeder Menſch ift in die Gemeinſchaft
ſeines Volkes gebettet. Er wird in deſſen Erleb⸗
nis und Vorſtellungswelt groß und beurteilt da⸗
ber Welt und Leben in erſter Linie aus feiner
Verbundenheit mit der Volksſeele und dem
Volksgeiſte. W
Wollte man einen folgen Menſchen kühl und
„objektiv“ nur nach den äußeren Ereigniſſen fei-
nes Daſeins beurteilen, dann würde man einen
kauſal wahrſcheinlich ſehr richtigen Tatbeſtand zu⸗
ſammenſtellen können, die Unwägbarkeiten ſeines
Menſchenlebens aber blindlings außer acht laſſen
müflen. 8
Auf dieſe Unwägbarkeiten des Lebens aber
kommt es allein an. |
Thoß fugt dieſen Kräften im Leben Heinrich I.
dadurch näherzukommen und gerecht zu werden,
daß er ſich dieſem König, den er als Träger
beſten niederdeutſchen Blutes nachweiſt, als An⸗
gehöriger gleicher Raſſe und gleicher Art nähert.
Wo der Hiſtoriker nur regiſtriert, fucht Thoß die
Sprache des Blutes und der Volksgemeinſchaft
ſprechen zu laſſen. Als Ich eines Volkes naht er
ſich einem anderen Ich des gleichen Volkes und
kennzeichnet auf dieſe Weiſe nicht nur den König
durch das Volk, ſondern auch das Volk durch den
König. g : ä
Derart kommt Thoß zu einer Betrachtungsart,
die zahlreiche Parallelen zur Gegenwart zieht und
damit den eigentlichen Sinn jeglicher Geſchichts '
ſchreibung erfüllt: nicht ein zeitfernes Geſchehen
zu ſchildern, ſondern die gewiſſermaßen zeitloſe
Bedeutung der Perſönlichkeit herauszuſtellen. Ob
ſpätere Deutſchland bildet.
gebracht werden.
die Perſönlichkeit damals Heinrich I. oder ſpäter
Friedrich der Große oder heute Adolf, Hitler
heißt, wird dann nebenſächlich. Die Hauptſache
bleibt, daß zu gewiſſen großen Wendezeiten —
die meiſtens Notzeiten find — aus den Bluts⸗
kräften des Volkes eine Perſönlichkeit erſteht, in
der ſich eben diefe Kräfte des Volkes zu e i nem
gewaltigen Willen zuſammenballen, die dann dem
ſtockenden Fluſſe der Entwicklung zu neuer Ent-
faltung verhilft. =
Thoß begnügt ſich daher auch nicht damit, ein
bloßes Bild des Königs zu entwerfen, er läßt
ihn vielmehr aus dem tiefen und dunkeln Hinter-
grunde hervortreten, den das Frankenreich für das
Karten, Abbildungen und umfangreiches Quel-
lenmaterial vervollſtändigen die Darſtellungen des
Verfaſſers und ergänzen das Bild, in dem er
uns die landſchaftliche und ſtammesmäßige Glie-
derung des damaligen Oſtfrankens nochmals vor
Augen ſtellt. | 1
Genau tauſend Jahre wechſelvollſter Geſchichte
ſind ſeit dem Tode Heinrich I. verfloffen; aber
gleich geblieben ſind ſich die Widerſacher des
Reiches und die Lebensfragen des Volkes. Sleich
gebljehen aber find ſich auch — und das ift die
Hauptſache —: der Lebenswille des Volkes und
die Kraft ſeiner Führung. Dat einzige, was ſich
inzwiſchen hierbei ‚geändert hat, ift das Verhält ·
nis zur Lebensgrundlage, zum Blut und zum Bo⸗
den. Was Heinrich I. und ſeinem Volke eine
ſelbſtverſtändliche und gottgegebene Größe war,
das mußte von der heutigen Führung dem heuti⸗
gen Volke erſt wieder als ſolche zum Bewußtſein
H
`
So umſchließt dieſes Werk über Heinrich. I.
Vergangenheit und Gegenwart des deutſchen
Volkes, damit aus ihnen eine wahre und edle
Zukunft für das gleiche Volk und von dem glei⸗
chen Volke erſtrebt und errungen werden moge.
Guſtav Frenſſen: „Der Glaube der Nordenark.“
Verlag: Karl Gutbrod, Stuttgart 1936.
Noch einmal ſpricht ein abgeſtorbenes Zeit⸗
alter zu uns. Der ehemalige liberale Paſtor
Frenſſen bedient fid) ſeines wohlverdienten Rufes
als Schriftſteller, um der Welt feinen Stand-
punkt zum Chriſtentum bekanntzugeben. Iſt dieſer
Standpunkt ſo wichtig, daß er mitgeteilt zu wer⸗
den braucht? — Wohl kaum. Denn Frenſſen iſt
Neues SES
Bé in dieſer Frage wohl ebenfo unklar wie die
Uberſchrift feines Buches.
Der Glaube der Mordmark.“ — Iſt Frenſſen
Seopolitiker geworden? Oder iſt er in ſeinem
Denken ſo oberflächlich und in ſeinem Vorſtellen
-fo unſcharf, daß er die Sinnloſigkeit dieſer Be⸗
ſchriftung nicht gemerkt hat? — Weder die
Nordmark noch irgendein Raum haben einen
Glauben, ſondern die Menſchen, die in ihm leben.
Man ſuche keine Pedanterie hinter dieſen Ein⸗
wänden. Gerade berartige Gedankenlofigkeiten
verraten mehr als ganze Bücher, wenn man ſich
erſt einmal daran gewöhnt hat, ſie zu beachten.
Frenſſen ſagt von Ré: „Ich war eine gläubige
und hitzige Natur; ich wollte in andere Herzen
werfen, was in mir lebte.“ Er bediente ſich dazu
der Kirche, die „ſchon verfallen, ſchon ohne eigene
Kraft ... ja, ohne Willen“ war. „Sie ließ mich
und viele andere Geiſtliche fromm ſein und un⸗
ſere Frömmigkeit darbieten.“
Hitler und die Männer um ihn wollten e
in andere Herzen werfen, was in ihnen lebte,
waren ebenfalls auf ihre Weiſe fromm und be⸗
dienten ſich ebenfalls eines Syſtems — des par-
lamentariſchen nämlich —, das ohne Kraft und
ohne Willen war. Aber mit welchem Unterſchied!
Frenſſen legte die Hände wohlgefällig in den
Schoß und ließ den Karren ruhig weiter ver⸗
faden, die anderen griffen zu und gaben dem be⸗
reits verrotteten Staat neues Leben. Weshalb?
Frenſſen ſchreibt: „Das Weltbild änderte ſich
und mit ihm die Menſchen.“ Iſt in feiner Über-
ſchrift der Raum das Urſächliche, ſo iſt es hier
das Weltbild. In beiden Fällen bleibt der
Menſch nur ein bedeutungsloſes Anhängſel.
Auf dem vorigen Reichsparteitag ertönte der
Satz: „Uber allem der Menſch.“ In der Gegen⸗
ſätzlichkeit dieſer beiden Sätze offenbart fi,
warum der eine heute noch prieftern muß, wäh⸗
rend der andere den Erfolg für ſich gehabt hat
und hat. Er zeigt ferner, daß derartig ichbezogene
Betrachtungen, wie dieſes Buch von Frenſſen fle
im übrigen enthält, für die Gegenwart nichts
mehr zu bedeuten haben. Sie find höchſtens als
Beiſpiel für die Verſchwommenheit und Halt-
loſigkeit des Vorkriegsgeſchlechts beachtlich. Daß
Frenffen das Chriſtentum verneint, ſpielt hierbei
keine Rolle, denn ſeine Verneinung fällt nicht
ins Gewicht. Dazu iſt ſie zu verſchwommen. In
dieſer Hinſicht halte man ſich lieber an Nietzſche,
Haus defen Verneinung die Rebellion ſpricht, die
immer da ſein muß, wo abgelebte Formen und
Gedanken überwunden werden ſollen. Nietzſche
könnte uns helfen, indem er uns aufrüttelt;
1023
Frenſſen nicht, denn er würde uns höchſtens ein-
ſchläfern.
Frenſſens Bedeutung als Verfaſſer von
„Möven und Mäufe” (1928 b. Grote erſch.) ift
in dieſer Zeitſchrift wiederholt gewürdigt wor-
den. Bietet er darin der Gegenwart die Mög-
lichkeit, an ſeine treffenden Gedanken über Raſſe
und Vererbung anzuknüpfen, ſo fehlt ſeinem
„Glauben der Nordmark“ diefe Verbindungs⸗
möglichkeit durchaus. Glaubensfragen bedingen
L bei aller Selaſſenheit gegenüber Anders-
gläubigen — eine kämpferiſche Grundhaltung.
Dieſe jedoch fehlt ihm. |
Johann von Leers: „Seſchichte des Deut:
ſchen Banuernrechts und des Deutſchen Bauern⸗
tums“. Verlag W. Kohlhammer, Abt. Schaef⸗
fer, Leipzig 1936. Heft 32/1. Neugeſtaltung von
Recht und Wirtſchaft. Preis: RM. 1.50.
Es gibt gute und ſchlechte Eſelsbrücken. Leicht
it es, fie anzuwenden. Dagegen ift es aufer.
ordentlich ſchwer, eine wirklich gute Efelsbrücke
zu verfaſſen. Es erfordert nicht nur ein lücken⸗
lofes Wiſſen, ſondern auch einen ſicheren Blick
für das eigentlich Bedeutungsvolle und eine ge⸗
ſchickte Anordnung der Einzelheiten. —
Leers hat beſtimmt keine Eſelsbrücke ſchaffen
wollen, als er dies Buch ſchrieb. Wenn wir es
trotzdem mit einer ſolchen vergleichen, dann nur,
um damit am eindeutigſten zum Ausdruck zu
bringen, in welch vorzüglicher Art es dem Ver⸗
faſſer gelungen ift, uns eine Überſicht über die
Entwicklung des deutſchen Bauernrechts zu ge⸗
ben. Als Grundlage für weiteres Studium, als
Nachſchlagewerk zu grundſätzlichen Fragen ift
dieſe Arbeit von Leers' gleich unübertrefflich.
Dr H. Merkel und Dr. O. Wöhrmann:
„Deutſches Bauernrecht.“ Verlag W. Kopi-
hammer, Abt. Schaeffer, Leipzig 1936. Heft
32/2. Neugeſtaltung von Regt und Wirtſchaft.
Preis: RM. 2.80.
Wo Leers mit ſeiner Darſtellung des Bauern⸗
rechts aufhört, knüpfen Merkel und Wöhrmann
an. Ließ Leers gleichſam einen Film vor uns ab⸗
rollen, fo ftellen. diefe beiden Verfaſſer uns den
gegenwärtigen Stand des Bauernrechts als gro-
ßes Bild feſt vor Augen. In ihm find all die
Errungenſchaften dargeſtellt, die durch die natio⸗
nalſozialiſtiſche Standes⸗ und Marktordnung, ſo⸗
wie durch die Einrichtung des Erbhofes erreicht
worden find. Die Schilderungen find allgemein
verſtändlich und machen das Buch auch dem Laien
zugänglich, der — namentlich als Bauer —
bündigen Aufſchluß über alle Fragen erhält, die
ihn rechtlich berühren können.
1024
B. von Vollmann⸗Leander: „Soldaten oder
Militärs?“ Verlag: J. F. Lehmann, München
1935. Preis: geh. J, — RM.; geb. 4,— RM.
Im letzten Kriegsjahre kam es zwiſchen zwei
jungen Offizieren zu folgender Wechſelrede:
„Man tut, was man muß“, ſagte der eine;
„Sie irren — man tut, was man kann“, der
andere. Wer von dieſen beiden der Militar und
wer der Soldat geweſen iſt, unterliegt keinem
Zweifel. Der Soldat errang den Schlachtenſleg:
der Militär verlor den Krieg. Gewöhnt an das
Kommandiertwerden, ließ er in der Heimat den
Marxismus gewähren, weil er keinen Befehl
„von oben“ bekommen hatte, gegen deſſen Um-
triebe mit der Waffe vorzugehen. Handelte der
Soldat nach den Erforderniſſen der Stunde,
dann kommandierte der Militär nach feinen vor-
gefaßten Operationsplänen. Der ſtarre Graben-
krieg war militäriſch, der bewegliche ſoldatiſche
Kampfweiſe.
Es gab prächtige Seſtalten unter den Mili⸗
tärs. Es war ihr Verhängnis, daß ſie nicht er⸗
kannten, daß ihre Zeit abgelaufen war. Die
Zukunft gehörte dem Soldaten, der als Unter-
gebener zwar meiſtens unbequem, als Kämpfer
aber von unbeugſamem Willen und unbedingter
Zuverläſſigkeit war.
Dwinger, deſſen „Letzte Reiter“ Solda⸗
ten waren, ſchildert unter ihnen auch einen letzten
Militär, in der Perſon des Offiziers mit dem
weißen Stehkragenrande über dem Kragen des
Waffenrockes. —
Zöberlein, deffen „Glaube an Deutſch⸗
land“ die bisher befte Kriegsſchilderung über-
haupt ift, — denn fie ift eine ſoldatiſche Dar-
ſtellung des Krieges — ſtellte dieſen Zwieſpalt
im Heere, wenn auch nicht betont, ſo doch in vie⸗
len Einzelheiten heraus. |
Was in diefen Werken künſtleriſch geſtaltet
iſt, das ſetzt Volkmann⸗Leander begrifflich aus⸗
einander. Er beſchränkt ſich dabei ganz auf dies
fen Zwieſpalt zwiſchen Soldaten und Militär.
Doch nur der wird das Buch richtig werten, der
dieſen Gegenſatz allgemein auf die Menſchen er⸗
weitert, die aus eigener Verantwortlichkeit das
Richtige zu tun bemüht find und denen, die gegen
ihre beſſere Anſicht etwas tun oder laſſen, weil
es ihnen anbefohlen worden tft.
Der höchſte Befehl kann immer nur das all⸗
gemeine Ziel beſtimmen, das erreicht werden ſoll.
Er muß ſich hierbei darauf verlaſſen, daß jeder
einzelne innerhalb der geſteckten Grenzen das
Beſte tut, was er zu leiſten vermag. Auf diefe
Neues Schrifttum
Weiſe wurde Douaumont erobert, auf die andere
Art die Marneſchlacht verloren. Auf dieſe Weiſe
errang 1933 der Nationalſozialismus ſeinen
Sieg, und auf dieſe Art wird er auch die Er⸗
zeugungsſchlacht gewinnen.
Im Hinblick hierauf gilt die Frage „Solda⸗
ten oder Militärs“ auch für den Bauern, und
gerade für den Bauern, den das Erbhofgeſetz in
die beneidenswerte Lage gebracht hat, wirklich
nur aus perſönlicher Freiheit und aus eigenſtem
Verantwortungsbewußtſein gegenüber dem
Volksganzen handeln zu können. Sollte der Be⸗
amte das auch einmal lernen, dann wäre ſogar
der Bürokratismus überwindbar. Darum ſollte
das Buch von Volkmann⸗Leander von jedermann
geleſen werden.
Hanns Zifher: „Aberglaube oder Belle
weisheit!“ Verlag Dr. Hermann Eſchenhagen,
Breslau (1935). Preis: geb. 6,80 RM. e
Der Verfaſſer hat eine ſtarke Gabe, ſich in
den Sinn der alten Bauernregeln und der damit
zuſammenhängenden Volksbräuche einzufühlen.
Er verſteht es, dieſe auf eine Art mit dem Le⸗
ben in Verbindung zu bringen, daß auch dem
„aufgeklärteſten“ Städter das überlegene Lächeln
vergehen muß, mit dem er den „Aberglauben“
des Bauern abzutun pflegt. Dies muß Fiſcher
uneingeſchränkt als Verdienſt zuerkannt werden.
Wenn er dagegen die gefundenen Zuſammen⸗
hänge aus der Welteistheorie von Hanns Dër,
biger zu „erklären“ ſucht, dann verdirbt er
Ré und dem Lefer das Weſentliche. Hörbigers
Theorie it Materialismus ſtärkſter Art. Mate-
rialismus „erklärt“ zwar alles, nur das Leben
nicht. Dem Leben kann er nicht gerecht werden,
denn es iſt mehr als nur ein Mechanismus.
Fiſcher verbaut ſich durch Hörbiger ſelbſt den
Weg. Er kommt zwar aus dem Aberglauben
heraus, aber nicht in die Wahrheit, ſondern nur
in die Halbwahrheiten hinein. — Immerhin:
einen Schritt vorwärts hat er getan. Sein Buch
iſt leſenswert und verdient es, gekauft zu werden.
Joſeyh Hogrebe: „Himmels kunde bei den
Germanen.” Verlag Otto Salle, Frankfurt
a. M. und Berlin 1936. Preis: geb. 2,10 RM.
Eine kleine Schrift, die ſich im weſentlichen
darauf beſchränkt, die hauptſächlichſten Geſichts⸗
punkte auszuführen, die als Nachweis für die
tatſächliche Kenntnis der Sternkunde bei den
alten germaniſchen Völkern ſprechen. Was
Reuter in ſeiner „Germaniſchen Himmels⸗
kunde“ eingehend und umfangreich ausführt, iſt
hier kurz zuſammengefaßt worden.
Neues Schrifttum
1. Seſchichte
Siebenter vorläufiger Bericht über die
von der Deutſchen Forſchungsgemeinſchaft in
Uruk⸗Warka unternommenen Ausgrabungen.
von Dr. Arnold Möldele [u ol Mit 40
Taf. — Berlin: Akad. d. Wiſſenſchaften;
de Gruyter in Komm. 1936. 57 S. 40. Aus:
Abhdlin d. Preuß. Alab. d. Wiſſenſchaften.
Phil.-hiſt. Kl. 1935, Nr. 4. un 24.—
Breyſig, Kurt, Univ.⸗Prof.: Die Meiſter
der entwickelten Seſchichtsforſchung. — Breslau:
M. & H. Marcus [ Komm.: Fernau, Leipzig!
1936. XIX, 267 S. °, 10.—.
Brion, Marcel: Theoderich, König der
Oſtgoten (Théodoric, roi des Ostrogoths
[dt.]. Aus d. Franz. überf. von Fritz Büch
ner). — Frankfurt a. M.: Soc ietats-⸗ Verl.
1936. 356 S., mehr. Bl. Abb., 2 Kt. S. 80.
Lw. 6.80.
Buſchan, Seorg: Altgermaniſche Überlie-
ferungen in Kult und Brauchtum der Deutſchen.
Mit 21 Abb. auf 16 Taf. — München: J. F.
Lehmanns Verl. (1936). 257 S. Gr.-8°, 6.60;
Lw. 7.80.
Eicke, Hermann, Dr: Germaniſches Volk
im Kampf. — Leipzig: Quelle & Meyer [1936].
17 S. 8°, — 20
Faden, Eberhard Dr: Der Weltfriede
gegen das deutſche Volk. Hirts Deutſche Samm-
lung Bd 8, Beſtell⸗Mr. 8704. Ferd. Hirt,
Breslau. 144 S., 42 Abb. Geb. 1.40; broſch.
1.—.
Gellert, Wilhelm: Wo kämpften die
Cberusker mit den mern? Oſtlich der
Weſer. — Chemnitz: Böhm 1936. 31 S. Kl.
8°, —.30.
Haller, Johannes: Die Epochen der deut⸗
ſchen Geſchichte. Meue erw. Bearb. (35. — 39,
Tſd.) — Stuttgart: Cotta 1936, XII, 395 S.
8. 4. —; Lw. 6.50. ,
Jahn, Friedrich Ludwig: Deutſches Volts.
tum. Mit e. Vorw. von Prof. De Gerhard
Fricke. — Leipzig: Reclam (1935). 262 S.
Kl. 8e — Reclams Univerſal⸗Bibliothek. Nr
2638 / 2640. 1.05; Lw. 1.45.
Lemde, Heinrich, Dr: Germaniſche Dichter
und ihr Werk. — Leipzig: Quelle & Meyer
[1936]. 79 S. 8° — Die Welt d. Germanen. 8.
1.—
Naumann, Hans, Dr, Univ.-Prof.:
Deutſche Volkskunde in Grundzügen. — Leipzig:
uele & Meyer 1935. 154 S. mit Fig. Kl. 8e.
Q
Lw. 2.—.
1025
Gehl, Walter, Der deutſche Aufbruch.
Hirts deutſche Sammlung, Bd 9. Beſtell⸗Mr.
8801. Verlag Ferd. Hirt, Breslau, 158 S.,
82 Abb. Pr. geb. 1.60; broſch. 1.20.
Radig, Werner, Dr: Die germaniſchen
Stämme im erſten Jahrhundert nach Chriſti Ge⸗
burt. 1: 800 O00. — Leipzig: Klaſing; Lang
[1936]. 154X111 cm [Farbendr.] Auf Lw. mit
Stäben un 30.—.
Rieck, Friedrich: Johann Friedrich Schütze
und die Volkskunde. Ein Beitr. zur Geſchichte
d. niederdt. Volkskunde d. ausgehenden 18. Ih.
— Hamburg 1934 [Ausg. 1936]. 67 S. Gr.-8°,
Hamburg, Ppil. Diff.
Schulz, Karl: Der Tod im germaniſchen
Erleben. — Breslau: Volksdeutſcher Verl. G.
Nickiſch 1936. 43 S. mit Abb. 8°, —.75. i
Sieber, Adolf: Das heutige Oberamt Be-
ſigheim in den Zeiten des J0jährigen Krieges. —
Tübingen 1935: Becht. 100 S. 8°, Tübingen,
Phil. Diff. v. 1933,
Smets, Paul: Kiedrich im Rheingau.
Seine Seſchichte u. Kunſtſchätze aus Gotik u.
Barock. (Feſtſchr. zur 1000. Jahrfeier 1936.)
Mit 4 Lichtbildern nach Aufn. d. Verf. —
Mainz: Mpeingold-Berl. (1936). 31 S. Er...
1.—.
2. Beröllerungs- und aſſenyolitit
Dendler, Heiny-Cberhardt: Wie finde ich
meine Ahnen? Anleitg, wie man ſchnell f. ariſche
Abſtamung nachweiſt. [ 2. bedent. verb. Aufl.] —
Berlin: H. Denckler⸗Verl. Auslfg: Schaufuß,
Leipzig] 1936). 35 S. Kl. 8. 1.—.
Frick, Wilhelm, Dr: Die Aufgabe der Zei⸗
tung in der deutſchen Bevolkerungspolitik. An-
ſprache bei d. Eröffng d. 7. zeitungsfachl. Fort.
bildungskurſus im Jnft. f. Zeitungswiſſenſchaften
an d. Univ. Berlin am 21. Nov. 1935. 1. bie
10. Tſd. — Berlin W 62, Einemſtr. 11:
(Reichsausſchuß ..) 1935. 12 S. 80. p. —.10,
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Hartnacke, Wilhelm, Dr, Staateminifter
i. R.: Die Ungeborenen. Ein Blick in d. geiftige
Zukunft unferes Volkes. Mit 4 Schaubildern. —
München: J. 3. Lehmanns Verl. (1936). 161 S.
8. 3.—. Erw. Bearb. von: Hartnacke:
Bildungswahn — Volkstod. Ebd. 1932.
Heſſe, Richard, Dr, Univ.-Prof.: Abſtam⸗
mungslehre und Darwinismus. 7. [neubearb.]
Aufl. Mit 64 Abb. — Leipzig u. Berlin: Teub-
ner 1936. 108 S. Gr.-8%. Lw. 4.20.
Rede, Otto, Univ.-Prof.: Rafe und Dei, `
mat der Indogermanen. Mit 113 Abb. u. 5 Kt.
— München: J. F. Lehmanns Verl. 1936.
216 S. 4°. 6.50; Lw. 8.
Muttle, Dr:
Beiträge zum Raſſegedanken. Maffe u. Recht im
deutſchen Hochſchulweſen. Stuttgart-Berlin: W.
Kohlhammer Verlag. l À
Sgmeil, Otto, Prof. Dr: Der Menſch.
Menſchenkunde, Geſundheitslehre, Vererbungs⸗
lehre, Naſſenhygiene, Familienkunde, Raſſen ;
kunde, Bevölkerungspolitik. 85. Aufl. Bearb. von
Dr. Paul Eichler, Stud.⸗R. — Leipzig:
Quelle & Meyer 1936. VI, 184 S. mit Abb.,
mehr. Taf. Gr.⸗8e. Dim. 3.—. |
Spohr, Oswald: Familienkunde, eine der
Vorausſetzungen des neuen Staates. Mit um⸗
fangreichen Literaturnachweiſen u. Winken aus d.
Praxis d. Familiengeſchichtsforſchg. 5. Aufl. —
Leipzig: Degener & Co. 1936. 20 S. Gr. 8e.
—.05. 1 :
3. Ländliche Siedlung, Landarbeiterfrage,
3 Bauerntum
Becker⸗ Dillinger, Slofeph}: Quellen
und Urkunden zur Geſchichte des deutſchen Bau⸗
ern. [Bd LI — Berlin: Verlagsgeſ. f. Ackerbau
1935. 40. [I.] Urzeit bis Ende d. Karolinger ·
zeit. Mit 170 Abb. im Text. XVI, 753 S. Lw.
un 40. —. u e
Darré, Klichard] Walther, Reichsbauern⸗
führer: Blut und Boden, ein Grundgedanke des
Nationalſozialismus. — Berlin W 62, Cinem-
ſtraße 11: (Reichsausſchuß ..) 1936. 15 S. 80.
Aus: Odal. Ig 3. 1935, H. 11. p —. 10.
Käubler, Rudolf, Dr: Die ländlichen
Siedelungen des Egerlandes. — Leipzig [C 1,
Brüderſtr. 19]: Jordan & Gramberg 1935.
107 S., 2 Taf.; 6 Kt. 80 nn 4.—. Zugleich
Leipzig, Phil. Diff. v. 1934. |
Rumpf, Mar: Deutihes Bauernleben. —
Stuttgart: Kohlhammer 1936. XX, 912 S. mit
Abb. Gr.-8° — Rumpf: Das gemeine Volk.
Bd 1. Lw. 24.
Recht und Rechtswahrer.
Neues Schrifttum
Schroeter, Erwin, Dr: Volksbiologiſche
Auswirkung der Siedlung. Erörtert an d. neu-
zeitl. Siedlg. in Mecklenburg. Aus d. Medlen-
burg. Landesgeſundheitsamt. — Leipzig: Hirzel
1936. 50 S. Gr.-8% 2.—.
Stoffleth, Dietrich, Dipl.⸗Volksw.: Die
mecklenburgiſche Bauernfrage im Parlament von
1848/49. (Geſehen im pift. Zuſammenhang.) —
Karlsruhe ⸗Grünwinkel 1935: Sinner. 74 S.
Gr.-80. Roſtock, R.- u. wirtſchaftswiſſ. Diff.
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Univ.⸗Bibl. Nr. 7318. Geh. —.35, geb. —.75.
Phil. Reclam jun. Verlag, Leipzig. Seh. 2.80.
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eine landſchaftskundliche Unterſuchung. — Saal-
feld Oſtpr. 1935: Günther. III, 74 S. mit Abb.
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Deutſche Weiheſtunden. Herausgeg.
v. Paul Zapp. 3. Bd: Die Hochzeiten des
Lebens. Berlin-Lidterfelde 1936: Widukind ⸗
Verlag / Alex. Boß. l
Franke, Otte]: Geſchichte des cineſiſchen
Reiches. Eine Darſt. feiner Entftehg, feines We-
fens u. feiner Entwicklg bis zur neneften Zeit.
Wo. 2. — Berlin, Leipzig: de Gruyter 1936. 4°.
2. Der konfuzianiſche Staat, 1. Der Aufſtieg zur
Weltmacht. 610 S., 1 Kt. 36. —; Lw. 38. —.
Joſt, Walter, Major: Die wehrpolitiſche
Revolution des Mationalſozialismus. Hamburg
1936: Hanſeatiſche Verlagsanſtalt A. G. Kart.
—.80. l
Könitzer, Willi Fr.: Zwiſchen Start und
Ziel. Olympiſche Strophen. Hirts Deutſche
Sammlung Bd 13, Beſtell Nr 8703, 71 S.,
32 Abb. Geb. 1.40; kart. 1.—.
Lurati, Hermann: Der Eingriff des Ge
ſetzes in die Gütererzeugung. Dresden -A. 24:
»Riſſe⸗Verlag. Broſch. 3. —
Meyer, Hans, Dr, Kammerger.⸗R., u. Dr.
Heinz Steiger, Reg.⸗N.: Einführung in das
Recht der landwirtſchaftlichen Schuldenregelung.
— Berlin: Vahlen 1936. 108 S. 8° — Vah⸗
len's gelbe Hefte. 2.40.
Scheu, Ernſt: Die Bauernfähigkeit nach
dem Reichserbhofgeſetz. Zugl. e. Beitr. jur raffe»
geſetzl. Rechtslehre. — Köln 1935: May. 56 S.
Gr.-8° [Maſchinenſchr. autogr.] Köln, Rechts ⸗
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Neues Schrifttum erer | 1027
Schmidt, Friedrich Heinz, Dr: Oſter⸗ Verhey, Hans, Dr: Waldmark und Hol⸗
bräuche. — Leipzig: Bibliogr. Inſt. (1936). tingsleute in Niederſachſen im Lichte der Volks⸗
54 S. mit Abb. Kl.-8o — Meyers bunte Bänd- kunde. 198 S. Würzburg 1935: Verlag, Zen
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der SD Ap fammelt alle Urkunden, meat Te Dokumente, Tagebücher, Abzeichen,
Zeitungen, 3eitfchriften, Photos, Plakate, bild iche Darſtellungen und dergleichen aus
dieſer Zeit. Auch Briefe und Zeitungen aus dem Auslande find, foweit fie ſich mit dem
Nationalſozialismus beſchäftigen, willkommen. Sendet alles, denn manches, was als
wertlos betrachtet, fort Gees wird, kann für den Sorfcher, für den fpäteren Ge⸗
ſchichtsſchreiber von weſentlicher Bedeutung ſein.
Falls der Beſitzer glaubt, das Original nicht entbehren zu können, ſo nimmt das
Sauptarchiv Abſchrift oder ſtellt von Bildern Abzüge her. Vertraulichkeit wird, 3. B.
bei Tagebüchern, ausdrücklich zugeſichert. Der Sendung fg ein Verzeichnis des IJn-
haltes, dazu bei Bildern ein kurzer Tatſachenbericht beigefügt werden. Beſonders auch
auf Teig ehemaliger Gegner, gleich welcher Art, wird größter Wert gelegt. Ver-
trauliche Behandlung dieſes Materials wird gewährleiſtet. Es ergeht daher an alle
Dienſtſtellen und Volksgenoſſen die Bitte, das Sauptarchiv in feinem nach
einer lückenloſen Sammlung für die Grundlagen der Parteigeſchichte zu unterſtützen.
Anfchrift: Zauptarchiv der NSDAP, München, Barerſtraße js.
Sauptardiv der NS DAp, München, Barerſtraße js.
677. ¶BV2 . J...... ..
HALT!
Gefahrenpunkt!
Du kennſt die Tafeln, die den Kraftfahrer warnen, wo Gefahr anf feinem
Wege droht. Trogdem verunglüden viele.
Auf Deinem Lebenswege gibt es keine Tafel und kein Signal, das Dich
warnt: „Achtung!“ „Gefahr!“ Doppelte Vorſicht iff notwendig. Die Ge
fahren, die wir im Kampf ums Daſein meiſtern müffen, brechen meiſt jäh über
uns herein und häufig dort, wo wir fie nicht erwarten. ö
Der einzelne ift faſt immer zu ſchwach, um für ſich und die Seinen das Unheil
abzuwenden. Der Verantwortungs bewußte findet jedoch in Gemeinſchaft mit
Millionen unbekannter Kameraden die Hilfe, die ihn befähigt, die Folgen
eines Unglücks von fih abzuwenden.
26 Millionen deutſcher Volksgenoſſen haben ſich bei den deutſchen privaten
Verſicherungsunternehmungen zu Gemeinſchaften gegenfritiger Hilfe zuſammen⸗
geſchloſſen. Unter ſachver ſtändiger Leitung finden fie in 43 verſchiedenen Ver⸗
ſicherungszweigen den Schutz, den auch Du brauchſt, um Dich vor Verlnſten
zu bewahren. |
Das Bewußtſein, vorgeſorgt zu haben, gibt Dir das ſtärkende Gefühl der
Sicherheit; es erhöht auch Deine Unternehmungsluſt und Deinen Lebensmut.
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Beelitz (Mark)
Belzig mit Geſchäftsſtellen Niemegk
und Rottſtock b. Brück
Breslau mit Geſchäftsſtelle Neu⸗
markt
Düſſeldorf mit Zahlſtele Schlacht
hof
Halberſtabt mit
Emersleben
Halle a. S.
| SGeſchäftsſtelle
Jüterbog mit Geſchäftsſtelle Berg
Köln
Leipzig
Luckenwalde mit
Baruth (Mark)
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Mi.⸗Sladbach mit Zahlſtelle Vieh⸗
| |
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hof und Mug- und Milchvieh⸗
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Neuruppin mit E Geſchaftsſtelle Fehr
Treuenbrietzen mit Sei gaftenete
I Werder (Havel) mit Geisäftsftelen
ee | Wieſenburg (Mark) mit Geſchäfts⸗
Wriezen mit . Neu-
(Haus des Neichsnaͤhrßandes)
Nauen
bellin
Nowawes
Potsdam mit eee.
Michendorf
Potsdam⸗Bornſtedt mit Geſchäfts⸗
ſtelle Potsdam ⸗Born im
Trebbin
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Slindow und Groß ⸗Kreut
ſtelle Görzke (Bz. Magdeburg)
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Vermögen
1. Barreserve
a) Kassenbestand . e a ote
b) Guthaben auf Reichsbankgiro- und Postscheckkonto . . . . .
3. Wechsel. . 3 e 0 . a Li D)
In der Gesamtsumme 8) enthalten.
Wechsel, die dem 821 Abs. 1 Nr.2 des Bankgesetzes entsprechen. (Handels-
wechsel nach $ 16 geg 2 des Reichsgesetzes über das Kreditwescn)
Eigene Wertpapi
a) Anleihen des Reiches und der Linder
b) sonstige verzinsliche Wertpapiere
e) börseng in gige F Che tes it a UE See a
d) sonstige Wertpapiere I
In der Gesamtsumme 4) e
Wertpapiere, die die Reichsbank beleihen darf
5. Kurzfällige Forderungen un zweifelhafter Bonität und Liquidität
gegen Kreditinstitute . Dës
Lavon sind RM 4 485 356,67 täglich fällig (Nostroguthaben)
Vorschüsse auf verfrachtete oder eingelagerte Waren
4
6. ö
a) sichergestellt durch Fracht- und Lagerscheine oder sonstige en
papiere (Fremdlager) . dfs Ce
b) gegen Oberaignane marktgängiger Waren (Eigenlager) EE
7. Schuldner S ae e
RM 1 128 141,62 gedeckt durch börsengängige Wertpapiere
RM 6191 009, 17 gedeckt durch sonstige Sicherheiten (Zessionen, Duplikat-
frachtbriefe, marktgängige Waren usw.
8. Hypothekenforderungen ;
9. rare Beteiligungen einschl. derz zur Beteiligung bestimmten
ere `
Davon KM 134 725,— "Beteiligungen bei anderen Kreditinstituten,
Zugang: RM 20551,—, Abschreibungen: RM 2096, —
16. Grundstücke und Gebäude . E el tet a ee ES
a) dem eigenen Geer dienende er da
Zugang . : ...... RM 525 974,50
Abechreibung CC AT ere
b) 8 E Mh ee a a BS e, Aë leh ae pe’ a Jet Aë
Abgang . S Nr RM 90 650,—
Abschreibung SE 0... RM 1952151
11. Geschäfts- und Betrlebsausstattung . e tee
Zugang 0 « RN 280246
Abg gang D D D D D e D D D D 0 e D D D e RM 3 020,—
Abschreibung Ce e... o. o. o RM 2871,46
12. Eigene Aktien (nom. 43 80,—) e a a TE ce
13. Posten, die der Rechnungsabgrenzung dienen oe x
14. In den Aktiven sind enthalten:
Anlagen nach § 17 Abs. 1 des Reichsgesetzes über das Kreditwesen. . 21 107,80
Anlagen nach p 17 ao S vo nee gesetzes über das Kreditwesen
(Aktiva 9 und 10) . KEE ee he 1 014 82, —
Aufwendungen
Handlungsunkosten . . . 2 2 2 02 © 2 2 2 ewe r
Steuern. . „ 8 345 660,40
Abschreibungen auf Immobilien und inventar e g 89 967,47
Sonstige Abschreibungen und Rückstellungen „ ee š 144 574,53
Reingewinn:
ortrag aus 1884. S
Gewinn aus ...d 455 055,45
2 661 558,42
Nach dem Ergebnis der pflichtgemäßen Prüfung auf Grund der Rücher und Schriften der Gesellschaft
sowie der vom Vorstand erteilten Aufklärungen und Nachweire entsprechen die Buchführung, der Jabres-
abschluß und der Geschäftsbericht den gesetzlichen Vorschriften.
Berlin, den 18. April 1936
Deutsche Revisions- und Treuhand-Aktiengeselischaft
gez. Hesse, Wirtschaftsprüfer Dr. Rittstieg, Wirtschaftsprüfer
zum 31. Dezember 1935 Verbindlichkeiten
RM RM
1. Gläubiger
seitens der Kundschaft bei Dritten benufzte Kredite . 1 817 943,25
ai sonstige im In- und Ausland nme alter und Kredite
(Nostroverpflichtungen) . Be e e 49 105 852,19
e) Einlagen deutscher Kreditinstitute lies! Ge ee le e 689 761,56
d) sonstige Gläubiger Be at a ef eS 25 165 377,98 | 76 778 934,08
u der Summe c) und d) entfallen aut:
1. jederzeit fällige Gelder „„ ˖ͤ ˙ ee ek 19 905 577,50
2. Teste Gelder und Gelder auf Kündigung . Deren nee. E65 BE 562,04
von 2 werden durch Kündigung oder sind fällig:
a) innerhalb 7 Tagen . . š . is a ves 272 455,68
b) darüber hinaus bis zu 3 Monaten 5 152 780,22
c) darüber hinaus bis zu 12 Monten eee tee a et a a a Wate, Bye le 434 326,14
d) über 12 Monate hinaus SS a. A =
2. Verpflichtungen aus der Annahme gérogëner wechsel 1 254 706,30
3. Grundkapital . . . . een 5 000 000,—
4. Reserven nach KWG § 11 (gesetzliche Reserve) be E. van & 1 000 000,—
5. Rückstellungen . . r 338 183,81
6. Posten, die der Rechnungsabgrenzung donen e, a 178 543,21
É 5 à v j b 47 576,37
ewinnvortrag aus dem Vorjabr. . . . 2 2 2 2 e e o >o ;
Gewinn 188 2 407 479,08 455 055,45
8. Verbindlichkeiten aus Bürgschaften, Wechseln und Scheck.
bürgschaften, sowie aus Garantieverträgen . . - 9 497 835,—
9. Eigene Indossamentsverbindlichkeiten aus Rediskontierungen 25 534 435,11
| 85 005 423,75
10. In den Passiven sind enthalten:
Gesamtverpflichtungen nach KWG 8 11 Absatz 1 (Passiva 1 und 2). . 78 033 641,28
Gesamtverpflichtungen nach KWG § 16 (Passiva 1 und 2) 78 033 641,28
Gesamtes haftendes Eigenkapital nach ENG 8 We Abs. 2 (Passiva 3 u. 4
abzüglich Aktiva 12) (Nennbetrag; e e Ss 5 956 110, —
zum 31. Dezember 1933 Erträgnisse
47 570 37
Gewinnvortrag aus 1984 e 2 je Se 2 .. ,
Zinsen und Provisionen e E ZC 8 2 371 076,54
Sonstige Erträgnisse be tes a, ae . 905,51
Getreide-Kreditbank Aktiengeselischaft
2 661 558,42
gez. Dr. Klingspor, Steinfatt, Eggert, Langowski, Dr. Lemke
Neu in den Aufsichtsrat gewählt wurde der Vorsitzende der Hauptver. der Deutschen Getreide-
wirtschaft, Kurt Zschirnt. Zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats wurde wieder Herr Ministerpräsident
a. D. Walter Granzow, zu stellvertretenden Vorsitzenden wurden Herr Direktor Franz Belitz und Herr
Geh. Finansrat Dr. jur. Hermann Kißler, Deutsche Rentenbank-Kreditanstalt, gewählt.
Redt des Reichsnährftandes
(R oͤ RN.) | Zeitſchrift für Baueren- und Bodenrecht
Herausgegeben im Auftrage des Neichsnährſtandes
von Miniſterialdirektor Dr. Wilhelm Saure
verkündungsblatt bes
Reihsnährftandes (RNYBI)
Bekanntmachungsorgan für das Recht der Ernährungswirtichaft
In der neuen Rechts entwicklung gewinnen das Bauern» und Bodenrecht
und das neue Wirtſchaftsrecht im Bereiche der Ernaͤhrungswirtſchaft
ſtändig an Bedeutung. Das Neichserbhofgeſetz und das Reichsnähr⸗
ſtandsgeſetz mit dem umfaſſenden Recht der Marktordnung find Rechts⸗
ſchoͤpfungen des nationalſozlaliſtiſchen Staates, die für die Neugeſtaltung
unferer ganzen Rechtsordnung von größter Bedeutung find und in ihren
Auswirkungen jeden Juriſten vor neue — praktiſche oder wiſſenſchaft⸗
liche — Aufgaben ſtellen. Alles, was der "ut für die tägliche Arbeit
in den einſchlägigen Rechtsfragen und zum Verſtändnis dieſer neuen
Rechtsgebiete braucht, wird ihm durch das „Recht des Neichsnähr⸗
ſtandes und das „Verkündungsblatt des Neichsnährſtandes
lückenlos in einer überſichtlichen Geſamtſchau an die Hand gegeben. Kein
Juriſt und keine Stelle, die mit Fragen des bäuerlichen Rechts und des
Rechts der Ernährungswirtſchaft befaßt find, werden diefe beiden Organe
auf die Dauer entbehren konnen. |
„Recht des Reihsnährftandes” erſcheint zweimal monatlich, Bezugspreis
RM. 2.— monatlich ausſchließlich Zuſtellgebühr. „Verkündungsblatt des
Reihsnährftandes” erſcheint nach Bedarf, Bezugspreis RM. 1.20 monat⸗
lich ausſchließlich Zuftellgebühr. — Probenummern auf Wunſch koſtenlos.
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Naben 98 an Rali
Die beifpiellofe Entwicklung des Bulldog von feinen Anfängen bis zu feinem
heutigen Stand ift das Ergebnis einer zielbewußten, zähen Arbeit an ſeiner
Vervollkommnung, die auf jahrelangen Beobachtungen beruht und ſich auf
Erfahrungen ſtützt, die wir im Einſatz Zehntauſender von Schleppern
geſammelt haben. Wenn der Tanz Bulldog heute in der Landwirtſchaft und
im Verkehr ſo hohe Wertſchätzung genießt, ſeine Einfachheit, Wirtſchaftlich⸗
keit und Zuverläſſigkeit geradezu ſprichwörtlich find, fo beruht dies in erfier
Linie auf der Be⸗ die in gleicher
= E
griff gewordenen La N 2 -Qu a it Weiſe Ausdruck
findet bei unſeren weiteren Erzeugniſſen: Lanz⸗Dreſchmaſchinen, Lanz⸗
Strohpreſſen, Lanz-Erntemaſchinen. Auch diefe find in ihrer konſtruktiven
Durchbildung und in ihrer Ausführung vorbildliche, zuverläſſige Helfer
in der Landwirtſchaft, unbedingt betriebsſicher und von hoher Haltbarkeit.
Wie der Bulldog für die Zweckmäßigkeit des Schleppereinſatzes, ſo ſind
fie richtunggebend für die Maſchinenanwendung in der Land wirtſchaft
überhaupt. Den Niederſchlag finden unſere Fabrikationsgrundſätze in
einer Anforderung unſerer Erzeugniſſe durch das In- und Ausland, wie
ſie für ein deutſches Landmaſchinenwerk einzigartig ift.
Heinrich Lanz Aktiengesellschaft, Mannheim
J 1651
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