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HARVARD
COLLEGE
LIBRARY
FROM THE
Subscription Fund
BEOUN IN 1858
■i
'^^U^yK^x/k . /^ <l^Xo. <^if> .
OFFICI ELLER
AUSSTELLUNGS-BERICHT
HBRAUSGBGEBBN DURCH DIB
GENERAL-DIRECTION DER WELTAUSSTELLUNG
18 7 3.
BUCHDRUCK.
(Gruppe Xn, Section 1.)
BERICHT
VON
LUDWIG LOTT,
Leiter der Druckerei der „Prejfe" .
WIEN.
DRÜCK UND VERLAG DER K. K. HOF. UND STAATSDRUCKEREI.
1874.
/
JUN 18 1920
/ÖMy^Ce/Ujhtff^Y**^*^^
BUCHDRUCK.
(Qmppe Xn, Section 1.)
Bericht von
Ludwig Lott,
Leiter der Druckerei der „Prejfe" .
Hätte man uns die Aufgabe geflellt, nur die von Buchdruckern ausge-
Hellten Prefserzeugniffe in Gruppe XII und nur in diefer Gruppe unferen Betrach-
tungen zu unterziehen, fo würde der Bericht darüber nicht fchwer gefallen fein.
Unfere Aufgabe beiland jedoch darin : über „Buchdruck** zu referiren.
Wir mufsten daher Alles in Betracht ziehen, was zum Buchdruck gehört,
gleichviel ob dasfelbe durch Buchdrucker, Buchhändler, Commiffionen oder durch
Private zur Ausftellung gelangt war, und ob fich diefes in den Gruppen III (Farbe),
VII (Metallindullrie),*XII (graphifcheKünlle), Xm(Mafchinen), XVI (militärifches
Erziehungs- und Unterrichtswefen), XXVI (Erziehungs-, Unterrichts- und Bildungs-
wefen) in der Kunflhalle oder dem Pavillon der additionellen Ausftellung
befand.
Unfer Bericht foll in Kürze ein Bild geben von dem heutigen Stande der
Buchdruckerkunft und den dazu gehörigen Branchen. Diefe Aufgabe war durch
das Arrangement nach Ländern und nicht nach Gruppen eine fehr fchwere und
zeichnete fich in diefer Beziehung die Londoner Ausftellung von 1872 gegen die
„Wiener Weltausftellung" fehr vortheilhaft aus.
Während in London Alles, was ins Buchdruckerfach einfchlägt, fo ziemlich
neben einander ftand und das Vergleichen des einen Gegenftandes mit dem
anderen fehr erleichterte, waren in Wien die ihrer Art nach zufammengehörenden
Ausftellungsobjeö^e in dem ungeheuren Räume fo zerftreut, zerfplittert und zum
Theile fo zwifchen ganz anderen Gegenftänden verfteckt, dafs man fie nur mit der
gröfsten Mühe, nach langem Suchen auffinden konnte ; ja dafs manche Gegen-
ftände gar nicht zu finden waren, trotzdem fie in den Katalogen verzeichnet
ftanden.
Auch waren in London mehr Schnell p reffen und durch längere Zeitdauer
im Gange als in Wien, wo auf Verlangen mehrere nur einige Minuten und ohne
zu drucken in Bewegung gefetzt wurden. Dafs aber eine Mafchine und deren
Leiftungsfahigkeit nur dann richtig beurtheilt werden kann, wenn man fie durch
längere Zeit arbeiten fieht, ift eine bekannte Thatfache; ebenfo dafs man eine
Mafchine bei leerem Gange fchneller' laufen lafTen kann, als wenn fie wirklich
arbeitet. Ja die Erfahrung hat gelehrt, dafs mancher Mafchinenbauer die Zahl
der auf feiner SchnellprefTe zu bedruckenden Bogen viel höher angibt, als der
gefchicktefte Einleger einzulegen im Stande ift.
I*
2 Ludwig Lott.
Um unferen Bericht fo kurz wie möglich zu falTen, können wir nicht jeden
Ausfteller und jeden ausgeftelltenGegenftand einer eingehenden Besprechung unter-
ziehen. Diefes überlaffen wir den typographifchen Fachblättern, welche bereits
fchon fehr detaillirte Berichte gebracht haben und theilweife noch bringen. Fach-
leute und Diejenigen, die es intereffirt, verweifen wir in diefer Beziehung auf die
mit Objedlivität und grofserFachkenntmfsgefchriebenen Berichte des fchon im vier-
zigllen Jahrgange in Braunfchweig erfcheinenden j^ Journal fürBuchdruckerkunft",
deffen Redacfleur, Herr Theodor G o e b e 1, ein Fachmann erden Ranges ift ; auf die
in Wien erfcheinende „Oefterreichifche Buchdruckerzeitung", deren Berichte
durch acht hervorragende Wiener Gefchäftsleiter erftattet wurden, und auf die in
Leipzig erfcheinenden „Annalen der Typographie**, deren Reda<5leur, Herr Carl
B. Lorck, Mitglied der internationalen Jury war.
Was den Bau und die Verbefferung der grofsen Schnellpreffen, der foge-
nannten Zeitungsdruckmafchinen, betrifft, mit denen wir uns auch etwas ein-
gehender befchäftigen wollen, lieferte die Weltausftellung den Beweis eines
wefentlichen Fortfehrittes und fie war reichlich damit verfehen. Ebenfo gab fie
Zeugnifs von der vermehrten Anwendung der Papierflereotypie und der Vervoll-
kommnung der Galvanoplaflik, der Zinko- und der Heliographie, während von der
durch Johnson & Atkinfon 1872 in London ausgefeilten ^Automatifchen Mafchine
für den Gufs und das Fertigmachen von Lettern" und der von der Times-Office
ausgeflellten Kaftenbein'fchen Setz- und Ablegemafchine keine Spur zu finden
war. Auch die übrigen, fchon längere Zeit im Betriebe befindlichen Setzmafchinen
waren nicht vertreten, obgleich deren Ankunft erwartet wurde.
Den gröfsten Fortfehritt unter den Zeitungsdruckmafchinen zeigten die
von der Rolle druckenden, die fogenannten „Unendlichen."
Von den bis jetzt exiftirenden Heben Arten folcher „Unendlichen" :
„Walter-**, „Vi(5lory-**, „Becker-Reifser-**, „Marinoni-", „Augsburger-", „BuUock-"
und ^Preflonian-Preffe" waren die fünf erfteren in Wien zu fehen, und zwar:
die ^Vi(5lory-", ^Augsburger-" und „Marinoni-PrelTe" in der Mafchinenhalle des
Ausllellungsgebäudes ; die „Becker-Reifser-Mafchine** im Pavillon der „Neuen
Freien Preffe" und die „Walter- P reffe" fleht in zwei Exemplaren in der Druckerei
der „Preffe", Landflrafse, Gärtnergaffe Nr. 6 und Kollergaffe Nr. 3.
Auf der „Vi<5tory-Preffe" wurde eine Beilage zur „Deutfchen Zeitung" und
auf der „Augsburger Unendlichen** ein Profpedl der „Mafchinenfabrik Augsburg*'
gedruckt, während die „Marinoni-Preffe** nur die Papierrollen aufgehängt hatte,
um bei leerem Gange zu zeigen, wie darauf gedruckt wird. Die „Becker-Reifser-
Mafchine" druckte die „Internationale Ausflellungs-Zeitung**, eine Beilage zur
,,Neuen Freien Preffe**. Auf den beiden „ Walter- Preffen" wurden auf der einen die
Morgen- und Abendausgabe der „Preffe" und auf der anderen die verfchiedenen
Ausgaben der officiellen Ausdellungskataloge gedruckt.
Jede diefer „Unendlichen" übte eine ganz befondere Anziehungskraft aus,
denn überall, wo eine folche im Gange war, fland das Publicum zufammengedrängt
und bewunderte die rafche und genaue Arbeit derfelben. Der „WalterPreffe"
gebührt jedoch vor allen der erfle Preis zuerkannt zu werden , denn nicht
allein die Einfachheit ihres Baues und ihr fehr rafches Drucken (144.000 Qua-
dratfufs Papier können in einer Stunde auf beiden Seiten bedruckt werden),
fondern vornehmlich der Umfland verdient hervorgehoben zu werden, dafs, fobald
die flereotypirten Clichö's auf den beiden Cylindern befefligt find, fogleich
fortgedruckt werden kann, ohne „zurichten" zu muffen, und dafs vom Anfange
bis zum Ende bei einer circa fechshundert Pfund wiegenden Papierrolle nicht
allein nicht die geringfle Stockung eintritt, fondern auch nicht ein einziger
Bogen Maculatur, ja nicht einmal ein Falz im Papier vorkommt.
Die Erzeugungsländer diefer fieben „Unendlichen" find : Amerika (Bullock),
Grofsbritannien (Walter, Vi<5tory und Preflonian), Frankreich (Marinoni), Deutfch-
land (Augsburgerj und Oeflerreich (Becker-Reifser).
Buchdruck. 3
So gut wir Deutfche den Ruhm der Erfindung der Buchdruckerkunft durch
unfern Landsmann Gutteuberg in Mainz uns nicht ilreitig machen lafTen, fo
gut die erfte Schnell preffe, auf welcher die ^Times" am 29. November 1814 in
London zum erften Male gedruckt wurde, eine Erfindung der beiden Deutfchen
Kön ig und Bauer war, fo gut gebührt der Ruhm der erften Anwendung des
Drückens von der Rolle ebenfalls einem Deutfchen, einem Oefterreicher, und
zwar dem für die graphifchen Künfte leider zu früh verftorbenen Direölor der
k. k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien, dem Hofrath Alois AuerRitterv. Wels-
bach. Denn fchon Ende der Fünfzigerjahre druckte man in der Staatsdruckerei
von der Rolle und zwar auf einer ganzen Reihe von Schnellpreffen. Und da uns
Deutfchen die Priorität fo mancher Erfindung von fremden Nationen ftreitig zu
machen verfucht wird (was neuefter Zeit wieder bei Paul Pretfch der Fall ift),
fo wollen wir hier A u e r's Erfindung ausdrücklich als eine deutfche, eine Öfter-
rei ch ifche Erfindung betonen, die mittelft Patent vom 17. December 1858.
Z. 25317-2852, privilegirt worden ift.
Die Befucher des Pavillons der additionellen Ausftellung fanden dort ein
von der k. k. Hof- und Staatsdruckerei ausgeftcUtes Modell einer Schnellprefle mit
angehängter Papierrolle. Durch eine Kurbel konnte diefe Miniatur-Schnellpreffe
in Bewegung gefetzt werden und gab diefelbe ein getreues Bild von A\ier's
Erfindung.
Warum aber diefe wichtige Erfindung in der Staatsdruckerei wieder aufser
Thätigkeit gefetzt wurde, wollen wir hier etwas näher erläutern.
Bevor die Papierrolle an die Druckmafchine gehängt wurde, mufste das
Papier erft den Procefs des Feuchtens durchmachen, d. h. die Rolle ward an dem
einen Ende eines eigens conftruirten Feuchtapparates aufgehängt, das Papier
abgewickelt und über hohle, fiebartig durchlöcherte, mit Waffer gefüllte und mit
Flanell überzogene Cylinder geleitet und am entgegengefetzten Ende des Appa-
rates wieder aufgewickelt.
Da aber beim Drucken von der Rolle die e r fte Bedingung die ift, dafs
das Papier feft gewickelt fei, und das fefte Wickeln des trockenen Papieres
felbft den Papierfabriken Schwierigkeiten bereitet: fo kann man fich denken, dafs
die Wickelung nicht feft fein kann, wenn die Rolle vor dem Drucken gefeuchtet
werden mufs; denn ein naffes Papier, wenn es von Haus aus nicht befonders
ftark ift und eine gute Fafer hat, hält die zum feften Wickeln nöthige Span
nung nicht aus.
Um zu drucken, wurde nun die gefeuchtete Papierrolle an die Schnellpreffe
gehängt, das Ende des Papieres zwifchen zwei mit Tuch Überzogenen, parallel
liegenden Walzen hindurchgeführt und die Schnellpreffe in Bewegung gefetzt.
Die beiden parallel liegenden Walzen und die durch das Papier mit ihnen
in Verbindung ftehende Papierrolle drehten fich um ihre Achfe, führten das
Papier um eine Bogenlänge vor, blieben dann fammt der Papierrolle ftillftehen
und ein Meffer fchnitt den Bogen ab, der mittelft Greifern und Bändern auf den
Druckcylinder geführt wurde. Nachdem der Bogen bedruckt war, fetzten fich die
beiden Parallelwalzen und durch fie die Papierrolle wieder in Bewegung, um,
nachdem das Papier wieder um eine Bogenlänge vorgeführt ward, wieder ftill
zu ftehen u. f. w.
Durch diefes fich jede Bogenlänge wiederholende Stillftehen und wieder in
Bewegung Setzen der Papierführungsv/alzen und der Papierrolle entftand ein fort-
während fich wiederholendes Zupfen und Zucken im Papier, und es gefchah häufig,
dafs durch nicht vollftähdiges Abfchneiden der Bogen und durch ungleich-
mäfsiges Vorführen des Papieres durch die beiden nicht immer auf beiden Seiten
gleichmäfsig auf einander paffenden parallelen Walzen, oder wenn das Papier
auf einer Seite etwas dicker war, als auf der anderen Seite, die Bogen fchief abge-
fchnitten wurden, daher fchief auf den Cylinder kamen u. f. f., wodurch fehr
viele Fehlbogen oder Maculatur erzeugt wurden.
4 Ludwig Lott.
Eine andere Urfache, aufser der nnverhältnifsmäfsig grofsen Erzeugung
von Maculatur, wefshalb mit dem Drucken von der Rolle in der k. k. Hof- und
Staatsdruckerei wieder aufgehört wurde, war der Umftand, dafs die von der
Rolle druckenden Schnellpreflen nur Schön druck lieferten, d. h. den Bogen
nur auf Einer Seite bedruckten, während zum Druck der zweiten oder Wider-
druckfeite die Bogen wieder durch Menfchenhände auf die Druckcylinder gefUhrt
werden mufsten, alfo durch das Drucken von der Rolle auch keine wefentliche
Erfparnifs an Menfchenhänden flattfand, auch die Einleger des SchÖndruckes
meiilentheils einen geringeren Lohn erhalten.
Bei den jetzigen Unendlichen kann ein Zupfen und Zucken nicht ilattfinden,
denn wenn die Rolle einmal in Bewegung ifl, fo bleibt fie fo lange darin, bis der
Gang der Mafchine abgeftellt wird. Und da, mit Ausnahme der „BuUock-" und
„ Vi<5iory-Preffe " , bei denen das Papier noch nach alter Art vorhergefeuchtet
werden mnfs, die übrigen Unendlichen, die Walter- Preffe nachahmend, das Feuch
ten des Papiers unmittelbar während des Drückens vollziehen und beide Seiten
des Bogens unmittelbar hinter einander bedrucken, fo können fie auch ein
viel fchwächeres Papier verarbeiten, als früher in der Staatsdruckerei möglich
gewefen ift.
Wenn fich die heutige Art des Drückens von der Rolle auch wefentlich
und zu ihrem nicht geringen Vortheile von der damaligen in der Wiener Staats-
druckerei gebräuchlichen unterfcheidet, fo benimmt diefs dem Verdienfte Auer's
dennoch gar nichts. Denn Auer's Idee war es, die Sehn eil preffe
unmittelbar mit der Papiermafchine in Verbindung zu fetzen,
das heifst: er dachte fchon damals an ein ununterbrochenes Abwickeln
der Rolle.
Diefe Behauptung wird betätigt durch eine im Jahre 1859 in der k. k. Hof-
und Staatsdruckerei in Wien als Manufcript gedruckte Brofchüre: „A. Auer's
neueile Erfindung des fo genannten Verbindungs-Apparates der
Papierfabrications-Mafchine mit der Schnellpreffe", 8», 12 Seiten
mit Abbildungen.
In dem Texte unter der Abbildung : „^it Druckprefle in Verbindung mit
der Papiermafchine** fagt Auer unter Anderem zum Schlufife :
„Um die nun folgenden Operationen, und zwar das Zerfchneiden in
einzelne Bogen, das Sortiren, Zählen, Verpacken und Verfenden im unbe-
druckten Zudande zu erfparen. kann man das endlofe, auf den Hafpel auf-
gewickelte Papier unmittelbar mit der Druckpreffe, wie obige Abbildung
zeigt, in Verbindung bringen, welch letztere ohne menfchliche Beihilfe
nebft dem Bedrucken des Papiers das Zerfchneiden in einzelne Bogen
fowohl vor als nach dem Drucke durch ihren eigenen Mechanismus felbil
beforgt.**
Dafs diefe Idee, die Verbindung der Druck- mit der Papiermafchine, nicht
verwirklicht wurde, wird Niemand wundem, der die Papier- und Druckmafchinen
kennt. Bei den Druckmafchinen mufs dann und wann flillgehalten werden, um
einen „Spiefs" hinabzudrücken, die Form zu wafchen u. dgl. m. Die Papier-
mafchine darf aber niemals ftillftehen, wenn das zu erzeugende Papier nicht
abreifsen foll.
Auer felbil fagt auch in dem oben Citirten : „ . . .im unbedruckten
Zuilande zu erfparen, kann man das endlofe, aufden Hafpel aufgewickelte
Papier unmittelbar mit der Druckpreffe in Verbindung bringen."
Dafs aber auch diefes nicht verwirklicht wurde, liegt einzig und allein nur darin,
dafs die Perfonen, denen die Ausführung übertragen war, diefer Aufgabe entweder
nicht gewachfen waren oder fie nicht reiflich genug erwogen hatten. Wir können
in diefer Hinficht dem Mafchinenfabrikanten Herrn G. S i g 1, und namentlich
defifen Ingenieuren, den Vorwurf nicht erfparen, dafs, nachdem fie fchon länger
Buchdruck. ö
als ein Decennium die Apparate für das Rollenpapier an die Schnellpreffen der
Staatsdruckerei verfertigt, ihre ^Becker-Reifser-Mafchine" erft als eine Nach-
ahmung anderer Mafchinen bauten, während fie berufen gewefen wären, die
grofsen Ideen A u e r*s auszuführen und Oefterreich den Ruhm nicht nur für das
Erfinden des Drückens von der Rolle zu wahren, fondern ihm auch noch den
Fortfehritt zuzugefellen.
Es geht uns nun mit den Unendlichen gerade wie mit den erften Schnell-
preflen. Die Ideen unferer grofsen deutfchen Denker werden zuerft vom Auslande
praktifch verwerthet.
Wenn die Herren König und Bauer ihre Ideen erft durch die Unter-
ftützung des Herrn Thomas Bensley und fpäter des Herrn Walter, Herausgebers
der „Times" in London, verwirklichen konnten, fo lag der Grund darin, dafs
fie in ihrem Vaterlande nicht die Geldmittel dazu aufzutreiben im Stande waren.
Dafs die „Unendlichen** jedoch auch erft wieder vom Auslande gebaut werden
mufsten, bevor wir fie in ihre eigentliche Heimat verpflanzten, ift ein geiftiges
Armuthszeugnifs für Diejenigen, die-Auer's Idee hätten ausführen follen. Zur Zeit
der Erfindung des Drückens von der Rolle war die k. k. Hof- und Staatsdruckerei
in ihren Ausgaben nicht fo knapp bemeffen, als jetzt, denn bei dem damaligen
Finanzminifter erhielt Auer geneigtes Gehör für feine Anträge und ftanden ihm
die Mittel zu Gebote, feine Ideen auch zu verwirklichen.
Hiemit foll kein Tadel gegen den jetzigen Finanzminifter ausgefprochen
werden^ denn nur zu gut ift uns bekannt, wie er für jeden Kreuzer dem hohen
Abgeordnetenhaufe Rechenfchaft ablegen mufs. Aber mafsgebenden Orts follte
man doch bedenken, dafs nicht jeder Kreuzer hinausgeworfen ift, der für die
Kunft und das Kunftgewerbe ausgegeben wird. Die Thatfache ftehtfeft, dafs nicht
allein das Aufblühen der Staatsdruckerei, die in den Fünfzigerjahren einen Glanz-
punkt Oefterreichs bildete, dem Wirken Auer's zu verdanken war, fondern dafs
das Aufblühen der ganzen graphifchen Künfte in Wien und Oefterreich mittelbar
oder unmittelbar Auer's Verdienft ift : denn durch die Leiftungen der Staats-
druckerei wurden alle Druckereien veranlafst, vorwärts zu ftreben.
Wie weit felbft grofse Buchdruckereien noch vor drei Decennien in Wien
gegen Deutfchland zurück waren, ift daraus zu erfehen, dafs der Autor diefes
Berichtes, als er im Jahre 1844 i>* die Buchdruckerei von Carl Gerold in
Wien in Condition trat, nachdem er vorher bei Cotta in Stuttgart conditio-
nirt hatte, einen ungeheuren Contraft vorfand. Bei Cotta wurden damals auf fechs
Schnellpreffen und 18 eifemen Handpreffen die illuftrirten Ausgaben von Her-
der's Cid, die Prachtausgaben von Schiller und Goethe und von anderen Clafflkern
gedruckt. Bei Gerold dagegen fand er, aufser zwei eifernen Handpreffen, nur noch
fünf Holzpreffen vor; von einer Schnellpreffe war da keine Rede. Erft das Jahr
1848 brachte die erfte Mafchine in diefe jetzt fo geachtet daftehende Officin. Und
fo wie in diefer einen war der Zuftand in faft allen Buchdruckereien Wien's.
Was Wien aber jetzt zu leiften vermag, davon hat die Wiener Weltaus-
ftellung glänzendes Zeugnifs abgelegt.
Bevor wir diefe Leiftungen in ihren hervorragendften Produölionen berüh-
ren, wollen wir noch die verfchiedenen Schnellpreffen, namentlich die fo hoch
bewunderten grofsen Zeitungsdruckmafchinen, die fogenannten „Unendlichen**,
unter einander vergleichen.
Diefes Siebengeftirn zerfällt in zweierlei Gruppen : a) in folche, die den
zu bedruckenden Bogen von der Rolle abtrennen, bevor ergedrucktwird,
wie diefs ehemals in der Staatsdruckerei gefchah, und d) in folche, die den Bogen
erft abfchneiden, wenn er voUftändig, d. h. auf beiden Seitenbe druckt ift.
Zur erften Gattung gehören: „Bullock**, „Becker-Reifser" und „Marinoni",
zur anderen: „Walter", „Victory**, „Augsburger" und „Preftonian**.
Wir haben oben gezeigt, warum die Vorrichtungen zum Drucken von der
Rolle in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei wieder abgefchafft wurden. Aufser
6 Ludwig Lott.
der geringen Erfparnifs an Menichenhänden war die hauptfachlichlle Urfache die
grofse Menge von Maculatur, hervorgerufen durch das Zucken und Zupfen des \
Papiercs und das nicht immer genaue Abfchneiden des Bogens von der Rolle.
Wenn nun auch das Zupfen und Zucken durch das ununterbrochene Ab-
wickeln des Papiers vermieden ift, fo tritt doch häufig der Fall ein, dafs gar man-
cher Bogen durch den Schnitt unvoliftändig von der Rolle getrennt wird, wodurch
bei den Mafchinen, die den Bogen vor dem Drucke abfchneiden, der alte Uebel-
(land eintritt, dafs fich fo mancher Bogen in den Leitbändern verhafpelt, und
nicht nur diefer, fondem noch mancher nachfolgende Bogen unbrauchbar wird
und das Papier viele Falze erhält.
Bei den Mafchinen, die den Bogen erfl dann abfchneiden, wenn er fchon
auf beiden Seiten bedruckt ift, wird das Papier ohne alle Bänderführung zwifchen
den Druck- und Typencylindern durchgeleitet, und geht erft dann, wenn der
Bogen abgefchnitten ift, in Leitbänder über, die einen fchnelleren Lauf haben
und fo den vorderen Bogen von dem ihm nachfolgenden abreifsen. Hiedurch
wird einestheils ein fehr genaues Regifter erzielt, das heifst die eine bedruckte
Seite pafst genau auf die andere, anderentheils kann nie ein Falz im Papier ent-
ftehen und wird foviel wie gar keine Maculatur erzeugt.
In der zu druckenden Gröfse der Bogen find „Becker-Reifser", „Mari-
noni"-, j,Vi<5lory"- und „WalterPrefle" ganz gleich, da jede ein Papierformat von
36 auf 48 Wiener Zollen oder 12 Quadratfufs bedruckt, während die ^Augsburger
Unendliche** nur ein Format von 20 auf 29 Wiener Zollen oder 4 Quadratfufs
bedrucken kann.
Das zu leiftende Quantum, felbft bei den im Papierformate gleichen
Mafchinen, ift aber bei allen ein verfchiedenes. Während die „Becker-Reifser-
Mafchine" mit ihren angehängten Falzmafchinen nur höchftens 4000 Bogen in
der Stunde zu liefern vermag, ohne Falzmafchinen jedoch 6 — 7000 Bogen drucken
kann, druckt und falzt die „Vicflory-PrefTe** genau 6000 Bogen per Stunde. Für die
„Marinoni-PrefTe", welche leider inder Ausftellung nicht druckte, gibt der Erbauer
derfelben die Leiftungsfahigkeit mit 9000 Bogen an. Unferes Erachtens kann fie
jedoch nur gleichen Schritt mit der ihr nachgeahmten „Becker-Reifser-Mafchine"
halten.
Die „Walter-Preffe" und die ihr nachgebildete, für kleines Format gebaute
,. Augsburger Unendliche" drucken jedoch jede 12.000 Bogen in der Stunde.
Nach den Formaten und den Leiftungsfahigkeiten per Stunde ftellt fich
folgendes Verhältnifs im Wiener Flächenmafs heraus :
Bogengröfse Bogenanzahl Bedruckte Fläche
BeckerReifser ohne Falzmafchine 12 Quadratfufs 7.000 84.000 Quadratfufs
n „ mit j, ^ r 4.000 48.000 „
Vi<5lory „ „ ^ -^ 6.000 72.000 ^
Marinoni ohne ., « „ 7.000 84.000 ^
Walter r» « „ ,. 12.000 144.000 ,,
Augsburger „ ^ 4 ^ 12.000 48.000 ^
Hieraus ergibt fich, dafs der „ Walter-Preffe", was Leiftungsfahigkeit betrifft,
vor allen anderen während der Wiener Weltausftellung zu fehenden „Unendlichen"
unbedingt der Vorzug gebührt.
Nachdem wir den am meiften vorgefchrittenen grofsen Zeitungsdruck-
mafchinen unferen Tribut gezollt, gehen wir zu den anderen ausgeftellten Preffen
über und beginnen mit den kleinften derfelben, den fogenanntenAccidenzpreffcn,
welche theils durch Fufstritt, theils durch Dampf- oder Handbetrieb in Gang
gefetzt werden. Diefe waren in neun Exemplaren vertreten.
Hätten wir nicht eine liebe Bekannte darunter getroffen, fo wüfsten wir
wahrlich nichts Günftigesüber fie zu fagen. Diejenigen, auf denen nicht gedruckt
wurde, entziehen fich felbftverftändlich unferem Urtheile. Das Auffallendfte an
Buchdruck. i
denjenigen, auf welchen gedruckt wurde, war, dafs fie fich mehr oder weniger
durch Schmutz und Unreinlichkeit auszeichneten und dafs das darauf Gedruckte
auch wenig empfehlenswerth war.
Die eine, die wir fchon im Jahre 1872 in London bewunderten, und auf
welcher damals ein Profpect von ^London: a Pilgrimage**, Grofsquart. im Aus-
mafse von 9V2 auf 12 Wiener Zollen, mit 2 Holzfchnitten von Dor6, prachtvoll
gedruckt wurde, war in Wien in einem kleineren Formate vertreten. Es ift diefs
die Univerfal-Druckmafchine von Coddington & Kingsley in London. Trotz
der daran gemachten VerbefTerungen zeigte fich diefelbe in Wien jedoch wenig
einladend, da fie und der darauf druckende Arbeiter beinahe im Schmutz
erftickt find.
Gehen wir jetzt zu den gröfseren der gewöhnlichen Druckmafchinen über.
Aufser der von G. Sigl in Wi en gebauten und im Pavillon der „Neuen
Freien Prefle* aufgeftellten „Becker- Reifser-Mafchine" hat Oeflerreich nur zwei
Buchdruck-Schnellprefien ausgeftellt.
Die von Ludwig Kaifer in Wien ausgeftellte Mafchine ift das gerade
Gegentheil von der von J. Anger in Wien ausgeftellten; und wenn wir der letz-
teren einige Worte widmen, fo gefchieht diefs nur, um unfer Bedauern über ein
Werk auszufprechen, das durch fchlechten Gufs und fchlechtes Machwerk die
heimifche Mafchineninduftrie vor aller Welt geradezu verdunkeln mufste.
Wenn in einem Falle, können wir uns in diefem dem Urtheile der Jury
nicht accommodiren. Waren fchon Gründe für die an letztgenannten Ausfteller
erfolgte Preiszuerkennung vorhanden, fo hätte, unferem Dafürhalten nach, diefe
von der Verleihung einer höheren Auszeichnung an Ludwig Kaifer begleitet
fein follen.
Die Kaifer'fchen Mafchinen befitzen einen folch' guten Ruf, dafs wir über
das ausgeftellte Exemplar zu feiner Empfehlung eigentlich nichts weiter zu fagen
brauchten; da aber Herr Kaifer mehrere wefentliche VerbefTerungen daran ange-
bracht, fo müflen wir diefe befonders hervorheben. Das Farbzeug ift derart ein-
gerichtet, dafs man durch das verfchiedene Stellen desfelben bei jedem Bogen,
bei jedem zweiten und jedem vierten Bogen Farbe geben kann und dafs das«
felbe ftehen bleibt, wenn die Mafchine rückwärts gedreht wird.
Wer da weifs, welche Unzukömmlichkeiten entftehen, wenn durch das
Rtickwärtsdrehen der Mafchine durch den Ductorcylinder das ganze Farbzeug
eine veränderte Stellung erhält, die Farbe felbft über den Ductorcylinder auf die
Form tropft, der wird diefe Verbefferung zu würdigen wiffen. Nimmt man aber
noch an, dafs diefe Mafchine, ftatt Eifenbahn- oder die complicirte Kreisbewegung
zu haben, auf Schienen läuft, was befonders bei vorhandenem Dampfbetrieb vor-
theilhaft ift: fo wird man diefe neueften Verbefferungen und Erfindungen Kaifer's
willkommen heifsen.
Deutfchland war durch ftlnf Firmen vertreten.
Die Herren König & Bauer in Oberzeil bei Würzburg hatten eine
Zweifarben - Mafchine, eine Doppel-Tiegeldruckmafchine, eine Doppel - Schön-
druckmafchine für Zeitungen und eine lithographifche Schnellpreffe ausgeftellt.
Wenn wir fagen, dafs diefe Firma, deren Vorgänger die Erfinder der
Schnellpreffen find, diefes Jahr ihre zweitaufendfte Mafchine vollendet hat, fo
hätten wir zu ihrem Lobe eigentlich nichts mehr weiter hinzuzufügen. Ihre Ver-
befferungen an der Doppel-Tiegeldruckmafchine fordern jedoch, dafs wir ihr
unfere befondere Anerkennung ausfprechen. Ihre Schöndruck-Zeitungs-Doppel-
mafchine mit nur einem Druckcylinder, Schneidwerk und Bogenausleger ift für
Zeitungen mit nicht grofser Auflage fehr verwendbar. Das Syftem ift zwar nicht
neu, deiyi es ift fchon in ihren vierfachen Mafchinen enthalten und wurde, wenn
wir nicht irren, zuerft von Herrn Bragard, dem Obermafchinenmeifter der
Kölnifchen Zeitung, befürwortet. Sie dnickt 3500 Bogen einfeitig in der Stunde.
3 Ludwig Lott.
Dafs die Mafchinen der Herren König & Bauer als untadelhaft anerkannt
find, beweift das Verzeichnifs der Bnchdruckereien, die die erften zweitaufend
SchnellpreiTen erhalten haben. Diefes Verzeichnifs wurde am 6. September 1873
auf der zweitaufendften SchnellprefTe gedruckt. Die unter den Namen der Länder
angegebenen Zahlen zufammenaddirt ergeben nicht 2000, fondern 2027 Schnell-
preiTen, während, wenn man die gelieferten SchnellpreiTen jedes .einzelnen Landes
zufammenzählt, z. B. das Deutfche Reich nicht 1243, fondem nur 1235, Rufsland
nicht 392, fondem 393, Oeftcrreich nicht 95, fondem 94 und die Schweiz nicht 93,
fondern nur 66 SchnellpreiTen erhielt, fich die Summe von nur 1992 Schnellpreflen
herausftellt. So wenig aber diefes Verzeichnifs, das in der Eile verfafst zu fein
fcheint, auf Richtigkeit Anfpruch hat, ebenfo war auch an der ausgefeilten Zwei-
farben-Mafchine zu tadeln, dafs auch fie in der Eile zufammengeftellt wurde und
ihr Kleid kein ganz hochzeitliches war. Der Gufs war hie und da nicht ordentlich
verputzt und waren die Lagerdeckel nicht parallel aufgefchraubt. Wenn durch
folche untergeordnete Aeufserlichkeiten die Vorzüglichkeit der Mafchine, welche
Cylinder- und rotirende Tifchfärbung hatte, auch nicht im Geringflen beeinträch-
tiget wird : fo foUten doch bei einem Ausilellungsobjecte diefe, wenn auch klei-
nen Unfchönheiten nicht vorkommen, zumal bei einer Fabrik, an deren Werken
man fonil felbft mit der Lupe folche Unebenheiten nicht zu finden vermag.
Klein, Ford & Bohn Nachfolger in Johannisberg am Rhein
hatten zwei Buchdruck-SchnellprefTen, deren eine mit Eifenbahn* und die andere
mit Kreisbewegung verfehen waren, und eine lithographifche Schnellpreffe aus-
geftellt.
Beide Buchdruck-Schnellpreffen waren mit doppeltem Greiferfyftem ver-
fehen, um die Bogen ohne Bänder zwifchen dem Druckcylinder und der Form
durchzuführen.
Als Neuerang waren an den Druckcylindera Vorrichtungen angebracht,
mittelfl deren die Zurichtung oder die Oelbogen, ohne zu kleiilern, feflgehalten
werden. Bei der Walzengiefsflafche war ftatt des einzufleckenden Kreuzes ein
voller Anfatz aus Mefling angebracht, der fich fehr empfiehlt. Mafchinen diefer
Fabrik, die in Wiener Buchdrackereienaufgeflellt find, werden von deren Befitzem
fehr gelobt.
Die „Mafchinenfabrik Augsburg** in Augsburg hatte eine ein
fache Schnellpreffe, eine Zweifarben-Mafchine und die fchon oben berührte
„Unendliche** ausgeflellt. Alle drei Mafchinen waren mit dreifachen Riemfcheiben
verfehen, um den Gang nach Belieben fchneller oder langfamer reguliren zu
können. Die einfache Schnellpreffe warmitSelbflauslegerundBogenfchneider, die
Zweifarben-Mafchine mit Tifch- und Cylinderfärbung und verfchiebbarem Aus-
legetifch verfehen. Das auf der „Unendlichen" gedruckte Verzeichnifs, nach wel-
chem bis zum I. Mai d. J. 787 Stück SchnellpreiTen geliefert wurden, gibt Zeug-
nifs von der Beliebtheit der Mafchinen diefer Fabrik.
Aichele & Bachmann in Berlin hatten eine Schnellpreffe mit
Eifenbahnbewegung, Selbftausleger und Papierfchneidcr ausgeflellt, über die
wir nichts weiter fagen können, als dafs fie aus einer Verquickung verfchiedener
Syfleme beAand und fchwerfUUig war.
Die vierfache Zeitungsdruckmafchine von C. Hummel in Berlin machte
durch ihren ganz rohen Gufs, an den beinahe keine Feile gelegt war, und den
auf der Mafchine haftenden Staub einen ungünfligen Eindrack auf uns. Da fie
flill fland, konnten wir ihren Gang nicht beurtheilen.
Die Betonung der Form der Erfcheinung ifl den Franzofen ungleich
geläufiger — wahrlich zu ihrem Vortheile.
Zwei andere vierfache Zeitungsdruckmafchinen waren ausgeflellt von
Alauzet Fils und Marinoni, beide in Paris. Diefe Reacflionsmafchinen haben
das mit einander gemein, dafs ihre Druckcylinder fo klein find, dafs fie fich über dem
Buchdruck. 9
Schriftfatz zweimal umdrehen. Durch diefe Conftru<5lion ift zwar der Gang ein
kurzer und die Leiftungsfähigkeit eine erhöhte, und fo lange die nach jedes-
maligem Drucke zu wafchenden Filze noch neu und elaflifch fmd, iil auch der
Druck ein lesbarer; find aber die Filze durch öfteres Wafchen hart geworden
und haben diefelben an Elailicität verloren, fo wird der Druck flets ein fchlechter
werden, denn durch das zweimajige Umdrehen des Druckcylinders erhält der Filz
eine doppelte Schattirung, weil der Cylinder bei jedesmaliger Umdrehung eine
andere Stelle des Satzes trifft. Enthält nun der Satz auch noch grofse Inferate oder
Inferate mit grofsen und fetten Lettern, namentlich mit dicken, fchwarzen Ein-
fafslinien, fo ifl der Uebelfland noch gröfser, da die Stellen des Cylinders, die
von diefen getroffen werden, bald auch die Schattirung davon erhalten. Trifft
nun eine folche flarkfchattirte Stelle des Cylinders die entgegengefetze Seite
des Satzes, fo mufs der Druck desfelben ausbleiben oder unvollkommen fein.
Finden nun durch Unachtfamkeit der Einleger auch noch leere Durchgänge
ilatt, fo dafs die Farbe auf den Filzen eine Krude bildet, fo ift der Druck bald
nicht mehr zum anfehen.
Der Autor diefes hat diefe Erfahrungen bei den früher in der Druckerei
der „Preffe** geilandenen Perreau'fchen dreifachen Mafchinen gemacht. Wenn
auch der Druck beim Beginn desfelben ein annehmbarer war, fo wurde derfelbe doch
nach und nach fchlechter, und endlich fo fchlecbt, dafs nach Vollendung eines
Theiles der Auflage frifche Filze aufgezogen werden mufsten.
Er kann daher nur folche Mafchinen zum Zeitungsdrucke empfehlen, wo
die Cylinder bei einmaliger Umdrehung die ganze Druck fläche umfaffen.
Alauzet P^re in Paris hat zwei Schöndruckmafchinen und eine foge-
nannte Completmafchine ausgefeilt. Diefelben haben, wie alle franzöfifchen
Mafchinen, Tifchfärbung.
Die eine Schöndruckmafchine enthielt ein Numerirwerk von D e r r i e y
in Paris, was jedoch fo hoch conflruirt ift, dafs das Fundament der Mäfchine, wie
bei einer lithographifchen SchnellprefTe, um mehr als einen Zoll vertieft ange-
bracht ift.
Will man nun auf diefer Mäfchine, die für befonders fchönen, nament-
lich Illuftrationsdruck eingerichtet fein foll, ftatt diefer Numerirung etwas
'Anderes drucken : fo mufs das Fundament, welches nicht erhöht werden kann,
mit einer gehobelten Eifenplatte fo hoch ausgefüllt werden, dafs die Schrifthöhe
erreicht wird.
Ob diefs nun nicht ein gewagter Vorgang ift, erlauben wir uns nicht zu
beurtheilen. Als wir diefe Bedenken dem Auffeher der Mäfchine mittheilten,
fchüttelte er die Schultern. Unferes Bedünkens ift die Mäfchine nur für das
Derriey'fche Numerirwerk gebaut und zu nichts Anderem.
Die Completmafchine hat zwei Druckcylinder und folche Greifervor-
richtung, dafs der Bogen vom Schöndruckcylinder nach vollendetem Drucke
fogleich auf den Widerdruckcylinder übergeht. Damit fich diefe Cylinder nicht
verfchmieren können, wird nach jedem Drucke ein Maculaturbogen eingelegt.
Der einzige Vortheil folcher Completmafchinen befteht nur in dem guten Regifter-
halten, denn durch das Einlegen von Maculatur nach jedem Drucke wird keine
Erfpamifs erzielt.
Maulde, Geibel & Wibart in Paris haben aufser einer kleinen
Accidenzpreffe, „Sanspareille'' genannt, noch eine Schöndruckmafchine ausgeftellt,
deren Cylinder ftatt der Aüffangsgabel durch Zähne feftgehalten wird. Diefe
eigene Erfindung der P'abrik zwingt den Cylinder zum alfogleichen Stillftand,
wodurch das Anlegen der Bogen fehr erleichtert wird. Auch eine Verbef-
ferung an den Pun(5luren ift angebracht , damit die Bogen nicht einreifsen
können.
Die an den Walzenlagern angebrachten Würfel, um die Walzen beim Still-
ftehen der Mäfchine darauf zu legen, find gut, aber nicht unbedingt nothwendig,
10 Ludwig Loil.
da alle franzöfifchen Walzenlager oben die ^-^-Form haben, auf die man die Walzen
legen kann.
Der Farbetifch, aus einer grofsen Marraorplatte beftehend, ift ein grofser
Luxus, und wir rathen jedem Buchdrucker, fich diefe Tifche nur aus Linden- oder
Ahomholz anfertigen zu laffen, da Holz als fchlechter Wärmeleiter zur befferen
Verreibung der Farbe viel eher geeignet ift, als Stein oder Eifen.
Alauzet Fils in Paris hat aufser der oben befprochenen vierfachen
Zeitnngsdruckmafchine noch eine zweifache Schnellprefle für lUuftrationsdruck
ausgeftellt. Diefe Mafchine ift hinfichtlich ihrer Druckfläche und des Umfanges
der Cylinder und der Vorrichtung zum jedesmaligen Maculatureinlegen der von
P. Alauzet befprochenen Completmafchine ähnlich.
Sie unterfcheidet fich nur dadurch, dafs fie durch Verftellung einiger
Beftandtheilc in ein paar Minuten aus einer Completmafchine in eine Doppel-
Schöndruckmafchine und umgekehrt verwandelt werden kann.
Alle franzöfifchen Mafchinen find für das Auge hergerichtet, felbft die
Schwungräder find abgedreht, fo dafs man nach ihnen die Mafchinen von Hummel
und Anger gar nicht mehr anfehen kann.
Dafs aus England fo wenig BuchMruck-Mafchinen ausgeftellt waren, ift
zu bedauern.
Aufser der Firma Hughes &Kimber, die durch ihren Wiener Agenten,
Herrn Julius Schilling, eine „Paragon-** und eine „Wharfedale"- Mafchine aus-
geftellt hatte, fehlten alle Firmen, die in der vorjährigen Londoner Ausftellung fo
reich vertreten waren. Was die Urfache ihres Fernbleibens ift, können wir nicht
crrathen, denn ihre Schnellpreflen find von der Art, dafs fie jeden Wettkampf
eingehen können. Die ausgeftellte „Wharfedale" ift wie die von allen anderen
Fabriken gebauten gleichen Namens, die „allein echte**. Mit diefen Mafchinen
geht es wie mit dem Kölnerwafier, von welchem jede Fabrik nur das „allein
echte" erzeugt.
Das Eigenthümliche an diefer Mafchine ift, dafs ihr Cylinder nur vor-
wärts, nie rückwärts gehen kann ; auch hat diefe Mafchine einen mechanifchen
Ausleger, was bei den englifchen Mafchinen eine Seltenheit ift.
Dafs diefe Mafchine ebenfo fauber und rein gearbeitet ift, wie alle Erzeug-
nilTe diefer Firma, wollen wir nur nebenher bemerken.
Die letzte der ausgeftellten Schnellpreffen ftammt aus der Buchdruck-
Mafchinenfabrik von J. G. Eickhoff in Kopenhagen. Sie ift nach König &
Bauer'fchem Syftem gebaut, ohne die Vorzüglichkeit des Originals zu erreichen.
Befonders fiel der ganz rohe Rechen am Ausleger auf. —
Von den übrigen Hilfsmafchinen und Utenfilien für Buchdruckerei mufste
man das Ausgeftellte in allen Winkeln und Gruppen zufammenfuchen. So z. B.
in Gruppe VII (Metallinduftrie) waren in der öfterreichifchen Abtheilung ver-
treten: Johann Hrufsa in Wien mit galvanoplaftifchen Arbeiten; Johann
Weifs & Sohn in Wien mit Regalen, Schriftfetzkäften und anderen Buchdruck-
Utenfilien, die alle grofsen Beifall fanden. Franz Reh in W i e n hatte eine Samm-
lung von Kartenfchneidemafchinen aufgeftellt, die fich durch Handlichkeit und
faubere Arbeit auszeichneten, wefshalb auch alle angekauft wurden.
In dem Annexe des Deutfchen Reiches waren in Gruppe XII neben einer
grofsen Thurmuhr ein Säulenpantograph, eine Univerfal-Guillochirmafchine, eine
Wellen- und Reliefmafchine und eine Liniirmafchine von S old an & Steyert in
Bornheim bei Frankfurt a. M. untergebracht.
In der Mafchinenhalle fanden wir aufgeftellt : Fritz Jänecke in Berlin
zwei HandprefTen, eine Perforir-, eine Numerirmafchine und ein Giefsinftrument
für Papierfiereotypie; HandprefTen von Dingler in Zweibrücken; Papier-
fchneidemafchinen von Gebrüder Heim in Offen bach, und ein Giefsinftrument
für Papierftereotypie und eine kleine Handprefie von Ruft & Comp, in Wien.
Buchdruck. 1 1
Hughes & Kimber in London hatten, aufser der oben befprochenen
SchnellprefTe, eine Satinirmafchine und eine Glättpreffe für Photographen, eine
Perforirmafchine und eine Paginir- und Numerirmafchine ausgeftellt.
Aus dem Fache der Schriftgiefserei waren ausgeftellt theils gedruckte
Schriftproben, theils Lettern, Matrizen und Stahlftempel:
Von den Firmen: Bruce's Son & Comp, in Ne w-Yo rk; Stephenfon,
Blake & Comp, in London und Reed & Fox in London; die Impri-
merie nationale deLisbonneinLi f f a b o n hatte unter andern auch eine
fehr fchöne grofse galvanoplaftifche Platte.
C. Derriey in Paris hatte neben feinen berühmten Schriftproben und
Stempeln eine ganze CoUeölion von Numerirwerken verfchiedener Schriftkegel
ausgeftellt, die jedoch alle eine gröfsere als Schrifthöhe hatten, fo dafs fie auf
einer gewöhnlichen SchnellprefTe fchwerlich verwendet werden können, wefshalb
auch unferes Bedünkens eine eigene PrefTe mit tiefer liegendem Fundamente dazu
gehört, gleich der oben befprochenen vonAlauzet P^re in Paris, oder dafs
diefelben auf das Fundament einer lithographifchen SchnellprefTe gefchlofTen
werden müfTen. AI. H aas' f che Schriftgiefserei in Bafel ; Johann Enfchede &
Sohn in Harlem.
Aus Deut fehl and brachte die königliche Geheime Ober-Hof-
buchdruckerei (R. V. Decker) in Berlin reichhaltige Schriftproben von 1 776
bis 1873. Wilh. Gr onau's Buchdruckerei undSchriftgiefserei in Berlin, Gravir-
Arbeiten, Stempel und Schriftproben jPlefse&Lührsin Hamburg, Logotypen
und Abbildung eines Schriftkaftens für Logotypen. Ueber das Unpraktifche der
Logotypen wurde fchon fo viel gefchrieben, dafs aufser Herrn Plefse, der von
jeher für Logotypen fchwärmte, wohl fchwerlich ein Buchdrucker fich damit
bef äffen wird. Schriftgiefserei Flinfch in Frankfurt a. M. ; Wilh. Wö lim er's
Schriftgiefserei in Berlin; Sachs & Schumacher in Mannheim, Placat-
fchriften von Holz, Setzfchiffe und Schriftkäften.
Aus Oefterreich waren vertreten die Firmen: „Bohemia" Acftien-
Gefellfchaft für Papier- und Druckinduftrie (früher Gottlieb Haafe) in Prag;
Carl Faulmann in Wien (ftenographifche Typen, Matrizen und Stempel,
Schriftproben und Abdruck eines ftenographifchen Setzkaftens) ; Carl Fromme
in W i e n (unter anderen reichhaltigen Schriftproben eine gefetzte Firmatafel aus
Inferateneinfafsung) ; Leopold S o m m e r & Comp.; k. k. Hof- und Staats-
druckerei; Poppelbaum &Bafsow; Rudhard & Pollak, und J. H. Ruft
und Comp., fammtlich in Wien.
Rufsl and: Jofel J. Lehmann in St. Pe tersburg; Hippolyt Orgel-
brand &Metfcheslaw in War fc hau.
Rumänien: Peftemangiogliu in Braila.
Japan: Comit^ für den Orientund Oftafien Typen und galva-
nifche Matrizen.
Die Buchdruckerfchwärze und bunte Farben
1 Gruppe III) waren vertreten durch die Firmen :
Grofsbritannien:A. B. Fleming & Comp, in L e i t h bei Edinburgh ;
Corneliffen & Talle in London; Denton & Juftum in London;
D. Bewicke & Comp, in London.
Frankreich: Ch. G. Hardy Milori in Pari s; D. Corniquet in
Paris; Prudon& Comp, in Paris.
Italien: Vincenz B a f f o lini in Mailand.
Deut fc bland: Julius Hoftmann in Celle; Robert G y f a e in O b e r-
Löfsnitz-D resden; Gebrüder Jaenecke & Fr. Schneemann in Han-
nover; Albert Kaft in Stuttgart; Gebrüder Haenlein in Frankfurt a. M.
12 Ludwig Lott.
Oefterreich: F. Wüfte in Pfaffftätten bei Baden; And^s &
Froebe inSimmering bei Wien.
Wir gehen nun zu den
Erzeugniffen der Buchdruckerpreffen
über. So wie diefe in den weiten Räumen des Ausftellungspalaftes zerftreut
waren, gaben fie ein Bild im Kleinen von der grofsen Zerflreuung und der weiten
Verbreitung der fchwarzen Kunfl über alle Theile der Erde ; denn nicht nur
Oefterreich-Ungarn, das Deutfche Reich und Europa, felbft die entfernteflen
Theile der Welt : die Infel Mauritius im indifchen Ocean fowohl, als Hongkong
und Shanghai in China und alle Theile von Amerika waren mit Erzeugniffen der
Kunfl Guttenberg's erfchienen.
Die periodifche PrefTe, welche nur von Amerika, Deutfchland und Oefter-
reich fehr ftark vertreten war, liefs ihren Umfang defshalb nicht ganz erkennen,
weil die wenigftenAusftellungscommiffionen der Einladung nachgekommen waren,
die Leiftungen der periodifchen Preffe bekannt zu geben. Von einigen Ländern,
namentlich England, Frankreich, Rufsland, Norwegen, konnten wir gar keine
Daten erhalten, und die übrigen Commiffionen fcheinen nur die täglich erfchei-
nenden oder politifchen Blätter ins Auge gefafst zu haben. Detaillirte Statiftiken
haben nur Portugal und die Schweiz verfafst, und die Zahlen, die diefe beiden
kleinen Länder aufweifen, geben einen beiläufigen Begriff von dem unendlich
weiten Wirkungskreife der periodifchen Preffe.
Wir wollen die Daten, fo weit fie uns zu Gebote ftanden, hier mittheilen.
In der fiidlichen Quergallerie 30 war bei den portugiefifchen
Ausftellungsobje(5len aus Gruppe XII eine auf weifsen Atlas gedruckte
ftatiftifche Tabelle aufgehängt, in welcher die periodifche Preffe vom Jahre 1641
bis 1872 dargeftellt war. Indem wir die Zahlen von 1872 nachftehend wiedergeben,
muffen wir die Verantwortlichkeit für diefelben der portugiefifchen Commiffion
tiberlaffen ; den anderen gröfseren Ländern, namentlich Oefterreich gegenüber,
fcheint uns die Anzahl, namentlich der politifchen und literarifchen, fehr hoch-
gegriffen, da die der politifchen allein die Ziffer der gefammten in Oefterreich
erfcheinenden Zeitungen überragt.
Im Jahre 1872 erfchienen in dem nur 1725 Quadratmeilen grofsen Portu-
gal 1407 periodifche Blätter und zwar: 850 politifche, 261 literarifche etc., 41 für
Handel, Gewerbe und Ackerbau, 26 für Medicin und Pharmacie, 40 juridifche
und adminiftrative, 46 für Religion und Theologie, 9 militärifche, 47 für Theater,
Kunft, Mode, 45 fatirifche, komifche und kritifche und 42 für Ankündigungen.
Die nur 730 Quadratmeilen zählende Schweiz befafs im Jahre 1872 im
Ganzen 412 Zeitungen und zwar 225 politifche, 31 Amts-, 36religiöfe, 4 juriftifche
Blätter, 12 Schulzeitungen, 9 Handels- und Gewerbe-, 6 naturwiffenfchaftliche,
19 allgemein wiffenfchaftliche, 18 land- und forftwiffenfchaftliche Blätter. 4Militär-
Zeitungen, 18 Unterhaltungs- und illuftrirte Blätter, 5 Modejournale und 25
Anzeige- und Fremdenblätter.
Wie unvoUftändig felbft die amtlichen Journalverzeichniffe find, erfieht
man daraus, dafs in dem des Deutfchen Reiches nur 2064 Zeitungen aufge-
zählt werden. Bayern, Heffen und Württemberg find in diefem Verzeichniffe nicht
mit einbegriffen.
Nordamerika hatte im Jahre 1870 nicht weniger als 5858 Zeitungen
und hat fich diefe Zahl bis jetzt auf beinahe 8000 erhoben. In der Gruppe XXVI
hatte Herr Erneft Steiger, in vielen Bänden geheftet, eine grofse Sammlung
von Zeitungen in allen nur erdenklichen Formaten veranftaltet, durch die man
ein annäherndes Bild der amerikanifchen periodifchen Literatur gewann.
Buchdruck. 13
Brafilien. Aus Rio de Janeiro lagen neun täglich erfcheinende Zei-
tungen vor.
Frankreich. Aufser den von Ate. Marc & Comp, in Paris verandal-
teten Separatabdrücken des Journals „L'Illuftration", welche Anflehten der Wiener
Weltausflellnng brachten, lagen keine weiteren Zeitungen vor und konnten wir
auch keine ilatidifchen Daten erhalten.
Italien befafs 1126 Journale; davon erfcheinen 1099 in italienifcher, 14 in
franzöfifcher, 6 in englifcher, 2 in deutfcher Sprache und 5 in verfchiedenen
Dialekten.
Schweden hatte über 200 Journale, von denen der dritte Theil in Stock-
holm erfcheint.
Dänemark hat ebenfalls über 200 Journale, von denen die Hälfte poli-
tifchen Inhaltes flnd.
In Belgien hat beinahe jede Stadt ein eigenes Journal, und waren viele
Zeitungen ausgelegt, die meiden in franzöfifcher und vlämifcher Sprache. Die
genaue Anzahl konnten wir jedoch nicht in Erfahrung bringen.
Die Niederlande und ihre Colonien zählen aufser 36 politifchen noch
200 nicht-politifche Journale, Wochen- und Monatsfchriften.
Das Deutfche Reich zählt nach dem amtlichen Poft-Abonnementsver-
zcichnifs 2064 Journale. Davon erfcheinen 240 in Berlin, 162 in Leipzig, 44 in
Hamburg, 44 in Dresden, 23 in Trier, je 22 in Breslau und Frankfurt a. M.,
19 in Bremen, 16 in Cöln, je 13 in Königsberg und Mainz, je 12 in Braunfchweig
und Elberfeld u. f. w.
Von den im ofTiciellen Verzeichniffe nicht enthaltenen Ländern, als : Bayern,
Württemberg und Helfen, fehlen uns leider die Angaben, doch mufs die Zahl der
hieher gehörigen Blätter bedeutend fein, wenn man die grofse Thätigkeit der
Preffc nur allein in Stuttgart in Betracht zieht. Die in Gruppe XXVI an zwei
grofsen Wandflächen angehefteten Journale, von denen leider meiflens nur der
Titel zu fehen war, gaben ein getreues Bild des Culturzudandes, denn beinahe
jedes Städtchen war durch eine Zeitung oder ein Wochenblatt vertreten.
In Oefter reich, und zwar in den im Reichsrathe vertretenen König-
reichen und Ländern, erfchienen laut dem amtlichen Podverzeichniffe im 4. Quartal
1873 im Ganzen 827 Journale, und zwar 598 in deutfcher, 100 in böhmifcher, 49
in italienifcher, 42 in polnlfcher, 24 in flovenifcher, 6 in ruthenifcher, je 2 in
ferbifcher, griechifcher und hebräifcher und je i in franzöfifcher und rumänifcher
Sprache.
In Ungarn und Croatien erfchienen nach derfelben Quelle 291 Zeit-
fchriften, davon 184 in ungarifcher, 59 in deutfcher, 14 in flovakifcher, ii in rumä-
nifcher, 10 in croatifcher, 9 in ferbifcher, 2 in czechifcher und je i in griechifcher
und italienifcher Sprache.
Die Sammlung der öfterreichifchen Zeitfchriften, welche das k. k. Handels-
Miniflerium in dem Pavillon der additionellen Ausflellung an zwei grofsen Wand-
flächen veranftaltete, lieferte den Beweis, dafs, trotzdem die meiden täglich
erfcheinenden Journale auf ordinärem Papier gedruckt werden, das Papier der
öfterreichifchen Zeitfchriften im Allgemeinen doch ein befferes Ausfehen behalten
hatte, als die Sammlung der im Deutfchen Reich erfcheinenden und im Annexe der
1 4 Ludwig Lott.
deutfchen Ausftellung in Gruppe XXVI ausgeftellten. Diefe fchimmerten in allen
Nuancen von Grau und Grün und legte jedes Blatt Zeugnifs ab von dem gröfseren
oder geringeren Holzreichthum feines Papiers. Man konnte da recht deutlich
fehen, wie die Einwirkung von Licht und Luft die künftliche Bleiche des Holz
ftoffpapiers vernichtet, während die Papiere, deren Hauptbeflandtheil Hadern
oder Espartogras war, fich viel fchöner weifs erhielten und grell gegen die
Holzftoffpapiere hervorftachen. So war z. B. von den täglich erfcheinenden
Zeitungen das öfterreichifche Journal „Die Preffe" in der öfterreichifchen
Abtheilung noch im Odlober ganz weifs, während alle andern vergilbt und grau
waren.
Nächft Oefterreich muffen wir noch eines deutfchen Fürftenthums gedenken,
das weder zum Deutfchen Reich noch zu Oefterreich gehört : das Fürflenthum
Liechtenftein nämlich befitzt Eine Zeitfchrift und zwar das in Vaduz erfchei-
nende „Liechtenflein'fche Wochenblatt".
Aus Rufsland konnten wir nur 64 Zeitfchriften conftatiren; davon
erfcheinen ^s in ruffifcher, 20 in polnifcher, 5 in deutfcher, 4 in franzöfifcher und
2 in hebräifchcr Sprache.
Griechenland hatte eine Sammlung von 141 Zeitfchriften ausgeftellt
und waren auch die Auflagen derfelben verzeichnet, von denen die höchfte 500
Exemplare betrug. Mit fehr wenigen Ausnahmen liefs der Druck derfelben viel zu
wünfchen übrig. Die meiden, 66, erfcheinen in Athen und zwar 61 in griechi-
fcher, 3 in franzöfifcher, i in italienifcher und i in griechifcher und franzöfifcher
Sprache.
In der Türkei erfcheinen 51 Zeitfchriften und zwar 13 in türkifcher, je 9
in armenifcher und franzöfifcher, 7 in griechifcher, je 4 in bulgarifcher und italie-
nifcher, 3 in englifcher und 2 in hebräifcher Sprache. Eine deutfche Zeitung hat
fich bis jetzt, trotz wiederholter Verfuche, nicht erhalten können.
Im Fürftenthume Rumänien erfcheinen 17 Zeitfchriften und zwar in
rumänifcher, ferbifcher und czechifcher, 2 in franzöfifcher und i in englifcher
Sprache.
Aus Obigem erfieht man die grofse Verbreitung der periodifchen Preffe
über den ganzen Erdball und lernt die fechfte Grofsmacht kennen, die Gutten-
berg's Kunft geschaffen hat.
Was diefe Kunft auf dem gefammten geiftigen Gebiete leiftet, werden wir
in kurzen Strichen inNachftehendem darzuftellen verfuchen, wobei wir die Reihen-
folge des officiellen Generalkataloges beibehalten.
Nordamerika. Wenn auch die eigentlichen Buchdrucker nicht viel
gefandt hatten, fo war doch eine folche Menge amerikanifcher Buchdruck- Erzeug-
niffe vorhanden, dafs man bei eingehender Würdigung derfelben einen ftattlichen
Separatbericht erftatten könnte.
Aufser den in Gruppe XXVI ausgeftellten hatte die geogr aphif che
Gefellfchaft eine recht htibfche Sammlung von Lehrmitteln gebracht, die
jedoch meift das Gewöhnliche nicht überragten, zudem waren viele derfelben
nicht in Amerika gedruckt worden.
Von den übrigen Ausftellern wollen wir nur diejenigen hervorheben, die
eben auch Hervorragendes geleiftet. L. Graham's in N e w- Orleans Accidenz-
und Ornamente-Druckproben geben Zeugnifs von der grofsen Reichhaltigkeit
der Typen, welche diefe Druckerei nicht nur befitzt, fondern auch grofsentheils
mit Gefchmack zu verwenden weifs. — Oscar Harpel in Cincinnati hatte
ein Druckprobenbuch: „Harpel's Typograph", gebracht, welches eine
Sammlung vieler und gefchmackvoll ausgeführter Druckfachen für den täglichen
Verkehr in allen Farben enthielt. Einen Beweis, wie diefe regfame Firma jede
Buchdruck. 1 5
Neuerung auf graphifchem Gebiete in ihren Kreis zu ziehen fucht, liefert das Por-
trät Guttenberg's in Stigmatotypie, das diefelbe mittelft einer von Fafol in Wien
bezogenen und in der Druckerei des Journals „Die Preffe" erzeugten Stereo
typplatte vervielfältigt hatte. Eine galvanifche Platte in der Gröfse von i6 auf 21
Zoll von der Firma Schniedewend, Lee & Comp, in C h i c a g o , welche Firma
in dem officiellen Generalkatalog jedoch nicht genannt ift, war vorzüglich her-
geftellt und nächd der von der ^Imprimerie nationale de Lisbonne** ausgeftellten
Platte das Vorzüglichfte, was überhaupt auf diefem Gebiete zu fehen war. —
Georges Bruce's Son & Comp, in Nöw-York hatten eine reiche Samm-
lung fchöner Schriftproben dargelegt, deren Satz und Druck nichts zu wünfchen
übrig liefsen. Diefe Firma befitzt eine grofse Auswahl von fogenannten Schreib-
fchriften, die gröfstentheils fehr fchön gefchnitten find. — DieNatio nalb ank-
Note-Company in New-York hatte eine Sammlung von Briefmarken, Bank-
noten und fonAigen Werthpapieren ausgeftellt, deren Einfachheit, Schönheit und
künfllerifche Vollendung Zeugnifs geben von der hohen Stufe, auf der diefes
Inftitut fteht.
Aus den Vereinigten Staaten von Venezuela hatten die beiden
Buchhändler A. Rothe und Ro jas Hermanos in C aracas einige Verlags-
werke eingefendet, über die fich fonft nichts fagen läfst, als dafs fie eben da
waren.
Brafilien. Die Ausfiel lungs com miffion diefes Landes hatte uns
auch einige Bücher und fonftige Erzeugnifle der Buchdruckcrpreffe gebracht,
über die fich jedoch ebenfalls nicht viel fagen läfst.
Die Typografia national hatte nur Gewöhnliches, dieTyp ograf ia
an iverfal dagegen einige gut gedruckte Bücher geliefert.
Grofsbritannien war im nördlichen Hofe i b leider nur durch wenige
Ausfleller vertreten und bot das Ausgeftellte keineswegs ein Bild der englifchen
Preffe, die doch im Allgemeinen fo Vorzügliches leiftet, während in diefem Hofe
beinahe nur alltägliche Marktwaare zu fehen war. Die Schriftproben von S t e •
phenfon, Blake & Comp, und Reed & Fox in London, befonders fehr fchöne
Antiquafchriften enthaltend, find fauber und rein gedruckt. Den auf Blech
gedruckten und überlackirten Placaten, welche die Firmen Johnfon & Sons
und Grant & Comp, ausgeftellt hatten, konnte man nicht anfehen, wo der Druck
aufhörte und der Pinfel anfing.
In der füdlichen Quergallerie 2,b hingegen waren vier Ausfteller vertreten,
deren jeder eigen in feiner Art ift. Grant & Comp, in L o n d o n hatten neben
Anderem ein Prachtwerk in Folio: „London a Pilgrimage", ausgeftellt. Die Illu-
ftrationen, befonders aus dem Londoner Nachtleben, lieferte Guftav Dor6, wäh-
rend der Text von dem gründlichen Kenner des Londoner Volkslebens, Blan-
chard Jerrold, beforgt wurde. Der Druck fowohl der Holzfchnitte als des Textes
ift meifterhaft. Eine kleine Probe von Holzfchnitt und Druck des Werkes hatten
wir fchoB im Jahre 1872 zu bewundern Gelegenheit Die Herren Grant & Comp,
druckten nämlich damals in der Londoner Ausftellung auf der „UniverfalPrinting-
Machine** einen Profpe<5l diefes Prachtwerkes, der Zeugnifs ablegte von der Fein-
heit der Holzfchnitte und der Leiftungsfähigkeit der flir Dampfbetrieb und Fufs-
tritt eingerichteten und von Coddington & Kingsley in London erbauten
kleinen Preffe.
Die bri tifche und ausländifche Bibelgefellfchaft in London
hatte Bibeln, das Neue Teftament und einzelne Theile der heiligen Schrift aus-
geftellt, die in 204 verfchiedenen Sprachen und Diale<5len gedruckt waren. Die
Gefellfchaft hat feit ihrem Beftande (fie wurde 1804 gegründet) mehr als 70 Mil-
lionen Gulden für die Ueberfetzung, für den Druck, an dem beinahe jedes Land
2
16 Ludwig Lott.
der Erde participirt, und für die Verbreitung von Bibeln, Neuen Teftamenten etc.
ausgegeben.
Die Rel i giö fe Tractat-Gefellfch aft in London hatte ihre from-
men Schriften, gleichfalls in allen möglichen Sprachen gedruckt, ausgeftellt. Den
Schriften fah mau es aber auch an, dafs die Gefellfchaft mehr auf Billigkeit als
auf gutes Papier und faubern Druck zu fehen fcheint.
Der Sonntagsfchul- Verein in London legte Zeugnifs ab von feiner
fegensreichen Wirkfamkeit. Die vielen Unterrichtstafeln, von Terry in London
gedruckt, könnten wegen ihrer bunten Mannigfaltigkeit recht gut als reichhaltige
Proben für eine Fabrik bunter Buchdruckfarben gebraucht werden.
Portugal. Die Firma Lalle man t Fröres inLifsabon fcheint heute
noch auf dem Standpunkte zu ftehen, auf dem Wien vor drei Jahrzehnten (land,
aber hoffentlich wird die Imprime rie nationale deLisbonne auch dort
fo fegensreich wirken, wiediek. k. Staatsdruckerei in Wien gewirkt hat. Was man
in Fachblättern über die LifsabonnerNationaldruckerei gelefen, das hat
fie uns in der Weltausftellung vor Augen geführt. Das Herz mufste jedem Kund-
freunde und Kunftjünger fo zu fagen im Leibe lachen, der fich diefe Sammlung
befah. Alles was vorhanden, war meifterhaft ausgeführt. Kein Kritiker hätte, felbfl
mit der Lupe bewaffnet, einen Fehler entdecken können. Eine grofse, fchön
ausgeführte galvanifche Platte hatte auf der ganzen Weltausftellung nur Einen
Nebenbuhler an der von Schniedewend, Lee & Comp, in C h i c a g o verfertig-
ten und von L.Graham inNew-Orleans ausgeftellte'n. Beide Platten waren fo
fchön fcharf und tief, dafs man vielleicht einen Unterfchied nur dann hätte finden
können, wenn beide neben einander gelegen hätten. Die ausgeftellten Stahl-
flempel, Matrizen, Guillochen, Linien und Typen, fowie das Probebuch, die
Werthpapiere und Briefmarken, der Werk- und Mufiknotendruck gaben Zeugnifs
von dem hohen Standpunkte, auf dem diefe Anftalt fteht. Von der räumlichen
Ausdehnung und der Zahl der Preffen u. f. w. konnte man einen Begriff bekommen,
wenn man die einzelnen, photographifch aufgenommenen Säle betrachtete.
Spanien. Von den im Kataloge verzeichneten 21 Ausftellern haben wir
nur einige wenige vorgefunden, und das von diefen in Vorlage Gebrachte ent-
zieht fich einer Befprechung. Die bei der Firma G. Eftrada in Madrid ver-
zeichnete Fachzeitung „La Typografia**, die uns wohl etwas Befferes aus Spanien
gebracht hätte, konnten wir nicht finden.
Frankreich hat bewiefen, dafs es fchon mehrere Ausftellungen gehabt
und in diefem Felde kein Neuling mehr ift. Schon die Anordnung war eine folche,
wie fie fonft nirgends vorgekommen ift. Nicht allein war jeder Gegenftand derart
geftellt, dafs er fich gut präfentirte, fondem es war auch geftattet, ihn fo zu fagen
in- und auswendig zu betrachten. Befonders gilt diefs von den in eigenen gegen-
überftehenden Pavillons untergebrachten Werken der Firmen Hachette&
Comp, in Paris und Alf Mame & Sohn in Tours, die durch die Vollkommen-
heit der Ausftellungsobje(5le und deren fürs Auge gefällige Anordnung fich vor
allen anderen Ausftellern gerechten Ruhm erwarben. Diefe beiden rühmlichft
bekannten Firmen hatten des Guten und Schönen fo viel gebracht, dafs wir, um
es kurz zu faffen, fagen können, es gehörte mit zu dem Vorzüglichften, was über-
haupt ausgeftellt war.
Das Schönfte jedoch, was Hachette ausgeftellt hatte, waren „Les Saints
Evangiles** zwei Grofsfolio-Bände. Zu diefem Werke, unftreitig das gröfste
Meifterftück, das jemals die Buchdruckpreffe erzeugt, wurden jahrelang Vor-
bereitungen getroffen. Für die bildlichen Darftellungen wurde von Hachette der
durch feine gröfseren Reifen im Oriente und feine Kunftfertigkeit berühmte Bida
c-igens nach Paläftina gefandt, um die Aufnahmen an Ort und Stelle vorzunehmen.
Buchdruck. 17
Nach deffen Rückkehr arbeiteten die heften Kräfte elf Jahre lang an der Her
ftellung der Platten und im Jahre 1869 begann der Druck, den die berühmte Firma
J. Claye in Paris beforgte. Es wurden hievon 150 numerirte Exemplare auf
gcfchöpftem feinem hoUändifchem Papier und 1500 auf ganz feinem franzöfifchem
Velinpapier abgezogen. Jede Seite ift mit fich kreuzenden rothen Linien eingefafst,
deren Enden fowohl in den Bund als in den Schnitt fich verlaufen. Das Regifter
diefer Linien ift fo exa<fl, dafs nicht auf einer einzigen Seite auch nur die geringfte
Abweichung zu finden ift. Trotzdem dafs die Velin-Exemplare 500 und die auf
holländifches Papier gedruckten feinen Exemplare je 1000 Francs koften, durften
die aufgelegten Exemplare vom Publicum nicht allein durchgeblättert werden,
fondem es wurde noch eigens aufgefordert, fich die Schönheit diefes Werkes mit
alier Mufse zu betrachten, was bei den meiften, namentlich deutfchen, öfter-
reichifchen, ungarifchen und italienifchen Gegenftänden nicht der Fall war, indem
das Berühren derfelben durch angehängte Zettel geradezu verboten wurde. Die
italienifche Abtheilung von Gruppe XII, in der die Gegenftände noch im Oclober
wie Kraut und Rüben durcheinander lagen, war fogar durch vorgefpannte
Schnüre abgefperrt und konnten kaum wir, die Berichterftatter, Zutritt erlangen.
Welchen Nutzen das Publicum und die Ausfteller durch eine folche Quarantäne
haben können, vermögen wir nicht abzufehen.
Um fo angenehmer wurde das Betrachten der Ausftellungsgegenftändc
dem Publicum in der franzöfifchen Abtheilung gemacht, namentlich durch die
Vertreter der beiden obgenannten Firmen Hachette und Mame & Sohn. Hier
wurden dem Befucher felbft Stühle zum Sitzen angeboten und damit geradezu
zum längeren Studium der Prachtwerke aufgefordert.
Mame & Sohn in Tours hatten des IntereiTanten fo viel gebracht, dafs
wir nur das Vorzüglichfte davon berühren können. Die Firma, die über 1000
Perfonen in der Buchdruckerei, Buchbinderei, Graviranftalt etc. befchäftigt, hatte
nur eigene Produ<fle ausgeftellt, die von A bis Z im eigenen Gefchäfte verfertigt
waren. Von jedem Werke läfst Herr Mame ein Exemplar für feine eigene
Bibliothek auf Pergament drucken, und waren von diefen Pergamentdrucken
einige ausgeftellt. So z. B. eine Dor^Tche Bibel, in welcher die Pracht der Holz-
fchnitte durch das äufserft glatte Pergament erft recht ins fchönfte Licht trat. Der
gröfste Theil des Verlages ift religiöfen Inhaltes. Welche Maffen, z. B. von Gebet-
büchern, gedruckt werden, kann man aus dem beifpiellos billigen Preife derfelben
erfehen. Gebetbücher, die in Wien 60 bis 80 Kreuzer koften, verkauft Herr Mame
um 40 Centimes = 17 Kreuzer öfterr. Währ. Ein von A. Gusmann erzeugter und
durch die Hilfe des Herrn Mame entftandener Holzfchnitt: „die Grablegung
Chrifti" nach Tizian, ift mittelft zweier Schnitte gedruckt und fo die Tiefe der
Töne und die Weichheit und Wärme des Stahlftiches imitirt. Die Kreuzlagen find
durch diefes Verfahren in der fchönften Reinheit dargeftellt. Ob fich diefes Ver
fahren Bahn brechen wird, wiffen wir nicht, denn dazu gehört erftens, dafs der
Xylograph auch ein gefchickter Zeichner fei (was äufserft feiten der Fall ift), und
dafs zweitens der Drucker ein minutiÖfes Regifter halten mufs. Die ausgeftellte
Probe, auf chinefifchem Papier gedruckt , zeugt fowohl von der Tüchtigkeit des
Herrn Gusmann als von der des Druckers. Jedoch leidet diefe Manier trotz
aller Schönheit als Holzfchnitt dem Stahl- und Kupferftiche gegenüber dennoch
an mancher Härte. So grofs die Kunft des Herrn Gusmann auch ift, fo wird
er mit dem fpröden Holz nie die Weichheit von Kupfer oder Stahl erreichen.
Diefe Probe zeigt nur wieder deutlich, dafs der Plolzfchnitt fein Feld nicht
überfchreiteu kann und defshalb auch nicht foll. Von den „Chefs d'oeuvre de
la langue frangaise" hatte Herr Mame auch einige auf Pergament gedruckte
Bände zur Anficht gebracht, die an Schärfe des Druckes nichts zu wünfchen
übrig liefsen.
Die Collecti v-Ausftellung des „Cercle de la librairie" zeich-
nete fich ebenfalls durch viel Schönes und Gutes aus. Wir wollen unter anderen
2*
13 Ludwig Lott.
nur ein einziges Werk von Firmin D i d o t erwähnen. Es ift diefs die franzöfifche
Ausgabe von: „der goldene Efel". Auch diefe zeigt uns, ganz wie „les Saints
Evangiles" von Hachette, welche Sorgfalt und Koften von den Franzofen auf die
Herftellung eines Prachtwerkes verwendet werden. Herr Didot hat die Illu-
flrationen zu diefem Werkchen nicht Einem Künlller ^übertragen, wie diefs fo
häufig bei uns gefchieht, fondern hat jede einzelne Scene durch zehn bis zwölf
Künlller entwerfen lafTen. Die gelungenfle Arbeit wurde ausgefucht und für das
Büchlein ausgeführt. Dafs diefes Verfahren Herrn Didot 60.000 Francs gekoftet
hat, glauben wir recht gern, und dafs fich diefes Unternehmen erft durch mehrere
Auflagen auszahlen kann, ift gewifs; dafs aber diefes Werkchen das Reizendfte ifl,
was wir in diefer Art gefehen, ift ebenfalls wahr, und es wäre zu wünfchen, dafs
unfere deutfchen Verleger ihre franzöfifchen Collegen recht bald nachahmen
möchten.
Die Colle<5liv-Ausftellung der franzöfifchen Verleger und Drucker zeigte
uns auch, wie das Arrangement einer Ausftellung zu fein hat, wenn fie Effccft her-
vorbringen füll. Diefe Colle<5liv-Ausftellung bildete ein gefchloffenes Ganzes und
mit Recht war für diefelbe ein Colle(5livkatalog erfchienen, deffen Druck die
Firma J. Claye beforgt hatte. Sowie die Seiten bei „les Saints Evangiles**, die
in derfelben Druckerei gedruckt wurden, war auch jede Seite diefes Kataloge»
mit fich kreuzenden rothen Linien eingefafst, deren Regiller übrigens nicht fo
cxa(5l gehalten war als bei den Evangelien. Das Ganze machte jedoch durch den
in das rothe Viereck pafienden Tondruck und die nochmalige, mitteilt Harken
und feinen Linien hergeftellte innere EinfalTung, ferner durch die gefchmackvolle
Anordnung des Satzes einen recht guten Eindruck.
Die franzöfifche Abtheilung in Gruppe XXVI war fo reichlich befchickt,
dafs diefelbe ebenfalls einen eigenen Bericht verdiente. Was man am wenigllen
erwartet, war hier fehr reichhaltig und in vorzüglichen Exemplaren vertreten,
die geographifchen Karten nämlich, und zeigt diefs, dafs die franzöfifche
Regierung jetzt ein gröfseres Augenmerk auf den Unterricht in der Geographie
geworfen hat, als es früher der Fall gewefen ill.
Die Schweiz, die in der oben gegebenen Zeitungsllatillik fo vortheilhaft
hervorragt, hat fich auch auf dem Gebiete der übrigen Buchdruck-Ausllellung
durch Harke Betheiligung ausgezeichnet; ihre Colle<5liv- Ausftellung war durch
43 Firmen vertreten. Wenn man bedenkt, dafs in der Schweiz beinahe Alles auf
der Schnellprefle gedruckt wird , da die wenigften Buchdrucker Handpreffen
befitzen, fo mufs man geftehen, dafs die ausgeftellten Werke für grofsen Fleifs
und Sorgfalt zeugen und dafs die Buchdruckereibefitzer mit den übrigen
Induflriellen der Schweiz gleiches Tempo im Fortfehritte zu halten fuchen. Die
Zufammenordnung der Colledliv-Ausftellung liefs freilich Manches wünfchen,
namentlich hinderte das zu hohe Aufhängen der Accidenz-Druckforten das genaue
Betrachten derfelben. Sonft aber verdienen von den hier vereinigten nament-
lich die Firmen: Orell, Füfsli & Comp, in Zürich, H. R. Sauerländer in
Aarau , die Genoffenfc ha fts drucke rei in Zürich, J. Weftfehling in
Winterthur, Huber in Fraunfeld und Haller in Bern erwähnt zu
werden.
Aufser der CoUeöliv-Ausftellung waren die Gebrüder Benziger inEin-
fiedeln, Buchdruckerei, Verlags- undSortimentsbuchhandlung, mit ihrem ftarkcn
Verlag katholifcher Gebet- und Erbauungsbücher vertreten. Ihre Farbendrucke,
aus drei und vier Farben beftehend, alle auf der SchnellpreflTe gedruckt, waren
nicht allein gut zugerichtet, fondern hielten auch alle gute Regifter. Die Arbei-
ten diefer Firma zeichnen fich durch gute Ausführung und fehr billige Preife aus,
welche nur durch die Vereinigung beinahe aller graphifchen Künfte, verbunden
mit eigener Buchbinderei, Graviranftalt etc., erzielt werden können.
Buchdruck. 19
Der Specialkatalog der Schweiz , von J. Weilfehling inWinterthur
gedruckt, zeichnete fich durch gleichmäfsigen Satz und Druck vortheilhaft vor
anderen Katalogen aus. Wenn die Druckerei durch diefe Arbeit gezeigt hat, dafs
fie etwas Tüchtiges leiden kann, fo gebührt der fchweizerifchen Ausflellungs-
Commiffion auch ein Antheil an dem Verdienfte, denn nur durch ihre unermüd-
liche Thätigkeit und exa<5le Arbeit wurde die Druckerei in den Stand gefetzt, auch
das Ihrige zu der fchönen Ausflattung beizutragen.
Italien. Wir haben hier vor Allem das wüfle Durcheinander zu rügen,
wodurch fich diefe Ausilellung vor den anderen hervorgethan hat. Alles lag kunter-
bunt in Haufen und verleidete damit ordentlich das genaue Befehen der Gegenflände.
Wenn auch unfere Erwartungen nicht gerade hoch gefpannt waren, muffen wir
dennoch geliehen, dafs, mit wenigen Ausnahmen, diefe unfere Erwartungen kaum
erfüllt wurden. Mag fein, dafs auch die Unordnung, die dort herrfchte, uns
hinderte , Befferes zu Geficht zu bekommen. Civelli in Mailand hat anerken-
nenswerthe Sachen ausgeilellt, unter welchen die „Ghirlanda di Margarita^ in
Farbendruck und „Dante's Göttliche Komödie" fich befonders auszeichneten.
VincenzoBona in Turin zeigte durch feine ausgeftellten Werke , dafs er zu
den rührigen Buchdruckern Italiens zähle. — Die Buchdruckerei des Militär-
Strafhaufes in Savona hatte ein Album ausgeflellt, das an Gefchmacklofig-
keit feines Gleichen fucht. Wir konnten nicht erfahren, ob in diefer Druckerei nur
Militärfträflinge arbeiten oder ob auch Nichtdräflinge dort befchäftigt feien.
Die Einfaflungen diefes Albums waren nämlich derart gedruckt, dafs das' eine
Stück der EinfafTung eine blafsgrüne, das andere eine blafsrofa u.f. f. Farbe zeigte.
Uns wunderte nur die Geduld, die auf diefe Arbeit verwendet worden ift, und wir
zogen daraus den unmafsgeblichen Schlufs , dafs das Album nur durch Sträflinge
hergeftellt fein könne.
Ein von der königlichen Buchdruckerei in Mailand (wenn wir
nicht irren , eine ehemalige k. k. Öfterreichifche Staatsdruckerei) ausgeflelltes
Formularbuch für Buchdrucker hob fich vortheilhaft aus den MaiTen hervor. Die
darin enthaltenen mathematifchen und Tabellenfätze gaben Zeugnifs, dafs der
betreffende Setzer feiner Aufgabe gewachfen war. Alles Lob verdient auch der
Drucker für den Farbendruck der A(5lien.
Schweden und Norwegen war durch die Firma Norftedt& Söhne
in Stockholm recht auflandig vertreten. Aufser 531 xylographifchen Abdrücken
hatten fie noch Tegner's „Frithjofsfage" und Herder's „Cid", beide mit Holz-
fchnitten illuftrirt, ausgeflellt, die alles Lobes würdig find. Die im fchwedifchen
Schulhaufe ausgelegten Schulbücher waren Beweife, dafs die Firma Norfledt &
Söhne auch diefen billigen Druckwerken alle Sorgfalt angedeihen läfst. Die
ebenfalls im Schulhaufe ausgeflellten Liederbücher, gedruckt bei Eide & Comp,
in Stockholm, und die Blindendrucke gehörten mit zu den fehenswerthen Zeug-
niflen, dafs auch im hohen Norden Guttenberg's Kund eine getreue Pflegflätte
gefunden hat.
Dänemark hatte mehr in Lichtdruck als im eigentlichen Buchdruck
geliefert. Hervorzuheben find die von Luno Bianco in Kopenhagen aus-
geflellten Bücher, deren Satz und Druck gut ausgeführt waren. — ProfefTor Wal-
demar Schmidt hatte Bücher mit Keilfchrift und Hieroglyphen ausgeflellt, die
von F. H. Schultz in Kopenhagen fauber und rein gedruckt waren.
Belgien hatte viel und mitunter recht Gutes ausgeflellt. Bruylant,
Chriftophe & Comp, hatten neben einer reichen Auswahl von gewöhnlichen
Werken auch einige Prachtwerke, und zwar in verfchiedenen Druckmanieren
vorgelegt. Der Druck diefer Werke und der Holzfchnitte war ein guter. —
20 Ludwig Lott.
Ch. Glaefen in Lüttich hatte mehrere architektonifche Werke ; Van Velfen
in Mecheln, aufser mehreren anderen Werken , die „Principes de grammaire
hebraique" ausgellellt. — Eugene Guyot in Brüffel hatte eine gröfsere
Sammlung von Druckwerken ausgeftellt, die auch meiÄentheils ausftellungsfähig
waren. Nur fchade, dafs Manches durch das zu hohe Aufhängen an der Wand fich
einer genauen Berichtigung entzog; diefs galt namentlich von den Creditpapieren.
— Ad. Mertens' in Brüffel Album Dor^'fcher Holzfchnitte war meifterhaft
gedruckt. — Fr^d^ric H ay e z in B rü ff e 1 hatte neben einer Anzahl gut gedruck-
ter wiffenfchaftlicher Werke auch ein illuftrirtes Exemplar der belgifchen Ver-
faffung ausgeftellt, das einen guten Eindruck machte.
Die von Belgien ausgeftellten Drucke bewährten wieder die alte Erfahrung»
dafs in denjenigen Ländern, die fchon feit geraumer Zeit einer freien Preffe fich
erfreuen, der gefteigerten Produ(5lion auch eine fortfchreitende technifche Ver-
vollkommnung nachfolgt.
Das Königreich der Niederlande hatte uns auch Vieles und mitunter
recht Gutes gebracht. Wenn wir auch, da wir nur über „Buchdruck** zu berichten
haben, die eingefandten lithographifchen und Lichtdrucke nicht zu befprechen
haben , fo muffen wir hier doch mit gutem Grunde eine Ausnahme machen und
der Photolithographien des Dr. F. J.Affe r inAmfterdam erwähnen. Dr. After
brachte eine Sammlung von Copien alter Drucke, die fo vorzüglich waren, dafs von
nun an manches alte koftbare Buch, dem einzelne Blätter fehlen, wieder complet
gemacht werden kann, wenn nach einem zweiten Exemplar durch die Manier
Affer's das Fehlende ergänzt wird.
E. B. ter Horft, Firma J. B. Wolters in Groningen, hatte eine grofse
Sammlung gebundener und brofchirter Werke ausgeftellt, die meift als gut
gedruckt bezeichnet werden muffen. — A. W. Sythoff in Leiden hatte neben
dem fchönen „Wörterbuch der Kunft und Wiffenfchaft" in zehn Bänden, auch noch
viele und gut gedruckte Werke ausgeftellt; nur der Druck des „Gendenkbook van
der Oorlog" liefs hie und da Manches zu wünfchen übrig. — E, J. BriU in
Leiden hatte fauber und rein hergeftellte arabifche Drucke ausgeftellt.
Die „Landesdruckerei" in Batavia hatte eine Anzahl Werke in den
niederländifchen Landesfprachen ausgeftellt, deren Druck wohl viel zu wünfchen
übrig liefs, die aber doch Zeugnifs ablegten von der weiten Verbreitung der Buch-
druckerkunft.
Das Deut fc he Reich hatte für die meiften feiner Ausftellungsgegen-
ftände eigene Annexe gebaut, die aber nicht immer den Ausftellungsobje<5len von
Nutzen waren. So war die Gruppe XII mit allen möglichen mufikalifchen, aftro-
nomifchen Gegenftänden, Eifen- und Blechwaaren etc. fo unvortheilhaft als nur
möglich untergebracht.
Die meiften Gegenftände, die an der Wand hingen, waren bis oben unter
das Dach placirt, fo dafs Niemand im Stande war, dicfelben zu befichtigen, viel
weniger zu beurtheilen.
Wenn die Deutfchen auch auf anderem Gebiete durch phyfifche und
geiftige Ueberlegenheit die Franzofen befiegt, fo haben letztere auf der Wiener
Weltausftellung doch unftreitig den Sieg über Deutfchland davon getragen und
zwar nicht fo fehr durch beffere und hervorragendere Erzeugniffe, als vielmehr
durch ihren Gefchmack und die treffliche Anordnung der ausgeftellten Gegen-
ftände , nicht minder auch durch die Zuvorkommenheit, mit der fie das Publicum
zum Befichtigen ihrer Obje<5le einluden. Denn abgefehen davon , dafs die
Befchauer bei Hachette und Mame zum Sitzen eingeladen wurden, fo wurde
nach Befichtigung des einen Obje<5les fogleich ein neues vorgelegt und auf die
Eigeiithümlichkeiten und Vorzüge desfelben aufmerkfam gemacht, fo dafs man an
ihre Ausftellung ordentlich ftundenlang gefeffelt war. Dagegen hing oder klebte
Buchdruck. 21
in den deutfchen Annexen beinahe auf jedem ausgefeilten Gegenflande, gleich*
viel ob Rohprodu<fl oder fertige Waare, ob aus Papier, Holz oderEifen beftehend,
ein grofsgedruckter Zettel, der vor der Berührung der Objecfle warnte.
Die Frage: ob durch diefen Vorgang das Interefle der deutfchen Aussteller
gewahrt wurde, indem man das Publicum verhinderte, fich von der Güte der aus-
gedeihen Gegendände zu überzeugen, überlaiTen wir der deutfchen Ausftellungs-
Commifllon zu beantworten.
Warum fo viele geachtete Druckfirmen Deutfchlands auf der Weltaus-
ftellung fehlten, ifl uns ein Räthfel. In den Schaufenftern beinahe jeder gröfseren
Wiener Sortimentsbuchhandlung kann man mehr deutfche Firmen finden, als auf
der Weltausflellung vertreten waren, und unter dem in diefen Schaufenftern Aus-
geftellten befindet fich fo Manches , das im Prater auch an feinem Platze
gewefen wäre.
In der deutfchen Abtheilung verdient vor Allem die „C olle ctiv- Aus-
ftellung der württembergifchen Buchhändler, Xylographen etc.**
in Stuttgart unfere Aufmerkfamkeit. Die J. G. Cotta'fche Buchhandlung hatte
nur Meifterhaftes ausgeftellt, da fie etwas Anderes auch nicht ausftellcn konnte.
Denn Alles, was aus ihrer Buchdruckerei hervorgeht, ift ftyl- und kunftgerecht,
weil von A bis Z an Nichts gefpart wird, um Alles fo vollendet als möglich her-
zuftellen. Ihre Prachtausgaben fowohl wie ihre Cabinets- und Miniatur- Ausgaben
der deutfchen ClafTiker find zu bekannt, als dafs wir fie näher befchreiben dürften.
Der Druck und der Verlag, fowie die xylographifche Anftalt von Eduard Kali-
ber g e r find ebenfalls rühmlichft bekannt, fo dafs man auch darüber nur wenig zu
fagen braucht. Sein „Ueber Land und Meer" und die anderen gut gedruckten
illuftrirten Lieferungswerke find beinahe in jeder Hütte zu treffen. Seine Dor^'fche
Bibel verdiente prachtvoll genannt zu werden, denn die Holzfchnitte auf feinftem
Papier find mufterhaft gedruckt und ftehen den franzöfifchen nicht nach ; auch
der Druck des Textes liefse nichts zu wtinfchen übrig, wenn er nicht etwas zu
fcharf gehalten wäre, ihm fehlt die letzte Feile (auf die bei Cotta fo viel Gewicht
gelegt wird), nämlich das Glätten in der Packpreffe. Wenn man die prachtvollen
Dore'fchen Holzfchnitte mit Vergnügen betrachtet und dann den Blick auf den
Text richtet, fo erhält das Auge einen ordentlichen Stich durch die ftark vor-
tretende Schattirung.
Wir haben leider die Bemerkung gemacht, dafs fo manches deutfche
Prachtwerk fich viel beffer darfteilen würde, wenn nicht an Geringfügigem gefpart
werden möchte. Bei dem einen könnte das Papier und dieDruckerfchwärze befler
fein, beim zweiten wurden Lettern oder Linien verwendet, die nicht mehr ganz
fcharf waren, und das Dritte, das Alles hat, was dazu gehört, ift wieder nicht
geglättet u. f. f. In diefer Hinficht müflen wir uns die Franzofen und Engländer
zum Mufter nehmen.
Hallberger's xylographifche Anftalt lieferte ein Album von Holzfchnitten,
deren Feinheit nichts zu wünfchen übrig liefs. Eine Stereotypplatte aus „Ueber
Land und Meer" war fcharf und tief. Eine grofse galvanifche Platte war fehr
fchön, hatte jedoch einen Sprung.
„Aus deutfchen Bergen*^, Verlag von A. Krön er in Stuttgart, war mit
fchönen Holzfchnitten illuftrirt, der Druck derfelben war jedoch nicht fo fchön.
Die Werke in rufflfcher und orientalifcher Sprache von Carl Grüninger in Stutt-
gart waren zwar gut gedruckt, doch theilweife mit altmodifchen Typen.
J. B. Metzl er's illuftrirte und mathematifche Werke waren gut gefetzt
und gedruckt, die llluftrationen, wie bei A. Krön er, von Clofs, liefsen an
Feinheit der Ausführung nichts zu wünfchen übrig.
Der Gefammteindruck der Stuttgarter Ausftellung war fo recht für das
Herz eines Jüngers Guttenberg's gemacht und wird wohl Jeder Gelegenheit
gefucht haben, diefe Expofition mehrmals befichtigen zu können.
22 Ludwig Lott.
Im Verhältniffe zu S t u 1 1 g a r t fehlen fich L e i p z i g in den Winkel gedeih zu
haben. Die Firma F. A. Brockhaus, deren Verlag einer der verbreitetften ifl
und deren Druckerei im Drucke von Holzfchnitten fo Vorzügliches leidet, machte
durch das Arrangement ihrer Ausftellung nicht den Eindruck, den fie hätte
machen follen. Ihre Bücher lagen auf einer Tafel, ftaubbedeckt drunter und
drüber, und ihre Holzfchnitte, Landkarten etc. hingen an einer Wand theil weife
fo hoch, dafs fie fich jeder Beurtheilung entzogen hätten, wenn fie uns nicht von
andersher fchon bekannt gewefen wären. Alles Lob und grofses Verdienft erwarb
fich diefe Firma durch den Druck der im Manz'fchen Verlage in Wien erfchie-
nenen und aus dem rühmlichfl bekannten Inflitute fUr Holzfchneidekund von
F. W. Bader in Wien hervorgegangenen grofsen Holzfchnitte ^Wien im
Jahre 1873**.
£. A. Seemann in Leipzig hatte unter manchem Sehenswerthen auch
mehrere Jahrgänge von Dr. C. v. Lützow's »Zeitfchrift ftir bildende Kunft"
ausgedellt, deren artiftifche Herftellung eine gute genannt werden mufs.
Die Ausftellung der „Königl. Geheimen Ober- Hofdruckerei"
(R. V. Decker) in Berlin brachte uns, neben mehreren Prachtwerken, ihre Schrift-
proben, die den Zeitraum von 1767 bis 1873 umfaflen. Diefes eine Album zeigt
uns die Thätigkeit und den Fortfehritt in der Schriftgiefserei während eines
ganzen Jahrhunderts und wird gewifs von jedem Buchdrucker mit Intereffe durch-
blättert worden fein. Das Krönungswerk, zur Erinnerung an die 1861 erfolgte
Krönung des jetzigen Kaifers der Deutfchen zum König von Preufsen, wurde auf
AUerhöchfte Anordnung gedruckt. Die darin vorkommenden Abfonderlichkeiten
werden unferes Eraehtens nicht der Druckerei, fondern einem anderen höheren
Einfluife zuzufchreiben fein. Denn fonfl wäre es nicht erklärlich, warum zu der
römifchen Jahreszahl auf dem Titel nicht gothifche, fondem Fra<5lurlettern genom-
men wurden, und dafs die innere Eintheilung des Satzes gegen alle Regeln ver-
ftöfst. Die typographifche Ausführung ift fonft eine tadellofe. Das Neue Teftament
in Luther's Sprache i(l ein typographifches Unicum, das wohl nur in Bibliotheken
Aufnahme finden wird. Die prachtvollen Holzfchnitte und Initialen find Meifter-
werke der Xylographie und der Druck derfelben fowie der des Textes find ihnen
ebenbürtig.
Wilhelm Gronau, Buchdruckerei und Schi iftgiefserei in Berlin. Die aus-
gedellten dicken Bände Schriftproben legen Zeugnifs ab für die Reichhaltigkeit
der Schriftgiefserei und die in Rahmen ausgehängten Accidenzen fprechen von
dem guten Gefchmacke der Buchdruckerei, welche die Erzeugniffe der Schrift-
giefserei eril recht zur Geltung bringt. Ein Beweis von der Tüchtigkeit beider
Branchen diefer Firma liefert das„Touflaint-Langenfcheidt'fche Di(5lionnaire** mit
feinen vielen eigenthümlichen Zeichen.
Die Gebrüder Grunert in Berlin und G. B r a u n'fche Hofbuchdruckerei
in Carlsruhe haben jede, aufser einigen Werken, Mufterbücher mit Druckproben
ausgedellt, von denen Manches fehr hübfch ifl.
Vier Hamburger Buchdrucker, die Herren Ferdinand Schlotke,
G. J. Herbft,A. F. M. Kumpel und Pleffe & Lührs haben fich zu einer
Colle<5liv- Ausftellung vereinigt, über die wir nicht viel fagen können. Sowohl die
Farbendrucke von Schlotke, als die Accidenzen von Herbft waren zu hoch auf-
gehängt und entzogen fich daher der Beurtheilung. Die Accidenzen Kümpel's
find gewöhnlicher Art und die Logotypen von Pleffe & Lührs nur für Preis-
courante und Marktberichte verwendbar, auf deren Schönheit weniger Gewicht
gelegt wird, als auf rafche Herftellung, fie werden von keinem praktifchen Buch-
drucker nachgeahmt werden. Wir hätten gewünfcht, dafs Herr Pleffe, den wir
fchon vor langen Jahren als tüchtigen Stenographen kennen gelernt, fein typo-
graphifches Talent, gleich feinem ehemaligen Collegen in der k. k. Hof- und
Staatsdruckerei in Wien, Herrn Carl Faulmann, den Typen und dem Satze
Buchdruck. 23
der (lenographifchen Zeichen zugewendet haben würde ; ein Verdienft in diefer
Sache wäre ein ungleich gröfseres als die Spielerei mit Logotypen.
Die Bücher in orientalifchen und flavifchen Sprachen, die illuflrirten kund-
gefchichtlichen und wiflenfchaftlichen Werke und die Muftercolle<5lionen von
A<5lien und Werthpapieren der Buchhandlung und Buchdruckerei des
Waifenhaufes in H a 1 1 e machen theilweife Anfpruch auf künfllerifche Her-
ftellung, fo namentlich die Holzfchnitte und derDruck derfelben in den Beiträgen
zur Gefchichte der griechifchen Plaflik : Alles aber gibt Zeugnifs von der grofsen
Ausdehnung diefes im Jahre 1698 gegründeten Gefchäftes.
R. Falk in Berlin hatte Drucke von hochgeätzten Hand- und Mafchi-
nenzeichnungen ausgeftellt, von denen nur die billigen Preife derfelben hervor-
gehoben werden können. Die Ausführung ifl den Preifen angemeifen.
S. Calvary & Comp, in Berlin haben ihre philologifche Bibliothek und
einige andere wiffenfchaftliche Werke ausgeftellt. Das Meide diefes Verlages
dämmt aus Dräger's Buchdruckerei in Berlin und zeigt gleichmäfsigen Satz
und Druck.
Die L. Schellenberg'fche Hofbuchdruckerei in Wiesbaden hatte ein
Muderbuch mit Accidenzen ausgedellt, bei denen der Druck auf hochfeinem
Glanzpapier fehr fchön ausgeführt id, während der Satz hie und da getadelt zu
werden verdient.
G. F. Manz in Regensburg hatte aufser feiner Real-Encyclopädie, die
fich durch gleichmäfsigen Druck auszeichnet, auch verfchiedene religiöfe Werke
ausgedellt, namentlich ein ^Mifsale romanum'', das fich aber nicht über die All-
täglichkeit erhebt. Diefs gilt auch von feinen Holzfchnitten.
Friedrich Pudet in Regensburg hatte neben Werken relig^öfen Inhaltes
auch xylographifche Farbendrucke ausgedellt, welche zu den beden in diefem
Genre gehören.
Doch treten die von H. K n ö f 1 e r in Wien für diefe Firma angefertigten,
gegen die in eigener Druckerei erzeugten glänzend hervor.
Wilh. Gottl. Korn in Breslau hat nur Werthpapiere ausgedellt;
einige davon recht fchön in Satz und Druck ausgeführt, andere dagegen im Satz
zu fchwer und in der Farbe zu grell.
B. F. Voigt in Weimar hatte neben feinem fondigen reichhaltigen Ver-
lage auch feinen ^Schauplatz der Künde und Handwerke'^ ausgedellt. Die typo-
graphifche Ausdattung des Voigt'fchen Verlages macht keine grofsen Anfprüche,
fie id eine alltägliche, während auf den Druck der Atlanten und Karten ungleich
mehr Sorgfalt verwendet wird.
Leonard Schwann in Neufs hatte viele Farbendrucke ausgedellt, die
gröfstentheils für ordinäre Gebetbücher und für Wallfahrtsorte bedimmt fcheinen.
Die Schnitte für die verfchiedenen Farben find gröfstentheils zu hart gehalten, fo
dafs fich jede Farbe für fich abgegrenzt dardellt und kein Uebergang von einer
F^rbe zur anderen dattfindet, was umfomehr auffällt, als die Farben alle kräftig
und rein auf der Schnellpreife gedruckt find. Auch fcheint diefe Firma mehr mit
Deck* als mit Lafurfarben zu arbeiten; nur durch die letzteren allein kann aber
ein allmäliger Uebergang von einem Tone zum anderen erzielt werden.
Franz Saufen's Buchdruckerei in Mainz hatte Werke, in Druck und
Einband Nachahmungen der alten Originale, ausgedellt, ohne dafs der fchwarze
und rothe Druck das Feuer und die Lettern die Schärfe der Originale erreicht
hätten.
Die königl. preufsifche Staatsdruckerei in Berlin hatte
Proben von Buch-, Kupfer- und Steindruck , heliographifche Reprodu<flionen,
Graveur- und Guillochirarbeiten ausgedellt, die die Bewunderung der Jünger
Guttenberg's hervorriefen. Die Werthpapiere für den preufsifchen Staat fowohl,
als auch für Private zeugten nicht allein von kündlerifcher Auffaffung, fondern
fie zeichneten fich durchwegs durch edle Einfachheit und Anwendung der
2^ Ludwig Lott.
neuefleii Methoden aus. Für den Fachmann war befonders intereffant, dafs von
einigen diefer Werthpapiere die einzelnen Plattenabdrücke auch ausgeflellt
waren; ebanfo war das Verfahren der heliographifchen Reproducflionen erfichtlich
gemacht.
Unter den in Gruppe XXVI ausgeftellten Unterrichtsgegenftänden ver-
dienen die Karten und Kartenwerke von Ifsleib&Rietzfchelin Gera
umfomehr Beachtung, als diefelben nicht nur ihrer äufserft billigen Preife wegen
als Volksbildungsmittel dienen, fondern auch Erzeugniffe der Buchdruckerpreflfe
find. Diefe rührige Gera'er Anftalt brachte einen Volksatlas von 24 Karten in
deutfcher und fchwedifcher, und von 28 Karten in franzöfifcher Sprache ; einen
Specialatlas von Oeflerreich -Ungarn; einen j^Neueften Schulatlas" in 44 Karten
etc. Der „Volksatlas" war Bahnbrecher zur Hebung des geographifchen Unter-
richts in der Volksfchule. Derfelbe, 24 Karten enthaltend, erfchien 1867 um den
fehr billigen Preis von y'/« Silbergrofchen und erregte mit Recht allgemeines
Auffehen. Schon nach Verlauf von einigen Monaten war die erfte Auflage ver-
griffen und es erfolgten nun infolge der Einführung desfelben in den Volks-
fchulen fall aller Staaten Deutfchlands jährlich drei bis vier Auflagen, jede zu
30.000 Exemplaren, fo dafs bis jetzt gegen 800.000 Exemplare in der ganaen
Welt verbreitet find. Auch in Oeflerreich-Ungarn ift derfelbe vom Cultusmini-
llerium zur Einführung in den Volksfchulen empfohlen worden. Die Verlags-
handlung erhielt von den im Jahre 1869 in Baden bei Wien verfammelten Lehrern
ein Ehrendiplom für die Ausflellung ihrer Karten.
Oefterreich. Die graphifchen Künfle der im Reichsrathe vertretenen
Königreiche und Länder waren im füdlichen Hofe 13 « untergebracht. Vom
Innern des Induftriepalafles war diefer Hof nur durch je eine Seitenthür von
den Quergallerien 12 a und 13« aus zu betreten, da die Hauptthür durch einen
der von der Kritik mit Recht verurtheilten fogenannten Pavillons abgefperrt war.
Wefshalb gerade die graphifchen Künde Oeflerreichs, deren Meifter und jünger fich
zum erften Male in bedeutender Zahl an dem Wettkampfe '«der ganzen civilifirten
Welt betheiligten, von der Generaldire(5lion fo ftiefmütterlich behandelt wurden,
id uns und gewifs auch vielen Anderen bis heute noch nicht klar geworden.
Taufende und Taufende von Befuchern des Induftriepalafles betraten den
felben entweder durch das Weftportal oder durch die Rotunde und durchftöberten
tagelang alle Gallerien und Höfe, jedoch der Hof 13 rt war für die weitaus meiften
fpurlos verfchwunden, weil er, wie oben gefagt, von der Hauptgallerie aus durch
eine Fontaine von Flachs und Hanf verrammelt war. Auch die von den Aus-
ftellern angebrachte Tafel, die den Weg zur öfterreichifchen Ausflellung von
Gruppe XII zeigte, erreichte nicht ihren Zweck: der Strom des Publicums ging
eben ftets gerade aus und die Meiften vermutheten hinter den Seitenthüren
höchftens untergeordnete Gegenftände. Die graphifchen Künfte befitzen eben
nicht fo eine Anziehungskraft wie der Schatz des Sultans, um deffen Ausftellung
man an jedem Tage wohl zehnmal und öfter gefragt wurde.
Der gröfste Theil der öfterreichifchen Ausftellung war in dem Hofe 13 0,
aber auf eine fehr fchöne und praktifche Weife vereinigt, nur die Erzeugniffe
zweier Ausfteller — wir wiffen nicht warum ? — machten eine Ausnahme : diefelben
hatten den Ehrenplatz in der Rotunde erhalten.
Den durch diefen vermeintlichen Vorzug zurückgefetzten, in den ver-
rammelten Hof 13 <? verwiefencnAusftellern erwuchs jedoch gerade durch diefe
Abfonderung ein nicht zu verachtender Vortheil, nämlich der. dafs ihre Aus-
ftellungsgegenftände fo recht Augen und Herzen erfreuten, nicht aber durch
Erinnerungen an den Schwindel und fein Ende in die Geifter und Seelen
trübe Schatten warfen. Dagegen waren in der Gallerie der Rotunde die von
allen Seiten freiftehenden grofsen Glaskäften der beiden bevorzugten Firmen,
H.Engel & Sohn und L. C. Zamarski in Wien, gröfstentheils mit dem
angefüllt, was noch am Tage der Eröffnung der Weltausftellung eine fehr
Buchdruck. 25
grofse Anziehungskraft befafs, kaum einige Tage nach der Eröflfnung aber
von Vielen nur mit Wehmuth und Trauer betrachtet wurde : es waren nämlich
die von ihrer fchwindelhaften Höhe herabgeftürzten A(5lien und dergleichen
Werthpapiere.
Hätte der Schutzpatron des 9. Mai, der heilige Gregor, dem mit Gewalt
Einlafs fordernden Kr ach e die Thtlre gewiefen, ilatt ihm diefelbe zu öffnen,
dann würden diefe Engel -Zamarski'fchen Glaskäflen wohl ebenfo umlagert
worden fein, als wie der Schatz des Sultans, fo aber (landen die Armen da einfam
und verlaffen wie verfallene Grabdenkmäler. Dagegen hatten die, ob mit oder
ohne Abficht, in den Hof 13 a gerathenen Befucher und Befchauer eigentlich an
ihren zwei Augen zu wenig, um Alles und Jedes genau befichtigen und betrachten
zu können. Der Berichterftatter hat viele Perfonen getroffen, die in diefem Hofe
öfters einfprachen und ihm das Geftändnifs ablegten, fie feien das erfte Mal zwar
nur durch einen Zufall herein gekommen, fühlten fich aber durch das Gebotene
und deffen zweckmäfsige Aufflellung fo angezogen, dafs fie mit Vergnügen immer
und immer hieher kamen.
Da die genannten zwei Firmen (beide, nebenbei bemerkt, fchon einige
Zeit vor der Ausfiel lungseröffnung vereinigt und in eine Aöliengefellfchaft umge
wandelt) von der Generaldireölion derart gewerthet und gewürdigt wurden, dafs
fie denfelben eigene Plätze zuwies, fo wollen wir ihnen neidlos den Vortritt
laffen und ihre Erzeugniffe zuerft betrachten.
Die k. k. Hoflithographie und Buchdruckerei von L. C. Zamarski hatte
in einem grofsen, fchwarzpolirten, mit Gold reich gefchmückten und übrigens
fchön gearbeiteten Glasfchranke viele Werthpapiere, namentlich A(flien ausge-
(lellt, deren Ausführung gemeinfchaftlich der lithographifchen und Buchdruck-
Preflfe zugefallen. Die Zeichnungen derfelben und die gefchickte Anwendung des
Pantographs zeugten von Gefchmack und künfllerifcher Auffaffung und man fah
es ihnen wenig an, dafs fie meiftens in der gröfsten Eile hergeflellt werden
raufsten. Die ausgeflellten Chromolithographien und typographifchen Farben-
drucke, wovon aber ein Theil nicht mehr neu war (das von diefer Firma anfangs
der Sechzigerjahre herausgegebene Haus- und Familienbuch hatte diefelben fchon
gebracht), zeigten manches Schöne. Die mittelfl Farben- und Prägedruck dar-
geftellten öfterreichifchen Ritterorden können als fehr fchon und gelungen
bezeichnet werden. Auch andere Accidenzen, als : Adreffen und Gefchäftskarten,
die meiflen davon ausgezeichnet, füllten diefen Schrank.
Auf dem Aeufseren diefes verfehl offenen Schrankes lag ein einziges Buch,
das in zwei Bänden in Wilhelm BraumüUer's k. k. Hofbuchhandlung erfchienene
Werk: „Beiträge zur Gefchichte der Gewerbe und Erfindungen Oeflerreichs von
Profeffor Exner". Die Firma Zamarski verwandte alle nur mögliche Sorgfalt auf
diefes Werk und beabfichtigte durch gleichmäfsigen Satz und Druck desfelben
zu zeigen, was fie auch im Werkdrucke zu leiden im Stande fei. Dafs fie diefes
erreichte, trotz der vielen Corre<5luren und Aenderungen im Texte während des
Satzes, die fonfl jeder Sorgfalt fpotten und die Arbeit verdoppeln und verdrei-
fachen, und dafs das Werk dennoch rechtzeitig erfchien, ifl um fo ehrenvoller für
die technifche Leitung diefes grofsen und grofsartig eingerichteten Inflitutes. Wer
in der Haft folche Erzeugniffe zu liefern im Stande ift, wird gewifs noch Befferes
darbieten können, wenn ihm auch die dazu nöthige Raft vergönnt ift. Die Jury
hat auch die Leiftungen des technifchen Leiters diefer Anftalt dadurch anerkannt,
dafs fie Herrn Albert Pietz die Mitarbeiter-Medaille verlieh.
Die k. k. Hoflithographie und Buchdruckerei von H. Engel & Sohn in
Wien hatte ihren Glasfchrank, der dem Zamarski's ähnlich war, gröfstentheils
mit A(5lien, Caffafcheinen etc. etc. ausgefüllt. Die Ausführung derfelben liefs
zwar hier und da Manches zu wünfchen übrig, auch fcheint ein grofser Theil
davon nur auf der lithographifchen, ohne Beihilfe der typographifchen Preffe
26 Ludwig Lott.
erzeugt zu fein. Doch waren recht hübfch ausgeftattete Sachen darunter, und
würde diefe Firma gewifs auch nur Tadellofes geliefert haben, wenn man ihr die
zu folchen Arbeiten nöthige Zeit zur Ausführung gelaffen hätte. Doch die Herren
Gründer verlangten von den Druckereien, die fich hauptfächlich mit der Her-
flellung von Creditpapieren befafsten, dafs ihre Arbeiten fo rafch hergeftellt
würden, als die Zeitungsdruckereien ihre Journale herzuftellen pflegen. Dafs bei
einem folchen Begehren vor allem nur darnach getrachtet werden mufste, die
Arbeit unter die Prefl"e zu bringen, ohne eine künftlerifche Ausführung abzu-
warten und damit Zeit zu verlieren, leuchtet wohl Jedem, nicht nur dem Sach-
verfländigen ein.
Dafs diefe Firma aber, wenn ihr Zeit und Mufse gegeben wird, auch
wirklich Gutes und Schönes zu leiden vermag, davon gaben die für das Kaifer-
thum Japan angefertigten, auf violettem Grunde fchwarz gedruckten Briefmarken
Kunde ; nicht minder auch gaben dafür Zeugnifs die für die Befucher der Aus-
(lellung aufserhalb des gefchloffenen Glasfehrankes ausgelegten, auf grünem
Untergrunde braun und fchwarz gedruckten, künftlerifch vollendeten Gefchäfts-
karten. Auf der Rückfeite diefer Karten waren aufser dem Wiener Magiftrate
und dem Finanzdepartement des Kaiferthums Japan in Youkahama, nicht weniger
als 32 Banken und Geldinflitute als Referenzen aufgeführt, woraus der Schlufs
gezogen werden kann, welch grofse Anzahl von Werthpapieren aus dem Inditute
H- Engel & Sohn hervorgegangen ifl. So viel von den beiden Glasfehränken in
der Rotunde.
Wir kehren jetzt in den Hof 13 c zurück und betreten denfelben von der
Aufsenfeite, um die CoUecfliv-Ausilellung des Gremiums der Wiener Buchdrucker
zu befichtigen.
Unmittelbar vor uns finden wir den Ausflellungskaften der k. k. H o f-
und Staatsdruckerei in Wien. Bevor wir aber den Inhalt diefes Kaflens
felbfl betrachten, wird es zweck- und fachgemäfs fein, wenn wir uns etwas ein-
gehender mit dem Inflitute felbfl befchäftigen.
Die k. k. Staatsdruckerei war bis zum Jahre 1841 nichts mehr und nichts
weniger als was die Jünger Guttenberg's ein „Feuerzeug" nennen. Am 24. Jänner
1841 wurde Alois Au er zum Direktor diefer Staatsanflalt ernannt Von da an
begann diefelbe ein anderes Geficht anzunehmen. Im Jahre 1843 wurde die
„k. k. Lottoamts-Druckerei", die „k. k. Hofkammer-Lithographie", das „k. k.
Papierdepöt für die Staatsdruckerei und die Behörden" und der „Aerarial-Druck-
fortenverfchleifs" mit der Staatsdruckerei vereinigt.
Kaum vier Jahre nach der Ernennung Auer's trat die Staatsdruckerei
fchon mit den erflen Heben grofsen Tafeln: „Typenfchau des gefammten Erd-
kreifes" in der 1845 in Wien abgehaltenen öflerreichifchen Induftrie Ausflellung
auf. Diefe Typen, deren Stempel und Matrizen alle in der Staatsdruckerei felbfl
erzeugt worden waren, und deren Abdruck fämmtliche Sprachenalphabete zur
Anficht brachte, erregten mit Recht allgemeines Auffehen. Neben diefer „Typen
fchau" hatte die Anflalt damals noch neun Tafeln in Placatformat ausgeflellt,
nämlich „Auer's Sprachenhalle oder das Vaterunfer in 206 Sprachen und Mund-
arten", alle mit lateinifchen Typen gedruckt.
Im Jahre 1846 wurde in der Staatsdruckerei ein japanefifches Buch
gedruckt. Es war diefs das erfle mit beweglichen Typen gedruckte
japanefifche Buch nicht nur in Europa, fondern das erfle überhaupt, da die
Japanefen felbfl, fowie die Chinefen, nur mittelfl Holztafeln bis auf unfere Tage
gedruckt haben und zum Theile noch drucken.
Wie fehr die Staatsdruckerei ihren Wirkungskreis fort und fort erweiterte,
erhellt daraus, dafs das Perfonal derfelben, das im Jahr 1841 etwa 50 Perfonen
betrug, am Schluffe des Jahres 1847 aus mehr als 600 Köpfen befland.
Dafs das bewegte Jahr 1848 auf die fletige Entwicklung der Staatsdruckerei,
in wiffenfchaftlicher Beziehung, nicht ohne flörenden Einflufs fein konnte, ifl
Buchdruck. 27
natürlich, doch trugen die Folgen diefes Jahres wefentlich zur räumlichen Erwei-
terung des Inflitutes bei. Die nächflen zwei Jahre waren Jahre der gröfsten
Anftrengung für die Staatsdruckerei.
Die Bedürfnifle des Staates zur Beflreitung der Kriegskoflen in Ungarn
und Italien, zur Deckung des Ausfalles in den Steuern des auffländifchen halben
KaiferAaates und für die Nachwehen des Jahres 1848 hatten eine fabelhafte Höhe
erreicht. Die Staatsregierung mufste daher zu energifchen Mitteln greifen, und
die Staatsdrackerei war genöthigt, ihren wiiTenfchaftlichen Apparat zur Seite zu
flellen, um nur einen Auftrag über den andern von Seite des Staates ausführen
zu können.
Unverzinsliche Central-Caffe-Anweifungen und mit 3 Percent verzinsliche
Central-Caffe-Anweifungen, dann Reichsfchatzfcheine und Partial- und Hypo-
thekar- Anweifungen, ferner ConventionsmtinzeObligationen und Ein- und Zwei-
guldenzettel, fowie Anweifungen auf die ungarifchen Landes-Einkünfte, des wei-
teren Treforfcheine für Italien , zuletzt Münzfcheine zu 6 und 10 Kreuzer u. f. w.
nach Millionen und Millionen anzufertigen, war in diefen fchweren Zeiten
die Aufgabe der Staatsdruckerei. Das Reichsgefetzblatt mufste in zehn
Sprachen in einer Auflage von mehr als 30.000 Exemplaren gedruckt werden.
So grofs war diefe Arbeit, dafs die Staatsdruckerei fie allein nicht zu bewältigen
vermochte und mehrere Privatdruckereien am Drucke des Reichsgefetzblattes
betheiligt werden mufsten. Das Inventar der Staatsdruckerei (lieg in diefen Jahren
von 5 auf 40 Schnellpreffen und vermehrte fich um 20 lithographifche Preffen.
Das Perfonal (lieg auf mehr als taufend Perfonen.
Um diefs alles unterzubringen, mufsten auf drei Hoftra(fle Stockwerke
aufgefetzt und auf einem leeren Hofraum ein fünf Stockwerke hohes Haus auf-
geführt werden ; der noch übriggebliebene leere Hofraum wurde zur Aufnahme
der Schnellprefifen hergerichtet und mit einem Glasdache überdeckt.
Grofs waren die Mühen gewefen, aber auch die Erfolge waren grofse. Im
Jahre 185 1 erntete die Staatsdruckerei, nach zehn Jahren, feit Auer die Leitung
übernommen hatte, auf der Londoner Weltausilellung glänzende Ehren. Der
von der internationalen Jury gefällte Spruch lautete dahin: dafs die kaifer-
liche öfterreichifche Hof- und Staatsdruckerei in Wien auf dem
von ihr repräfentirten Kundgebiete aus fchliefs lieh und allein die
„Grofse Rathsmedaille" verdiene, und wurde ihr diefes höchft^ Ehren-
zeichen unter Zuerkennung aller fünf Medaillen e indimmi g ertheilt. Diefe Aus-
zeichnung war um fo höher anzufchlagen, da fie der um fo viel älteren franzö-
fifchen Staatsdruckerei nicht zu Theil geworden ift, einer Anftalt, die von allen
franzöfifchen Regierungen feit Jahrhunderten ftets aufs Sorgfältigfte gepflegt
wurde, um fich als Muderanflalt in der Welt behaupten zu können.
In der Parifer Welt-Induftrie-Ausftellung 1855 erhielt die öfterreichifche
Staatsdruckerei die höchfte Auszeichnung : die grofse goldene Medaille.
Die Staatsdruckerei, vorher nicht einmal jenfeits der fchwarzgelben Grenz-
pfähle bekannt oder genannt, hatte fich die Anerkennung und die Bewunderung
der Gelehrten und der Gebildeten der ganzen Welt in kürzefter Zeit errungen ;
ift es da zu wundern, dafs fie durch fo ruhmreiche Erfolge dem Schickfale alles
Grofsen verfiel? Ihr Dire(5lor, der es vom einfachen Schriftfetzerlehrling bis
zum k. k. Hofrath und zur Erhebung in den Ritterftand gebracht hatte, ward ein
Gegenftand des gemeinen Neides und der Mifsgunft. Nur hatten fich die Feinde
nicht überlegt, dafs alle Angriff'e, die gegen Auer vorgebracht wurden, der-
jenigen Anftalt zu Schaden und Verderben gereichten, welche in trüben Tagen
den Namen und den Ruhm Oefterreichs über die weite Welt getragen hatte. War
doch die fo alte franzöfifche Staatsdruckerei, die bisher als Mufteranftalt
vorgeleuchtet hatte, durch die fo junge öfterreichifche tief in den Schatten geftellt
worden !
28 Ludwig Lott
Zwar fo lange die k. k. Finanzminifter Philipp Freiherr v. Kraufs
und Carl Freiherr v. Brück oberlle Chefs der Staatsdruckerei waren,
fand Auer für feine Anträge williges und fchnelles Gehör, und erreichte die
Anftalt unter Brück die Höhe ihres Glanzes trotz aller feindlichen Gegen-
flrömungen.
Nach dem Tode Bruck's aber, bei dem Eintritte neuer Finanzminider
und bei der bekannten Sparfamkeit unferes hohen Abgeordnetenhaufes, wurde
die Staatsdruckerei von ihrem Wege zur Förderung der Künfle und Wiffenfchaften
abgedrängt, und fo zu fagen zur ausfchliefslichen Lohnarbeit herabgedrückt. Die
Kräfte, die zum Entwerfen und zur Ausführung von Kunftobje(5len herangebildet
oder herangezogen waren, deren Nutzen fich aber nicht ziffermäfsig nachweifen
liefs, mufsten verabfchiedet werden. Die Staatsdruckerei , wenn fie nicht einen
fo grofsartigen Reichthum an Stempeln, Matrizen, | Lettern, Platten u. f. w. aus
früheren Zeiten beföfse, wäre fchon lange von dem ehrenvollen Standpunkte
herabgefunken, den fie auch noch heute einnimmt.
In welch unerquickliche Lage die Staatsdruckerei durch den Abgang von
Perfönlichkeiten , denen künftlerifche Entwürfe anvertraut werden können,
manchmal verfetzt wird, wenn fie plötzlich eine Vorlage für ein neues Credit-
papier oder dergleichen liefern foU, davon haben Diejenigen oft nicht die geringlle
Ahnung, welche die Erzeugniffe der Staatsdruckerei vom künfllerifchen Standpunkte
aus wegwerfend beurtheilen. Hätte die Staatsdruckerei für die Anfertigung folcher
Entwürfe nur über einige tüchtige Kräfte zu verfügen, die einestheils Vorlagen
vorarbeiteten und anderntheils jüngeren Nachftrebenden als Lehrer dienten, dann
beflünde das Verlangen vollkommen zu Recht, dafs die in der Staatsdruckerei
angefertigten Creditpapiere und andere Kundfachen den Stempel einer gröfseren
künfllerifchen Vollendung an fich trügen.
Wie ift aber eine künftlerifch tadellofe Ausftattung möglich, wenn z. B.
das hohe Abgeordnetenhaus heute befchliefst, dafs die ältere Staatsfchuld
in neue Obligationen convertirt, oder dafs Appoints von Ein, Fünf und Fünfzig
Gulden Staatsnoten emittirt werden, und der Herr Finanzminiiler verlangt, dafs
die Staatsdruckerei auch fchon morgen dem BefchluiTe des Abgeordneten
haufes entfprechende Vorlagen mache und Übermorgen für fo und fo viele
Millionen Gulden Papiere abliefere, weil er das Geld nothwendig bedarf und
mit Ungeduld den Befchlufs des hohen Haufes erwartet hat?
Wie im Sprichworte: „Spare in der Zeit, fo hafl du in derNothl" —
gilt hier: „Zeichnet in der Zeit, fo habt ihr Entwürfe in der Nothl**
Einem Reiter wird es nie gelingen, fein Pferd zum Vorwärtsfchreiten zu
bringen, wenn er ihm auch die Schenkel noch fo flark anlegt und zugleich die
Zügel llraff anzieht : erft dann, wenn er dem Pferde in den Zügeln Luft läfst
und ihm die Schenkel anlegt, das heifst, wenn er dem Pferde die nöthigen
Hilfen gibt, dann wird es auch feine Schuldigkeit thun.
Leget der Staatsdruckerei die Schenkel der Sparfamkeit an, lafTet ihr aber
auch in den Zügeln etwas mehr Luft, das heifst, gebt der Dire<flion derfelben
mehr Selbflfländigkeit , dafs fie durch langweilige und oft ohne das mindeile
Verftändnifs handelnde bureaukratifche Bevormundung nicht zurückgehalten
wird , macht allenfalls die Direcflion für ihr Gebaren verantwortlich ; laffet die
angefangenen und zum grofsen Theile weit vorgefchrittenen' wiffenfchaftlichen
Verlagswerke, zu denen die Platten fchon feit Jahren fix und fertig daliegen,
und zu deren gänzlichen Vollendung keine weiteren Auslagen nothwendig
find als für das Papier und die Drucklöhne, fertig flellen und nicht veralten; laffet
fie den reichen und reichhaltigen Verlag buchhändlerifch organifiren , damit
die Sortimentsbuchhändler für deren Vertrieb etwas thun können , und das
Inftitut wird nicht allein auf eigenen Füfsen flehen können, fondern Früchte
Buchdruck. 29
tragen, die den Wiffenfchaften und den Künden zugute kommen, [ohne dafs der
Staat gröfsere Opfer zu bringen hat.
Die Staatsdruckerei wird dann ihrem Zwecke entfprechen, das heifst, fie
wird, unterftützt durch reichhaltiges Inventar und durch die ihr noch immer zu
Gebote (lebenden Kräfte, Unternehmungen fördern können, von denen der Nutzen
zwar nicht immer gleich auf der Hand liegt, die aber für den Staat und deffen
Bewohner von unendlichem Vortheile fein können, und die auszuführen den
Privaten nicht leicht möglich find.
Kreuziget fie aber auch nicht, wenn ein neu auftauchendes Problem nicht
den gehegten Erwartungen entfprechend gelöfl wird. Nur fo kann die Staats-
druckerei wieder werden, was fie einfl war : die Mufteranftalt für die graphifchen
Künfte nicht nur in Oefterreich, fondern in der ganzen Welt. Wenn fie wieder
vorangeht, dann können und werden die Privaten, auf deren Thätigkeit fie einft
fo erfolgreich eingewirkt hat, auch ferner nicht zurückbleiben, nicht zurück-
bleiben dürfen.
Will man aber der Staatsdruckerei diefe nothwendige Selbftfländigkeit
nicht geben, fo ifl es befler, fie aufzulöfen, als dafs fie mit Rückficht auf ihren
Beruf, fo zu fagen, nicht leben und nicht Herben kann. Vor Allem wolle man aber
im Auge behalten, dafs das Inllitut der Staatsdruckereien doch einen guten
Grund haben mufs, weil auch dort, wo noch keine beftanden oder beftehen, in
neuerer Zeit folche gegründet wurden, und noch gegründet werden.
Selbft das allgemein bekannte Sparfyftem Preufsens hinderte nicht, dafs,
von den grofsen Erfolgen der Wiener Staatsdruckerei angefpomt, der Com:
miffionsrath Wedding feinerzeit nach Wien gefandt wurde, um die Einrichtung
diefer Anilalt kennen zu lernen und feine Erfahrungen für die 1851 erichtete
königlich preufsifche Staatsdruckerei zu verwerthen.
Nachdem wir unfere Anficht über die k. k. Hof- und Staatsdruckefei
hier ausgefprochen, wollen wir jetzt zur Betrachtung der von ihr hors concours
ausgeftellten Gegenftände übergehen, die fich in einem tifchartigen Glaskaften
und an der dahinter befindlichen Wand vereinigt befanden.
Neben den Druckformen und Matrizen der meiden in der Staats-
druckerei gepflegten grap hif che n Kunftfächer, welche ausgeftellt waren,
muffen wir vor allem zweier grofser und dicker Bände Erwähnung thun, in welchen
durch Sammlung von Erzeugniflen der Anilalt der Reichthumund der Umfang der
Staatsdruckerei am bellen zu überfehen war. Der eine, die fr emdfp rachlichen
Typen enthaltend, zeigte, dafs die Staatsdruckerei trotz dem ihr aufgenöthigten
Sparfyllem auch unter der jetzigen Dire(5lion nicht flehen bleibt, fondern dafs fie
je nach Bedarf, ihren Letternreichthum durch neue Schnitte fortwährend bereichert.
Der andere Band, die fämmtlichengraphifchenKunflzweige enthaltend,
war durch Abdrücke aus allen graphifchen Fächern der Anflalt zufammengeflellt,
und man konnte daraus die vielfaltigen Druckmanieren der Staatsdruckerei am
bellen kennen lernen.
Der eigentliche Bücherdruck war durch 40 der verfchiedenartigllen Werke
vertreten. Das eine für Brau müll er in Wien gedruckte Werk: Ueber den
einheitlichen Urfprung der Sprachen der alten Welt, von
Reinifch zeigte eine folche MafTe der verfchiedenartigllen Schriftzeichen, dafs
es allein fchon hinreichen würde, für den Typenreichthum der Staatsdruckerei
Zeugnifs abzulegen. Andere hervorragende Werke waren: eine Grammatik der
vulgär- arabifchen Sprache : ein malayifch-franzöfiTches Wörterbuch und ein java-
nifch-franzöfifches Wörterbuch, beide von Abb 6 Favre; ein kalmückifches Märchen-
buch mit deutfcher Ueberfetzung neben dem kalmückifchen Texte ; eine Syntax
der chinefifchen Sprache, für welche befonders viele neue chinefifche Schrift-
zeichen gefchnitten wurden. Der Mufiknotendruck war durch mehrere gut und
fcharf gedruckte Werke vertreten, und zeigten die dazu verwandten Notentypen
einen fchönen Schnitt. Als ein in feiner Art befonders fchönes Werkchen muffen
30 Ludwig Lott.
wir Entlichers Fibel und crftes Lefebuch für Blinde bezeichnen.
Dasfelbe kann mit Recht als das befte bisher erfchienene Buch für Blinde bezeich-
net werden. Auf die in neuerer Zeit beendeten fünf Bände von „Physiotypia
plantarum Austriacarum" kommen wir bei der Firma Fr. Temp sky in Prag
zurück.
Die „Mittheilungen der k. k. Central- Commiffion zur Erforfchung und Erhal-
tung der Baudenkmale, Jahrgang 1872", und der erlle Band der „Illuftrirten Welt-
Ausftellungs- Zeitung"* zeugten von dem Fleifse und der Gefchicklichkeit ihrer
Drucker.
Die übrigen reich vertretenen graphifchen Fächer muffen wir, als nicht zum
„Buchdruck" gehörend, übergehen.
An der Wand, rechts von der Staatsdruckerei, befand fich die Firma
Carl Fromme in Wien, welche neben ihrem reichhaltigen Kalenderverlage,
dann mehreren Werken und ihren gut gedruckten Schriftproben, auch ein Erzeug-
nifs ihrer Schriftgiefserei, nämlich eine aus Einfa(fungsflü6ken zufammengefetzte
Firmatafel, ausgeftellt hatte. Beim Betrachten der letzteren konnte fich jeder
Fachmann überzeugen, dafs der gute Ruf, den die Fromme'fche Schriftgiefserei
in Wien geniefst, ein wohlverdienter fei. Der reichhaltige Kalenderverlag
Fromme's ift allgemein bekannt. Ein Kalenderplacat, in Quodlibetform, aus zehn
Formen und zwölf Drucken beftehend, legte Zeugnifs ab für den guten Gefchmack
des Setzers und die Kunftfertigkeit des Druckers und des Stereotypeurs. Von
den übrigen ausgeftellten Werken und Brofchüren, denen ebenfalls guter Gefchmack
beim Satze der Titel und der in denfelben vorkommenden Ueberfchriften nach-
gerühmt werden mufs, woUeu wir nur ein einziges hervorheben, das fich durch
feine befondere Schönheit auszeichnete : es ifl der für Faefy & Frick in Wien
gedruckte „Katalog der Gallerie Gfell".
Nächfl Fromme, unmittelbar hinter der Staatsdruckerei, waren die typo-
graphifchen Farbendruckbilder von Heinrich Knöfler's xylographifcher Anftalt
und Kunflbuchdruckerei in Wien theils ausgelegt, theils an der Wand befefligt.
Herr Knöfler hat es vom Tifchlergefellen durch Fleifs und Mühe und durch den
Befuch der Akademie der bildenden Künfle in Wien zum Maler, zumfehr gefchick-
ten Xylographen und zum Befitzer einer nur mit Handpreffen arbeitenden Kunfl-
buchdruckerei gebracht, deren Erzeugniffe einzig in ihrer Art daflehen. Diefer
Meifler arbeitet vorzüglich nur für den xylographifchen Farbendruck, bei dem
ihm fein Malertalent und feine Fertigkeit im Zeichnen fehr zu flatten kommen.
Dafs der gröfsteTheil feiner Erzeugniffe, alle in der Technik ausgezeichnet, zumeift
kirchlichen und religiöfen Zwecken dienen, kommt daher, dafs ihm eben nur die
kirchliche Kund bisher einigen Lohn für feine Mühen abwarf. Es verfleht fich
wie von felbfl, dafs eine folche, wir wollen fagen einfeitige Richtung zugleich
auch eine eintönige werden mufs. Alle bunten Heiligenbilderleiden, wenn eine
gröfsere Anzahl derfelben neben einander gelegt ifl, an Eintönigkeit der Farben,
weil gewiffe Farben wie blau, roth, grün u. f. w. allen Bildern gemeinfchaftlich
find. Dafs Herr KnÖfler jedoch auch andere als Heiligenbilder erzeugt, wenn
ihm dazu ein Auftrag wird, davon konnte man fich an den von Zamarski in der
Rotunde ausgeflellten typographifchen Farbenbildern mit Befriedigung über-
zeugen.
Wie hoch man in Frankreich, das doch im Farbendrucke fo Vorzügliches
leiflet, Knöfler's Kunflfertigkeit hält, geht daraus hervor, dafs Firmin Didot beim
Befuchc der Wiener Weltausflellung Knöfler auffuchte und ihm einen fehr ehren-
vollen, reichlich lohnenden Pollen in feinem berühmten Parifer Inflitute antrug,
den aber Knöfler höflich ablehnte, wofür wir ihm an diefer Stelle den Dank im
Namen Oeflerreichs wohl ausfprechen dürfen, um das er fich durch diefe Ableh-
nung aufs Neue hochverdient gemacht hat. Was wäre dasLosunferer Kunflgewerbe,
wenn die tüchtigflen Kräfte für die ohnehin auf Oeflerreichs Künfller und Indu-
flriellen Übermüthig herabfehenden Fremden arbeiteten ?
Buchdruck. 31
Aufser vielen Initialen und Miniaturen für das ReifsTche MilTale romanum
hatte Knöfler auch verfchiedene Heiligenbilder, welche für Puftet in Regensburg
waren angefertigt worden, ausgeflellt.
Knöfler' sKunfl befleht hauptfächlich in der wunderbar fchönen Ausführung
der Gefichter. Engelsköpfe, deren oft eine bedeutende Zahl auf Heiligenbildern
vorkommt, oft kaum fo grofs als eine Linfe, find ebenfo tadellos ausgeführt, wie
feine grofsen Madonnen. Von allen aus der xylographifchen Abtheilung diefes
Inilitutes hervorgegangenen Bildern hat Knöfler die Gefichter und Hände felbil
gefchnitten, während er die übrigen Theile der Ausführung feinen Mitarbeitern
überläfst.
Gegenüber von Knöfler hatte Heinrich Reifs in Wien fein berühmtes
^Miflale romanum", fein „Gebetbuch für Katholiken** und fein „Livre d'heures**,'
beide von Mfgr. Mislin verfafst, und den für Hermann Paar gedruckten Kopf von
van Eyck ausgeflellt.
Herrn Reifs gebührt das Verdienft, den xylographifchen Farbendruck
zuerfl in Wien betrieben und damit einen Zweig der graphifchen Künfle ausge-
bildet zu haben, der fich allein in Wien zu einer ungeahnten Höhe und Blütbc
entwickelt hat. Zwar hatte Prof effor Blafius Höfel, einer der tüchtigflen und
genialflen Xylographen, von deflenHand noch Vieles in den älteren Schriftproben
Carl Fromme's zu finden ifl, und der feinerzeit auch ein Privilegium für eine
Kunfldruckerei erhalten hat, fchon in den Vierzigerjahren Blumen in xylographi*
fchem Farbendruck erzeugt, doch war deffen Manier eine ganz andere als die von
Reifs unter Mitwirkung Knöfler's und fpäter Paar's ins Leben gerufene. Unferes
Wiffens druckte Höfel feine Blumen von einem und demfelben Stocke und nur
durch das verfchiedenartige Ausfehneiden des Rähmchens an der HandprelTe
druckte er die verfchiedenen Farben; während Reifs zuerfl den Contourflock
fchneiden läfst, davon Abzüge macht und fo viele davon auf andere Holzflöcke
durch Umdruck überträgt, als Farben gedruckt werden foUen. Auf diefen Stöcken
wird nun alles das weggefchnitten, was nicht zu der zu druckenden Farbe gehört.
Durch diefe Manier gelingt es auch, dafs durch Uebereinanderdrucken mehrerer
Farben, gleich wie beim Uebermalen, verfchiedene Töne entflehen und dafs das
Verlaufen der einen Farbe in die andere fo fchön erreicht wird.
Die prachtvollen Initialen und Miniaturen des „Mifl*ale romanum^, lauter
Nachbildungen der bellen Arbeiten in den Handfchriften aus dem 13., 14. und
15. Jahrhundert, bilden den Glanzpunkt diefes einzig daflehenden Kunflwerkes.
Die erflen Lieferungen desfelben wurden fchon auf den Weltausflellungen zu
London und Paris mit Medaillen bedacht und trugen Herrn Reifs auch mehrere
Orden ein.
Zu bedauern ifl nur, dafs es diefem Kunflwerke leider gerade fo geht, als
vielen anderen, dafs nämlich feine Anlage eine würdige ifl, das Ende aber dem
Anfange nicht gleichkommt. Vom erden Bogen an bis über die Hälfte hinaus
ifl diefes Werk auf gutes, flarkes, dem Zwecke entfprechendes Papier gedruckt,
<lägcgcn wurde für den Refl bis ans Ende, aus einer am unrechten Orte ange-
brachten Sparfamkeit, minder gutes und leichteres Papier genommen. Auch die
Miniaturen, denen man im Anfange fo grofse Sorgfalt zugewandt hatte, da jede
einzelne mit 12 bis 14 Farben gedruckt wurde, mufsten fleh gegen das Ende zu
mit weniger Farben begnügen. Der Druck des Textes ifl dem der Initialen und
Miniaturen nicht ebenbürtig; auch wird das Auge durch diezufcharfeSchattirung
des Textdruckes beleidigt. Doch trotz alledem und alledem kann Herr Reifs
flolr auf diefes Prachtwerk fein, und flolz ifl er auch darauf, diefs befagte der von
ihm angeheftete Zettel, auf welchem folgende Worte flanden: „Anerkennungs-
Diplom nicht angenommen, entfchieden zurückgewiefen!**
Die beiden Gebetbücher find mit einer Anzahl Miniaturen aus dem Miffale
ausgeflattet und die Seiten mit farbigen Ornamenten eingefafst. Beiden gereicht
aber zum Nachtheil, dafs der wcifse Papierrand zu fchmal ifl. Wenn fchon die
3
32 Ludwig Lott
gewöhnliche Gröfse der Gebetbücher überfchritten wurde, fo hätte man ganz gut
ein um etliche Zoll gröfseres Papier nehmen können, wodurch die Schönheit
diefer Gebetbücher nur noch wäre erhöht worden.
Die „Erde Wiener Vereins-Buchdruckerei" hatte unmittelbar
neben Reif* ausgeftellt. Diefe Druckerei ift eine fogenannte Gehilfen-
Druckerei, das heifst, fie ift eine von Buchdruckergehilfen gegründete und
auch von dcnfelben geleitete „ Genoffenfchafts- Druckerei „.
Die Gründer diefer Druckerei, die fich die Pionniere von Rochdale zum
Vorbild genommen, traten anfangs iS68 zufammen, bildeten einen Sparverein,
fetzten die Theilnehmerzahl auf hundert feil, und beftimmten, dafs für j eden Antheil
wöchentlich ein Gulden einzulegen fei. Auf diefe Weife hofften fie in fünf Jahren
ein Capital von 25.000 Gulden zufammenzubringen, mit welchem dann eine
Buchdnickerei ins Leben gerufen werden follte. Diefer Plan verwirklichte fich
jedoch ("chon früher; denn als im Jahre 1869 der Buchdruckereibefitzer M. Auer
einem diefer Pionniere feine Buchdruckerei zum Kaufe anbot, brachte es diefer
dahin, dafs Herr Auer fein Gefchäft dem Sparverein gegen einen Kauffchilling
von 22.000 Gulden, zahlbar in zwölf halbjährigen Raten, käuflich übertrug. Mit
dem im erden Jahre erfparten Gelde von ungefähr 5000 Gulden trat der Verein
da s Gefchäft muthig an. Dafs das junge Unternehmen, an deffen Erfolg felbft
viele Theilnehmer zweifelten, von den Principalen fowohl als von den Gehilfen
nicht mit freundlichen Augen betrachtet wurde, darf wohl erwähnt werden. Erftere
fürchteten, dafs diefes Gefchäft die Schmutzconcurrenz befördern würde, letztere,
theilweife von Mifsgunft und Neid geleitet, glaubten nicht allein nicht an deffen
Erfolg, fondern beftrebten fich auch, ihm Schwierigkeiten zu bereiten. Sie traten,
da ohnediefs kein Mangel an Arbeit war, entweder gar nicht in das Gefchäft ein,
oder wenn fie im Gefchäfie (landen, fuchten fiedasfelbe durch kleinliche Gehäfiig-
keiten gegen die Dire(5lion in Verruf zu bringen. Allein weder die Direcflion noch
der Verwaltungsrath diefes Gefchäftes liefsen fich irre machen, und fo (leht heute
die Erfle Wiener Vereins-Buchdruckerei als ein fchönes Beifpiel der genoffen-
fchaftlichen Selbfthilfe da. Die Principale, von ihrem Mifstrauen geheilt, erkennen
in dem Gefchäfte ein ebenbürtiges Unternehmen, und die Arbeiter, die mit an
dem Reingewinne theilnehmen, machen jetzt auch keine Schwierigkeiten mehr.
Die von diefer Druckerei ausgeflellten Gegenflände beflanden aus einigen
Bänden der in diefem Gefchäfte gedruckten Witzblätter „die Bombe" und „der
Floh**, deren Zinkätzungen in Kreidemanier hübfch gedruckt waren; ferner aus ganz
in Buchdruck ausgeführten Acflien der Graz-Köflacher Eifenbahn, deren Satz und
Druck Gefchmack bekundeten, und die den Stempel der Solidität an fich trugen;
aus Jahresberichten der genannten Eifenbahn und einigen Werken und Brofchüren,
fowie verfchiedenen anderen Accidenzarbeiten.
Waren die ausgeflellten Erzeugniffe diefes Gefchäftes auch nicht derart,
dafs ihm die Jury eine Auszeichnung hätte zuerkennen muffen: fo hat fich doch
die „Erfle Wiener Vereins-Buchdruckerei" die Achtung und die ehrende Aner-
kennung des gröfsten Theiles der einheimifchen und fremden Buchdruckerwelt
erworben.
R. V. Waldheim's artillifche Anflalt in Wien hatte auf zwei
Seiten ausgeftellt: daseineMalin derColleölive des Wiener Buchdruckergremiums,
das andere Mal in jener der öfterreichifchen Buch-, Kunft- und Mufikalienhand-
lungen. Am Anfange der linkfeitigen Wand, nächft der Staatsdruckerei, hatte
diefe rührige Firma fowohl in tifchartigen Glasfehränken als an der dahinter
befindlichen Wand Holzfchnitte ausgeftellt und zwar von der Zeichnung bis zu
deren Vollendung, dann Abdrücke derfelben nebftgalvanifchen und ftereotypirten
.\bklatfchen und deren Matrizen. Wir muffen betonen, dafs alle diefe Gegen
ftände meifterhaft ausgeführt waren.
Für die gut eingerichtete Schriftgiefserei diefer Firma fprachen die gedruckten
Schriftproben. Die an der Wand angehefteten Werthpapiere, auf der Buch-
Buchdruck. 33
drucker-, in Gemeinfchaft mit der Stein- und Kupferdrucker-PrefTe hergeftellt,
zeichneten fich vor vielen anderen fehr vortheilhaft aus; es lag einegewifle folide
Ruhe darin, die dem Auge wohlthat. Nur fchade, dafs fie zu hoch aufgehängt
waren und fich dadurch der Beurtheilung zum Theil entzogen.
Der Waldheim'fche Verlag ift ein anfehnlicher. Vor allem Anderen muffen
wir die von ProfefforTeirich herausgegebenen „Blätter für Kunllgewerbe" erwäh-
nen, welche fich des gröfsten Beifalles unter den Fachmännern erfreuen. Die
von dem frtlheren Befitzer diefes Gefchäftes, Profeflbr v. Förfter, herausge-
gebene, dann unter v. Waldheim fortgeführte „Oeflerreichifche Bauzeitung" lag
in 37 Jahrgängen auf, deren Druck beinahe alle Manieren zur Anfchauung brachte,
Kupfer- und Steindruck, Zinkgravirung und Zinkätzung, Xylographie etc. Die
illuflrirten Werke, als: „Gefchichte des Jahres 1848", das „Weltausftellungs-
Album", fowie vieles Andere zeugten von der Sorgfalt,^ welche diefe Firma den
Illuftrationen widmet. Die von v. Waldheim herausgegebenen Eifenbahn-Fahr-
pläne: ^Der Conduc5teur", find praktifch eingerichtet und dabei billig, fo dafs fie
die anderen Concurrenz - Unternehmungen beinahe gänzlich aus dem Felde
gefchlagen haben.
Neben der „Erften Wiener Vereins-Buchdruckerei" hat die Schriftgiefserei
von J. H. Rud & Comp, in Wien ihre Erzeugnifle ausgeftellt. Vor allem fiel auf
das Tableau, das aus Meffing Stücklinien von Carl Fafol zufammengefetzt und
bei R. V. Waldheim gedruckt war. Das fchöne Aneinanderfchliefsen diefer Linien
liefs nichts zu wünfchen übrig. Von den übrigen reichhaltigen Schriftproben
muffen wir befonders die Band-Einfaf fung, gedruckt bei C. Gerold's Sohn,
erwähnen. Mit diefer Band- Einfaffung hat die Firma Ruft & Comp, einen glücklichen
Wurf gethan, da fogleich nach dem Erfcheinen der Probe fich die meiften Buch
dnickereien beeilten, in deren Befitz zu gelangen.
Unmittelbar hinter Reifs hatte die Firma M. Salz e r & Söhne, früher
Carl Ueberreuter's Buchdruckerei und Schriftgiefserei in Wi en, ausgeftellt. Neben
einigen gut gedruckten Werken und befonders fchönen Tabellen fanden wir ein
Tableau, defTen Satz und Druck wir befonders betrachten müflen. Der Satz ver-
dient ein Meifterftück genannt zu werden. Selbft Cicero dicke Linien waren der-
art gebogen, dafs die Rundung nichts zu wünfchen übrig liefs, und die Anfchlüffe
aller Linien waren derart, dafs man hätte glauben können, die Linien feien zu-
fammengelöthet. Herr Johann G 1 a f e r hat durch den Satz diefes Tableaus aufs Neue
dargethan, wie meifterhaft er das fpröde Letternmaterial zu behandeln weifs. Den
ebenfo meifterhaften Druck diefes Tableaus, der von einem und demfelben Satze
durch verfchiedenartiges Unterlegen und Heben einzelner Zeilen, Linien, Ein-
faffungen u. f. w. 22 Formen bildete, hatte Herr Anton M and l beforgt und
damit grofse Ehren erworben. Nur das Eine blieb zu wünfchen übrig, dafs die
Wahl derTarben, in denen eine gewifse Monotonie vorwaltete, eine glücklichere
gewefen wäre. So meifterhaft der Satz aber auch war und fo fehr wir die Kunft
des Herrn Glafer hervorheben müflen, wir können diefes Tableau und ähnliche
Satzkunftftücke doch nur zu den fehr fchönen, aber unpraktifchen Arbeiten Carl
Fafol's ftellen, auf die wir fpäter zu fprechen kommen.
Die Buchdruckerei von Carl Finfterbeckin Wien, unmittelbar neben
Salzer, brachte eine Anzahl von ihr gedruckter Bücher zur Ausftellung, welche
gröfstentheils gut gefetzt und gut gedruckt waren, und Zeugnifs gaben, dafs fich
diefe Druckerei vorzugsweife dem Bücherdrucke gewidmet habe.
Bettelheim & Pick hatten an der Wand hinter Finfterbeck ein Tableau
angebracht, die Namenschiffre Seiner Majeftät des Kaifers Franz Jofef I. Inlnitia
lien F. J. I. darftellend, das fo ausfah, als wären diefe Initialien aus lauter über-
und neben einander gelegten Vifitkarten dargeftellt. Die Idee war nicht fo übel,
die Ausführung blieb aber in Manchem zurück. Was vielen anderen Ausftellungs-
Gegenftänden zum Nachtheile gereichte, diefem Tableau brachte das zu hohe
3-
3^ Ludwig Lott.
Aufhängen nur Vortheil, da man dadurch verhindert war, die vielen Mängel fcharf
ins Auge zu faffen.
An der linken Ecke diefes Tifches befanden fich die ErzeugnifTe von
Friedrich Jasper in Wien. Diefe Firma hatte eine Anzahl der bei ihr
gedruckten periodifchen Blätter, Werke, Brofchüren und Accidenzarbeiten ausge-
ftellt. Von der periodifchen Literatur muffen wir vor allem andern die „Oefter-
reichifche Buchdrucker-Zeitung" nennen, deren Reda<5leur, Herausgeber und
Drucker in Einer Perfon Herr Friedrich Jasper ift. Die Verdienfte, die fich Herr
Jafper als Redadleur der Buchdrucker-Zeitung erworben, gehören auf ein anderes
Feld ; der Satz und der Druck diefer Zeitung find eines typographifchen Fach
blattes würdig. Von den Werken und Brofchüren muffen wir befonders das Heno-
graphifche Werkchen von Carl F a u l*m an n nennen. Dafs Herr Faulmann feine
ftenographifchen Arbeiten mit Vorliebe der Buchdruckerei Jasper überträgt, ift
ein ehrendes Zeugnifs für diefelbe. Aus den Accidenzen konnte man erfehen, dafs
diefe Buchdruckerei eine fchöne Auswahl von Typen befitzt und diefelben auch
gut zu verwenden weifs.
An der rechten Ecke des anderen Tifches, gerade hinter Jasper, befand fich
die Ausftellung von J. C. Fifcher & Comp. Diefe Druckerei, eine derjüngerea
in Wien, ging doch fchon in die zweite Hand über, als fie Herr Fifcher erwarb.
Unter dem erden Befitzer lieferte diefes Gefchäft nur Alltagswaare und noch
dazu um jeden Preis! Dafs es damit auch viele Arbeiten gab, die fogar unter
dem P reife waren, ift zu begreifen, wie nicht minder, dafs diefe Druckerei,
trotz ihrer Jugend und trotz UeberflufTes an Arbeit, auf keinen grünen Zweig kom-
men konnte. Seit der Uebernahme des Gefchäftes durch Herrn Fifcher, derfogleich
einen ftrebfamen, jungen Mann als Fa<5tor aufftellte, ift ein vollftändiger Um-
fchwung eingetreten, wovon man fich auf den erften Blick überzeugte. DerBericht-
erftatter war ganz erftaunt, dafs diefe Buchdruckerei nach kurzer Zeit fchon im
Stande gewefen, fo Vieles zur Ausftellung zu bringen, unter dem das Meifte fehens-
und betrachtenswerth war. Nur können wir leider nicht verfchweigen, dafs unter
dem Vielen auch manches Tadelnswerthe fich befand. Befonders hätte die Feftfchrift
des öfterrcichifchen Mufeums und der damit verbundenen Kunftgewerbefchule,
ein Band in Grofsquart, eine beffere Behandlung verdient. Von den vielen
Holzfchnitten diefes Werkes waren nicht alle fo gedruckt, wie fie hätten gedruckt
fein foUen; der Satz des Textes, der aus Mediaevalfchrift hergeftellt war, hatte
Ueberfchriften aus andern neueren Schriften u. f. w.
Wenn wir jedoch einestheils in Rechnung bringen, dafs das Gefchäft erft
in den letzten Jahren vor der Weltausftellung in Fifcher's Hände übergegangen
ift; wenn wir anderntheils die leidigen Arbeiterverhältniffe in Betracht ziehen,
unter denen felbft alte Gefchäfte mit einem Stamm gefchulter Arbeiter erheblich
gelitten haben; wenn wir dann erwägen, dafs ein folch junges Gefchäft doppelt
und dreifach unter dem Uebermuthe der Arbeiter zu kämpfen hatte, fo müiTenwir
billig den ausgeftellten Gegenftänden alles Lob zollen.
Carl Fafol in Wien hatte von feinen in Stigmatotypie ausgeführten
Kunftblättcm zwei Gegenftände ausgeftellt, beide fowohl im Satze als in
Abdrücken, und zwar das Porträt Gut tenberg 's und ein Früchtenft üc k.
Diefe Stigmatotypien find aus lauter Punkten zufammengefetzt, von denen 576
Stück auf einen Quadralzoll Wiener Mafs gehen. Die Punkte haben viererlei
Stärke und zwar ganz dicke, weniger dicke, feinere und ganz feine. Dafs der Satz
diefer Stigmatotypien grofse Aufmerkfamkeit, Kunftfertigkeit und namentlich
Geduld»und Ausdauer erheifcht; kann man daraus ermeffen, dafs der Satz des
Früchtenftückes, 10% Zoll breit und 13 Zoll hoch, aus beiläufig 70.000 Punkten
zufammengeftellt ift.
So bewundemswerth diefe Arbeiten aber auch find, und fo grofses Auf-
fehen diefelben in der typographifchen Welt gemacht haben, dennoch müfien wir
bedauern, dafs Herr Fafol fich auf folch ein unfruchtbares Feld geworfen hat.
Buchdruck. 35
anflatt dafs er feinen Gefchmack und Kunflfinn anderen praktifchen typographifchen
Arbeiten zuwendet, denn auf dem Felde der Stigmatotypie wird er fehr wenige
oder gar keine Nachahmer finden. Würde er z. B. feinen fchon feit langen Jahren
bekannten Gefchmack als Accidenz- und ganz befonders als Titelfetzer dadurch
verwerthen, dafs er unter Beihilfe der vielen neueren Phantafie-, Band- etc. Ein-
faflungen Muft ervorlagen für Acci den zfetz er ausführte, worin nämlich
für Titel, Umfchläge, Actien. Gefchäfts-, Verlobungs-, Ball-, Einladungskarten
Tl. f. w. mit und ohne EinfalTungen, dann für Rechnungen, Facturen, Wechfel-
blanquette etc. Vorbilder enthalten wären : fo würde, wir find defien überzeugt,
Fafol, unterilützt durch feine künfllerifche Auffaffung, eine fo grofse Abwechslung
und eine fo reiche Mannigfaltigkeit zu Tage fördern, wie fie aufser ihm kaum
Jemandem gelingen dürften. Wie künftlerifch Herr Fafol ein ihm gegebenes Mate-
rial zu verwenden verficht, haben wir oben an dem aus Mefling-Stücklinien zu-
fammengefetzten Tableau für Ruft & Comp, gefehen. Er würde fich durch die
periodifche Herausgabe folcher Muftervorlagen nicht allein den Dank der Buch-
druckereibefitzer und der nach vorwärts ftrebenden Setzer verdienen, fondern
auch zur Hebung und Veredlung unferer Kunft viel mehr beitragen, als durch
feine Stigmatotypien, die man bewundert, aber nicht nachahmt, weil die Punktir-
manier der Gravirnadel damit doch nicht zu erreichen ift.
Was wir hier über die mühfamen und kunftvoUen, aber dennoch nicht
praktifch zu verwerthenden Arbeiten Fafol's gefagt haben, gilt auch zum Theile
für zwei andere kunftvoU erzeugte Setzerarbeiten, und zwar für das bei M. S al-
z er ausgeftellte Tableau G lafer's und für den von Carl Schneid, Setzer in
R. V. Waldheim's artiftifcherAnftalt, aus Epheuranken. anderen EinfaiTungs-
ducken und Linien hergeftellten Plafond. So kunftreichdiefer Plafond auch gefetzt
ift., und fo ähnlich er auch dem von Profeflbr Teiri ch entworfenen und indeften
„Kunftgewerbe-Blättern" enthaltenen Plafond im Haufe Friedländer's fein mag,
fo wird es doch Herrn Teirich oder einem andern Künftler gewifs niemals ein-
fallen, einen ähnlichen oder andern Entwurf durch Verwendung von Einfaflungs-
ftücken etc. herftellen zu lafl'en, fondern fie werden ihn entweder in Holz fchnei-
den oder in Zink ätzen laften, wenn er auf typographifchem Wege vervielfältigt
werden foU. Schneid's Plafond war leider nur im Satze ausgeftellt, ohne dafs auch
Abzüge davon vorgelegen hätten. Wäre diefs der Fallgewefen, unferUrtheilüber
diefe Verwendung des typographifchen Materials würde gewifs beftätigt wor-
den fein.
Herr Schneid fowohl wie Herr Glafer, fchon lange als künftlerifch
flrebende Jünger Guttenberg's bekannt, find auf der Wiener Arbeiter-Induftrie-
Ausftellung für ihre damals ausgeftellten kunftvoUen Arbeiten beide mit Medaillen
bedacht worden. Wir fpenden ihren mühevollen und künftlerifch ausgeführten
Arbeiten bereitwillig, in Bezug auf die gefchickte Behandlung des Materials, das
befte Lob, geftehen aber ebenfo freimüthig unfer Bedauern, fo viel Gefchick und
Gefchmack, eine folche Unfumme von Fleifs und Ausdauer und folchen Aufwand
von Zeit an eigentlich unfruchtbare Arbeiten verfchwendet zu fehen.
Eduard Sieger, lithographifche Anftalt und Buchdruckerei in Wien.
Diefe Firma verfteht es meifterhaft, die lithographifche und typographifche Preffe
in Ge&ieinfchaft zum Drucken ihrer ErzeugnifTe zu benützen. Doch hatte fie in
ihrem fchön und überfichtlich geordneten Kaften leider wenig von diefer Gattung
ausgeftellt und gehörte das Meifte zu den Erzeugniffen der lithographifchen Preffe;
defto mehr fand man diefe Vereinigung in den grofsen Ausftellungsräumen zer-
ftreut aufgelegt, als Gefchäftsadreffen und Preiscourante der Ausfteller. Dafs
diefes Gefchäft aber auch dem Bücherdrucke befondere Aufmerkfamkeit widmet,
davon konnte man fich in der CoUedliv- Ausftellung der öfterreichifchen Buch-,
Kunft und Mufikalienhändler überzeugen, wo hier und da manches fchöne bei
Sieger gedruckte Buch ausgelegt war.
36 Ludwig Lott.
Leopold Sommer & Comp, in Wien. Von diefer alten Firma, die
früher nur aus Buchdruckerei und Schriftgiefserei beiländ, wurde in neuerer Zeit
auch die Lithographie in den Bereich ihrer Thätigkeit gezogen und defshalb die
ohnehin grofsen Gefchäfts räume noch bedeutend erweitert. Wir hatten gehofft,
diefelbe werde uns nur Gutes und Schönes bringen, doch das Gebotene war
grofsentheils nur Alltagswaare. Von den ausgeftellten Werthpapieren war wohl
Manches in Satz und Druck gut gehalten, bei mehreren waren jedoch zu fchwere
Lettern angewandt und die bunten Farben zum Theil verblafst. Die im Satze aus-
geftellten Notentypen waren nicht neu, fondern abgenützt. Der Druck der alt-
und neuflavifchen Werke liefs Manches zu wünfchen übrig. Diefes Gefchäft, das,
wie gefagt, früher nur für Buchdruck eingerichtet war und fich eines bedeutenden
Rufes zu erfreuen hatte, fcheint fich jetzt mehr der Pflege der Lithographie zu
widmen, in welcher Vermuthung wir auch durch mehrere fehr fchön ausgeführte
Chromolithographien beftärkt wurden.
Rollinger & Mö fsme r in Meidling bei Wien. Die vielen ausge-
ftellten verfchiedenartigften ErzeugnilTe der Buchdruckerpreffe diefer jungen
Firma zählten zu dem Beften, was wir überhaupt auf der ganzen Ausftellung zu
Gefichte bekamen. Der Satz der Titel und des Textes bei den Werken war
gefchmackvoll und ftylgerecht. Ganz befondere Sorgfalt war dem Satze aller
Accidenzen und Tabellen gewidmet und die Reinheit und Schärfe liefs nichts zu
wünfchen übrig. Alles, was diefe Firma geliefert, war nicht allein tadellos, fon-
dern auch über alles Lob erhaben. Rollinger & Möfsmer wurden mit der Fort-
fchrittsmedaille ausgezeichnet. Dafs aber die Jury dem technifchen Leiter diefer
Firma, durch deffen Gefchäftskenntnifs und unermüdliche Thätigkeit doch nur
allein folch fchöne Erfolge erzielt wurden, nicht die Medaille für Mitarbeiter
ertheilte, ift zu bedauern.
Als eine Wiener Specialität muffen wir femer noch betrachten die von
Chriftof Reifs er in Wien, dem Chef der Druckerei der „Neuen Freien Preffe**.
ausgeftellten Stereotypen fowohl in geraden Platten als auch in halber
Cirkelform nebft den zu dem Guffe derfelben verwendeten Papiermatrizen. Die
Papierftereotypie zum Drucke von Zeitungen wurde zuerft von der „Times" in
London während des Krimmkrieges eingeführt. In Oefterreich und Deutfchland
war der Erfte Herr Auguft Zang in Wien, der für die Druckerei des Journals
^die Preffe" im Jahre 1862 die Papierftereotypie angewendet hat. Dadurch wurde
diefe Druckerei in den Stand gefetzt, bei nur einmaligem Satze „die Preffe" auf
zwei, drei oder vier Schnellpreffen gleichzeitig drucken zu können. Der „Preffe"
folgte zunächft die ^Vorftadtzeitung" und fo nach und nach beinahe alle Zeitungen
in Wien und den Kronländern. Herr Reifser, der bei Gründung der ^Neuen
Freien Preffe" im Jahre 1864 noch ein Gegner der Papierftereotypie war, hat fich
derfelben im Jahre 1866 ebenfalls zugewendet. Welch einen hohen Werth er
jetzt darauf legt, konnte man aus der Art und Weife abnehmen, wie er feine
Erzeugniffe ausgeftellt hatte, die, alle fcbarf und tief, als fehr gelungen zu
bezeichnen find.
Nachdem wir fomit das Hauptfächlichfte der Colle<fliv-Ausftellung des
Gremiums der Wiener Buch-, Stein- und Kupferdrucker betrachtet haben, gehen
wir zunächft zu den nicht zu diefer CoUedlive gehörenden öfterreichifchen Buch-
druckern über, um dann die CoUecftive der öfterreichifchen Buch-, Kunft- und
Mufikalienhändler zu befichtigen.
Bohemia, Adliengefellfchaft für Papier- und Druckinduftrie in Prag.
Diefes alte Gefchäft, vor der Umwandlung in eine A<5liengefellfchaft die Firma
Gottlieb Haafe's Söhne, hat fich eines fehr guten Rufes feit langem erfreut;
war es doch das einzige Buchdruckergefchäft in Oefterreich, dasvorAuer fchon
Tüchtiges geleiftet hat. Die Schriftgiefserei diefer Firma war und ift in gewiffem
Sinne noch heute die erfte in Oefterreich. Ihre Erzeugniffe verforgten nicht allein
Buchdruck. 37
den gröfsten Theil aller Buchdruckereien in Oeflerreich, es bezogen die Donau-
fürftenthümer, felbfl Rufsland, Italien etc. von diefer Firma einen Theil ihres Be-
darfes. Die Beftellung an Lettern und dergleichen waren ftets fo maffenhaft, dafszur
Ablieferung von neu einlaufenden Aufträgen gewöhnlich ein Termin von nicht
unter fechs Monaten gegeben werden mufste. Was diefe Schriftgiefserei aber
auch zu leiflen im Stande ifl, wird aus folgender Thatfache erhellen:
• Zum Satze der verfchiedenen officiellen Ausflellungskataloge wurden
benöthigt: 71 Centner Colonel, 20 Centner fette Colonel, 528 Pfund Petit, 238
Pfund fette Petit, 783 Pfund Garmond und 158 Pfund Cicero Antiqua, ohne die
dazu gehörigen Quadraten. — Die meiden Schriftgiefsereien in Wien und Deutfeh-
land waren im letzten Jahre vor der Ausftellung mit Aufträgen fo überhäuft, dafs
fie an dem Gufs diefes grofsen Quantums Lettern fich nur zum kleinflen Theiie
hätten betheiligen können. Die Schriftgiefserei der „Bohemia" jedoch, die zwar
ebenfalls fehr viel zu thun hatte, fetzte ihren patriotifchen Stolz darein, diegröfsere
Hälfte diefes Quantums in einem Zeiträume von nicht ganz fechs Monaten zu
liefern, die andere Hälfte, die erft Mitte Jänner 1873 beflellt wurde, lieferte fie
fogar fchon in nicht ganz drei Monaten, fo dafs am i. April beinahe das ganze
Quantum in den Händen des Beftellers war.
Die Lettern, die in diefem Gefchäfte gegoffen werden, find gewöhnlich
tadellos. Dafs dem fo ift, liegt nicht allein an der grofsen Sorgfalt, die dem Guffe
und der Zurichtung gewidmet wird, fondern gröfstentheils daran, dafs diejenigen
Arbeiter, welche die letzte Feile an die Typen zu' legen haben, die fogenannten
Fertigmacher, im fixen Lohn, nicht aber im Berechnen flehen. Es wird
Jedem, nicht nur dem Fachmanne, klar fein, dafs der Arbeiter, der nach dem
Gewichte oder nach der Zahl der fertiggemachten Lettern entlohnt wird, fich
nicht der gewiffenhaften Mühe unterziehen wird, jeden fehlerhaften Buchftaben
aus feinen fertiggemachten Zeilen auszudofsen, oder die Ziehklinge nur fehr
behutfam zu handhaben u. dgl. mehr, vielmehr wird er in feinem eigenften
Inicreffe trachten, recht viele Lettern im Laufe der Woche fertig zu ftellen, um
einen möglichfl hohen Wo'chenlohn zu erzielen.
Dagegen kann der Fertigmacher, der im fixen Lohne fleht, feiner Arbeit die
gewiffenhaftefle Sorge widmen, weil es für ihn gleichgiltig ifl, ob er am Schlufs
der Woche um ein paar Pfund Lettern mehr oder weniger fertig gemacht hat.
Durch das Fertigmachen der Lettern im Berechnen haben jedoch nicht allein die
Fertigmacher, fondern auch die Schriftgiefsereibefitzer Vortheile; die erfleren
durch Erzielung eines höheren Lohnes und die letzteren dadurch, dafs eben der
berechnende Fertigmacher nicht fo viele fchadhaft gegofTene Buchflaben zum
Umguffe wieder in den Schmelzofen wirft. Die Buchdruckereibefitzer aber, die
folch tadelhafte Lettern erhalten, haben den Schaden zu tragen, wefshalb auch
jedem Druckereibefitzer zu rathenifl, feine Aufträge hauptfächlich jenen Schrift-
giefsereien zuzuwenden, in welchen die Fertigmacher um fixen Lohn arbeiten.
Als Erzeugniffe der Schriftgiefserei hatte die „Bohemia" in einem grofsen
Schranke Stempel, Matrizen, Lettern, dann ihre reichhaltigen Schriftproben,
galvanifche Platten und dergleichen mehr ausgeflellt. Die von ihr vorgelegten
ErzeugnilTe der Buchdruckerei waren aber leider nicht alle derart, als wir fonfl
von der alten Firma Göttlich Haafe's Söhne zu fehen gewohnt waren. Vieles
Schöne war älteren Datums. Um aber nicht ungerecht zu fein , muffen wir hier
anführen , dafs die Kiflen , in denen die auszuflellenden Gegenflände verpackt
gewefen, beim Transporte nach Wien vom Regen gelitten hatten, wodurch Vieles
ganz verdorben wurde. So mag es denn gekommen fein, dafs Manches gar nicht
ausgeflellt werden konnte, das unter anderen Umfländen des alten Rufes der
Firma vollAändig würdig gewefen wäre.
Von dem Ausgeftellten muffen wir ein Porträt Seiner Majeflät des Kaifers
Franz Jofef L in Farbendruck hervorheben. Diefes Porträt, entworfen von Julius
Meifler, war durch den Druck auf der Buchdruckerpreffe von 18 geätzten Zink-
Oö Ludwig Lott.
platten, von denen einige ausgefeilt waren, hergeftellt worden. Soviel Mühe man
(ich auch mit diefem Porträt gegeben hatte , es lieferte dennoch aufs Neue den
Beweis, dafs durch Zinkplatten der xylographifche Farbendruck oder die Chromo-
lithographie nicht fo leicht zu erreichen und zu verdrängen find.
Ignaz Fuchs, k. k. Hofbuchdruckerei, Lithographie undMafchinenpapier-
Fabrik in Prag, hatte aufser mehreren Mufterbflchern , worin Werthpapiere und
fonflige Accidenzen enthalten waren , viele lithographifche Arbeiten ausgefeilt.
Doch war alles Gebotene nur Durchfchnittswaare und die Leiftungsfahigkeit der
Buchdruckerei liefs fich daraus nicht erkennen. Als einer Specialität müflen wir der
fogenannten transparenten Gefchäftsadreflen gedenken.
Rudolf M. Rohrer in Brunn hatte die Ausftellung mit Vielem bedacht.
Am auffallendden waren die bei ihm erfchienenen Kalender, von denen er die
Jahrgänge von 1863 bis 1873 ausgelegt hatte. Jeder diefer eilf Jahrgänge war in
einer anderen , von den früher erfchienenen abweichenden Art ausgedattet. Das
hinderte jedoch nicht, dafs mancher Vorgänger von feinem Nachfolger nicht
übertroffen wurde. Der Band Schriftproben, fowie auch die fiir die Ausftellung,
befonders auf Cartonpapier gut gedruckten mercantilen und anderen Accidenz-
arbeiten zeugten von der guten Einrichtung diefes Gefchäftes.
W. Burkart in Brunn hatte zwei Albums ausgefeilt, von denen das eine
die gewöhnlichen, das andere die befferen und feineren Arbeiten enthielt. Auf
den Satz wurde in diefem Gefchäfte viel Zeit verwendet , um ihn fo kunftfertig
wie möglich erfcheinen zu laffen, wofür diefe Firma Lob verdient; doch gab es
auch Manches, das zwar mühfam aufgebaut war, aber wenig oder keinen Gefchmack
verrieth. Der Druck diefer Firma, die beftrebt ift, die lithographifche mit der
Buchdruckerprefle Hand in Hand gehen zu laffen, mufs durchgehends als ein
guter bezeichnet werden.
Gebrüder Stiepel in Reichenberg in Böhmen hatten viele Druckforten
für das Gefchäftsleben, fowohl für das mercantile als ftlr das induilrielle, aus-
geflellt. Auch diefe Firma nimmt die lithographifche im Verein mit der Buch-
druckerpreffe in Anfpruch, um ihre gut gedruckten und gut ausgedatteten Erzeug-
niffe herzuftellen.
Alfred Trafsler in Troppau hatte neben mehreren anderen Druck-
fachen auch die Jahresberichte des Gymnafiums und der Unter- und Oberrealfchule
zu Troppau ausgeftellt, über die wir gern einen Schleier ausgebreitet hätten,
um ihre typographifche Ausführung den Blicken der Befucher zu entziehen. Die
lithographifchen Arbeiten diefer Firma überragen die typographifchen in keiner
Weife. — Wodurch die Jury bewogen wurde , diefer Firma das Anerkennungs-
Diplom und dem technifchen Leiter derfelben die Mitarbeiter-Medaille zuzuerken-
nen, wird wohl für immer eine ungelöfle Frage bleiben.
Jofef Wimmer in Linz hatte nur zwei Bände ausgeftellt, welche die
fauber gedruckten Proben feiner Typen und Clich6's enthielten ; beide lieferten
den Beweis , dafs diefe Buchdruckerei eine gut eingerichtete fein mufs.
Carl Faulmann, Lehrer der Stenographie an mehreren k. k. Unterrichts -
Anftalten in Wien, hatte früher als Schriftfetzer in der k. k. Hof- und Staats-
druckerei mit den Typen , welche Auer für diefe Anftalt hatte fchneiden laffen,
ftenographifchen Satz geliefert. Da aber diefe Typen aus vielen und verfchieden
zufammenzufetzenden Strichen und Zeichen beftanden und daher fehr mühfelig zu
fetzen waren: fo hat Carl Faul mann ein eigenes, einfacheres ftenographifches
Typenfyftem entworfen, das nur aus ganzen Zeichen befteht, die wie andere Typen
aneinander gereiht werden. Diefe feine Typen hatte Faulmann fowohl in einem
Setzkaften ausgeftellt, als auch eine Satzprobe in ganzen Stücken vorgelegt. Durch
diefe Vereinfachung hat fich Herr Faulmann bereits grofse Verdienfte um den
ftenographifchen Druck erworben, doch hoffen und wünfchen wir, dafs derfelbe
bei den bis jetzt gewonnenen Ergebniffen feiner Studien nicht ftehen bleiben
werde , fondern noch weitere Vereinfachungen anftreben möge.
Buchdruck. 39
Paar&Biberhofer, xylographifche Anflalt in Wien, hatte neben dem
fchon oben bei Reifs genannten Kopf nach van Eyck auch Dürer'fche Trachten-
bilder und mehrere Miniaturen für das Reifs'fche MifTale, fowie verfchiedene andere
xylographifche Arbeiten fowohl für Bunt- als Schwarzdruck ausgedellt. Diefe
Arbeiten, von der Hand Heimann Paar's gefchnitten, verdienen eingehender
betrachtet zu werden. Hermann Paar, ein noch junger (Irebfamer Mann, Schiller
Ramsberger's und ehemaliger Mitarbeiter Knöfler's und Bader's , hat fowohl in
den genannten Anilalten als auch felbftftändig viele Proben feiner Begabung
abgelegt. Vermöchte Hermann Paar das Auge und die feinen Fleifchtöne im
Gefichte fo ausdrucksvoll zur Darilellung zu bringen , wie es Knöfler in fo ganz
ausgezeichneter Weife leidet , dann würden feine Miniaturen für das Reifs'fche
Miflale wohl als ebenfo vollkommen gelungen zu bezeichnen fein, wie die Knöfler'-
fchen ; fo aber (lehen fie, aber nur in dem einen eben angedeuteten Punkte, denen
Knöfler's nach. Dafs aber Paar, feitdem er die Schnitte für diefe Miniaturen
vollendet, noch fehr bedeutende Fortfehritte gemacht hat, das konnte man an den
neuen Erzeugniffen feiner Kund mit Vergnügen wahrnehmen.
Durch die in Farben-Holzfchnitt vom xylographifchen Atelier von F. W
Bader in Wien, von Hermann Paar ausgeführten fechs Blätter: „Trachtenbilder
von Albrecht Dürer, aus der Albertina", wurde die Aufmerkfamkeit auf Paar
gelenkt. Die ^Gefellfchaft für vervielfältigende Kunft** in Wien — die fich die
ausfchliefsliche Pflege der vervielfältigenden Kunfl zum Ziele ihrer Wirkfamkeit
gefleckt hat — fafste den Entfchlufs, Dürer's Dreifaltigkeitsbild im Belvedere in
einem grofsen Farben-Holzfchnitte nachzubilden, mit welcher Arbeit Paar betraut
werden follte. Bevor die Gefellfchaft an diefcs wichtige und fchwere Unternehmen
herantrat, befchlofs fie, zuerfl einen Verfuch mit einem kleinen Werke zu machen,
um die Kunfl und die Leiflungsfähigkeit des KUnfllers zu erproben. Die Wahl
fiel auf das „Bildnifs eines Unbekannten** von Jan van Eyck. Das Bruflbild eines
Greifes mit fpärlichem Haupthaar, im rothen, mit weifsem Pelzwerk verbrämten
Rocke, das fich in der k. k. Bildergallerie im Belvedere zu Wien befindet und
etwas über einen Schuh hoch ifl, wurde photographifch auf etwa zwei Drittel der
Gröfse reducirt und von Jofef Schönbrunner auf den Holzflock gezeichnet.
Diefer Holzflock diente Paar als Grundlage zur Herflellung der übrigen Holz-
flocke, mit denen das Blatt gedruckt wurde. Eine farbige Copie war nicht von-
nöthen, da es Paar geflattet war, unmittelbar vor dem Originale zu arbeiten. Paar
hat fich feiner Aufgabe mit voller Hingebung und rafllofer BefTerung der Cor-
re<5luren in den Fleifchtönen mit Gefchick entledigt; er überwachte auch den
Druck, der in der Reifs'fchen Officin von A. Gradinger beforgt wurde. Dafs
Herrn Paar, diefem flrebfamen jungen Künfller, fein Werk gelungen ifl, davon
bat fich wohl Jedermann mit Freuden überzeugt , der entweder die Ausflellung
Paar's befichtigt oder das Blatt in dem 5. Hefte des feit 1870 erfcheinenden
„Album der Gefellfchaft der vervielfältigenden Künfle** gefehen hat.
DieCollectiv- Ausflellung de rÖflerreichifchenBuch-^ Kunfl
undMufikalienhändler befand fich ebenfalls in dem Hofe 13a. Von den
in diefer Colle<5live vertretenen Buchhändlern wollen wir zuerfl die ErzeugnifTe
derjenigen betrachten, deren Verlag aus eigener Buchdruckerei hevorgegangen.
Carl Gerold's Sohn, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei in Wien.
Diefes beinahe feit hundert Jahren beflehende Gefchäft (es wurde im Jahre 1775
gegründet) hatte einen fehr anfehnlichen Theil feines reichen Verlages ausgeflellt,
den wir leider nicht in der Lage waren, in feiner Gefammtheit betrachten zu
können. Die grofsen Thüren der Wandfehränke waren durch die im Sommer
1873 herrfchende drückende Hitze gefchwunden und liefsen fich nicht öffnen,
ohne die Gläfer in den Thüren zu zerbrechen. Dasjenige aber, was wir betrachten
konnten, beflätigte vollkommen den guten Ruf, den diefes alte Gefchäft geniefst.
Wir wollen nur eines einzigen Werkes ausführlicher gedenken.
40 Ludwig Lott.
Der ^lUuftrirte Katalog der Ornamentenftich-Sammlung des k. k. öfter-
reichifchen Mufeums" mit Renaiflancefchrift gefetzt und (die Drucke aus der
Renaiffancezeit nachahmend) auf eigens hiezu angefertigtes Chamoispapier
prachtvoll gedruckt, kann ein Meifterwerk der Typographie genannt werden. In
der Vorrede wird auch befonders hervorgehoben, dafs durch die aufserordentliche
Sorgfalt, welche dem Drucke der in diefem Buche vorkommenden 54 Holzfchnitte
gewidmet wurde, diefe erft recht zur vollen Geltung gelangt feien. Diefe vor-
züglichen Holzfchnitte , auf den Stock photographirt und dann gefchnitten,
flammen aus dem Inflitute für Holzfchneidekunft von Fr. W. Bader in Wien.
Die Harmonie, die in diefem Kataloge zwifchen Satz, Druck, Xylographie und
Papier herrfcht, wurde auch feinerzeit bei Eröffnung des öfterreichifchen Mufeums
von den Zeitungen nach Gebühr hervorgehoben.
Aufser vielen anderen vorzüglichen Werken befitzt diefe Firma auch einen
fehr reichhaltigen Verlag von Schulbüchern, befonders für Mittelfchulen, der fich
durch gute Ausilattung und gleichmäfsigen Druck auszeichnet.
Die Buchdruckerci diefer Firma hat, wie fchon oben über Auer's Einflufs
auf die öfterreichifchen Buchdruckereien erwähnt wurde, erft feit dem Jahre
1848 fo riefige Fortfehritte gemacht und fteht befonders durch ihr folides Gebaren»
gute Ausftattung und fchönen gleichmäfsigen Druck ihrer Erzeugniffe in all-
gemeiner Achtung. Um fo grofsartiger der Fortfehritt ift, umfomehr fühlen wir
uns gedrungen, auch jenes Mannes zu gedenken, der fich um diefen Erfolg ganz
befonders verdient gemacht hat: es ift diefs der verftorbene Jofef Volk, früher
Leiter des altberübmten Gefchäftes Gottlieb Haafe's Söhne in Prag. Bei der
Uebernahme der Gerold'fchen Buchdruckerci beftellte Volk fogleich mehrere
Schnell und gute eifeme Handpreffen ; errichtete eine eigene Accidenzabtheilung
mit fyftematifch gegoffenen Lettern ; liefs ferner eine Anzahl tüchtig gefchultcr
Arbeiter, fowohl Setzer als Drucker, von Prag kommen ; ftellte Herrn Carl K n e i f e 1,
einen tüchtigen Drucker, der aufser in Prag auch in mehreren gröfseren
Druckereien Deutfchlands conditionirt hatte, als Druckerfacflor und die Herren
Thierbächer und Hammater als Setzerfacflore an. Dafs unter der Leitung eines fo
bewährten Fachmannes, wie Volk war, im Vereine mit folch erprobten Männern,
wie die eben Genannten find, die heute noch auf ihren Poften ftehen, ein ein-
heitliches und gleichmäfsiges Schaffen Platz greifen mufste, bedarf nicht des
Breiteren erörtert zu werden.
Die Firma Carl Gerold's Sohn, die fich aufser Preisbewerbung erklärte,
da Herr Friedrich Gerold Mitglied der internationalen Jury war, anerkannte und
belohnte die raftlofe Thätigkeit ihres Druckerfacflors Carl Kneifel dadurch, dafs
fie fich bemühte, ihm die Medaille für Mitarbeiter zu verfchaffen. Bei der Ordens-
vertheilung am i. Nov. 1873 erhielt Herr Kneifel auch das filberne Verdienftkreuz.
L. W. Seidel & Sohn, Verlags- und Sortimentsbuchhandlung und Buch-
druckerei in W i en, hatten einen anfehnlichen Theil ihres neueren Verlages,
gröfstentheils militärifche Werke mit Karten und Plänen, ausgeftellt. Diefe Firma
ift beftrebt, die Werke ihres Verlages bei guter Ausftattung dennoch fo billig als
möglich herzuftellen, um fie dem für Bücher nicht gerne Geld ausgebenden mili-
tärifchen Publicum leicht zugänglich zu machen. Von den neueften Werken find
befonders hervorzuheben : D i e m m e r, Vorträge über die Grundzüge der Strategie,
8<> mit 33 Figuren und 8 Kartenfkizzen ; Kuhn Franz, der Gebirgskrieg, 8® mit
21 Karten und Plänen; Swoboda Joh., die k. k. Militär-Akademie zu Wiener-
Neuftadi, gr. Quart, mit 16 Tafeln in photographifchem Glasdruck, 19 Holz-
fchnitten und einem Plane in Kupferdruck.
Die gröfste Verlags- und Sortimentsbuchhandlung, die jedoch keine
eigene Druckerei befilzt, fondern ihren fehr reichen V^erlag, auf deflen fchöne
Ausftattung fie befonderes Gewicht legt, nur in den hervorragendften Buch-
druckereien herftellen läfst, ift Wilhelm Braumüller's k. k. Hof- und Uni-
f
Buchdruck. 41
verfitäts-Buchhandlung in W i e n. Ihre in grofser Zahl ausgelegten Werke datiren
alle aus der neueflen Zeit und zwar aus den letzten fechs Jahren. Wie grofs diefer
Verlag fein mufs, der alle Zweige der Wiflenfchaft umfafst , kann man fchon
aus dem mitaufgelegten Verzeichniffe der medicinifchen Verlagswerke erfehen,
das allein 42 Seiten in gr. 8® umfafst. Aus diefem Verzeichniffe kann man auch
die bevorzugte Stellung kennen lernen, welcher fich die Wiener medicinifche
Facultät erfreut. Unter den Werken für Anatomie befinden fich allein acht
Werke Hyrtl's. „Braumüller's Badebibliothek** zählt 42 Werke. Ebenfo reichlich
find alle anderen medicinifchen Abtheilungen vertreten.
Um mit wenigen Worten anzudeuten, mit welch grofser Sorgfalt Brau-
müUcr feine Verlagswerke ausdatten läfst, wollen wir von den ausfchliefslich
auf der Buchdruckerpreffe erzeugten Werken ein einziges einer näheren
Betrachtung unterziehen, nämlich: „Die defcriptive und topographifche Ana-
tomie des Menfchen von Dr. C. Heitzmann". Erfter Band: Knochen, Gelenke,
Bänder, Muskeln, Fascien, Topographie, Sinneswerkzeuge in 320 Abbildungen.
Zweiter Band, erfte Lieferung : Eingeweide, Topographie in 100 Abbildungen.
Das ganze Werk, zwei Bände, foll 600 xylographirte Abbildungen erhalten.
Diefe Abbildungen (aus F. W. Bader's Inftiiut für Holzfchneidekunil her-
Y orgegangene, äufserfl fchöne Holzfchnitte) flammen von dem als Zeichner und
Maler berühmten Verfaffer Dr. C. Heitzmann felbfl her und heben fich
durch Corre<5lheit und vollendete Deutlichkeit befonders hervor. Jeder Zeich-
nung ifl eine gedrängte Befchreibung der dargeftellten Partie beigefügt. Der
Druck diefes Werkes wurde von Adolf Holzhaufen in Wien, den wir zu
unferem Leidwefen auf der Ausflellung vermifsten. prachtvoll hergeflellt und
verdient diefe Druckerei, die überhaupt allen Wiener Buchdruckereien mit
gutem Beifpicle vorangeht, für diefe Arbeit -unfere vollfle Anerkennung.
Faefy & Fr ick, k. k. Hofbuch- und Kunflhandlung in Wien, hatten
neben vielem Anderen ihre fchön ausgeflatteten Wiener Wegweifer, in deutfcher
franzüfifcher und englifcher Sprache und auch ihre bekannten illuflrirten
Kataloge ausgeflellt, von denen wir den einen, der Gallerle Gfell, fchon bei
Carl Fromme befehen haben. Die fchön geordnete Ausflellung diefer Firma
machte einen fehr guten Eindruck.
Rudolf Le ebner, k. k. Univerfitäts-Buchhändler in Wien, hatte neben
feinem fonfligen neueren Verlage eine Anzahl von Lefe-, Lehr- und Sprachbüchern
ausgeflellt. Das „Lefebuch für Volks- und Bürgerfchulen", herausgegeben von
Binfiorfler, Deinhardt und Jeffen, aus fieben Theilen beflehend, von
denen mehrere fchon in fechfler Auflage erfchienen find, zeichnen fich ebenfo
fehr durch hübfche Ausflattung und guten, fcharfen Druck aus, als befonders
durch aufserordentliche Billigkeit. Die vielen im Texte vorkommenden Holz-
fchnitte find gut gefchnitten und auch gut gedruckt. Aus dem reichhaltigen
Sprachbücher- Verlage, der allein 13 franzöfifche und 13 italienifche Werke auf
weifl. wollen wir nur das eine erwähnen, das durch feine Güte und Billigkeit eine
aufserordentlicK weite Verbreitung gefunden hat; es ifl diefs J. B. Machat's
franzöfifche Sprachlehre. Mit der vorliegenden 43. Auflage find von diefem
praktifchen Werke nicht weniger als 130.000 Exemplare gedruckt worden. Der
Druck aus R. v. Waldheim's artiflifcher Anflalt ifl fcharf und gut, die Aus-
flattung ifl des Buches würdig. AI» eine befondere Specialität von Lech ner's
Verlag verdienen die vielen Kinderfchriften der bekannten Kindergärtnerin
Louife H e rt 1 e in genannt zu werden. Die „Gefchichte der Stadt Wien" von
Carl Wei fs, Archivar und Bibliothekar der Stadt Wien, gr. 8®, mit zwei Plänen,
iwei Anflehten und 80 in den Text gedruckten lUuflrationen, ifl fehr fchön und
elegant ausgeflattet ,* Satz und Druck von Carl Finflerbeck find ladellos. Von
dem grofsartigen Lager diefer Firma an Jugendfchriften bekam man einen Begriff,
wenn man die von Rudolf L e ebner in dem „Pavillon des kleinen Kindes"
zahlreich aufgelegten Bilderbücher, Kinderfpiele u. f w. betrachtete.
42 Ludwig Lott.
Fr. Tempsky, Buchhändler in Prag, hatte neben einer Anzahl wiflfen-
fchaftlichei Verlagswerke in deutfcher, lateinifcher und böhmifcher Sprache,
welche alle fchön und typographisch gut ausgeftattet waren, zehn Bände ^Phyfio-
typia plantarum audriacarum** von Ettingshaufen und P o k o r n y ausgefeilt.
Die erften fünf Bände (die Nummern i — 500 enthaltend) diefes in Naturfelbft-
druck hergeftellten Werkes find in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei zu Wien
fchon 1856 erfchienen. Seit dieferZeit ruhte diefes einzig in feiner Art daflehende
Prachtwerk. Obgleich die fömmtlichen Platten für das ganze Werk fchon feit
A u e r's Zeiten in der Staatsdruckerei fix und fertig dalagen, obgleich die Befitzer
der erften fünf Bände auf die Fortfetzung warteten, obgleich die Staatsdruckerei
als Verleger verpflichtet gewefen wäre, diefe Fortfetzung den Abnehmern der
erften fünf Bände fo rafch als möglich zu liefern und obgleich zur gänzlichen
Fertigftellung nur die Auslagen für das Papier und die Drucklöhne nöthig waren:
fo konnte die Dire<5lion der k. k. Hof- und Staatsdruckerei dennoch nicht die
Ermächtigung oder Erlaubnifs zur Vollendung diefes wiffenfchaftlichen Pracht-
werkes erhalten. Erft als ein Privatmann, der Buchhändler Fr. Tempsky in
Prag, um die Begünftigung einfchritt, diefes Werk auf feine Koften vollenden zu
laffen, erhielt die Direölion der Staatsdruckerei die Bewilligung, den Druck der
Nummern, 501 — 1000 herzuftellen, und fo erfchienen 1873 nicht nur die Bände
6 — 10 bei Tempsky in Prag, fondern es ging auch das Verlagsrecht der erften
fünf Bände an diefe Firma über.
Hier z^igt fich wieder recht, wie fehr die eigentliche Beftimmung einer
Staatsdruckerei verkannt wird. Solche Werke wie „Phyfiotypia plantarum auftria-
carum" werden äufserft feiten und nur unter ganz befonders günftigen Umftänden
von Privaten aufgelegt. Auch Herr Tempsky hätte es wohl unterlaffen, wenn ihm
nicht die Platten, die alle fix und fertig da lagen, um einen geringen Preis wären
zur Verfügung geftellt worden. Gerade folche Unternehmungen foUen und muffen
von Staatsdruckereien ausgeführt werden, die von einem Privaten, und fei er der
gröfste Verleger, nicht fo leicht gewagt werden können, theils wegen der Koft-
fpieligkeit, theils weil viele Druckereien die dazu nöthigen mechanifchen Hilfs
mittel gar nicht befitzen.
Indem wir das übrige im Hofe 13 noch Ausgeftellte, weil minder wichtig,
übergehen, verfügen wir uns in die Kunfthalle, um die dort von Fr. W. Bader
in Wien ausgeftellten Gegenftände zu betrachten.
Die von diefem berühmten Inftitule für Holzfchneidekunft ausgehängten
xylographifchen Erzeugniffe würden in dem Hofe 13 a beffer zur Geltung gelangt
fein, als in der Kunfthalle, wo fie, als Schwarzdruck, von der dort herrfchenden
Farbenpracht in Goldrahmen zurückgedrängt erfcheinen mufsten. Fr. W. Bader
hatte drei Anflehten von Weltausftellungsgebäuden, die beiden groCsen Schnitte:
pDer WeltausftellungsPlatz" und die „Totalanficht von Wien**, ferner Gruppen
aus verfchiedenen Richtungen der Xylographie ausgeftellt. Der „Weltaus-
ftellungs- Platz**, 95 Centimeter lang und 63 Centimeter hoch, gezeichnet
von Petrovits, gedruckt bei Carl Fromme in Wien, dann „Wien im
Jahre 1873**, 122 Centimeter lang und 77 Centimeter hoch, ebenfalls von Petro-
vits gezeichnet und bei F. A. Brockhaus in Leipzig gedruckt, beide Verlag
des J. G. Manz in Wien, find wohl die grofsten Holzfchnitte, die bis jetzt die
Buchdruckerpreffe verlaffen haben. Wir muffen den beiden genannten Druckereien
für diefe äufserft fchwierigen Leiftungen unfere volle Anerkennung ausfprechen.
Die Schnitte an fich find zwar beide ebenfalls tadellos, doch können wir nicht
umhin, dem Schnitte des Blattes: „Wien im Jahre 1873** unbedingt den Vorzug
einzuräumen. Sowohl diefe Blätter, als auch befonders die Gruppen aus verfchie-
denen Richtungen der Holzfchneidekunft legen Zeugnifs ab von der Kunftfertig-
keit des Bader'fchen Inftitutes, von dem wir anderweitige Erzeugniffe fchon
oben an mehreren Orten rühmlichft anzuerkennen in der angenehmen Lage waren.
Buchdruck. 43
Bevor wir die Ausftellung der im Reichsrathe vertretenen Königreiche
und Länder Oefterreichs verlaflen und zu Ungarn übergehen, muffen wir noch
ein einzig in feiner Art daflehendes Ausftellungsobje<5t betrachten; es ift diefs
der „Pavillon der Neuen Freien Preffe'*.
In diefem Pavillon wurde die „Internationale Ausflellungs Zeitung" gefetzt,
ilereotypirt, gedruckt, gefalzt und auch* expedirt. Dem Publicum war daher
Gelegenheit geboten, den technifchen Vorgang bei der Herftellung einer grofsen
Zeitung unter den heutigen Verhältniffen kennen zu lernen, und dafs das Publicum
diefe Gelegenheit auch gern ergriff, hat man daraus erfehen können, dafs es
Kopf an Kopf gedrängt die arbeitenden Mafchinen umftand. Diefer Pavillon war
eingetheilt in einen Saal für die Setzer, in die Locale für die Stereotypie und die
grofse „Becker-Reifser-Mafchine" mit ihren angehängten vier Falzmafchinen,
dann in den Raum für den VVaffermotor und eine einfache Siegl'fche Schnell- und
eine Handpreffe, ferner in einige Locale für Reda(5lion, Expedition und den Chet
der Druckerei. Das Ganze machte einen impofantcn Eindruck, befonders durch
die elegante Einrichtung.
Wir haben uns defshalb fo lange in der öflerreichifchen Abtheilung ver-
weilt und haben die dort ausgeftellten Erzeugniffe der öfterreichifchen Buch-
druckerpreffe einer eingehenden Betrachtung unterzogen, weil es das erfte Mal
war, dafs man diefelben in einer folch ftattUchen Zahl neben einander ausgeftellt
fand, und weil gerade die Buchdruckerpreffe in Oeflerreich noch vor fo kuizer
Zeit, mit fehr wenigen Ausnahmen, einen Standpunkt einnahm, der z. B. in
Deutfchland fchon feit langem zu den überwundenen zählte. Sagte doch Gersdorfs
Repertorium noch im Jahre 1857 bei der Befprechung des bei Braumüller in
Wien erfchienenen Werkes ^Kennfl Du das Land?" von Sebaftian
Brunner, „dafs diefs das erfte fchön gedruckte Buch fei, das aus Oefter-
reich komme". Wenn man nun die im Hofe 13 a ausgeftellten Gegenftände von
Oefterreich's Buchdruckern und Buchhändlern betrachtete, und fich in Gedanken
um kaum ein Menfchenalter zurückverfetzte, fo mufste fich Auge und Herz
erfreuen an dem gewaltigen Umfchwunge, der da ftattgefunden hatte. Wenn wir
alfo die öfterreichifchen Erzeugniffe ausführlicher und mehr im Einzelnen behan-
delt haben, als die anderer Länder, z. B. Deutfchlands, fo gefchah diefs nicht, um
aus falfch verftandenem Patriotismus die deutfchen und anderen Erzeugniffe in
den Hintergrund zu fchieben, was auch an und für fich ein Ding der Unmöglich-
keit wäre. Die Produdle der deutfchen, franzöfifchen und englifchen Preffe
geniefsen fchon feit langen Jahren mit vollem Rechte einen guten und grofsen
Ruf, den wir felber neidlos anerkennen und hochfchätzen. Wir haben durch
unfere Darfteliung einzig und allein den grofsen Fortfehritt zu conftatiren gefucht,
den die öfterreichifche Buchdruckerpreffe in dem verhältnifsmäfsig kürzen Zeit-
räume von 25 Jahren gemacht hat. Dafs es aber in Oefterreich auch noch Kunft-
tempel gibt, die keinen Fortfehritt aufweifen, das haben wir bei der Ausftellung
von A. Trafsler in Troppau mit tiefem Bedauern gefehen.
Wer wird es aber läugnen wollen, dafs die hervorragende Stellung, welche
die öfterreichifche Buchdruckerpreffe jetzt einnimmt, hauptfächlich dem Wirken
A u e r's und feinem raftlofen Schaffen in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei zu
verdanken ift?
In der That, wenn wir überfchauen, welchen weiten Weg mit euergifchem
Fortfehritt die öfterreichifche Typographie zurückgelegt hat, dann kommt man
erft recht zur Ueberzeugung, dafs es auch nicht um einen Kreuzer fchade ift, der
für die k. k. Hof- und Staatsdruckerei je verausgabt wurde. Wenn auch nicht
eine jede von den grofsen Unternehmungen einer Staatsdruckerei den Nutzen
fofort klingend in die Caffe abwirft, ja wenn in einem oder dem anderen Falle
fogar mit Verluft mufs abgefchloffen werden, ift der Nachtheil, ift der Entgang
wirklich fo bedeutend, als er in Ziffern fich ausdrücken läfst? Wir glauben nicht.
4"i Ludwig Loti.
Sind denn Staatsdruckereien wirklich dazu ins Leben gerufen worden, um nam-
hafte Gewinne zu erzielen? Wir wiffen, dafs wenigftens die ältefle Staatsdruckerei,
nämlich die fran/öfifche, eingerichtet ward, um der WilTenfchaft und Kund alle
diejenigen Dienfte zu leiden, die denfelben von privaten Druckereien nie geleiftet
werden können.
Nach diefer hohen Beflimmung einer Staatsdruckerei während der verhält-
nifsmäfsig wenigen Jahre feiner amtlichen Wirkfamkeit auch die k. k. Anftalt
geleitet und gelenkt zu haben, wird der unfterbliche Ruhm Auer's bleiben. Mit
welchen Ziffern will man denn die Ehren ausdrücken, die Oefterrcich mit feiner
k. k. Hof- und Staatsdruckerei erworben hat in jenen fchweren Tagen, als man in
der ganzen Welt von dem unabwendbaren Verfall und Zerfall des Kaiferflaates
überzeugt war? Wahrlich die Staatsdruckerei hat nicht nur damals den Beweis für
die Lebenskraft glänzend geführt, fie hat Oefterreich durch ihre Erzeugniffe an
Ruhm und Ehren reich gemacht. Ihre Wirkfamkeit hat aber noch anders die
gröfsten Früchte getragen. Wir hoffen, dafs auf jedem Blatte diefes Berichtes
die ruhmreichen Erfolge ihrer Thätigkeit mit eben fo greifbarer Deutlichkeit zu
lefen find, als es die ausgeflellten Erzeugniffe der öflerreichifchen Typographie
den einheimifchen und ausländifchen Befuchern und Beurtheilern gefagt haben.
Defshalb haben wir zum Schluffe der öflerreichifchen Abtheilung nur den einzigen
Wunfeh, dafs, wer immer an mafsgebender Stelle zu fprechen hat, eine vater-
ländifche Pflicht zu erfüllen trachten wird, und zwar damit: die k. k. Hof- und
Staatsdruckerei wieder zu dem zu machen, was diefelbe einft war: die Mufter-
anftalt für die graphifchen Künde in Oeflerreich und in der Welt.
Indem wir jetzt zu dem Schweflerland Oeflerreichs, zu Ungarn, über-
gehen, muffen wir vor allem Anderen hervorheben, dafs die ungarifche Aus-
llellungscommiffion die graphifchen Künfle beffer zu würdigen verfland, als die
öflerreichifche Commiffion , denn die graphifchen Künfle Ungarns waren nicht in
einen abgelegenen und abgefperrten Hof verbannt, fondern, wenn auch unter
anderen Ausflellungsgegenftänden, doch mitten in die Hauptgallerie verlegt.
Man brauchte gerade kein aufmerkfamer Beobachter zu fein, um doch deut
lieh zu fehen , wie fich die magyarifchen Herzen hoben , von Stolz und Freude
erfüllt, über ihre ungarifche Ausftellung. Dafs die Taufnamen der Ausfleller als:
Antal, B^la, Geza, Kdroly, Lajos u. f. f., mit den nicht-ungarifchen Namen Grün,
Müller, Posner, Rath, Schwarz u. f. w. in Verbindung flanden, das verfliefs nicht
im Mindeflen gegen das magyarifche Nationalgefühl; das Ausgeflellte vertrat ja
doch die ungarifche Induflrie. Dafs auch die Ausfleller der graphifchen
Künfle in Ungarn gröfstentheils Deutfchc oder magyarifirte Deutfche waren , ifl
felbflverfländlich. Doch das , was fie ausgeftellt hatten , erreichte nur feiten den
Grad der Vollendung, welcher den öflerreichifchen Ausflellungsgegenfländen in
ihrer grofsen Mehrzahl nachgerühmt werden kann.
Auch muffen wir unfer Bedauern darüber ausfprechen , dafs uns, mit Aus-
nahme der königlichen Staatsdruckerei , alle anderen Ausflellungsfchränke her-
metifch verfchloffen blieben. Wir konnten auch keinen der Herren von der
ungarifchen Ausflellungscommiffion jemals treffen, der uns die Schränke geöffnet
oder gewufst hätte, wo fich die Schlüffel befinden , fo dafs wir auf diefe Weife nur
Dasjenige zu betrachten fo glücklich waren, was eben offen vor uns lag oder an
die Wände geheftet war. Von vielen diefer Druckwerke konnten wir nur die Titel
oder gar nur die Einbände fehen ; von manch anderem nicht einmal diefe. So
fahen wir in dem Schranke der Brüder Magyar in Temesvdr, die fehr hübfch
ausgeflattete Gefchäftskarten ausgelegt hatten, nur zwei Geigen.
Die Ausflellung der königlich ungarifchen Staatsdruckerei zu
Budapefl war fehr günflig fituirt. Den grofsen Wandraum füllten gröfstentheils
geographifche Karten , Pofl- und Stempelmarken und andere Farbendrucke . die
fich jedoch alle durch die Höhe, in der fie angebracht waren, und durch die davor
Buchdruck. 45
flehenden breiten Tifche mit Glaskäflen der näheren Betrachtung und fomit einem
eingehenden Urtheil entzogen. Eine Obligation des ungarifch-englifchen Anlehens
war hübfch ausgeftattet ; die Eiafafliing und der Text waren harmonifch gut gefetzt,
auch der Druck war ein guter. Caffafcheine mit Kupferdruck-Untergrund waren
zu bunt hergeftellt. Es fchien uns , als foUten fie die ungarifchen Landesfarben :
^grün, roth und weifs", darftellen. Eine grofse Stereotypplatte , mittels Papier-
matrize gegoflfen, war fcharf und rein; der davon gemachte Abzug machte jedoch
manchen Wunfeh rege. Galvanifche Platten, Platten für Naturfelbftdruck und
vieles Andere follten beweifen, dafs die königlich ungarifche Staatsdruckerei der
Wiener Schwede ranflalt ebenbürtig fei. Dafs diefs jedoch nicht der Fall ift, und
dafs die ungarif jhe Staatsdruckerei ihre Kräfte viel zu fehr zerfplitterl , um im
Stande zu fein, etwas Einheitliches zu leiden, dürfte ihr wohl felbd bald
klar werden.
Carl Louis Posner's erde ungarifche Radrirandalt , GefchäftsbÜcher-
Fabrik, Buchdruckerei und Lithographie in Ped hatte ihre Ausdellung gehörig
zur Geltung gebracht, doch wurde die Leidungsfähigkeit der Buchdruckerei durch
die Arbeiten der Radrirandalt bedeutend verdunkelt. Ein auf der Buchdrucker-
prcffe erzeugtes Tableau machte einen guten Eindruck. Der Druck desfelben war
lobenswerth, was von dem Satze desfelben jedoch nicht gefagt werden kann, da
die Linien fammt und fonders keinen genauen Anfchlufs zeigten. Ein folches
Tableau, von Herrn J. Glafer bei Salzer in Wien gefetzt, müfste ein Meider-
und Muderdück der Typographie abgeben.
Die Peder B uchdru cke rei - Actiengefellf chaft hatte an den
Seiten- und Rückenwänden ihres Glasfehrankes verfchiedene A6lien ausgehängt,
die aber nicht eben einen befonders guten Gefchmack bewiefen. Die Einfaflungen
und der Text harmonirten feiten, und wo diefs der Fall war, da traten wieder ein-
zelne Partien des Unterdruckes zu fchwer auf. Eine grofse datidifche Tabelle war
gut gefetzt und auch gut gedruckt. Das Uebrige , befonders der Bücherdruck,
entzog fich , weil verfperrt, unferer Betrachtung.
Gebrüder D eutfch, Ped -Wiener literarifche Kundandalt in Ped, hatte
neben Anderem ein Gedenkblatt an die Wiener Weltausdellung 1873 aus-
gedellt. Die allegorifchen Verzierungen desfelben waren auf der Steindruck- und
die Porträts auf der Buchdruckerpreffe hergedellt worden. Der Enrtwurf, von
Kolarz , hätte jedoch eine beffere Ausführung verdient. Die A<5lie für die Unga
rifche Escompte- und Handelsbank -verfehlte dagegen nicht, in Satz und Druck
einen guten Eindruck zu machen.
Alexander Cz6h in Raab, deffen verfchloffeue Ausdellung wir eben-
falls nicht befichtigen konnten , hatte neben Anderem ein Probenbuch ausgedellt,
aus deffen fchön ausgeführtem Titel wir jedoch nicht wagen können, einen Schlufs
auf die Proben felbd zu ziehen.
Gebrüder Legrddy (zu deutfch PoUak) in Ped. Von diefer Firma hoff-
ten wir manches Schöne vor Augen zu bekommen , doch war und blieb auch ihr
Ausdellungsfchrank verfperrt , fo dafs uns in die hinter den prachtvollen Ein-
bänden verborgenen Kundfchätze leider kein Einblick vergönnt war. Die ficht-
baren lithographifchen Arbeiten diefer Firma entziehen fich unferer Aufgabe, da
wir nur über „Buchdruck" Bericht zu erdatten haben.
Die noch übrigen Buchdrucker aus Ungarn und Croatien, deren Ausdellungs-
Schränke in Gruppe XII fich ohne Schlüffel ebenfalls nicht öffnen wollten, und auch
auf unfere wiederholten Anfragen keiner der Beamten und Auffeher wufste, in
weffen Händen fich die Schlüffel befänden, muffen wir leider übergehen, um diefen
Schlüffeljammer nicht bei jeder einzelnen P'irma wiederholt in Erinnerung bringen
zu dürfen.
Wir können uns jedoch unter diefen Umdänden nicht der Frage clrwehren,
welchen (geheimen.^) Zweck eine folch verfperrte Ausdellung eigentlich haben
46 Ludwig Lott.
foU? Auch hier mülTen wir wieder ausrufen: „Gehet hin zu den Engländern und
zu den Franzofen, und lernet, wie man ausftellen foU!^
In Gruppe XXVI, nördliche Quergallerie 13 b^ hatte das kön. ungarifche
Minifterium für Cultus und Unterricht neben Plänen von Schulhäufem etc. auch
grofse Sammlungen von Lehr- und Hilfsbüchem für Volks-, Mittel-, Fach- und
Hochfchulen u. f. w. ausgedellt, die jedoch nicht alle in Ungarn gedruckt waren.
Die uns hier reichlich gebotenen typographifchen ErzeugnifTe wurden jedoch von
zwei ungarifchen Ausftellern weit übertroffen, und zwar von der fehr thätigen
Buchhandlung Moriz Räth in Peft und von der kön. ungarifchen Univer
fitäts-D ruckerei in Ofen.
Moriz Rdth hatte in einem eigenen Schrank, deflen Inhalt wir auch befich-
tigen konnten, feinen reichhaltigen Verlag grofsentheils clafüfcher Werke auf das
Schönfte zur Ausftellung gebracht. Die typographifche Ausflattung diefer Werke
kann in ihrer Mehrheit als untadelhaft und muilergiltig bezeichnet werden; aber
es gebührt nicht den ungarifchen Buchdruckern die Ehre, diefelben hergellellt zu
haben, denn die fchönften flammen aus Adolf Holzhaufen's Buchdruckerei in
Wien; einige andere, ebenfalls gut gedruckte Werke find aus der Officin J. C.
F i f c h e r & Comp, in W i e n , und nur ein kleiner Theil ift aus ungarifchen Buch-
druckereien hervorgegangen.
Die Erzeugnifle der kön. ungarifchen Univer fitäts-Druckerei in
Ofen legten fömmtlich Zeugnifs ab, dafs diefe Druckerei zwar nicht fo flunkert,
wie die kön. ungarifche Staatsdruckerei, dafs fie fich aber auf der Höhe des
jetzigen Standpunktes der Typographie zu behaupten weifs.
Rufsland. So gering auch die Zahl der ruflifchen Ausdeller war, grofs
war dennoch die Maffe des AusgeHellten.
Die ruffifche Staatsdruckerei oder nach ihrem amtlichen Titel: die kai-
ferlich ruffifche Expedition zur Anfertigung der Reichspapiere
in St. Petersburg, i(l ein Staatsinilitut , das auf dem Standpunkte (leht, den
einll die Wiener Hof- und Staatsdruckerei unter den Finanzminiftem v. Kr aufs
und v. Brück eingenommen hat.
Dafs diefes ruffifche Staatsinftitut dem vollen Zwecke einer Staatsdnickerei
entfpricht, und vor keinen Koften zurückfchreckt , wenn es gilt, Kundverfuche
anzuHellen, und diefe Verfuche felbil durch lange Jahre hindurch fortfetzt, bis das
Ziel erreicht ifl, foU durch ein einziges Beifpiel erhärtet werden. Galvanifch
erzeugte Kupferplatten können nicht zum Drucken aller bunten Farben verwendet
werden, weil manche Farbe , fobald man fie auf Kupfer aufgetragen hat, einem
chemifchen Proceife unterworfen wird, der nach den verfchiedenen Beflandtheilen
der Farbe auch ganz verfchiedene Wirkungen hervorbringt. Entweder es geht
nur die Schönheit, das Feuer der Farbe, verloren oder es entliehen ganz neue
Verbindungen der Atome, das heifst, die Farbe wird entweder nur in den Tönen
oder auch ganz in eine andere umgewandelt. Um nun diefem Uebeldande zu
begegnen, verfuchte E. Klein, Ingenieur und einer der Abtheilungsvorllände
der ruffifchen Staatsanftalt, die galvanifchen Kupferplatten noch mit einer Schicht
von galvanifchem Eifen zu Überziehen. Diefe Veiifuche, die im Jahre 1846 begannen,
und durch ein volles Vierteljahrhundert hindurch fortgefetzt wurden, lieferten
endlich ein folch günftiges Refultat, dafs die auf folchen Platten auf der Buch-
druckerpreffe erzeugten Abdrücke eine Reinheit in den Tönen aufweifen, wie fie
durch kein anderes Verfahren hervorgebracht werden kann.
Die mittelil Pantograph, Relief- und Guillochirmafchine erzeugten Ent-
würfe waren in galvanifchen, mit einem Eifenüberzuge verfehenen Platten mit-
ausgedellt. Die ruffifchen Staatspapiere fowohl im Ganzen als in ihren einzelnen
Theilen, die Unterdrucke, Waflerzeichen u. f. w. waren fo vollendet, dafs man fich
nichts Schöneres und Harmonifcheres denken kann. Das eigentliche Urtheil Über
diefe Staatsanilalt liegt in dem Ausfpruche der Jury. Diefer lautet : „Dafs die
Buchdruck. 47
kaiferlich ruffifche Expedition zur Anfertigung von Reichs-
papieren durch ihre wahrhaft eminenten Leitungen in photographifchen Hoch-
und Tiefdruckplatten , durch die geiftreiche Combination von Heliographie und
Galvanoplailik und durch die mannigfachen wichtigen Anwendungen der verfchie-
denen graphifchen Künde zur Herftellung von Staats- und Werthpapieren fo tief
eingreifende, bahnbrechende Erfolge erzielt habe , dafs fie der höchflen Aus-
zeichnung, des Ehrendiploms, würdig fei".
"Wir erinnern , dafs beinahe mit denfelben Worten die k. k. Hof- und Staats-
druckerei in Wien auf der Londoner Weltausftellung im Jahre 1851 als die
unbedingt erfte graphifche Anflalt war erklärt worden. Die Feinde Auer's und
der k. k. Staatsdruckerei haben fomit nichts Anderes erreicht, als dafs Oellerreich
eine Niederlage mehr zu verzeichnen hat. lieber dem Sprüchlein: mit dem
Grofchen zu fparen und die Ehre zu vergeuden , haben fie den Spruch vergelten,
dafs auch die Wiffenfchaft und die Kunft eine Macht ift.
Salomon Lewental in War fc hau hatte meift gut gedruckte illuftrirte
Werke ausgeftellt. Auch ein grofser Holzfchnitt, der fowohl im Stockp als im
Abzug vorlag, zeugte von der guten Behandlung, die diefe Firma dem Illudrations-
drucke widmet. Nur wäre zu wünfchen, dafs den wirklich gut und rein gedruck-
ten Dluftrationen neuere, fchärfere Lettern zugefeilt würden.
W. Golowin in St. Petersburg hatte Druckproben von Titeln, ver-
fchiedenen Accidenzen, lUuflrationen , Mufiknoten u. f. w. ausgeftellt, von denen
Vieles fehens- und betrachtenswerth war. Befonders muffen wir den Druck der
Holzfchnitte hervorheben , von denen viele mit Verfländnifs von Licht und Schat-
ten zugerichtet waren.
Griechenland. Die Buchdruckerei von Coromela in der Provinz
Attica hatte zwar Vieles , aber nichts befonders AusftellungswÜrdiges gefandt.
Alles Uebrige, was wir von gricchifchen Drucken faheu , war viel weniger
als gut zu nennen.
Türkei. Die Centrald ruckerei in Condantinopel hatte ver-
fchiedene Erzeugniffe ihrer Buch- und Steindruckerei ausgeftellt. Die Produ<$le
der Buchdruckerei, gröfstentheils in franzöfifcher Sprache, worunter auch das
Journal »La Turquie", waren lobenswerth. Die Erzeugniffe der Steindruckerei
beftanden in Chromolithographien.
Marco Pachu, Dire<5lor der medicinifchen Schule in Conftantinopel, hatte
75 Werke in türkifcher Ueberfetzung ausgeftellt, die auf einem Haufen wie Kraut
und Rüben auf der Erde lagen, und die man fich fürchten mufste in die Hand zu
nehmen , weil ihr Aeufseres voller Staub und Schmutz war.
Rumänien. Socecu&Co. (Sotfchek & Comp.) in Bukareft hatten
verfchiedene Bücher ihres Verlages ausgeftellt, deren Ausftattung fowohl wie der
Satz und Druck zu loben waren.
Die Gehilfen Vereins-Druckerei in Bukareft, deren Mitarbeiter
lauter geborene Rumänen find, beftätigte den Ruf, den fie durch ihre guten
Arbeiten und ihre gut geleitete Adminiftration geniefst, durch wirklich fchön
gefetzte und fauber gedruckte Erzeugniffe ihrer Buchdruckerpreffen.
Egypten. Die Buchdruckereien von Mour^s & Comp, in Alexan-
drien, von Onzy in Cairo, und die Buchdruckerei in Bulak bei Cairo hatten
ziemlich viele gut ausgeftattete Werke geliefert, an denen fowohl der Satz wie der
Druck zu loben war.
Auch in Gruppe XXVI fanden wir unter den Unterrichtsgegenftänden
manches Produdl der Buchdruckerpreffe, welches Zeugnifs ablegte von dem regen
4
i43 Ludwig Lott.
Geifte des Fortfchrittes, der in diefem türkifchen Vafallenflaate herrfcht und der
gegen die türkifche Schlaffheit wohlthuend abilicht.
China. Der k. und k. öflerreichifch-ungarifche Generalconful Guflav Ritter
V. Overbeck in Hongkong hatte nicht weniger als 1558 Gegenflände chine-
fifcher Boden-, Induftrie- und Kun(lprodu<5le gefammelt und zur Ausftellung
gebracht. Unter diefen Gegenfländen befanden fich für Gruppe Xu litho-
graphifche Steine von Formofa und chinefifche Bücher und Typen aus der
Druckerei und Schriftgiefserei der Londoner Miffions - Gefellfchaft in
Hongkong.
S. A. Viguier, Hafenmeifter zu Shanghai, hatte einen „Codex chine-
fifcher Charaktere zum Telegraphiren" ausgeflellt, auf den die Bemerkung
gefchrieben war, derfelbe fei nach Schlufs der Ausftellung der k. k. (Hof-?)
Bibliothek in Wien gewidmet. Diefes, aus der amerikanifchen Miffions-
Druckcrei in Tabellenform und in Plakatformat hervorgegangene Buch enthielt
6893 fchwarz- und rothgedruckte Zeichen.
Da die Erzeugniffe der Miffions-Druckereien, deren Einrichtungen aus Eng-
land und Amerika ftammen, von Engländern und Amerikanern ausgeführt werden,
fo können diefelben zwar als gute bezeichnet werden, können aber nicht als
eigentlich chinefifche Erzeugniffe in Betracht kommen, fie gewähren uns daher
auch gar keinen Einblick in den heutigen Stand des Buchdruckes im Reiche
der Mitte.
Japan. Der Katalog der kaiferlich japanefifchen Ausftellung enthielt in
Gruppe XII folgende Gegenftände : eine Druckplatte von Holz mit ausgefchnit«
tenen Buchftaben; ein Meffer zum Ausfehneiden der Buchftaben; ein Ballen aus
feingefchabten Bambusfafem , der ftatt der Buchdruckerpreffe benützt wird ; ein
gedrucktes Buch ; colorirte Holzfchnitte ; Kartenfpiele in Holzfchnitt ; Photo-
graphien; ein Geftell für Photographien und eine Sammlung von Petfchaften aus
Bergkryftall.
Aufserdem, aber nicht im Kataloge verzeichnet, fanden wir noch einige
galvanifche Matrizen und gegoffene Lettern, die zwar kein fchönes Ausfehen
hatten, aber dennoch Zeugnifs ablegten von dem Streben nach vorwärts, das in
Japan Platz gegriffen. Diefe Matrizen und Lettern foUen von einem Japanefen
herrühren , der nach Schlufs der Ausftellung in Wien zurückblieb, i m fich in der
Schriftgiefserei der Herren A. Meyer & Schleicher zu vervollkommnen. Auch
foU bei diefer Firma von der japanefifchen Regierung eine vollftändige Schrift-
giefserei -Einrichtung beftellt worden fein.
Als wir diefen Bericht zur Corre<5lur erhielten, brachte das „Journal für
Buchdruckerkunft" in feiner Nummer 41 vom 28. Oölober 1874 eine Notiz, nach
welcher ein Herr Jo y, der Londoner Correfpondent der franzöfifchen „Impri-
merie", in feinem Monatsberichte vom April die Behauptung aufgeftellt, dafs die
erften Druckmafchinen zwar von den Herren König uud Bauer erbaut, dafs
diefe Herren aber nur die Handlanger gewefen feien, und das Verdienft der
Erfindung diefer Mafchinen gebühre dem Befitzer der „Times** in London, Herrn
Walter, der die Idee feines Landsmannes N i c h o 1 f o n weiter entwickelt habe.
Obgleich diefe Frage nicht eigentlich in den Bericht über die Wiener
Weltausftellung gehört, fo erachten wir es doch für unfere Pflicht, allen
Uebergriffen gegen die verdienten deutfchen Männer mit Energie entgegen
zu treten, und ihnen den Ruhm, den man denfelben ftreitig machen will, aufs
Entfchiedenfte zu wahren. Da nun die typographifchen Fachblätter, die fich in
erfter Linie mit diefer Frage zu befaffen haben, nur einen begrenzten Leferkreis,
und zwar nur an den Fachgenoffen haben, fo muffen wir hier den Artikel der
Buchdruck. 49
jTimes" anfügen, in dem fie ihren Lefcm Kunde gibt von der Aufflellung der
erden mit Dampf betriebenen Schnellprefle.
t^The Times" — London, Dinftag, November 29, 1814.
„Unfere heutige Zeitung liefert das praktifche Refultat der gröfsten
Verbeflerung, die je die Buchdruckerkunil feit ihrer Erfindung erfahren hat.
Der Lefer diefes Abfchnittes hält jetzt einen von den vielen taufend Ab-
drücken in der Hand, die vorige Nacht durch einen mechanifchen Apparat
gedruckt wurden. Ein faft organifches Mafchinenfyftem ift erfunden und
verfertigt worden, welches, während dadurch die befchwerlichften Andren-
gungen des Drückens abgefchafft find, alle menfchlichen Kräfte an Schnel-
ligkeit und Wirkfamkeit weit hinter fich zurückläfst. Um die Gröfse der
Erfindung nach ihren Wirkungen würdig fchätzen zu können, erwähnen wir
blofs, dafs, nachdem die Buchilaben gefetzt und in die fogenannte Form
eingefchl offen worden find, wenig mehr für Menfchenhände zu thun übrig
bleibt, als auf die Mafchine Aufficht zu haben. Sie wird blos mit Papier
verfolgt, trägt felbft die Farbe auf die Form auf, und legt das Papier auf
die mit Farbe befchwärzte Form, druckt den Bogen ab und liefert ihn fo
gedruckt in die Hände des Arbeiters; fogleich geht die Form wieder zurück,
um von neuem wieder gefürbt zu werden, und dann wieder vorwärts, um
dem folgenden Bogen den Druck zu geben. Das Ganze diefer complicirten
Handlungen wird mit einer folchen Gefchwindigkeit und gleichförmigen
Bewegung ausgeführt, dafs in einer Stunde nicht weniger als elf Hundert
Bogen gedruckt werden.
Dafs die VervoUftändigung einer Erfindung diefer Art nicht als die
Wirkung des Zufalles, fondem als das Refultat mechanifcher Zufammen-
fetzungen, die der Geift des Künftlers methodifch geordnet hat, mit vielen
Hinderniflen und grofsem Auffchube zu kämpfen hat, wird wohl leicht
geglaubt werden. Unfer Antheil an diefem Ereignifle befchränkt fich blofs
auf die Anwendung diefer Erfindung auf unfer. eigenes Gefchäft bedingungs-
mäfsig mit den Patentbefitzern ; doch Wenige können fich vorftellen — fogar
bei diefem befchränkten Antheile — die verfchiedenen Täufchungen und
aufserordentliche Beforgnifs, die wir für eine fo lange Zeit gelitten haben.
Von dem Erfinder haben wir wenig zu fagen. Sir Chrift opher
Wren's fchönftes Denkmal ift in dem Gebäude, welches er erbaute, zu
finden ; (b ift die fchönfte Lobpreifung, die wir dem Erfinder der Druck-
mafchine bringen können, in der vorhergehenden Befchreibung enthalten,
welche wir fchwach haben bezeichnen können. Hinzufügen wollen wir jedoch,
da(s der Erfinder König heifst, und dafs die Erfindung unter der Leitung
feines Freundes und Landsmannes, des Herrn Bauer, ausgeführt worden ift.**
Diefe Beftätigung der „ Times" ift die ehrendfte Anerkennung der Ver-
dienfte der beiden Deutfchen König und Bauer. Wenn alfo heute, nach fechzig
Jahren, Herr Joy die Welt eines Belferen belehren will, fo ift das entweder die
Cultivirung des höheren Blödfinnes, oder es ift die Sucht, dett Deutfchen, als
ijFeinde Frankreichs", den Ruhm ihrer Erfindungen ftreitig zu machen. Dagegen
aber muffen wir hier um fo entfchiedener Verwahrung einlegen, als wir in diefem
ganzen Berichte die ausgezeichneten Verdienfte der Franzofen um die graphifchen
Künfte anerkannt haben. Haben wir Gerechtigkeit geübt, fo können wir diefelbe
auch von Anderen verlangen.
OFFICIELLER
AUSSTELLUNGS-BERICHT
HBRAUSGBCBBBN DURCH DIB
GENERAL-DIRECTION DER WELTAUSSTELLUNG
18 7 3
UNTER RBDACTION VON DR. CARL TH. RICHTER, K. K. O. Ö. PROFESSOR IN PRAG.
KUPFER-
UND
STAHLSTICH-DRUCK.
(Gruppe XII, Section 2 und Gruppe XXY, d.)
Bericht von
Louis Jakoby,
Pto/ejfor in Wien, Mitglied der interttationalen Jury.
LITHOGRAPHIE
UND
CHROMOGRAPHIE
(Gruppe Xn , Section 4 und Gruppe XXV, c.)
Bericht von
Conrad Grefe.
WIEN.
DRUCK UND VERLAG DER K. K.. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
1873-
KUPFER- UND STAHLSTICH-DRUCK.
(Gruppe Xn , Section 2, und Gruppe XXV, d.)
Bericht von
Louis Jakoby,
ProfeffoT in IVien, Mitglied der internationalen Jury.
Der Kupferftich und die ihm zugehörigen Disciplinen, welche zu beur-
theilen die mir gewordene Aufgabe ift, zwingt mich noch heute, bevor ich im
Geifle wieder die Räume, die ausfchliefslich der Kunft gewidmet waren, auffuche,
zu dem Ende alle Theile der immenfen, nun vergangenen Ausflellung zu durch-
forfchen.
Um die Früchte, die diefe Kunft erzeugt, aber recht zu verftehen, um ihre
Einflufsnahme auf das praktifche Leben klarer erkennen zu können, mufs ich
zuerft an ihre Blüthe in der Kunfthalle näher herantreten und mir Stamm und
Wurzel durch die Gefchichte erklären laffen.
So wenig es hiebei auch meine Aufgabe ift, den Lefer zu einem fertigen
Kupferftichkenner zu machen, ebenfo überflüffig fcheint es, hierin ein jedes Blatt
die Cenfur indi^ddueller Kritik paffiren zu laflen. Die Ausftellung bot zu viel
um das Einzelne für fich allein zu betrachten. Indem wir das Ganze beurtheilen,
' erden wir dem Einzelnen gerecht.
Eine jede in diefen Räumen vertretene Kunftweife läfst den fie ausübenden
Künftler aus vollem Herzen fagen: ich könnte und möchte nichts Anderes wie
diefsl die Kunft des Kupferftiches aber: ich will eben diefsl
Die Zeiten find vorüber, in welchen der grofse Rubens fagen konnte, er
wolle lieber mit Schwarz auf Weifs einen Titel auf ein gutes Buch ftellen, als mit
Farben malen, weil folche Arbeit weniger zu Augen kommen könnte, jenes aber
feinen Namen bei der ganzen denkenden und gelehrten Welt verewigen könnte I
— Diefer Ehrgeiz kann heut nicht mehr der Motor fein, aus diefem Kunftzweig
eine Lebensaufgabe zu machen. Viele mechanifche Weifen und Erfindungen der
Wiflenfchaft haben heut das grofse Verdienft, für Verbreitung und Popularität der
Kunft zu wirken. Die Kunft des Stiches beanfprucht in ihrem befcheidenen Gewand
die Gunft, ihrer felbft wegen geliebt zu werden.
Schon die heilige Schrift fpricht von den „in Erz gegrabenen Tafeln des
Gefetzes" und durch unzählige Reliquien der claffifchen Kunftepochen des Alter-
thums in unferen Mufeen auf Spiegeln, Giften und andere Schmuckfachen gelangen
wir zur Ueberzeugung, wie diefe Kunft nicht allein zur Verewigung von Gedanken
gedient, fondern auch die Freude der Menfchen gewefen fei. Denfelben Zwecken
<lcr Verfchönerung und Verzierung von Schmuck und Geräthen dient fie auch
2 Louis Jakoby.
durch die ganze Zeit des Mittelalters, bis fie fich in der Mitte des 15. Jahrhunderts
gleichzeitig die Verbreitung und Vervielfältigung von Kunftwerken zur Aufgabe
macht, indem der Künftler durch Ausfüllen feiner Arbeit mit Farbe und das
Abdrucken auf Papier fie felbft vervielfachte. Diefe Abdrücke werden von uns
gemeiniglich jetzt „Stich" genannt und dienen feitdem zur Verfchönerung und
Belebung unferer Wohnungen nicht allein, fie wurden uns Allen ein gewünfchtes
Surrogat, das Schönfle und Befle, was dieKunft gefchafifen; in künfllerifch anderer
Form unfer Eigen nennen zu können.
Als die Kunft fich in Künfte verzweigte, der Architekt nur Architekt, der
Maler nur Maler wurde und jeder Zweig herrifch feine eigne Ausbildung ver-
langte, da fing auch der Stich an, in der Anwendung vielfacher Mittel eine reich-
haltige Entwicklung zu erfahren. Die Arbeiten von Malern und anderen nicht
fpeciell in diefem Fach ausgebildeten Künftlern wurden immer feltener, die
mechanifche Wiedergabe im Druck aber ganz anderen Händen überlaflen.
So wurde der Kupferftich durch Jahrhunderte das ausfchliefsliche Mittel,
Kunftwerke und künftlerifche Ideen taufendfach zu verbreiten.
Wie alle anderen Künde machte auch der Stich denfelbenWeg vom erften
unbefangenen Wollen, dem voUendetften Können bis zum hohlen Virtuofenthum
und blofsen Handwerk durch.
Ungefähr 50 Jahre nach dem Erfcheinen der erften gedruckten Stiche
beginnt in der Schule Rafael's die felbftftändige Entwicklung durch Marc Anton.
Das Vorbild des Letzteren, Albrecht Dürer, trachtete, mit dem Grabftichel zeichnend,
nur feine Gedanken im Bilde zu vervielfältigen. Marc Anton, Rafael's Gedankea
wiedergebend und fo des Taftens überhoben, vereinfachte die Weife und fing an,
die Form plaftifch mit der Linie auszudrücken. Wenn Rafael bei der Vervielfäl-
tigung feiner Werke es paffender und bequemer gefunden, diefs durch Marc
Anton machen zu laffen, fo ift diefe natürlichfte künftlerifche Empfindungsweife,
fich auf und mit fremdem Material nicht wiederholen zu brauchen, noch bis heute
der Grund, dafs die Arbeiten des Kupferftiches in ihrer bei Weitem gröfsten Zahl
zweifache Schöpfungen find.
Es war wohl zu natürlich, dafs die nach und nach wunderbar ausgebildete
Technik des Grabftichels Maler und andere Künftler abfchrecken mufste, fich
feiner wie ehedem zu bedienen. Um fo bequemer war es, mit der Nadel auf der
mit Firnifs überzogenen Kupferplatte zu zeichnen und die fo entftandene Zeich-
nung durch Scheidewaffer in das Kupfer vertiefen zu laffen. Faft in derfelben
Zeit des XVII. Jahrhundertes, als der Stich in den Niederlanden und Frankreich feine
höchfte Ausbildung erfuhr, feierten die fo entftandenen Kunftwerke in den wun-
derbaren Radirungen Rcmbrandt's ihre höchften Triumphe. Die willigere Radir-
nadel blieb im Gegenfatze zum Grabftichel, deffen Handhabung erft lafigjwierige
Studien vorausfetzt, das Werkzeug, mit dem auch in unferen Tagen noch der Maler
es vorzieht, feine Werke felber zu vervielfältigen.
Viele Kupferftecher benutzten die Radirnadel zu Vor- und Hilfsarbeiten
bei ihren Stichen, fo dafs es fchwer wird, die Trennung beider Weifen erkennen
zu können. Verfuchten fie auch fchon vor G. F. Schmidt bis auf unfere Zeit die
reizvollen Werke Rembrandt's neu erftehen zu machen, die gröfsere ruhigere
Form ftiliftifcher Malerei hat fie ftets wieder zum Grabftichel greifen laffen.
Um die Mitte desfelben XVII. Jahrhunderts bereicherte die Erfindung der
Schab- oder Schwarzkunft die Weifen, Kunftwerke drucken zu können. Sie war
die Negation des Schaffens, indem das Kunftwerk indire<5l aus dem Schwarz, in
das die Platte durch feine Inftrumente gleichmäfsig verfenkt war, herausgelichtet
wurde. Die Engländer und unter ihnen in der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts
Earlom, haben fich am meiften hierin hervorgethan.
Die Anforderungen an den Stich, und durch die Verbreiterung der Bildung
der Confum, wurden immer gröfser, fo dafs die Speculation, um mehr Abdrücke
zu erzielen, Anfang diefes Jahrhunderts darauf verfiel, ftatt der Kupfer Stahl-
Kupfer- und Stahlftich-Druck. 3
platten zu verwenden. Die nothwendige Folge davon war, dafs die Küniller, um
das fchwerer zu bearbeitende Metall bewältigen zu können, auf allerlei mecha-
nifche Hilfsmittel verfielen.
Einmal verbunden mit dem Mechanismus wurde der Künfller die Geifter,
die er befchworen, nicht wieder los. Das RouUet, die Cinier und andere Mafchi-
nen comimpirten fein Auge und Gefühl. Er wollte es der Mafchine gleichthun
und machte fchön in und an einander gefügte Linien, wo er Formen und Töne
fchaflfen follte.
Wenige erhielten fich ihr künftlerifches Theil und ihr Name wird defshalb
um fo glänzender in der Gefchichte diefer Kunft beliehen bleiben.
Da endlich, vor ungefähr 20 Jahren rief die Wiffenfchaft diefem mechani-
fchen Treiben ihr Halt zu. Die Photographie machte nicht nur diefem feelen-
lofen unkünftlerifchen Thun Concurrenz, fie befiegte es und half der Kunft wieder
zu ihrem Rechte.
Das die Atmofphäre reinigende Ungewitter richtete aber auch gleichzeitig
viel Zerftörung an. Die Fa<5loren zum Wiederaufbau, die Befteller waren ent-
muthigt und die ftaatliche Vorfehung blieb, ausgenommen in Frankreich, abfeits
mit verfchränkten Armen ftehen. Eine Panique hatte die fchwachen und zweifel-
haften Kräfte ergrififen und die Reihen gelichtet.
Je mehr Liebe den Einzelnen für feine Kunft erfüllte, fein ganzes Sinnen
in diefer eben aufgehen machte, je niedergefchlagener wurde er, fah er die Maffe,
zu denen ja auch viele Künftler gehörten, das Kind mit dem Bade ausfchütten,
der verblüffenden Neuheit zujubelnd, die Töne des Werkeis andächtig für die
Mufik nehmen, die allein Menfchen machen können, und der Kunft kaum noch
einen Blick fchenken.
Die Leidenfchaft, mit der er gegen diefe Anfchauungen und ihre Einwir-
kungen ankämpfte, fonft ein Bürge für die innerliche Wahrheit feines Wollens,
war ohnmächtig gegen die Alles überfluthende, von gefchäftlicher Reclame unter-
ftützte Mode. — Die Kunft des Kupferftiches wurde entbehrlich genannt und
dem Künftler half kein Weh und Ach in den Zeitungen, ihm blieb alldem gegenüber
nur die Refignation, abzuwarten, bis die Zeit folche Gefchmacksverirrung beffere.
Ein folcher Zuftand konnte nicht lange dauern. Empfindung, Verftändnifs,
Gefchicklichkeit, alle Gaben, die den Menfchen zum Künftler machen, durften
auch hier auf den endlichen Sieg ihrer Leiftungen bauen.
Aber erft mit dem Erkennen der Unzulänglichkeit des phyfikalifchen Pro-
ceffes der Reproducflion ftellte fich nach und nach auch wieder ein Zuwenden zur
Kunft ein.
Wie früher die Photographie den Mechanismus übertroffen und fo l?hm
gelegt hatte, fo entftand jetzt eine Reacflion gegen die Camera obfcura. Man fah
fich nicht allein fatt an dem fUfsen, ausdruckslofen Ton, erkannte nicht allein die
Unwahrheit in der Wiedergabe von kalten oder warmen Farben und der dadurch
bewirkten Unrichtigkeit der Modellation der Form bei bemalten Flächen, man
fing auch an, das Erkennen des Gewebes der Leinwand, der Flecke und der Zer-
ftörung in den Bildern eine Brutalität zu nennen. Man erkannte, dafs die lange
identifch gehaltene Wiedergabe eine falfche fei , die feelenlofe mechanifche
Reproducflion nur eine neue Auflage erhalten habe und, um vor der Reproduktion
künftlerifch geniefsen zu können, diefe nur aber wieder künftlerifch entftanden
fein muffe.
Vor der erfreulichen Thatfache der Wiederbelebung diefer Kunft fahen
wir uns auf der letzten Ausftellung. Vom Mechanismus befreit, fördert die Kunft
wieder die Liebe und Freude des Befchauers.
Von Fortfehritten ift in diefer wie ja auf dem Gebiete der ganzen bilden-
den Kunft nur bedingungsweife zu fprechen, rechnen wir die Befreiung von den
mechanifchen Hilfsmitteln ab. Ein Kunftzweig, hier oder dort mehr gepflegt.
-4 Louis Jakoby.
wird mehr fich entwickeln und feinen heften Vorbildern, die, wie alle Sammlun-
gen, Monumente und Gallerien zeigen, hinter uns liegen, nah und näher zu
kommen trachten. Die eine Idealität erftrebende Kunftrichtung, von der Realiftik
oder Naturaliftik abgelöft fein zu wollen, werden wir fo wenig Fortfehritt nennen,
wie wir es nur als eine Phafe bezeichnen können, wenn Rafael und Michel-Angelo
durch Velasquez oder Franz Hals in den Winkel gedrängt erfcheinen. Diefe
Wandlungen des Gefchmacks find feit mehreren Hundert Jahren mehrmals bei
den kunfttreibenden Nationen zu beobachten, und liegen wohl tief in der menfch-
lichen Natur begründet.
DerKupferftich feit feiner Ausbildung macht naturgemäfs denfelben Procefs
durch wie die Malerei, der er fich eng anfchliefst und für die Verbreitung ihrer
Objecfle dient. Die ftiliftifche Richtung hat fich bis auf die neuefte Zeit ftets
mehr des Grabftichels als Mittel der Ausdrucksweife bedient, während der natu-
raliftifchen die Radirnadel das bequemere und leichtere Material wurde. Von
einem Fortfehritt kann man deshalb nur infofern beim Kupferftich fprechen, als
gerade die letzten Jahre befonders Aufklärung gefchaffen haben, was in den
Bereich diefer Kunft gehört und worin fie durch nichts zu erfetzen ift. Die Fein-
heit und Klarheit in der Form, die variabelfte Charakteriftik in der Behandlung
des Stoffes wird heute nach fo vielen Verfuchen dem Kupferftich unbeftritten ver-
bleiben. Steht er für Publication überhaupt nicht mehr allein da, fo braucht er
anderfeits auch nicht mehr die oben befprochenen Irr- und Abwege zu gehen,
zu denen ihn der Stahlftich und die Speculation gedrängt hatten. Er kann heute
wie zur Zeit feiner glänzendften Entwicklung das Kupfer allein benutzen und
vermittelft der Galvanoplaftik und der Verftählung eine durch keine Abnutzung
der Platte befchränkte Anzahl von Abdrücken erlangen.
Oefterreich , Deutfchland , Frankreich , England und Italien legen fad
gleichzeitig Zeugnifs dafür ab, dafs allerorts die Künftler fich wieder in aller
Freude und Begeifterung an die Arbeit gemacht. Numerifch am ftärkften aber
Frankreich.
Als könnte die wiederbelebte Kunft die Zeit nicht erwarten, ans Tages-
licht zu treten, um die verlorene Zeit wieder einzubringen, fo fehen wir in allen
diefen Ländern gleichzeitig die fchnell producirende Radirung als Vorkämpferin.
Der vollendende und dadurch langfamer fchaffende Stich zeigt fich nur vereinzelt
als Ueberkommnifs aller Getreuen, die Schwarzkunft, feit längft der Mechanik ver-
fallen und im Ton zu verwandt der Photographie, hat nur noch in England alte
Kämpen aufzuweifen.
Frankreich, feit Gründung der Gobelins durch Ludwig XIV. an die Spitze
geftellt, hat auch hier, feinen grofsen Traditionen getreu, den alten Ruf bewahrt,
wenngleich Mandel im Stich bei der deutfchen, U n g e r in der Radirung bei der
öfterreichifchen Abtheilung Qualitäten zeigten , die wir in der franzöfifchen
nicht fanden.
Je gröfser unfere Freude und die aufrichtige Bewunderung war, die uns in
ihrer Mehrzahl die franzöfifche Ausftellung entlockte, je mehr bedauerten wir, die
ausgezeichneten Leiftungen Henriquet-Dupont's zu vermiffen.
Seit dem Jahre 1814 der Ausübung diefer Kunft hingegeben, ift jede Arbeit
ein neues Lorberblatt für ihn geworden. Die Geiftesfrifche diefes Neftors der Kunft
läfst uns glauben, der Kranz mit feinen ftets neuen Schöfslingen wolle fich nie
fchliefsen.
Aber auch nach bewährten Kräften, wie Bella y, Didier und Anderen
fahen wir uns fo vergeblich um, wie wir bei Deutfchland den vortrefflichen
Bürkner aus Dresden nicht fanden. Trotz folch' empfindlicher Lücken konnte
die Ausftellung vom fachlichen Standpunkte aus doch nur mit höchfter Befrie-
digung angefehen werden.
Die Stiche von Rouffeaux, Rofello, Bertinot, GaiUard und
Anderen find ebenfo Zeugnifs ungefchmälerter Gefchicklichkeit, wie die Radirungen
Kupfer- und St.ihlftich-Druck. O
von Raj on, Jacquemart, Flameng, Chaucherel etc. Reiz, Lebendigkeit
und Feinheit in der Zeichnung zeigen.
Oefterreich und Deutfchland vereint können nur einigermafsen ein Gegen
gewicht gegen das, alle anderen, dazwifchen liegenden Staaten erdrückende Frank-
reich bieten, trotzdem W e b e r in Bafel, die Belgier Biot, Danfe und auch
Delboite uns Proben fehr grofser Tüchtigkeit gaben. Holland hatte nur einen
Vertreter, ebenfo wie aus Rufsland, das keine Vergangenheit in diefer Kunll hat,
nur ein kleiner Rahmen mit Radirungen, das redliche Wollen zeigte, mitzuthun.
Regt es fich ebenfo in Italien auch allerorts wieder , die eingefandten
Kunflwerke haben fehr befcheidenen Raum nur beanfprucht und zeigten uns nicht
Juvara in Rom, Raimondi in Parma und einige wenige Andere, dafs fie den
Sinn für das Schöne und die Gefchicklichkeit treu bewahrt, man müfste fürchten,
dafs fie, wie in Spanien, den Faden nicht wieder fänden, um an die Vergangen-
heit anzuknüpfen.
Was England betrifft, fo fühle ich mich nicht ficher in der Annahme, dafs die
hier ausgeflellt gewefenen Kunflwerke ein Bild der heutigen Produ<5lion vollfländig
gaben. So vorzüglich auch die Arbeiten von Stocks, Coufins in der
Schwarzkunll unter Anderen erfchienen , fo reichhaltig auch die Ausgabe der
Ken fing ton-Schule ifl, man fragt fich unwillkürlich: ifl das Alles, was von
der durch Georg III. gegründeten grofsen Kupferflich-Schule Übrig geblieben ifl ?
Sind das die einzigen Nachkommen der Strange, Earlom, Woolet,
ßurnet, — dann freilich gibt es in diefem Wettkampf nur die fchon vorhin
genannten drei Staaten, die in Betracht kommen.
Ohne Berückfichtigung der fchon erwähnten Lücken und der Verzicht-
leiftung der PariferChalcographie du Louvre auf die Ausflellung, fland Frankreich
mit 69 Ausflellern und 182 Nummern gegenüber von Oeflerreich mit 15 Ausflel-
lem und 49 Nummern, Deutfchland mit 25 Ausflellern und 36 Nummern.
Das Mifsverhältnifs ifl zu grofs, als dafs es nicht der Mühe werth wäre,
näher beleuchtet zu werden. Sieht man aber in den Schaufenflern unferer Kunfl
händler gleichzeitig fafl nur franzöfifche und englifche Stiche , fo wird es eine
patriotifche Pflicht, die Sachlage zu erklären.
Das Uebergewicht Frankreichs ifl nur der forgfamflen Pflege zu danken,
welche die verfchiedenflen Regierungen diefem Kunflzweige feit mehr denn
200 Jahren gewidmet, und der Eiferfucht, mit der ein berechtigtes Nationalgefühl
über delTen Erhaltung wacht.
Anfchauungen, als wäre diefe Kunfl im Charakter der franzöfifchen Nation
begründet, find ebenfo unwahr, wie der Einwand hinfällig ifl, dafs fie heute
überflüfTig.
Von Martin Schön und Dürer bis auf G. F. Schmidt und F. Mül-
ler ifl das widerlegt, und es mufs doch mit unferer Begabung nicht fo fchwach
beflellt fein, wenn wir trotz alledem heute weit beffer daflehen als Italien , das
zwei Pflegflätten diefer Kunfl in den Chalkographien zu Rom und Parma befitzt.
Um Aufklärung zu bekommen, muffen wir wohl zunächfl die Fa<5loren ins
Auge faffen, die hüben und drüben die Arbeiten entflehen laffen.
In Frankreich ifl es durch die Chalcographie du Louvre zunächfl die
Regierung felbfl, indem fie in diefem Inflitut jüngeren Kräften Ausbildung gibt,
Bewährten aber in bedrängten Fällen ein nothwendiges Refugium bietet. Hiezu
kommt die Stadt Paris, die franzöfifche Gefellfchaft für Kupferflich , vornehme
Private, die ihre Porträts flechen laffen, und die nicht hoch genug anzufchlagenden
künfllerifchen Beigaben und Illuflrationen von Zeitfchriften.
Wenn wir den Kunflhändler oder Verleger hiebei fehr fchwach betheiligt
fehen, fo kann uns das weiter nicht verwundern. Vor fünfzehn Jahren noch war
er ein fehr wefentlicher Fa<5lor. Der Kaufmann ifl eben nicht Liebhaber, fondern
als Kaufmann bedacht, feine Waare fchnell umzufetzen und dadurch den gröfst-
möglichen Gewinn zu erzielen. Beides ifl aber beim Kupferflich nur höchfl feiten
6 Louis Jakoby.
noch der Fall. So lange der Kupferilich einziges Vervielfältigungsmittel war,
kam es vor, dafs eine einzige glückliche Arbeit ihm ein Vermögen einbrachte.
Heute, in dem lieber nach fchnellem Gewinn fucht er aus dem Vertrieb von Bil-
dern und Photographien einen paflenderen und einträglicheren Erwerbszweig zu
machen. Selten nur beftellt er noch, bequemt er fich aber dazu, Arbeiten in Com-
mifllonsvertrieb zu nehmen, fo gefchieht das unter fo drückenden Verhältniffen
für den Künftler, dafs diefer auf den Kunfthändler , als den fonft gebräuchlichen
Vermittler zwifchen ihm und dem Publicum, bald ganz wird verzichten müflfen.
Der Ausfall diefes Fa(ftors aber führte im Jahre 1868 in Paris zur Grün-
dung erftgenannter Soci6t^ de gravure.
Was hat nun bei uns in Oefterreich, was in Deutfchland die ausgeflellten
Arbeiten entliehen gemacht ? !
Den fo fundirten alten und neuen Inftitutionen Frankreichs hat Deutfch-
land wie Oefterreich nichts Gleichartiges entgegenzufetzen. Man ift verfucht
vom Zufall zu fprechen, wenn tüchtige Arbeiten das Tageslicht erblickt haben.
In Deutfchland hat der Staat in fchüchtemfter Weife hie und da einmal
eine Subvention ertheilt, wodurch beifpielsweife das „Spofalizio" von Stang in
Düfleldorf entftand , vortreffliche Arbeiten, wie die von Raab, Fr. Vogel,
Burger, Zimmermann und Anderen in München wurden mit grofsen Opfern
zu Ende gebracht, um willkommene „Nietenblätter" für Kunftvereine zu werden.
Willmann aus Carlsruhe tritt mit Beftellungen der Stadt Paris auf. Auch in
Deutfchland treffen wir feiten auf einen Verleger und ein fo bedeutender Künft-
ler wie Mandel mufs unter den erfchwerendften Bedingungen feine Arbeiten
dem Publicum zugänglich machen.
Die Anftrengungen , die einft Schinkel und Beuth machten, diefe
Kunft zu heben, indem fie jungen Kräften die Mittel zur Ausbildung boten, den
Staat die Fürforge für eine vortreffliche Druckerei tragen liefsen , werden bald
als ein „nur momentaner Auffchwung" bezeichnet werden können.
Doch — bleiben wir in unferen eigenen Grenzen , wir haben hier ein
grofses Feld für unfere Wünfche.
Ein Mifsverftehen künftlerifcher und national-ökonomifcher Intereffen hatte
die Kunft des Kupferftiches bei uns faft ganz zu Grunde gehen laffen. Diefelben
Autoritäten, die über jeglichen Mangel von Interelfe an bildender Kunft in Oefter-
reich jammerten, fcheuten fich nicht, dem Kupferftich die Exiftenzmittel zu ver-
fagen, obgleich er doch in feiner Eigenfchaft als publicirende Kunft am meiften
geeignet war, für Kunft im Allgemeinen Propaganda zu machen, fo dafs es endlich
der allerhöchften Initiative vorbehalten blieb , die erlofchene Tradition wieder
neu zu beleben.
Eine Oafe ftehen in diefer Zeit die Arbeiten des braven Poft faft allein da.
Das kaiferliche Oberftkämmerer-Amt trat anregend und befruchtend nach
jeder Seite hin auf. Die grofsen Stiche von Dobyund Kl aufs wurden von
ihm beftellt. Wir fanden auch in der Abtheilung für Kupferdruck die reichhaltige
Sammlung der Schatzkammer in Radirungen unter der intelligenten Dire<5lion
des Schatzmeifters C. Leitne r publicirt und fehen in dem Stich des Stefans-
domes ebenfo einem feltenen Specialiften Gelegenheit gegeben , fein Talent
enfalten zu können, wozu Bültemeyer in den früheren Arbeiten für die Bau-
zeitungen ein zu befchränkter Raum geboten war.
Mit dem nev erwachten Leben in den übrigen Kunftzweigen war die Sta-
gnationin den graphifchenKünften bei uns doppelt fühlbar geworden. Die in Paris
neu gegründete Society de gravure bot Anregung genug, Aehnliches zu verfuchen.
Zu zwei beftehenden Kunftvereinen noch einen dritten zu gefellen, fehlen um fo
weniger rathfam, als deren Aufgabe, die Unterftützung der Malerei, durch den
mächtigen AufTchwung des Bilderhandels überflüffig geworden war. So entfchlofs
fich denn der Vorftand des fogenannten älteren Kunftvereines Hofrath v. Wiefer.
von der Gemeinnützigkeit diefes Unternehmens durchdrungen, diefen Verein in
Kupfer« und Stahlftich-Druck. 7
«ine „ Gefellfchaft für vervielfältigende Kunft" umzuwandeln. Der Theilnahme der
Genoflfenfchaft der Wiener Künfller, die die Mitglieder der neugebildeten Gefell-
fchaft durch den freien Eintritt in ihre Ausftellungen heranzog, fowie der auf-
opferungsvollen Hingabe des Vorftandes der jungen Gefellfchaft, unterilützt von
der thätigen Sympathie der Freunde graphifcher Kunft, ift es zu danken, dafs nach
kaum zweijährigem Beftehen heute fchon die Einnahmen fich vervierfacht haben.
Das junge Unternehmen zeigt uns nun in feiner Ausftellung unter einer Fülle
kleinerer Albumblätter, worunter viele anziehende, leichte Radirungen und fchon
kleinere durchgebildete Stiche find, auch fchon in gröfserem Format in einem
Stich Sonnenleitne r*s, von dem au ch das Blatt nach Knaus „die jungen Kätzchen**
herrührt, Proben feiner Leiftungsfahigkeit, — Proben, die fich den guten Arbeiten
der franzöfifchen Ausftellung würdig an die Seite Hellen lafTen.
Bei dem ftetigen Wachfen feiner Mittel konnte fich auch das Programm
des Vereines erweitern und die Inangriffnahme bedeutender Arbeiten gibt uns
die erfreuende Zuverficht, dafs mit der Pflege diefes Kundzweiges auch der Sinn
für diefe und fUr die Kund im Allgemeinen verbreitet werde.
Können wir uns auch nicht des angenehmen Gefühls der Befriedigung
cn*'ehren, die Radirung Unger's bei uns ausgeftellt zu fehen, fo dürfen wir leider
deffen verdienftvollen Verleger Seemann in Leipzig und A. W. Sythof in Leiden
nicht mit in den Kreis der bei uns wirkenden, Arbeit hervorrufenden, heimifchen
Kräfte einbeziehen.
Nicht unerwähnt darf es bleiben, dafs feit Jahresfrifl der Kunfthändler
P. Kaefer in Wien einen Verlag von Kupferftichen unternommen und gleichzeitig
eine Kunfldruckerei etablirt hat, die fchon zu einem brennenden Bedürfnifs
geworden war.
Wir erfehen nun aus diefer kurzen Revue, dafs wohl der Samen gefitet,
das Pflänzchen aber der forgfamften Pflege noch bedarf. Die Kunft hat, um über-
haupt zur Exiftenz zu gelangen, die befprochenen Fa<5loren nöthig! Ebenfo, wollte
man die von ihm abhängigen und beinflufsten Induftriezweige aufser Acht laffen,
wäre fie mit bleiernen Schwingen geboren.
Sie kommt durch den Druck erft felber zur Erfcheinung und wird dadurch wie-
der von ihr abhängig. Stete und vielfeitigeUebung konnten nur zu fo glänzenden Re
fultaten fuhren,wie fie C h a r d o n atn^ in der franzöfifchen Abtheilung uns präfentirte.
Was Wunder, dafs neben einer fo hohen Entwicklung der Kunft fich, den
Bedürfniffen derfelben angemeffen, ein^ Induftrie erzeugte, die heute nicht blofs
Ulis, fondem die ganze Welt von fich abhängig und tributpflichtig gemacht hat:
ich meine die Fabrication von Kupferdruck-Papier.
Alle Anläufe dazu find bis jetzt bei uns entweder ungenügend ausgefallen
oder gänzlich gefcheitert, und je mehr in den letzten Jahren diefe Kunft bei uns
fich gehoben, je mehr müflcn wir diefes nothwendigfte Materiale dem Auslande
abkaufen und die Druckereien feiern fehen, wenn, wie bei der eben durchlebten
Kriegsepoche der Transport auf Hindernifle ftöfst.
Auch Holland hat eine vortreffliche Fabrik in Amfterdam, van Geldern,
und liefert ausgezeichnetes Schöpfpapier, das freilich fehr hoch im Preife ift.
Gleichzeitig verwenden wohl alle Druckereien ein befonders zartes und
für den Druck geeignetes Papier, das aus China und Japan bezogen wird. Der
fehr unreine Zuftand diefes Papieres hat wiederum in Frankreich zu der Erzeugung
einer fehr brauchbaren Nachahmung geführt.
Gegen den Bedarf von Papier ift der von Werkzeugen und Utenfilien ver-
fchwindend gering. — In erfter Linie fteht da wieder in Frankreich die Fabrik
von Renard, die leider nicht ausgeftellt hat. Faft alle Schweizer Fabriken, die
Inftrumente für die Uhrenfabrication herftellen, liefern folche auch für den Kupfer-
ftich. Auch in England find verfchiedene Fabriken, die den Fachmann verforgen.
C. Ward und Payne in Sheffield hatten ausgeftellt.
3 Louis Jakoby.
Keine unferer Fabriken hat fiir derartiges Werkzeug Vorforge getragen,
daftir wird bei uns durch Folger in Wien die Zubereitung von Kupferplatten fo
vortrefflich geleillet wie faft nirgendanderswo.
Wir fahen nur Oefterreich, Frankreich und Deutfchland, die uns Erzeugniffe
ihrer Druckereien vorftellten. Und obgleich von den vielen in Paris etablirten,
nur zwei die Ausftellung befchickt haben, Chardon atn^ und Dufacq & Comp^
fo bekommen wir, da das Ausgezeichnete (lets der Ausdruck der Concurrenz ifl.
durch fie doch hinreichend ein Bild von ihrer grofsen Bedeutung und Tüchtigkeit.
Trotzdem Deutfchland in verfchiedenen Kunfl- und Handelsflädten, wie
Leipzig, Frankfurt u. A. Druckereien befitzt, fo fanden wir nur München durch
zwei vprteten, wovon befonders die von Fei fing fehranerkennenswertheLeiflun-
flungen in der Specialität des Druckes von Radirungen aufzuweifen hat. Berlin
war aber nur in feinen Druckereien bei der Kunflabtheilung zu erfehen, und
M a n d e l's Stiche, von Becker gedruckt, laffen einen hohen Grad von Vollendung
erkennen.
Sehen wir uns nun nach den Druckereien in unferem Staate um, fo mülTen
wir mit tiefftem Bedauern unfere Schwächen eingellehen. Wir fehen für ganz
OeflerreichUngarn nur zwei funcflioniren, von denen die eine des Kunflhändler;^
Kaeser kaum aller als ein Jahr ift. Berückfichtigen wir, dafs die Ausbildung des
Druckers nur allein durch den Künftler und die ununterbrochene Uebung gefchehen
kann, und hören wir, dafs eine fo alte Druckerei wie die von Kargl durch Jahr-
zehnte kaum einen Gehilfen befchäftigen konnte, fo würden wir unbillig fein,
wollten wir hier fcharf ins Gericht gehen.
Ein Anderes ifl es wohl mit der Ausftellung unferer Staatsdruckerei, die in
demfelben Rahmen mit diefen Privatgefchäften vor die Oeffentlichkeit tritt.
Sind hier die ernfthafteflen Vorwürfe gerechtfertigt, fo wilTen wir nur nicht,
an wen fie adreffiren. Ift es an die Leitung diefer Staatsanftalt, in deren Ver-
waltung ein fo immenfes Material und Capital des Staates fteckt, oder an die ihr
vorgefetzte Behörde.^ ! Gleichviel, ein Unterdrücken diefer gerechtfertigten Anklage
wäre ein Vergehen. Ift das die Nutzniefsung folcher Mittel ? 1 dann geftehe ich,
ift die fparfamfte Verwaltung viel zu theuer.
Der alte, vielgebrauchte Spruch, dafs Stillftand Rückfehritt fei, bleibt immer
ebenfo wahr, wie, dafs Fortbildung materieller Gewinnft. Haben täufchende und
koftfpielige Experimente feinerzeit die Reichsvertretung veranlafst, diefen gegen-
über Normen vorzufchreiben, in denen diefe Anftalt fich zu bewegen habe, fo
follte man doch die Erfindung von Flugraafchinen nicht mit den natürlichen Mitteln
zur Fortbewegung verwechfeln und diefen dieFüfse binden. Sollte die Staatsanftalt
den Privaten nicht Concurrenz machen, fo ift man bei diefem Syftem dahin gekommen,
dafs fie diefen ihre Kräfte entführen mufs, wenn fie überhaupt nicht feiern will.
Alljährlich werden fehr bedeutende Mittel votirt, um der Ausbildung in Kunft und
Induftrie förderlich zu fein. Beftehende Schulen werden erweitert, neue gegründet.
Wer könnte wohl heute noch bei den Erfolgen auf diefem Gebiete fo befangen
fein, zu behaupten, diefe Mittel wären nicht vortrefflich angewendet?! Mit vielen
Opfern trachtet man, alte, vorzügliche Kunft- und Induftriezweige wie Emaillen»
Majoliken und was fonft immer wiederherftellen zu können, die Graphik läfst man
muthwillig verkommen, obgleich man noch die Hand am Griff des Werkzeuges hat,
und obgleich fie das leichtefte Mittel zur ethifchen Bildung der Maffen des Volkes ift.
Wie weit mülfen wir hinter Amerika zurückftehen, das uns in mehreren
grofsen Quodlibets der Staatsanftalt Mufter von Briefmarken, Stempeln, Werth-
papieren und anderen Diplomen zeigt, bei denen die Prägnanz und Feinheit der
Durchbildung im Stich und Druck Vorbilder fein könnten, wären fie ebenfo künft-
lerifch in der Anordnung und im Gefchmack.
Wäre es denkbar, dafs gerade diefelben ObjecTle auf der Ausftellung
Oefterreichs in fo fchwacher und unbedeutender Weife fich felbftftändig breit
Kupfer- und Stahlftich-Druck. 9
machen dürften, wenn unfere Staatsdruckerei in wahrhaft des Staates würdiger
Weife den Weg zeigte und fich nicht von Privatinilituten in Schatten flellen liefse?!
Ich glaube, dafs hier unfere fchwächfle Stelle ifl. Bei den vorliegenden Mitteln
kann aber auch am leichterten der Hebel angefetzt werden, um nicht allein diefe
Anftalt frudlificiren, fondem auch Ausgezeichnetes, Erfreuliches und den Staat
Ehrendes leiften zu laffen.
Es ift wohl hier am Platze, nach der Befchau und der Beurtheilung auch
das zu erwähnen, was wir bei uns nicht gefehen.
In der deutfchen und franzöfifchen Abtheilung nicht allein, auch in der der
Schweiz fahen wir eine Kunftinduflrie (ich weifs keinen pafTenderen Ausdruck
dafür), die wir bei uns vergeblich fuchen, von der wir nur im Handel die Bedeutung
für uns in Oefterreich erkennen. Es find diefs kleine, religiöfe Darflellungen im
Stich, die zum Cultus gehörig, eine aufserordentliche Verbreitung finden. Ich
entfinne mich wohl vor mehreren Jahren eines, von hohen und erlauchten Namen
unterzeichneten Programmes, das in patriotifchem Sinne abgefafst, uns in feiner
Ausführung vom Auslande unabhängig gemacht hätte. Leider fcheint es bei dem
Programme geblieben zu fein, und wir haben heute dem Verlag vonManzin
Regensburg, Schulgen in Düffeldorf, Benziger in Einfiedeln (Schweiz),
Marne & fils in Tours, Hachette & Comp, in Paris nichts Gleichbedeutendes
gegenüberzuftellen.
Durch manche Erkenntnifs bereichert gelangen wir zum Schlufle.
Das einfache Zahlenverhältnifs, das numerifche Uebergewicht Frankreichs
allein zwingt uns fchon, an eine Abhilfe zu denken.
Wir haben crfehen, dafs das, was uns fehlt, nicht Mangel an Begabung ifl.
An dem fchnellen Erblühen und Umfichgreifen der „Gefellfchaft für ver-
vielfältigende Kunfl" haben wir ebenfo erkannt, dafs diefe Kunfl auch auf Theil-
nahme im Volke rechnen darf
Was uns fehlt, find die Kräfte und ihre ruhige , ftetige Fortbildung in
Inflitutionen, die diefes Ziel unverrückt vor Augen behalten.
Einfl war es die Lithographie, jüngft die Photographie, die ihre falfchen
Propheten erzeugten und dem Kupferflich den Boden entziehen wollten.
Es mufs defshalb, wie in Frankreich feit mehreren hundert Jahren, Für-
forge getroffen werden, dafs die Sache, von allen Erfindungen und Zeitflrömungen
unbehelligt, ficher ihrer Wege gehe.
Es ifl hier nicht der Ort, ein Programm über das Wie und Was aufzuftellen.
Schaffen wir ihr die Gelegenheit und die Kunfl wird uns ihren Dank nicht
fchuldig bleiben.
LITHOGRAPHIE
UND
CHROMOGRAPHIE
t
(Gruppe XII, Seotion 4 und Gruppe XKV, c.)
Bericht von
Conrad Grefe.
Die Lithographie und insbefondere die Chromolithographie hat feit der
letzten Parifer Weltausftellung nach jeder Richtung hin einen aufserordentlichcn
Auffchwung genommen. Sie hat auf dem eigentlich künftlerifchen Gebiete wahr-
haft Bedeutendes geleiftet, hat wiffenfchaftliche, induftriclle und Unterrichtszwecke
mit ihrer reichen Illuflrationskraft umfaflcnd gefördert und auch bereits in
nationalöconomifcher Beziehung eine fo grofse Bedeutung errungen, dafs man
berechtigt war, auf der Wiener Weltausftellung ein vollftändiges und deshalb auch
grofsartiges Bild ihrer Thätigkeit zu finden.
Leider wurden diefe Erwartungen nicht im vollen Umfange erfüllt; zunächft
trat von vorneherein die Theilung der einzelnen Kunft- und Induftriezweige nach
Staaten einem Gefammtbilde ihrer Leiftungen hindernd entgegen, dann zer-
fplitterten wieder einige Staaten die Wirkung ihrer lithographifchen Abtheilungen
noch weiter, indem fie diefelben entweder nicht in einem felbflftändigen Räume
als zufammenhängendes Ganze erfcheinen liefsen, fondern die Oel- und Aquarell-
gemälde-Imitationen als Wanddecoration verwendeten und die übrigen Zweige
dem Buchhandel oder den Unterrichtsabtheilungen einverleibten, oder wenn diefe
Zerfplitterung nicht vorkam und die Abtheilung beifammen blieb, verlegte man fie
hie und da in abgelegene, fchwer aufzufindende Räumlichkeiten, und endlich ergab
fich noch eine Hauptftörung aus dem Umftande, dafs England, diefe hoch-
wichtige Produ<5lionsftätte für den künftlerifchen Theil der Chromolithographie, in
diefer Beziehung gar nicht, und was ihre lUuftrations- und technifchen Zweige
betrifft, nur höchft ungenügend vertreten war.
Wir glaubten diefe Bemerkungen vorausfenden zu muffen, da die erwähn-
ten Mängel nicht nur von den Befuchem im Allgemeinen oft gerügt, fondern auch
von all jenen Fachmännern, we'che die Lithographie im künftleiifchen oder
gefchäftlichen Intereffe zum Gegenftande ihrer Studien und Beobachtungen
Conrad Grefe. Lithographie und Chromographie. H
machten, fcharf und rückhaltslos hervorgehoben und als dem eigentlichen Zwecke
der Ausflellung im hohen Grade hinderlich bezeichnet wurden.
Bevor wir nun an die Prüfung der einzelnen Abtheilungen gehen und ver-
fuchen, aus diefen vielfach zerfplitterten Objedlen eine Skizze des Gefammtbildes
von dem gegenwärtigen Stande der Lithographie zu conftruiren, wollen wir uns
die Aufgabe, welche diefer Kunftzweig im Ganzen und fpeciell die Chromolitho-
graphie bei ihrer jetzigen technifchen Ausbildung auszuführen berufen und in der
Lage ifl, ins Gedächtnifs rufen, und die Mittel prüfen, über welche fie bei
Erfüllung derfelben verfugt.
Mit den Gefammtnamen „Lithographie" wird eine weit auseinander-
gehende Gruppe von künftlerifchen und technifchen Arbeiten bezeichnet, die, bei
der einfachflen Schriftzeichnung beginnend, bis zur vollfländigen Wiedergabe der
gröfsten Meifterwerke der Malerei, und zwar fowohl in Form als Farbe reicht ; zu
jener genügt ein tüchtig gefchulter Zeichner oder Kalligraph — diefe bedarf
gereiftes künfllerifches Verftändnifs — eine im Zeichnen fehr ausgebildete Hand
und eine genaue Kenntnifs der Farbentöne und ihrer Zufammenfetzung aus den
einzelnen Grundfarben.
Das Gefammtgebiet der Lithographie ift in den letzten Jahren emfig und
mit grofsem Erfolge bebaut worden und insbefondere jener Zweig, der im
gewöhnlichen Leben „Farbendruck" genannt wird, erfreute fich einer höchll forg-
famen Pflege, einer fehr ausgiebigen Producflion und einer weitreichenden Beliebt-
heit ; der Grund dazu ift wohl in dem Umftande zu fuchen, dafs die Farbenlitho-
graphie nicht wie der Kupferftich und die Photographie blofs die Form der
Gegenftände und ihre Erfcheinung in Licht und Schatten, fondern nebft diefer
auch ihre ganze Farbenwirkung, ja felbft die Eigenthümlichkeiten der Pinfei-
führung und das Impafto des Farbenauftrages mit unbedingter Treue wieder-
zugeben im Stande ift. Sie macht es bei der verhältnifsmäfsig grofsen Billigkeit
ihrer Erzeugnifle jedem Haufe und jeder Familie möglich, Auge und Gemüth an
dem Anblicke genauer Imitationen der heften Kunftwerke, die oft von den
Originalen kaum unterfcheidbar find, zu erfreuen und zu bilden; fie fetzt die
Wiffenfchaft in die Lage, ihre Werke mit den heften und fprechendftenlUuftrationen
zu erläutern; fie '"chafft der Kunftinduftrie genaue Nachbildungen all' jener
Schätze, welche die Mufeen aufgehäuft haben, und ift endlich eine treue Ver-
bündete der modernen Schule, indem fie den Anfchauungsunterricht mit einer
unerfchöpflichen Fülle von vorzüglichen und billigen Vorlagen verficht.
Manch' aufmerkfamer Beobachter der Weltausftellung wird uns vielleicht
einwenden, dafs fehr viele von den ausgeftellten lithographifchen Arbeiten diefem
Programme nicht entfprachen; er wird auf die flüchtige, fabriksmäfsige Erzeugung
unbedeutender „Möbelbilder" und noch auf vieles andere Mangelhafte und Ober-
flächliche hindeuten und daraus den Schlufs ziehen, dafs auch die Farbenlitho-
graphie ftatt zur Vertiefung und Veredlung, nur zur Verflachung des geiftigen und
fpeciell des Kunftlebens führt.
Allein, obgleich uns gewifs fo gut als irgend Jemandem diefe Mängel ins
Auge fielen, und obgleich wir vielleicht noch einige weitere Klagen beizufügen
hätten, können wir doch unferen Ausfpruch, dafs die Lithographie und fpeciell
die Chromolithographie eine grofse und fchöne Aufgabe zu erfüllen berufen ift
und auch zum grofsen Theile fchon erfüllt, nicht zurücknehmen. Es wird auch
in diefem Kunftzweige fo gehen, wie im ganzen Kunftleben überhaupt : das Mittel-
mäfsij^e, Unreife und Schlechte wird zurückgedrängt werden und immer weniger
Beachtung finden. — Das Publicum wird allmälig unter fc beiden lernen und
nur mehr das Gute und Gediegene kaufen und die Verleger fowie die Eigen-
thümer der lithographifchen Anftalten werden die Ueberzeugung gewinnen, dafs
für die höheren Kunftzwecke die Unlerftützung gediegener Künftler fowie eines t h e o-
retifch und praktifch forgfaltig gefchulten Druckerperfonales unerläfslich ift.
12 Conrad Grefe.
Wir haben bereits angedeutet, dafs die höchfte künfllerifche Aufgabe der
Chromolithographie in der treuen Wiedergabe vorzüglicher Gemälde, das heifst
echter Kunftwerke befteht, und diefe Erkenntnifs hat fich auch feit der letzten
Parifer Ausftellung in immer weiteren Kreifen Bahn gebrochen ; bis dahin waren,
was die Herftellung von Gemälden betrifft, meift nur Aquarelle nachgebildet wor-
den. Nun fchritt man zur Wiedergabe von Oelgemälden moderner Meifter und
jetzt wagt man fich bereits an Hauptwerke der gröfsten claffifchen Meifter — an
Gemälde, wo die Feinheit der Farbentöne, die Tiefe des Colorits und der
Schmelz der Lafuren — grofse und fcheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten
entgegenfetzen. Allein inzwifchen hatten fich auch tüchtige, ausgezeichnete
Ktinftler diefem Kunftzweige zugewendet und die Technik den höheren Zielen
(le^felben entfprechend reformirt; bisher hatte man zumeift die einzelnen Farben-
fteine mit fein gefpitzter Kreide gezeichnet, eine ebenfo langweilige als mühfamc
Methode, die, ungeachtet der Verwendung zahlreicher Farbenfteine, doch niemals
die volle Wirkung eines Oelgemäldes zu erreichen geftattete und dabei ebenfo
ermüdend als geifttödtend auf den Zeichner wirkte. Man griff nun zu Tufch,
Pinfel und Schabmeffer, als dem eigentlichen Handwerkzeug des Künftlers. Die
Darfteilung wurde freier und geiftreicher, felbft der Pinfeizug des Originals konnte
mit ficherer Hand nachgebildet und fowohl die Kraft der Farbe, als der Reiz des
Tones erreicht werden.
Auch in Bezug auf den Druck, die Bereitung der Farbe und die Behand-
lung der Steine in der Preffe, ging man bedeutend vorwärts und, wenn diefe
Entwicklung mit der obigen nicht ganz gleichen Schritt hielt, fo liegt die Urfache
wohl darin, dafs die Lithographie immer noch den hochgebildeten praktifchen
Chemiker erwartet, der Farbe und Firnifs, Tufch, Kreide und Aetzmittel zum
Gegenftande ernfter und eingehender Studien macht. Doch waren diefe technifchen
Fortfchritte in Verbindung mit denen auf künftlerifchem Gebiete bedeutend
genug, um die obgenannten Schwierigkeiten zum gröfsten Theile überwinden zu
können, und was noch in diefer Richtung zu thun ift, liegt unbedingt in den
Grenzen der Möglichkeit; allein wenn es auf diefe Art auch erreichbar geworden
ift, das fchönfte Gemälde täufchend ähnlich nachzubilden, fo zeigt es fich doch
als unendlich fchwerer, davon die nöthige Auflage, das heifst eine gröfsere
Anzahl gediegener Abdrücke herzuftellen , und hier treffen wir auf den eigent-
lichen wunden Punkt, an welchem die lithographifchen Anftalten aller Länder
kranken. Es befteht nämlich ein empfindlicher Mangel an entfprechend aus-
gebildeten Druckern.
Die jetzige Uebung befteht darin, dafs der nächftbefte Junge als gewöhn-
licher Lehrling oder Aufleger beginnt und, die verfchiedenen Stadien des
ordinären und Schwarzdruckes durchmachend , endlich beim Farbendruck
anlangt, wo er bald, da Noth an Mann ift, zum drucken von eigentlichen Kunft-
blättern, an denen der Lithograph oft monatelang mit gröfstem Eifer gearbeitet
hat, verwendet wird.
Allerdings haben fich auch auf diefem Wege viele tüchtige, ja ausgezeich-
nete Arbeiter herangebildet und faft jede gröfsere Anftalt befitzt einen oder
vielleicht auch einige derfelben, allein diefe reichen kaum aus, die vielen
nöthigenProbedrucke herzuftellen, während die Auflagen in den meiften
Fällen Arbeitern anvertraut werden muffen, denen jede theoretifche Vorbildung,
jedes Verftändnifs der Farbe, des Tones oder der Zeichnung abgeht und bei dem
•Mangel von entfprechenden Fachfchulen auch nothwendigerweife abgehen mufs.
Fachfchulen, wo intelligente junge Leute, die wenigftens zwei bis drei
Jahrgänge einer Mittelfchule abfolvirt haben, die nöthigften Kenntniffe der
Farbe und ihrer Mifchung, des Aetzens und der Kreidebereitung, fowie eine,
wenn auch geringe Ausbildung im Zeichnen, nebft dem praktifchen Unterrichte
an den Hand - und Schnellpreffen erhalten können, find eine unbedingte
Nothwendigkeit für die weit ere Entwicklung der Li thograph ie.
Lithographie und Chromographie. X3
nur durch fie wird man im Stande fein, ihre höchften Ziele zu erreichen und dabei
eine Auflage, welche dem Probedrucke gleicht, herzuftellen.
Es dürfte hier der geeignete Platz fein, einige Bemerkungen über die
lithographifchen Druckmafchinen beizufügen: Was die Handpreffen betrifft, fo
behauptet die mit einigen Verbefferungen ausgeftattete, fogenannte „SternprelTe"
noch immer den erilen Platz in den Druckereien, obgleich auch andere Syfteme
auftraten und mit mehr oder weniger Erfolg verwendet wurden. Die Fortfehritte
find in diefer Richtung feit 1867 von keiner allzugrofsen Bedeutung. Bei Weitem
gröfser waren die Erfolge in der Conftrucflion von Schnellpreffen, welche jetzt
beinahe von allen gröfseren Anftalten zum Theile mit Dampfbetrieb zur Her-
Aellung von Maflenartikeln verwendet werden.
Fall jede Mafchinenfabrik baut fie nach einer anderen Methode, und es
läfst fich kaum mit Beflimmtheit fagen, welche die befte ift; in zwei wichtigen
Punkten ift jedoch durchgehends eine entfchiedene VerbefTerung erzielt worden,
nämlich in der Möglichkeit eines genauen gleichmäfsigenEinlegens der Abdrücke
durch das Syftem der Einftichpunkte und durch die verbefferten Vorrichtungen
zum mehrmaligen Auftragen einer Farbe auf den Stein mittelft der Auftragwalzen
während der Cylinder unbeweglich bleibt.
Für die Verwendbarkeit der Schnellpreffe zum Drucke eigentlicher Kunft-
blätter find diefe Verbefferungen von grofser, ja wir möchten fagen, von ent-
fcheidender Bedeutung. Durch fie ift die Schnellpreffe erft auf dem Punkte
angelangt, wo ihre Benützung zu folchen Zwecken möglich wird, wo aber auch
das Eingreifen des Künftlers und deffen Zufammenwirken mit dem Techniker
unbedingt erforderlich ift, um die letzten Schwierigkeiten zu beheben.
In diefer Beziehung ift noch wenig gefchehen; beinahe durchgehends
begnügt man fich noch mit der von Paris ausgegangenen Methode, die Zeichnung
der Farbenfteine durch gröfsere und kleinere Punkte mittelft Feder' und Tufch
oder auch mittelft kleiner Rouletten auszuführen, was nur eine etwas veränderte
Auflage der früher erwähnten Zeichnung mittelft feingefpitzter Kreide ift und
auch diefelben Nachtheile mit fich bringt. So viel in der Ausftellung bemerkt
werden konnte, ift blofs in einer Wiener Druckerei, bei L. Sommer & Comp.,
ein bedeutenderer Verfuch gemacht worden, Steine, welche in wirklich künft-
lerifcher Weife behandelt waren, auf der Schnellpreffe zu drucken, ein Verfuch,
deffen Refultat zwar noch Manches zu wünfchen übrig läfst, aber doch den Beweis
liefert, dafs man fchon jetzt im Stande ift, auch wirkliche Kunftarbeiten mittelft
der Schnellpreffe herzuftellen, und diefs um fo mehr im Stande fein wird, wenn
Künftler und Mafchinenbauer zu diefem Behufe zufammen arbeiten.
Indem wir uns nun zur Betrachtung der einzelnen Länder und ihrer
lithographifchen Leiftungen wenden, drängt fich zunächft die Frage auf, ob dabei
die hiftorifche Entwicklung der Lithographie, refpecflive des Farbendruckes, oder
die geographifche Reihenfolge der Länder im Induftriepalafte mafsgebend fein
foll ; — nach dem crften Principe würden wir mit Deutfchland, nach dem letzteren
mit Amerika beginnen muffen; wir entfcheiden uns aus nahe liegenden Gründen
für das Letztere.
Nordamerika ift einer der ftärkften Confumenten von Oelgemälde Imita-
tionen, vielleicht der dritte Theil aller in Europa erzeugten„Oeldruckbilder" wandert
über den Ocean nach New- York, von wo fie durch einige grofse Specialgefchäfte
über alle Staaten bis in die letzte Farm des fernen Weftens verbreitet werden.
Allerdings befteht der weitaus gröfste Theil diefes Exportes aus foge-
nannten „Möbelbildern", die meift einem höchft unbedeutenden Originale
nachgebildet und zu fehr niedrigen Preifen verkauft, blutwenig wirklichen Kunft-
werth befitzen; allein es ift denn doch immerhin ein Zeichen des Fortfehrittes,
dafs fich in jenen neubegründeten Culturftätten bereits ein fo lebhaftes Bedürfnifs
14 Conrad Grefe.
nach irgend einem künfllerifchen Schmucke geltend macht, denn diefen Pionieren
der Kund werden bald andere wirkliche und gehaltreichere Kunftwerke folgen.
Auch darf aus diefen Bemerkungen nicht der Schlufs gezogen we* den, als
ob Amerika gar keine belferen Werke confumire ; es braucht auch von diefen eine
grofse Zahl, nur verfchwinden fie gegen die ungeheure Mafle des Unbedeutenden.
Amerika deckt jedoch feinen Bedarf an Oeldruck Bildern nicht blofs aus
Europa, es erzeugt auch f e 1 b ft eine grofse Zahl derfelben und darunter Arbeiten.
die zu dem allerbeden gehören, was überhaupt auf diefem Gebiete gemacht wird.
Die grofse lithographifche Anftalt von L. Prang & Comp, in Bofton, mufs in
diefer Beziehung in erfler Reihe genannt werden; aufser den alten, bereits
bekannten Bildern, brachte fie auch einige neuere auf die Ausftellung, worunter
insbefondere einige Seeftücke und Genrebilder von feltener Vollendung, fowohl
was die Lithographie, als den Druck betrifft, fich auszeichneten. Es find wahrhaft
geiftvoUe Imitationen guter Gemälde!
Auch die Bedürfniffe der öffentlichen Schulen, für die in Nordamerika,
fowohl von Seite der Staaten, als durch patriotifche Bürger, aufserordentlich viel
gefchieht, hat diefe Anftalt mit richtigem Verftändnifs erfafst und fich wefentliche
Verdienfte um fie erworben. Ucberfichtlich zufammengeftellte, fehr rein gravirte
und in Farben gedruckte Tableaux von Thieren und Pflanzen (ausgeftellt in der
amerikanifchen Schulabtheilung) lieferten den Beweis dafür. — Die Anftalt von
Duval & Hunter in Philadelphia, brachte gleichfalls ein gutes effe<5lvoIles See-
ftück und mehrere trefflich ausgeführte kleinere Bilder ; im Grofsen und Ganzen
aber herrfcht noch die Abficht, durch grelle Contrafte zu wirken, allzufehr vor,
und wird viel zu wenig Rückficht auf den künftlerifchen Werth der Originale
genonunen.
Die Schwarzlithographie war nur durch untergeordnete Arbeiten vertreten^
durchgehends ift grofse Sorgfalt auf d'e technifche Ausführung verwendet, die
Zeichnung und bei ornamentalen Arbeiten der Stil laffen dagegen Vieles zu
wünfchen übrig.
Die Übrigen amerikanifchen Staaten leiften in Bezug auf die Lithographie
nichts was über gewöhnliche Illuftrationszwecke hinausginge, und da find es meift
geologifche, boipnifche, hie und da auch ethnographifche Werke, welche damit aus-
geftattet find. — Rio Janeiro brachte z. B. in diefer Beziehung einige fleifsig aus-
geführte anerkennenswerthe Arbeiten. Die englifchen Colonien: Canada u. f. w.
hatten nichts ausgeftellt ; ob auch nichts gemacht wird, wiflen wir nicht, möchten
es jedoch kaum unbedingt verneinen.
Von Amerika lenken wir den Schritt nach England und fanden, wie wir
fchon oben erwähnt, den künftlerifchen Farbendruck vollftändig unvertreten
und auch den lUuftrations- und technifchen Druck nur in der Abtheilung für
Buchdruck auf eine kleine Anzahl von Obje<5len befchränkt. Diefe Lücke mufs
wahrhaft bedauert werden, denn der englifche Farbendruck, welcher von ganz
befonders günftigen Verhäliniffen getragen wird und in Folge deffen auch eine
ebenfo reiche als gediegene Produ<5lion zeigt, hätte den Fachmännern Gelegen-
heit zu lehrreichen Vergleichen und ernften, eingehenden Studien geboten; er
entwickelte fich ganz naturgemäfs aus der englifchen Waffermalerei, für deren
Pflege in London allein fünf Specialvereine beftehen, imitirte daher auch
zunächft die feltenften oder vorzüglichften Aquarelle und machte es dadurch
möglich, in jedem Salon, deffen Befitzer die fehr hohen Preife für die Original-
werke nicht bezahlen konnte oder wollte, wenigftens ein Album von Imitationen
derfelben aufzulegen, welche nur gewiegte Kenner von ihren Vorbildern zu unter-
fcheiden vermochten.
Eine weitere ebenfo natürliche Folge war die Imitation vorzüglicher
alter Gemälde; in England, wo die claffifchen Studien noch mit grofsem Eifer
gepflegt werden, fammelt man auch mit Vorliebe Gemälde alter Meifter; auf
diefem Gebiete find jedoch noch weniger Perfonen in der glücklichen Lage, ein
Lithographie und Chromographie. 15
Originalgemälde kaufen zu können und fo fuchte man denn auch in diefer
Richtung durch den Farbendruck einem vorhandenen Bediirfniffe abzuhelfen,
indem man ihre fchönften Werke fo treu als möglich imitirte. Der englifche
Farbendruck geniefst dabei den immenfen Vortheil, von einem unermefslichen,
feil organifirten Welthandel getragen zu werden und in Amerika, wie in Indien,
am Cap nicht minder, als inAuflralien, mit einem Worte, überall, wo der britifche
Untemehmungsgeift feine Facfloreien begründet hat, bereitwillige Aufnahme zu
guten Preifen zu finden; einerfeits vertheilt fich dadurch die Auflage eines
neuen Bildes rafch über die ganze civilifirte Welt und macht neuen Arbeiten
Platz und anderfeits erlauben die hohen Preife, welche für vorzügliche Arbeiten
bewilligt werden, die Verwendung ausgezeichneter Kundkräfte, denen eine faft
unbegrenzte Zahl von Farbenfleinen zur Verfügung geftellt werden kann; die
weitere Folge ifl dann eine fehr forgfältige Ausfuhrung und ein gefättigter Druck ,
der das kräftigfle Colorit, wie die zarteflen Lafuren wiederzugeben vermag. Doch
wir fprechen von Abwefenden I Das Wenige, was in der englifchen Abtheilung zu
fehen war, befchränkte fich auf einige Illuflrations- oder technifche Arbeiten, die
zwar fehr folid gemacht find, fich aber nirgends über das gewöhnliche Niveau
erheben.
Was die Verwendung der Lithographie für technifche und induflrielle
Zwecke betrifft, fo fleht unbeflritten Frankreich in erfter Linie, und zwar
fowohl was die Quantität als die Qualität der Arbeiten betrifft.
Das ganze weite Gebiet der alten und modernen Archite<5lur, alle Zweige
der Bautechnik und die damit im Zufammenhange flehenden Gewerbe, die
Tapeten-, Seiden- und Webmanufa<5lur, kurz Alles, was in diefen Richtungen einer
Erläuterung durch die zeichnenden Künfle bedarf, wird durch die Benützung der
Lithographie und fpeciell der Farbenlithographie mit den vortrefflichflen Vor-
lagen und Werken ausgeflattet. Dabei werden die verfchiedenen Methoden: die
Gravirung, Feder- und Kreidezeichnung, Chromo- und- Photolithographie mit dem
richtigflen VerfländnifTe angewendet. Alles greift genau in einander; die Zeichnung
ifb forgfältig, die Farbe klar und richtig. Eine aufmerkfame Durchficht der aus-
geflellten Objedle der Firmen Didot, Morel, Hachette, Rothfchild u. f. w.
wird unferen Ausfpruch, der die unbedingte Anerkennung fowohl für die aus-
führenden Organe als die Herausgeber enthält, gewifs in jeder Beziehung recht-
fertigen. Minder umfafTend und im Allgemeinen auch minder hervortretend ifl die
Imitation von Oelgemälden, obwohl auch in diefer Beziehung einzelne Leiflungen
von Hangard Mange, Dupuy u. A. ausgeflellt waren, welche die eminentefle
Technik mit dem forgfältigflen Druck verbanden. Das altberühmte Atelier von
Lemercier leiflet in Bezug auf den Schwarzdruck das möglichfl Vorzügliche,
und zwar in allen Manieren; die feinflen gefchabten Töne fowie alle.Künfller-
capricen, welche bei Verwendung der Wifchkreide, des Pinfels, oder der
Nadel zum Vorfchein kommen, find in voUfler Unmittelbarkeit wiedergegeben;
die Abdrücke zeigen das tieffle, fammtartige Schwarz neben den zarteflen Ueber-
gangstinten, kurz, es gereichte dem Fachmanne zur gröfsten Befriedigung, die
Expofition diefer Anflalt zu fludiren.
Ein in Paris vorzugsweife gepflegter Zweig des Farbendruckes befteht in
jenen Maffenartikeln, welche mittelfl der Schnellpreffe für die BedürfnifTe des
Verkehrs und der Induflrie, in unzähligen Nuancen geliefert werden , und zu
deren lithographifchen Herflellung ausnahmslos das oberwähnte Punktirverfahren
angewendet wird. — Diefe Artikel beflehen in Blumen, Ornamenten, Heiligen-
bildern u. f. w. und find in ihrer Art fafl durchgehends gut gemacht, wenn fie
auch auf den Rang wirklicher Kunflwerke nicht den geringflen Anfpruch haben ;
die Anflalten von Teflu& Mafsin, Baulaut ain6 zeichnen fich in diefer
Richtung vortheilhaft aus.
Portugal war durch einige kleine Reproducflionen älterer Werke vertreten,
während Spanien blofs einige Illuflrationsarbeiten ausgeflellt hatte und auch kaum
2
16 Conrad Grefe.
Anderes zu bieten haben dürfte, da die ewigen Bürgerkriege, wenig fördernd auf
künftlerifche Unternehmungen einwirken dürften.
Die Thätigkeit der Schwei z auf dem Gebiete der Lithographie ift in
eigentlich künftlerifcher Beziehung nicht bedeutend; die künftlerifche Technik ift
noch ganz unentwickelt, die Wahl der Originalgemälde unglücklich, und nur was
die Erzeugung von Mafsenartikeln, und zwar fpeciell religiöfen Genres, betrifft,
tritt die grofse und alte Anftalt der Gebrüder Benziger in dem Wallfahrtsorte
Einfiedeln bedeutfam hervor. Ausführung und Druck find nett, fleifsig und corre<5t
und erfüllen alle Anforderungen, welche an derartige Produ<5lionen billigerweife
geftellt werden können, in genügender Weife.
Der italienifche Farbendruck refpedlive deffen künftlerifche
Seite, war zunächft, und zwar in höchft anerkennender Weife durch die Anftalt
von B orzino Uliffes in Mailand, deffen Arbeiten zu den heften derAusftellung
zählten, vertreten ; treffliche Wahl der Gemälde, mit befonderer Berückfichtigung
der alten Meifter, äufserft forgfaltige, von genauem Verftändnifs des Originals
durchdrungene Lithographie, fatte, klare Farbe und eine feltene Weichheit der
Töne zeichnen fie fehr vortheilhaft aus; es ift eines der wenigen Ateliers, die eine
künftlerifch ausgebildete Technik in Anwendung bringen und die Originalgemälde
in jeder Beziehung vollkommen nachzubilden bemüht find. Andiefs Atelier fchliefst
fich die Societä olegraficain Bologna, welche fich bisher ausfchliefsend die
Reprodudlion älterer Meifterwerke, z. B. Francesca Francia, Guido Reni Dome-
nichino u. f. w. als Ziel gefetzt hat und dasfelbe mit zahlreichen künftlerifchen
Kräften und gutem Erfolge zu erreichen trachtet.
Was aufserdem von Italien an lithographifchen Arbeiten ausgeftellt wurden
bezieht fich zumeift auf wiffenfchaftliche und technifche Zwecke, worunter die
chromolithographifchen Tafeln zu dem Prachtwerke „Le face el Monumenti di
Pompeji" , fowie einige andere ähnliche Arbeiten, von Richter und GenaroDini
in Neapel, fehr vortheilhaft hervortraten.
Belgien war nur durch wenige, allerdings befriedigende Illuflrationsarbeiten
vertreten, dagegen hatte Holland ein umfaffendes Bild feiner Thätigkeit auf dem
Gebiete der künftlerifchen Chromolithographie entfaltet. Auch die Holländer
widmen fich mit Vorliebe ihren alten, grofsen Meiftern, die fie mit vieler Pietät,
wenn auch noch nicht immer mit dem beabfichtigten Erfolge nachbilden. Die
lithographifche Ausführung zeugt nämlich von vielem Fleifs und grofser Geduld,
läfst aber in Bezug auf das höhere Verfländnifs des Originales und die anzuwen-
dende Technik vieles zu wünfchen übrig. Es ift eben ein fehr fchwieriges Unter-
nehmen z. B. einen Rembrandt, diefen unübertroffenen Meifter des Hell-
dunkels, oder einen Pott er, bei welchem jeder Pinfeizug feine Bedeutung hat,
auf diefe Art in Farbendruck wiederzugeben. Da reicht das genaue Nachzeichnen
nicht aus ; es mufs auch die Farbe, der Ton und die Stimmung des Bildes, fowie
die Wirkung der auf einander folgenden Lafuren , denen compa(5le fatte Farben
unterliegen, forgfältig ftudirt uud berechnet werden, damit die Copie einen wirk-
lichen und nicht blofs einen annähernden Erfatz für das Original bietet. Doch
abgefehen von diefen , allerdings etwas weit gehenden Anforderungen, find z. B.
die Leiftungen der Amfterdamer Anftalt von T r e f s 1 i n g , fowohl was die Wahl
der Originalbilder als deren Nachbildung betrifft, fehr lobenswerth ; mindere Reful-
tate erzielten die lithographifchen Anftalten von A m a n o und B o o s in Amfterdam ;
doch hatten auch fie einige gute Bilder ausgeftellt. Die Schwarzdrucke der könig-
lichen Steindruckerei in Haag find forgfältig und nett lithographirt, auch rein
gedruckt, aber ohne befondere künftlerifche Bedeutung, dagegen ift ein Aetz-
verfuch von van Vorlag in Amfterdam, welcher durch fehr zart abgeftufte
Linirung und Aetzung drei Grundfarben in eine fehr grofse Menge von gebro-
chenen Farbentinten zu verwandeln beftrebt ift, ein Vorgang, der zwar an fich
nicht neu, doch in diefer ftrengen Syftematik noch kaum verfucht wurde, und für
technifche und induftrielle Arbeiten fehr nützlich werden könnte, wie nicht minder
Lithographie und Chromographie. 17
die photolithographifchen Arbeiten von A. S. Affer in Amfterdam, welche von
den gleichfalls ausgeftellten, geätzten Druckfteinen erläutert wurden, im hohen
Grade verdienfUich und beachtenswerth. Noch muffen wir hier ein grofses Werk
über Java, welches im Auftrage des holländifchen Colonialminifters ausgeführt
wurde und ein höchft intereffantes Bild diefer Perle unter den Sundainfeln fowohl
in naturhiftorifcher als elhnographifcher und architektonifcher Hinficht gibt, fehr
anerkennend hervorheben.
Wir gelangen nun mit unferen Betrachtungen zu dem Heimatlande des
Erfinders der Lithographie und des Farbendruckes, zum deutfchen Reiche.
Ein fehr bedauerlicher Mangel an Raum nöthigte die Commiffion, die ausgeftellten
Objeöle des letzterwähnten Kunftzweiges nicht nur arg zu zerfplittern,
fondem auch jede ruhige Betrachtung durch die vor und zwifchen (lebenden
mufikalifchenlnftrumente — anderer Terrainfchwierigkeiten gar nicht zu gedenken
— faft unmöglich zu machen. Um einen üeberblick aller ausgeftellten lithogra-
phifchen Arbeiten des deutfchen Reiches zu gewinnen, mufste nebft der Gruppe XU
auch die Ausftellung des deutfchen Buchhandels, fowie die deutfche Unterrichts-
abtheilung forgfältig durchforfcht werden. Was den eigentlichen Farbendruck
betrifft, fo muffen vor Allem die Leiftungen zweier Anftalten hervorgehoben werden,
und zwar jene von Gufbav Seitz in Hamburg wegen ihren Imitationen der
Werner'fchen Aquarellftudien und der von Wagner in Berlin, welche den
herrlichen Studienfchatz von Hildebrandt reproducirte. Beide Werke gehören
zu dem Vortrefflichften und Schönfben, was bisher an Aquarellimitationen durch
die Chromolithographie hervorgebracht wurde. Die Imitation von Oelgemälden
ifl zwar durch zahlreiche Anftalten, aber nicht in gleich hoher Vollendung ver-
treten, einige davon, wie z. B. Troit f che & Gerold in Berlin, Brandes in
Hannover und Weilandt in Düffeldorf, zeigen eine tüchtige Technik und in
Folge deffen manches gut ausgeführte, mitunter fogar vortreffliche Bild. Im Allge-
meinen jedoch laffen die meiften Anftalten ein höheres, zielbewufstes, künft-
lerifches Streben fowohl bezüglich der Wahl der Gemälde, als der Art ihrer
Durchführung verraiffen und befchränken fich meift darauf, mit vielem Aufwände
von Fleifs und Genauigkeit gewöhnliche Exportbilder ohne höheren Kunftwerth
nachzubilden.
Wenn wir hier dem Bedauern Ausdruck geben mufsten, dafs einer fo hoch
entwickelten Technik in der Regel keine entfprechenden Aufgaben geftellt werden,
fo muffen wir dagegen dem, was Deutfchland an Illuftrationsarbeiten und
darunter in erfter Linie zu poetifchen und wiffenfchaftlichen Zwecken ausgeftellt
hatte, unfere vollfte, unbedingtefte Anerkennung zollen; in diefer Beziehung dürfte
es den erften Rang unbeftritten einnehmen. Vorzügliche künftlerifche Kräfte
widmen fich, was die Compofition betrifft, diefen Aufgaben und fehr aufmerkfame,
forgfältig ausgebildete Lithographen Übertragen diefelben auf die Steine ; auch
zahlreiche Werke mit induftriellen Mufterblättern, gut und forgfältig ausgeführt,
wie nicht minder die verfchiedenften Vorlagsblätter und Erläuterungstafeln für
Unterrichtszwecke lagen vor und gaben Zeugnifs von der grofsen Leiftungs-
föhigkeit der lithographifchen Anftalten und von der aufserordentlichen Unter-
nehmungskraft des deutfchen Verlages.
Der Grundzug, welcher die gefammte lithographifche Produ<5lion Deutfch-
lands in diefen Richtungen charakterifirt, befteht nebft der obenerwähnten, echt
künftlerifchen Bafis in einer äufserft forgfältigen. Alles belebenden Detailaus-
führung, unter welcher allerdings in vielen Fällen der Gefammteffe<5l leidet.
Allein diefe forgfaltige Ausführung hat einen grofsen Reiz und entfteht in den
meiften Fällen aus der fehr gründlichen Fachbildung der Lithographen, denen
wieder ein Stamm mit tüchtiger Schulbildung ausgerüfteter Drucker zur Seite fteht.
Diefe Gediegenheit der ausführenden Kräfte ift auch die Urfache, dafs
man in allen lithographifchen Anftalten der Welt, felbft in England und Amerika,
zahlreiche deutfche Lithographen und Drucker findet.
2*
18 Conrad Grefe.
Unter den zahlreichen Verfuchen, welche in Deutfchland zur Verbefferung
oder Vereinfachung der Chromolithographie gemacht wurden, würde der von
Julius Greth in Berlin unternommene und Stcnochromie benannte wohl die
radicalften Folgen nach fich ziehen, vorausgefetzt, dafs er fich in der praktifchen
Verwendung bewähren follte, wofür freilich zur Zeit noch die Beweife ausftehen.
Diefe Methode bezweckt durch ein eigenthtimliches Verfahren, alle Grundfarben
eines Bildes auf einen Stein zu zeichnen und auch auf einmal zu drucken ; diefer
Druck, welcher gewiffermafsen die Stelle der Untermalung eines Bildes einnehmen
foU, würde dann — nach dem Programme — mit 2 bis 3 Lafurfteinen vollendet
werden. Die Sache ift jedenfalls intereffant und mufs im Auge behalten werden.
Eine andere, bereits mehr bewährte Methode, die einzelnen Farbentöne auf
Papier zu zeichnen und von diefem auf die Steine umzudrucken, wird bereits von
mehreren Anflalten mit recht gutem Erfolge angewendet.
Wenn Frankreich durch feine grofsartigen lithographifchen Leiflungen
auf dem Gebiete der Technik und Induftrie, fowie durch die Schönheit und Gedie-
genheit feiner Schwarzlithographien, Deutfchland durch feinen Reichthum an
Jlluilrationsarbeiten und die Vortrefflichkeit feiner Aquarellimitationen hervorragt,
fo dominirt dagegen Oefterreich oder, richtiger gefagt, Wien, auf das entfchie-
dende durch feine Oelgemälde-Imitationen, und zwar fowohl durch ihre folide,
von allen Hilfsmitteln der Technik unterflützte Ausführung, wie durch die echt
künftlerifche Tendenz, welche bei der Auswahl der nachzubildenden Gemälde vor-
herrfcht. Selbftverftändlich wurde diefe Abtheilung der XII. Gruppe amreichften
und vollftändigftenbefchicktund, da fie von guter Beleuchtung und fehr ausgiebigem
Räume unterftützt war, auch in der ehrgeizigen Opferwilligkeit der Ausfteller eine
mächtige Förderung fand, gedaltete fie fich auch zu der am gefchmackvollflen und
Überfichtlichflen arrangirten; fie gewährte den Anblick einer kleinen Kunftaus-
ilellung.
Was nun die ausgefeilten Arbeiten felbft betrifift, fo haben wir bereits
darauf hingewiefen, dafs der Schwerpunkt derfelben in die Nachbildung vonOel-
gemälden fiel.
Wir haben bei der Einleitung diefer Befprechung erwähnt, dafs fich die
Chromolithographie an die gröfsten Werke der alten Meifter wagt und find bei
Engländern, Franzofen, Italienern und Holländern mit mehr oder minder Erfolg
diefen lobenswerthen Verfuchen begegnet; am weiteften gingen jedoch in diefer
Richtung die Wiener Künftler und lithographifchen Anftalten, von denen beifpiels-
weife die Firma Reiffenftein & Röfch das berühmte Gemälde von Tizian
„Madonna mit den Kirfchen" aus der kaiferlichen Gallerie im Belvedere, in der
Gröfse des Originales, alfo über 40 Wiener Zoll breit, chromolithographifch nach-
bilden liefs und fowohl durch den Eifer des ausführenden Künillers wie durch die
grofse Sorgfalt der Druckerei ein in jeder Beziehung zufriedenftellendes und unter
allen Umlländen höchd verdienftliches Refultat erzielte.
Sowohl diefe Anftalt, wie jene von Holze 1, Patern o, Haupt und
Czeiger.Katzianer, dann das mit der grofsen neubegründeten Kunftanftalt von
Leop. Sommer & Comp, vereinigte, artiftifche Atelier von Conrad Grefe, ver-
folgen fammtlich die Richtung, fo viel als nur irgend möglich, die bedeutendfteu
oder doch mindeflens fehr vorzüglichen Werke moderner oder claffifcher Meifter
mittelft der Lithographie dem grofsen Publicum zugänglich zu machen. Viele
diefer Leiftungen find von wahrhaft künftlerifchem Geifte durchdrungen und
zeigen in jeder Beziehung eine feltene Vollendung.
Die vereinigten Anftalten von Grefe & L. Sommer, fowie jene von
Reiffenftein & Röfch vertraten ' auch die Aquarellimitation, durch mehr
als 200 Blätter, und zwar erftere durch die grofsen Prachtwerke über die
deutfchen Alpen, Egypten, Rofen u. f. w., letztere unter andern durch
das hochintereflante Werk über die Balearen.
Lithographie und Chromographie. 19
Der Schwarzdruck, infofeme es fich dabei um künftlerifche Leiftungen
handelt, tritt allenthalben und fomit auch in Wien mehr und mehr gegen den
Farbendruck zurück, woran wohl in eriler Linie der herrfchende Gefchmack die
Schuld trägt. Was jedoch in diefer Richtung von Reiffenftein, Haupt und
Anderen ausgeftellt war, zeigte eine gleich hohe Stufe technifcher Vollendung, wie
wir fie bei Lemercier in Paris trafen.
Grofse induftrielle Werke, wie wir fie in der franzöfifchen Abtheilung fo
zahlreich fanden, oder literarifche Illuftrationsarbeiten, von denen Deutfchland
fo Vieles und Reizendes bietet, waren in der öfterreichifchen Abtheilung nur fehr
fpärlich zu finden, weil eben die Anregung und der Untemehmungsgeift dazu fehlt;
beffer ift es mit den wiflenfchaftlichen lUuftrationen undmit den Unterrichtsarbeiten
beftellt. Die Tafeln der geologifchen Reichsanilalt von Grefe und Haupt und
die grofsen medicinifchen Werke der kaiferlichen Staatsdruckerei von Dr. Heiz-
mann, das fchöne Werk über die Aroiceen von Reiffenftein & Röfch, die
anthropologifchen Tafeln von Gerhardt, fowie die Arbeiten für Unterrichtszwecke
von Hartinger und Hölzel, nebft manchen Anderen zeugen von eifrigem
Vorwärtsftreben und lalTen ahnen, was unter günftigen Verhältniffen geleiftet
werden könnte.
Die kaiferliche Staatsdruckerei hat jetzt keinen eigenen Kunftverlag mehr
und in Folge deffen auch wenig Neues ausgeftellt, was diefe Anftalt jedoch im
Auftrag von privaten und öffentlichen Anftalten ausführt, ift in hohem Grade
lobenswerth.
Die übrigen rein technifchen und mercantilen Zweige der Lithographie,
inclufive der Autographie waren durch eine Anzahl Wiener und Provinzanftalten
in fehr anerkennenswerther Weife vertreten ,* nur entbehren die ornamentalen
Arbeiten in vielenFällen , fo zierlich und forgfaltig fie auch ausgeführt find,
in Bezug auf Stil und Compofition jener Ausbildung, welche fonft die Arbeiten
anderer Wiener Kunftgewerbe zeigen.
- Das mit Oefterreich eng verknüpfte Ungarn hat, obgleich es eine Anzahl
fehr ausgezeichneter Künftler befitzt, bisher das Feld der höheren Litho-
graphie noch wenig verfucht ; dagegen ihre übrigen Zweige mit einzelnen aner-
kennenswerthen Arbeiten vertreten.
Derfelbe Charakterzug tritt übrigens immer marcanter hervor, je mehr man
gegen den Often der alten Welt vorfchreitet; Rufs 1 and befitzt zwar noch in
Petersburg die tüchtig geleitete Anftalt von B r a e f e, welche ein in Zeichnung
und Druck fehr gelungenes Bild ausftellte, nebft der Firma G 1 i b o w, die einige
gut gezeichnete Hluftrationswerke brachte, es befitzt ferner zur Erzeugung von
Kirchenbildern in Kiew eine ganz gute, jedoch von deutfchen und fchweizer
Lithographen und Druqkern eingerichtete und geleitete Anftalt und fchliefslich
hat die lithographifche Anftalt von ^ajana in Warfchau einen trefflich aus-
geführten Flügelaltar, nebft einigen guten S'chwarzdrucken ausgeftellt; allein
all'diefs ift denn doch ein geringes Refultat für ein fo grofses aufftrebendes Reich.
Der Orient endlich war nur fporadifch durch einzelne Anftalten vertreten
und auch diefe find nicht von Einheimifchen , fondem von Europäern begründet
und geleitet, wie z.B inAlexandrien, ohne jedoch irgendwie eine hervor-
ragende Stelle einzunehmen; die orientalifchen Sitten und Gewohnheiten wider-
ftreben bis jetzt noch dem in Europa fo allgemeinen Bedtirfniffe, fich mit Kunft-
werken zu umgeben und fpeciell unfere figuralifchen Darftellungen find dadurch
faft ganz ausgefchloffen.
Vereinigen wir noch einmal im Geifte all' die im Weltausftellungspalafte
zerftreuten Leiftungen der Lithographie, ergänzen wir fie auf demfelben Wege
mit den nicht ausgeftellten, aber doch in der Kunftwelt bekannten, und ziehen wir
dann eine Parallele mit ihren Standpunkte zur Zeit der letzten Parifer Weltaus-
ftellung, fo erkennen wir folgende Refultate.
^ ' ^-^
20 Conrad Grefe. Lithographie und Chromographie.
Kräftiges Erfaffen der künftlerifchen Aufgabe der Lithographie und
daraus refultirende grofse ProdudlioninG emälde-Imitationen, worunter
zwar viele unbedeutende, aber auch eine fehr grofse Zahl höchfl vorzüglicher von
echt künfUerifchem Geifte durchdrungener Arbeiten fich befinden.
Weiteres Fortfehreiten in der Erkenntnifs und Befriedigung der wiffen
fchaftlichen, Unterrichts- und induflriellen Bedürfniffe, und zwar hat diefer Fort-
fchritt in einigen Ländern bereits zu fehr bedeutenden Erfolgen im grofsen Mafs-
flabe geführt, während man in dem Uebrigen wenigftens einzelnes Tüchtige her-
vorbrachte und die Kräfte zu gröfserer Thätigkeit fammelte.
Eine aus den fehr gefteigerten Verkehrsverhältniffen entfpringende
malTenhafte Produdlion für mercantile Zwecke.
Einige wenige Verbefferungen an der Handprefle, dagegen grofse
Erfolge im Bau der Schnellpreffe.
Nun mufs auf Grundlage diefer Fortfehritte mit dem Aufgebote aller
geiftigen und technifchen Mittel rüftig weiter gearbeitet, die noch beftehenden
Mängel klar erkannt und das Hauptaugenmerk auf die Heranziehung tüchtiger
Künftler und die höhere Ausbildung des Druckerperfonales gerichtet wer-
den, damit bei der nächflen Weltausftellung in Philadelphia die Kunfl
der Steinzeichnung, fo wie der Druck derfelben diefe Ziele erreicht hat und frifch
gekräftigt, dem alten ehrwürdigen Stamme der graphifchen Kttnile : dem Kupfer-
ftich, in voller Ebenbürtigkeit zur Seite ftehen kann.
Es war unfere Abficht, diefer Befprechung eine tabellarifche Ueberficht
fammtlicher bedeutender lithographifchen Anftälten der ausftellenden Staaten
beizufügen und wir verfendeten defshalb an alle diefe Anflalten die entfprechenden
Fragebögen, mit dem Erfuchen, fie ausfüllen und zurückfenden zu wollen ; allein,
ungeachtet wir diefem Erfuchen fpäter eine abermalige Mahnung nachfen-
deten, gelangten doch kaum von der Hälfte der Eingeladenen Antwortfehreiben
zurück.
Da unter folchen Umfländen eine voUftändige Ueberficht nicht zu geben,
ein Bruchftück jedoch ohne Nutzen wäre, fo mufste diefe Idee aufgegeben werden,
jedoch mit dem Vorbehalte, fpäter, wenn das fehlende Materiale etwa doch noch
einlaufen foUte, es in einer paffenden Form nachträglich zu veröffentlichen.
OFFICIELLER
AUSSTELLUNGS-BERICHT
liERAUSGSGEBEN DURCH DIE
GENERAL-DIRPXTION DER WELTAUSSTELLUNG
18 7 3
UNTER KEDACTION VON DR. CARL TH. RICHTER, K. K. O. Ö. PROFESSOR IN PRAG.
GRAVEUR. UND GUILLOCHIRARBEITEN.
(Gruppe XII, Seotion 3 nnd Gruppe XXV c.)
Bericht von
J. SCHWERDTNER
Craveur in W^ien.
PHOTOGRAPHIE.
(Gruppe XII, Section 4.)
Bericht von
Josef Löwy,
■C-. k. Ho/Photo^raph in Wien.
MUSTERZ E ICHNUNGEN UND DECORAT I ONS
IVIALEREI.
(Gruppe XII, Section 6.)
Bericht von
F. L 1 E B ,
Fro/eCior in W/tn:.
W I E N
DRUCK UND VERLAC; PER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
1873-
GRAVEUR- UND GUILLOCHIR-ARBEITEN.
(Gruppe XII, Section 14 nnd Gruppe XXV c.)
Bericht von
J. SCHWERDTNER,
Graveur in IVien,
Graviren. eingraben, vertiefen, einfchneiden, das heifst Zeichnen, eine
Zeichnung oder Verzierung in einen Gegenftand vertieft einfchneiden, ifl die ältefte
aller Kunfthantirungen und die Mutter der BildhauerKunft.
Beinahe in jedem Menfchen wohnt der Trieb zu diefer Hantirung mehr
oder minder, und es bedarf nur einer geringen äufseren Veranlaffung, um diefem
Triebe zu folgen und nach Bedürfnifs mindeflens den Verfuch im Graviren mit
einem oftmals primitiven Werkzeuge zu wagen. So lange die Welt fleht, haben die
Menfchen gravirt, und unfer Auge hat fich an gravirte Gegenftände fo gewöhnt,
dafs wir täglich Hunderte von Malen mit Gravirungen in nahe Berührung kommen,
ohne es zu bemerken. Ein Blick in unfere Mufeen und Sammlungen, welche Haus-
geräthe , Waffen etc. längft verftorbener CulturvÖlker bergen, belehrt uns, dafs
zu allen Zeiten der Menfch diefe Arbeit gekannt und ausgeübt, und wenn wir den
Lauf der Jahrhunderte weiter verfolgen, fo bietet fich beinahe bei jedem Gegen-
ftände Gelegenheit, um die Ausbildung in diefer Hantirung zu conftatiren. Noch
ehe man fo weit gelangte, Geldzeicheti von Leder zu machen, waren fchon einge-
grabene Zeichen und Verzierungen am Hausgeräth, waren Markfleine u f. w. mit
Eingrabungen oder Gravirungen verfehen.
Die fpäter auftauchenden Münzen, erll gefchlagen, dann mit der Preffe
geprägt, bezeugen den Fortfehritt im Graviren. Die alten Egypter, die Griechen
und Römer, die Byzantiner u. f. w. haben uns Material in Menge für den Beweis
des Gefagten überlaffen, und wir muffen ftaunen über die fortfchreitende Bewegung,
wenn wir die Kunft des Gravirens von heute vergleichen mit den Arbeiten längft
vergangener Jahrhunderte. Manche Kunfttechnik der Alten ift verloren gegangen,
und ift als neue Erfindung nach Jahrhunderten erft wieder aufgetaucht.
Wie hat der nimmermüde Schaffensgeift des Menfchen jede Gelegenheit
benützt, um' auch der Kunft des Gravirens neue Seiten abzugewinnen, — den Byzan-
tinern wird nachgerühmt, dafs fie die erften Emailarbeiten gemacht.
Diefe Emailirkunft, bis zum heutigen Tage mit der Metall-Kunftinduftrie
vereint, entftand nur aus dem Beftreben, vertiefte Zeichnungen oder Gravirungen
beffer zu markiren, indem man diefelben mit einer dunkler gefärbten Maffe aus-
füllte, als die Oberfläche des gravirten Gegenftandes war, und fomit eine gleich-
mäfsige Fläche gewann, welche die Zeichnung wie gemalt, aber unverwüftlich
erfcheinen liefs. Anfangs waren diefe Emailirungen undurchfichtigerFarbenfchmelz,
fpäter jedoch wurden diefelben durchfichtig gefertigt, wie mit farbigem durch-
fichtigen Glafe ausgefüllt. Der Reiz, welcher in diefen Farben lag, gab den
Künftlem Gelegenheit zu einem Studium , das bis zum heutigen Tage mit Glück
verfolgt worden ift.
2 J. Schwerdincr.
Die Emailarbeiten der Japanefen, welche heute noch gerechtes Auffehcn
erregen, fjnd in derfelben Manier (Zellenemail) gearbeitet und find in ihrer
Art vollkommen.
Aus dem Beflreben, Gravirungen mit Email auszuffillen, um die Zeichnung
derfelben fichtbarer zu machen, entftand auch die taufchirte Arbeit, eine von den
vielen Abzweigungen des Gravirens, welche fich jedoch nur darauf befchränkt,
edle Metalle in unedle, z. B. Gold und Silber in Eifen, einzulegen. Diefes Verfahren
wurde hauptfächlich zur Verzierung von Waffen angewendet und blühte im Mittel-
alter und zu Anfang der Renaiffance.
Neben der Erzeugung der taufchirten Gravirung, blühte zur felben Zeit
die getriebene Arbeit. Die getriebene Arbeit ifl eine eigene felbfkftändige Kunll-
fertigkeit, welche fich die Aufgabe geflellt, aus flachem Blech, gleichviel ob von
edlem Metall oder von Eifen, Figuren en basrelief oder auch haut-relief mitte'Jl
des Hammers und eine.'i Werkzeuges, Punzen genannt, aufzutreiben. Man braucht
nur bei diefen Arbeiten an Benvenuto Cellini zu denken, um den künfllerifchen
Werth diefes Faches zu ermelTen.
Ein neuer Zweig des Gravirens wurde im XV. Jahrhunderte von Johannes
Guttenberg ins Leben gerufen, und zwar die Gravirung der Original-
Lettern in Stahl für den Schriftgufs, und als Abzweigung entftand der heute in
Gebrauch ftehende Farbdruckftempel mit feftftehenden, erhaben gravirten Let-
tern. Die folgende Abzweigung ill der Schriftgufs in MelTing für den Gebrauch
der Buchbinder, um zufammengefetzte Schriften in Gold auf Buchdecken zu drucken.
Jiis zum XVII Jahrhunderte war die Gravirung von Petfchaften und die
Steingravirung in den Händen der Goldfchmiede. Ein Siegel aus diefcr Zeit
(1610) im Befitze des Mufeums Francisco Carolinum in Linz hat folgende, dem
Auge kaum fichtbare Schrift an der Randgravirung : „Abraham Seh warz Gold-
fchmieder und Wappen Steinfehneider Conterfeter in Wax vnd Stackel" A. E. 60,
nebenbei gefagt, die befte Arbeit im Siegelfache und noch heute muftergiltig.
Bei Theilung der Arbeit ift nun in unferem Jahrhunderte, der Münz- oder
Medaillen- Graveur, der Cifcleur, der Goldgraveur für Bijouterie-Arbeit, der Siegel-
Wappen und Schriftgraveur, der Graveur für Email und der Steingraveur,
Arbeiter in einer Branche geworden, um den Anforderungen der Zeit gerecht
werden zu können. Mit dem fortfchreitenden Luxus hat die Zeit auch noch Glas-
graveure, Guillocheure, Graveure für Buchbinder, Stanzengraveure fiir Prägung
von leichten Goldwaaren, Cameengraveure(Mufchelcameen), Schrift- und Stempel -
graveure Chablonengraveure und Metallographen gefchaffen, welche, der Kunll-
induftrie angehörend, auch nur fürKunftinduftrie-Etabliffements thätig fein können
und demherrfchendenGefchmacke und der Mode ihre Arbeiten unterwerfen muffen.
Durchfchritt man die Räume der Wiener Weltausftellung, fo konnte man leicht
eine Menge von Gravirungen, welche theils der Kunftinduflrie unterthänig, theils
befonderen Zwecken für den täglichen Gebrauch dienen, treffen, neben anderen,
die reine Kunftwerke, und nur um der Kunft willen gefchalTcn
Um nun die verfchiedenen Bewegungen und Veränderungen, welche nicht
nur die herrfchenden Moden und der Luxus hervorbringen, genau verfolgen zu
können, erfcheint es geboten, jede Gravirungstechnik für fich zu befprechen,
um jede Veränderung genau conftatiren zu können. Seit den Ausftellungen in
London und Paris hat fich fo Manches zu Gunften der Kunftinduftrie geändert
und find die günftigen Refultatc, welche die Ausftellungen hinfichtlich der
Gefchmacksveredlung hervorgerufen, aufser allem Zweifel. Wenn nun noch der
Einflufs hinzugerechnet wird, welchen die verfchiedenen Kunftgewerbe-Schulen
auf alle Zweige der Kunftinduftrie ausgeübt haben, fo wird man wohl begreifen.
dafs diefer Einflufs auch auf alle Zweige der Gravirung fich bemerkbar
macht, und allfeitig das Streben BefTeres zu leiften und mit der ftillofen Vergan-
genheit zu brechen, fühlbar ift; es daher nur einer gewiflenhaften Pflege des guten
(iefchmackes bedarf, um noch höhere Ziele zu erreichen.
liraveur- und (imlhcliirraleitc
Medaillengravirung.
Bei Beurtheilung von Gravirungen. welche auf der Wiener Weltaiisflellung
<!en Kefucher zu feffeln im Stande waren, mufs wohl die vorerwähnte Methode die
Abzweigungen, die verfchiedenen Techniken einzeln zu befprechen, als eine
Nothwendigkeit angefehen werden. In eifler Linie follen die wirklichen Kunfl-
l'jiftungen befprochen werden, welche desKünfllers eigene Compofition be('ängen
vnd, nur vom Gefchmack und der Technik abhängig, als Kunftleiflungen gelten
können. Als Künftler, als Auserwählter erfcheint jedoch unter den Graveuren nur
der Medailleur. Die MedaiUen-Gravirung hat jedoch feit Jahren nur mehr
eine geringe Zahl von Liebhabern nachzuweifen, welche Medaillen farameln, daher
0:c Vertreter diefer Kunfl zumeifl in den verfchiedenen Münzwerken der Staaten
eine Anflellung fuchen müflen, um ihre leider zu wenig beachtete Kunfl ausüben
zu können. Männer von wirklichem Beruf find daher nur wenige zu verzeichnen,
und die grofse Menge erfahrt auch feiten etwas von ihnen, da gröfsere Aufgaben
zur Zeit feiten geworden. Nur eine Weltausflellung in ihrer Kunflabtheilung ifl
im Stande, die Namen diefer Künfller dem Publium geläufig zu machen.
Sowie durch die Vertheilung der Preismedaillen der letzten Parifer Au>
ftcllung der Name H. Ponscarme in allen Welttheilen bekannt wurde, ebenlo
V. ird heute der Name eines jungen Wiener Künfllers, des Kammermedailleurs
Jofef Tautenhay n, in alle Winde getragen, da ihm die Anfertigung der Medail-
len fiir die Wiener W^eltausftellung 1873, d. i. die Medaille für Kunfl, die Fort-
fchrittsmedaille, mit dem wohlgetrofl'enen Porträt Seiner Majeftät für jede
Aver.«feite übertragen wurde. In diefen Ruhm theilen fich noch andere Künfller.
Für die Anfertigung der Medaille für guten Gefchmack nach Zeichnungen von
iTofefTor Cäfar und Veyr wurde Leiffek aus Wien, die Medaille für Ver-
dienft und die Mitarbeitermedaille Carl Schwenzer aus W^ürttemberg übertraj;en.
Die Leiflungen diefer Genannten entziehen fich jeder weiteren Kritik, indem
ihnen ilie allgemeine Aberkennung fchon zu Theil geworden.
Haben fie doch fchon einen Sieg errungen über ihre Collegen bei Gelegen-
heit des zur Anfertigung derW^eltausflellungs-Medaillen ausgefchriebepen Concurfe.-»,
durch ihre Einfendung der modellirten Skizzen zu den nun ausgeführten Medaillen.
In der öflerreichifchen Abtheilung der Kunflhalle haben nur J. Tauten
hayn, A. Scharfund F". Leiffek ihre vorzüglichen Arbeiten ausgeflellt, und
als Vertreter der Graveurfchule der k. k. Akademie der bildenden Künfle hat
l'rofeffor Radnitzki feine grofse Prinz Eugenmedaille hinzugefügt. Man über-
blickt daher mit einem Male die Leiflungen eines Theiles der Medailleurkunü
Wien's und kann mit leichtem Herzen diefer Schule zu ihren Erfolgen gratulircn,
wenn man diefelben mit den Leiflungen der anderen Länder vergleicht.
Dem Berichterflatter über Gravirungen wurde fein Amt dadurch erfchwert.
c.nU die Graveurarbeiten aller Länder erfl aufgefucht werden mufsten, daher ein
Vergleich der ausländifchen Arbeiten mit den Leiflungen der öflerreichifchen
Ausfleller oft nahezu unmöglich gemacht war. Diefs war am fühlbarflen beiBeurthei
lung der ausgeflellten Medaillen. Da die Graveure für ihre Ausflellungen befon-
f-tres Licht verlangen, aber nicht immer der geeignete Platz unter ausgeflellten
Bildern möglich ifl, die Räume vor den F'enflern mit direcfl einfallendem Lichte nur
verwendet werden können , fo wird es auch dem Arrangeur einer Ausflellung
immer fchwierig fein, felbfl mit bcflem Willen den Wünfchcn der Ausfleller
gerecht zu werden. Mangel an Verfländnifs und geringes InterelTe an Arbeiten,
welche zur Befichtigung eines guten Auges bedürfen, haben diefe Arbeiten immer
bei Seite gefchoben und dem Fache nicht jene Rückficht zugewendet , die c-^
Terdient. Zum Glück für die Kunfl überhaupt hat fich jede Species feine Freunde
erhalten und fo wurde auch dieMedailleurkunfl nicht unbeachtet in ihrem Winkel
gelaffen, fondern von ihren Freunden, wie von Laien auftrefucht und bewundert.
4 J. Schwerdtncr.
Auch foU hier an diefer Stelle nicht unberührt gelaflen werden, dafs man
bei der Beurtheilung der Medaillenarbeiten von Seite der Jury wie der Aus-
ftellungs-Commiffionen nicht recht im Klaren war, ob der Medailleur in der Kunfl-
hallc oder in der Gruppe XII, graphifche Künfte, untergebracht und beurtheilt
werden foU. Wir fahen nämlich die fonfl in Gruppe XII ausgeflellten Cameen-Gra-
virungen auch in derKunflhalle (Italien), kunftvoUe Flachgravirungen ebendafelbft,
während diefe beiden Branchen in Frankreich und Deutfchland unter den Gold-
waaren , in Oefterreich aber in der Gruppe XII erfchienen. Wir fahen in der
Kunfthalle (Italien) Medaillen, ausgeflellt von II. Bianchi und Pierrone in
Rom, welche der Beurtheilung der Gruppe XII unterworfen und mit dem Aner-
kennungs-Diplome ausgezeichnet wurden, während die Ausfteller anderer Länder
mit der Kunftmedaille ausgezeichnet erfcheinen.
Bianchi in Rom war einer der bedeutendften Architektur-Medailleure,
wekher in Paris 1867 mit feinen auch hier ausgeflellten Arbeiten: Innere Anficht
der Peterskirche und der Bafilika etc., die Aufmerkfamkeit der Befucher der Aus-
ftellung auf fich lenkte.
Die in einer entlegenen Ecke der Kunfthalle untergebrachte Kupferflich
Ausftellung Englands hat auch die Medaillenausftellungvon A. B. und J. J. Wyon
und G. Adams und F. Morgan gaftlich aufgenommen. Von Erfle rem fahen
wir nicht nur vorzüglich gravirte Medaillen in grofser Anzahl mit Porträts,
allegorifchen Figuren und Wappen, fondern auch diverfe Abdrücke der grofsen
Staatsflegel von England , die Königin Vicfloria zu Pferde , die Königin thronend
zwifchen der Justitia und Religion ; das Staatsfiegel von Canada und die beiden
Abdrücke der Siegel Sr. k. Hoheit des Prinzen Wales. Diefe Siegel find im
altgothifchen Stile gravirt, von aufserordentlicher Schönheit und fanden nicht
ihres Gleichen auf der Ausftellung. Die beiden letztgenannten Medailleure zeigten
diefelbe vorzügliche Schule.
Das deutfche Reich hat fich verhältnifsmäfsig wenig an der Ausftellung
betheiligt. Wir fahen nur von Schnitz fp ahn, ProfelTor in Darmftadt, fchöne
Modelle von Gypsabgüffen und Medaillen in Bronce, und von Weigand in
Berlin Medaillen in fchöner, reiner Arbeit, welche den erfteren Arbeiten nicht viel
nachftehen.
Belgien hat im Medaillenfache bedeutende Vertreter in der Kunfthalle in
Charles Wiener, Lepold Wiener und Jaques Wiener, Letzterer mit vor-
züglichen Architektur-Gravirungen das Auge des Befchauers feffelnd. E. Geerts
hat neben Broncemedaillen auch Porträts in Marmor gemeifselt zur Ausftellung
gebracht, welche erwähnt zu werden verdienen.
Die Schweizer Abtheilung brachte die Arbeiten von Bowy, einige fchöne
Modellirungen und die Redu<5lion derfelben auf Medaillen mittelft der Mafchine.
Frankreich war feinem Ruhme nach fchlecht und fchwach vertreten.
Alphee D u b o i s war dort der bedeutendfte Vertreter und hatte Abgüffe und
Modellirungen und die Redu(5lion auf Medaillen mit der Mafchine.
Bei diefer Gelegenheit fei einer Erfindung gedacht, welche im Stande ift,
einen ungeheuren Umfchwung in der Medaillengravirung hervorzurufen. Vor
zehn Jahren wurde in Frankreich eine Mafchine erfunden , welche die bekannte
numismatifche Redudlionsmafchine und die Siegel-Bohrmafchine vereinigte und
fomit eine hart in Metall gegoflene Modellirung auf die Stahlftanze übertrug und
die Stichelführung der Hand beinahe gänzlich entbehrte. Seit der letzten Parifer
Ausftellung, auf der diefe Mafchine exponirt war, hat diefe Mafchinengravirung in
vielen Staaten Eingang gefunden und wurden mir folgende Daten bekannt:
W^yon in London, Alphee Dubois, F. Kertopy und E. Ferret in
Frankreich, Bowy in der Schweiz. Schwenzer, derzeit in Wien, Schnitz
fpahn in Darmftadt, Schiller in Stuttgart bedienen fich mit Erfolg diefe
Mafchine. Es ift dem Schreiber diefer Zeilen unbekannt, ob die kaiferliche Münz,
im Befitze diefer Mafchine ift ; die Arbeiten der Wiener Medailleure aber find Hand
Graveur, und Guillochirarbeiten. 5
arbeiten und werden nach der älteften Methode , nämlich in der Tiefe gravirt, in
den feltenften Fällen auf Stahl erhaben gefchnitten. Es ifl fomit nachgewiefen, dafs
fich die Arbeiten der Wiener Schule noch immer als Kunflwerke beurtheilen lafTen
können, während die Arbeiten des Auslandes, fo vorzüglich fie auch fein mögen,
nicht mehr als Gravirungen, fondern als Modellirungen beurtheilt werden muffen.
Man wird hier einwenden, dafs, wenn die Modellirung eine rein künftlerifche Arbeit,
die mit der Mafchine gefertigte Gravirung doch auch denfelben künftlerifchen
Mafsilab verlange, da bis heute die Erlernung der Gravirungstechnik eine bedeu-
tende Zeit und Uebung in Anfpruch nahm, und man neben Modellirung allerwärts
dem Schüler immer die einzige claffifche Methode in der Tiefe zu graviren , bei-
zubringen trachtete. Wenn die Mafchine auch diefe Technik , den letzten Reft
von künftlerifcher Kraft, den Graveur zu verdrängen im Stande ift und die
Mechanik an die Stelle diefer Technik tritt, fo ift der Medailleur von heute fehr
zu beklagen, da es fich dann nimmer um die Begabung , fondem mehr um den
BeHtz der Mafchine handelt.
Es wird die Einführung und Anwendung der Mafchine wohl noch lange in
Oefterreich auf fich warten laffen und bis diefs gefchieht , erfreuen wir uns an
den Refultaten unferer Kunftfchule und an den hervorragenden Arbeiten unferer
Wiener Künftler, welche bis heute die claffifche Gravirung gepflegt und vertreten
haben , und welche fich auch auf der Wiener Ausftellung gegenüber den aus-
ländifchen Arbeiten eine hohe Anerkennung zu verfchaffen wufsten.
Siegel-, Wappen- und Schriftgravirung.
Die Gravirung von Siegeln und Schriften war bis zum XVIII. Jahr-
hunderte noch ein Privilegium der Goldfchmiede und es find uns Hunderte
der vorzüglichften Arbeiten im Siegelfache vom XIV. bis zum XVIII. Jahrhunderte
erhalten worden, welche Zeugnifs geben von dem gediegenften Gefchmacke und
der voUendetften Durchführung. Viele diefer Meifter find bekannt, und es ift nicht
Aufgabe diefer Zeilen, ihre Namen aufzuzählen, aber dem Freunde der modernen
Siegel-Stechkunft mufs es auffallen, dafs feit der letzten Ausftellung in Paris fich
eine auffallende Lücke in der Siegelgravirung zeigt. Die Siegespalme im Siegel-
fache wurde auf der Ausftellung in Paris dem nunmehr verftorbenen Graveur
Bimböck in München ertheilt, welcher nicht nur die heften heraldifchen
Arbeiten ausftellte, fondern auch in der Ausführung der kleinften Details eine
unerreichbar gefchienene Technik zeigte. Befondere Aufmerkfamkeit erregte er
durch die kaiferlich ruffifchen Staatsfiegel, und mit Bimböck dürfte wohl der
genialfte Graveur im Wappenfache zu Grabe gegangen fein.
Es fehlte wohl auf der Ausftellung in Wien nicht an Vertretern der Siegel-
Stechkunft, diefelben reichen jedoch weder im Gefchmack noch in der Technik
an Bimböck hinan. Diefs hat feine eigenen Urfachen. Das Siegeln der Briefe mit
Lack kommt mehr und mehr aufser Gebrauch, und die Sucht, dem Publicum jede
mögliche Bequemlichkeit zu bieten, hat zum Schaden der eigentlichen Siegel-
Stechkunft eine Menge Surrogate erfunden, welche, da diefelben als Modeartikel
angefehen werden, vom Publicum mit befonderer Vorliebe gebraucht werden.
Als im Jahre 1840 durch ausländifche Luxus-Papierfabricanten die kleinen
Papieroblaten mit Anfangsbuchftaben, Devifen etc. zu Markte gebracht wurden,
da waren die erften Anfange diefer Gattung Briefverfchliefser von Gelatine
mit Gold bedruckt. Die Papierfabrication hat fich diefes Gedankens bemächtigt
und Stahlftempel mit Wappen , Buchftaben, Namen , Devifen, kleine Papier-
oblaten geprägt, diefe in Verkauf bei den Papierhändlern gebracht und fomit den
Grundftein dazu gelegt, dafs heute in jedem Papiergefchäfte Graveurarbeit
angenommen und beforgt wird zum Schaden diefes Gefchäftszweiges und zum
Ruin der eigentlichen Siegelgravirung. Man darf nicht einwenden, dafs durch
() J. Schwerduiür
diefe Einführung den Graveuren neue Arbeit zugeführt wurde. ^Vas damaU
an Stempeln für Papieroblaten angefertigt wurde und noch heute von den
Graveuren für Sicgclmarken gemacht wird, entzieht fich jedem künftlerifchen
Mafsflabe.
Die Papieroblaten wurden in Broncefarben mit verfchieden färbigem
Unterdruck geprägt, welche Gattung Druck man Congrevedruck nennt. DerLuxu^
in diefen Prägungen ging fo weit, dafs man geprägte Vifitkarten (congreve oder
weifs) von gravirten Stempeln anfertige und fomit den Vifitkarten-Kupferüich
unterdrückte.
Da brachte der Hofgraveur Singer in Wien, von einer Reite nach
London zurückgekehrt, die erde kleine Preflc zum Prägen des Papieres. E.^ fanden
fich eine Menge Fabrikanten, welche folclie Preffen erzeugten und fomit wieder
die Graveure leider nicht würdig befchäftigten. Eine künfllerifche Ausführung ift
für einen folchen Stempel weder möglich noch geboten, da das Ilaupthindernifr«
in der mangelhaften Ausprägung der Gravirung mittelfl einer vom Stempel in
Kupfer geprägten Matrize gefchiehl, welche, da diefelbe genau in die Gravirung
pafst. das Papier bei Einführung in den Stempel an der Contour der Gravirung
abreifsen mufs, da das Pai)ier keiner Ausdehnung fähig ifl, um die Gravirung voll-
kommen auszuprägen. Auch wurden diefe Arbeiten immer fchlechter durch die
fleigende Concurrenz h(jnorirt, fo dafs fic, weil immer fchlechter angefertigt und
der Bedarf durch vieles auf den Markt bringen gedeckt war, heute wenig mehr
gefucht wird. Die Abnahme dicfer Arbeit ifl nahezu achtzig Percent. Bedeutende
Vertreter im Preffen waren \V e r t h c i m. F. W i e f e, J. J. B a c h r a c h und
W. Zettl, welche noch heute den Markt beherrfchen und den Bedarf an Siegel
preffen decken.
Als nun nicht nur in Oeflerreich, auch im Auslande durch die Vorgänge
der Jahre 1848 und 1849 der hohe und niedere Alel an Anfeh^n eingebüfst, war
die nothwendigfte Folge, dafs die Aufträge zur (iravirung von Wappen immer
weniger wurden und nur den vorzüglichllen Vertretern dieferKunft noch Gelegen
heit geboten war, Ausgezeichnetes zu leiden. Es waren diefs die Hofgraveiire
fauner und Radnitzki in Wien und Birnböck in München u. A. Die
Arbeiten Jauner's aus diefer Zeit find bekannt und Birnbök's Arbeiten habe
ich Eingangs erwähnt. Als nun im Jahre i8()0 die Regiening den k. k. Poftämtern
die Annahme von mit Gummi gefchluffenen Briefcouverts geflattete, hat zur
felben Zeil Theodor Theyer (Firma Th ey e r & II a rd tmu t h in Wien) die
erden Monogramme, in Farben gedruckt, in Wien eingeführt und gaben den
Firmen H.Braun, Fried & Fiedler Gelegenheit, den Kupferdich im Graveur-
fache zu verwerthen. Die Ausdellung der Firmen Theyer «S: Hardlmuth
gab den Beweis, was die öderreichifche Kunflindudrie auch m der Euxuspapier
Branche leidet. Es bedient fich fad Niemand mehr des Siegellacks, fondern e>
wird in der Anfertigung eigens componirter Monogramme in den verfehle
denden Formen und Arten Alles überboten, was die Franzofen und Engländer
geleidet. Die Einfuhr der franzöfifchen Luxuspapiere id auf Null gefunken, und
die Arbeiten der Firma Theyer & Hardtmuth find nicht nur in ganz Deutfch-
and, Belgien und Frankreich, fondern auch in Rufsland , England , Amerika
überall zu finden.
Zur Zeit als die Podbehörde ungefiegelte Briefe anzunehmen fich ent
chlofs, hatten die Lithographen Siegelmarken erzeugt , welche auf dunklem
Papier in Gold oder Silber bedruckt, allgemein Eingang fanden. Die Schrift-
graveure, welche durch das Abnehmen der Arbeit für die Handpreden Fabrication
gezwungen waren, an eine andere Arbeit zu denken, haben nun die Congreve-
marken wieder zu Ehren zu bringen gefucht und erzeugten Siegelmarken von
Papier in Siegellackroth, fpäter in fchönen Farben imd in vorzüglicher Zeichnung
und Schrift. Auf dem Wiener Platze lieferte Braun die fchönden Stempel, und
Lithographiebefitzer Klein die fchönden Marken.
Ciraveur- und Ouillochirarbeiicn. 7
Durch eine aufreibende Concurrenz ifl die Siegelmarken Fabrication nun
auch Idion in Mifscredit gerathen und man wollte nicht nur das Geld für die
Marken, fondern auch die Zeit fparen, fomit verfuchten die Lithographen das
Terrain wieder zu erobern, indem die gummirten Couverts am Verfchlufs mit der
lithographirten Firma erfchienen. Da wurden mittlerweile die h la minute
Mafchinen von Paris gebracht, welche eine Umwälzung in der Erzeugung der
Vifitkarten hervorriefen und ebenfo wie Vifitkarten auch die Arbeit des Urmen-
druckes beforgcn konnten.
Die amerikanifchen Druckmafchinen und SchnellprefTen beforgen nun den
AdrelTendnick auf Couverts und dadurch wurde abermals der Graveur und der
Lithograph durch die Mode in den Hintergrund gedrängt.
Mit der Ausübung der Siegelmarken Fabrication ging die Erzeugung von
Sel'flbefeuchtern — in den fechziger Jahren erfl bekannt — Hand in Hand.
\'ordem bediente fich nicht nur die k. k. Poft, fondern alle anderen
Aemter fogenannter Handflempel mit verfchieden eingerichteten Druckapparaten.
Im Jahre 1854 wurden die Gemeinden und Pfarrämter Oeflerreichs
angewiefen, fich folche Farbftempel anfertigen zu laffen, um diefclben auf Heimat-
fcheine, Päffe in Wanderbücher etc. einzudrucken , flatt des bisher üblichen
Siegeloblaten-Abdruckes, welcher mit der Zeit unleferlich und unkenntlich wurde,
omit wieder ein Theil der belferen Siegelgravirungs-Aufträge entfiel. Die Ein-
richtungen der vielen Bank- und Wechfelgefchäfte feit Errichtung der Credit-
siiilalt bis zum heutigen Tage hat viele Graveure befchäftigt, welche fich beinahe
ru'.fchliefiilich mit diefen Comptoirartikeln befafsten. Auch hier fchritt man vor-
wärts, indem Numerateure, Datumflempel etc. eingeführt wurden. Das Ausland
leiftete hierin Bedeutendes und hat der Arbeit in \Yien fchr gefchadet. Die
\Viener Arbeiten, welche vor der Berliner Concurrenz weichen mufften, waren
effer als diefe, daher in der Produdlion theurer, werden aber wieder als
f'üd zu Ehren kommen, da die ausländifche Arbeit eine Kritik nicht aus-
halten kann.
Hier 'an diefer Stelle mufs auch der Gravirungen und Mafchinen gedacht
werden, deren fich fämmtliche Bahnen beim Betriebe bedienen. Ein bedeutendes
\'erdienfl in der Confl:ru(flionsverbeflerung der bei der Kartenausgabe in Verwen-
■ lung flehenden Mafchinen, Couponfleuer genannt, gebührt unflreitig der
Wiener Firma Radnitzki & Seh Unwetter, k. k. Hofgraveure, welche für
vierundzwanzig Bahnverwaltungen die Lieferung fämmtlicher Graveurartikel
beforgen. Hier fei noch bemerkt, dafs die Ausflellungen fämmtlicher Poflanftalten
die Graveurartikel als weit hinter diefen Fabricaten flehend erkennen liefsen. Nur
der Schweiz gebührt die Anerkennung, auch hierin BelTeres zu leiden. Es ifl diefs
ein ganz befonderer Zweig der Gravirung, welcher fafl ausfchliefsend nur von
diefer Firma ausgeübt wird und jede Concurrenz bis heute fiegreich aus dem
Felde gefchlagen hat.
Die in der Collecflivausflellung der Graveure Wiens, Gruppe XII, aus-
j;eflellten Couponfleucrn gaben von dem Gefagten den Beweis und mufs nebenbei
erwähnt werden, dafs bis jetzt keine zweite Firma genannt werden kann, welche,
nie ruhend, den Bedürfniffen unfererZeit durch möglichfl einfache, ja, man möchte
agen, kaum denkbare einfache Conflruclion mit Vermeidung jeder ftörenden
Reparatur diefe Arbeiten beforgt. Es ifl Jedermann im Stande, ohne Vorbildung
mit diefen Mafchinen zu arbeiten, und find die Gravirungen diefer DatumprelTen
rait gewiiTenhafter Schärfe und Reinheit gravirt , von vorzüglichflem Materiale
gefertigt, die Schrift correct und fchön gezeichnet.
Für diefe Arbeit wurde eine eigene Schulung der Arbeitskräfte nothwen-
dig, denn diefelbe bedingt eine eigene technifche Gewandtheit. Das Atelier
Jofef Radnitzki ifl das ältefle in Wien und hat in Gravirung von Siegeln und
Stanzen Bedeutendes bis heute geleiflet, an welche Arbeiten auch voller künfl-
lerlfcher Mafsflab angelegt werden kann.
^
ö J. Schwcrdtner.
Die in der Colledivausftellung der Graveure Wiens ausgeftellten Siegel
graviningen zeigten viele vorzügliche Arbeiten, trotz der ungünftigen VerhältnilTe
und haben, vom heraldifchen Standpunkte beurtheilt, die Arbeiten Kl einer t's
welcher Siegel im mittelalterlichen Stile ausgeftellt hatte, am meiden befriedigt
Hier ift eine empfindliche Lücke entftanden durch das Zurücktreten von der Aus
ftellung durch H. Jauner, k. k. Hofkammer-Graveur, und C. Braun. Die Siegelgra
virung würde nicht nur durch diefe Künfller bereichert worden fein, fondem es
wäre dem Auslande gegenüber der Beweis geliefert worden, dafs man in Wien
weit Vorzüglicheres leidet nach Gefchmack und Technik, als anderswo.
J. Radnitzki, A. Hafelhofer, Refch, & Riek, H. Hölzel, C.Rigl.
R. Mayer, Jofef Reywöger, K. Zeplichal und J. Zehngraf haben nicht
nur Siegclgravirungen, fondern auch Gravirungen von Wappen und Monogrammen
auf Knopfftanzen, Elfenbeinknöpfen , Albumplatten , Uhren , Silberbeftecken etc.
zur Ausheilung gebracht und lieferten den Beweis von der Vielfeitigkeit ihres
Talentes und ihres Gefchäftsbetriebes.
Die Ausflellung des Auslandes befchränkt fich auf ausgeflellte Siegellack-
Abdrucke und find in der Ausftellung des deutfchen Reiches Carl Voigt, Hof-
Graveur in Berlin und C. Stromann in München als hervorragend in ihren
Leiftungen zu nennen. Peterfen, Hofgraveur in Braunfchweig , ftellte nebil
hübfchen Gravirungen auch fehr hübfch gebohrte Siegel aus, welche erwähnt zu
werden verdienen.
A. Hafelhofer in Wien, Selbfterzeuger von Siegelmarken, hat auf der
Ausftellung des deutfchen Reiches nur einen Concurrenten in diefem Fache, näm-
lich E d e r & Sohn in München, welche aber von H. A. Hafelhofer weit über-
ragt werden, da die Schriften diefer Herren veraltet und die Eintheilung der-
felben oft gefchmacklos ift. Auch in der Wahl der Farben werden die Arbeiten
cies Auslandes vom Inlande übertroffen. Die Schweiz hat gebohrte und gravirte
Siegel, gefchmackvoU gearbeitet, zur Ausftellung gebracht. Auch Briefpapier-
Stempel diefer Firma find erwähnenswerth. Von Frankreich wurden gebohrte
Siegel ausgeftcUt, ohne die deutfchen Arbeiten zu übertreffen. England hat im
Siegelfache Wyon mit feinen kunftvoU gravirten Staatsfiegeln und Graviningen
von Wappen und Monogrammen auf Uhren und auf Stempel für Briefpapier-Erzeu-
gung, zum Vertreter diefer Kunft.
Gravirung von Intarfien.
Wir kommen zu einer in Oefterreich bis jetzt wenig betriebenen Technik,
welche beinahe ausfchliefsend vom Auslande, zuerft in Italien, fpäter in England
und Frankreich ausgeübt wurde. Es ift diefs die Gravirung der eingelegten Möbel.
W^as auf der Parifer Ausftellung von diefen obgenannten Ländern beinahe Privi-
legium war, wurde feit diefer Zeit auch ein in Oefterreich in's Leben gerufener
Artikel, und es gebührt dem k. k. Mufeum für Kunft und Induftrie die vollfte
Anerkennung für die Unterftützung, die es diefem Fache zuwendete.
Wir fahen in der englifchen Abtheilung einen Schrank mit Auffatz, von welchem
wir den Untertheil fchon auf der Ausftellung in Paris kennen lernten. Die
Tifchlerarbeit ift eine vorzügliche, aber die Elfenbeinintarfien-Gravirung ift die
fchönfte Arbeit aller bis jetzt gefehenen Gravirungen. Der ungenannte Künftler
hat jahrelang an diefer Arbeit zugebracht, wovon erft auf der Ausftellung in W^ien
der Auffatz zu dem in Paris ausgeftellten Schranke hinzukam. Die Elfenbein-
Einlage in Ebenholz, von welch' Letzterem der ganze Schrank gearbeitet ift,
reich mit Gravirung verfehen, die Technik, die des heften Kupferftiches ! Obwohl
die Einlage des Elfenbeines keine befonderen Schwierigkeiten zeigt, fo können
grofse Flächen doch erft durch die Gravirung zur vollen Wirkung kommen. Bei
Betrachtung diefes Möbels kann man den wahren Kunftwerth einer Gravirung von
Graveur- und Guillochirarbeiten. 9
Intarfien kennen lernen, denn der Werth des ganzen Stückes befteht nur in feiner
Zeichnung und der Gravirung, und wurde um den Betrag von fechzig Taufend
Gulden verkauft.
Neben diefem Obje<5le ftand ein Tifch mit eingelegten Buxholz-Orna
menten, welche mit eben folcher ftaunenerregenden Technik und Fertigkeit
gravirt ift. Das etwas weiter nach vorne flehende Cabinet ift mit Bux- und
Elfenbeineinlagc in fremde Hölzer gefertigt; Buxeinlage und Elfenbein von
derfelben Meiflerhand gravirt. In der Zeichnung und Einlage ift jedoch ebenfo
wie im Ausfehneiden der Fourniren c'n bedeutender Künftler zu erkennen. Es
war unmöglich, die Namen zu erfahren.
Einer nicht bekannten Technik foU hier auch gedacht werden. Diefe
befteht darin, eine in Holz eingelegte Elfenbeingravirung mit Bronzefaibe ein-
zulaifen, fo dafs die Zeichnung zu den verwandten Hölzern, in welche das Elfen-
bein eingelegt wurde, ftimmt und diefes felbft nicht mehr fchreiend wirkt. Ein
Tifch und ein Kaften in diefer Behandlung waren in der englifchen Abtheilung
ausgcftellt.
Die in der franzöfifchen Abtheilung erfcheinenden Möbel von Ebenholz
mit Elfenbeineinlagc zeigten keine befondere Technik in der Grabftichel-Führung
und erheben fich nicht über gewöhnliche gute Arbeiten in diefem Genre. Die
ürfache , warum die franzöfifchen Arbeiten hinter den englifchen zurückbleiben,
liegt nahe, wenn man weifs, dafs die Graveure in Paris, welche diefe Arbeit
beforgen, in den verfchiedenen Tifchler-Werkftätten ihre Arbeiten machen nach
Zeichnunc en, welche ihnen vorgelegt werden. Diefe Gra"eure wandern von einer
Werkftätte in die andere und arbeiten um geringen Lohn. Vor Jahren bekamen
Wiener Firmen von Paris fertige Möbel mit.folcher Gravirung, welche als mufter-
giltig angefehen wurden, obwohl die Technik keinen künftlerifchen Mafsftab ver-
trug. Man fah viel Uebung in der Stichelführung, aber die Zeichnung war in den
meiftenFä''en durch die Gravirung fteif geworden. Es fehlte da die Vermittlung der
Töne vom Grabftichel und der Nadel ; erftere ift fchwarz, die Nadelgravirung
grau. Auch ift hier nothwendig zu erwähnen, dafs zu diefen Arbeiten nicht nur
vorzügliche Zeichner, fondem auch gefchulte Ausfehneider gehören. Aber die
Fabrication von Intarfienmöbeln, wie fie derzeit in Paris getrieben wird, ift
zurückgegangen, wahrfc heinlich in Folge des Krieges und des Ausweifens der
deutfchen Arbeitskräfte aus Frankreich, da nur vorzügliche deutfche Arbeiter
diefe Arbeiten beforgten.
In der italienifchen Abtheilung waren Möbel derfelben Gattung ausgeftellt
gewefen mit Elfenbeingrj virung. Fr unde von alten Renaiffancemöbeln konnten
hier finden, was ihr Herz erfehnt; aber anders urtheilte der Fachmann. Wir
erblickten hier eine vorzügliche Nadelgravirung (eine Gravirung, welche mit der
fcharfen Nadel ins Elfenbein geriffen wird). Die Elfenbein Einlage in das Ebenholz
ift tadellos, ohne fichtbare Leimfuge. Die mit Medaillons und Köpfen gezierte
Zeichnung ift vorzüglich und dem unbekannten Meifter gebührt alles Lob. Wir
fahen auch auf Tifchlerarbeit von anderen Ausftellern diefelbe geübte Hand.
Aber es ift eine merkwürdige Erfcheinung, dafs in der Ausftellung von
Italien beinahe fammtliche Elfenbein- Gravirung nur Nadelarbeit ift, während
Frankreich und das deutfche Reich bei feinen Arbeiten in diefem Genre nur die
Grabftichel - Technik zeigt. Diefe Technik ift eben gänzlich überwunden und
crfcheint unferer Zeit als Künftelei, nicht als Kunft.
Bei den in Oefterreich ausgeftellten Möbeln ift dem belferen Ge-
fchmacke fchon Rechnung getragen. Das Aufblühen der Intarfientechnik in Oefter
reich ift zum erofsen Theile dem EinflufTe des k. k. Mufeums und dem Profeffor
der Kunftgewerbe- Schule dafelbft, JofefStorck, zu danken, welcher die Zeich-
nung für das im Auftrage Seiner Majeftät angefertigte Cabinet entworfen und die
Arbeitender verfchiedenen Kunfttechniker perlönlich überwacht hat.Diefes Cabinet
wurde in dem Atelier fürKunfttifchlerei desHerrnMichel angefertigt und ift von
10 J- Schwerdtuer.
Ebenholz mit gravirter Holzeinlage von aulsen, innen aber mit gravirter Elfen-
beineinlage ausgeftattet. Die Technik des Ausfchneidens mit künfllerifcher Anfor-
derung wurde von M. Paniglin Wien (welcher auch gediegene Ausfchneide-
arbeiten nach Zeichnungen von Profeflbr Sto rck in der Colleclivausflellung der
Graveure ausgeflellt) , die Gravirungen von \V. Baader und Schwerdtner
gcleiflet. Das Cabinet ifl das fchönfle in O^fterreich nach diefem Genre angefertigte
Möbel und wurde von Herrn Michel ausgefeilt.
Die Ausfchneidearbeiten Panigl's haben in der Colleclivaus
fleUung bedeutende Erfolge errungen. Das k. k. Mufeum für Kunfl und Induflrie
hat viele diefer Arbeiten angekauft. Eine Schatulle von Ebenholz mit Elfenbein-
einlage in ausgezeichneter Technik ift hier befonders zu erwähnen. Diefe wurde
von einem Privatmanne erflanden.
Um die Hebung der Möbelinduflrie mit Intarfiengravirung hat fich noch
manche andere Firma Verdienfle erworben. Bildhauer Franz Schönthal e r in
Wien hat auch in diefer Branche feinen Einflufs geltend gemacht und folche
Arbeiten auf die Ausflellung gebracht, welche befondere Beachtung verdienen.
Kunfltifchler Bernhardt Lud w i g , 'welcher viele Jahre in Paris zugebracht, lial
diefem Zweige feines blühenden Gefchäftes eine befondere Aufmerkfamkeil
gewidmet und feiner Ausflellung in fchwarzen Möbeln mit Intarfien nuifs gerechte
Anerkennung gezollt werden. Carl Bamberger in Wien, fein Gefchäft
erweiternd, hat diefen ErzeugnilTen auch Bahn gel)rochen , indem derfelbe nicht
mehr ausfchliefsend franzöfifche Arbeiten importirt, fondern feinen Bedarf in
Wien durch die heften Firmen nach Zeichnungen verfchiedener Meifler
anfertigen läfst.
Die beiden letztgenannten P'irmen erweiterten den Kreis der Möbel
Intarfiengravirung dadurch, dafs fie nicht nur Einlagen in Elfenbein, fondem auch
in Metallen, als: Kupfer oder Meffmg in Ebenholz eingelegt anfertigen und fo
zur Hebung des Gefchmackes beitragen. Ebenfo erwälmenswerth fmd die
Arbeiten Ge In er's in der Colledlivausflellung, welcher einen Caffettedeckel in
Elfenbein ausgefchnitten, die Laden eingelegt mit fchöner eigener Compofition
und Gravirung ausgeflellt. Die Erfolge können nicht ausbleiben, fobald nur
Gediegenes verlangt und der Miltelmäfsigkeit die Arbeit entriden wird. Es ifl
fomit die Gravirung von Intarfien auf dem heften Wege und hoffen wir, daf^ die
Vorbilder, welche England zur Ausftellung gebracht, für die inländifche Arbeit
von Nutzen fein und heimifchc Kräfte anfpornen werden , ebenfo Gediegenes zu
leiften.
Stein- und Glasgravirung.
Eine ganz befondere Aufmerkfamkeit foU der Gravirung von Steinen
gewidmet fein , da Wien einige Vertreter diefer Branche des Gravirens befitzt.
aufweiche Oefterrcich mit Recht ftolz fein kann. Befonders im heraldifchen Fache
waren hervorragende Arbeiten in der Gruppe XII zu finden von Franz Gubik und
tlelTcn Bruder Anton, Erfterer mit künftlerifch und technifch durchgci)ildeten
Arbeiten auf der Ausftellung erfchienen , Letzterer in Zeichnungen , Bhnnen etc
imKryftalle gefchliffen. Vorzügliches leiftend, theilten fich mit Obigen A. Nowak
und P\ S c h e t f i 1 in die Aufträge des Publicums, der Graveure und der Juweliere.
Die Arbeiten F. Gubik's find wegen ihrer technifchen Vollendung und aufser-
ordentlichen Tiefe in der Gravirung, gepaart mit Reinheit des Schliffes, aus
gezeichnet. Der Gefchmack in der Zeichnung ift mehr oder minder moderne
Richtung in der Heraldik, welche nicht als muftergiltig in den Augen der
gewiegten Heraldiker erfcheint, j edoch in der Zeichnung und Compofition edel
und fchön ift
(jruveur- und Guillochirarbciten. H
Herr Schetfil, bekannt als Steingraveur in Wien, bcfafst fich noch
nebenbei mit Perl- und Steinbohrerei , welche Arbeit früher nach Paris gefendet
werden mufste, und hat hierin keinen Concurrenten.
Derfelben Richtung im Gefchmacke huldigen die übrigen Steinfehneider
Wiens mit mehr oder weniger Glück. In diefer Arbeit haben fich die Preife
wegen Mangels einer Concurrenz erhalten, da alle Steinfehneider als Künftler
felbftthätig und allein arbeiten und für diefe fchwierige Kunft kein Nachwuchs
herangebildet wird. Nicht allein in Wien , fondern auch in Deutfchland , in
Frankreich, in England felbfl ift der Steinfehneider Künftler ohne Mitarbeiter,
mufs fich gewöhnlich felbft bilden , und durch jahrelange Mühe feine Technik zu
gewinnen fuchen. In der Kunftabtheilung des deutfchen Reiches hat Herr Gube
verdienftliche Steingravirungen und Cameen ausgeftellt auf Onyx und Carneol
gefchnitten , welche mit den Arbeiten der hiefigen Künftler concurriren.
In der Gruppe XII, Collec^ivausftellung der Graveure Wiens, hat auch Herr
Dorflinger Cameen, auf Mufcheln und Steinen gefchnitten, ausgeftellt und
liefert den erfreulichen Beweis , dafs er , obwohl alleiniger Vertreter in diefer
Branche auf der öfterreichifchen Ausftellung, im Stande ift , der Concurrenz des
Auslandes, zu begegnen. Die auf der Ausftellung von Frankreich erfchienenen
Cameengravirungen von den Herren Gayetaut, G. Biffinger, J. P. Barri
find vorzügliche Arbeiten, welche in Wien feit Jahren lebhaften Abfatz fanden,
ebenfo brachte die Colle<5livausftellung der Juweliere und Goldarbeiter von Hanau
und Offenbach derlei Arbeiten, welche alle eine ziemlich gleiche Fertigkeit nach-
weifen, da die antike Richtung in diefem Fache nicht verloren gegangen und die
uaturaliftifche Richtung , welche verfuchsweife eingefchlagen wurde , wenig
Berechtigung und Unterftützung fand. Die Ausftellung der Italiener in der Kunft-
halle zeigte fehr fchöne Cameen und darf diefs nicht wundern, wenn man bedenkt,
dafs die W'iege diefer Arbeiten in Italien ftand. PioSiotto, Giufeppe Lan-
(licina, Domenico Pafc o 1 i find neben Anderen die vorzüglichften Vertreter
der Cameengravirung.
In der öfterreichifchen Abtheilung hat auch Herr Ertl aus Eger Stein
und Glasgravirungen ausgeftellt, welche, da diefelben ein Graveur aus der Öfter
reichifchen Provinz gemacht hat, hier genannt werden foUen. Die ausgeftellten Glas-
gravirungen zeigen eine gewandte Hand und ift nur zu wünfchen , dafs neben der
vorzüglichen Technik auch die gefchmackvollc Zeichnung Hand in Hand gehe.
Hier hat die Firma Lobmeyer durch einen kaiferlichen Auftrag unter Mit
Wirkung des Mufeums den einzig richtigen W^eg des guten Gefchmackes gezeigt.
Das von obgenannter Firma ausgeftcllte Trink- und Deffertfervice (Eigenthum
Sr. MajeftätJ ift von Profeffor Jofef Storck entworfen und von Peter Eifert
in Glas gefchliffen , die Zeichnung des Schliffes polirt. Diefe Arbeit hat auf
der Wiener Weltausftellung alle Glasarbeiten übertroffen, welche vom Auslande
ausgeftellt wurden. Die Glasfchleifereien von Meyer's Neffen, Jofef Conrath,
W.Hof fmann haben alle ihre Anerkennung gefunden durch zahlreiche Ankäufe
von den Mufeen, und die unbekannten Künftler mögen bei nächfter Gelegenheit
mit eigener Ausftellung ihre Fortfchritte conftatiren. Das Ausland kann denfelben
fchon heute die Anerkennung nicht verfagen, da die ausgeftellten Glasgravirungen
<les Auslandes unferen Arbeiten nicht an die Seite geftellt werden können.
Flachgravirung.
Die Flachgravirung ift jene Technik des Gravirens, welche fich die Aufgabe
ftellt, Gegenftände des Kunftgewerbes, welche glatte Flächen zeigen oder eine
tlache Verzierung bedingen , mit Gravirungen dem Auge gefalliger zu geftalten.
Es ift diefs die verbreitetfte Technik des Gravirens, und deren Vertreter
befchäftigen fich beinahe ausfchliefsend mit diefer Gattung. Der Bedarf und die
Nachfrage ift feit Jahren in ftetem W\'ichfen begriffen , und zählte diefe Kunft
12 ' J- Schwerdtner.
richtung viele Vertreter auf der Ausftellung, wie zumeiil die Collectivausflellung
der Graveure Wiens zeigte.
Herr Linzbauer sen. hat aufser getriebenen Albumplatten für Verviel-
fältigung durch Galvanoplaftik auch eine auf einer verfchiedenfärbig plattirten
Goldplatte gravirte Landfchaft — Waldbachstrup bei Halllladt , nach eigener
Skizze angefertigt — ausgeftellt , welche alle Arbeiten auf der Ausftellung , das
Ausland nicht ausgenommen , überragt. Mit diefer neuen Methode werden die
fchönften Farbeneffe<5le erzielt , und bedarf es nur des einen Schrittes , diefe
Arbeit auch dem Publicum in der Form zugänglich zu machen , um derfelben
einen noch höheren Werth beilegen zu können. Die Zeichnung und Gravirung
ift von überrafchender Wirkung und ftellen die Arbeiten der Schweiz und Italiens
in Schatten. In der Collecflivausftellung der Graveure Wiens hat C. Linz-
bauer jun., welcher neben Modellirung auch verdienftvoUe Elachgravirung
ausfteJlte, durch correcfle Zeichnung fowohl, als fchöne Technik fich Anerkennung
verfchafft. Defsgleichen die Arbeiten des Herrn Metz (collecfliv), von welchen
verfchnittene Albumplatten und eine Serie Initialen, erwähnt zu werden verdienen.
Herr Carl He Im er (coIle<5liv) hatte ein Album in eigener Conception mit
plaftifchen Verzierungen aus Metall gefchnitten und gravirt, mit Figuren in Flach-
gravirung gebracht, welche Arbeit, neben Muftern von Flachgravirungen, durch
gelungene Ausführung einen fehr fchönen Eindruck machte. Anton Raab hatte
Flachgravirung auf Taffen etc. in guter Compofition in Abwechslung mit Guillochir-
arbeiten ausgeftellt und damit jene Anerkennung gefunden, welche diefe Objecfle
verdienten.
M. Mager hat durch feine in Metall gravirten und mit der Laubföge
ausgefchnittenen Arbeiten : Albumdeckel , Monogramme etc. dem Fachmanne zu
imponiren gewufst, indem jedes der ausgeftellten Objecfle von aufserordentlichem
Fleifse und Geduld Zeugnifs gab. Hier feil noch die Dicke des Metalls der aus-
gefchnittenen Grundornamente erwähnt werden, welche die Schwierigkeit diefer
Arbeiten erhöhte. R. Priefter hatte neben verfchiedenen Flachgravirungen eine
Silberplatte, gravirt mit dem Bildniffe des Kaifers Jofef IL, den Pflug führend und
in Schwarz emailirt ausgeftellt, welche Arbeit eine befondere Erwähnung verdient.
F. G. Stöger hatte eine grofse Anzahl von Flachgravirungen, das ift
Eck- und Mittelftücke für Albums in den verfchiedenartigften Muftern gebracht,
von denen einige befonders auffielen. Hier fei eine Methode erwähnt , welche
nur Herr Stöger zeigte, nämlich blank polirtes Oxyd, worauf verfchnittene
Silberornamente montirt waren. Diefe Methode hat eine gute Wirkung und
empfiehlt fich von felbft.
K. Martner hat eine riefig grofse Metallplatte, für einen Tifch beftiramt,
zur Ausftellung gebracht , welche Monate lange Arbeit koftete , in der Technik
bewundernswerth war, aber dennoch durch unglückliches Anbringen eines aus-
gefchnittenen und im Mittelfelde aufmontirten Monogrammes die ganze gute
Wirkung zerftörte. C. Müller hatte einige gut gravirte Monogramme, theils auf
Stahl für Papierdruck, theils auf Elfenbein Knöpfe gravirt, fehr befcheiden auf-
tretend, ausgeftellt.
Um die Arbeiten der Graveure in diefem Fache richtig beurtheilen zu
können, mufs man nicht nur die Arbeiten in der CoUeölivausftellung, fondem auch
die in der Gruppe VII befindlichen Broncewaaren verfolgen. Dorthin wurde
die befte Arbeit unferer Graveure geliefert. Die in Wien anföffigen Graveure
waren durch überhäufte Aufträge gar nicht in der Lage , für ihre eigene Reprä-
fentation Befferes zu leiften, als eben in der Gruppe XII zu fehen war.
Ein Wunfeh foll hier nicht unterdrückt werden, nämlich, dafs die Arbeiter
in Flachgravirung fich mehr und mehr frei machen foUten von baroken Ornamenten
und ftilgerechtere Mufter ftudiren , es wird dann der Arbeit ein gröfserer künft-
lerifcher Werth beigelegt werden muffen , welcher jetzt in vielen Fällen noch
mangelt und nur dort die Arbeit brauchbar erfcheinen läfst , wo nach guten
Graveur- und Guillochirarbciten. 13
Muftem gearbeitet wurde. Die Technik diefer Flachgravining ift in den meiden
Fällen bewundernswerth durch die Reinheit und Kraft der Stichelführung.
An diefer Stelle fei noch einer Arbeit eines Ausländers erwähnt , welche
bei uns in Oeflerreich nicht vorkommt ; es ift die Gravirung von Zinntellern mit
der Nadel und dem Grabftichel vom Zinngiefser und Graveur Waltenberger
in Aibling in Oberbaiern , welche als Mufter in der Behandlang diefes Metalles
aufgeftelU werden können. Landfchaften in Omamentrahmen, Figuren und Porträts
nach Photographien find gleich vorzüglich gearbeitet und fanden keinen Con-
currcnten auf der Ausftellung.
Die Flachgravirungen der Schweiz haben ihren alten berühmten Werth
gezeigt y jedoch nur auf Uhren ihren Ruhm vollinhaltlich bewährt. Wir
fahen gravirte Uhrdeckel in verfchiedener Flachgravirung mit Figuren, Land-
fchaften etc. mit bewundernswerther Reinheit des Stiches, aber ohne befondere
Genialität in der Erfindung. Man fah den Ausftellem dafelbft an ihren Werken
an, fie möchten gern zur Weltausftellung Befonderes leiften, konnten fich aber
von der Chablone nicht ganz befreien, daher diefe Arbeiten auch nicht erwärmen
konnten. Sie fahen fteif und ängftlich aus. Ein Porträt nach einer Photographie
auf eine Uhr gravirt wäre wohl erwähnenswerth, wenn die Arbeit nicht denfelben
ängftlichen Eindruck gemacht hätte. Es fei jedoch mit diefem Urtheile nicht das
VerdienftvoUe diefer Arbeit abgeleugnet. Die in den meiften Fällen vorzüglichen
Entwürfe von Uhrengravirungen waren fehr intereffant und zeugten von Fleifs und
Studium. Die Genfer Firmen J. S o k o 1 o f f, Emil Briffand, Bonnet & Comp,
theilten fich in obiges Verdienft.
Wirklich Neues hat in Flachgravirung Rufsland zur Ausftellung gebracht,
CS waren diefs von unbekannter Hand auf Silber gravirte Porträts von Beethoven,
Mozart und Kaifer Alexander für Albumdecken beftimmt und in gravirten Orna-
menten Rahmen gefafst. Diefe Arbeiten waren fo vorzüglich, dafs man die Hand
des geübten Kupferftechers eher vermuthet hätte, als die des Graveurs, und nur
die Verficherung der Ausfteller, die Bilder feien von dem Graveur, konnte die
erfte Vermuthung unterdrücken.
Die in der Kunfthalle ausgeftellten Flachgravirungen Italiens find in
Kupferftecher-Manier gravirte Porträts auf Gold, welche geniale Arbeit nur von
diefem Lande ausgeftellt wurde und gerechtes Auffehen machte.
Bei Flachgravirungen, welche grofse Flächen, wie Taffen etc. mit Orna-
menten und architektonifchen Verzierungen zu decken haben, wird feit langer
Zeit auch die Guillochirung, eine Mafchinenarbeit, zu Hilfe genommen.
Die Engländer, welche blofs mit ftilgerechten Ornamenten ihre TaiTen,
Theekannen etc. verzieren, bedienen fich nur feiten der Guillochirung, während
die Franzofen und befonders die Schweizer das meifte Verftändnifs in Anwendung
der Guillochirung zeigen.
Die Guillochirmafchine ift eine englifche Erfindung und gelangte von dort
nach Frankreich und der Schweiz, wo fie die mannigfachfte Verwendung fand, noch
ehe fie in Deutfchland und Oefterreich bekannt wurde. Mit Anfang diefes Jahr-
hundertes wurde die Guillochirkunft am Wiener Polytechnicum gepflegt und
Profeflbr Altmüller fowie der noch jetzt lebende ProfefforKarmarfch zu Hannover
erfanden Verbelle rungen an diefer Mafchine. Während aber das Ausland fort-
während diefe Mafchinen verbeflerte und diefelben praktifcher geftaltete, blieb
man in Wien ftehen und vernachläffigte diefe Erfindungen. Es wurden keine
Hilfsmafchinen angefchafft, keine Gehilfen herangebildet, die Ateliers daher auch
nicht vergröfsert. Die noch vor Jahren im Gebrauch ftehenden Mafchinen konnten
nur kleine Gegenftände, Uhrgehäufe etc. mit Mafchinengravirung verfehen, daher
man vor Jahren auch auf Taffen Eintheilungen in kleine Felder vornehmen mufste,
um diefe Mafchinen verwenden zu können, während die Arbeiten des Auslandes
grofse Flächen tadellos guillochirt bedeckten.
14 J- Schwcrdtncr.
Um aber derlei Arbeiten concurrenzfdhig zu machen, hat der Ausfleller
And. Hart, der im Jahre 18Ö5 Studien im Auslande gemacht, die Einrichtung
von Mafchinen in feinem Atelier nicht nur immer verbeffert, fondern auch den
Üeffmograf, eine Mafchine. welche dem Jacquardfyftem annähernd nach conflruirt
ifl, nach Wien gebracht. Es wurde daher möglich auch in Wien nicht nur Belfere-»
als bisher zu leiften, fondern auch im Gefchmacke vorwärts zu fchreiten, und
fomit der Concurrenz des Auslandes begegnen zu können. Arbeiten diefer
Guillochirmafchine in Verbindung mit Gravirung fahen wir in der Collecfliv-
ausflellung der Graveure von A. Hart, C. Raab und wir wollen nochmals hin-
weifen auf die I^eiflungen der Wiener Graveure in der Gruppe VII, wo bei der
Ausflellung der Firmen: Berndorfer Metall waaren-Fa!»rik und J. L. H e r rmann
und den Expofitionen der ChinafilberwaarenFabriken Wiens diefe Arbeiten belTer
beurtheilt werden können. Die Schweizer Abtheilung zeigte Guillochinarbeiten
von J. Müller in Biel mittelfl Geradzug-Mafchine digne droit).
Die Arbeiten der numismatifchen Mafchine werden bei den Berichten über
Buchdruck und Lithographie belprochen werden und verweifen wir darauf, wie
auf den Bericht über Gruppe VII, Secflion 4, die wir oftmals erwähnten.
Schriftftempel, Gravirung für den Schriftgufs.
Als Vertreter der Schriftflempel-Gravirung für Buchdruckereien crfchien
n Oellerreich nur Herr Brendler in der Colle(5livausflellung der Graveure, im<l
waren feine Arbeiten in Schriftgufs fowohl in der Ausflellung der k. k. Hof- und
Staatsdruckerei (^hebräifche, firifche, chaldäifche, chinefifche, japanefifche und
türkifche Schriften zum Zufammenfetzen), als auch in anderen Ausflellungen von
Schriftgufs und Buchdruckerlettern in der Gruppe XII zu finden. Eine grofse Con-
currenz des Auslandes in Verfendung fertiger Lettern hindert den Auffchwung
diefer Arbeit in Oeflerreich, obwohl die Schriften durchwegs rein imd fauber
gearbeitet, an Correcflheit der Schriftzeichnung den ausländifchen Arbeiten nicht
nachflehen, fondern dicfelben übertretien. Diefes Schriftllempelfach hat in den
letzten Jahren einen bedeutenden Auffchwung nachzuweifen, obwohl der Nach-
wuchs in diefer Branche, was Schulvorbildung anbelangt, Manches zu wünfcheii
übrig liefse. Die von den Berliner Firmen, deutfches Reich Gruppe XII, aus-
geflellten Mufler können fich mit der Arbeit der Oeflerreicher nicht metfen und
es darf diefs Niemand Wundernehmen, weil viele in Oeflerreich bekannte Firmen
des Auslandes auf der Ausflellung nicht erfchienen find. Es genüge hier, zu con
flatiren, dafs eine fortfchreitende Bewegung fichtbar ill in diefer Branche, welche
auf die Güte und Ausflattung unferer Buchdruckforten einen wefentlichen Einflufs
ausübt, da die mittelmäfsige wie die vorzügliche Arbeit der taufendmaligen Ver-
vielfältigung durch den Schriftgufs unterworfen ifl.
Das deutfche Reich, Frankreich, Portugal, Rufsland, Schweden, die Schweiz
haben Ausflellungen von Schriftflempeln gebracht, aber keinen wefentlichen
Fortfchritt im Gefchmacke noch in der Technik gezeigt.
Anders verhält es fich mit dem Schriftgraveur für kaufmännilche Zwecke
und den Hausbedarf; diefe Arbeit wird erhaben gefchnitten, meifl in Gufsmeffing
ausgeführt und find meiflens für Selbflbefeuchtungsmafchinen oder für den Buch-
binder zur Anfertigung von Golddruck- Schriften auf Bücher beflimmt.
In England fahen wir Selbflbefeuchtungsmafchinen, welche mit geprefsten,
zufammengefetzten Lettern, wie im Satzkaflen des Buchdruckers, die Namen der
Firmen abdrucken. Es ifl diefs eine Neuerung, welcher man jedoch keine befon-
ders praktifche Seite nachrühmen kann, da die eingeklemmten Buchflaben leicht
herausfallen und wieder zufammengefetzt werden muffen. Die Anfertigung diefer
Stempel ifl eine Arbeit des Graveurs geworden , denn es befaffen fich eine
Menge Firmen beinahe ausfchliefsend mit diefen Comptoirartikeln.
Graveur- und (Juillochirarbeiteii lO
Die CoUecflivausftellung der Graveure zeigt bei vielen ihrer Ausfleller
diefe Arbeit , und wird diefelbe als Hauptartikel von den Hofgraveuren
Radnitzki & Schönwetter, Zeplichal, A. Hafelhofer, J. A ich-
berge r, F.Kurt, R.Mayer vertreten.
Aufser der Collicflivausftellung find die Vertreter diefes Handelsartikels,
wozu er in den letzten Jahren gemacht wurde, Ausfleller Lindner, Ale mann,
Scholl, Hecht und Zehngraf, wovon letzterer fehr billige Preife notirt.
Die Arbeiten diefer Herren fuchen die Concurrenz des Auslandes mit beflerer
Arbeit hintanzuhalten und bedienen fich meiftens im Inlande gefertigter Mafchinen.
Dabei fei noch erwähnt, dafs alle in Wien und in Oefterreich lebenden Siegel-
und Wappengraveure diefen Artikel neben anderen Gravirungen fertigen, da trotz
der mehrfeitigen Arbeitstheilung diefes Fach vom Siegelfache nicht getrennt
werden kann.
Gravirung fiir Buchbinder- und Ledergalanterie- Arbeit.
Als Vertreter von Gravirungen für Buchbinder- und Ledergalanterie-Arbeit
erfchienen in der Colle<5livausflellung der Graveure J. Aichberger, T. Kurt und
Hans Denk. Die beiden erflen Firmen befchäftigen fich zumeifl mit diefer
Arbeit, welche eine bedeutende Anftrengung erfordert, um der ausländifchen
Concurrenz begegnen zu können. Als Grund warum diefe Arbeiten in Wien noch
nicht concurrenzfähig find, ifl die geringe Gefchicklichkeit der Inländer nicht anzu-
nehmen, fondern der geringe Bedarf auf dem Wiener Platze.
Leipzig, die Stadt der Buchhändler und Verleger, war daher das geeig-
netfte Terrain zur Vervollkommnung diefer Graveurarbeit. Mit den Anforde-
rungen der Zeit, die Ausftattung eines Buches durch den Buchdrucker immer
fchöner zu machen, ging das Beflreben der Buchhändler Hand in Hand, die
Decken ihrer Verlagswerke immer gefchmackvoUer und fchöner zu geftalten.
Eigene Zeichner haben fich diefer Ausftattung angenommen, und wir fehen an
den ausgeftellten Verlagswerken, wie weit die deutfche Buchbinder-Kunfl, die
aller Länder überflügelt. Der Golddruck mit Figuren und Ornamenten, mit Sinn
fpruchen. Devifen und Allegorien auf den Prachtausgaben von den deutfchen
Dichtem find beinahe Jedermann bekannt, und es erübrigt nur, jener Künftler
zu gedenken, welche diefe Buchbinder-Stanzen graviren. Gerhold in Leipzig,
G. F. L afchky in Berlin erfcheinen als die Hauptvertreter diefer Kunfl in der
Ausftellung des deutfchen Reiches. Hafert und Schiller in Stuttgart haben nicht
ausgeflellt, aber auf den Prachtwerken von E. Hallberger in Stuttgart erfchei-
nen ihre Kamen auf ihren Leiflungen.
Gerhold in Leipzig id die bedeutendfle Firma und wird mit den fchönflen
Aufträgen beehrt. Um aber fo Vorzügliches zu leiden, wie Gerhold's Ausftellung
zeigte, müfsten auch bedeutende Anftrengungen gemacht werden. Aber nicht
allein die künftlerifche Leiftung diefer Firma ift zu erreichen, londern, wenn das
Inland diefe Arbeit ebenfo erzeugen wollte, müfsten die bei Gerhold in Verwen-
dung flehenden Hilfsmafchinen eingeführt werden. Die Guillochirmafchine, die
Fraismafchine, die Hobelmafchine, Oval- und Kreiswerke, welche dort benützt
werden, find für den Graveur in Wien noch unbekannte Dinge. Die ausgeftellten
Hochpräge-Stanzen für Buchbinder find theils gehobelt, theils gedreht, gebohrt
und erft zuletzt gravirt und guillochirt. Es exiftirt derzeit kein Graveur Wiens,
welcher fich einer Hilfsmafchine bediente, wie Herr Gerhold und Andere im Aus-
lande es tliun.
Es entftehen fortwährend Verbefferungen an diefen Mafchinen, daher es
<len Wiener Graveuren noch lange unmöglich fein dürfte, mit dem Auslande in
die Schranken zu treten. Was die Handarbeit an diefen Arbeiten leiftet, kann
jederzeit auch in Wien gefördert werden.
2
^
]^ß J. Schwcrdtncr.
Die Buchhändler Wiens, welche Werke verlegen, müfsten in cliefer Rich-
tun ; nur einige Opfer bringen, und durch Beftellungen in Wien die Graveure in
die Lage verfetzen, dicfen Artikel auch hier, wie in Leipzig, Berlin und Stuttgart
liefern zu können. So lange aber diefe ihren Bedarf im Auslande decken, wird
diefes Fach hier zurückbleiben und wird fich nie entwickeln können.
Gerhold hat, um den BedürfnilTen der Buchbinder nachzukommen, auch
ein Sortiment von zufammenfetzbaren Buchftaben von Meffing für Golddruck auf
Bücher ausgeftellt.
In diefcm Fache find wir concurrenzfähig, das erfahen wir in der Collecliv
ausflellung, wo neben den BuchbinderAVerkzeugen (Fileten) auch vorzüglich
gearbeitete Schriften ausgeflellt waren, mit welchen Export getrieben wird.
Üiefelben find aus freier Hand gravirt und nicht gegoffen oder überarbeitet.
Da nun einmal von Mafchinen gefprochen worden, will ich nicht unerwähnt
laffen, dafs auch der Siegel- und Schriftgraveur des Auslandes fich einer Mafchine
zum Bohren und Guillochiren der Siegel bedient. Es find eine Menge diefer
Arbeiten von den Ausländern ausgeflellt worden, welchen keine Wiener Arbeiten
entgegengeflellt werden konnten. In jeder Stadt Deutfchlands, der Schweiz,
Englands, Frankreichs, Amerikas ift bei einem oder dem anderen Graveur eine
folche Mafchine aufgehellt, welche wunderfchöne Gravi rung liefert. Warum in
Wien diefe Arbeit nicht Eingang findet, ift dem Fachmann kein Geheimnifs.
Derlei Siegel mit zwei Buchilaben und Rand mit guillochirtem Grund
koflet iV,» bis 2 Thaler, Siegel mit F'irmen von 4 Thaler aufwärts. Die Gefchäfts-
leute des Auslandes wollen fchöne Siegel, die Gefchäftsleute Oeilerreichs meift
nur billige Siegel, und fomit lafst man bei Beftellung eines gebohrten Siegels
— wenn ein folches Verlangen vorkommt!.^ — es im Auslande anfertigen, und
erfpart fich eine theuere Mafchine. W^ohl verpackt wartet eine folche Mafchine
für Siegelbohrung auf eine befl'ere Zeit feit vielen Jahren in dem Atelier eines
Wiener Graveurs, welcher diefelbe wegen Mangel an Aufträgen wieder beifeiie
geben muf:5tc.
Gravirung von Chablonen und metallographifche Arbeiten.
Die Chablone, eine Graveurarbeit, welche auf verfchiedene Weile, und zwar
entweder mit dem Stichel, dem Aetzen, der Laubfage oder mittelft eines, wie ein
Stemmeifen geformten Inflrumentes gefertigt wird, hat in der Colleclivausftellung
der Graveure fowohl, als auch aufser dcrfelben ihre V^ertreter gefunden.
Herr L u z a n s k i hat durch feine Ausflellung fo ziemlich alle V'erwendungs-
arten der Chablone gezeigt und mit Herrn M. P raffe r die Colle(5livaus(lellung
durch diefe Arbeiten bereichert. H. Schifchka, Firma Dinkler's Nachfolger,
hat die Concurrenz in diefer Richtung zur Anfchauung gebracht durch feine
verdienflvoUen Arbeiten, und ifl der einzige öflerreichifche Ausfteller, welcher
eingefetzte Buchflaben flatt gravirten bei Selbflbefeuchtungs-Mafchinen und Hand-
flempeln zur Ausflellung brachte. Die letztere Arbeit, eine wahre Geduldprobe, hat
in der Schweizer Abiheilung der Wiener Weltausflellung einen Concurrenten
gefunden, welcher fogar einen Preis für die Nachahmung feiner Arbeit ausgefelzi
hat. Diefe Arbeit war für Cattundruck beflimmt.
So interefl'ant diefe Arbeit i(l, erfcheint fie wegen der aufserordentlichen
Mühe , die üe forderte, wenig beachtet und wird, wegen ihrer ^Künfllichkeit'* nie
als ein Producfl der Kunfl gefchätzt werden, da jeder gute Holzfchnitt dasfelbe
leiflet. Herr Schifchka hat daher wohl daran gethan, -nur die praktifche Seite
<liefer Arbeit zu zeigen, und ill ihm diefs auch vollkommen gelungen, da feine
Arbeit den gravirten Stempeln Concurenz gemacht hat. Die Ausländer, befon
ders die Dcutfchen graviren die Chablonen auf Kupferblech. Sie befitzen auch
Einrichtungen, wo die Chablone fabriksmäfsig durch Prägung und Durchfchniti
erzeugt wird, diefelben dienen jedoch demfelben Zwecke, wie die in Oeflerreich
Gra\cur-unt' Gitill:>chirarbeitcn. XT
von Meffing- oder Zinkblech erzeugten, welche alle mit der Hand gefertigt werden
und ifl der Unterf^hied nicht merklich.
In Frankreich beliehen EtablifTemcnts, welche fich nur mit Anfertigung
von Chablonen befafTen, und ihre Agenten bereifen die Welt, um die Waaren an
Mann zu bringen. Trotz diefer Concurrenz gibt es in Wien aufser den oben-
genannten Herren noch eine Menge Graveure, welche Chablonen erzeugen, und
die Firmen 1.. Lindner, R. Mayer. F. Scholl, Zehngraf und Hecht,
welche die Bedürfnifle des Kaufmannes an Graveurarbeiten decken, führen diefen
Artikel meift. eigener Erzeugung. Die Ausftellung des; deutfchen Reiches, Gruppe
XII. zeigte Chablonen für den Haushalt, für den Handel, für den Kaufmann und
Chablonen für Kinder als Spielzeug, alle auf Kupfer gravirt oder durchgeäizt.
Email und Emailgravirung.
Ein weiterer Zweig der Gravirung bildet die Kunfl des Gravi rens für Email
und die Emaillirun:: felbfl.
Wie eingangs erwähnt; ifl diefe Technik fehr alt, wurde im vorigen Jahr-
hundert befonders cultivirt. In unferer Zeit ifl die Kunfl fehr vernachläffigt worden.
Die Bijouterie-Arbeiten Oeflerreichs mit Email bringen nur meiftens Handelsartikel
als: Manchetten- und Hemdknöpfe, Bracelets, Ringe undMadaillons. Diefe Arbeiten
entbehren jeder eigentlichen künfllerifchen Richtung und hängen vollfländig vom
Gefchmacke des Kaufmannes ab, welcher als Vermittler zwifchen Erzeuger un 1
Confumenten fleht. Selbflfländigkeit und gediegener Gefchmack in der Zeichnung
wie im Eniail ifl daher feiten zu finden, da die Chablone hier ihr Unwefen treibt.
Zu keiner Zeit herrfohte eine folche Eintönigkeit in den Produ<5len der
liijouterie, als diefs heute der Fall. Die herrfchende Mode und eine ängflliche
Sorgfalt bei Bijouteriarbeiten, dem Emailleur wegen Zeitaufwand und Umfländ-
lichkeit möglichfl aus dem W^ege zu gehen, fchadet diefen Arbeiten mit wenigen
Ausnahmen fehr, fo dafs das Email nur mehr als Deckungsmittel befchränkter
inittelmäfNiger Ausführung und zur Hebung des Efifecles für fchlechte Steine dienen
r.uifs. Aber auch diefe Arbeiten werden mit ängfllicher Vermeidung jedes Farben-
wechfels nur mehr in Schwarz durchgeführt.
Ware nicht die Hafl, mit der folche Arbeiten vom Emailleur aufgeführt
werden nnüfTen, würde der Emailleur nicht oft von dem Graveur abhängig fein
idenn nicht alle Emailleure find Graveure), fo würde durch das künfllerifche
Zufammengehen zweier Faöloren noch GutCh gefchaffen, aber durch Chablonen-
arbeiten find oft die talentvollflen Arbeiter ihren Aufgaben entrückt worden. Es
wäre jedoch ungerecht zu behaupten, dafs das oben Gefagte auf einen Rückfehritt
in diefem Fache hinweife. Die Emaillirkunfl hat in den letzten Jahren die gröfsten
Fortfehritte nachzuweifen, befonders in der Behandlung des Emails auf unedlem
Metall. Die ausgeflellten Arbeiten haben ein ganz klares Bild der Emailleurkunfl
gezeigt. Hier mufs in erller Reihe der Arbeiten für kirchliche Kunll gedacht
werden, mit welchen Herr Jofef Chadt in Wien die Ausftellung bereicherte und
von denen der Berichterftatter über diefes Gebiet des Weiteren fpricht.
Aber nicht diefe Arbeiten allein find es, die ihm den erften Rang ein-
räumen. W^ir fahen bei der Ausftellung des Herrn Auguft Klein Gegenftände der
Kunftinduftrie, welche von Chadt gefertigt waren. Hier zeigt fich ein Fortfehritt in
der Nachahmung von Lapis lazuli, der Emaiifchmelz auf Becher, Teller ect., fo dafs
das Auge des Befchauers getäufcht, derfelbe diefe Objecfle für Lapis lazuli halten
kann. Um die Eintönigkeit zu vermeiden, hat Herr Chadt auf diefen Gegenftänden
Länder mit fortlaufenden Rennaiflanceornamenten in vielfarbigem Translucide
Email angebracht und damit diefe Objecfle zu kleinen Kunftwerken gemacht.
Auch begegnen wir Limoufiner Emailarbeiten von dem Kunftgewerbefchüler
Mach unter technifcher Leitung Chadt's gefertigt nach Zeichnungen von den
ProfeflToren Laufberger und Storck, welche die ausgeftellien Limochen aller Länder
2*
18 J- Schwerdtner.
an edler Zeichnung und vorzüglicher Technik übertreflfen. Auch hier war es das k. k.
Mufeum für Kunft und Induflrie, welches die Gelegenheit bot, fo Ausgezeichnetes
zu leiflen und hat die letztere Arbeit hier eine heimifche Stätte gefunden. Eine
Ausflellung von Limoche hatte PVankreich aufzuweifen, welche beftechende
Arbeiten enthielt, jedoch nicht im Stande war, obige Arbeiten in den Schatten
zu Hellen.
Die CoUeiflivausflellung der Graveure Wiens hat in der Graveur- und
Emaileurkunfl eine Anzahl hervorragender Vertreter. Im Bijouteriefache mag
hier die Ausflellung von Carl Edler ihors concours) erwähnt werden, da diefe
Firma die ältelle in Wien ifl, die diefe Arbeit in feinden Juwelierarbeiten culti-
virt. Eine Anzahl der fchönften eleganteften Knöpfe und fonflige Emailarbeiten
auf edlem Metall, neben der Ausflellung aller Emailforten haben uns über die
Leiflungsfähigkeit diefer Firma aufgeklärt. In derfelben Branche für Juwelierarbeit
flellte eine bedeutende Expofition die Firma Gebrüder Sporer aus, und hat
keine Koften gefcheut, um feine ausgedehnte Thätigkeit zu documentiren. Ohr
gehänge, Bracelets, .Brochen, Medaillons, Wappen für Albums etc. fertig montirt
waren da zu fehen und es war daher ein Vergleich der inländifchen Thätigkeit
mit dem Auslande möglich. Der Kunftinduflrie dienend hat die Ausflellung
J. Rofchmann gezeigt, wie weit es die Technik des Gravirens Hand in Hand
mit der Emaillirung gebracht hat, wenn man erwägt, dafs alle diefe Objecfle aus
unedlem Metall gefertigt werden. Die Farbenfchmelze von Rofchmann wurden
auch vom Auslande gewürdigt. Seine Technik im Ausfehneiden, Verfchneiden
und Montiren konnte man jedoch nur genügend bewundern, wenn man die Aus-
flellung des Hofbuchbinders Herrn Leopold Groner befah, welcher feine pracht-
vollen Bucheinbände und Albumdecken mit den Arbeiten des Herrn Rofchmann
nach Zeichnungen des Architekten C. Groner verzieren läfst. Theile der Aufträge
des Hofbuchl)inders Groner bildeten die Ausflellung Rofchmann's.
Ferdinand Lehmann jun. reiht fich mit feinen Arbeiten, befonders
mit feinem fchöncn und durchfichtigen Farbenfchmelz auf unedlem Metall, an die
Ausflellung des Obigen an, und Monogramme, Wappen etc. bilden die Expofition
diefer Firma. J. Zapf, einer unferer flrebfamflcnEmailleure, ein noch junger Mann,
welcher feine künfllerifche Ausbildung auf der Kunflgewerbe Schule des k. k.
Mufeums gewann, hat vortreffliche Emailgravirungen in zahlreichen Muflern,
tiguralifche und ornamentale Arbeiten auf Silber und Bronce, translucide Email-
arbeiten, Taflen mit Imitation von Lapis lazuli und Onyx inflru<fliv befchrieben,
zur Ausflellung gebracht und Ankäufe des k. k. Mufeums, wie die Anerkennung
Aller belohnten das Streben diefes Künfllers, welcher in die Fufstapfen des Alt-
meiflcrs Chadt bei fortgefetztem Fleifse zu treten berufen fcheint. Hetzel hat nur
mit fünf Stück translucider Emailarbeit — die vier Evangeliflen und Chriflus als
Mittelflück — die Ausflellung bereichert, und den Beweis geliefert, dafs auch für
Technik die beflen Kräfte vorhanden fmd. In translucide Email hat Hetzel, der
nur figuralifche Arbeit ausgeflellt, auch keinen Concurrentcn auf der ganzen Aus-
flellung gefunden und, wie erwähnt, nur der Ausflellungskaflen Augufl Klein birgt
ähnliche Arbeiten von Chadt. Jedenfalls hätte Hetzel eine gröfserc Wirkung mit
feiner Arbeit erzielt, wenn er diefelbe auf einem MifTaledeckel, umgeben von
(iravirung und Emaillirung, ausgeflellt hätte, wozu wohl die Zeit gemangelt haben.
In Emailarbeiten glänzte die Ausflellung Ruf^lands und nur hier konnte
man den ganzen Erfolg, den die Emaillirkunfl erringen kann, klar vor Augen fehen:
di^ Gegenflände, auf welchen die Emailarbeiten und die Gravirung angebracht
fmd, haben zumeifl glatte Formen, welche durch das Schleifen des gefchmolzenen
Emails bedungen wird. Hier tritt nun der Goldfchmied und der Silberarbeiter in
den Hintergrund und räumt dem Graveur und dem Emailleur alle Ehren ein, die
da zu holen. Hier mufs auch noch erwähnt werden, dafs der ruffifch-byzantinifche Stil
wohl auch durch feine Farbenpracht, welche derfelbe bedingt, viel dazu beiträgt
tliefen Arbeiten folchen Reiz zu verleihen, doch möchte ich behaupten, dafs in
Graveur- und Guillochirarbeiten, ly
Wien diefe Arbeit ebenfo gut und fchön gefertigt werden kann, wenn diefelbe
verlangt wird. Auch das durchfichtige fchöne Roth ifl in Wien ebenfo zu finden,
als es in Rufslands Ausftellung zu fehen war, und wenn man die Preife erwog,
welche ftir die ruffifchen Arbeiten verlangt und bezahlt wurden, kann ich gegen-
über den hiefigen Preifen die obige Behauptung aufrecht erhalten.
Die kirchlichen Emailarbeiten und Malereien auf Email waren fehr ver-
(lienftvoUe Arbeiten, welche auf Anerkennung gerechten Anfpruch machen
konnten. Die Firmen A. Poflrik of f, J. P. Kl ebnikoff und P. O wtfchinikof f
haben das unbeflrittene Verdienft, viele Anregung mit ihren Ausllellungen
gefchaffen zu haben.
Die Niello-Arbeiten (ruffifch EmailSchwefelfilber) find als vorzügliche
Arbeiten bekannt, aber fanden, da die Gravirung in der Zeichnung oft recht mittel-
mäfsig war, nur als technifche Arbeiten Anklang.
Auch Oefterreich fteht in diefer Beziehung mit fortfchreitender Technik da
und die Ausftellung, namentlich der Firmen Marko vits & Seh ei d und C le e-
berg etc. brachte fchöne derlei Arbeiten. Frankreich hat auch Emailarbeiten
für kirchliche Kunft durch Herrn Pouffielque Rufand, Paris, auf die Ausftellung
<^ebracht und mit diefen Arbeiten einen ganz vorzüglichen Eindruck gemacht,
jedoch die Wiener Arbeiten nicht übertroffen. Undurchfichtiges Roth in fchöner
Farbe ift das Verdienft diefer Ausftellung.
Die meifte Anerkennung für Arbeiten in Email gebührt der Firma Barbe-
(Henne in Paris, und Elki ngt o n & Comp, in London. Der Berichterftatter
über Gruppe VII, Secflion 4, hat ihre Leiftungen umfaffend dargeftellt.
Taufchirte Arbeiten, das ift Gold- und Silbereinlagen in Eifen, waren in der
Colleölivausftellung der Graveure Wiens vertreten durch Herrn W. Nowak und
Herrn JofefRutte. Diefe Ausftellung war inloferne intereffant, als fie die einzige
derartige Arbeit auf die Ausftellung brachte. Nowak, einer unferer verdienft-
vollften WafTengraveure, hat eine Chalouille reich mit Ornamentengravirung in
Eifen eingelegt mit plaftifchen verfchnittenen Goldfiguren in fchönfter Technik
ausgeftellt; ihm zur Seite ftand fein verdienftvoller Concurrent Herr Rutte mit
ähnlicher Arbeit, welche, da diefelbe zu fpät einlangte, von der Jury nicht mehr
beurtheilt werden konnte.
Die eigentliche taufchirte Arbeit, Ornamente von Gold und Silber flach in
Eifen eingetrieben, ift in anfserordentlicher Technik von Spanien auf die Ausftel-
lung gebracht worden. Zwei Firmen theilten fich in das Verdienft, die Proben
von taufchirten und inkruftirten Arbeiten gezeigt zu haben und verweifen wir auch
dafür auf den Bericht, Gruppe VII. Secflion 4.
Die in taufchirter Arbeit ausgeftellten Arbeiten werden wohl dazu beitragen,
diefer Technik jene Aufmerkfamkeit auch in Oefterreich zuzuwenden, welche
bisher noch Unerreichtes erreichbar macht. An tüchtigen Kräften ift auch hierin
kein Mangel.
Stanzengravirung.
Die Stanzengravirung, eine der wichtigften Arbeiten der Goldfchmiede-
Kunft und eine der fchwierigften technifchen Arbeiten im Graveurfache, welche
fich zu jeder Zeit Anerkennung zu verfchaffen wufste , war in der Colle<flivausftol-
lung der Graveure durch die Herren Auguft Kleeberg und A. Beer vertreten.
Kleeberg, einer unferer talentvollften Graveure , welcher im Bijouteriefache
fchon feit Jahren thätig ift , hatte fich auch mit Erfolg auf die Gravirung von
Medaillen verlegt, in letzterer Zeit jedoch eine Luxusftöcke-Fabrik ins Leben
gerufen, welche die Goldfchmiede-Kunft mit der Gravirung und eigenen Präge-
anftalt vereint, und kam daher in die Lage, fein volles Können und feinen künft-
lerifch gebildeten Gefchmack zu zeigen. Diefe Firma wurde mit der Medaille für
^0 J. Schwcrdtaer.
guten Gefchmack und mit der Fortfchriitsmedaille ausgezeichnet und die zalil-
reichen Befiellungen und Ankäufe zeigen den Erfolg für fein ihatiges Wirken.
Eine vorzüglich gearbeitete Albumdecke, eine emaillirte Schale und divei i\.-
gravirte und emaillirte Arbeiten, wie eine Serie feiner Emailftanzcn und Medailleu-
(lanzcn, ebenfo Stanzen für Bijouterie bildeten feine Aus>ltellung.
Der zweite Vertreter für Stanzengravirung ifl der in Wien bekannte Oravcur
A. Beer, welcher fich eine eigene Frägeanflalt eingerichtet hat, um feine kleinere
Metlaillenarbeiten für Wallfahrtsorte felbft anfertigen zu können. Stanzen für
Bijouterie, für Knopffabrication, Medaillenflanzen mit Porträts, geprägte Crucifixe
in allen Gröfsen etc. bildeten die Ausflellung und es bedarf nur noch der Erwäh-
nung, dafs Herr Beer feine Arbeiten in Prägung exportfähig gemacht und taufende
Dutzend feiner geprägten ArKeit nach Jerufaleni liefert, welche dort verkauft
werden.
Hermann Strobl, ein Schüler der Nürnberger Kunflfchule, feit zwei
Jahren in Wien, hat mit feiner Ausflellung ein vielfeiliges Talent nachgewiefen.
Will Strobl jedoch die günftigen Erfolge feiner Ausflcllung ausnützen, fo
gehe er den betretenen Weg der Medaillcurkunfl muthig vorwärts. Seine Ariieiten
in (liefern Fache, befonders im Porträtfache, wurden anerkannt und fiebern ihm
den Erfolg.
Die Stanzengravirung für Bijouterie hat hier in Wien aufser den Obge-
nannten wenige Vertreter und es ifl zu befürchten, dafs für diefe fchwierige
Arbeit, welche viel Zeit, Mühe und Geduld erfordert, fchwer ein Xachwucl.s
herangebildet wird. In der Ausflellung der Schweiz begegnen wir einigen folchcn
Ari)eiten, welche muflerhaft und fleifsig gearbeitet find und von der Firn i
C.Richard in Genf zur Ausflellung gebracht wurden.
In der Gruppe XII nei)en den Collcdlivausflellern der Graveure hat Herr
J. C hri fll b au e r Arbeilen feiner Prägcanflalt ausgeüellt, welche, da diefelben
für ausgeflellle Graveurarbeiten angefehen würden, durch den Reichthum In der
Expofition auffallen mufsten. Herr Ch r i A 1 b au e r, Mechaniker und tüchtiger
Prägemeifler, zeigt in feiner Ausflellung alle Stadien der Hilf.sarbeiten für den
Medailleur und Stanzengraveur. Original-Tiefgravirungen fahen wir in Stahl aus-
gehoben vor unferem Auge, erhabene Graveurarbeiten neben eingedruckten
Stanzen. Von Modellirungen gegolTene Stanzen, diefelben eingedrückt in Stahl für
die Prägung. Me<laillenflanzen auf mechanifchem Wege ohne Anwendung einer
Mafcbine verkleinert. Gut und fcharf gejuägte Medaillen, Metalladrefl'en und
geprägte Siegel bildeten diefe Au>nellung, welche den Beweis lieferte, dafs wir
noch lange der Graveurmafchine für Medaillen entbehren können, denn Ghrifl.!-
bauer's Talent unterflüt/t den Graveur in jedem vorkommenden Falle. Eine
Bemerkung fei jedoch erlaubt ; C h r i fll bau e r würde mehr Anerkennung gefunden
haben, hätte er feine ausgeflellten Obje(5le inflrudliv befchrieben.
Die Ausflellung der Prägcanftalt W. Pittner in der Mafchinenhalle, hat
fich auf die Prät^ung der von dem Münzgraveur Herrn A. Scharff fehr venlienfl-
vidl gravirten Au>ftellungsmedaillen und Münzen bcfchränkt und gab dem
Befucher der Ausflellung Gelegenheit, Medaillen und Münzen mittclft der Präge-
mafchine erzeugen zu fehen.
Eine Ausflellungsmedaiüe wurde auch von der P'irma V. Chriftefen
aus Kopenhagen, von F. Schmalfeld, in der M.ifchinenhalle auf der gewöhn-
üclien Prelfe geprägt. Auch J. C h r i fl 1 b au e r hatte eine Prägepreffe dt>rt
r.ufgeflellt, auf welcher Souvenirs (!er Ausflellung geprägt wurden.
Xoch erübrigt de.-» Graveurs A. Redler in SVicn zu gedenken, welcher
kurze Zeit Chattons und Gallerien, für die Steinfaffung von den Juwelieren und
Broncefchmuck-Fabrikanten, von einer Walze geprefst. ausflellte und zeigte durch
feine Ausllellung, dafs man auch in Wien diefe Technik übt.
Die CoIIe(flivau>flei!ung der Goldai heiter in Pforzheim zeigte Chaltons und
Gallerien. Auff.iue etc. durch den Ausftei'er C; r. H a u I i k, Goldarbeiterflanzeu
Graveur- und Guillochirarbcilcn. ^1
für Ohrgehänge. Brechen etc. von C. Krieger ebendafelhfl in fehr fauberer
Arbeit.
Auf:ser (liefen Arbeiten hat nur die Ausflellung der Schweiz noch gedie-
gene Stanzenarbeit aiiügeflellt, welche meiflens mit der Mafchine angefertigt und
für Prägung von Emailarbeiten und Bijouterie beflimmt waren.
Die rege Theilnahme von Seite der Graveure, um das Zuflandekommen der
Colleclivausflellung der Graveure Wiens zu ermöglichen, mufs hier um fo höher
^efchätzt werden, als es gerade unter Collegen, die fich bis dahin gar nicht
kannten, ungemein fchwierig war, ein Verftändnifs herzuftellen. Die Graveure
Wiens haben aber durch die Befchickung der Ausflellung das verdienflvoUfle
Maieriale zur Beurtheilung aller Abzweigungen des Gravirens gefchaffen. Diefs
wurde auch allgemein anerkannt und lobend erAvähnt.
Zahlreiche Prämiirung und viele Ankäufe von den Mufeen find der Beweis
für den Kunftwerth der ausgeflellten Arbeiten in jedem Cicnre.
Bedenkt man, welche ricfige Opfer vom Graveur als Ausfleller verlangt
wurden, als er mit Arbeiten für die Ausflellung des Kunllgewerbes überhäuft war,
fo dafs es allen Theilnehmem gleich fchwer fallen mufste mit vorzüglichen Kunfl-
produ<flen ihre eigene Ausflellung zu bereichern, fo mufs das Gebotene um fo
mehr überrafchen.
Die Lücken in der Ausflellung von Gravirungen find als nicht vorhanden
anzufehen, da ein grofserThcil befonders hervorragender Künftler die Ausflellung
nicht befchickte, welche durch ihre Arbeiten, die ebenfo bekannt als vorzüglich
fmd, diefe Lücken wohl ausgefüllt hätten.
Wir kommen daher zu dem Schluffe, dafs es an vorzüglichen Vertretern
jeder Technik in Wien nicht fehlte. W^ürden die Aufträge, welche grufsere künfl-
lerifche Bildung erfordern, nicht fo feiten fein, fo würde man nicht erft die vor-
züglichflen Arbeiter fuchen muffen. Das k. k. Mufeum für Kunfl und Induflrie hat
durch feine Ausflellung und der durch das k. k. Mufeum beftellten Arbeiten, eine
Menge Namen bekannt gemacht, welche bis dahin unbekannt waren. IlerrHofrath
Eitelberger, welcher fich um die Kunfl des Gravirens eifrig bemüht, um die-
felbe zu heben, hat eine permanente Ausflellung moderner Graveurarbeilen neben
aen Ausflellungen anderer Arbeiten ins Lel)en gerufen, was als ein Erfolg der
Wiener Colle<5livausflellung ausgelegt werden mufs. Könnten fich die Graveure
auch noch entfchliefsen, durch gemeinfames Vorgehen diefe Kunfl moralifch zu
heben, das Bewufstfein zu ftärken, dafs der Graveur auch unter die Künfller zu
zählen, eine Fachfchule ins Leben zu rufen, wo die älteren Meifler ihre Erfah-
rungen verwerthen konnten, würde auch bei den Schülern die Ueberzeugung
Eingang finden, dafs das Graviren kein Handwerk fei, welches fich ohne befon-
deres Talent erlernen laffe.
Die jetzt fo arg gefunkene Kalligraphie follte wieder an der Fachfchule
neben den Begriffen von technifcher Chemie gelehrt werden; nur fo müfste der
Nachwuchs eine bedeutend beffere Stellung einfl einnehmen können, als fich die
Vertreter diefer Kunfl heute rühmen können.
PHOTOGRAPHIE.
(Oruppe XII, Section 4.)
Bericht von
Josef Löwy,
k. k. Ho/Fhotograph in ll^ien.
EINLEITUNG.
Wenn es noch irgend Jemanden gegeben haben follte , der den aufser-
ordenllich hohen Werth der Erfindung des Lichtbildes, die tiefeingreifende Bedeu-
tung der Photographie für den Culturfortfchritt nicht erkannt hätte, oder leugnen
wollte , der mufste auf unferer grofsen Weltausflellung gründlich belehrt und
bekehrt werden.
Nicht nur, dafs die Photographie als graphifche Kunft durch die Expo-
fitionen der ausübenden Fachmänner impofant vertreten war, und man hier die
hohe Stufe der Vollendung, die fie bereits erreicht, ihre ehrenvolle Aufgabe und
ihr erfolgreiches Wirken im Dienfte der Schönheit erkennen konnte, war fie auch
als Hilfsmittel bei allen anderen Kategorien der Ausflellungsgegenftände, bei
allen Gruppen der Ausftellung zu finden, und documentirte dadurch ebenfo ihre
univerfelle Wichtigkeit wie ihre ausgedehnte Anwendung.
Welch' erfpriefsliche und werthvolle Dienfle hat die Photographie den
Ausflellern nicht geleiftet! Viele, welche den geforderten und gehofften Raum
nicht erhalten konnten, liefsen einfach die Gegenflände, welche fie nicht in
natura ausflellen konnten photographifch abbilden und vervollfländigten fo ihre
Ausflellung. Andere fanden es angemefsen , neben ihren Objeiflen ein photo
graphifches Bild der Fabrik, der W^erkllätten, aus welchen die erzeugten Gegen-
flände hervorgegangen waren, neben letzteren anzubringen; wieder Andere hatten
ficli Photographien ihrer ausgeflellten Gegenflände zum Zwecke des Vertheilens
— der Reclame — anfertigen laffen , ja wohl wenige Ausfleller gingen heim
ohne fich ein Andenken an die Ausflellung überhaupt, wie von ihrer fpeciellen
Expofition von der Photographen-AlTociation (von deren Thätigkeit ich fpäter zu
fprechen noch Gelegenheit nehmen werde) erworben und mitgenommen zu haben
Die Albums mit Photographien von Gold-, Silber- und Juwelierarbeiten, Bronce-
gegenfländen, Möbeln und dergl. , welche mehrere englifche und franzöfifche
Firmen auflegten, repräfentirten wahre Prachtvverke. Der Orient und Indien
konnten durch die Photographie ihre merkwürdigflen Baudenkmäler und Götzen,
ihre Volkstypen und Handwerks-Geräthe vorführen, Ausflralien wollte durch
eine ganze Serie Landfchafts-Photographien, worunter manche herrliche Scenerie,
wahrfcheinlich die Lufl zur Auswanderung dahin erwecken.
Im Militärwefen und Ingenieurfache waren Karten und Pläne ausgeflellt,
welche durch Photo-Lithographie oder Photo-Zinkographie ausgeführt waren,
felbfl Werke der bildenden Kunfl waren durch Photographien vertreten ; ich
erinnere nur an die Reproducflion der Gemälde des belgifchen Malers W^iertz,
Photographic. 23
In hervorragender Weife haben verfchiedene Zweige der WiiTenfc haften
die Photographie als Darflellungsmittel auf der Ausftellung benützt, namentlich
die Naturwifienfchaft, welche kein bequemeres und geeigneteres Lehr- und Ver-
anfchaulichungs-Hilfsmittel hätte finden können; auch die Anatomie und die
Chirurgie hat fich in manchen Fällen durch die Lichtbilder vertreten laflen.
Die Ausftellung zeigte uns, wie fchon Eingangs erwähnt, durch
viele Proben, wie die Photographie fchon jetzt in alle Verhältniflfe des menfch-
liehen Lebens gedrungen ift, allen Wiffenfchaften, Künften, Induftrien und
Gewerben fich dienftbar macht ; dafs aber noch ein grofses, weites Feld für fie zu
erobern ift, dafs fie in alle genannten Gebiete noch viel tiefer eindringen mufs,
foll dabei nicht geleugnet werden; wir können aber aufser Sorge fein, bei den
grofsen Prote<5loren, welche die Photographie in der Kunft und Wiflenfchaft hat,
fchreitet fie von Tag zu Tag einer höheren Stufe der Vollendung entgegen und
l)ei dem mächtigen Einfluffe, den fie jetzt fchon ausübt, den aufserordentlichen
Vortheilen, die fie jetzt fchon bietet, durch die jetzt endlich in ausgedehnterem Mafse
praktifch verwertheten Druckverfahren, die fich durch Billigkeit, Dauerhaftigkeit
und fchnelle Erzeugung der Bilder auszeichnen, wird fie fich den Eingang bald
und ficher auch dort erzwingen, wo ihr Nutzen jetzt noch überfehen wird.
Die Zeit dürfte nicht allzufern fein, in welcher die Photographie gleich
wie das Zeichnen und Modelliren in den Schulen gelehrt wird, und unfere Nach-
kommen werden ebenfo fchwer begreifen können, wie man fich früher ohne die
Photographie behelfen konnte, als wir uns wundern, dafs es Culturvölker vor der
Erfindung der Buchdrucker-Kunft gegeben hat.
Meine Aufgabe ift, im nachftehenden Specialberichte weniger die Photo-
graphie zu befprechen, wie fie als Hilfs- und Erläuterungsmittel in den ver-
fchiedenen Ausftellungszweigen vorkam, als vielmehr zu unterfuchen, wie diefelbe
als Selbftzwek, als graphifche Kunft auf der Ausftellung vertreten war; die
Expofitionen der Photographen der verfchiedenen Länder durchzugehen, und
die Beftrebungen, Verfuche, Eigenheiten, die Refultate, Fortfehritte und Errungen-
fchaften. die fich da ergaben, zu notificiren.
Bezüglich der Anordnung fei bemerkt, dafs die Reihenfolge der Länder
emgehalten wurde, wie man fie, wenn man die Ausftellung vom Weftportale bis
zum Oftende durchfchritt, vorfand.
Da der Bericht nicht allein für Fachmänner, fondern für das allgemeine
Publicum beftimmt ift, fo war ich bemüht, vom exclufive Fachlichen abfehend,
demfelbpn eine allgemein verftändliche Form zu geben ; auch fehlen es mir
aus demfelben Grunde nicht überflüiTig, einen gedrängten hiftorifchen Rückblick
vorangehen zu laffen.
Die erften Verfuche, haltbare Lichtbilder herzuftellen, wurden von Davis
in England (1802) und Niepce in Frankreich unternommen, blieben jedoch ohne
nennenswerthen Erfolg. Der letztere verband fich 1829 mit Daguerre und zehn
Jahre fpäter, während welcher Zeit Niepce ftarb, war das Problem foweit gelöft,
dafs man die Bilder der Camera obscura fixiren konnte, und zwar gefchah diefs
durch Daguerre auf einer Silberplatte ; zu Ehren des Erfinders wurde fein Ver-
fahren Daguerrotypie genannt. Die Erfindung machte natürlich ungeheueres Auf-
fehen und verbreitete fich fchnell über ganz Europa.
Um diefelbe Zeit erfand ein Engländer Fox Talbot eine Methode, Bilder
mittelft Chlorfilber auf Papier zu erzeugen. Die Methode befchränkte er darauf
Zeichnungen zu vervielfältigen und zwar legte er unter einen Kupferftich oder
eine Zeichnung ein mit Chlorfilber präparirtes Papier, und indem dasfelbe dem
Lichte ausgefetzt wurde, blieben die durch die Contouren und Striche der Zeich-
nungen gefchützten Stellen der präparirten Unterlage weifs, wogegen fich die
übrigen Stellen fchwärzten ; auf diefe Weife erzeugte er Negative, welche
wiederum auf lichtempfindliches Papier gelegt, dem Originale getreue Copien
24 JofefLöwy.
gaben. Durch (liefe Frtlndung trat die Photographie in die Reihe der verviel-
fältigenden Künfle. Tal b o t, erfetzte fpater auch die Daguerre'fche Silberplatte
durch das mit Jodfdber getränkte Papier, um in der Camera obscura Negative zu
erzeugen ; der Rauhheit des Papiers wegen blieben die Erfolge mangelhaft, N i e p c c
de St. Victor verfuchte diefem Uebelflande abzuhelfen, indem er als Bildträger
für Negative eine mit Eiweifs überzogene und mit Jodfilber empfindlich gemachte
Glasplatte ftatt des Papiers anwandte.
Erfl nach Erfindung der Schiefs-BaumwoUe wurde durch Archer & Frig
1851 das eigentliche Negativ-Collod.- Verfahren eingeführt, welches bis jetzt die
ßafis de> jjhotographifchen ProcelTes bildet. Von diefem Zeitpunkte angefangen
machte die Photographie rafche Fortfchritie ; man lernte die nöthigen Chemikalien
in gröfscrer Reinheit und Lichtempfindlichkeit darflellen, man benützte beffere
Apparate, worunter namentlich die von Profeffor Petzval berechneten und von
Vo ig tlän der ausgeführten Porträt- und Landfchafts-ObjeClive ; das rauhe Chlor-
filber-Papier für Pofitive wurde durch das feine Eiweifspapier erfetzt und die
anfänglich unfchönen Farbentöne der Bilder wurden durch die Goldton-Bader
verbefTert. In letzterer Zeit wurde namentlich in Wien, um künfllerifch wirkungs-
vollere Porträts zu erzeugen , die Negativ-Retouche eingeführt und vielfeitig
angewendet.
Dafs die Einrichtung eigener zweckmäf;»iger Ateliers, in welchen die
Beleuchtung nach Bedarf regulirt werden kann, beim Fortfehritt in der Photo-
graphie keine geringe Rolle fpielte, ifl jedenfalls erwähnenswerth.
Durch diefe fteten Vervollkommnungen ifl der Silberdruck heute auf eine
fo hohe Stufe gelangt, dafs eine noch höhere Entwicklung kaum denkbar ifl; man
wird defshalb fein Augenmerk und Beflreben auf die verfchiedenen, feitdem auf-
getauchten anderen Verfahrungsarten für die Vervielfältigung richten muffen,
welche hauptfächlich das Ziel haben, eine fchnellere und billigere Herflellung
photograpliifcher Bilder, verbunden mit gröfserer Dauerhaftigkeit derfelben, zu
erreichen. Zu diefen Verfahrungsarten rechnen wir : Kohlenbilder, Emailphotogra-
phien, Photo.xyiographien, Photolithographien und Zinkographie, Galvanographie
Woodbury- und Lichtdruck, deren Proceffe wir hier in Kürze anführen und fchicker.
wir voran, dafs die merkwürdigfle Eigenfchaft der chromfaueren Salze darin befiehl,
dafs fie unter dem Einfluffe des Lichtes organifche Körper oxydiren; eine mit
einem Chromfalz verfetzte Gciatinlöfung wird durch die Lichtwirkung unlö>lich;
auf diefer Erklärung beruhen zum Theil die nachfolgend befprochenen Ver-
fahren.
Kohlendruck. Um Papier zu diefem Verfahren zu präpariren, über-
zieht man es mit einer Löfung von Gelatine, Albumin oder Gummi mit Zufatz von
etwas chromfaurem Salze ; nach dem Trocknen belichtet man im dire(ften oder
zerflreuten Sonnenlichte hinter einem Negativ, nach der Belichtung wird auf da-
Papier eine Schichte typographifcher Tinte recht gleichmäfsig mittelfl eine*-
Ballens oder einerRolle aufgetragen, und das allo behandelte Bild in Waffer getaucht ;
hier lafTen alle diejenigen Theile, welche nicht von dem Lichte getroffen wurden,
den fetten Körper fahren, während die anderen fo viel davon zurückhalten, als der
gröfseren oder geringeren Lichtwirkung an den betreffenden Stellen entfpricht.
tue färbende Subftanz kann übrigens auch gleich der chromirten Gelatine zugefetzi
werden, man hat dann nur nöthig, das fo behandelte Papier tüchtig auszuwafchen.
die Zwifchenoperation des Einfchwärzens mit fetter Farbe fällt dann weg, man
nennt diefes Verfahren das Kohlecopir-Verfahren ; in der Anfangsperiode waren
ileffen Hauptvertreter : P o i t e v i n , Garnier, S a 1 m o n und 1* o u n c y.
Eine wefentliche Verbeflerung wurde von ]Hair angebahnt, welcher zuerfl
tlie Beobachtung machte, dafs fo präparirtes Papier, von der Rückfeite belichtet,
die unlösliche Schichte viel inniger mit dem Papier verbindet.
E m a i Iph o t o gr aphi e , auf Glas oder Porzellan eingebrannte Bilder.
Eine Mifclumg von luv.eifs oder Gummi, Zucker und zweifach chromfaurem
Phi^tographie. '2o
Kali auf Papier oder Glas aufgetragen, verliert durch Belichtung ihre Kleb-
rigkeit; fand die Belichtung unter einem Negativ flatt, fo wird, wenn man die
Schichte mit feinem Farbenpulver einftreut, diefes Pulver nur an den nicht belicb.-
teten Stellen haften; man erhält folglich ein neues Negativ; war die Vorlage
ein Pofitiv, fo wird auch der Abdruck ein Pofitiv, in allen Theilen dem Originale
gleich. Wo das Licht voll einwirken konnte, wird nämlich die Schichte ganz
hart und trocken und das Pulver gleitet über fie hinweg, nur die vor dem Lichte
gefchiitzten Stellen bleiben klebrig und nehmen das Farbenpulver reichlich an,
während in den Halbtönen die Schichte einen der Durchfichiigkeit diefer Tone
genau entfprechenden Theil ihrer Klebrigkeit verliert, und claher mehr oder
weniger Farbe annimmt; wird nun ein Farbenpulver, das aus Porzellan oder
Emailfarbe befteht , und mit einem Flufsmittel verfelzt ifl, auf eine mit obiger
Schichte überzogene und belichtete Platte gebracht, fo kann das fo erhaltene Bild
auf Glas, Porzellan oder Email eingebrannt werden.
Derartige Bilder können auch auf Holz übertragen, und wie iede andere
Zeichnung vom Xylographen gefchnitten werden.
l^hotolithographie und Photo Zinkographie. \Vie die niii
chromfaurem Kali verfetzte Leim- oder Gummifchichte hat auch Asphalt die
Eigenfchaft, feine Löslichkeit unter der Einwirkung des Lichtes zu verlieren; diclo
Eigenfchaft wird benützt, um photographifche üeberdrücke auf Stein oder Metall
zu erzeugen. In Benzin gelöfter Asphalt wird gleichmäfsig auf Stein oder Metnil
gebracht, nach dem Trocknen unter einem Negativ belichtet, und die dann noch
löblichen Stellen mit dem Löfemittel Benzin etc. wieder entfernt, wodurch das
eigentliche Bild (^Pofitivi blofsgelegt wird; diefes Bild wird fodann geätzt und ift
druckfahig. Das Verfahren eignet fich hauptfächlich für lineare Zeichnungen,
doch ift auch fchon fehr Bemerkenswerthes und Schönes in Mitteltönen erreicht
worden. Sehr gtinftige Refultate erhält man, wenn man von einer Lichtdruck-
Platte auf Unidruckpapier fette Abzüge macht, und diefe fodann auf einen Stein
oder eine Zinkplatte überträgt und älzt.
Gal van ograp h i e. Die bei dem Kohlenverfahren angewandte Schichte
von Leim und chromfaurem Kali zeigt nach der Belichtung und im feuchten
Zuftande ein in den Lichtern erhabenes und in den Schatten vertieftes Bild, das
heifbt ein fehr genaues, dem Lichtbilde entfprechendes Relief. Wird diefes Relief
mittelft Guttapercha oder einer anderen plaftifchen Maffe abgeformt, die Form
durch Einftauben mit Graphit leitend gemacht, fo kann auf galvanoplaftifchem
Wege ein Niederfchlag erzielt und eine auf diefe Weife gewonnene Platte wie
eine gravirte Kupferplatte gedruckt werden.
Wood b u ry druck. Woodbury benützte zu feinen Drucken ein Chron:-
Gelatinrelief, und machte von diefem mittelft einer hydraulifchen Preffe einen
Abdruck in weichem Metall ; das auf diefe Weife erhaltene Gliche wird mit gefärbter
Gelatine übergoflen, Papier aufgelegt, in eine eigens hiezu conftruirte Prelle
gebracht; nach demErftarren kann das nun fertige Bild von dem Gliche abgezogen
werden.
Alberttypie (Lichtdruck. Preffendruck). Nachdem es gelungen ilt,
durch Anwendung von Druckerfchwärze, welche die Garantie vollftändiger Halt-
barkeit bietet, photographifche Bilder fchnell und billig zu vervielfältigen, läf:>t
fich die Behauptung mit voller Berechtigung aufftellen, dafs diefer Zweig des
Kunftdruckes für Kunft und WifTenfchaft, Handel und (bewerbe ein ganz unent-
behrlicher und unerfetzlicher Facftor geworden ift. Es gibt kein anderweitiges
Verfahren, welches Abbildungen fo vollkommen darzuftellen und fo getreu wieder-
zugeben im Stande wäre. Der erfte, welcher in diefem Zweige Vollendetes in die
Oeffentlichkeit brachte, war Hof- Photograph Albert in München. Die bei dem
Albert'fchen Verfahren beobachtete Manipulation ift folgende:
Eine Glasplatte wird mit einer Schichte aus Leim, Albumin und chrom-
fauerem Kali zufammengefetzt, überzogen, an einen vom Tageslicht gefchützten
26 Jofcf Lüwy.
Ort gebracht und getrocknet, und hierauf von rückwärts, das heifst durch die
Glasfeite belichtet, Leim und Alliumin in Verbindung mit chromfaueren Salzen
werden durch die Wirkung des Lichtes unlöslich, es findet demnach eine fehr
fefte Verbindung diefer erflen Leimfchichte mit der Glasfläche (latt, auf diefe erde
Schichte, welche gleichfam die Unterlage für das zu empfangende Bild bildet,
erfolgt nun ein zweiter Aufgufs für die eigentliche Bildaufnahme, ebenfalls von
Leim und chromfaueremKali, die Platte wird neuerdings natürlich mit Ausfchlufs;
von Tageslicht getrocknet, und hierauf unter einem gewöhnlichen Negativ je nach
der Kraft desfelben und der Stärke des Lichtes länger oder kürzer dem Tage^•
licht ausgefetzt; nach hinlänglicher Belichtung wird die Platte von allem nicht
reducirten Chromfalze durch öfteres Wafchen mit Wafler befreit, und ift druck
fähig, es find nämlich alle jene Stellen im Waffer unlösbar geworden, auf welche
das Licht durch das Negativ einwirken konnte, und dadurch geeignet, wenn man
die Platte mit einer Schwärzerolle übergeht, fette Farbe anzunehmen, während
die übrigen durch das Negativ vom Lichte gefchützten Stellen löslich geblieben
oder doch wenigftens geneigt find, Feuchtigkeit anzunehmen und demzufolge
beim Einwalzen mit der Schwärzerolle die Farbe abftofsen ; die Platte mufs def>-
halb während des Druckes wie ein lithographifcher Stein durch leichtes Ueber-
fahren mit naffem Schwamm immer etwas feucht gehalten werden.
Die gröfste Manipulationsfchwierigkeit war, die Druckplatten dauerhaft
herzuftellen, das Befcftigen der Schichte ifl jedoch fchon fo gut gelungen, dafs
die Druckplatten eine unbegrenzte Anzahl von Abdrücken ermöglichen.
Erwähnen mufs ich noch, dafs diefe verfchiedenen Proceffe fich nur aut
die Darftellung und Vervielfältigung von Pofitiven beziehen, für die Gewinnung
der Negative blieb der JodfilberProcefs bis jetzt noch immer beibehalten, doch
werden auch das Einftaubverfahren und der Kohlcndruck zur Vervielfältigung der
Negative mit Erfolg benützt.
Die Photographie als graphifche Kunft auf der Welt-
ausftellung.
Wenn ich nun auf die Betrachtung der Photographie als graphifche Kunft
auf der Weltausftellung übergehe, fo glaube ich vor Allem bemerken zu muffen, dafs
trotz der reichen Betheiligung von Seiten der Photographen und des vielen Schönen
und Gediegenen, welches hier vertreten war, doch die Expofition fo manchen Landes
nicht die gegenwärtige wirkliche Höhe der Photographie in demfelbenrepräfentirte.
Vertreten waren von fämmtlichen vorher erwähnten Verfahren in über-
wiegendfter Weife natürlich der Silberdruck, nach ihm der Lichtdruck, Heliogra-
vüren und photographifche Umdrucke, Kohlendrucke, eingebrannte und Email-
Photographien.
Intereffant war es auch, zu beobachten, wie jeder Staat durch feine eigen-
thümlichen Verhältniffe in Bezug auf Kunftwefen, Induftrie oder durch feine mehr
oder minder reichen Naturanlagen fpeciell auf einzelne Zweige der photogra-
phifchen Kunft mehr oder weniger fördernd wirkte, anderfeits, wie durch den
Einflufs bedeutender Fachmänner das eine oder andere photographifche Fach
befonders hervorragend zur Geltung gebracht wurde, wie z. B. in D eu tf chl an d
die Reproduiflionen von Gemälden und Zeichnungen, durch die ausfchliefslich
diefem Fache gewidmeten Beftrebungen einzelner Photographen, fowie durch
die Einflufsnahmeund das Entgegenkommen derKünftler felbft; in Frankreich
die verfchiedenen Druckverfahren durch die Betheiligung hervorragender Che-
miker und Gelehrter (befonderen und bedeutenden Einflufs nahm die Societe
frangaise de Photographie a Paris) und durch die Förderung der Kunftverleger.
in Oefterreich das Porträtfach durch die unermüdlichen Anftrengungen einiger
tüchtiger Photographen es gerade im Bildnifs zu einer befonders künftlerifchen
Photographie. 27
Vollkommenheit zu bringen; in Italien haben die grofsartigen Bauten, und
Denkmäler alter Kunft, fowie die herrlichen Landfchaften hauptlachlich auf die
CuUivirung des architektonifchen und landfchaftlichen Faches eingewirkt, wozu
auch der (lets immenfe Fremdenzuflufs befondere Aufmunterung gab. Beginnen
wir nun unfere Wanderung.
Amerika zeigte durch die ausgeftelltcn Porträts und Landfchaftsbilder, dafs
aiefes Land der Photographie eifrige Pflege angedeihen läfst, und mit den Beftre-
bungen Europas gleichen Schritt einzuhalten fich bemüht ; im Porträtfache waren
namentlich die Bilder von W. K u r t z (New- York) fehr bedeutend und hervorragend,
fie zeigten ebenfo excellente Technik, als künftlerifch feinen Gefchmack, waren
aufserordentlichfchön in Ton und Beleuchtung; derfclbe hatte auch fehrbemerkens-
werthe Porträts ohne Negativretouche ausgeflellt. Für Fachmänner und Freunde
der Photographie war es lohnend, feine Bilder einer eingehenden Berichtigung zu
unterziehen, da Kurtz durch fein empfundene Abtönung und Stimmung des
Hintergrundes reizende Effe(5le zu erzielen verfland. Recht hübfche Porträts in
fchöner Beleuchtung, zum Theil in Rembrandt - Manier, hatte James Landy
(Cincinnati) ausgeftellt ; derfelbe brachte auch recht hübfche, mit Humor aufgefafste
Kinderbilder. W. R. H o well (New- York) fandte gute Damenporträts in ganzer Figur
mit gut gewählten Hintergrund ; auszuftellen war an denfelben nur die etwas zu
ahfichtlichen und coquetten Stellungen und die unnatürlich arrangirten Faltenwürfe.
Durch gute Porträts waren noch Henry R o c h e r (Chicago i und Leon van
Loo (Cincinnati) vertreten.
Im Landfchaftsfache thaten fich vor Allen Thomas Houfeworth & Comp.
Muybridge & C. E. Watkins, fammtliche aus San-Francisco hervor; die
Bilder waren meifl in grofsen Formaten, fehr klar und fcharf, meid fchöne und
dankbare Motive, von hübfcher Wirkung und fchönem Ton. Charles Bier (ladt
und Anthony & Comp, (beide aus New-York) hatten gelungene Stereofkop-
bildcr, hauptfachlich Anflehten des Niagarafalles eingefandt ; zu bedauern ifl,
dafs Aufnahmen von bedeutenden Brücken- und Bahnbauten gänzlich fehlten. Ich
kenne viele folche Bilder aus demKunflhandel. und weifs, dafs diefelben nament-
lich von Ingenieuren fehr gefucht find.
Wirkungsvolle, hübfche Reproducflionen piaftifcher Werke (Reliefs von
Thorwaldfen) hat Unnevehr (New-Yorkj und gelungene mikrofkopifche Photo-
graphien Henry Richman (Cincinnati) gebracht.
Alle genannten Photographien waren durch Silbercopien hergeflellt und
keines der anderen Verfahren repräfentirt, obwohl wie ich weifs diefelben dort
fchon vielfach Eingang gefunden haben.
Ich glaube auch hier eine neue Art transparenter Glasbilder erwähnen zu
follen, zu deren Herftellung die Photographie eine Vermittlerrolle fpielt; es
werden nämlich Photographien mitteilt Gelatinfchichte oder Ueberdruck auf einer
Glasplatte erzeugt und diefelbe dann unter einem Sandllrahl des T i 1 g m a n'fchen
Sandgebläfes (der neuen fo grofses Auffehen erregenden amerikanifchen Erfindung)
gebracht, wodurch das Bild alsbald in der feinflen Nuancierung und Reinheit in
dem Olafe vertieft (eingeritzt) erfcheint. Diefe transparenten Glasbilder haben
eine wundervolle Wirkung und eignen fich zur Ausfchmückung der Salons etc.
Ich bin überzeugt, dafs diefe Methode in der Glasinduftrie vielfaltig und mit Vor-
theil Anwendung finden wird.
Brafilien war durch Henfchel und Benque (Rio Janeiro) ver
treten, welche hübfche Porträts und Vergröfserungen ausgeflellt haben.
England. Obgleich die photographilche Ausflellung Englands durchaus
nicht den Anfpruch auf VoUfländigkeit machen konnte, und manche der erflen
Vertreter diefes Faches, wie Woodbury und Andere durch ihre Abwefenheit
28 JofefLowy.
glänzten, konnte man aus dem Vorhandenen dennoch auf die bedeutende Höhe
und Gediegenheit der Leiflungen in diefem Lande fchliefsen.
Bemerkenswerth war das Streben der einzelnen Photograj)hen nach einer
gewiflen Originalität und eigenthümlichen Auffaffung entgegen den häufig io
fchablonenhaften Arbeiten der Photographen anderer Länder. Soweit fich die
Eigenheit auf die Wahl ungewöhnlicher Darflellung bezieht, möchte ich ihnen
nicht in allen Fällen das Wort reden, dafür glaube ich fic infoforne unbedingt
loben zu können als fie fich in der Bemühung ausfpricht, zu jedem Motive, fei es
Figuren- oder Landfchaftsbild , die geeignete Tonung und Beleuchtung zu
finden — ein Stimmungsbild hervorzubringen.
Solche Stimmungsbilder von feinfter Empfindung und der reizendften
Wirkung konnte man in der englifchen Abtheilung finden, und fie zeigten fo
recht den engen Anfchlufs und Zufammenhang der Photographie an die Kunfl.
Hervorragende Aufmerkfamkeit erregten die Bilder der Mrs. Julia M.
Cameron (Frefhwater Bay Isle of Wighl) und von Wortley Colonel
Stuart (London); erflere hatte Köpfe und Figurenftudien ausgeflellt, in welchen
fie im Arrangement v»nd Wirkung Bilder alter Meifler (namentlich Leonardi) nach-
zuahmen verfuchte ; fo eigenthümlich und in mancher Beziehung malerifch die-
felben waren, fo möchte ich doch ihre BildnilTe von Dar\'in, Herfchel, Taylor, in
Rembrandtmanier vorziehen; es find diefs dire<5le grofse Aufnahmen; die fchönen
Wirkungen derfelben find durch die Beleuchtung erzielt, und dabei weder
Negativ- noch Pofitiyretouche angewendet; leider ifl das Photographifch-Tech-
nifcho etwas vernachläffigt.
Wortley erzeugt ein anderes Genre von Studienköpfen, ich möchte
diefelben (liliftifch gehalten nennen. Es find diefs beinahe lebensgrofse Bruftbilder
in künfllerifcher Auffaffung ohne jede Retouche, nicht fehr fcharf in der Aufnahme,
hiedurch aber wie durch die berechnete Simmung befonders malerifch wirkend,
dcrfelbe Ausfleller hat auch Stimmungslandfchaften gebracht, in welchen jedoch
die unruhig gehaltenen Wolken Hörend wirken.
Schöne Porträts in gröfserem Format hat Marshai Wone 'J)ouglas) ein
gefandt, Levis Ab e I (London) war durch recht hübfche Kinderporträts vertreten,
die Londoner Stereo fkopic und Photographic Company (London,
bekanntlich eine der verdienftvollflen Unternehmungen, war durch eine intereffantc
CollecTUon Porträts von Berühmtheiten in Cabinet-, Vifit- und Stereofkopformat
vertreten, in fchöner reiner Ausführung, dann durch excellente Stereoskope von
Landfchaften mit malerifcher Staffage, welche diefen Bildern befonderen Reiz und
natürliches Leben verliehen.
Im Landfchaftsfache beionders hervorragend, am bedeutcndflen in diefein
Gebiete in der Ausflellung waren die Stimmungsbilder von Robinfon ic
C herrill (Tunbridge Wells). Diefe Bilder waren nicht nur durch die äufserfl
anziehenden Motive, fondern auch durch die aufserordentlich fchöne technifchc
Ausführung und wirklich wunderbare Beleuchtung im hohen Grade fcffelnd,
namentlich war eine Landfchaft in Abendflimmung darunter, von welcher fich der
Bcfchauer fchwer trennen konnte: fie machten auf denfelben einen ähnlichen Ein-
druck, wie die Werke der poefievoUflen Landfchaftsmaler.
Brownrigg (Dublin) und Beasley jun. (London) brachten ebenfalls
gute Landfchaftsbilder, letzterer erzeugt fie mittelfl Trockenplatten.
Als Specialität zeigte fich Haes Frank (London), durch Photographien
vf)n Thieren aus dem Londoner zoologifchen Garten (Vergröfserungen) für
Schulzweckc bcflimmt und hiezu fehrgeeignet ; ebenfalls für Lehrzwecke beflimmte
Photographien, fchöne Reprodu(5lionen von Kunflwerken hatte das South
K e nfi ngt o n-M uf e u m (London) ausgeflellt. Schliefslich ifl noch zu erwähnen,
eine grofse Perfonengruppe, eine Zeichnung mit Benützung der Photographie im
Formate der grofsen englifchen Stahlfliche, welche Lachlan Mc. Lachlan
(^Manchefler) einfandte.
Photographie. 29
Auch in der englifchen Abtheilung war mit Ausnahme des letzt genannten
Bildes, welches in Autotypie ^^l*igmentdruck) ausgeführt ift, nur der Silberdruck
vertreten, für den Fachmann ebenfo auffallend als bedauerlich, da in England
manche der neueren Druckverfahren fchon zu einer bedeutenden Höhe der
V<jllkommenheit gebracht wurden und von dorther ebenfo intereffante als lehr-
reiche Proben hätten gefandt werden können.
Spanien und Portugal waren nur fehr unbedeutend vertreten, und
fcheint die Photographie auf keiner befonderen Stufe zu flehen. Von den zwei
Madrider Photographen A 1 v i a c h & Comp, und E.Julia hat erflerer nur palTable
Cnbinetporträts ausgeftellt. während letzterer unfchöne \*ergröfserungen brachte,
dagegen ifl aus Portugal wenigflens ein tüchtiger Photograph i Amateur) zu
erwähnen, Carlos Relvas. 'Oporto), der fich ebenfo durch Vielfeitigkeit. als
durch bedeutende künftlerifche Leiftungen auszeichnete, feine Porträts ebenfo wie
die Genrebilder, die Thierfludien, die Landfchaften und Architecfluren waren
^efchmackvoll im Arrangement, refpe<flive gut gewählt und von tüchtiger tech-
nifcher Durchführung. Von den Architecluren ifl namentlich das Innere des
Kloflers von Sta. Maria de Belem (^Liffj\J)oni als vorzüglich ausgeführt hervor-
zuheben. Auch die Sonnenaufnahmen des O b fe rva t o r ium s in I>iffabon
waren bemerkenswerth.
Frankreich. Die Expofition der franzöfifchen Photographen zeichnete fich
vor Allem durch günfliges Arrangement, dann aber durch Vielfeitigkeit und Treff-
lichkeit aus. Man fah, dafs fich die Franzofen auf allen Gebieten der Photographie
umthun, dafs fie fich mit allen Verfahrungsarten und Proceffen eifrig befchäftigen,
dafb fie aber auch höchfl anerkennenswerthe Erfolge erringen. Ihre aus-
geftellten Photo-, Litho- und Zinkographien, ihre Hello- (Galvano-) Gravuren
flanden unerreicht da, ihre Kohle- und Lichtdrucke waren demBeflen von anderen
Ländern ausgeflellten gleich. Anderfeits konnte man aus der franzöfifchen Photo-
graphenau.'iflellung erfehen, welch' grofsen Wirkungskreis und vielfältige Anwen-
dung die Photographie auf den Kunfl-, wiffenfchaftlichen , technifchen und
induftriellen Gebieten fich bereits zu verfchaffen gewufst hat, und wie ihr die neuen
t'chnellen Vervielfältigungsarten (deren Einführung bei uns in Oeflerreich fo viel
Mühe und Opfer koflen, und dabei noch mit Widerfachern zu kämpfen hat) fo
treffliche Dienfle leiflen.
Im Porträtfache war Reutlinger's (Paris) Colle<flion von grofsen Por-
träts, Köpfen, Studien und Genreflücken die hervorragcndfle ; die meiflen Bilder
zeichneten fich durch fchöne effe(5lvolle Beleuchtung und angenehmen feinen Ton,
welcher hauptfächlich durch Anwendung einfacher tief geftimmter Hintergründe
und Vermeidung überflüffiger Staffage erzielt wurde, aus.
Das Arrangement der Stellungen und der Toiletten — fo wichtig in der
Forträtphotograhie — verriethen feines Formgefühl und verlländigen Gefchmack.
Die Porträts von A. Lumiere (Lyon) wirkten durch fchönen, warmen
braunen Ton; diefer Photograph verfleht es auch, die nicht immer günftige
Beleuchtung feiner Porträts durch gute Negativretouche zu verbeffern.
Walery Graf Oflorog, (Paris) hatte fehr wirkungsvolle Porträts und
Naturfludien in Cabinet- und Vifitkarten-Format (Camee und gelatinirte) ausgeftellt ;
•liefelben machen fehr hübfchen Effetfl. Ein neues Genre von Porträts fucht
A. Bernoud (Lyon) einzuführen; derfelbe erzeugt die Bildniffe in Medaillon-
form, bei welchen der Namenszug des Porträtirten (durch doppeltes Copireni
-zugleich erfichtlich ift. Bernoud befafst fich auch noch immer mit den fchon vor
mehreren Jahren aufgetauchten, aber nicht fehr in Verwendung gekommenen
Miniaturporträts auf Vifitkarten ; die ausgeftellten Proben waren mit Feinheit und
Gefchmack ausgeführt.
30 Jofef L6«y.
Geymet & Alker waren durch hübfche Porträt-Emailbilder, dann durch
eine italienifche Landfchaft — mittelfl Verglaspulver dargeflcllt — von ungewöhn-
licher Wirkung vertreten. Auch Mathieu Deroche hatte vorzügliche Email- und
eingebrannte Bilder, hauptfächlich Porträts eingefandt. ebenfoW. D. Alexandre
und G. Comte de Roydeville. Alle (liefe Bilder waren von fchöner, reiner
und eflfecflvoller Ausführung, konnten aber dennoch nicht auf befondere künft-
lerifche Bedeutung Anfpruch erheben.
Das Landfchaftsfach im gröfseren Formate war leider nur fchwach
vertreten, einige der bedeutendften Vertreter diefes Faches fehlten. Von den
ausgeftellten Bildern find vor Allem die fehr fchönen Landfchaften, namentlich
höchfl flimmungsvoUe Waldpartien zu nennen, welche Harrifon (Asnieres)
eingefandt hatte, es ift wohl Jedermann die äufserfl gelungene vergröfserte
Landfchaft aufgefallen, die in ihrer fchönen Wirkung den Eindruck einer von
excellenter Künftlerhand ausgeführten Kohlenzeichnung machte ; Harrifon bekun-
det in feinen kleineren direölen Aufnahmen (für welche er ein fehr gefälliges
Format gewählt hat) aufserordentlich feine Empfindung in der Wahl feiner
Motive, zu deren vorzüglicher Au.sführung ihn feine bedeutende Technik wirkfaiu
unterftützt.
Ferrier & Lecadre (Nachfolger von Bingham) waren durch wenige,
aber vorzügliche Reprodudlionen von Gemälden vertreten ; diefe Herren beflreben
fich fichtlich den hervorragenden Ruf ihres Vorgängers auf diefem Gebiete auch
für fich zu bewahren. Auch das Haus Goupil, von dem ich weiter unten
noch fpreche, hatte einige treffliche Gemälde-Reprodu<5lionen ausgeftellt.
Wir kommen nun zu den excellenten Proben der verfchiedenen Arten von
Phototypie; da that fich namentlich R o u ff e 1 o n (maifon Goupil, Paris) durch
Porträts und Architekturen in grofsen Format, mittelrt Heliogravüre, Kupferdruck
in unübertrefflicher J<einheit und Zartheit der Töne erzeugt, hervor. Diefe Drucke
waren von den Photographien kaum zu unterfcheiden und verdienten bei der
i)ekannten Schwierigkeit, mit welcher die Ausführung einer Heliogravüre verbun
den ifl und bei den vielen mifslungenen Verfuchen in diefer Richtung, die ein
gehendfte Beachtung. Einige von diefer Firma aufgelegte Albums zeigten in ihren
hÖchll intereflanten Blättern, in welch' ausgedehntem Mafse diefelbe von der
Heliogravüre Gebrauch macht. Ebenfo waren die gleichfalls von Goupil aus-
geftellten Kohledrucke in ihrer wundervollen Vollkommenheit wahrhaft übcr-
rafchend ; fie übertrafen an Zartheit und Tiefe weitaus den gewöhnlichen Silber-
druck und zeigten fo, welche Zukunft dem Kohleverfahren noch vorbehalten ift.
Lefmann & Lourdel (Paris) hatten ebenfalls vorzügliche Bilder in
Photo-Zinkographie ausgefkellt, die an Schärfe und Reinheit nichts zu wünfchen
übrig liefsen und fich jeder Radirung zur Seite flellen konnten.
Ferner hatten Aman d Durand und Baldus grofse Collecflionen fehr
guter Heliogravüren eingefandt, erfterer meifl leichtere lineare Gegenflände,
letzterer auch Naturaufnahmen mit vollen und Mitteltönen in fehr gelungener
Ausführung.
Fleury Hermagis brachte Reprodu(5lionen von Stahl und Kupferflichen
auf photo-lithographifchem Wege in Sepiaton, fowie Kohledrucke in vorzüglicher
Schönheit. G. Fortier hat Photo-Lithographien mit Anwendung verfchiedener
Farben auf mattem Zeichenpapier, Papier de Chine und Seide ausgeführt, und
gute Wirkungen darin erzielt.
Die Photo-Polychromien des L. Vi dal (Marfeillej zeigen eine neue höchft
intereflante Anwendung der Photographie.
In der Aufnahme verfchiedener fehr intereffanter mikrofkopifcher Gegen-
flände zeigte fich Jules Girard als fehr tüchtig.
Im Stereofkopfache waren die bedeutendflen und weltbekannten Photo-
graphen E. Lamy, J. L e vy & Comp., auch J. Lach en al , Favre & Comp,
vertreten, erflerer durch eine Sammlung interelTanter Anflehten auf Papier in
Photographie. dl
vorzüglicher Schärfe und Reinheit ausgeführt, die beiden letzteren durch eine
reichhaltige und fehr fchöne Colle(5tion von Glasbildern.
Erwähnen wollen wir noch ein Tableau, welches die p h o t o g r a p h i f c h e
Gefellfchaft in Paris ausftellte und welches durch Bilder aus verfchiedenen
Zeitabfchnitten einen Ueberblick über die Entwicklung der Photographie von
ihren erflen Anfängen bis zu ihrer heutigen hohen Stufe gab, und zeigte,
welchen bedeutenden Einflufs die Gefellfchaft auf die Entwicklung der Photo-
graphie nahm.
Von der Schweiz waren recht gute, ichöne Porträts und hübfche Genre
bilderausgeftellt durch Gebrüder Täfchle r und Täfchle r S i gn e r (St. Gallen) ;
bei beiden ifl fchöne, natürlich einfache AuffalTung und hübfcher Ton der Bilder
bemerkenswerth ; auch die ausgeftellten Porträts von Ganz (Zürich) waren fehr
fchön. Schade, dafs diefe anerkannte Firma nicht Mehreres ihrer vorzuglichen
Leiflungen exponirt hatte ; bedauerlich ifl es, dafs die Aufflcllung der Bilder
höchft ungünflig und zu hoch war, es war kaum möglich, felbe ordentlich zu
befichtigen.
Auffallend und beinahe unbegreiflich ift es, dafs das Landichaftsfach fo
unbedeutend vertreten war. Der einzige C h arnau x (Genf) hatte eine Reihe
hübfcher Landfchaften ausgeftellt, worunter jene in gröfserem Format als befonders
gelungen zu bezeichnen fmd ; man foUte kaum denken, dafs In folch' pittoreskem
Lande, wo jährlich Taufende von Menfchen hinwandern, um fich an der fchönen,
herrlichen Natur Augenweide und Genüffe zu verfchatTen, fich bis ietzt kein bedeu-
tenderer Landfchaftsphotograph gefunden hat.
Von Italien haben einige bedeutende Photographen die Ausflellung
befchickt, aber leider waren die Bilder zu fehr zerflreut, zu wenig überfichtlich
exponirt, als dafs man ein klares Bild der Leiflungen Italiens durch diefelben
erhalten konnte.
Im Porträtfache ifl hervorzuheben Anton Sorgato (Venedig), er brachte
verfchiedene Porträts in grofsen Aufnahmen, recht wirkungsvoll und hübfch in
Ton, technifch und künfllerifch gut, auch feine Genrebilder, darunter befonders
das Bild „Die Heimkehr von der Ernte", waren fehr bemerkenswerth; ferner
Gebrüder Vianelli (Venedig) mit ihrer CoUecflion Porträts in grofsen Auf-
nahmen, alle in vorzüglicher Technik, aber nicht alle günftig in Pofe und Beleuch
tung; nennenswerth im Porträtfach find noch die Leiflungen der Gebrüder
Alinari und Michael Sehe mb o c he (beide in Florenz) und Angiolini &
Comp. (Bologna).
Bedeutender und beffer war das Architektur- und Landfchaftsfach vertreten,
für welches das fchöne Italien fo mannigfaltige und dankbare Motive bietet ; in
erfter Reihe ifl hier der rühmlich bekannte Photograph Carl Naya (Venedig) zu
nennen, deffen kleinere Bilder, wMe auch die ganz grofsen dire<5len Aufnahmen fich
purch fehr fchöne Beleuchtung, kräftigen, warmen Ton und ungemeine Schärfe
au.szeichnen ; eine hübfche Wirkung machte das Bild der „Marcusplatz in Venedig**
in Mondbeleucblung darftellend.
Eine ähnliche Sammlung guter Anfichten von Venedig mit und ohne Mond-
beleuchtung hatte Peter B e r t o j a (Venedig) gebracht.
Jacob Roffetti (Brescia) fandte eine Anficht der Kirche in beträchtlicher
Gröfse (2 Meter Breite), felbe ift aber aus mehreren Stücken zufammengefetzt.
Gebrüder Alinari (Florenz) exponirten eine etwas kleinere Abbildung
des Gilbertithores , ferner waren noch hübfche Anfichten der Peterskirche und
des Külloffeums in fehr grofsem P'ormat ausgeftellt von C u c c i o n i's Witwe (Rom),
dann mehrere Albums mit Anfichten von verfchiedenen Photographen, jedoch
wenig Beachtenswerthes darunter ; aufrichtig gefagt, ich hätte mir von der Ausftel
lung Italiens im photographifchen Landfchaftsfache viel mehr und Befferes erwartet.
3
32 Jofef Löwy.
Von Schweden hatten ausgeflellt G. Jo o p & Comp., W. Lundberg,
M. Jofephfon, alle aus Stockholm, recht hübfche, nett arrangirte Porträts in guter
Ausführung. Eurenius&Qvift (Stockholm) brachten eine Anzahl guter Porträts,
eine Colleftion Nationaltrachten (colorirt) und mehrere Blätter grofser direifler Auf-
nahmen, innere Anflehten einer Ausftellung darfteilend, in fehr guter technifcher
Ausführung, und aus N o rwe ge n waren gebracht gute Porträts in kleinem und
mittelgrofsem Format von L. Szacinski (Chriftiania), eine Reihe guter land-
fchaftlicher Bilder in hübfcher Ausführung von Seime r (Bergen)
Dänemark. An der photographlfchen Expofition Dännemarks haben fich
wohl mehrere Photographen betheiligt, hervorzuheben find aber nur
Budtz, Müller & Comp., Hofphotographen (Kopenhagen), durch die
recht hübfchen Porträts in verfchiedenen Gröfsen ferner Hänfen, Schouund
Weller (Kopenhagen) im Porträtfache und durch ihre Colle<5lion dänifcher
Nationaltrachten; fchliefslich J. Peterfen ( Hofphotograph) ^ durch eine Anzahl
guter Porträts.
Ferner hatten exponirt: C. Peterfen (Kopenhagen) eine Collecflion
hübfcher Statuen von Thorwaldfen, L. Nielfen, Anfichten von Kopenhagen und
Umgebung, S. Nielfen (Slagelfe) verfchiedene Mikrophotographien.
Niederlande. Auch die Niederlande hatten die Ausftellung mit guten
Photographien befchickt, und zwar zumeift mittelft Druckverfahren ausgeführte.
M. B. Verve er (Haag) figurirte durch eine zahlreiche Colle<5lion Porträts (meift
grofsen Formates) in Lichtdrucken , in welchen er fehr bedeutende Fertigkeit in
der Technik, nicht minder auch künftlerifche Auffaffung bekundet; das ar^ die
Retouche gewöhnte Auge wird zwar durch manche der ganz ohne diefes Hilfs-
mittel ausgeführten Köpfe anfangs befremdend berührt werden, bei eingehender
Befichtigung aber wird dasfelbe durch die Schönheit und anderweitige künft
lerifche Ausführung vollkommen ausgeföhnt.
Binger & Chits (Harlem) exponirten ein Album mit Copien fchöner
Bilder und Zeichnungen mittelft Lichtdruck erzeugt, welche fich durch hübfche
Ausführung und gute Technik auszeichneten, bemerkenswerth dabei war der bei
den Bildern angewendete feine , nicht fehr glänzende Ueberzug, der wohl-
thuend wirkte.
Von Mr. C. J. Äff er (Amfterdam) war eine grofse Sammlung von Repro-
dudlionen von Holzfchnitten und Stichen, in fehr guter Photolithographie vorhanden,
er ftellte gleichzeitig die bezüglichen Matrizen und Steine aus ; bei beiden fieht
man feine bedeutende Routine und Technik; auffallend war, dafs die Drucke
nicht fo fchön und rein waren , als man nach den Steinen fchliefsen konnte ;
erwähnenswerth ift noch die reichstypographifc he Einrichtung (Haag),
die Verfchiedenes in Photolithographie und Photozinkographie brachte , und
mehrere Anfichten in gewöhnlichen Silberdrucken von F. S. v. Kolkow
( Groningen).
Belgiens Ausftellung war achtenswerth und zeigte, dafs auch dort die
Photographen dem Fortfehritte huldigen und fich ernftlich mit den neueren
Druckmethoden befchäftigen.
J. Maes und G^ruzet fr^res (BrülTel) brachten hübfche Porträts, einige
davon in Kohledruck, fehr fchönen und kräftigen Tones mit fchönen Weifsen ;
erfterer auch Reprodu(5lionen nach Zeichnungen und Stichen in recht guten Licht-
drucken; das belgifche Kriegsdepöt hatte ausgeftellt eine bedeutende
Anzahl verfchiedener Karten in Photolithographie in reiner, fcharfer und guter
Ausführung; von bedeutendem Intereffe waren femer die vergröfserten Photo-
graphien des Mondes von Adolf Neyt (Gent), dann eine grofse CoUecflion gut
ausgeführter Reproduötionen gröfseren P'ormates der bekannten Wierz'fchen
Gemälde von J. Fierlandtes (Brüffel).
Photographie. 33
In Belgien wird übrigens viel meiir und mitunter noch Tüchtigeres geleiftet,
als die kleine ur.J unvollfländige, wenn auch, wie gefaxt bemerkenswerthe Aus-
ftellung darthun konnte.
Deutfchlands Photographen haben die Ausflellung quantitiv, wie qua-
litiv gut befchickt, leider war das Arrangement der Bilder ein höchft mangelhaftes,
das heifst, es bertand eigentlich gar kein Arrangement, fondern die Photographien
wurden, wo fich eben an der Wand ein Platz fand, gleichviel, ob hoch, ob niedrig,
ob zugänglich oder nicht zugänglich , zwifchen und über Ciavieren, Geigen,
Metallwaaren und Ausflellungsgegenfländen aller Art aufgehängt. Vieles dadurch
natürlich viel zu hoch, um gut befichtigt zu werden, das Meide in höchft ungünftiger
Beleuchtung.
Es wird leider eben von manchen Seiten der Photographie noch immer
nicht die erforderliche und verdiente Rückficht gezollt und ihr Einflufs auf die
Veredlung des Gefchmackes, ihr Werth für die Kunft und Induftrie nicht genügend
gewürdigt.
Im Porträt- und Genrefache ragte die berühmte Firma Löfcher & Petfch
(Berlin) hervor, ihre im Handel bekannten und fehr beliebten Genrebilder kleinen
Formates haben fchon lange die Aufmerkfamkeit der Fachleute undKunftliebhaber
erregt, diefsmal brachten fie auch Genrebilder in Grofsformat (dire(5le Aufnahmen)
mit aufserordentlich künftlerifcher Auffaffung ; ihre Porträts find von gleicher Vorzüg-
lichkeit, und können manchem P\ichmanne als Beifpiel und Lehre dienen, wie
man trotz einfacher und ruhiger Stimmung und bei Beobachtung feiner Linien
und Töne doch Effecflvolles erreichen kann; ferner haben Hanf ftängl, Franz
und Edgar (München), Bieber (Hamburg), Th. P rüm (Berlin), Robert E i ch
(Dresden) recht hübfche Porträts und Genrebilder in verfchiedenen Gröfsen in
vorzüglicher technifcher Ausführung und feinem Gefchmacke exponirt, nicht minder
anerkennenswerthes und von gutem Erfolge begleitetes Streben zeigen auch die
Porträts von J. C. S chaarwä ch t e r (Berlin) und die Genrebilder von Brafch
(Berlin!. Carl Auguft Teich (Firma Hanfftängel in Dresden) behauptete wieder
feine eigene Richtung in Porträts auf Ammoniumpapier zu copiren; die Bilder
waren fehr fchön arrangirt, die Retouche derfelben zeigte feines, künftlerifches
Verftändnifs und Gefchmack, zwei Bilder mit Landfchaftshintergrund waren fchön
componirt, jedoch von eigener Art der Durchführung, welche fich nicht für MalTen-
produölion eignet, und etwas durch den jetzt nicht mehr gewohnten blauen Ton
befremden; hübfche, vergröfserte Porträts waren von Hanf ftängl (München),
Benque & Kindermann (Hamburg) ausgeftellt.
Im Landfchaftsfache zeigte fich ganz befonders das gegenwärtige rege
Leben und Schaffen der deutfchen Photographen, es wird in diefer Richtung fehr
Vieles geleiftet, da der Handel und Export darin grofse Ausdehnung erlangt hat;
leider fteht nicht Alles darin Erzeugte auf einem hohen künftlerifchen Niveau.
Johannes Bernhard (Partenkirchen. Baiern i hatte eine grofse Colledion vor-
trefflicher Landfchaftsbilder, Studienblätter für Maler eingefandt, diefelben waren
technifch gut ausgeführt, meift von fchönen, mit gutem Verftändnifs gewählten
Standpunkten aufgenommen; eine bedeutende Sammlung verfchiedener Land-
fchaften und Architekturen brachten auch G. M. E c k e rt und Franz Ri chard
(beide aus Heidelb^erg), Johann N ö h r i n g (Lübeck), G. K o p p m a n n (Hamburg).
Julius Mofer fen. (Berlin) war durch eine Anzahl hübfcher Stereofkopbilder
repräfentirt.
Was das eigentliche Feld anbelangt, in welchem fich Deutfchland in der
Photographie feit Langem hervorthat und wirklich Excellentes leiftete, ich meine
in der Reproduiflion von Kunftwerken, fo fei vor Allem bemerkt, dafs die Aus-
ilellung in diefer Beziehung nicht fo reich und vollkommen befchickt war, als man
gewünfcht und gehofft hatte. Die erfte und hervorragendfte Stellung in diefem
Zweige nimmt nach wie vor der baierifche Hofphotograph Alb er t (München
3*
.J4 Joicf Lowy
ein, der ja auch der Erfle war, der den Lichtdruck in grofsem Mafsftabe in Anweu
düng Ijrachte, und delTen grofser Erfulg mit den Blättern nach Zeichnungen von
Kaulhach und anderen Meiftern fchon allgemein genügend anerkannt ift. Seine
Lichtdrucke find aber auch fo vorzüglich und haben fich jetzt fchon fo vervoll-
kommnet, dafs bei der Durchficht feiner in der Ausftellung ausgeftelUen Albums
es felbfl dem Fachmanne fchwer war, diefelben von den Silberdrucken zu unter-
fcheiden. Eine gute Idee, welche von feinem Gefchmacke zeugt, ifl es auch, dafs
er die Lichtdrucke direcl auf Carton druckt, und ich hoffe auch, dafs man mit der
Zeit von dem FirnilTen der Lichtdrucke gänzlich abkommen wird.
Xächft Albert ift Fr. Bruckmann (München), Deutfchlands bedeutendfter
V^erleger in photographifchen Reprodu(5lionen, zu nenne*; er brachte wohl nur
eine kleine Auswahl aus feiner vortrefflichen Sammlung , wahrfcheinlich in der
V'orausficht, dafs feine Photographien ohnediefs jedem Gebildeten bekannt find ;
feine ausgeftelltcn Woodburydrucke waren vorzüglich, und zeigten eine Tiefe
und Kiaft in Ton, ganz ähnlich wie fie bei den Eiweifsbildern zum Vorfchein
kommt.
Der Dritte , gleich vorzügliche Rivale Franz (Edgar) Hanfftängl aus
der Kunflftadt München hat nebft den oben fchon erwähnten Porträts eine vor-
treffliche Collecflion photographifcher Reprodudlionen nach Oelgemälden (feine
Specialität) in vorzüglicher Ausführung gel3racht.
Zu bedauern ift es, dafs aus Berlin, wo fo Vieles und Bedeutendes in diefem
Fache reproducirt wird, namentlich von der Photographengefellfchaft dafelbft
dann von Milfter etc. nichts exponirt war, nur Guftav Schauer (Berlin) fand fich
mit einigen Bildern ein,
Ilöchft Anerkennenswerthes in Thieraufnahmen war von dem bekannten
Specialiften Heinrich Schnäbeli, k. Hof-Photograph (Berlin; ausgeftellt ; man
fieht ftets an diefen Bildern, dafs er die Eigenthümlichkeit der Thiere genau ftudirt hat
und deren Gewohnheiten und Launen gut kennt; befonders fchön find feine com-
ponirien Bilder; fie zeichnen fich durch malerifche und lebendige Aufi"aflung aus.
Von Dr. Stein (Frankfurt am Main) waren gute und intereflante Photo
graphien ausgeftcUt, die ins Gebiet der Anatomie und Chirurgie fchlagen ; über
<lie Art der Ausführung und den dabei angewandten Apparat komme ich noch
fpäter zu fprechen. A. Leisner (Waidenburg, Schlefien) hatte fehr fchöne
Bilder auf Porzellan und Email in recht klarer Ausführung und von fchönem Ton
eingefandt.
Im Lichtdruck war Deulfchland am ftärkften und heften vertreten. AI b c r t's
Thätigkeit darin habe ich fchon oben erwähnt; nach ihm zeigte fich am hervor-
ragendften darin J.B. Obernetter (München), der Lichtdrucker par excellence
feinem guten, praktifchen und fieberen Verfahren ift es zu danken, dafs der Licht-
druck immer mehr Anhänger findet; feine ausgcftellten Bilderzeigen, dafs er
jeder Grofse und jeden Genres Herr wird , und feine prompten und fchnellen
Lieferungen haben fchon manchen Widerfacher ^welche Xeueruni^ hat fie denn
nicht?) eines Befleren belehrt; aufserdem find noch fehr achtenswerl »c und gute
Leiftungen darin von Römmler & Jonas (Dresden) und von Gemofer
(München) zu nennen.
Der Kohledruck war vorzüglich vertreten durch A. B raun (Dornach)
derfelbe hatte meift grofse Bilder, Reproducflionen alter Zeichnungen und Stiche
in höchft gelungener Ausführung eingefandt.
Oefterreich war felbftverfländlich quantitativ der reichlichft vetretene
Staat, und qualitativ konnte fich defl*en photographifche Ausftellung ohne Scheu
mit den Expofitionen fremder Länder meflen; einer der befonderen Vorzüge der
öftcrreichifchen Ausftellung war das durch die Herren Profeflbr Hornig untl
V. Melingo mit grofser Umficht, Ueberfichtlichkeit, Gefchmack und Verftändnif^
geleitete Arrangement.
Pholügraphic. DD
Da in Oefterreich wie in allen übrigen Ländern Europas der Schwerpunkt
des photographifchen Betriebes zumeift in der Haupt- und Refidcnzfladt liegt, fo
hat auch auf der Ausftellung Wien weitaus dominirt, und die grofsten Fortfchritte
zur Schau gebracht; in Wien hat fich fchon. als die Photographie fo zu fagen noch
auf den Kindesbeinen war, ein grofses InterelTe für diefelbe bethätigt, und manclie
ledeutende Förderer diefer Kunft, wie Profeffor Petzval, Voigtländer,
Bibliothekar Martin, Pr et fch u. A. find aus diefer Stadt hervorgegangen und
haben in jeder Hinficht aufmunternd gewirkt.
Von allen Gebieten der Photographie wurde in Wien von jeher da?
Porträtfach am eifrigften cultivirt, Publicum und Photographen haben fich hierin
löblich unterftützt; das grof-^flädtifche, rege, gefeilige und gefellfchaftliche Leben
die anmuthigen, fchönen und flets grofsen Gefchmack in der Toilette entwickeln-
den Damen, die intercffanten und allfeitig beliebten Schaufpielerinen und Schau
fpieler in meift fehr dankbaren Coflümen haben den Photographen grofsen
Impuls zur fleten Vervollkommnung des Porträtfaches gegeben, wie der bald
blühend in Schwung gekommene gegenfeitige Austaufch von Photographieporträts
und der Sammlung derfelben in zierlichen Albums diefem Fache reichliche Befchäf
t^gui^o S*^^ y anderfeits wurde diefe Vorliebe durch die eifrige und redliche
Bemühung der Photographen, immer Neues und Vorzüglicheres zu bieten, auf
<iie günftigfle Weife genährt.
Da an der Spitze mancher Ateliers Männer von tüchtiger technifcher
Bildung und künfllerifchem Wiffen flanden, bürgerte fich eine gefchmack
volle, malerifche AuffalTung ein, die Retouche wurde mit Verfländnifb benützt, und
.luf forgfältige. gewiffcnhafte Ausführung fowie elegante Ausflattung das gröfste
Augenmerk gerichtet; fo hat fich, man könnte fagen, eine Wiener Schule gebildet,
die durch manche ihrer Jünger auch nach Aufsen hin fördernd wirkte, und für
Wien die Porträtphotographie zu einer Specialität erften Ranges empor hob;
wo immer diefelbe auf den Ausflellungen erfchien, hat fie fich als folche hervor
j^ethan, und allfcitige Anerkennung erworben. Die Wiener Porlrätfludien find 1*>
ein Handelsartikel geworden, der in alle Länder der Welt verfendet wird, und
durch die Sammler, Künfller und felbft Photographen eifrige Abnehmer findet.
H o f- Ph o t ogra ph Lutlwig Angercr war der erflc , der ein grofses
Atelier für Porträtphotographien in Wien eröffnete, und durch feine tüchtigen
Lciflungen nicht nur die Aufmerkfarakeit des Wiener wie des auswärtigen
1 ubücums auf fich zog, fondern auch vielen Fachmännern als Vorbild diente.
Avclch' letztere ihm bald mit Eifer und theilweifem Erfolge nachflrcbten. Auf der
Ausflellung waren Ludwig und Victor Angerer durch gute Porträts und
Landfchaften, durch fehr gelungene Interieurs und durch eine Anzahl der bekannten
Blätter mit Abbildungen von Gegenfländen alter Kunflinduflrie aus deniMufeum
vertreten. Ludwig Angerer hatte auch verfchiedene fchöne Lichtdrucke aus-
gefi-cilt, welche bedauern lafTen, dafs er fich mit diefem Verfahren nicht mehr
befchäftigt.
Das Porträtfach wurde durch das fpätere Einwirken mehrerer anderer
ttichtiger Photographen wie Jagemann, Rabending, Luckhardt, Dr. Szekely,
Gertinger, Perlmutter (Adele) , J. Löwy u. A. immer forgfältiger und künfl-
lerifcher cultivirt, und kam dadurch wie auch durch die Einführung der Negativ-
retouche zu fleigender Bedeutung und Beliebtheit.
Was die einzelnen Ateliers betrifft, fo werden in denfelben in der Praxis
verfchiedene Beflrebungen verfolgt, deren verfchiedene Erfolge man denn auch
in der Ausflellung beachten konnte.
Hof-Photograph Herr Fritz Luckhardt zeigte fich namentlich in
Damenporträts in ganzer Figur als Meifler in feinem Fache. Die mife enfc<$ne, das
Arrangement der Perfoncn und ihrer Toiletten, die Wahl des Beiwerkes, in welchem
er grofse Mannigfaltigkeit entfaltete, fowie die Wahl der Hintergründe verriethen
feines künfllerifches Verfländnifs und die technifche Durchführung war von einer
36 JoM Löwy.
Vorzüglichkeit, wie fie wenig andere feiner CoUegen erreicht haben; fehr charak-
teriftifch waren die von diefem Photographen ausgeflellten grofsen Künftlerköpfe-
theils in Rembrandt'fcher, theils in gewöhnlicher Beleuchtung. Mit feinen
gemalten hübfchen Stereofkopporträts hat er einen glücklichen Wurf gethan,
hoffentlich gelingt es ihm, das Publicum für diefes Genre zu animiren, jedenfallji
wird er die Photographen zur Nacheiferung anfpornen.
Auch Gertinger brachte gelungene Künfllerporträts, ganze Figuren und
Bruftbilder in direcften grofsen Aufnahmen, aufserdem eine Colledlion-Porträts in
Cabinet- und Vifitformat. welche fich durch gutes Arrangement und vorzügliche
Technik bemerkbar machten. Dr. Szekely's reich befchickte Ausflellung fchlofs
fich der vorgenannten vollkommen ebenbürtig an, auch er verbindet feinen
künftlerifchen Gefchmack mit technifcher Tüchtigkeit.
Perlmutt e r (Ad^ile) hat durch die exponirten Bilder felbfl die Fach
männer überrafcht ; die Köpfe interefianter Perfönlichkeiten, direcfle grofse Auf
nahmen in höchft wirkungsvoller Beleuchtung, unterAützt durch fehr freigebig
angebrachte Retouche, machten bedeutenden Eflfecfl; auch die kleinen Aufnahmen
waren gefchickt und wirkungsvoll.
Rabending zeigte fich in verfchiedenen Richtungen tüchtig; Porträts,
Interieurs, Perfonen zu Pferd und zu Wagen, Künfllerfiguren etc. ; die letzteren,
Coflumebilder hiefiger Künfller, waren namentlich dadurch intereffant, dafs fie
in direcflem Sonnenlichte mit gut gewählter, natürlicher Staffage aufgenommen
waren. Aufserdem waren von ihm fchwarze photographifche Porträts in der
Manier der Chromophotographie ausgeAellt, die wir wohl als einen vorläufig nicht
ganz geglückten Verfuch anfehen können.
Ziemlich reich war auch das Atelier J. Löwy im Porträtfache, erfler Affiflcnt
L. V. Krakow, vertreten, wovon namentlich die direcflen grofsen Aufnahmen
durch fchöne Wirkung fich bemerkbar machten; bei diefen wie bei den kleinen
Porträts war das Beflreben herauszufühlen durch einfache, und ruhige Stimmung
und Vermeidung alles überflüffigen Beiwerkes eine angenehme Wirkung zu
erzielen.
Ganz einfache, aber dennoch fehr wirkungsvolle Stimmung zeigten Jage-
mann's kleine und grofse Porträts, von welchen auch die geläuterte künfllerifche
AuffalTung und das feine Formverfländnifs zu loben war; eine Sonderftellung
nimmt derfelbe gegenüber den anderen Photographen noch immer dadurch ein,
dafs er die Negativretouche fehr mafsvoU anwendet.
Nicht übergehen können wir auch die recht hübfchen Porträts von Stock-
mann, dann die reichhaltige und inlereflante ColleClion Wiener Damen- und
Studienköpfe aus Czihak's Verlag; C. Matzner's Genrebilder mit hübfchem.
paffendem landfchaftlichem Arrangement, die grofsen Porträts und gut arrangirten
Gruppen von Carl Kroh fowic die Porträts der Hof-Photographin Rofa Jenik,
Jofef Hoffmann, Othmar v. Türk, Jofef Ungar und Xaver Maffak. Aus
den Provinzen ifl im Porträtfache vor allen G. Sebaflianutti (Triefl) hervor-
zuheben; er hatte eine reichhaltige Sammlung fchöner, kleiner und grofser Porträts
ausgeftellt, fämmtliche hübfch aufgefafst und wirkungsvoll. Sebaflianutti machte
fich in verfchiedenen Richtungen bemerkbar, auf die ich noch zurückkomme ; ihm
reihte fich bcflens J. B. Rottmayer (Trieft) an mit feinen recht hübfchen,
malerifch wirkungsvollen Genreporträts in Rembrandt-Beleuchtung, ferner hatten
recht gute Porträts ausgeftellt G. Klöfs (Peft. A. Red (Linz) Beer (Klagenfurt).
In Vergröfserungen war zwar nicht viel, aber manches Treffliche zu fehen, die
gröfste Serie war von J. Löwy in der additionellen Ausftellung exponirt.
Gertinger hatte fehr hübfche Bilder mit und ohne Retouche gebracht; von
Rottmayer (Trieft) waren zwei grofscKnieftück- Bilder und ein grofses Gruppen-
bild < Kinderporträts; fehr fcharf, in fchönem Ton und guter Retouche vorhanden.
Franz Scholz (Wien) hatte Vergröfserungen mit etwas zu vieler Retouche
expouTt, auch S e b aftianu 1 1 i iTrieft) hatte einige gelungene Vergröfseningea
Photographic. 37
eingefandt. Chromophotographie-Porträts waren durch Kofitz (Prefsburg) in
fehr kräftigem und naturwahrem Colorit vertreten.
Die Landfchaftsphotographie hat fich erfl feit einigen Jahren zu einer
gröfseren Bedeutung in Oeflerreich emporgefchwungen; früher befchränkte fich
diefelbe fafl nur auf die Aufnahmen verfchiedener Anflehten des vielbereiften
Salzkammergutes, in neuerer Zeit hat aber das Landfchaftsfach reichlichen und
dankbaren Stoff durch die vielen und intereflanten Bahnbauten, fowie die grofs
artigen AchitekturfchÖpfungen in Wien erhalten. Unter den Photographen
welche diefe Richtung mit befonderem Nachdrucke und Erfolg pflegten, ftanden
die Ateliers Dr. Heid, Löwy ftechnifcher Leiter Max Jaff^) Victor Angerer
obenan. Die Expofition des Erftgenannten, Dr. Heid, beftand aus einer reichen
Auswahl äufserft gelungener intereffanter, landfchaftlicher Scenerien, worunter
befonders die grofsen Aufnahmen der Steinbrüche der Wiener Baugefellfchaft und
der Anflehten aus Vordernberg hervorzuheben find. Löwy hatte einige Blätter
feiner Aufnahmen von Bahnbauten derNordweft-Bahn und der Carlsftadt-Fiumaner
Strecke exponirt, aufserdem noch Wiener Anflehten und grofse direcfle Aufnahmen
der Votivkirche und der neuen Fünfhaufer Kirche, Statuen etc. Max J äff ^ feparat
das Veft:ibul der Oper und des Mufeums fehr fchön in grofsen direcflen Aufnahmen.
Vi ctor Angerer brachte ein Album mit vortrefflichen Wiener Anflehten,
darunter mehrere Interieurs und fuperbe Anflehten aus Steiermark und Carl
Haak auch eine Serie vorzüglicher Anflehten Wiens, ebenfolche brachte auch
die Firma P' r an kenft ein & Comp. B al di (Salzburg! rückte den ßefchauern
das herrliche Gebirgspanorama diefes Landes, von vortrefflich gewählten Stand-
punkten aus aufgenommen und in fehr hübfcher Ausführung vor, Johann Reiner
(Klagenfurt) prächtige Anflehten aus Kärnten, G. Klöfs (Peft) mehrere fehr
gelungene Aufnahmen von Fabriken etc. F. Jantfch (Reichenberg) verfchiedene
Anflehten.
Aeufserft gelungen und fchön waren die grofsen Aufnahmen und Interieurs
der Kirche in Steinamanger. fowie einige darin befindliche Deckengemälde von
Franz Knebel (Oedenburg) und verfchiedene Landfchaften von F. Fried-
rich (Prag).
Von Friedrich B o p p (Innsbruck) war eine fehr intereflante Collecflion
Basreliefs und alter Rüftungen in grofsen, fchönen Aufnahmen ausgeftellt.
Ebenfo hochintereflant und vorzüglich in der technifchen Ausführung
waren die Landfchaften und Volkstypen, von der Polarexpedition des Johann
Grafen Wilczek, einige Aufnahmen darunter mittelfl TaninTrockenplatten
gemacht, und die trefflichen Bilder aus China und Japan vom Hof-Photographen
Wilhelm Burg er (beide aus Wien).
Freiherr v. Stillfried exponirte eine bedeutende CoUecflion fowohl
künftlerifch als technifch vorzüglicher Landfchaften und Anflehten aus Japan.
Als eminenter Specialift zeigte fleh L. Schodifch in Thieraufnahmen ;
diefe Bilder die heften diefes Genres auf der Ausftellung zeugten von feiner
Empfindung und Auffaflimg.
Franz Antoine exponirte eine Colleö^ion fehr fchöner Photographien
aus feinem Werke (die Cuprefllnengattungen) ; die Pflanzen find aufserordentlich
gut zur Darfteilung gebracht, ferner zeigte er Reprodu(5lionen von Stichen- und
Handzeichnungen, vortreffliche Kohlendrucke in verfchiedenen Farbentönen.
Carl Haack(Wienj excellirte in Mikrofkop-Photographie, derfelbe brachte auch
eine Anzahl fehr guter Reproducflionen von Gemälden, älterer und neuerer Meifter.
Erwähnenswerth flnd noch die Stillleben (Aufnahmen von todtem Geflügel) von
Julius Schindler (W^ien), die Aufnahmen von Blumen und Infe<5len von
Friedrich (Prag) und verfchiedene Aufnahmen von Mafchinen von Carl
Skutta (Wiener Neuftadt).
Die Photographie in ihrer Anwendung auf induftriellem Gebiete zeigte
iich in Oefterreich gering vertreten, man beginnt jedoch auch diefes Feld
OO Jofcf Lowy.
mehr und mehr zu cultiviren, wozu hoffentlich die vermehrte und allgemeine Ein-
führung des Lichtdruckes und anderer Druckverfahren hilfreich Hand leiflenwird
In Heliogravüren und Photolithographien zeigten das k. k. militär-
geographifche Inftitute in Wien, die eminenleflen und hervorragendften
Leiflungen auf der Ausflellung ; diefs wurde auch von der Jury durch die Ver
leihung des Ehrendiploms anerkannt Schon feit Langem find die Leiflungen
diefes Inflitutes in Karten, auf photographifchem Wege erzeugt, bekannt, diefs-
mal brachte es jedoch felbe in einem fehr grofsen Format und in einer bisher
noch nirgends erreichten Reinheit der Ausführung; die Reproducflionen (Copien
von Stahl- und Kupferflichen, Landfchaften, Köpfe etc.) in Heliogravüre mittelft
Galvanoplaflik erzeugt, find überrafchend. die Abzüge zeigen eine Tiefe und
Kraft und eine erftaunliche Reinheit und Wirkung, von den beigelegten Originalen
nicht zu unterfchciden. Die mitausgeflcllten Steine und Kupferplatten waren
ül)eraus trefflich.
Hauptmann Joh. Schopf (Wien) brachte auch recht bemerkenswerihe
I'hotolithograi)hicn, nämlich verfchiedene Pläne und Spitzenmufler.
Der vielfeitige, gediegen technifch gebildete und äufserfl flrebfame Jul.
Leth (Wieni hatte eine bedeutende Collecflion Emailphotographien. Photo-
Lithographien, Xylographien und Phototypien, alle in vorzüglicher, fchöner Aus.
führung ausgeflellt.
Der Lichtdruck war vertreten durch Ludwig An ge rer. wie fchon oben
erwähnt, von dem ebenfalls fchon genannten Seballianutti (Triefl), welcher in
diefem Fache reichlich und mannigfaltig ausgeflellt hatte, ich erinnere an die mit
aufserordentlicher Feinheit und Zartheit wiedergegebenen Porträts, die ycrfchie-
denen reizenden Anflehten von Schlofs Miramare, in kleinerem und recht grofsem
Formate, darunter auch einige vortrefflich aufgenommene Literieurs.
Löwy iWien), der fich erft feit Kurzem mit dem Lichtdrucke befchäfiigt.
brachte einige Anfichten aus Japan nach Matrizen von Baron Stillfried, einige
Wiener Anhebten , fo wie mehreres auf photolithographifchem Wege Erzeugte;
zugleich dcmonflrirte derfelbe das Druckverfahren durch eine in der Ausflellung
aufgcflellte Prcffe praklifch vor dem I*ublicum ; endlich war noch Alexander
Beczedes (Gran) durch recht hübfche Landfchaflsbilder und fehr gute Repro
du(5lionen von Stichen, mittelfl Lichtdruck erzeugt, vertreten.
Wir fehen, dafs fich Oeflerreich mit Eifer auch den neueren photographi-
fchen Verfahren zuwendet, es wird wohl auch der jetzt nooh unbeachtet geblie
bene Kohledruck und Woodbourydruck hoffentlich bald Eingang finden, und
überhaupt die Photographie in allen ihren Zweigen mit Ernfl und Beachtung aller
wichtigen Neuerungen gepflegt werden.
Die rührige photographifche Gefellfchaft wird es an Anregung. Initiative
und Unterflützung ihrerfeits gewifs nicht fehlen laffen, vielleicht läfst fie fich
beflimmen, nach den Beifpielen <ler photographifchen Gefellfchaften in Paris und
L(^ndon periodifche photogra]>hifche Ausflellungen zu veranftalten, zu welchen es
jetzt wohl an geeigneten und paffenden Localen in Wien nicht fehlt, und welche
gewifs fowohl in Bezug auf die Photographen als auf das Publicum zu den
erflen Förderungsmitteln diefes Kunflzweiges gehören; an Intereffe und lebhafter
Theilnahme hicfür dürfte es wohl auf beiden Seiten nicht fehlen.
Ungarn. Die pliotographifche Ausflellung Ungarns war gerade nicht
fchwach befchickt, dennoch können wir nur Einiges hervorheben ; mehrere der
bedeutenderen Photographen hatten unterOeflerreich, als Mitglieder der photogra-
phifchen Gefellfchaft ausgeflellt, und wurden auch dort genannt. Hervorragend in der
un Tarifchen Abtheilung war das Porträt und Genrefach repräfentirt, in letzterem
lernten wir namentlich in Profeffor Koller (Biflritz, Siebenbürgen) einen äufserft
tüchtigen Vertreter kennen, der in diefem Zweige kaum von irgend einem Anderen
ühertroffen wird. Seine Bilder, in denen er meiflens Scenen aus dem Siebenbürger
Dorfleben fchildert. zeichnen fich vor Allem durch eine natürliche, malerifche und
>E*
Photographie. H9
lebendige Gruppirung aus, und find auch in technifcher Hinficht tadellos aus-
geführt; indem er für feine Darftellungen ftets charakteriftifche Typen und getreue
Coftüme wählt, haben diefe Bilder entfchieden auch ethnographifchen Werth
und Intereffe. Die Chromophotographien Profefibr Ko 1 1 e r's, die fchönften der
Ausftellung, laHTen nicht minder den feinfühligen Maler erkennen; diefelben leiden
auch nicht, wie fonft gewöhnlich, durch unnatürliche, affecftirte Farbe, fondern find
im Gegentheile fehr harmonifch und fein in ihrer Wirkung.
Eine fehr fchöne und fchwierige Aufgabe hatte fich Michael Rupprecht
( Oedenburg) geftellt, er brachte nämlich Kinder in ihren Spielen und Beluftigun-
gen, in den verfchiedenften Gruppen, welche in ihrer Natur und Ungefuchtheit, in
ihrem lebendigen, frifchen Humor, wie durch ihre gelungene Ausführung ihre
anfprechende Wirkung auf Niemanden verfehlten ; namentlich wer die Schwierigkeit
von Kinderaufnahmen kennt, wird diefe Bilder befonders zu würdigen wiflen.
Eduard Ellinger (Pefl) hatte hübfche Porträts eingefandt. worunter zwei
fchöne, in Aquarell übermalte Bildninfe Prinz Ludwigs vun Baiern und Prinzeffin
Gifela; mit recht guten Porträts waren weiters BelaGevay, Franz Kozmata,
Albert Doktor, Ignaz Schrecker (alle in Peft) vertreten.
Im Landfchaftsfache war aus Ungarn wenig exponirt. Carl Di wald (Peft)
brachte hübfche Karpathenlandfchaftcn in guter AuftaHTung und guter Technik
Elias PI oh n (Hödmezö-Vdfarhely) und Max Stern (Trentfchin) zeigten recht
gute landfchaftliche Aufnahmen.
Rufsland. Ziemlich lebhaftes InterelTe boten die Photographien aus
Rufsland, und man konnte aus denfelben erfehen, dafs auch in diefem Reiche fo
ziemlich alle Zweige der Photographie gepflegt werden.
Im Porträtfache ift zuerft Carl Berg ama fco (Petersburg) zu nennen,
welcher fehr fchöne Cabinetporträts, die fich durch gefchicktes Arrangement«
höchft wirkungsvolle Beleuchtung und tiefen kräftigen Ton auszeichneten, aus-
ftellte; der prächtige Effecfl, durch welchen die Bilder Bergamafco's auffallen, ift
durch fehr dunkle Hintergründe, weifse Lichter und fchöne, harmonifch verbindende
Mitteltöne erzeugt; denfelben reiht fich würdig an
Johann Mieczkowfki (^Warfchau) , defl"en Porträts, grofse direcfle
Aufnahmen, wenn auch künftlerifch nicht immer glücklich aufgefafst, doch alle
von tüchtiger technifcher V'^ollendung zeugten; fehr fchön waren feine Kohlebilder
und kaum vom Silberdruck zu unterfcheiden. Auch Koftka & Mulert
(Warfchau) hatten gute direcfle Aufnahmen grolser Porträts ausgeftellt.
Denier und Johann Hoch (beide aus St. Petersburg) hatten Bilder ohne
Negativretouche (durch Anwendung doppelter Negativs copirt) eingefandt. Die
Lichter auf diefen Bildern zeigten fich durch diefcs Verfahren weifser, aber auch
ttwas härter. Im Landfchaftsfache und Lichtdrucke hatten Dutke wicz und
Fajans (beide in W^arfchau) manches Bemerkenswerthe ausgeftellt.
Im hohen Grade intereffant war die Ausftellung der kaiferlich ruffifchen
Expedition zur Anfertigung von Staatspapieren, in ihren Karten und Plänen und
anderen Obje(5len, in welchen die bedeutende Leiftungsfähigkeit der Heliographie
f Direcflor der bekannte Scamoni) wie der Galvanoplaftik erfichtlich war; diefelbe
hatte ein ebenfo bemerkenswerthes als lehrreiches Ausftellungsobjecfl geliefert.
Griechenland war durch Peter Moraitis (Athen\ einen fehr tüch-
tigen Landfchaftsphotographen, vertreten ; er brachte eine bedeutende Colleclion
grofser Aufnahmen von landfchaftlichen, architektonifchen Anflehten und Denk-
mälern Griechenlands in fehr fchöner Auffafliing und vorzüglicher Technik.
Aus der Türkei lernten wir einen fehr bedeutenden, tüchtigen und viel
feitigen Photographen in P. Sebah (Conftantinopeli kennen; derfelbe brachte
verfchiedene grofse landfchaftliche und archiiektonifche Anfichten von Conftan-
tinopel und Egypten in fehr fchöner AulTaflung und vollendeter Technik ; auch die
4:0 Jofef Löwy.
exponirten Interieurs und das grofse Panorama von Conflantinopel aus mehreren
Aufnahmen zufammengefetzt find vorzüglich gemacht, aufserdem zeigte er noch
recht hübfche Porträts und mehrere Bilder in Lichtdruck und Photolithographie
in vortreflTicher Ausführung.
Egypten. Eine fehr hübfche Collecftion von verfchiedenen und vortreff-
lichen Photographien war in dem egyptifchen Bau des Khedive vom Photographen
Schöfft (Kairo) ausgeftellt. Seh oft t hatte vom Vicekönigden ehrenden Auftrag,
Land und Leute Egyptens in Photographien zur Anficht zu bringen, und er hat
diefe Aufgabe fehr entfprechend gelöfl. Die von ihm gebrachten Genrefiguren
und Gruppenbilder in dire<5ten grofsen und kleinen Aufnahmen waren fehr
malerifch und charakteriflifch aufgefafst und in vorzüglicher Technik ausgeführt,
von gleicher Vorzüglichkeit waren auch die grofse Anzahl feiner Aufnahmen der
egyptifchen Bauten und der neuen dortigen Fabriksanlagen, fowohl Interieurs
als Exterieurs.
Die Thätigkeit der Wiener Photographen-Affociation fiir die Welt-
ausftellung 1873.
Es bedarf wohl keines befonderen Hinweifes, dafs der Photographie bei
den grofsartigen internationalen Ausheilungen eine ganz befonders wichtige und
umfangreiche Aufgabe zufällt.
Durch die Photographie ifl es möglich, befler und verftändlicher als durch
alle Befchreibungen und Statifliken für fpätere Zeiten ein lebendiges, anfchau-
liches Bild der Gefammtausftellung, wie der taufendfältigen Einzelheiten derfelben
Zugewinnen; die Photographie ermöglicht es Jenen, welche nicht in der Lage
find, eine Ausflellung zu befuchen, fich dennoch ein ziemlich klares Bild von ihr
zumachen; die photographifche Nachbildung ifl für die meiflen Ausftellungs-
gegenflände, namentlich für viele Producfle der Induftrie, des Mafchincnwefcns,
der Künde die geeignetfle und wirkfamfle Reclame; die Photographie kann uns
den beflen AusHellungsbericht, fie kann uns das fchönfle und werthvollfte An-
denken an die Ausftellung verfchaff'en.
Bei den bisherigen Parifer und Londoner Weltausfiellungen hat aber die
Photographie die ihr zufallende Aufgabe nicht in entfprechender Weife erfüllt.
Bei der letzten Parifer Ausflellung wurden bekanntlich einem einzigen
Photographen, Pierre Petit, färtimtliche photographifche Arbeiten übertragen;
derfelbe hatte fich weder für das grofse Unternehmen genügend vorbereitet, noch
war er in anderer Beziehung der Riefenaufgabe gewachfen, und überdiefs wurden
ihm von Seite der damaligen Ausflellungscommiffion noch mancherlei Hinderniffe
in den Weg gelegt. Die Folge davon war, dafs trotzdem Herr Pierre Petit fpäter
noch mit Subunternehmern fich in Verbindung fetzte, die Gefammtheit der Auf-
nahmen nur ein höchfl lückenhaftes Bild der Ausflellung bot, und namentlich viele
Ausfleller nicht die gewünfchten Photographien ihrer Expofition und Objecfle
erhalten konnten.
Bei Inangriffnahme unferer Weltausflellung wurde gleich zu Beginn der
Aufgabe, welche die Photographie auf derfelben erfüllen follte, ein befonderes
Augenmerk zugewendet.
Der Herr Generaldire<flor Seine Excellenz Baron Schwarz-Senborn brachte
die Frage, in welcher Weife die photographifchen Arbeiten in Bezug auf die Aus-
flellung ausgeführt werden folllen, vor die Wiener photographifche Gefellfchaft und
erfuchte diefelbe, ihm Vorfchläge in diefer Beziehung zu unterbreiten ; im Schofse
der genannten Gefellfchaft traten zwei Vorfchläge zu Tage : der eine dahin gehend,
die Betheiligung der Ausflellungsaufnahmen allen Photographen zugänglich zu
machen, der andere, von mir ausgehende, vertrat die Anficht, dafs durch Vereini-
gung einer Anzahl von Fachmännern die Aufgabe ficherer, fyflematifcher und
Photographie. 41
zweckentjprechender gelöfl werden könne ; der letztere Vorfchlag fand die Zu-
ftimmung des Herrn Generaldirecflors, und in Ausführung desfelben traten die
Herren Frank enflein & Comp, (technifcher Leiter : Frankenflein), Oskar
K r am er (technifcher Leiter: Jage rmayerj, KlÖfz (technifcher Leiter: von
der Lippe), J. Löwy (technifcher Leiter: Jaff^) unter dem Namen „Wiener
Photographen- Artbciation für die Weltausftellung 1873" zufammen.
Diefe AlTociation begann fich fofort dem grofsartigen Werke und ihrer
wichtigen und fchwierigen Aufgabe entfprechend zu rüflen; fie zog für einige
Specialfächer bewährte Hilfskräfte herbei, wie z. B. E. Lamy, Paris, für Stereo-
fkopen, Schnaebeliin Berlin für Thieraufnahmen und Obernetter in München
für Lichtdruck. ^
Auf dem Weltausflellungs-Platze, und zwar am Ufer des Heuftadel-Waflers,
wurde ein ftockhohes, eifernes, englifches Haus mit 10 Fenftern Front errichtet,
welches fich neben der wechfelreichen Architektonik der gegenüberflehenden
orientalifchen Bauten ziemlich fchmucklos repräfentirte, aber dafür durch die Ein-
fachheit und Zweckmäfsigkeit der Conflrucflion und durch äufserft praktifche Ein-
theilung feiner Räume fich auszeichnete. Ebenerdig befanden fich die vier Ateliers
der vier Chef-Operateurs mit vier Remifen für die acht mit je zwei Dunkelkammern
und allen zu photographifchen Aufnahmen nöthigen Requifiten aufs Praktifchefte
ausgeftatteten Wägen, dann das Bureau zur Entgegennahme von Aufträgen; im
erflen Stocke befanden fich die Wohnungen der befchäftigten Photographen und
ihrer Hilfsarbeiter; im (/anzen zählte das Haus 20 Pi^cen.
Das gefammte Arbeitercorps der Wiener Photographenaflbciation auf dem
Weltausflellungs-Platze betrug zwifchen 40 und 50 Mann, aufserdem nahm das
Copiren, Färben, Cachiren und Retouchiren der Bilder, welches in den eigenen
Ateliers der Mitglieder beforgt wurde, eine fehr grofse Anzahl von Leuten in
Anfpruch. Die Aufnahmsarbeiten der AlTociation begannen gleichzeitig mit den
erften Vorarbeiten zu den Bauten auf dem Weltausflellungs-Platze und die 150
Aufnahmen der verfchiedenen Stadien im Baue der Rotunde, des Induflrie
palafles etc. gehören zu den intereflanteflen und lehrreichflen Blättern der ganzen
AusflellungscolIe(5lion und leiten gewilTermafsen die Gefchichte der Ausfiel
lung ein.
Von Eröffnung der Ausflellung an bereiteten das anhaltend fchlechte Wetter,
fowie die Unfertigkeit der Inflallirungsarbeiten viele HindernilTe und Unannehmlich-
keiten, trotzdem wurden fchon damals viele Aufnahmen gemacht, die Thätigkeit
der Photographen lleigerte fich bei der Ende Juni eintretenden günfligeren
Witterung und zum Schluffe der Ausflellung betrug die Anzahl der äufseren Auf-
nahmen von Gebäuden und inneren Totalanfichten in Quart-, Cabinet- und Vifit-
format ungefähr 1700, in Grofsfolio 250, in Stereofkop 500 , von Kunflwerken
(Bilder und Statuen) 380, von Privatbeflellungen, meifl in Grofsfolio und Quart,
circa 820 ; von den meiften der Aufnahmen wurden je 3 bis 6 Quart-, 6 bis
10 Cabinet- und 10 bis 15 Vifitnegativs gemacht und hiedurch dem Kunflhandel in
kurzer Zeit circa i'/j Million Bilder zugeführt; die Vervielfältigung in Silberdruck
und Lichtdruck war natürlich eine malTenhafte.
Diefe Refultate geben gewifs ein glänzendes Zeugnifs für die tüchtige
Organifation und aufserordenllich rege Thätigkeit der Photographenaffociation
ab ; dafs trotzdem die pecuniären Ergebniffe weit hinter den Erwartungen zurück-
geblieben find, daran find wohl zunächfl die gleich bei Beginn der Ausflellung
eingetretenen höchfl mifslichen GeldvcrhältnifTe , fowie der im Allgemeinen
fchwache Befuch der Ausflellung und fchliefslich noch der Umfland Schuld , dafs
die von der Generaldire<5lion in Ausficht genommene und verfprochene Inflallirung
eines umfangreichen Vertriebes der Photographien auf der Ausflellung zu fpät und
höchfl mangelhaft in Scene gefetzt wurde, fo dafs die Affociation fchliefslich
genöthigt war, felbfl und auf eigene Koflen in den inneren Räumen Verkaufstifche
aufzuftellen und Verkäuferinen zu engagiren
42 JofcfLüwy.
Wie aber das Princip der AfTociation von Fachmännern zur Bewältigung
der Riefenaufgabe, welche eine grofse Ausflellung an die Photographie Hellt, fich
bewährt hat, und ob bei künftigen derlei Anläflen von diefem Principe abgegangen
oder dabei geblieben werden follc, darüber geben wohl die vorher erwähnten
Kefultate, der Vortheil für das Publicum alles die Ausflellung Betreffende in
einer Hand vereinigt zu finden, fowie die Thatfache am beflen Antwort, dafs
noch auf keiner früheren Ausflellung die photographifchen Aufnahmen fo voll-
fländig und einheitlich durchgeführt, alle Beftellungen fo prompt geliefert worden
find, und dafs die Gefammtheit der Bilder, welche die AfTociation ausführte,
die Weltausftellung 1873 ^^ ihrer Gänze vom Beginne bis zu Ende repräfentirt und
illuilrirt und dadurch gewiflcrmafsen ein Monument derfelben für alle Zeiten bildet
Photographifche Apparate und Geräthfchaften
An photographifchen Objecfliven war auf der Ausflellung leider nur\Venige>
vorhanden, und unter diefem Wenigen gar nichts Neues zu bemerken, zudem
befanden fich diefe Obje(5live wie auch die anderen Apparate meifl in gefchlof-
fenen Käflen und waren daher einer Unterfuchung und Probe nicht zugänglich.
Darlot, Hermagis, Derogy (aus Paris) hatten verfchiedene Objc<5live
eingefandt, die R atheno we r optifchelnduflrie-Anflalt, vormals Emil
Bufch brachte eine Anzahl derfelben, alle waren jedoch nach den bisher
bekannten Principicn für Porträts- und Landfchaftsaufnahmen conflruirt ; die
Matadoren in diefem P'ache Voigtländer (Braunfchweig) und Dallmayer
(London) fehlten auffallender und bedauerlicher Weife gänzlich.
Von photographifchen Cameras, Stativen, Zelten etc. war etwas mehr vor
zuftnden; fo hatten Anthony E. und H. T. (New-York) verfchiedene grofse und
kleine Cameras, auch folche für Stereofkopaufnahmen und MultipHcators in recht
zweckmäfsiger und folider Ausführung ausgeflellt. Die letzt erwähnten Cameras
fjheinen in Amerika fehr flark in Anwendung zu fein, felbe find auch für MafTen-
erzeugung kleiner Bilder fehr praktifch und empfehlenswerth.
DieAmericanOptical Company flellte auch eine bedeutende Anzahl
gut gearbeiteter Cameras und Stative aus, die Blasbälge bei den Cameras waren
zum Theile aus Guttapercha, theils aus Leder gemacht, letztere würde ich der
Solidität wegen vorziehen. George H are (London) hatte eine gröfsere Expo-
fition meifl neuerer Apparate hichcrgebracht, feine verfchiedenen Cameras und
Stative (kleine und grofse) machten fich durch fehr folide und nette Ausführung
bemerkbar.
Bei dcT Ausftellung des Photographen Carlos Relvas (Oporto) fand ich
ein fehr praktifches, finnreiches Einlagebret für grofse Cameras ; auf diefem Brete
waren vier verfchiedene Landfchaftsobje<5live in verfchiedener Brennweite derart
angebracht, dafs man felbe durch einfache Drehung wechfeln konnte, fo dafs der
Photograph das ihm für den aufzunehmenden Gegenfland geeignetfle Ohjeöliv
durch einfache Drehung feflflellen kann, und fich dadurch das Auf- und Abfchrauben
verchiedener Objecflive erfpart.
Aus Deutfchland betheiligte fich an der Ausflellung Dr. Stein (Frankfurt
am Main) durch Beflandtheile und Proben feines interefTanten Heliopi(5lors, eine
Art felbflthätigen photographifchen Apparates, namentlich für wiffenfchaftliche
Zwecke beflimmt. Dr. L. Harnecker (Wriezen an der Oder) durch einen Ver
gröfserungsapparat mit Benützung künfllichen Lichtes; A.Steg mann (Berlin"^
durch mehrere Cameras und Stative in den üblichen Formen. Mo fe r (Berlin 1
flellte unter Anderem eine neuartige Vorrichtung, Vitofkop genannt, welches in
der Art der Stereofkoprevolver zur Befichtigung einer grofsen Anzahl von Vifit
karten Bildern dient.
Photographic. 43
Wien war durch die hervorragendften Firmen für photographifche Bedarfs-
artikel vertreten. Ich erwähne vor Allem die Ausftellung von Stativen und Cameras
des Anton Goldmann; feine grofse Camera für 5 Zoll Objecfliv zeichnete fich
durch fehr forgfältige und nette Ausführung in neuefler Conflrudlion aus ; felbe ift
mit Meffingprisma, Central-Stelltrieb zu haarfcharfer Einflellung, doppelt beweg-
licher Vifirfcheibe ohne Contrefchraube eingerichtet. Das Verfchieben derObje(5live
ifl hüchfl einfach und zweckmäfsig mittelft Trieb eingerichtet ; ebenfo praktifch
war fein ausgeflelltes Salonftativ conftruirt, die vier Füfse ruhen auf Rollen, das
Stativ kann mittelfl Trieb gehoben und gefenkt, gleichzeitig auch nach jeder
Lage dirigirt werden, aufserdem ifl; noch eine Sperre angebracht, durch welche
Statif mit Kammer auf jeden beliebigen Punkt feflgehalten werden kann. Weiters
waren von demfelben Ausfleller noch fehr hübfch gearbeitete kleinere Cameras
für Vifit-, Cabinet- und Stereofkops mit neuartigem Mechanismus exponirt, bei
den Caffetten lammtlichcr Cameras find die als praktifch anerkannten Silberecken
angewendet. Alle genannten Arbeiten zeichneten fich bei grofser Eleganz durch
Solidität und Fefligkeit aus.
Auch F. K Ö h 1 e r hatte Cameras, Stative und Zelte in verfchiedenen Gröfsen
und in fehr folider, fchöner Arbeit ausgeftellt.
Die allfeitig wohlbekannten Firmen Oskar Kramer, A. Moll und Auguli
Angerer waren durch Cameras, Stative, Möbel und Hintergründe für photo-
graphifche Ateliers, Chemikalien und fonfl;ige einfchlägige Bedarfsartikel vertreten.
A. Moll 's Expofition zeichnete fich durch Vielfeitigkeit , Reichhaltigkeit und
fehr gefchmackvolles Arrangement aus. Trapp und Münch flellten Mufter
ihrer Eiweifspapiere nebfl Bilderproben aufdenfelben aus. Die in Wien erzeugten
Bedarfsartikel, namentlich die feinen Tifchlerarbeiten, erfreuen fich übrigens feit
jeher bei allen Fachmännern des In- und Auslandes befonderer Anerkennung und
Beliebtheit.
MUSTER-ZEICHNUNGEN UND DECORATIONS-
MALEREI.
(Qruppe Xn , Seotion 6.)
Bericht von
F. Lieb
Profejfor in If'/en.
Es liegt nicht in unferer Abficht, den hier folgenden Bericht auf die unter
diefer Gruppe exponirenden Muflerzeichner und Decorationsmaler
allein zu befchränken, vielmehr haben wir es uns zum Ziele gefetzt, auch die in
den ausgeflellten Stoffen erfichtlichen Zeichnungen als zum Fache gehörig mit in
denfelben einzubeziehen und fo in ganzen Ländergruppen zufammenfalTend unfer
Urtheil auszufprechen.
Wenn wir uns dadurch den Bericht complicirt, zum Minderten vergröfsert
haben, fo waren die Beweggründe dazu mannigfacher Natur
Vor Allem durften wir nicht ftillfchweigend an fo vielem, gerade durch die
Ausführung im Stoffe zu erhöhtem Werthe gelangtem Materiale vorübergehen,
ohne darüber eine Aeufserung zu thun, und dann würden wir, die ausgeflellten
Skizzen der Muflerzeichner allein im Auge behaltend, nur ein unvollkommenes^
Urtheil über manches Land fällen. Gerade durch das Gefammtfludium >var es
einzig möglich, Fort- oder Rückfehritt, Gefchmacksrichtung oder Verirrungen
zu conflatiren.
Ein Einzelbericht über die zum grofsenTheile fpärlich vertretenen Mufler-
Zeichnungen zu geben, wäre gleichzeitig eine Ungerechtigkeit, denn bei folchem
Bedarfe, bei folchen Kraftanflrengungen, wie fie Weltausflellungen erzeugen,
können gerade die gediegenflen Künfller am wenigflen für ihre fpeciellen Expo-
fitionen etwas thun
Was wir aber hier nicht genug tadeln können, das ifl die traurige That
ache, dafs nur ein kleiner Theil von Fabrikanten deffinirter Stoffe fo intelligent
und liberal war, die Autoren ihrer Mufler zu nennen. Selten genug, wir muffen
diefs mit Bedauern hervorheben, waren die Künfller genannt, deren Genie der
Fabrikant feine Erfolge verdankte.
Mangelhafte Kataloge ftanden einem umfichtigen, rafchen Auffinden diefer
meifl verfleckten Gruppe gleich fehr im Wege. Endlich war das Arrangement der
diverfen Ländercommiffionen, was diefe Gruppe, fpeciell diefe Secflion betrifft,
ganz ausnehmend fchlinmi gewählt. Lange mufste man fuchen, bis man jenen
fernen Winkel fand, welcher den graphifchen Künflen überlafTen war ; hatte man
ihn aber einmal entdeckt, dann konnte man ruhig feinem Studium obliegen, unge
ftört von der grofsen Menge, welche fmgende Vögel, concertirende Virtuofen.
Koflhalli'n undMufikbanden, nebfl unzähligen anderen Zerflreuungen nicht ver-
geblich anlockten.
Mufterzeichnungen und Decorationimalerei. 45
Eben fo flill, verborgen, im engen Kreife raftlos wirkend, wie die diefer
Kunfl Geweihten durch's Leben zu gehen beftimmt find, in Mitte des tofenden
Getriebes der grofsen Haupt- und Fabriksflädte, fo flill verborgen ftanden ihre
Werke im Gedränge der gröfsten aller bisherigen Ausftellungen.
Der weitaus gröfsere Theil ihrer Leiftungen war aber, wie fchon bemerkt,
in den Käflen der prunkvoll, im fchönllen Lichte, an breiter Avenue, im Kranze
der Rotunde flrahlend, ausflellenden Fabrikanten zu fehen, den ErzeugnifTen der
felben erhöhten Werth und gefteigerte Anziehungskraft verleihend.
Ob auf einer künftigen Weltausflellung alle diefe Mängel behoben fein
werden, ob dem fchaffenden Geifte in dem hier behandelten Fache einfl diefelben
Autorrechte blühen werden, wie diefe bereits in anderen Branchen geifliger
Thätigkeit beftehen, wer weifs diefe Frage zu beantworten ? — Die wachfende
Intelligenz, der Zeitgeift wird es durchfetzen ; möge es recht bald fein'.
Die Arbeiten des De CO ratio ns mal ers entziehen fich noch mehr der
Berichterllattung, fie find localer Natur, und Wenige fanden die Zeit, in den
Räumen des Praters in Skizzenform zu exponiren, und fo fehlten Viele, die
Berten unter ihnen, und darum war auch die Zahl der Ausfteller diefer Se<flion ver
fchwindend klein. Bei den vielen Bauten, welche die Jetztzeit aufweifl und welche
in ihrer luxuriöfen Ausflattung eine enormeSteigerung der Nachfrage, eine erhöhte
Thätigkeit erzeugen, mag wenig Zeit zur Verfügung der einzelnen Kunftbefliflenen
geblieben fein. In diefelbe Gruppe, refpecftive Seölion, mit den Muflerzeichnern
rangirt, theilen fie auch das gleiche Schickfal in Bezug auf die angewiefenen Räume
mit denfelben.
Wir wollen nunmehr von Werten nach Orten den Riefenbau durchfchreiten
und die Bitte an den geneigten Lefer richten, uns mit Aufmerkfamkeit zu folgen.
Jede Subje<5livität fei rtreng vermieden und nur die Thatfachen wollen wir
fprechen laffen.
Wenn wir, vor dem Weftportale anlangend, unferen Fufs auf den Kampf-
platz jener der Kunft und Induftrie huldigenden Nationen des Erdballes fetzten, fo
gelangten wir nach kurzer Wanderung zum Könige der hier behandelten Gruppe,
zu dem ebenfo als Compofiteur wie als Publicirt des gediegenften Werkes der
letzten Decennien gleich berühmten, als hochverdienten Oven Jones, deflen
Expofition inmitten feiner Werke am Haupteingange der grofsen Längengallerie
links, fo einzig am Platz, wie an Gediegenheit des Ausgertellten, ihn wie immer
von feinen Collegen auszeichnet. In keinen Winkel gertellt , ward ihm aufser
diefer exceptionellen Stellung auch die höchrte Auszeichnung, das Ehren-
diplom zu Theil und neidlos, von den Verdienrten wie vom Genie diefes Heroen
überzeugt, ftehen wir hier vor deflen nicht für unfere Spanne Zeit allein bemefl'e-
nen Werken.
Man befchuldige uns nicht der Flüchtigkeit, wenn uns die Worte fehlen,
das hier Gebotene in langathmigen Gemeinplätzen zu befchreiben, wie es über-
haupt nahezu unmöglich ift, mit Worten fo klar zu zeichnen, dafs Form und Farbe
vor das geiftige Auge unferer Lefer trete. Hier wie in der Folge muffen wir uns
der Unmöglichkeit in diefer Hinficht fügen und können nur unfere Schuldigkeit
thun, auf Leiftungen aufmerkfam zu machen, welche genannt zu werden verdienen
und es einem graphifchen Werke über die Weltausftellung oder den diefsbezüg-
lichen Publicationen der einzelnen Ausrtellerüberlaflen, die wenigen Worte unferer
feits würdig zu illuftriren und im Gedächtnifle der Befucher bleibend zu erhalten.
Und fo wollen wir denn auch vom Altmeirter nur fagen, dafs zu feinen Meifter-
ftücken herrliche Teppichmufter über grofse Salons gehören, welche in ihrer
Haupteintheilung an Schönheit der Linien ihres Gleichen nicht finden, was aber
befonders den guten Eindruck der Farbe erzeugt, ift Ruhe und Harmonie in der-
felben. Haben die englifchen Teppiche einen guten Ruf, fo ift er nicht allein in der
Qualität, fondern hauptfachlich im Deffin und in der Farbe begründet, welche
46 F. Lieb.
Vortheile leuchtend fich heute von dem gleichen Fabricate Frankreichs abheben
Es ift eben das Flachornament, welches hiezu allein geeignet ifl. Der meifl etwc^
emile Stil, das Hervortreten, vollends gar die Imitation der Plaflik flreng ver
meidend, wurde von Oven Jones auf das Herrlichfle in feiner Art vertreten.
Durch all diefe etwas ftumpf bunten Töne geht ein einziger, durchklingender
Hauptton, wohlthuend, ohne Störung durch das Ganze, alle diefe zart gefbimmten
Töne fügen fich zu einem ergreifenden Accorde.
Bei Oven Jones kommt diejenige Gcfchmacksrichtung zur Geltung,
welche heute in England die herrfchcnde und nahezu national eigenthümlich
geworden ifl. Man emancipirte fich mit anerkennungswerthem Muthe vom fran-
zöfifchen Gefchmacke, dermuthwilligen, reizend launifchen, modernen franzöfifchen
Renaiflance, und wenn man auch mitunter und mit vielem Verdienfte, wir mülTer.
diefs zugeben, einzelne Stoffe mit folchen Ornamenten verziert fieht, fo fpricht es
dem englifchen Blute, der englifch vornehmen Lebensweife des Engländers, feinem
emften Charakter, dem deutfchen am ähnlichflen, doch mehr zu, auch in feiner
Umgebung Aehnliches ausgefprochen zu fehen. Wenn er franzöfifchen Gefchmack
auch fchätzt, fo kommt er heute doch feiten mehr zur Geltung und darum wird es
nicht überralchen, wenn wir die Thatfachen erwähnen, dafs heute franz()fifche
Zeichner in England aufser Curs gefetzt find und wenig mehr in Paris beftellt wird.
Frankreichs Zeichner, jedenfalls durch die ausflellenden Fabrikanten leb
haft in Anfpruch genommen, waren in aufl'allend geringer Zahl vertreten, und wenn
die Summe des Gebotenen nur ein Schatten ifl gegen frühere Ausflellungen in
ihrer Capitale oder in London 1862, ja fogar heute geringfügig genannt werden
mufs, fo fehlen doch nicht gewifTe Erinnerungszeichen ehemaliger Alleinherrfchaft
auf dem Gebiete diefer induftriellen Kunfl. Wenn wir auch manches Gute uml
Schöne vorfanden, fo muffen wir doch mit Bedauern fagen, dafs es wohl imintereffc
Frankreichs gewefen wäre, Sorge zu tragen, dafs gerade die hier befprochenc
Branche der Kunfl beffer in der Wiener Weltausflellung hätte vertreten werden
follen. Aber unter der kleinen auserlefenen Schaar wollen wir auch mit doppelter
Anerkennung jener Namen gedenken, welche fich mit befonderem Kunftfinn ihrer
Aufgabe entledigten. Gonelles fr^res und Antoine B erru's Shawlzeichnungen
flehen, wie überhaupt Frankreichs Shawlzeichnungen, bisher noch unerreicht da.
Adau's Möbel- und Teppichzeichnungen, wenngleich fiefafl fpeciell franzöfifchem
Stile huldigen und eine gewiffe Schwäche in anderen Stilarten zeigen, find doch
von reizender Wirkung.
Dumont glänzte mehr durch Photographie früherer Leiftungen, welche bei
ähnlichen Gelegenheiten exponirt waren; feine ausgeftellten Thicrgruppen in Stil-
leben-F'orm find matt imd wirkungslos. Diefer noch vor einem Decennium fo
hoch berühmte Künfller fcheint unter das Rad der Zeit gekommen zu fein. Es
ift feine Schuld, wenn wir ihm hier unrecht thun; wir hätten weit Grofsartigeres
von ihm erwartet.
Von den Decorationsmalern und Zeichnern mufs der erfte Rang Herrn
Prignot für feine ausgeftellten Decorationen zuerkannt werden, welche an Schön-
heit der Verhältniffe, an Reichthum der Compofition und Eleganz der Zeichnung
alles Aehnliche auf diefe m Gebiete übertreffen. Die im Ausftellungspalafte zur all-
gemeinen Anficht aufgelegten Blätter find beftimmt zur Publication eines Werkes,
welches theilweife fchon erfchienen, demnächft vollftändig herausgegeben werden
wird und welchen wir einen zahlreichen Kundenkreis unter den hervorragenden
Künftlern verheifsen.
D ubuiffon's Decorationsfkizzen find gediegen und intereffiren Kenner
durch ihre ausgefprochen kühne Perfpe(5live. Aufnahme von prachtvollen decorirten
Räumlichkeiten, in Frankreich beftehenderKunft-Baudenkmäler, wie fie Den eile
in aquarellirten Blättern ausgeftellt hatte, erregten mit Recht allgemeine Bewunde-
rung. Wer wollte leugnen, dafs eine Menge der reizendften Stoffmufter, Teppiche
Mudeneichnungen und Decorationsmalcrei. 4 i
und Stickereien der franzöfifchen Abtheilung angehörten, allein ein gewiffer Zug
von Monotonie im Stil liefs das Gemüth nicht recht warm werden. Stets die-
felben bunten Ornamente mit Blumen, Figuren reizendfter Mache, aber gleichen
modernen, franzöfifchen Stiles, und wo man davon abgeht, fehlt das rechte Studium.
Die Gobelins allein liehen unerreicht da, mögen fie auch manche Fehler haben.
Die Tapeten muffen wir bedauernd ablehnen.
So wenig Gutes hat Frankreich noch nie gebracht, denn wir muffen offen
gcilehen, aufser den Imitationen von Stoffen und Leder, welche ein Fabrikant,
Ball in, brachte und welche wir vom Standpunkte der Fabrication hier nicht zu
befprechen berufen fmd, (land Frankreich nahezu arm da.
Oefterreich war an Siegen und Ehren reich. Seine Stoffe, Teppiche, feine
Tapeten, die viel en ausgeflellten Kunflinduflrie-Artikel waren grofsentheils in
nicht minder pracht- und gefchmackvoUen Pavillons und Schränken ausgeftellt, fo
dafs man oft nicht wufste, folle man dem Gehäufe oder dem Inhalte den Vorzug
geben. Ein unbeflreitbarer Fortfehritt ift gefchehen, eineConcurrenzfahigkeit con-
flatirt, welche man fich am wenigflen in Oefterreich felbft erwartete, und diefs
Gefühl dec Stärke wird auch jene Sicherheit verleihen, welche einen fleigenden
Auffchwung garantirt. Mannigfaltigkeit im Stile, Reichthum in Form und Farbe
waren gepaart mit Gediegenheit der Ausführung und kennzeichneten vortheilhafi
ilie Leillungen Oeflerreichs.
Aber es waren auch die Kräfte darnach gewählt, welche eine folche Stel
lung gegenüber Frankreich und England fichem mufsten. Die erllen Künftler
wurden der Induftrie zur Stütze, zu Führern, und wahrhaftig, Oefterreich verfügt
über eine nicht geringe Zahl derfelben.
Faft lammtliche Profefforen des öfterreichifchen Mufeums und andere
Künftler waren mit den verfchiedenenlnduftriellen Hand in Hand thätig im grofsen
Kampfe. Diefen , vereint mit einer in fo erftaunlich kurzer Zeit erreichten
Gefchmacksläuterung, welche das genannte Mufeum auf die verfchiedenenlnduftrie-
hranchen ausübte, ihnen feine Sammlungen, feine Bibliothek in der liberalften
Weife zur Verfügung ftellte, vereint mit einem angeborenen Kunftfmn der Bevöl-
kerung Wiens, ift es vornehmlich zu danken, dafs der öfterreichifche Kunft-
induftrielle würdig feinen Gäften die Hand reichte, die fie ftaunend und
anerkennend drücken konnten. Ein wohlthuendes Selbftbewufstfein wird die Mutter
künftiger, gröfserer Thaten werden.
Wann hat jemals ein Induftrieller ein folches Riefenterrain fo würdig
ausgefüllt wie Philipp Haas & Söhne ? Wer kann diefer Expofition Grofs-
artigkeit, Gefchmack und Mannigfaltigkeit abfprechen .^ Sie wird einzig daftehen
im Gedächtniffe der Befucher diefer Weltausftellung. Oder hatten die vorher-
gehenden, vier grofsen Expofitionen, welche abwechfelnd in Paris und London
ftattfanden, ein reizenderes Objecfl aufzuweifen, als das der Leineninduftriellen
Oberleitner aus Mährifch-Schönberg , welches vom erften Tage feiner
Eröffnung bis ans Ende der Ausftellung ungefchwächte Anziehungskraft auf die
Befucher aus allen Richtungen der Windrofe ausübte ?
G i a n i , welcher an vier Punkten der Ausftellung feinen Erzeugniffen
Geltung verfchaffte, ift ein zu bekannter Ausftellungsveteran, als dafs wir uns einer
breiteren Auseinanderfetzung befleifsen müfsten, um feine Verdienfte zu conftatiren.
Die Collectivau sftellungderWienerSeidenwaaren-
Fabrikanten, die Ausftellungen der Firmen Franz Leitenberge r, Kos-
manos, Bakhäufer, Hlawatfch und Isbary, Küfferle, Sporlin
und Zimmermann, Auftin, Alber, Wolff, Dambök & Faber,
Drächsler und vieler Anderer bekunden fortgefchrittenen Gefchmack in der
Zeichnung auf ihren Erzeugniffen.
Die Mufterzeichner Wiens vereinigten fich zu einer recht reichhaltigen
CoIle<5livausftellung und wurden mehrfach ausgezeichnet. Gröfseren Raum für
48 1'. l^icb.
diefelben in Anfpruch zu nehmen, fleht dem Berichterftatter, welcher zugleich
Obmann derfelben ifl, will er nicht der Parteilichkeit befchuldigt werden, nicht
zu. Wir überlaflen diefs ruhig dem allgemeinen Urlheilc.
Die De corationsmalerei warindenAusftellungsräumenwohlfchwächer
vertreten; allein wer Wiens Anflrcngungen kennt, der Schaulud der Gäfle in den
unzähligen, öffentlichen und Privatlocalen, das Myglichfle zu bieten, der wird es
begreiflich finden, dafs da an eine Ausflellung von Skizzen und Entwürfen nicht
gedacht werden konnte, und muffen wir, wie fchon Eingangs erwähnt worden, auf
ileren I^eiflungen in den vielen Prachtbauten, wie an den öffentlichen Localitäten
aufmerkfam machen. Uebrigens fällt das allgemeine Urtheil über diefen Kunfl-
zweig Oefterreichs, beffer gefagt Wiens, nicht zu delTen Ungunflen aus, ja es gibt
wohl keine Hauptfladt, welche hierin mehr excellirte.
Wir fcheiden mit dem ruhigen Bewufstfein von Oefterreich, nicht zu viel
über dasfelbe gefagt zu haben, und den Raum, wie die Ausdauer der geneigten
Lefer für unfer Heimatland nicht ungebührlich in Anfpruch genommen zuhaben.
Deutfchland, das einfl fo viel Getheilte, fleht heute als ein Ganzes vor uns,
und wir muffen feine Erfolge auf der diefsmaligen Weltausflellung auch g^nz allein
feinem Zufammengehen zufchreiben. Wie kindifch nahmen fich diefe Mignon-
läudchen auf den bisherigen Weltausflellungen aus. Kein Land in allen Induflrie-
zweigen abgerundet als Ganzes vor uns, jedes einzelne ein Verfuch, feine Dafcins-
berechtigung uns plaufibel zu machen, hier nordifch kalter Gefchmack in der
Kunfl, dort füdlich durchglühter Kunflfinn, Induflrie-Armuth hier, Grofsinduflrie
allein dort.
Heute fleht wie auf politifchem Gebiete ein ehrfurchtgebietendes, gefchlof-
fenes Ganze vor uns. Grofsinduflrie mit Kuuflinduflrie, nüchternes nordifches
.Studium mit füdlicher Phantafie gepaart. Und wenn wir bedenken, dafs diefesLand
noch vor Kurzem mit feinen bellen Kräften, feinem edelften Blute ganze Land-
flriche feindlichen Bodens düngte, fo muffen wir volle Anerkennung dem jungen
Deutfchland zollen, wenngleich wir heute dem ganzen Deutfchland (auf
kunflinduflriellem Gebiete unferer Branche) die Spitze mit Erfolg geboten haben.
Ich bin überzeugt, unter ruhiger Entwicklung, wenn der Ruf nach Blut und Eifen
längfl verhallt, wenn Krupp's Feuerfchlünde die Hirtenflöte nicht mehr übertönen,
wird diefes Land jede Concurrenz beftehen. Seine Bürger find genügfam, feine
Söhne cbenfo muthig und intelligent, als betriebfam.
Betrachten wir die Expofitiouen der verfchiedcnen Induflriellen, fo find die
Zeichnungen im Allgemeinen bei unferem öfterreichifchen Fabricate beffer. Aber
in einzelnen Branchen, z. B. in Leinendamaflen, zeigen die Deutfchen einen vor-
^cfchritteneren Gefchmack, als die Mehrheit unferer Erzeugniffe gleicher Branche.
Und Ehre diefen Fabrikanten, welche kein Schwinden
ihres Namens fürchteten, indem fie ruhig die Autorender Zeich-
nungen namhaft machten, wie diefs, leider als Ausnahme, in liberalftei
Weife Carl Giani in Wien und eine kleine aber intelligente Schaar Anderer von
jeher gethan. Sie haben dabei den Vortheil, dafs fich gerne d^r belle Kreis voi»
Künfllern unter ihre Fahne fchaart ; dafs jeder das Möglichfle leiftet und nicht
anders kann, mufs er ja doch mit feinem Namen dafür einflehen.
Deut fchlands Tapeten find heute die erflen der Welt, und E ng ci-
liar t in Mannheim hat das alleinige Verdienfl, dafs es fo gekommen. Seine
Zeichnungen find die beflen, fein Colorit das gefchmackvoUfle.
An der Spitze der deutfchen Muflerzeichner fleht Friedrich Fifchbach.
der fich übrigens durch eine ganz eigenartige reiche Ornamentationsweife charak-
icrifirt. Uebrigens ifl die Zahl der deutfchen Zeichner eine Legion. Jeder Architekt,
jeder Profeffor des Freihandzeichnens, alles macht fich der Induflrie dienflbar.
.Vlies fchaart fich um fie. Kälter läfst fich die norddeutfche Decorationsweife an.
theilweife überfctit fie zu viel Griechenthum ins nordifche Nebelgrau; fie erinnert
Mufttr/eichiiungcn und Derorationsmalcrei. 49
mich an fehr viele italienifche Veranden in Berlin, an welchen der wuchernde
bunte Wein des Südens fehlt. Theilweife ift fie erft im Werden, denn bisher war
Norddeuifchland noch immer zu fehr von feiner Arrondirung in Anfpruch genommen.
Weitaus anfprechender, reicher an Muth und Wärme im Colorit, mannig
faltiger in den Stilarten und Formen erblickten wir Süd-Deutfchland vertreten;
nur fei hier mein Bedauern ausgedrückt, däfs wahrfcheinlich zufällig in die hübfchc
Zimmerdecoration eines Münchners ein ultramarinblauer Ofen mit Silberornamenl
gerieth, welcher mehr den Eindruck einer Kanzel in einer Dorfkirche aK den
eines Ofens macht.
Seidenwaare und>föbelfloflfe, wie die Teppiche, wo fiefaqonnirt vorkommen,
Stickereien in Bunt und W^eifs, Vorhänge, kurz Alles, was zur Textil Kunftinduflrie
gehört, fleht zumeiil auf hoher Stufe, und kennzeichnet fich durch crnfles Stil
ftudium, welches immer das Rechte trifft, wozu der Stoff" fich eben eignet.
Wir wiederholen es nochmals, und können diefs nicht oft genug thun :
Deutfchland ifl uns Oeflerreichern ein gefährlicherer Concurrent als alle anderen
Länder der Erde.
Die Schweiz und Italien wiefen in Gruppe XII von Mufterzeichnungen
nichts auf, obwohl man annehmen mufste, dafs nicht alle die vielen DefTms, die
man in ihren Ausflellungen fah, ausnahmslos von franzöfifchen Künfllern herrühren.
Mehr Gefchmack in den Deffins der W^eifswaarcn. Vorhänge, Störes und Weifs
flickereien als die Maifon blanche in Paris hatte die Schweiz nicht aufzuweifen,
auch bot das genannte, weltberühmte Parifer Haus eine koloffale Menge der
fchönflen Deffins, als dafs ein anderes Land im gleichen Genre mit Erfolg hätte auf-
treten können. Allein, näher betrachtet, ward die Ausführung in vieler Hinficht
in der Schweiz präcifer, vor Allem reiner in der Zeichnung gehalten.
Wir erinnern an den figuralifchen Theil der franzöfifchen Störes, welche
nahezu ans Fra .nhafte grenzten, fo leichthin waren die (jefichl^zügc und Kör-
perdctails gehalten. Die Zeichnungen aber auf den Schweizer Händern waren
geradezu von überrafchender Schönheit und reizendem Colorit.
Italiens Seidenwaaren erregten die allgemeine Aufmerkfamkeit, wie' über-
haupt diefes Land bei Künfllern und Kunflliebhabern mit Recht die ungetheilte
Bewunderung erregte. Auf dem kleinflmöglichen Terrain war das Beflmögliche
zufammenged rängt, und doch konnte man nicht leicht etwas übcrfehen. denn Alles
feffelte unwiderflehlich und hielt den Befchauer gebannt.
Rufsland bot eine Fülle des eben fo Schönen wie Charaklerillifchen.
Indem diefes Land in feinen Zeichnungen, namentlich in der Textilinduflrie einen
eigenen Stil verfolgt, bot fich eine vollkommene, erfrifchende Quelle des Schönen
dem müden Auge des Befchauers dar. Eine glückliche Wahl des bizantinifchen
Ornamentes geflattete ebenfowohl reiche Farben-Zufammenrtellung, wie gelungene
und flilgerechte Anwendung der Edelmetalle in den Geweben, während ihre
Leinenftickereien die beflen Motive hiefür verarbeiten. Waren da die Formen
auch roh und eckig, fie zogen doch eigenthümlich an, und indem fie den füdfla
vifchen Stickereimuflern fich im Charakter fehr näherten, bildeten fie doch eine
Eigenart, welche nicht genug eingehalten wurde, und wir niüfl'en es zur Ehre
Rufslands geliehen, es war in feltenen Ausnahmen der Fall, da war aber auch
der Gefchmack ein fchlechter. Die Silber- und Goldwaaren zeigten in ihren
Zeichnungen gleichfalls in keinem anderen Lande eine belfere Wahl, einen
cntfchiedenen, eigenthümlichen Stil.
Die in Rufsland ausgeflellten Muflerzeichnungen aber zeugten von bedeu
tendem Gefchmacke und find es gewifs nicht jene Quellen, aus denen die ruffifchen
Induftriellen fchöpften.
Einen traurigen Eindruck machte Griechenland und man wendete fich mit
Bedauern von einem Lande ab, um welches nur die Erinnerung an die fernflc
4*
50 ' F. Lieb.
Vergangenheit noch einen fchwachen Nimbus flicht. Eine Wüflc auf kunll
induftriellem Gebiete.
Eben fo traurig (limmte das Suchen nach ehemaliger orienlalifcher
Pracht. Was neu war, warnichtgutund das wenige Gute war eben
alt. Wo find die Märchen von orientalifcher Pracht? Sie find eben zu Märchen
geworden.
Troftlos blickt das Auge auf einen Tand von ftillofen Verzierungen. Egyp
ten und die Türkei, weniger Indien, huldigen dem Gefchmackc ä la Franca.
Die finnlofeften Schnörkel find willkürlich ohne organifche Ordnung, finnlos an
einander gepatzt, die fchönen Linien verfchwunden. Die orientalifchen Zeichner
haben eben die nationale Richtung in demfelben Grade verloren, als diefe die
ruffifchen Collegen zu finden fuchten und theilweife fchufen.
Sie hatten die heften Motive an ihren alten Stoffen und Teppichen, durften
nur darnach langen, aber fie wollten fich modernifircn und indem noch in jedem
Blutstropfen der Türke fteckt, mulste gewaltfam gegen alle innere Ueberzeugun^
der Franzmann hinein. Und fo wurde denn ein Baftardftil der mifsrathenften An
erzeugt, der bei den kunftfinnigeren, noch lange nicht allen Gefchmackes baren,
gebildeten Ständen nur Zurückweifung und Ekel erzeugte. Bei entfernteren
Diftridlen, z. B. den Erzcugniffen Bagdads, merkte man fchon weniger den unheil-
vollen Wahn der Nachahmung, wenn gleich ein Fortfehritt, eine Verfeinerung
des Gefchmackes eben fo vergeblich gefucht wird.
Meine Befürchtungen, mein Bangen um das fernere Beftehen des fo poefie
reichen, rein orientalifchen Gefchmackes, wurden einigermafsen zerftreut durch die
Verficherungen des liebenswürdigen Chefs der orientalifchen Abtheilung, dafs er
bei feiner Regierung ein Feilhalten am guten alten Stile aus innerer Ueberzcu-
gung lebhaft zu befürworten, fich zur Lebensaufgabe machen wolle.
China und Japan brachte in StolTen nur Mittelmäfsiges ; mit den dort noch
in Verwendung ftehenden Webevorrichtungen kann es nur Wunder nehmen, daf>
es noch möglich war. Solches zu leiften.
Stickereien dicfcr Länder, namentlich Chinas, fowie andere Kunftinduftrie
Artikel, erregten ungetheilte Bewunderung. Sie find noch von keinen frenulcn
EinflülTen angekränkelt und wenn auch kein Fortfehritt möglich ifl, fo ift er eben
fo überflüflig. Das Gebotene könnte unmöglich befler fein, als es eben ift.
Wir find fomit bis zum Oftportale des Riefenbaues gelangt, unter deffcu
Dach die Produ(5le der gefammten Völker aller uns bekannten Länder unferes
Erdballes Raum fanden. Es fei geftattet, dafs wir noch, bevor wir vielleicht auf
lange fcheiden, einen vergleichenden Rückblick auf vergangene Ausftellungeu
machen, wobei wir von alten Bekannten fjirechen und indem wir Vergleiche
aufteilen wollen zwifchen Vergangenheit und Gegenwart, naturgemäfs einen Blick
in die Zukunft thun, und unfere Meinung darüber ausfprechen, wasnoththut
für fe rn erhi n.
Es reicht wohl beim grofsenTheile unlercr geneigten Lefer in die Knaben
zeit, bei anderen in die Jünglings-, beim kleinftenTlieile in die Manneszeit zurück,
die Erinnerung an die letzte Wiener Induftrieausftellung im polytechnifchen
Inftitute. welche im Jahre 1845 abgehalten wurde. Sie kehrten nach Bcdürfnifs
in einigen Jahren wieder oder gar nicht mehr, wie diefs bei uns der Fall war.
Ich möchte fie eigentlich die Vorboten der Weltausftcllungen nennen, zu welchen
zum erftenmale im Jahre 1852 die Engländer die Völker der Erde einluden, fich
gegenfeitig zu meffen im grofsen Wettkampfe.
Sprachlos* vor Erftaunen ob der Riefenidee ftanden wir damals und in
Bewunderung aufgelöft da. Wer ahnte auch zu jener Zeit, dafs diefe Expofitiou
eigentlich ein Kinderfpiel fein wird, gegen jene, welche wir 21 Jahre fpäter im
eigenen Lande in Scene fetzen werden. Und diefes, heute in Sydenham flehende
Glashaus genügte hinreichend, um Alles unterzubringen, was fich anmeldete. Viel
Muftcrzcichnungcii und Dccoralionsmalerci. f>l
luiereflantes, viel Komifches liefse fich da erzählen, aber wir haben heute die
Kinuerfchuhe vertreten und wollen auch nicht zu weit vom Ziele abweichen und
bei der Sache bleiben.
England wurde auf dem hier behandelten Gebiete gefchlagen, total
zurückgeworfen. Frankreich ftand damals alleinherrfchend da, in Mode und
Gefchmack, reich an guten Zeichnern, im Zenith feiner beflen Leiflungen ver-
blüfftc es feine Gegner und rifs fie mit fich fort. England fühlte feine Abhängigkeit
um! diefs bittere Gefühl gebar den Wunfeh, aus fich zu werden, was es nur mit
Hilfe fremder Kräfte geworden. Ja mehr noch anzuftreben, als fein Nachbar bot,
durch ernflcs Studium der nationalen Schätze und Hilfsquellen, durch Creirung
von Schulen, Mufeen und anderen Bildungsflätten. Und es gelang, mühfam Schritt
für Schritt, mit beifpiellofer Zähigkeit wurde Terrain gewonnen, behauptet und
endlich auf neu errungener Bafis ein Fortfehritt erzielt, der unfere volle Aner-
kennungverdient Uas neu errichtete Kenfington-Mufeum warb um die verborgenen
reichen Schätze im vereinigten Königreiche. Kirchen und Klöfter, Grüften und
Schlöffer, Staub und Moder gebaren dem Lichte des kunftgewerblichen Auf-
fchwunges die lieblichflen, herrlichflcn, fo lange verborgen gewefenen Schätze,
die heute noch kaum erreichten Kunflwerke tles Mittelalters bis zur grauen Voraeit
Albions.
Ein unberechenbar werthvolles Handbnch für jeden, ernftes Studium
anflrebenden Künftler, die Grammatik der Ofnamente, von Oven Jones,
unferem heute fo wohlverdienten ausgezeichneten Altmeifter, ins Leben gerufen,
gab der ganzen Richtung ein ficheres Steuer, einen unfchätzbaren Lootfen.
Die Expofition univerfelle in Paris 1855 zeigte Frankreich noch unüber-
troffen allen Nationen der Erde gegenüber, man hatte eben Sinn für Pracht-
entwicklung auf zum gröfsten Theile noch rein naturaliftifcher Baus. Wo find die
herrlichen Tapeten eines Delicourt, des Matadors unter den damaligen Tapeten
fabrikanten? Seine Decorationen, feine Blumentapeten, fie werden jedem unpar-
theiifchen Befucher der Ausftellung unauslöfchlich im Gedächtniffe bleiben, und
find heute noch von Niemandem erreicht worden.
Möbelfloffe und Teppichzeichnungen in wunderbarer Weife vertreten,
würden, wenn fie auch den heutigen Anfchauungen nicht mehr ganz ent-
fprechen, doch in der Technik ein eben fo grofses Auffehen erregen, wie damals
und mit Recht. — Frankreich hatte heute, gelinde gefagt, nichts fo Gutes exponirt.
Welche Erfolge feines Strebens konnte England feit den wenigen Jahren
feiner Reorganifation auf kunftinduftriellem Gebiete erreicht haben? Kaum dafs
man die erflen Regungen wahrnahm. Die erflen Schritte waren gethan, und es
waren glückliche zu nennen. Kleine Schritte, aber fiebere ; wenige, aber hervor-
ragende Leiflungen kamen fchon zur Geltung.
Oefterreich lag damals noch im Argen. Man mifsverflehe hier nicht; die
Induflrie, die Kunft, der Handel im Allgemeinen bleibt in diefem Berichte aus
dem Spiele, aber die Mufterzeichnungen und die decorative Kunft, namentlich die
Erlleren, befchränkten fich in Bezug auf guten Gefchmack oder vollends gar
auf Stilgefühl, auf fo verfchwindend kleine Punkte, dafs es fchwer hielte, wollten
diefelben unter dem argen Plunder durchleuchten.
Ebenfo erging es faft ausnahmslos den anderen, heute fo glanzvoll ver-
tretenen Staaten auf diefem Gebiete. In jener Zeit erfchollen, vereinzelt zwar,
aber doch nicht vergeblich die erften Rufe nach Veredlung des Gefchmackes,
nach Bildung des Kunftfinnes und des Stilgefühles. Da öffnet eine neue Weltaus-
Heilung in London 1862 ihre Pforten, und fchon tritt ein weit verfchiedenes Bild
vor unfer Auge. Frankreich bietet noch gehobenen Hauptes dem Nachbarlande
die Spitze. Englands Fortfehritte aber erweifen fich klar, und treten in manchem
fache fogar mit Vortheil Frankreich gegenüber. Der kirchliche Stoff fei hier
angeführt, jedoch durchaus nicht als vereinzelter Sieg verzeichnet. Deutfchland
ftrebt nach Befferem, Rufsland ift noch zurück.
52 F. Lieb.
Und OciTcrreichr Es verfucht die erden Schritte aus dem Labyrinthe ver
fumpften Gefchmackes. Die vereinzelten Rufe, fie hatten Wiederhai! gefunden, der
Drang zum BeflTeren, er hatte fich verallgemeinert. Es handelte fich aber hier mehr
als in allen anderen Ländern, verlorene Zeit einzubringen, Verfäumtes nachzuholen.
Seine Webe-Induflrie, einft fo mächtig, hatte viel Terrain verloren, und
mufste nothwendig ganz aufhören, wenn nicht in kurzer Frift eine beflere Strömung
in die Gefchmacksrichtung kam. Und nicht fpäter durfte diefer Entfchlufs reifen,
wir waren nahe daran, von den beiden mächtigen Gegnern Frankreich und
England gänzlich erdrückt zu werden.
Das, was England feiner Zeit gethan, war auch unfer Streben, zu erreichen,
und fo entftand unter dem mächtigen Schutze eines F'amiliengliedes unfcrcsKaifcr-
liaufes, des Erzherzogs Rainer, mit dem um Oeflerreichs jetzige Blüthe fo hoch
verdientem, ralllos thätigen Dire(5tor v. Ei telb erger an der Spitze, das heule
muflergiltige öfterreichifche Mufeum für Kund und Induftrie.
Junge, gediegene Kräfte fchaarten fich rafch um den begabten Führer, Hof
und Adel, Bürgerthum und Künftlerfchaft gaben reich und mit Begeifterung ihr
Befles, was fie hatten. Die Bibliothek, in wenigen Jahren zur reichftcn zählend,
öffnete ihre Schätze jedem, der emftem Studium fich weihen wollte.
Dem ernflen Wollen fehlte auch nicht das Können, und fo darf es Niemand
Wunder nehmen, wenn fchon 18Ö7 bei Gelegenheit der Parifer Ausflellung ein
Riefenfchritt gethan war, der uns den vorgefchrittenften Staaten, befondcrs in
kunflgewerblichen Artikeln , nahezu gleichftellte, ja fowie feiner Zeit England,
Frankreich gegenüber, nun Oefterreich den beiden Stand hielt.
Viele Verdienfle um die Hebung des Gefchmackes in Mufterzeichnung,
Decoration und anderen kunflgewerblichen Zeichnungen erwarben fich Oefler-
reichs Architekten: Hänfen, Fcrfll, Schmidt, Stork u. A. und halfen redlich mit am
grofsen Werke.
Doppelt ruhmvoll waren Oeflerreichs Siege auf der Parifer Ausflellung,
wenn man bedenkt, dafs es, noch aus taufend Wunden blutend, die ihm die
.»Bruderhand" gefchlagen, auffchnellte mit einer Elaflicität, die eben nur ihm
eigen ifl.
In den Muflerzeichnungen war fchon eine anerkennenswerthe, fiebere
Richtung, ein ernflcs Studium der Stilarten unverkennbar ausgedrückt. Und wenn
England hierin fchon grofs dafland und wenn es einen Vortheil vorau^» hatte, (o
war es die Zeit, und wenn gegen diefe Oeflerreich etwas in die Wage zu legen
hatte, fo war es feine flidliche Phantafie, fein angeborener Gefchmack. der feinem
rafch wachfenden Reichthum, feiner Liebe zum Luxus entfprofs.
Frankreich behauptete wie früher feinen Platz, aber auf demfelben Stand-
punkt, ein Vorwärtsfchreiten war nur in einer Stilart, der franzöfifchen RenaifTancc
hefonders im Stil Louis XVI., bemerkbar, welche Vorliebe für diefen noch heute
dominirt, und in welchem es noch heute grofs dafleht.
Ernfleres JStilfludium machte fich auch an deutfchen Producflen in diefer
Ausflellung bemerkbar, obfchon auch da eine etwas kühle Auffaffung desGriechi
fchen. welche am grellflen fich in feiner Decorationsweifc, wo diefe nordifchen
Urfprunges war, manifeflirte. In den Zeichnungen derStoffmufler war an deutfchen
Fabricaten ein Fortich ritt zu verzeichnen.
Rufsland fchlug jene Stilrichung, welche e^ auf der gegenwärtigen Au>-
flellung auch auszeichnet, foeben ein, war jedoch noch nicht recht ficher und flark
mit veraltetem Gefchmacke durchgefetzt. Italien flrebte befTeren Gefchmack an.
und hielt fich mehr als früher an die guten \'orbilder feiner Heimat. Die Türkei.
Perfien und Oflindien, mehr und mehr fich dem Occident öffnend, gingen von
einer Ausflellung zur anderen mehr und mehr zurück. Die finnlofeflen Schnörkel
des Abendlandes aufnehmend und feine eigene, reizend poetifche Originalität ver-
leugnend, ifl, wie fchon früher gefagt, nur mehr auf der heutigen Weltausflellung
das Alte, Unverfälfchte gut zu nennen.
Muftcrzeichmmgcn und I)ecorationsmaIcrel Ot>
Dafs China und Japan in denMotiven zu ihren kunftgewerblichenProduclen,
namentlich Stoßen und Stickereien, heute daflehen, wo fie vor 21 Jahren waren,
liegt in ihren Gefetzen wie in ihrer ganzen Natur, bewahrt fie aber auch vor dem
Schickfale der letztgenannten Länder. Möchten fie nie verfuchen, fremde Elemente
aufzunehmen! Eine Ausilellung, in welcher alle Länder der Erde fich in
allen Stilarten, felbft wenn mit gleichem Glücke verfuchen würden, brächte
ficher jeden Gebildeten zur Verzweiflung.
So feien denn zum Schlufsworte einige Bemerkungen geftattet.
Sollen die hier behandelten Branchen der Kunflgewerbe in ihrer Entwick-
1 ung gefördert werden, fo ifl eine Pflege der nach dem Mufler des Kenfingtonmufeums
in allen Ländern, welche auf der Höhe der Zeit flehen, bereits errichteten Mufeen
die erfle Bedingung. Die an denfelben befindlichen Bibliotheken find den heimi-
fchen Künfllern in liberalflcr Weife zugänglich z\i machen, durch Publicationen
der periodifch ausgeftellten, oder im Befitze der Mufeen befindlichen Kunflfchätze
ift in Wort und Bild die möglichfte Verbreitung zu verfchafi"en. Mit den Mufeen
müflen Schulen verbunden fein, welche fich die ernfte Pflege der kunftgewerblichen
Fächer zur Aufgabe Hellen, aber zugleich mit den Induftriellen in regem Conta<5le
flehen. Dafs diefs in Oeflerreich glücklicherweife Alles fchon vorhanden, ifl auch
die Urfache, warum wir fo eclatante Erfolge aufzuweifen heute in der Lage find.
Sind diefe Bedingungen erfüllt, dann fleht dem Fortblühen kein Hindernifs
im Wege und wir dürfen nicht fürchten, aus dem Kreife der vorgefchrittenflen
Nationen verdrängt zu werden. Dann wird dielnduflrie blühen und in ihrer Blüthe
liegt Segen für das Land, welches fie pflegt. Verbannt fei das Unkraut der Selbfl-
überhebung und der Anmafsung. Wo die Kunfl nicht mit reinen Händen gepflegt
wird, da ifl das frühe Siechthum der gerechte Lohn, und früher oder fpäter räch't
fich die Blindheit. Der Adel aber und das wohlhabende Bürgerthum ifl in erfler
Linie berufen, diefs Kunflgewerbe zu pflegen, „von Oben kommt die Bildung**, von
Oben mufs die Unterflützung kommen. Decke feine Bedürfniffe heute noch in
Frankreich, wer arm genug an Patriotismus oder Intelligenz ifl, er richtet fich felbfl.
Die wahrhaft gebildeten Stände, hoch und nieder, fanden bereits und finden
noch im Lande mehr und mehr, von Jahr zu Jahr, was ihr Herz fich wünfcht. S i e
mögen den Schlufsflein fügen in das Gebäude, deffen Glanz den ihrigen vermehrt.
^-
OFFICIELLER
AUSSTELLUNGS-BERICHT
HBRAUSGBCEBSN DURCH DIB
GENERAL-DIRECTION DER WELTAUSSTELLUNG
18 7 3
UNTER RBDACTION* VON DR. CARL TH. RICHTER , K. K. O. Ö. PROFESSOR IN PRAG.
TAPETEN UND BUNTPAPIER.
(Chnppe XI, Seotion 2.)
Bericht von
D^- Wilhelm Franz Exner,
Pro/eff'or der meckani/chen Technologie an der Forflakademie in Mariabrunn,
k. k. Regierung%rath.
SCHREIB-, ZEICHEN- UND MALER -REQUISITEN.
(Gruppe XI, Section 3.)
Bericht von
Ignaz Nagel,
Beamter der commerciellen DireHion der k. k. priv. Südbahn in Wien,
BUCHBINDEREI, CARTONNAGE
UND
MASCHINEN FÜR BUCHBINDER.
(Chnppe XI, Seotion 4.) * •
Bericht von
Conrad Berg,
Verlags- Buchhändler und Buchbinder in Wien.
WIEN.
DRUCK UND VERLAG DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
1874.
TAPETEN UND BUNTPAPIER.
(Oruppe XI, Section 2.)
Bericht von
D^ Wilhelm Franz Exner,
Profeffor der mechani/chen Technologie an der Forflakademie in Mariabrunn,
k. k. Regierungsrath.
Die Weltausftellung hat ihre Aufgabe, ein treues Bild des dermaligen
Zuftandes der Producftion und des Verkehres der Güter zu liefern, in Beziehung
auf das fpecielle Fach: Tapeten- und Buntpapier — nicht erfüllt. Bei der gröfsten
Genügfamkeit — wenn man fich felbft mit einer nur halbwegs voUiländigen
Darllellung diefer Induftrie, wie fie die letzte Parifer Univerfalausilellung
geboten hat, befcheiden möchte — unfere heurige Expofition hätte uns, fo lange
wir von diefem Zweige menfchlicher Betriebfamkeit fprechen, nicht befriedigen
können. Einzelne charakteriftifche Züge für diefes und jenes Produ<5lionsgebiet
— das ift Alles, was uns der Praterpalafl zur Schau brachte.
Die Aufgabe des Reporters wäre eine leichtere, feine Vertrauenswürdigkeit
eine erhöhte, wenn er ein erfchöpfendes Buch zu lefen und für das grofse
Publicum kurz zu paraphrafiren hätte. Wir fanden aber in der Sammlung von
Handfchriften, Urkunden und Büchern in der grofsen zeitgenöffifchen Bibliothek,
als welche die Weltausftellung aufgefafst werden mag. nur eine Monographie über
die polychrome Ausftattung der Papierfläche, welche ganze Abfchnitte nicht ent
hielt, z. B. jenen über Mafchinen und Werkzeuge zur Tapetenfabrication, welche
das Capitel Farbftoffe gar nicht von unlerem Gefichtspunkte aus behandelte, und
welches felbft in jenem Abfchnitte, deflen erfchöpfende Vollftändigkeit uns am
wtinfchenswertheften gewefen wäre, nur einzelne Paragraphe darbot. Viele Blätter
find herausgeriOen, auf den vorhandenen fehlen Zeilen, andere find verftümmelt,
viele verdruckt. Der Abfchnitt, von dem wir fprechen, ift die Schilderung des
fertigen Produ<5les. Mühfam und freudenlos ift die Befprechung eines dermafsen
verftümmelten Werkes.
Man wird uns einwenden, die Reporterpflicht beftünde eben darin. Fehlen-
des zu erfetzen, die Bruchftücke zu einem harmonifchen Ganzen zu vereinigen
und zur Befchauung fertig zu machen. Das hiefse in unferem Falle, bei der
Gruppe XI, Se<5lion 2 zu einem Stück Hand, zu mehreren Stücken eines Fufses und
2U einem Ohr mit etwas Backenknochen die übrigen Theile eines Standbildes
formen. Ich brauche wohl nicht zu fagen, dafs ich diefs zu unternehmen — nicht
beabfichtige. Ich habe über die Schwierigkeit oder die Unmöglichkeit auf Grund-
lage der in der.Ausftellung gemachten Wahrnehmungen einen zufammenhängenden
I*
2 Dr. Wilhelm Franz Exner.
ordentlichen Bericht über die heutige Tapeteninduftrie und Buntpapier-Erzeugung^
zu liefern genug gefagt, und will nicht noch umftändliche Klrgen über die Art
der Aufftellung, mangelhafte Katalogifirung jetzt hinzufügen. Diefer Jammer
herrfchte eben in jeder anderen Gruppe der Weltausflellung auch, und könnte
füglich als Generaleinleitung aus den Einzelberichten herausgehoben werden. Die
allergröfsten Gebrechen in diefer Richtung werde ich mir erlauben bei Gelegen-
heit der DetailBefprechung hervorzuheben.
Die Tapeten fabrication, das ift die auf mafchinellem Wege wandelnde
Tapeteninduftrie, macht allenthalben, wo fie bereits entftanden ift, Forifchritte,
ohne irgendwo die Tapeten-Handmodeldruckerei vollftändig zu verdrängen.
Diefer feit dem Entftehen der TapetenwalzenDruckmafchine fich entwickelnde
Procefs hat keine Unterbrechung erlitten. Die Weltausftellung würde uns das
zwar nicht lehren, wenn wir es nicht ohnehin wüfsten. Sie beftätigt immerhin an
einzelnen Obje<5len die bekannte Thatfache.
Diebedeutende amerikanifche Tape tenfabricat ion war auf der
Praterausftellung nicht erfchienen, ja auch die e n g 1 i f c h e n Firmen, welche fowohl
in Beziehung auf Quantum der Produktion als Niedrigkeit des Preifes Horrendes
leiften, waren nicht vertreten. Auf der Parifer Ausftellung verblüfften die Engländer
durch ihre Leiftungen die auf folches nicht vorbereiteten Concurrenten vom Feft-
lande. Diefsmal verfchmähten fie es ihre Suprematie zur Geltung zubringen. Nur ein
Symptom ihrer Exiftenz, von Vielen unbeachtet, von den Meiften nicht gewürdigt,
wollen wir hier erwähnen, da wir ja leider keine Gelegenheit mehr haben werden
auf England zurückzukommen.
Bei der Expofition des berühmten Mufterzeichners Owen Jones war
eine Suite Hand- und Mafchinendruck-Tapeten ausgeftellt. Letztere waren weit-
aus überwiegend. Billige und koftbare in bunter Abwechslung; mattfarbige
franzöfifche Deffms, naturaliftifche und gefchnörkelte, viel mehr aber als folche vor-
züglich gezeichnete ftiliftifche Tapeten, die ihre urfprüngliche Beftimmung als
.Surrogat edler gewebter Wandbekleidung nicht verleugnen. Alle Manieren der
technifchen Behandlung fanden fich in diefem Cahier vor, fo zwar, dafs man fich
einerfeits neuerdings über die Produötivität Owen Jones verwundern mufste und
andererfeits erkennen konnte , dafs die englifche Tapeteninduftrie Alles macht,^
was man nur verlangen kann. Owen Jones fcheint einen fehr grofsen Einflufs
auch auf die Tapetenerzeugung zu nehmen , und diefs erklärt mir die auffal-
lende Verbefferung der billigen einfachen Tapeten , die jedem aufmerkfamen
Befucher Londons in den letzten Jahren auffallen mufste. Bis in die Souterrain-
räume der Hotels und in die Manfarde des Privathaufes dringt die gefchmack-
voUe fimple Mafchinentapete vor. Auf im Holländer gefärbtes Papier ein paar
Farben durch Walzendruck gebracht, bild^en den tadellofen Schmuck der Wohn-
räume felbft des minder bemittelten Londoners. Einige Tapeten der Owen
Jones'fchen Sammlung hat der gefeierte Verfaffer der Grammar of ornaments
offenbar blofs, um feine Vielfeitigkeit zu demonftriren, zur Schau geftellt; fie
werden zu feinem Renomm^ wohl kaum beitragen, ja ein Anderer als Owen Jones
dürfte fie kaum riskiren vor dem Urtheil Sachverftändiger.
Eine unftreitig ins Fach der Tapete gehörige Specialität mufs hier noch
erwähnt werden. Es find diefs die von Pavy's Feited Fabrik erzeugten „Japanefe
curtains & tapiftry" , (Niederlagen: 51 Oxford Street London und 71 Upper ftreet,
Islington, Fabrik 13 und 15 Hamfell Street, Falcon Square London) filfchlich in
der Gruppe V der englifchen Se<5lion exponirt.
Die Japaner vermögen aus ihrem Bruffonetiapapier, Dank der langen Fafer
und der filzähnlichen Struktur* eine Menge von Dingen zu machen, zu welchen
* Ich habe fchon im Jahre 1863 auf den für das japanifche Papier charakteriftlfchen
bartförmigcn Rtfs aufmerkfam gemacht.
Tapeten und Buntpapier. 3
unfer europäifches Papier gänzlich ungeeignet ill. Die Widerftandsfähigkeit des
japanifchen Papieres gegen das Abbiegen ift eine ungleich gröfsere, als bei unferen
Papieren. Das japanifche Papier eignet fich daher vortrefflich zu Vorhängen,
Draperien, Möbelüberzügen, Bettgehängen Blenden, Tapezierarbeiten überhaupt
und zu anderen decorativen Zwecken. Man mufs nur das erfte Staunen über den
Vorfchlag, eine Draperie aus Papier zu machen, überwinden und bei ruhiger
Ueberlegung wird die Möglichkeit einer folchen Verwendung und die dabei zu
erzielende Oekonomie einleuchtend fein. Unfere Vorfahren waren gewifs nicht
minder frappirt, als ihnen zum erden Male der Vorfchlag begegnete, die
gewebte Wandtapete oder das hölzerne Getäfel oder den Gobelin durch Papier
zu erfetz en.
Pavy's Fabrik hat fich nun — offenbar dem von den Japanern gegebenen
Beifpiele folgend, darauf geworfen, mit Zuhilfenahme der der modernen Tapeten-
technik zu Gebote (lebenden Effe<5le die Brocate von Lyon, die Repfe, Woll und
Seidendamafte von Paris und Roubaix, den Mühlhausner Cretonne, die bedruckten
Zitze und andere zur Decoration dienende Stoffe in einem dicken, nicht brüchigen
Papier zu imitiren. Die Papierprobe, welche ich mir verfchafTte, enthielt Holz-
Hanf- und BaumwoU-Fafer. Das Papier ift zumeift gauffrirt, hat auf beiden Seiten
einen verfchiedenen Deffin, ift mitunter auf der rechten Seite reich vergoldet, und
ift auf einige Diftanz von gewebten Stoffen nicht zu unterfcheiden. Bei Vorhängen
Draperien und dergl. find die Ränder mit gefältelten Streifen aus demfelben Stoffe
eingefafst und überhaupt die Behandlung eine ähnliche wie bei Geweben. Der
Faltenwurf ift allerdings nicht fo reich, doch bemerkt das Auge diefs erft gewöhn-
lich, wenn der Beobachter durch andere Umftände die Täufchung inne wird.
Die Idee, welche diefer Fabrication zu Grunde liegt, ift keineswegs neu ;
fo haben wir Möbelüberzüge aus lederimitirenden Tapeten fchon wiederholt bei
früheren Ausftellungen gefehen ; nur die Ausbildung der Idee in allen ihren Con-
fequenzen, die glückliche Wahl der Deffins, die vortreffliche Technik find ein
Verdienft Pavy's. Der kaum im Bau vollendete Jurypavillon, welcher noch fo feucht
war, dafs die in demfelben ftändig befchäftigten Beamten viel unter diefem Um-
ftände litten, enthielt einen Salon, welcher von Pavy mit feinem „Patentfilz'*
decorirt war. Eine glänzendere Probe der Dauerhaftigkeit konnte das Fabricat
nicht leicht ablegen. Die Ausftattung des Salons war eine völlig gelungene. Ent-
fcheidend für die Verwendbarkeit des Pavy'fchen Stoffes ift der Preis. Ein Paar
Vorhänge, welche Cretonne oder Wollenftoff vorftellen, koftet voUftändig adjuftirt
6 bis II Shilling, ein Preis, der um Weniges die Koften der bioffen Tapezierer-
aibeit überfteigt. Luxuriöfe Seidenbrocate um den Preis von loo bis 200 Gulden
für ein Fenfter, kommen in der Imitation auf 5 bis 15 Gulden zu ftehen. Freilich
if> die Dauerhaftigkeit gewifs weit mehr als 20 Mal fo gering bei diefen Imitations-
ftoffen. Es mag richtig fein, dafs diefe Papiervorhänge Contagien weniger feft-
halten als gewebte Stoffe, dafs jene leichter vom Staube zu reinigen find und
durch Rauch minder leiden ; gewifs ift dafs man mit jenen leichter den Schwankun-
gen der Mode folgen kann, und dafs man endlich bei ihnen das Wafchen und
Spannen unferer weifsen Vorhänge erfpart.
Bei dem Mangel an intereffanten Neuigkeiten ift wohl diefe ausführliche
Befprechung hier gerechtfertigt. Freilich bietet fie keinen vollgiltigenErfatz für
eine ernfte Discuffion der dermaligen Leiftungen eines Jeffrey, Home & Marsdon,
Scott & Cutbertfon, Potter, Heywood, Higginbottom & Comp., Woollams, Land,
Cooke, Kilie & Lochead u. f. w., welche fammt und fonders der Wiener Ein-
ladung widerftanden.
Während in England der Walzendruck fo vorherrfcht (auch Pavy's Vor-
hangftoffe find mit Mafchinen gefertigt), dafs die Modeldruckerei dagegen von
verfchwindender Bedeutung ift, fcheint fich in Frankreich das Verhältnifs beider
Herftellungsmethoden nicht fo rapid zu Gunften der Mafchinenarbeit zu entwickeln.
Von den fünf Jahren feit der Parifer Ausftellung find durch den Krieg wohl
4 Dr. Wilhelm Franz Exncr.
drei für die Entwicklung der meiden Indudriebranchen ganz verloren gegangen
und man mufs fich billig wundern, dafs die Mehrzahl der Tapetenfirmen aufrecht
dafteht.
Die zwei grofsen Mafchinen- Tapetenfabriken L e r o y undGillou fils&
Thorailler, über welche wir im Parifer Ausftellungsberichte und in dem Buche:
die Tapeten- und Buntpapier-Induftrie, Weimar 1869, umdändliche Nachrichten
veröflfentlichten, find unfereGäfte gewefen und haben die Produ<5le ihrer Fabriken
in einem Hofeinbau entfaltet. Die Mehrzahl der ausgeflellten Bahnen (Rollen}
waren uns wohlbekannt. Das öfterreichilche Mufeum für Kund und Indudrie
befitzt die beden Müder diefer Fabriken durch meine Vermittlung vom Jahre 1867
her. Der Fortfchritt, den die Mafchinentapete in ihrer Concurrenz mit der Hand-
druck-Tapete macht, ging indeffen auch aus diefen Expofitionen hervor. Die
furchtlofe Anwendung von fatten , tiefen Farben , welche man anfanglich der
Mafchine nicht zumuthen konnte, die dets delicater und fubtilcr werdende Zeich-
nung auch bei den Deffins, die man der Walze anvertraut, rauben der Modell-
druckerei von Tag zu Tag mehr von ihrem bisher privilegirten Territorium.
IfidoreLeroy delltc heuer ein Döcors mit Figuren (im Mittelfeld zwei Frauen-
gedalten, in den beiden Seitenfeldern Engelgruppen, aufserdem Fruchtkörbe und
dergl. mehr) ex6cut6 k la m^canique aus, das technifch gewifs tadellos war.
Gillou Sohn und Thorailler haben mehrere Arbeiten, bei denen Hand- und
Mafchinenarbeit zufammenwirkten, exponirt. Ein Stück davon war wohl geeignet,
Auffehen zu erregen. Eine Teppichimitation von täufchender Naturähnlichkeit.
Die Veloutage id dabei auf die höchde Stufe gebracht. Die Firma producirte
diefsmal neuerdings die bekannte Decoration mit den yon Dumont meiderhafi
gemalten Hafen.
Die beiden Firmen find wohl auch heute noch in Beziehung auf Grofs-
artigkeit des Betriebes die erden in Paris, und fomit von den bedeutendden in
der Welt. Auch fie machen Anläufe zur BeflTerung in den Deffins, ich will fagen,
zur Abwendung von der Phantafie und von der grob-naturalidifchen Tapete. Sie
werden das franzöfifche „Genre" aufgeben, hiezu ihre fortfchreitende Technik und
fie bleiben die Meider in ihrem Fache.
Die Parifer Luxustapeten-Manufactur war in Wien hinlänglich ver-
treten. Einige der älteden Häufer fehlten freilich, wie Desfoflfö, welcher aller-
dings auch 1867 nicht ausdeute, und fich, wie es demnach fcheint, nicht mehr um
den Lorbeer, der bei Expofitionen zu erringen id, kümmert. Diefe Firma culti-
virte in den erden fechziger Jahren die Herdellung von Hidorien- und Genre-
bildern mitteld Modeldruck. Wir fchmeichelten uns, diefe Mode fei aufgegeben.
Wir hofften, dafs man figuralifche und landfchaflliche Dardellungen, nur infofeme
man fie ornamental verwendet, in Zukunft zulaffen, und darauf verzichten werd6, ein
Surrogat für Wandgemälde zu liefern. Die technifchen Hindemiffe find und
bleiben unüberwindlich. Auch des Plaidoyer eines vielerfahrenen und gefchätzten
Tapetendeffinateurs (Friedrich Fifchbach. Deutfche Zeitung vom 10. September 1873 j
vermag uns nicht umzudimmen. Wir fafTen die „gedruckten" Tapetenbilder als
eine Verirrung auf, ebenfo wie die gedickten Portraits und dergleichen mehr und
bedauern, dafs die, wie uns fchien. endgiltig aufgegebene Verirrung in Wien
wieder auftauchte. Die ausgezeichnete Tapetenmanufa<5lur von Hoock fr^res
in Paris hat uns mit der Dardellüng einer Hoffcene in einem Park tiberrafcht. Der
ganzen Dardellüng hilft es wenig, dafs fie grau in grau durchgeführt wurde. Die
Hahnen paffen nie genau, die Formen find hart, wie die Schattirung in Tönen. Das
Bede davon id noch die Architektur, welche die Bilder umrahmt. Die Wappen mit
Lilien fcheinen uns nicht nur als zeitgemäfser Schmuck für jene Architektur, fon-
dern auch als Signatur für die Zeitdrömung in Frankreich vor der Ausdellung 1875
dienen zu können. Entworfen id das ganze Panneau von dem Kündler Dumont
Die von demfelben Meider für 1867 componirte Decoration im Stil Louis XIV.
hatte vielmehr Berechtigung und war auch weit beffer gelungen. Die Skizze
Tapeten und Buntpapier Ö
hiezu war übrigens auch dem Publicum der Wiener Weltausftellung nicht vor
enthalten, denn Dumont crfchien als Ausfteller in der Gruppe XII und hatte
dabei auch jenen Entwurf zur Anficht gebracht. Die übrigen Obje<5le der Firma
H o o c k machen dem alten Rufe des Haufes alle Ehre und namentlich die
„Articles de ftile", wenn fie es auch nicht immer ganz buchftäblich genommen
find, fanden unferen vollen Beifall.
Me]»r noch als Hoock mit feinen grauen Hofleuten und Parkfern flehten
machte die Seide- und Goldglanz ausflrahlende Expofition des P. Bai in Auf-
fehen, welche an bevorzugter Stelle in der Hauptgallerie Platz gefunden hatte.
Bai in hat eine reichhaltige Suite äufserfl luxuriöfer Wandbekleidungs-Mittel
gebracht. Geprefste Ledertapeten und iraitirte Ledertapeten mit DelTins aus der
bellen Zeit, echte Seidentapeten, bed ruckte Seide, bedruckte, billige
Gewebe und Papiertapeten.
Wenn es uns auch bedünkt, dafs die Behandlung eines edlen Materiales
mit einem Druckmodel doch immerhin übers Ziel gefchoilen iA und die eben
möglichen niedrigflen Preife noch viel zu hoch find für ein Surogat — fo ift
dagegen das Bedrucken billiger Stoffe oder das Aufziehen des bedruckten
Papiers auf Gewebe eine Technik, die volle Berechtigung hat. Herr ßalin fagt
felbft: „Le deffous de ce papier eft remplace par une pretonne ou tout autre
etofife bon march^, lorsque une plus grande souplesse eft d^sirable",
und wir glauben, dafs man ihm beipflichten mufs. Nach dem von Bai in ent
wickelten edlen Luxus möchten wir fchliefsen, dafs er heute wirklich in
theuren Artikeln, fowohl was Gefchmack als Technik anbelangt, allen ande-
ren franzöfifchen Tapetenfirmen voranfchreitet, in Wien hat er fie gewifs alle
gefch lagen.
Lho eft Paul in Lüttich mag hier im Anfchlufie an Baiin abgehandelt
werden, da auch diefe Tapetenfabrik gewebte, mit Modeln bedruckte Stofife
exponirte. Die Firma Lho eft bediente fich jedoch hiezu nicht koftbarer, fondern
nur ganz ordinärer Gewebe, einer Art von ungebleichter Leinwand oder Jute, und
erzielte hiebei mit einfachen Deffins ganz hübfche Refultate. Diefer Artikel zur
inneren Auskleidung von hölzernen Häufem, Gartenpavillons und dergl., wie es
fcheint, beftimmt, mag auch zumComfort in folchen Räumen wefentlich beitragen.
Der Artikel fand, wie ich annehmen mufs, zu wenig Beachtung ; freilich waren
gerade diefe Obje<5le in der fonft anziehenden Expofition Lhoeft's nicht fehr
aufiallig placirt L h o e ft hat, obwohl deflen Etabliflement eines der älteften ift,
es befteht feit 1789, nie an einer Ausftellung Theil genommen und hat fich in
Wien bei diefem erften Debüt als fehr leiftungsfahig erwiefen. Aulser den
gewöhnlichen Papiertapeten und dem oben befprochenen neuen Artikel hat er
auch Stoff- und Lederimitationen, die in Belgien überhaupt fehr gepflegt werden
(namentlich von Dulud, der in Wien fehlte) und endlich fehr gut gauffrirte Mufter
zur Anficht gebracht. Lho eft war uns eine angenehme, neue Bekanntfchaft. *
Obwohl wir hier in der Befprechung der franzöfifchen Ausfteller die
Erwähnung einer belgifchen Firma eingefügt haben, fo ift diefs nur eine Unregel-
mäfsigkeit in Bezug auf die politifchen Landesgrenzen, an die >\ir uns ja bei der
Anordnung des Stoffes nicht fklavifch zu halten brauchen. Im Wefen ift die
belgifche Tapeteninduftrie eben am meiften verwandt, ja fie ift identifch mit der
franzöfifchen.
Fahren wir nun in der Befprechung der franzöfifchen Abtheilung fort, fo
haben wir noch eine Fabrik von Modeldruck-Tapeten zu erledigen, es ift diefs
jene von F. FoUot. Diefe Firma brillirte durch ihre Velout^s. Nicht nur ein in
vollendeter Feinheit ausgeführtes Panneau von orangegelber Farbe, fondern auch
* Lho eft warder einzige belgifche Ausfteller der 2. Seölion Gruppe XI, infofern wir
von der Spielkartenexpolition von DavcIuy-d'Elsoungne abfehen. Die Mafchinentapeten von
Kutten in Meftricht bekamen wir leider auch diefsmal nicht zu fehen.
b Dr. Wilhelm Franz Exner.
eine reiche Suite von verfchiedenfarbigen, nicht deflinirten ScheerwoU-Tapetcn
feffelten uns. Technifch war diefe Ausflellung fehr beachtenswerth, namentlich
für die deutfchen und öfterreichichen Fabrikanten, welche, wie man wohl anneh-
men darf, in diefem Artikel noch immer die Parifer als ihre Lehrer betrachten
müiTen.
Der franzöfifche Katalog führt in diefer Se(flion wohl noch mehrere Firmen
auf, welche aber nach unferer AufTairung hier nicht in Betracht kommen. Es find
diefs entweder Zimmermaler oder Lithographen. Die Rollvorhänge für Fenfter
will ich aber am Schlufle meines Berichtes in einem eigenen Capitel abhandeln.
Dagegen enthielt die Gruppe XII, graphifcheKünfte, mehrere Ausftellungen,
die wohl einer kurzen Erwähnung an diefer Stelle gewürdigt werden muffen, da
fie im engften Zufammenhange mit der Tapetenbranche flehen.
Jene Künftler, welche fich mit der Erfindung von Tapetendeffins vorwie-
gend befaffen, haben fich ziemlich zahlreich eingefunden. Soll ich hier nochmals
fagen, was hundert und hundert Mal über die Parifer Deffinateure gefagt wurde,
und von competenten Perfönlichkeiten.^
Nicht überflüffig dürfte es dagegen fein, zu bemerken, dafs es ein Fchl-
fchlufs wäre, aus jener Abtheilung der Gruppe XII, die wir als Tapetendeflins
herausheben, über den Jieutigen ZuRand der Parifer Schule zu urtheilen. Alle
diefe Deffins, die uns mit ihrer reizenden Detailbehandlung, mit ihrer einfchmei-
chelnden Eleganz trotz unferer befferen Einficht von den richtigen Principien der
Wohnungsdecoration fo fehr fefleln, unter denen fich aber hie upd da auch fehr
ftilreine. edle Entwürfe befinden, gehören fammt und fonders mit verfchwindend
wenig Ausnahmen der Periode vor dem Kriege an. Jedem Fachmanne find die
von Potter, Snape, von Royer mittelft Walze, die von Riottot & Pacon, von
Dumonceau & Fleury, von Rob. & Bemh. Sieburger mittelfl Model ausgeführten
Deffins von Boucherat wohl bekannt ; D u m o n t's Farbenfkizze haben wir fchon
früher erwähnt, — durch ihn ift auch Zuber in Rixheim, der als Ausfteller fehlt,
mit einem reizend componirten D^cors in den Praterpalafl eingeführt ; — auch
die von Troubl^ vorgeführten Compofitionen theils naturalifchen theils ftiliili-
fchen Gepräges, welche wir vonGillou fils & Thorailler, Leroy Joffe,
Dumonceaux, Riottot u. A. zumeift „ä cilindre" in den letzten fechziger Jahren
ausgeführt fahen, konnte man in jeder Tapctenhandlung finden.
Die mächtiglle Rivalin der franzöfifchen Tapeteninduflrie erfchien in der
Wiener Ausftellung in ganz unerfreulicher Weife verzerrt, zerftückt und ver-
dunkelt. Wenn man den Inftallateuren der deutfchen Commiffion einen Preis aus-
gcfetzi hätte, das allerdings nicht fehr reiche Material zur Darffellung der
Leiflungsfähigkeit Deutfchlands in feiner Wirkung zu vernichten — die betref-
fenden Organe hätten nichts Gröfseres leiden können. Der deutfchen Tapeten-
induflrie, die ich fo fehr fchätze — bin ich fchuldig, ein Uebriges von diefem
Mifsflande zu fagen:
So hat man erftens einen Theil der Tapeten in dem Separatbau, der die
Gruppe XI zum gröfstenTheile enthielt, untergebracht, einen anderen Theil in der
Gallerie 8B in der Gruppe VTII.
Dann hat man fowohl dort als da auf die Beleuchtung keine Rückficht
genommen. Im Annex waren die Tapeten in grellem, fenkrecht auffallendem Lichte,
viel zu hoch für den Befchauer, in der Gallerie als Hintergrund von Möbeln in
fpärlich beleuchteten Räumen poftirt.
Auf die Umgebung, die Farbe der benachbarten Gegenflände und Flä-
chen wurde nun gleichfalls gar keine Rückficht genommen.
Dafs unter folchen Umftänden von einer Gefammtwirkung und von einem
zurGeltung kommen der ganzen Induftrie keine Rede fein kann, ift einleuchtend;
tlafs aber auch das Intereffc der einzelnen Ausfteller fchwer gefchädigt wurde,
ift begreiflich Einzelne Ausfteller zogen es vor — fich gänzlich vom Schauplatze
zurückzuziehen; man kanns ihnen wahrlich nicht verargen. Ueberdiefs war auch
Tapeten und Buntpapier. 7
fchon die Betheiligung der Finnen keine impofante, denn die Tapetenfabrikanten
haben bei der herrfchenden Methode des Vertriebes ihrer ProduÄe kein fo vitales
Intereffe an den Ausftellungenals eben andere Induftrien.* Alles diefes zufammen-
genommen, führte die fchon bei den einleitenden Bemerkungen hervorgehobenen
üebelftände in der deutfchen Abtheilung auf den Calumationspunkt und wahr-
haft mit fauerer Miene gehe ich daran, die Ehre der deutfchen Tapeteninduflrie
an der Hand des in der Ausflellung Gebotenen zu „retten".
Die gröfsten EtabliiTements Deutfchlands : Flammersheim in Köln und
Engelhard in Mannheim, deren Abwefenheit in Paris wir fchon lebhaft bedauerten,
liefsen fich auch nicht verleiten nach Wien zu kommen, wo fie fo viele Freunde
und Kundfchaften haben. Von tonangebenden Firmen waren nur C. Hochilätter
& Söhne und C. Herting in Einbeck (bei Hannover) erfchienen. ** Bemerkens
werth war noch aufserdem die Betheiligung der kleinen Fabriken von G. Hitz-
fchold in Dresden, Stolberg & Comp, in Hannover und W. Schmidt
in Colmar.
Die feit dem Jahre 1846 beflehende Fabrik von C. Hochftätter& Söhne
brachte zwei Decojationen, von denen eine Augufl Hochftätter, die andere Fr.
Fifchbach gezeichnet hatte. Letztere im hellen blauen Grundtone ifl charmant
componirt. nur fcheinen mir die Bordüren etwas überreich ausgefallen zu fein.
Eine andere Decoration vervielfältigt den Reichsadler. Im Allgemeinen kann man
wohl die Hochflälter'fchen Leiflungen als den Typus jener der mittleren und
kleinen deutfchen Fabriken, die fich dem beffernden Einflufs der architektonifchen
Beftrebungen der Gegenwart hingegeben haben, anfehen. Ohne in der Technik
an die erflen Parifer Firmen hinanzureichen, leiflen diefe Etablilfements Zufrie-
denflellendes und Anlländiges. Der Fortfehritt in den Deffins im künlllerifchen
Sinne, die zunehmende Emancipation von Paris ifl unverkennbar. In technifcher
Beziehung ifl ein wefentlicher Fortfehritt im Allgemeinen nicht erkennbar. Der
Abfatz ifl ein befriedigender.
Herting hat uns wieder verfchiedene Anwendungen des von ihm culti-
virten Metallglanzes gezeigt. Wir haben fchon bei anderen Gelegenheiten den flreb-
famen Fabrikanten vor einem Zuviel in der fehr verwendbaren Technik des
Metallglanzes gewarnt. Und richtig hat Herting auch diefsmal wieder etwas zu
viel des Guten gethan, z. B. in dem Panneau mit neun Blumenflräufsen. Dagegen
wollen wir gerne anerkennen, dafs diefe Herting'fche Manier in ajideren Stücken
wie z. B. den Bordüren von flilifirten Cadlusblüthen 2uf pompejanifch rothem
Fond einen herrlichen Effe<5l macht ; fie gehören zu dem Beflen, was wir gefehen
haben. Die Fortfchrittsmedaille hat fich H e rti ng jedenfalls ehrlich verdient.
Die minder belangreichen Fabriken haben fich fehr andändig aus der
Affaire gezogen, fo G. H i tz fchh o 1 d in Dresden und Stolberg & Comp, in
Hannover mit fchönen gauffrirten Tapeten (letztere Fabrik pflegt mit Verfländnifs
und Erfolg den altdeutfchen Stil und macht auch feine Bordüren), V. Schneider
in Colmar mit einem Panneau von pompejanifch rothem Grunde, eine fchwe-
bende Frauengeflalt, fogenannte „Porzellanimitation" (}} für Speife- und Bade-
zimmer u. f. w. Alles andere verdient wohl nicht lobend hervorgehoben zu
werden.
Von Holzimitationen, mit welchen fich in Deutfchland viele Fabrike!^
befaffen, war auch Mancherlei zu fehen, Gutes und Schlechtes.
• Welche ftiefmütterliche Behandlung die Papiertapete überhaupt feitens der deut-
fchen Comminion zu leiden hatte, beweift auch unter Anderem, dafs in der, fo weit ich urtheilen
kann fonft fehr gut gefchriebcnen Einleitung zum deutfchen Kataloge die Papiertapeten mit
dem Satze abgethan find: „Papiertapeten insbefondere werden in HefTen, Rheinland, Franken
und Thüringen verfertiget." Welch' rührende Einfachheit ! In dem einleitenden Kopf zur
(iruppe XI find die „Tapeten" aber ganz unbeachtet geblieben. Wenigftens konnte da keine
Unrichtigkeit unterlaufen.
** Herting war der einzige deutfche Ausfteller 1867.
8 Dr. Wilhelm Franz Exner.
Alexis Sehe denfack jun. unterhält in Sondershaufen eine feit 1800
beftehende kleine Werkftätte für Tapeten zur Holz- und Marmorimitation. Ein-
zelne von ihm zur Ausftellung gebrachte Mufler find recht gut, Einzelnes dagegen
zeugt von mangelnd tmNaturfludium oder unzulänglicher Gefchicklichkeit. Imita-
tionen muffen täufchend fein, fonft verlieren fie gänzlich ihre ohnehin proble-
matifche Berechtigung. Die Markftrahlen bei dem Schedenfack'fchen Eichen-
holz find riefig, ich fah nie Aehnliches.
Dennoch find trotz diefem oder jenem Gebrechen diefe anfpruchslofcn
Meifter noch immer rühmlicher, als wenn eine jüngere und gröfsere Unterneh-
mung uns mit folchen Dingen heute noch tra<5lirt, wie von Moock in Crefeld.
Unter der Verficherung, dafs feine Papiertapeten von natürlichem Holze abge-
prefst feien, bietet uns diefe Firma das abgethaneund abgefchmackte Holzwürfel-
Mufter, das uns durch feine Unflerblichkeit zur Verzweiflung bringt. Diefe auf
eine Ecke geftellten, neben einander gelagerten Würfel, möglichft plaftifch darge-
Hellt, über die man fortwährend zu ftolpern meint, wenn fieimParquet dargeftellt
find, als Wanddecoration I Kann es etwas Anheimelnderes geben? Man wird fich
in refpe<5lvoller Ferne von den Wänden halten. Könnten wir doch hiemit alle
Zeichenlehrer der Welt befchwören, auf diefes aus dem regulären Sechseck
durch drei Radien entftehende Würfelbild fiir immer zu verzichten. Von Seiden-
arbeitern und Kürfchnem aber fahen wir auf der Wiener Weltausftellung diefes
finnige ^Ornament** verwendet.
Geradezu fchauerlich war aber, und vielleicht das entfetzlichfte in „Gothik",
der Salon und das Cabinet, welches ein ficherer B. Boos in Baisweil bei Kauf-
beuren (Baiern) nach Wien zu fenden für gut fand. Die deutfche Commiffion hat
damit gewifs einen Fehlgriff gethan, fo etwas zur Ausftellung zuzulaffen. Mitleid
erwecken iftjadoch nicht Aufgabe der Ausftellungen. Diefer Herr Boos macht auch
„Naturholz-Tapeten". Wenn er fich doch darauf befchränkte I Diefer Artikel, von
Vielen neuerdings wieder auf den Markt gebracht, hat, obwohl eben fo oft auch
wieder vom Markte verfchwunden, doch eine gewiffe Berechtigung und Zukunft.
Aber nein, Herr Boos will mehr leiften. Er bietet feine acht Arbeiter auf* und
erzeugt in Oelfarben-Druck auf Papier alfo wafchbare „holzartige Zimmerver-
zierungen** und vereinigt diefe zu einem gothifchen Cabinet, ftellte fich in
Gruppe XIX auf der Weltausftellung und rechnete auf Ehre und Gewinn. Der
Mann fetzte den Preis mit 200 Reichsthaler, alfo auch noch fehr hoch an. Er wird
wohl bitter enttäufcht fein. Solche Erfcheinungen wurzeln im mangelhaften
Unterricht. Derartig geleitete Werkftätten foU es nirgends geben, auch in Bais-
weil bei Kauibeuren nicht.
Es bleibt uns nun kein Raum mehr von den ziemlich guten Holz- und
Marmortapeten O u d i n 's zu fprechen.
Was die Deffinzeichner anbelangt, fo find diefe in Deutfchland leider
noch lange nicht eine fo gefeierte, begehrte und gut bezahlte Gefellfchaft wie in
Paris. Die Architekten beforgen die meiften Originaldeffins für deutfche Fabriken.
Es ift mir ein Vergnügen, bei diefer Gelegenheit der Leiftungen von Gropius.
Heyden und Anderer in dankbarer Anerkennung zu gedenken. Gröfsere Fabriken
halten eigene Zeichner oder beftellen auch bei Malern und Künftlern überhaupt
Deffins.
Die Frage ift unentfchieden , welche Methode die beffere ift, ftändig
angeftellte Zeichner oder Beftellung von Deffins ab und zu bei felbftändigen
Künftlern. Ich möchte um fo weniger Partei ergreifen, als die Ausftellung kaum
Anhaltspunkte für eine Entfcheidung bot. W^ohl liefs aber die Gruppe XII darüber
das Urtheil zu, dafs die Qualification der verfchiedenen Ateliers für kunftgewerb-
liche Entwürfe über ein fehr verfchiedenariiges Capital an Genialität und Schulung
• Der ganze Umfatz diefes Gefchäftes betrug 1873: 3500 Thaler, wie viel ift davon
Geuinn, und mit wie viel participirt daran ein Arbeiter?
Tapeten und Buntpapier. 9
disponiren. Unter den drei bis vier AusAellern diefer Kategorie, welche die Prä-
tenfion machen die Tapeteninduftrie zu unterilützen, ragte Fr. Fifchbach, jetzt
Lehrer an der königlichen Akademie in Hanau, auffallend hervor. Seine Pro-
dndivität an guten Entwürfen ift eine wahrhaft erftaunliche. Er hat eine helle
Schaar von Kindern feiner Mufe in der Ausflellung verfammelt. Hochftätter, Joft,
Hertmg und viele Andere drucken Tapeten nach feinen Deüins, er felbft gibt ein
Album für Wohnungsdecoration heraus, und verlegt lithographirte Plafondrofet-
ten, Blätter und andere Decorationsmittel. Friedrich Fifchbach in allen Gaffen und
nirgends etwas Banales, Reizlofes. Man dankt feine Produktion der Aufnahme von
Ideen und Eindrücken während feines Wiener Aufenthaltes, und wir würden
bedauern, ihn in Hanau fich gänzlich ausgeben zu fehen. Ein Künftler von folcher
Schaffenslufl mufs in einem Kunflcentrum leben, wo er auch ftets lernt und
nicht blofs immer lehrt.
Das Kapitel der Händler fpielt in der Tapetenbranche keine kleine
Rolle. Die Händler find nämlich nicht blofs Kaufleute, fie nehmen einen Einflufs
auf dieProdu<5tion felbft. Durch ihren engeren Beruf im fortwährenden Verkehr mit
dem Bedarf, genau bekannt mit der Abfatzfähigkeit der Produdle, greifen fie felbft
ein, beftellen eine Zeichnung bei diefem oder jenem Künftler, laffen die Tapete
in diefer oder jener Fabrik ausführen, welche am meiften gerade für die Durch-
führung des Entwurfes geeignet ift, und fetzen dann die Tapete, auf welche fie
eigenlhumsberechtigt find, in den Handel. Solche Kaufleute haben, wie gefagt,
einen Einflufs auch auf die Fabricalion, der nicht zu unterfchätzen ift. Hiezu
kommt noch, dafs die eben befprochene Stellung des Händlers oft auch kleinere
Fabrikanten einnehmen, oder umgekehrt, dafs der Händler ein kleines Atelier
befitzt.
Ob nun der Händler oder der Fabrikant vorwaltet, wer möchte diefs
entfcheiden? Nach diefer Erwägung mufs man zu dem SchlufTe kommen, dafs die
Ausfchliefsung der Händler von einer Weltausftellung fchwerlich ein unanzweifel-
bar begründetes Princip involviren würde. Die Weltausftellung foll alle Richtun-
gen der menfchlichen Arbeit zur Geltung bringen laffen. Ganz verfehlt fcheint es
uns aber, einmal zur Ausftellung zugelaffene Firmen, wenn fie fich felbft als Händ-
ler bekennen, für ihre Ehrlichkeit zu beftrafen, und von der Concurreiiz um eine
Prämie auszufchliefsen, wie es gefchehen ift. Wie viele Firmen find eben Händler
pure et fimple, haben nicht einmal jenen oben gefchilderten Einflufs und jenes
Verdienft — die Provenienz der Waare läfst fich nicht nachweifen, und fie werden
1-rämiirt. Händler mit Tapeten, wie Ph. Haas in Wien, Rommel in Berlin,
Jean Joft in Offenbach am Main und Frankfurt, Lucius in Wien , ver-
dienen unfere volle Anerkennung, wenn fie auch, wie die beiden letzten
bei C. Hochftätter nach Fifchbach'fchen Deffins mit Modeln von C. Bufs
arbeiten laffen. Es war eine Ungerechtigkeit, wie ich glaube, die Händler aus-
zufchliefsen.
Ich wende mich nun einem bisher unberührt gebliebenen Theile des
deutfchen Tapetengewerbes zu, nämlich jenem, der innerhalb der öfterreich i-
fchen Reichsgrenzen feine Stätte aufgefchlagen hat.
Die Expofition öfterreichifcher Tapetenfabricate war an einem Punkte
vereinigt. Abgefehen von diefer Concentration kann man jedoch der Aufftellung
in einem fpärlich erleuchteten „eingedeckten Hofe" wenig Rühmliches nachfagen.
Die an fich löblichen Anftrengungen unferer heimifchen Firmen hätten durch
richtigere Inflallation viel wirkfamer gemacht werden können.
Das ältefte und wohl heute noch bedeutendfte öfterreichifche Tapeten-
gefchäft ift jenes von Spoerlin & Zimmermann in Wien.
Es fei mir geftattet in der Befprechung des gegenwärtigen Zuftandes des
öfterreichifchen Tapetengewerbes innezuhalten und auf das hinzuweifen, was
über die Gefchichte diefes Induftriezweiges aus Anlafs der Wiener Weltausftellung
bekannt gemacht wurde.
10 l^r. Wilhelm Franz Exiier.
Die öfterreichifche Abtheilung der Wiener Weltausllellung zeichnete fich
bekanntlich auch dadurch aus, dafs fie in Durchführung des Programms für die
additioneile Ausftellung: Beiträge zurGefchichte der Gewerbe und
Erfindungen, ein hochintereflantes, reichhaltiges hidorifches Material fam-
melte, das bei der Berichterftattung nicht unbenutzt bleiben follte. Das unter
dem Titel : „Beiträge zur Gefchichte der Gewerbe und Erfindungen Oefterreichs''
bei Braumüller verlegte, von der Generaldiredlion herausgegebene Werk enthält
ein Kapitel : Papierinduftrie, verfafst von dem bekannten fleifsigen Fachmanne
Ignaz Nagel. Er hat mit unvergleichlichem Fleifse und mit wahrer Liebe zur
Sache auch die erden authentifche: Nachrichten über die öfterreichifche Tapeten-
macherei gefammelt. Bei diefer Gelegenheit mufsle er der Verdienfte Spörlin's.
gedenken und die Erfindung des Irisdruckes befprechen. Die additionelle Aus-
ftellung ehrte das Andenken Spörlin's, indem fie in die Gallerie berühmter Oefter-
reicher das Porträt Spörlin's aufnahm. Sowie diefe additionelle Ausftellung unter
ihren 5000 Objeö^en nicht Eines enthielt, das für die technifche Entwicklung
ohne Bedeutung gewefen wäre, fo war aber auch kein Zweig der öfterreichifchen
Produölion ohne Zeugniffe aus den letzten hundert Jahren feiner Gefchichte
geblieben, ein Umftand, der freilich der grofsen Mafle der Befucher entging
und auch von ^Berufenen" aus Unkenntnifs, oder Oberflächlichkeit verkannt
wurde. Für das Kapitel Tapeten, mufsten alfo auch werthvoUe Belege zur
Gefchichte vorhanden fein, foll mein Lob der additionellen Ausftellung berechtigt
crfcheinen. Und fo war es auch. Eine Suite von Tapeten aus den erften zwei
Decennien hatte Herr Vi(5lor Zimmermann, der gegenwärtige Chef der obge-
i;enannten Firma zur Verftlgung geftellt. Die vom Kaiferreich in alle Theile
Kuropas getragene Mode, grufeligen Angedenkens, war auch in diefen Tapeten-
muftern zu erkennen. Die erften Anfänge des Irisdruckes — gewifs fehr merk-
würdige hiftorifche Objedle, an denen die fchon damals erlangte technifche Sicher-
heit bemerkenswerth ift, waren vertreten. Das Modell des Irisdruck- Apparates und
die vonSpÖrlin & Rahn verbeflerte Vorrichtung zur AufprefTung der ModeP auf
das Papier war vorhanden. Welcher Contraft zwifchen den im Jahre 1809 gedruck-
ten Spörlin'fchen Tapeten, damals wohl die einzigen, die in Oefterreich erzeugt
wurden, und den heute ausgeftellten Wanddecorationen derfelben Firma, die
wohl ebenfo, wie jene vergilbten alten Mufter damals, auf der Höhe der Zeit
ftehen.
Die oftgenannte Firma hat zwei, wie ich glaube, von Ferdinand Lieb in
Wien gezeichnete Decorationen ausgeführt, welche der Hauptfache nach fehr
gelungen find. Die Lambris bei der Decoration im deutfchen Renaiffanceftile
fcheinen mir etwas zu wuchtig und maffig, die gewundenen Säulen nicht gerade
unentbehrlich zu fein. Der Eindruck, den das Ganze machte, war ein fehr guter,
die materielle Arbeit vortreflflich und zwar fowohl die Velout^s als die Drucke.
Eben fo günftig mufs das Urtheil über die Decoration im italienifchen Stil
lauten.
Für weit wichtiger als die Decoration halte ich indefTen die ausgeftelli
gewefenen Mufterbücher, welche ein fehr erfreuliches Bild von der Thätigkeit der
Firma geben, die es bis* zu einem Confum von jährlich 250.000 Pfund Papier
gebracht hat.
Robert und Bernhard Sieburger in Prag, eine Firma, welche fo wie die
früher befprochene auch im Auslande, einen, in nicht unbeträchtlichem Export
zum Ausdruck kommenden guten Namen befitzt, hat ebenfalls einen bedeutenden
Aufwand gemacht und grofs ausgeftellt. Mit Recht wählte die Finna ihre Eifen'
bahn-Karte zum Mittelpunkte der Expofition. Es find diefe Eifenbahn-Karten
eine Specialität der Prager Fabrik, auf die fie mit Recht ftolz ift. Keine zweite
Fabrik macht diefen Artikel in folcher Vollendung, felbft ihre franzöfifchen Con-
currenten nicht. Wir billigen fehr die Pflege diefes, ein gefundes Bedürfnifs
befriedigenden Produ(5les. Ich habe mich fchon vor vielen Jahren, wo der pecu-
Tapeten und Buntpapier. 1 X
niärc Erfolg diefes Unternehmens noch in Frage fland, fehr warm für diefe Rich-
tung ausgefprochen. Sieburger exponirte ferner mehrere harmonifch zufammen-
geftellte Zimmerdecorationen und zwar einen Salon, ein Schlaf-, ein Herren- und
ein Speifezimmer, fömmtlich von guter Zeichnung und netter Ausführung. Die
fonft ausgedellt gewefenen Rouleaux zeigten natürlich die bekannten, rühmlichen
Beftrebungen der Fabrik, welche eine Producflion von einer halben Million Rollen
im Jahre, das ift zu einem Umfatz von 250.000 fl. erreicht hat. Die Arbeiterzahl
ift fowohl bei Spörlin als bei Sieburger die einer mittelgrofsen Fabrik nach aufser-
öfterreichifchen Begriffen (200 Arbeiter).
Mit der Einlührung der Mafchine in die Tapeteninduftrie will es jedoch in
Oefterreich nicht recht vorwärts gehen. Wenn auch SpÖrlin & Zimmermann einige
Druckmafchinen undSieburger eine Foncirmafchine und ein paarGauffrirmafchinen
und dergl. mehr verwendet, fo kann man von einem mafchinellen Betriebe bei
uns doch eigentlich nicht reden. Die kleinen jüngeren Etabliflements in Oefter-
reich haben darin einen Vorfprung, aber auch das ift lange noch nicht befriedigend.
Thatfache ift, dafs wir mit dem Bezug billiger Tapeten übel daran und. Trans-
port, Zoll und Zwifchenhändler vertheuern uns (las ausländifche Producfl um
50 Percent, die inländifchen Fabriken haben keine Freude an der billigen Waare,
weil fie nicht recht darauf eingerichtet find, und fo fteht der allgemeinen Ein-
führung der Tapete in Oefterreich ein unüberfteigliches Hindemifs im Wege und
die Herren Zimmermaler walten unumfchränkt. Mit guten und koftbaren Decora-
tionen find wir hingegen, wie die Ausftellung neuerdings bewies, wohl verforgt
und hat in diefem Niveau die Tapeteninduftrie fehr glückliche Anftrengungen
«jemacht und eine anerkennenswerthe Haltung angenommen.
Die Firma Piette hat in der Wahl der Deffins dem franzöfifchen Namen
entfprechend gehandelt. Abgefehen davon war die Ausftellung diefes Etablifle-
ments eine geradezu überrafchende. Ich habe wiederholt mir verfichern müflen,
dafs es eine öfterreichifche Fabrik ift, die fo plötzlich auftaucht und fich mit
Prätenfion an die Seite der Patricier in diefem Gefchäfte ftellt. Allen Ernftes mufs
verfichert werden, dafs die Ausftellung Piette's reichhaltig, mannigfaltig und was
befonders erfreulich, vielfach Spuren von mafchinellem Betriebe zeigend war.
Dagegen mufs der Wahrheit gemäfs auch hervorgehoben werden, dafs die Expo-
fition fehr verfchiedenartige Artikel und neben fehr guter auch fehr fchlechte
Waare enthielt. Da die Piette'fche Fabrik eine von den wenigen Tapetenfabriken
ift, die ich nicht durch perfönliche Anfchauung kenne, und da ich nicht in der
Lage war, jetzt felbft nach Podbaba zu reifen, fo wandte ich mich in einem höfli-
chen Schreiben an Herrn P. Piette um nähere Daten über das Etabliflement, das
mein Interefle fo fehr erregt hatte. Die Antwort auf meinen Brief war keine fehr
ermuthigende und glaube ich Herrn Piette einen Dienft zu leiften, wenn ich die-
felbe nicht publicire, wozu ich allerdings berechtigt wäre. Gewifs ift, dafs die
Decoration in dem von Rofllgneux fo glücklich gepflegten N6ogr^que (Zeichnung
von Dumont) eine ganz beachtenswerthe Leiftung war und dafs die impofanten
Mufterbücher eine erftaunliche Produ<5livität bekundeten.
Nachdem wir der Firma Lucius fchon oben freundlich Erwähnung gethan
haben und hier noch ausdrücklich die fehr gelungene pompejanifche Decoration
in die Erinnerung zurückrufen, haben wir nur noch von der Melcher'fchen
Expofition zu fprechen. Carl W. M e 1 c h e r, der dermalige Befitzer der verdien-
ten Firma Lechleitner, hat eine aus feiner Werkftätte hervorgegangene complete
Decoration im altdeutfchen Stile exponirt, welche bis auf die verunglückten
Lambris fehr beftechend war, und dem Haufe alle Ehre macht. Die etwas forg-
lofe Placirung beeinträchtigte off"enbar den Erfolg.
Damit wäre die Revue über unfere vaterländifchen Leiftungen beendet, wenn
wir nicht noch eines im Verborgenen blühenden Veilchens zu gedenken hätten. Der
von Herrn Dr. Emil Hardt im Hinblick auf den Beruf Oefterreichs, den Handel mit
dem Orient befonders zu pflegen, gegründete Cercle Orientale enthielt auch mehrere
12 I>r. Wilhelm Frani Exner.
Empfangsräumlichkeiten, welche trotz der zuvorkommenden Liebenswürdigkeit
des Hausherrn ebenfo zu wenig gewürdigt wurden, als das ganze fehr zeitgemäfse
Unternehmen. Diefe Salons waren überaus anziehend ausgeftattet. Mit gefchick-
ter Benützung orientalifcher Motive und genauer Kenntnifs der morgenländifchen
Kunfl hatte im Auftiage Hardt's der Architekt Montani die Deffins zu den
Tapeten entworfen. Die Firma Klo baffer in Wien beforgte die Ausfuhrung.
Die Tapete mit tiefrother Grundfarbe und flilifirten Rofen, Granatblumen und
Tulpen war von prächtiger Wirkung, die Vertheilung von Gold und Farbe vor-
trefflich gelungen.
Wir können nun wohl heute ebenfo wie im Jahre 1867 den Schlufs ziehen,
dafs die öllerreichifche Tapeten-Induftrie in Beziehung auf Ausdehnung und
Leiftungsfahigkeit eine würdige Tochter der deutfchen ManufaÄur fei, Deutfch-
land braucht fich unferer Rivalität nicht zu fchämen.
Die kurzen nachfolgenden Notizen werden beweifen, dafs die übrigen
Länder Europas nur wenige Etabliflements für diefes Fach befitzen, welche
auf Beachtung von einem univerfellen Standpunkte aus Anfpruch machen können.
Dafür gab die Wiener Weltausftelluog ein getreues Bild des faölifchen Verhält-
nifles. Die eine oder andere kleine Werkftätte mag ganz wohl eine locale Bedeu-
tung haben.
Wir gehören nicht zu denjenigen, welche einen „Patriotismus** (!) billigen,
der fo weit geht, zu wünfchen, dafs in dem refpe<5liven Vaterlande jede InduArie
getrieben werde, und damit diefs überhaupt möglich fei, der Exiftenz jeder Indu-
llrie, die nicht ganz lebensfähig ill, durch thurmhohe Zollfchranken ein gefichertes
Terrain zu fchaffen fei. Wenn z. B. Rufsland nach den dort herrfchenden natür-
lichen Verhältnilfen nicht berufen ift, Tapeten zu produciren, fo foU es eben
diefelben aus dem Werten Europas beziehen, und gegen andere Producfle um-
taufchen. Die Tapetenmanufaölur ift freilich ein Gewerbe, welches fo ziemlich
auf jedem Boden gedeihen kann. Sind Papier, Farbe und Arbeiter wirklich an
einem Orte gleichzeitig theurer als an einem anderen, fo kann die Erfindung
des Deffins alle diefe ungündigen Umflände wett machen.
Ich laffe nun einige Bemerkungen folgen, welche der Richtigkeit der
obigen Vorausfetzung wenigftens nicht zuwiderlaufen.
Schweden hatte zwei bemerkenswerthe Ausfteller von Tapeten, von
denen einer auch in Paris auffiel. C. G. Mineur in Stockholm pflegt das Genre
der Lederimitation mit viel Glück. Das Carton cuir repoufli^, kann von folcher
Widerflandsfahigkeit hergeftellt werden, dafs es als Möbelüberzug, nicht blofs
zur Bekleidung der Wandflächen dient. Derartige Möbel waren in Paris zur
Schau geflellt. In Wien zeigten Mineur und Andere recht gelungene Imita-
tionen von Stuccaturverzierungen. Worin die „ eigene Erfindung** befteht, welche
Herr Mineur für fich reclamirt, vermag ich nicht zu entdecken. Ich finde
keinen Unterfchied zwifchen den Mineur 'fchen Erzeugniffen und jenen diefer
Art von Dulud, Baiin, Seegers etc.
Die bedeutendfte Firma in Schweden iil wohl CA. Käberg in Stockholm.
Vier Panneaux, von denen zwei Ailiflifche, zwei naturaliilifche Deflln hatten,
ganz fauber ausgeführt, präfentirten die wohlrenommirte Fabrik neuerdings in
vortheilhaftem Lichte. Käberg hat fein Abfatzgebiet im Norden Europas und
hält fich nicht nur gegen die deutfche Concurrenz, fondern vergröfsert flets feine
Produktion, deren dermaliger Werth fich per Jahr dreimal fo hoch flellt, als
anno 1867. Die Arbeiterzahl ifl 90, im Jahre 1872 erzeugte die Fabrik 340.000
Rollen Tapeten. Von den in Wien ausgedellten Tapeten gefiel mir befonders die
blaue, auch die Bordüren verdienen Beifall , wenn fie gleich nicht ganz richtig
verwendet waren. Die Objedle diefer Firma find in das Eigenthum des k. k. Han-
del sminifleriums übergegangen. In dem meiderhaft redigirten flatiftifchen Thcile
des officiellen Kataloges von Schweden findet fich indeffen eine etwas ungenaue
Angabe. Es heifst dort, in Schweden erzeugten 15 bis 20 Fabriken im Jahre 1871
Tapeten und Buntpapier. X3
I Million Rollen Tapeten. Nach meinen Informationen beliehen in Schweden
und Norwegen überhaupt nur 7 Fabriken, und zwar 3 in Stockholm, i in Gothen-
bürg und 3 in Chriftiania, letztere haben zufammengenommen 60 Arbeiter, alles
Andere find kleine Werkftätten, welche je einige Arbeiter befchäftigen. Ich corrigire
diefen an (ich unwichtigen Irrthum, weil ein Laie fonfl der Tapeteninduflrie
Skandinaviens eine zu grofse räumliche Bedeutung geben könnte.
Von den Norwegern hat auch eine Chrifliania'er Firma ausgeftellt^
Frölich & Sohn brachten einige einfache Tapeten von anfländiger Aus-
führung.
Die ruffifche Induftrie hat in manchen Richtungen, geleitet durch weife
Regierungsmafsregeln, einen überrafchenden Auffchwung genommen, lieber den
bedeutenden Stand der Papierinduflrie, die grofsartigen Anläufe zur Verwendung
des Holzftoffes für diefelbe wird wohl an anderer Stelle berichtet, aber auch ich
mufs hier feftftellen, dafs die Tapeteninduflrie Rufslands — wenn man von der
Ausdehnung des grofsen Reiches abfieht — eine ganz erhebliche ifl. In Wien war
fie nur durch zwei Ausfleller vorgeführt. Einer von diefen, R i e k s (nicht Riks, wie
im ruITifchen Kataloge lieht) inHelfmgfors, hat eine fehr fchöne Tapete von orien-
talifchem Typus gebracht. Alles übrige waren matte Leitungen in franzöfifchem
„goüt". Das Etabliffement macht indeflen grofse Fortfehritte. Anno 1858 gegründet,
befchäftigte es 1867 : 85 Arbeiter, heute faft die doppelte Anzahl, erzeugte im
obgenannten Jahre 235.000 Rouleaux und jetzt über 800.000 jährlich.
Wenn ich nicht irre, fo ifl die Vetter 'fche Fabrik in Warfchau, die ältefle
in Rufsland (1830), welche in Paris recht hübfch ausllellte, nicht im gleichen
Tempo fortgefchritten. Die von den Gebrüdern Gaetchy aus Mühlhaufen, im
Jahre 1840 gegründete Tapetenfabrik hat fich an den letzten Ausflellungen nicht
betheiligt. Dasfelbe gilt von der grofsen Fabrik der Compagnie Cann6.
Alexander Lepefchkine hat in Moskau ein neues Etabliffement im
vorigen Jahr gegründet, über welches wir unfer Urtheil indeffen zurückhalten wollen.
Dänemark hat keine Tapeten ausgeflellt.
Ungarn hätte die geringe induftrielle Begabung und die mangelhafte
Schulung in diefer Richtung nicht auffallender bethätigen können als durch die an
bevorzugter Stelle zur Schau gebrachte „artiftifche Papiertapeten-Decoration" des
Ignacz Alddfi in Budapeil. Wir erwähnen diefes gräuliche Machwerk, bei dem
die Vafe als Ornament die Hauptrolle fpielt, nur defshalb, um uns vor der Recrimi-
nation zu fchützen, wir wären geneigt, die technifchen Leiflungen des Auslandes
jenfeits der Leitha zu überfehen. Wir empfehlen den Ungarn, der argen Ver-
nachläffigung des technifchen Unterrichtes feit 1866 ein Ende zu machen.
Italien, Spanien und Portugal haben zwar eine Tapeteninduflrie,
die der letztgenannten Länder ifl nicht einmal geringfügig, war aber der Ein-
ladung nach Wien nicht gefolgt.
Dagegen haben uns die Japaner in ihrer ernflen Abficht, uns recht
gründlich über ihren Gewerbefleifs zu unterrichten, auch Tapeten mitgebracht.
Sie find nach unferen Begriffen fchlecht. Dauerhaft vielleicht,- dem National-
gefchmacke entfprechend gewifs, aber trotzdem oder defshalb entfetzlich im
Deffin und kindifch in der Art der Herllellung. Die Proceduren bei Erzeugung
der japanifchen Tapeten erinnern an einzelne Methoden unferer Buntpapier-
Macherei und Buchbinderei. So fehr wir fie um Accurateffe, Findigkeit und tech-
nifche Vollendung in der Verarbeitung von Holz und manchen Metallen, ja auch
des Papieres felbfl beneiden muffen, ihre Decoration des Papieres wird uns nicht
von unferem Wege ablenken.
Die japanifche Tapetenmacherei und die amerikanifche Fabrication find
die gröfsten Extreme. Verwendet jene fchüchtern Schablone und Model als
Superlativ der technifchen Hilfsmittel , fo benützt New- York den Handdruck
fafl nicht mehr, und wir werden nicht viel irre gehen, wenn wir annehmen, dafs
Chrifty oder Robert & Greves in einem Tage fo viel Papier durch
14 Dr. Wilhelm Franz Exner.
die Walzenniafchine laufen läfst, als ganz Japan in einem Jahre zu Tapeten
confumirt.
Die Buntpapier-Indudrie war volldändiger und befler vertreten als
jene der Tapete. Die Zerriffenheit der Fachausftellungen kam dabei weniger in
Betracht, da es aufser der öfterreichifchen und deutfchen Buntpapier-Induftrie
eine namhafte Producflion nicht gibt. Die deutfchen Ausfteller waren in einem
Separatbau, die öfterreichifchen in dem fchon oben erwähnten eingedeckten Hofe,
der die ganze Gruppe XI beherbergte, vereinigt. In den übrigen Länderfe<5lionen
fand fich aber nur der eine oder andere Ausfteller vor. Die Buntpapiere wurden
zumeift in Mufterbüchern exponirt, nur K n e p p e r und ein paar deutfche Ausfteller
machten hievon eine Ausnahme.
Von den fremden Staaten konnten nur Japan und Rufsland meine Auf-
merkfamkeit erregen. Die bekannte Verwendung von Metallglanz cultiviren die
Japaner nach wie vor. Ihre Buntpapiere find ein eigenthümliches Machwerk, das
nur der Curiofität halber gekauft werden mag. Uebrigens haben die Eigenthümlich-
keiten des japanifchen Gefchmackes und der Technik gerade bei diefem Producfle
verhältnifsmäfsig wenig Gelegenheit zur Geltung zu kommen und es ift alfo felbft
die Curiofität nicht fehr bedeutend. Intereffant ift nur für den Technologen, dafs
die Japaner einige Methoden in der Herftellung der Papiere haben, welche auch
wir ftark anwenden, Methoden, die das hoch cultivirte Infelvolk offenbar feit fehr
langer Zeit betreibt. Die Japaner und Chinefen haben fie früher erfunden, höchft
wahrfcheinlich, als wir, obwohl die Buntpapier-Technik auch bei uns eine fehr alte ift.
Sehr rühmlich waren die Leiftungen Jean Schoumoff's aus Moskau,
rühmlich infoferne, als er die üblichen deutfchen Erzeugniffe gut nachahmte.
Namentlich die Cattunpapiere waren gelungen, die übrigen Sorten von mittlerer
Qualität.
In Frankreich exiftirt eine eigentliche Buntpapier-Erzeugung nicht. Alles
was an farbigen und Phantafiepapieren in diefem Lande erzeugt wird, bringt
man auf litho- oder typographifchem Wege hervor. Diefe Verfahrungsweifen
fpielen in unferen Buntpapier-Fabriken erft in jüngfter Zeit eine mehr beachtens-
werthe Rolle.
Der Hauptfitz des Buntpapier-Gewerbes in Deut fc bland ift
Afchaffenburg, wo allein 700 Arbeiter in diefem Zweige menfchlicherBetrieb-
famkeit befchäftigt find. Die zwei gröfsten Firmen, welche einft ein Haus bilde-
ten : Alois D e ff a u e r und Actiengefellfchaft für Buntpapier und L e i m-
fabrication zeigten durch reiche Suiten ihre Superiorität in diefem Fache.
Erftere Firma ift das Stammhaus, gegründet 1810, befchäftigt an 300 Arbeiter und
verfügt über eine Dampfkraft von 85 Pferdeftärken. Es legt einen grofsen Werth
auf fabriksmäfsigen Betrieb und find die Leiftungen der Streichmafchine fehr
zufriedenftellend. Die mittelfeinen Holzpapiere, Kleiftermarmore, Markgrafen-,
Kibitz-, Granit- und Holzflufs-Marmore, die Cattunpapiere, Doppel-Glanzpapiere
imd Cartons find Specialitäten, welche diefes Etablilfement, nebft den übrigen
Handelsforten mit befonderem Glücke cultivirt. Neue technifche Erfindungen von
Belang weift diefes Etabliffement allerdings eben fo wenig auf, wie überhaupt die
ganze Branche feit den letzten fünf Jahren, indeffen verdient dasfelbe ficherlich
die ihm verliehene Fortfchritts-Medaille vollkommen.
Die Tochterfirma, welche fich 1850 von dem Mutterhaufe ablöfte und feit
1859 Adliengefellfchaft ift, macht ihrer Provenienz alle Ehre. Ebenfalls 300 Arbei-
ter (Erzeugung 1872: 30.200 Riefs), ebenfalls Dampfkraft, ebenfalls Erzeugung
aller handelsüblichen Sorten. In Marmoren entdeckten wir einige abfcheulichc
Mufter, dagegen entzückten uns Moir^epreffungen, fehr fchöne Metallphantafie-
Papiere, Cattunpapiere und dergl. mehr.
Gegen die Anfertigung der Stoftimitationen, die nun einmal dem Publicum
gefallen und von demfelben bezahlt werden, ift es umfonft, zu predigen, aber eine
Tapeten und Buntpapier. 15
Mahnung möchten wir ausfprechen, welche fich zunächft auf die „Phantafiepapiere"
bezieht: Künftlerifche Deffinsl Gerade weil dieDeflfauer's in diefer Richtung jeJ es
Jahr Befferes leiften, knüpfen wir hier die Betrachtung für andere kleine Werk-
flätten an. Warum follen denn die fogenannten „Phantafiepapiere" von dem all-
j^emeinen kunftgewerblichen Fortfehritte ausgefchloflen fein. Gibt es für fie keine
Revolution in der ornamentalen Kunft, keinen Kampf gegen das Banale und alt
hergebrachte Einerlei? In der Buntpapier-Macherei mufs ja nicht der entfetzlich
ijefchraacklofe Trödel erhalten bleiben und immer wieder erzeugt werden, welcher
die Spottbezeichnung ^Katarrhzettel-Papier** erlangt hat.
Eine andere alte verdiente Fabrik ift die von Theodor Kretzfchmar in
Dresden und Bodenbach (1825 bis 1852 Oehsner & Comp.;. Diefes Etabliflement
ifl modern eingerichtet mit Streich- und Foncirmafchinen, befchaftigt 59 Arbeiter,
und erzeugt 6- bis 8000 Riefs bunttürkifche Stoffimitationen, Theepapiere, Ge
latinepapier, fehr gleichmäfsige Uni's. Diefs und die Benützung von Quachemalerei
bei dem Gewerbe machte die Kretzfchmar'fche Expofition zu einer mannigfaltigen,
intereflanten und verdienftlichen.
Ich befchränke mich auf die Nennung diefer drei Namen, weil fich an die-
felben die beflen Leiftungen knüpfen, mufs aber conflatiren, dafs noch mehrere
andere Ausfteller erfchienen waren, die tüchtig produciren, und dafs überhaupt in
Deutfchland kein Mangel an fleifsigen Werkflätten für diefen Artikel ift. Aus-
<lrücklich bemerken mufs ich jedoch, dafs ich die Luxuspapiere, Bouquetpapiere,
künillichen Blumen aus Papier, Gratulationskarlen und dergl. mehr als nicht
in das Gebiet meines Referates gehörig betrachte, ebenfowenig als die Papier
wäfche, welche nebft obigem Artikel in die 2. Seölion der Gruppe XI mehrerer
Specialkataloge aufgenommen erfcheint. Die Papierconfe<5lion mag eine berufe
nere Feder behandeln.
Dagegen fällt unzweifelhaft in mein Reflbrt : Gold- und Silberpapier.
Die Metallpapiere von Leo H ä n 1 e in München haben einen Weltruf. Eine
feit 1841 beflehende Fabrik, welche 600 Arbeiter befchaftigt mit zwei Dampf-
mafchinen, erzeugt für das ganze aufserdeutfche Europa die unechten glatten und
.;eprefsten Gold-, Silber-, Zinn- und Kupferbronze-Papiere und Borten. Bezüglich
ilerDeffins verweife ich auf meine obigen Bemerkungen über die Phantafiepapiere
— wenigftens einzelne Artikel können folche Betrachtung provociren. Die Technik
dagegen ift muftergiltig, fo lange nicht mehr Mafchinen in diefe Branche einge-
führt werden. Die internationale Jury verlieh diefer Firma das Ehrendiplom und
wir können diefs nur billigen.
Im Allgemeinen auf gleicher Höhe mit dem eben befprochenen Unternehmen
fleht wohl jenes der Gebrüder Kathan in Augsburg (300 Arbeiter, 1871
16.000 Riefs). Die Leiftungen Baierns find in diefem Artikel unbeftritten und
CS hat kein anderes Land verfucht, hiefür eine Concurrenz zu fchaffen.
Von den öfterreichifchen Buntpapier-Fabriken find nur zwei, diefe aber in
eminentem Grade bedeutend. Es find diefs Wilhelm Knepper & Comp, und
Spo erlin & Zimmermann. Erftere Firma hatte eine brillante Ausflellung
arrangirt. Nebft mehreren Mufterbüchern war ein grofsesWandtableau zufammen-
geftellt, in welchem fächerförmig hochglänzend lackirte Buntpapiere gruppirt
waren. Eine für die Ausftellung fpeciell angefertigte neue Art von Marmor mit
metallglänzenden Flocken machte einiges Auffehen. Es fcheint jedoch, als ob die
Firma diefe Waare nicht auf den Markt zu bringen gefonnen fei, denn eine Beftel-
iung auf eine Suite diefer Papiere, die in meiner Gegenwart bei den Vertretern
der Fabrik gemacht wurde, wurde nicht acceptirt.
Das Arrangement und der Inhalt der Knepper'fchen Ausftellung waren
vortrefflich und ftellten eine Probe der bekannten Leiftungsfahigkeit der Firma
dar. Spoerlin & Zimmermann legten einige Mufterbücher der bekannt guten
Waare auf, fchienen jedoch nicht ambitionirt zu haben, mit diefem Artikel in den
Vordergrund treten zu wollen, in dem fie fich mit ihren Tapeten fo fehr behaupteten.
2
16 Dr. Wilhelm Franz Exner.
Eine in diefer Vollkommenheit neuen Artikels müfTen wir noch gedenken.
Es find die Leder-, Pergament- und Schieferimitationen von Dawidowfky,
welche die P. A. Krufs'fche Fabrik in Liebenau bei Graz erzeugt. Die Leder-
Imitationen haben fich befonders als Hut- und Galanterieleder bewährt. Der
Erfolg diefes jungen Unternehmens war auf der Ausftellung ein durchfchlagender.
Die Neuigkeiten von 1867: Kuhlmann's Kryftallifationspapiere und die
Alabafterpapiere waren auf der Autflellung nicht erfchienen, letztere nur hie und
da noch in einem einzelnen Muller zu fehen. Sie find offenbar aus der Mode
gekommen.
Eine Waare. die mit der Tapeten- und Buntpapier-Induftrie im engften
Zufammenhange fleht, mag, obwohl bei der Wiener Weltausflellung in Gruppe V
eingeordnet, hier noch eine flüchtige Befprechung finden. In Gruppe V wird die
Berichterflattung wohl kaum derfelben gedenken. Es ifl das der Rollvorhang
(Stores).
Diefer Artikel, häufig auch von Tapetenfabriken erzeugt, immer aber von
Tapetenhandlungen geführt, war auf der Wiener Ausflellung ausgiebig nur von
deutfchen Ausflellern zur Schau geflellt. Handwerksmäfsiger Betrieb ohne
künfllerifche Weihe charakterifirt im Allgemeinen den Artikel und macht es dem
Holzrouleaux und anderen Surrogaten leicht, ihn zu verdrängen. Ohne Trauer
werden wir die Stores fchwinden fehen, wenn fie unfer Auge nicht dauernd zu
erfreuen verflehen.
Die Phantafie und Feinheit der Franzofen machte fich bei der Wiener
Ausflellung in diefem Zweige der zeichnenden Künfle nicht befonders auffällig.
Die erflen Firmen fehlten, zwei Ausfleller find indeffen zu erwähnen. A. Lieto
in Nizza hat unter Anderem eine finnberückende tropifche Landfchaft auf den
transparenten Stoff gezaubert, die Palmen und die Ueppigkeit der Pflanzennatur
find ihm herrlich geglückt. A. Bach in Paris hat uns einige Blumenflücke ange-
boten, die, als wir fie fahen, fchon etwas gebleicht waren. Beide Ausfleller malen
aus freier Hand auf Cambridgefloff.
Von den d eut fehen Ausflellern nimmt Carl Rifchbieter in Deffau
den erflen Rang ein. * Abgefehen von der gothifchen Glasmalerei, die ein Roll
Vorhang vorflellt — (welche Abfurdität!) find fämmtliche Ausflellungsobj e<5le
gelungen. Charmant ifl ein Vorhang mit Deffin im Gefchmacke der Renaiftance
und jener, welcher in delicater Manier den maurifchen Stil traiflirt. Zwei Vorhänge
find naturaliflifch behandelt. Trotz meinem Lob möchten wir doch dem jungen (Ireb-
famen Fabrikanten empfehlen, feine Zeichner zu ernflen Kunflfludien anzuhalten.
In weit höherem Mafse hätte diefe Bemerkung Schlottmann & Petzke
in Berlin zu beherzigen. Auch diefes Haus brachte eine Glasmalerei auf Baum-
wollen-Stoff, ein Gnadenbild, noch obendrein darflellend Blumenbouquets,
unrein und hart ein entfetzlich componirtes allegorifches Tableau, deffen Bedeu-
tung ich nicht enträthfeln konnte, zwei giftgrüne Stores mit „Hundemedaillons**,
eine zopfige Vafe und wie die fchablonirten und gemalten Vergehen gegen den
guten Gefchmack alle noch geheifsen haben mögen.
Die Stores von Ferdinand Achilles & Comp, in Berlin, welcher ein
ziemlich bedeutendes Gefchäft (etwa halb fo grofs an Umfang wie Rifchbieter's)
befriedigten uns ebenfalls nicht, noch weniger jene von Sieburger und P i e 1 1 c.
Ueberblicken wir nun zum Schluffe das ganze Gebiet unferes Berichtes, fo
kommen wir zu folgenden Conclufionen :
In der ganzen grofsen Induflrie, welche die Aufgabe hat, die Papierfläche
decorativ zu verzieren, und diefs mit Ausfchlufs der Litho- und Typographie
bewerkflelligt, ifl kein epochemachender technifcher Fortfehritt feit dem Jahre 1S67
* 1871: 10.000 Dutzend Rouleaux, 100 Arbeiter.
Tapeten und Buntpapier 1 7
2U verzeichnen. Die kunftgewerbliche Bewegung der Gegenwart hat auch ihren
Einflufs auf diefes Kunftgewerbe geübt und übt ihn ftetig fort, ohne noch jene
Stufe der Vollendung, der Vollkommenheit erreicht zu haben, die uns völlig befrie-
digen würde. Die Mittelmäfsigkeit herrfcht noch vor, künftlerifche Vollendung
der Deflins ift in der Minorität der Fälle zu verzeichnen. Die mafchinellen Ver-
fahrungsweifen gewinnen täglich an Terrain, ohne den Handbetrieb fühlbar zu
verdrängen.
Die Leiflungen der Farbenchemie kommen auch diefem Gewerbe zu Gute,
ohne dafs die fortfchreitende Entwicklung der Anilinfarben-Induftrie, welche bei
ihrem Auftreten die flüchtige Mode wefentlich influenzirte , eine dauernde Altera-
tion der ewig geltenden Gefetze der Kunft hatte herbeiführen können. * Blofs
der koloflale Auffchwung der Holzfto ff- Erzeugung hat eine dire(5le Bedeutung fiir
alle Gewerbe erlangt, die Papiere verarbeiten.
Die Produ(5lionsmenge wächft in allen Ländern.
»
* Die Expofitionen der Mafchinen und der chemifchen Induftrie (Gruppe XIII und III),
welche in den Rahmen anderer Berichte fallen, haben Isider nichts enthalten, was für unfere
Induftrie von dire(5lem Lehrwerthe wäre. In der Mafchlnenhalle waren blofs eine nach neuem
Syftem arbeitende Foncir- und eine Satinirraaschine (Bürftapparat) von Grahl & Heehl in
Dresden, die ich empfehlen kann, und ferner Tapetendruck-Model und Walzen von G. Kats-
meyr & Sohn in Augsburg (bekannte Firma für diefen Artikel) exponirt.
2*
SCHREIB-, ZEICHEN- UND MALER-REQUISITEN.
(Gruppe XI, Section 3.)
Bericht von
Ignaz Nagel,
BcaiitUr der cotnmercicUcH DireHion der k. k. firiv. Süddu/tn in IVicn.
Ein Blick in die vergleichende Produdlionsftatiftik der bedeutenderen euro-
päifchen Induilrieländer zeigt uns, welch riefigen Auffchwung diePapierfabrication
feit einem Jahrzehent genommen, welch' immenfen Umfang der Papierconfum
erreicht hat.
Diefe aufserordentliche Producflionsvermehrung verdankt die Papierinduftrie
allerdings in erfter Reihe den allgemeinen Fortfehritten der Civilifation, der
Ausdehnung des Unterrichtes über ftets neue und weitere Kreife, der täglich
wachfenden Bücher- und Zeitungsliteratur, welche unzählige Quantitäten von
Schreib- und Druckpapier confumirt. So grofse Malten des genannten Materials
indefs auch dem weiten Reiche der Literatur und der Tagesprefle zufliefsen, fie
werden überboten von jenen, die das unendliche Meer der Papierwaaren-Induftrie.
der Papierconfeölion verfchlingt.
Nach approximativer Schätzung werden von den circa i8 Millionen
Centnern Papier, die beiläufig 2000 Fabriken erzeugen, ungefähr 10 Millionen
Centner zu Handels- und Induftrie-, zu Schul- und Bureau- und anderen nicht
literarifchen Zwecken verwendet.
Es würde zu weit führen, hier auch nur einen kleinen Theil der Artikel
bezeichnen zu wollen, die dem puren oder theilweifen Papiermaterial ihr Ent-
liehen verdanken. Nur andeutungsweife fei der immenfe Vebrauch an Papier und
Pappe für die Gefchäftsbücher- und Enveloppen-, für die Spielkarten- und Tapeten-,
für die Cartonnage- und Papiermache-Fabrication erwähnt, fei an die Thatfache
erinnert, dafs in Japan und China häufig Gefchirre und Gefäfse, Kleidungsflücke
und Möbel und unzählige andere Dinge aus Papier verfertigt, dafs in Frankreich
aus Steinpappe Ornamente für Gebäude, aus asphaltirtem Papier Röhren für Gas
und Waflerleitungen , in Amerika Kochgefchirre und Eifenbahn-Räder aus Papier
Jiergeflellt werden.
Gab auch die Ausflellung keinen richtigen Begriff von der Leiftungsfähigkeit
der einzelnen Länder in der Papierfabrication felbft, fo bot fie doch eine feltene
Gelegenheit für die Beobachtung, zu wie viel Taufenden von Objedlen diefes
Material benützt werden kann ; wie viele andere Stoffe und Materialien es zu
erfetzen im Stande ifl. Wir wollen im Folgenden die bedeutendllen Artikel, wie fie
die Ausflellung beachtenswerth zeigte, darflellen und daran die Schreib- und
Zcicheiirequifiten reihen.
Schreib-, Zeichen- und Malerrequifiten. 19
Papierconfe(5lion.
Pap ierwäfche. In den oftafiatifchen Ländern wird Papier fchon längere
Zeit als Bettwäfche verwendet. Diefs mag auf die Idee geführt haben, dasfelbe
Material zur Anfertigung von Leibwäfche zu verwenden. In Amerika allein
werden jährlich circa 15 Millionen Stück Papierkrägen producirt.
In Deutfchland wurde diefer Artikel durch die Firma A. & C. Kauf-
mann in Berlin eingeführt, welche nun mit Hilfe von circa 500 meifl weiblichen
Arbeitern täglich 300.000 Stück verfchiedene Papierwäfch^Artikel erzeugt, und
theils in Deutfchland, theils in Amerika abfetzt. Die von diefem Haufe aus-
geftellten Kragen, Manfchetten und Chemifetten zeichneten fich durch befondere
Weifse aus ; die an den Wäfchflücken befindlichen Stickereien waren fchwer von
wirklichen zu unterfcheiden; die Spitzengamituren muffen als gelungen bezeichnet
werden. Ebenfo haben Henning & Defeler, dann Martin Schle fingen
und Jeenike in Berlin htibfche Papierwäfche gebracht.
Aus Frankreich bemerkten wir nur einen Ausfteller, Paul Belville
(Paris), der hübfche Kragen und Manfchetten vorgelegt hatte. Aus den übrigen
Staaten war nichts vorhanden, doch ift nicht zu zweifeln, dafs auch in anderen
Ländern derlei Induftrien beftehen; fo hat beifpielsweife Gelabert in Barcelona
Formen zu feiner Papierwäfche eingefendet.
Auch in Oefterreich hat fich diefer Induftriezweig feit einigen Jahren
eingebürgert, ohne jedoch bis daher eine befondere Bedeutung erlangt zu
haben, obgleich die von Franz Müller in Wien ausgeftellte Wäfche, nament-
lich die farbigen Wäfchftücke, ihrer eleganten Ausführung, ihrer Farbenähnlich-
keit wegen alles Lob verdienen. MüUer's Erzeugniffe haben noch den befon-
deren Vorzug, dafs fie nichi mit der Haut nachtheiligen Subftanzen gefärbt find.
Cigarrettenpapier. Einen weit gröfseren Verbrauch an Papier als
der vorgenannte Artikel, weift die Fabrication von Papierhülfen und Cahiers
für Cigarretten aus. Früher faft nur auf Frankreich und Spanien befchränkt.
hat die Cigarrettenfabrication fich in letzterer Zeit nach Oefterreich, Rufsland,
ja fogar nach dem Orient verbreitet.
In Frankreich und Spanien, wo fich die Cigarrette einer befonderen
Beliebtheit erfreut, ift die Bereitung von Cigarrettenpapier und Papiercahiers zu
einem nicht unbedeutenden Manufa<5turzweig, der Handel mit Cigarretten ein an-
fehnlicher Artikel geworden. Frankreich verforgt nicht nur fein eigenes Land,
einen Theil von Deutfchland, einen grofsen Theil des Orientes mit Cigarretten-
papier in Heftchen, fondern hat bedeutenden Abfatz nach überfeeifchen Ländern,
fogar nach Brafilien und Perfien.
Die franzöfifchen Cigarrettenpapiere find in der Regel fehr dünn, fehr weich
und fehr rein gearbeitet, die Enveloppirung ift eine höchft gefchmackvolle, der Preis
äufserft billig. Auf der Ausftellung waren vier Firmen mit den fchönften Produ<5len
diefer Branche erfchienen, unter denen Hattererln. Mc. V e u v e & fils obenan
fteht und deren perfifches Reisftroh-Papier eines der vorzüglichften Produ(5le "
diefer Gattung ift. Ho u b elon in Paris wufste dem Produdl ein fehr hübfches
Aeufsere zu verleihen. Vaudoit p^'re & fil s C lai rmont ferran d hatte nebft
feinen eleganten Cahiers eine höchft ingenieufe Cigarrettenmafchine ausgeftellt.
die jedoch einer näheren Prüfung forgfältig entzogen war.
Spanien befitzt in der Manufad^urftadt Alcoy eine Anzahl von Fabriken,
die grofse Mengen von Cigarrettenpapier erzeugen. Das fpanifche Papier unter-
fcheidet fich durch feine Confiftenz, Zähigkeit und Feftigkeit, dann durch feine
meift eigenthümliche Farbe : braun, gelb etc. fowie durch feine leichte Verbrenn-
barkeit vortheilhaft von allen übrigen Fabricaten. Rafael S an tanjo's Erzeugniffe
20 Ignaz Nagel.
in Alcoy fcheinen den Muftern nach zu den heften ihres Faches zu gehören. ]oi6
Riber hatte vorzügliche Produdle von Blumen-, Documenten- und Cigarretten-
papier exponirt. Aufser den Genannten waren noch einige Ausfteller diefes
Faches, doch war es fchwer, deren Namen nach dem Katalog zu eruiren.
In Oefterreich ift der Name Knepper's eng verknüpft mit der Cigar-
rettenpapier- Erzeugung. Er war es, der zuerfl im Jahre 1856 den Artikel in Oefter-
reich einführte und bis zu feinem Tode cultivirte. Im fteten Kampfe mit den tüch-
tigften Concurrenten Frankreichs, hat es zuerft im Inlande, dann im Orient Boden
gewonnen und die Fabrik fendet heute trotz der Ungunft der Verhältniffe viele
Taufende von Schachteln nach allen Theilen der europäifchen und afiatifchen
Türkei, nach Amerika, nach China, fogar nach Spanien, das doch felbft die heften
Cigarrettenpapiere macht. Sowohl die obgenannte Fabrik als die von Jac. S c h n ab 1
& Comp, in Wien hatten in der Ausftellung Proben ihres Fleifses, ihres Strebens nach
Befriedigung der feltenften und mannigfaltigften Anfprüche, aber auch ihres guten
Gefchmackes abgelegt. Die Produ<5lionsmengen jeder diefer Fabriken dürfte fich
auf circa 30 Millionen Cigarrettenhücher oder 1200 Millionen Blätter belaufen.
Auch Jac. Schnabl & Comp, hat bedeutenden Export nach dem Orient, nach der
Levante etc. und befchäftigt ftets gegen 200 Perfonen in diefem Fabrications-
zweige.
Indeften hat der fragliche Induftriezweig in neuerer Zeit einen bedeuten-
den Stofs erlitten durch den immenfen Zoll, welchen die Fürftenthümer auf die
Einfuhr diefer Waare legen , durch die Errichtung von eigenen Fabriken in
Serbien, Rufsland und m der Türkei; durch den Gefchmack an Cigarren; durch
Verwendung des nicht fagonnirten Cigarrettenpapiers, namentlich aber durch die
Concurrenz der Cigarre, deren Confum täglich in Zunahme begriffen ift und
jenen der Papiercahiers anfehnlich vermindert. In Oefterreich allein beträgt die
Zahl der im Jahre 1872 erzeugten Cigarrettenhülfen 38 Millionen Stücke *, in Rufs-
land dürfte die Zahl von 500 Millionen nicht zu hoch gegriffen fein. Ebenfo
werden in Deutfchland grofse Quantitäten Cigarretten fabricirt, und theils im In-
lande verraucht, theils exportirt.
Eifenbahn- Fahrkarten und Telegraphenrollen. Um fich einen
Begriff von der Erzeugungsmenge diefer Obje<5le zu machen, genüge, dafs die
beiden öfterreichifchen Ausfteller Vi<5lor Popp und E. Z awadil in Wien allein,
der erftere 30 Millionen, letzterer 60 Millionen Fahrkarten nach Edmondfon'fchem
Syftem per Jahr produciren, obgleich von den circa 233. 98S Kilometern Eifen-
bahnen der Erde nur 11.899, daher circa 5 Percent, auf Oefterreich- Ungarn
entfallen.
An Telegraphenrollen für die öfterreichifch-ungarifchen Staats-, Privat- und
Eifenbahn-Telegraphenanftalten werden in Oefterreich jährlich circa eine Million
Rollen verbraucht, die im Inlande erzeugt werden, was imVerhältnifs zu der Gefaroml-
fumme der 39.924 Telegraphenmeilen den Confum von circa 15 Millionen folcher
Rollen in der Welt ergibt. Ausgeftellt fanden wir nur Telegraphenrollen von der
norddeutfchen PapierfabriksA<5liengefellfchaft Köslin, die auch Eifenbahn Fahr-
karten, und zwar beide Ohje<5le ganz entfprechend verfertigt, fowie ausgezeichnete,
fefte und fehr glatt gefchnittene Rollen von Paolo Pigno in Mailand. So bedeutend
diefe Mengen erfcheinen, fo verfchwindend klein find fie gegenüber den Mafien
von Papier, welche zu Brief- und Depefchencbuverten erforderlich find.
Briefcouverte. Die Zahl der durch die Poft beförderten Briefe und
Bandfendungen auf der Erde im Jahre 1870 wird auf 5072 Millionen Stück
gleich 1,434.986 ZoUcentner veranfchlagt. Die Zahl der Depefchen auf der ganzen
• Zur Verfertigung diefer Anzahl Cigarrettenhülfen verbrauchen die k. k. Tabak-
fabriken 600.000, zu Enveloppen 600.000, zu Schnupftabak 7,000000, zur Verpackung von
Rauchtabak, Cigarren und zu anderen Zwecken 70 Millionen Bogen Papier per Jahr.
Schreib*, Zeichen- und Malerrequiftten. Jl
Erde fchätzt Wagner im Jahre 1871 auf 67 Millionen, wovon auf Nordamerika und
England allein 12 5 Millionen entfallen, was in Summa nach Hinzurechnung des
Verbrauches an Brief couverten einer Anzahl von 5159 Millionen Couverts entfpricht.
Die Herbeifchaffung folcher Maffenprodudle kann natürlich nur mit Auf-
wand aufsergewöhnlicher Mittel ermöglicht werden. Die im Jahre 1842 von
Macquet in Paris und 1845 von de laRue in London erfundenen Maifchinen reichten
nicht aus, um dem Bedarf zu genügen. Erfl die in neuerer Zeit von de la Rue,
fowie die von Poirier in Paris vervollkommneten, dann die von Antoine in Paris
erfundenen Mafchinen, entfprechen für den Moment dem koloflalen Confum in
diefem Artikel.
In der Mafchinenhalle war auiser der letztgenannten nur noch eine Firma,
Geiger & Heffer in Cannftatt, mit Couvertmafchinen erfchienen.
Die Mafchine der letzteren ift auf Dampfbetrieb eingerichtet und fehr folid
gearbeitet. Ihren Zweck, die eingelegten Papierausfchnitte zu falzen und zu kleben,
erfüllt fie mit vieler Accurateffe. Die grofse Sorgfalt und Solidität in der Aus-
führung, die Möglichkeit, verfchiedene Formate ohne viele Mutationskoflen auf
derfelben arbeiten zu können , find die höchfl fchätzenswerthen Eigenfchaften
dicfer Mafchine, denen als Mängel die Nothwendigkeit zweier Perfonen zur Bedie-
nung, fowie der unverhältnifsmäfsig hohe Preis von 800 bis 900 Thalem gegen-
überilehen.
Die Mafchine A n t o i n e 's legt die gefchnittenen Blätter felbil ein, falzt
und gummirt diefelben und fchichtet fie zwifchen zwei Eifenwänden, aus denen fie
— ohne Aufenthalt der Mafchine leicht entfernt werden können ; dadurch entfällt
eine Arbeiterin zur ausfchliefslichen Bedienung diefer Mafchine.
Der Nachtheil diefer Mafchine liegt in der Verwendung von MeflJng- ilatt
foliden Stahlplatten ; in dem Schmutzen der Couverts und dem dadurch bedingten
öfteren Reinigen der Excenter ; der koftfpieligen Mutation bei vorzunehmender
Formatänderung, Fehler, die in der ConflruÄion der Mafchine liegen und mit
der Zeit befeitigt werden dürften. Der Preis der Mafchine, i8ooFrancs, ift bei dem
Umftande, als fie nur wenig Bedienung erfordert, ein äufserft billiger.
Die Leiftungsfahigkeit beider Mafchinen wird von den Erzeugern auf 2500
per Stunde angegeben.
Aufser den vorgenannten hat Antoine noch eine CouvertfchneideMafchine
ausgeftellt, die indefs auch zum Schneiden von Pappendeckel, Leder etc. verwendet
werden kann, und je nach Format von 500 bis 1000 Francs koftet.
Unter den vom Auslande ausgeftellten Couverten muffen wip vor Allem die
Cowan's and Sons zu Edinburg ihrer correölen Falzung und ihres herrlichen
Papieres wegen erwähnen; nach diefen dieCouverte derGebrüder Hofffümmer
in Düren , die mit 76 Arbeitern und i Dampfmafchine mit 4 Pferdekraft ein
fchwunghaftes Gefchäft in diefem Artikel betreiben , den fie fehr gut fabriciren.
Beilehorn in Afchersleben liefert jährlich 400 Millionen Couverts; die aus-
geftellten Mufter waren fehr gut. Auch K raufe in Berlin, Schmidt in Elberfeld
und Mayer inEhrenbreitftein brachten hübfcheCouvertmufter, von denen fie viele
Millionen jährlich erzeugen. Als eine der bedeutendften Firmen diefer Branche
gelten die vereinigten heffifchen Papier- und Papierwaaren-Fabriken in Caffel.
Aufser vielen anderen Artikeln diefer Gattung liefern fie mit 25 Couvertmafchinen
wöchentlich 2^3 Millionen Briefcouverts diverfer Gattungen für den grofsen
Confum*
Von den hervorragenderen Couvertfabriken Oefterreichs hat nur die von
D. R. Pollak & Söhne in Wien die Ausftellung, und zwar theils mit Confed^ions
caiTetten, theils mit Couverten befchickt. Auch diefes Gefchäft (feit 1836 beftehend)
betreibt die Couvertfabrication im grofsen Stile und beherrfcht nicht nur einen
*) Die erfte Couvertfabrication in Deutfchland datirt vom Jahre 1847 ; heute find
aoo Mafchinen thätig, die täglich 4 Millionen Stück liefern.
Zii Ignaz Nagel.
Theil des heiniifchen Marktes, fondern concurrirt mit Erfolg auf fremdem Gebiete.
Die Fabrik befchäftigt gegenwärtig 24 grofse Couvertmafchinen, 12 kleine Couvert-
Kniffmafchinen und 6 Schneidemafchinen und PrelTen, die zufammen ein Quantum
von 200.000 Couverten per Tag liefern. An Confedlionscafletten werden jährlich
30.000 Stücke erzeugt. \
Die Fabricate können, den ausgeftellten Muftern nach zu urtheilen , den
heften der ausländifchen angereiht werden. Die Firma wurde mit der Verdienft-
Medaille ausgezeichnet.
Papierdüten, -Säcke, -Beutel etc. Nicht nur die Papierinduftrie
im Ganzen und Grofsen, auch die einzelnen Papierwaaren-Branchen erweitern
täglich ihr Gebiet. Die Verfertigung von Papierdüten und Kapfein, Beuteln
und Säcken mit und ohne Etiquetten zur Verfendung von \Vaarenmuftern
aller Art als : Samen, Getreide, Mehl, Specereien etc. aus Papier, Pergament-
papier, Papyrolin etc. bildet jetzt einen eigenen, fehr ausgedehnten Fabrica-
tionszweig.
Die bereits genannten vereinigten heffifchen Papier- und Papierwaaren-
Fabriken, die mit ihren vier Papierfabriken eine Buchdruckerei, Lithographie und
Präge- Anftalt in Allendorf an derWerra verbinden, erzeugen 2 ^^ 4 Millionen Düten
etc., ^/4 Millionen Kapfein und 20.000 Stück diverfe Cartonnagen per Woche,
welche Artikel fie, mit gefchmackvoUen Etiquetten verfehen, in der gröfsten Man-
nigfaltigkeit und den Anfprüchen der Neuzeit entfprechend, herftellen. Behrens
in Hannover, dann Gonnermann& Ude in Eberftadt, A u b e 1 1 in Augsburg,
Israel Wanfried befaflen fich in hervorragender Weife mit diefem Artikel, der
in grofsen Mengen erzeugt und verfendet wird.
Ahrens & Comp., Liebenau, find die Erften, welche diefen Gefchäfts-
zweig in Oefterreich gründeten und die die Erzeugung von Papierföcken (in 30
verfchiedenen Sorten Kapfein, Beuteln, in grofsem Mafsftabe mit 80 Arbeitern)
betreiben. Die ausgeftellten Obje<5le find geeignet, die mannigfachften Anfprüche
der Gefchäftswelt zu befriedigen.
Ebenfo lieferte C. Hub er in Graz, dann Willner in Teplitz recht
gefallige und mannigfache Artikel diefer Branche.
Gröfsere Sicherheit als die genannten aus Papier verfertigten Behältnifle
gewähren die von Lemppenau in Stuttgart undNeuftädter in München, welche
die genannten Obje(5le aus Papyrolin erzeugen, das wegen feiner Dauerhaftigkeit
fich befonders zu Envelopen für Wcrthfendungen eignet. Das Material , auch
Papierfhirting genannt , befteht aus einer Vereinigung des Papiers mit einem
feinen lockeren Baumwoll-Gewebe. Die Erfindung ftammt aus London, wo Henry
Chapmann 1843 dafür patentirt wurde. Die Verbindung des noch naflen Papiers
mit der Leinwand gefchieht in der Regel auf der Papiermafchine. Das Papyrolin
eignet fich durch feine Haltbarkeit befonders zu Plänen, topographifchen
Arbeiten, Adrefskarten auf Colli etc.
Einen grofsen Fortfehritt auf diefem Gebiete zeigen die Produ<5le von
Albert E c k ft e i n in Wien aus vegetabilifchem Pergament, aus ungeleimtem Papier
durch Behandlung mit Schwefelfäure entftehend. Diefer von Haine in London
(1853) erfundene und von de la Rue in London verbefTerte, auch in Deutfchland
fehr gefchätzte Artikel hat durch Eckftein in Wien eine mannigfache Verwen-
dung und VerbelTerung gefunden.
Die aus der E ckftein'fchen Fabrik hervorgehenden Surrogate der thieri
fchen Blafe find zu Couverts und Envelopes wegen ihrer Widerftandsfahigkeit
gegen Näfle und ihres patentirten V.erfchlulTcs halber befonders geeignet; ebenfi»
zum Verfchlufle von Conferven; als Wurfthäute find fie den thierifchen Blafen und
Därmen wegen Fernhaltung des Schimmels bei W^eitem vorzuziehen; die aus dem
genannten vStoffe verfertigten Eisfäckchen . ebenfo Perganfep ffchwarze Charpie
fanden feinerzeit grofse Anerkennung.
Schreib-, Zeichen- und Malerrequifiten. 2t3
In Deutfchland hat fich B ran d egger in Ellwangen mit diefem Artikel
einen Namen gemacht ,' doch befchränkt fich deflen Fabricat faft nur auf
Wurftdärme.
Ebenfo intereffant als das Eckftein'fche Pergamentpapier ift das von Krufs
ausgeftellte Papierleder. Blieben auch die den japanefifchen Müllern nachgeahmten
Erzeugnifle ziemlich weit hinter dem Original zurück, und geht auch, namentlich
den zu Hutleder beftimmten Surrogaten jene Weichheit und Gefchmeidigkeit.
namentlich aber jene Poröfität ab , die die japanefifchen Produdle vermöge des
geeigneteren weicheren Rohmaterials auszeichnet, und ift auch deren leichte
Zerreifsbarkeit ein grofser Nachtheil für ihre allfeitige Verwendbarkeit, fo ift das
Streben Krufs', jenes Produöl hier einzubürgern und zu verbreiten, ein höchft
lobenswerthes zu nennen.
Ebenfo lobenswerth ift die Bemühung L erch 's in Krafsney bei Reichenau,
Papiergarn und Papierbänder in diverfen Proben zur Blumenfabrication und dergl.
herzuftellen, und diefes Fabricat in vorzüglicher Qualität zu verfertigen.
Luxus- und Phantafiepapiere. Nicht zufrieden mit der Rolle, die
die nüchterne Gefchäfts- und Utilitätsinduftrie ihm angewiefen, überfchreitet das
Papier die Grenzen des Alltäglichen, und betritt das Reich des Luxus und der
Phantafie in Geftalt von Blumen und Blättern, von reich verzierten Liebesbriefen,
Karten, Bonbonnieren und Cartons, präfentirt fich als glänzende Etiquette, als
Orden, als Lichtmanfchette, als Fächer und Bouquethalter, als Tellerpapier und Ser-
viette, und Taufende von Menfchenhänden find heute in allen civilifirten Ländern
damit befchäftigt, die prachtvoUften Blumen und Knospen aus Papier hervorzu-
zaubern, die an Schmelz und Farbe die natürlichen faft übertreffen, um Spitzen
und Franfen, um Silber- und Goldborden, um Glanz- und Lackpapiere, kurz um
die zahlreichen Luxusartikel aus Papier zu erzeugen, die einer Menge von
gewöhnlichen Dingen zum Schmuck, zur Zierde dienen und die das Auge des
Befchauers erfreuen.
Der Annex des deutfchen Reiches enthielt eine, wenn auch nicht fehr vor-
theilhaft arrangirte, doch reiche Sammlung diefer Artikel. Noch vor zwei Decen-
nien war Frankreich und namentlich Marion , Bertout und Nouvelle in Paris
Alleinherrfcher auf dem weiten Gebiete der Luxuspapier-Induftrie.
Dondorf in Frankfurt, Hagelbe rg, Schäfer & Scheibe, dann
Hellriegel in Berlin, fowie Meifsner & Buch in Leipzig muffen als die
Schöpfer diefer vielzweigigen und heiklen Induftriebranche in Deutfchland bezeich-
net werden. Nur der aufserordentlichen Pflege und Sorgfalt, die fie vom Beginne
dem neuen Produ(5lionszweige zuwandten , ift deffen Gedeihen, deffen nun-
mehrige Ausdehnung zu verdanken. Jeder der genannten Ausfteller repräfentirt
ein eigenes Genre, in dem er Ausgezeichnetes leiftet. So produciren Schäfer &
Scheibe verzierte Briefbogen und Karten, Cotillonorden, Reliefs und Kunft-
druck-Bilder in reichfter Ausftattung, mit bewundernswerthemGefchmacke. Hell-
riegel erzeugt mit 273 Arbeitern für 200.000 Thaler Luxuspapiere, Gratulations-
karten etc. herrlichfter Gattung. V o 1 1 m e r's Luxuspapier für Galanterie- und
Confifeurwaaren find reich, mannigfaltig und hübfch; einen reizenden Anblick aber
gewähren feine eben fo kunft- als gefchmackvoll gefchnittenen und fein aus-
geftatteten Teller- undBouquetpapiere, Atlas- und Crepemanfchetten. Meifsner
& Buch in Leipzig (früher Bartfeh & Comp.) find Meifter in lithographifchen.
Buntdruck- und Prägearbeiten für Cartonnagen und dergl. und zählen ihre
ebenfo mannigfaltigen als kunftvoll durchgeführten Erzeugniffe zu den fchönften
Leiftungen auf diefem Gebiete. Allein die obigen find — wie erwähnt —
nur die Gründer diefes Kunft - Induftriezweiges , deren Streben nicht nur
Anerkennung, fondern auch Nachahmung fand. Eine der jüngeren Firmen.
Ed. Büttner & Comp, in Berlin, verfertigt Luxusbriefe, Buntdruck-Bilder zu
Cartonnagen, namentlich aber Cotillonorden in fo effe<5l voller Form und phantafie-
24 Ignaz Nagel.
•
reicher Abwechslung, wie fie feiten ähnlich gefunden werden, und trotz feines
kurzen Beftehens (1872) befchäftigt das Haus 300 Arbeiter und verbraucht jährlich
7000 Rifs Papier. Oskar Müller in Leipzig (1871) verarbeitet ebenfalls jährlich
II Ballen diverfe Papiere, 28 Grofs Goldborden und 450 Centner Pappen zu Car-
tons u. A. Als reizende Specialität muffen wir die ausgeflellten Fenftergardinen
aus Seidenpapier, die Spiegelfchleier, Fenftervorfätze , Lampenfchleier, Licht-
manfchetten und Lampenfchirme bezeichnen, die wie aus zarten Stoffen gewebt
und mit den feinden Spitzen befetzt fchienen. Ebenfo hatte Prantl in München
reizende originelle Lampenfchirme, auf beiden Seiten verwendbar, ausgellellt.
Hennig & Defeler in Berlin hatten nebfl Luxuspapieren für Photographen und
Conditoren prachtvolle Papierfticher und Wäfche. Auch fie befchäftigen 180
Arbeiter. Sehr hübfch waren auch die Papierfächer von Werner& Schumann.
Ihre Specialität fcheinen Buchflaben aus lackirtem Stoffe. Ort lieb aus Strafs-
burg fchneidet hübfche Blumen aus Papier. In Metallpapieren, namentlich Gold-
und Silberborden und anderen Cartonnagevcrzierungen fowie Bronzefarben dürfte
H ä n l e in München einer der vorzüglichflen und bedeutendflen fein (600 Arbeiter),
fowie Hartwig's (Offenbach) Fabricate aus Leder und Papiermache, geprefslc
Ornamente unflreitig zu den beflen Produ<5len diefer ganzen Branche gehören.
Heiglin in München verlegt fich fafl ausfchliefslich auf Confedlion in Trauer-
papieren und Couverts, die er in grofsen Mengen und gut erzeugt, während
Afchenbrenner in München Mannigfaltiges und Originelles in geprefsten
Bilderrahmen lieferte. Noch eine Menge anderer Firmen hatten elegante und
gelungene Produ(5le diefes Genres gebracht ; wir muffen uns jedoch verfagen, fie
alle namentlich anzuführen; was wir jedoch erwähnen muffen,' ifl , dafs diefe
Gefchäftsbranche glänzend vertreten war, und dafs inDeutfchland ein Gefchmack,
eine Thätigkeit auf diefem Felde herrfcht, die ihm einen der erflen Plätze in der
betreffenden Branche anweifl.
O eflerreich war aufdiefemfpeciellen Gebiete nur fchwach vertreten, aber
das Wenige, was die Ausflellung brachte, bekundet das Streben, nur Befferes und
Gediegeneres zu liefern. Die Expofition der Brüder Ofler fetzer in Wien
zeigte Lampenfchirme, Bouquethalter, Spitzen- und Tellerpapiere, die fehr viel
Gefchmack und Fertigkeit in der Behandlung des einfachen Papierfloffes bedingen.
Das durch die genannte Firma im Jahre 1861 begonnene, und mit vieler Mühe in
Oeflerreich eingeführte Gefchäft erzeugt nunmehr Producfle, die im Inlande fehr
beliebt geworden, und auch im Auslande — trotz der grofsen Concurrenz —
flarken Abfatz Bnden. Die Vitrinen von F. Halik und W. Kutfchera in
Wien enthielten fehr hübfche gelungene Papierblumen und Bouquets, die Expo*
fition von Guflav Schul er in Teplitz gefchmackvolle Prägearbeiten und Papier-
verzierungen in Gold und Silber, und G. Jelinek in Wien hatte recht fauber gear-
beitete Biiderrahmen und gutes Albuminpapicr zur Ausflellung gebracht. Wenn
auch nicht in allen der vorgenannten Zweige, aber im Grofsen und Ganzen
find die Refultate, welche die öflerreichifche Papierwaaren-Induflrie aufzuweifen
hat, fehr günflige zu nennen ; die Einfuhr an genannten Artikeln ifl eine höchil
geringe, während die Ausfuhr fich in den letzten Jahren bedeutend gehoben hat.
Die erflere betrug im Jahre 1872 : 427.035 ü. die letztere 2,577.784 fl.
Schreibmaterialien.
Papier. Die Bemühungen unferer und der Papierfabrikanten anderer
Staaten zur Herflellung eines allen Anforderungen und Bedürfniffen entfprechen-
den Schreibmaterials find an anderer Stelle eingehend gewürdigt worden.* Hier
sei nur erwähnt, dafs diefe einmüthigen Strebungen als vom beflen Erfolge
♦ E. Twerdy die PapierinduArie, Bericht über Gruppe XL Sektion i.
Schreib-, Zeichen- und Malerrequifiten. 20
begleitet bezeichnet werden müfTen. Die deutfchen und viele öfterrreichifchc
Schreib- und Poftpapiere werden von den gleichartigen Produ<ften des Auslandes
kaum übertroffen, ja von vielen Ländern nicht erreicht. Die Ausflellung brachte
Proben von glatten und gerippten, linirten und carrirten, matten und hochfatinirten
Papieren in allen Feinheits- und Stärkegraden, in weifsen, blauen und bunten
Stoffen aller Farben und Nuancen. Allein der Gefchmack, die Mode verlangt
nunmehr auch vom Papier mehr als Reinheit, Glanz und Glätte. Die in Dingen
des guten Gefchmackes und der eleganten Präfentation von Obje(5ten vorangehen-
den Franzofen haben, von dem Gedanken geleitet, dafs der günftige Eindruck,
den ein fchönes Papier auf den Empfänger eines Briefes mache, durch eine oma-
mentale Ausflattung erhöht werden muffe, feit Langem nicht nur zu Gratulations-
briefen, Adreffen und dergl., auch für die Privatcorrefpondenz die mannigfaltigil
gezackten, geprefsten und geprägten, fowie mit Ornamenten gefchmückten Luxus-
und Phantafiepapiere verwendet.
Monogramme und Wappen. Sei es nun, dafs diefe von den Franzofen
Marion, Bertout u. A. mit Kunftfinn gepflegte Gefchmacksrichtung durch
fchlechte Erzeugniffe Anderer verdorben wurde, fei es, dafs die fo häuBg wechfelnde
Mode, die Sucht nach Neuem, die Vorliebe für die erwähnten Phantafiepapiere
abfchwächte, Thatfache ift, dafs die feit Jahren von exclufiven Kreifen adoptirte
Sitte, Einladungen, Menüs, Vifitcs, Briefpapiere und Couverts mit Namenszügen
oder Wappen zu fchmücken, auch in weiteren Kreifen Eingang fand, und das
Monogramm, die zarte Blume, die oft fehr burleske, aber einfache Figur, die
grofsen, bunten Bilder aus den feineren Briefpapieren verdrängte. Es mufs daher
diefer Umfchwung als ein wohlthätiger, die neuere Gefchmacksrichtung als eine
edlere bezeichnet werden, obgleich nicht geleugnet werden kann, dafs auch
ein grofser Theil diefer Obje(5te keinen Anfpruch auf künftlerifchen Werth machen
darf. Aus einem Vergleiche der meiden Producfte diefer Art mit den weifsen und
in Farben ausgeführten Monogrammen und Wappen Wyon's und Sulman's in
London, mit den fchönen Monogrammen von Macquet in Paris und mit den pracht
vollen Wappen und Monogrammen von Syr6 & Neffe in Wien wird man leicht
den ünterfchied zwifchen Kund- und Induftrieprodu(5len erkennen.
Die Ausflellung brachte nur wenig aus diefer Branche. Zu den bellen
Arbeiten fmd diejenigen des erwähnten Hofgraveurs Wyon in London zu zählen,
der fehr fchöne Graveurarbeiten mit reinen Prägeabdrücken geliefert hat. Seine
Wappen- und Monogrammabdrücke find unflreitig zu den gelungenflen Bronze-
prägungen zu rechnen. R y m t o n und P r i n c e aus Genf hatten Abbildungen
von für Uhren und Schmuck beflimmte Monogramme ausgeflellt, die wunderfchön
waren; A2zik Domenico aus Piacenza auf Kupferplatten erzeugte forgfilltig
gearbeitete Monogramme und Wappen.
Unter den öflerreichifchen Firmen ragen, als die vorzüglichflen
Erzeugniffe producirend, die Firmen Syr6 & Nefte undTheyer & Hardt-
muth vortheilhaft hervor. Die von Syr6 & Neffe exponirten, reichhalti-
gen Monogramme- und Wappentableaux enthielten eine Menge von aufser-
ordentlich gelungenen Präge- und Graveurarbeiten diefes Genres , die genial
und fchwungvoU in Zeichnung und corredl in der Ausführung, allen Anfpruch
auf die Bezeichnung Kunflprodu<5le haben. Die Farben befafsen noch nach fechs-
monatlicher Expofition ihre erfle Frifche, das Gold — im Gegenfatze zu einer
Menge von Preffungen anderer Erzeugniffe — feinen vollen Glanz, und die einzel-
nen Figuren hoben fich fcharf von einander ab. Den Theyer'fchen fonfl
gefchmackvoUen Arbeiten mangelte theilweife corre<5le Zeichnung, und in der
Ausführung jene Sorgfalt und Aufmerkfamkeit in der Behandlung der Details,
welche die früher erwähnten Arbeiten fo befonders auszeichnen.
Aufser den erwähnten, mit Monogrammen verzierten Briefpapieren erfchie-
nen auf der Ausflellung als Novität die unter der Benennung Papierconfe(5lionen
26 Ignaz Nagel.
von den beiden letztgenannten Finnen eingeführten Briefpapiere und Couveris
mit den verfchiedenartigften Figuren, Blumen und Vignetten verziert, die in ele-
ganten Cartons in den Handel gebracht, fich einen weit ausgedehnten Markt
errungen haben. Diefe Papierconfecflionen, die fich durch Originalität und Schön-
heit vor allen anderen derlei ErzeugnilTen auf das Vortheilhaftefte auszeichnen,
werden von der Firma T hey er & Hardtmuth fabriksmäfsig erzeugt, während
jene der Firma Syrd & Neffe, welche mehr fUr ein kundfinniges Publicum
berechnet find, der höheren Preisanlage wegen einen exclufiveren Abnehmerkreis
haben. Wir muffen bemerken, dafs die Papierconfedlionen der Firma Theyer &:
Hardtmuth grofsentheils lithographifch ausgeftattet find, während die Papier-
confe<5lionen von Syr^ & Neffe aus deren Kunftpräge-Anftalt hervorgingen.
Stahlfedern. So klein und unfcheinbar die Stahlfeder an und für fich
ifl, fo wichtig ift die Rolle, die fie als Schreibmaterial und als Handelsartikel
fpielt. Enorm find die Quantitäten, welche jährlich in Birmingham von diefem
Artikel erzeugt werden, enorm die Summen, welche für das Erzeugnifs nach
England fliefsen. Nur über wenige Verbrauchsartikel herrfchen fo verfchiedenc
und irrige Meinungen im Publicum, als über diefes Schreibinftrument. Wir erach-
ten es daher als nicht überflüffig, in einem Berichte über Schreibmaterialien diefe
Anflehten zu berichtigen und die beftehenden Irrthümer anfzuklären.
Das Haupt-Rohmaterial, aus welchem Federn fabricirt werden, bildet
der Stahl. Diefer Stahl muls von der feinftcn Sorte und durchaus gleichmäfsig im
Korn fein, und es ift und bleibt Stahl das Hauptmetall, aus dem Federn verfertigt
werden, indem kein anderes Metall und keine Metall-Legierung eine folche Ela^
fticität und Dauerhaftigkeit befitzt, wie der Stahl. Die fogenannten Gutta-Percha-,
Cement-, Aluminium-, Kupferfedern, und wie fie fonft alle heifsen mögen, find nicht
aus Gutta-Percha, Aluminium, Kupfer etc. gemacht, fondern aus Stahl, was auch
immer die Ankündigungen fagen mögen. Der zur Federnfabrication zu verwen-
dende Stahl wird in Blechform gewalzt und ift es dabei von der gröfsten Wichtig-
keit, dafs die Walzen, die in ihrer Arbeit begreiflicher Weife bei einem Metalle
wie Stahl einen koloffalen Widerftand finden, genau und feft auf einander laufen,
und auch nicht ein Jota abweichen, denn ein Unterfchied in der Stahlblech-Dicke
von auch nur 2 bis 3 Percent ift genügend, um eine Feder merklich härter oder
weicher zu machen. Welche Aufmerkfamkeit diefe Arbeit des Walzens erfordert,
mag dieThatfache erklären, dafs eine Stahlfedem-Blechdicke durchfchnittlich den
hundertften Theil eines Zolles beträgt, und dafs alfo 2 bis 3 ja felbft 40 und noch
mehr Percente in einer Blechdicke einen winzigen, mit dem blofsen Auge nicht
mehr wahrnehmbaren, aber bei der Feder doch wichtigen Unterfchied machen
Je ftärker das Blech, defto dauerhafter die Feder, das heifst defto länger behält
der Stahl feine Federkraft, defto länger widerfteht die Feder den äufseren, fchäd-
lichen Einflüffen; aber je ftärker das Stahlblech, defto ftärker nützen fich die zur
Fabrication nöthigen Werkzeuge aus, denn Stahl mufs Stahl verarbeiten. Fabri-
kanten dünner und fich fchnell abnützender Federn erfparen fomit an Menge de>
Stahlbleches, fowie an Erneuerung und Reparatur ihrer Werkzeuge, was bei den
Herftellungskoften fchwer ins Gewicht fällt und auch grofsentheils den dem Laien
oft unbegreiflichen Preisunterfchied bei fertigen Federn verfchiedener Fabrication
erklärt.
Ift der Stahl gewalzt und das Blech geniu für die anzufertigende Feder
paflend ausgefucht, fo wird zunächft mittelft einer Mafchine die Form der Feder
in flachen Blättchen ausgefchlagen; eine ziemlich einfache Arbeit, die aber doch
grofse Aufmerkfamkeit und GewifTenhaftigkeit erfordert, indem die in der Mafchine
arbeitenden Werkzeuge ftets haarfcharf gefchliffen erhalten werden muffen (wa^
oft in der Stunde mehrere Mal Nachhilfe erheifchen kann), indem fonft der wich-
tigfte Theil der Feder, die Spitze, fehr leicht leidet. Die Feder ftellt bis jetzt nur
ein ganz einfaches Stahlplättchen vor, welches nun als zweiten Procefs in anderen
Schreib-, Zeichen- und Malerrequifiten. 27
MaTchinen die zur Regulirung der Elafticität nothwendigen Löcher (Lückchen)
oder Seiter.fpalten bekommt. Die Federplättchen find noch immer ziemlich hart,
und muffen nun, um die nächften Proceffe zu paffiren, ausgeglüht, das heifst weich
gemacht werden. Nachdem diefs gefchehen, wird den Plättchen der feiten fehlende
Name* oder eine Verzierung eingeprägt und erft dann bekommen fie in einer
weiteren Mafchine die aufgebogene, kielförmige Form. Die Feder ift nach diefer
Procedur noch ganz weich, fo dafs fie wie Blei hin- und hergebogen werden
kann, und mufs jetzt gehärtet werden. Diefer Procefs geht in fogenanntenHärten-
üfen (Muffles), wo die Federn beinahe bis zur Weifsglühhitze erhitzt werden, vor
fich. Die Abkühlung gefchieht in Oel, welches die Qualität des Stahles weniger
beeinträchtigt als Waffer. Die fo gehärtete Feder ift äufserft fpröde und läfst fich
mit den Fingern zerbröckeln. Der Stahl ift wieder harter Gufsftahl geworden, den
die härtefte Feile nicht angreift und dem nun, um Elafticität zu erlangen, die
heikliche Procedur des Temperircns bevorfteht. Durch längeres Erhitzen kann
bekanntlich der harte Gufsftahl wieder weich und bleiartig gemacht werden,
wobei er bei fteigender Hitze zuerft eine leichte gelbliche, dann nach einander
eine goldgelbe, purpurrothe, blaue, lichtblaue, grünliche und zuletzt, wenn wieder
weich, eine weifse Farbe annimmt. Es ift, wie wenn das kurze Korn des Gufsftahles
nach und nach eine geftreckte, faferartige Form annehme und dadurch die Elafti-
cität gewänne. Diefes Nachlaffcn oder Temperiren der Federn gefchieht in
Trommeln über einem gelinden Feuer und ift am heften dem Röften des Kaffee's
/.u vergleichen. Die Federn werden fo lange geröftet, bis fie eine tiefblaue Farbe
angenommen haben, in welchem Status der Härte der Stahl die dauerhaftefte
Elafticität befitzt. Die Feder bedeckt nunmehr eine Art härtere, fprödere Rinde,
Epidermis, welche an den Spitzen und oberhalb des Spaltes da, wo die Haupt-
adlion der Feder beim Schreiben fitzt, durch Schleifen entfernt wird. Die Feder
gewinnt dadurch bedeutend an Elafticität. Erft, nachdem die Feder gefchliffen,
was bei den mittleren und befferen Sorten ftets der Fall ift, wird fie gefpalten
und zwar wieder auf einer neuen Mafchine, deren Einrichtung im Principe der
Scheere zu vergleichen ift. Ein richtiger gerader Spalt ift eine der Hauptbedin
gungen einer guten Feder.
Die Feder wäre nun fo ziemlich fertig; um aber zum Gebrauche tauglich
zu werden, mufs fie erft von den noch anhängenden Schlacken gereinigt und
gefcheuert werden; die Spitzen muffen ihre fcharfen, kratzenden und in das
Papier einfchneidenden Kanten verlieren. Diefs gefchieht durch tagelanges
Scheuern in verfchiedenen Ingredienzien, und je länger diefs fortgefetzt wird, defto
fanfter und angenehmer geht die Feder, defto glänzender weifs wird fie.
Weifs ift die Grundfarbe jeder fertigen Stahlfeder, und die verfchiedenen
Farben, in denen der Artikel im Handel vorkommt, find eben lediglich und nichts
Anderes als Farben, welche je nach dem dazu verwendeten Lacke oder gal
vanifchem Metallüberzuge variiren, die aber mit der eigentlichen Qualität der
Feder fchlechterdings nichts zu fchaffen haben. Ein Lacktiberzug fchützt natürlich
die Feder gegen fchnelleres Roften, ebenfo galvanifche Metallüberzüge, und von
diefen find leicht verftändlich die aus edlen Metallen, namentlich Gold, am zweck-
dienlichften. Federn, die ein fo koftbares Gewand bekommen, find auch ftets
befonders forgfältig angefertigt.
Sehr viel hängt allerdings in diefem Artikel von einer guten Waare, noch
mehr von der richtigen Wahl der Feder ab. Erfte Bedingung ift, dafs eine gehörige
dicke Schreibunterlage, kein zu fchlechtes Papier und eine gute flüffige Tinte benützt
wird. Ift die Feder für den Schreibenden zu hart oder zu fpitzig, fo mufs eine
weichere, refpe<5live ftumpfere Sorte gewählt werden; läfst die Federstriche
* Federn, denen keine Firma aufgeprägt ift, fondern nur eine allgemeine Bezeichnung
wie: Correfpondenzfeder, Schulfeder, Patentfeder etc., gehören zu den geringften ErzeugnilTen
denen der betreffende Fabrikant defshalb feinen Nameu nicht geben mag.
28 Ignar Nagel
aus, oder läfst fie Tinte fallen, fo ift fie für den Schreibenden zu elaftifch, oft
auch zu ftumpf. Es liegt ferner viel daran , ob die Feder fehr horizontal oder
fehr aufrecht gehalten wird, in welch' erfterem Falle eine Feder mit abwärts
gebogenen, in letzterem eine Feder mit geradllehenden Spitzen gewählt werden
mufs ; ebenfo verhält es fich, ob an einem horizontalen Tifche oder an einem
fchrägen Pulte gefchrieben wird. Federn mit aufwärts Hebenden Spitzen taugen
in der Regel nicht viel.
Wie aus Obigem erfichtlich, erfordert die fragliche Fabrication viel Sorg
falt^ tüchtig gefchulte Arbeiter und ganz befonders gut conftruirteHilfsmafchinen.
Diefs mag auch die Urfache fein, wefshalb fich die Stahlfedern-Fabrication faft
nur auf Frankreich und England, und auch hier nur auf Birmingham befchränkt.
Deutfchland hat nur eine, Oefterreich ebenfalls eine, die übrigen europäifchen
Staaten haben unferes Wiffens gar keine, Amerika foll zwei Stahl-Schreibfeder-
Fabriken haben.
Schwierig wie die Herftellung ift die Befriedigung der Anfprtiche des
Publicums in diefem Artikel. Es exiftiren mindeftens taufend diverfe Nummern
derfelben, und auch diefe Zahl genügt noch nicht, um alle Wünfche zu erfüllen.
Als Fortfehritt mufs es bezeichnet werden, dafs die Fabrication diefen Wünfchen
Rechnung trägt. Federn für zarte und fchwere Hände, für fehr dünne, feine, wie
für rauhe, ftarke Papiere, fowie für Pappendeckel, für Correfpondenz- und Buch-
führung, für Rond und Schnellfchriften, für autographifche und kalligraphifche
Arbeiten, für die feine, faft aller Schattenftriche entbehrende englifche und
amerikanifche , wie für die hebräifche und griechifche Schrift werden nun in allen
Härtegraden hergeftellt.
Ebenfo irrige Meinungen wie über die Fabrication beftehen über die
Erfindung der Stahl-Schreibfedem. Sicher ift, dafs fie eine Erfindung unferes
Jahrhunderts, und dafs England ihre Urfprungftätte ift. Dafs James Perry, wie
bisher häufig behauptet worden, ihr Erfinder fei, wird nun allgemein beftritten.
Sorgfältige Recherchen, die wir in Birmingham angeftellt, ergaben, dafs ein
Meffingarbeiter in Sheffield derErfte war, welcher auf die Idee kam, Schreibfedem
aus Stahl zu machen, und dafs ein Spängier, Namens Skipper in Sheffield, folche
Federn nachher in gröfseren Mengen verfertigte. Sein Sohn fährte diefe Idee
weiter aus, und zwar, wie es in der betreffenden Quelle heifst, vor nahezu fünfzig
Jahren. Ein in Birmingham befchäftigter Stahlfeder- Arbeiter erinnert fich genau,
im Jahre l8i6 in einer Hauptftrafse Sheffields an einem Fenfter die Anzeige
gelefen zu haben: „Hier werden Stahlfedern zu fechs Pence das Stück reparirt.**
In Birmingham war es ein gewiflTer Spittle, der Stahlfedern, aber mit der Hand,
verfertigte. Nach ihm waren es die Brüder John & "William Mitchell, die vor circa
ftinfundvierzig Jahren Stahlfedern im Grofsen, d. h. mittelft Mafchinen fabricirten.
Später trat dann Perry, der 1830 ein Patent für die erfte Stahlfeder erhielt, und
dann Guillot auf, welch' Letzterer die Fabrication bei Mitchell gelernt hatte.
Seit diefer Zeit haben fich in Birgmingham 11 bedeutende Fabriken etablirt,
die wöchentlich circa 140.000 Grofs Stahlfedern erzeugen. Eine der gröfsten und
leiftungsfähigften Fabriken ift jene von Jofef G i 1 1 o t and Sons, deren Erzeug-
nilTe der Lefer auf der Ausftellung gefehen , und wegen ihres höchft gefchmack-
vollen Arrangements , fowie wegen ihrer glänzenden Polituren bewundert haben
dürfte. Gillot erzeugt fehr folide Waare, und find deffen Buch-, Lithographie-,
und Autographiefedern befonders beliebt. Die ausgeftellten bunten und damascirten
Federn zeugen von vielem Gefchmack und von der Kunft, welch' reizende Form
man der kleinen Feder zu verleihen vermag; einen praktifchen Nutzen haben
diefelben nicht.
C. Brandauer war der zweite Repräfentant der englifchen Stahl-Schreib
federn-Fabrikation auf der Ausftellung. Ein Deutfcher von Geburt, koftete es
Brandauer viele Anftrengungen , um fich einen Gefchäftsboden und einen
Kundenkreis in England zu erkämpfen. Heute zählt die Firma zu den geachtetften,
Schreib-, Zeichen - und Malerrequifiten. 29
deren Producfle , die mit weniger Prätenfion auftreten , zu den folideilen und
brauchbarflen diefer Gattung. Eine mit 12 Spalten verfehene Feder lieferte den
Beweis, wie oft bei forgfältiger Behandlung des Stahles der fo fchwierige Procefs
des Spaltens ausführbar ift. Als eine praktifche Novität diefer Fabrik mülTen wir
die „ManyfoldPen" bezeichnen, die für Lineamente und Zierfchriften, weil mehrere
Striche in einem Zuge machend, von grofsem Werthe id.
Einen grofsen Federnvorrath hatte D. Leonardt & Comp, aus Birmingham
vorgelegt. Bei der Schwierigkeit, ftets genaue Mittheilungen über die einzelnen
Fabriken zu erhalten, mülTen wir uns auf die Wiedergabe jener Daten befchränken,
die uns zu Gebote flehen, ohne für deren Richtigkeit einftehen zu können. So
erfuhren wir, dafsGillot jährlich i Million, Leonardt 750.000, Brand-
aue r 5QO.OOO Grofs Stahlfedern producirt. Leonard , feit 1848 in Birmingham
etablirt. fabricirt feit 1867 nebft Stahlfedern auch Federhalter, Federfchachteln,
u. f. w. Deffen Fabrik arbeitet mit 455 meid weiblichen Perfonen, und wird durch
zwei Dampfmafchinen mit iio (?) Pferdekraft betrieben.
Als eine Specialität wird uns die urfprünglich als Signirfeder conftruirte
Stahlfeder bezeichnet , welche wegen ihrer Eignung zu breiten Strichen nun im
Orient häufigen Abfatz findet.
Eine gute Feder, wenn zu glattem Papier benützt, dünkt uns Leonard t's
Univerfalfeder mit zum Papier gebogener Spitze , mittelfl der fich fehr feine
Striche erzielen lalTen. Weniger praktifch däucht uns deffen Referve- (beffer
Refervoir-) Feder; nach kurzem Gebrauche wird das Refervoir unrein, der Zuflufs
flockt und da die Reinigung fich fchwer bewerkftelligen läfst , ift die Feder
unbrauchbar. Nach den eigenen Angaben fabricirt die Firma 4000 (?) verfchiedene
Sorten Federn, was wir indeffen bezweifeln muffen.
Englands Stahlfedem-Fabrication leidet momentan unter der Vertheuerung
des Rohmateriales, der Kohle und der Arbeitskraft, welche überdiefs nicht mehr
jene Stetigkeit befitzt, wie fie ihr bis vor kurzem nachgerühmt wurde. Deffen
ungeachtet werden in Birmingham jährlich circa 7 Millionen Grofs Federn erzeugt,
und in alle Welt verfendet.
Sollen wir den eigenthümlichen Charakter der englifchen Feder kenn-
zeichnen, fo muffen wir betonen, dafs fich diefelbe für kräftige Schriften, kräftiges
Papier befonders eignet, und daher kommt es. dafs man in England meift folide
und ftarke Federn aus beftem Materiale und mit grofser Sorgfalt fabricirt.
Sowie die englifcheStahlfedern-Fabrication fich auf Birmingham befchränkt,
ift jene Frankreichs auf Boulogne für Mer localifirt. Der Bezug des Stahles aus
Sheffield, verfchiedener Mafchinen und Werkzeuge aus anderen englifchen Orten,
vielleicht auch der Verbrauch englifcher Kohle erklärt diefen Umftand, wie er
anderfeits die Schwierigkeiten erklärt, mit denen diefer franzöfifche Fabrications-
zweig kämpft, deffen Etabliffements feit Jahren auf drei befchränkt geblieben.
Der Krieg , welcher Frankreich heimgefucht , hat auch diefer Branche grofse
Nachtheile gebracht , unter denen der Abbruch aller Gefchäftsbeziehungen und
Erhöhung der Arbeitslöhne nicht die geringften find. Und dennoch ift auch hier
das Erzeugungsquantum feit 1866 von 2,660.000 auf 3,500.000 Grofs im Jahre
1872 geftiegen.
Elegant und gefchmackvoll wie die meiften franzöfifchen Expofitionen
war auch die ihrer Stahlfedern. Aus der erften Fabrik Frankreichs , der von
Blanzy, Poure& Comp, war eine eben fo prachtvolle als reichhaltige Samm-
ung von Stahlfedern und Federhaltern ausgeftellt ; feiner Schliff, exadle Adjuftirung,
gefällige Präfentation und folide Arbeit kennzeichnen die erfteren Produ<5le,
grofse Mannigfaltigkeit fowohl bezüglich der Mufter als des Materiales , feine,
gefchmackvolle Ausführung die letzteren. An Stahlfedern erzeugt die genannte
Firma jährlich 2,400.000 Grofs, an Federhaltern 120.000 Grofs, deren erftere
einen Werth von 1,500.000 Francs, die letzteren einen folchenvon 380.000 Francs
repräfentiren ; 180 Arbeiter und 720 Arbeiterinen bilden das Arbeitsperfonal ;
oO Ignaz Nagel.
die Triebkraft beträgt 120 Pferdekräfte , die jährlichen Arbeitslöhne 600.000
Francs. P. F. Lebe au, der zweite franzöfifche Exponent, arbeitet mit geringeren
Mitteln , erzeugt aber nichtsdefloweniger recht hübfche , wenn vielleicht auch
etwas geringere Waare als vorgenannte Firma; feine mehrfpaltigen Federn find
befonders bemerkenswerth. Die Summe feiner StahlfedernErzeugnifle beträgt
800.000 Grofs per Jahr. Sehr viele der franzöfifchen Federn werden, um ein
fchönes Deffin zu erzielen , erft gefärbt und nachträglich gefchliften, um als
letzten Procefs das Spalten durchzumachen, was die Federn verfchönert, aber nicht
verbelTert. Trotzdem man'in Frankreich fich des feineren Papieres zur Correfpon-
denz bedient, confumirt das Land meifl harte, fpitzige Federn. Als Specialitäi
diefer Branche gilt G. Bac in Paris, der fich ausfchliefslich mit der Erzeugung
von Federhaltern, Tintenzeugen, Feder- und Streufand-Büchfen befafst, und fich
ein Renomme in diefen Artikeln fowie in der Verfertigung metallener Oefen
erworben hat. Ueber die Leiftungsfähigkeit der Fabrik flehen uns keine Daten
zur Verfügung.
Die d e u t f c h e Stahlfedern-Firma war nicht auf der Au.sflellung erfchienen ;
dagegen war die öflerreichifche Stahlfedern-Fabrik von Carl Kuhn & Comp,
in Wien reich und glänzend vertreten. Eine grofse Menge Federn der diverfeften
Sorten von allen Härte- und Breitegraden, in den variabelften Farben, mit ein und
mehrfachen Spitzen, von gröfserer oder geringerer Biegung, kurz jedem Bcdürfnifle
und jedem Verwendungszwecke Rechnung tragend , ward hier zur Anfchauung
gebracht , und gab ein gefälliges Bild von der pninklofen, aber foliden Streb-
famkeit der genannten Firma, die fich durch Einführung der Stahlfeder in Oefter-
reich ein befonderes Verdienft erworben. Eine anerkennenswerthe Idee lag in
der Darftellung der verfchiedenen Fabricationsproceffe durch Vorführung der
Stahlbleche in den einzelnen Stadien der StahlfederFabrication, fowie in der
Veranfchaulichung der Federhalter-Producflion vom gefchnittenen Holzblock bis
zum polirten Federlliel. Ueber die Produdlionsmenge der hiefigen Fabrik, welche
40 Arbeiter befchäftigt, konnten wir keine genügenden Daten erlangen ; wir
wiffen nur, dafs das Erzeugnifs, welches theils im Inlande, theils in Deutfchland,
Rufsland, Rumänien und Griechenland Abfatz findet, ein fehr folidei>. kräftiges
i(l, und die Kuhn'fche Feder an Elafticität von keiner anderen übertrofTeu wird.
Die Summe aller in den angeführten Staaten erzeugten Stahlfedern beträgt
circa 10 Millionen Grofs per Jahr, die aus 1600 Tonnen Stahl gewonnen werden.
G o 1 d f e d e r n. Der erfte Verfuch, Federn mit folchen Spitzen zu verfehen,
welche den ätzenden Einflüffen der Tinte widerftehen, datiren vom Beginne diefes
Jahrhunderts, und wurde zuerft in England gemacht. Glas, Schildpatt, Bein wurden,
mit Metallfpitzen verfehen , zu Federn benützt ; diefe rohen Verfuche bewährten
fich nicht, trugen aber den Keim einer nützlicheren Erfindung in fich. John Ifaak
Hawki ns, ein in England lebender Amerikaner, machte Schildpattfedem, an die er
Diamant- oder Rubinfpitzen löthete; bald darauf gelang es ihm, Goldfedern mit
Spitzen von Iridium und Osmium* herzuftellen. Die Goldfeder in ihrer jetzigen
Vorzüglichkeit und Vollendung ift das Produ<5l von F. Mordan in London, da>
lieh einen Weltruf erworben, den es auch in der diefsjährigen Ausftellung bewährt
hat. In Amerika wurde die Goldfeder 1840 durch einen Uhrmacher Levi Brown
eingeführt , und ift diefelbe nun zu einem fehr beliebten Schreibinftrument
geworden. Der befte Goldfedern-Fabrikant ift unftreitig Leroy Fairchild&
Comp, in Newyork. Sein Ausftellungskaften barg einen reichen Schatz von Gold-
federn, Feder- und Bleiftifthaltern, goldgefafsten Kautfchukhaltern u. f. w. Aufser
* Osmium und Iridium finden fich in den Platina-Krzen ; beim Schmelzen derfelben
entweicht ein Theil des Osmiums als Osmiumfaure und hintcrläfst eine Legirung in GeAalt von
Hanffamen-Kürncrn, welche mit einem Hammer in kleine Splitter ;;efchlagen, und dann mittelft
SchnelUoth an die Spitze der Goldfeder gelöthct werden. Diefe Osmiumfpiizcn haben den
V'orlheil, dafs fic durch Sauren nicht angegriffen werden und der Oxydation widerftehcn.
Schreib-, Zeichen» und Malerrequifiten. 31
<len Genannten hatten Morton James & Johnfon Ephraim beffere Sorten
Aluminiumfedern mit Goldfpitzen. Brown J. A. & Comp, folche mit Diamant-
fpitzen, fowie Specialitäten in Bleiftift- und Federnfchiebern in Aluminium, Perl-
mutter etc. ausgeftellt; Neals S. & Comp, in London brachte fehr hübfche Porte
Crayons in Gold. Pyro, Silber, Elfenbein, Stachelfchweinhorn etc., Schletter
in Birmingham Feder- und Bleiftifthalter aus Perlmutter und Schidplatt. L e o-
nardt & Comp, in Birmingham ftellte hübfche Crayons aus. die von Whiley in
Birmingham angefertigt find.
Die von Maurice de Leon (London) und Lohay Louis Jofephe (Paris)
aasgeftellten Federhalter mit Refervoir (Porte de l'encre) erfüllen den Zweck,
dem fie dienen follen, nicht, da die Tinte fich bald in dem Cylinder anfetzt, und
den ferneren Austritt der Flüffigkeit hemmt, während das Reinigen des Refervoirs
fall unmöglich ifl.
Tinte. Von Allen Schreibmaterialien, die uns die Gegenwart in fo voll-
kommener und mannigfaltiger Weife darbietet, kann keines fich auf ein fo langes
Dafein berufen als die Tinte.
Die Tinte, deren man fich in der Vorzeit bediente, beftand indefs nur aus
Kohle oder Ofenrufs. Die Tinte der Römer aus Kohlenllaub mit Gummi oder
Leim, in Eflig zerlaffen, präparirt, war eine fehr gute, wie diefs die in Herculanum
und Pompeji ausgegrabenen Handfchriften beweifen. Der gelehrte Engländer
Blagden meint, die Erfindung der älteflen, chemifch zufammengefetzten Tinten fei
fchon im IX. Jahrhunderte gemacht worden, aber erft in den Handfchriften des
XIII. und XIV. Jahrhunderts fei Vitriol bemerkbar; noch im Anfange des
XV. Jahrhunderts blühten in Böhmen unter König Wenzel Rufstinten-Kochereien,
die indefs fpäter gänzlich durch chemifche Tinten verdrängt wurden. In der
neueren Zeit, und zwar ungefähr bis zum Jahre 1830, war die fogenannte Gallus-
tinte die einzige allgemein verbreitete Schreibflüfllgkeit für Schule und Haus.
Da es in der Natur keine fchwarze im Walter lösliche Farbe gibt, welche
fich für fchöne fchwarze Tinte eignen würde, fo war der in den Galläpfeln im
Vergleiche mit anderen gerbftoflfhaltigen Vegetabilien reichlich vorhandene
Gerbftoff in Verbindung mit Eifen das einzige Schreibmittel, welches feiner Billig-
keit halber häufig angewendet wurde. Eines fo guten Rufes fich indefs auch die
Galläpfel-Tinte erfreute, fo entfpricht diefelbe doch den Anforderungen derNeuzeit
nicht mehr. Profeffor Runge, eine in der Tintenfabrication erfahrene Autorität,
behauptet, dafs felbft eine nach den genaueflen chemifchen GrundlUtzen aus Gall-
äpfel, Eifenvitriol und Gummi dargeftellte FlülTigkeit noch immer keine Tinte gi t,
wie fie fein follte, die nämlich keinen Bodenfatz, keinen Schimmel bildet, fchwarz
aus der Feder fliefst, feft am Papier haftet, durch Säuren keine Veränderung erlei-
det, und, was das Wichtigfle ifl, die Stahlfedern nicht angreift. Einer unferer
renommirteften Tintenfabrikanten bekräftigt diefes Urtheil und fagt, dafs keine
Fabrik eine Gallustinte liefern kann, welche fchwarz aus der Feder fliefst. Ifl die
Gallustinte in dem Tintenglafe foweit gekommen, dafs fie fchwarz fliefst, fo bildet
fich auch fchon ein Niederfchlag, und wenn man foviel Gummi zufetzen wollte,
dafs der Niederfchlag fich nicht abfetzen könnte, fo würde man eine Tinte
erhalten, mit der man wegen DickflüiTigkeit nicht fchreiben könnte.
Einen wefentlichen Fortfehritt brachten die Jahre 1830 bis 1835, in welchen
die fogenannte Alizarintinte erfchien. Wir fagen fogenannte, weil fie von Alizarin
nichts als den Namen befitzt, den man ihr defshalb beigelegt, um Nachahmer,
deren es in diefem Artikel immer die Menge gegeben, auf eine falfche Fährte zu
führen. Das Produ<5l ifl nichts als eine verbefferte Gallustinte, die indefs der
früheren Gallustinte defshalb vorzuziehen ifl, weil fie, blaugrün aus der Feder
fliefsend, in Kurzem dunkelfchwarz erfcheint. viel flüfTiger ifl als Gallustinte, und
deren Beflandtheile durch Zufatz von fchwefelfaurem Indigo als leichtlöslichem
Farbfloffe dem Niederfchlage viel weniger ausgefetzt find, als die früher genannte
3
32 i«"»^ N«g«'-
Tinte. Ein grofser Nachtheil diefer Tinte ift der, dafs fie die Stahlfedern leichter
angreift, und wenn, wie diefs bei der heutigen Fabrication fehr oft der Fall, das
befchriebene oder zum Copiren verwendete Papier flark chlorhaltig ift, bald
nachgilbt.
Nichtsdeftoweniger ift die genannte Tinte eine der beften Schreibflüffig-
keiten. Das Verdienft, diefelbe in Oefterreich eingeführt zu haben, gebührt Leon
hardy, das Verdienft ihrer Verbefferung Popp & Comp, in Prag. Durch deren
ftets gleich gutes Fabricat fand diefelbe in Oefterreich eine faft allgemeine
Verbreitung.
Es wird mit diefer Tintenforte viel gefiindigt, viel Nachahmung getrieben
die den Ruf des Fabricates fchädigen.
Der früher nur auf grofse Handlungshäufer befchränkte, feit dem Jahre 1840
aber allgemein gewordene Ufus, Gefchäftsbriefe zu copiren, hat zur Darftellung
einer neuen Tintenforte, der Copirtinte geführt, bei der leichte Copirfähigkeit
die erfte, Haltbarkeit, Unveränderlichkeit der Farbe die weiteren Bedingungen
find. Bis zum Jahre 1860 wurde diefe Tintengattung zumeift aus den' Auslande
bezogen oder in fchlechten Nachahmungen hier fabricirt Um diefe Zeit ver-
fandte die Tintenfabrik von Julius Hofmaler (nun Heinrich Roedl) in Prag.
Mufter von Copirtinten, welche bis auf den Umftand, dafs fie nicht fchwarz,
fondern violett waren, alle erforderlichen Eigenfchaften in fich vereinigte. Diefe aus
Blauholz extrahirte, mit diverfen chemifchen Subftanzen verfetzte Tinte hat den
feltenen Vorzug, dafs fie jener ätzenden Säuren ermangelt, die den Papierleim zer-
fetzt, die Feder angreift und in der Schrift nach einiger Zeit jenen roftigen Stich
bewirkt, der fich auch auf die Copie überträgt Ein weiterer Vortheil ift deren
Billigkeit und Verdünnungsfähigkeit, falls fie zu anderen als Copirzwecken ver-
wendet wird, fowie deren gute Confervirung nach längerer Aufbewahrung.
Die intenfiv fchwarze Documenten-Doppelcopirtinte diefer Firma ift der
vorbefchriebenen aus dem Grunde vorzuziehen, weil fie gleich fchwarz fchreibt,
fchwarz bleibt, und fchöne fchwarze Copien liefert.
Seit Erfindung der Anilinfarben wurde der Tintenmarkt noch um ein
Produdl, die Anilintinte vermehrt, welche aus waflerlöslichen Anilinfarben erzeugt,
fich durch grofse Dünnflüffigkeit auszeichnet, bisher jedoch meift nur in farbigen
Fabricaten wie brillant, violett, und blau erzeugt wurde, weil es fchwierig ift, eine
im Waffer lösliche Anilinfarbe herzuftellen. Auch diefe Tinten erfreuen fich der
fchönen Farben halber einer grofsen Beliebtheit. Zur Ausfertigung von wich-
eigeren Schriftftücken, wie für A<5len, kaufmännifche Correfpondenz und Buch-
führung foUte man jedoch nur Tinten von bewährten Firmen nehmen, weil die
fchlechteren Gattungen in der Regel fehr bald verblaffen und das Gefchriebene in
kurzer Zeit unleferlich wird.
Die vielfach im Handel vorkommenden Tintenpulver find abgedampfte
Tintenprodudle, deren Erzeugung infoferne von Wichtigkeit ift, als fie für die
Reife, fowie für den Export, um den Transport des Waffers zu erfparen, fehr
vortheilhaft find.
Die Ausftellung war mit Tinten reichlich befchickt. Sogar aus Brafilien
und den Vereinigten Staaten waren verfchiedene Sorten eingelangt, über die wir
jedoch, wie Über die vielen Tinten anderer Länder kein Urtheil abgeben können,
da eine Unterfuchung in vielen Fällen nicht geftattet, Mufter nicht zu erhalten
und ein Einblick in die Jury-Protokolle nicht zu erlangen war, ein eingehendes
Urtheil über Tinten aber nur dann möglich ift, wennman diefelben einer längeren
Beobachtung unterziehen kann. Die beften vorhandenen Tinten waren:
Aus England: Alizarin- und Copirtinten von H. C. Stephens in
London, die den beften Ruf geniefsen; die fehrhübfche Schreibtinte von William
Lyons in Manchefter.
Aus Frankreich: von A n t o i n e p^re & fils, Paris, deffen Encre violette
noire eine der fchönften fchwarzen Copirtinten auf der Ausftellung war, die ftini
Schreib-, Zeichen- und Malcrrcquifiicn. 33
Copien auf einmal ermöglicht; ebenlo ift feine tieffchwarze unauslöfchliche
Tinte wunderfchön, nur etwas fcharf ; feine blaue Tinte leichtflüffig haltbar und
gut, dabei fehr gefällig,* Encre Persane, Encre Syrienne, Encre noire triple,
Encre bleue, von Maurin in Paris, die alle als gute Tintenforten bezeichnet
werden mülTen; die violettfchwarze Copirtinte von Gardot in Dijon gut und
düflig fchreibend ; Eugene Roy in Paris hatte die wunderbarfte grüne Tinte
gefendet: Pleffy Mathieu fehr hübfche farbige Tinten.
Aus der Schweiz: Die Tinten von Brunnfchweiler & Sohn in
S<fl. Gallen, aus denen wir die Superior-Copirtinte und eine fchöne Carmintinte
hervorheben, während Dr. Merk in Frauenfeld eine intenfiv rothe Copirtinte
darflellt, die prächtig copirt und dauerhaft fcheint, fowie feine Anilintinte eine
liebliche Färbung befitzt.
Aus Italien, das diefe Ausftellung quantitativ und qualitativ am reich-
lichllen befchickte, von den Firmen To ff oli Luigi figli in Padua Copirtinte von
fchöner, fchwarzer und fchwarzblauer Farbe; von Marauefi & Mafetti in
Bologna, der fchöne und gute Schreib- und Copirtinte; eine concentrirte fchwarze
von der italienifchen Regierung mit Decret belobte, dann eine blaufchwarze Schreib
und Copirtinte, von Giufeppe Ferretti in Trevifo, die beide als ausgezeichnete
Fabricate bezeichnet werden müITen; tieffchwarze Schreib- undCopir-, dannCarmin-
und grüne Tinten von Guocchi in Mailand, leicht fliefsend und fchönfarbig ;
Copirtinte, die fehr blafs fchreibt, aber fchön fchwarz wird, fowie fympathetifche
Tinte von Gu e r i n e in Florenz, erftere fehr empfehlenswerth ; gute Copirtinte von
Dellachä in Moncaglieri bei Turin; gute, flüiTige, röthlich-fchwarze Tinte
von M a r g i n i in Reggio ; gute Tinte ohne fchädliche Subflanzen von Panzarafa
in Cafale; eine fehr gute fchwarze, rein copirende Tinte unter dem Namen
Inchioflro felfmeo von G ra t ti ni Serafino in Bologna; eine gute röthlich fchwarze
Copirtinte unter der Bezeichnung Inchioftro communicativo von Romani Aug.
in Fano; eine gleichfalls gute Tinte diefer Gattung von C o lomb ari Serafino
in Vincenza; eine fchwarze , gut aus der Feder fliefsende Schreib- und Copirtinte
vonFabbi & Comp, in Bologna**
Aus Spanien: Eine fehr fchöne tieffchwarze Schreib- und Copirtinte von
.\lcaras in Madrid. Aus Schweden: Eine forgfaltig bereitete leichtflüffigeZeolin-,
Schreib- und Copirtinte grünlicher Farbe aus der technifchen Fabrik von B a r-
n an gen in Stockholm. Aus Norwegen: Eine fogenannte franzöfifche Schreib-
und Copirtinte von Holmens in Crilliania, fchreibt röthlich und wird fehr hübfch
fchwarz. Aus Dänemark: Eine fehr hübfche Blauholz-Tinte, die leicht aus dei
Feder fliefst, violett fchreibt und hübfch fchwarz wird, von Röming in
Kopenhagen. Aus Belgien: Violette Tinte von angenehmer, dem Auge wohl-
thuender Farbe von van der Veld en aus Lüttich; dann diverfe, gut zubereitete
fchwarze und farbige Tinten von Planche in Brüffel. Aus Deut fc bland:
Beyer Ed. in Chemnitz, bekannte vorzügliche Tintenerzeugniffe , die fich eines
guten Rufes erfreuen; fchöne fchwarze und farbige Tinten von Reinh. Fetz er in
Berlin, deren Depefchentinte nach dem aufliegenden Album befonders gut zu fein
fcheint; Ledertinte, Schreib-, Copir- und Luxustinten von Rapp in Ulm.***
Aus Rufsland: Schwarze Comptoirtinte , ganz blafs fchreibend und
fchwarz werdend, von Lankowsky und Liccop aus Mitau ; gute, erfl etwas
blaffe, in tiefes Schwarz fich verwandelnde, dann röthliche Schreibtinte, die tief
fchwarz und glänzend wird, von Kadiffon in Warfchau, vorzügliches Präparat
• L. Antoine in Paris hat eine der bcfteingcrichteten Tintenfabriken in Frankreich
und befchäftigt in diefem Artikel, fowie in Leim, Siegellack und Oblatenfabrication 40 Arbeiter.
*♦ Wir haben der nachftehendcn Produ(5le eingehender gedacht, weil viele derfelbcn
von der Jury gänzlich unbeachtet geblieben, woran unfcrcs Erachtens der begleitende ita-
lienifche CommifTar die Hauptfchuld trägt.
♦** Ucber die übrigen Tinten des deutfchen Reiches haben wir kein Urtheil, da wir
weder Einficht noch Mufter erlangen konnten.
3*
34 Ignaz Nagel.
Aus Oefterreich haben aufser dem bereits erwähnten R o e d c 1 in Prag,
Gebrüder Müller in Pefl, Andreazzi Hartmann & Mittler in Wien,
Dr. Thenius in Wiener-Neufladt den verfchiedenartigften Anforderungen ent-
fprechende Tinten zur Ausftellung gebracht; zu den heften fehr beliebten Tinten
mufs der fogenannte Reformextra<5t, eine tieffchwarz fchreibende und Verdünnung
durch Waffer vertragende Tinte von Ferd. F ri tfc h in Wien, dann deffen flüffiger
Tufch fowie concentrirter Camiin und aufgelöfter Grünfpann für architektonifche
Arbeiten gezählt werden.
An Merktinten und Zeichentinten find hervorzuheben: die von Black
wood & Comp, in London (Ictoline), die von Bonds John in London, fowie
die von Dr. Jacob fohn in Berlin, der nebft einer aufsergewöhnlich fchönen
rothen Merktinte auch hübfche Anilinfarbe ausgeftellt hatte.
Zum Schluffe mufs noch eines hieher gehörigen Artikels, nämlich eines
Tintenfaffes erwähnt werden, das als „Magic Inkftand" bezeichnet und von dem
behauptet wird, dafs es mit Waffer gefüllt ohne Zufatz einer Tintenflüffigkeit hin-
reiche, um durch zehn Jahre täglich zehn Seiten zu fchreiben. Diefes Tintenfafs
wurde in der englifchen Abtheilung der Ausftellung verkauft und feit Schlufs der-
felben in den Handel gebracht. Die Wahrheit ift, dafs fich auf dem Boden des
Tintenfaffes ein mit einer Tintentin<5lur getränktes Beutelchen oder ein Schwamm
befindet, der an das eingefüllte Waffer eine dunkle Flüffigkeit, aber nur dann
abgibt, wenn mit der Feder ftark auf dasfelbe gedrückt wird, ,aber auch in
diefem Falle ift die Flüffigkeit von zweifelhafter Farbe ; bei gewöhnlichem Ein-
tauchen der Feder ift die Tinte blafs wäfferig, das „Magifche Tintenfafs** ein
H u m b u g.
Siegellack. In England und Frankreich, welche Länder in erfter Reihe
berufen find, denüberfeeifchen Bedarf an Siegellacken zu decken, wird die Fabri-
cation diefes Artikels trotz der Nürnberger Concurrenz und trotz des allgemeinen
Gebrauches der gummirten Briefcouverte und der Siegelmarke, noch immer äufserft
fchwunghaft betrieben. Die englifchen Fabriken haben vor Allem den Vortheil,
dafs fie der Bezugsquelle des Hauptbeftandtheiles, des Schellacks am nächften
find, dafs fie diefen und die übrigen Rohftoffe auf dem Weltmarkte nach Bedarf
und Gefchmack wählen können, und dafs ihre Zinnober und Farben feit jeher
von erften Chemikern und Technikern tadellos präparirt werden, dafs mit einem
Worte alle für die Erzeugung eines fchönen und guten Siegellackes erforder-
lichen Bedingungen in reichem Mafse vorhanden find.
Die englifchen Erzeugniffe auf der Ausftellung rechtfertigten denn auch
die gute Meinung, welche man von den dortigen Lacken in der Regel hat.
Die Siegellacke, die Hill in London in langen Stangen vorlegte, dann
die Brieflacke von Stephens, J. C. & J. Field in London und von Lyons in
Manchefter zeichneten fich durch ihre helle Farbe und Reinheit im Bruche, das
fchwarze Siegellack von Lyons durch feinen befonderen Glanz aus.
Frankreich liefert fehr fchöne Lacke in allen Farben, adjuftirt diefe zier
liehen netten Stangen, unterftützt von derKunftfertigkeitderCartonnagefabrikanten,
in eleganten Etuis, die wiederum mit reizenden Etiquetten, lachenden, heiteren
Farbendruck-Bildern, verfehen werden und fteht in der Erzeugung von Luxus-
lAcken jedenfalls unerreicht da. Einen fprechenden Beweis für das Gefagte
bot die Expofition von Toiray-Maurin in Paris, der in der Bereitung und
Adjuftirung feiner Siegellacke einen hohen Grad der Vollkommenheit erreicht
hat, während Berger^s Expofition (Paris) meift nur mittelfeine Waare bot.
Boyer's Siegellacke zeigen von forgfältigerer Bereitung wie die vorgenannten.
Von den italienifchen Siegellacken verdient nur das von Ottavianello &
Söhne in Rom erwähnt zu werden.
Im deutfchen Reiche fteht Nürnberg durch Maffenprodu(5tion befferer
Waare in der Siegellackfabrica tion obenan. Durch einen billigeren Bezug
Schreib-, Zeichen- und Malerrequifiten. 3o
von fchüneni Zinnober begünftigt, hat es fich durch feine beliebten Siegellack-
Formen durch eine gute Mittelwaare und billige Preife einen ziemlich grofsen
Markt für diefes Bureaumaterial erobert und fowohl Oefterreich als Frankreich
in billigen Sorten erfolgreiche Concurrenz gemacht.
Elias Held Erben in Nürnberg, ein feit 1778 beftehendes Gefchäft, erfreut
fich längft eines guten Rufes in diefem Artikel, der durch die eingefandten Pro-
du<51e nur gewinnen konnte. In 80 verfchiedenen Farben lagen Siegellacke von
befler Bereitungsweife und in den gefälligften Formen vor; die der Firma gewor-
dene Auszeichnung mufs eine wohlverdiente genannt werden. Xebft diefem
hatte Berger^ J. in Valenddr a. R. mittelfeine, Rothe in I-übeck fehr
hübfche Siegellacke ausgeflellt, die ihrem Charakter als currente Handelswaare
ganz gut entfprechen. Von demFri<flions Siegellack van der M o 1 e n's (Geldern)
halten wir nicht viel.
Recht gutes , theilweife den frarizöfifchen Fabricaten imltirtes Siegellack,
hatten K ad ifohn in Warfchau und Li Ij anoff in Petersburg ausgefteJlt.Dah Wachs
tropft nicht, ift aber gut flüffig, prägt fich fchön aus, und hält fehr gut, das Pro-
ducl befitzt fo ziemlich alle von einem Siegellack gewünfchten Eigenfchaften.
Thalheim's (Rigaj Lacke find minderer Qualität.
Die öfterreichifche Siegellack-Fabrication hatte lange Zeit zu kämpfen,
bis fie auf dem Standpunkte anlangte, den fie heute einnimmt, und der es ihr
möglich machte, die ausländifche Concurrenz fad gänzlich aus dem Felde zu
fchlagen, die heimifchen Bedürfniffe felbfl zu befriedigen.
Namentlich waren und find es theilweife heute noch die Cursfchwan
kungen, dann der hohe Zoll, welcher den Bezug von ausländifchen Rohmateria
lien erfchwerte. Der inländifche Zinnober hat trotz mancher anderer guter Eigen-
fchaften nicht jenes Feuer, welches das deutfche und englifchc Producl in fo
reichem Mafse befitzt, und das für die Herflellung feiner Siegellacke erforderlich
ifl. Trotzdem find, wiegefagt, fremde, namentlich Nürnberger Produ(fle fad gänzlich
aus Oefterreich verdrängt worden.
Wer die fchönen Lacke, die A. F. Richter in Wien zur Ausftellung
brachte, genauer unterfucht, wird fich diefe Veränderung erklären können. Deffen
Produ<5l hat glänzende helle Farben, fchöne Prägung, ift feft und rein im Bruche,
brennt und fliefst fehr fchön, ohne zu rauchen, kurz das Producfl ift von befter
Qualität. Gutesund fchönes Siegellack verfertigt auch Schönwald in Peft, der
auch aufserhalb Ungarn Abfatz hat. Nebft den genannten verdienen Andre azzi,
dann Hartmann & Mittler in Wien für bcffere Waare in allen Farben, fowie
Klein in Prag, alles Lob fiir ihre Ausftellung.
M ehl ob late n wurden eingefendet : von Hill in London, Schmidt in
Nürnberg und Eder & Sohn in München. Maurin in Paris hat auch in diefem
Artikel vorzügliche Waare.
Zeichenrequifiten.
Blei- und Farbenftifte. Bezüglich näherer Mittheilungen ü])er die
Entftehung und Vervollkommnung des Bleiftiftes bis zu feiner gegenwärtigen
Vollendung auf unferen diefsfallfigen Bericht über die Parifer Ausftellung
vom Jahre 1867 verweifend, muffen wir uns heute darauf befchränken, nur
jene Punkte zu erörtern, die fich auf den jetzigen Stand der Bleiftift-Fabrication
und auf die in der Ausftellung zu Tage getretenen Momente beziehen. Leider
both die Ausftellung nur wenige Anhaltspunkte zur Befprechung der Bleiftift
Fabrication und der Fortfehritte auf diefem Felde.
England fowohl als die erften franzöfifchen Fabriken haben die Ausftellung
gemieden, und gewinnt es faft den Anfchein, als ob fie einen Vergleich mit Deutfeh-
land gefcheut hätten. — Seit dem Verfiegen der Cumberland-Gruben und feit der
Verwendung des Graphites aus den von Alibert entdeckten Gruben in Batougol
Ignaz Nagel.
in Sibirien zu Bleiftiften, hat eine Veränderung in der Fabrication befferer Bleiftifte
Platz gegriffen. Die bellen Zeichenftifte werden nicht mehr in England, fondern
in Stein bei Nürnberg gemacht. Diefs ift wenigftens das allgemeine Unheil,
welches aus den Zufchriften der erften Künftler Deutfchlands und Frankreichs,
wie Cornelius, Kaulbach, Ingres, Horace Vernet, Ifabey etc. zu lefen ift, die alle
erklären, dafs Faber's Polygrades-Bleiftifte, aus dem Alibert'fchen Graphit
erzeugt, die heften feien und alle neueren Produ<5le erfetzen oder übertreffen.
Es läfst fich nach dem auf unferer Ausftellung Vorgeführten nicht behaupten,
dafs andere als technifche Verbefferungen in der Bleiftift-Fabrication feit dem Jahre
1867 gemacht worden wären, aber die Ausftellung conftatirte abermals die That-
fache zur Evidenz, dafs Faber's Streben auf die Veredlung feiner Erzeugniffe
gerichtet ift; diefe Erzeugniffe find durchwegs Mufterfabricate. Dafs Faber's
Vorwärtsftreben nicht ohne Einflufs auf feine deutfchen Gefchäftsgenoffen bleibt,
zeigten die Producfle von Schwanhäufer (vormals Grofs berger & Kurz)
in Nürnberg. Die Erzeugniffe diefer Firma zählen zu den vorzüglicheren, und
CS mufs das Bemühen, in diefem Fache das möglichft Befte zu leiften, anerkannt
werden. InderFarbftiftFabrication hat die genannte Fabrik allen anderen Fabriken
den Rang abgelaufen und keine zweite Fabrik hat einen fo ftarken Verfandt in
folchen Stiften. Ihre OelkreideStifte werden in 48 verfchiedenen Farben und
Nuancirungen geliefert ; ihre Verwendung ift namentlich zu geometrifchen und
topographifchen Arbeiten, zu WerkftättZeichnungen in den Mafchinenfabriken
fehr zu empfehlen. Nicht unerwähnt können wir an diefer Stelle die guten Patent
ftifte von Haus in Nürnberg fowie die Porte-Crayons und Künftlerftifte von
R eher in Nürnberg laffen, welch' Letzterer allein jährlich 10.000 Grofs diefer
fchönen Waare verfertigt.
In Oefterreich befteht trotz des ausgezeichneten inländifchen Rohmaterials
und anderer für die Fabrication günftiger Bedingungen nur eine Bleiftift-Fabrik
von Bedeutung, jene von L. & C. Hardtmuth, die in Budweis (Böhmen) ihren
Sitz hat. Die fehr rührige Firma, welche 500 Arbeiter befchäftigt und mittelft
Dampfmafchine jährlich 300 Millionen Dutzend Bleiftifte, Paftelle etc. im
Werthe von 500.000 fl. erzeugt, beftrebt fich, den gefteigerten Anfprüchen
an das fo wichtige Schreib- und Zeichenproducfl möglichft gerecht zu werden,
und erftreckt fich ihr Abfatzgebiet nach Deutfchland, Frankreich, Italien und
Rufsland. .
Jofef Dixon Crucible Company, Jerfey-City in New- York, nennt fich
eine Firma, die mit Graphitftücken und Bleiftiften auf der Ausftellung erfchien.
Der ausgeftellte Graphit war von fehr fchöner Farbe, feft und haltbar, die daraus
gefertigten Bleiftifte in acht Härtegraden find von guter Qualität.
Schiefertafeln, elaftifche Tafel n und Schulhefte. Das Haupt
ftreben unferer Zeit ift dahin gerichtet, den Unterricht zu verbeffern, die Lehr-
mittel zu vermehren und fo nutzbringend als möglich zu geftalten.
Die vielen Schulhäufer auf dem Ausftellungsraumc gaben Zeugnifs davon.
Eines der zahlreichften Momente in der Maffe der ausgeftellten Unterrichtsmittel
bilden die vielen Schreib-, Rechen- und Zeichenhefte, die Menge von Schreib-
und Rechentafeln. So lagen in der American Rural School Schiefertafeln, deren
Rahmen zur Anleitung für Schreib- und Rechenunterricht dienen, während eine
Vorrichtung am Kopfe Zeichenvorlagen enthielt.
In der föchfifchen Unterrichtsabtheilung fand man Schreib- und Rechen-
tafeln aus lackirter Pappe mit eingedruckten Linien ; die Schrift oder Zeichnung
kann mit einem feuchten Lappen befeitigt, und das Heft wieder benützt werden.
Diefe Hefte von Wagner 6c Niezel in Dresden gehören zu den billigften
und praktifchften Schulgegenftänden. Höchft elegant ausgeftattet waren die von
Kugler in Nürnberg ausgeftellten künftUchen Pergament- und Schiefer-
tafeln.
Schreib-, Zeichen- und Malerrequifiten. 37
Auch diefem Schreibmaterial hat Faber feine Aufmerkfamkeit gewidmet;
in feiner Fabrik in Geroldsgrün werden Schiefertafeln für alle Schul-, Haus- und
Comptoirzwecke aus beftem Material und in elegantefler Form hergellellt und zu
Taufenden nach allen Richtungen verfendet.
L. & C'Hard tmuth verbinden mit ihrer Bleiflift-Fabrik eine folche für
elaftifche Schreib- und Rechentafeln, die fich als praktifch bewährten und eines
fehr guten Abfatzes erfreuen.
H.F.Hauptmann in Linz hatte ein reiches Sortiment von elaftifchen
Rechen-, Schreibtafeln etc. ausgeftellt ; die gleichfalls gut zu nennen find. Kruf s
in Graz künftliches Schieferpapier für Brieftafchen und dergl. nebft künfllichen
Schieferftiften. Sehr anerkennenswerthe Beiträge zu diefen Unterrichtsmitteln
haben Ignaz Fuchs in Prag und A. Löwi & Comp, in Wien mit ihren mannig-
fachen hübfchen und billigen Schulthecken geliefert.
Zeichenpapier. Obgleich es nicht Aufgabe diefes Berichtes ift,
Papiere in feine Befprechung zu ziehen, fo fei doch der VoUftändigkeit wegen
hier auf die heften ausgeftellten Produkte diefer Gattung hingewiefen. Unter diefen
flehen die herrlichen Papiere von Blanche t fr^res & Kleber, Canfon &
Montgolfier, dann die Soci^t6 anonyme des Papeteries du Marais in Frank-
reich obenan; Sau nders in Dartford, England, folgt unmittelbar; in Deutfch-
Innd find J. W. Zaun ders in Gladbach, Gebrüder H o e fch, H. A. Scholl er
Söhne, dann Hoefch& Schleicher in Düren die erften Fabrikanten diefer
Branche; in Oefterreich find die Fiumaner, Ebenfurther, Neufiedler, dann die
Schlöglmühler Fabricate als die heften bekannt.
Albert Eckftein in Wien hat foeben diefes Zeichenmaterial um ein
neues, gutes Produ6l, nämlich durch ein für Zeichenzwecke eigens präparirtes
vegetabilifches Pergamentpapier, vermehrt, das für Zeichnungen, kartographifche
und topographifche Aufnahmen um fo verwendbarer ift, als die betreffenden
Arbeiten durch Näffe keinen Schaden leiden. Für Schulzwecke ift diefes Zeichen-
material wegen feines Widerftandes gegen Radirgummi , feiner Feftigkeit und
Billigkeit wegen ganz befonders geeignet.
Pauspapier. Von diefem für Zeichner höchft wichtigen Verbrauchs
material haben ausgeftellt: die vorerwähnte Firma Canfon fr^res & Montgol-
fier ihr rühmlich bekanntes Papier v^g^tal, in gewohnter Güte und Feinheit ;
Gebrüder L eichtlin in Carlsruhe, ebenfalls eine der renonimirteften und älteften
Firmen diefer Branche (feit 1823 beftehend), präparirtes Pauspapier von aus-
gezeichneter Qualität; Emil Holtzmann in Speyer vorzügliches, Schleicher &
SchüU in Düren fehr gutes Pauspapier ; Rheiner & Vogel in Schwelm bei
Elberfeld gute Paus- und Transparentpapiere; Jof. Schön waffer in Neufs
(Rheinprovinz), als Specialift für Bereitung von vortrefflichem vegetabilifchem
Pergamentpapier bekannt, und fchliefslich Diehm in Ettlingen ein i 44 Meter
breites fchönes Produ<5l, fowie auch Bormann Nachfolger in Berlin unter feinen
Malerrequifiten Pauspapiere exponirte.
Malerrequifiten.
Obgleich England in der Malerkunft nicht den erften Rang einnimmt,
o wird doch felbft von den in diefer Branche fehr competenten Franzofen zuge-
geben, dafs die englifchen Malerfarben andere derlei Fabricate weit über-
treffen. Um fo bedauerlicher ift es, dafs die englifchen Erzeuger diefer Produkte
der Ausftellung gänzlich fern geblieben find.
Aus Frankreich, das nach England die heften Malerfarben producirt.
waren nur zwei Ausfteller : Les fils de B. M. P a i 1 1 a r d , Succ. und Bourgeois
atn^ aus Paris erfchienen, welch* Letzterer hübfche Aquarell- und Pafte)lfarben
fabricirt. Die Hauptforce diefes Gefchäftes richtet fich auf die Darftellung giftfreier
38 Ignaz Nagel
Farben, worin es Erfolgreiches geleiflet hat. Das erflgenannte Haus, 1788 vonLam-
bertye gegründet, und 1842 an die gegenwärtige Firma übergegangen, ift nicht nur
einer der alterten, fondern auch würdigflen Repräfentanten diefes Faches in Frank-
reich. Seine Thätigkeit erstreckt fich auf die Da ftellung von Paftell-, Aquarell- und
Oelfarben, ferner auf die Präparation feuchter Farben für Freskomalerei, auf Farben
in Schalen für Miniaturmalerei, fowie für Photographie , auf die Bereitung von
Lacken, Maler-Leinwand und Malerpinfeln und neuerer Zeit auf die Verfertigung
von Portecrayons. Sowohl die matten als transparenten Oelfarben diefer Firma
find wunderfchön ; feine Carmin- und Indigofarben von einer Kraft und einem
Feuer, wie fie feiten gefunden werden. Eine Specialität diefer Firmen find fehr
gute Kreideflifte. Eines befonderen Rufes erfreuen fich die Oelfarben wegen ihrer
leichten Trocknungsfähigkeit und Haltbarkeit.
Von fehr fchönem Colorit find die feuchten Farben, mit befonderer Sorg-
falt zubereitet die Aquarellfarben von B runnf ch w eile r & Sohn in St. Gallen.
Auch Dr. Merk in Frauenfeld hat folide haltbare Farben eingefendet.
Die Vereinigten Staaten fandten Zwei Glaskäften mit Malerfarben,
wovon der eine Chas. Mofer & Comp, in Cincinnati gehörend, eine reiche Aus
wähl von Oelfarben in grofsenTubes enthielt; die Farben waren aus gutem Material,
höchfl forgföltig zubereitet und hatten fich trotz ihres Alters von circa acht Monaten
fehr gut confervirt. Der Karten Janentzky's (Philadelphia) enthielt trockene
Malerfarben in allen Farben und Nuancen, dem Anfcheine nach fehr hübfch, der
Unterfuchung aber nicht zugänglich.
Eine vollftändige Sammlung von vorzüglichen Malerrequifiten enthielt die
Ausftellung von H. Bormann Nachfolger in Berlin, der ein fpecielles Material
magazin für Künrtler hält und die Fabrication diefer Materialien im Grofsen
betreibt. Die Tufch- und Aquarellfarben von Au mü 11 er in München find eine
allgemein bekannte gute Waare ; als ausgezeichnet muffen die Oelfarben von
Kreul in Nürnberg bezeichnet werden. Dr. Jung aus Arnftadt debutirte mit
einer Sammlung hübfcher Kinderfarben. A. Martin in Stuttgart ift wegen feiner
guten Malerfarben vortheilhaft bekannt. Ebenfo Wagner -Günther in Hannover,
der fchöne Farbencaffeten mit feinen Waaren, befonders technifchen Farben brachte.
In Oerterreich geniefsen Anreiter's Aquarellfarben einen guten Ruf,
den fie durch die ausgertellten fchönen Producfle neu begründet haben. Auch die
gleichen Producfle von Komarekin Pilfen waren gut präparirt. Sehr verdienftlich
hatte Neumann in Wien ausgertellt; als befonders gut muffen deffen Honigfarben
wegen ihrer Haltbarkeit und Ausgiebigkeit bezeichnet werden, und ift zu bedauern,
dafs die Produdle Neumann 's von der Jury gänzlich ignorirt wurden. A.Maurer
hatte nebft feiner Malerleinwand feine Oelfarben für Künftler ausgeftellt, die
wirklich unter die vorzüglichften Fabricate diefer Branche zu zählen find.
Zu den werthvollften Colle<flionen von Malerfarben der verfchiedenartigften
Gattungen mufs die Japan efifche gezählt werden. Der einheimifche Ocker und
Zinnober ift berühmt, deffen Behandlung macht ihn zu einem echten Kunftmaterial.
Tufche. Die Bereitung der echten chinefifchen Tufche ift trotz der
zahlreichen Mittheilungen in technologifchenZeitfchriften und Werken noch immer
ein Geheimnifs, das auch durch die neueften Ausftellungen nicht enthüllt
worden ift. Sicher ift nur, dafs fich die Chinefen zur Herftellung ihrer Tufche des
Kienrufses (Chinn Me oder Kinn-Mak), des Leimes und gewiffer ätherifcherOele
bedienen und dafs vielen derfelben wohlriechende Subftanzen beigemengt werden.
Die Vorzüge der Tufche hängen hauptfächlich von der Bereitung des Rufs-
schwarzes ab. Das Rufsfchwarz zu Primaforten wird durch langfame und forg-
fältige Verbrennung gewiffer Oele gewonnen. Das Gefafs (die Lampe), mittelft
deffen die Verbrennung vorgenommen wird, und in dem fich ein Binfendocht
befindet, ift oval und derart conftruirt, dafs während der Verbrennung des Oeles
faft jeder Luftzutritt ausgefchloffen ift und der durch den Verbrennungsprocefs
Schreib-, Zeichen- und Malerrequifitcn. ;^9
entflehende Rufs fich an den Wänden des genannten Gefäfses anlegen mufs. Aus
diefem Rufse wird die fogenannte Nanquintufche bereitet. Die fernere Bereitungs-
weife befteht darin, dafs man in ein mit Rufs gefülltes irdenes Gefafs eine
kochende Auflöfung von Leimwaffer giefst, die beiden Subflanzen durch Umrühren
gut vermifcbt, dann erkalten läfst, und wenn die Maffe hinreichend feft geworden,
mit dem Formen beginnt. Die Formen fmd in länglich viereckigen Platten von hartem
Holz gefchnitten, die mit Zeichnungen (Marke, Firma etc.) eingravirt fmd. Aufdiefe
Weife bilden fich kleine Stangen, die man an der Luft trocknet worauf die an den-
felben eingedrückten Zeichnungen mit Farben, meifl jedoch mit Gold bemalt werden.
Die heften Tufchforten, zu denen nur geruchlofer, vollkommen gereinigter
Leim verwendet, und denen SefamÖl oder irgend ein Balfam beigefetzt wird, erkennt
man andern Glänze ihres Bruches, dem feinen Korne und an ihrer leichten Zerreibbar-
keit und Ausgiebigkeit ; der Geruch ift niemals ein richtiges Erkennungsmittel, weil
auch nachgeahmte, fchlechte Fabricate oft dasfelbe Aroma haben. Die meiften der
ausgeftellten chinefifchen Tufche waren nicht Primawaare und ermangelten der vor-
züglichen Eigenfchaften, welche fonft diefen Fabricaten in fo hohem Grade eigen find.
Die Bereitung der j apanefifchen Tufche ift wenig verfchieden von
der oben befchriebenen. Der Lampenrufs fammelt fich an einem über der Lampe
angebrachten Deckel und wird dann mit vorzüglichem Leim, aus Ochfenhaut
bereitet, verletzt. Das zum Speifen des Dochtes verwendete Oel ift entweder fehr
feines Rübfamen* oder befler Sefamöl. Das Kneten der Mafle gefchieht mit den
Händen in einem mit doppelten Wänden verfehenen kupfernen Troge. Die Maffe
wird ebenfalls in hölzernen Formen geformt, und auf warmer Afche zwifchen
Papierlagen langfam getrocknet; zu den feinften Sorten wird als Parfüm Borneo-
kampher, wovon das Pfund circa loo fl. koftet, oder Safflorextraöl genommen.
Trotz der fehr forgfaltigen Bereitungsweife und des fehr hohen Preifes fteht der
japanefifche Tufch weit hinter dem chinefifchen zurück. Ein von der chinefifchen
Commiffion ausgeftelltes grofses Tableau mit Tufchen war der Unterfuchung des
Berichterftatters nicht zugänglich, doch fcheint es belfere Fabricate enthalten zu
haben, da es das Jurymitglied diefer ClalTe für fich acquirirte. Die übrigen aus-
geftellten Mufter waren von keiner befonders guten Qualität.
Die fogenannte Schreibtufche wird aus gewöhnlichem Kienrufs und Leim
bereitet, und ift zum Zeichnen nicht zu verwenden.
Eine der feltenften Sammlungen von Tufchen hatten Gebrüder L e i c h 1 1 i n
aus Carlsruhe zur Anfchauung gebracht.
In Frankreich fowohl als auch in Deutfchland werden gleichfalls Tufche
angefertigt, allein die Verfuche zur Nachahmung der echten chinefifchen Tufche
haben bisher nicht zu dem gewünfchten Refultate geführt, was umfomehr zu
bedauern ift, als die befte echte chinefifche Tufche nur feiten zur Ausfuhr gelangt.
Paillard aus Paris und Bormann Nachlolger hatten unter ihren Maler-
rcqurfiten auch Tufche vorgelegt.
Malerpin fei. Für diefen in vollendeter Weife nur fchwerherzuftellendcn
Artikel hat die diesjährige Ausftellung nur wenig Anhaltspunkte zu Vergleichen
geboten. Weder England noch Frankreich hatten fich — wenn wir von der
kleinen ColleölionPinfel abfehen, denen Paillard einen Winkel in feinem Maler-
requifiten-Kaften einräumte — an diefer Ausftellung betheiligt.
Und doch ift Frankreich oder eigentlich Paris der erfte Platz, die Schule
für diefen Fabricationszweig ; Beweis delTen die Lieferung von Taufenden von
feinen Pinfeln nach London, das felbft fehr viele und tüchtige Pinfelmacher auf-
weift, fowie die Anzahl von 2000 Arbeitern, die fich mit diefem Artikel befchäf-
tigen, delTen jährlicher Umfatz ciica 3 Millionen Francs beträgt.
Auch das erfte deutfche Haus Meunier in München fehlte. Dagegen
zeigte das von der Firma C. G. Beifsbarth in Nürnberg ausgeftellte Tableau
von Malerpinfeln eine Reihe der verfchiedenartigften Pinfel vorzüglicher Qualität.
Die feit 30 Jahren beftehende, ebenfo thätige als ftrebfame Firma hat fich einen
4U Ignaz Nagel. Schreib-, Zeichen- und Malerrequiflten
guten Ruf in diefem Artikel erworben und» verfendet ihre durch iio Arbeiter
erzeugten Producite, deren Erzeugungswerth fich im Jahre 1871 auf 120.000 fl.
belief, nach allen Richtungen, namentlich nach überfeeifchen Ländern. Neben der
vorgenannten betreiben Gebrüder Gönne rm a n n in Nürnberg die Pinfelfabrication
im Grofsen (mit 167 Arbeitern), und wie aus ihrer Expofition erfichtlich, mit
fchönem Erfolge. Ihre Pinfelcollecition enthielt eine Auswahl fehr hübfcher
Fabricate zu mäfsigen Preifen. Der dritte im Bunde war Schufter & Behlen
mit Pinfeln für fpecielle Zwecke, nebft welchen fie auch gute Malerpinfel liefern.
Mit einer faft completen Sammlung von Pinfeln waren die betreffenden
Käften der chinefifchen und j apanefifchen Abtheilung ausgeftattet. Die
in China ausgelegten Albums, auf Reispapier gemalt, beweifen, dafs den dortigen
Künftlern ein fehr gutes Material zu Gebote fteht, und dafs fie auch in der Pinfel-
fabrication viel Gefchick befitzen.
In Wien, dem Sitze der öfterreichifchen Malerkunft, der Mufeen und
Inflitute für bildende Kunft, dem Wohnorte fo vieler Maler, Decorateure, Archi-
tekten und Photographen, befafst fich auffallender Weife noch immer Niemand mit
der fabriksmäfsigen Erzeugung diefes gewifs lucrativen Artikels, und find unferc
kunftbetreffenden Confumenten noch immer auf den Bezug ausländifcher Fabri-
cate angewiefen.
Maler-Leinwand. Auch von diefem Malermateriale war nur wenig zur
Ausftellung gebracht worden, und das Befte unter diefem Wenigen war unftreitig
das Produ<5l von Anton Maurer in Wien. Die in neun verfchiedenen Sorten, und
zwar in einer Breite von *4 ^is 26^/^^ demnach in einer Breite, wie fie in diefem
Artikel feiten vorkommt, fabricirte Leinwand ift fchon in der Webe als höchft
gelungen und tadellos zu bezeichnen; überdiefs fühlt fich diefelbe fehr weich
an, und was ein Hauptvorzug — fie ift dünn und gleichmäfsig grundirt.
Auch die von diefer Firma ausgeftellten Schultafeln und ölgrundirten Hinter-
gründe für Photographen waren fehr zweckentfprechend gearbeitet. Die Fabrik
exportirt fehr viel von diefem Artikel, befonders nach Amerika. Die guten DüfTel-
dorfer Produifle diefer Branche fehlten; Wurm in München hat Vorzügliches
geliefert. Bekanntlich liefert Frankreich die heften Maler-Leinwanden. Ihre Appre-
tur ift bis jetzt von keinem anderen Producfle erreicht worden. Auch in diefem
Artikel liefert Paillard Vorzügliches.
Mit guter Waare erfchien A 1 1 m a n n in Turin ; mit Sorten von theils
befferer theils minderer Qualität Serafino Frattini in Bologna.
R e i spap i er. Als in diefe Branche gehörend, muffen wir des Reispapieres
aus der chinefifchen Abtheilung erwähnen. Dasfelbe ftammt indefs weder von der
Reispflanze, noch befitzt es eigentliche Papierconfiftenz. Es ift eine fchwam-
mige, brüchige, fchneeweifse, oblatenähnliche Maffe, welche aus dem Marke einer,
befonders auf der Infel Formofa wachfenden Pflanze gewonnen wird, die in
die den Doldcnpflanzen naheftehende Familie der Araliaceen gehört, und Aralia
papyrifera Hook heifst. Diefes Reispapier hat die Eigenfchaft, dafs die darauf
gebrachten Farben fehr brillant und fammtweich crfcheinen, wefshalb es fich zur
Malerei und Fabrication künftlicher Blumen befonders eignet.
Wenn auch in den hier befprochenen Induftriezweigen keine aufserordent-
lichen, epochemachenden Erfcheinungen zu Tage getreten find, fo kann doch nicht
geleugnet werden, dafs auf allen Gebieten diefer ausgedehnten und vielverzweigten
Gruppe das einmüthige Streben herrfcht, der ihr zugewiefenen grofsen Aufgabe,
die Kunft und Induftrie, den Handel und Verkehr zu fördern, in mögfichfter
Weife gerecht zu werden.
BUCHBINDEREI, CARTONNAGEN
UND
MASCHINEN FÜR BUCHBINDER
(Oruppe XI, Secüon 4.)
Bericht von
Conrad Berg,
Verlags- Buchhändler und Buchbinder in Wien.
Seit die bildungsfähigen Völker des Erdballs die künftlichen Mittel erfonnen
hatten, den flüchtigen Gedanken durch die Schrift feftzubannen, fpielt das Buch
eine fo hochwichtige als fegensvolle Rolle auf Erden. Die Form des Buches aber
hat manche Wandlungen erlebt, ehe der Geift der Zeiten felbes des oft fo edlen
Inhaltes würdig fich entfalten lehrte. Vom mit Keilfchrift bedeckten Obeliske,
dem Runenftabe, der Papyrusrolle, den mit Wachs überzogenen und mit Griffel
befchriebenen Tabletten der Alten bis zu dem im prachtvoUflen Einbände
prangenden Album, welches den Toilettetifch einer Salondame der Neuzeit
fchmückt, blieb der Begriff des Wortes Buch fich gleich, nur die Form hat ficli
verändert.
Das Buch ifl der rafllos wandernde Bote, der aus dem unerfchöpflichen
Füllhorn des menfchlichen Geifles flets neue, unfchätzbare Gaben der dankbaren
Menfchheit überbringt und eine Bibliothek von Meifterwerken ifl theils eine
Apotheke für heilbedürftige Seelen, theils ein Arfenal des Geifles zu nennen, in
welchem deffen Siegestrophäen und unbefiegbare Waffen aufgefpeichert find.
Wie Richtig fchon unfere Vorfahren in altersgrauen Zeiten den Werth
diefer Geiflesfchätze erkannten, beweifl die Sorgfalt, womit die erflen Bücher-
fchreiber, meifl hochgelehrte Mönche, ihre theils felbfl verfafsten Werke, theils
die von fremden Autoren ins Lateinifche oder Deutfche übertragenen Werke
niederfchrieben und mit finnigen, nicht feiten mit meiflerhaft gezeichneten und
gemalten Vignetten und Initialen auszufchmücken wufsten; noch mehr aber
der complete, meifl mit Spangen von Eifen oder Kupfer verfehene Pergament-
einband, der Jahrhunderten trotzte und noch heute den echten Bibliophilen
wahre Hochgenüffe bereitet.
Damals freilich war ein folch' riefiges Buch, welchem vielleicht mehrere
fleifsige Mönche den gröfsten Theil ihrer Mufseflunden oft lebenslange geopfert
hatten, ein Unicum und wohl werth, vor dem nagenden Zahn der Zeit, den Motten
und anderen Bücherfeinden möglichfl befchützt zu werden
Wir glücklichen Kinder der Neuzeit find folcher fchwerer Sorge für die
Bücher, unfere geifligen Schätze, längft überhoben. Die Schuellpreffe liefert ein
*i2 Conrad Berg.
Buch, an welchem ein raftlos fleifsiger Mönch wohl fünf Jahre lang gefchrieben
hätte, in einem Tage in mehreren taufenden von Exemplaren, wir geben denfelben
ihrem Inhalte entfprechend mehr oder minder koftbare Einbände und wenn folch
ein Buch, und wäre es auch ein Meiflerwerk, zufällig zu Schaden käme oder ver-
loren ginge, jede Buchhandlung vermag uns den Verluft zu erfetzen und binnen
wenigen Tagen haben wir wieder das erfehnte Geifteskind, unfer liebgewohn-
tes Buch.
Mit dem Fortfehreiten der Cultur fteigert fich das Beftreben geifliger Mit
theilung in dem Mafse, als das Volk nach geifliger Nahrung lechzt und fo ift der
Büchermarkt ein Weltbedürfnifs geworden. So geiftig tief verfumpft ift wohl kaum
ein Bewohner der elendeften Waldhütte im Gebiete eines civilifirten Staates, dafs
nicht irgend ein Buch geiftlichen oder weltlichen Inhaltes ihm Troft in feiner Ein-
famkeit gewähren würde, fei es eine Bibel, ein Gebetbuch, ein Liederbuch oder
ein Völkskalender, er nimmt es gewifs in Stunden der Krankheit oder der Mufse
zur Hand und wie er darin blättert und fein vielleicht im Lefen wenig geübler
Blick mühfam die Worte entziffert, fällt allmälig ein Strahl des geiftigen Lichtes
in fein verdüftertes Gemüth und er findet in dem Buche einen theilnehmenden
Freund, einen willkommenen Tröfter und wohlwollenden Rathgeber.
Der Buchbinder ift fo zu fagen der Kleidermacher des Geiftes und wie im
gewöhnlichen Leben das Sprichwort lautet „Kleider machen Leute", fo ift es auch
auf Bücher anzuwenden. So manches, oft köftlichen Inhaltes übervolles Buch
wird von dem Kaufluftigen nicht beachtet, weil der Einband fchlecht, w^ohl gar
gefchmacklos ift, während ein daneben liegendes Büchlein fehr dürftigen
Inhaltes Gnade findet, weil es mit Goldfchnitt und Maroquineinband prahlt
und man einer Dame eine elegante Spende zugedacht hat. Dank dem Zeit-
geifte aber, find den wahren Rittern des Geiftes fowohl, als deren minder
berufenem Trofse bereits auch in Rückficht auf äufsere Erfcheinung entfprechende
Conceffionen gemacht worden.
Die Werke der Claffiker aller Nationen prangen längft (chon in Pracht-
bänden in den Auslagekäften der Buchhandlungen und fo winzig ein Poet auch
fein mag, der auf eigene Koften feine Lieder drucken liefs, er fcheute die Mehr-
auslage gewifs nicht, feinem Werkchen einen Einband beforgen zu lafTen, der
nicht feiten dem Lefer beffer gefallt als der Inhalt des ganzen Büchleins.
Gewifs, jedem gebildeten Befucher der Wiener Weltausftellung fielen defs-
halb, trotz der zahllofen Menge vonKunft- und Naturprodu<5len, die in der Rotunde,
den Transepten und zahlreichen Pavillons aufgefpeichert war, die gröfstentheils
brillant ausgeftellten Schätze derBuchbinder-Kunfl auf, und wohl mancher Bücher-
freund fchenkte fchon des geiftreichen Inhaltes mancher Werke wegen den von den
diefsfalligen Arbeitern diverfer Nationen mehr oder minder gefchmackvoll beforg-
ten Einbänden volle Aufmerkfamkeit.
Die Siegespalme gebührt unftreitig den in unferem Fache unübertreffli
chen Leiftungen Englands. Lebhalt zu bedauern ift der Umftand, dafs nur
ein britifcher Exponent in diefem Fache fein Vaterland vertrat ; doch es war
gewifs ein Würdiger! Jofef Zähnsdorf in London hat im edelften Sinne des
Wortes bewiefen, was England in diefem Artikel zu leiften vermag. Doch dort
ift auch für den kunftfmnigen Gefchmack mit Eleganz, äufsere Schönheit mit
dauerhafter Solidität verbindenden Buchbinder der befte Platz.
Der reiche Engländer ift gewöhnlich ein Freund grofser und koftbarer
Bticherfammlungen ; für den entfprechenden Einband eines Werkes zahlt er
den namhafteften Preis. Jede vortheilhafte Erfindung, die dem Buche oder dem
Lefer irgend einen praktifchen Nutzen gewährt, wird in England freudig acceplirt
und man fcheut für den diefsfalls nöthigen Apparat keine Koften. Das vortreffliche
englifche Papier und die fo finnig conftruirten, als nett und exa<5l arbeitenden
Mafchiren gewähren dem englifchen Buchbinder bedeutende Arbeitserleichterung.
Buchbinderei, Cartonnagen und Mafchintn für Buchbinder. ^3
Befonders die dort übliche , (Ireng eingehaltene Theilung der Arbeit bietet
unfchätzbare Vortheile und fo wird es unleren englifchen Gewerbsgenoffen
leicht , tadellofe , den rigorofeften Anforderungen vollkommen entfprechende
Arbeit zu liefern.
Der englifche Buchbinder weiht den einfachen Büchern, Prachtbänden und
Gefchäftsbüchern gleiche Sorgfalt, jeder Arbeiter übernimmt einen Theil der
diefsfälligen Arbeit. Das Falzen und Heften beforgen in England durchgehends
Frauenhände und weil der männliche gut gefchulte Arbeiter eben nur jenen Theil
der Buchbinder- Arbeit zu leiden hat, in welchem er als zumeift gefchickt fich
bewährt, kann das Gefammtrefultat der Arbeit nur das Günftigfle fein.
Zähnsdorf, höchfl verdienter Weife mit der Fortfchrittsmedaille bedacht,
exponirte fowohl einfach gebundene Bücher wie Prachtbände. Der Kenner mufs
geliehen, dafs das einfach gebundene Buch ebenfo forgfältig und zweckmäfsig
gearbeitet ift wie der überrafchendfte Prachtband. Befonders rühnlenswerth
zeigten fich zwei Exemplare von Dorne's Prachtbibel in Maroquin de Levante
gebunden mit färbiger Ledermofaik und reicher Vergoldung aus freier Hand.
Die Pracht der Farben-Zufammenftellung, der edle Stil der Zeichnung, die
meifterhaft ausgeführte Handvergoldung ftempeln diefe Bände zu wahren Kunft-
werken.
Die übrigen Einbände Zähnsdorf's find nach alten Modellen gearbeitet,
theils in Chagrin- und Schweinsleder mit blind geprefsten Ornamenten, theils in
polirtem Maroquin gebunden, mit Prefs- und Handvergoldungen gefchmückt.
Gefchäftsbücher waren von englifcher Seite nicht ausgeftellt, doch fei hier
erwähnt, dafs auch in diefer Arbeit, wie die Parifer Ausftellung 18Ö7 zeigte, an
eleganter Einfachheit, Solidität und Gebrauchsbequemlichkeit England das Belle
leiftete.
Frankreich. Den zweiten Rang behauptet wohl Frankreich. Wie
faft jeder, wenn auch noch fo geringe Gewerbs und KunllfleifsArtikel, den
Frankreich bietet, feiner Nettigkeit und Eleganz wegen den franzöfifchen Urfprung
nicht verkennen läfst, fo ift diefe Bemerkung vorzugsweife auf die Erzeugnifle
dortiger Buchbinderei anzuwenden. P'rankreichs Expofition können wir fchon
eingehender befprechen, da felbe wohl auch nicht fehr ftark, doch jedenfalls
mehr vertreten erfchien als die Englands.
Frankreich hat einfache Bücher, von in Papier gebundenen angefangen, dann
Prachtbände von verfchiedener Ausftattung, Gefchäftsbücher und Photographie-
Aibums ausgeftelUt. Wie weltbekannt, hat Frankreich in diefem Fache die
bedeutendften Firmen aufzuweifen, als deren gröfste unftreitig Alfred M a m e & filb
in Tours zu nennen ift. Ehe wir die Ausftellungsobjecle einzelner Firmen
beleuchten, fei es uns vergönnt, im Allgemeinen zu fagen, dafs Frankreich im
grofsen Ganzen in der Buchbinder-Arbeit England durchaus würdig zur Seite fteht.
Mag es in Frankreich auch einzelne Firmen geben, deren Arbeiten minder
minutiös und exa<5l fcheinen als die der englifchen, werden doch gröfstentheils
in Frankreich eben fo fchöne Buchbinder-Arbeiten geliefert wie in England
und das franzöfifche Buch befticht meift durch feine, faft coquet zu nennende
Zierlichkeit
Wie in England ift auch in Frankreich die Theilung der Arbeit wohlthätig
fordernde Gefchäftsfitte. Der franzöfifche Buchbinder arbeitet meift in Chagrin
und Maroquin de Levante; auf den Schnitt des Buches verwendet er die gröfste
Sorgfalt, worin er es auch zur höchften Vollkommenheit gebracht hat. Faft kein
Goldfchnitt wird in der Buchbinder-Werkftätte gemacht; das Buch kommt, nach-
dem es gefalzt, geheftet, gefchlagen und befchnitten ift zum Goldfchnitt- Verferti-
ger, deren es in Paris ziemlich viele gibt, die ganz felbftftändig arbeiten, aufser
den Gold- und anderen Schnitten mit keinerlei Arbeit fich befaffen und daher
natürlich hierin die höchfte Kunftfertigkeit gewonnen haben. In Frankreich
44 Conrad Berg.
werden alle Arten des Bücherfchnittes verfertigt, man marmorirt in allen Deflins,
macht rothe und blaue Schnitte, entweder glatt oder mit zierlichen Vergoldungen,
Arabesken, Kreuzchen, Sternchen etc. darauf, die mit Handflempeln ausgeführt
find; ferner Goldfchnitte, die unterhalb des Goldes marmorirt find, fo dafs die
Marmorirung erft fichtbar wird, wenn man das Buch in fchiefer Lage aufblättert.
Befondere Sorgfalt verwendet der franzöfifche Arbeiter auf cifelirte Schnitte, aus-
gefchabte und gemalte Schnitte. Seit circa zwei Jahren ift in Paris eine neue Art
von Schnitt üblich und zwar eine Marmorirung, die mit Goldadern durchzogen ift.
Charlot in Paris ift der Erfinder diefer neuen Schnittart, theilt aber feinen Fach-
genoflen die Art und Weife der Fabrication nicht mit.
Mame&fils, deren Ausftellungsobj edle das reichfte Lob aller Sachver-
ftändigen ernteten, verdienen eine eigene Befprechung.
Armand Mame, Vater des dermaligen Chefs der Firma Alfred Marne,
etablirte Anfangs diefes Jahrhundertes eine Buchdruckerei, die bis zum Jahre 1845
einen derartigen Auffchwung nahm, dafs Alfred Mame, der zu jener Zeit der
alleinige Eigenthümerderfelbenwar, die Arbeitslocalitäten bedeutend vergröfsern
mufste. Er verfah den Neubau mit weitläufigen Ateliers und ftellte dafelbft die
ausgezeichnetften Mafchinen auf, die wohl heute kein zweites Gefchäft aufzu-
weifen hat. Einige Jahre fpäter, als die clericalen Kreife Frankreichs heftige
Gegenftrömungen der Zeitverhältniffe zu ftören drohten, wurde das Bedürfnifs,
fich dem heiligen Sitze durch Annahme des römifchen Ritus fefter anzufchliefsen,
allgemein fühlbar. Die Geiftlichkeit, durch die Verfchiedenheit der kirchlichen
Gebräuche in den zahlreichen Kirchenfprengeln in Verlegenheit gefetzt, erfehnte
die Anordnung diefsfälliger Generalnormen, um der Einheit der katholifchen Reli-
gion auch in formeller Weife entfprechenden Ausdruck zu wahren. Diefer Wunfeh,
im Einklänge mit den Gefühlen des heiligen Vaters, ward erhört, und die Diö-
cefen Frankreichs, welche feit längerer oder kürzerer Zeit befondere Kirchen
gebrauche eingeführt hatten, kehrten mit Genehmigung der Ritusverfammlung
zum einheitlichen römifchen Ritus zurück.
Diefe Rückkehr erheifchte eine riefige Anzahl liturgifcher Bücher und
das Haus Mame übernahm mit aller Energie und Thatkraft, unterftützt von den
ihm zu Gebote ftehenden reichen PrefiTen und anderen Druckereibehelfen, die
diefsfälligen Lieferungen, indem es gleichzeitig ein koloflales Atelier für die
nüthigen Buchbinderarbeiten eröffnete. In manchen Gemeinden erheifchte der
Moment der Annahme des römifchen Ritus den Bezug von 100.000 Exemplaren
neuer Gebetbücher. Solchem aufserordentlichen Bedarfe konnte nur ein Eta-
blifiement entfprechen, welches riefige Ateliers für Buchdruck und Buchbinderei,
zahlreiche koftbare Mafchinen und vor Allem viele und tüchtige Arbeitskräfte ins
Treffen führen konnte.
Mame befchältigt in feinem Etabliffement über 1000 Perfonen, wovon
über 700 ausfchliefsend Buchbinderei betreiben.
Mame's Bücher find elegant gebunden, gefchmackvoll und folid gearbeitet
und ftaunenswerth billig, Vorzüge, die nur durch die unbeftreitbare Unübertreff-
lichkeit der Fabricationsmittel und durch den koloffalen Gefchäftsverkehr diefer
Firma erklärlich find; — beträgt doch der pecuniäre Gefchäftsumfatz des Haufes
Mame fechs Millionen Francs.
Die Buchbinderei beanfprucht drei weitläufige Säle, aufser den Magazinen,
wo die Vorräthe von Leder, Sammt, Seide, Pappendeckel und anderen RohftofFen
zu den fo verfchiedenartigen Gefchäftsgebrauche, fowie auch die koloffalen Vor-
räthe von gebundenen Büchern aufgefpeichert find. In zweien diefer Säle befor-
gen weibliche Arbeitskräfte das Falzen der Bogen, das Heften der Bände und das
Anbringen der Stahlftiche und Bilder. Im dritten Säle werden von mehr als 400
männlichen Arbeitskräften die zahlreichen Operationen ausgeführt, welche die
Vollendung der Buchbinderarbeit bedingen, als: Fabrication der Deckel und
Rücken, Marmoriren, Goldfchnitte machen, Präparation des Leders, Vergoldung
Buchbinderei, Cartonnagen und Mafchinen für Buchbinder. 4ö
mittelfl Preffe und aus freier Hand etc. etc. Einer Unzahl kleiner Handleillungen,
welche das fchwierige Gefchäft der Buchbinderei erfordert, will ich nicht erwäh-
nen, denn wo von der Firma Mame die Rede ift, verfteht fich deren treffliche
Ausfuhrung von felbft ; find ja doch alle Arbeiter mit den aufserlefenflen Werk-
zeugen verfehen und vertraut mit dem Gebrauche vorzüglich conftruirter Mafchi-
nen, nebftbei find fie überaus tüchtig und daher leicht im Stande, jede beflellte
Arbeit möglichll fchnell und doch tadellos zu leiden.
Mame liefert Bände in der befcheidenen Hülle von Schafleder, ebenfo
gediegen und nett gearbeitet, wie folche in fo gefchmackvoUer als reicher Gewan-
dung von Chagrin, Sammt, Maroquin, Elfenbein u. f. w., mit den feinden Cifelirun-
gen in kodbaren Metallen gefchmückt. Reiche Einbände feinder Art werden
nach von M. Giacomelli eigens für diefen Zweck gezeichneten Mudern ange-
fertigt.
Die Grofsartigkeit des Etablifiements Mame's zu bezeichnen, genügt die
Angabe, dafs aus deffen Buchbinderei täglich 2000 fertige Bände hervorgehen.
Mame's Leidungen wurden bisher auf allen Ausdellungen mit den erden Preifen
ausgezeichnet.
P. M. Lortic in Paris hat Luxus- und Prachtbände in reichder Auswahl
geliefert. Seine Bände, meid in polirten Maroquin de Levante gebunden, mit fär-
bigen Ledermofaiken und reichen Handvergoldungen gefchmückt, find von aus-
gezeichneter Schönheit. Seine Arbeiten zählen undreitig zu den mühfamden
diefcr Art, doch laden diefelben nicht feiten die nöthige Reinheit vermiffen, befon-
ders die Vergoldungen erfchienen bei einigen Bänden, fogar in geraden Linien
unrein. Lortic zählt fich wohl zu den Erden feines Faches und wähnt Alles,
was nicht von ihm ausgedellt fei, nicht der Beachtung werth, doch dürfte das
wohl ein etwas eitler Wahn fein, denn er hat noch manche Schwierigkeiten zu
überwinden, bis er zu dem Ziele kommt, welches Mame in feinen Prachtbänden
längd erreicht hat. Wenn man Prachtbände von Mame und Lortic eingehend
verglich, zeigte fich klar, dafs Letzteren doch die subtile Feinheit der Arbeit
fehlt, fowohl in der Bindart des Buches, als in Bearbeitung des Leders und der
Corre<5lheit der Handvergoldungen.
Die Gefchäftsbücher von DucroquetV. & fils in Paris excelliren durch
fehr fchöne Radrirung und Leichtigkeit der Auflegung, er verwendet zur Fabri-
cation des Buchrückens Kautfchuk, datt Leim, eine Verbefferung, welche fein
Vorgänger Robert im Jahre i843erfonnen hat. Ducroquet hält aber für nöthig,
trotz der Anwendung von Kautfchuk noch extra zu heften, was früher bei den
fogenannten „Kautfchukrücken ohne Naht" nicht gebräuchlich war.
Toiray-Maurin G. C. in Paris hat gleichfalls vortrefflich gebundene
Gefchäftsbücher ausgedellt. Dauerhaftigkeit und Solidität, Ermöglichung des
dachen Auflegens der dickleibigden Bücher find die Cardinaltugenden feiner
Arbeiten und fcheinen das Hauptziel feines Gefchäftsdrebens zu fein.
Gefchäftsbücher muffen ebenfo einfach als zweckentfprechend gebunden
fein und Toiray hat diefe Aufgabe höchd ehrenvoll gelöd.
Im Allgemeinen id Frankreich bezüglich der Fabrication von Gefchäfts-
büchern nicht minder ehrenvoll zu erwähnen wie z.B. Wien, doch den Standpunkt,
den England in diefem Fachzweige einzunehmen berechtigt id, haben wohl beide
noch nicht erreicht.
W.Marx in Paris, hauptföchlich Fabrikant von Photographie- Albums, hat
auch Leder - Galanteriewaaren ausgedellt , die in den Berichten der Gruppe X
gehören. Was defTen Albums betrifft, deren Fabrication zur Buchbinderei
gehört, hat Marx jedenfalls Gediegenes exponirt Die Albumblocks find dauer-
haft gearbeitet und die einzelnen Blätter mitteld Ledereinfätzen zweckmäfsig
verbunden. Die Decken, theils in Maroquin mit Mofaik und Vergoldungen
gebunden, gröfstentheils aber mit Bronce-, Silber- oder Emailbefchlägen verfehen,
find fo gefchmackvoU in der Zeichnung, wie correcfl in der Ausführung. Man kann
4b Conrad Berg.
Marx mit Zuverficht als den Fabrikanten der heften und fchönften Photographie
Albums in Paris bezeichnen.
Oefterreich war, wie faft in allen Fächern der Kunft und Induftrie, fo
auch im Gewerbefache der Buchbinderei ftark vertreten. Leider war denlnduftriel
len diefes Faches ein fehr fchlechter Platz angewiefen , und die Mehrzahl der
Befucher der Weltausftellung liefs fich durch einen Blick in den gedeckten
Hofraum von dem Betreten desfelben zurückfchrecken ; daher kam es, dafs diefer
befcheidene Punkt der Weltausftellung, obwohl er mitunter fo fehenswerthe, als
Oefterreichs Kunft- und Gewerbefleifse zur Ehre gereichende Schätze barg, fehr
fpärlich befucht war und während in der Rotunde und den Galerien oft vor einer
Ausftellung unbedeutender Handelsartikel , ja nicht feiten zwecklofer Spielzeuge
und Schnurrpfeifereien die Maffen der Schauluftigen fich ftauten, herrfchte in dem
der Buchbinderei geweihten Räume ein förmlicher Bibliotheksfrieden. Nur feiten
würdigten einige des Drängens in der Hauptgalerie müdePerfonen die Buchbinder
gruppe Oefterreichs eines flüchtigen Befuches und auch diefe kamen meift mit
theilnahmslofen, vom Befchauthaben zahllofer AusfteIlungsobje<5te bereits abge
ftumpften Blicken. Kein Arrangement irgend einer Gruppe bot ein fo confufes
Bunterlei der verfchiedenften Artikel wie eben die XI. Gruppe : Klauen, Kämme,
Schachteln, Blumen, Papier6, Tapeten, ordinäre Cartonnagearbeiten, Bürften,
Knöpfe etc. etc. befanden fich da in der gewifs nie erwarteten Gefellfchaft von
koftbaren Büchern. Auch das Arrangement der Aufftellung war ein total ver-
fehltes. Auf einer Seite ftand ein Riefenobjeöt : ein ganzes Haus als Vorder-
grund und hinter und neben diefem wieder kleine, unanfehnliche Käftchen und
Sächelchen. Der gedeckte Hofraum hatte noch nebenbei fehr fchmale Eingänge,
vier Fufs breite Thüren; der Hauptgrund, der die Menge vomBefuche desfelben
abhielt, war aber der, dafs die gedeckten Hofräume fünf Stufen tiefer lagen.
Die Ausfteller haben volle Urfache, lebhaft zu beklagen, .dafs man für die
riefige Summe, die fie der Expofition geopfert hatten , ihnen ftatt der gehofften
moralifchen Inte reffen, nur Aerger und Enttäufchung bereitet hat. Die eigentlichen
Buchbinder- Arbeiten wurden kaum gefehen und mancher geehrte Lefer diefes Be
richtes dürfte kaum fich erinnern, wo die öfterreichifche Gruppe XI ihren Platz hatte.
Oefterreich ift in der Buchbinderei feit den letzten Jahren bedeutend vor
gefchritten. Den unfchätzbaren Werth der geiftigen Nahrung hat Oefterreichs
Bevölkerung wohl längft erkannt , doch leider herrfcht bei uns noch nicht wie in
England und Frankreich im Allgemeinen die Vorliebe für koftbare Bücherfamm
lungen und daher erblüht dem Buchbiftder hier feltener als dort die Gelegenheit,
Prachtbände zu liefern.
Das grofse Publicum Oefterreichs will durchaus nicht einfehen, dafs ein
vollkommen gut und dauerhaft, nach der ftrengenRegel der Buchbinder-Kunft gebun
denes Buch theurer fein muffe, als ein folches, wenn es von minder geübter Hand
und mit geringerem Fleifse bearbeitet wird. Deutfchland liefert Einbände zu
fabelhaft billigen Preifen. Wohl hat das Buch meiftens eine fchöne, en reliet
geprefste, mit reichen Vergoldungen gefchmückte Leinwand Decke, doch die innere
wefentliche Struiflur des Buches ift fo vernachläffigt , dafs fie dem Publicum nie
genügen könnte, wenn felbes dafür das richtige Verftändnifs hätte. Es wird
wohl von einigen Firmen dahin gearbeitet, dem Publicum fchöne und zugleich
folide Einbände zu liefern und wir wünfchen vom Herzen, dafs diefes edle Streben
günftigen Erfolg haben möge. Man hört in Oefterreich fo häufig die Klage, dafs
man trotz des unleugbaren Fortfehrittes der Kunft, ein gut und elegant gebundenes
und dauerhaftes Buch doch nicht bekommen kann. Diefe Klage ift ungerecht,
geliefert kann ein folches Buch wohl werden, aber die diefsfällige Arbeit wird
nicht bezahlt
Ift es nicht ein am Kunft- und Gewerbefleifs Oefterreichs begangenes Unrecht,
wenn das wirklich intelligente, kunftfinnige Publicum, welches Bücherfammlungen
Buchbinderei, Cartonnagen und Mafchinen für Buchbinder. 47
nnd koilbare Einbände zu fchätzen weifs , die "Prachtbände meid aus Frankreich
bezieht oder dort beforgen läfst?
Man findet den dortigen Preis nicht zu hoch, würde aber für ein in Oefter-
reich ebenfo fchön und dauerhaft gebundenes Buch denfelben Preis für viel zu
theuer erklären. Der in Oefterreich fchlecht bezahlte Buchbinder foU noch über-
diefs gleichzeitig allen Arbeiten feines Faches gerecht werden, er foU in jeder
Richtung tüchtig fein !
Das ift nicht möglich, denn fad kein Gewerbe hat fo viele und fo ver-
fchiedene einfchlägigc Facharbeiten als das der Buchbinderei. Dem öfterreichi-
fchen Buchbinder fleht auch das zur Herftellung einer fehlerfreien Arbeit unum-
gänglich nöthige Materiale kaum zu Gebote. — Es ifl z. B. eine kaum glaubliche,
aber leider verbürgte traurige Wahrheit, dafs unfer Pappendeckel viel zu wünfchen
übrig läfst. Ihm fehlen Fefligkeit, Härte und Egalität, welche Vorzüge der fran-
zöfifche Pappendeckel im vollflen Mafse befitzt ; allerdings koflet derfelbe etwas
mehr als der öflerreichifche, und dafs wir diefes wichtige Material nicht in
gewünfchter Güte haben, mag der billige Preis, wofür man die Bücher gebunden
wünfcht, erklären. — Die in Oeflerreich und auch in Deutfchland fabricirten
Deckel geflatten keine fo reine Prefs- und Handvergoldung anzubringen , wie
folche in England und Frankreich üblich; der Pappendeckel ifl zu weich und
zu fandig. Der ordinärfle Deckel, welchen englifche und franzöfifche Buchbinder
zur Fabrication gewöhnlicher Hausbücher verwenden, ifl immer noch feiner
und glatter als unfere feinfle Pappendeckel • Sorte. Doch auch die öfler-
reichifchen Buchbinder trifft mit wenig Ausnahmen ein grofscr Theil der Schuld
hinfichtlich der Hemmung des Gewerbefortfehrittes. Wir haben Meifler aufzu-
weifen, die noch heute mit rührender Pietät ihre Arbeit genau fo fertigen, wie ihr
Grofsvater oder Gefchäftsvorgänger fie zu leiflen pflegte. Die glänzendflcn
Leiflungen Englands oder Frankreichs vermögen diefe in Ehren grau gewordenen
Zöpfe nicht aus dem gewohnten Geleife zu bringen ; fie fehen ein , dafs
fie weit, fehr weit zurückgeblieben find, während Andere im Sturmfehritte mit
dem Zeitgeifle vorwärts eilten; aber fie fagen mit dem naiven Trotze eines
fchmollenden Kindes: Wir wollen Frankreich und England nicht nachäffen!
Die Wahrheit zu fagen: wir find zu alt geworden, wir wollen nichts mehr
lernen ! deffen fchämen fie fich, und Oeflerreichs Glück ifl es, dafs junge, rüflige
Männer die Ehre des Gewerbeflandes encrgifch zu wahren beginnen, und der
junge Gefchäftsmann fchon längfl einfieht, dafs dem Geifle der Neuzeit gemäfs
der Meifler nie aufhören darf, zu lernen , denn der Vortheil feines Gefchäftes
bedingt es und die Concurrenz fchreitet, dem trotzigen Ignoranten hohnlachend,
rüflig vorwärts.
Wenn wir auch mit Recht behaupten können, dafs die öflerreichifche Buch-
binderei vorzugsweife in Wien in den letzten drei Jahren bedeutende Fortfehritte
gemacht hat, muffen wir doch pflichtgetreu bekennen , dafs wir noch fehr viele
Schwierigkeiten zu bewältigen haben, ehe wir uns mit den franzöfifchenEngroffiflen
unferes Faches zu meffen wagen dürften!
Es fei hier noch erwähnt, dafs es in England und Frankreich durchwegs
Gefchäftsgebrauch ifl, das Buch erfl dann mit Leder zu bekleiden, wenn die beiden
Decken (Pappendeckeln) bereits am Buchblock befefligt find. Der Block wird bis
zumGoldfchnitte fertiggemacht. Das Buch wird nämlich, nachdem es geheftet und
der Rücken mittelfl einerMafchine, die ihm gleichzeitig denFalz gibt, abgerundet
wurde, befchnitten. Die vorher je nach der Buchgröfse genau gefchnittenen
Deckel werden an der einen Seite mit Löchern verfehen und an den Binden
des Rückens befefligt ; dann erfl bekommt der Goldfchnittmacher das Buch in
die Hände und kann fich dann bei Beforgung des Schnittes genau nach den
Deckeln richten. Nach Vollendung des Goldfchnittes wird das bekleifterte
Leder über den Block gezogen und eingefchlagen. Nur bei folchem Vorgange
ift Gleichheit zu erzielen und das fertige Buch zeigt fich fcharfkantig, regel-
4
48 Conrad Berg .
recht gefchnitten. Bei uns verfährt man fchneller. Decke und Goldfchnitt
werden ganz feparat verfertigt und der fertige Block wird dann in die Buch-
deckel eingehängt. Diefes Verfahren erfchwert wefentlich das Zullandebringen
einer exa(5len , in allen Theilen gleichen Arbeit und feiten ftimmen durch
diefe Separatfabrikation Decke und Goldfchnitt dem Blicke wohlthuend
zufammen.
Dasfelbe gilt von dem Capital. Bei dem in Frankreich gebundenen Buche
ift gewöhnlich das Capital weibliche Handarbeit ; es wird am fertigen Goldfchnitte
mit bunter roher Seide in zwei, drei, auch vier Farben förmlich angewebt, wäh-
rend das in Wien von Mafchinen gelieferte Capital an den beiden abgefchnit-
tenen Enden mehr oder weniger ausfranfl. Mag ein in Oefterreich gebundenes
Buch noch fo exa(5l und regelrecht ausgeführt fein, das Capital, anfcheinend des
Buches geringfter Theil, ift die Achillesferfe der ganzen Arbeit und der Sach-
verftändige erhebt gegen die beanfpruchte Tadellofigkeit der Arbeit gerechten
Proteft.
Unter den öflerreichifchen Ausftellern ift Franz R o 1 1 i n g e r's Gefchäfts-
bücher-Fabrik in Wien vorzugsweife rühmlichfl zu erwähnen. Obwohl diefe Firma
fafl hauptfachlich mit der Fabrikation von Gefchäftsbüchern fich befafst, liefert
fie auch Prachteinbände jeder Art, gleich gefchmackvoll als gediegen gearbeitet
Rollinger's Ausftellung liefert den ehrenvollen Beweis, dafs die Buchbinder
arbeit in Wien nicht gegen die Leiftungen der Ausfteller anderer Weltflädte
zurückgefetzt zu werden verdient und dafs man auch hier fehr wohl den Anfor-
derungen der Zeit und der veredelten Bildung des Gefchmackes Rechnung zu
tragen verficht.
Rollinger's Gefchäftsbücher find fo zu fagen weltbekannt; ihre
gefchmackvolle Einfachheit und zweckentfj^rechende Solidität empfiehlt fie den
meifl praktifch denkenden Kaufleuten und wohl fchwerlich dürfte ein in Ehren
ergrauter Buchhalter, oder ein im Handelsfache prakticirender Jüngling wo
immer dem Gotte Mercur im Olymp und feinem Chef auf Erden treu dienen, der
nicht fchon in ein von Rollinger gebundenes Buch mehr oder minder namhafte
Summen oder Correfpondenzcopien einfchrieb. Rollinger verwendet bei feiner
Gefchäftsbücher-Fabrikation flets das befle Material und die Arbeit ifl bis in das
feinfle Detail eine höchfl folide. Ein Gefchäftsbuch ifl durchaus nicht beflimmt,
durch höchfle Eleganz zu imponiren; fchlichte Nettigkeit und Dauerhaftigkeit,
handliche Form und leicht zu bewerkflelligende Flachlegung der Blattfeiten find
die Hauptbedingungen, die der Gefchäftsmann diefsfalls zu flellen berechtigt ifl,
und Rollinger weifs diefe Grundbedingungen vollkommen zu erfüllen. Er ver-
leiht feinen Bänden durch leicht gehaltene, theils glatte, theils erhabene und
emaillirte Bronceverzierungen, Ecken u. f. w. eine gefällige äufsere Hülle, Papier
und Raflrirung find vorzüglich, letztere ifl mit nahezu unübertrefflicher Genauig-
keit ausgeführt. Die Bücher hiffen fich leicht flach auffchlagen, ein für den Buch-
führer hochfchätzenswerther Vorzug. Auch die anderen Einbände Rollinger's
find fo folid als elegant gearbeitet; meifl in englifcher und franzöfifcher Manier
gehalten, Aehen die Arbeiten Rollinger's den gedachten Muflerbildern wür-
dig zur Seite und find nach diefen unflreitig die heften. Rollinger wurde
höchfl verdienter Weife mit dem erflen Preis, der Fortfchrittsmedaille, aus
gezeichnet.
Leopold Groner in Wien liefert hauplfächlich Prachtbände und Diplom
decken, alfo eigentlich mehr Kunftleiflungen als Buchbinderarbeit. Seine Aus-
flellung zeigte uns leider kein einziges Buch ; fie befland in Diplomenveloppen
fammt dazu gehörigen CafTetten mit reichen Bronce- und Emailbefchlägen. Sehr
anerkennenswerth find die Zeichnungen und Befchläge. Erflere entwirft Groner's
Bruder, ein tüchtiger Architekt, und letztere liefert der Bronce-Arbeiter Rofch-
mann. Beider Leiflungen find wahre Meiflerwerke. Wie die Zeichnungen, edel
gedacht, finnig und flilvoll entworfen, verdienten auch die Bronce und Email-
Buchbinderei, Carlonnagen und Mafchinen für Buchbinder. 49
arbeiten, ihrer Reinheit und treffliclien Ausführung wegen, die Fortfchrittsmedaille,
was von der Jury auch anerkannt wurde.
Die Lederdecken find, wie das bei Groner, einem Meifter feines Faches,
fich von fei bft verfleht, eben fo elegant als rein und exa<5l gearbeitet. Dieblind
gezogenen Linien und Arabesken, wie die gefchickt angebrachten tadellos ausge
führten Handvergoldungen erhöhen in würdiger Weife den Eflfecfl der vortrefflichen
Arbeit. Groner hat fich, und zwar mit vollem Rechte, im Fache der edleren Buch-
binderei einen bedeutenden Ruf errungen. Groner erhielt ebenfalls die Fort-
fchrittsmedaille.
Conrad Berg's Arbeiten verdienen die gleiche Aufmerkfamkeit, umfomehr
als gerade er im Buchbinderei-Fache in Wien namhafte Fortfchritte gemacht hat.
Berg befitzt einen eigenen Verlag von Gebetbüchern in vielen Sprachen und
bindet diefelben in den verfchiedenartigften Weifen vom fchlichteflen und bil
ligflen Einbände bis zum koftbarften, theuerften Prachtbande.
Er verwendet zu feinen Buchbekleidungen: Chagrin, Kalbleder, Maroquin
de Levante, Seide, Saramt, Schildkrot, Elfenbein, Perlmutter, Bronce. Silber,
Gold etc. Seine Einbände, flets nach den neueften und beflen Muflern entworfen,
find in jeder Hinficht gediegen gearbeitet, feine Goldfchnitte wohl die heften
nach den franzöfifchen. Er liefert cifilirte und gemalte Schnitte, ebenfo gefchmack-
voll als minutiös ausgeführt, und manche feiner Prachtbände find Meifterwerke ihrer
Art. Seine Ausftellung war wohl die einzige, die dem Befucher einen vollen
Ueberblick hinfichtlich der Detailarbeiten der Buchbinderei gewährte. Man fah
einen Buchblock geheftet und befchnitten, dann einen folchen mit Goldfchnitt
verfehen, daneben derlei Blöcke mit den verfchiedenen Arten des Goldfchnittes,
vom einfach glatten bis zu dem mit den reichften Ornamenten verfehenen, aus-
gefchabte und gemalte Schnitte.
So zeigte fich dem Befchauer das Buch zuerft in naivftem Neglig^e und
liefs ihn Schritt für Schritt, fich zeitgemäfs luxuriös bekleidend, die Myfterien der
Buchbinder Kunft belaufchen. Vorzüglich fchön find die Gebetbücher nach antikem
Gefchmacke, Iheils in Chagrin mit blind geprefsten Ornamenten, theils in
glatten Juchten; roth, gelb und fchwarz mit Mofaikarbeit und Hand- und Prefs
Vergoldung.
Die Gruppe X brachte im Gebiete der Ledergalanterie-Arbeiten viele
Artikel mit Ledermofaiken. In diefem Fache macht fich ein erheblicher Unter-
fchied zwifchen der franzöfifchen und fpeciell Wiener Mofaikarbeit bemerkbar.
Der Franzofe fchabt das Leder fo dünn wie Seidenpapier, fchneidet felbes nach
vorliegender Zeichnung aus und klebt die fo gewonnenen Arabesken, Figuren
etc. dem ebenfalls mit Leder bekleideten Buche auf und vergoldet fchliefslich die
Conturen. Der Wiener Ledermofaik- Arbeiter verfährt anders; er legt das Leder
nicht auf wie der Franzofe, fondern er legt es ein. Er fchneidet nämlich die
Zeichnung auf dem Leder, womit das Buch bekleidet wird, mit Hilfe zar-
ter, ,meifelartiger Inftrumente aus, verfahrt ebenfo mit dem zur Mofaik beftimm-
ten aus einer oder mehreren Farben beftehenden Leder und füllt fo die
zuerft ausgefchnittene Zeichnung mit den diverfen verfchiedenartigen Leder-
theilen aus.
Es gibt nur fehr wenige Arbeiter, die es im Fache der Ledermofaik-
Fabrikation zur Vollkommenheit gebracht haben. Berg's Expofition hat in diefer
Richtung Vorzügliches geleiftet. Ein von ihm exponirtes Gebetbuch in Grofs
o<5lav und eine Diplomdecke in Quartformat konnten diefsfalls als glänzendfter
Beweis dienen. Erfteres war in braunes Chagrinleder gebunden, en relief gear
beitet. die etwas tiefer liegenden Bordüren und Mittelftück desfelben in gelben
und fchwarzen Juchten eingelegt; die Diplomdecke in tiefbraunem Maroquin de
Levante, gleichfalls en relief behandelt, hatte die tiefer liegenden Felder und ein
Monogramm, als Mittelftück, mit braun in braun in Kalbleder eingelegter Mofaik-
arbeit. Beide Ausftellungsobje<5le find nach fuperben Zeichnungen entworfen und
4*
50 Conrad Berg.
die Arbeit derfelben kann mit Fug und Recht als eine der gelungenilen und
beften diefer Art bezeichnet werden. *
Die Kunft- und Gewerbemufeen von Wien, Berlin, Moskau, Nürnberg,
ßrünn und Reichenberg waren die Käufer der Artikel Berg's und einige der
gedachten Mufeen machten Nachbeftellungen.
Adolf Lach nik in Olmütz hat gefchmackvoll ausgeftattete und gut gear-
beitete Diplomdecken geliefert. Selbe find im franzöfifchen Genre in Chagrin
gearbeitet, mit bunter Ledermofaik und Handvergoldung.
Obwohl jeder Sachverftändige auf den erften Blick und ohne ein Buch
in die Hand genommen zu haben, erkennen mufste, dafs die Arbeit eine gedie-
gene und von Meifterhand ausgeführte fei, hat man Lachnik doch die geringfte Aus-
zeichnung gegeben. Es ift eine fchreiende Ungerechtigkeit, die höchft verdienfl-
volle Arbeit eines tüchtigen Induftriellen mit dem geringflen Preife auszu-
zeichnen umfomehr als manche Ausfleller unferer Branche Verdienflmedaillen
erhielten, deren Arbeiten mit denen Lachnik's nicht im Entfernteflen fich meflen
konnten.
Franz Kritz in Wien hat Bücher exponirt, die befonders ehrenvoll
befprochen zu werden verdienen, da fämmtliche zahlreich von ihm gelieferte
Bücher vom Falzen bis zur letzten Handanlage er allein fix und fertig
gemacht.
Seine Bände bewähren eine befonders im Vergolden gefchickte und
geübte Hand. Er exponirte gefchmackvoll gebundene Werke von Claffikern,
worunter die Rückenvergoldung eines in gelbes Kalbleder gebundenen Werkes
mit grofsem Fleifs und ftaunenswerther Reinheit ausgeführt ift. Einen von Kritz
gelieferten Prachtband hat das k. k. Mufeum in Wien angekauft, jedenfalls
der fchlagendfte Beweis von der Leiftungsfähigkeit des Meifters. Diefer Band,
wie noch zwei andere in Grofsoötav find mit bunter Ledermofaik, fehr corre(5len
Linien und Bogenvergoldungen aus freier Hand von wunderfchöner Ausführung.
Kritz hätte wohl die Fortfchrittsmedaille verdient.
A. Löwy & Comp, in Wien lieferte Gefchäftsbücher, Schulrequifiten und
Cartonnage-Arbeiten, fämmtlich im Wiener Strafhaufe gefertigt. — Die Ver-
dienfte Löwy's dürfen nicht unbeachtet bleiben. Seine Gefchäftsthätigkeit dient
nämlich gleichzeitig der Humanität. Im Jahre 1867 etablirte er im Gefangenhaufe
eine kleine Buchbinder Werkftätte mit drei Mafchinen und befchäftigte dazumals
fünf Sträflinge. Jetzt hat er dafelbft bereits 20 Mafchinen im Gange und über 50
Sträflinge betheiligen fich am Gefchäftsbetriebe. Zahlreiche , fehr ehrenvolle
Dankfehreiben der Strafhaus-Verwaltung beweifen mehr als genügend, mit welch'
raftlofer Thätigkeit und Umficht Löwy fein Ziel verfolgt und die Ausftellungs-
objccfte, durchwegs folid und nett gearbeitet, verdienen volle Anerkennung. Er
ftellte fich die Aufgabe, die Sträflinge nach ihren Leiftungsfähigkeiten zu befchäf-
tigen und da ihm nicht feiten ganz tüchtige Arbeiter zu Gebote ftehen, ifl feine
Fabrikation eine mannigfaltige und fo liefert er, da er in neuefter Zeit auch eine
Raftriranftalt eingerichtet hat, Gefchäftsbücher, Schreibtheken für Schulen,
Couverte, Papierfäcke für Specereihandlungen, Partezettel und Cartonnage-Arbei-
ten. Seine Gefchäftsbücher, handlich conftruirt und leicht aufzufchlagen, find gut
raftrirt und deren Materiale und Strucflur find empfehlenswerth. So fiebert Löwy
dem fleifsigen und halbwegs gefchickten Sträfling nicht nur einen fchätzcns-
werthen Erwerb, der demfelben, wenn er das Strafhaus verläfst, zu Gute kommt,
fondern er macht aus ihm mit der Zeit einen tüchtigen Arbeiter, der, frei gewor-
den, im Stande ift, fein Brod auf redliche Weife zu verdienen und ein geachteter
Handwerksmann zu werden.
♦ ha <!er Herr Berichtcrftatter über feine Ausftelhiii^ nicht retcriren wollte, hat die
Redaetion obiges Unheil über Bitrg's Buchbinder-Arbeit von anderer fach manntfc her Seite
eingeholt Die Redaaion.
Buchbinderei, Cartonnagen und Mafchinen für Buchbinder. 51
Schon deüshalb verdient Löwy die ehrenvoUfte Anerkennung jedes treu
meinenden Staatsbürgers und es ift im Intereffe der Menfchheit zu wünfchen, dafs
das im Strafhaufe gegründete Atelier blühen und gedeihen und in jeder Hin-
ficht wohlthätige Früchte fiir die Zukunft reifen möge.
J. Steinbrenner in Winterberg (Böhmen) hat nur Gebetbücher aus-
geftellt. — Diefelben in Schafleder, Chagrin, Sammt oder Atlas gebunden und
einige mit Elfenbein-Decken gefchmückt, find fehr folid und gefchmackvoU
gearbeitet. Steinbrenner, der aufser der Buchbinderei auch eine Buchdruckerei
und Broncewaaren-Fabrik betreibt, befchäftigt in diefen diverfen Anflalten
130 — 150 Arbeitsleute. Er befitzt aufserdem einen eigenen Verlag von Gebet-
büchern, die er felbft druckt und bindet und auch die dazu nöthigen Metall-
befchläge erzeugt. Die für drei Gefchäftszweige billig gewonnenen Arbeitskräfte
und der riefige Umfatz der mafTenhaft producirten Waare ermöglichen Stein-
brenner fabelhaft billige Preife zu Hellen und defshalb hat er unftreitig das gröfste
derartige Etabliffement in den öfterreichifchen Provinzen. Seine Bücher find, wie
erwähnt, durchwegs folid gebunden und wenn man die MaHTenfabrikation in
Anbetracht zieht, find auch feine Goldfchnitte überrafchend fchön. Steinbrenner
liefert wohl keine Prachtbände, doch fein Hauptziel ift Billigkeit und in diefer
Hinficht vermag keine Firma mit ihm zu rivalifiren.
Von den übrigen Ausftellern ift noch Friedrich Grottendick zu nennen,
der zwar meift einfache, aber nach den ftrengften Regeln der Kunft gebundene
Bücher exponirte.
Dafs die Fabrikation von PhotographieAlbums in Wien im höchften Flor
fteht, hat man dem in diefem Gefchäftsartikel Aufserordentliches leiftenden
Meifter Eduard Becher zu verdanken. Diefer fo ftrebfame und gefchickte Meifter
unferes Faches gründete im Jahre 1857, beinahe mittellos, eine kleine Buchbinderei
und verlegte fich dabei faft ausfchliefsend auf die Fabrikation von Photographie-
Albums.
In jeder Beziehung fachgewandt, gelang es ihm, fein Gefchäft in verhält
nifsmäfsig kürzefter Frift derart in Schwung zu bringen, dafs gegenwärtig feine
Fabrikate als die heften, folideften und gleichzeitig billigften diefer Art nach
allen Richtungen der Welt verfendet und überall als vorzüglich anerkannt werden.
Es ift eine längft allgemein bekannte Thalfache, dafs Becher's Photographien-
Albums faft in jedem Schaufenfter der zahlreichen Galanteriewaaren Handlungen
Wiens zu finden find.
Selbft die Lederwaaren-Fabriken beziehen gröfstentheils ihren diefsfälligen
Bedarf von Becher, weil fie nicht im Stande wäre/i, derlei folid und gefchmackvoU
gebundene Bücher zu dem verhältnifsmäfsig fo billigen Preife herzuftellen. Er ver-
wendet bei feinen Arbeiten bis in die kleinften Details das allerbefte Material.
Sein Atelier befchäftigt durchfchnittlich 40 Perfonen, ift fehr praktifch eingerich-
tet, die Mafchinen aller Gröfsen und zu den verfchiedenartigften Verrichtungen,
welche die Albumfabrikation erheifcht, höchft zweckmäfsig conftruirt, werden von
fleifsigen und gefchickten Händen bedient und durch auserlefene, menfchliche
Arbeitskräfte wirkfam unterftützt und fo vermag Becher den zahllofen Beftellungen
zu genügen, womit In- und Ausland ihn raftlos beehren. Aufser den internen 40
Arbeitern befchäftigt er aber auch noch deren viele aufser Haufe. Lithographen,
Maler, Bronce- und Emailarbeiter, Vergolder, Graveure, Bildhauer etc. liefern
nach Becher's Angabe ihm ihre Arbeiten und mit Hilfe diefer von Kunftfleifs
befeelten Schaaren ift er nach jeder Richtung hin concurrenzfähig. Er liefert,
beifpielsweife erwähnt, ein Album für 50 Photographien, in feinftes Juchtenleder
gebunden, mit eleganten. mafiiven und doch zart gearbeiteten Broncedecken,
Schlofs und Mittelftück, fehr fchönem echten Goldfchnitte für den billigen Preis
von 3 fl. 50 kr. Becher's Albums haben die fehr fchätzenswerthe Eigenfchaft,
dafs, wenn fie mit Photographien gefüllt find, gleichviel ob mit 50 oder 200 und
noch mehr, fie doch ihre Form unverändert bewahren und felbft am Goldfchnitte
o2 Conrad Berg.
die Ueberfüllung kaum bemerkbar erfcheint, während bei fo vielen Albums andc
rer Firmen fich der Block hebt und die Decke wölbt, was, abgefehen von dem
fchlechten Ausfehen, auch geringe Dauerhaftigkeit bewirkt. Becher's Expofi-
tion zeigte uns nicht nur einfache und en gros Bücher, fondern auch eine Serie
von Prachtbänden, theils mit Bronce und Email, theils mit getriebenen Silber-
auflagen, feinfler Cifelirung und vergoldeten gravirtenBcfchlägen, fammtlich nach
reizenden Zeichnungen vorzüglich ausgeführt und fomit bewährte fich Becher in
den feinflen Arbeiten feines P'aches als ebenfo tüchtig, wie in den Leiftungen für
das En gros-Gefchäft.
Ungarn, bekanntlich überreich an Produ(5len der Agricultur und an
Rohflofi'en, ift im Fache der Induflrie verhältnifsmäfsig arm ; demungeachtet
blühen auch dort einige Firmen unferes Gefchäftszweiges, die mit edlem Stolze
mit jenen der induflriellften Länder wetteifern dürfen.
Befonders veidient die in der ganzen öflerreichifchen Monarchie ehrenvoll
bekannte Firma Carl Louis Posner in Pefl im reichflen Mafse volle Aufmerk-
famkeit und rühmlichfle Anerkennung.
Schon zur Zeit der Parifer Weltausflellung im Jahre 1867 fpendeten die
Berichterflatter den Ausflellungsobjecflen Posner's unbedingtes Lob und Posner
hat auch auf dem Wiener Preis Turnierplatze bewiefen. dafs er diefes aufser-
gewöhnliche Lob redlich verdiente und durch fortgefetztes ehrenvolles Streben
noch zu fleigern verftand. Er exponirte diefsmal in zwei Abtheilungen, nämlich
Objecfle feiner Hauptfabrikation, Gefchäfts- und Handelsbücher, und Erzeugnifle
der Kunfl Buchbinderei.
Posner verdankt lediglich feiner unausgefetzten, raftlofen und energifchen
Thätigkeit, feiner Gefchäftskenntnifs und Umficht den Sieg über die irrigen Vor-
urtheile feiner Landsleute, dafs mit Wien, wo Alles befler und billiger geliefert
werde, nicht zu concurriren fei und Ungarn hat volle Urfache, auf einen Induftriel-
len, wie Posner, ftolz zu fein. Er hat nicht nur das erfte und bedeutendfte Buch-
binder-Etabliflement in Ungarn, er fcheute auch nicht Opfer und Mühe, den An-
forderungen der Neuzeit, betreffend: Lithographie, Druckerei und Raflrirarbeiten
zu entfprechen und ift auch auf diefem Felde der Erfte. Sein Etabliffement
befchäftigt immer 125 — 150 Arbeiter, feine Mafchinen find die heften, nach den
neueften und zweckmäfsigften Syftemen conftruirt und daher find auch feine
Arbeiten, die er mit Gefchmack und Sachverftändnifs zu liefern verfteht, ohne
Ausnahme gediegen und preiswürdig.
Posner's Gefchäftsbücher enthalten alle Vorzüge , die man von derlei
Fabrikaten verlangen kann. Bis in die kleinften Details vom heften Materiale
gefertigt, entfprechen fie den rigoröfeften Anforderungen der Kaufmanns- Welt,
das Papier ift von feltener Güte, dieRaftrirarbeit. deren Posner auch einige Mufter-
bögen exponirte, find tadellos corre<5l, die feinften Linien, in vier bis fechs Farben
dicht nebeneinander laufend von unübertrefflicher Reinheit. Die Bücher felbft
find mufterhaft gebunden, laflen fich fo leicht .als graziös flachlegen und deren
äufsere Ausftattung ift fo folid als entfprechend. Befonders bemerkenswerth find
die in Juchten- oder Schweinsleder gebundenen Hauptbücher mit blinden Preflun
gen am Deckel und Rücken, deren folide Einfachheit dem Sachverftändigcn
zumeift freundlich ins Auge fällt.
Die ausgeftellten Photographie-Albums, Diplomdecken etc. können den
heften diefsfalligen Arbeiten des In- und Auslandes ebenbürtig zur Seite geftellt
werden, fowohl in Hinficht auf Solidität der Leiftung, als auf gefchmackvoUe
Ausftattung derfelben. Um fo ehrenvoller für Posner ift der Umftand, da er
die betreffenden Zeichnungen felbft entwirft, und das kleinfte Obje<5l feiner
Fabrikation nur nach feiner Angabe geliefert wird.
Wohl gehören die von Posner ausgeftellten Lithographien und Druckerei-
Arbeiten nicht in das Bereich unferer Gruppe, doch fei es mir vergönnt, der
Buchbinderei, Cartonnagen und Mafchtnen für Buchbinder. 53
Wahrheit ^emäfs anzuführen, dafs auch in diefem Fache Posner das Gediegenfte
leiftet und allen gerechten Anforderungen glänzend entfpricht.
Sein Atelier hat in jeder Branche ganz vortrefflich gefchulte Arbeiter,
darunter folche die fchon 20 und mehr Jahre bei ihm befchäftigt find.
Posner errang, wie bei allen bisherigen Ausftellungen, fo auch bei der
Wiener Weltausftellung erfte Preife und zwar zwei Fortfchrittsmedaillen, was
dicfer fo verdienftvolle als flrebfame und intelligente Gefchäftsmann wohl
verdient.
Sigmund Beer in Peft exponirte ebenfalls Gefchäft.sbücher und verdient
auch alles Lob. Sie flnd folid und dauerhaft gebunden, fehr gut rallrirt und
auch die Decken, meid en relief mit Ledermofaik und Handvergoldung, empfeh-
len fich als tüchtige und preiswürdige Arbeiten.
Jofef Geller in Peft hat fowohl einfache Bücher, als Prachtbände aus-
geftellt, welche nicht nur die Kunden zu befriedigen vermögen, fondern auch des
Fachkenners vollen Beifall verdienen. Seine einfachen Bücher, fogenannte Halb-
leder-Bände find tadellos zweckmäfsig gearbeitet. Zwei Miffale in rothem Chagrin-
leder, das eine mit Prefs-, das andere mit Handvergoldung, find wohl nicht »als
Kunftprodu<5le zu bezeichnen, doch folid und fchön gearbeitet geben fie Zeugnifs
von dem Walten einer Meifterhand. Befonders hervorzuheben ift eine Decke „für
eine Conceffionsurkunde beftimmt" ; fie ift in Schweinsleder gearbeitet, hat
blinde Verzierungen und ein fehr nett entworfenes Mittelftück in Bronce und
Email. — Bewundernswerth ift die fehr corre<5l ausgeführte Blindverzierung, weil
felbe keineswegs mit Mafchine geprefst, fondern mittelft eines kleinen Hand-
ftempels erzeugt wurde; eine fehr mühevolle Arbeit, die auch nur eine Meifter-
hand leiften kann.
Geller ift ein ausgezeichneter Arbeiter, der in feinem Fache Vorzügliches
leiftet, Routine und Gefchmack mit tüchtiger Gefchäftskenntnifs vereint, hat er
fich in Ungarn einen Namen guten Klanges erworben.
Deut fc bland war, feiner Leiftungsfähigkeit entfprechend, gut vertreten,
es erfreut fich ja auch hinfichtlich billig gelieferter Einbände eines vortheilhaften
Rufes. Die dort ausgeftatteten Bücher meift in Leinwand gebunden, mit en relief
Preflfung und Prefsvergoldungen, oder einfach glatten Decken mit Goldverzierun-
gen und marmorirten Schnitten find auf den Büchermärkten der ganzen civilifirten
Welt heimifch. Leipzig allein befitzt zahlreiche Buchbindereien, einige derfelben
fogar mit Dampfbetrieb, die faft ausfchliefslich nur billige Einbände liefern.
Deutichland erfchien auf der Wiener Weltausftellung durch 16 Exponenten ver
treten, deren bedeutendfte wir eingehender befprechen wollen.
J. C. König & Ebhard in Hannover, eine für die Fabrikation von
Gefchäftsbüchern fehr bedeutende Firma, leiften ebenfo Gediegenes als Preis-
würdiges. Ihre Bücher finden weithin in Holland, Portugal , Griechenland,
ja fogar in Südamerika dankbare Käufer. Das zur Arbeit verwendete, aus-
gezeichnete Material begründete den ehrenvollen Ruf diefer Firma, die verdienter
Weife mit der Fortfchrittsmedaille ausgezeichnet wurde.
J. F. K n i p p in Offenbach brachte die Fabrikation von Photographie-
Albums in Deutfchland zur hohen Blüthe. Die von ihm ausgeftellten Bücher find
mit Rückficht auf gediegene Arbeit und guten Gefchmack den bereits rühmlich
erwähnten Leiftungen E. ßecher's, unferes Wiener Gefchäftscollegen, würdig zur
Seite zu ftellen. Knipp befleifst fich, nur die gefchmackvollften, ftilgerechteften
Zicrrathen für feine Arbeiten zu wählen. Seine en gros Preife find mäfsig. Seine
Prachteinbände find durchgehends nach Entwürfen renommirter deutfcher Archi-
tekten ausgeführt und die Stru<5lur des gebundenen Buches, wie deffen äufserc
Ausftattung, in verfchiedenen feinen Metallen ausgeführt, ftehen im harmonifchen
Einklänge und entfprechen den ftrengften Anforderungen der Fachkenner. Er
exponirte auch ziemlich gelungene Ledergalanterie-Arbeit, deren Erwähnung der
54 Conrad Berg.
Gruppe X zufKUt Knipp wurde ebenfalls gerechter Weife mit der Fortfehritts-
medaille prämiirt.
G. Kanzler in Paflau gebührt fchon wegen der überrafchenden Billigkeit
feiner Arbeiten löblichfte Erwähnung. Er brachte über 500 Gebetbücher zur
Ausflellung, theils in Leinwand und Leder, theils in Sammt und Seide gebunden,
darunter einige in kofibareren Decken von Elfenbein und Perlmutter. Diefe letzt-
erwähnten Bände find der minder gelungene Theil feiner Ausftellungsobjecflc,
denn mit der fo reichen Ausflattung von Elfenbein etc. kann die eigentliche
Buchbinder- Arbeit Kanzler's nicht entfprechend gleichen Schritt halten, weil ihm
die nöthigen Arbeitskräfte fehlen. Die Fabrikation feiner einfacher ausgellatteten
Gebetbücher aber verdient alles Lob,
Italien hat einige fehr gelungene Buchbinder- Arbeiten geliefert So
hat Tartagli Gaetano in Florenz ein Album ausgeftellt, welches, in Leder-
mofaik und Handvergoldung im antiken Stile gehalten, vortrefflich ausgeführt id.
V ezof i M. in Turin leiftete nicht minder Gelungenes. Das von ihm ausgellellte
Album, in Leder en relief gebunden, mit einem zierlichen Monogramm, ^Hand-
vergoldung", ebenfalls im antiken Stile gehalten, mit weifs moirirten Seidenvor-
fätzen, welche mit fehr feinen Goldlinien gefchmückt find, ift eine ebenfo gefchmack-
voll ^Is gediegen gelieferte Arbeit. Auch eine von felbem Meifter exponirte
Diplomdecke in Ledermofaik mit Vergoldung wäre rühmlich zu bezeichnen, wenn
die Zufammenflellung der Farben eine güniligere wäre.
Die Schweiz vertrat die Firma Benziger Gebrüder in Einfiedeln,
welche nebft einer grofsartigen Buchbinderei auch eine ebenfo bedeutende Buch-
druckerei und lithographifche Anftalt befitzt. Benziger hat feinen eigenen Verlag
von nahezu 300 Gebetbüchern in vielen Sprachen und in den vcrfchiedenartigflen
Einbänden ausgedellt. Seine Bücher, meid in Papier, Leinwand, Spalt undChagrin-
leder gebunden, mit geprefsten Haut- relief- Verzierungen und Vergoldungen,
werden zu fabelhaft billigen Preifen geliefert. Da es dort üblich, viele Kinder zur
Arbeit zu verwenden, was bei Entlohnung der Arbeitskräfte die Regiekoften
bedeutend vermindert und der Gefchäftsumfatz ein riefiger ift, läfst fich die Billig-
keit der Bände leicht erklären. Die Firma hat grofsartige Filialen in New-York
und Cincinnati. Prachtbände liefert Benziger ebenfowenig, als überhaupt feinere
Arbeit ; die ausgeftellten Bücher aber find trotz der billigen Preife fehr gut
gebunden und empfehlen fich durch fchlichte Solidität.
Rufsland hat feil der jüngften Parifer Ausftellung fehr erhebliche Fort-
fchritte gemacht und feine Exponenten beweifen, dafs fie den Anforderun
gen der Neuzeit vollkommen zu entfprechen im Stande find. Befonders von
Gefchäftsbüchern lagen gediegene Leiftungen vor, namentlich jene von Frei-
berg Adolf in Riga imponirten durch fchlichte Eleganz, Dauerhaftigkeit, vorzüg
liehe Raftrirungund leichtes Flachlegen. Man fieht, dafs Rufsland berufen fcheinl,
in kürzefter Zeit im ehrenvollften Bunde mit den geiftig meift fortgefchrittcnen
Culturftaaten zu ftehen, denn in dem Mafse als der Büchermarkt eines Landes
fich hebt, veredelt fich auch delTen Volk.
Spanien und Portugal haben gleichfalls feit der letzten Ausftellung
namhafte Fortfchritte gemacht; vorzugsweife Portugal hat im Fache der Buchbin-
derei überrafchend gediegene Arbeiten ausgeftellt. Lisboa & Comp, in Liflabon
lieferte Prachtbände, die an Eleganz und kunftfinniger Ausführung mit den heften
Leiftungen der in diefem Fache renommirten Länder wetteifern.
Belgien hat nur von Buchhändlern gelieferte Bücher exponirt — Es
ift bedauemswerth, dafs die belgifchen Buchbinder, die doch fo glänzende Proben
Buchbinderei, Cartonnagen und Mafchtnen für Buchbinder. 00
ihres Kunflfleifses bei Gelegenheit der Parifer Ausftellung gaben, fich nicht an
dem Wiener Wettkampfe der Induflriellen betheiligt hatten. — Damals waren
ihre Arbeiten die rühmlichften Zeugniffe eines gewaltigen P'ortfchrittes und wir
wiffen recht gut, dafs Belgien im Fache der Buchbinderei Gediegenes zu leiften
vermag. Es liefert den Büchermärkten aller europäifchen Grofsllädte fowohl ein-
fache Bücher, wie Prachtbände, deren Schönheit und Solidität mit englifchen
und franzöfifchen Arbeiten diefes Genres concurriren kann und man darf fad mit
Gewifsheit annehmen, dafs Belgien feit dem Jahre 1867 noch gröfsere Fortfehritte
im Fache der Buchbinderei gemacht hat.
Wir hoffen baldigfl, vielleicht fchon auf der Weltausftellung in Philadelphia
im Jahre 1876 belgifche Fabrikate unferer Gruppe preisgekrönt zu fehen.
Schweden war durch drei Exponenten ehrenvoll vertreten.
F. Beck und P, Herzog in Stockholm liefern fehr gute Buchbinder-
Arbeiten. — Die lithographifche A<5liengefellfchaft in Norrköping hat folid und
gefchmackvoll gebundene Contobücher ausgeflellt.
Die Türkei hat bei der Parifer Weltausftellung fchätzenswerthe Proben
der in jüngfter Zeit gemachten Fortfehritte im Fache der Buchbinderei geliefert.
Die Wiener Weltausftellung vermochte leider nicht diefsfalls fernere Beweife zu
liefern, denn die wenigen ausgeftellten Bücher entzogen fich, als gar zu primitive
Arbeiten, jeder Kritik.
Von den übrigen Staaten Europas hat nur noch Dänemark einige ziem-
lich gut gebundene Bücher ausgeftellt.
Egypten lieferte nichts Nenneuswerthes.
Amerika erfchien im Fache der Buchbinder Arbeit nur durch zwei Fir-
men vertreten. Die Ausftellung im Jahre 1867 in Paris hat wohl gezeigt, dafs
unfere Gewerbsgenoflen jenfeits des Oceans Buchbinder- Arbeiten zu leiften ver-
mögen, die mit den ErzeugnilTen der heften Firmen Europas rivalifiren können.
Die von Amerika zur Wiener Weltausftellung gelieferten Bücher fmd wohl kaum
zu tadeln, doch läfst die diefsfällige Arbeit manche Feinheiten des Gefchmackes
und Genauigkeit der Ausführung vermiffen, die den früheren Leiftungen ameri-
kanifcher Buchbinder- Kunft einen fehr günftigen Erfolg verfchafften. NurA. Sand-
fort in Cleveland hielt mit den von ihm ausgeftellten, folid und zweckentfpre-
chend gebundenen Gefchäftsbüchern das Sternenbanner Grün-Erins fiegreich
aufrecht. Seine Bücher fmd im einfach edlen Stile gehalten und von einer Dauer-
haftigkeit, als gäbe es darin die Schulden aller Völker des Erdballs für die Ewig-
keit zu buchen.
China und Japan ftehen, obwohl die wenigen von ihnen ausgeftellten
Bücher einen feit den letzten Jahren gemachten Fortfehritt nicht verkennen
laflen, doch im Fache der Buchbinderei auf der möglichft niederen Stufe, was
bei diefen unftreitig fehr kunftfmnigen, gewerbsfleifsigen und gebildeten Nationen
beinahe tiberrafcht.
Sie wenden fich mit entfchiedener Vorliebe den Galanterie-Arbeiten zu.
Japan hat wohl einige Buchdecken ausgeftellt, und zwar aus Holz mit reizender
Mofaikarbeit und aus geprefster Papiermaffe, eine Art Papiermache. So fchön
und fleifsig diefe auch gefertigt find, zählen fie doch nicht zu den Gewerbs-
leiftungen unferer Gruppe und find mehr als Galanterie-Arbeit zu befprechen.
5
56 Conrad Berg.
Buchbinderei-Mafchinen.
Bei faft allen Induftriezweigen ift heutzutage die Verwendung von
Mafchinen nahezu pflichtgeboten. Die rafllos fich mehrende Concurrenz erbeifcht
möglichil fabriksmäfsigen Betrieb, und forgfaltige Haushaltung mit Zeit und
Arbeitskraft , was nur durch zweckmäfsige Verwendung von gut conflruirten
Mafchinen erzielt werden kann.
Wir wollen den für Buchbinder Zwecke beflimmten und aUsgeflellt gewe-
fenen Mafchinen einige Worte widmen
Sehr bedauerlich ifl der Umiland, dafs England in diefer Richtung nicht
vertreten war und Frankreich nur ein einziges Obje(5l und zwar eine Befchneid-
mafchine ausgellellt hatte. Dagegen waren Oeflerreich (Wien) und Deutfchland um
fo glänzender vertreten. Schneidmafchinen werden bekanntlich nach vielfachen
mehr oder minder präcifen Conflrudlionen erzeugt. Die belle derartige Mafchine
hat Poirier, eine renommirte Firma von Paris, ausgeflellt, die alle bisher dage-
wefenen fowohl an Eleganz der Con(lru<5lion wie an Präcifion ihrer Leiftung hin-
fichtlich der Gleichheit des Schnittes und Schnelligkeit der Arbeit übertrifft.
In den meiflen deutfchen und öflerreichifchen Buchbindereien fehr beliebt
find di^ Mafchinen von Carl K raufe in Leipzig. Er conftruirt in vorzüglichfter
Güte : Vergolderpreflen, Befchneidmafchiuen, Rückenmafchinen, Walzwerke etc.
Die von ihm exponirte Befchneidmafchine neuefter Conftru<5lion ift ganz
von Eifen mit genau fenkrechter Mefferführung, excentrifcher Bewegung, mit Zug-
fchnitt und Heilbarem Tifche verfehen. Als überzeugendfter Beweis für die Treflf-
lichkeit der Leiftung diefer Mafchine dürfte die Conftatirung der Thatfache genügen,
dafs einige taufend Exemplare derfelben in acht verfchiedenen Gröfsen in
Deutfchland, Oefterreich, in der Schweiz und in Rufsland von den Buchbindern und
Papierfabrikanten dankbar benützt werden.
Dank diefem bedeutenden Abfatze vermag K raufe die billigftenPreife zu
ftellen, und es koflet z. B. die kleinfte diefer Mafchinen mit einer Schnittlänge von
495 Millimeter in der Breite und 130 Millimeter Höhe nur 135 Thaler preufsifch
Courant.
K raufe exponirte ferners eineVergolderprefl'e, gleichfalls ganz von Eifen
mit prismatifch ftellbarer Tiegelführung, eine ausgezeichnet conftruirte Mafchine,
die bereits von faft allen gröfseren Buchbindereien mit Vorliebe verwendet wird.
Er liefert diefelbe in 9 verfchiedenen Gröfsen ; deren kleinfte bietet eine Druck-
fläche von 189 bis 235 Millimeter und koftet nur 130 Thaler. Seine Mafchinen find
nicht nur in ihrer Totalität vortrefflich conftruirt, fondem auch im Gufs und in
der Arbeit der einzelnen Theile gediegen. K raufe hat als einer der tüchtigften
Mechaniker in diefem Fache bereits einen Weltruf erlangt, fömmtliche von ihm
ausgeftellten Mafchinen wurden angekauft. Er liefert alle feine Mafchinen in
gleicher Güte, fo zum Hand- als zum Dampfbetriebe conftruirt.
Gebrüder H e i m in Offenbach haben ebenfalls fehr gut conftruirte Mafchinen
für Buchbinderei gebracht und verdienen dankbares Lob.
Jeanrenaud, frühere Firma Henke in Wien, exponirte fehr folid und doch
zart gebaute Mafchinen für Buchbinderzwecke ; befonders erwähnenswerth find
feine Balancirprefl'en, für die fchon fein Vorgänger bedeutenden Abfatz fand.
Aufser den angeführten Mafchinen werden noch manche andere in
Buchbinder- Werkftätten verwendet und befanden fich auch unter den diefsfalligen
Ausftellungsobje(5len; doch werden folche nur zu fehr einfachen Verrichtungen
gebraucht und verdienen daher keine nähere Befprechung.
Buchbinderet, Cartonnagen und Mafchtnen für Buchbinder. Ö7
Cartonnagen.
Diefes Gewerbsartikels hat feiner Niedlichkeit und netten, reinlichen Fabri-
kationsweife wegen theilweife der Dilettantismus fich bemächtigt und nicht feiten
befafTen fich zarte Damen und galante Herren in ihren Mufseilunden mit der amü-
fanten Herftellung zierlicher Bonbonnieren undNippesgegenflände, fich felbil zum
Vergnügen und für Freunde und Bekannte zur froh begrüfsten Spende. Doch auch
dem Gewerbfleifse liefert diefer zartefte Zweig vom Stamme der Buchbinderei
eine reiche Einnahmsquelle, befonders in der jetzigen Zeit, wo mit dem allfeitigen
Raffinement auch dem Luxus ein weites Feld offen lieht. Wohl keine Arbeit
erheifcht mehr Gefchmack und Eleganz, als eben die Cartonnage-Arbeit und fo
behaupten auch in diefer die Franzofen den erften Rang. In Paris befchäftigt
diefer Gewerbezweig über 2500 Arbeiter, welche bei 400 Fabiikanten in perma-
nenter Verwendung liehen und der Totalertrag der diefsfalligen ErzeugnilTe läfst
fich mit mehr als 10 Millionen Francs jährlich beziffern. Der Franzofe verlieht die
Kund, den gering^en Artikel durch Verleihung einer höchll gefchmackvoUen Um-
hüllung leicht verkäuflich zu machen.
Paris verfertigt Bonbonnieren im Preife von 10 Francs bis 100 Francs per
Stück in Maßen und es ift durchaus nichts Seltenes, dafs Cartons zu diefen Zwecken
mit 2000 Francs bezahlt werden. Die verfchiedenen Artikel von Cartonnage-
Arbeiten, welche Paris vorzugsweife liefert, aufzuzählen, wäre fall unmöglich, wir
begnügen uns, die befonders brauchbaren und daher gefuchten zu erwähnen.
Paris liefert die fogenannten Cartons de Bureaux und Cartons de Magafins ;
erllere, zur Aufbewahrung und Eintheilung von A(5len, Correfpondenzen und
dergl. dienend, find dem Bureau- und Kanzleibeamten unentbehrlich. Diefe Cartons
werden meift mit grünem Papier bekleidet und haben Abfalldeckel, wohl auch
mehrere Fächer. Letztere werden in den Verkaufsläden zur Aufbewahrung von
Weifswaaren, Cravaten, Tüchern u. f w. verwendet, find äufserfl praktifch und
fehr nett gearbeitet. Es ift unbegreiflich, dafs derlei Cartons in Oellerreich bis-
her keine Nachahmung fanden ; die hier üblichen liehen in Bezug auf ihre äufsere
Erfcheinung unendlich nach. Eine andere Sorte von Cartons zur Verpackung von
Kunllblumen, Seide, Sanimt und dergl. findet in Paris ebenfalls grofsen Abfatz.
Zu den nützlichllen und daher meill begehrten Artikeln diefer Art zählen die
Cartonnagen für Apotheken, Oblatenfabrikanten etc. etc. In zahllofen Formen und
höchll gefchmackvoUer Ausführung finden wir die Hüllen für Chocolade, Bonbons,
Parfumerien und Schmuckwaaren.
Zu bedauern ill, dafs wir nicht Gelegenheit hatten, die Grofsartigkeit der
franzöfifchen Leillung in diefem Gefchäftszweige in mehreren gröfseren CoUec-
tionen kennen zu lernen. Die bedeutendllen franzöfifchen Firmen diefer Branche
haben nicht ausgellellt und nur Chevalier Sc Comp, in Paris lieferten fehr
gediegene Arbeiten. Es gelang diefer Firma auch vollkommen, zu beweifen,
was Frankreich in diefem Fache zu leiHen vermag. Die von ihr exponirten
Körbchen, Bonbonnieren etc. machten verdienterweife Senfation ; befonders fchön
find die Etuis in Form von rohen Baumllämmen, die der Natur getreu en miniature
reizend nachgebildet find.
England war in diefem Fache nicht vertreten, obwohl es in demfelben
feit mehreren Jahren namhafte Fortfehritte gemacht haben foll.
Umfo zahlreicher waren die Vertreter Oellerreichs. Dafs Wien aber hin-
ilchtlich der Fabrikation von feinllen Cartonnagen weit zurück ill, iH bekannt. Man
fchenkt eben dem Artikel zu wenig Aufmerkfamkeit. Das zeigte fich deutlich bei der
^3 Conrad Berg. Buchbinderei, Cartonnagen und Mafchinen für Buchbinder.
»
Ausftellung. War die Waare des einen Exponenten gefchmackvoll, dann war fie
nicht gut oder doch ungleich gearbeitet, und war die des anderen hinfichtlich der
Fabrikation entfprechend , hatte man wieder unglückliche Mufter gewählt.
Ueberhaupt iil die fortwährende Jagd nach neuen Mullern dem Gedeihen diefes
Artikels durchaus nicht förderlich, weil man bei der Wahl derfelben nicht lange
überlegt, ob felbe auch gefchmackvoll und zweckentfprechend find, fondem eben nur
froh fcheint, neue Waare auf den Markt bringen zu können. So entftehen eine Unzahl
von derlei Artikeln, die theils dem Zwecke nicht genügend entfprechen, theils
als unförmliche Machwerke dem guten Gefchmacke Hohn fprechen und feiten
Käufer finden.
Nennenswerth find die Ausftellungsobje<5le der Firmen Potfchta &
Fürftenfeld, Noa & Kallberg und F. J. Schadek, fämmtlich in Wien. Die
Arbeiten derfelben find ziemlich gefchmackvoll, gut und preiswürdig ausgeführt,
vorzüglich Phantafiecartonnagen, Nippesgegenftände und Papiermache- Arbeiten.
Die Firma J. M. H efs in MährifchSchönberg leiflet das Bedeutendfle in
Erzeugung von Büchfen und Schachteln für Apotheker, Parfumeurs etc. Gute und
nette Arbeit bei fehr billigen Preifen haben ihren fehr namhaften Ruf begründet.
Deutfchland war durch einige Firmen in würdiger Weife vertreten.
G. A dler in Buchholz (in Sachfen) hat ein fehr bedeutendes Gefchäft in Car
tonnagen und findet feinen gröfsten Abfatz in Deutfchland felbfl, wie in England
und Amerika, wohin er feine feineren Waaren exportirt.
Die vereinigte H effif che Papier- und Pap i erwaare n-Fabrik
befafst fich ebenfalls und zwar ziemlich energifch mit der Erzeugung von Luxus-
cartonnagen und liefert neuerer Zeit fehr gut und elegant gearbeitete Cartons
für Comp toi rs und Magazine, wie felbe in Frankreich üblich.
Aus Italien hat Fagioli Gaetano aus Piacenza recht folide Car-
tonnagen ausgeftellt; feine Artikel entfalten reiche Phantafie und find gefchmack-
voll ausgeführt.
Belgien war nur durch einen, aber den bedeutendften Fabrikanten in
diefem Fache vertreten: J. B. Poiffonn ier in Brüffel. Seine Artikel, meiil im
franzöfifchen Gefchmacke entworfen, find fehr finnreich ausgeführt, finden defshalb
auch lebhaften Abfatz. Die von ihm exponirten Cartons zur Emballage von Shawls,
Tafchentüchern Bijouterien etc. werden in enormen Mafien weithin verfendet.
Errata:
Pag. 42, Zeile 22 von oben foll es heifsen fehl i cht ftatt fchlecht.
?
OFFICIELLER
AUSSTELLUNGS-BERICHT
HBRAUSGECEUBN DURCH DIB
GENERALDIRECTION DER WELTAUSSTELLUNG
18 7 3
UNTER REDACTION VON DR. CARL TH. RICHTER, K. K. O. Ö. PROFESSOR IN PRAG.
MILITÄR-KARTOGRAPHIE.
(Grappe XIV, Section 6 und Gruppe XVII, Section 4.)
BERICHT
VON
Josef Zaffauk,
k. k. Hauptmann, Profejfor der Terrainlehre und Terraindarßellung an der techni/chen
Militärakademie in Wien.
WIEN.
DRUCK UND VERLAG DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI,
1873.
1
MILITÄR-KARTOGRAPHIE.
(Gruppe XIV, Section 6 und Gruppe XVH, Section 4)
Bericht von
Josef Zaffauk,
k. k. Hauptmann, Pro/ejfor der Terrainlehre und Terraindarfiellung an der techni/chen
Militärakademie in Wien.
In allen Zweigen menfchlicher Thätigkeit ift die Gegenwart oft nur die
Erbin grofser und wichtiger Gedanken unferer Vorfahren , welche verbeffert und
erweitert, den Verhältniflen entfprechend ins Leben gerufen wurden, oft aber auch
die Schöpferin neuer Ideen, die unfere Nachkommen bereichern und fie zur Ver-
vollkommnung anfpornen.
Aus logifch entwickelten , gefchichtlichen Abhandlungen und Darftellungen
entnehmen wir den Standpunkt, den ein oder der andere Erwerbs- oder Kunftzweig
zu einer gewiffen Zeitperiode einnahm ; wir lernen die damaligen Verhältniffe,
Anfchauungen und Bedürfniffe kennen , entdecken die Lücken, die wir auszufüllen
hätten, und oft erft durch den nahe gelegten Vergleich werden wir in die Lage
verfetzt, dem Fortfehritte neue Bahnen zu eröffnen.
Diefe Schlufsfolgerungen mögen die Veranlaffung zu den additionellen,
gefchichtlichen Ausftellungen zu Paris und Wien gewefen fein und die gefchicht-
üche „Kartographi e", die wir in dem Pavillon „Gefchichte der Gewerbe
und Erfindungen" erblickten, zwingt uns daher auch jeweilig die Leiftungen
der Vergangenheit in unfere Betrachtung aufzunehmen. Wir ftellen dabei Oefter-
reich an die Spitze und laffen die anderen Staaten je nach Wichtigkeit der Aus-
ftellung folgen.
Oefterreich.
Wie wir aus der Gefchichte der Kartographie vom Jahre 1750 bis 1867
entnehmen, wurden in Oefterreich fchon zur Regierungszeit der grofsen Kaiferin
Maria Therefia und Oefterreichs erleuchtetem Herrfcher Kaifer Jofefll.
zufammenhängende Aufnahmen durchgeführt. Im Jahre 1787 waren bereits alle
Provinzen des Staates nach einem gleichen Mafsftabe verzeichnet und wenngleich
diefe erfte Aufnahme vermöge des kurzen Zeitraumes (1704 bis 1787) vielleicht
noch nicht den immer mehr gefteigerten Anforderungen, die an richtige geodä-
tifche Vermeffungen geftellt wurden, entfprach, fo war das erzielte, topographifch
dargeftellte Gefammtbild der Monarchie um fo fchätzenswerther , als zu jener Zeit
noch kein Staat eine folch' umfangreiche und für die damaligen Verhältniffe voll-
ftändige Aufnahme aufzuweifen hatte.
1*
Z JofcfZaffauk.
Von diefem Zeitpunkte angefangen wurde raftlos an der Vervollftändigung
und Verbefferung des topographifchen Materials gearbeitet; es folgte die zweite
und nach den napoleonifchen Kriegen die dritte Aufnahme der öfterreichifchen
Provinzen. Durch die Adoption der L e h m a n n'fchen Seh raff enfcala war
der Schlüflel für die Darflellung der Unebenheiten unferer Erdoberfläche und
durch die fafl gleichzeitige Erfindung der Lithographie durch Sennefelder
der Fortfehritt für die Vervielfältigung kartographifcher Erzeugnifle in allen
Staaten und die Verbreitung topographifcher und geographifcher Kenntniffe
geficherL
Um die Berichterftattung durch Wiederholungen nicht übermäfsig auszu-
dehnen, verweife ich auf die von Oberftlieutenant J. Roskiew icz für die Abthei-
lung „Beiträge zur Gefchichte der Gewerbe und Erfindungen**
verfafste : „Gefchichte der Kartographie inOeflerreich", die in allen
Zweigen die verläfslichften und erfchöpfendften Daten liefert und uns die
mannigfachen Anflrengungen vor das Auge führt, die gemacht werden mufsten,
um zu dem gegenwärtigen, hochentwickelten und richtigen Standpunkte zu
gelangen.
Ebenfo lehrreich als der eben erwähnte gefchichtliche Abrifs der uns
hier das erfle Mal im Zufammenhange geliefert wurde, bleibt auch die durch
Karten , Tableaux und plaftifche Gegenftände veranftaltete expofitionelle Ent-
wicklung diefes Zweiges, da wir hier auf feiten anzutreflfende Blätter von gefchicht-
lichem Werthe ftofsen.
Der zu erzielenden Ueberfichtlichkeit wegen waren die Karten nach dem
Zwecke, dem fie dienen, in 24 Unterabtheilungen gefchieden, welchen fich fodann
die plaflifchen Gegenftände anfchloffen. "Wir finden vier Stück Perfpectiv-
k arten, welche die erfte Reihe einnehmen, weil vor dem Jahre 1750 auch die
Landkarten in der Vogelperfpedlive dargeftellt wurden.
Die Originalaufnahmen, Special- und Generalkarten um-
faflen 84 Blätter, enthalten chronologifch geordnet die erften Aufnahmen der
öfterreichifchen Provinzen, und zeigen die Art der wechfelnden Terraindarftel-
lungsmethoden, die erft adoptirten Zeiche n f ch 1 ü f f e 1 , nach welchen die folgenden
Aufnahmen durchgeführt wurden, die. Art der Anwendung der Schichtenlinien in
der letzten Zeitperiode, jeweilig aber auch die verfchiedenen KartenartikeU
welche den Originalarbeiten ihr Entftehen verdankten.
Wir erblicken in diefer Reihe die erften Gradkarten, die vom Frei-
herm V. Liechtenftern fchon im Jahre 1810 angewendet wurden ; die Original-
aufnahmen von Männern, wie: Hauslab, Fligely, Kuhn, die gegenwärtig
hohe Stellungen einnehmen, und den erften Verfuch des Linien-Farbendrucks
1843 durch Oberft S c h e d a, den derfelbe bei Veröffentlichung feiner Generalkarte
von Europa in Anwendung brachte.
Unter den Umgebungskarten find hervorzuheben: der erfte Farben-
druck von Maurer 1783 (topographifche Karte der Stadt Wien), der erfte litho-
graphifch erzeugte Schichtenplan 1820 (Umgebung von Peft), welcher nach den
Anweifungen Sennefelde r's vervielfältigt wurde; ein Verfuch des Ober-
lieutenants Baron V, Weiden, Terrainbilder in der Aquatintamanier durch
Aetzung auf Kupferplatten hervorzubringen, ferner eine Federzeichnung mit
chemifcher Tufche auf Stein von Oberlieutenant Kuhn; Kreide-Lithographien
aus neuerer Zeit, die den Fortfehritt auf die Gegenwart markiren.
Unter den Eifenbahn-, Telegraphen- und Adminiftrativkarten,
den Marfch-, Poft-, und S traf senkarte n ebenfo wie unter den geolo-
gifchen, ethnographifch en, Forft-, See- und Himmelskarten
finden wir jeweilig die in den verfchiedenen Zeitperioden zuerft in Gebrauch
gekommenen Karten und die Uebergänge auf die gegenwärtige Zeitperiode.
Die geologifchen, ethnographifchen und Forftkarten haben mit Rückficht auf
den kurzen Beftand eine rafche Vervollftändigung erfahren. Doch, während den
Militär-Kartographie. 3
Himmels- und Seekarten am SchlufTe des vorigen Jahrhundertes, weniger Sorgfalt
zugewendet war, fehen wir fchon im Beginn diefes Jahrhundertes, fozufagen
mit der Gründung unferer Marine, die vorzüglichften Seekarten des adriatifchen
Meeres entflehen , die nur von den neueflen Aufnahmen und Unterfuchungen
(unter Leitung des Linienfchiflfs-Capitains O efler reicher) übertroffen werden,
und die, in gerechter Würdigung der mühevollen Arbeit, mit dem Ehren-
diplome ausgezeichnet wurden. Aufser den Linien gleicher Tiefe enthalten fie
noch alle dem Seemann nöthigen Navigationsdaten. Fregattencapitain Littrow
und Generalmajor Stelzig haben im Jahre 1858 den erflen Verfuch gemacht,
die gleichen Meerestiefen auf Seekarten in Farben darzuftellen.
Bei der Fülle des Materials mangelt uns der Raum, alle hervorragenden
Punkte der eben erwähnten Karten zu berühren; die Unterfchiede in der Vervoll-
kommnung der Fachkarten treten in jedem Blatte hervor.
Eine fehr mannigfache Anwendung finden die Forftkarten, die zu
Ende des XVIL Jahrhundertes in landfchaftlicher Darftellung, oft mit doppelter
Orientirung nach den beiden Thalfeiten angefertigt wurden, nunmehr fich nicht
nur in Wirthfchafts-, Hauungs- oder Beftandes-, Ueberfichts-, und Beflockungs-
kartcn fcheiden, fondern der Wichtigkeit des Holzmaterials wegen fozufagen
in General- und Specialkarten übertragen werden.
Unter den Kataflerkart en finden wir die erfle von Nagel ausgeführte
Kataflralaufnahme von Wien aus dem Jahre 1780, nach welcher jene vom Jahre
1819 angefertigt wurde, die dritte aus dem Jahre 1846 und die vierte vom Jahre
1858, welch' letztere auch die Abgrenzungslinien für die Neubauten unferer Refidenz
enthält. Erfl 36 Jahre nach der erflen GeometralvermelTung der Stadt Wien und
zwar 1817 wurden die Kataftralaufnahmen der Provinzen und des Flachlandes
in Angriff genommen. •
Nur das Ende des vorigen Jahrhundertes und die neuefte Zeit war durch
Schulkarten vertreten, da in der Zwifchenperiode die Special- und General
karten der Provinzen diefe Stelle einnahmen und erft die technifchen Hilfsmittel
der neuen Zeit, die Lithographie und der Farbendruck, die billige Erzeugung
der Karten für den Anfangsunterricht ermöglichten.
Eine fehr intereflante Serie von Karten bildeten die Sc hi ch t e nkart en,
die mit den durch das k. k. Geniecorps im Jahre 1803 zucrft gelieferten
Karten des Etfchlhales begannen. Profeffor Winkler v. Brücken brand
lieferte mit den Zöglingen der Mariabrunner Forflakademie 1822 einen Schichten-
plan vom Thiergarten im Wiener Walde. In weiterer Folge fanden wir fcliön
und correcfl durchgeführte Schichtenpläne, die vom G en i e c o rp s (fchon 1834^
und vom Generalflab entworfen wurden; fo die Umgebungen von Meran und
Pfzemyfl , die vorzügliche Stromkarte der Donau bei Wien vom Oberingenieur
Kazda (1848 bis 1850), ferner das Syftem Hauslab's der Farl^enfchichten-
zonen nach fteigendem Farbenton „je höher deflo dunkler" und dann das ent-
gegengefetzte „je tiefer defto dunkler" von Sonkl ar angewendet, endlich Karten
von Steinhau fer, Streffleur und Koriflka, auf denen die Linien gleicher
Höhe (auf den Generalkarten der Provinzen) zum Ausdrucke gelangten. Zu den
Umgebungen des Semmerings in meiflerhafter Durchführung des Terraindetails
wurden Ifohypfen in Farben in einem fpeciellen Blatte hinzugefügt, wobei die
Schichtenlinien je nach ihrer Farbe einen verfchiedenen Werth repräfentiren.
Eine Reihe von Karten, die theils einem fpeciellen Zwecke dienen, theils
vermöge des Materials oder der technifchen Erzeugung bemerkenswerth erfcheinen
wurden in der gefchichtlichen Expofition unter dem Titel „D iverfe Karten-
artikel" zufammen gefafst. Wir finden darunter Sanitäts-, Bisthums-,FIufskarten ;
Karten mit erläuterndem Text, mit Abbildungen von Regenten und Münzen;
eine Grenzkarte Tirols gegen Baiem aus dem XVH. Jahrhundert in Oel gemalt,
folche auf Seide, Leinwand , Hanfpapier , in Typen gedruckt, endlich Tapeten-
karten u. m. a.
4 Jofef Zaffauk.
Der Verein für Landeskunde war durch eine fchön ausgeführte Karte der
Umgebung von Wien, das ganze Culturdetail (ohne Terrain) enthaltend, im Mafse
1:28.000, vertreten.
Im Glaskaden fanden wir nebft den verfchiedenften in Oeilerreich erfchie-
nenen Atlanten, wie jenen von Reilly (1791) Schrämbl (1805), den
Induftrieatlas von Dolezal (1865), den hiftorifchen Atlas von Desjardins
(1838), eine fehr corredl gezeichnete Sternkarte von Major Hartli eb (1871), den
erilen von Sennefelder vollführten Ueberdruck aus dem Jahre 1820, Karten auf
Schieferpapier etc.
Der befchränkte Raum für den Bericht und das bedeutende Material, das
uns vorliegt, geflatten es nicht, weiter ins Detail zu gehen, und wir muffen uns
bezüglich diefer logifch, nach General-, Special- und Fachkarten gegliederten,
gefchichtlichen Entwicklung unferer Kartographie von 1750 bis 1870, die in allen
Theilen uns immer den Urfprung und den gegenwärtigen Standpunkt diefes
Zweiges unferer Thätigkeit darlegt, auf die vom Oberftlieutenant Roskiewicz
gelieferte „Gefchichte" und den in den „Mi ttheilungen der k. k. geogr a
phifchen Gefellfchaft zu Wien" veröffentlichten Katalog verweifen, und
können nur volle Befriedigung finden, dafs diefe fo gediegene, reichhaltiges
und belehrendes Material enthaltende Arbeit und die zweckentfprechende
Zufammenftellung gewürdigt und mit der höchflen Auszeichnung, dem Ehren-
diplome, bedacht wurde. Manch' verfchollener Name kam wieder zu Ehren,
die Thätigkeit unferer Vorfahren und auch jene der Gegenwart wurde in würdiger
Weife zur Anfchauung gebracht.
Indem in anderen Referaten der exponirten plaftifchen Gegenllände*
Erwähnung gefchieht, fei bemerkt, dafs auch die Reproductionsmethoden
der neueren Zeit, fo die Photographie, ferner die im militär-geogra-
phifchenlnffitute zur vollendeten Form gebrachte A n a ff a t i k , die Photo-
lithographie und Heliogravüre zur Anficht gebracht wurden.
Mit gerechtem Stolze können wir auf die Leiftungen des genannten
Inffitutes und auf die zur hohen Entwicklung gebrachten Reprodu<flionsmethoden
weifen, die beftimmt zu fein fcheinen, einen völligen Umfchwung in der Karten-
erzeugung herbeizuführen, und dasjenige in Wochen zu erzielen, wozu einft Jahre
erforderlich waren.
Früher wurde für Zwecke der Vervielfältigung von den vollftändig ausge-
zeichneten Blättern eines Kartenwerkes vorerft eine Geripp-Paufe auf Kupfer oder
Stein übertragen und hierauf die Gravirung der Zeichnung vorgenommen, welche
Jahre in Anfpruch nahm. Gegenwärtig können die fchwarz und fcharf auf weifsem
Papier gezeichneten Kartenblätter mittelft der Photolithographie in einigen Tagen
auf Stein übertragen und durch den Druck vervielfältigt werden. Ebenfo erfetzt
uns die Heliogravüre den Stich auf Kupfer und liefert uns die Druckpltitte in
wenigen Wochen, von welcher fodann der Druck entweder dire<5le oder durch
Umdruck von dem Steine bewirkt wird.
Beide Reproducflions-Methoden bafiren auf der photographifchen Aufnahme
der Originalzeichnung, welche rafch und genau in jedem beliebigen Mafse her-
geftellt werden kann.
Da nach dem Vorhergefagten auch die Heliogravüre die Vervielfältigung
vom Steine geftattet, fo können durch beide Methoden mit Hilfe der in neuerer
Zeit im Inftitute eingeführten lithographifchen Schnellpreffen, welche das 25fache
der Handpreffen leiften, in kürzefter Zeit grofse Kartenauflagen erzielt werden.
Die auf heliographifchem Wege erzeugten Kupferplatten können ebenfo
wie die geftochenen durch die Galvanoplaffik vervielfältigt werden.
Die in Folge der auf der Erdoberfläche fich ergebenden Veränderungen,
zeitweife erforderlichen Corre<5luren und Nachtragungen werden in diefen Platten
♦ Anton Stcinhaufer: Geographifche Bildungs- und Unterrichtsmittel.
Militär Kartographie. Ö
mit Hilfe der Galvanopladik auf eine höchft einfache und praktifche Weife, welche
fchon feit dem Jahre 1854 im Inllitute gebräuchlich ift und fich von dem neuerer
Zeit in Frankreich üblichen Verfahren vortheilhaft unterfcheidet, ausgeführt.
Sowohl die Photographie wie die Heliogravüre, obwohl fchon feit mehreren
Jahren bekannt, find erft im militär-geographifchen Inflitute zur gegenwärtigen
volkommenen Brauchbarkeit gelangt.
In Belgien fleht die Photo-Lithographie, in Baiern nur der Glasdruck (Alberto-
tjrpie) und in neuefler Zeit in Rufsland auch die Heliogravüre nach dem Syfteme
des militär-geographifchen InAitutes, in Deutfchland und Frankreich nach jenen
Avets für Kartenwerke in Ausübung. Die Vergleiche, welche wir jetzt zu machen
in der Lage find, zeigen die Vor- und Nachtheile der verfchiedenen Verfahren.
Während der Glasdruck nur eine mäfsige Anzahl Abdrücke geftattet, die
Photographie in Belgien noch einiger Vervollkommnung bedarf, tritt fie in Oefler-
reich vollkommen leiflungsfähig auf und wird in ihrer Art nur noch von der Helio-
gravüre übertroffen.
Welch immenfen Nutzen werden die nächflen Jahre aus der Erfindung der
Heliogravüre ziehen! Wie viele landfchaftliche und gefchichtliche Darllellungen
(Kupfer- und Stahlfliche) bedeutender Künfller werden uns, wie wir aus expo-
nirten Beifpielen des militär-geographifchen Inflitutes fehen können, zugänglich
gemacht werden I Der Kupferflecher, welcher früher fich erfl in den Geifl des
Meiflers finden mufste, kann nunmehr entbehrlich werden, fobald der Künfller
feine Ideen fcharf und rein in fchwarzer Tufche zu Papier bringt
Wenden wir uns nun den Karten der Neuzeit zu, vor Allem den karto-
graphifchen Leiflungen des k. k. militär-geographifchen Inflitutes in
Wien, die unflreitig als wahre Kunflwerke gelten können.
Diefes Inflitut trat mit feinem ietzigen Namen ^chon im Jahre 1839 durch
Vereinigung des „De p ofito dellaguerra*^ mit der ,, top ographifch-li tho-
graphifchen Anftalt" des General-Quartiermeifler-Stabes ins Leben. Nach
den gegenwärtigen Organifationsftatuten ifl dasfelbe unter einem Dire<5lor als
Leiter, dem Generalflabe untergeordnet. Zur Beforgung der vielfältigen Gefchäfte
bcfleht :
Das Triangulirungs- und Calculbureau zur aflronomifch-
geodätifchen VermefTung des Landes und theilweife der angrenzenden Provinzen.
Diefcm Bureau fteht ein Obfervatorium im Inflitutsgebäude zur Verfügung.
Die Mappirungs-Direction. welcher eine Schule zur Heran-
bildung tüchtiger Mappeure und eine Pantographen-Abtheilung zuge-
wiefen ifl. Unter Leitung diefer Diredlion werden die Aufnahmen der Monarchie
im Maafsflabe 1:25.000 durch eine jeweilig feflgeflellte Anzahl von Mappirungs-
Abtheilungen (gegenwärtig 16) bewirkt.
Gruppe I. Diefer unterfteht die top ographifche Abtheilung,
in welcher die Generalkarte Europas, femer die Specialkarte der Monarchie
fowie andere Kartenwerke entworfen und für die Vervielfältigung zum Theil
durch Lithographie, zum Theil durch Heliogravüre vorbereitet werden, ferner
die lithographifche Abtheilung und jene der Kupferflecher.
Gruppe II. Diefer fällt die Vervielfältigung der Karten durch die
Photographie, Photolithographie und durch die Heliogravüre zu. Hieher gehört
auch die Preffenab theil ung und die Abtheilung fiir die Galvano-
plaaik.
Aufserdem verfügt das Inflitut noch über eine Karten-Evidenz-Ab-
theilung, ein Kartenarchiv, einen Kartenverfchleifs, eine topo-
graphifche Schule (die zur I. Gruppe gehört), eine Rechnungskanzlei,
und über eine Buchbinderei, Tifchlerei, Stein fchleiferei etc
Was nun die Landesaufnahme (Mappirung) felbfl betrifft, fo wird fie
wie fchon erwähnt, durch eigene Mappirungs-Abtheilungen ausgeführt. Diefe
beflehen aus acht bis neun Mappeurs, unter dem Befehle eines Stabsofficiers oder
Jofef Zaffauk.
Hauptmannes als Unterdirecflor. Die Aufnahmen werden meid mit Benützung der
Kataflermappen im Mafsftabe 1:25.000, das ift i Centimeter = 250 Meter, auf
einzelnen Blättern durchgeführt, von welchen vier zufammengeftellt eine M a p p i-
rungs- oder Aufnahms-S ection bilden, und den vierten Theil eines Grad-
karten-Blattes vorflellen. Darin ift Alles, was einen Einflufs auf die Stellung,
Bewegung und das Gefecht der Truppe hat, klar und deutlich, je nach derWichtig-
keit mehr oder weniger vortretend, gezeichnet. Die GewälTer erfcheinen mit dem
Uferdetail und (ammtlichen über und durch diefelben führenden Communicationen.
Bedeutungslofe Bäche werden durch einfache , folche aber, die ein nicht leicht
zu überwältigendes Hindernifs bieten, mit doppelten Linien gezeichnet; Eifen-
bahnen treten in den bekannten, durch Tufche ftellenweife unterbrochenen
Doppellinien auf; die fonftigen Landcommunicationen find je nach ihrer Wichtig-
keit durch Doppellinien (von gleicher und ungleicher Stärke), durch einfache,
ftrichpunktirte, geftrichelte oder punktirte Linien dargeftellt. Örtfchaften erfchei-
nen nach ihrem Umfange mit Gaffen, Plätzen, Gärteneintheilung. Ebenfo find die
verfchiedenen Bodenbedeckungen durch gewiffe, leicht verftändliche Bezeichnun-
gen erfichtlich gemacht.
Was die Unebenheiten des Bodens (Terrain) anbelangt, fo find diefc durch
die feit dem Jahre 1869 eingeführte, fogenannte „combinirte Manier** zum
Ausdrucke gebracht. Selbe erftrebt durch ihre, nach dem Wafferabfluffe gerich-
teten Schraffen fowohl den Böfchungsgrad der verfchiedenen geneigten Flächen
anzuzeigen, als auch diefe felbft möglichft plaftifch hervortreten zu laffen, gleich-
zeitig aber auch durch sequidiftante Schichtenlinien, die auf Grund zahlreich
gemeffener Höhenpunkte (per Quadratmeile 400) conftruirt find, die Auffaffung des
Terrains wefentlich zu erleichtern.
Die durch die Schraffen hervorgebrachte Tonirung beruht bei Annahme
vertical auffallender Beleuchtung auf dem Grundfatze , die fanften Böfchungen
heller, die fteilen dunkler erfcheinen zu laffen. Die Breite der Schraffen und ihre
anliegenden Zwifchenräume ftehen für jede Gradation in einem beftimmten Ver
hältniffe zu einander, welches man allgemein, wenn (& der Neigungswinkel der
Erdböfchung, S die Schraffen- und Z die Zwifchenraum-Breite bezeichnet, durch
die Formel ausdrücken kann:
S:Z-(p-)-3):(8o-(p + 3))
Böfchungen unter fünf Grad Neigung erfcheinen in geftrichelten Schraffen.
Die Aequidiftanzen find in Abftänden von 10, 20 und 100 Meter angebracht
und erfcheinen, je nachdem fie als Haupt-, Zwifchen- oder Hilfs-Schichtenlinien
auftreten, als breitere oder feinere Linien oder als fein geftrichelte Curven.
Aufserdem find den wichtigeren Punkten, wie auf Kuppen, in Sätteln, Thälern etc
die entfprechenden Höhenkoten beigegeben.
Obwohl diefe Methode ftellenweife eine Ueberladung befürchten liefse, ift
fie dennoch als entfchiedener Fortfehritt zu bezeichnen.
Die Befchreibung der Secflionen erfolgt mit gewöhnlicher Planfchrift.
Der leichteren Ueberficht wegen erfcheinen fie colorirt, indem dabei im
Allgemeinen: Gärten, Wiefen und Hutweiden grün, Waldungen blafs fchwarz
Weinfelder gelbroth, Wohngebäude roth, Wirthfchaftsgebäude fchwarz, fonftige
Obje(5le von Stein roth, von Holz fchwarz, Gewäffer lichtblau dargeftellt werden;
Fclfen erfcheinen rothbraun, Gletfcher licht fchwarzblau lavirt , die Ifohypfen
braunroth (Drachenblut) oder orangegelb (Mennig), Strafsen roth (Carmin), Fufs-
fteige, Saumwege Chromgelb oder fchwarz ausgezogen.
Aufserdem find die Mappirungs-Secflionen mit der Se(flions- undColonnen-
nummer, mit einem Längcn-Mafsftabe , einer Anlagenfkala. einer Dcfignation
ftatiftifcher Daten, fowie mit dem Namen des MappirungsUnterdire<5lors und
jenem des betreffenden Mappeurs verfehen.
Militär-Kartographie. (
Mit Hilfe der Aufnahmsfe<5lionen werden durch die Verjüngung derfelben
auf das Mafs i: 60.000 die Specialkarten gezeichnet, fodann hiernach die
Kupferplatten, jedoch im Mafsflabe 1:75.000 heliographifch erzeugt.
Das WafTemetz erfcheint hier noch vollfländig mit all' feinen zugehörigen
Uebergängen und Furten angegeben, die Flofs- und SchifTbarkeit, fowie Heile
oderverfumpfte Ufer, befonders aber die Communicationen find fcharfund deutlich
hen'orgehoben, die Ortfchaften erfcheinen noch mit ihren Hauptgaffen, ihren Ein-
und Ausgängen, die Waldungen mit ihren Durchhauen und Waldblöfsen. Wein-
gärten und gröfsere Wiefcncomplexe find klar zur Anfchauung gebracht. Die
einzeln flehenden Mühlen, Wirths- und Jägerhäufer, SchlÖffer, Kirchen, Capellen
find ebenfo wie die zur Orientirung dienenden Gegenftände durch gewiffe conven-
tionelle Zeichen erfichtlich gemacht.
Die Bodenunebenheiten werden in ihren Hauptformen dargeflellt, mit
hundertmetrigen Schichtenlinien und überdiefs an den wichtigflen Punkten mit
Höhenkoten verfehen. Die Befchreibung erfolgt analog wie bei den Mappirungs-
fe<flionen.
Bei der Specialkarte wurde für die Gradeintheilung die von Bonn<^ ver-
befferte F l amfl e e d'fchc Proje<5lionsmethode angewendet. Bei den neu anzufer-
tigenden Karten ift jedoch das Syftem der Gradkarten eingeführt, wobei die
Kartenränder mit den Parallel- und Meridiankreifen übereinflimmend conftruirt
werden, fo dafs ein Blatt in Form eines fymmetrifchen Trapezes erfcheint. Die
Höhe eines Solchen Gradkarten-Blattes beträgt ^4 Grad geographifcher Breite
und die Länge y^ Grad geographifcher Länge.
Bei den Generalkarten endlich nimmt des aufserordentlich verjüngten
Mafsftabes wegen, die conventionellc Bezeichnung einen anderen Charakter an ;
kleine Waldungen, ferner Weingärten, Sümpfe, Teiche etc., Bäche von geringer
Au.sdehnung werden hier nicht mehr dargeflellt. Die fchiffbaren Flüffe undCanäle
find doppelt, die übrigen Wafferläufe einfach ausgezogen. Brücken, Induflrie-
ctabliffements, einzelne Gebäude, grofse Culturcomplexe find, fowie das Eifen-
bahn- und Strafsennetz, mit Schärfe gegeben.
Das Terrain erfcheint noch mehr vereinfacht als in der Specialkarte, ohne
Schichtenlinien, doch immer mit beigefetzten Höhenkoten. Diefe Karten bieten
fchätzbares Material in Fülle.
Bisher erfchi^nen Pläne und Karten in den Verjüngungen 1:14.400,
1:28.800, 1:57.600, 1:144.000, 1:288.000 etc. Seit der Einführung des Meter-
mafses (1869) find für topographifche Karten jedoch folgende Verjüngungen
officiell beflimmt, als: 1:12.500 oder i Centimeter gleich 125 Meter der Natur als
Doppelmafs; 1:25.000 oder i Centimeter gleich 250 Meter der Natur für
die M ap pirungsfec ti onen; 1:75.000 oder i Centimeter gleich 750 Meter
der Natur für die S p e c i alk ar t e ; 1:300.000 oder i Centimeter gleich 3000
Meter der Natur für die Generalkarte.
Das k. k. militär-geographifche Inftitut exponirte Pläne,
Special- und Generalkarten alten und neuen Mafsftabes im anafta-
tifchen Druck, ferner Kupferftiche, Lithographien, Photographien, Photolitho-
graphien, Chromo-Photolithographien, Kohlenphotographien und Heliogravüren.
Die einzelnen Mufter beftanden in Folgendem: Die Specialkarte von Böhmen,
Dalmatien, dem nord- und (lidvveftlichen Ungarn (1:144.000), die Karte von
Centraleuropanach Seh eda (i : 300.000). Die vorerwähnten Blätter find Kupfer-
ftiche und zeichnen fich durch eine leicht faf>liche, charakteriftifche Darfteilung
des Terrains (das Terrain ift durch Schraffen mit beigefetzten Höhenkoten
gegeben) ebenfo durch ihren netten und reinen Stich aus. Nebft diefen
waren der hydrographifche Atlas des adriatifchen Meeres (i : 174.960) , die
Generalkarte der Walachei (1:288.000), die Specialkarte der Lombardie und
Venetiens, von Parma und Modena (i : 86.400) nebft anderen Specialkarten zu
erfehen.
8 Jofef Zaflfauk.
Von Lithographien waren exponirt die Generalkarte vom fudweil-
lichen Deutfchland , von Galizien , Siebenbürgen (1:288.000), von Bosnien
(1:400.000), ein Theil der Specialkarte von Mittelitalien (1:86.400), aus den
Karten der Umgebung von Wien die Semmeringbahn (1:43.200), dann die Umge-
bungen mehrerer Landes-Hauptftädte (1:14.400, 1:28.800), der Hafen von Buccari
und Porto R^ (1:11.520) in Farbendruck. Der letzterwähnte Farbendruck
zeigt eine meiflerhafte Behandlung im Farbentone und einen äufserft präcifen
Druck, da die vielfaltigen Culturen nirgends übergreifen.
In wahrhaft überrafchender Weife aber treten die mannigfachen zur Anwen-
dung gelangten Reprodu<f^ionsmethoden hervor, von welchen befonders die
Methode der Heliogravüre und der Photolithographie * fowohl für die
Reproducflion der Karten als für jene von Bildern (nach Handzeichnungen und
Stichen) bereits eine weittragende Anwendung finden und welchen auch bei
fletigem Fortfehritte ein nie geahnter Auffchwung in der Zukunlt blüht.
Von den heliographifch erzeugten Karten lagen vor : Ein Tableau
von Centraleuropa (1:300.000), zwei neue Specialkarten-Blätter von Tirol
(i: 75.000) und das Specialkarten-Blatt „Bormio", vergröfsert auf das Mafs i: 52.000,
ferner Schraffenfcalen, jede nach einem anderen Syfteme ; an Bildern und Land
fchaften: „Die Poefie*' vor^ Kaulbach, geilochen vonjacobi (vergröfsert) ;
„die Sage" von demfelben; „Louis XVIII. im Krönungsornate" von
Gerard, gellochen von Attafard; „der Kloflerbrand" von Leffing,
geftochen von Abb ema; „eine L an dfch aft von Capp eleu, radirt von Ab-
bema, ebenfo eine vonLindlar; femer „der Chriflus köpf" von Guido
Reni, geflochen von Go ttfchik. Die letzteren find fämmt lieh nach den Origi-
nalen der A 1 b e r t i n a ausgeführt und waren die beigegebenen Kupferplatten nach
einer authentifchen Mittheilung, in der Zeit von zwei bis drei Wochen herge-
flellt worden.
Die Photolithographie war durch zwei vergröfserte Specialkarten-
Blätter von Tirol (M e r a n und G 1 u r n s) und durch ein topographifches Kartenblalt
von Schweden (St o ckho Im), eine „Waldlandfchaf t" von Leffing, einen
„männlichen Kopf" und „Louis XVI." von Simon vertreten. Auch die
Photolithographie zeigte fich uns hier in einer Vollendung, die kaum einer
Steigerung mehr fähig wäre. Sowohl den heliographifchen wie den photogra-
phifchen Reproducflionen waren Kupferplatten, zum Theile auch Steine zum Ver-
gleiche beigegeben.
Die Kohlenphotographie, eine für die Maflenerzeugung von Karten
nicht in Anwendung flehende Methode, war durch die Bilder „D aphne und
Chloe", „Auguft den Starken, König von Polen" und einer „Land-
fchaft" von Claudius Lotharing vertreten. An Photographien in
Drucker fchwärze erfchienen recht nett ausgeführte Copien nach gefchabten
Bildern der Albertina: „Das Bild „le mauves fuj et et fa famille" und „le s
enfants furpris par un garde**.
Die Blätter 35 und 36 der Specialkarte von Mittelitalien waren mit befon-
derer Reinheit auf a naftatifchem Wege erzeugt. Diefe Methode ermöglicht
von vorhandenen Abdrücken, durch entfprechende Behandlung, Umdrucke auf
Stein herzuflellen, welche durch den Druck wieder weiter vervielfältigt werden
können.
Eine Anzahl Blätter der neuen Küflenkarte des adriatifchen
Meeres, welche für die k. k. Kriegsmarine im Inftitute geflochen wurde,
eine MilitärMappirungsfeölion von Siebenbürgen (i: 28.800) und diefelbe, reducirt
* Im k. k. militär-geographifchen Inftitute gefchah die erde Anwendung der Photo-
graphie im Jahre 1853, und zwar Anfangs blofs zur Erzeugung von getonten Silbercopien auf
Papier; feit dem Jahre x86i jedoch wurden auch Vervielfältungen durch den Schwarzdruck vom
Steine (Photolithographie) und feit dem Jahre 1871 folche von Kupfer in vertiefter Manier
(Heliogravüre) vorgenommen.
Militär-Kartographie. y
auf die Hälfte im Farbendruck, ebenfo eine von Wiener-Neuftadt (i: 25.000), reprä-
fentiren nebft den früher erwähnten Karten das Genre des Kupferftiches und
Farbendruckes.
Das mititär-geographifche Inftitut erhielt für kartographifche Arbeiten
und Reproducflionsmethoden in Gruppe XII und XVI das Ehrendiplom.
Von der königlich ungarifchenStaatsdruckerei waren fchätzens-
werthe kartographifche Arbeiten, von L, W, Seidl & Sohn, Pläne und Karten
verfchiedener wilTenfchaftlicher Werke von Artaria, die Karte von Europa von
Sehe da, Umgebungspläne von Wien, die hypfometrifche Karte der norifehen
Alpen nach Haus lab etc. zur Expofition gebracht.
Unter den Privatarbeiten erregte der Vorfchlag des Oberftlieutenants
J. Ro^kiewics, „die Terr aindarflellung mit Rückficht auf zu
erzielende Einheitskarten" zu modificiren, einiges InterelTe. Die Gleich-
heit, die wir in allen Staaten bezüglich des Mafses, Gewichtes, des Geldwerthes
etc. anftreben, wird hier auf das Kartenmaterial als eines wichtigen Verlländigungs-
mittels der gebildeten Claffe ausgedehnt.
Im verfloflenen Jahrhundert hatten fich unfere Vorfahren abgemüht. Zeichen
für die Darftellung der Unebenheiten zu erfinden. Erft durch die Annahme der
Lehmann'fchen SchrafTenfcala wurden Pläne und Karten nach einem vernünftigen
Syileme angefertigt. Cavalier-Vogelperfpecftive etc., Seitenbeleuchtung u. f. w. ver-
fchwanden, geometrifche und phyfikalifche Grundfätze wurden allein mafsgebend.
Immerhin aber leidet die Kartographie an dem Fehler des vielartigften Ausdruckes,
ebenfo wie die Vervielfaltigungsmethoden der neuen Zeit nicht gehörig ausgenützt
werden.
Nicht nur die Kartenblätter eines und desfelben Staates, auch jene eines und
desfelben Autors, find von einander im Tone, in der Stärke der angewendeten
SchraiFen, in der Form derfelben etc. verfchieden, und doch foUten Karten, wie'
der Autor richtig bemerkt, als allgemeines Verftändigungsmittel über das Aus-
fehen und über die Befchaffenheit der Erdoberfläche derart angeordnet fein, dafs
fie gleich den Lettern eines Buches, von allen gleich gut verftanden und gelefen
werden können.
So fchwer eine Einigung zu erzielen fein wird, fo bleibt der Vorfchlag von
einiger Bedeutung.
Das Meter- als allgemein adoptirtes Längenmafs wird zur Grundlage ange-
nommen. Auf diefes und auf die wahren Werthe der Natur werden nun die
Schraffen als Conventionelle Zeichen für die Darftellung der Unebenheiten nachdem
Metermafs begrenzt, fo dafs eine Schratte für 5 Grad Neigung 2, höchftens 3 Meter
Werth auf dem Plane (i 125. 000) einnehmen foll. Das Neunfache diefes Werthes,
fomit 18 oder 27 Meter, wurde für die allemal gleichbleibende Entfernung
und die Zunahme der Strichdimenfionen um je 2 oder 3 Meter für die Darftellung
der um je 5 Grade zunehmenden Steigungsflächen vorgefchlagen, wodurch bei
45 Graden das Verhältnifs des Striches zum Zwifchenraume wie 18 : 18 oder höch-
ftens 27:27 Meter Werth entfteht.
Diefes Dimenfionsverhältnifs geftattet, wie uns die Figur 9 der Brochure
zeigt, die dire(5le dreifache Verkleinerung der Originalaufnahme (1:25.000) ver-
mitteln der Photolithographie oder der Heliogravüre zur Specialkarte (1:75.000),
wobei die ganze Reduktion erfpart, dabei auch alle die Fehler vermieden find,
die durch dieRedud^ion felbft hervorgerufen werden, da eben durch die Redu<5lion
in den Formen- und Böfchungsverhältniffen Aenderungen und Auslaflungen Platz
greifen, fomit das natürliche Bild fehlerhaft, und oft verunftaltet wird. Zudem
geftattet der gröfsere, fich gleichbleibende Zwifchenraum eine leichtere Reproduc-
lion durch die Photographie und Heliogravüre und gibt reinere Abdrücke. Die
Geld- und Zeiterfparnifs wäre nach diefer Methode eine ganz bedeutende ; die
Karten felbft wären gleichartig und wahre verkleinerte Naturbilder der Original-
aufnahmen.
10 JofcfZaffauk.
Der Zeichenfchlüflel für das Gerippe wäre nach dem erwähnten Vorfchlage
einer kleinen Modification, und zwar einer derartigen zu unterziehen, dafs alle
Linien in der Originalaufnahme fo kräftig gehalten werden, um in dreifacher Ver-
jüngung noch deutlich wieder erkennbar zu fein. Ebenfo follen die
Niveaucurven auf einem Separatblatte mit Tufche gezeichnet, in gleichem
Mafse verkleinert und durch Ueberdruck in Farbe auf der Karte kenntlich
gemacht werden.
Durch die Begrenzung der Schraffenwerthe wäre man daher im Stande, den
Karten gleichen Mafsftabes in allen Theilen der Erde einen gleichen Ausdruck
zu verleihen.
Als Einheitskarte proponirt der Autor vorläufig Generalkarten im Mafs-
(labe 1 : 250.000 der Natur mit den Schraffen von 20 : 180 Meter bei 5 Grad, und
180 : 180 Meter bei 45 Grad Böfchung in allen Staaten zu adoptiren und diefe
durch Ueberdruck mit Schichtenlinien von 200 Meter Werth zu verfehen.
R o s k i e w i c z's Vorfchlag umfafst daher :
Die Annahme einer Schraffenfcala mit gleichbleibender Entfernung der
Striche.
Feftftellung des Werthes einer SchrafTe, bafirt auf den Mafsllab de>
Planes und auf das der Natur entfprechende Verhältnifs, um das Mittel zu erhalten,
gleichen Ausdruck zu erzielen.
Dirccfle Verkleinerung der Mappirungsfe(5lionen und ümgeftaltung der-
felben zu Karten durch die Heliogravüre oder Photolithographie, um Zeit und
Geld zu erfparen, dabei wahre Naturbilder zu erreichen.
Annahme der Niveaucurven auf allen Karten und Anwendung derfelben
durch Umdruck, endlich
Adoption eines graphifchen Höhenmeffers, um den Mappeur zu befähigen,
ohne Calcul die Schichten an Ort und Stelle legen zu können.
Wir hielten die hier dargelegten Ideen, die von der internationalen Jury
mit der VerdienflmedaiUe ausgezeichnet wurden, nicht nur bezüglich der
Werthbegrenzung der Schraffen und der Schraffenfcala für neu, fondem auch in
manch' anderen Vorfchlägen für wichtig genug um fie eingehender zu befprechen
und obgleich eine Einigung immer fchwer zu erzielen ifl, fo wäre diefs allenfalls
ein Zukunftsprogramm, welches wir früher oder fpäter zu erfüllen oder zu löfen
haben werden.
In Belgien werden bereits die Originalaufnahmen durch direclc photo-
lithographifche Reducflion zur Ilerflellung der Karten benützt, doch ift die Ver-
kleinerung unbedeutend, wodurch die Blätter nicht immer rein und fchön
erfcheinen. In Baiern wird in neuefler Zeit nach den in der Expofition erfichi-
lichcn Proben gleichfalls die Originalaufnahme auf den Gcrippblättern des Kata
fters ii : 5000) vorgenommen, fodann eine zweifache Reducflion und die Ver-
vielfältigung der Karte durch Glasdruck bewerkflelligt. Wenn auch diefe Methode
als Fortfehritt begrüfst werden kann, mufs der Mafsftab der Originalaufnahme als
viel zu grofs bezeichnet werden, weil die Schraften auf beinahe fünf Millimeter
breite Entfernungen von einander zu liegen kommen, und der Mappeur im Felde
alle Ueberficht verliert, das heifst fich keine Terrainpartie zum überfichtlichen
Bilde auf dem in der Hand habenden Blatte formen kann.
Bevor wir zu den anderen topographifchen Werken übergehen, wollen
wir noch der vom k. k. Finanzminiflerium ausgefleUten Kataflral
operate Erwähnung thun, indem felbe vielfeitig auf das Erfolgreichfle benutzt
werden, und namentlich für die Militärkartographie ein überaus fchätzbares
Material bieten, da, wie bereits erwähnt, die Mililärmappirungen, wie in den
meiften anderen Staaten, auf Grund der Kataflralaufnahmen ausgeführt werden.
Obwohl fchon in der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhundertes Vermeffungen
einzelner Theilc der Monarchie (lattfanden, datirt doch der Beginn einer
auf wiffenfchaftlicher Bafis beruhenden LandesvermelTung erft vom Jahre 1817.
Militär-Kartographie. 11
Diefelbe nahm in Niederöflerreich ihren Anfang und endete im Jahre 1862 mit
der Aufnahme Tirols. Aufscrdem wurden in Ungarn bis zum Jahre 1867 noch
weitere 21113 Quadratmeilen vermeffen. Diefe Detailaufnahmen in den Mafsfläben
I : 2880 und I : 1440 erftreckten fich auf jedes noch fo kleine individuelle
Befitzthum, und wurden in der Regel auf 500 Quadratzoll grofsen Aufnahms-
blättern durchgeführt.
Aus der reichhaltigen Colleölion vorzüglicher Operate, mit denen wir den
Steuerkatafler vertreten fanden, feien folgende befonders hervorgehoben : Die
U eb e rfich tskarte des, der Katafleraufnahme von Niederöfter-
reich zu Grunde gelegten, trigo nome tri fch en Netz es, mit Bezeich-
nung der Ausführungsperioden und der von Abb^ Jofef Liesganig im Jahre
1762 gemeffenen Baus; die Karte der Höhenpunkte in Niederöfter-
reich; ferner: Culturen-Ueberfichtskarten verfchiedener Länder
in den Mafsftäben (1:115.000, i : 144.000 und i : 205.704) ; Culturkarten der
Umgebungen von Wien und Prag (1:36.000); Städtepläne (1:2880,
1:1440;; den ftatiftifchen Atlas der im Reichsrathe vertretenen
Länder; Originalmappen von Gemeinden verfchiedener Kron-
länder und endlich drei Original-Aufnahmsblätter desCommunal-
bezirkes von Wien aus der Periode 1858 bis 1862. Befonders die letzt
erwähnten find es, die nicht nur durch ihren grofsen Mafsftab (i : 720) fondern
hauptlachlich durch die originelle Methode der Aufnahme felbft iDcfonders merk-
würdig find. Um nämlich die Unveränderlichkeit derMaafse in der Detailaufnahme
gegen hygrofkopifche Einflüfle zu fchützen und fo für immer zu erhalten, wurde
das Papier für l3leibend auf 295 Spiegeltafeln von V^ ^^^^ Dicke aufgefpannl,
welche ftatt dem gewöhnlichen Mefstifchbrete zur Anwendung kamen. Mittelft
Theodoliten und Nivellirinftrumenten wurden mehr als 10.000 Höhenpunkte
innerhalb der ehemaligen Linienwälle beftimmt. Diefe Blätter zeichnen fich durch
ihre aufserordentliche Schärfe und Genauigkeit aus, fo dafs fie beim Wiener Stadt-
Bauamte als Grundlage bei Prüfung der eingereichten Baupläne benützt werden.
Die Aufnahme wurde unter der Leitung des verftorbenen General-KriegscommifTärs
Valentin Ritter v. Streffleur und des gegenwärtigen Vorftandes der Militär-
Bildungsanftalten, Generalmajor Eduard Ritter Pechmann v. M äffen bewirkt.
Bei diefer Gelegenheit muffen wir auch bemerken, aus den vom ungari-
fchen Katafter exponirten P 1 ä n e n erfehen zu haben, dafs derfelbe Alles
aufbietet, um dem cisleithanifchen gleich zu kommen.
Auch wollen wir hier noch eines Planes „der Stadtaufnahme von
Graz" erwähnen. Derfelbe ift von Profeffor Waftler in den Jahren 1869 bis
1871 im Mafse i : 2880 aufgenommen und das Terrain durch ein-, zwei und
viermetrige Niveaucurven zur Anfchauung gebracht. Diefer Plan, fowie die aus
vier Blättern beftehende, auf das Mafs i : 1440 reducirte Copie, in der das Terrain
durch zehnmetrige Niveaucurven zum Ausdrucke gelangt, waren in der Gruppe
XVIII exponirt.
Baiern.
Als einer der erften, hervorragendften Streiter auf dem internationalen
Turniere der Weltausftellung, tritt uns, was kartographifche Arbeiten anbelangt,
das fchon im Jahre 1801 gegründete „topographifche Bureau des
baierifchen Gener alftabes" entgegen.
Die Beftimmung des topographifchen Bureaus ift, für zweckentfprechende
Karten zu forgen, zu welchem Zwecke dasfelbe in die mathematifche und ftatiftifche,
in die Aufnahms- und Zeichnungs-. in die Kupferftich- und in die Reprodu<5lions-
Se<5lion gegliedert ift.
In der Expofition war es vor Allem das aus fieben Blättern zufammen-
gefetzte grofse Wandtableau, das unfere Aufmerkfamkeit feffelte. Die Blätter wur-
12 JofcfZaffauk.
den aus dem jetzt neu bearbeiteten topographifchen Atlas von Baiem (i : 50-0001
herausgenommen und zeigen uns ^eineTerrainpartieausdembaierifchen
Walde und dem oberen Donauthal e."
Das Blatt „Nürnberg** des oberwähnten Atlaffes erfcheint uns überdiefs
noch in verfchieden erzeugten Exemplaren als: Original - Kupferdruck,
Albertotypie (Hauptmann E. Albert, Leiter des photographifchen Ateliers des
topographifchen Bureaus ift der Bruder des Erfinders diefer Methode) Ueber-
druck einer Albertotypie, Abdruck einergalvanifchen und einer
verflahlten Platte und als abgezogenes Negativ. Diefe fchönen Karten,
deren Ausführung nebenbei bemerkt, fcharf, nett und vorzüglich ifl, bieten
namentlich dem Militär alles Nothwendige und Zweckentfprechende; fie enthalten
das Terrain in Lehmann'fchen Schraffen, vielfach erläutert durch beigefetzte
Höhenkoten, das Gerippe ifl nach einem leicht fafslichen ZeichenfchlülTel durch-
geführt.
Als Mufter einer äufserft gut gelungenen Chromolithographie traten
uns die Blätter I und IV der hy pfomet^rifchen Karte von Baiern
(i : 250.000) vors Auge, die, in fchwarze 5ometrige Schichtenlinien gelegt, bis
zur Höhe von 700 Meter die Schichtengürtel von 100 Meter und über erwähnte
Höhe hinaus die Schichtengürtel von 200 Meter verfchiedenfarbig (weifs, blafs-
roth, blafsgelb, lichtbraun, lichtgrün, lichtlila, lichtrothbraun und lichtgelb
erfcheinen läfst. Die Karte bringt überdiefs die gefammte Hydrographie, die
Topographie und die Communicationen in fchwarzer Farbe zur Anfchauung.
Von früheren O riginal aufnahmen fanden wir eine vom Jahre 1863/64
„Ries"; photographifche Copien der Originalaufnahmen „Kreut
und Valepp** aus dem Jahre 1862/63, fowie eine Originalaufnahme
^Sonntagshorn" vom Jahre 1819, in welch* letztere erfl im Jahre 1863 die
Höhencoten nach-, refpe<5live eingetragen wurden.
Von den Aufnahmen der Gegenwart lag das Steuerblatt „Lauterbach**
fowohl imMafsflabe 1:5000 fammt eingezeichnetem Terrain, alsauchimreducirten
Verhältniffe 1:25.000 auf; ferner die Se<5lion „Freifing" reproducirt von
1:5000 in 1:25.000 mit der Terrainaufnahme und Zeichnung nach Lehmann'fchen
Grundfdtzen und in braunrothen lometrigen Schichten, nach der Reform und
Anleitung des Hauptmann Ludwig Dürr, Secflionschef des topographi-
fchen Bureaus.
Einen wie grofsen und entfchiedenen Fortfehritt die baierifche Karte
graphiein den letzten Decennien namentlich durch oberwähnte Reform erfahren
hat, kann aus nachfolgender gefchichtlicher Skizze erfehen werden.
Die topographifchen Aufnahmen in Baiern nahmen ihren Anfang noch im
vorigen Jahrhundert und zwar in den Jahren 1786 bis 1789, jedoch in verhältnifs-
mäfsig geringer Ausdehnung. Mafsftab derfelben war i : 28.000.
ImJahrei8oi hat die erile Triangulirung mit der Bafismeflung M ü n c h e n- A u f-
kirchen begonnen und mit derfelben griff auch die topographifche Aufnahme
wieder ein, fo dafs nach wenig Jahren {1812) zwei Blätter des topographifchen
AtlaiTes von Bayern im Mafsftabe i : 50.000, München und Wolfratshaufen,
erfcheinen konnten, während in den nächflfolgenden acht Jahren, inclufive 1820
fchon weitere 23 folche Atlasblätter erfchienen find, deren je eines, auch gegen
wärtig noch, der Natur nach 40.000 Meter Länge und 25.000 Meter Höhe ein-
nehmen. In neuefler Zeit jedoch werden diefelben gröfstentheils in Halbblättern
geftochen.
Eine wiflenfchaftlich begründete Terrainaufnahme nach dem Lehmann'fchen
Syflem findet fich in den bis dahin erfchienenen Atlasblättern und auch in den
nächften folgenden Jahren bis gegen Ende der zwanziger Jahre noch nicht vertreten;
die topographifchen Aufnahmen aber haben fchon feit dem Jahre 1818, namentlich
bald darauf im baierifchen Hochgebirge, das Lehmann'fche Syftem, theilweife
fehr entwickelt, zur Anwendung gebracht. Vorher wurden Erhebungen von
Militär-Kartographie. 13
geringer Neigung mit einfachen Strichen in beliebiger Stärke und in beiläufiger
Richtung derProje<5lionslinie des Neigungswinkels diefer fchiefen Fläche, dagegen
ftark geneigte Flächen mit gekreuzten Strichen, häufig auch gefchwungen und
fchattirt, dargeftellt, ohne fich an die Mannigfaltigkeit der Terrainformen gebun-
den zu fehen.
Vom Jahre 1816 an, wurde der Aufnahmsmafsftab i : 28.000 nur mehr
zur Ergänzung bereits gewonnener Blätter angewendet und kam nunmehr jener
von 1 : 25.000 allein zur Geltung (1826). Wo jedoch inzwifchen das Material der
Kataftermeffung fchon publicirt war, wurde lediglich das Terrain aufgenommen,
wozu erftes zur Grundlage gedient hat, welches fodann mit dem Terrain, wie die
beiden anderen Aufnahmen von i : 28.000 und 25.000, in Original-Atlasblätter
(i : 50.000) als Vorlage für den Kupferflich umgezeichnet wurden.
In dem Zeiträume von 1816 bis 1825 waren demnach dreierlei Mafsfläbe
bei den topographifchen Aufnahmen in Gebrauch; fürtopographifche Vermeffungen
1 : 28.000 und 25.000, dagegen kamen zur blofsen Terrainaufnahme zumeifl die
Katafterblätter in Verwendung. Später in den vierziger Jahren wurden letztere,
welche fich nunmehr faft über das ganze Königreich erftreckten, vor der Terrain-
aufnahme in 1 : 25.000 reducirt und 16 folche Blätter in ein Pofitions- refpe(5live
Aufnahmsblatt vereinigt, deffen Detailpaufen fodann als Grundlage zur Terrain-
aufnahme gedient haben. — In den Jahren 1855 und 1856 wurde wieder zu den
Kataftralblättern gegriffen, von 1857 an zur früheren Einrichtung der vorherigen
Redu<5lion zurückgegangen, was bis in das Jahr 1866 andauerte.
Vom Jahre 1851 dadirt der Beginn einer zweitmaligen topographifchen Neu-
bearbeitung eines grofsen Theiles des diefsrheinifchen Baiern und zwar aller
jener Atlasblätter mit nicht mehr zeitgemäfser Terraindarfteilung, dagegen fchliefst
die erftmalige topographifche Aufnahme des Landes mit dem Jahre 1853, und
bildeten die beiden Atlasblätter Permafens und Lichtenfels (1867) den
Schlufs der erfchienenen Kupferftiche hievon.
Von der zweiten Bearbeitung find bis jetzt im Ganzen zehn Atlasblätter
erfchienen.
In die fcheinbar ruhende Periode von 1860 bis 1870 fällt der Stich der
»Karte von Südweft-Deutfchland" imMafsftabe i: 250.000 in 25 Blättern,
welcher die beiden Karten im gleichen Mafsftabe: „Ortskarte und Terrain-
karte von Baiern die fsfeits des Rheins" in je 15 Blättern vorausgingen,
wovon letztere als Grundlage zur Erweiterung und wefentlichen Vervollkomm-
nung der Karte von Südweft-Deutfchland gedient hat.
Bis zum Jahre 1868 wurde das Terrain lediglich nach Lehmann'fchem
Syfteme aufgenommen und gezeichnet. Des Hochgebirges wegen wurden als
Maximum der Darftellung, abweichend von Lehmann, 60 Grade fchon bei der
Einführung diefes Syftems angenommen.
Von da an beginnt in Baiern die Terrainaufnahme nach Höhenftufen von
25 Fufs Höhe u. z.mit Zwifchenftufen von
i8«/4 Fufs, 12 Vi Fufs, 6V4 Fufs und 3% Fufs oder
«/^ i/j 1/^ „ Vg „ der Höhenftufen,
wobei jegliche Anwendung von Böfchungsftrichen zur Darfteilung und genaueren
Präcifirung einzelner Terrainformen etc. ausgefchloffen blieb, während noch wie
vor die Pofitionskartc, das ift die Originalaufnahme in der Reinzeichnung nach Leh-
mann'fchem Syftem mit Böfchungsftrichen ohne Ifohypfen gezeichnet wurde.
Hierauf folgte endlich die Reform der da rft eilenden Topo-
graphie von Hauptmann L. Dürr, Se<5lionschef im baierifchen topogra-
phifchen Bureau, welche 1870 ihren Anfang nahm, indem Terrainaufnahmen in
Katafterblättern (i : 5000) mit dem darunter liegenden Detail in den Mafsftab
1 : 25.000 als Original-Reinzeichnung nach delTen Aufnahmen und Anordnung
photographifch reducirt wurden.
14 Jofcf Zaffauk.
Die weitere Entwicklung diefer Reform und die verfchiedenen Beweg-
gründe hiezu legt der Autor derfelben in einer gedrängten Schrift wie folgt dar:
Die Reform der darflellenden Topographie vereinigt mit der Darllellung
des Terrains nach Lehmann'fchem Syftem jene durch HöhenftufenLinien oder
kurzweg Ifohypfen, und dürfte durch Anwendung diefer zwei Darflellungsraetho-
den allen den Anfprüchen genügen, welche die Gegenwart an die darflellende
Topographie flellt, namentlich wenn noch in Betracht gezogen wird, dafs eine
bedeutende erleichterte und fchnellere Herflellung topographifcher Karten an-
zuflreben war.
Die Kriege i866 und 1870 und 1871 hatten nämlich zur Folge, dafs dem
baierifchen topographifchen Bureau nicht mehr wie früher (in der 50jährigen
Friedensperiode bis 1866) eine erhebliche Anzahl von commandirten OfTicieren
der Linie in faft ununterbrochener 6- bis I2jähriger Verwendung — in welch*
langer Zeit fo manche Kraft in der darflellenden Topographie bis zur künftleri-
fchen Vollendung fich zu entwickeln vermochte — zu Gebote Hand; in neuerer
Zeit wurde die Zahl der commandirten Officiere vermindert und haben diefelben
nach verhältnifsmäfsig kurzer Zeit wieder zur Truppe zurückzukehren, bilden aber
allein das Perfonal der Aufnahme und bis 1873 auch das für die Terrainzeichnung,
während in den Kriegsjahren 1866, 1870 und 1871 die ganze Mafchine ftille
Hand und nur der Stich und Druck fortgefetzt werden konnten, aufserdem, nach
den Kriegen ein fad ausfchliefslich neues, das heifst noch nicht erfahrenes Per-
fonal an die Stelle des vor dem Kriege gefchulten trat.
Da aber topographifche Zeichnungen, welche bleibenden Werth haben
follen, erfahrungsmäfsig eine mehrjährige Vorbereitung und fleifsige Uebung
— namentlich in dem zur Darfteilung gewählten Mafsftabe i: 25.000 — erfordern,
fo mufsten Mittel aufgefucht werden, die es unter den gegebenen Verhältniflen
ermöglichen, mit wenig geübten und nicht fchon erprobten Kräften nicht nur
hinter den früheren Leiftungen nicht zurückzubleiben, fondern auch in der Topo
graphie der Alles verbeffernden Zeit fich anzufchliefsen.
Die grpfstmögliche Naturwahrheit in den Aufnahmen und allgemein leicht
fafsliche, klare Darfteilung mufste angeftrebt und fo die letztere vor der
ihr drohenden Verflachung durch ausfchliefsliche Ifohypfen, Höhenftufen-
Linien etc., bewahrt werden.
Um aber die Refultate diefer in Ausficht genommenen Verbefferungen
praktifch verwerthen zu können, foUte die alsbaldige Ausgabe der neueften Auf-
nahmen durch „directe" Reprodu<5lion mit Hilfe der Photographie des
Lichtdruckes etc. erfolgen; denn die heften und richtigften Aufnahmen verlieren
allzufehr von ihrem urfprünglichen Werth, harren fie lange Jahre der Veröflfent-
lichung. (Bisher erfchienen die Atlasblätter nach 7 bis 18 Jahren, von der voll-
endeten Aufnahme an gerechnet).
Das „Steuerkatafter- Material** * der allgemeinen Landesvermeffung im
Mafsftabe 1:5000, das früher in den 25.000 theiligen reducirt werden mufste,
wird feit dem Jahre 1867 in feinem urfprünglichen Mafsftabe zur Terrainaufnahme
verwendet. In feiner Reichhaltigkeit des Details ermöglicht dasfelbe eine der
Natur ähnliche, vollkommen getreue Terraindarftellung in weit höherem Grade
als die frühere, dürftige und zugleich zeitraubende Reproduiflion auf i : 25.000.
Die „Terrainaufnahme" wird bewerkftelligt, indem alle noch darftellbaren
Unebenheiten (über 60 Meter Ausdehnung) forgfältigft ermittelt, und wo es die
Deutlichkeit erfordert, mit dem Lehmann'fchen Böfchungsftrich naturgetreu cro-
quirt und fo alle Erhebungen von V^ ^^^ ^^ Klafter Anfteigung mit wohlgepfleg-
tem Formenfmn auf dem Steuerblatt wiedergegeben werden. In diefe Terrain-
darftellung werden dann auf Grund zahlreicher, gröfstentheils auf vorausgegangene
* Das einzelne Steuerblatt hat 2334*88 Meter Seitenlänge und belleht das ausgeftellte
Blatt Freifing, als erlies Product der Reform, wie jedes andere baierifcheOnginal-Aufnahmsblatt
aus x6 folchen Steuerblättern.
Militär-Kartographie. lO
Nivellements bafirter und präcifer Winkelmeflungen und Beflimmungen von
Niveaudifferenzen die Ifohypfen von lo zu lo Meter, und wo es die Mannigfaltig-
keit der Formen und wechfelvoUe Profile, fowie fanftes Wellenland etc. bedingen,
auch in Zwifchenftufen von einzelnen Metern je nach Bedürfnifs der Klarheit an
•Ort und Stelle eingetragen.
Der in der Natur lieber gewonnene Bergflrich, welcher die Form und den
Böfchungswecbfel anfchaulicher gibt, als jede andere Darftellung, fowie die ebenfo
erhaltenen Niveaucurven, dienen fich gegenfeitig als Correötiv zur endgiltigen
Feflftellung aller Unebenheiten nach ihrer Form wie nach ihrer hypfometrifchcn
Bedeutung und erhält das fo gewonnene Produ<fl durch Vereinigung diefer zwei
heften, richtig angewendeten Methoden den Charakter einer künfllerifchen Lei
ftung auf flreng mathematifcher Bafis.
Um aber auch fanfte Erhebungen, Plateaux etc. und wenig geneigte Flächen
von Yj b^^ 2 Klafter, welche bei gröfserer Ausdehnung oftmals mit einer nicht zu
verachtenden Summe von Niveau- Unterfchieden ihre Darftellung verlangen, noch
deutlich erkennen zu laffen, werden die entfprechenden Böfchungsftriche mit
noch wahrnehmbarer Ahftufung unterbrochen ausgeführt und hiedurch diefe
Terrainformen noch darflellbar gemacht, während bis jetzt die zarteften Karten-
ftiche mit dem (letigen Böfchungsftriche niemals ein fchwächeres Verhältnifs von
Schwarz zu Weifs wie 2:58 = 1:29, was 2 Klaftern entfpricht, zu Stande brachten ;
in vielen Karten endet fogar die Darftelhing fanfter Böfchungen fchon bei
1:19 = 3 Klaftern, ein unumftöfslicher Beweis, dafs alle Anfteigungen
unter 3bis herab zu '4 Klafter mit ftetigen Bergftrichen ftets
öbermäfsig ftark oder aus diefem Grunde gar nicht gegeben, fohin ganz unrichtige
Terrainbilder zum Ausdruck gebracht worden find. Werden aber dergleichen
Unebenheiten diefes erwähnten Uebelftandes wegen nicht ausgedrückt, refpec-
tive eben gelaflen, fo wird ein entgegengefetzter, aber noch gröfserer Fehler
begangen.
Die fertige Terrainaufnahme, von gefchickten und erprobten Topographen
„nach der Natur" forgfältig revidirt, wird nun auf ein für die photographifche
Reduclion auf 1:25.000 beftimmtes, zu diefem Zwecke in blauer Farbe trocken
gedrucktes Steuerblatt-Duplicat, in welchem alle von einem topographifchen
Atlas noch zu gebenden Details charakteriftifch in Tufch oder auch in fchwarzcr
Tinte bereits nachgezeichnet wurden, mit den auf dem Terrain gewonnenen
Ifohypfen übertragen, um dann photographifch reducirt in gröfster Schärfe zu
crfcheinen.
Der Blaudruck in matter Farbe hat lediglich den Inhalt des betreffenden
Steuerblattes zum Zwecke der Nachzeichnung des Details erkennen zu laffen, der
dann in der Photographie, nachdem er feinen Zweck erfüllt ausbleibt ; während
der Tro ckend ruck jedes Blatt genau in feiner Originalgröfse beläfst, dagegen
jedes feucht gedruckte (quadratifche) Steuerblatt nach dem Drucke 2 bis 7 Milli-
meter von der Seitenlänge verliert und fohin mindeftens zum Rechteck, wenn nie .t
gar zum Trapez annähernd deformirt wird.
Die Detailzeichnung felbft anlangend, mufs erwähnt werden, dafs das Erfte
und Wichtigfte einer Karte, die Schrift, ftets frei auf das leere Papier, nie aber
auf irgend welche Zeichnung zu ftehen kommt; ebenfo darf diefelbe auch die
Terrainzeichnung nicht beeinträchtigen, wefshalb der Platz für jedes einzelne
Wort mit Sorgfalt auszuwählen ift.
In ähnlicher Weife wird bei den Ortfchaften durch klare Ausfcheidung dci
Wohn- und der Neben- oder Oekonomiegebäude dem rafchen Ueberblick Rech-
nung getragen dadurch, dafs die Wohngebäude ausgefüllt, die Nebengebäude
dagegen nur in ihren Umriffen, ihrem untergeordneten Zwecke entfprechend, dar-
geftellt und von jeglicher Terrainzeichnung freigehalten werden; wodurch den
Wohnorten und deren nächfte Umgebung die nöthige Ueberficht, Klarheit und
Deutlichkeit verliehen wird.
2
16 JofefZaffauk.
Die Terrainzeichnung auf ein fo vorbereitetes Steuerblatt gefchieht, wie
fchon erwähnt, nach dem Lehmann' fchen Syflem, in dem die Stärke des Böfchungs-
ftriches flets den entfprechenden Neigungswinkel auch wirklich auszudrücken hat
und auf Grund der gemelTenen Höhen- und Zwifchenftufen mit der in diefem
Mafsflab (i : 5000) möglichen, mefs- und controlirbaren Genauigkeit unter
Anwendung gewöhnlicher Schreib- (Stahl) Federn, welche auch ausfchliefslich
bei der Detailzeichnung dienen.
Wenn nun die eine Se(5lion oder das fogenannte Pofitionsblatt bildenden
16 Steuerblätter auf diefe Weife vollendet fmd, fo können diefclben zufammen-
geftellt, photographifch reducirt und in Licht- oder Glasdruck, Heliographie etc.
auf Papier bleibend vervielfältigt und dadurch allgemein nutzbar gemacht werden.
Dasfelbe Verfahren ermöglicht ebenfo die dire<5le Herflellung des topogra-
phifchen Atlaffes in 1 : 50.000 nur mit dem Unterfchiede, dafs die auf dem Terrain
gewonnenen Aufnahmen dann nicht mehr in i : 5000, fondern in i : 10.000
gezeichnet würden, um fodann durch 5malige Verkleinerung auf den Atlas-Mafs-
ftab 1:50.000 gebracht und durch die Heliographie in Kupfer vervielfältigt
zu werden.
Die Vortheile, die durch diefe Reform hervortreten, fmd folgende:
Die unmittelbare Vervielfältigung und Veröffentlichung der neueften
Aufnahmen und zwar in verfchiedenen Mafsfläben, insbefondere in dem von
1 : 25.000 ift ennöglicht.
Durch die Nachzeichnung des Details und Darftellung des Terrains im
grofsen Steuerblatt-Mafsflabe i : 5000 erhält das in den 25.oootheiligeu Maf>ftab
reducirte Bild eine auf anderem Wege unerreichbare Schärfe.
Nochmals in das für den Atlas beftimmte Mafsverhältnifs von i : 50.000
photographifch reducirt, gibt eine folche Aufnahmsfecflion dem Kupferftecher das
richtigfte und ficherfle Bild, welches er getreu im Stich zu reproduciren hat 1 info-
lange der Stich beibehalten bleibt).
Dem Lefer der Karte wird durch das Eintragen der Ifohypfen und vielen
Coten (das Steuerblatt erhält durchfchnittlich 10 bis 12 oder der Quadrat-Kilometer
2 Höhencoten) das Mittel geboten, neben der plaftifchen Geftaltung des Terrains
auch das gegenfeitige Höhenverhältnifs rafch zu würdigen und fich anflatt der bis
herigen Schätzung fiebere Kenntnifs und Gewifsheit zu verfchafFen, indem dei
wiflenfchaftliche Werth einer folchen Karte wefentlich erhöht ift.
Erfordert das jetzige Verfahren weniger Zeit und minder forgfaltige Aus-
wahl geeigneter Kräfte, weniger Anftrengung und keinen weiteren Apparat als
Bleiftift und Schreib- (Stahl-) Feder. Die bisherigen Zeichnungen in i : 25.000
wurden mit feinen Fifchotter-Haarpinfeln gefertigt, deren vollendete Führung oft
jahrelange Uebung erforderte.
Dem topographifchen Bureau des königlich baierifchen Generalftabes wurde
für die Leiftungen im Kupferftiche und Benützung der Katafterpläne in Verbindung
mit photographifcher Reprodu<5lion zu topographifchen Zwecken die Fort-
fchrittsmedaiUe zuerkannt.
Belgien.
Belgien ebenfo die Niederlande befafsen fchon anfangs des vorigen
Jahrhunderts gute Kartenwerke. Hervorzuheben fmd von älteren Kartenwerken die
von Nik. V i s f c h e r, Friedrich de Witt, Peter Schenk, Jaillot, Conveno,
Mortier, Ottens und die 1748 durch die Homann'fchen Erben nach
Maier's Zeichnungen geftochenen. Nebft Meier's Zeichnungen waren auch
die von de l'Isle rühmenswerth.
Zu den eflfecfl- und gefchmackvollften, hiebet billigen Karten, welche in der
Ausftellung zu erfehen waren, können wir ohne Zweifel jene zählen , welche das
i
Militär-Kartographie. X 7
^Depot de la guerre" fowohl in eleganten Mappen als auch in Glasrahmen
an der Wand hängend exponirt hatte.
Die Landesaufnahme (Mappirung) ftellt die Originalkarte im Mafsflabe
1:20.000 her. Durch Anwendung der Photographie, Lithographie,
Photolithographie, Photozinkographie und des Farbendruckes
werden die Karten in den VerjüngungsverhältnilTen i: 10.000, 1:20.000
1:40.000 und in jüngfter Zeit 1:160.000 verfertigt.
Das Terrain ifl in allen Karten mittelft horizontalen aequidiftanten Curven
ausgedrückt. Für colorirte Karten in i : 10.000 ifl die Schichtenhöhe am linken
Maasufer ein Meter und am rechten fünf Meter.
In der Karte 1:160.000 i(l die Schichtenhöhe 20 und in der Karte
1:40.000 ifl felbe fünf Meter. Höhencoten find durch flehende arabifche Ziffern
zum Ausdrucke gebracht. Das Gerippe ifl gut und deutlich markirt , die Schrift
leicht leferlich, jedoch erfcheint diefe gegenüber den in Oeflerreich vorgefchrie-
benen Dimenfionen der verfchiedenen Schriftgattungen etwas mager.
Die ausgeflellten Blätter waren theils fchwarz, theils in Farben ausgedrückt.
Im Mafse i: 10.000 waren ausgeflellt die Zinkographien „Namur"
und „D in an t" (fchwarzj, in welchen die aequidiftante Schichtenhöhe einen Meter
beträgt und jede fünfte Curve flärker gehalten ifl. Das Blatt „Dinant" war in
«lemfelben Mafsflabe auch als Farbendruck ausgeflellt.
Im Mafse i : 20.000 waren photozinkographifche Reprodu<5lionen der
Blätter Namur und Dinant fchwarz, aufser diefen beiden noch jene von Sand,
Wavre, Tervueren und der Umgebung des Schlachtfeldes von Waterloo
in Farbendruck exponirt. Die einmeterigen Schichtenlinien find entweder
alle fchwarz und gleich breit oder jede fünfte breiter dargeflellt, oder aber jede
fünfte ifl fchwarz und die anderen Zwifchen-Schichtenlinien mit Biflre gegeben.
Die parallel zum Seitenrande der Karten flehenden Höhencoten erfcheinen theils
roth, theils fchwarz. Die GewälTer find gegen die Mitte zu blau lavirt, die Eifen-
bahnen fchwarz, die Kunflflrafsen und Wohngebäude roth, die minder guten
Communicationen fchwarz , Hutweiden , Wiefen und Gärten grün , Waldungen
durch dunkelgrün geflammte Striche in dichterer und fchütterer Aneinander-
reihung gegeben. Durch letztere Bezeichnung verliert jedoch die Ueberfichtlich-
keit des Wegnetzes, insbefondere aber der Zufammenhang der Kohypfen , wefs-
halb es für das praktifche Bedürfnifs angezeigter fein dürfte, wenn die Waldungen
in b'affer Tonirung ebenfo gleichmäfsig wie Wiefen und Hutweiden gezeichnet
würden.
Die Karten im Mafsflabe i: 10.000 und 1:20.000, welche im Wege der
Photozinkographie fchwarz gedruckt erfcheinen , find treue Reprodudlionen der
Detailaufnahme. Officiere und Unterofficiere erhalten derlei Blätter um den
kaum nennenswerthen Preis von fünfzehn Centimes verkauft. Dafs diefe Karten,
fowie jene, welche durch die Photolithographie reproducirt find , nicht mit gra-
virten Karten verglichen werden können, ifl einleuchtend.
Die dritte Serie bilden die durch Gravur in Stein ausgeflellten Karten
im Mafse i: 40.000. Das gan^e Werk diefer Kartenferie wird nach feiner
Vollendung aus 72 Blättern von 50 Centimeter Höhe und 80 Centimeter Breite
beflehen.
In diefen Karten ifl die aequidiflante Schichtenhöhe mit fünf Meter
angenommen, die Ifohypfen find alle in gleicher Stärke fchwarz ausgeführt und
das Terrain überdiefs reichlich mit Höhencoten bezeichnet. Da in diefen Karten
die Ifohypfen alle von gleicher Stärke und fo wie das Gerippe fchwarz ausgeführt
find, fo ifl man wohl im Stande, fich ein Relief oder beliebig viele Profilscon-
flru<5lionen zu entwerfen und der Terrainzeichnung an und für fich ifl daher ent-
fprochen, allein der Zufammenhang des Terrains, die Formation desfelben, find
flellenweife nicht immer gut lesbar und überfichtlich genug, weil die Blätter
manchmal mit Culturdetail überfüllt find, wie dies aus dem Blatt 20 (Roulers) und
2*
18 JofefZalTauk.
21 (Thielt) zu erfehen ifl, welcher Umfland am deutlichften dafür fpricht.
dafs es eine irrige AuffafTung wäre, für die Terraindarflellung unter allen Ver
hältnilTen nur Schichtenlinien allein in Anwendung bringen zu wollen. Gefchiehi
diefs aber doch, dann foUten diefelben, der Ueberficht wegen, mindeflens in
hervortretender Farbe — etwa braunroth — gegeben und wenigftens die hunderi-
theiligen Höhenwerthe, wie fie in den chromolithographifch erzeugten Karten
zu finden find, durch eine kräftigere Curve markirt werden; da das Auge
diefes Anhaltspunktes bedarf und die fchnellere Orientirung diefes Hilfsmittel
fordert.
Was endlich die letzte Serie diefer Karten betrifft , fo find diefelben
Chromolithographien.
Durch den deutfch franzöfifchen Krieg hat fich abermals herausgeftellt,
wie nothwendig es ifl, Ofilciere und Unteroflficiere mit leicht verfländlichen und
handfamen Karten zu verfehen. Das „Depot de la guerre" lieferte nun
eine folche Karte in vier Blättern, von denen das erfle Blatt' exponirt war.
Das Gerippe ifl mit Ausnahme des Wegnetzes und der Ortfchaften fchwarz.
dieNiveau-Curven (20 Meter hoch) mit Biflre (rufsbraun; eingetragen, jede fünfte
(alfo 100 Meter hohe) Schichte flärker gehallen und aufser den vielen
angegebenen Höhencoten find überdiefs die Theilungsbecken licht nufsbraun, die
dominirenden Punkte, Kücken, Kuppen, kurz jene Theile , die gute Defenfiv
flellungen bieten, blafsroth angelegt.
Das Gouvernement hat angeordnet , dafs ein Exemplar von diefer Karte
jedem Oflicier und intelligenten Unterofilcicr verabfolgt werde.
Um endlich den Vorgang beim Farbendruck von Karten anzuzeigen , und
um eine Idee von der V^ollkommenheit zu geben , welche man mit der Photo-
lithographie erreichte, war vom Depot de la guerre eine Mappe ausgeftellt.
Sie enthielt :
Ein Specimen , vorflellend die Stadt Namur und ihre Umgebungen mii
getrenntem Druck in verfchiedenen Farben. Zum Drucke waren fieben Steine
erforderlich. Ein zweites Specimen, eine Photozinkographie im Mafse 1:20.000
und i: 10.000.
Ueberfchauen wir nun nochmals die erzeugten Karten, fo gelangen wir zu
dem Refultate, dafs, obgleich keine der verfchiedenen Reprodu(flions-Methoden.
welche bei Erzeugung der Karten in Anwendung kommen, neu ifl, fich doch
immerhin ein Fortfehritt in der Ausführung, eine gewifle Vervollkommnung in der
Technik conflatiren läfst, und dafs daher fdmmtliche Karten des Depot de la
guerre fowohl in Bezug auf die technifche Ausführung, wie nicht minder auf
das praktifchc Bedürfnifs als befonders fchätzenswerthe Leiflungen auf dem
Gebiete der Kartographie bezeichnet werden können.
Dem königlich belgifchen Kriegsdepot wurde von der internationalen
Jury wegen der Leiflungen in der Kartographie , der Benützung der Photo-
graphie und des Buntdruckes die F ort fch rit tsmedail 1 e zuerkannt.
Dänemark.
Bei den Karten des königlich fchwedifchen Ober-Baumeiflers Andrea>
Buraeus de Boo, flofsen wir auf das erfle kartographifche Werk der jüti-
fchen Halbinfel, die eigentlich nur für Schweden beflimmt, fafl alle nordifche«
Staaten enthielt und als Grundlage vieler fpäteren Kartenwerke diente. Xacli
vielfach erfahrenen Verbefferungen fahen fich de Boo's Karten doch bald ver
drängt, durch die Karten Dänemarks von Mcrcator und Blaemo, fowic
durch jene der dänifchen Infein, welche de Witt, Dankret und Horaann
geliefert hatten. Doch in beiden hatten fich noch immer alte Krebsfchäden au*«
früheren Karten eingefchlichen und Pontoppidan ifl das Verdienfl zuzufchrei-
ben, fie in feinem dänifchen Atlas (17651 gröfstcntheils entfernt zu haben. Diefein
Militar-Kariographie. 19
um Dänemarks Kartographie hohverdienten Manne verdankt man auch mehrere
befondere Karten einzelner Provinzen.
In fpäteren Jahren hat die königliche Gefellfchaft der Wif-
fenfchaften begonnen, von den vollkommenen Karten Dänemarks einzelne
Theile in Kupfer ftechen zu laflen, von denen das Amt Kopenhagen auf einem
und ein Theil Seeland auf zwei Blättern als die fchönften Exemplare genannt
werden muffen.
Verlaffen wir jetzt die getreue Klio, die uns diefe Daten an die Hand gab,
und wenden wir uns der dänifchen Ausftellung felbft zu. Der officielle General-
katalog erfpart uns ein langwieriges Suchen , indem er uns in der XII. Gruppe
Dänemarks unter der Nummer 25Ö anzeigt, wohin wir uns zu wenden haben.
Das erfle, was wir dafelbft erblicken, ift eine Mappe mit gut gelungenen
Photographien und Photolithographien von colorirten Mefsfecflionen
Mappirungsfecflionen) im Mafsftabe 1:20.000, die im Jahre 1869, 1870 und
1871 vom dänifchen Generalflabe angefertigt wurden.
Im Mafsftabe 1:40.000, der nach officiellen Angaben für Pläne der
Umgebungen von Städten angewendet werden foU, treffen wir die vom General-
ilabe ausgearbeitete und ausgegebene Karte von Jütland. Mit überaus feinem
Stich geben fie das Terrain in zehnfüfsigen, äquidiftanten Niveaucurven ; felbft
der Meeresgrund an denKüften erfcheint uns durch vier Horizontalcurven markirt,
die einen äquidiftanten Abftand von fechs Fufs bezeichnen. Ueber die Tiefe von
24 dänifche Fufse hinaus ift die Meerestiefe durch arabifche Ziffern in Klafter-
fonden gegeben.
Diefe Karte erfcheint in einzelnen in Kupfer geftochenen Blättern, die je
einen Flächenraum von fünf Quadratmeilen repräfentiren und eine Breite von
15 d. c' , eine Höhe von 12 d. c.\ haben. Sie find insgefammt mit minutiöfer
Genauigkeit durchgeführt und dem Umftande mag es wohl zuzufchreiben fein,
dafs die im Ganzen mufterhaft durchgeführten Blätter, an einigen Stellen durch
grofse Anhäufung von Schichtenlinien, Cultur und Schrift, überladen erfcheinen.
Diefer Uebelftand tritt jedoch noch mehr hervor in der vom Generalftabe
im Mafs 1:80.000 ausgegebenen Karte Dänemarks (Generalftabens topografiske
Kort over Danmark >. Diefe, in der modificirten Flamfteed'fchen Projecflion
erfchienenen Atlasblätter find eine pantographifche Reducflion forgfältiger Detail-
aufnahmen im Mafsftabe i : 20.000, die auf Bafis einer fehr genauen Triangulirung
und reducirter Kataftermappen (i : 4000} bewerkftelligt wurde. Auf eine Quadrat-
meile entfielen etwas über oder unter Hundert durch trigonometrifches Nivel-
lement geraeffene Hühenpunkte, welche die Grundlage für die Einzeichnung des
Terrains in zehnfüfsigen, äquidiftanten Niveaucurven bildeten.
War diefe geringe Schichtenhöhe bei den im Mafsftabe 1:20.000 angefer-
tigten Karten gerade im richtigen Verhältniffe gehalten, fo muffen wir fie in der
vierfachen Verkleinerung jedoch, als all' zu gering anfehen ; obwohl die Feinheit
;n der Ausführung eine aufserordentliche ift, würde eine gröfsere Schichtenhöhe
doch wefentlich zur leichteren Lesbarkeit der Karten beitragen.
Die mehrerwähnten Niveaucurven erfcheinen in den Karten als feine
fchwarze Linien, die Gewäffer blau, die Strafsen durch doppelte braun angelegte
Linien, Eifenbahnen werden durch eine kräftige Linie mit einer parallelen feinen
zu beiden Seiten, fonftige Wege und Fufsfteige durch einfache, geftrichelte Linien
gegeben. Durch leicht verftändliche conventionelle Bezeichnungen find Laub-
and Tannenwälder, Geftrüppe. Sümpfe, Wiefen, Haiden , Lehmboden etc. erficht-
lich gemacht. Der Meeresgrund erfcheint ebenfalls in vier fechsfüfsigen Faden-
linien, jedoch über diefe Tiefe hinaus nur mehr mit angegebenen Sonden in Klaf-
tern. Auch ift auf Alterthums -Denkmäler befondere Rückficht genommen und
diefe, fowie die einzelnen Kirchipiel-Grenzen auf den Blättern erfichtlich gemacht.
Von den Original-Kupferplatten werden galvanoplaftifche Copien
angefertigt und können die Karten mit und ohne Abbildung des Bodenreliefs
20 Jofcf Zaffauk
ausgegeben werden. Diefe feit dem Jahre 1845 begonnene Karte ift gegenwärtig
noch nicht vollendet und es erfcheinen die einzelnen Kartenblätter in zwölf
Decimalzoll hohen und fünfzehn Decimalzoll breiten Blättern, die demnach jedcb
einen Flächenraum von zwanzig Quadratmeilen repräfentiren.
Im Mafsflabe 1:160.000 war die Generalkarte von Seeland,
Moen, Laaland und F alfler (1869) ^^ <^'"ei Exemplaren, fämmtliche in Form
von Wandkarten ausgeflellt.
Die erfle gibt das Terrain in fchwarzen dreifsigfiifsigen Niveaucurven,
bei der zweiten ifl jede dritte durch eine rothe Farbe hervorgehoben, und die
dritte endlich läfst die einzelnen Schichtenmäntel von 90 zu 90 Fufs durch
Anlegen derfelben mit immer dunkler werdenden Tönen erkennen, fo dafs die
Erhebungen von o bis 90 Fufs weifs bleiben und von da bis 450 Fufs in gelber
brauner und rothbrauner Farbe erfichtlich gemacht find. Auch diefe Karte ifl
mit gröfster Sorgfalt durchgeführt.
Dem Generalflabe Dänemarks war für die Leiflungen auf dem Gebiete der
Kartographie von der internationalen Jury die Fortfchrittsmedaille
zuerkannt worden.
In der dänifchen Abtheilung waren auch gelungene photolithographifche
Karten-Reproducflionen vom königlich dänifchen Hofphotographen Budtz Mül-
ler & Comp., fowie des Landesinfpeiflors Schow präcis und fchön ausgeführte
geodätifche und geognoflifche Karten ausgeflellt.
England
war leider nur durch (John Bartolomew) Schulkarten vertreten.
Was die cuglifchen Be fitzungen anbelangt, fanden wir folgende
durch Kartenwerke vertreten: Neuseeland durch eine Karte der Colonie
von Neu -Seeland im Mafsflabe von 1:760.320, die vom öffentlichen Bau-
departement ausgegeben, mit anderen meill geologifchen Karten ausgeflellt
wurde. Sie ifl in Farben mit lavirtem Terrain ausgeführt und zeichnet fich durch
befondere Nettigkeit aus.
Nebfl mehreren von Dr. Länder Lindfay ausgeflellten Plänen vom
Jahre 1861 bis 1862 fanden wir noch eine von Julius Haafl ausgeführte Recog
noscirungskarte der Provinz Canterbury im Mafsflabe 1:253.440
(4 englifche Meilen =1 englifcher Zoll), die, bei angenommener fchiefer Beleuch
tung, das Terrain durch Lavirung plaflifch dargeflellt.
In Britifch -Indien fanden wir einen, im Auftrage der englifcheii
Regierung im Jahre 1873 angefertigten lithographifchen Farbendruck
aus Madras, darflellend die Berge von Nilgherry mit fchraffirtem Terrain,
ferner einen Schichtcnplan der Umgebung des Cholavaram See
und mehrere andere in Schraffen ausgeführte Skizzen. Dr. Leiter hatte eben-
falls Karten von Oberindien exponirt. Auch fanden wir das Cap der
guten Hoffnung vertreten durch Seekarten, Pläne von Gold- und
Diamantenfeldern und der Capfladt etc., fämmliche von Herrn Julius
Mofenthal ausgeflellt.
Frankreich.
Auf dem Gebiete der Kartographie erfcheint uns Frankreich als
eines der frühentwickeltflen Länder Europas. Hier können wir an der Hand der
Gefchichte bis in die Mitte des XVIL Jahrhunderte» zurückfchreiten und fchon
werden uns Kartenwerke vors Auge treten, die uns für jene Zeitepoche wahr-
haft in Erflaunen fetzen können. Waren auch die Karten von Wilhelm
Foflellus, Andreas Thevet, Peter Plantius, Johann Jolivet und die
noch älteren von Jollain und Taffin nur die Produ(5le einer Wiffenfchafi.
Miliiär-Kartographie. 2L
die damals noch in den Kinderfchuhen flak, fo treffen wir bei ihren Nach
folgern wie Saufon und Anderen fchon auf einen merklichen Fortfehritt. Aber
erfl nach der Errichtung der königlichen Akademie der Wiffenfchaften und
nachdem die beiden Mathematiker Caffini und de la Hire die Mittags-
linie von Paris durch ganz Frankreich beftimmt hatten, erreichten die fran-
zöfifchen Karten einen höheren Grad der Vollkommenheit und wiffenfchaftlichen
Werthes. Unter diefcn ift die im Jahre 1703 herausgegebene Karte erwähnens-
werth, da fie überdiefs auch bereits die Eintheilung des Königreiches in die
Gouvernements g^neraux enthält.
Der fpäteren Kartenwerke wie Rizzi Zannonis „Atlas hiflorique
de la France" in 50 Blättern, und Bourguignon d'Anville's Karten
von Frankreich, welche man in des Abt's de Longuerue „Description
hiftorique et geografique de la France ancienne et moderne**
findet, fei weiter keine Erwähnung gemacht.
Im Jahr 1750 trat Julien mit einem von Caffini de Thu ry gezeich-
neten Atlas Frankreichs in 28 Blättern auf, der als das befte Kartenwerk
damaliger Zeit angefehen werden kann. — Die im Jahre 1774 beim Kupfer-
ftecher Bourgon in Paris erfchienene Carte itineraire de la France
war fehr erwünfcht, da felbe die Eintheilung in Gouvernements militaires und
Provinzen darftellte.
Alle genannten Karten übertraf jedoch die fogenannte Carte topo-
graphique de la France, beftehend aus 175 Blättern, welche unter der
Direölion von Caffini de Thury, Camus und Mo nt ig ny 1756 angefangen
wurden, und von welcher 1775 fchon 104 Blätter im Verlage Julien's fertig
waren. Der Uebelfland bei diefer Karte befleht darin, dafs fie der Gouvernements-
und Provinzialeintheilung entbehrt.
Und fo wie ein befferes Werk dem anderen folgte, fo hatte auch diefes bald
eine Nachfolge gefunden in der 1833 auf Befehl des Gouvernement au d^pot
g c n ^ r a 1 erfchienenen : Nouvelle carte de France. Sie wurde im Mafsflabe
1 : 80.000 angefertigt und ift gegenwärtig noch nicht vollendet. Sie wird durch
Correölion der älteren Blätter fortwährend ergänzt. Die einzelnen Blätter find
das Producft der Redud^ion der Originalaufnahmen des Generalftabes, welche je
nach der Benützung der Katafterkarten inMafsftäben von i: 20.000 und i : 40.000
erfolgen, und die Terrainconfiguration durch Conftru<5lion äquidiftanter Niveau-
curven und reichhaltiger Höhenmeflungen beftimmen. In den in Kupfer gefto-
chenen, publicirten Blättern treten an die Stelle der Niveaucurven Bergfchraffen
(hachures) nach dem etwas modificirten Lehmann'fchen Syfteme. Das topo-
graphifche Detail ift mit gröfster Schärfe und Klarheit wiedergegeben. Diefe Karte
wird durch Ueberdruck auf Stein zur Herftellung von Departementskarten benutzt.
Im Jahre 1852 wurde vom Generalftabe eine neue Karte im Mafsftabe
I : 320.000 herausgegeben. Diefelbe ift eine einfache Verkleinerung der vor
erwähnten topographifchen Karte. Sie bietet für geographifche und Ylrategifche
Intereffen genügendes Detail, für fpecielleren Bedarf wird aber ein grofser Reich-
thum an Zeichen und Namen der Wohnplätze vermifst.
Für die nun in rafcher Folge erfchienenen Kartenwerke wurden als
officielle Verjüngungsverhältniffe feftgefetzt: 1:2000, 1:2500, 1:5000 für Befefti-
gungsanlagen und Specialpläne kleiner Oertlichkeiten, i: 10.000 für Pläne von
Städten nebft Umgebung, i : 20.000 für die Originalaufnahme des Landes, für
Pläne des Uabungsterrains, i : 40.000 für Originalaufnahmen, und zwar für
Pläne von Schlachtfeldern. Stadtumgebungen, 1:80.000 und i : 320.000 für die
officiellen Landkarten.
Nach diefer kurzen Abfchweifung wollen wir uns den vom Depot de la
guerre ausgeftellten Karten felbft zuwenden.
Das erfte Blatt, betitelt „Environs deRouen" zeigte uns eine auf
heliographifchem Wege erzeugte und auf Stein übertragene
22 JofefZaffauk.
Vergröfserung im Mafsftabe i : 50.000, der im Mafsflabe l : 80.000 erzeugten*
Karte von Frankreich. Die gelungene Vergröfserung läfst auf den befonders
feinen Stich des Originales fchliefsen, da hiedurch feinem artiflifchen Werthe
kein Abbruch gethan wird. Diefeb Blatt empfiehlt fich durch feine gute Lesbar-
keit und die rafche, hiebei billige Methode feiner Erzeugung.
Unter Nro. 2 war uns das eben fo lehrreiche als praktifche Verfahren vors
Auge geführt, welches imD^pot de laguerre zurCorrectionundVer-
vollfländigung der Kupfcrplatten gebräuchlich ifl. Als Beifpiel wurde der
alte im Mafse i: 20.000 angefertigte Plan der Stadt Lille auserfehen und auf ihm
die Umänderung der alten Befefligungswerke in ihre jetzige Form und Ausdeh-
nung vorgenommen. Das erde Kupfer zeigt uns den alten Zuftand des Planes;
das zweite zeigt das Auslöfchen derjenigen Theile, welche zur Herflellung des
neuen Stiches nöthig waren ; im dritten Kupfer ficht man dab auf elektrochemi-
fchem Wege niedergefchlagene Metall in den früher erzeugten Vertiefungen und
im vierten Kupfer endlich ill das Metall gefchabt und planirt und die Details der
neuen Befefligungswerke mit dem Grabllichel bereits geflochen. Diefes von
George erfundene Verfahren können wir nur als ein fehr gelungenes bezeichnen.
Das dritte exponirte Blatt flellte den Abdruck eines in der Ausfüh-
rung befindlichen Gebirgsblatt e s der Karte von Frankreich dar. Man
beabfichtigte hiedurch die verfchiedenen Theile der Arbeit hervorzuheben, näm-
lich den durch Aetzung erzeugten Entwurf und den mit der kalten Nadel
beendigten Stich. Auffallend war uns die in diefem Blatte mangelhafte, mitunter
naturwidrige Darflellung der Bodenunebenheiten.
In einer Glasrahme unter Nro. 4 fanden wir das vorzügliche Specimen von
Chromolithographie, darflellend die Umgegend von ChercheU in Algerien.
Die Methode befleht in der Anwendung einer unveränderlichen Anzahl
von fünf Steinen, womit man nicht nur die Planimetrie (Gerippe), Terrainzeichnung
und Schrift wiedergeben kann, fondern auch alle jene Tonirungen, welche man
in geologifchen, topographifchen und anderen handfchriftlichen Karten benutzt.
Schwarz verwendet man für die Verbindungswege und Schrift, Blau für die
Gewälfer, Roth für Baulichkeiten und Biflre (Rufsbraun) für die Ifohypfen. Durch
den fünften hinzutretenden Stein für Gelb ifl es dann möglich, alle möglichen
Tinten hervorzurufen, indem man die einfachen Farben, blau, gelb und roth ver-
bindet und ihnen in gewiffen Fällen ein wenig Schwarz oder Biflre zufetzt.
Das ausgeflellte Specimen wies acht verfchiedene Farben (Tintenj auf,
nämlich vier einfache : fchwarz, roth, blau, biflre ; vier zufammengefetzte : hellgrün
dunkelgrün, fienna und violet.
Diefe Methode ifl erfl unlängfl vom Kriegsdepot adaptirt.
Unter Nro. 5 wurde uns ein neues Vervielfältigungsverfahrcn
vors Auge geführt, welches auf die Gebirgsblätter der Karte von Frank-
reich I: 80.000 angewendet erfcheint und nach authentifchen Mittheilungen in
Folgendem befleht:
Durch das gewöhnliche Verfahren wird ein Ueberdruck der geflochenen
Kupferplatte auf einen Stein gemacht. Mit Hilfe diefes Ueberdruckes macht man
zwei Wiederdrücke (faux d^calques) auf zwei andere Steine. Der Graveur über-
geht hierauf auf einem diefer beiden letzteren Steine die Wege, die Schrift und
die Gebäude, d. h. alle Zeichen, die im definitiven Abdruck fchwarz erfcheinen
muffen ; auf dem zweiten diefer Steine übergeht er nur die Gewäffer, für welche
die blaue Farbe vorbehalten ifl. Alles was nicht fchwarz oder blau erfcheinen
mufs, wird auf diefen beiden Steinen ausgelöfcht. Der Ueberdruck wird darauf
mit Biflre aufgetragen und ergibt einen Abzug, auf dem alle Details der Zeich-
nung, Geripp und Terrain in diefer Farbe erfcheinen. Der Abzug wird dann auf
den zweiten mit Schwarz aufgetragenen Stein gebracht und erhält alle Wege,
Gebäude und Schriften; fchliefslich kommt er auf den dritten mit Blau aufgetra-
genen Stein und die Operation ifl beendigt.
Miliiar-Kartographie 2S
Wurde das Anpaffen des Abzuges auf den Steinen genügend forgfältig aus-
geführt, fo decken die fchwarzen und blauen Linien und Zeichen genau diejenigen,
welche beim erften Abzug in Biftre gedruckt wurden, und das Terrain allein zeigt
diefe Färbung.
Sticht man auf einem vierten Steine die 20metrigen Schichtenlinien, fo
erzielt man durch einen combinirten Druck diefes mit Steinen für Schwarz und
Blau, die zur vorhergehenden Operation dienten, einen ftatigraphifchen Druck
<lerfelben Karte. Neben den erften geftellt, erlaubt diefer Abdruck die beiden zur
Darfteilung des Terrains angewandten Verfahren zu vergleichen und die Vor- und
Nachtheile beider Syfteme zu erkennen.
Durch die unter 4 und 5 erwähnten Methoden wurden endlich die unter 6
exponirten Blätter erzeugt. Der erfte Druck ift der eines Blattes der Karte von
Algerien (M^d^ah) im Mafse 1:80.000 fTerrain in Schichten). Die zwei
anderen Blätter, Modane und B ardonn ech e, die zufammen die Karte des
grofsen Tunnels vom Mont Cenis darftellen, wurden nach der eben unter 5
erwähnten Methode abgedruckt. Durch Abtönung der Farben konnte man es
drhin bringen, die Waldungen dunkelgrün feine Mifchung von Blau und Biftrcj
anzulegen, ohne die Anzahl der Steine, die aus drei : fchwarz, blau und biftre
befteht, zu vermehren.
Ais letztes Blatt fahen wir eine reichlich cotirte Nivellirungskarte von
Frankreich I: 80.000 in loometrige Schfchten gelegt. Zur leichteren Ueberficht
ift hiebei jede vierte Schichtenlinie ftärker ausgezogen. Es ift diefs eine Wand-
karte, welche die Reliefbildung Frankreichs recht gut veranfchaulicht.
Die Zeichnung wurde auf photolithugraphifchem Wege in zwei Farben,
blau und fchwarz, auf Stein übertragen.
Die ganze Karte, aus ö Blättern beftehend, ift um den geringen Preis von
3 Francs zu beziehen.
Die Ausfteller wurden von der internationalen Jury mit dem Ehren-
diplome ausgezeichnet.
Niederlande.
Haben wir fchon bei allen bisher erwähnten Ländern einen erfreulichen
und entfchiedenen Fortgang conftatiren muffen, fo ift diefs bei den exj^onirten
niederländifchen Kartenwerken des topographifclien Bureaus noch mehr unfere
Pflicht. Hier treffen wir auf wahrhaft vorzügliche Leiftun^en, was befonders von
den durch Farbendruck erzeugten Blättern gilt. Als Verjüngungsverhä'.l
niffe, die für ofticielle Karten angewendet werden, fanden wir hier folgende
.Mafse :
1:25.000 für die feit 1834 begonnenen Originalaufnahmen.
1:50.000 für die topographifche Karte des Landes, fowie
I: 200.000 für den topcjgraphifchen Atlas der Niederlande.
Was die im Mafsftabe 1:25.000 angefertigten Kartenwerke betrifft, fo
waren fie auf der Ausftellung durch zwei Blätter vertreten, von denen das eine
„Balaclava" als P h o t o 1 i th o g ra p h i e , das zweite die to|)ographifche Karte
von ^S. Gravenhage en Omftrecken" als Chromolithographie auftrat.
In beiden Blättern erfcheint das Terrain in Schraffen nach dem Wafferlaufe. Das
letztere Blatt von drei Steinen nach der Procedur „Eckftein" erzeugt und mit
typo-autographifcher Befchreibung verfehen. — In der Verjüngung l : 50.000
finden wir die unter 2 erwähnte „Topograph, en militar. Kaartvanhet
Koningrijk d e r N e d e rl an d e n", die, aus 62 Blättern beftehend, fchon im
Jahre 1864 vollendet war und feit jener Zeit fortwährend ergänzt und berichtigt
wird. Diefe Karten geben wohl das möglichft vollftändige Bild, das toi>ogra-
phifche Karten überhaupt bieten können. Sie enthalten fämmtliche Ortfchaften,
die Städte en detail, die Culturen. alle Communicationen, Meerestiefen etc. ; das
24 JofcfZaflrauk.
Terrain ifl leicht fchraffirt, entbehrt jedoch beigefetzter Höhencoten. Durch ihre
fchöne Ausführung, noch mehr aber durch ihre Genauigkeit erfetzen diefe Blätter
alle älteren Karten des Landes, wie jene vonKra y e n h of, Defterbeck u. v. A.
Eine Reducftion diefer topographifchen Karten ifl der topographifche
Atlas der Niederlande. Mafsftab 1:200.000.
Von den ausgeflellten Karten fanden wir ferner im Mafsftabe 1: 100.000
die topographifchen Karten der Refidenzfchaft en Samarang und Poe a-
longan auf Java und jene vonCheribon. In diefen auf chromolithographi-
fchem Wege erzeugten Blättern ifl; das Terrain durch blaue Curveu und durch
feine braune Schraffen gegeben, wobei man das Gefetz, dafs die Schichtenlinien
(Horizontalen) von den Schraffen fenkrecht getroffen werden muffen, wenig zu
beachten fehlen. — Die Gewäffer erfchienen blau, das Meer von der Küfte an in
zehn verfchiedenen Tönen diefer Farbe abgefluft ; grüfsere Strafsen roth, gewöhn-
liche Communicationen fchwarz. Auch waren die einzelnen, durch rothe Linien
fcharf begrenzten Culturparzellen in verfchiedenen Farben unter einander erficht-
lieh gemacht, fo dafs z. B. Kaffeeanlagen braun, Zuckerplantagen roth, Waldun-
gen grau erfchienen. Auch hier trafen wir auf einen reinen präcifen Farbendruck.
Das Verfahren hiebei war noch durch drei exponirte Steine und eine beigefügte
Erläuterung verfländlich gemacht. Letzterer entnahmen wir ungefähr Folgendes :
Diefe von E. H. E ckflein, dem technifchen Vorfleher des topographi-
fchen Bureaus in Anwendung gebrachte Aetzmethode bezweckt den gleichzeitigen
Druck verfchiedener Farbennuancen von flachen Tinten auf mechanifchem Wege
zu erzielen, anflatt dasfelbe, wie bisher, durch die zeitraubende Arbeit vorzuneh-
men, wo man diefe Tinten durch Striche, Punkte oder vermittelfl des Kornes
lithographifcher Kreide darzuftellen fich bemühte. Die fo erhaltenen Tinten
zeichnen fich hauptfächlich durch Gleichmäfsigkeit, Feinheit, Frifche und Kraft
aus, und geftatten die ausgedehntefle Abflufung der Nuancen. Alle Farben und
Tinten, welche zu kartographifchen Arbeiten bedingt werden, können von drei,
in ihren verfchiedenen Nuancen bearbeiteten Steinen für die blaue, rothe und
gelbe Farbe zufammengeflellt werden. Als Probe hiefür liegt die im Mafse
1:100.000 (.^1 angefertigte Karte eines Theiles der Schweiz (Blatt Interlacken)
auf. Diefe ebenfalls mit typoautographifcher Schrift verfehcne Chromolitho
graphie enthält die Gewäffer blau, die Communicationen weifs, die Schichten
linien fchwarz und die einzelnen Schichtengürtel von der T«- .'e gegen die Höhe
zu in immer heller werdenden braunen und braunblauen Tönen, was dem Ganzen
einen relie^artigen Eindruck verleiht. Dasfelbe Blatt erfcheint auch noch im
Mafsftabe i: 75.000 (.^) bei fchräge angenommener Beleuchtung mit Aequidiflanzen
in Licht und Schatten. Die Schichtengürtel gehen ebenfalls gegen die Höhe zu
in einen lichteren Ton über.
Diefe Methode Eckflein's konnte bis jetzt nur für das topogra-
phifche Bureau nützlich gemacht werden, obwohl fie fich auch auf Kunflproducfle
anwenden liefse. Ihre grofsen Vortheile beftehen im Wefentlichen in folgenden
Punkten :
In der fchnellen und mechanifchenConftrudlion der Tinten durch Actzung;
in der Erlangung aller Farben, Linien und Details in gröfster Klarheil
und Schärfe von nur drei Steinen, was eine aufserordentliche Erfpamifs an Zeit
und Steinen nach fich zieht und den Druck felbftwefentlich vereinfacht und endlich
in dem gleichzeitigen Drucken von fehr hellen und dunklen Tönen der-
fclben Farbe, was vorzüglich die Klarheit der hellen Farben befördert.
Die hiebei angewendete typo autographifche Befchreibung wurde zuerfl
unter der Leitung des General Befier angewendet und erfpart den kofibaren
Stich der Schriften, indem fie zugleich mit der fchwarzen Gerippezeichnung
gedruckt werden. Als Beifpiel hiefür die Karte von Haag, welche von drei
Farbenffeinen und von einem für fchwarze Schrift jind Zeichnung angefertigten
Stein abgedruckt ifl.
Militar-Kartographic. 2r>
Dem topographifchen Inftitut der niederländifchen Regierung zu Haag
wurde von der internationalen Jury für die Ausbildung des E ck Üe i n'fchen
Aetzverfahrens und deflen Benützung für die Darfteilung von Karten die *F o r t-
fchrittsmedaille zuerkannt.
Preufsen.
In der Nähe der Expofition des königlichen baierifchen topographifchen
Bureaus des Generalftabes fanden wir von Carl Flemming aus Glogau in
Schlefien ausgeftellt: Blätter der Karte von Tyrol (i: 200.000) von Hartwig
und Handtke; die Karte der europäifchen Türkei (1:600.000) von Handtke,
femer als Wandtableau die topographifche Specialkarte von Centraleuropa
(1:200.000) von G. D. Reymann.
Diefes verdienftvolle Kartenwerk ift im Anfange unferes Jahrhundertes
(1806) durch den königlich preufsifchen Hauptmann und Plankammer-Infpector
G. D. Reymann ins Leben gerufen worden. Nach feinem Tode übernahm der
königlich preufsifche Oberftlieutenant und Dire(5lordestrigonometrifchen Bureaus
C. \V. Oesfeld die weitere Bearbeitung und feit deflen Ableben ift die Karte in
denBefitzder Verlags-Buchhandlung C. Fl emmitig in Glogau übergegangen, und
wird unter Leitung des Geographen Handtke fortgefetzt.
Auch wir fchliefsen uns dem Urtheile vonSydow an, dafs diefe Karte,
obwohl nicht in allen Theilen gleichmäfsig auf die neueften Quellen bafirt und in
technifcher Ausführung ungleichmäfsig behandelt, für den Marfch, zum Dislociren,
zum Manöveriren und zum Verfolg der Kriegsgefchichte brauchbar ift, überdiefs
für andere fpecielle Zwecke viel werthvollcs topographifches Detail enthält. Das
Gerippe ift leicht verftändlich, das Terrain fchraffirt mit Höhencoten in Parifer
Fufs verfehen, die Schrift gut lesbar.
Von der internationalen Jury wurde für die Fortführung und Verbefl"erung
der ReymannTchen Karte von C «ntraleuro pa Herrn Carl Flemming
die Fort fchritts- Medaille, Herrn Handtke für kartographifche Arbeiten
dieVerdienftmedaille zuerkannt.
Rufsland.
Eine umftändliche Schilderung der alten ruffifchen Karten findet man im
fechften Bande des Staatsrathes Müll e r's Gefchichte des ruffifchen Reiches. Im
Jahre 1865 erfchien die damals epochemachende Karte des Amfterdamifchen Bürger-
meifters Nicolaus Wi t fens des „Nord er -" und „O ft e rthe ils" von Afien und
Europa, die fpäter alsBafis zu anderen Kartenwerken benützt wurde, von denen
fich die des Eberhard Ysbrand Ides eines ungewöhnlichen Rufes erfreuten.
Befler als vorerwähnten Karten waren die von Ph. Johann von Strahlenberg
1731, die den nördlichen und öftlichen Theil von Europa und Afien darftellten.
Der ruffifche Staatsrath Johann K i r i 1 1 o w fammelte die auf Befehl P e t e r 1.
von den Feldmeflern an den Senat abgefandten Karten und lieferte 1724 bis 1734
einen Atlas vom ruffifchen Reiche, beftehend aus 14 Blättern und einer General-
karte. 1739 gab Joh. Mat. Hafe feine tabulamimperüRufficietTarta-
riae univerfal auf Koften der Homann'fchen Erben heraus. Diefes Werk
wurde von der S t. Pe t ersbur ger Akademie der Wiffenfchaf ten ver-
heflert und auf Grund desfelben 19 Specialkarten von dem rufllfchen Reiche
herausgegeben. 1745 erfchien diefes Kartenwerk, das von anderen Staaten
als eine Mufterarbeit hochgefchätzt war. Alle Karten von Rufsland , welche
nach 1745 in den auswärtigen Ländern herausgegeben wurden, gründen fich
auf diefes, fpäter von Georg G m e 1 i n verbefl"erte Kartenwerk.
26 Jofcf Zaffauk.
In den erllen Regierungsjahren der Kaiferin Katharina II. hat die
St. Petersburger Akademie der Wiflenfchaften, die von J. F. Schmidt gezeich
neten Karten der einzelnen Gegenden des Reiches in Kuj^fer flechen laflen. 1777
erfchien eine Jieue ruflifche Karte von Trueskott gezeichnet welche nicht
nur die Gouvernements-Eintheilung und Staatsgrenzen, fondern auch die zwifchen
der nordöfllichen Gegend von Afien und Amerika neu entdeckten Infein enthielt.
Auch fpäter war im Gebiete der Kartographie viel geleiflet worden, und bald nach den
napoleonifchen Kriegen wurden Kartenwerke in Angriff genommen, deren Aus
führung den damaligen Zeitverhältniffen nach rühmenswerth waren. Bevor wir
zu den exponirten ruffifchen Kartenwerken übergehen, fei der für topographifche
Arbeiten üblichen officiellen Verjüngungsverhältnifle Erwähnung gethan. Es
finden folgende Verjüngungen Anwendung :
I : 2100 für Pläne zu Befelligungsanlagen,
1 : 4200 für Pläne von Lager- und Uebungsplätzen,
I : 1680 und I : 8400 für Städtepläne,
I ; 16.800 und 21.000 für die auf trigonometrifche Netzlegung bafirte
Originalaufnahme und für Städtepläne,
1:42.000 für kriegstopographifche und inflrumentale , fowie halbinflru-
mentale Aufnahmen,
I : 84.000 für halbinftrumentale Aufnahmen,
I : 210.000 und I : 420.000 für Aufnahmen nach dem Augenmafse und
Recognoscirungen,
I : 126.000 für topographifche Karten.
Von den exponirten Kartenwerken Rufslands nahmen die vom: Depot
des topographifchen Corps den erllen Platz ein. Befonders hervorzuheben
ift die topographifche Karte des eur opäi fch en R ufslan ds im Mafs-
llabe I : 126.000. Von diefem im Jahre 1820 begonnenen , bei 500 Blätter
grofsen Werke lagen einzelne ausgeflellt in Glaskäften, während 6 zufammengeftellt
als Wandkarte ausgeflellt waren. Sie bilden die dir ec t e n in Ku pf e r gefto-
chenen R e du cti o n en der officiellen Aufnahmen und enthalten das Terrain
in Schraffen nach Lehmann'fchem Syfteme, erläutert durch zahlreich beigefetzte
Höhencoten. Letzteres ifl jedoch nur bei den neueren und neueilen Blättern der
Fall, da in Rufsland erfl im Jahre 1854 mit der HöhenmcfTung verfchiedener
Punkte begonnen wurde. Diefe Karten weifen auch unbeftritten das fchnellfte
Fortfehreiten aller bis jetzt erfchienenen Generalflabs-Kartenauf, indem im Anfange
der fechziger Jahre jährlich 60 bis 70 Blätter erfchienen. Von ihnen liegen auch
noch fehr intereffante Copien bei, die mit der Schnellpreffe auf Hanf papier
durch den anaflatifchen Druck erzeugt, fich dennoch durch grofse Rein-
heit auszeichnen. Auf der vorliegenden, wie auf den meiften ruffifchen Karten,
ift die geographifche Länge nach dem Meridian des Obfervatoriums Pulkowo
beziffert; dasfelbe hat eine Länge .-= 27® 59' 30-65" Öftlich von Paris , alfo in
runder Summe 28 Grad öftlich von Paris oder 48 Grad öftlich von Ferro.
Die Befchreibung diefer fowie überhaupt aller ruffifchen Karten ift in
cillirifchen Buchftaben bewirkt.
Die Specialkarte des europäifchen Rufslands im Mafse
1:420.000, ein Werk, das aus 145 Blättern befteht, war in drei Exemplaren ver-
treten. Das erfte Exemplar, ein von Oberft Strelbitzky gelieferter Kup fe r-
druck, gibt das Terrain in braunen Schraffen, die Schrift und das Gerippe
fchwarz. Diefes fonft fo vorzügliche Werk leidet an theilweifer durch die Befchreib-
ung verurfachten Ueberladung. Die zweite Auflage diefes Werkes zeigte uns
dasfelbe als einen ebenfo gefchmackvollenals fcharf ausgeprägten F arb e n d r u ck.
Das dritte Exemplar erfchien als gut gelungener Ueber druck auf Stein, der,
was reine Ausführung anbelangt, wohl nichts zu wünfchen übrig läfst.
DasNächfte, was nach diefen grofsen kartographifchen Werken unfere Auf-
merkfamkeit erregte, waren gut gelungene und nett ausgeführte chromolitho-
Militär-Kartographie. 27
graphifche Pläne von St. Petersburg, Tzarfkoe Selo, Pawlofk
und O ran ien bäum, fowie die im Mafsftabe i : 840.000 ausgeführte, chromo-
lithographifche Karte des Kaukafus, die in fechs Blättern vertreten, das
Terrain ebenfo wie die meiftcn anderen in braunen Schraffen hervorhebt.
Wie weit Rufsland in der Kartographie vorgefchritten ift, zeigten feine
H eliogr avuren, die nach dem Syfteme Mariotte erzeugt wurden, ferner
feine photographifchen Redu(flionen.
Von erfteren fanden wir im Mafsftabe i : 100.000 und i : 126.000 ausgeführte
Reducflionen der Original- Au fn ah ms fectionen von Befsarabien.
Femer die im Mafsftabe i : 42.000 in drei Farben angefertigte Redudlion der
Aufnahmsfeclionen von Finnland, welche letztere das Terrain in braunen
Schichtenlinien, die Gcwäfler blau geben, fo wie jene von Kok an.
Von photographifchen Reductionen ift der im Mafsftabe
I : 25.200 im Jahre 1872 angefertigte und durch Handarbeit colorirte Plan von
Taf chk en d der ebenfalls colorirte Plan vonKhi wa undjenervonSamarkan d
aus dem Jahre 1871 und fchliefslich das Gebiet von Kuldfcha zu erwähnen.
Letztere enthält das Terrain lavirt und ohne Coten.
Von fonftigen ausgeftellten Karten find befonders erwähnenswerth die
Karte von Tu rk oft an (1S72) Krasnowodfk und jene des Amu-darja
(Oxus) Flufsbettes, fowie nicht minder die im Jahre 1873 angefertigte Karte eines
Theiles des t ranscafp i fch en Geb i e tes. Eine Karte von C en tralafi e n
im Mafsftabe i : 420.000 war ebenfalls ausgeftellt.
Aufser den bis jetzt erwähnten topographifchen Karten fanden wir noch
das f innlän difch e geodätifche C en tral bu reau zu Helfingfors
durch eine G e ne ral karte von Finnland vertreten.
Wir muffen es als ein befonderes Verdienft betrachten, dafs Rufsland,
obgleich durch kriegerifche Unternehmungen hiezu gezwungen, durch Aufnahme
unerforfchter Gegenden in Klein und Centralafien in geographifcher
Beziehung uns die Kenntnifs neuer Gebiete erfchliefst und die Kartographie
diefer Art durch werthvolle Publication bereichert. Die vorzüglichen Arbeiten
des photographifchen Depots wurden durch das Ehrendiplom, die topogra-
phifche Abtheilung des Generalftabes in Tiflis für die technifche Ausführung der
Karten vom Kaukafus durch die Verdienft- Medaille, die des General-
ftabes in Tafchkend für die Leiftungen der Kartographie Centralafiens durch
das An erkenn ung sd i p lom ausgezeichnet und der Werth derfclben in jeder
Richtung hiedurch anerkannt.
Schweden.
Diefes Reich erfchien früher theils auf den allgemeinen geographifchen Kar-
ten der nordifchen Reiche, theils auf befonderen Blättern dargeftellt, unter welch'
letzteren die Karte von Andreas Buräus den Grund der neueren bildet, welche
de Witt, Homann, Seutter und B o u d e t geliefert haben. Mehrere Special-
karten von fchwedifchen Landfchaften hat Homann aus dem Blaeuifchen
Atlas entnommen. Auf Staatskoften waren bereits im Anfange desXVII. Jahr-
hundertes von der fogenannten Landmefferei geographifche und geome-
trifche (ökonomifche) Pläne veröffentlicht, doch wurden erftere damals durch
eigenthümliche Verhältniffe derart vernachläffigt , dafs feit dem Jahre 1789 keine
geographifche Karte in die Oeffentlichkeit kam, bis Baron Hermelin mit
geringer Staatsfubvention und mit Aufopferung feines bedeutenden Vermögens
iheils felbft, theils durch eine von ihm gebildete Gefellfchaft über fämmtliche
Läne in Schweden und Finnland in Kupfer geftochene Karten anfertigen liefs.
Diefe Karten fammt Druckplatten brachte der Staat käuflich an fich, errichtete
zur Fortfetzung der Arbeiten 1805 ein F e 1 d ve rmeffungs - C o rp s , das
feit 1831 unter dem Namen topographifche Corps einen Theil des General-
ftabes bildet und mit der Anfertigung vollftändiger und richtiger Karten betraut ift.
28 JorefZaflTauk.
Bei den Karten ift die konifche Projecflionsmethode angewandt. Der
Kegelmantel, durch deflTen Ausbreitung man die Kartenfläche erhält, fchneidet
die fphäroidifche Erdkugel längs zweier Parallelen 56® 57' Ji'S" und 64^22' 59'5''.
Der gröfste Projedlionsfehler beträgt 00021 und ergibt fich bei den angenom-
menen Grenzlatitüden im Norden und Süden — 65** 50' 20-4" und 55** 21' I9'4" —
fowie auch bei dem Breitengrade , der gleich ifl, mit der halben Anzahl Grade
des Kegelwinkels = 6o<> 44' 29'6". Als Hauptmeridian ifl der fünfte Grad
angenommen worden, welcher wefllich vom Stockholmer Obfervatorium dahinzieht.
Eine vom topographifchen Corps und der Akademie der Wiffenfchaften
zu Stockholm mit Präcifion ausgeführte Triangulirung im liidlichen und mittleren
Schweden, deren Stützpunkte die Obfervatorien in Stockholm und Lund find,
liefert für die Kartenwerke eine Anzahl Punkte i., 2. und 3. Ordnung.
Das nördliche Schweden war bis dato arm an Ortsbellimmungen, doch
werden bereits jetzt von der Seekarten-Behörde und dem topographifchen Corps
Winkelmeflungen in einem Triangelnetze bewirkt, das in der Nähe von H a p a-
randa von dem Netze der ruffifch-fkandinavifchen Gradmeflung ausgeht und der
wefllichen Küfle des bottnifchen Meerbufens folgt.
Die Lage des Netzes ifl durch Azimuthbeftimmungen fixirt.
Von den Grundlinien (Bafis) find drei auf dem Eife, überdiefs noch fünf
andere vermefTen worden, die der Genauigkeit Rechnung tragen. Von diefen
fünf ift die erfte im Jahre 1840 vom topographifchen Corps mit einem Apparat
Beffel's, drei im Jahre 1863 von der Akademie der Wiffenfchaften fiir die
europäifche Gradmeffung mit einem etwas veränderten Apparate von Struve
und eine 1870 vom topographifchen Corps mit dem zuletzt erwähnten Apparate
gemeffen worden, wobei die Polhöhe mehrerer Triangelpunkte ebenfalls ermit-
telt wurde.
Höhenmeffungen waren zur Genüge bewirkt und beziehen fich auf den
mittleren Wafferftand im Kattegat und der Oftfee, der in einem Zeiträume von
50 Jahren durch tägliche Obfervationen bei Leuchtthürmen mit Genauigkeit
ermittelt worden war.
Bei den fchwedifchen Karten finden folgende officielle Verjüngungsver-
hältniffe Anwendung:
Für Pofitions- und fpecielle Karten einzelner Gegenden: i : 10.000,
I : 20.000,
für Conceptkarten (Mappirungs-Seölionen) i : 50.000;
für die Specialkarten i : 100.000;
für die Provinzkarten i : 200.000;
für die Generalkarten i : 1,000.000.
Die Landesaufnahme für militärifche Zwecke wird durch fogenannte
Recognoscirungs- Abtheilungen, jede aus 10 bis 12 Officieren, unter Dire<5lion eines
Topographen-Officiers, auf Grund reducirter Ökonomifcher (Kataftral) Karten in
dem Mafsftabe i : 50.000 ausgeführt. Zu diefem Zwecke ift jeder Recognoscentmit
den nöthigen Mefsinftrumenten und fonftigen Mefs- und Zeichenrequifiten verfehen.
Urfprünglich gefchah die Aufnahme in dem Mafse i : 100.000. Das ganze
Küftenland und ein grofser Theil des mittleren Schwedens (ein Gebiet von beinahe
3000 Quadratraeilen) find in diefem Mafsftabe mappirt. Vom Jahre 1844 wird
jedoch die Mappirung, wie früher erwähnt, im Mafse i: 50.000 bewerkftelligt, da
man zur Ueberzeugung gelangte, dafs ein Land mit fo aufs erordentlich zerftückelten
Terrainformen, wie Schweden, unmöglich durch die Verjüngung i : 100.000 genau
und vollftändig darzuftellen wäre.
Die Unebenheiten des Terrains mit all' feinen Bedeckungen und militärifch
wichtigen Objedlen werden nach einem beftehenden officiellen Zeichenfchlüffel
genau eingezeichnet, Böfchungswinkel gemeffen, Höhenpunkte ermittelt und letztere
mitBerückfichtigung der bereits bekannten, abfoluten Höhen berechnet. Im Durch-
fchnitte entfallen auf eine Quadratmeile 20 Höhenpunkte.
Miliür-Kartographie. 29
Die Terrainunebenheiten find durch Horizontalfchraffen (Curven von
ungleicher Breite und Entfernung) oder durch Falllinien (Schraflfen nach dem
WaiTerlaufe) zum Ausdrucke gebracht; erflere werden bei nacktem Felsboden,
letztere bei Erdböfchungen angewendet.
Die Angabe der Böfchungsverhältnifle richtet fich fowohl in Fels-, als in
Culturboden-Partien nach der vorgefchriebenen Schattirungsfcala (Tonfcala).
Die Bezeichnung der Landcommunicationen, Gewäffer, der localen Ver-
hältniffe, kurz des Gerippes, ift ähnlich jener unferer Karten und Pläne. Waldungen
find, wie in den meiden Staaten , wenn fie aus Laubholz beftehen, durch kleine
Kreife, wenn es Nadelholz wäre, durch Sternchen angezeigt Der Waldrand wird
nicht näher bezeichnet, erfcheint aber defsungeachtet markirt. Die Gröfse, Gattung
und Lage der Schrift ift verfchiedcn und richtet fich nach der Wichtigkeit der
Gegenllände.
Gleichzeitig mit der Aufnahme werden topographifche, ftatiftifche und
militärifche Befchreibungen verfafst.
In der Weltausflellung waren ph o to graphi fch e Copien zweier
Conceptblätter zu fehen. Jedes Conceptblatt ift 20 fchwedifche Zoll lang und
15 Zoll hoch und aus 25 im Felde benutzten Mefstifch-Blättern zufammengefetzt,
welche letztere 4 Zoll lang und 3 Zoll breit find.
Mit Hilfe der Conceptblätter werden die Specialkarten-Blätter
angefertigt, indem man die Conceptblätter mit dem Pantographen in das Special-
Kartenmafs reducirt, vollkommen ausarbeitet und in Kupfer ftechen läfst.*
Die Specialkarten-Blätter find vom Hauptmeridian an gegen Oflen und
Weften mit römifchen Ziffern und vom Perpendikel diefes Meridians bei 72 Grad
gegen Süden mit arabifchen Ziffern numerirt, aufserdem die öftlich liegenden
mit O rOeller), die weftlich liegenden mit V (Vefter) bezeichnet. Jedes Blatt
enthält als Auffchrift den Namen einer im Blatte erfichtlichen Stadt oder eines
wichtigen Punktes. Aufserhalb der Kartenränder find die Benennungen der
Nachbarländer angebracht. Jedes Blatt ift 2 fchwedifche Fufs lang und iVa
Fufs breit.
Der Kartenrand (Gradnetz) enthält eine Eintheilung von lo zu 10 Minuten.
Vierzehn gravirte Blätter der Specialkarte , die erft nach der Weltausftellung zu
Paris erfchienen find, waren ausgeftellt. In diefen, in der That vortrefflichen Karten,
erfcheinen mit Ausnahme der gröfseren, blau gezeichneten Gewäfler, das Terrain
und Gerippe fo wie in den Conceptblättern, jedoch durchgehends fchwarz darge-
ftellt; überdiefs find die gemeflenen Meerestiefen durch liegende, arabifche Ziffern
bezeichnet. Die punktirten Linien im Meere zeigen Tiefen von 10 und 20 fchwe-
difchen Fufs an ; die Ziffern zwifchen den punktirten Linien die Tiefen in Fufs, die
Ziffern aufserhalb der punktirten Linien die Tiefe in Faden an.
Die deutlich zu unterfcheidende Signatur, eine markirte Bezeichnung der
wichtigeren Communicationen und fonftiger Gegenftände, von den minder wichti-
gen, eine plaftifche mit künftlerifcher AuffalTung und vielem Detail gegebene
Darftellung der Bodenunebenheiten dürften auch einem Laien beim Lefen diefer
den militärifchen Anforderungen entfprechenden und fchön ausgeführten Karten
in keine Verlegenheit bringen.
Von diefer Karte find bereits 26 Blätter in Kupfer geftochen. Künftig dürfte
aber, anftatt des ebenfo zeitraubenden, als auch koftfpieligen Stiches der Karten
in Kupfer, das topographifche Corps feine Karten im Wege der heliographifchen
Procedur nach Mariott erzeugen.
Von dem feit dem Jahre 1832 begonnenen Kartenwerke im Mafsftabe
I : 200.000, welches einzelne Läne darftellt, erfcheinen auf Befehl des Königs
feit dem Jahre 1872 keine Blätter mehr. Zehn Läne find auf 15 Blättern erfchienen ;
♦ In Schweden erfchien das erftc Kupferftich-Werk (ein Wappenbuch) bereits 1650.
Derzeit fand der Kupferilich beinahe ausfchliefslich für kartographifche Arbeiten Anwendung.
30 JofefZaffauk.
es find fehr nette Kupferftiche und bieten ein reichhaltiges Materiale für den
Topographen.
Die Generalkarte i : loo.ooo i(l feit dem Jahre 1851 in Ausarbeitung. Sic
wird in drei Blättern erfcheinen. Ein Blatt (Kupferftich) ift bereits der OefTcnt-
lichkeit übergeben und war in der Weltausftellung zu fehen. Das Blatt, den füd-
lichen Theil Schwedens vorflellend, bietet vom Terrain und Gerippe Alles, was
man von einer Karte in diefem Mafsftabe beanfpruchen darf, beurkundet eine
zweckmäfsige Anordnung in der Anfertigung und richtige Wahl desjenigen, was
in der Karte noch aufzunehmen und was wegzulaffen war. Diefe Karte gehört zu
den fchönften topographifchen Arbeiten. Der Kartenrand hat eine Eintheilung
von Grad zu Grad.
Das topographifche Corps arbeitet überdiefs für militärifche Zwecke Karten-
werke in gröfsercn Mafsftäben aus. Derlei Pläne werden aber geheim gehalten.
Die Se e ve rmeffung und deren Zufammenhang mit der Küfle nauf
n a h m e fowie die Vervielfältigung und die Veröffentlichung der darauf bezüglichen
Kartenwerke beforgt die königliche Seekarten-Behörde, welche dem Chef des
Departements der Seevertheidigung untergeordnet ifl. Die Seevermeflungs-Karten
über die Küflen, Skären und Landfeen werden im Mafsftabe i : 20.000, ausnahms-
weife I : 10. 000 entworfen.
Zum Beften der allgemeinen Schifffahrt werden Pafs karten in Mafs-
ftäben zwifchen 1:300.000 und i : 550.000, Küftenkarten von i : 200.000
bis I : 250.000 und Specialkarten von i : 50.000 bis i : 100. 000 angefertigt.
Die exponirten geologifchen Karten über das öftliche Da Island und
einen Theil W e ftgoth lands , der Umge bu ng des Mälar- S ee s, dann die
Ackermann'fchen Niveau- und Nivellirungs karten und hydrographi-
fchen Karten, ferner die Dislocationskarte von Grill (1848 ), find meift
auf Bafis topographifcher Kartenwerke entworfen und nett ausgeführt.
Im Lande wird auch von Einzelnen eine recht bedeutende, lobenswerthe
kartographifche Thätigkeit entwickelt, fo von Major A. Hahr, Lieutenant Ment-
zer, Ah r mann, Frefe, Stjernftrom, We ftr e 1 1, A Ib i n und No r d b eck.
Peterfon etc. die fich auch thcilweife an der Expofition betheiligten.
Schliefslich fei bemerkt, dafs nach Befchlufs des Königs und des Reichs
rathes noch im Laufe diefes Jahres das Topographencorps aufgelöft und dem
Generalftabe, dereiner Reorganifirung entgegenfieht, die weitere Kartenerzeugung
zugewicfen wird.
Dem königlich topographifchen Corps, fowie dem königlichen Seekarten-
Comptoir in Stockholm wurde in gerechter Würdigung der kartographifchen
Arbeiten von der internationalen Jury die FortfchrittsmedaiUe zuerkannt.
Schweiz.
Ueber die älteren Karten fehlen fiebere Nachrichten. Johann Jacob
Scheuchzer, Do(flor der Arzneiwiflenfchaft und Profeflbr der Mathematik in
Zürich hat auf Grundlage einiger Unterfuchungen und Arbeiten eine grofse Karte
von 4 Blättern verfertigt und 1712 in Kupfer ftechen laflen. Peter Schenk,
Jaillot, Convens und Mortier haben diefe fchätzbare Karte nachgeftochen.
Profeffor Tobias Mayer hat eine ziemlich gute Karte der Schweiz entworfen, die
von den Ho mann' fchen Erben als Kupferftich 1751 veröffentlicht wurde. Von
anderen verdienftvollen Kartenwerken feien jene von Philipp Buache, Emanuel
H a 1 1 e r und Leonhard Z i e g l e r erwähnt.
Vom eidgenöffi fchen Stabs bureau in Bern waren nebft zwei
Ilandzeichnungen Terrai nft u dien von B^temps und Stryinsky — die aus
25 Blättern beftehende topographifche Karte der Schweiz, im Mafsftabe
I : 100.000, vermeffen und herausgegeben unter Aufficht des Generals Dufour
«1842 bis 18Ö4), ausgeftellt. In letzterer Karte ift das Terrain mit Zugrunde-
Militär-Kartographie. 31
l«gung der fchiefen Beleuchtung fchwarz fchraffirt, Gletfcher find durch Elemente
-▼on Horizontallinien , Felfen durch fenkrecht gekreuzte Striche dargeftellt. Durch
die Anwendung der fchrägen Beleuchtung wird allerdings ein hübfches Reliefbild
hervorgebracht und mehr Effe<5l erzielt, als diefs bei der fenkrechten Beleuchtung
ftattfinden kann, allein fie hindert die geometrifch richtige Darilellung und geflattet
keine Beurtheilung der Höhen- und Böfchungsverhältnifle. Der durch die SchrafFen-
^onirung beabfichtigte Vortheil, den Böfchungsgrad anzuzeigen, geht verloren,
indem die Tonirung mehr dem Schatteneffe<fle als dem Böfchungsausdrucke dienen
mnfs. Diefe Manier kann bei einem Gebirgsterrain, das naheliegende, grofse
relative Höhenunterfchiede und ftark markirte Formen enthält, Effecfl machen,
doch bei der Darftellung des flachen Terrains ift diefe nicht anwendbar, denn
ihr einziger Vorzug, das Bodenrelief effedlvoU hervortreten zu lafTen, kommt
<labei nicht zur Geltung.
Die ausgeftellte Generalkarte der Schweiz im Mafse 1:250.000,
beft«hend aus 4 Blättern, ift eine Reducfltion vorerwähnter Karte, und auch in
-derfelben Manier ausgeführt.
Von dem feit dem Jahre 1869 in Angriff genommenen topographifchen
Atlas der Schweiz im Mafsftabe der Originalaufnahmen, das ift 1:50.000
für das Hochgebirge und i : 25.000 für die Ebene und den Jura, waren 36 Blätter
in einef Mappe aufgelegt.
Die einzelnen Blätter find 035 Meter lang, 0*24 Meter breit; der
Kartenrand der einzelnen Blätter im Mafse i : 50.000 ift von 30 zu 30
Secunden, im Mafse i : 25,000 von 10 zu 10 Secunden eingetheilt, überdiefs ent-
halten die Blätter auch eine Eintheilung nach rechtwinkeligen Coordinaten, die
fich auf den Meridian und Perpendikel des Obfervatoriums von Bern beziehen.
Die Kartenfläche ift im Quadrate von 6 Centimeter getheilt. entfprechend
einer Länge von 1500 Meter in gröfserem und 3000 Meter in kleinerem Mafs-
ftabe. Die Lage der Netzpunkte der geographifchen Längen- und Breitengrade
ift nach der modificirten Flammfteed'fchen Methode berechnet.
Die Gerippezeichnung ift mit Ausnahme der blau dargeftellten Gewäffer
fchwarz ausgeführt.
Das Terrain ift in der Regel durch braune Curven dargeftellt. Es finden
jedoch einige Ausnahmen ftatt, und zwar werden die kleinen Böfchungen und
Einfchnitte, die Erdriffe und Schlipfe, das heifst Formen, welche die Aequidiftanz
nicht durch Curven auszudrücken erlauben, durch braune Schraff'en bezeichnet.
Der von Erde und Vegetation entblöfste Felsboden wird durch fchwarze Horizontal-
curven dargeftellt, infoferne es der Böfchungsgrad noch geftattet, während die
Felsmaflen und Felswände, die wegen ihrer Steilheit die Zeichnung der Curven
in der gewählten Aequidiftanz nicht zuläfsig machen durch fchwarze Schraffen
ausgedrückt werden. Gletfcherpartien gelangen durch blaue Curven zum Aus-
<lrHcke. In der Regel ift jede zehnte Curve punktirt und an paffender Stelle mit
ihrer Höhenzahl in brauner Farbe bezeichnet. Punktirte Curven werden überdiefs
noch angewendet, um den Anfang und das Ende von Böfchungen zu markiren, ferner
als Zwifchencurven, um kleinere Terrainbewegungen zum Ausdrucke zu bringen.
Die fchwarzen Höhenzahlen beziehen fich auf Punkte, bei welchen fie
ftehen ; fie geben in Metern die abfolute Höhe.
Die Schichtenhöhe beträgt 30 Meter für den Mafsftab i : 50.000 und
10 Meter fiir den Mafsftab i : 25.000 und nur in einzelnen Ausnahmsfällen find 8
bis 4 Meter gewählt worden.
Die Schrift wechfelt in Gröfse und Gattung, ftehend oder liegend, nach der
• Wichtigkeit der Gegenftände.
Für den Stich der Blätter im Mafse 1:25.000 wurden Kupferplatten
gewählt, weil fie die mit der Zeit nothwendigen Aenderungen und Nachträge
leichter geftatten. Die Blätter im Hochgebirge i : 50. 00, wo weniger Veränderungen
'▼orkommen, werden auf Stein gravirt.
3
32 Jofef Zaffauk.
Unbeftritten nehmen die Blätter diefes Atlafles; was Lesbarkeit und Deut-
lichkeit anbelangt, unter allen exponirten Schichtenkarten den erften Platz ein.
Das eidgenöflifche Stabsbureau wurde von der internationalen Jury für
die Leitungen auf dem Gebiete der Kartographie mit dem Ehrendiplome
ausgezeichnet.
Von den Privaten haben achtungswerthe Leiftungen auf dem Gebiete der
Kartographie vorgeführt die Firma Wurde r, Randegger & Comp, aus
Winterthur und die geographifche Anflalt Mühlhaupt & Sohn in Bern.
Die von der erileren Firma ausgefeilten Pläne und Karten zerfallen in
vier Hauptgruppen: in Katailralpläne, topographifche Karten, geologifche Karten,
und Schulkarten. Von den vielen topographifchen Karten, welche diefe Firma
exponirt hatte, ifl befonders zu bemerken die Karte des Cantons Glarus
(1:50.000), ausgeführt auf Grundlage der eidgenöflifchen Vermeffungen mit befon-
derer Bearbeitung des Terrains in brauner Schraffirung in Verbindung mit Ifo-
hypfen und unter gleichzeitiger Berückfichtigung der geologifchen Verhältniffe.
Sehr hübfch ift ausgeführt: die Ueberfichtskarte des Glenner Sammel-
gebietes (1:50.000), auf welcher das Terrain in 3ometrigen Ifohypfen nebft
brauner Lavirung zum Ausdrucke gelangt.
Zu erwähnen bleiben noch die von der Firma exponirten netten Vorlagen
zum Studium der Terrainlehre und Terraindarftellung.
Die geographifche Anflalt von Mühlhaupt & Sohn hatte unter anderen
recht hübfchen Karten insbefondere eine Karte der Schweiz von Leuzinger
ausgeflellt, auf der das Terrain unter Anwendung der fchiefen Beleuchtung durch
fohypfen und Schraffen darge ftellt ift.
Spanien.
Die befte der Karten diefes Landes, welche vor dem Anfange des
XVn. Jahrhundertes herausgekommen waren, ift jene, welche Gerard nach den
Anmerkungen des Profeffors Andreas d'AUmada gezeichnet hatte. Später
wurde diefe Karte verbeffert von Sanfon d'Abbeville, David Funk,
Nikolaus Fifcher und Franz de Witt. Wilhelm de l'Ifle bildete die
von Rodrigo Mendez de Silva verfertigte Karte nach und liefs fie durch
Matthäus Seutter ftechen. Die H o m a n nTchen Erben gaben ebenfalls ziemlich
gute Karten von Spanien und Portugal heraus. J. L. K o 1 1 i u s Karten von Spanien
bilden einen eigenen Atlas. Bourgignon d'Anville hat fein Th^d.tre de la
guerre d'Efpagne nach den Arbeiten des Abtes Vayrac „Etat pr^fent
de l'Efpagne" verfertigt. Alle diefe Karten bedurften jedoch eingehender Ver-
beiferungen.
Gute Arbeiten erfchienen von dem Jefuiten Franciscus Ant. Ca ff aus,
femer die Mapa del reynando de Sevilla, welche der Ingenieur Franz
L 1 o b e t unter Aufficht des Markgrafen von Pozoblanco- gezeichnet hat.
Aparici und Graf von Darnius verfertigten von der Provinz Cataluna
brauchbare Karten, welche dann durch Markus Lomelin 1826 nachgeftochen
wurden. Verläfsliche kartographifche Arbeiten erfchienen über die verfchiedenen
Bisthümer, wie z. B. von Zaragoza, Cordova, Cartagena etc., welche 1761
in Kupfer geftochen wurden. Thomas Lopez gab 1760 von den einzelnen
Land fc haften Spaniens Specialkarten heraus, von denen befonders
nennenswerth erfcheinen : die M a p p a d e las carreras de poftas von 1760,
die Karte der Umgebung vonMadrid, die Königreiche Cordova, Jaen,
Valencia, Granada, Aragon, Eftremadura etc. zu je einem bis fünf Blätter.
Femer hatte derfelbe auch 1770 eine Mappageneral de Efpana (i: 400.000)
auf einem Blatte geftochen herausgegeben, welche die damalige neuefte Länder-
eintheilung enthielt. Die Lopez'fchen Karten waren weder alle von gleicher
<jüte noch ins^efammt verläfslich, doch für die Anforderungen jener Zeit von
Militär-Kartographie. 33
nicht geringem Werthe. Als Reifekarten gab Lopez den Atlas geographico
del regno de Efpana elslas adjacentes in kleinem Tafchenformat zu
Paris heraus.
Während die Kriege zu Anfange des XIX. Jahrhunderts die Entfaltung
einheimifcher kartographifcher Thätigkeit zurückhielten, forderten de das Aus-
land mehrfach zu modernifirten Reprodu(5lionen der alten Lopez'fchen Karten
auf, die hie und da ergänzt und durch den Krieg felbil bereichert wurden.
Seit dem Jahre 1848 ifl das Kartenwerk des Franz Coello „Atlas de
Efpana y fus Pofefiones de ultramar" (1:200.000) in Angriff genommen,
jedoch nicht vollendet worden. Die Karten fmd eine zehnfache Redu<5lion der Special-
aufnahme. Die technifche Ausführung in Kupferflich ifl infofem nicht gleichmäfsig,
als die älteren Blätter an Schärfe und Deutlichkeit den neueren um Vieles nach-
gehen. Das Terrain gelangt durch horizontale Schrafifen zum Ausdrucke.
Als officielle VerjUngungsverhältnifTe find beflinmit: 1:500 für Städtepläne,
1:2000 für Detailpläne, 1:20.000 für die Specialaufnahme, 1:200.000 und
1:500.000 für Karten.
Unter den exponirten fpanifchen Kartenwerken fei der militärifchen
Strafsenkarte (Chomolithographie) Erwähnung gethan, die vom Depofito
della guerra veröfifentlicht wurde. Im Maafsilabe 1:500,000 angefertigt, bietet
fie alles ihrem Zwecke Entfprechende. Sie enthält kein Terrain, gibt die Städte
und Dörfer einfach in conventionellen Bezeichnungen, läfst die Flüfse blau, die
Strafsen und Wege roth hervortreten und weift uns das gefammte Eifenbahn-Netz
fchön und überfichtlich ausgeführt auf.
Nicht fo fehr können wir Jof6Fores Karte von Spanien und Portugal
loben, was dieTerraindarflellung anbelangt, dadiefe unfchön, raupenartig erfcheint.
Schliefslich fei noch eine fehr fchöne und äufseril gelungene Hand-
zeichnung erwähnt, die uns unter dem Titel „Piano general de la riade
Bilbao y de los ferro carriles mineros en fus immediaciones'^
in der Marine- Ausilellung auffiel. Diefer im Mafsflabe 1:20.000 in Farben aus-
geführte Plan, läfst, was die Plaflik des durch die Lavirung gegebenen Terrains
anbelangt, wenig oder gar nichts zu wünfchen über. Dem Depofito della guerra
war von der internationalen Jury für die militärifche Kartographie und andere
militärifche Leiflungen die Fortfchritts-Medaille zuerkannt.
Türkei.
Dem fühlbaren Mangel fyflematifcher und zufammenhängender Landes-
aufnahmen der Türkei mag es wohl einzig und allein zuzufchreiben fein, dafs bisher
alle Kartenwerke über den Südoflen Europa's den Anforderungen der Neuzeit nicht
mehr genügen konnten. Nur theilweife fcheint diefem Uebelflande durch einzelne
Karten, die uns auf dem Rundgange durch die Ausflellungsräume der verfchiedenen
Länder ins Auge fielen, abgeholfen zu fein, obgleich auch bei diefen nicht jener
Mafsflab angelegt werden kann, den wir für Karten mit geodätifcher Grundlage
anzunehmen gewohnt find. Unter ihnen wäre befonders zu erwähnen : Handtk e's
Specialkarte der europäifchen Türkei in 18 Blättern (1:600. oooj, die
jedoch noch nicht vollendet ifl; die Karte der europäifchen Türkei von
Sehe da in 13 Blättern im Farbendruck; ferner die von den Originalaufnahmen
öflerreichifcher Officiere im Jahre 1856 und 1857 reducirte Karte der Walachei,
welche 1865 in fechs Blättern im Mafsflabe 1:288.000 erfchien; die Generalkarte
von B osnien, 1:400.000 in vier Blättern von Hauptmann J. Ro^kiewicz,
vom Jahre 1865, welche für die Neuzeichnungen diefer Provinz zumeifl die
Grundlage abgab.
In der türkifchen Abtheilung trafen wir auch zwei neue Kartenwerke,
jedoch nur Handarbeiten , wovon die eine die volkswirthfc ha ft liehen
Verhältniffe des ottomanif chen Reiches, die andere als General-
3*
34 JofefZaffauk.
karte die europäifche Türkei zur Anfchauung bringt. Beide wurden auf
Anregung und unter Leitung des Herrn Ritter v. Schwegel» aufKoflen des
Baron Hirfchv. Gereuth von dem k. k. öfterreichifchen Hauptmann J. Stuchlik
und Oberlieutenant P. More tti in der kurzen Zeit von fünf Monaten entworfen
und gezeichnet. Sie fmd in Farben mit braun gefchummertem Terrain ausgcffthit.
Namentlich ill es die Culturkarte, die auf Grundlage mehrerer ebenfalls ausgeflelltev
türkifchen Karten, den Plänen der Eifenbahn-Ingenieure , den beflehendcn
geographifchen "Werken und Reifebefchreibung€n über die Türkei etc. im Maf^flabe
1:1,000.000 zufammengeflellt wurde, und die einzelnen Culturgattungen, wie
Oliven-, Zitronenhaine, Maulbeer-, Rofen-, Baumwoll-Pflanzungen etc. durch
conventioneile Farben erfichtlich und ihrem befcheidenen Namen „Skizze*,
fowohl was manuelle Ausführung, als auch den Totaleindruck der Karte anbelangt,
Ehre macht. Dasfelbe gilt auch von dem Entwürfe einer Ge ner alkarte der
Türkei im Mafsftabe I: 400.000 mit ihrer Nebenkarte Klein- Afien und die
syrifche Küfte (i : 2,956.000), die hauptlachlich auf Grundlage der General-
karte der Türkei von Sehe da und Kiepert für die Weltausilellung, ins-
befondere aber für den Zweck ausgeführt wurde, um die neuen türkifchen Eiien-
bahnen und das neu gewonnene geographifche Material überfichtlich darzuftellen.
Die Nomenclatur in den beiden erwähnten Karten ift in lateinifchen und türkifchen
Schriftzeichen abgefafst.
Amerika.
Hier war eszuerftdie geographifche Gefellfchaft zu New-Y ork,
die auf einem wahrhaft ftiefmütterlich ausgeftatteten Platze uns ihre Kartenwerke
aufwies. Es "waren meid Seekarten in verfchiedenen Mafsdäben (1:80.000,
1:40.000, 1 : 20.000'etc.) und felbfl was äufsere Form anbelangt, in den ver-
fchiedenften Dimenfionen, indem einige davon eine Länge von mehreren Fvfs
befitzen. Sie find fämmtlich hübfche Kupferdrucke und entfprechen allen Anforde-
rungen, die man an Seekarten flellen kann. In ihnen fmd die verfchiedenen
Meerestiefen durch punktirte Flächen angezeigt, nach dem Grundfatze, dafe fie
hiebei dunkler werden, je mehr fie fich derMeeres-Oberfläche nähern. Das Terrain
ill in der Schraftenmanier dargeflellt. Aufserdem fahen wir auch zwei Chromolitho-
graphien, von denen die eine eine Militärkarte der Vereinigten Staaten, im Mafs-
ftabe 1:5,000.000 mit braun gefchummertem Terrain (vom Jahre 1870), die zweite
eine Territorialkarte der Vereinigten Staaten (1871) vorilellt.
In einer vierfachen Redu<5lion einer Originalaufnahme von San Francisco
fammt Umgebung 11:40.000, ein Kupferilich) ift das Terrain durch 12 omelrige
Schichtenlinien dargeftellt.
Unferne davon hing die 40 Fufs lange und 10 Fufs breite "Wandkarte der
nördlichen Pacificb ahn inMinnefota 1:253.440 (Handzeichnung), die vom
Oberingenieur W. Milnor Roberts entworfen wurde und deren graphifche
Ausführung als dem Zwecke entfprechend betrachtet werden kann.
In der amerikanifchen Ausftellung fanden wir femer eine topographifchc
Originalkarte von Paraguay, die in den Jahren 1846 bis 1858 nach 316
neuen geographifchen Längen- und Breitcnbeftimmungen angefertigt wurde. Doch
enthält fie das Terrain nur in bandartigen braunen Streifen, von denen die dunklen
gröfsere, die lichten kleinere Bodenunebenheiten verfinnlichen. Sie ift in Farben
ausgeführt und trotz ihres grofsen Mafsftabes gibt fie die Ortfchaften nur durch
Conventionelle Zeichen.
Wollen wir noch der übrigen Karten Erwähnung thun, fo müfifen wir einen
photolithographifchen Plan von Philad elphia und zwei Mappen mit militari-
fchen Operationskarten von Louis Ritz (Cincinnati) erwähnen. Letztere enthalten
das Terrain theils in Schichten, theils in Schraffen, theils gefchummert. Das
Gerippe erfcheint leferlich.
Militär-Kartographie. 35
Als Schichtenplan fanden wir auch noch das Blatt Pennfylvanip vom
Jahre 187 1.
Alabama und Brafilien waren nur durch geographifche Karten
▼ertreten.
Egypten.
Von den hier ausgeftellt gewefenen Karten wollen wir zwei erwähnen. Die
erfte davon ftellt eine "Weltkarte des Telegraphen- und Eifenbahn-
Wefens vor, wobei Egypten, als Centrum des Ganzen angenommen, befonders
hervortritt. Sie wurde nach authentifchen Quellen im Jahre 1871 im technifchen
Bureau der General-Telegraphendire<5lion zu Berlin entworfen.
Die zweite, „geographifche und geologifche Studien von
Egypten und Paläftina", von Figary Bey gezeichnet, enthält das Terrain
bereits in Schraffen, bietet jedoch mehr geologifches Intereffe durch die auf jedem
Blatte angebrachten Durchfchnitte des Bodens.
China. Japan.
In China und Japan bemerkte man nur äufserft primitive Arbeiten, nament-
lich was die von der chinefifchen See-Zollbehörde ausgeftellten Pläne und Karten
betrifft. Gegen diefelben flachen die von der japanefifchenAusllellung gebrachten
zwei Karten (eine Seekarte und eine aus zwei Blättern beftehende Generalkarte
von Japan) vortheilhaft hervor.
Wenn wir nun am Schluffe unferes Berichtes einen flüchtigen Blick auf den
Entwicklungsgang der Kartographie in allen Staaten werfen, fo gelangen wir zur
Ueberzeugung, dafs gerade in der allerjüngflen Periode die gewaltigften Fort-
fchritte in der Topographie, fpeciell in der Genauigkeit der geodätifchen Vor-
arbeiten, in der vervollkommneten Art der Darftellung der Unebenheiten unferer
Erd-Oberfläche, endlich aber in den Vervielfaltigungsmethoden zu verzeichnen find.
Im verfloffenen Jahrhundert forfchte man noch nach der Methode und nach
Zeichen, um die Terrainformen zum lesbaren Ausdrucke bringen zu können ; im
Beginne diefes Jahrhunderts einigte man fich für die Annahme der Lehman n'fchen
Schraffenfcala, und um die gleiche Zeit gab uns Sennef eider das Mittel an die
Hand, Karten leicht und fchnell zu erzeugen und zu vervielfältigen. Dennoch
verfuchte man erft im zweiten Decennium diefes Jahrhunderts, Terrainkarten mit
Hilfe der Lithographie herzuftellen.
In technifcher Beziehung waren die Fortfehritte namhaft und reichhaltig zu
nennen. Der Umdruck, die Kreidelithographie, der Farbendruck in einer gröfseren
Vollendung, die Anaftatik traten in rafcher Folge zu Tage. Der Kupferftich, der
zwar bis in die jüngfte Zeit für die Kartographie feine alte Bedeutung erhalten
hatte, erhielt durch Anwendung der Galvanoplailik nach dem Jahre 1840 einen
nennenswerthen Auffchwung, und das Erzeugnifs des Kupferilechers — durch die
Möglichkeit der galvanoplaflifchen Vervielfältigung feiner Arbeit — eine fafl
nicht zu verlöfchende Dauer.
Kaum hatte die Photographie praktifche Refultate aufzuweifen, fo wurde
fie kartographifchen Zwecken dienftbar gemacht und nun erblicken wir fie in
Verbindung mit der Lithographie und Galvanoplaftik als die Urheberin neuer
Vervielfaltigungsmethoden, die des geringeren Koftenpunktes und des kaum
nennenswerthen Zeiterfordemiffes wegen mit der Zeit den Kupferftich und die
Lithographie in vielen Fällen entbehrlich machen dürften. Urfprünglich nur für
Zwecke der Kartographie benützt, wird die Photolithographie und Heliogravüre
hoffentlich auch bald eine ausgiebigere Anwendung für Vervielfältigung landfchaft-
36 JofefZaffauk. Militär-Kartographie.
lieber und hiftorifcher Darftellungen finden, zu welcher Annahme uns die höchft
gelungenen Expofitionstableaux des militär-geographifchen Inftitutes berechtigen,
gleichzeitig aber auch mit einigem Stolze erfüllen können.
Wenn wir nun auch eingeftehen müfTen, dafs in allen Staaten der tech-
nifchen Vollendung und Durchführung der Karten jeden Genres, ebenfo der
rafchen und billigen Erzeugung alle Sorgfalt zugewendet wurde und in diefer
Beziehung wenig zu wünfchen übrig bleibt, fo hat die Kartographie immerhin
noch die Aufgabe zu löfen, unter Fefthaltung der geometrifchen Abmeflungen ein
einheitlicheres Syftem in die Charakterifirung der Karten zu bringen, da,
wie wir gefehen haben, noch immer die verfchiedenften Methoden in der Dar-
ftellung der Unebenheiten vorherrfchen, und Schraffen, Schichtenlinien und diefe
in combinirter Form vielfach wechfeln.
Hofifen wir, dafs die nächfte in Europa ftatthabende Expofition auch in
folcher Beziehung Fortfehritte aufzuweifen in der Lage fein wird.
-••^»"•-
OFFICIELLER
AUSSTELLUNGS-BERICHT
HBRAUSCBCBBBN DORCH DIB
GENERALDIRECTION DER WELTAUSSTELLUNG
18 7 3
VMTBK KXDACTION VON DR. CARL TH. RICHTER, K. K. O. Ö. PKOPBSSOR in PRAG.
ALLGEMEINE BILDUNGSMITTEL.
(Orappe XXVI , Seotion 6.)
BERICHT
VON
Rudolf Lechner, Alfred Kl aar, D^- Carl Th. Richter.
WIEN.
DRUCK UND VERLAG DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
1874.
ALLGEMEINE BILDUNGSMITTEL.
DER DEUTSCHE UND OESTERREICHISCH- UNGARISCHE
VERLAGS-BUCHHANDEL.
(Gruppe XXVI, Section 6j •
Bericht von
Rudolf Lechner.
Der Verlags-Buchhandel des deutfchen Reiches.
Der Verlags-Buchhandel des deutfchen Rei che s war auf der
Wiener Weltausftellung verhältnifsmäfsig gering vertreten. Der Grund davon
liegt wohl vorerft in dem ofiTiciellen Programm felbft, welches für den Buchhandel
im Allgemeinen keine Abtheilung enthält und nur in der Gruppe XXVI von
Werken, Zeitfchriften, Lehrmitteln und Leiflungen der Literatur fpricht, welche
Unterrichtszwecken dienen. Es fcheint, als wäre man der Anficht gewefen, es
«igne fich die literarifche Produ<5tion nicht für eine Weltausftellung, vielleicht
weil der innere Werth der Erzeugniffe nicht wohl einer eingehenden Beurthei-
lung unterzogen werden könne und die äufsere Form doch nicht die Hauptfache
fei. Diefe Anficht fand man auch in buchhändlerifchen Fachblättem ausge-
fprochen.
Dennoch glaube ich, dafs die buchhändlerifche Verlagsthätigkeit fich ganz
gut zur Ausftellung eigne, ja dafs die Darftellung der literarifchen Produ<5lion
eines Volkes von grofsem Intereffe für die Befucher und gewifs auch von prak-
tifchem Nutzen für die Fachgenofien fein würde, und es käme nur darauf an, die
Sache richtig anzufaffen. Nach meiner Anficht müfsten folche Ausftellungen nach
Fächern wiffenfchaftlich geordnet werden und gewiffermafsen eine Bibliothek
aller bellen, in den letzten fünf bis fechs Jahren erfchienenen Werke darfteilen.
Dazu ein vollftändiger in erfter Abtheilung nach Wiffenfchaften, in zweiter
Abtheilung nach Verlegern geordneter Katalog, und der Nutzen, fowohl für Ver-
leger wie für das Publicum, wäre in die Augen fpringend.
Die Schwierigkeit der Unterordnung des Einzelausftellers dürfte wohl zu
überwinden fein, denn die Leiftung des Einzelnen wäre ja leicht aus der zweiten
Abtheilung des Kataloges zu erfehen, und die Herbeifchaffung der möglichft voU-
ftändigen Literaturen liefse fich durch die beftehenden buchhändlerifchen Vereine
gewifs leicht erreichen.
Diefs als frommer Wunfeh für eine nächft^ Weltausftellung vorangefchickt,
mufs ich, wie bereits erwähnt, conftatiren, dafs die Betheiligung des deutfchen
Verlags-Buchhandels an der Weltausftellung eine verhältnifsmäfsig geringe war,
und dafs diefe dem Befchauer, der fonft keine Kenntnifs von den Leiftungen des
deutfchen Buchhandels hatte, nur ein unvoUftändiges Bild geben konnte.
I*
^4 Rudolf Lechner.
Der deutfche Verlag war in Ermangelung einer anderen Beftimmung, infofern
er nicht für Unterrichtszwecke pafste, in die Gruppe XII (graphifche Künfte) ein-
gereiht worden; Unterrichtswerke, Lehrmittel etc.waren in Gruppe XXVI gefammelt.
Von gröfseren Verlegern waren vertreten: Aus Leipzig: F. A. Brock haus,
das mächtige alte Haus, welches in feinem grofsartigen und muftergiltigen Eta-
bliflement alle graphifchen Künfte vereinigt , durch einige feiner zahlreichen
Kupfer- und Prachtwerke, — E. A. Seemann, Specialverlag von kunfthifto-
rifchen höchft gediegenen und vortrefflich ausgeftatteten Werken, — G. B. Teub-
tt e r mit feinem grofsartigen Verlage von alten Claffikern und wiiTenfchaftlichen
Werken, — Otto Wigand, durch die grofsen Werke von Ritter, Sanders,
Wagner etc., — Fr. Brandftetter durch feine zahlreichen, gediegenen und
mit befonders gutem Gefchmacke ausgeftatteten Unterrichtswerke und Jugend-
fchriften, — H i n r i c h s'fche Buchhandlung mit ihren werthvollen ägyptologifchen
Werken, — Otto Spam er durch feine in der ganzen Welt beftbekannten, reich
flluftrirten Jugendfchriften.
Aus Berlin: B. v. Decker's Ober-Hofbuchdruckerei mit dem prachtvoll
gedruckten Krönungswerk, neuem Teftament, Oeuvres de Fr^d^ric le Grand, —
Alex. D unk er nlit feinen StahlftichPrachtwerken, — Ernft & Korn mit feinem
grofsartigen bauwiffenfchaftlichen und technifchen Specialverlag, — die G r o t e'fche
Buchhandlung mit ihren fehrhübfchilluftrirtenConcurrenzausgaben der deutfchen
Claffiker und Kunft-Prachtwerken, — Kort kämpf mit circa loo Bänden jurifti-
fcher Verlagswerke, — Langenf cheidt mit dem grofs angelegten frauzößfchen.
Wörterbuche von Sachs und feinen viel verbreiteten Unterrichtsbriefen, —
W. M ö f e r mit illuftrirten Prachtwerken, — F. N i c o la i'fche Buchhandlung mit
gut ausgeftatteten Werken in verfchiedenen wiiTenfchaftlichen Richtungen, —
Lipperheide, Verleger der weitverbreiteten Modenwelt, — E. S. Mittler&
Sohn, grofser Specialverlag von Militärwiffenfchaft, — Dietrich Reimer mit den
vorzüglichen Kipert'fchen Kartenwerken und Globen, — E. Schotte &Comp.
mit ihren gefchätzten Reliefgloben, Tellurien etc., — Wiegandt & Hem-
p e 1, landwirthfchaftlicher anfehnlicher Specialverlag.
Aus Stuttgart: die J. G. Cotta'fche Buchhandlung mit ihrem welt-
berühmten Claffikerverlag, — E. Hallberger, Verleger von gut illuftrirten
Wochen- und Monatsfchriften zu ungemein billigen Preifen in aufserordentlich
grofsen Auflagen, — J. B. Metzler'fche Buchhandlung mit den gediegenen
illuftrirten S c h e f f e l'fchen Prachtwerken, — Paul N e f f mit vortrefflich illuftrirten
Prachtwerken, — J. F. Schreiber mit feinem ausgezeichneten, über die ganze Welt
verbreiteten Verlag von Kinderbüchern und Tafeln zum Anfchauungsunterricht, —
Thienemann-Ho f f m a n n mit feinen künftlerifch und mit fehr gutem Gefchmack
ausgeftatteten Jugendfchriften, — G. Weife mit den berühmten Stuttgarter
Bilderbogen.
Aus kleineren Verlagsorten waren erfchienen :
Aus Bremen; C. Müller mit vorzüglichen Farbendruck Prachtwerken.
Aus Darmftadt: die J o n g h a u s'fche Buchhandlung mit der geologifchen
Specialkarte von Heffen.
Aus Dresden: Meinhold & Söhne mit den vortrefflichen Wandtafeln
von Rupprecht.
Aus Düffeldorf: Breidenbach& Comp, mit dem Künftleralbum und
ihren vorzüglichen Farbendrucken.
Aus Glogau: der fehr bedeutende Verleger C. Flemming mit feinen
anerkannt guten Landkarten und Jugendfchriften.
Aus Gotha: Juftus Perthes mit feinen Kartenwerken, welche einen
Weltruf befitzen und zu dem Beften gehören, was in diefer Richtung überhaupt
gefchafi'en worden ift.
Aus Halle: die Waifenhaus-Buchhandlung mit ihrem intelligent
geführten, fehr vielfeitigen Verlage.
Der deutfche und öfterreichifch-ungarifche Verlagsbuchhandel. O
Aus München: Th. Ackermann mit diverfen Büchern und Kupfer-
werken, — Bruckmann mit feinen photographifchen Prachtwerken.
Aus Hamburg: Neftler & Melle mit gefchätzten Schul- Wandtafeln.
Aus Regensburg: die grofsen Verleger katholifcher Bücher M a n z und
Puftet, mit prachtvoll gedruckten MifTales.
Aus Weimar: B.F.Voigt mit feinem fehr verdienlllichen und nam-
haften Verlage aus der Gewerbekunde und Kellner & Comp, mit ihren ori-
ginellen Wandkarten.
Aufserdem war im „Pavillon des kleinen Kindes*' eine gröfsere
Menge von Kinderbüchern und Befchäftigungsmitteln ausgefeilt, welche ich
gefammelt hatte und wozu die Herren Verleger: Bock (Dresden), Braun &
Schneider (München), B artholomäus (Erfurt), B r e tf c h (Berlin),D ü r r (Leip
zig), Grunow, Günther (Leipzig), K r ö n e r (Stuttgart), Naumann (Dresden),
Nitzfchke (Stuttgart), PI ahn (Berlin), O. R i fc h (Stuttgart), Rütten (Frank-
furt), Schreiber (Stuttgart), Spam er (Leipzig), Thienemann (Stuttgart),
Trewendt (Breslau), Weife (Stuttgart) etc., werthvolle Beiträge geliefert hatten.
Diefe kleine Ausftellung, welche auf das grofse Publicum viel Anziehungskraft
ausübte, gab auch Gelegenheit zu intereflfanten Vergleichen, da ich gleichzeitig
eine gröfsere Menge franzöfifcher und englifcher Kinderbücher ausgelegt hatte.
Es ift einleuchtend, dafs aus der geringen Menge der ausgefeilten buch-
händlerifchen Produ<5le allgemeine SchlüiTe nicht gezogen werden können, ich bin
daher genöthigt, mich, um einGefammtbild des deutfchen Buchhandels zu erhalten,
an das Allgemeine zu halten, wozu glücklicherweife hinlängliches Material zu
Gebote fteht.
Zur Beurtheilung der Productionsthätigkeit des deutfchen Buch-
handels mögen hier einige flatillifche Zufammenflellungen über den Verkehr im
Mittelpunkte des deutfchen Buchhandels, Leipzig, dienen.
Die Bücher- Verfendungen von Leipzig ab betrugen ♦ :
im Jahre 1866 ZoUcentner 116.900
1867
••
129.300
1868
•^
138.200
1869
•1
142.000
1870
»*
134.500
I87I
n
148.500
1872
»
158.200
Zur Erklärung diefer Zahlen möge dienen, dafs Leipzig der Haupt
flapelplatz des deutfchen Buchhandels iH. Da dort fafl jeder deutfche Buch
händler,fowohl Verleger wie Sortimenter, feinen CommifHonär hat, fo geht ein grof
ser Theil des Verkehrs zwifchen Verlegern und Sortimentern über Leipzig. De
Leipziger Commiffionär empföngt von feinen Committenten die Bellellun
gen in Form von kleinen Zetteln (Beftellzettel) und verbreitet diefe wiede
-durch die anderen CommifTionäre an die Verleger, welche die Bücherpackete
ebenfalls wieder durch ihren Commiflfionär an die verfchiedenen Commüfionäre
•der Befleller vertheilen laiTen. Diefe fammeln nun die Packete und verpacken fie
wöchentlich 2 bis 3 mal an die Sortimenter. Auf diefe Weife werden die dire<5len
Verfendungen vermieden und entfleht hieraus auch die Möglichkeit der Aufzeich-
nung der vorftehenden Zahlen. Freilich flellen diefe bei weitem nicht den gan-
zen Verkehr des deutfchen Buchhandels dar, denn aufser Leipzig gibt es noch
namhafte andere CommifTionsplätze, welche den internen Verkehr des Landes
beforgen, und diefe find nebft anderen: Berlin, Wien und Stuttgart. Statifti-
fche Daten über diefe ConmiiiTionsplätze flehen mir leider nicht zu Gebote.
* Die nachfolgenden ftatiftifchen Zufammenftellungen find aus dem Börfenblatt für
den deutfchen Buchhandel gefchöpft.
6 Rudolf Lechner.
Die Summe der in Leipzig zur OftermeiTe geleifteten Zahlungen
betrug:
1866 Thaler Preufsifch Courant 3,150.000
1867
♦1
n
••
3,146.000
1868
♦»
n
•?
3,546.000
1869
1
n
•t
3,900.000
1870
•»
•?
♦♦
4,706.000
I87I
n
•?
n
4,165.000
1872
n
n
•»
4.850.000
An Baarpacke ten (Bücherfendungen, welche nicht in Rechnung gege-
ben werden, fondem deren Werth gleich nachgenommen wird) wurde inLeipzi^
eingenommen :
1866 Thaler Preufsifch Courant 1,767.000
1867 „ , ., 2,182.000
1868 ,, „ ., 2,297.000
1869 „ , „ 2.529.000
1870 ., . , 2,537.000
1871 „ ^ „ 3,450.000
1872 „ „ „ 4.059.000
Die Production betrug nach den Nummern der Hinri chs'fchei»
Bibliographie im Börfenblatt:
1866 Nummern 10.756
1867
1
12.064
1868
n
12.936
1869
n
I365I
1870
w
12.740
I87I
.1
13.871
1872
M
13925
Was von den Zahlen Über den Frachtenverkehr in Leipzig gefagt
wurde, gilt ebenfo von den Mefseinnahmen und Baarpacketen; dena
aufser Leipzig finden auch jährliche Abrechnungen in Berlin, Stuttgart
und Wien etc. (latt, und wird auch dort im internen Verkehr eine grofse
Menge von Baarpacketen befördert. Aufserdem wird noch eine fehr groise-
Menge von Schul-, Gebetbüchern, Bibeln, etc. an Buchbinder und
andere Nichtbuchhändler in dire<5lem Verkehre verkauft, welche in dea
vorflehenden Zahlen nicht vorkommen. Es wird daher nicht gewagt fein, anzu-
nehmen, dafs diefe Summen in der Wirklichkeit fich mindeflens um 50 Percent
erhöhen.
Die Zahlen der literarifchen Erfcheinungen, wie fie die Hinri chs'fche
Bibliographie aufzählt, flellen aber fo ziemlich vollfländig die Summe der
jährlich erfcheinenden Bücher im deutfchen Reich und Deutfeh -Oeflerreich dar und
find wohl geeignet, Erilaunen und vielleicht auch einige Beforgnifs über die
Fruchtbarkeit der deutfchen Schriftfteller und Verleger hervorzurufen.
Seit 1866 ifl die Zahl der neuerfchienenen Bücher um 3000 Nummern
gefliegen! Nahezu 14.000 neue Bücher (neue Auflagen, Lieferungswerke und
Wochenjournale mit inbegriffen) find 1872 gedruckt worden! England weift im.
Jahre 1873 nur 4991 Nummern aus!
Diefe enorme Fruchtbarkeit kann man wohl immerhin als eine U e b e r-
production bezeichnen und es unterliegt keinem Zweifel, dafs durch diefe
zahlreichen alljährlich erfcheinenden neuen Bücher manche ältere gute Werke
dem unverdienten Schickfale des Vergeffenwerdens anheimfallen. Dennoch leidea
wahrhaft bedeutende Werke gewifs nicht darunter, brechen fich, wie die tägliche
Erfahrung lehrt, ficher Bahn und behaupten fich auf dem Markte.
Der deutfche und öfterreichifch-ungarilche Verlagsbuchhandel. 7
Fragt man nach der Urfache diefer riefigen Produ<5lion, welche im Buch-
handel anderer Culturvölker nicht ihresgleichen hat, fo finden wir diefe zuerfl
in der hohen Stufe der B i 1 d u n g, auf welcher das deutfche Volk (leht und
welche die Lud und den Drang zu literarifchem Schaffen in immer weitere Kreife
trägt. In zweiter Linie mufs aber die Urfache in der Möglichkeit des Ab-
fatz es der zahllofen literarifcben Produ(5le gefucht werden. Wenn auch nicht
jedes gedruckte Buch feinem Verleger einen Gewinn bringt, fo mufs doch ange-
nommen werden, dafs der bei weitem grölsere Theil der literarifchen Unterneh-
mungen rentirt, denn fonil müfsten naturgemäfs die Zahlen der Erfcheinungen
fich vermindern, und nicht, wie wir in dem ilatiflifchen Ausweife fehen, lieh (letig
vermehren. Diefe Möglichkeit des Abfatzes liegt aber offenbar in der ganz eigen-
thümlichen Organifation des deutfchen Buchhandels und ich halte es daher fUr
nothwendig, diefelbe etwas näher zu betrachten.
Das Schulz'fche Adr^fsbuch für den deutfchen Buchhandel
von 1873 enthält: *)
4230 Firmen. Von denen befchäftigen fich :
1068 nur mit dem Verlags-Buchhandel.
165 „ „ ., Verlags-Kunilhandel.
80 „ „ ., Verlags-Muficalienhandel.
92 „ ^ n Sortiments-Kunflhandel.
134 ^ n 1 Sortiments-Muficalienhandel.
81 ^ „ ., Antiquariats-Handel.
2517 „ , ., Sortiments-, Buch-, Antiquar-,
Kunfl-, Mufikalien- und Land-
kartenhandel (welche theilweife
nebftbei auch Papier- und Schreib-
materialien-Handel treiben.)
93 find Expeditionen und Reda<flionen etc.
Unter den vorletzten befinden fich jedoch viele, welche ebenfalls fehr
bedeutendenVerlag befitzen.
Von oben angeführten Firmen treiben zum Theil neben ihren Haupt-
gefchäften:
1375 Antiquariats-Handel.
609 Buchdruckerei.
29 Coloriranflalten.
524 Colportage.
160 Colportageverlag.
47 Colportageverlag und Sortiment.
20 Glpbenverlag.
1610 Kunilfortiment.
671 Landkartenfortiment.
905 Leihbibliothehen.
366 Mufik-Leihanflalten.
473 Journal- und Lefezirkel.
1365 Mufikalienfortiment.
43 Oelfarbendruck-Anilalten.
7 Reliefgloben- und Reliefkarten- Verlag.
54 Schriftgiefserei.
70 Stereotypanflalten.
36 Spiel- und Bilderbogen- Verlag.
*) Diefe Zufammenftellungen entnehme ich dem „Adrefsbuch für den deutfchen
Buchhandel-' von O. A. Schulz.
ö Rudolf Lcchncr.
65 Stahl- und Kupferftich- und xylo
graphifche Inftitute.
243 Steindruckereien.
Das gefammte Commiffionswefen des Buchhandels vertheilt (ich unter
neun Haupt-Commiflionsplätze und wird zufammen von 230 Commiffionären
beforgt, wovon auf
Berlin 40,» Prag 14,
Leipzig 105, Stuttgart 16,
München 9, Wien 29,
Nürnberg 5, Zürich 5,
Peft 7,
kommen.
Die 4326 Handlungen vertheilen fich in 1066 Städte nach folgendem Ver-
hältnifle :
Firmen Städte
3254 740 im deutfchen Reiche, *
4 linLuxemburgf
534 188 „ Oefterreich,
461 III „ den übrigen europäifchen Staate n.
71 24 „Amerika,
2 2 ^9 Afien.
Von diefen 4326 Buchhändlerifchen Gefchäften gehören alfo nur 538
fremden Ländern, 4212 dem deutfchen Reiche und Oefterreich an und die aus-
ländifchen Gefchäfte, welche das Schulz'fche Adrefsbuch anführt, werden
zum nicht geringen Theile von Deutfchen geleitet und bringen fogar mitunter
nicht unanfehnlichen deutfchen Verlag.
Es ift alfo ein ganz gewaltiger Apparat, welcher der deutfchen literarifchen
Produölion zu Gebote fteht. Wenn nun auch nicht jeder Verleger mit allen Sorti-
mentsbuchhändlern in direcfler Verbindung fteht, fo gibt es doch viele und eben
die bedeutendften, welche weit über 1000 Conti fiihren. An diefe Gcfchäfts-
freunde nun fenden die Verlagsfirmen alle ihre Neuigkeiten und gröfstentheils
auch die feften Beftellungen das ganze Jahr hindurch in Rechnung unjl der Sorti-
menter ift nur verpflichtet, jährlich einmal das Feftbezogene und das von Neuig-
keiten Verbrauchte zu bezahlen und das nicht Abgefetzte zurückzufenden oder
dem Verleger zur Dispofition zu ftellen. In Leipzig gefchieht diefe
Abrechnung jährlich zur Oftermeffe (vier Wochen nach Oftem), in Berlin und
Wien Ende März, in Stuttgart im Juli etc. etc. Die Abrechnung wird eben-
falls durch die C o m m i f f i o n ä r e beforgt, und diefe, namentlich die L e i p z i g e r,
fpielen hier häufig die Rolle von Banquiers, indem fie ihren Committenten mehr
oder weniger Credit gewähren.
Diefe Art des gefchäftlichen Verkehrs unterfcheidet fich wefentlich von
der in Frankreich und England, wo die Verleger in der Regel nichts in
Commiffion verfenden, fondern auch von ihren Neuigkeiten fefte Abnahme
beanfpruchen und nurhalbjährigen Credit gewähren. Es ift klar, dafs durch
die deutfche Einrichtung der Bücherabfatz aufserordentlich gefördert wird, und
dafs daraus für das Publikum und die Schriftfteller grofse Vortheile entftehen.
Einerfeits wird der Druck einer grofsen Anzahl von Manufcripten nur auf diefe
Art ermöglicht, anderfeits find durch die Erleichterung des gefchäftlichen Ver-
kehres eine grofse Menge von Sortimentsbuchhandlungen felbft in kleinen Orten
von nur einigen taufend Einwohnern entftanden, welche meiftensvon intelligenten
Leuten geführt werden, die mit wahrem Bienenfleifse dem Gebildeten die neuen
Erfcheinungen zugänglich machen und fich die Verbreitung der deutfchen Literatur
in alle Schichten der Bevölkerung angelegen fein laften. Diefer oft gering gefchätzte
Der deutfche und öftcrrcichifch-ungarifche Verlagsbuchhandel. 9
kleine Sortimentsbuchhändler erfiillt alfo eine Culturmiffion und verdient Aner-
kennung, denn fein Lohn ift im Verhältnifs zu dem mühfamen Gefchäfte ein kärg-
licher, und hätte er nicht die Liebe zur Sache, er würde fichgewifs anderen, befferen
Gewinn abwerfenden Gefchäftszweigen zuwenden.
Ich glaube klar gemacht zuhaben, dafsder Organismus des deutfchen
Buchhandels einen grofsen Antheil an der mächtigen Production der
deutfchen Literatur hat, und möchte dies auch Jenen, fowohl Fachmännern
als Laien, zu bedenken geben, von denen man jetzt öfter die Anficht ausfprechen
hört, der deutfche Buchhandel muffe fich reformiren und mehrkaufmännifche Grund-
(Sitze annehmen.
Das Refultat wäre der Zuftand der Buchhandels in Frankreich, Eng-
land und Ital ien, in welchen Ländern junge Autoren die fchlechteften Aus-
fichten haben und wo ein intelligenter, über das ganze Land verbreiteter Buch-
handel gänzlich fehlt. Welcher aufrichtige Patriot möchte folche Zuftände für
wünfchenswerth ausgeben ?
Es liegt mir noch ob, einen eingehenderen Blick auf die ErzeugniiTc des
deutfchen Buchhandels zu werfen. Die Ausflattung hat in den letzten fechs
Jahren abermals wefentliche Fortfehritte gemacht. Im Allgemeinen findet man
die deutfchen Bücher gefchmackvoU gefetzt und gut gedruckt. Die gröfseren Buch-
druckereien, welche der deutfche Buchhandel zu Gebote hat, find vorzüglich
eingerichtet und flehen auf der Höhe der Leiflungsfähigkeit. Die Mitwirkung
der Kunfl nimmt aufserordentlich zu und namentlich ifl es der Holzfchnitt,
welcher in erfler Linie zu Illuflrationen verwendet und bereits mit feltener Voll-
endung hergeflellt wird. Welch' riefigen Fortfehritt die deutfche Xylographie ge-
macht hat, läfst fich am beflen erkennen, wenn man illuflrirte Werke und Zeit-
fchriften, wie fie vor lo bis 20 Jahren erfchienen, durchblättert. Was wir damals
für fchön und gut gehalten, wie fieht es den Leiflungen der neueflen Zeit gegen-
über aus }
Um die Hebung des Holzfchnittes hat fichj. J. Weber in Leipzig grofse Ver-
dienfle erworben. Seine illuflrirte Zeitung fleht nun obenan und hat feine englifchen
und franzöfifchen Concurrenten bereits überflügelt Ebenfo liefert die Keil'fche
Gartenlaube Holzfchnitte, wie fie nirgends beffer gefunden werden. Hervorragendes
leiflet auch Hallberger in feinen mannigfaltigen populären Unternehmungen.
Vi e weg hat den Holzfchnitt der WifTenfchaft dienftbar gemacht in einer Weife,
wie fie vollendeter kaum gedacht werden kann ; Sp ame r verwendet ihn in feinen
zahllofen gediegenen Jugendfchriften zum Nutzen unferer heranwachfenden Welt-
bürger ; Schäfer in Berlin hat den Holzfchnitt zuerft für eine Modenzeitung
(Bazar) in gpröfserem Mafsflabe verwendet und diefe glückliche Idee hat einen
wahrhaft koloffalen Erfolg gehabt und eine Unzahl von Nachahmern gefunden.
Häufige Verwendung findet der Holzfchnitt jetzt auch fchon von Verlegern claffi-
fcher Schriften und guter moderner Dichter, wie von Grote in feinen Ausgaben
der deutfchen ClafTiker und von C.otta in vorzüglicher Weife in den Prachtaus-
gaben von Uhl an d's Gedichten und Wieland's Oberon, Auerbach's Bar-
füfseleetc , vonMetzler in den wundervollen Ausgaben von Scheffel, von Hof f-
mann in Imme rmann's Oberhof und fo weiter. Von unfchätzbarem Werthe
ifl die immer mehr zunehmende Verwendung des Holzfchnittes in den Unterrichts-
Werken (Compendien) und Schulbüchern, wo er erläuternd und anregend wirkt.
In diefer Richtung leiflet der deutfche Verlag wahrhaft Erflaunliches.
Nach dem Holz fchni tte ifl es die Lithographie und namentlich
der Farbendruck, welcher immer häufiger zur Ausflattung von Verlagswerken
verwendet wird und bereits einen hohen Grad der Vollendung erreicht hat.
Aufser den Verlagswerken der bereits früher erwähnten Firma Breidenbach
und Bach find noch viele fchöne Prachtwerke diefer Art erfchienen bei
C. E. Müller in Bremen. Arnold'fche Buchhandlung in Leipzig, Wagner in
Berlin.
10 Rudolf Lcchncr.
Die Verwendung der Lithographie für technifche und wüTenfchaftliche
Werke iil durch den Holzfchnitt und die Zinkographie Hark gefchmälert worden.
Der Kupfer und Stahl (lieh wird wohl wegen der koftfpieligen, zeitraubenden
Herftellung nur mehr von wenigen Verlegern verwendet; unter diefen Wenigen
befinden fich Brockhaus, Cotta und das bibliographifchelnllitnt.
Endlich mag noch erwähnt werden, dafs die Photographie jetzt nur mehr
feiten als lUullration in gedruckten Werken vorkommt, woran wohl die unver-
hältnifsmäfsige Kollfpieligkeit und die Gefahr des Verlöfchehs nach längerer Zeit
die Schuld tragen. Wenn es einmal gelungen fein wird, die Photographie auf
mechanifchem Wege vollkommen zu drucken, was gewifs über kurz oder lang
der Fall fein dürfte, dann wird der Verlagsbuchhandel nicht föumen, fich derfelben
zu bedienen, und es dürften der Holzfchnitt und die Steinzeichnung eine mächtige
Concurrenz zu beflehen haben.
Es iil auch als erfreulicher Fortfehritt zu conftatiren, dafs der künfllerifche
Gehalt die IlluHration im deutfchen Verlagswerke im Allgemeinen immer mehr
durchdringt, das heifst, dafs zu ihrer Herflellung immer häufiger wirkliche Künfller
verwendet werden.
Das Pap ie r, worauf der deutfche Verlag gedruckt wird, verdient nicht
unbedingtes Lob. Gewifs liefern die deutfchen Papierfabriken gutes, fchönes und
auch prachtvolles Papier, aber im Allgemeinen fleht es doch hinter dem franzö-
fchen und englifchen zurück. Namentlich ift es fehr zu bedauern, dafs das
deutfche Papier, mittlerer Gattung wenigftens, fo Hark (es heifst, oft bis 60 Per-
cent) mit Ho Izfl off gemengt wird, dafs daraus die ärgflen Uebelflände ent
flehen. Diefes HolzHoffpapier, welches anfangs fehr hübfch ausfieht, verliert, der
Einwirkung von Licht oder Wärme ausgefetzt, die durch chemifche Bleiche er-
zielte weifse Farbe und wird ganz braun und grau. Viele Verleger haben dicfs
bereits zu ihrem Schaden an folchen Verlagswerken erfahren, welche ihnen von
Sortimentslagern remittirt wurden. Deutlich war diefs bei den Zeitungsfammlun-
gen fowohl der deutfchen als öflerreichifchen Abtheilung zu fehen. Fa(l alle
Blätter zeigten fchon nach wenig Wochen eine bräunliche, mehr oder weniger
dunkel nuancirte Farbe, zwifchen denen einige weifs gebliebene Stellen fou
derbar hervorleuchteten. Unter diefen befand fich in dem öflerreichifchen
Tableau eine Nummer der Wiener „Preffe", welche auf dem Papier der
Times gedruckt war! Und diefes wunderhübfche, kräftige und nicht abfär-
bende Papier ift in London gerade fo wohlfeil, wie das wahrhaft elende, worauf
unfere meiflen Zeitungen gedruckt find ! Es wäre von grofser Wichtigkeit
für den deutfchen Verlagsbuchhandel, wenn die heimifchen Papierfabriken den
franzöfifchen und englifchen nacheiferten und es dem deutfchen Verleger mög-
lich machten, zu feinen Büchern fo prachtvolles Papier zu verwenden, wie es
in Frankreich und England fa(l ausnahmslos, nicht nur bei Pracht-, fondern
auch bei gewöhnlichen Büchern, ja fogar bei politifchen Zeitungen der
Fall ift.
Was fchliefslich die Buchbinder-Arbeit im deutfchen Buchhandel
anbelangt, fo ift auch hier ein erfreulicher Fortfehritt zu conftatiren. Die Geftal-
tung des deutfchen Buchhandels, welcher feinen Verlag in Commiffion verfendet.
erlaubt im Allgemeinen nicht das Einbinden ganzer Auflagen, wie diefs in
Frankreich, namentlich aber in England faft durchgehends gefchieht, und es
erklärt fich daraus auch die bedeutend höhere Stufe, auf welcher der im Buch
handel vorkommende englifche Einband fteht; dennoch findet man die deutfche
fogenannte Gefchenkliteratur, Gedichte, Claffiker, höhere Belletriftik, Albums
und Prachtwerke mit grofsem Gefchmacke und oft feltener Vollendung eingebun-
den und ift auch hier bei Anfertigung der Stanzen die glückliche Verwendung
künftlerifcher Kräfte erkennbar.
Noch darf bei unferer näheren Betrachtung der deutfchen Verlagswerke
nicht unerwähnt bleiben, dafs in neuerer und neuefter Zeit der deutfche Verleger
Der deutfche und öfterreichifch-ungarifche Verlagsbuchhandcl. 1 1
fich beftrebt, «u billigen P reifen zu produciren. Der oft gehörte Vorwurf:
,die deutfchen Bücher find zu theuer** hat nur mehr wenigem Verlag gegenüber
feine Berechtigung. Seitdem die Claffiker Gemeingut geworden, ift eine Menge
guter und hübfch gedruckter, oft unglaublich billiger Claffikerausgaben erfchie-
nen. Man kann überhaupt fagen, dafs faft bei allen Werken, wo die Möglichkeit
gröfserer Auflagen geboten ift, auch wohlfeile Preife gefetzt werden. Bei Büchern,
wo im Voraus nur auf einen geringen Abfatz gerechnet werden kann, müilen die
Preife naturgemäfs höher fein. Diefs ift, wie im deutfchen, auch im ausländifchen
Buchhandel der Fall; nur befindet fich der franzöfifche und englifche
Buchhandel infofem in einer günftigeren Lage, als beide einen gröfeeren, fogenann-
ten Weltmarkt haben und dafs man dort mehr Geld auf den Ankauf von Büchern
verwendet. Die deutfche Familie ift viel zu fparfam, was ihren literarifchen
Bedarf betrifi't. und wir wollen hoffen, dafs doch endlich die Zeit kommen werde,
wo es jeder Gebildete für eine Ehrenfache halten werde, feine eigene Bibliothek
zu befitzen.
In einigem Zufammenhange mit den Bücherpreifen fteht auch die
Honorar frage, das will fagen, dafs diefelben Gründe, welche die Gröfse der
Auflage beftimmen, auch für die Gröfse des Honorars mafsgebend find. Die
Klagen über das geringe deutfche Honorar find übrigens fchon lange nicht mehr
wahr und die guten Autoren haben reichlichen Lohn ihrer Arbeit. Was die
fchwindelhaften Honorare anbelangt, welche uns öfter in Journalen über den
Rhein herüber gemeldet werden, fo möchte ich das deutfche Publicum bitten,
folche Nachrichten mit Vorficht aufzunehmen. Die Reclame fpielt hier eine
gröfse Rolle.
Der fo lobenswerthen Tendenz, durch Herftellung wohlfeiler Bücher die
Literaturerz eugniiTe auch den minderbemittelten Schichten des Volkes zugänglich
zu machen, tritt feit einigen Jahren die fociale Frage durch die endlofen
Strikes der Setzer und Drucker hindernd in den Weg. Die Satz- und Druckpreife
haben in den letzten Jahren um mehr als 75 Percent aufgefchlagen 1 Kein billig
Denkender wird die Berechtigung der Beftrebungen unferer Arbeiter auf Verbef-
ferung ihres Lohnes für ihre Arbeit beftreiten wollen. Aber der neuefte Tarif
der Setzer und Drucker überfchreitet bereits die Grenze des Vernünftigen. Was
ift das Refultat? Die Produ<5lion wird fich wefentlich vermindern. Viele Bücher
können nach dem jetzigen Tarife entweder gar nicht gedruckt werden, oder fie
werden fo empfindlich vertheuert, dafs der Abfatz darunter leiden mufs. In den
meiften Druckereien hat fich auch bereits Mangel an Arbeit eingeftellt und viele
Arbeiter find brodlos geworden. Der übertrieben hohe Lohn war ihnen alfo ver-
derblich. Ich zweifle nicht, dafs die Tarife in Kürze wieder auf ein vernünftiges
Mafs zurückkehren werden, und diefe Anficht ift auch bereits eine allgemeine in
den betreffenden Kreifen.
Bevor ich nun zu allgemeinen Schlufsfolgerungen und vergleichenden
Betrachtungen übergehe, halte ich es für nothwendig, mich noch vorher mit dem
Öfterreichifchen Buchhandel fpeciell zu befaffen.
Der öfterreichifche Verlags-Buchhandel.
Wenn der öfterreichifche Verlags Buchhandel auch einen integrirenden
Beftandtheil dos deutfchen Buchhandels bildet, fo ift es dennoch nothwendig, ihn
abgefondert von diefem zu betrachten, da einer der wichtigften Zwecke einer
Weltausftellung wohl der ift, zu zeigen, auf welcher Stufe der Leiftungsfähigkeit
die Induftrie des Vaterlandes fteht und eine der vornehmften Pflichten des
Berichterftatters, diefs zu unterfuchen und darzuftellen.
Der deutfch-öfterreichifche Verlag war in einer recht hübfch
hergerichteten Collecflivausftellung in dem gedeckten Hofe 13 a zum gröfsten
Theile zufammengefafst und bot ein angenehmes Bild. Hier war die Betheiligung
12 Rudolf Lechner.
eine zahlreiche und es hatten die meiilen bedeutenden Gefchäfte ihren Verlag
gefchickt. Die werthvollfte Ausflellung war unbeflritten die von Wilhelm Brau
müUer in Wien. Nebft den wiffenfchaftlichen wahrhaften Prachtwerken von
Hyrtl, Ranke, Reinifch, Heitzmann, Sacken, Kapofi etc. (landen
hier in grofser Menge wiffenfchaftliche Compendi en von Brücke, Stell-
wag, Schmarda, Hyrtl etc, etc., die hiftorifchen Werke von Arneth,
Vivenot, Weifs etc. und aus der fchönen Literatur : Bauernfeld, Hanslik,
AnadafiUs Grün etc. Der Raum geflattet mir nicht eine nähere Aufzählung.
Alle Verlagswerke diefer Firma find auf vortreflflichem Papiere muflerhaft
gedruckt. Die Ausdehnung diefes Gefchäftes nimmt immer grofsartigere Ver-
hältniflfe an. Was Vielfeitigkcit des wiffenfchaftlichen Verlages anbelangt, fo
zählt Braumüller unbedingt zu den bedeutendflen Verlegern nicht nur in
Oefterreich, fondern in der ganzen Welt.
Das zweite bedeiftende Verlagsgefchäft, C. Gerold's Sohn, hatte auch
eine namhafte Anzahl wiffenfchaftlicher und anderer Werke ausgefeilt, darunter
vonScherzer, Arneth, Redtenbacher, Glafer, Napoleon, Halm
etc. etc. Auch diefer Verlag ift fehr vielfeitig, enthält namentlich viele Schul-
und UnterrichtsbUcher, welche in unzähligen Auflagen verbreitet find, i(l folid
und praktifch in Ausflattung und in eigener Buchdruckerei gedruckt.
Eduard Hölzel Hellte vortreflFliche Kartenwerke, Albums in Farben-
drücken (Alt's Wien) und zahlreiche Oelfarben-D rucke aus. Er war der Erfte,
welcher in Oefterreich die Herftellung von Schulatlanten und Wandkarten mit
Energie und Gefchick in die Hand nahm und bedeutende Erfolge erzielte. Ebenfo
cultivirt er mit grofsem Glücke den Oelfarben-Druck und ging hier bahnbrechend
voran. Seine Oelfarbenbilder, immer nach guten Originalien gearbeitet, zeigen
eine feltene Vollendung und er hat feine Concurrenten im deutfchen Reiche, in
Frankreich und England überflügelt. Diefe Bilder werden fehr ftark exportirt,
namentlich nach Amerika.
Friedrich Tempsky in Prag, namhafter Verlag von wiffenfchaftlichen
Werken und Schulbüchern. Unter den erfteren finden fich die gröfseren Werke
von Palacky, Gindely, Helfert, Balling, Becker und das von der
Staatsdruckerei übernommene Prachtwerk: Phyfiotypia von Pokorny und
Ettingshaufen, welches er zu Ende führen wird. Seine Schulbücher zeichnen
fich durch fehr billige Ladenpreife aus.
Alfred Holder, ein junges, aber mächtig aufdrehendes Verlagsgefchäft,
Unter den zahlreichen Werken diefer Firma fanden wir: Teiri ch Ornamente.
Etzel Öilerreichifche Eifenbahnen, Porges grofse Handelsbibliothek, Leh-
mann Adrefsbuch, Müller Ethnographie, Köchel Joh. Jof. Fux. Aufserdem
verlegte er viele Gymnafial-Schulbücher.
L. W. Seidel & Sohn, fehr namhafter Specialverlag von militär-
wiffenf chaftlichen Werken und Medicin.
S all m ayer & Comp., grofser Verlag von Schulbüchern für Volks- und
Realfchulen.
Faefy & Frick, land- und forftwirthfc haftlicher Verlag. Schöne,
elegante Ausflattung.
R. V. Waldheim, Verleger der fehr gefchätzten Wiener Bauzeitung,
wovon ein completes Exemplar (1837 bis 1873) aufgeftellt war. Tei rieh's Blätter
fürKunfl — Refchauer 1848. Vortreffliche Illuflrationen. Namhafter Colportage-
Verlag. Alles in eigener, fehr ausgedehnter und vorzüglich eingerichteter
Druckerei gedruckt, welche fafl alle graphifchen Kunllzweige umfafst.
Miethke &Wawra mit feiner prachtvollen photographifchen Repro-
du(5lion der Belvederegallerie.
C. Dittmarfch, gefchätzterV^erlag von Oeldruck-Bildem und Kalendern.
H. Martin, Verlag von L e i t n e r's Waffenfammlung des k. k. Arfenales.
P i c h 1 e r's Witwe, zahlreiche Schulbücher für Volks- und Bürgerfchulen.
Der deutfche und öfterreichifch-ungarifche Verlagsbuchhandel. 13
J. DirnbÖck, ebenfalls Schulbücherverlag.
F. Beck, Verlag von Gymnafial-Schulbüchern.
M. Perl es, Kalenderverlag.
K. Czermak, medicinifche Werke.
B. Lechner, fprachwiffenfchaftli eher Verlag, Schulbücher und
Kinderbefchäftigungs- Mittel. Weifs, Gefchichte von Wien.
Aus den Kronländern waren vertreten :
Innsbruck durch die Wagner'fche Buchhandlung und deren namhaften
wifTenfchaftlichen Verlag.
Prag durch H. D o mini cus' technifchen Verlag. Calve, landwirth-
fchaftliche Werke. Fei kl mit feinen zahlreichen, vortreflflichen Globen.
Brunn durch K a r a f i a t's namhaften Colportageverlag. W i n i k e r, Real-
und Gymnafial-Schulbücher, Claffiker.
L e m b e r g durch Gubrinowiez, Richter und Wild, polnifche
Verlagswerke.
Peft durch W. Lauffer's zahlreichen ungariichen Verlag.
Agram durch S u p p a n's ausgedehnten fiidflavifchen Verlag.
Hermannfladt durch Michaelis, Schulbücher in deutfcher Sprache.
Debreczin durch Cfathy's ungarifchen Verlag.
Aufserhalb der Colle<5livausllellung hatten ausgeftellt:
Die k. k. Staatsdruckerei: Das Prachtwerk Phyfiotypia von
Pokorny und Ettingshaufen, Bock's liturgifche Gewänder etc.,
aufserdem 15 occidentalifche und 16 orientalifche Werke meifl wiffenfchaftlichen
Inhaltes.
Das k. k. militärgeographif che Inftitut: Verfchiedene Proben
feiner weltberühmten Kartenwerke.
Fr. Manz, Wien, namhafter Specialverlag von Jurisprudenz und zwei
Holzfchnitte von ganz ungewöhnlichen Dimenfionen : Anficht von Wien und Anficht
der Weltausftellung.
C.Fromme, Wien, grofser Kalenderverlag, in eigener, muilerhaft ein-
gerichteter Druckerei fehr gefchmackvoll gedruckt.
Reiffenftein, Verlag von vorzüglichen Oelfarben-Druckbildem Unter
den zahlreichen Bildern ragte befonders die Tizian'fche Madonna von
ungemeiner Vollendung und in einem bisher noch nicht erreichten grofsen
Formate hervor. Der Verlag diefer Firma gehört ebenfalls zu dem Beilen, was in
der Richtung geleillet wird und hat namhaften Export.
Artaria mit feinem fehr bedeutenden Landkarten-Verlage.
Lehmann & Wentzel (in der Gruppe XXVI), junger, aber mächtig
aufflrebender Specialverlag von technifchen Werken.
In der ungarifchen Abtheilung hatten noch exponirt :
Aus Peft: Moriz Rath, der jetzt bedeutendfte Verleger von Werken in
nngarifcher Sprache. Sein Verlag, welcher die gröfsten Schriftfteller der
ungarifchen Nation vereinigt, zeichnet fich durch vorzüglichen Gefchmack und
gediegene Ausftattung aus. R. Lampel, 67 Schulbücher. W. Lau ff er, 214
Schul und Lehrbücher. Fekete, diverfe ungarifche Bücher. Grill, Schul-
bücher und Jugendliteratur. Rofenberg, Schulbücher.
Aus Klaufenburg: Stein 103 Schulbücher und Lehrmittel.
Aus Debreczin: Cfathy, verfchiedene Lehrbücher.
Zur Beurtheilung der Produ<5lionsthätigkeit des öfterreichifch-ungarifchen
Verlags - Buchhandels will ich auch hier, wie beim Buchhandel des deutfchen
Reiches, einige ftatiftifche Zufammenftellungen anführen.
Nach Mittheilungen der öfterreichifchen Buchhändler • Correfpondenz
erfchienen :
14 Rudolf Lechner.
1867 1868 1869 1870
Deuifche Bacher , 1333 1519 1491 1413
Slavifche „ 685 802 471* 980
Ungarifche „ . 468 530 476 454
Zufammen . 2486 2851 2438 2847
Unter den in Oefterreich-Ungarn mit dem Buchhandel und vcrvirandlcD
Zweigen im Jahre 1873 fich befchäftigenden 878 Firmen betreiben : ♦♦
573 Sortiments- )
64 Antiquar- > Buchhandel.
126 Verlags- )
402 Kunfl- und Landkarten-Sortiment.
20 „ „ „ Verlag.
4 » « n Antiquariat.
329 Muficalien- Sortiment.
4 „ Verlag.
3 „ Antiquariat.
161 Leihbibliotheken und Muficalien Leihanftalten.
79 Colportage.
210 Büchdruckereien.
83 lithographifche Anflalten.
21 Schriftgiefsereien.
Ueber Leipzig verkehren 476 Handlungen.
In Wien haben 30 Commiffionäre 467 Committenten.
» Peft „ 8 „ 87
n Prag „12 „ 93 „
81 inländifche Finnen halten in Wien Auslieferungslager ihres Verlages.
83 ausländifche Firmen haben Commiffionäre in Wien, wovon 61 ihreo
Verlag ausliefern lalTen.
Die 878 Firmen vertheilen fich auf die verfchiedenen Kronländer fol-
gendermafsen :
In Böhmen an 74 Orten 197 (Prag 70).
„ Bukowina *. 3 r 4 (Czernowitz 2).
, Dalmatien ?. 3 « ^ (Zara 3).
« Galizien « 19 ^ 55 (Lemberg 18).
« Kärnten „ 2 ^ 6 (Klagenfurt 4 .
^ Krain ^ 2 ^ 6 (Laibach 5).
- Kroatien ^ il ^ 21 (Agram 4).
y, Küftenland r 4 r »^ (Trieft 10).
„ Mähren „ 24 ^ 56 (Brunn I2j.
^ Niederöfterreich ^13 „ 178 (Wien 160).
« Oberöfterreich ^11 ^ 2.) (Linz lo;.
^ Salzburg ^ i • 6 (Salzburg 6).
^ Schlefien „ 6 „ 16 (Troppau 6).
y, Siebenbürgen ^11 „ 20 (Hermannftadt 6).
„ Steiermark ^ 10 „ 38 (Graz 21).
„Tirol „II , 33 (Innsbruck 11).
„ Ungarn „ 71 ^ 179 (Peft-Ofen 49).
Ueber die Summen der Zahlungen und des Baarverkehres an den
ofterreichifchen Commiffionsplätzen, fowie über das Gewicht der verfendetcn
Bücherballen fehlen leider die Auffchreibungen.
* Bei diefer Zahl fehlt der polnifche Verlag.
*• Aus Perl e*» Adrefsbuch des ofterreichifchen Buchhandels 1873.
Der deutfche und öfterretchifch-ungarirche Verlagsbuchhandel. 15
Die Zahlen der erfchienenen Werke von 1867 bis 1870 find nach dem
oilerreichifchen Bücherkataloge zufammengeflellt , und da diefer feit 1870 wegen
Mangels an Abfatz nicht mehr erfcheint, fo fehlen für 1871 bis 1872 halbwegs
fichere Anhaltspunkte zu einer Ueberficht. Das alphabetifche Regifter der Biblio-
graphie in der oilerreichifchen Buchhändlercorrefpondenz ift fehr unvoUftändig,
da viele Verleger die Einfendung ihrer Publicationen an die Reda<5lion verfäumen.
Es kann übrigens mit Beflimmtheit angenommen werden, dafs die Produ<5lion in
den letzten drei Jahren wefentlich zugenommen hat.
Was nun den oilerreichifchen Verlag im Allgemeinen anbelangt, fo hat
er ohne Zweifel in den letzten Jahren abermals entfchiedene Fortschritte gemacht.
Die beftehenJen Firmen haben fich erweitert und viele neue find entflanden.
welche rüftig vorwärts drehen. Die Ausflattung des öflerreichifchen Verlages
der hervorragenden Firmen entfpric^lt den modernen Anforderungen. Zahlreiche
Buch- und Steindruckereien wovon einige wahrhaft ausgezeichnete
Arbeit liefern, flehen zur Dispofition, mehrere xylographifcheAnllalten
leiden das Bede. Das öderreichifche Papier id im Ganzen genommen gut,
theilweife vorzüglich, verhältnifsmäfsig wohlfeil. Doch auch hier, wie im deut-
fchen Reiche fpielt der HolzdofT fchon eine grofse Rolle. Auch die mit dem
öflerreichifchen Buchhandel im Verkehre dehenden Buchbindereien haben
fich grofsentheils reorganifirt und einzelne von ihnen find im grofsen Stile ein-
gerichtet und den höchden Anforderungen entfprechend. Was die Pre ife der
Bücher öderreichifchen Verlages betrifft, fo find fie im Allgemeinen mäfsig und
concurrenzfähig. Auch hier find freilich durch die Setzerdrikcs Vertheuerungen
entflanden. üeber Honorare gilt inOederreich das, was über die des deutfchen
Reiches gefagt wurde. Im Grofsen und Ganzen idder öderreichifche Verlag in reger
Entwicklung begriffen Wenn es auffiele, dafs das grofse Oederreich im Verhält-
nifs zu dem deutfchen Reiche eine fo geringe Summe literarifcher Produdle
liefere, fo mufs zur Erklärung diefer Thatfache zweierlei erwogen werden. Erdens
waren die VerhältnifTe in Oederreich vor dem Jahre 1848 aufserordentlich
ungündig. Ich glaube nicht nöthig zu haben, die allbekannten traurigen Zudände
unter der vormärzlichen Cenfur näher zu beleuchten. Fa<5lum ifl, dafs in dem
langen Zeiträume feit Jofefs II. Tod bis 1848 weder Autoren noch Verleger
gedeihen konnten. Auf Koden diefer unglücklichen VerhältnifTe entwickelte fich
„draufsen im Reiche** ein mächtiger Verlagsbuchhandel, gegen welchen die Con-
currenz der öderreichifchen jungen Generation nun freilich einen fehr fchweren
Stand hat. Zweitens mufs bedacht werden, dafs mehr als die Hälfte Oederreichs
von nichtdeutfchen Stämmen bewohnt id, deren mittlere und untere Schichten
noch auf einer fehr niederen Stufe der Cultur dehen. Für die Gebildeten diefer
Stämme hat fich aber in den letzten zehn Jahren eine „nationale" Literatur
entwickelt, welche der Kräftigung und dem Abfatze deutfchen Verlages fehr hin-
derlich id.
Ungeachtet der freien Bewegung, welche die erleuchtete Regierung unferes
Monarchen dem Bücherverlage gedattet , hat die Produ<5lion deutfcher Bücher in
den letzten Jahren im Inlande viel Terrain durch die erwähnten nationalen Bedre-
bungen verloren. Im Auslande aber deht ihr, wie bereits gefagt, eine übermächtige
Concurrenz gegenüber, und dies id auch der Grund, warum der öderreichifche
Verlag im Durchfchnitte einen vorwiegend localen Charakter hat und wenig expor-
tirt wird.
Der öderreichifch- deutfche Verlag kämpft alfo mit grofsen Schwierigkeiten,
und es id nur noch die Frage, ob fich diefer Zweig der Indudrie, welcher, wie
kaum ein anderer, dem Lande, wo er blüht, Ruhm und Ehre bringt, nicht wefent-
lich heben liefse.
Nach meiner unmafsgeblichen Meinung würde es dem Verlagsbuchhandel
fördernd fein, wenn fich mehr Kräfte dem Verlage ausfchliefslich widmen möchten.
Bis jetzt gibt es in Oederreich wenige Verlagsbuchhandlungen, welche nicht
16 Rudoll Lechner .
auch Sortiment treiben, wodurch ihre Thätigkeit zerfplittert und fie gehindert
werden, dem Verlage ihre ganze Kraft zu widmen. Diefer wird in den meiden
Fällen nur nebenher, ich möchte Tagen, gelegentlich betrieben. Der Sortiments-
betrieb i(l aber ein fo zeitraubendes und miihfames Gefchäft, dafs die Verlags-
thätigkeit darunter leiden mufs. Männer, welche fich nur mit dem Verlage befchäf-
tigen, haben die nöthige Mufse, ihre Verbindungen mit den Autoren zu pflegen^
neue anzuknüpfen und, was das Wichtigfle ift, felbfl Ideen zu Verlagsunter-
nehmungen zu geben. Es ifl eine Thatfache, dafs ein grofser Theil des bedeu-
tendden und lucrativflen deutfchen Verlages aus der buchhändlerifchen Initiative
hervorgegangen ift. Ich erinnere nur an die riefige Literatur der Converfations-
lexica (Brockhaus, Meyer, Pierer, Spamer;, des Jugendfchriftenverlages (Schreiber
& Schill, Hoffmann-Thienemann, Spamer) und in neueflerZeit derClafliker-Gemein-
gut-Ausgaben (Hempel, Grote, Prochaska) und der fo vielen anderen Sammel-
werke in allen möglichen Richtungen, welche meiftens ihr Entliehen verlegeri-
fcher Initiative verdanken. Wenn wir alfo eine gröfsere Menge von ausfchliefs-
liehen Verlagsgefchäften haben werden, wird fich auch die Produ<5lion wefent-
lich heben.
Auch die Regierung könnte hier fördern, wenn fie fich einmal entfchliefsen
möchte, den k. k. Schulbücher-Verlag gänzlich aufzugeben. £s iil eine
grofse Anomalie und im modernen Staate ganz unhaltbar, dafs die Regierung
dem Steuerträger Concurrenz macht und ihm eines feiner wichtigften Obje(5le
entzieht. Man hat zwar im Principe die Concurrenz derPrivatverleger zugeilanden
and auch manche von diefen herausgegebene Schulbücher zuläffig erklärt. Diefs
reicht jedoch nicht aus; denn fo lange die Staats- Buchhandlung exiflirt, wird ßch
die Privatinduflrie nie gehörig entfalten und diefes Feldes bemächtigen können. Man
fagt: der Schulbücherverlag liefert fehr wolfeile Schulbücher und gibt Armenbücher in
unbefchränkter Menge. Das fei ein grofser Vortheil für das Volk. Man darf aber
wohl dagegen fragen: find diefe wolfeilen Bücher auch immer gute Bücher? Die
Erfahrung antwortet: nein! Und Armenbücher liefert auch der Privatverleger,
und dafs ohne Staatsandalten auch wohlfeile und nebflbei auch vortreffliche Schul-
bücher entdehen, diefen Beweis liefert das ganze deutfche Reich, wo mit Aus
nähme von Baiern, nirgends mehr Staatsandalten zur Herdellung von Schul
büchern exidiren. Der öderreichifche Verlagsbuchhandel hat in der kurzen
Zeit, welche feit Zulaffung der Privatconcurrenz verfloffen id, erdaunlich viele
Schulbücher geliefert und man kann ihm den Vorwurf der Saumfeligkeit nicht
machen. Dafs manche mittelmäfsige Producfle darunter find, wen möchte dieis
Wunder nehmen, wenn man bedenkt, dafs Alles, alfo auch das Verlegen von
Schulbüchern^ erd gelernt werden mufs?
Darüber kann ein Zweifel nicht bedehen, dafs die gänzliche Auflaflung
des k. k. Schulbücherverlages dir den öderreichifchen Verlagsbuchhandel von
gröfster Wichtigkeit wäre, und ich glaube daher der Regierung diefen Schritt im
IntereiTe der heimifchen Verlagsindudrie auf das Dringendde empfehlen zu
müCfen.
Schlufsbemerkungen .
Wenn ich fchliefslich noch einen vergleichenden Blick auf den deutfchen
Buchhandel (mit Einfchlufs des öderreichifchen) werfe, fo komme ich zu folgen-
dem Refultat :
Der deutfche Buchhandel deht, was Vielfei tigkeit, Maffe nhaftig-
keit, folide kündlerifche Ausdattung, praktifche Richtung,
Befriedigung der li terarifchen Bedürfniffe der Familie. Her-
dellung von Kinderbefchäftigungs-Mitteln, Kinderbüchern,
Jugendfchriften und Schulbüchern und populären Schriften
für das Volk betrifft, unbedingt auf der erden Stufe.
Der deutfche und öfterreichifch-ungarifche Verlagsbuchhandel. 17
An Gefchmack übertreffen uns die Franzofen, durch Verwendung
u ngleich befferen Papiers die Engländer. Die Franzofen produciren
Pracht werke, wie Hachette's Evangiles, deren Herftellung Über eine
Million Francs gelcoftet haben foU, wie D o r e's Bibel und Dore's Dante etc.;
Prachtwerke von fo koftfpieliger Art der Herftellung entbehren wir. Dagegen
find wir reicher als irgend ein Volk an Prachtwerken mittleren Umfanges und
fchönen Luxusausgaben der Lieblingswerke unferer Dichter, in gefchmackvoUer
Ausftattung zur Zierde des Salontifches.
In der literarifchen Produ<5lion fpiegelt fich wie fonft nirgends das Wefen
und der Charakter eines Volkes. Das deutfche Volk, welches ein ungemein aus-
gebildetes Familienleben hat, befitzt auch eine ebenfo ausgebildete Literatur für
dasfelbe. Familienjournale von der Gediegenheit und koloffalen Verbreitung der
Gartenlaube, des Daheim, der Illuftrirten Wel t, des Ueber Land
und Meer und unzähliger anderer gibt es fonft nirgends. So gediegenes und
zahlreiches Material für die Kinderftube, fo vortreffliche und unzählige
Befchäfti^ungsmittel, Bilderbücher, Kinder- und Jugend fchriften
befitxt keine Nation der Welt, wie die deutfche. Ebenfo producirt der deutfche
Buchhandel eine enorme Menge von vortrefflichen Schulbüchern und
populär- wiffenfchaftli eben Werken, wie fie nirgends fonft in fo grofser
Menge vorkommen.
Ich furchte nicht, zu viel zu fagen, wenn ich dem deutfchen Buchhandel
einen Anthetl an den Beftrebungen, Bildung, Aufklärung in immer
weitere Kreife zu tragen, vindicire. Und hiebei find nicht etwa von
vornherein grofse Capitalkräfte thätig gewefen ; faft alle Verlagsbuchhandlungen
find aus kleinen Anfangen nach und nach emporgewachfen.
Auch heute noch, wo fich eine fo fieberhafte Sucht, alle Zweige der
Induftrie in grofsem Mafsftabe zu treiben und in A<5liengefellfchaften zu verwan-
deln, kund gibt, auch heute fpielt das grofse Capital im Buchhandel keine Rolle.
Einige Verfuche find wohl gemacht worden, fie find aber nicht über die einleiten-
den Vorbereitungen hinausgekommen und fpurlos wieder verfchwunden.
Wie kaum eine andere induftrielle Thätigkeit, hat der Buchhandel nur aus
eigener Kraft gefchöpft.
Und nun möchte ich noch einen Wunfeh ausfprechen, der dem deutfchen
Buchhandel lange am Herzen liegt — esiftder nach einer unparteiifchen, tüchtigen
und wohlwollenden Kritik.
Es mufs dankbar anerkannt werden, dafs unfere grofsen politifchen
Blätter fich in neuefter Zeit häufiger mit den Erzeugniflen der Literatur
befchäftigen. Dennoch gefchieht in diefer Richtung noch viel zu wenig, und ich
glaube, es würden fich unfere Zeitungen den Dank nicht nur der Autoren und
Verleger, fondern auch des Publicums erwerben, wenn fie öfter auf die Neuig-
keiten des Büchermarktes zu fprechen kämen.
BUCHHANDEL UND LITERATUR DES AUSLANDES
Bericht von
Alfred Klaar.
Der Titel diefes Berichtes umfafst ein fehr weites, der Inhalt desfelben eia
fehr enges Gebiet. Die Literatur der Völker , infofern man fie als den Inbegriff
der geiftigen Arbeit auflfafst, war überall auf der Weltausflellung vertreten. Vom
einfachflen Spielzeuge bis zur complicirteflen Mafchine darf man behaupten, dass
fie in ihrer gegenwärtigen Geflalt einer Art von literarifcher Thätigkeit entfprun-
gen find ; wenn aber die Literatur auf indirectem Wege aus der gefammten Pro-
duölion eines Volkes hervorleuchtet, wenn gerade die wiflenfchaftlichen Arbeiten,
deren unmittelbarfter Ausdruck ja die Literatur ift, wie Buckle fagt, „für alle Zeit-
alter, für immer find, nie jung und nie alt werden , in einem ewigen, unflerb-
liehen Strome fortfliefsen", fo thürmten fich andererfeits der dire<5len Vertretung
einer Literatur auf der Weltausflellung grofse , vielleicht unüberwindliche
Schwierigkeiten entgegen. .
Die Gegenllände diefer ClafTe überhaupt von einem höheren Gefichts-
punkte aufzufaifen, wurde auf der Parifer Weltausflellung im Jahre 1867 zum
erllenmale der Verfuch gemacht , und foweit man aus dem von dem Londoner
Univerfitätsprofeffor Dr. Eduard Pick erflatteten Berichte schliefsen kann , war
die Arbeit keineswegs von einem grofsen Erfolge gekrönt; fie gab Anlafs zu
ganz intereflanten fragmentarifchen Bemerkungen , gewährte aber kein überficht-
liches Bild der buchhändlerifchen Bewegung, gefchweige denn der koloffalen
geifligen Arbeit, deren Vermittlung mit dem Publicum diefem Indnflriezweige
zukommt. Aehnlich verhielt es fich auch diefsmal mit der Vertretung des auslän-
difchen Buchhandels, und es fcheint, dafs die fchwache Ausbeute, welche das
vergleichende Studium auf diefem Gebiete der Weltausflellung findet, in dem
Wefen der letzteren begründet ifl. Jedes Ausflellusgsobject, das dem instnictivem
Zwecke des grofsen Unternehmens entfprechen foll, ifl an eine zweifache
Bedingung geknüpft. Es mufs nicht nur fichtbar fein , fondern auch durch das
Auge in feiner ganzen Bedeutung erkannt werden können, und es mufs ferner
geeignet fein, als Probe, als Muiler einer beftimmten Induflrie zu gelten. Diefen
Bedingungen entfprechen die Obje<5le des Buchhandels wohl nach der Seite ihrer
typographifchen Ausflattung und der Buchbinderarbeit, aber keineswegs in
Betracht ihres geifligen Inhalts, der für die zu beurtheilende Verlagsthätigkcil
felbflverfländlich am allerfchwerllen in's Gewicht ftlllt.
Die Qualität eines Buches zu beurtheilen, ifl Sache eines eingehenden
Studiums , das man — von Befuchern der Ausflellung gar nicht zu fprechen —
angefichts der Menge der Obje<5le nicht einmal der Jury zumuthen kann, und die
Buchhandel und Literatur des Auslandes. 19
«ndltch beflimmte Qualität eines Buches beweifl nicht das Geringfle für die Qua-
lität eines zweiten, das aus demfelben Verlagsgefchäfte hervorgegangen ift. Die
höchften geiftigen Errungenfchaften einer Literatur können auf einem einzigen
verfleckten Blatte ihren Platz finden , das, fo wenig es in's Auge fällt, in feinem
bleibenden Werthe ganze Bibliotheken verdunkelt. Dazu kommt noch ein weiterer
Umstand ; wenn fchon ein Exemplar eines Buches fchwer zu beurtheilen ist, fo
gewährt überdiefs die Ausllellung fämmtlicher Verlagswerke einer grofsen Unter
nehmung noch immer kein Bild der geifligen und induHriellen Bedeutung, da
diefe fich wefentlich nach der Verbreitung und dem Preife richtet, und über diefe
Facfloren auf den Ausflellungen bisher keine überfichtliche Aufklärung gegeben
wurde. Die fa<5lifchen Ausftellungen für Buchhandel und Literatur des Auslandes
werden jederzeit die fländigen Bibliotheken bleiben, deren Vermehrung unter
der Controle eines wiffenfchaftlichen Urtheils fleht und die Jury für die Leiflungen
diefes Indufiriezweiges wird alle Zeit die lilerarifche öffentliche Meinung bilden,
welche allmälig das Material zu einer Literaturgefchichte herbeifchafft. Was auf
den Weltausllellungen in diefer Hinficht exponirt, betrachtet und beurtheilt wer-
den kann, verhält fich zu den faclifchen Leiflungen, wie eine Reihe zugekorkter
Flafchen ohne Etiquelte zu der Weinprodu<5lion eines Landes.
So fchwer nun aber die Obje(5le des Buchhandels überhaupt zu exponiren
find und fo fchwer der Standpunkt für die Beurtheilung einer derartigen Expofi-
tion zu gewinnen ifl, liefse fich doch, wie ich zum SchluflTe meines Berichtes aus-
führlicher darzuthun gedenke, auch auf diefem Gebiete ungleich mehr für die
Zwecke derWeltausflellung leiflen, als thatfächlich durch die Anzahl und Art der
Einzelausfle)lungen gefchehen ill. Den Verfuch einer felbfldändigen Darflellung
des Buchhandels hat von allen hier in Betracht kommenden Staaten eigentlich
nur Frankreich gemacht. In den Ausfiellungen der übrigen Staaten begegnete
man entweder nur der Vertretung einzelner Firmen oder die Obje<5le des Buch-
handels erfchienen nicht als folche, fondern in ihrer Beziehung zu Buchdruckereien,
Buchbindereien, Lithographien etc.
In einzelnen Abtheilungen endlich konnte man vergebens nach einem
Buche fahnden. Es fcheint fich eben in denKreifen der Buchhändler dasBewufst-
fein feflgefetzt zu haben, dafs bisher der richtige Modus für eine erfolgreiche
Ausflellung ihrer Objecfle nicht gefunden ifl, und daraus mag fich die fchwache
Betheiligung im Gegenfatze zu der grofsen von Jahr zu Jahr fleigenden Bedeutung
der Buchhändlerlnduflrie erklären. Verfuchen wir nun, das wenige Gebotene zu
überblicken und im Geille zu ordnen, fo drängen fich zunächfl folgende allge-
meine Bemerkungen auf. Immer erfolgreicher bricht fich in fammtlichen Cultur-
(laateivdas Bellreben Bahn, die Erzeugniffe der Literatur einer möglichfl grofsen
Menge zugänglich zu machen. Die Hebung der Schulen erweckt ein gefleigertes
Bedürfnifs nach Büchern und zwar unmittelbar, indem fie diefelben als Hilfsmittel
des Unterrichtes nothwendig macht und mittelbar, indem ein gewifles immer mehr
verbreitetes Durchfchnittsmafs der Bildung zum felbflftändigen Studium heraus-
fordert. Diefem Bedürfniffe kommt der Buchhandel durch billige Ausgaben guter
Bücher entgegen, indem er feinen Gewinn nicht in der Höhe der Preife, fondern
in der Maffenhaftigkeit des Abfatzes fucht. Neben diefem Auffchwunge des Buch
bandeU, der fich in der möglichfl billigen Vervielfältigung der Bücher ausprägt
und der von einem unermefslichen Werthe für die Gefammtfortfchritte der Cultur
eines jeden Staates ill, gibt fich ein bemerkenswerther Fortfehritt in anderer
Richtung, nämlich in der Herflellung fchwieriger Druckobje<5lfe kund. Die Vcr-
befferungen der Preife, die Erleichterung der Typenerzeugung, die Erfindungen
auf dem Gebiete der Lithographie und der Photographie ermöglichen die Her-
flellung von Büchern, deren Ausllattung den vereinzelten, mühfam hergellellten
Kunflwerken von ehemals gleichkommt. Ein drittes Moment ifl die in den Verlags-
gefchäften immer deutlicher zu Tage tretende Theilung der Arbeit. Mit den Fort-
fchritten der Specialwiffenfchaften, der unferer Zeit fo eigenthümlichen Detail-
2*
20 Alfred Klaar.
forfchung, mit der Maffenproducflion auf belletriftifchem Gebiete ftellte fich die
Nothwendigkeit heraus, Verlagsgefchäfte auf ein beftimmtes Gebiet der geiftigen
Produiflion einzufchränken ; denn dem Verleger ift ein Mafs des Verfländniffes für
feine Verlagsartikel nothwendig, das er gegenwärtig nur noch in einer beftimm-
ten Richtung erreichen kann.
Literarifche Bewegung im Auslande.
Verfuchen wir den Geift jener drei Literaturen zu kennzeichnen, die ver-
eint mit der deutfchen den nachhaltigllen Einflufs auf die Cultur ausüben, nämlich
der franzöfifchen, englifchen und italienifchen, fo kann diefs felbilverlländlich
nur in grofsen Umriffen und nur fragmentarifch gefchehen. Das Gebiet ift zu grofs,
die Arbeit auf demfelben viel zu verzweigt, um in dem Rahmen eines Ausftellungs-
berichtes beherrfcht zu werden, und überdiefs find die Anhaltspunkte, welche in der
Ausftellung felbft gegeben wurden oder aus vereinzelten Katalogen und Nachweifen
der Verlagsfirmen zu fchöpfen find, keineswegs deutlich, fefl und untrüglich.
In Frankreich haben die fo bedeutungs- und verhängnifsvollen Schick-
fale der Nation eben fo wenig grofse Veränderungen auf dem Gebiete der fchönen
Literatur hervorgebracht, wie die grofsen Siege und politifchen Erfolge in
Deutfchland.
Es bewährt fich hier wieder die alte Wahrnehmung, dafs grofse politifchc
Umwälzungen in der fchönen Literatur keinen unmittelbaren Widerhall, fondern
erft einen fpäten Nachhall finden; dafs, wenn nach Goethe's Wort, die Mufe den
Einzelnen zu begleiten, doch zu leiten nicht verfteht, fie den Nationen auf den
Wegen einer jähen Entwicklung erft aus weiter Entfernung nachzufolgen vermag.
Das Unglück der grofsen Nation hat wohl zahlreiche gedruckte Ausbrüche des
Zornes, Pamphlete und Schmähfchriften, aber kaum eine bedeutungsvolle Dichtung
hervorgebracht. Wer vielmehr die belletriftifchen Leiflungen feit dem Jahre 1867
überblickt, der findet, dafs fie fich feitab von den welterfchütternden Bewegungen
der Jahre 1870 und 1871 in derfelben Richtung fortbewegen, zu der die demora-
lifirende, aber efpritvoUe, keineswegs veredelnde, aber vielfach das Raffinement
verfeinernde Zeit des zweiten Kaiferthums den Anftofs gegeben. Diefs gilt wenig-
ftens vom Roman und vom Drama, in welchen Dichtungsarten quantitativ am
meiften geleiftet worden ift. In der Lyrik herrfchte ein älterer Einflufs, der der
abenteuerlich-romantifchen Schule Vi<5lor Hugo's vor, ohne dafs Meifter oder
Jünger es über vergängliche Schöpfungen hinausgebracht hätten. Im Jahre 1871
fprach ein Franzofe, Philarete Charles, das harte Urtheil über feine Landsleute
aus: „Vergebens fehe ich mich nach irgend einem Buche von hohem Werthe und
moralifchem Inhalte, einem Stücke guter Dichtung oder Gefchichte um." Wenn
auch diefe von patriotifchem Schmerze eingegebene Aeufserung als hart und
einfeitig bezeichnet werden mufs, fo ift fie doch infofern anwendbar auf unfere
Ueberficht, als den meiften Werken der fchönen Literatur feit dem Jahre 1867
trotz aller technifchen Vorzüge, trotz der gefteigerten Virtuofität in der Erfindung,
in der Detailmalerei, in der kühnen Ausmalung focialen Elends, und trotz der
anfcheinend patriotifchen Tendenz, faft durchwegs der fittliche Halt und die
geiftige Hoheit und fomit auch die Grundbedingung für die Erfüllung eines blei-
benden Culturberufes abgeht.
Am deutlichften prägt fich die zerfetzende und wenn auch nicht felbft
entfittlichende, fo doch die Enlfittlichung fpiegelnde Richtung der neufranzöfifchen
Literatur auf dramatifchem Gebiete aus. Das Ehebruchs- und Loretten-Drama,
vertreten durch den efpritvollen Sardou, den philofophifchen Dilettanten Dumas
fils, Feuillet und Augier, nimmt faft ausfchliefslich das Interefle in Anfpruch, und
Verfuche an das claffifche franzöfifche Drama anzuknüpfen, fei es durch Original-
dichtungen , wie Viötor Laprade eine in feiner antik gehaltenen Tragödie
„Harmodius" geliefert hat, fei es durch die Auffrifchungen von Aefchylos, die
Buchhandel und Literatur des Auslandes. 21
Leconte de Lisle in feinen j,Erinnyen'* verfucht hat, blieben unbeachtet vom
grofsen Publicum und befchäftigten nur die Literaturkenner und Kritiker. Auf
lyrifchem Gebiete drehen zahlreiche jüngere Kräfte dem Altmeifler Vi<5lor Hugo
nach, der felbH in den letzten Jahren noch manches grofs concipirte, aber fchwach
ausgeführte und tendenziöfe Gedicht (Chanfons des rues et des bois, L'Ann^e ter-
rible) in die Welt hinausfandte ; aber nur Wenige kamen über die Grundfehler der
Nachahmung, erkünflelte Stimmung und Unfelbftftändigkeit der Auffaflung hinaus.
Gedankentiefe und Empfindung bewahrte unter diefen Anhängern Vi<5lor Hugo's
nur Thöophile Gautier, der im Jahre 1872 einen bedauernswerth frühen Tod gefun
den hat. Durch fociale Agitationsgedichte machte fich Frangois Copp6 bekannt,
und als Stütze der neuromantifchen Schule gilt Theodor de Banville. Unter den
übrigen Lyrikern ragten Prudhomme, Lemoyne und vor allen der Arzt Chenet
mit feinen „Les Haltes" hervor. Dafs es in den Jahren 1871 und 1872 an Kriegs-
liedem nicht fehlte, verlieht fich von felbft, aber fie haben nicht nur keinen
bleibenden poetifchen Werth, fondern widern zumTheil, wie die Gedichte: „L'In-
vafion en 1870** von A. Delpit, durch die Verläumdung an, zu der fich die
nationale Leidenfchaft hinreifsen liefs. Eine Ausnahme bilden nur die von
einem anonymen Autor herausgegebenen „Souvenirs : Hiftoire quotidienne",
ferner Manuel's empfindungsAarke „Les Pigeons de la Republique'^ und die
volksthümlichen Lieder im bretonfchen Dialekte. Im Roman haben Vi<5tor Hugo
(»L'Homme qui rit"), Georges Sand („Monfieur Sylvellre", ^Un dernier amour")
und About („L'Infdme", „Ahmedle Fellah"), die drei Vertreter des phantailifch-
focialiflifchen, des demokratifch-fentimcntalen und des anmuthig- leichten Romans
in bekannten Richtungen fortgearbeitet. Flambert, der den Ehebruchs-Roman auf
dem Boden der Provinz fpielen läfst, Feydeau, der craffe Naturalift in der
Zeichnung des Laders, Champfleury, He<flor Malot und zahlreiche Andere
forgten für das Tagesbedürfnifs, das feit den Tagen Dumas und Sue's nur
<iurch grofse EfTecfle und darkes Raffmement befriedigt werden kann. Dumas
fils variirte in der „L'Affaire Clömenceau" das beliebte Problem des compli-
cirten Ehebruchs. Sardou hielt, in der fpäter dramatifirten Gefchichte „La
famille Benoiton" der leichtfertigen Parifei Gefellfchaft einen Spiegel vor.
Das bekannte elfäffifche Dichterpaar ErckmannChartrian dellt eine Specialität auf
dem Gebiete des Romans dar, indem es (L'Hidoire d'un homme du peuple) auf
dem einmal eingefchlagenen Wege der Dorfgefchichte rüdig fortfchreitet und nur
in den etwas craflen Efifedten den Einflufs der Parifer Salonfchriftdeller merken
läfst. In „L'Hidoire d'un pl^biscite" id die Erfindung und Ausführung durch die
^ehäffige, gegen Deutfchland gerichtete Tendenz getrübt.
Wenn auf dem Gebiete der Belletristik in der Maffenprodu(5lion vor und
nach dem Kriege der nachtheilige Einflufs der Frivolität, welche das zweite
Kaiferthum grofsgezogen, herrfchend geblieben id, fo mufs man dagegen mit
Bewunderung die rüdige und umfaffende Arbeit auf wiflTenfchaftlichem Gebiete
anerkennen, welche, unberührt von den politifchen Umwälzungen und Verwir-
rungen, namentlich auf philologifchem und hidorifchem Gebiete, die beden
Traditionen des franzöfifchen Volkes wahrte. Nur einzelne wenige Werke follen
als Beifpiele hier angeführt werden; fo der nunmehr vollendete „Di<5lionnaire de
la langue frangaife" von Littr6, ein Werk, für welches der berühmte VerfafTer'
29 Jahre zur Sammlung des Materiales brauchte und das fodann (begonnen im
Jahre 1863) in etwa 10 Jahren vollendet wurde. Das Werk, das auf wiffenfchaft-
licher Grundlage die Gefchichte eines jeden franzöfifchen Wortes bringt und
^abei in der Dardellung, der Entwicklung die ganze ethnographifche und hido-
rifche Bedeutung der Philologie erkennen läfst, deht auf der Hohe der modernen
vergleichenden Sprachforfchung und darf als ein Seitendück der phänomenalen
wifTenfchaftlichen Leidungen der Gebrüder Grimm in Deutfchland bezeichnet
werden. Culturgefchichtlich bedeutend id Jaquemart's „L'Hidoire de lac^ramique**
{erfchienen bei Hachette), welche eine Ueberficht der Trinkgefäfse aller Zeiten
22 Alfred Klaar.
und aller Völker bietet und dabei überrafchende intereflante Einblicke in die
focialen Verhältniffe entfernter Zeiten und Länder gewährt.
Ein fehr merkwürdiges Sammelwerk ift das im Jahre 1872 vollendete Reper-
torium der gefammten franzöfifchen Literatur von Oberft Staaff, einem Schwe-
den, der fein ganzes Leben an diefe Arbeit gewendet hat. Das Werk, betitelt „La
lit^rature fran^aife depuis la formation de la langue jusqu'ä nos jours", bietet
ein in feiner VoUftändigkeit beifpiellofes Regifter aller Erfcheinungen auf franzö-
fifchem Gebiete und bildet zugleich ein aus durchwegs authentifchen Quellen
gefchöpftes biographifches Lexikon. Beachtenswerthe hiftorifche Werke find
Filleul's Gefchichte des Perikleifchen Zeitalters, Hubbard's Zeitgefchichte
Spaniens, und ein höchft merkwürdiges ethnographifches Werk ift Gasparin's
„LaFrange: nos fautes, nos p^rils, notre avenir", eine von der bekannten Eitelkeit
und Selbllvergötterungder Franzofen freie, geiftvoUe Schilderung des franzöfifchen
Nationalcharakters. „L'eloquence politique et judiciaire ä Äthanes" von Perrot
beabfichtigt eine vollftändige Gefchichte der griechifchen Rhetorik, deren erfter
Theil, die Vorläufer des Demosthenes umfaffend, ebenfo gründlich gehalten als
anziehend gefchrieben ift.
In dem von politifchen Stürmen faft unberührten England bewegte fich
die fchöne Literatur in dem von uns zu überblickenden Zeiträume von 1867 bis
1872 auf ebenen, durch eine frühere Entwicklung bereits vorgezeichneten Bahnen.
Bemerkenswerth ift die verhältnifsmäfsig reiche Pflege der Lyrik und zwar jener
reinen Gefühlspoefie, die fonft in den modernen Literaturen grofsen Tbeils den
Werken desGeiftreichthums und der überreizten Phantafie gewichen ift. Tennyfon,
bekanntlich der gekrönte Dichter Englands, war der Hauptvertreter diefer Rich-
tung und hat in einer Reihe neuer Gedichte (zum Theile auch epifchen Inhalts)
feine aufsergewöhnliche Produ<5livität bekundet. „Enoch Arden", „Maud". „IdyU
of the King** berühren uns in ihren religiöfen, moralifirenden Abfchweifungen
etwas fremdartig, tragen aber doch in ihrem ungemein lieblichen Ausdruck der
Empfindung das Gepräge ungekünftelter Poefie. Ebenbürtig neben Tennyfon ftellt
fich Browning, deffen Gedichte „Beils and pome granates'*, „Chriftjnas eve
andEaster day", «Men and Women", „The Ring and the Book" trotz des vielfach
überfchwängllchen Ausdrucks, fich durch hohen Schwung und Gedankenreichthum
über die Fluth der vergänglichen poetifchen Erzeugniffe des Tages weit erheben.
Unter dem Pfeudonym Owen Meredith that fich der Sohn des weltbekannten
Romanfchriftftellers Bulwer durch feine Gedichte „Clytemneftra *, „Chronicles and
CharacJters'* rühmlich hervor und aufserdem find von neu aufftrebenden Talenten
Buchanan, Swineburne. auf dem wenig bebauten Gebiete der Satire der
rafch bekannt gewordene Auftin zu nennen.
Zahlreicher als in früheren Tagen huldigen Frauen in England der lyrifchen
Mufe und einen ehrenvollen Namen erwarbenfich vondiefenAnna Proctor, Mrs.
Norton, Mrs. George LenoxConyngham, und vor Allen Mifs Evans
(George Eliot), die freilich die reichlichften Lorbeeren auf dem Gebiete des Romans
erworben hat Seltfam vemachläffigt erfcheint in England, dem Vaterlande des
fröfsten Dramatikers, die dem Theater gewidmete Produ<5lion. Für das Tages-
edürfnifs forgen neben den Franzofen, deren Stücke weit fleifsigeralsShakefpeare
reproducirt werden, einige Bühnenfchriftfteller von wefentlich blofs technifcher
Fertigkeit, wie Marc Cleman, Tom Taylor und Andere, durch Melodra-
men und Senfationsftücke, theils von originaler Erfindung, theils für die englifche
Bühne bearbeitet.
Faft unüberfehbar dehnt fich das Gebiet des Romanes aus, auf dem die
Engländer, quantitativ und qualitativ in ihrer Produ<5lion fehr bedeutend, allen
Claflen der Bevölkerung die reichlichfte Nahrung zufiihren.
Von den literarifch bedeutenden Romanfchriftftellern find die altbewährten
Namen D i s r a e 1 i und C o 1 1 i n s, von denen noch in den letzten Jahren bedeutende
Buchhandel und Literatur des Auslandes. 23
Publicationen ausgegangen find und neben diefen als jüngere Kräfte die gelehrte
Stilkünftlerin Mifs Evans, Reade, der Nachfolger ton Dickens und Thackeray,
der Vertreter des chrilUich-focialen Romans Kingslay, der aus fernen Welten
fchöpfende Trollope, der Eflayifl Henry Holbeach und bezeichnender
Weife ein deutfcher Schriftfteller, Julius Rodenberg, deifen in englifcher
Sprache gefchriebener Originalroman n^^Qg ^X ^^^ GraceofGod" felbftvon Briten
zu den bellen Erzeugniffen der Nationalliteratmr gezählt wird. Die in ihrer Art
merkwürdig gefchickten, phantafiereichen und in der Detailmalerei den guten
Schriftftellern ebenbürtigen Verfaffer von Senfationsromanen, wie Mifs B r a d d o n.
Miilr. Booth, Capitän Mayne Raid und Andere mehr, waren in unferem Zeit-
raum gleichfalls nicht müfsig und überfchwemmten nicht nur den englifchen
Markt mit ihren für die Leihbibliotheken unentbehrlichen Produ(5len.
Ein Seitenblick auf die englifche Literatur in Amerika gewährt die inter-
effante Wahrnehmung, dafs fich mitten in dem Getriebe der effe(5lhafcherifchen
Tagesliteratnr und praktifch nüchterner Publicationen eine poetifche, fchwärme
rifch und mitunter religiös angehauchte Richtung geltend zu machen weifs. Einen
nationalamerikanifchen Zug weift diefe Richtung in den Heben Gefangen auf, in
denen Joaquiu Miller, der rafch berühmt gewordene Sänger der neuen
Welt, feine ErlebniiTe im Lande der Goldgräber in phantaftifcher Einkleidung
berichtet. Bemerkenswerth ift ferner Longfellows „The divine Tragedy", ein
flreng religiöfes Paffionsgedicht, das fich mit feiner erkünftelten Begeifterung den
berühmten Liedern des amerikanifchen Dichters nicht an die Seite ftellen kann.
Auch in Italien hat die Vollendung des grofsen politifchen Einigfungs-
werkes zunächft noch keinen fichtlichen Einflufs auf die Pflege der fchönen
Literatur ausgeübt. In Manzoni wurde der Beherrfcher der grofsen reformatori-
fchen Bewegung auf literarifchem Gebiete zu Grabe getragen, ohne dafs ein gleich
umfaflender und energifcher Geift feine Erbfchaft angetreten hätte. In der Kunft-
form mafsgebend für das ganze jüngere Poetengefchlecht Italiens ift Manzoni mit
feinen philofophifchen und politifchen Gedanken nicht mehr tonangebend. Die
italienifche Literatur ringt nach einem neuen Inhalte und wie in allen ähnlichen
Perioden wird die Produ<5lion von der Kritik überwuchert; unterdeffcn fehlt es
nicht an poetifchen Verfuchen, welche ein literarifches Mittelgut repräfentiren. Die
Lyriker Prati, Aleard i, Zanella haben fich durch patriotifche Lieder einen
angefehenen Namen gemacht. Giofu^Carducci erwarb fich durch feine mafslos
leidenfchaftlichen Gefänge viele Anhänger und ein bemerkenswerthesBuch ift der
Piccolo Romanziere von Enrico Panzachi, eine Nachahmung des bekannten
Romanzenkranzes von Heine. Auf dramatifchem Gebiete wird fehr viel producirt.
um dem Tagesbedürfnifs der Bühnen zu genügen. Originalftücke treten an Stelle
der franzöfifchen Produ<5le, die man allmälig gänzlich aus den italienifchen Thea
tem verdrängt hat. Neben dem Luftfpie), das fich in den hergebrachten italieni-
fchen Formen bewegt, behaupten das Rührdrama und das Senfationsftück die
erfte Stelle. Durch glückliche Verfuche, auf komifchem Gebiete die claflifchen
Traditionen zu bewahren und zugleich modernen Inhalt in die alten Formen zu
giefsen, that fich Ferrari hervor; neben ihm find Coffa, der noch immer pro-
duiflive Giacometti, Coftetti. Carrera und C a v a 1 1 o 1 1 i, der demokratifche
Tendenzdramatiker, zu nennen.
Am fchwächften ift der Roman vertreten, auf deflen Gebiete nur die Verfuche
Guerzoni's und D o n a t i 's eine edlere Richtung anbahnen. Im Uebrigen herrfcht
die Nachahmung franzöfifcher Autoren und eine krankhaft fentimentale Richtung,
welche der höheren Bildung ermangelt. Der gediegene hiftorifche Roman, der fo
lange Zeit in Italien blühte, hat gegenwärtig keinen Vertreter. Ernft, erfolgreich
und umfaflend war das Streben der italienifchen Nation in den letzten Jahren
auf wiflenfchaftlichem Gebiete, fowohl was die Naturforfchung, als was die
Gefchichte und Archäologie anlangt. Die hiftorifche Forfchung hat durch die
24 Alfred Klaar.
Wiedereröffnung der lange verfchloffen gewefenen Archive neue Nahrung gefun-
den und gleichzeitig äufsert die nach dem bedeutungsvollen Jahre 1859 durch-
geführte Schulreform in der Gegenwart den glücklichden Einflufs auf die Pflege
claflifcher Studien. Das Archivio ftorico wurde durch wichtige neue Arbeiten,
namentlich durch die Gefchichte Savonarola's von PasqualeVillari bereichert.
Vom höchften Werthe für die claflifche Philologie ift die Gefchichte der claffifchen
Literatur von T a m a g n i und nur beifpielsweife foUen die Arbeiten V a n n u c c i 's,
Fabbretti's, Fiorelli's und Trezza's erwähnt werden. Zur Gefchichte der
Philofophie lieferten Ferri, Berti und Conti beachtenswerthe Beiträge.
Buchhandel und Verlag des Auslandes.
Im Folgenden werden auf Grundlage perfönlicher Anfchauung und der
für die Ausheilung veröffentlichten Kataloge Bemerkungen über die Ausfiel-
lungsobje<5le der einzelnen Länder gegeben; dafs diefelben, da dasAusflellungs-
material auf unferem Gebiete nichts weniger als volldändig und überfichtlich
geordnet war, nur fragmentarifch ausfallen können, wurde fchon im Eingange ange-
deutet. Auch war es unmöglich, in diefen kurzen Skizzen überall denfelben Ein-
theilungspunkt fedzuhalten, da die in der Ausheilung felbft gebotenen Anhalts-
punkte bei der Vertheilung unferer Objecfle auf verfchiedene Gruppen fehr
ungleichartiger Natur waren. Ein Hinübergreifen auf verwandte Gebiete war
unter folchen Umftänden nicht zu vermeiden, und wo die eigentlichen Ausflellungs-
objccfle entweder gar nicht oder in kaum beachtenswerther Weife vertreten waren,
glaubte der Berichterftatter, den zum Zwecke der Ausftellung erfchienenen
ilatiflifchen Nachweifen Beachtung fchenken und Glauben beimeffen zu dürfen.
Frankreich. Am gefchmackvoUflen in der Ausilattung, am reichflen im
Inhalt, am überfichtlichften in der Anordnung war von allen Ausdellungen des
Buchhandels die franzöfifche.
Sie war im Grunde genommen die einzige, aus welcher der in bellimmter
Richtung arbeitende Geift eines Volkes den Beobachter anfprach und die, wenn
fie auch fo wenig wie eine andere, ein folides flatiflifches Material darbot, doch
wenigdens durch die Anfchauung ein ungefähres Bild der literarifchen Gefammt-
thätigkeit vermittelte. Zwei Momente fprangen als Kriterien der franzöfifchen
Arbeit auf diefem Gebiete fofort in's Auge: der rege Gemeinfmn im Wirken der
Verleger und der Wetteifer derfelben in der möglichll gefchmackvoUen Aus
flattung ihrer Erzeugniffe.
Ein Centralorgan für die Beilrebungen des Buchhandels, der Buch-
druckerei , des Papiergefchäftes, des Handels mit Muficalien und mit Kupfer-
(lichen wurde in einem Vereine der Inhaber aller aufgezählten Gefchäftsbranchen,
welche an der Herftellung eines Buches oder graphifchen Kunftwerkes betheiligt
find, zu Paris gefchaffen; das Wirken diefes Vereines, der in ähnlicher Weife wie der
Verein der deutfchen Buchhändler, durch die Herausgabe des.Börfenblattes filrden
deutfchen Buchhandel fich durch die Herausgabe der ^Bibliographie de la France"
und des „Journal g6n^ral de l'Imprimerie et de laLibrairie" grofse Verdienflc um
den Buchhandel erwirbt, wurde durch die Verleihung des Ehrendiploms gewürdigt.
Unter den franzöfifchen Verlagsfirmen nimmt das weltberühmte Haus
Hachette & Comp, einen anerkannt hervorragenden Rang ein, fowohl durch
die Grofsartigkeit des Gefchäftsbetriebes, durch die technifche Vortrefflichkeit
der Producfle, als durch die ernfte Unterflützung von Cultur- und Bildungszwecken.
Man kann behaupten, dafs diefe Firma feit ihrem Beflande eine ganze Bibliothek
gefchaffen hat, welche für fich die Quelle einer abgefchloffenen harmonifchen
Bildung darAellt. Das jüngfle Verlagswerk, welches nach zwölfjähriger Arbeit erft
zur Ausflellung vollendet wurde, gilt zur Zeit als ein unerreichtes MuRer der
Vervollkommnung graphifcher Künfle. Die Herflellung des Werkes, der grofsen
Buchhandel und Literatur des Auslandes. 25
Prachtausgabe des Evangeliums, mit Illuftrationen von Bida, unter Mitwirkung
von Rofligneux, kodete nicht weniger als 1,200.000 Francs. Der jüngfte im Augufl
1873 erfchienene Katalog der Verlagswerke von Hache tte bietet ein überficht
liches Bild der gleichmäfsigen Pflege aller Literaturzweige vom primitiven Schul-
bache an bis zu den in den riefigften Dimenfionen angelegten Wörterbüchern,
Encyklopädien und Sammelwerken fall jeder Art.
Eine höchd bemerkenswerthe Specialität bilden die zu aufserordentlich
billigen Preifen hergeftellten Bibliotheken der fchönen Literatur, des populären
Wiffens und der praktifchen KenntnilTe. Um das Streben der Firma in ihren
beiden Hauptrichtungen zu kennzeichnen, wollen wir bei zwei Gruppen der Verlags-
werke ein wenig verweilen. Bei der einen, in welcher fich das Streben nach
gröfster VoUfländigkeit des Inhaltes und möglichfler Vervollkommnung der Aus-
führung ausfpricht und welche die fchwierigllen und theuerften Verlagswerke
umfafsti und bei der anderen, welche das tägliche Brot der geidigen Nahrung für
die Menge liefert und bereits feit geraumer Zeit jene Aufgabe der Popularifirung
bedeutender nationaler Schriftfleller erfüllt, welche fich in Deutfchland Reclam
in Leipzig und das y,Bibliographifche Inftitut" in Hildburghaufen geftellt haben.
Von encyklopädifchen Werken und Dicflionären find folgende im Verlage von
Hachette erfchienen : eines über franzöfifche Sprache von Littr6, deffen Bedeutung an
einer anderen Stelle diefes Berichtes bereits gewürdigt worden, ein geographifchcs)
welches Frankreich, Algier und die Colonien umfafst, von Adolphe Joanne unter
Mitwirkung einer Gefellfchaft von Hiftorikern und Geopraphen, eines über die chrill-
lichen Alterthümer, das in vier grofsen Abtheilungen das Refultat erfchöpfender
Studien über die Sitten der erften Chriften, über einfchlägige Monumente, Kleidungen
und Möbel und eine Gefchichte der chrifllichen Archäologie bietet, von Abb^
Martigny, eines über griechifche und römifche Alterthümer unter derRedadlionvon
Darmberg und Saglio, eines über die Synonyme der franzöfifchen Sprache von
Lafaye, eines über die alte und moderne Geographie vonMeiffas undMichelot, ein
hiftorifches über Frankreich von Laianne, ein Univerfallexikon über das Leben auf
dem Lande und in der Stadt, redigirt von Beleze, ein Univerfallexikon derWiflenfchaf-
ten und Künfle in 1 1 Bänden, ein Univerfallexikon der Gefchichte und Geographie,
ein Univerfalatlas, ein Univerfallexikon über die Zeitgenoffen (alle drei redigirt von
Bouillet), eines über die mathematifchenWiffenfchaftenund eines über iie Chemie.
Von den billigen Ausgaben foll nur die Bibliothek der hervorragenden
franzöfifchen Schriftfteller, die der befferen einheimifchen und fremden Roman-
Schriflfteller und die der populären Literatur hervorgehoben werden, von denen
jeder Band i Franc 25 Centimes koftet. Kleinere nützliche Schriften werden in
Ausgaben, welche 50 oder blos 25 Centimes koften, von der Vcrlagshandlung
Hachette verbreitet.
Von den illuilrirten Werken nennen wir den von Dor6 verbildlichten
Don Quixote und die prachtvolle gleichfalls mit Bildern von Dor6 gezierte Aus-
gabe von Dante.
Neben Hachette ragt unter den gröfseren franzöfifchen Verlagsfirmen das
Haus Firmin Di dot fr^res, fils et C omp. hervor. Auch defien Wirkfamkeit
erftreckt fich fall auf fämmtliche Gebiete der Belletrillik und der wiflenfchaftlichen
Literatur. Eine Specialität bildet die befondere Herausgabe der hiflorifchen und
literanfchen Hauptwerke des Mittelalters, worunter eine neue Ausgabe von Froif-
fart, dem liebenswürdigen Chroniften (1322 bis 1400), und die Memoiren von
Commynes über das Regiment von Louis IL und Karl VIII. Auch in dem Verlage
der lateinifchen und griechifchen Claffiker nimmt Didot den erden Rang ein.
Eine befondere Ausftellung von ftatiftifchen Werken hat die Stadt Paris
veranflaltet, ein ebenfo fchöne-s wie geordnetes Bild der llädtifchen Thätigkeit
Wenn diefe Berichte und Pläne, welche im Wefentlichen die Anftrengungen der
Stadt darflellen, n^ue Afyle und Volksfchulen für die Kinder und Specialfchulen
zu errichten, auch nicht unmittelbar unferer Gruppe angehören, fo können fie
26 Alfred Rlaar.
doch auch als culturgefchichtlich bedeutende Erzeignifle der Literatur in diefem
Berichte gewürdigt werden.
Die fpecielle Pflege gewifler Zweige des Buchhandels, die fich in diefer
Induflrie immer mehr Bahn bricht, und deren fchon im Eingange gedacht wurde,
tritt befonders anfchanlich in Frankreich hervor. So befafl"en fich die Firmen
Baudry und Ducher&Comp. vornehmlich mit grofsen architektonifchen
Werken, Paul Ducrocq und Lef^vre mit gut ausgeflatteten Jugend- und
Kinderfchriften; Belin Veuve mit wohlfeilem Claffikerverlag, J. Dumaine mit
militärifchen Werken und Landcarten, E. Roret mit technifchem und naturwiffen-
fchaftlichem Verlag, hauptfUchlich für das gröfsere Publicum, J. Rothfchild mit
prächtigen 111 udrations werken (darunter das bekannte Buch «Les promenades de
Paris") und Levy mit artiftifchen Werken, Jouauft mit Werken im Renaiffance-
ftyl, Morel & Comp, mit wahrhaft grofsartigen technifch vollendeten Büchern
über bildende Kunfl, H e t z e 1 mit Erziehungs- und Bildungsfchriften, C h a i x mit
Werken über Eifenbahnwefen, Gui 11 aumin & Comp, mit Büchern über Volks-
wirthfchaft und Finanzwefen, Gauthier-Villars mit technifchen und artifti-
fchen Schriften, H. Renouard mit der „Gefchichte der bildenden Künde"*,
Techener und P i 1 1 e t mit bibliographifchen Werken, das grofse Haus Marne
& fils in Tours mit maffenhaft erzeugten Gebet- und Erbauungsbüchem, defs
gleichen Lee off re fils und Pouffielgue fr^res mit frommen Schriften, Le
Roy mit Werken über Alterthumskunde, Le Brument mit Specialgefchichte,
Magny mit genealogifchen Schriften, Lacroix mit Buchdruck und Buchhandel
für Ingenieurarbeiten, Plön vornämlich mit hiflorifchen, politifchen und militäri-
fchen Werken und endlich L e m o i n mit Muficalien und Mufikgefchichte.
Von intereflfanten Einzelwerken und periodifchen Schriften erheifchen fol-
gende noch eine befondere Würdigung : Die von Menard geleitete, mit tech-
nifcher Vollendung ausgeführte: „Gazette des Beaux Arts" (europäifcher Courier
für Kunfl und Sehenswürdigkeiten), welche in wohlthätiger Weife für dieVerbeflfe-
rung des Gefchmackes in Kunfl und Kunflgewerbe wirkt, das reich ausgeflattete
Journal „L'Illuflration" (herausgegeben von Ate Marc & Comp.), die Sammlung
der franzöfifchen Claffiker nach den Originaltexten des XVI. Jahrhunderts (heraus-
gegeben von Alphonfe Lemerre), die bildliche Darflellung der Coflume vom 4. bis
19. Jahrhundert (herausgegeben von Jaquemin), das Werk „Les Kumanit^s moder-
nes« von Profeffor Ph. Kuff, das „Album der Welt« und „die SchlölTer Frankreichs«
(herausgegeben von Lheureux Page^ & Comp.), das Wörterbuch der Künde und
Manufaöluren (herausgegeben von Laboulaye) und endlich dasfranzöfifch-lateinifch-
chinefifche Wörterbuch der lebenden Mandarinenfprache von Paul Ferny
(gedruckt bei Ad. Lain^).
Der (larke nationale Zug im franzöfifchen Wefen, der in feinen extremften
Aeufserungen manches Staatsunglück heraufbefchworen hat, fUhrte auf der anderen
Seite zu centralifirenden wiffenfchaftlichen Beflrebungen , in deren Anord-
nung und gewiffenhafter Durchführung die Franzofen als Mufter voranleuchten
können. Ein anfchauliches, impofantes Bild einer derartigen Thätigkeit bot die
Ausdellung des franzöfifchen Untcrrichtsminideriums ; eine überfichtliche Dar-
dellung der gefammten Schulentwicklung, die zugleich in ihren höheren Stufen
die Ausbreitung der wifTenfchaftlichen Literatur in grofsen Zügen dem Beobachter
vorführte. Die von der Regierung veranllaltete Ausdellung umfafste alle officieilen
Berichte über den Unterrichtsorganismus, Nachweifungen über die Fortfehritte auf
dem Gebiete ihrer WiflTenfchaft und eine grofse Anzahl von Differtationen pro
gradu, aus denen die lebendige Vermittlung des wifTenfchaftlichen Lehrdofles zu
entnehmen war.
Befondere Hervorhebung verdient die vom Gouvernement angeordnete und
von Firmin Didot beforgte Herausgabe des für die Gefchichte Frankreichs unge-
mein wichtigen Werkes „Documents in^dits**, in welchem die Tabula peutinge-
riana und Jourdan's Gefchichte der Parifer Univerfität enthalten find.
Buchhandel und Literatur des Auslandes. 27
Wer die wahrhaft überwältigend grofse Summe geiftiger Arbeit in der Aus-
Heilung erblickte, der erhielt ein Gefühl davon, wie inmitten der Hüllen wechfel-
voller und verwirrender politifcher Bewegungen, wie in den vergänglichen Formen
von Königthum, Kaiferthum und Republik, fich ein Kern rüdig vorfchreitender,
ungemein emfiger Nationalarbeit behauptet hat.
Die Lichtfeite des Strebens nach Gloire, das fo oft über Europa und Frank-
reich feinen dufteren Schatten geworfen hat, trat hier in dem traditionell bewahrten
Princip der Franzofen, die Machtfrage als eine Culturfrage aufzufaflen, zu Tage.
Ein Bild vieljähriger und erfolgreicher Thätigkeit in Erforfchung der fran-
zöfifchen Gefchichte gewann man auch aus den nationalen Archiven (Parisj, und
grofse Leiflungen auf dem Gebiete der Specialforfchung wies die Soci^t^ des
antiquaires de Normandie auf.
Um von der literarifchen Produölion Frankreichs überhaupt ein über-
fichtliches Bild zu geben und die Vertheilung der Arbeit auf die verfchiedenen
Gebiete der Literatur erkennen zu laflfen, foll hier ein ftatiftifcher Nachweis über
die Anzahl der im Jahre 1869 erfchienenen Bücher folgen. Es wird abfichtlich
das letzte Jahr vor dem grofsen deutfch-franzöfifchen Kriege gewählt, weil in der
Folgezeit die produ<5liven Arbeiten felbftverftändlich aus ihren regelmäfsigen
Bahnen gelenkt und ttberdiefs die ftatiftifchen Nachweifungen aus den folgenden
Jahren mannigfach behindert wurden.
Im Jahre 1869 wurden nach einer an der Hand des Rheinwald'fchen
Gefammtkataloges vorgenommenen Zählung nahezu 4800 Bücher auf den Markt
gebracht. Diefelben vertheilen fich folgendermafsen auf die verfchiedenen Gebiete
der literarifchen Produ<ftion :
Theologie 403 (329 katholifche, 68 proteftantifche, 5 ifraelitifche und
I griechifch-katholifches Werk), Philofophie 119, RechtswifTenfchaften 258 (Legis-
lation und Adminiftration), StaatswiiTenfchaften 98, Handel und Finanzen 57,
Gefchichte fammt ihren Hilfswiffenfchaften 382, Politik 364, Biographien 112, Geo-
graphie 169, fchöne Literatur im Ganzen 937, darunter 282 kritifche Werke und
Gefammtausgaben berühmter Autoren, 332 Romane, 215 dem Theater gewid-
mete Werke und zwar 32 kritifche und 182 Theaterftücke, endlich 108 poe-
tifche Werke , theils lyrifchen , theils epifchen Inhaltes. Naturwiffenfchaften
(allgemeiner Natur, Phyfik, Chemie, Anthropologie, Zoologie, Botanik, Mineralogie,
Geologie, Paläontologie) 242, Medicin 402, Mathematik 215 (mit Einfchlufs der
Werke über Ailronomie, Optik, Militärwiffenfchaft und SchiflfTahrt), Techno-
logie 305, worunter Eifenbahn , Mafchinenwefen , Kunftgewerbe , Agricultur,
Gartenbau und Hauswirthfchaft , fchöne Künfte 169, darunter 22 allgemeine,
14 architektonifche, 46 über Malerei und Sculptur, 16 muficalifche, 7 photo-
graphifche und endlich 64 Werke , welche fich mit Archäologie und mittel-
alterlicher Kunft befchäftigen. Philologie und Linguiftik 160, 14 über Sprachen
überhaupt, 50 über orientalifche, 57 über claffifche und 39 über moderne Sprachen.
Erziehungsfchriften 223, darunter 97 Lehrbücher, 94 Jugendfchriften und
32 pädagogifche Werke. Die in diefer Aufzählung nicht enthaltenen 172 Schriften
find Annalen, Almanache und Monographien verfchiedenen, aufserhalb der ange-
führten Fächer liegenden Inhaltes. Wie man aus diefer Aufzählung erficht, ift auf
dem Gebiete der fchönen Literatur der Roman, auf dem der Wiffenfchaft Theo-
logie, Medicin, Gefchichte und Politik am ftärkften vertreten. Diefes Verhältnifs
ift als ein im Wefentlichen gleiches auch in den Jahresüberfichten von 1867
und 1868 wahrzunehmen.*
* Als Mafsftab zur Vergleichung mögen hier ftatiftifchen Daten dienen, aus denen
ftch ein Durchfchnittsmafs der literarifchen Gerammtproduflion in Deutfchland entnehmen
läfst. Von 1851 bis Ende 1872 hat der Buchhandel Deutfchlands etwa aoo.ooo Novitäten auf den
Markt gebracht, in mäfsiger Steii$erung jährlich etwa zo.ooo. Eine detaillirtere Ueberfichi ift in
dem Berichte des Herrn R. Lech ner zu finden.
28 Alfred Klaar.
England. In faft bedauerlicher Weife gab fich der praktifche Sinn der
Engländer, welche die Unzulänglichkeit des Modus, in welchem gegenwärtig noch
die Ausflellung des Buchhandels veranflaltet wird, herausgefunden haben mögen,
in einer faft vollftändigen Vernachläffigrung unferes Gebietes kund. Die einzige
gröfsere Verlagsfirma, welche ein Bild des englifchen Buchhandels bot, war das
Haus Owen Jones in London. Die Hauptverdienfte diefes Haufes beftehen in der
Hebung des guten Gefchmackes bei Künftlern, Producenten und Concurrenten
nicht nur in England, fondern man darf fagen, in der ganzen gebildeten Welt.
Mittelbar und unmittelbar gibt fich diefes Streben durch Feftftellung neuer Prin-
cipien in den verfchiedenen Zweigen der Kunft und ihrer Anwendung auf die
Kunftinduftrie, dann durch die Herausgabe vorzüglicher Werke über Ornamentik
mit erläuterndem Text (Alhambra, Grammer of Ornament etc.) zu erkennen. Die
letztgenannten Werke find zuverläffige Wegweifer auf architektonifchem Gebiete
und bilden in Form und Farbe eine wahre Fundgrube muftergiltiger Beifpiele für
die ganze zeichnende Welt. Abgefehen von diefer Firma, war die englifchc
Verlagswelt mit ihrer aufserordentlich reichen, namentlich quantitativ ungemein
fruchtbaren Thätigkeit auf der Ausftellung fehr fpärlich vertreten.
Ein Bild grofsartiger Propaganda, wie bei allen bisherigen Ausftellungen,
boten die englifchen pietiftifchen Gefellfchaften in einer CoUecflivausftellung ihrer
frommen Bücher, die bekanntlich in Millionen unentgeltlich oder zu Spottpreifen
in der ganzen Welt verbreitet werden. Die Bibelgefellfchaft „Britifh and Foreign
Bible Society" wurde im Jahre 1804 gegründet und erfüllte feither mit immer
fteigendem Eifer den Beruf, die heilige Schrift ohne Noten und Commentar in der
ganzen Welt zu verbreiten. In einem umfangreichen, gefchmackvollen Auslags-
kaften waren ihre Objeöle, Bibeln in allen Sprachen und Dialekten, zu fehen. Die
„Religious Tradl Society" verbreitet in derfelben Weife nicht nur Bibeln, fondem
religiöfe Schriften aller Art. Die Book-Hawking Union betreibt fehr fchwunghaft
die Colportage ähnlicher ErzeugniHe zu Verkaufszwecken unter armen Leuten
und unter dem Landvolke. Die Society for Promoting Chriftian Knowledge läfst
endlich in ähnlicher Weife nebft religiöfen Werken auch belehrende und Unter-
haltungsfchriften verbreiten.
Die bedeutendfte der angeführten Gefellfchaften ift die Bib el ge fell-
fchaft, welche im Jahre 1804 in der ausgefprochenen Abficht, das Wort Gottes in
der ganzen Welt zu verbreiten, gegründet wurde. In 68 Jahren hat fie nicht weniger
als 1Ö5 Millionen Francs auf Ueberfetzung, Druck und Verbreitung der heiligen
Schrift verwendet und aus ihren Depots find nicht weniger als 65 Millionen
Bibeln in mehr als 200 Sprachen und Diale(5len hervorgegangen. In allen
Hauptftädten Europas hat fie Agenten , Correfpondenten , Colporteure und
Depots und ihre Wirkfamkeit erftreckt fich auf alle Welttheile und alle Völker.
In Verbindung mit den grofsen MilTionsgefellfchaflen hat fie die Bibel unter den
Syriern, Perfern, Indiern, Chinefen, AbyflTmiern, Kaffern, den Bewohnern der
Infel Madagaskar, von Neufeeland und Mexico, unter den Eskimos, kurzum unter
fämmtlichen der Propaganda nur irgendwie erreichbaren Völkcrfchaften ver-
breitet. Der 69. Jahresbericht, welcher im Jahre 1873 erfchienen ift, weift eine
Gofammtverbreitung von 2% Millionen Exemplaren aus.
Hilfs- und Zweiggefellfchaften wurden in allen Theilen Englands und in
den Colonien gegründet. Gegenwärtig beftehen nicht weniger als 4360 Hilfs-,
Zweig- und Verbindungsgefellfchaften in Grofsbritannien felbft und 1080 in den
englifchen Colonien und anderen Provinzen. Viele diefer Gefellfchaften werden
von Frauen geleitet, welche der frommen Propaganda grofse Dienfte geleiftet
haben. Der Colportage, welche überall, wo die Behörden keine Schwierigkeiten
in denWeg legen, ungemein fchwunghaft betrieben wird, verdankt diefeGefellfchaft,
welche die erften Verfuche der Colportage im grofsen Style machte, ihre Bedeu-
tung auf buchhändlerifchem Gebiete.
Buchhandel und Literatur des Auslandes. 29
Obwohl nicht unmittelbar auf unfer Gebiet gehörig, darf das South Ken-
singtonMufeum wegen feines grofsen Einfluffes auf Kunfl und Literatur nicht
übergangen werden. Durch feine Sammlungen, die damit verbundenen Belehrun-
gen und einfchlägigen Vorträge verbreitet es Einficht und Bildung in den weiteilen
Kreifen und hat fowohl dadurch, wie durch den Zeichenunterricht und die Heran-
bildung von Zeichenlehrern und Werkftihrern für das Kunftgewerbe, eine ganze
technifche Literatur hervorgerufen.
Aus den britifchen Colonien in Indien lagen mehrere beachtenswerthe
Zeugniffe eines fyftematifchen Strebens nach Bildung und Civilifation vor. Auf
unferem Gebiete ragten die Ausftellungen des Localcomit^svonMadras, l as
Bücher, Zeitungen und Erziehungsfchriften vorlegte, des Comit^svonBombay,
das Schriften, Karten und Zeitungen zur Einficht auflegte, des Localcomit^s der
nordweftlichen Provinzen, das unter anderen Werken eine fehr umfaiTende Biblio
theca Indica ausgefeilt hatte, die Regierung von Bombay mit ihrem unter
Anderem zur Ausftellung gebrachten Wörterbuche der Sanskrit- Wurzeln und dem
Gloflarium über die ZendAvefta und endlich Dr. Leitner in Labore mit zahl-
reichen Zeugniffen feiner civilifatorifchen Wirkfamkeit hervor. Der letztgenannte
Gelehrte, deffen in Indien gedruckte Werke in mehreren Sprachen ausgeftellt
waren, hat die gröfsten Anftrengungen für Erziehung und Bildung gemacht und
widmete nicht nur feine ganze geiftige Kraft, fondern auch einen grofaen Theil
feines Vermögens (300.0006.) den von ihm verfolgten Culturzwecken. InterelTant
war es, einen Einblick in die grofse Verbreitung des Zeitungswefens im englifchen
Indien zu gewinnen; es erfcheinen zahlreiche Tagblätter und Fachzeitungen in
der Sprache der Eingeborenen, Urdoo- und Hindu-Zeitungen, Zeitungen in der
Punjab-Sprache, in Myfore „Canavefifche Gefpräche über Gerichtsfachen-
und andere.
Nordamerika. So wenig die Bücherausftellung der Vereinigten Staaten
geeignet war, auch nur ein fchwaches Bild der literarifchen Bewegung und der
buchhändlerifchenlnduftrie jenfeits des atlantifchen Oceans zu geben, fo gewährte
doch das Wenige und Fragmentarifche einen wahrhaft überrafch enden Ausblick
auf die Thätigkeit, durch welche in der gröfsten aller Republiken von Staats
wegen die geiftige Arbeit unterftützt wird. Wenn man fo oft mit kühlem Lobe,
oder gar mit Tadel der amerikanifchen Nüchternheit gedenkt, wenn theoretifche
Gelehrte, Dichter und Künftler fich fo oft von einem Staatswefen glauben abwen-
den zu muffen, in dem der dominirende praktifche Sinn jedes abfolut ideale Streben
zurückzudrängen fcheint, fo koftet es Nichts, als einen ernften Einblick in die
literarifche Gefammtthätigkeit Nordamerikas, um zu erkennen, dafs der materielle
Gewinn, auf den die Amerikaner mit fo viel Nachdruck im Einzelnen hinarbeiten,
im Grofsen und Ganzen wiederum in imponirend grofsem Style der geiftigen
Arbeit zugewendet wird, und dafs fich in der alle fürftliche Grofsmuth weit über-
ragenden Unterftützung der Schulen Und aller ernften wiffenfchaftlichen Disci-
plinen das Streben offenbart, das, was den Vereinigten Staaten an einer hifto;-ifchen
Entwicklung der Literatur abgeht, durch ausgedehnte, verzweigte und reich
dotirte Stiftungen in modernem Geifte zu erfetzen.
Von dem immenfen Bücherreichthum Nordamerikas , das die induftrielle
Seite des Buchhandels zur höchften Bltithe gebracht und in der Menge der Pro-
du<5lion die alte Welt weitaus übertroffen hat, gab die Ausftellung kein entfpre-
chendes Bild.
Von den grofsen Verlagsfinnen waren nur Harperbrothers & Comp,
in New York, ein Haus , das 600 Menfchen befchäftigt und jährlich über 2 Mil
Honen Bücher verkauft, und Lippincott & Comp, in Philadelphia, vielleicht
das gröfste Verlagsgefchäft der Welt, in hervorragender Weife vertreten. Neben
diefen fiel die Ausftellung der Firma Appleton & Comp, in New York durch
das grofse topographifche Werk über Nordamerika vortheilhaft auf. Einen tieferen
30 Alfred Klaar.
Einblick in die ungemein reichhaltige Produ<$tion der Vereinigten Staaten
gewährte die Ausftellung von Journalen, von welchen der Buchhändler E.Steiger
mehr als 5000 verfchiedene Exemplare gefammelt und in zahlreichen Folianten
claiTificirt hat; ferner die Unterrichtsausflellung mit dem grofsen Organismus von
Lehrbüchern für fämmtliche Schulen und endlich die AusHellung von öffentlichen
Bibliotheken, von denen nicht weniger als 55 ihre Kataloge zur Einficht aufgelegt
hatten. Die Congrefs-Bibliothek und die Aflor'fche Bibliothek reihen fich nach
Menge, Wahl und Anordnung der Werke den bedeutendflen in der ganzen Welt
an. Eine Specialität bilden die Handwerker • Vereinsbibliotheken (Wo reeller
und Low eil), die in der Reichhaltigkeit und praktifchen Auswahl des Inhaltes
als Mufler bezeichnet werden können. Unter der grofsen Anzahl von ausgeflellten
Erziehungs-Journalen nimmt das von Dr. Henry Barnard in Hintfort heraus-
gegebene, das feit 25 Jahren erfcheint, mit grofsen Opfern erhalten wird und
werthvolle Nachweifungen über den Unterricht von den hervorragendften Männern
der Vereinigten Staaten enthält, den erflen Rang ein.
Einen Einblick in die musterhafte Organifation und das ausgebreitete
Wirken auf literarifchem Gebiete gewährte die amerikanifche Affociation für
fociale W^iffenfchaft, ein Verein von Gelehrten und Menfchenfreunden, welche
den focialen Fortfehritt an/lreben , theoretifch und praktifch die Schulen unter-
flützen und mit grofsem Aufwände an Geld und Kraft Forfchungen im Gebiete
der Jurisprudenz der Reformen im Pönalfyftem und der Sanitätsfragen anflellen
laffen. Ebenfo impofant bewährt fich die Humanität in der fchon erwähnten
Bibliothek Aftor's in New York, welche unmittelbar nach der Bibliothek des
CongrefTes der Vereinigten Staaten die wichtigfte und umfangreichfle des ganzen
Landes id. Sie enthält 200.000 Bände und umfafst alle Doölrinen und Literatur-
zweige. Gegründet wurde fie von John Jacob Astor, welcher 2 Millionen
Francs darauf verwendet hat. Deffen Sohn fetzte die Wohlthätigkeit fort, indem
er eine Anzahl Gebäude der Bibliothek, die zum unentgeltlichen Gebrauch
des Publicums beilimmt ifl, widmete. In anderer Art wirkt das L o w e 1 MnfUtut
in Boflon, vom Stifter, deffen Namen es trägt, auf eigene Kosten gegründet , für
die Verbreitung der Bildung in den weiteften Kreifen. Es forgt für Vorlefungen
über wiffenfchaftliche und literarifche Gegenftände , die von den ausgezeichnet-
flen Männern der Vereinigten Staaten abgehalten werden. Im Jahre 1872 fanden
264 Vorlefungen ftatt.
Von dem Bürgerfinn, dem foliden umfaffenden Streben nach Heranbildung
einer tüchtigen Jugend gibt das nationale Erziehungsbureau in Wafhington ein
wahrhaft überrafchendes Beifpiel. Nur beiläufig fei erwähnt, dafs die Betheiligung
Amerikas an der Weltausflellung wefentlich Verdienft diefes Bureaus war , das
nicht nur die Anregung gegeben, fondern auch kein Opfer für die Verwirklichung
diefes Gedankens gefcheut hat. Dasfelbe Bureau hat den Congrefs dazu vermocht,
den reichen Ertrag, den der Verkauf von Länderffrecken lieferte, für Unterrichts-
zwecke zu beilimmen. Als Verleger tritt das Bureau durch die Herausgabe eines
koloffalen , die (latiffifchen Ausweifungen über den Gefammtunterricht in den
Vereinigten Staaten umfaffenden Werkes auf, das als Controle des gefammten
riefigen Schulkörpers, als Vermittlungsorgan jedes Fortfehrittes einen unfchätz-
baren Werth hat und für welches der Congrefs nicht weniger als 40.000 Dollar
jährlich bewilligt.
Italien. In Beziehung auf Literatur wie auf Buchhandel bot Italien fehr
zahlreiche, mitunter fehr intereffante Ausftellungsobje<5le. Die Ausiftellung der
königlichen Regierung zeigte das Beftreben, die endlich erfchloffenen archivalifchen
Schätze des Landes zu ordnen und zu fammeln. Herr F i o r e 1 1 i in Neapel, dem, wie
bekannt der planmäfsige Vorgang bei den Ausgrabungen in Pompeji und bei der
durchgreifenden Neugeflaltung des bourbonifchcn Mufeums zu danken ift, erwarb
fich durch fein Werk ^Gli scavi di Pompeji" die höchfte Auszeichnung. Die
Buchhandel und Literatur des Auslandes. 31
Acclimatifationsgefellfchaft in Palenno ftellte ihre in der wiflenfchaftlichen Welt
rühmlich bekannten Memoiren aus, Profeflbr Dr. Cantoni in Parma eine aus-
führliche Klimatologie Italiens und einWerk über denfelben Stoff Profeffor Serra
Carpi in Rom, Ritter Heinrich Da Im azz o & Ludwig Call ig er is in Turin
vier Exemplare des polyglotten Wörterbuches ^Le compagnon de tous", Anton
V e cc o & Comp, in Turin verfchiedene fchön ausgeftattete Ausgaben des „magnum
hullarum" ,Giachetti& Comp . in Florenz eine illuftrirte Gefchichte der chriftlichen
Kunft, Dr. AlbertE rr e rain Venedig ein Werk über das Gewerbe und die Schifffahrt
und ein Specialwerk über die venetianifchen Gewerbe, Peter Moretti in Mai-
land zwei illuftrirte Bände des Prachtwerkes „L'Italia monumentalis** ; die Comissione
provinziale di antichita e belle arti in Molife eine Befchreibung des campanifchen
Mufeuins und des hiftorifchen Archivs zu Capua und die Lega d'insegnamento in
Verona eine Gefchichte diefes Vereines, der feinen Zweck, die Schulen zu unter-
ilütxen, im weiteften Ausmafse erreicht. Neben diefen hervorragenden Einzel-
werken find Ausftellungen der Unione typographia in Turin, die einen bedeuten-
den wiffenfchaftlichen Verlag hat, der Firma Bona in Turin, welche fich vor-
wiegend mit der Herausgabe von Reifebüchem und orientalifchen Werken
befchäftigt, der Firma Tr^ves fr6res in Mailand, welche durch die Publication:
.,La sciencedu peuple"fich grofse Verdienfte erwarb, desVerlagsgefchäftesNegro
in Turin lobend hervorzuheben Unter den zahlreichen politifchen, fatirifchen
und fachlichen Zeitfchriften, von denen Probenummem auflagen, zog namentlich
das von Chizzolini in Mailand herausgegebene Journal „L'Italie agricole''
durch die Reichhaltigkeit des Inhaltes und die fplendide Ausftattung die Auf-
merkfamkcit der Kenner auf fich. Als Verlagsfirmen für Muficalien hatten die Firmen
Sciabili in Florenz, Casperini in Padua, Canti in Mailand, Trebbi in
Bologna, Manganelli in Ancona und endlich die Claudiana Buchdruckerei in
Florenz zahlreiche Werke ausgeftellt, die fich namentlich durch den forgföltigen
und deutlichen Druck der Noten auszeichneten.
Schweiz. Verhältnifsmäfsig gut war die Schweiz auf unferem Gebiete
vertreten ; nur zeigte fich der Uebelftand, dafs der Buchhandel nach dem Ein-
theilungsgrund der Gruppen keinen felbftftändigen Platz fand, in der Ausftellung
diefes Landes fehr auffälligl Man mufste die Obje<5le an drei verfchiedenen Orten
mühfam zufammenfuchen: in der Ausftellung der graphifchenKünfte, in derUnter-
richtsabtheilung und endlich in dem befonderen Pavillon der Schweiz, wo die
periodifche Literatur vertreten war. Faffen wir das, was zerftreut wahrzunehmen
war, in Gedanken zufammen, fo gibt fich ein Bild ziemlich regen literarifchen
Lebens und einer belebten Buchdrucker- und Buchhändler-Induftrie die indefs
nur wenig über die Grenzen des Landes hinausgreifen. In einer Gefellfchaft der
Buchdrucker gibt fich die Neigung der Schweizer für die Affociation ausnahms-
weife in einer Art kund, welche den ftrengen Cantonsgeift zurückdrängt. Die
Ausfteltung des Vereines „Schweizerifcher Buchdruckereibefitzer**, .welche
nebft anderweitigen Druckforten auch zahlreiche Bücher aufwies, vertrat nicht
weniger als 50 Firmen aus fämmtlichen Cantonen. Eine der reichften Expofitionen
hatten J. Rieter und Biedermann (Winterthur und Zürich). Gebrüder Kar &
Benz ige r gaben Proben eines reichen Gebetbücher-Verlages, deffen Obje<5le
fich theils^ durch prächtige Ausftattung theils durch grofse Billigkeit aus-
zeichneten.
Was die Unterrichtsliteratur anlangt, fo rechtfertigte fie durch die Voll-
ftändigkeit und grofsentheils auch durch die Qualität der Lehrmittel, welche zur
Ausftellung gelangten, den weitverbreiteten Ruf, den das Schulwefen der Schweiz
geniefst. Hervorragend waren in diefer Richtung die Ausftellungen der Cantone
Zürich und Argau, den Haupttheil der Lehrbücher lieferten in diefen Cantonen
die naturwiffenfchaftlichen Werke die nach einer fehr rationellen Methode zur
Grundlage des VolksfchulUnterrichtes gemacht werden.
32 Alfred Klaar.
Zeugnifs höchd gründlicher Quellenftudien über die fchweizerifche Vorzeit
gab die „Allgemeine fchweizerifche gefchichtsforfchende Gefellfchaft" durch den
Einblick, den fie in ihr Archiv und in ihre Publikationen (Anzeiger fiir fchweizerifche
Gefchichte) gewährte. Die ^Schweizerifche Naturforfcher-Gefellfchaft" erwarb fich
gerechte Anerkennung durch das umfangreiche, mühfam gefammelte Material zur
Verbreitung naturwiflenfchaftlicher Kenntniffe. Der „Schweizerifche Alpenklub*
gab in den Jahrbüchern, Panoramen, Excurfionskaiten, Inflru(5lionen fürGletfcher*
reifende und verfchiedene Monographien gleichfalls ein Bild fehr reger, literarifcher
Thätigkeit.
Eine eigenthümlich intereffante Erfcheinung bilden die fchweizerifchen
Journale in deren Zahl, Inhalt und Wirkungskreis der cantonale Geift der Schweiz
ein lebendiges Spiegelbild erhält. Der eigenfmnig föderalillifche Sinn der
Schweizer, ihre Kirchthurm-Politik auf der einen, ihr llarkes Heimathsgefuhl, ihre
tüchtige Selbftverwaltung, ihr Intereffe für Schul-, Vereins- und Familienwefen auf
der anderen Seite, fpricht fich in einer Unzahl von kleinen Journalen aus, die
wenige Meilen aufserhalb des Cantons kaum irgend ein Intereffe zu erregen im
Stande find. Eine ftarke politifche Richtung, der Bedeutung über die Grenze der
Schweiz hinaus zugefprochen werden könnte, tritt eigentlich nur in den uUramon-
tanen Zeitungen hervor. Diefe haben einen einheitlichen Charakter in den ver-
fchiedenen Cantonen und einigen fich zuweilen auch, um gegen die Einigung zu
Felde zu ziehen. Im Ganzen jedoch tragen die Journale mit Ausnahme etwa der
„Basler Zeitung**, des „Bund** in Bern, der „Berner Volkszeitung" und des „Jour-
nal de Gen^ve" wefentlich nicht das politifche Geprägt und befchränken fich
auf häusliche Angelegenheiten des Cantons, als ob fie nicht für die Welt und die
Gegenftände in der Welt da draufsen nicht für fie beftänden.
Die Zahl der Zeitungen beläuft fich nach den Mittheilungen der eidgenöfli-
fchen flatiftifchen Commiffion auf 412 und es nehmen daran, der Menge nach
geordnet, die verfchiedenen Cantone folgendermafsen theil: Bern 64. Zürich und
Waadt47, Aargau 40, Genf 25, St. Gallen 24, Neuenburg 18, Bafel-Stadt und Thur-
gau 16, Graubünden 15, Teffm 14, Solothurn 13, Freiburg 12, Luzernii, Schwyz
und Schaffhaufen 10, Bafelland 6, Appenzell A. Rh. und Wallis 5, Glarus4, Qbwäl-
den und Zug 3. Nidwaiden 2, Uri und Appenzell I. Rh. i. Anders ift die Reihen-
folge, wenn die Zahl der Zeitungen mit der der Bevölkerungen zufammengehalten
wird ; es flehen dann über dem Gefammtdurchfchnitt von 6479 Einwohnern auf
je I Zeitung 13 Cantone, voran Bafel-Stadt (2985), hierauf kommen Genf (3730),
Schaffhaufen (3772) , Schwyz (4770) , Obwalden (4805) , Waadt (4930),
Argau (4972), Neuenburg (5405), Solothurn (5747), Thurgau (5831), Nidwal-
den (5850), Zürich (6059) und Graubünden (6 119); von dem Durchfchnitt ent-
fernen fich in abfleigender Linie Zug (6998), Bern (7914), St. Gallen (7959),
Teffm (8544), Glarus (8788), Bafel-Land (9021), Freiburg (9236), Appenzell A.
Rh.(9745), Appenzell I.Rh. (11.909), Luzern (12.03 1). Uri (i 6. 107) undWallis(i9.377),
fo dafs der letztgenannte Canton um volle fünf Sechstheile gegen den erftgenann-
ten zurückbleibt. Die 412 Zeitungen vertheilen fich der Sprache nach fo, dafs
266 deutfch, 118 franzöfich. 16 italienifch, 5 romanifch und i englifch heraus-
gegeben werden ; 6 Zeitungen, die Bibliographie der Schweiz, die Zeitfchrift fiir
Schweizer Statiflik, die Fremdenblätter von Interlaken und Luzern, das Central-
blatt des Zofinger\'ereines und das Amtsblatt von Wallis enthalten theilweifc
doppelten Titel und Auffötze oder Anzeigen in deutfcher oder franzöfifcher
Sprache; die volle Zweifprachigkeit ift aber in keinem Blatte durchgeführt.
Belgien gab in den Schulausftellungen ein überfichtliches Bild der
Unterrichtsliteratur und ebenfo in den amtlichen Berichten des Minifteriums des
Innern eine impofanie Darfteilung des in diefem Königreiche fo hoch entwickelten
Schulwefens. Als eine bedeutende literarifche Leiftung mufs die von der Central-
gefellfchaft der belgifchen Lehrer inBrüffel herausgegebene Zeitfchrift ^LePogr^s*
Buchhandel und Literatur des Auslandes. 33
•
hier Erwähnung finden. Die Gefellfchaft „De Tockomft* in Antwerpen gewährte
einen Einblick in die von ihr gegründete reiche Volksbibliothek und in die
zweckmäfsigen Einrichtungen, die Schätze der Wiffenfchaft den weiteften Kreifen
nützlich zu machen. Zahlreiche wiflenfchaftliche Werke, unter denen die juridifche
Li^ratur fehr reich vertreten war, hatte Bruylant-Chriftophe in Brtiflel aus-
geftellt. In der Ausftellung des Verlegers de Grave in Gent erregte das Werk
^Les ateliers d'apprentissage des Flandtes'' die Aufmerkfamkeit der Kundverilän-
•digen. Der Verleger Braun in Nivelles.derHerausgeber der Zeitfchrift„L'Abeille**,
hatte eine fchöne Sammlung pädagogifcher Werke zur Ausilellung gebracht.
Niederlande. In der Ausflellung der Niederlande fiel auf unferem
Oebiete vor Allem die Expofition des königlich niederländifchen Miniflerium des
Innern (Abtheilung Unterricht) ins Auge. Seit Einführung der neuen Schulgefetze
in den Jahren 1857 (Elementarfchule) und 1863 (Mittelfchule und technlfche Schule)
war das Bedürfnils nach Lehrmitteln ein gefteigertes und fpornte die wiflenfchait-
liehe Produ(5lion mannigfach an. Die königliche Regierung hatte inmitten der
Indudrie- Ausflellung den ganzen Apparat von Gelehrfamkeit niedergelegt, der für
die Hochfchulen in Bewegung gefetzt wurde. Die Werke, nach welcTien Gefchichte
und römifches Recht vorgetragen wird, bildeten in ihrer forgfamen Nebeneinander-
flellung eine ganze Bibliothek, in der kein einfchlägiger europäifcher Autor von
Bedeutung vermifst wurde Unter den Verlagswerken der übrigens nicht fehr
-zahlreich vertretenen Buchhandlungsfirmen verdienen die linguiftifchen Arbeiten
befondere Erwähnung. So die japanefifche Grammatik von K u r t i u s bei Sythoff in
Leyden erfchienen, ferner die zahlreichen orientalifchen Druckwerke, das
malayifch-niederländifcheWörterbuch (herausgegeben von niederländifch-indifchen
Oouvemement) und andere.
Ein grofsartiges Werk hatte Dr. Lecmans Über die Denkmale Javas aus-
geftellt.
Dänemark war in Betreff von Verlagswerken fehr fchwach auf der Aus-
flellung vertreten; nur der Buchdrucker Bianco Lunoin Kopenhagen lieferte
in zahlreichen Büchern ein Bild hervorragender induflrieller Thätigkeit. In philo-
logifch gelehrten Kreifen erregten die Werke des ProfefTors Waldemar Schmidt,
die vom Verf äffe r felbfl ausgeflellt waren, allgemeines Auffehen, darunter die
•Gefchichte Syriens , welche mit zahlreichen, vom VerfafTer felbfl gezeichneten,
Keilfchrift- und Hieroglyphentypen verfehen war.
Schweden. Die wenigen Obje<5le, welche Schweden ausgeflellt hat, find
fehr charakteriflifch für die mufterhafte Ausbildung der fchwedifchen Humanitäts-
anflalten. Das grofsartige Inflitut für Blinde und Taubflumme, in das feit der
Gründung (1846) '900 Taubflumme und 200 Blinde aufgenommen waren, wiefs
ein befonders reiches Unterrichtsmaterial für Blinde und Taubflumme aus. Ein
grofser Theil der Buchdrucker- Arbeiten war von den Zöglingen der Anflalt felbfl
ausgeführt.
Unter den aus den übrigen Buchdruckereien hervorgegangenen ErzeugnifTen
nehmen die Zeitungen und Zeitfchriften einen hervorragenden Platz ein.
Einige dem Specialkataloge entnommene Daten kennzeichnen den Auf-
fchwung der Joumaliflik ; im Jahre 1871 erfchienen 216 Zeitungen und davon 52
in Stockholm. Es wurde berechnet, dafs im Jahre 1870 allein durch die Poflanflalt
6,000.000 inländifche und 300.000 ausländifche Nummern expedirt worden find;
feitdem aber hat das Zeitungslefen im Lande bedeutend zugenommen. Die officielle
Zeitung „Pofl och Inrikes Tidningar^ ifl bereits 229 Jahre alt, alfo eine der
älteflen auf Erden.
Eine befondere Beachtung verdienen die wenig gewürdigten gefetzlichen
Beflimmungen über Prefsfreiheit, die an Liberalismus in Europa kaum irgendwo
3
34 Alfred Rlaar.
ihresgleichen finden. Einige Bedimmungen über die Prefsfreiheits-Verordnungen
vom Jahre 1812 (das vierte unter den Grundgefetzen des Reiches) mögen diefe
Behauptung erhärten.
„Der Veröffentlichung einer Schrift", heifst es dort, „darf keine Cenfur
vorangehen und es find dazu keinerlei Privilegien erforderlich. Zur Herausgabe
von Zeitungen oder periodifchen Zeitfchriften bedarf es nur einer Anmeldung
beim Juftizminifter und das Gefuch kann hur dann abgewiefen werden , wenn der
Anfucher wegen eines fchimpflichen Verbrechens verurtheilt oder für unwürdig
erklärt worden ift, für Andere vor Gericht das Wort zu führen." Die idealile
Anforderung, welche bisher deutfche Journaliften in ihren Verfammlungen geftellt
haben, nämlich das Poftulat, dafs die Prefsdeliifle keiner befonderen Behandlung
unterzogen, fondern einfach unter das Strafgefetz geftellt werden, ift im Wefent-
lichen in Schweden verwirklicht. Es ift principiell in dem Grundgefetze über
Prefsfreiheit ausgefprochen, deffen Beginn läutet: „Unter Prefsfreiheit verfteht
man das Recht eines jeden Schweden, Schriften zu veröffentlichen, ohne dafs ihm
zuvor von der öffentlichen Macht Hinderniffe in den Weg gelegt werden dürfen,
fowie ferner, dafs er hernach wegen des Inhaltes derfelben nur vor einem gefetz-
lichen Richterftuhle zur Verantwortung gezogen und in keinem anderen Falle dafiir
beftraft werden kann, als wenn diefer Inhalt mit einem deutlichen Gefetze ira
Widerfpruch fteht, welches gegeben ift zur allgemeinen Ruhe, ohne die allgemeine
Aufklärung zurückzuhalten."
Die Buchdrucker-Kunft hatte fich in Schweden, das zu Ende des XV. Jahr-
hundertes zu den vorgefchrittenften civilifatorifchen Staaten zählte, fehr früh ein-
gebürgert. Das ältefte in Schweden gedruckte Buch, das von wandernden Buch-
druckern herrührte (Vita five legenda cum miraculis Katherinae) ift im Jahre 1474
erfchienen. Schon 1495 fcheint Schweden eine fefte Buchdruckerei befeffen zu
haben; im Jahre 1740 gab es 18, im Jahre 1840 74, im Jahre ^870 143 Druckereien.
Bücher waren in der fchwedifchen Ausftellung nur von zwei bedeutenden Firmen
ausgeftellt': von Haeggftroem und Norftedt &Söhne in Stockholm. Die
letztere that fich durch die Ausftattung illuftrirter Werke hervor.
Spanien hat auf unferem Gebiete zahlreiche Proben von Lehrbüchern,
Erziehungsfchriften und eine reiche Auswahl der joumaliftifchen Literatur aus-
geftellt. Streng wiffenfchaftliche und belletriftifche Werke waren fpärlicher ver-
treten ; verhältnifsmäfsig am reichften die hiftorifchen und medicinifchen Schriften.
Eine Durchficht der Lehrbücher zeigte, dafs der einfeitige clericale Geift den
Unterricht noch immer beherrfcht. In den Zeitfchriften, von denen 75 ausgeftellt
waren, war jedes Genre vertreten. Durch prachtvolle Ausftattung fiel das bei
Miguel Guizarro in Madrid erfchienene, mit gefchmackvoUen Lithochromien
verfehene Werk „Die Frauen Spaniens" auf. Eine Revue der Archive, Mufeen und
Bibliotheken lieferte die Reda(5lion der„Revifta" in Madrid. Durch die Herausgabe
von Volksgefangen erwarben fich Gimenez in Valentia und die „Comifion pro-
vincial de Guipuzcoa" Verdienfte. Literarifche Werke hatte Revilla y Alcintara in
Madrid, philofophifche Bücher Cub6 in Barcelona, eine reiche Volksbibliothek
Bantinosin Barcelona und Gefchichtsbücher Martin P e r i z in Madrid ausgeftellt.
Portugal. Unter den Ausftellern Portugals kann nur die Nationaldruckerei
inLiffabon, ein in feiner gefchichtlichen Entwicklung und fortdauen^den Wirkfam-
keit fehr bedeutungsvolles Inftitut, Anfpnich auf befondere Erwähnung und
Würdigung erheben. Zwar hat die Buchdrucker-Kunft in Portugal fehr früh eine
Heimftätte gefunden; fchon aus den Jahren 1470 und 1474 datiren die von ein-
gewanderten Deutfchen herrührenden erften Verfuche; 1489 wurde bereits eine
fchöne, reine Ausgabe des Penthateuco hebraico veranftaltet und als im Jahre
1580 der König Dom Manuel Allen, welche die Buchdrucker Kunft ausübten,
diefelben Privilegien, Freiheiten und Ehren ertbeilte, welche die Ritter feines
Buchhandel und Lite-ratar dos Auslandes. 30
Haufes genoflen, nahm die Buchdruckerei allmälig einen ziemlich grofsen Auf-
fchwung und wurde von Portugal aus auch nach Auen verbreitet.
Allein zu einer Pflege derfelben im grofsen Stile, zu einer ausgebreiteten
Thätigkeit im Dienfte der Schule und der Literatur wurde erft durch die Er-
richtung der Nationaldruckerei in LilTabon im Jahre 1768 der Grund gelegt.
Pombalf der geniale Minifter des Königs Dom Jof^ I., war es, der nicht nur den
Feinden der geiftigen Freiheit, den Jefuiten/ den Weg aus dem Lande zu weifen
wufste, fondern auch in der Impreflao regia eine Bafis für den Auffchwung der
geifligen Arbeit fchuf Die Anftalt wurde als Vorbild und Schule der Typographie
gegründet, förderte aber bereits zu Beginn auch unmittelbar pädagogifche und
literarifche Zwecke, indem dafelbft Schulbücher gedruckt und billig verkauft
wurden. Einen finanziellen Halt gewann das Unternehmen durch das Privilegium
zur Erzeugung von Spielkarten. Die Einnahmen, welche diefes Privilegium herein-
brachte, mufsten eine Zeit lang die Koden der übrigen Druckarbeiten beftreiten,
einer der früheften glücklichen Verfuche, durch eine Beileuerung des Vergnügens
Induilrie und Unterricht zu fördern. Bis auf den heutigen Tag wurde die Anftalt
ihrer Aufgabe, die Buchdruckerei zu vervollkommnen, in fortfchreitender Weife
gerecht. Sie befteht gegenwärtig aus vier Abtheilungen, der Buchdruckerei, der
Schriftgiefserei, der Lithographie und der Spielkarten-Fabrik, befchäftigte im
Jahre 1871, bis wohin die llatidifchen Ausweife, reichen gegen 300 Arbeiter und
erhielt fich fpäter auch , nachdem im Jahre 1861 das Spielkarten-Monopol gefallen
war, aus eigenen Mitteln. Der Einflufs auf die Literatur war natürlich in fpäteren
Zeiten ein wefentlich indire<5ler, doch erfcheinen bis zum heutigen Tage im Ver-
lage der Anftalt felbft hiftorifche und lexikalifche Werke, die namentlich in
Anbetracht des Quellenmateriales, das ihnen zu Grunde liegt, von Bedeutung für
die Wiffenfchaft find.
Didaskalifche Werke hatten Brida, Holland und Semion in Lifiabon
ausgeftellt, indnflrielle Schriften Pento in Liflabon und eine Statillik der fehr
ausgebreiteten, alle Fächer umfaiTenden portugiefifchen Prefle lieferte Henrique
Carvalho Proftes.
Griechenland. Die geheiligte Culturftätte, auf welcher fich im Völker-
leben zuerfl in allen Gebieten des Denkens und Fühlens jene fchöne, freie
Menfchlichkeit entwickelte, der wir die Grundlage unferer humaniftifchen Bildung
verdanken, wurde erft in der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhundertes etwa vor
einem Säculum, nachdem fie Jahrhunderte lang chaotifchen politifchen Bewegun-
gen preisgegeben war, wieder durch ein frifch emporftrebendes, nach Bildung
und geiftigem Auffchwung ringendes Volksthum geweiht. Die Neugriechen, wenn
auch nur zu fehr geringem Theile Abkömmlinge der alten Hellenen, beftrebten
fich, die alten claflifchen Traditionen wieder zu beleben und die abendländifchen
Hochfchulen, welchen die griechifche Jugend in Schaaren zudrömte, geriethen
in die Lage, einen Theil der Bildung, welche fie den alten Hellenen verdankten
dem neu emporflrebenden Griechenland zurückziierftatten. Es war urfprünglich
freilich nur eine Treibhaus- Literatur, der wefentlich Ueberfetzungen als Nahrung
dienen mufsten, doch fanden fich allmälig auf dem Gebiete der naiven Volkpoefie,
deren ErzeugniiTe man ordnete und fammelte, ganz anfehnliche Schätze neu-
griechifchen Urfprungs vor; die eifrige Pflege der Gefchichte und Theologie an
den neu gegründeten Schulen und Lyceen trug gute Früchte und das zunächll
durch fremde Produ<fle erweckte Bedürfnifs für Kunllpoefie hat, vereint mit den
antikifirenden Beflrebungen , welche die grofsen althell enifchen Dichtungen
wieder unter das Volk zu bringen fuchten, bereits manches beachtenswerthe
Talent zur Produ(5lion angeregt. Der Traum von einer galvanifchen Wieder-
belebung des alten Hellas hat felbftverftändlich nicht die geringfte Hoff-
nung auf Verwirklichung, aber zum mindeflen hat die Schwärmerei viel
dazu beigetragen, ein Land, das zwifchen den Gefahren orientalifcher Ver-
3*
36 Alfred Klaar.
weichlichung und Aidflavifcher Verwahrlofung fchwebte, für die Cultur zurück^
Zugewinnen.
Wo die Literatur, wie in Neugriechenland, fich noch in der früheden
Jugend der Entwicklung befindet, iü die Ueberficht der Gefammtprodu<äion
wefentlich erleichtert, und fo iil denn diefes Land das einzige von allen auf der
Weltausftellung vertretenen, welches den Verfuch unternahm, einen volliländigen
Nachweis über die literarifchen ErzetignifTe vom Jahre 1868 bis 1872 inclufive zu
bieten. Der betreffende Katalog ifl über Einladung der Commiffion für Förde-
rung der Nationalindudrie in Griechei^and von Demetrius A. Coromilas zufammen-
geflellt worden. Nach demfelben fmd in dem angeführten Zeiträume von fünf Jahren^
der zwifchen der Parifer und der Wiener Weltausftellung liegt, abgefehen von
den periodifchen Schriften, etwa 550 Bücher erfchienen, die fich nach Jahren und
Literaturzweigen geordnet folgend ermafsen vertheilen :
Im Jahre 1868 erfchienen im Ganzen iio Bücher, wovon i der Biblio-
graphie, 8 der Linguidik (über griechifche" und franzöfifche Sprache), ii der
Pädagogik, 4 der Tl\eologie, 4 der Kirchengefchichte, 4 den Rechts- und Staats-
wilfenfchaften, 4 der Medicin, 2 den Naturwiffenfchaften, 8 der Gefchichte, 7 dca
Hilfswilfenfchaften der Gefchichte, 2 der Geographie, 3 der Archäologie, 3 den
Künflen.und 3 der Technologie angehören. Die fchöne Literatur hatte in diefem
Jahre 47 Produ<fte aufzuweifen, darunter 15 Ueberfetzungen (2 aus demAltgriecbi-
fchen, I aus dem Lateinifchen, i aus dem Italienifchen, 5 aus dem Franzöfifchen»
2 aus demDeutfchen und 2 aus dem Englifchen) und 42 neuhellenifche Original-
werke. Die Wahl der Werke zur Ueberfetzung hat mitunter das Intereffe der
Curiofität; fo befchränkt fich beifpielsweife die aus demDeutfchen auf die beiden
Werke „Der gekrönte Tyrtäus** von König Ludwig I. von Baiern und Schiller's
Luftfpiel „Der Parafit". Unter den Originalwerken fmd die dramatifchen Produ<5^e
verhältnifsmäfsig (lark vertreten, unter diefen wiederum die Comödien. Nicht
unintereffant ifl die Notiz, dafs fich Mavromichalis ohne Scheu vor Shakefpeare
des „Coriolan'^ Stofies bemächtigt und ein Drama gefchrieben hat, das im Jänner
1868 auf dem Nationaltheater zu Athen mit Beifall gegeben wurde.
Unter den theologifchen Werken fällt ein Buch von Zikos D. Roffy auf;
es führt den Titel „Ueber die Einigung aller Religonen und aller Kirchen" und —
der Verfaffer ift Profeffor der Theologie am Seminarium Rizari. Eine ähnliche
liberale Tendenz fcheint indefs in der Literatur nicht durchgängig zu herrfchen
und auch an zelotifchen Vertheidigern der Orthodoxie kein Mangel zu fein. Diefs
geht aus einem Werke vonMakrakis hervor, das den Titel führt „Die Freimaurerei,
enthüllt nach ihren Urkunden, zur Schande derjenigen, welche diefe Plage in
unfer Vaterland verpflanzt haben.** Von periodifchen Zeitfchriften find im Jahre
1868: 10 herausgegeben worden. Im Jahre 1869 find 102 Bücher erfchienen, wovon
I der Bibliographie, 13 der Pädagogik, 6 der Theologie, 3 der Kirchengefchichte,
8 den Rechts- und Staatswiffenfchaften, 5 der Medicin, 2 der Naturwiffenfchaften,
9 der Mathematik, 8 der Gefchichte, 5 der hiftorifchen Hilfswiffenfchaften, 5 der
Geographie, i der Archäologie, 2 der Aeflhetik und i der Technologie angehören.
Die fchöne Literatur wurde um 2 altgriechifche, 2 italienifche, 8 franzöfifche.
I deutfches und i fkandinavifches Werk (OfTian) und 14 neugriechifche Original-
producfle bereichert. Unter den letzteren befindet fich ein zweiactiges Drama, in
welchem Papayeoriou die Verurtheilung des Kaifers Maximilian von Mexico
behandelt. Von periodifchen Zeitfchriften find auch in diefem Jahre zehn
erfchienen. Die Anzahl der im Jahre 1870 erfchienenen Bücher beträgt 86, wovon
I der Bibliographie, 4 der Linguidik (lateinifch, griechifch und franzöfifch), 8 der
Pädagogik, 5 der Theologie, 2 der Kirchengefchichte, 7 den Rechts- und
Staatswiffenfchaften, 3 der Medicin, i der Naturwiffenfchaften, 4 der Mathe-
matik, 9 der Gefchichte, 2 den hiftorifchen Hilfswiffenfchaften, i der Geo-
graphie, I der Archäologie und 7 der Technologie angehören. Die fchöne
Literatur wies i italienifches, 6 franzöfifche, i englifches (Lear von Shake-
Buchhandel und Literatur des Auslandes. 37
fpeare) und 22 neugriechifche Werke aus. Die Zahl der periodifchen Werke blieb
unverändert.
Im Jahre 1871 wurden 132 Bücher herausgegeben, wovon 5 der Linguiilik,
I der Pbilofophie, 14 der Pädagogik, 7 der Theologie, 17 der Gefchicbte, 4 den
gefchichtlichen Hilfswiffenfchaften, 6 den Rechts- und Staatswiflenfchaften, 6 der
Medicin, 2 den NaturwiiTenfchaften, 7 der Mathematik, 17 der Gefchichte, 3 der
Archäologie und 6 der Technologie angehören. In der fchönen Literatur ergab
fich ein Zuwachs von i lateinifchen, 4 italienifchen, 16 franzöfifchen und 28 neu-
hellenifchen Qriginalwerken, darunter ganze Reihen von Comödien von Phatz6as
und Vlachos. Die Zahl der periodifchen Zeitfchriften hob fich auf 15.
Im Jahre 1872 endlich wurden 122 Bücher edirt, wovon i der Bibliographie,
6 der Linguiftik, 3 der Philofophie, 18 der Pädagogik, 1 1 der Theologie, i der
Earchengefchichte, 24 den Rechts- und Staatswiffenfchaften, 4 der Medicin, il den
Naturwiflenfchaften, 5 der Mathematik, 10 der Gefchichte, 9 den Hilfswiffen-
fchaften der Gefchichte, i der Archäologie, 2 der Aeilhetik und 14 der Techno
logie angehören. Die fchöne Literatur war durch 5 altgriechifche, 3 italienifche,
8 franzöfifche, i deutfches und durch 22 neugriechifche Originalwerke vertreten.
Die Zahl der periodifchen Zeitfchriften hob fich auf 31.*
I
In der Ausilellung der übrigen Länder war unfer Gebiet entweder gar
nicht oder doch nur durch kaum massgebende Einzelobjedle vertreten. In der
Ausftellung der Türkei lagen in der Unterrichtsabtheilung 75 von Seiner
Excellenz Marco Pachu, demDire<5lor der medicinifchen Schule, ausgeftellte Werke
auf, grofsentheils Ueberfetzungen, welche zum Gebrauche der an der genannten
Schule vortragenden Affiftenten bfftimmt find. In derfelben Abtheilung befanden
fich naturhiflorifche Schriften von Dr. Abdullah Bey und eine Gefchichte
und Geographie des ottomanifchen Reiches, ausgeftellt von Madame Füret, Vor-
fteherin der armenifchen Mädchenfchule in Ortakeu. In der vom öilerreichifchen
Generalconful Ritter von Overbeck zufammengeftellten und eingebrachten
Abtheilung der chinefifchen Ausilellung befand fich — ausgeftellt von N. B.
Dcnys — ein Münzbuch, ein chinefifches Wörterbuch und ein Strafgefetzbuch.
Unter der Aegide des egyptifchen Unterrichtsminifteriums, das fich durch die
Gründung des Mufeums zu Cairo grofse Verdienfte um die Gefchichte des Landes
und um die Culturgefchichte überhaupt erworben, waren Zeitfchriften und Werke
Über das egyptifche Unterrichtswefen und eine reichhaltige Sammlung egyptifcher
Literaturwerke ausgeftellt. In der Ausftellung von Hawaii (Sandwichsinfeln)
befanden fich nebft einem hawaii'fchen Wörterbuche die Mufterexemplare zweier
politifcher Wochenjoumale, von denen das eine officiell, das andere „unabhängig''
ift. Beiläufig follen an diefer Stelle noch die „Gefchichte der Vögel Neufeelands",
eine ftreng wiffenfchaftliche, umfangreiche Arbeit von Walter LawryBullerin
Neufeeland (englifche Colonien), die „ ethnographifchen Studien" von Sago in
Guyana (franzöfifche Colonien) und das zweibändige Werk ^Befchreibung von
Cochinchina" von Garnier in Cochinchina (franzöfifche Colonien) erwähnt
werden.
Fragen wir uns nach diefem kurzen Rundgange je durch die einzelnen
Länder der manche bemerkenswerthe Wahrnehmung im Einzelnen, aber nirgends
eine Ueberficht geftattet hat, nach den Bedingungen und Modalitäten einer glück-
licheren Vertretung der Literatur in der WeltausftcHung, fo werden wir finden,
dafs der Buchhandel überhaupt nicht durch einzelne Exemplare, fondem einzig
und allein durch ftatiftifche Nachweifungen dargeftellt werden kann. Den Stand-
* Die wenigen Bücher, welche in die angeführten Materien nicht eingereiht find,
finden fich in dem zu Grunde liegenden Katalog unter dem Titel „Divers" aufgezählt und
find grofsentheils Statuten und Jahresberichte.
4
/
/
^^j^ Alfred Klaar. Buchhandel und Literatur des Auslandes.
punkt einer literarifchen Beurtheilung der Verlagsobjedle m^en wir überhaupt
bei Seite laflen, dafür bietet eine Ausllellung gerade den berufenen Kräften nicht
die geringde Gelegenheit; immerhin aber hat auch die materielle Seite des Buch-
handels ihre hohe geiflige Bedeutung.
Die Quantität der in einem Lande erzeugten Bücher, dann insbefondere
die quantitative Vertretung der belletriflifchen und wiflenfchaftlichen Literatur
und jedes einzelnen Zweiges in diefen Literaturen, die Art der Verbreitung, die
Billigkeit der Ausgaben, der Werth und die Wahrung des geifUgen Eigenthums,
Alles die(s find Momente, welche, auch abgefehen von dem fpeciellen Inhalt der
Bücher, höchfl bedeutfame Ausblicke auf die Cultur, die Neigungen und die
Produ(5lionsfähigkeit einer Natioii gellatten. Um nur ein Beifpiel zu erwähnen,
gibt es literarifche Erfcheinungen , welche nur eine Colle<5tivbedeutung befitzen.
Vom ällhetifchen Standpunkte find derartige Erzeugnifle rafch ein- für allemal
gekennzeichnet, dagegen gewinnen fie durch die Maflenhaftigkeit ihrer Auftre-
tung eine nicht zu unterfchätzende Culturbedeutung. Eine grofse Menge franzöfifcher
Romane ill fozufagen literarifch uniformirt und die literarifche Bedeutung diefer
Hervorbringungen läfst fich in Kürze ein- für allemal fellftellen. Dagegen i(l es
von grofsem InterefTe, zu erfahren, wie ilark die Anzahl ähnlicher Bücher fei, in
welcher Art fie der Menge zugeführt werden, wie lange fie fich auf dem Markte
erhalten u. f. w. u. f w., um darnach die Richtung, die Stärke und die Verbrei-
tung der geiiligen Bedürfniffe zu beurtheilen. Ebenfo verhält es fich mit zahl-
reichen Lehrbüchern, Sammelwerken, Lexiken oder mit jenen Werken berühmter
Autoren (derNationalclafTiker), über welche das endgiltige Urtheil bereits gefpro-
chen ift, kurzum, nicht der geiHige Inhalt der Bücher als Culturträger, fondem
ihre Erzeugung und Verbreitung als Culturmefler können auf einer Ausheilung
erfichtlich gemacht werden. Diefs gefchieht aber nicht durch die Schauflellung
einzelner Bücher, welche höchftens einen Ueberblick der Buchbinderarbeiten
und typographifchen Fortfehritte geftatten, fondem durch flatiflifche Aufflellungen,
Kataloge und Tabellen, welche einen fehr wichtigen Beitrag zur Gefchichte der
Gegenwart bilden könnten.
ANHANG.
DER INTERNATIONALE PATENTCONGRESS ZUR ERÖR-
TERUNG DER FRAGE DES PATENTSCHUTZES,
ABGEHALTEN IN WIEN, IM AUGUST 1873.
Nach den llenographifchen Protokollen bearbeitet von
D'^- Carl Th. Richter,
0. ö. Profejfor der Staatswißen/c haften an der Univerßt'dt zu Prag.
„Der Schutz der Erfindungen ift in den Gefetzgebungen aller civilifirten
Nationen zu gewährleiften : weil das Rechtsbewufstfein der civilifirten Nationen
den gefetzlichen Schutz der geiftigen Arbeit verlangt ; weil er . . . . neue techf
nifche Gedanken ohne Zeitverlufl und in glaubwürdiger Art zur allgemeinen
Kenntnifs zu bringen, das einzig praktifche wirkfame Mittel bildet; . . . weil den
Ländern, welche kein rationelles Patentwefen haben, dadurch grofser Nachtheil
erwächit, dafs ihre talentvollen Kräfte fich Ländern zuwenden, in denen ihre
Arbeit gefetzlichen Schutz findet; weil erfahrungsgemäfs der Patentinhaber am
wirkfamflen für fchnelle Einführung feiner Erfindung forgt."
Diefe BefchlüiTe und Erklärungen des internationalen PatentcongrefTes
rechtfertigen wohl zur Genüge, warum wir die kurz zufammengefafste Bericht-
erflattung über den Patentcongrefs den focialpolitifchen Bildungsmitteln als einen
Anhang beigeben. Das Recht und das Gefctz, wie Gefellfchaft und Staat es aus-
bilden, ift Schule und Erziehung für die Völker und für die Einzelnen im Volke.
Es ift ein Zeichen der Cultur und zu gleicher Zeit ein Träger und ein Förderer der
Culturentwickelung. Die Rechtsgefchichte, das Werden und Bilden der Gefetze,
foUte den gröfsten Raum in der Culturgefchichte der Menfchheit einnehmen. Es
nimmt ihn leider nicht ein, aber zum Glück hat die Rechtsgefchichte fich felbft-
ftändig entwickelt und liefert der Forfchung genügendes Material. Das Patent-
recht ift ein Theil der gefammten Rechtsentwicklung der 3ulturvölker ; es bean-
fprucht nicht nur diefelbe Stellung und Bedeutung wie jedes andere Recht, es
fordert fogar heute wenigftens noch bei der mangelnden Entwicklung feiner
Geftalt etwas mehr. Es fordert die ganze Kraft des Geiftes, denn es hat erft noch
eine Rechtsfphäre zu fchaffen, welche, den Klardenkenden vollkommen bewufst,
durch mehr als ein Jahrhundert aber, und felbft heute noch, geleugnet und beftrit-
ten wird. Dadurch verfchwindet nicht nur die geiftige und materielle Arbeit in
ihrem Rechte auf Ausnützung der in ihr gelegenen Werthe, es wird die Arbeits-
thätigkeit, die Leiftung, der arbeitende Menfch felbft in feiner Freiheit vernichtet.
Ein tüchtiger Menfch, ein fchaffender Geift foU der Nützlichkeit wegen, die Alle
ausbeuten wollen. Allen geopfert werden.
„Die Idee", fchreibt C. William Siemens an den Ehrenpräfidenten des
internationalen PatentcongrefTes, Freiherrn v. Schwarz-Senborn, als er ihm das
3
32 Dr. C. Th. Richter.
Programm des Congreffes tiberreicht, „die Idee, einen internationalen Patentcon-
grefs zu verandalten, empfahl fich (owohl durch die Kühnheit des Gedankens, als
auch durch die nützlichen und durchaus wichtigen Folgen, welche eine glückliche
Durchführung derfelben verfprechen mufste.**
„Die Patentgefetzgebung verfchiedener Länder zeigt die aufFallendften
Abweichungen. Auch die Anflehten der Vertreter der Wiflenfchaft weichen fo
fehr von einander ab, dafs, während einige das Recht auf eine Erfindung als abfo-
lut und unantaflbar hinflellten, Andere aus, nach ihrer Meinung gemeinnützigen
Gründen, jede Patentgewährung verweigerten."
In diefen Worten ift der Zweck des Patentcongrefles und die Wichtigkeit
desfelben voUftändig ausgedrückt. Der Congrefs hatte danach die Aufgabe, den
Anhängern des Erfindungsfchutzes die Forderungen eines guten Gefetzes klar zu
machen, ebenfo wie die Gegner von der Nothwendigkeit und Wichtigkeit des
Patentrechtes zu überzeugen. Bei den zahlreichen Verfchiedenheiten der Gefetz-
gebungen der Culturflaaten lag dann die Abficht nahe, beftimmte Grundzüge zu
formuliren, welche als ein gemeinfames internationales Recht in die Gefetzgebung
der Culturflaaten übergehen foU. Die dabei fich ergebenden wichtigen Fragen
drängten dahin, klarzudellen, wer ein Patent erlangen kann, fUr wie lange Zeit
der Schutz einer Erfindung gewährt werden foll, welche Koflen die Patenterwer-
bung rechtfertigt und welche Folgen als Rechte und Pflichten aus dem erworbe-
nen Patente refultiren.
In der That haben die Vorlagen und endlich die Refolutionen des Con-
greffes das Princip des Rechtsfchutzes einer Erfindung und dann die eben erwähn-
ten Grundzüge eines guten Patentgefetzes zur Geltung gebracht. Dafs man dabei
noch des Wunfehes gedachte, den Regierungen zu empfehlen, fobald wie möglich
«eine internationale Verständigung „über den Patentfchutz herbeizuführen'*, ift
wohl durch die Ungleichheiten der Gefetzgebung und in Anbetracht der Verän-
derung der internationalen Verkehrsbeziehungen unferer Zeit volldändig gerecht-
fertigt. Mit dem Patentrechte aber und der eigentlichen Aufgabe der Congrefs-
berathung hat die Frage, wann aus dem Rechte der Staaten ein internationales
Recht wird, gar nichts gemein.
Es i(l die Aufgabe des ofHciellen Berichtes, die gefammte Thätigkeit und
Leiilung der Wiener Weltausflellung dem grofsen Kreife der intelligenten Volks-
theile nahe zu bringen. Wir fmd daher weit entfernt, die Verhandlungen des
Congreffes einfach abfchreiben zu wollen, ebenfo wie wir keineswegs mit dem
Abdruck der Refolutionen des Congreffes unfere Aufgabe gelöft fehen. Wir wol-
len daher in Kurzem die Bildung des Patentcongreffes fchildem, dann den Kampf
um und gegen den Erfindungsfchutz, wie er auch wieder auf dem Congreffe die
gröfste Zeit der Verhandlung in Anfpruch nahm, kennzeichnen, und daran die
neuen Refultate der Forfchung über die Perfon des Patentberechtigten, die Zeit
des Patentfchutzes, die Koilen des Patenterwerbes und die Folgen eines erhalte-
nen Patentes anreihen. Den Schlufs foll die Refolution des Patentcongreffes
bilden.
Wir können uns nicht enthalten, vorher zwei Bemerkungen auszufprechen,
die zu gleicher Zeit eine Kritik und Beurtheilung der Thätigkeit des Patentcon-
greffes find.
Es fehlte dem Patentcongrefs von vornherein der Zufammenhang einmal
mit dem gefammten fogenannten geifligen Eigenthumsrecht oder dem Autorrecht.
Diefs trat auch in der Debatte, welche dadurch einfeitig und engherzig werden
mufste, fehr fcharf hervor. Anderfeits war es auch zu bedauern, dafs man mit
der Berathung des Patentrechtes nicht wenigilens annähernd das den Erfindungs-
fchutz ergänzende Muiler- und Markenrecht einbezog. Es liegt all diefen Ausbil-
dungen des wirthfchaftlichen Rechtes der gleiche Gedanke zu Grunde : Schatz
der einzelnen Arbeitskraft und Leiflung, wo fie nach der Natur derfelben fich
nicht felbfl zu fchützen vermag ; ebenfo ift Allen das gleiche Ziel, die gleiche Auf-
Der internationale Patentcongrefs. 33
gäbe gefetzt, alfo Freiheit der Arbeit, Erziehung derfelben innerhalb des fchützen-
den Rechtes. Das Zweite, was wir bemerken müfTen, ift die keineswegs befon-
ders neue Beleuchtung des fo fehr beilrittenen Patentrechtes durch die im CongrelTe
▼ereinten Theoretiker und Praktiker. Es ift fail Alles fchon gefagt worden, und
es fei gedattet hier vorerft der Theorie zu gedenken, die derCongrefs nur wieder
betonte. Wir verweifen auf Kloftermann „das geiftige Eigenthum an Schrif-
ten, Kunflwerken, Erfindungen u. f. w.*, Rofenthal „der Erfindungsfchutz**,
Jannafch „der Muderfchutz und die Gewerbepolitik des deutfchen Reiches",
dann auf die ältere LeiAung Carl Th. Richter „Kund und Wiflenfchaft und ihre
Rechte im Staate 1863« und Carl Th. Richter „Kund und WiiTenfchaft in
Gewerbe und Indudrie", die beiden Schriften, in welchen zuerd die moderne
Theorie der Lehre vom geidigen Eigenthum, des Patentrechtes, des Marken- und
Muderfchutzes auf den Gefetzen der Wirthfchaftslehre und als ein einheitlicher
fydematifcher Bau dargedellt wurde.
Wir gedenken dabei nicht der grofsen englifchen und franzöfifchen Lite-
ratur, welche wir keineswegs vergeffen wiffen möchten. Wir haben England die
Anregung der Theorie, Frankreich die erde Begründung des Rechtes zu danken.
Was die Bildung pnd Entdehung des Patentcongreffes anbelangt, fo kehrt
diefelbe ganz auf die Initiative Sr. Excellenz des Herrn Baron Schwarz-Sen-
born zurück. „Der Patentcongrefs, gedatten Sie mir, dafs ich es ausfpreche,
ohne mir den Vorwurf der Unbefcheidenheit zuzuziehen, id erd durch mich her-
vorgerufen worden; es id der erde internationale Patentcongrefs. Als im Septem-
ber 1871 das Programm der Weltausdellung von 1873 erfchien, wurde dasfelbe in
alle Sprachen überfetzt und an alle Nationen verfendet mit der Einladung Sr.
Majedät unferes erhabenen Monarchen, theilzunehmen an diefem friedlichen
Wettkampfe aller Nationen. Sie wurde freundlich erwiedert , doch wurden auch
Befürchtungen ausgefprochen, dafs, wenn die Weltausdellung, wie unfer Wunfeh
war, befchickt werden folle, namentlich auch mit neueren Erfindungen und Erzeug-
niden, welche Rechenfchaft ablegen von dem ganzen Fortfehritte, der feit der
letzten Weltausdellung im Jahre 1867 gemacht worden id, dals dann durch eine
unberechtigte Nachahmung der Ausdeller oder Einfender in zweifacher Weife
gefchädigt werden könnte ; einmal dadurch, dafs er fich felbd eine Coneurrenz
fchaflfe, und dann, dafs durch ungefchickte oder nicht gelungene Nachahmung die
Beurtheilung des eigenen Erzeugnides gefchädigt werde Es wurde defshalb
von Seite der Öderreichifchen Regierung eine Vorlage an die beiden Häufer des
Reiches gemacht und dafelbd ein Gefetzentwurf zu Stande gebracht, welcher ....
jedem Theilnehmer an der Ausdellung auf delfen Verlangen den unentgeltlichen
gefetzlichen Schutz für die Erfindung, welche er auf der Ausdellung zur Schau
bringt durch das ganze Jahr 1873 zufiehert. Es wurde femer hervorgehoben, dafs,
wenn der Ausdeller .... den ihm gegebenen Schutz dir längere Zeit erweitem
wolle, er nach öderreichifchem Gefetz ein Erfindungspatent nehmen könne und
jedem Ausdeller nach dem Gefetze fein Patent bis 15 Jahre verlängert
werden kann Trotzdem wurden weitere Befürchtungen ausgefprochen ;
namentlich trat der Wunfeh zu Tage, dafs es möglich gemacht werde, aus Anlafs
der Weltausdellung die Frage des internationalen Patentfehutzes zur Sprache zu
bringen, damit Gelegenheit geboten werde, den feit langen Jahren vorhandenen
Bedrebungen Einzelner gleichfam einen Brennpunkt zu geben."
Und fo entdand der internationale Patentcongrefs und vordemfelben fchon,
wie Baron Schwarz in der oben angedeuteten Eröfi'nungsrede dardellte, ein Patent-
gefetz, das mehr als manches Andere, was auf dem Congrefs gefprochen wurde,
dem Gedanken Ausdruck verleiht, dafs Sein oder Nichtfein des Erfindungsfehutzes
nur durch die Frage der praktifchen Nützlichkeit, wie mehr oder weniger alles
Recht, entfchieden wird. William Siemens fagte daher, an die Rede Baron
Schwarz anfchliefsend, dankend und beweifend zugleich, mit fehr viel Recht:
3»
34 Dr. C. Th. Richter.
„Nicht zufrieden, die Früchte des Fortfehrittes in einem Punkte zu fammeln, hat
Herr Baron Schwarz die Idee gefafst, nach den Urfachen, welche diefen Fort-
fchritten zu Grunde liegen, zu forfchen. Es genügte ihm nicht, zu fagen: Wir find
fortgefchritten, wir haben diefs und jenes Neue erreicht und bezweckt: er erachtet
es vielmehr von gröfserer Wichtigkeit, zu fragen : wie war es möglich, diefs zu
erzielen und hätte unter günftigeren Umftänden nicht noch mehr erzielt werden
können? Bei Erörterung diefer Frage fehen wir deutlich, dafs bis jetzt ein wich-
tiger Theil der Arbeit, die geiftige Arbeit, noch nicht unter geregelten
Gefetzen gedeiht. In verfchiedenen Ländern wird den Erfindungen in gröfserem
oder geringerem Mafse Schutz gewährt, aber diefe verfchiedenen Länder find
durchaus nicht einig über die Art und Ausdehnung diefes Schutzes, und ohne eine
folche Verftändigung kann die geiftige Fortfchrittsarbeit unmöglich hinreichend
gedeihen.**
In Folge der Einladungen hatten fich ausgezeichnete und tüchtige Fach-
männer, Vertreter der Staatsregierungen, Abgeordnete einzelner Vereine, Theo-
retiker und Praktiker auf dem Congrefle eingefunden. Er zählte 159 Mitglieder
und eröffnete am 4. Auguil 1873 feine Berathungen unter dem Präfidium Dr. C.
William Siemen's und dem Ehrenpräfidium Sr. Excellenz des Herrn Baron Schwarz.
Die Vorarbeiten hatte ein aus fünf Mitgliedern gebildetes engeres Comit6 gemacht,
beftehend aus W. P. Blake, Specialdelegirter der amerikanifchen Regierung
für das Studium der Inftallatlonen der Weltausftellung 1873, Hamilton Hill,
Affociate, Commiffioner for Maflfachufetts, CarlPieper, Civil in genieur aus Dres-
den, Dr. Ratkowsky, Juriftenpräfedl am Therefiänum, und Dr. Franz von
R o f a s aus Wien. Die Vorlagen diefes Comit6s bildeten nach der Berathung und
Aufftellung einer Gefchäfts- und Debatte-Ordnung für den Congrefs die Grund-
lagen der Berathung.
Der erfte und weitaus den gröfsten Theil der Zeit und Thätigkeit in
Anfpruch nehmende zur Berathung gelangende Gegenftand behandelte die
Nothwendigkeit des Schutzes der Erfindungen. Das Referat darüber hatte
Carl Pieper, Ingenieur aus Dresden. Den Geift der Debatte beftimmten
übrigens die charakteriftifchen Worte, welche C. W. Siemens, ein Mann, welcher
der Praxis und der Wiflfenfchaft gleich angehört und bei dem in jedem Gebiete
der DiscufTion reiche Erfahrung und fchöpferifche Gedanken vereint zur Geltung
kamen. „Das Refultat meiner Erfahrungen ift nicht etwa* , fagte er , »dafs
ich ein Enthufiaft geworden wäre für das abfolute abftracfle Recht des Erfinders.
Ich glaube, dafs der Erfinder an und für fich, ehe er feine Erfindung ausge-
arbeitet hat und ein bedingtes Anrecht gegenüber der Gefellfchaft befitzt, bin
aber anderfeits überzeugt, dafs der technifche Fortfehritt nicht ohne Patente
gedeihen könne, dafs er fehr langfam werden, dafs ein Syftem der Geheim-
haltung wiederum gebräuchlich werden würde, welches das rafche Aufblühen
der Induftrie, wie wir es auf der Weltausftellung conftatiren können, nicht
ermöglichen würde."
Nach dem glänzenden Referate Pieper's, in welchem fowohl die wiffen-
fchaftlichen Richtungen, als die das Patentrecht negirenden und, weil ihrer
fonftigen Gefinnung nach freihändlerifche Theoretiker fie vertreten, höchft gedan-
kenlos als freihändlerifch bezeichneten, fehr fcharf kritifirt und ein reiches ftatifti-
fches Material aufgehäuft wurde, vertraten mit den kräftigften neuen und alten
Gründen die Anhänger des Paten^wefens ihren Standpunkt.
Diejenigen Männer, welche nach ihrer wirtschaftlichen Richtung Frei-
händler find und die nun in ungeeigneter Weife ihre Gefammtanfchauung auch auf
das Rechtsleben übertragen und insbefondere das Patentrecht, weil eben die
beftehende Gefetzgebung fchlecht ift, angreifen, zogen fich nach einer kurzen
Erklärung zurück, die viel mit dem Glauben jener Völker gemein hat, die meinen,
Der internationale Patentcongrefs. 35
dafs die Welt auf einem Elephanten, der Elephant auf einer Schildkröte, die
Schildkröte auf einer Schlange ruhe.
Auf welchem Gethier dicfe aber eine Stütze finde, wiffen fie nicht. Und
fo trat auch die Erklärung wieder hervor, dafs gegen das Patentgefetz nicht nur
die vier Herren im Congrcfs feien, fondem auch Michel Chevalier, nicht nur
Michel Chevalier, fondem auch W. Kubitt, der Präfident der Civilingenieure in
London, nicht nur diefer, fondern auch W. Brunei u. f. w. Was nun gerade die
Mangelhaftigkeit der Patentgefetzgebung anbelangt, fo erklärte Friedrich H o f-
mann aus Berlin mit gutem Grunde, dafs man eben alles aufbieten müfle, umsein
möglichil vollkommenes Gefetr für den Schutz der geiftigen Arbeit zu fchaffen.**
Unvollkommen wird es immerhin bleiben, wie denn kein Gefetz exiftirt, dem nicht
UnvoUkommenheiten nachgewiefen werden könnten, wenn folche auch nicht immer
fofort, fondem eril bei längerer Praxis zum Vorfchein kommen; unvollkommen
wird das Patentgefetz auch bei der eifrigilen und gewiffenhaf teilen Berathung,
vielleicht in verhältnifsmäfsig höherem Grade als andere Gefetze bleiben, weil die
Materie, mit der es zu thun hat, fchwieriger als andere ift, und weil die Erfahrungen
auf dem Gebiete diefer Gefetzgebung geringer und jtlnger find, als die Gefetze
über anderes Eigenthum.*'
Da die fogenannten Freihändler immer die Nothwendigkeit des foge-
nannten Patentrechtes bezweifeln, weil unter dem Schutze des freien Verkehres
— der Satz ift ganz wahr, die Anwendung nur ift falfoh — überall das verhältnifs-
mäfsig gröfste und berechtigfte Einkommen fich bildet, fo erklärte der erfahrene
Kenner der modernen Patentgefetzgebung, Oberbergrath Klo ft ermann: ^Es
gibt auf dem ganzen Gebiete des Vermögensrechtes kein Recht, welches mit
Naturnothwendigkeit exiftiren raüfste ; felbft das Grundeigenthum, das wir gewiifer-
mafsen als den Kern aller Rechte betrachten, ift nicht ein folches. Wir haben
felbft in Deutfchland eine Zeit gehabt, wo es kein Grandeigenthum gab
Beim Bergbau ftehen, je nach der Verfchiedenheit der Gefetzgebungen, drei ver-
fchiedene Berechtigte nebeneinander: ^der Staat, der Finder und der Grund-
eigenthümer". Daher ift es gar keine fo abnorme Erfcheinung, wenn man das
Recht der Erfindung einfach als das Mittel hinftellt, das dort, wo nach der Natur
der Verhältniflc der Schöpfer und Arbeiter es nicht vermag, die Rechtsfphäre
eben begrenzt und darum auch genau beftimmt. Kloftermann kennzeichnete diefeo
von uns fchon vor zehn Jahren ausgefprochenen und vertretenen Satz mit den
Worten :
^Das Recht hat der Erfinder nur, foweit das Gefetz ihm die ausfchliefsliche
Benutzung feiner Erfindung einräumt.*
Schärfer als Kloftermann ging Dr. Rofenthal der fehwankenden
Anfchauung der Freihändler zu Leibe und traf in der That das alleih Richtige,
indem er die Gefammtheit des Autorrechtes in die Discuffion zog. „Ich frage die
Minorität, ob fie auch das Autorrecht negirt?** Da fie diefs nicht vermag und
auch niemals gewagt hat, nicht in der Anfprache des Führers der kleinen Gegner-
fchaft, Franz X. Neu mann aus Wien, nicht in den Schriften Michel Chevalier's
oder des einft fo leidenfchaftlichen Gegners der Patentgefetzgebung Michaelis
und Prince Smith aus Berlin ; fo konnte Rofenthal mit allem Rechte behaupten :
^.Blieben wir bei der reinen Theorie, müfsten wir ganz gewifs fagen: Recht ift
Recht. Wenn der Erfinder ein ausfchliefsendes Recht befitzt, mufs es ihm bleiben,
und wenn ihm nur zeitweilig diefes Recht garantirt werden foU, fo muffen auch
die Gründe der Befriftung angegeben werden Wir verlangen aber mehr für
den Erfinder, das Beweisftück feines Rechtes, das Patent .... Durch die
Befriftung des ausfchliefsenden Rechtes des Erfinders haben wir den Weg der
Verföhnung zwifchen dem Anfpruch des Einzelnen und dem Bedürfniffe des
Staates gefunden. Der Erfinder ift mit diefer Einfchränkung zufrieden, er
verlangt keinen ewigen Schutz. Diefe Thatfache aber thut feinem urfprüng-
liehen Recht keinen Abbruch .... Eine natürliche Confequenz diefer Anfchauung
36 Dr. C. Th. Richter.
iil es, dafs ich den Ausdruck „Monopol" reprobire .... Ein Monopol ill immer
die Befchränkung des natürlichen Rechtes Aller, zu Gunften eines Einzigen;
wenn wir aber den Erfinderfchutz befeitigen, befchränken wir umgekehrt das
Recht eines Einzigen zu Gunften Aller Schon früher hatte Dr. Rofenthal
diefem Gedanken eine beftimmte Bafis gegeben indem er erklärte: ^Ich liebe
die Freiheit ebenfo innig wie Herr Dr. Neumann, und ich glaube ich handle
nach einem Princip der Freiheitsliebe, wenn ich für die Erfindungspatente
eintrete, weil ich in der Gewerbefreiheit nichts Anderes erblicke, als einen
Appell an die individuelle Leiilungskraft, an die Erwerbsfreiheit. Die Freiheit
des Individuums ill zunächll zu fchützen, fie iil die Vorbedingung der Freiheit
der Mafle."
Nachdem ein praktifcher und erfahrener Ingenieur und Erfinder, Herr
Alexander Friedmann aus Wien, den gleichen Standpunkt des Rechtes
und der Freiheit betonte und die ernil zu würdigende Mahnung ausfprach, dafs :
„wenn die Nationalökonomen alles vom Utilitätsflandpunkte betrachten, es mit
der Moral bald ein Ende haben wird", gab der Referent über den erilen Verhand-
lungsgegenftand des Congreffes, den wichtigften Punkt deffelben, die Nothwen-
digkeit der Patentgefetzgebung betreffend, dem Streite gegenüber der kleinen
Zahl der Gegner einen charakteriilifchen Abfchlufs. „Es hat fich aus den Discuf
fionen wohl erwiefen, dafs mehrere der Herren, welche gegen den Pafentfchuti
fprachen — legen Sie es nicht als eine Grobheit aus — keine Idee haben, was
ein gutes Patentgefetz i(l."
Es ifl fehr charakteriftifch, dafs fich die Summe der gegnerifchen Literatur,
ebenfo wie der Wortkampf der Gegner des Patentrechtes, in fehr bedenklicher
Weife an die einzelnen Mängel der pofitiven Gefetzgebung anklammem.
Wir folgen feit Jahren der Theorie und der Praxis und muffen geflehcn,
dafs auch nicht ein fchöpferifcher Gedanke von Seite der Gegner des Patent-
rechtes zu Tage gefördert wurde.
Immer iil es eine nichtige Kritik der gefetzgeberifchen Vcrfuche, das
Richtige zu treffen, oder die kühle Ablehnung der Literatur, welche die Patent-
gefetzgebung vertritt. Und wenn irgend etwas für die Mangelhaftigkeit des ganzen
Gedankenbaues der Gegner entfcheidend fein kann, fo ifl es der auf dem Boden
der Wiffenfchaft überall höchfl bedenkliche perfönliche Satz: Ich oder wir können
das Patentrecht nicht für gut oder nützlich halten. Das Rechtsleben der Menfcheit,
das Werden und Vergehen der Rechte und Rechtsverhältniffe bedarf wahrhaftig
kräftigerer Gründe, als ein höchfl perfönlichesBewufstfein. Ganz anders erfcheincn
dagegen in der Literatur und Praxis die Anhänger des Erfindungsrechtes. Die
Syileme fügen fich von felbfl bald kräftiger, bald lockerer unter ihrer Forfchung.
Dem Eigenthumsrechte früherer Jahrzehnte, und wenn wir das Autorrecht mit
betrachten, früherer Jahrhunderte, hat unfere wirthfchaftlich klarer denkende
Zeit das Erwerbsrecht gegenüber geflellt. * Und in vielfachen Geflaltungen hat
die Gefetzgebung aller Staaten die theoretifche Anregung zu verarbeiten gefucht.
Spricht der Erfolg für das Recht einer Sache, dann können die Anhänger des
Erfindungsrechtes in der That allein die Wahrheit ftir fich in Anfpruch nehmen.
Selbfl auf dem Patentcongreffe, auf dem es Befchlufs war, nicht länger als zehn
Minuten zu fprechen, zeigte fich diefe Kraft der Vertretung. Wir können uns
nicht enthalten, hier noch der charakteriflifchen Darflellung der Anficht zu
gedenken, wie fie in dem Geifle eines praktifchen Juriflen und Staatsbeamten.
Finanzrath Dr. von Rofas, fich geflaltet. „Wenn ich ein Stück Land kaufe, ziehe
ich es in meine Rechtsfphäre; ich kann ein Steinkohlen-Lager erfchliefsen in
fremdem Boden, ich bringe die Naturfchätze dadurch in meine Rechtsfphäre;
• Richter C. Th., Kunft und Wiffenfchaft und ihre Rechte im Suatc. Berlin 1863.
Wächter Oskar, das Verlagsrecht. 1857. Richter C. Th., Kunft und Wiffenfchaft in Gewerbe und
Induftrie. Wien 1867. Stubenrauch, das öfterreichifche Marken- Mufter-Schutzgefetz. Wien 1859.
Der internationale Patentcongrefi. 37
fchreibe ich ein Buch, verfertige ich eine Statue, fie kommt dadurch in meine
Rechtsfphäre ; mache ich eine Erfindung, fo kommt fie dadurch in meine Rechts-
fphäre und ich kann vom Staate verlangen, dafs er mich in meinem Rechte fchützt
und wahrt. Die juridifchen Einwendungen, die dagegen gemacht werden können,
reduciren (ich auf einige wenige Sätze, die ich f ehr einfach widerlegen zu können
glaube. Der Satz, dafs es kein geilliges Eigenthum gebe, dafs es dem Begriffe
des Eigenthums widerfpreche, ift nur dann berechtigt, wenn man vom Eigenthum
des Erfinders fprechen will ; nennen wir es aber Erfinderrecht, fo fälh Alles, was
aus dem Begriffe des Eigenthums deducirt ift, weg. Es wird gefagt, es fei kein
fafsbares Eigenthum ; es iü fchwer auf das fliefsende Wa0er oder auf die Luft
ein Eigenthumsrecht geltend zu machen; doch wiifen wir, dafs es „ Waffe rrechts -
gefetzgebungen" gibt und wir haben im bürgerlichen Gefetzbuche eiae Beftimmung,
welche ausfpricht, dafs die Luftfäule über meinem Grunde mir gehört. Endlich fagt
man, es fei vom juridifchen Standpunkte das Erfindungsrecht zu verwerfen, weil
durch die Bekanntmachung der Erfinder auf das Eigenthum verzichte. Nun, das
ift mir als Juriften ganz antipathifch. Ich kann fagen, dafs der Eigenthümer,
dadurch, dafs er fein Recht nicht ausübt, auf dasfelbe verzichtet durch
eine Reihe von Jahren. Daraus aber, dafs Einer fein Recht ausübt, darauf
zu fchiiefsen, dafs er auf fein Eigenthum verzichte , ift mir unmöglich. Ich
bin einer der wenigen Juriften, die das moderne Rechtsbewufstfein in fich
tragen, wie es in den Anträgen des Comites dargelegt ift : es gehe das Erfinder-
recht fchon aus rechtsphilofophifchen Grundfätzen hervor."
Die übrigen Befchlüffe des Congreffes bedürfen keiner weiteren Erör-
terung durch die Debatte, da fie felbft klar genug für fich fprechen. Es fei
nur noch hervorgehoben, dafs, wie fchon in älteren Werken der fünfzehnjährige
Schutz einer Erfindung eine Erfahrungsfache ift, welche, wie Dr. W. Siemens
hervorhebt, „die meiften Patentgefetzgebungen feftgeftellt haben". Auch der
Congrefs hat diefe Zeit für ausreichend erklärt, aber auch „als nothwendig, um
eine einigermafsen nothwendig complicirte Erfindung, welche Mühe und Arbeit
koftet, einzuführen und lohnend für den Erfinder zu machen. Denn es ift ja nach
nnferer Auffaffung der Zweck eines Patentes, dem Erfinder einen Lohn für feine
Erfindung in möglichft fiebere Ausficht zu ftellen. Es kommt gar nicht darauf
an, ob Jemand glaubt, es feien ein oder einige Jahre mehr oder weniger nöthig. Wir
wollen vielmehr darthun, dafs wir eine Zeit von 15 Jahren als eine Nothwendigkeit
anfehen und als einen praktifchen Durchfchnitt deffen erkennen, was bereits
mafsgebend gewefen ift".
Wie die ältere Literatur es fchon fordert, hat auch der Congrefs die
Oeffentlichkeit und die Verpflichtung zur Publication der patentirten Erfindung
gefordert und Dr. W. Siemens erklärte dafBr fehr richtig: „Es ift geradezu eine
Verfchwendung von Capitalien, wenn durch eine unvollkommene Publication und
dadurch, dafs der Erfinder felbft nicht Intereffe daran hat, feine Erfindung überall
zur Einführung zu bringen, die Leute angewiefen find, felbft die Verfuchskoften
nochmals durchzumachen." Nur dadurch ift das Fabriksgeheimnifs, „welches durch
feine Ueberwucherung die Induftrie um Jahrhunderte, vielleicht um Jahrtaufende
zurückgebracht hat, zu befeitigen und auszurotten".
Die Entfchädigung des Erfinders durch befondere Staatsbelohnungen oder
Gratificationen wurde abgelehnt, weil, wie Friedrich Hoffmann aus Berlin fehr
richtig erklärte, man es keinem rechtlichen Menfchen zumuthen werde, „dafs er
f^r feine reelle und rechtfchaffene Arbeit die Gnade einer Gratification erbettle,
dafs er da, wo fich andere auf ihr gutes Recht ftützen, die Hand ausftrecken foU,
tun eine Gabe aus Gunft zu empfangen." Und möchten wir hinzufügen, wie wir
diefs fchon in unferer Betrachtung der Patentgefetzgebung gethan, weil es für
die Gnade oder ftaatliche Auszeichnung kein Mafs gibt und fchliefslich jede
Erfindung, weil fie in den Rahmen des allgemeinen Anfpruches pafst, von vorne
38 Dr. C. Th. Richter.
herein den gleichen Lohn zu fordern berechtigt ift. Defsgleichen wurde der
feinerzeit viel ventilirte Vorfchlag, den Erfinder durch irgend welche Mittel za
zwingen, gegen ein gewifles Entgelt feine Erfindung abzutreten, ganz entfchieden
abgelehnt. ^Es fcheint mir,'' erklärte Franz W i r t h, „dafs das mehr eine Con*
ceffion an die Gegner der Patente ifl, als eine aus dem Wefen der Sache felbfl
hervorgegangene Meinung Sehen wir einmal, wie fich die Sache in der
Ausführung machen würde. Entweder bellimmt die Regierung da^ Entgelt oder
der Erfinder, wie unter Anderen Herr Dr. Ratkowsky es wünfcht. Ueber den
erflen Fall will ich gar nicht fprechen. Es ifl diefs noch nie dagewefen und wird
auch nie ausgeführt werden können. Was die Fixirung der Summe betrifft, fo
weifs ich in der That nicht, wie diefe erfolgen foU, da nicht einmal der Erfinder
felbfl es thun kann. Er kann nicht im Voraus wilfen, wie viel feine Erfindung
werth ifl; folglich mufs ihm geflattet fein, fein Entgelt zu verändern, erft niedrig
oder hoch und fpäter umgekehrt. Dann kommen wir wieder auf dasfelbe zurück,
als wenn der Erfinder fein Patent verkauft. Wenn der Erfinder aber wie Dr. Rat-
kowsky vorfchlägt, Marken ausgeben und die Erfindung öffentliches Eigenthum
werden foll, fobald eine gewiffe Zahl von Marken ausgegeben ifl, fo fragt ficb
wieder, wie die Marken beflimmt werden foUen, ohne dafs Ungerechtigkeiten
eintreten ^ In Betreff der Befleuerung der Erfindung, diefs wollen wir noch zum
Schluife befonders hervorheben, entfchied fich der Congrefs für die Heigende
Scala. Wieder war es Dr. W. Siemens, der das entfcheidende Wort dafür
fprach: „Ich halte die fleigenden Scalen für werthvoll, weil dadurch der Erfinder
die Möglichkeit findet, die Bezahlung der Abgaben, die er an den Staat zu
leiflen hat, in jene Zeit zu verlegen, wo die Erfindung einträglich geworden.
Stellt fich diefe Möglichkeit nicht dar, fo wird er das Patent fallen laflen. Das
Intereffe der Oeffentlichkeit mufs uns auch angelegen fein. Diefs verlangt aber,
dafs die Zahl der Patente nicht unnöthig vergröfsert werde .... Es muffen Mittel
gefchaffen werden, um den Erfinder zu veranlafTen, ein unnützes Patent fallen zu
laiTen, und defshalb bin ich entfchieden für die Steigerungsfcala und erkenne Oe
eventuell als ein Zwangsmittel an.**
Für die Gefammtheit der Verhandlungen des Patentcongreffes verweifen
wir auf den amtlichen Bericht über denfelben, herausgegeben im Namen des
Executivcomit^s durch deffen Generalfecretär Carl Pieper: Der Erfinder-
fchutz und dieReform der Patentge fetze. Dresden 1873.
Refolutionen
des internationalen Congreffes zur Erörterung der Frage des
Paten tfchu tzes.
I. DerSchutz derEr findungen ifl in den Gefetzgebungen
aller civilifirten Nationen zu gewährleiflen:
a) weil dasRechtsbewufstfein der civilifirten Nationen den
gefetzlichen Schutz der geiflige n Arbeit verlangt;
b) weil er, unter der Vorausfe tzung vol Ifländiger Veröffent-
lichung der Specification der Erfindungen, das einzige,
praktifch wirkfame Mittel bildet, neue technifch e Gedan-
ken ohne Zeitverlufl und in glaubwürdiger Art zur all-
gemeinen Kenntnifs zu bringen;
c) weil der Patentfchutz die Arbeit des Erfinders zu einer
lohnenden macht und dadurch b erufene Kräfte veranlafst,
Zeit undMittel an die Durch- und Einführung neuer und
nützlicher technifcher Methoden und Einrichtungen felbfl
zu wenden, oder ihm fremde Capitali en zuführt, die ohne
Patentfchutz eine fiebere Anlage fu eben und finden.
Der internationale Paten tcongre fs. 39
d) weil durch die obligatorifche volliläD dige Publication der
den Gegenfland des Patentes bildenden Erfindung die
grofsen Opfer an Zeit und Geld, Welche die technifche
Durchführung anderenfalls der Induflrie aller Länder
koflet, bedeutend vermindert werden;
e) weil durch fie das Fabriksge heimnifs, welches den gröfs-
tenFeind des technifchen Fortfehrittes bilde t, den B o den
ver lie rt;
f) weil den Ländern, welche kein rationelles Patentwefen
haben, dadurch grofser Nachtheil erwächft, d afs ihre
talentvollen Kräfte fichLändern zuwenden, indenen ihre
Arbeit gefetzlichen Schutz findet;
g) weil erfahrun gsgemäfs der Patentinh aber am wirkfaroden
für fchnelle Einführung feiner Erfindung forgt.
n. Ein wirkfames und nützliches Patentgefetz mufs fol-
gende Grundlagen haben:
a) Nur derErfinder felbfl oder fein Rechtsnachfolger kann
ein Patent erlangen;
b) dasfelbe darf dem Ausländer nioht verfagt werden;
c) mit Rück ficht hierauf ifl eine vorläufige Prüfung geboten;
d) ei n Erfindungspatent mufs eine Dauer von 15 Jahren haben
oder auf diefe Zeit ausgedehnt werden können;
e) es mufs mit feiner Ertheilung eine voUfländige, zur tech-
nifchen Anwendung der Erfindung befähigende Publi-
cation verbunden fein;
f) die Koften der Paten tertheilung muff en mäfs i g fein, je
doch mufs es durch eine fteigende Abgaben fcala in das
Intereffe des Erfinders gelegt werden, ein nutzlofes
Patent baldmöglichfl fallen zu laffen;
g) es mufs durch ein gutorganifirtes Patentamt Jedermann
leicht gemacht werden, die Specification eines jeden
Patentes zu erhalten, fowie zu erkennen, welche Patente
noch in Kraft flehen;
h) die Nichtausübung einer Erfindung in einem Lande foll
dasErlöfchen des Patentes nicht nach fich ziehen, wenn
die patentirte Erfindung überhaupt einmal ausgeführt
worden und es den Angehörigen des betreffenden Landes
ermöglicht ift, die Erfindung zu erwerben und anzuwende n.
Aufserdem empfiehlt der Congrefs:
i) dafs gefetzliche Beflimmungen getroffen werden, nach
welchen der Patentinhaber in folchen Fällen, in welchen
das öffentliche Intereffe diefe s verlangt, veranlafst wer-
den kann, feine Erfindung gegen angemeffene Vergütung
allen geeigneten Bewerbern zur Mitbenutzung zu Über-
laffen.
Im Uebrigen und insbefondere rück fichtlich de.s bei Er-
theilung von Patenten zu beobachtenden Verfahrens weift der
Congrefs auf das englifche, amerikanifche und belgifche Patent-
gefetz, fowie auf den für Deutfchland vom Verein deutfcher
Ingenieure ausgearbeiteten Patentgefe tz- Entwurf als beach-
tenswerth hin.
III. InAnbetracht der grofsen Ungleichheit der beftehen-
den Patentgefetzgebungen und inAnbetracht der veränderten
internationalen Verkehrsbeziehungen der Jetztzeit liegt das
4
40 Dr. C. Th. Richter. Der internationale Patentcongrefs.
Bedürfnifs fürReformen vor, und es ift dringend zu empfehlen,
dafs die Regierungen fobald wie möglich eine internationale
Veriländigung über denPatentfchutz herbeizuführen fuchen.
Schlufsrefolution.
Der Congrefs ermächtigt das vorbereitende C omitö, das
in diefer erden Verfammlung begonnene We rk fortzufetze n und
feinen Einflufs aufzubieten, dafs die angenommenen Grund fätze
bekannt werden und zur praktifchen Geltung gelangen.
Das Comit6 wird gleichfalls autorifirt, einen Austaufch
der Meinungen über den Gegenftand herbeizuführen, fowie Con-
ferenzen unter denFreunden des Erfinderfchutzes von Zeit zu
Zeit zu veranlaffen;
Zu diefemZwecke wird das vorbereitende Comit^ hiemit
alsiländigesExecutivcomit^ condituirt, mit derErmächtigung,
Mitglieder zucooptiren, und Zeit und Ort für den nächften Con-
grefs zu beflimmen, falls ein folcher für die Förderung der
erreichten Refultate zweckmäfsig erfcheinen follte.
ALLGEMEINE BILDUNGSMITTEL.
(Gruppe XXVI, Section 6)
DIE SOCIAL-ÖKONOMISCHEN BILDUNGSMITTEL.
Bericht von
D^- Carl Th. Richter,
k. k. o. 6. Pro/eßor der Staatswiffen/chaften an der Univerfitdt zu Prag.
AiU der Parifer Weltausflellung hatte man, durch die Kaiferin Eugenie
angeregt und von Napoleon III mit Vorliebe unterflützt, eine befondere Grui)pe
gebildet, um den Befuchern der Ausftellung jene Mittel und Einrichtungen zu
ze gen, welche in überwiegender Weife, Bildung und Erziehung, Wohlfein und
Zufriedenheit der arbeitenden ClalTe befördern. Man hatte dafür Abtheilunjien
gebildet, für die Volksbibliotheken zur Unterweifung und Belehrung der Arbeiter,
für die Möbel. Kleidungsflücke und Nahrungsmittel jeden Urfprunges. die fich
durch Nützlichkeit und zugleich durch Wohlfeilheit auszeichnen. Dann wurden
Mufler von Wohnungen und Häufern ausgeftellt, welche fich durch Wohlfeilheit
und Zweckmäfsigkeit in Bezug auf Gefimdheit und Wohlfland auszeichnen. Daran
reihten fich endlich in felbftfländigen ClafTen Produ<fle aller Art, welche von felbfl-
fländigen Handwerkern erzeugt waren, und Inflrumente und Verfahrungsweifen,
welche für das felbflfländige Handwerk eine befondere Bedeutung befitzen. In
vcrfchiedenen anderen Abtheilungen fand man Einrichtungsgegenfländc, Küchen-
gcräthe und dergl., welche dem Leben des Arbeiters durch Sparfamkeit und
Zweckmäfsigkeit dienen könnten.
Diefes ganze Gebiet der Ausflellung vom Jahre 18Ö7, wie es ein Verfuch
\sar, hatte doch den günfligen Erfolg, dafs es in einer Zeit, in welcher die Wogen
der fogenannten Arbeiterfrage faft in allen Ländern Europas ziemlich hoch gin-
gen, den Befuchern der Ausflellun^^ zeigte, was einerfeits durch Gemeinden,
Vereine und zuletzt durch die Arbeitgeber für das Wohl der arbeitenden ClaiTen
gefchehen könne und was anderfeits der Arbeiter felbfl leiden und fchaffen kann
und foU. Diefe Ausflellungsabtheilung war keineswegs vollkommen und das ganze
Leben der arbeitenden Claffen berührend, aber fie drehte doch nach allen Gebie-
ten und verfuchte für jedes einzelne Theile der Belehrung und Entwickclung und
einzelne Behelfe für das Wohlfein und die Zufriedenheit der arbeitenden Claflen
darzudellen.
Die Wiener Weltausdellung hat nun im Gegenfatze zu diefer vorhergegan-
genen Weltausdellung weder in einer felbddändigen Gruppe, noch in irgend
einer Seölion diefe Frage angeregt und dafür zur Betheiligung an der Ausdellung
eingeladen. Kaum dafs in der letzten Abtheilung der 26. Gruppe mit einigen
allgemeinen Schlagworten wie ^Fortbildung der Erwachfenen'* oder ^Leidungen
der Vereine, welche die allgemeine und fachliche Ausbildung des Volkes zum
Zwecke haben", des grof^en Gebietes der fogenannten focialen Frage gedacht
I*
2 Dr. Carl Th. RilHut.
wurde. Die Aiisllcllung hatte übrigens doch Raum in einzelnen Gruppen und
])rachte, theils in der Gruppe 21: die nationale HausinduHrie, theils in der
Gruppe 19 : das bürgerliche Wohnhaus mit feiner inneren Einrichtung und Aus-
fchmückung und endlich in der oben erwähnten letzten Abiheilung der Gruppe 2Ö •
Erziehungs-, Unterrichts- und Bildungswefen, einige Ausftcllungsgegenftände, die
wenigflens Zeugnifs gaben, dafs die einzelnen Ausfleller der Frage, die, wenr.
auch nicht mehr fo mächtig und alle Gemütl.er aufregend, fo doch immer noch
von Bedeutung und dauernder Beachtung werth, gedachten.
Wenn man übrigens im Vergleiche mit der Parifer Weltausftellung 18Ö7
die Voliftändigkeit der Wiener Weltausflellung behaupten will, fo kann man
auch die Kleidungsflücke und Nahrungsmittel, die fich durch Nützlichkeit und
Wohlfeilheit auszeichnen, als vertreten gewefen annehmen. Denn in der
Gruppe IV. : Nahrungs- und Genufsmittel als Er/eugnilTe der Induftrie, kamen
unter den Conferven, Extracflen und Fleifchwaaren einzelne Ausflellungsgegen-
flände zur Befichtigung, welche zumeift für den Fleifchconfum der arbeitenden
ClafTen von bcfonderer Wichtigkeit fmd oder fein können. Der Referent über
(liefe Se(5lion der IV. Gruppe CarlWarhanek hat darauf hingewiefen. Was
die Kleidungsflücke, die fich durch Wohlfeilheit und Billigkeit auszeichnen,
anbelangt, fo hat die fogenannte Confecflion und die Ausllellung der MafTen-
produ(fle der Kleiderinduftrie genug Ausftellungsgegenflände gezeigt, die in
ihrer Billigkeit und doch guten Qualität kaum mehr übertroffen werden können
und fafl dem geringften Einkommen zugänglich find. Durch die Wirkwaaren
Induflrie, wie fie Ludwig Glogau in feinem Berichte Gruppe \\ Se<flion 5
dargeflellt hat, ift die Schafwolle und das warme und gefunde Wollkleid bis in die
unbemittelten Kreife der Bevölkerung eingedrungen. Unter den Kautfchukwaaren
haben wir ganze Anzüge, aus Kautfciiukabfallen erzeugt, gefehen, welche feil
und dauerhaft und zumeifl geeignet find. ]>ei befchmutzenden Arbeilen als Beklei-
dung zu dienen, und um den Preis von 3 fl. öflerreichifcher Währung verkäuflich
find. J. Schnek berichtet des Weiteren darüber in feinem Berichte über
(jruppe VI, Se(5lion 4. Diefs mufs man anerkennen, um wenigflens nicht zu glau-
ben, dafs man die Frage der Erhaltung und des Wohlfeins der arbeitenden Claf-
fen ganz vergeffen habe. Aber das grofse Ganze, wie es die Parifer Weltausflel-
luni; zur Darflellung zu bringen verfuchte, die Zufammenfaffung aller diefer Ele-
mente des Lebens war nicht vorhanden und als darauf ausdrücklich bezüglich
waren nur wenige Ausfkellungsgegcnftände von wenigen Staaten gebracht wor-
ilcn. Ich glaube, dafs diefs doch einen ganz beflimmten Grund hat und es fei
geilattet, mit einigen wenigen W^orien darauf zu fprechen zu kommen.
Es ifl kein Menfchenalter her, wie man oft zu glauben fcheint, dafs die
Frage nach dem Wohle der arbeitenden Volksclaffen aufgeworfen wurde. Si','
bewegt feit Jahrtaufenden die Menfchhcit und tritt fcharf ausgeprägt in der
Gefchichte des römifchen Reiches und der Gefchichte des Mittelalters hervor. Sie
bildet einen Theil der Städtegefchichte Deutfchlands und oft ifl uns in der Dar
flellung des Zunftlebens, der Anfäfligmachung u. f. w. die Spur der vorliegenden
Frage erhalten. Sie tritt in neuer Geflalt mächtig auflodernd in den Bauern-
kriegen hervor und den llädtifchen Kämpfen Nord-Deutfchlands und anderer
Staaten. Sie findet in der franzöfifchen Revolutionszeit durch die Erklärung
der Freiheit der Arbeit und des oft mifsbrauchten Rechtes auf Arbeit ihren
erften Abfchlufs und fpielt von da an hinüber in das politifche Leben, wo fich
allmälig das Recht auf .\rbeit in ein Recht auf politifche Rechte und es ifl wohl
nicht zu viel gefagt, oft auch als ein Recht auf Vorrechte ausbildet. In diefe Zeit
fällt die ungeheure Entwicklung der europäifchen Induflrie, der Uebergang der
Arbeitskräfte zur allgemeinen Benützung der Dampfkraft, der regelmäfsigen und
a'.lmäligen Befriedigung der Bedürfniffe durch das Gewerbe zur Maffenprodutflion
und zur Verarbeitung von koloffalen Mengen Rohfloffe zu Maffenprodu<flen in
Die focial-Ökonomifchcn Bildungsmittel.
(.•
inzelnen Fabrikscentren ; Aufhäufung von Arbeitskräften, Zufammendrängung
(lerfclben an einzelnen Orten und in einzelnen zu ungeheurer Ausdehnung
'.vachfenden Fabriken, Nothwendigkeit grofser Anlags- und Belriebscapitalien, um
in der induflriellen Welt Stand zu halten, kurz Capitalsvvirthfchaft, der eigentlich
^\irthfchaftliche Ausdruck der Dampfkraft und ihrer Benützung in der Induflrie,
welche ja nur die technifche Seite diefes Lebens bedeutet, ifl das Kennzeichen
der modernen Zeit. Die letzte Aeufserung derfelben ifl der aus der Maffenpro-
dudion und den grofsen Betriebs- und Anlagscapitalicn hervorgehende Capitals-
gew inn, der nicht mehr als langfam erworbener Profit der Arbeit, fondern als wie
fich felbfl erzeugender Zins des Capitales und wie ohne Arbeit erworben, nur durch
die Macht des Befttzes fich felbfl fchaffend erfcheint. Da tritt die Frage auf, was
in Mitte diefer Bewegung der Antheil der Arbeitsleiflung ifl, die ja nicht mehr
durch Selbllfländigkeit und Tüchtigkeit, fondern nur als dienflbares Element des
Capitales, das heifst der Dampfmafchine fich bewahren kann. Die Antwort, die
das Capital auf diefe Frage gab, war der Lohn, der Lohn, der fich einfach durch
Nachfrage und Angebot ergibt, und als niederfler Lohn durch die Koflen der
Arbeit beflimmt wird.
Dafs man in diefer Antwort zuerfl allgemein, dann häufig und heute noch
im Einzelnen zu weit ging und die Koflen der Arbeit nach der äufserflen Noth-
durft des menfchlichen Lebens berechnete, gehört bereits der Gefchichte an.
Man hat allmälig erkennen gelernt, dafs hohe Arbeitslöhne keineswegs immer
die Producflion vertheuern, eben fo wenig als niedrige Arbeitslöhne fie flets
billiger machen. In Rufsland z. B. find ja, wie bekannt, die Nominalpreife
der Arbeit billiger als überall in Europa und nichtsdefloweniger ifl die Güter
erzeugung. z. B. die Eifenprodudlion dafelbfl viel koflfpieliger als in England. Es
mufste daher Jedermann einleuchten, dafs die lang gepredigte Nothwendigkeit,
billige Arbeitslöhne zu behaupten, einmal keine wiffenfchaftliche Berechtigung
bat, dafs die Höhe des Lohnes aberauchgar nicht von dem Willen der Menfchen,
fimdern von tlen wirthfchaftlichen Verhältniffen überhaupt abhängt.
Man hat in einer anderen Richtung die Billigkeit des Arbeitslohnes in der
höchflen Ausnützung der Arbeitskraft durch die fafl übermenfchliche Vermehrung
der Arbeitsflunden anzuflreben lange gefucht. Man lernte erfl fpäter erkennen
dafs ebenfo wenig als niedriger Arbeitslohn ein Zeichen billiger Producflion ifl,
ebenfo wenig eine geringere Zahl der Arbeitsflunden als unbedingte VeranlafTung
geringerer Producflion betrachtet werden kann. Der ruffifche Feldarbeiter, um bei
dem obigen Beifpiel zu bleiben, beginnt im Sommer fchon zwifchen 2 und 3 Uhr
Morgens feine Arbeit und beendigt fie um 9 Uhr Abends; trotzdem vollbringt
ein englifcher Farmarbeiter in feiner zehnflündigen Arbeit das Arbeitsrefultat von
zwei ruffifchen Arbeitern. Die Beifpiele laffen fich fo ins Unendliche vermehren,
fo dafs man allgemein annehmen kann, dafs mit der Verminderung der Arbeitszeit
bei fonfl tücht'ger fittlicher und wirthfchaftlicher Bildung nicht nur die Quantität,
fondern auch die Qualität der Arbeit gefleigert wird.
Die Erkenntnifs diefer Grundfätze brauchte lange Jahre, bis fie allgemein
wurde, ebenfo wie die Erkenntnifs jener Grundfalze, die den Arbeiter in feinen
Forderungen bei der oben angeregten Frage leiten follen.
Von Anfang an war die Frage nach feinem Rechte in eine ganz eigenthüm-
liche Geflalt gekommen, und politifchc und fociale VerhältnifTe drängten fie auf
eine ganz merkwürdige Bahn. Wie follte dem Arbeiter auch die oben angeregte
Idee feiner Stellung und feiner Berechtigung klar fein zumeifl in Mitte des
Capitales, dasnurzur Geltung kam und der grofsen Induflrie, die fie entwickelte und
von diefer felbfl nicht bcgrifi'en wurde. In der Vernichtung des kleinen Gewerbes
f.ih er durch das grofse Capital feine eigene Freiheit und Zukunft, indem er fie
früher immer erreichen konnte, nicht nur begrenzt, fondern zerflört. Er fah fich
als ewiger Diener der Mafchine, als Arbeiter in der Fabrik, um fein Leben
betrogen. Und doch, je gröf^er die ArbeitermafTen wurden, die fich an einem Orte,
4 Hr. Carl Th. Richter.
in einem EtablifTement anhäuften und damit zu gleicher Zeit die MafTenproduclion
förderten, je mehr damit der grofsc Induflrielle fich ausbildete, und gerade in der
Zahl feiner Arbeiter und Mafchinen feine eigene Gröfse im wirthfchaftlichen Leben
ausdrückte, feinen Reichthum und feinen Gewinn dadurch bekundete, deflo mehr
wuchs im Arbeiter das Bewufstfein grofs, dafs er ja allein die Grundlage der wirth-
fchaftlichen Bedeutung der Unternehmung, die Quelle des Erwerbes und Gewinne^
nicht für fich, denn er war mit „dem Lohn" von vornherein abgefunden, fontlero
für den Gefchäftsherrn und Unternehmer fei. Er arbeitete und erzeugte die Güter,
der Unternehmer war blofs Beützer, Befitzer tles Capitales, der Unternehmung^-
kraft und darum allein, defshalb nur der Berechtigte für die Ernte des Gewinnes.
Je mehr der Capitalsherr im Anfang diefer Bewegung auf den unrechten Boden
des Gedankens fland, den auch die WilTenfcliaft damals vertrat, durch niedrige
Löhne den Gewinn zu vermehren, deflo melir fpitzte und fchärfte fich die Gegner-
fchaft zwifchen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu. In dem Kampfe um Verbefferung
der Lage des Arbeiters drängte diefer, bald auf politifchen Boden hinüber
gerathcnd, bald dabei feciale Umwälzungen anflrebend, zu dem altchrifllichen
Gedanken von der Unfruchtbarkeit des Capitales. Je mehr inderNoth die Sorge um
neu zu erwerbende Rechte die ArbeiterclalTenerfafste und verdüflerte, deflo berech
tigter und natürlicher erfchien ein Gedanke, den im Jahrtaufend fchon wahre und
falfchc Volksfreunde, Religionslehrer und Reformatoren vertreten hatten, für uea
auch im XIX. Jahrhunderte reich begabte Männer eintraten, als der wahre Si^orn
zum Kampfe. Das Capital ifl nichts als aufgehäufte Arbeit. Arbeit aber nur vom
Arbeiter erzeugt, daher ihm. wenn er Capital nicht befitzt. widerrechtlich entzoi;cn.
('apilal bildet fich nur durch Arbeit, der Arbeiter daher allein die wahre Quelle
des Capitals, Capital wird nur durch Ar!)eit nutzbar und in feiner Menge wieder nur
immer durch Arbeit vermehrt. Der Arbeiter ifl daher immer und überad die,
Quellc des Capitalbefitzes und der Capitalsvermehrung. In Wirklichkeit iland
aber diefen Schlüffen und Folgerungen der Arbeiter capitallos dem Capitals-
befitzer gegenüber, der befafs und den Befitz vermehrte, ohne zu arbeiten. Der
Capitalsbefitzer ifl daher, wie er durch unrechtes Gut zum Befitze kam, dauernd
der Erbe fremden und ungerechten Gutes. Derjenige, der den berechtigten
Anfpruch an den Gewinn hat, derjenige, der eben das Gut erzeugt, wird durch
eine verhältnifsmäfsig geringe Abfchlagszahlung, durch den Lohn, abgefunden.
Wenn der Lohn auch an fich nicht unrecht ifl, fo ifl er doch dauernd und überall
für die Leiftung der Arbeit ungenügend und eben darum dennoch unrecht.
Damit war von beiden Seiten die (irundlage jenes grof>en Kampfes gelegt,
der das XIX. Jahrhundert bis in unfere Zeit lierauf bewegt und den man, als er ai
die (jefellfchaft eingriff, mit dem kurzem Worte die „feciale Krage** nannte. Sie hat
in diefcm Titel allmälig nicht nur einen wirthfchaftlichen Inhalt, fondern auch und
überwiegend einen politifchen. Das Jahr 1848 brachte ihn fehr fcharf zum Ausdruck
und um den Namen eines Louis Blanc bewegt fich durch Jahre hindurch nach
diefer Richtung hin die Gefchichte. In friedlicheren Zeiten und nach ihm, nahm
Ferdinand L affalle das gleiche Ziel für fein vielbewegtes Leben wieder auf.
Die Zeit reifte auch allmälig die Gedanken, die wir fchon oben ausgedrückt
haben und brachte Reformen für Capital und Arbeit, welche die ganze Frage zu U)fen
verfuchten. Nach di r wirthfchaftlichen Entwicklung Europas fchon, durch die ver-
mehrte Nachfragenach Gütern, die eine Nachfrage nach Arbeit erzeugte, durch «lie
Entwicklung der Arbeit felbfl und der Mafchine wurde die Qualität der Arbeiter
von immer gröfserer Wichtigkeit und äufserte fich fortgefetzt im Steigen der Freife.
Man fah. dnfs die Arbeit ein Gut ifl, wie das Capital, das durch beflimmte Gefelze
beflimmt geregelt wird. Die Löhne fliegen in fortgefetzter Weife zuerfl durch
äufsere Bewegungen, welche die ungerechtfertigt niederen Löhne und defshalb
ungerechten Preife der Arbeit befeitiglen, dann aber durch die Natur des Gefetzt-^,
dafs die fortfchreitende Gütervermehrung durch die Entwicklung der Güternach-
frage nothwendig die Nachfrage nach Arbeit, als eine Lohnerhöhung geflatten
Die focial-okonomifchen Bildungsmiticl. Ö
mufste, da diefer entfprcchend das Angebot der Arbeit fich nicht gleich vermehrte.
Der Capitalsgewinn wurde immer kleiner, der Arbeitsgewinn gerade in diefem
Verhältnifs immer gröfser, Capital und Arbeit mufsten auf diefem Wege durch die
Natur der Gefetze fchon fich friedlich und ausgleichend nähern. Neben diefer
wirthfchaftlichen Aufklärung ging die fociale Entwicklung. Taufendfach verfchieden
ift das, was man nach diefer Richung die fociale Frage nennt. Um den Xamen
eines Seh uIze-D eli tz f ch,umdie fociale Inllitution derKochedalerPionniere bis
zur hohen geifligen Bewegung, welche heute noch die Frage des Ausgleiches von
Arbeit und Capital als Ziel des Denkens und Strebens gefetzt hat, liegt eine
grofse und reiche Gefchichte, die gleichfalls wie die Entwicklung der Theorie
der Wirthfchaftslehre die Erkenntnifs vertritt und allgemein zu machen fuclit, dafs
Arbeit und Capital zwei gleichberechtigte Kräfte des wirthfchaftlichen Lebens
find, denen gleichberechtigt nach dem Gefetze der Wiedererzeugung der Güter
Zins- und Gewinnprämien zukommen.
Unendliches ifl in diefer Richtung im Laufe des XIX. Jahrhundertes
gefchehen und zumeifl die letzten zwanzig Jahre zeigen uns ein Bild, dafs wie
eine neue Ordnung des wirthfchaftlichen Lebens aus demGeifle bewährter Männer
und aus der Entwicklung dcrW iffenfchaft für jeden hervorgeht, der ohne Vorurtheil
und böfen Willen der Gefchichte und ihren Thatfachen gerecht werden will.
Auf der einen Seite hat die Concurrenz der Capitalien, an der fich allmälig ganz
Europa betheiligte, dieUebermacht des einzelnen Capitah gebrocheti und gezeigt,
dafs der einfl von vielen Seiten angefochtene Satz, dafs die Concurrenz und die
Freiheit derfelben alle Ungleichheiten des Lebens ebnet und der Tüchtigkeit allein
Recht gibt, denn doch eine grofse Wahrheit enthält. Muf^.te ja doch in diefer
Strömung das Capital felbfl zu jenem Mittel greifen, das man einfl blofs den
Arbeiter als mächtig wirkend und fegenbringend ilarflellle und das heute allein
das Capital wirkfam erhält, zur Affociation, zur Ac^iengefcllfchaft. Und gerade
an ihr konnte man leicht erkennen lernen und erkannte man auch, dafs das
Capital niemals ungehindert fich vergröfsert und mit diefer fellgefetzten Vergröfse
rung auch den Gewinn fortgefetzt vergröfsert. Dann erkannte das Capital auch, dafs
feine befle Wirkfamkeit uur gewährt und erhalten wird, wenn die Arbeitskraft felbfl
im vollen Wohlfein und gerechten Erwerbe fich erhält.
Daraus entflehen die Summen jener Thatfaciien, welche heute Ichon als
Refultate des Kampfes, den die Arbeiterfrage darflellt, anerkannt werden. Es
ift diefs die Summe der verfchiedenen Vereine, bei welchen der Cai)italsbefitzer
theils materielle, theils geiflige Unterflützung gewährt. Es ifl diefs weiter die
Summe jene Inflitutionen, welche die einzelnen Unternehmungen für die Ent-
wicklung des Wohlfeins ihrer Arbeiter, theils gemeinfam, theils für das einzelne
Unternehmen geltend gefchaffen haben. Wir meinen die Schiedsgerichte oder
Arbeitergerichte, welche von Munde IIa zum grofsen Segen des P'riedens
zwifchen Arbeiter und Herren in England angeregt worden find und die auf
dem Continent annäherungsweife nirgends noch ganz, theils gut. theils fchlecht
nachgeahmt worden find. Wir meinen weiter, die Kranken- und Unierdützungs-
calTen, die Penfions- und Witwen-Verforgungscaffen. die Errichtung von Arbeiter
fchulen, öffentliche Vorträge, Bibliotheken- und endlich eine der wichligflen
Inflitutionen. die Arbeiterwohnungen. Nicht eine Inflitution, die auf diefem
Boden errichtet worden ifl, und von diefen Kräften ifl heute unerprobt oder,
wenn einmal gefchaffen. wieder zu Grunde gegangen. Ein Zeichen, dafs fie gut
find, dem richtigen Bedürfniffe richtig entfprechen. Alle, wie verfchieden fie
auch geflaltet fein mögen, haben den einen wirthfchaftlichen Charakterzug. dafs
fie jenen Theil, der in\ Güter-ErzeugungsprocefTe niemals durch tlen Lohn dem
Vrbeiter abgetragen werden kann, ihm aber doch an der Ciewinnbewilligung im
Güterverkehr zukommen foll, nun auch wirklich zukommen lafTen. Der Lohn ifl
ja immer und mufs wie der Preis des Rohfloffes von Vornherein ein ficherer
Rechnungsfacflor für die Unternehmung fein. Er wird daher nicht nach der
6 Dr. Carl Th. Richter.
Leiflungstüchtigkfit im Werke bellimmt, fondern er gibt durch die äufseren
Momente von Angebot und Nachfrage, wie wir fchon oben erwähnten und wie
l^ekannt, fein niederfies Refultat. Jenes, ich möchte fagen, ethifche Moment aber
(ieffen, was der Arlieiter wirklich gefchaffen hat, und was im Preife des Gutes dann
hervortritt, ift im Lohn nicht enthalten. Wollten wir es kurz fagen, fo liefse fich da?»
Ganze vielleicht ausdrücken in dem Satze, dafs der Lohn nur der einfache
Rechnungs- oderKoflenpreis der Arbeit ift, aber nichts enthält von jener unbeftimm
baren und doch dem Arbeiter zuftehenden Gewinnquote, die man bei jeder wirth-
fchaftlichen Unternehmung, alfo auch bei der Arbeit in Rechnung felzen mufs ; da>
Capital trägt fie nun ab durch die Summe jener focialen Inftitutionen, welche,
durch das Capital gefchaflfen, dem Arbeiter zu Gute kommen.
Auf der anderen Seite hat fich die fogenannte fociale Frage, vom Arbeiter
felbft in der Löfung verfucht, in anderer Geftaltung ausgebildet.
Ein einziges, Allen bekanntes Wort, bringt diefe Beftrebungen zum Aus
drucke: die Selbfthilfe. Die vielgenannten Pionniere von Rochedal bildeten für
ganz Europa das praktifche Beifpiel, Schulze-Delitzfch die Theorie des ganzen
Gebietes, neben einer reichen, auch bald in den Thatfachen hervortretenden
Thätigkeit. Die fchwachen Kräfte des Einzelnen foUten fich einen mit jenen der
Andern und fo eine Kraft bilden, welche das Kleine und Schwache durch die
Verbindung mit Anderen gleichen und gleichftrebenden, die Genoflenfchaft, zu einer
fieberen, fchützenden und weiter führenden Macht bilden. Auf allen Gebieten de>
Lebens folltc diefe Genofi'enfchaft durchgeführt werden, und wurde auch in mehr
als 20jährigem Bemühen wirklich durchgeführt. Die Confum vereine follten
die Erhaltung des täglichen Lebens billiger und beffer machen; fie erftrecken
fich über alle menfchlichen Bedürfniffe, und erfcheinen als Vereine zurBefchaffung
billiger und guter Lebensmittel, als Kleidervereine u. f. w. ; fanden in den
Rohft off- Vereinen, den Vereinen zur Befchafiung billiger und guter Werk
zeuge eine befondere Ausbildung für das kleine Gewerbe, an welche fich die
Magazinsvereine und andere genoffenfchaftliche Unternehmungen anfchloffen
Die höchfte Ausbildung und nutzbarfte Verwendung fand der genoffenfchaftliche
Gedanke in der Bildung der Creditvereine, welche fich heute über ganz
Deutfchland ausdehnen, und in einem Central-Creditvereine vereinigt, deffen
Anwalt Schulze Delitzfch ift, ihre gemeinfame Verbindung fanden. Auch in Oefter
reich "fanden diefe Inftitutionen Nachahmung. Zahlreiche andere genolTenfchafl-
liehe Verbindungen, welche Leben und Sterben, die Kranken- Pcnfions- un^*
Alter sverforgungs-Caffen, welche Witwen und Waifenthum , die Wit
wen-Caffen, W aif e nv e re ine u, f. w. als Ziel ihrer Sorge und Bemühungen
zum Inhalte haben, wurden gefchaffen.
Die wichtigfte Entwicklung hat neben den Spar- und Creditvereinen die
Verbindung der Arbeiter zur genofTenfchaftlichen Produ<5lion, die Productiv
Gen offen fch aft, für längere Zeit vertreten. Aber es fcheint heute, als ob daraii
doch noch keineswegs der einft gchoffte, ficherftc Ausweg für die Löfung der
fogenannten Arbeiterfrage gefunden worden wäre, wenigftens laufen von verfchie
denen Seiten aus Deutfchland in der letzten Zeit Nachrichten ein, von der Auf
löfung früher gebildeter Producfliv-Genoffenfchaften. So hat fich, um nur ein Beifpiel
aber eines bei einem tüchtigen Stamme zu geben, in Württemberg, in dem Jahre
1871 die Zahl der Producfliv-Genoffenfchaften nicht nur nicht vermehrt, fondem
es haben fich die Schuhmacher und SchlofTer Produ<5tivgenofrenfchaften in Stuti
gart, die Harmoniumfabrik dafelbft, die Weberaffociation in Grofs Kifslingen
aufgelöft. Möglich, dafs auch in anderen Theilcn Deutfchlands ein gleich ungün
ftiger Erfolg erzielt wurde. Dabei ift es freilich wahr, dafs in Frankreich, wo die
Produdlivgenoffenfchaften am früheften gegründet wurden, diefelben dauernd
gedeihen. Gelingen und Mifslingen diefer Inftitutionen waren VeranlafTung zum
Verfuche, andere Formen derfelben zu fchafien, in welchen, um es kurz zu fagen,
Arbeitgeber und Arbeitnehmer zufammenwirken, und durch die Betheiligung
Die focial-ükonomifchcn Bildungsmittcl. 7
der Arbeiter am ünternehmungsgewinn die Frage des Friedens zwifchen Arbeiter
und Herrn, gelöft werden füllte.
Wenn wir die ganze Reihe diefer Inflitutionen betrachten, fo ergibt
fich unzweifelhaft eine Menge höchfl flattlicher Verfuche, welche die fo
alte Frage zu löfen verfuchten. Es ifl heute, als ob der Gedanke, der Eng-
land feit Jahren beherrfcht. und den Thomas Braffey in feiner Schrift
Work an d \V a g e s fchon ausgefprochen hat, heute allgemein geworden ift : „The
Work is too caft for any Government to undertake. It can only be accompli-
fhed by fe selfhelp, and felf facrifice of the whole nation". Mag alfo, wie wir diefs
fchon früher, und in einem Berichte „über die fociale Frage auf der Parifer Welt-
ausflellung" an die Vierteljahresfchrift lürVolkswirthfchaft, Cultur und Gefchichte
t Berlin 1807) ausgefprochen haben, mag alfo der Reiche allen gerechten Forderun-
gen fich geneigt zeigen, mag der Arbeiter durch Genügfamkeit, Bildung und
Mäfsigkeit, fowie durch genaue Kenntnifs des Arbeitsmarktes zur Hebung feiner
Lage beitragen. Es ift nicht die Aufgabe der Menfchheit, nur durch Kampf und
Zerftörung fich zu entwickeln, fondern auch durch fügfames Anfchmiegen an das,
was Zeit und Erfahrung als gut gereift haben.
Wir mufsten diefs vorausfchicken, weil es fcheint, als ob diefe Gedanken
allmälig allgemein geworden feien. Zeigt fich doch auch in der eigenthümlichen
Ruhe der beiden Parteien, welche wiflenfchaftlich am kräftigften die fogenannte
fociale Frage durchgearbeitet haben, in den beiden Parteien der deutfchen
Nationalökonomie, von denen die eine dem Gedanken Schulze-Delitzlch' und der
Selbfthilfe treu geblieben, die andere, welche den Namen der Katheder-
focialiften als befonderes Kennzeichen fich zugezogen hat, und eine befondere
Neigung zu einer, man mufs der W^ahrheit gerecht werden, nur fogenannten Staats-
hilfe hat, es zeigt fich, dafs die ganze focialiftifche Bewegung in ein Stadium der Ruhe
eingetreten ift, in welchem man gewiiTermafsen den alten Errungenfchaften Zeit
läfst, fich für die Dauer zu bewähren, und das ab und zu auftauchende Neue zu
einer ftilleren Gährung zurückdrängt. Die Partei der deutfchen Nationalökono-
men und ebenfo auch der englifchen, welche durch die Selbfthilfe die grofsen
Fragen der Zeit zu löfen geftrebt haben, überlaffen die Gegenwart und hoflfent-
lieh auch die Zukunft der Wirkfamkeit diefer Gedanken! Die Partei der fogenann-
ten Kathederfocialiften, welche in allen Ländern, zumeift auch in England
Anhänger hat, und inDeutfchland durch hervorragende Perfönlichkeiten vertreten
wird, hat den Gedanken der Staatshilfe, von jeher ein gefährliches W^ort, feit
einiger Zeit und zumeift im Ocflobercongrefs des Jahres 1S73 dahin abgefchächt,
dafs eigentlich die ganze Frage auf das Gebiet der Staatsverwaltung hinüber-
gefchoben, und die berechtigte Reform zahlreicher wirthfchaftlicher Gefetze wie
der Fabriks-Gefetzgebung, der Bauordnungen, der Gefetze über die Schul-
pflicht u. f. w., die uns zum Theile aus längft vergangenen Tagen noch anhaften,
als Ziel ihrer Beftrebungen ausgefprochen wurde.
Ift es nun wirklich der Fall, dafs die Sicherheit der Ueberzeugung, dafs
auch die Zeit und nicht blofs Wunfeh und Wille der Menfchen die Organifation
der Gefellfchaft und Ordnung des wirthfchaftlichen Lebens reifen mufs, immer
mehr Platz greift, fo mag diefs auch der Grund fein, dafs die Wiener W^eltaus-
ftellung wenig auf einzelnen Gebieten, gar nichts auf anderen Gebieten der
Fragen, die wir hier zu betrachten haben, gebracht hat, und dafs es eigentlich
dem Berichterftatter nur oblag, die Gründe diefes Mangels der Ausftellung in
Kurzem und Allgemeinem darzulegen.
Die Parifer Ausftellung hat das ganzeGebiet vielfach vollkommener erfchöpft,
und fünf Jahre, die feither vorübergegangen find, machen wahrhaftig einen
kurzen Zeitraum aus, um Neues und Epochemachendes zu fördern. Wir fahen
daher auf der Wiener Weltausftellung weder eine felbftftändige Gruppe, noch
eine felbftftändige Secflion dem Gebiete der fogenannten focialen Frage gewidmet.
8 Dr. Carl Th. Richier.
Wir fanden die darauf bezüglichen Gegenflände, wie wir fchon früher fagten, zum
Theile, aber nicht mit beftimmter Beziehung zu unferem G*egenftande in der
Gruppe IV, zumeiftSecflion 5, und der Gruppe V, Seclion 7, zum Theile auch, aber
nur wenige Gegenflände berührend, unter den Arbeitsmafchinen Gruppe XIII,
Se<5\ion 2, und in dem Gebiete der Werkzeuge und Verfahrungsweifen für Maurer,
Steinmetzer, Tifchler, SchlolTer u. f. w. vertreten. Hieher nun, und in diefe Gruppe
und Se<5lion gehören auch die einzelnen Arbeiterwohnungen und ArbeiterhKufer,
welche zur Ausflellung gebracht wurden. Zur Gruppe XXVI gehört das Gebiet
der Volksbibliotheken, jener Vereine, welche die allgemeine und fachliche Aus-
bildung des Volkes zum Zwecke haben, und auch das Vereinswefen mit
anderen Zielen und Zwecken. So alfo ift das Gebiet, dem wir eine kurze Bericht-
erftattung allein widmen können, zerriffen und zerftreut, unvollkommen und ohne
jede befondere x\bficht mit den Lebensrichtungen und Lebensbedürfniffen zufam-
mengewürfelt gewefen.
"Wäre an irgend einer Stelle der Organifation der Weltausflellung,
in irgend einem der Programme der einzelnen Gruppen eine beftimmte Abficht
ausgedrückt worden, nach welcher man aber nicht mehr als etwas Befonderes und
von dem grofsen Ganzen felbftfländig Ausgefchiedenes die hier berührte Frage
angefehen wifTen wollte, fo könnte man dadurch allein fchon einen grofsen Fort-
fchritt anerkannt fehen, und der Wiener Weltausflellung das Recht einräumen für
eine neue Zukunft der Anknüpfungspunkt gewefen zu fein. Mit der Abfchwächung
der Standcsunterfchiede , mit der Auflöfung aller ClafTen und gefellfchaftlichen
Abgrenzungen, wie fie unfere Zeit kennzeichnet, mit der gleichen Berechtigung,
welche jedem Bürger dqs Staates vor dem Gefctze und im politifchen Leben ein-
geräumt ift, und mit dem Gedanken, dafs jede Arbeitskraft, wo immer und wie
immer fie fich geltend machen will, dadurch nicht nur berechtigt, fondern allen
anderen gleichberechtigt erfcheint, mit all' diefen Momenten unferes modernen
Lebens ift jede Grenze, welche das eine oder das andere Gebiet, die eine oder
die andere Bewegung oder Lebensfrage aus dem grofsen Ganzen ausfcheidei
längft befeitigt worden. Es gibt daher auch keine Arbeiterfrage mehr, die auf
felbftftändigcn Bahnen vorwärts dringt, es gibt nur eine fölche in Mitte de>
ganzen übrigen Lebens, die wie diefes, in diefem und mit dicfem allein vorwärts
bewegt und zur Entwicklung gebracht werden kann. Wir fühlen es fo feit Langem
und haben verfucht, in den früheren Andeutungen über die Beziehungen der
Lohnfrage zum Capital es fchon auszudrücken, wir fühlen es feit Langem, dafs
eine InterefTengemeinfchaft auch auf diefem Gebiete eingetreten, und der Theil
des Lebens nur mit dem Ganzen, die einzelne Aeufserung nur in Mitte der
gefamnUen Lebensbewegung zur Geltung gebracht werden kann. W^enn davon
die Organifation der Wiener Weltausflellung ein Bewufstfein gehabt hätte, und in
diefem Geifte den einzelnen Theil unferes focialen I^eljens mit dem Ganzen hätte
verbinden wollen, dann könnte man, wie wir fchon fagten, einen Forfchritt darin
erkennen. Wir zweifeln aber fehr, dafs diefs der Fall war, denn auch in den
angedeuteten Gruppen, die in den ^ofticiellen Erläuterungen zur Gruppenein-
theilung** oft bis ins weiteftc Detail nach ihrem Inhalte aufgezählt und dargelegt
werden, findet fich auch nicht ein Wort, das auf die Erkenntnifs des oben
angedeuteten Gedankens fchliefsen liefse. Wir find daher auch nicht im Stande,
mehr in der Berichterftattung zu thun, als die Weltausftellung \virklich felbft
geboten und wollen in Kurzem der einzelnen Ausftellungsgegenflände. wie fie
fehr dünn gefäet, und bald mit diefer. bald mit jener Gruppe vereinigt, zur
Darflellung kamen, gedenken. Zur Orientirung erwähnen wir, dafs wir, als unferer
Betrachtung angehörig, das Volksbibliotheks-Wefen hier einbeziehen, foweit es
eben zur Darflellung kam, das Vereinswefen und endlich als das einzige
was eine befondere Darflellung gefunden hat, die Frage der Arbeiterhäufer und
Arbeiterwohnungen und des Sparcafl'awefens.
Die focial-okoiionii't hcn Hi!(Ir.n>.;>mittel. £7
Die Volksbibliotheken.
Wir folgen den Staaten in der Betrachtung, wie fie in der Induflriehalle
aui einander folgten. Amerika hatte einige Kataloge feiner zahlreichen Biblio-
theken, wie fie theils befonderen Vereinen, theils derGefammtheit angehören, zur
•Ausllellung gebracht. Zu den erfleren zählen die fogenannten Mechanik- und
mercantile Bibliotheks Gefellfcliaften. von denen die New- Yorker Gefellfchaften,
die Gefelifchaft zu Boflon, Brocktiehi, die Kataloge ihrer Bibliotheken ausgeftellt
hatten, und in denen zumeift Schriften englifcher und amerikanifcher Autoren und
natürlich übi rwiegend lechnifchen Inhaltes vertreten lind. Zu den zweiten zählen
die Staatsbibliotheken von Wafchmgton, Wcllon, Winchefler, Worchefler und
die Bibliothek des Jünglingsvereines zu New York , welche gleichfalls ihre
Kataloge und einzelnen \Vcrkc /ur Ausftellung gefchickt hatten. Der Charakter
aller diefer Bibliotheken ift dadurch zur Genüge gekennzeichnet, dafs fie zumeifl
als öffentliche Bibliotheken anerkannt und allgemein zugänglich find Sie ent-
halten englifche und amerikar.ifche. franzcil'itche und deutfche Schriften hiftori-
fchen, geographifchen und fchunwififenfchaftlichen Inhaltes. Die amerikanifche
Bibelgefellfchalt von NewYork «lie Icit ein«.m halben Jahrhundert gegründet,
Taufende vonZweiggefellfchaftcn zählt und Millionen von Bibeln in allen Sprachen
vertheilt hat, war auf der Ausftellung nur durch ihre Kataloge vertreten. Mit
befonderer Beziehung auf das Leben t^er Arbeiter und die Bildung derfelben
find die Handwerkcrvereins-Bibliothcken, von denen Lovell und Detrait die
Kataloge derfelben zur Ausftellung gefchickt hatten. Mit hieher gehören die
Kataloge der Athenäumsbibliotheken von Pitlsfield und Weft-Newton mit Schriften,
überwiegend der Technik, Mechanik und Chemie angehörend.
England hat leider gar nichts zur AusÜellung gebracht, obgleich es das
Land ift, in welchem das Volksbibliothcks Wefen zuerfl in ausgedehnter Weife
beachtet wurde. Ebenfo find Leihbibliotheken und Lefezimmer über das ganze
Land zerürcut und zumeifl zur Benützung der Arbeiter von Gemeinden und
Arbeitervereinen oder Vereinen, welche fich die Errichtung von Arbeiter- und
Volksbibliotheken zur Aufgabe gefetzt haben, errichtet worden. Buchhändler und
Verleger unterflützen auf das Freigebigfle diefe Vereine, was wir zur Darnach-
achtung für die tleutfchen und auch öflerreichifchen Verleger hier doch hervor-
heben muffen.
Auch Frankreich, da> auf der Parifer Weltausflellung eine grofsartige
Sammlung der Kataloge der Bibliotheken für das Volk und für die Arbeiter aus-
geflellt hatte, war nur in ganz einfeitiger Weife in Wien vertreten. Einige Statuten
und Katalf)ge von Bibliotheken in Paris fanden fich vor; dann eine Denkfchrift
von Louis Beg non über die in Thenuille gefchaffenen Einrichtungen zur För
derung der Volkserziehung und Entwicklung des Gewerbetleifses und der Volks-
wirthfchaft, unter welciiein die Bibliothek der Stadt eine befondere Stellung ein-
nimmt. Gefchichtliche Schriften, Lehrbücher der Geographie, der Chemie und
der Mathematik bilden einen Hauptbeftandtheil derfelben. Dann hatten fich die
Bibelgefellfchaften von Paris eingefunden mit ihren Rechenfchaftsberichten und
verfchiedenen Ausgaben der Bibel und des neuen Teflamentes, flreng in Glas-
käflen verwahrt gewefen und feiten zugänglich. Für den Vertrieb ihrer Schriften
fanden die Gefellfchaften in Wien nur einen fehr ungünftigcn Boden.
Bei diefer geringen Betheiligung ifl wenig über die Fortfehritte desBiblio-
thekwefens in Frankreich zu fagen. Und doch hat das Gefetz vom i. Juli 1862,
nach welchem jede Schule eine öffentliche Bibliothek errichten foU, ganz günflige
Wirkungen für die Entwicklung des Volksbibliotheks-Wefens erzeugt. Auch die
neben den Schulen gefchaffenen Volks- und ArbeiterbibUotheken, welche von
den hervorragendften Perfonlichkeiten Frankreichs entweder geleitet oder wenig-
10 Dr. Carl Th. Richter.
ftcns gefchützt werden, haben eine grofse Entwicklung erreicht. Wenn die Schui-
l>ibliotheken heute in Frankreich bei den 30.000 öffentlichen Schulen wenigftens
bei einem Drittel eingeführt find, fo zählen l*aris und die gröfseren Städte Frank-
reichs nach Hunderten ihre Arbeiter und Volksbibliotheken. Auch ift es
bekannt, wie viel der Franzofe, zumeifl von der rafch auftretenden Tagesliteratur
lieft, und dafs gerade dadurch die Schriftfleller Frankreichs fo rafch populär
werden. Es wäre daher gewifs höchfl fchätzenswerth gewefen, wenn man von
Frankreich eine Darflellung feines Volks- und Arbeiter-Bibliothekswefcns, abei
auch dabei der Benützung der Bibliotheken erhalten hätte. \Vir meinen damit,
diefs fei hier gleich erwähnt, keineswegs blofs die Angabe der Zahl der benützten
Bücher, denn diefclbe hat nur einen verfchwindenden Werth. Wir meinen damit
eine Statiflik der Bücher und der Zahlen, nach denen man erkennt, wie oft gewiffe
B icher ausgeliehen und benützt worden find. Es ifl gewifs charakteriftifch, dafs
nun nur feiten in den Lefecabineten von Baris, die zu gleicher Zeit kleinere oder
gröfsere Bibliotheken haben, in den letzten fechziger Jahren, alfo in einer Zeil,
in welcher das napoleonifche Regiment die Gemüther fehr dufter ftimmte, dafs in
diefer Zeit nur feiten Thiers* franzöfifche Revolutionsgefchichte vorhanden und zu
haben war. Und das wäre die Aufgabe einer Darftellung des allgemeinen Volks
und Bildungswefens, fo weit es eben das Bibliothekswefen betrifft. Man muf^
zeigen, welche Bücher und wie vielfach diefelben Bücher vom Volke begehrt
werden. Nur dadurch läfst fich aus dem Bibliothekswefen ein richtiger Schlufs
auf Verbreitimg und Nutzen der Literatur ziehen.
Wie weit die übrigen romanifchen Volker. Portugal, Sjvinien, Italien fich
in diefem Gebiete feit den letzten Jahren entwickelt und hervorgethan haben
wiffen wir nicht. Die Ausftellung hat uns in Nichts darüber einen Auffchluf-
gegeben. Bedeutend dagegen find feit den letzten Jahrzehnten die Fortfchrittc
des Volkes- und Arbeiter-Bildungswefens in Schweden, und wenn es wahr ifl.
dafs das Verfchwinden des Branntwein-Trinkens mit der Verbreitung der Bildung
in den niederen VoIksclalTen gleichen Schritt hält, dann kann in der That die
Verminderung der Brannlwein-Produölion auf die Entwicklung des \'olks Schul-
wefens und die Vermehrung der Volksbibliotheken zurückgeführt werden. In
den fünfziger Jahren betrug die Zahl der Branntwein Brennereien in Schweden
4500 und betrug die gefammte Broducflion mehr als 30 Millionen Kannen. In
den fechziger Jahren war die Anzahl der Brennereien auf 4- bis Ooo gefunken
und betrug die Producflion kaum mehr als 14 Millionen Kannen. Diefs Ve^hältnif^
ift heute noch geltend und, fagt die amtliche Statiftik Schwedens, die Zahl der
Verbrechen *hat in dem nämlichen VerhältnifTe abgenommen, wie der Branntwein
verbrauch. „Das ift ein grofser, gefellfchaftlicher Vortheil." Eines der befonderen
Lafter der nördlichen Länder hat fomit in Schweden an Boden verloren und wenn
auch die fortgefetzte Erhöhung der Branntwein-Steuer und die Vergröfserun^;
des Bierconfums den gröfsten Antheil an diefem günftigen Verhältniffe haben, fo
hat doch die Verbreitung einer allgemeinen Bildung die Sittlichkeit des Verhält
nilTes und das zufriedene Ertragen desfelben fehr befördert. Es gibt in Schweden
kaum zwei von je hundert Kindern, welche keinen Unterricht empfangen und wie
eigenthümlich das Elementar-Unterrichtsfyftem zumeift in den nördlichen Theilen
des Landes durch den wandernden Schullehrer, der von Flecken zu Flecken, von
Haus zu Haus für einige Wochen feinen Unterricht ertheilt, auch fein mag, die
Unterrichtsentwicklung ift doch in Schweden eine äufserft glückliche und günftigc.
Jedermann kann lefen und die Buchdrucker-Preffen find dauernd und vollauf
befchäftigt. Im Verhältniffe zur Bevölkerung hat Schweden die meiften Zeitungen.
Es ift daher natürlich, dafs auch /las Volks-Bibliothekswefen eine cnlfprechende
Entwicklung erfahren hat, und fehr anmuthig und anziehend war die faubere Aus-
ftellung einzelner Mufterwerke der fchwedifchen Schul- und Volksbibliotheken im
fchwedifchen Schulhaus. Seit ungefähr fünfzehn Jahren hat man, dieNützlicIikeit der
\'olksbibliotheken erkennend, folche in allen Gemeinden anzulegen begonnen
Die focial-ökonomifchen Bildungsmitlei. 11
und fleifsig in Anfpruch genommen. Man hat es vor Allen den Prieftern als Pflicht
auferlegt, zur Gründung diefcr Bibliothek anzure^^crn und zur Benützung derfelben
aufzumuntern. Die Gemeinden gründen diefelben, Gefchenke unterllützen fie und
kleine Gebühren für die Benützung der einzelnen Bücher geben einen genügenden
Fond, um alle Jahre neue Werke anfchaffen zu können. Befondere Vereinigungen
literarifch gebildeter Männer geben von Zeit zu Zeit Anweifungen heraus, welche
die beflen Bücher enthalten, die die Volksbibliotheken anfchaft'en follen. Eine
folche ^Anvifning ä Böcker Tjenliga för Sockenbibliothek'*, welche in dem
fchwedifchcn Schulhaufe auflag, zeigte uns, welche von den in Schweden feit den
fechziger Jahren erfchienenen Schriften den Bibliotheken empfohlen worden
fmd. Es find diefs religiöfe Schriften , unter denen Luther's Schriften und
Thomas a Kempis eine befondere Stellung einnehmen. Hiftorifche Schriften, bei
denen die fchwedifche, norwegifche und dänifche Gefchichte, dann auch die
Gefchichte Deutfchlands, Mignet's Gefchichte Frankreichs befonders hervortreten,
am reichflen weiter Werke der Geographie und Naturgefchichte beachtet erfchei-
nen, und den Inhalt diefer vortrefi"lichen Anweifung bilden. Wir erwähnen der-
felben fo ausführlich, weil hier ein nachahmungswürdiges Mufter der Unterflützung
lies Vülks-Bibliothekswefens gegeben ifl.
Die übrigen nordifchen Staaten haben fich nicht weiter an diefer Aus-
heilung betheiligt, ebenfowenig als leider Deutfchland. Wir fanden wohl in der
deutfchen Abtheilung einzelne Vereinsllatute, die der Beachtung würdig noch
fpäter erwähnt werden follen, welche einzelne Andeutungen von Volks- und
Arbeiterbibliotheken enthalten. Etwas Ausführliches aber und das Arbeiter-
Bildungswefen betreff"end, haben wir nicht auffinden können.
Wir bedauern aufrichtig, dafs auch Oeflerreich, ähnlich wie Deutfchland,
nichts von feinen Volksbibliotheken und Bibliotheken der Vereine zur Anficht
gebracht hat. Und doch ifl in diefer Richtung viel gefchehen. Die zahlreichen
Vereine, vor Allen die Bildungsvereine, zahlreiche andere Infl^itute , wie das
Mufeum fürKunfl und Induftrie in Wien, der niederöflerreichifche Gewerbeverein,
das deutfche Cafmo, der deutfch-hiflorifche Verein u. f. w. in Prag haben öftent-
liehe Bibliotheken, deren Benützung Jedermann zugänglich ifl und die auch in
der That zumeill von Gewerbetreibenden und Arbeitern benützt werden. Freilich
wäre auch hier mit der blofsen Ausilellung der Kataloge der einzelnen Werke
wenig gethan gewefen. Gerade bei einem aufflrebenden Staate, bei einem feit
der conflitutionellen Verfaflung allgemein rege gewordenen Bildungsdrange wäre
es wichtig, die Zahl der ausgeliehenen Bücher und die Art der meifl benützten
Werke kennen zu lernen. — Weil wir von dem Zufammenhang der öff"entlichen
Bibliotheken, fo weit diefelben eben nidit fachwiflenfchaftliche find, Bibliotheken,
die der Wifl"enfchaft angehören und den Männern der Wiffenfchaft, weil wir von
dem Zufammenhange der Bibliotheken mit der Gefammtentwicklung ausgehen,
beachten wir nicht die Zahl der fogenannten öfi*entlichen Leihbibliotheken, die
ein Gefchäft aus dem Bücherverleihen machen, und die in Oeflerreich wie in
Deutfchland eine ungeheuere Verbreitung haben ; obgleich es auch hier gerade
bei Oeflerreich einen beftimmten Werth hätte, jene Bücher kennen zu lernen,
welche am meiflen von den verfchiedenen Gefellfchaftskreifen benützt werden.
Nach den Erfahrungen, die wir gemacht, nach den einzelnen Notizen, die wir in
einzelnen Städten Oeflerreichs gefammelt, glauben wir, dafs man den Kopf
fchütteln Avürde, wenn fie allgemein wären, und dafs man den Nutzen der Leih-
bibliotheken nicht befonders hoch anfchlagen würde.
Wenn wir uns in der Ausflellung Oefterreichs umfahen, fo fanden wir blofs
bei den einzelnen Eifenbahn-Gefellfchaften und der Donau-Dampffchiff'fahrts-
Gefellfchaft die hier bezügliche Frage erörtert. Die gröfseren Transportgefell-
fchaften haben mit der Summe ihrer anderen focialen Inflitutionen auch das
Bibliothekswefen gefördert und wenigftens in der Darflellung der einzelnen
EtablilTements der Bibliotheken für ihre Arbeiter und Beamten gedacht. Wie in
12 Hr. Carl Th Richter.
der grofsen Muflerftadt Mühlhaufcn der Erfolg der angelegten Bibliothek lange
zweifelhaft war und in beflerWeiie fichergeflelh wurüe, als andere focia^e Inftitu-
tionen, wie Arbeiterwohnungen, Penfionsc äffen, Arbciterfchulen u. f. w. eingerich-
tet wurden und fich bewährten, fo fcheint auch bei den Bibliotheken unferer
Verkehrsanftalten, die übrigens alle auch noch fehr jung find und auf die Anregung,
welche die Parifer AusftcUung 1867 gab, zurückgeführt werden können, der
Erfolg noch keineswegs fichergeftellt zu fein. Nur die Donau-Üampffchifffahrts
Gefellfchaft erklärt in der Gefchichte ihrer Kohlenbergwerks-Colonie zu Fünf
kirchen, auf welche wir noch oft zu fprechen kommen werden, und für deren
ganzeErfcheinung undBedeutung wir auf unfere Schrift„Oefterreichifche Pionniere*,
Berlin 1873, ver>%'eifen, die Donau-DampffchiflTahrts Gefellfchaft erklärt, dafs ihre
im Jahre 1860 gegründete und heute beiläutig 1300 Bände zählende Arbeiter
bibliothek fo benützt wird, dafs beiläufig jeder Band bei einer Bevölkerung von
2772 Seelen acht- bis zehnmal im Jahre ausgeliehen werde. Die Schulkinder
betheiligen fich an der Erhaltung desBibliotheksfondes durch freiwillige wöchent-
liche Einzahlungen von i bis 2 Kreuzer. Bei anderen Bibliotheken, wie bei der
Arbeiterbibliothek der Südbahn wird eine l^eihgebühr von 5 Kreuzer per Monat
für das Ausleihen eines Buches bezahlt.
Vereinswefen.
Je fchwieriger das Leben in der Gefammtheit wird, defto ernfter wirken
die VerhältnilTe auf das Leben der ArbeiterclaiTen und der niederen Volksclaffen
überhaupt. Selten begreifen diefe Claffen den endemifchen Zufammenhang der
entfernteren Elemente des modernen Lebens. Je gröfser die EimkommenNbil
düngen find, je reicher durch die Entwicklung der einzelnen Zweige der Wirth-
fchaft die Menfchen werden, defto höher fteigen alle Preife. Je mehr GoUl in
Europa fich aufliäuft, defto fchwieriger wird es für die arbeitenden Claffen, da-
Leben zu unterhalten. Was der Arbeiter fchafft, erzeugt und verwandelt fich in
Gold, was aber keineswegs den Hunger ftillen und den Dürft löfchen kann. E>
hat die Arbeiter Englands fehr erbittert, dafs oft fabelhafte Capitalien keine Ver
Wendung finden k.önnen und fie haben geglaubt, dadurch allein ihre Lage zu ver
beffern, wenn fie beffer bezahlt werden. Aber in demfelben Mafse, als fich die
Arbeitslöhne erhöhten und in England in allen Gewerben zugenommen haben, find
alle Preife geftiegen und fteigen auch allenthalben bei den gleichen Verhältniffcn
Die zunehmende Theuerung der Preife hat das feciale Problem fehr tief in da>
l'ewufstfein der Völker gebracht, Man hat einft bei der Erkenntnifs der Nolh die
Bäckerläden geftürmt, und noch vor einem Jahre haben die Frauen in Schottland
den Befchlufs gefafst, fo lange kein Fleifch zu kaufen, bis es billiger geworden ift
Auch die wirthfchaftlichen Gelehrten kamen zu beftimmten Vorfchlägen und c^
ift bekannt, dafs in der Nothzeit des Jahres 1849 Prouthon behauptete, man könne
die Noth der Arbeits nur durch die Verminderung ihres Einkommens vermindern
man mülTe daher den Arbeilern um 25 Percent weniger Lohn geben, aber auch die
Summe aller anderen Preilr um gerade fo viel verringern. Nur dadurch kann man
den Kaufwerth des Geldes felbft vermindern. Man ift feit Langem abgekommen,
durch folclie iavl:.:ale Mittel Hilfe zu erreichen und hat fich gewöhnt, die Philo
fophie des Elends zu ftudiren und auf den Grund der Sache einzugehen. Wir
haben hier nicht die Aufgabe, die Gefchichte der gefammten focialen Bewegung
zu fchreiben. Es genügt die Bedeutung der einzelnen Fragen zu kennzeichnen.
Vielleicht zieht man daraus für die Zukunft und zumeift für die Aufgabe der Aus
ftcllungen Nutzen. Es ift freilich eine fchwierige Sache, aber es wäre auch
unbedingt eine fehr lohnende Aufgabe, die Summe aller Behelfe darzuftellen.
welche die Zeit, die Mühe und Sorge der Einzelnen, vor Allem aber das Vereins-
wefen gefchaffen hat, um Leben und Entwickelung der arbeitenden ClalTen und
Die focial-okonomifchcn Bildungsmittcl. lO
der MafTe der niederen Volkskreife zu leiten und zu befüidcrn. Man könnte
daraus einen Spiegel der Zeit bilden, ihrer heften Fortfchrittc, ihres Glückes und
ihres Elends.
Die Wiener Weltausftellung hat auch auf diefem Gebiete nur wenig und
das Wenige nur lückenhaft zur Darftellung gebracht Wir wollen in dem Folgen-
den die Summe aller jenerinftitutionen kennzeichnen, welche, wie verfchicden fie
untereinander find, doch das eine Ziel verfolgen, das wir oben gekennzeichnet
haben. Nur die Frage der Arbeiterwohnungen und Arbeiterhäufer fcheidon wir
hier aus und wollen im letzten Abfatze diefelbe felbftftändig behandeln. Hier
hat die Ausftellung wenigftens annähernd Material geliefert.
Amerika hat neben der Darftellung feiner wiffenfchaftlichen Organifation
auch die Organifation feines wirthfchaftlichen Erziehungs- und Bildungswefens
dargeftellt. Von der Summe aller anderen Erziehungsbehelfe von feinen Schulen,
von feinem ausgebildeten Vereinswefen, von der Thätigkeit feiner zahlreichen
fördernden und unterftützenden Gefellfchaften hat es uns nichts berichtet. Nur die
amerikanifche Bibelgefellfchaft von New York hat auch auf anderen Gebieten, als
der Verbreitung der 22 Millionen Bibeln und der Millionen von Tra<flaten, einige
Nachrichten über ihre fonftige Thätigkeit und der mit ihr in Verbindung ftehenden
Gefellfchaften zukommen lallen. Das amerikanifche Vereinsleben wird zum gröfs-
len Theile, zumeift was die Gründung von Schulen und Unterftützungsvereinen
anbelangt, von den verfchiedenen Bibelgefellfchaften, den Gefellfchaften für
^innere Miffion" den „Seemannsfreunden-, den einzelnen Frauenvereinen und
Frauenbewahr-Anftalten vertreten. So unterhält die Gefellfchaft für „innere
MilTion* in New-Vork an 900 Miffionäre, deren Sonntagsfchulen von 65.000 Kin
dem befucht werden. Ein anderer Miffionsverein wendet fich den Negern zu und
hat an 500 Lehrer, die im Jahre i8ö8: 38.000 Schüler unterrichteten. Die See-
mannsfreunde haben feit ihrem zehnjährigen Befteben mehr als 100.000 Bücher
zur Belehrung und fittlichen Bederung der Matrofen angefchafft und vertheilt. Die
Einnahmen diefer Vereine find fehr bedeutend, wie zahlre'ch fie auch find. Es
zieht fich mit ihnen neben den Schattenfeiten, an denen es der amerikanifchen
Gefellfchaft nicht fehlt, ein vielfach verzweigtes Band eines wcrkthätigen Chriften-
thums, das auf Heilung der moralifchen Gebrechen der Bevölkerung gerichtet ift
und den eigentlichen Charakter der amerikanifchen Volksrepublik ausmacht.
England, das Mutterland der gefammten Vereinsorganifation, die Schöpfe-
rin der Confumvereine, der Producflivgenoflfenfchaft, der Einigungsämter u. f. w.,
hat fich mit gar nichts aus dem Leben feiner ArbeiterclafTen betheiligt. Möglich,
dafs man glaubte, die Inftitutionen diefer Art find längft in der ganzen Welt
bekannt, fie haben Bücher erzeugt, die eine Bibliothek bilden und unter ihren Auto-
ren Männer aller Nationen haben, möglich, dafs man glaubte, es laiTe fich für das
ganze Gebiet nichts Neues zeigen und es ift die Zeit vorbei, in welcher man der
Zukunft neue Bahnen zu fchaffen vermag, kurz nichts bot uns die Ausftellung und
es ift nicht unfere Aufgabe zurückzukommen auf die taufend Mechanikinftitute,
welche im Lande verzweigt find und von Taufenden von Arbeitern befucht werden,
zurückzukommen auf die Confumvereine aller Art, wie fie jedes Städtchen in
England befitzt, endlich auf die ProducflivgenofTenfchaften und auf die zahlreichen
Gewerkvereine, welche Arbeit und Er^vcrb erleichtern und zu befördern trachten.
Wünfchenswerth wäre es freilich gewefen, wenn die Ausftellung Veranlaflung
gegeben hätte, ein grofses Bild der Thätigkeit und Entwicklung Englands in
diefer Richtung zu geben. Wichtig wäre es vor Allem gewefen, wenn die neueften
Refultate der Einigungsämter, welche heute in Deutfchland und Oefterreich mit
aller Haft angeftrcbt werden, zur Darftellung gebracht worden wären. Wir muffen
uns begnügen, auf die Literatur zu verweifen.
Frankreich hat früher als andere Staaten auf dem Gebiete der Arbeiter-
frage Manches geleiftet. Es hat zuerft die Produclivgenoffenfchaften eingeführt
und damit gute Refultate erzielt. Auch auf der Ausftellung in Wien hat es mit
14 Dr. Carl Th. Richter.
zahlreichen Statuten und AusAveifen der Vereine und GenofTenfchaften fich bethci-
ligt. Neben den zahlreichen Statuten feiner gewerblichen Fachfchulen. die weii
bekannt und die in allen gröfseren Stiidtcn Frankreichs eingerichtet find,
neben feinen reichen, gut eingerichteten Zeichenfchulen, welche in Paris, in
Nantes, Evreux, Rochefort für mer, inCinguantin, in Reuen, Vichy und in anderen
Städten für Knaben und Mädchen eingerichtet find, und welche Frankreich mi:
einem Heere guter gewerblicher Zeichner ausrüften und in praktifcher OrtlnuUj;
für den Lehrling und ftrebfamen Arbeiter eingerichtet, ihre Unterrichtsll:un<Ien
auf den Abend verlegt haben, neben diefen Inftitutcn waren durch ihre Statuten
und Rechenfchaftsberichte noch vertreten, das ifraelitifche Confiflorium zu Paris
das auf Grund Rothfchild'fcher Stiftungen ein Waifcnhaus, Krankenhaus und Afyl
und ein Schutzhaus für ifrnelitifche Mädchen, auf Grund von Stiftungen Bifchof
heim's, eine Ausbildungsfchule für Mädchen und einem Schutzverein für Ari)eite
rinen verwaltet. Weiter erfchien die Gcfellfchaft der Kinderfreundc aus Pari^.
welche zu ihrem Zwecke die Unterbringung armer Knaben in die Lehre hat
Dann haben zahlreiche Schutzvercine aus Paris, wie Schutzverein für Lehrling^'
und in Fabriken arbeitende Kinder, die Schutzanflalt für junge Arbeiterinen m
Paris, die Gefellfchaft für die Erziehung von Knaben der Arbeitcrclaffe und zahl
reiche Waifenanftalten aus Paris und anderen Städten ^-Frankreichs ihre Rechen
fchaftsberichte ausgeflellt, bei denen eben nur zu bedauern war, dafs die Berichte
verfchloffen und Niemand anwefend war, um Auskunft zU ertheilen. Wir mülTen
uns begnügen, die Exiflenz zu conftatiren. Beachtenswerth war die von Grouh in
Vitry für Seine gegründete Waifenanftalt, in welcher die Kinder nach der Schult
in den Werkflätten und der Fabrik allmälig herangezogen und zu Arbeitern auN
gebildet werden. Der fchon während der Lehrzeit gewonnene Arbeitslohn deck:
alle Auslagen für die Erziehung des Kindes. Ueberhaupt haben die WaifenhäuJ'cr
ob privat oder öffentlich, auf Stiftungsvermögen ruhend oder von den Gemeimlcr.
erhalten, eine grofsc Aus- und Durchbildung für fich entwickelt und alle Con
feirionen ebenfo wie die vcrfchiedenen Gefellfchaftskreife haben ihre befonderen
Afyle und Waifenanftalten.
Die franzöfifchen Arbeitervereine haben fich an der Ausheilung nicb:
betheiligt, was jedenfalls zu bedauern ifl, da in Frankreich alle Arten von Arbeiter-
gcnoffenfchaften und Vereinen einen guten Boden gefunden haben. Es wäre ganz
wichtig, bald zu erfahren, wie weit diefe Vereinigungen fich feit der Zeil ent
wickelt haben, als dieEinmifchungen des napoleonifchcn Regiment fich abfchwäch
ten. Freilich ifl es bekannt, dafs nur die polizeiliche Einmifchung dauernd Stati
hatte, denn mit Stolz haben dic.Parifer Arbeiter jede materielle Unterflützun;^
von Seit-*n Napoleons, wie oft fie ihnen auch angetragen wurde, zurückgewiefeii.
Auch die franzöfifchen Induflriellen haben diefsmal nicht, wie im Jahre 1807
Bericht über die focialen Inftitutionen bei ihren Fabriken eingefchickt. Aber e>
i(l bekannt und die Inftitutionen von Mühlhaufen, heute freilich Deutfchlanä
angehörend, haben feit langen Jahren den Ruhm franzöfifcher Induflriellen uml
ihrer Sorge für die Arbeiter erhalten. Jedes grofse EtablifTement, wir erinnern
nur an Schneider's Eifengewerke von Creuzot, jedes EtablifTement hat in Frank-
reich für feine Arbeiter Schulen, Krankencaffen, PenfionscafTen u. f. w. einge-
richtet. Die hundertjährige Gleichheit der Bürger Frankreichs vor Recht und
Gefetz, die Ausgleichung der gefellfchaftlichen ClafTen, welche einen Standei»
unterfchied und am wenigflen den zwifchen Arbeiter und Herren fchon lange
nicht mehr kennt, hat diefe wohlthätige und fegensreiche Entwicklung unterftützi
und befördert. Sicherlich kann nichts die gefellfchaftlichen Zuflände Frankreichs
befTer beleuchten, als eine Cicfchichtc des Arbeiterflandes und feines Lebens und
feiner Entwicklung. Wir können nur bedauern, dafs die Wiener Weltausflellung
eine folche nicht gebracht hat, denn trotz aller focialen Politik, alles Socialis
mus bis zum Kathederfocialismus haben gerade wir auf diefem Gebiete noch
viel zu lernen und viel zu vergeffen. Ebenfo wenig wie Frankreich vollfländig, hat
Die focial-ökonomifchen Bildungsmittel. 15
Belgien von feinen zahlreichen focialeninftitutionen irgend Etwas zur Ausftellung
gebracht und doch hat das Land, wie bekannt, die Summe aller Fragen der Ent-
wicklung und des Wohlfeins der arbeitenden Claffen genau ftudirt und in die
Praxis eingeführt. Auch die Schweiz hat uns nur mit einzelnen Statuten feiner
Gefangs vereine und einzelner wiffenfchaftlicher gemeinnütziger Gefellfchaften
ausgezeichnet.
Dagegen hat Schweden eine Reihe von Berichten und Statuten, die durch
den vorzüglichen Katalog in der vorzüglichften Weife erläutert waren, gefandt,
aus denen wir erkennen, wie reich heute alle Anregungen des Lebens und der
Wiffenfchaft in diefem Lande ihre Früchte reifen. Zumeift beziehen fich diefe
feine Anftalten auf das weibliche Gefchlecht und die Entwicklung der Erwerbs-
fahigkeit desfelben. Es lagen auf die Statuten und der Bericht der weiblichen
Volks-Hochfchule in Samuelsberg, welche, fo neu fie ift, denn fie wurde 1870 erft
gegründet, doch einen gerade für uns Oefterreicher beherzigenswerthen Gedanken
enthält. Was thun wir denn für die Entwicklung des weiblichen Gefchlechtes }
Was haben wir gethan für die Schulbildung und literarifche Erziehung desfelben?
Nichts, gar nichts! Kaum dafs die Privatthätigkeit, die Thätigkeit einzelner Ver-
eine, auf die wir weiter unten zu fprechen kommen werden, die Fragen, welche
fich hiebei aufwerfen> annähernd geprüft haben. Und in dem kleinen Schweden,
mit etwas mehr als 4 Millionen Seelen, bei welchen freilich das weibliche Gefchlecht
etwas überwiegend ift, fehen wir in dem oben genannten Inftitute eine Schuie,
welche den Zweck hat, unter den Töchtern desBauernftandes eine höhere Bildung
zu verbreiten, gute Mütter und Erzieherinen aus ihnen zu bilden. Man lehrt
fie Religion , die heimifche Sprache, Gefchichte und Geographie, Arithmetik
und Geometrie, Buchführung. Naturlehre und Zeichnen. Zahlreiche Arbeits- und
N ähfchulen für Kinder der ärmeren Claffe fmd über das Land verbreitet, in
welchen unentgeltlich Unterricht im Spinnen, Weben, Nähen, Zeichnen, Stricken,
Häkeln und Strohflechten ertheilt wird; zahlreiche Haushaltungs-Schulen, für
deren Zwecke wir bei uns nicht einmal eine Unterrichtsftunde haben, erziehen
dem Lande taugliche Dienftboten, gute Arbeiterinen, felbft Lehrerinen und
endlich gute Hausfrauen. In Stockholm hat eine folche Anftalt 295 Mädchen in
letzter Zeit Unterricht, Unterhalt und Pflege gegeben. Dazu kommen die foge-
nannten Kinderheine, welche gleichfalls ihre weiblichen Schützlinge zu Diene-
rinen ausbilden, dann die Flickfchulen, von denen in Stockholm allein 4 mit 16
freiwilligen Lehrerinen und die Sonntags- und Abendfchulen, in denen ärmere
Kinder von den Töchtern der gebildeten Claflen unterrichtet werden. In Stock-
holm dürfte die Zahl der Lehrer und Lehrerinen an diefen Schulen 140 und
die Zahl der Zöglinge 2000 betragen. Aus diefem guten, gemeinnützigen Körper
fehen wir die tüchtigen weiblichen Lehrer und Künftler hervorgehen. Die «Zeit-
fchrift für die Familie" ift von Damen redigirt, unter den Medailleuren ift eine
Frau die gefchicktefte und bei der königlichen Münze in Stockholm angeftellt.
Bei der königlichen Akademie der WifTenfchaften leiten Frauen die einzelnen
Abtheilungen, fo die zoologifcheund geologifche Abtheilung, auch führen Frauen
die Rechnungen der Akademie. Eilf Frauenzimmer find als Gehilfinen beim
Zeichnen in der Anftalt für Kartenwerke in Stockholm befchäftigt. AlsOrganiften
find 4, als Telegraphiften 168 und als Poft-Stationsvorfteher 38 Frauenzimmer im
Stasttsdienfte. Faft in allen Gewerben ift das weibliche Gefchlecht vertreten und
es gibt weibliche Uhrmacher, Goldfchmiede, Buchbinder, Glafer, Drechsler
u. f. w. Und wir quälen uns erft mit der Entfcheidung der Frage ab, ob das weib-
liche Gefchlecht zur Bildung und zur Wiffenfchaft berufen fei ! Wir wiffen nicht,
ob man für die gewerbliche Entwicklung Schulen errichten foll, und ob es nütz-
lich fei, dem weiblichen Gefchlechte Erwerbsquellen zu eröffnen.
Deut fc bland, die Quelle des Socialismus nach feiner glücklichen, wiffen
fchaftlichen und praktifchen Ausbildung hat wie in Paris 1867 auch in Wien 1873
für das ganze Gebiet unferer Betrachtung nichts geliefert. Wohl hat Deutfchland
2
16 Dr. Carl Th. Richter.
zumeift durch Süddeutfchland einzelne Arbeiten der Frauenvereine zur Ausilellung
gebracht, und wir können daraus wohl erkennen, dafs man nicht ganz vergqflTen
hat, die freilich auch in der Gruppenordnung nicht felbflftändig bedachte Frage
zu vertreten. Aber diefe einzelnen Arbeiten, welche die württemberg'fche
Commiffion für die gewerblichen Fortbildungsfchulen, von denen 50 in Württem-
berg beftehen, die Arbeiten, welche der Vorftand des badifchen Frauenver-
eines und das Comit^ ähnlicher Vereine in Darmlladt zur Ausftellung gebracht
haben, können wohl ein Bild geben, wie Unterricht und Erziehung wirkfam find.
Keineswegs aber , wie diefe Anftalten organifirt und in welcher Weife ihre
Benützung durchgeführt ifl. Der Berliner Handwerkerverein unter dem Präfidium
des bekannten Volksmannes Franz Dunker hat die Grundriffe feines Vereinshaufes.
einige Zeichnungen der Schüler feiner Erziehungsanflalten und eine Sprachlehre
mit einzelnen ausgewählten Lefeflücken vorgelegt. Dafs diefer Verein einer der
älteften, gröfsten und nützlichflen Vereine für die Entwicklung des Arbeiter
llandes ift, dafs diefer Verein zahlreiche andere gleiche Inflitutionen angeregt
hat, dafs er ein einigendes Band ifl für den tüchtigen und ftrebfamen Hand-
werker, das konnte man aus der Ausflellung nicht errathen. Bei diefer geringen
Betheiligung kann man eben nur fagen, dafs man feiten weifs, wie Ausflellungen
der idealen Bildungsmittel, des geiftigen Lebens der Menfchheit durchgeführt
werden follen. Wir können heute ganz beftimmte Antwort darauf geben, nachdem
die additionelle Ausflellung der Frauenarbeiten, wie fie Oeflerreich muflergiltig
dargeflellt hat, praktifch zeigte, wie folche Ausflellungen gemacht werden follen.
Wir werden darauf gleich zurückkommen. Bei der Grofsartigkeit einzelner
focialer Inflitutionen fragen wir uns aber, wo denn jene Ausflellungsgegenüände
geblieben find, die fchon in Paris 1867 fo viel Aufmerkfamkeit erregten, die als
ein grofses Ganzes einer Arbeiterfladt auch leicht und höchfl intereffant hätte
dargeflellt werden können. Wir meinen die Arbeiterfladt Mühlhaufen. Zwifchen
Mühlhaufen und Alternach an den beiden Ufern des Canales um die Stadt, in
unmittelbarer Nähe der Fabriken liegt jene von Blumen und Bäumen gefchmückte
Arbeiterfladt, in der fich, ein Zeichen deutfchenGeifles, trotzdem die ganze Anlage
unter dem napoleonifchen Regiment gefchaffen worden ifl, in der fich Bäder und
Wafcheinrichtungen, Bäckereien und auf den Grundfatzen der Confumvereine
errichtete V^erkaufslocale, die Bibliothek, eine vorzügliche Kinderbewahr-Anflalt
von den Frauen der Fabrikanten geleitet, eine Garküche für die unverheirateten
Arbeiter, ein Hofpital, ein Invalidenhaus u. f w. befindet. Nichts von Alledem
war zu fehen.
InähnlicherWeifehates Oeflerreich gehalten und nicht ein Statut, nicht
eine gemeinnützige Anflalt, nicht einen Verein oder eine Genoffenfchaft konnten
wir auffinden. Nur die Kindergärten waren mit einzelnen Statuten, einzelnen
Spielen und Arbeiten vertreten. So wenig wie inDeutfchland man die flatiflifchen
Berichte über die Entwicklung des Genoffenfchaftswefens von Schulze-Delitzfch fin
den konnte, fo wenig fand man in Oeflerreich die vortreffliche Arbeit über das
Genoffenfchaftswefen von Dr. John, (Prag 1870). Nur der allgemeine Beamten-
verein, jenes grofse, Oeflerreich ganz originell angehörige Werk, hatte feine
Statuten und einen Rechenfchaftsbericht vorgelegt Wir können hier nur darauf
verweifen, und müfsten ein Buch fchreiben, wollten wir die Bedeutung diefes
grofsartigen, genoffenfchaftlichen Unternehmens des Weiteren kennzeichnen.
Man mufste die Unterrichtsabtheilungen verlaffen , die einzelnen Pavillons
unferer grofsen Bahnen auffuchen, um zu wiffen , dafs in Oeflerreich gar viel
befleht, was Zeugnifs ablegt von der glücklichen Erkenntnifs, dafs das Wohl
der unteren Volksclaffen insbefondere der Arbeiter die Grundlage für Wohl-
fein und Gedeihen der Wohlhabenden und Reichen ifl. Es ifl bekannt, dafs
das grofse Etabliffement Johann Liebig & Comp. Vieles für feine Arbeiter
gefchaffen hat durch Schulen, Kinderbewahr-Anflalten, vorzüglich eingerichtete
Küchen- und Krankenpflege, wobei jedem Arbeiter während der Krankheit die
Die focial-ökonomifchen Bildungsmittel. 1 (
Hälfte des Lohnes fortgezahlt, die ärztliche Behandlung und die Verabrei-
chung der Medicamente auf Koften des Arbeitgebers geleiftet wird. In ähnlicher
Weife, ja viel bedeutender noch hat die beftrenommirte Firma Philipp Haas &
Söhne bei ihren grofsen und weit verzweigten Fabriken durch Wohnungen,
Kranken-, Penfions- und Aushilfscaflen für ihre Arbeiter geforgt. Wir hören
diefs bei der Berichtigung der Ausftellung Liebig's, oder bei der Betrachtung
der glanzvollen Ausftellung von Philipp Haas & Söhne. Zu fehen war freilich
nirgends Etwas.
Nur, wie bereits erwähnt, in den Pavillons unferer grofsen Eifenbahn-
Gefellfchaften war auf die vorliegende Frage Rückficht genommen. So hat
die Südbahn ein Approvifionirungsmagazin für die Familien der untergeord-
neten Beamten und Diener eingerichtet, aus welchen diefelben Waaren aller
Art zu niedrigeren Preifen, beiläufig 20 Percent niedriger als die gewöhnlichen
Preife und in befter Qualität und mit zahlreichen Erleichterungen der Bezahlung
beziehen können. Der jährliche Umfatz diefes Magazines beträgt heute 200.000 fl.
Die Einkäufe werden auf Grund von Einfchreibebücheln beforgt, nach denen der
Arbeiter feinen Bezug vom Lohne abzahlt oder befier vom Abzüge vom Lohne
deckt, der kleinere Beamte verpflichtet ift, fünf Tage nach Empfang feines Gehaltes
feine Rechnung zu bezahlen. Aufserdem hat die Gefellfchaft ein Afyl gegründet,
welches zugleich als Kinderfpital benützt werden kann. Eine Schule, nach den
neueften Plänen erbaut und reichlich mit allen Hilfsmitteln verfehen, gewährt nach
drei Claffen Knaben und Mädchen vom 6. bis zum 14. Lebensjahre Unterricht.
250 Kinder haben feit den letzten zwei Jahren Unterricht genoffen. Diefes Afyl
und Schulhaus ift mit der Arbeitercolonie und der Haupt-Werkftätte in Marburg,
wo beiläufig 1000 Arbeiter befchäftigt werden, verbunden. Auch in Meidling bei
Wien ift in neuerer Zeit ein Afyl zur unentgeltlichen Aufnahme von Kindern im
Alter von zwei bis fieben Jahren errichtet worden. Es befteht daneben auch eine
Kranken- und UnterftützungscafTa , welche die Gefellfchaft reichlich dotirt und
eine befonders geordnete Krankenpflege , welche von barmherzigen Schweftern
geleitet wird. Diefelben leiten auch das Afyl und die damit verbundene Schule
für gröfsere, bereits fchulpflichtige Mädchen. Die Arbeiten diefer Schule werden
verkauft und der Erlös den betreff'enden Mädchen in der Sparcafl"a fruchtbringend
angelegt. Die Gefellfchaft wird nun auch einen Invaliden-Penfionsfond und eine
Witwen- und Waifen-Unterftützungscaffa fiir Werkftätten-Arbeiter, bei welcher
der Fond durch eine dreipercentige Einzahlung jedes Profeffioniften von dem
Lohne desfelben und durch eine Prämienbildung, welche die Gefellfchaft im
Betrage von 6000 fl. zahlt, gebildet wird, ins Leben rufen.
In ähnlicher Weife hat die öfterreichifche Nordweftbahn für ihren Be-
amtenkörper geforgt. Er befteht aus 6000 Köpfen und bietet gev/ifs fchöne
Aufgaben für die Sorge der Direcftion. Wir lafTen die einzelnen Anftalten in
kurzer Befchreibung folgen.
Das Penfionsinftitut der Gefellfchaft fiebert jedem Bedienfteten
gleich bei feinem Dienftantritte für den Fall feiner fofortigen definitiven Auftei-
lung oder fobald er eine folche nachträglich erlangen follte, unter den im
Penfionsftatute aufgeführten, mit der gröfstmöglichften Milde interpretirten Bedin-
gungen, Jahrespenfionen und Unterftützungen zu Der unter der Controle eines
Comit6s aus gewählten Mitgliedern der Penfionsberechtigten der Bahn verwal-
tete Penfionsfond beftand nach dem JahresabfchlulTe für 1872 aus 262.280 fl.
24 kr. Um den Bahnbedienfteten in Erkrankungs- und Verletzungsfallen durch
Beifchaffung unentgeltlicher ärztlicher Hilfe, durch unentgeltliche Verabreichung
von Medicamenten und chirurgifchen Apparaten, dann durch Behändigung von
baaren Geldbeträgen Unterftützung zu gewähren, wurde weiters ein Kranken-
unterftützungs-Inftitut errichtet, defl"en Einkünfte aus den in den diefs-
bezüglichen Statuten, welche auch über den Gefammtorganismus diefes Inftitutes
Auskunft geben, näher fpecificirien Einnahmspoften beftehen.
2*
J 8 Dr. Carl Th. Richter.
Die wohlthätigen Intentionen desfelben werden in immer weiteren Kreifen
des Beamtenkörpers gewürdigt; Zeuge deflen der fchon in namhafter Anzahl
erfolgte Beitritt von freiwilligen Mitgliedern. Ende 1872 betrugen für beide
Bahnen: das Vermögen des Kranken-Unterflützungsfondes 41.295 fi. 59 kr.; die
Einnahmen des Inflitutes im Jahre 1872: 45.392 fl. 71 kr.; die Ausgaben
29.596 fl. 67 kr.
Zur gegenfeitigen Unterllützung bei Todesfällen hatte fich bereits im
Jahre 1867 und zwar aus felbfteigener Initiative aus Bedi endeten der Süd-nord-
deutfchen Verbindungsbahn ein St erbe c äffen -Verein gebildet, welcher fich
fchon über das gefammte Bahnnetz ausgebreitet hat. Derfelbe verfolgt den Zweck,
beim Ableben eines Mitgliedes feinen Hinterbliebenen zur Beftreitung der durch
diefen Todesfall auflaufenden höheren aufsergewöhnlichen Auslagen eine Unter-
flützung zu gewähren. Diefer Verein zählte im Jahre 1872 : 1469 Mitglieder
bei einer Gefammteinnahme von 2900 fl. und hat während der Dauer feines
Beftandes nahezu Hundert Familien unterftützt.
Der Spar-, Vorfchufs- und Äff ecuranzf ond „Grofs-Ritt ers-
haufen" befteht, um feinen Mitgliedern durch Uebemahme verzinslicher Einlagen
Gelegenheit zur Anlage von Erfparniflen zu bieten ; denfelben durch Verwendung
der disponiblen Fonds Vorfchüffc zu ertheilen ; ihnen Lebensverficherungen bei
vertrauenswürdigen Affecuranzgefellfchaften zu vermitteln und die Leiflung der
Prämien möglichft zu erleichtem; die Rechte feiner Mitglieder gegen die betref-
fenden Aflecuranzgefellfchaften zu vertreten. Mit Schlufs des Jahres 1872 nun
fafste diefer Verein eine Mitgliederzahl von 1073 Köpfen mit einem verficherten
Capitale von 1.048.470 fl. i kr., wofür 26.791 fl. 28 kr. an Prämien erlegt wurden.
Für Todesfälle der Jahre 1871 und 1872 wurde an verficherten Capitalien der
Betrag von 23.000 fl. ausbezahlt.
Der höchfle der ertheilten Vorfchüfl*e betrug 1600 fl., der kleinile 20 fi.,
und repräfentirte das durch Ertheilung von Vorfchüflen vom Fonde erworbene
Vermögen mit Ende 1872 den Betrag von 14.613 fl. 58 kr.
Solche Inftitutionen find auch bei den anderen Eifenbahn-Gefellfchaften
eingeführt, fo bei der Staatsbahn, der Nordbahn undClifabethbahn. Auch die
Donau - Dampffchiff'fahrts - Gefellfchaft , die erfle in Oefterreich als Mufter für
alle anderen ähnlichen Inftitutionen, hat in der Kohlen - Bergwerks - Colonie zu
Fünfkirchen, ebenfo wie in PeftOfen bei der gröfsten Schiff'swerfte des Conti
nentes zahlreiche fociale Inftitutionen ins Leben gerufen und man konnte darüber
in dem fchönen Pavillon der Gefellfchaft belehrende Auskunft erhalten. Im
Jahre 1857 gründete die Bergverwaltung zu Fünfkirchen ein grofses Waarenmagazin
und richtete dasfelbe nach den Ideen der Confumvereine ein. Die Colonie ver-
zehrte damals 6000 Centner Mehl , wonach man leicht die übrigen Bedürfnifl"e
meffen und den Gewinn des Waarenmagazins berechnen kann. Im Jahre 1871
wurden 9269 Centner Mehl, 456 Centner Speck, 315 Centner Fett, 123 Centner
Seife u. f. w. confumirt. Bei einer Bevölkerung von 2772 Seelen'. Das Confum-
magazin erzielte damit einen Umfatz von 160.000 fl. und war im Stande, an die Mit-
glieder nach Abzug von 5 Percent für gemeinnützige Zwecke 7 Percent des durch-
fchnittlichen Faflungsbetrages, alfo 11. 136 fl., zu vertheilen. Mit dem Gewinnfte
aus dem Magazin hat fich die Arbeiterbevölkerung eine Kirche erbaut, deren
Pfarrer die Gefellfchaft wieder unterhält , dann wurde eine Kleinkinder-Bewahr-
anftalt gefchafi'en und in Verbindung wieder mit der Gefellfchaft eine Schule, die
befte jedenfalls in ganz Ungarn, nach ihrem Baue und nach ihrer Einrichtung,
welche 19.000 fl. gekoftet hat. Die Gefellfchaft felbft baute ein Spital mit 40 Betten,
einer Apotheke, einem Secirzimmer und einer Wohnung für den Krankenwärter.
Die Einrichtung hat die Bruderlade beforgt, ebenfo wie diefe ein Vergnügungs-
local mit Gefellfchaftsräumen gegründet und endlich im Jahre 1870 und 1871 eine
viergängige Dampfmühle, welche die Colonie in der Nacht durch eine 900 Klafter
lange Waflerleitung mit Wafl'er verforgt und am Tage Mehl für die Colonie und
Die focial-ökonomifchen Bildungsmittel. 19
Umgebung erzeugt. Diefe Dampfmühle ift bei Tagesarbeit allein im Stande, per
Jahr mehr als 20.000 Centner Mehl zu liefern. Ferne von der grofsen Cultur-
flrafse unferes heutigen Lebens hat deutfche Arbeit diefes fchöneWerk gefchaffen,
welches uns in der That überhebt, in der Fremde nach Beifpielen zu fuchen für
die focialiftifche Bewegung und deren Hilfsmittel für das Wohl der einzelnen
Volkjclaffen. Wir kommen bei der Betrachtung der Arbeiterhäufer noch auf die
Gefellfchaft zurück und wollen am Schluffe noch der fchon einmal erwähnten
Frauen-Erwerbvereine, die in fo rühmlicher Weife den Pavillon derFrauenarbeiten
mit einer höchft bedeutenden Ausftellung gefchmückt haben, gedenken.
Seit längeren Jahren bewegt die Frage der Erziehung des weiblichen
Gefchlechtes und der Entwicklung der Erwerbsfahigkeit desfelben einzelne ftreb
fame Männer der Wiffenfchaft und hochbegabte Frauenkreife. Die Regierung
felbft hat nach diefer Richtung wenig oder eigentlich nichts gethan. Die Gemein-
den haben fich bemüht, die Volks- und Bürgerfchule durch die Töchterfchulen zu
entwickeln, einzelne Klöfter haben durch ihre Schulen, zum grofsen Theile auf
praktifche Ziele gerichtet, die Entwicklung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen
Gefchlechtes ins Auge gefafst. Bei den Gefangniffen für weibliche Sträflinge hat
man defsgleichen die Befferung derfelben durch Arbeit ins Auge gefafst und fucht
durch wirthfchaftliche Erziehung die Liebe zur Arbeit und zum geordneten und
regelmäfsigen Erwerbe zu entwickeln. Alle diefe Anftaken mit dem ganzen
Schwann derfchlechten und fchlechterenPrivatanftalten, welche das wenig bebaute
und von der Regierung ganz vemachläffigte Feld der weiblichen Erziehung und
höheren wirthfchaftlichen wie wiffenfchaftlichen Ausbildung ausbeuten, fie haben
fich an der Ausftellung der weiblichen Arbeiten mit wahren und trügerifchen
Leiftungen betheiligt und damit verfucht, ein Zeugnifs zu geben von der Bildungs-
und Arbeitstüchtigkeit des weiblichen Gefchlechtes in Oefterreich. Mit wahrem
Glänze traten an die Spitze diefer Ausftellung die beiden grofsen Frauen-Erwerb-
vereine von Wien und Prag, von denen die Vereinsmitglieder des erfteren, die
umfichtige Frau von Schrötter, die thatkräftige und fleifsige Priska von Hohenbruck.
die gelehrte Do<5torsgattin Endres und A. Koppel es übernommen hatten, die
Ausftellung der Frauenarbeiten zu ordnen und zu leiten. In der Grenze unferes
Berichtes bleibend, haben wir uns nicht um die einzelnen ausgeftellten Arbeiten
zu kümmern und verweifen dafür auf den Bericht von Baronin Roditzky. Uns
kümmert nur der Verein felbft, die Organifation desfelben und feine Bedeutung.
Der Wiener Frauenerwerb-Verem, im Jahre 1865 gegründet, verfügt heute
durch Mitgliederbeiträge, Sammlungen und Gefchenke über ein fehr bedeutendes
Capital und dürfte demnächft in fein eigenes Haus, ^den Frauen und der F'rauen-
arbeit gewidmet", einziehen. Er hat heute eine grofse Handelsfchule, welche von
77 Schülerinen, eine Vorbereitungsfchule, die von 18, eine Zeichnenfchule, die
von 81, eine grofse Arbeitsfchule für weibliche Handarbeiterinen, die in Summa
1872 von 409 Schülerinen befucht wurde. Ein Telegraphencurs hat feit den
letzten zwei Jahren 79 Schülerinen gehabt. Die gefchäftliche Seite des Vereines
wird theils durch die Uebernahme von Arbeiten, theils durch felbftftändige Arbei-
ten der Schülerinen, die in einem befonderen Gefchäftslocale in Vertrieb
gebracht werden, vertreten. Im Jahre 1872 belief fich das Vermögen des Vereines
auf 16.650 fl. 75 kr., die Ausgaben nur auf 8526 fl. 13 kr. Das ift eine Organi-
fation, welche von dem Prager Frauenerwerb-Verein, der keine fo reichen Mittel
hat, angeftrebt wird und in kleinerem Mafsftabe auch erreicht ift, von keinem
anderen ähnlichen Inftitute in ganz Deutfchland auch nur annähernd erreicht wird.
Sie fteht mitten im praktifchen Leben und hält die idealen Ziele der wiflenfchaft-
lichen Ausbildung feft im Auge. Der Prager Frauenervverb-Verein im Jahre 1869
gegründet, vertritt alle Richtungen, Schulen und gefchäftlichen Abfichten, wie der
Wiener Frauenerwerb-Verein. Nur ift er, den kleineren Verhältniffen der deutfchen
Bevölkerung entfprechend, der Zahl der Schülerinen nach und feinen Mitteln
kleiner und begrenzter. Die Handelsfchule mit dem Vorbereitungscurs zählte
20 Dr. Carl Th. Richter.
1872 : 80 Schülerinen, die Arbeitsfchulen zufammen 146. Die Ausgaben betrugen
3370 fl. Das Vermögen betrug 8322 fl. 26 kr.
Diefe Vereine nun haben, von dem Wiener Frauenerwerb-Verein geleitet,
eine,fo vorzügliche Ausftellung durchgeführt, dafs man an ihr lernen konnte, wie
Ausheilungen von Vereinen gemacht werden follen. Der Unterricht in den
Schulen war fyftematifch aufgebaut durch ftatiflifche Tabellen über den Schul-
befuch, die Stundenzahl und Stundeneintheilungen und flieg allmälig, die Unter-
richtsordnung felbft repräfentirend, hinauf bis zur Veranfchaulichung der Refultatc
des literarifchen und praktifchen Unterrichtes. Neben den Arbeiten der Nadel
und der Mafchine, in denen der Wiener Frauenerwerb-Verein fehr Bedeutendes
leidet, fah man die Schreibhefte der Vorbereitungscurfe, die Gefchäftsbücher der
Handelsfchulen, wobei der Prager Frauenerwerb-Verein, unterftützt durch die
i^eringere Zahl der Schülerinen, Vorzügliches gefchaffen hat. Erfk in diefem
Kreife der Ausftellung entwickelte fich die Malte der Ausftellungsgegenftände,
welche doch immer eine feftgefchloffene Einheit in den Statuten und Rechenfchafts-
berichten, reich mit ftatiftifchem Material ausgerüftet, Leben und Bewegung
des Vereines zeigten.
Und fo follen diefe Ausftellungen von Vereinen welcher Art immer durch-
geführt werden. Einheit des Ganzen in Statuten, Rechenfchaftsberichten und
flatiftifchen Tabellen,* Entwicklung des Ganzen nach feinen einzelnen Theilen^
nach feinen nutzbaren Wirkungen durch veranfchaulichende Objeöle.
Die Arbeitervvohnungen.
Schon die Ueberfchrift, welche wir diefem ganzen Abfchnitte unferer
Betrachtung gegeben, zeigt, dafs es uns nicht darauf ankommt, über Fragen,
welche den Civilingenieur angehören, irgendwie uns des Weiteren zu ergehen.
Wir mülTen es auch dem Berichterftatter über Gruppe XXII „das bürgerliche
Wohnhaus", überlaflen, Vorzüglichkeit, Bequemlichkeit und Billigkeit von Bau
und Erhaltung bürgerlicher Wohnungen, foweit die Ausftellung dafür etw^as geboten
hat, zu berichten, ebenfo wie es ihm anheim fällt, über Schönheit und Zweck
mäfsigkeit der Einrichtung fein Urtheil abzugeben. Wir verfuchen auch keines-
wegs in das Gebiet der Gruppe XVIII hinüberzugreifen und bei einem einzelnen
Theile zu berichten, was dem Bau- und Civilingenieur-Wefen, dem Hochbau und
Wafferbau, den Induftriebauten und dem Culturlngenieurwefen angehört. Wir
wollen allein nach dem Ausgangspunkte, den wir in der Einleitung feftgeftcllt
haben, jene Mittel und fociale Inftitutionen kennzeichnen, welche die Ausftellung
uns geboten hat und die berufen find, das Leben der Arbeiter und der unteren
Volksclaffen zu verbeflern. Und hieher gehört in erfter Richtung die Frage der
Arbeiterwohnungen und Wohnhäufer, die überwiegend und fo bedeutend einen
humanitären Charakter hat, dafs dabei die eigentlich technifche Seite, das Inge-
nieurmäfsige, voUftändig verfchwindet. Und darum nehmen wir den Bericht für
uns in Anfpruch und wollen in Kurzem die Refultate der Wiener Weltausftelluni,
kennzeichnen.
Die angeregte Frage gehört mit zu den noch ziemlich neuen und bildet
einen noch keineswegs vollftändig entfchiedenen Theil der fogenannten focialen
Frage. Man ift ja heute über das Princip noch nicht einmal einig und ftreitet noch
hin und her, ob das Kafernenfyftem oder das Cottagefyftem das eigentlich lu
empfehlende fei. Man weifs alfo noch nicht einmal, ob die Frage der Wohnungen
und des Hausbefitzes blofs nach theoretifchen Grundfätzen und nach den Wün
fchen über das, was das befte ift, entfchieden werden foll oder ob dabei doch
auch die realen Verhältniffc, wie z. B. die Grund- und Bodenpreife, die Bau-
ordnungen u. f. w. beachtet werden mülTen. Es ift nicht unferc Aufgabe, diefe
Die focial-okonomifchen Bildunusmiitel. 21
Fragen des. Weitereu zu erörtern und wir können getrofl auf die grofse Literatur
derfelben, bis auf die fchönen Arbeiten von Emil Sax herauf und bis auf die Thä-
ligkeit des deutfchen vo 1 ks \vi r t hfch af t li che n C o ngreffes 1873, ^^^'
weifen. Weiter gehört das ganze Gebiet, wie wir fchon angedeutet haben, noch
der neueflen Zeit an und dürfte im Laufe der Zeit viele Wandlungen durchmachen.
Die Frage greift ja fo tief in die Ordnung des Lebens und der Familie ein, und
die geficherte Wohnung, der eigene Befitz i(l die Quelle des vollen Selbflbewufst-
feins, der Liebe und Anhänglichkeit nicht nur zum Haufe und zur Familie, fondern
auch zur Heimat und zur bürgerlichen Gefellfchaft. Sie ill eine Quelle der Ordnung
des häuslichen Lebens und zu gleicher Zeit der Ordnung der Gemeinde und
fomit auch des Staates.
Das hat man erkannt und wenigftens darüber ifl man einig, dafs es mit ein
Theil des Glückes und der Ordnung der bürgerlichen Gefellfchaft ift, wenn man
wenigftens dem Heere der Arbeiter eine lichte, luftreiche und gefunde Wohnung
bietet, F'acftoren, die alle um fo werthvoller find, je mehr der Befitz der Wohnung
zu einem Befitze des Haufes felbfl fich ausbildet. Und darauf kehrt auch zum
grofsen Theile der Zweifel zurück über die Vortheile des Cottagcfyflems und der
Kafernirung. Sucht das Erfle das Haus ifolirt oder aus Sparfamkeitsrückfichten
im Baumaterial in nur kleinen Gruppen von zwei oder vier Hriufern herzuftellen,
fo hat das Kafernenfyflcm den Plan des Zin'Shaufes für fich in Anfpruch genommen
und fucht bei der Menge der Wohnungen nur durch die Möglichkeit eines billigen
Miethzinfes den Bedürfniffen zu genügen. Das Cottagefyflem gibt unzweifelhaft
die Möglichkeit des eigenen Befitzes oder wenigftens des allmäligen Erwerbens
desfelben. Das Kafernenfyftem kann diefs niemals gewähren, aber es hat in gröfse-
ren Städten, bei Theuerung von Grund und Boden, von Arbeitsmaterial und
Arbeitskraft dennoch die Fähigkeit, eine billige und gute Wohnung dem Arbeiter
zu bieten. Dafs der Vorzug des Cottagefyftems, den Arbeiter und feine Familie
für fich leben zu lalTen, fomit unbehelligt und abgefchnitten von jedem näheren
Verkehre, ebenfo wenig von befonderer Bedeutung ift. als die Nachtheile des
Kafernenfyftems, den Arbeiter mit feinen Berufsgenoffen zufammen zu drängen,
und durch die Vereinigung der Arbeiter in einem Haufe Streit und Zerwürf-
nifs fich nothwendig bilden muffe, ift heute ein längft überwundener Standpunkt.
In Frankreich hat Napoleon III. in Paris mehrere foK'He Arbeiterkafernen errichtet,
ebenfo wie die Arbeiter felbft fich Arbeiter Zinshäufer gebaut haben, die keines-
wegs fchlechte Folgen erzeugten. Im Innern Londons beftehen defsgleichen mit
grofsem Capital erbaute Zinshäufer, wir erinnern nur an das in Albert Street,
Spitalstield in London für 60 Familien und mehr als 200 unverheiratete Arbeiter
errichtete Arbeiter-Zinshaus, das gleichfalls, fo lange es fchon befteht, immer
gefucht war und keineswegs zu Unruhen und Streit Veranlaflung gab. Auch
Oefterreich kennt derartige Inftitutionen. Die Arbeiter-Zinshäufer je für acht
Familien, welche Joh. Liebig in Reichenberg erbaut hat, find bekannt, ebenfo
die nach ähnlichen Gefichtspunkten erbauten Häufer auf dem Wiener Berge und
zur Wienerberger Ziegelfabriks-Acfliengefellfchaft gehörig. Wir haben uns oft
hier wie dort über den Frieden, über die Sauberkeit und Reinlichkeit unterrichten
lalTen. In neuefter Zeit hat die k. k. privilegirte Südbahn-Gefellfchaft in Meidling
bei Wien eine Arbeiterkaferne errichtet, die zur vollen Zufriedenheit der Gefell-
fchaft geleitet und benützt wird. Wir werden darauf noch des Weiteren zu
fprechen kommen.
Für das Cottagefyftem wird man nun freilich überall eintreten muffen, wo
Grund- und Bodenpreife, die Arbeits- und LohnverhältnilTe überhaupt, die Errich-
tung einzelner Arbeiterhäufer und den Uebergang derfelben in das Eigenthum
der Arbeiter möglich machen Seit Jahren ift dafür die Cite ouvri^re von Mühlhaufen
ein landläufiges Beifpiel, auch wa.s Schönheit. Nützlichkeit und Segen des ganzen
Syftems anbelangt, fo dafs gerade wir Oefterreicher ganz vergeiTen, dafs wir
22 Dr. Carl Th. Richter.
gleichfalls eine folche Arbeiterftadt haben, für welche die Grundfteine viel früher
gelegt worden find, als die zur Arbeiterftadt von Mühlhaufen.
Wir werden darauf zu fprechen kommen, denn es thut Noth, auch diefe
Inflitutionen bekannt zu machen, nachdem die Franzöfifche, deren Gründung faft
durchfchnittlich in den Anfang der fechziger Jahre fällt, längil bekannt ift. Guebe-
viller, Beaucourt, die Arbeiterhäufer der Eifen- und Kohlengewerkfchaft Creuzot
zählen gleichfalls hieher. Wir haben von alldem auf unferer Ausilellung nichts
gefehen.
England hat alle Mufter der Arbeiterhäufer bereits praktifch verfucht.
Neben feinen Arbeiterkafemen hat es Wohnhäufer für vier Familien, für zwei
Familien und hat diefelben theils in Gruppen, in welchen zwei Seiten gemein-
fam find, theils in folchen, in denen blofs eine Wand den beiden Häufern gemein-
fam ifl, errichtet. Auch Deutfchland hat fich feit Jahren mit .der Frage befchäftigt
upd auch zu jeder Ausfkellung Mufler und Modelle von Arbeiterhäufem und
Wohnungen gefendet. Praktifch aber ifl noch wenig gefchehen. Es fcheint, als
ob man zumeift für die grofsen Bevölkerungscentren in der Frage felbfl über Art
und Weife des Baues, über Lage und Entfernung vom Arbeitsorte noch nicht
entfchieden wäre. Es ifl in jenen Diftri<flen, wo Kohlenbau und Eifengewerke
betrieben werden, mancherlei, fowohl von Privaten und Gefellfchaften, ebenfo wie
vom Staate, wo derfelbe, wie z. B. in Saarbrücken zahlreiche Arbeiter befchäftigt,
gar Vieles gefchehen und man hat dabei in erfter Richtung die Wohnung und das
hillige Wohnen ins Auge gefafst. In einem Berichte über den Saarbrückner
Bezirk lag ein erläuternder Text mit mehreren Muflern von Arbeiterhäufem.
welche der Staat erbaut hat, auf, in welchen man wenigflens annähernd fah, dafs
in Deutfchland die Frage immer ins Auge gefafst wird.
Gehen wir nun zu den Erfcheinungen und den Material über, welches die
Weltausflellung gebracht hat. Wie England feit Langem die Arbeiterhäufer und
wie nach feiner praktifchen Richtung auch die Theorie mit gutem Grunde, wie es
überhaupt bei der Behandlung der Frage gehalten werden foUte, die Arbeiter-
häufer in folche auf dem Lande und in folche in den Städten eintheilt, fo muffen
auch wir von Vorneherein über diefe dadurch beftimmte Richtung der Arbeiter-
häufer einige Worte voraus fenden.
Vor Allem gilt, dafs das bei dem Baue der Arbeiterhäufer benützte Mate-
rial immer von den VerhältnilTen beftimmt wird, und dafs es demnach nothwendig
ifl, immer das billigfte Material zu benützen. Dabei ifl wohl zu bedenken, dafs
die Billigkeit des Materiales nicht allein vom Material felbfl, und dem mehr oder
weniger grofsen Reichthum eines Ortes an denfelben oder durch die leichtere
Beifchafifung beflimmt wird, fondern dafs die entfcheidenden Fa<floren dabei, die
Arbeiter und der Arbeitslohn, Länge und Dauer der Bauführung, von befonderer
Wichtigkeit ifl. Das hat ja neben der Trockenheit und Feuerficherheit des Mate-
riales in England, Frankreich und auch in Deutfchland das Gufs Mauerwerk und
die Verwendung desfelben, zumeifl bei jenen Bauten, wo Billigkeit und Schnellig-
keit der Herflellung in erfler Richtung flehen, befördert. Die Berechnung ergibt,
dafs derartige Häufer um 30 bis 40 Percent und bei der gleichzeitigen Herflel-
lung von mehreren, fogar noch um viel mehr billiger zu flehen kommen, als die
nach anderem Baufyfleme erzeugten. Die Ausflellung hat leider von diefen Ver-
fuchen der letzten Jahre nichts zur Anficht gebracht, wie wichtig auch die Sache
für grofse Fabriken und dichte Arbeiterbevölkerungen fein mag. Der Berliner
Baumeifler E. H. Hoffmann hat wohl ein Modell eines Haufes zur Ausflellung
gefandt, das bei der Steltiner Portland-Cementfabrik in Zillchov aus Cement-
concret hergeflellt worden ifl, bei welchem aber jede Angabe über die Koflen des
Baues fehlte. Ein anderes, nicht unintereffantes Modell eines Arbeiterhaufes war
von E. G. Jaehne, Arzt in Berthelsdorf bei Herrenhut ausgeflellt, das freilich
nicht zu der heute in England und Frankreich geübten Baumethode gehört, das
aber durch feine überrafchende Billigkeit und die Zeit, in der das einenStock hohe
Die rociai-okonomifchen Bildungsmittel. 23
Haus aufgeführt werden kann, fehr auffiel. Es ift aus Backdeinen gebaut und foU
in drei Monaten herftellbar nicht mehr als 800 Thaler koften.
Was im Uebrigen das Material anbelangt, fo wird der Backllein oder der
Bruchftein und neben dem Stein das Holz für Stiegen, Deck- und Riegelwände
verwendet und natürlich dabei immer die gröfste Oekonomie in den Baukoflen
angeftrebt werden müflen. Unfere Baugefetze und Bauverordnungen hemmen in
der That fehr die Entwicklung der Billigkeit und Schnelligkeit des Baues und
haben noch viel nach diefer Richtung hin an fich felbft zu reformiren.
Gehen wir nun zu den einzelnen Ausftellungsobje<flen über, fo muffen wir
von Vorneherein geliehen, dafs gegenüber dem Reichthum von Arbeiterhäufem
und Wohnungen in Paris 1867 in Wien fehr wenig zu fehen war.
Für England waren die Gefellfchaften zur Verbefferung der Lage der
arbeitenden Claffen aus London, dann die Improved Induflrial Dwellings Com-
pany, welche fchon in Paris mit ihren Arbeiterhäufem vertreten waren und die
neben anderen Gefellfchaften in und um London, Wohnungen für die arbeitenden
Claffen, Arbeiter-Zinshäufer für zwei, vier, oft auch bis zwanzig und fechzig Fami-
lien erbauen, erfchienen , und hatten auch in Wien verfchiedene Typen in Zeich-
nungen und Modellen, nacH denen die neugebauten Häufer für Familien und
ledige Arbeiter errichtet worden find, ausgeflellt. Die erflere Gefellfchaft hat in
den 10 Jahren ihres Beflandes 2,350.000 Gulden für Neubauten oder Adaptirun-
gen älterer Häufer ausgegeben und in 1268 Gebäuden 6000 Perfonen Wohnun-
gen gegeben. Auch die zweite Gefellfchaft, die mit einem Actiencapital von
2\'2 Millionen Gulden gegründet wurde, hat heute Arbeiterhäufer in London
errichtet, die fafl 2000 Perfonen beherbergen. Das Capital verzinfl fich beiläufig
mit 5 Percent.
Frankreich hat mit gar nichts diefsmal die Ausflellung befchickt, fei es,
dafs man nicht daran dachte, die Fürforge Frankreichs nach diefer Richtung hin zu
repräfentiren, fei es, dafs man nicht wollte, nachdem man die fchönfle Frucht der
Beftrebungen, Mühlhaufen, an Deutfchland verloren hatte.
Das kleine induflriereiche Belgien hat feit Jahren die Frage der Arbeiter -
häufer fludirt und für die Parifer Ausflellung 1867 hatte es mehrere Modelle der
verfchicdenflen Art zur Anficht gebracht. Es hat ja hervorragende Induftrielle und
zu gleicher Zeit Acfliengefellfchaften, welche mit der Errichtung von Arbeiter-
häufem fich befchäftigen. Dafs Belgien ein guter Boden für die Durchführung der
ganzen Angelegenheit ifl, das zeigt einmal die kräftig entwickelte Induftrie. der
Reichthum des ganzen Landes und die Tüchtigkeit der Gefellfchaft überhaupt.
Für die Wiener Weltausflellung hat Belgien nur einige Berichte und Statuten
gefendet. Ein Bericht fchildert das von der Kohlengrube Carbonnage du Haffard
in Micheroux für die Arbeiter gebaute Louifenhotel, in welchem 200 Perfonen
untergebracht werden können. Waflerleitung und Gasbeleuchtung find in dem
Gebäude eingeführt, Badeanflalten, Wafchanflalten und Trockenmagazine, dann
eine Bäckerei und ein Kaffeehaus, ein Magazin für Lebensmittel find in demfelben
eingerichtet, fo dafs in einem Haufe alle Bedürfniffe des Lebens befriedigt werden
können. Die Miethe ifl eine äufserft billige. Die Societe anonyme des maisons
ouvri^res, gegründet zu Li^ge den 21. September 1867, erklärt in ihrem Berichte
dafs fie nach dem Mufler der Mühlhaufer Arbeiterhäufer bereits vier Arbeiter-
viertel, jedes mit 30 bis 40 Häufem angelegt habe, und dafs die Nachfrage nach
Wohnungen eine eben fo grofse ifl, als das Gedeihen des ganzen Unternehmens
eine ungeahnte Entwicklung angenommen hat.
Die Niederlande haben einige Pläne und Modelle von Arbeiter-
wohnungen , welche in Haag von dem für Arbeiterwohnungen beftehenden
Vereine errichtet worden find, zur Ausflellung gefchickt, die nichts Befonderes
zeigen und den bekannten Mühlhausner Muflern nachgebildet find. Einen ande-
ren Plan hat Amfterdam eingefendet, nach welchem acht Familienhäufer ein
befonderes Arbeiterviertel bilden und neben einander erbaut werden. Für je ein
24 Dr. Carl Th. Richter.
folches Viertel ift eine gemeinfame Schule, und für das Kleingewerbe eine gemein-
fanie Werkftätte beigegeben.
Auch die Schweiz hat in Zeichnungen einzelne Arbeiterhäufer ausgeftellt,
wie fie in den induftriereichen Städten in Winterthur, Zürich und Bafel beftehen,
und auch in Genf durch die Societe corporative immobili^re errichtet find. Die
Häufer find durchwegs den befchränkten HedürfnilTen des Arbeiters entfpre-
chend, aber überaus wohnlich, nach ihrer inneren Ordnung und äufseren Äus-
fchmückung.
Wir brauchen übrigens, wie lieblich die Häufer im Bilde auch ausfahen,
keineswegs die Schweiz als Mufler hinzuflellen, als Mufter für die Verbindung
des Guten mit dem Schönen. Oefterreich hat dergleichen Mufterhäufer fowohl bei
Privatetabliffements, wie bei Actiengefellfchaften. Die ältefte Inflitution und
Mufteranftalt vertritt jedenfalls die Kohlenbergwerks-Colonie von Fünfkirchen.
Wir werden darauf zu fprechen kommen und erwähnen nur noch, dafs wir aufser
den oben angeführten Modellen photographifche Anfichten der von Heinrich
Ad. Meyer, Elfenbein-Händler in Hamburg, errichteten Arbeiterwohnungen
ausgeftellt fahen, welche durch die Schönheit des Baues, ebenfo wie die äufsere
Ausfchmückung fehr wohlthätig wirkten. Es find dabei zwei Arten von Arbeiter-
wohnungen benützt. Erftens Arbeiterwohnungen für Verheiratete, in denen je zwei
Familien unter einem Dache wohnen, und Arbeiterwohnungen,wo je vier Familien
zufammen wohnen und manchmal auch Unverheiratete.
Bei dielen Arbeiterwohnungen hat jedoch jede Familie ihren eigenen Ein-
gang und einen eigenen Garten, fowohl vor als hinter dem Haufe. Die beiden
Eckwohnungen jedes Complexes enthalten Parterre; drei Zimmer, Küche, Speifc-
kammer und Waflerclofet. Die beiden Mittelwohnungen ein Zimmer weniger, doch
kann hier der Hausflur während der wärmeren Jahreszeit das dritte Zimmer
erfetzen. Alle Wohnungen haben ferner eine Treppe hoch : ein Zimmer und
Bodenraum, der die Abtheilung einer Kammer geftattet, aufserdem einen kleinen
Keller, eine bedeckte Veranda an der Hinterfeile des Haufes und endlich Walter-
leitung. Sie find im Jahre 1866 erbaut und ein Complex von vier Wohnungen
koftete damals 5200 Reichsthaler. Der 900 Fufs tiefe Platz dazu 550 Reichs-
thaler. DieMiethe der Eckwohnungen ift 60 Reichsthaier preufsifch Courant, die
der Mittelwohnungen 48 Reichsthaler. Das Anlagecapital verzinft fich alfo nur
mit 3'/4 Percent.
Die anderen Arbeiterwohnungen find von den vorigen dadurch verfchieden,
dafs nur zwei Familien unter einem Dache wohnen, und dafs fie zwei Stockwerke,
alfo weniger Grundfläche, haben. Sie liegen etwas weiter von bebauten Strafsen
entfernt und konnten defshalb nicht mit Wafl"erclofets und Waflerleitung ver
forgt werden. Sie kofteten , obgleich fie ebenfo geräumig , wie die vorhin
befchriebenen Eckwohnungen find, ohne Hinzurechnung des Grundes, nur taufend
Reichsthaler preufsifch Courant per Wohnung, und tragen eine Miethe von
44 Reichsthaler. Der Ertrag ift alfo weniger günftig als bei den vorigen.
Wir kommen nun zu jener Thätigkeit, welche Oefterreich auf der Aus-
ftellung entfaltete und können von Vorneherein fagen, dafs das Land, wie nie
früher, mit vielen feiner Errungenfchaften auf dem focialökonomifchen Gebiete
hervorgetreten ift. In Paris 1867 waren blofs zwei Typen von Arbeiterhäufem zur
Ausftellung gekommen. Auf der Wiener Ausftellung dagegen betheiligte fich
Böhmen, Niederöfterreich, Steiermark und auch dasKüftenland; in diefen Ländern
wiederhaben anerfterStelle unfere grofsen Verkehrsanftalten beiläufig 50 Typen,
in Modellen und Zeichnungen zum Ausdruck gebracht. An der Spitze ftand die
CoUectivausftellung des deutfch-polytechnifchen Vereine? in
Prag mit 26 Ausftellern von Arbeiterwohnungen, wie fie von den Induftriellen
Böhmens, in erfter Richtung von der Actiengefellfchaft für chemifche und metallur-
gifche Producfle in Auffig, von einzelnen Induftriellen im induftriereichen
Gebiete von Tetfchen bis hinauf nach Rumburg und Wamsdorf, dann von der
Die focial-Ökonomifchen Bildungsmiitel. 25
öfterreichifchen Staatseifenbahn Gefeil fchaft für das Wohl und die Verbefferung
der Lage der Arbeiter errichtet worden find. Die Colonie der ö ft e rre i chifchen
Staat seifenb ahn Ge feil fchaft ift für die Kohlenarbeiter in Brandeifl
und Kladno errichtet und es ift dabei für Alles mitgeforgt worden. Schulen,
Kinderbewahr-Anftalten, Bade- und Wafchhäufer, Reftaurationen für die Arbeiter
find hier ebenfo wie bei den Arbeiterhäufem in Auffig eingerichtet. Es ift nur
zu bedauern, dafs der deutfch-polytechnifche Verein, der es hätte am leichterten
thun können, nicht für eine genaue Statiftik diefer Verhältniffe in Böhmen geforgt
hat. Was die Typen felbft anbelangt, fo boten fie nichts Neues und find theils
dem Mühlhaufener Syfteme nachgebildet, theils den Wohnungen für mehrere
Familien wie fie bei Liebig, bei Philipp Haas & Söhne und anderen in-
duflriellen Etabliffements bereits beftehen.
Gleich bedeutend wie diefe Ausftellung, vor Allem durch das beigegebene
Material der Benützung und der aufgelaufenen Koften war die Darfteilung der
Arbeitshäufer, wie fie die k. k. priv. Südbahn und die k. k. priv. DonauDampf-
fchifffahrts-Gefellfchaft durch Album und Textbuch und die letztere auch durch ein
fchönes Bild zur Anficht brachte.
Die Südbahn-Ge feil fchaft hat in Marburg Arbeiter- Werkftätten , in
welchen fie looo Arbeiter befchäftigt. Um diefelben gut und gefund zu beher-
bergen, zu gleicher Zeit die Arbeiter inniger mit dem EtablilTement zu verbinden,
erbaute die Gefellfchaft auf einem ihr gehörigen Terrain 28 einftöckige Häufer
mit je 6 bis 12 gefunden Wohnungen. Jede verheiratete Partei hat dabei ihren
Boden, Keller, eine Holzlage und einen Stall für Geflügel und Schweine. Jede
Partei ift überdiefs im Genuffe eines kleinen Hausgartens. Die Häufer find aus
Backfteinen erbaut und liegen von ihren Gärten umgeben in Gruppen, die durch
breite, fich rechtwinklig kreuzende Gaflen getrennt find. Jede Wohnung hat
einen gefonderten Eingang. Die erften Häufer der Colonie wurden Ende 1869, die
letzten im Jahre 1872 bezogen.
Die Colonie birgt nun eine Bevölkerung von mindeftens 1200 Seelen; die
Wohnungen find verhältnifsmäfsig billiger, gefünder und bequemer als die der
Stadt Marburg oder der benachbarten Dörfer. Die Gefellfchaft hat Grund und
Boden unentgeltlich überlaffen und auch die Bauten durch ihre Organe ohne
jegliche Entfchädigung mit dem von der Penfionscafle zu billigen Zinfen entlie-
henen Gelde ausgeführt. Für die Colonie wurden ein Afyl und eine Schule errichtet,
die wir bereits früher befchrieben haben.
Eine zweite, gleichbedeutende Inftitution ift das grofse Arbeiterhaus in
Meldung bei Wien. Als die in Wien und nächfter Umgebung graffirendeWohnungs
noth fich befonders den Arbeitern und dem fubalternen Dienftperfonale fühlbar
gemacht hatte, überliefs die Gefellfchaft im Jahre 1869 dem Penfionsfonde in
nächfter Nähe Wiens (Station Meidling) unentgeltlich Grund und Boden zum
Bau eines Haufes für Minderbedienftete. Das darauf erbaute Haus hat ein Area
von 806 Quadratklaftern, ift dreiftöckig und erforderte einen Bauaufwand von
150.000 fl. Urfprünglich wurden 90 Wohnungen für Verheiratete und 20 Zimmer
für Ledige (letztere einfach eingerichtet) hergeftellt. Die Wohnungen beftehen
theils aus i Küche, i Zimmer und i Cabinet, theils aus i Küche und i Zimmer. Zu
jeder Wohnung gehört i Boden und i Keller. Vor dem Haufe ift ein geräumiger
Vorgarten. Die Beleuchtung gefchieht mittelft Gafes.
Die Miethzinfe find für die gröfseren Wohnungen durchfchnittlich 100 fl.,
für die kleineren 80 fl., für die einzelnen Zimmer für Ledige 52 fl., und ftellen fich
um circa 25 Percent niedriger als in den benachbarten Häufern.
Was die für Ledige beftimmten Zimmer betriflt, hat man die Erfahrung
gemacht, dafs das Perfonale diefelben wenig fucht. Die Ledigen fcheuen das
Alleinwohnen, weil es ihnen an Bedienung fehlt, weil fie ihr Hab und Gut nicht
ohne Aufficht lalTen wollen, weil es ihnen an mancher Bequemlichkeit fehlt,
und ziehen vor, als Afterparteien bei anderen Parteien zu wohnen. Diefe
26 Dr. Th. Carl Richter.
Beobachtung hat die Gefellfchaft beftimmt, nach und nach 13 folcher Zimmer je
mit der nächftanftofsenden Wohnung zu vermiethen ; folch' gröfsere Wohnungen
nehmen dann gerne Parteien, welche Ledige in Aftermiethe nehmen. Gegenwärtig
wird das Haus bewohnt von 90 Fainilien mit 410 Familiengliedern , 82 After-
parteien und 7 Ledigen. Ein Beweis, wie gefucht diefe Wohnungen find , ift, dafs
ftets 30 bis 40 Parteien vorgemerkt find, welche um derlei Wohnungen nach-
fuchen.
Die Localaufficht im Haufe fiihrt ein Gefellfchaftsbeamter als Haus
infpe<5lor, welcher als Entfchädigung für feine Mühewaltung nur den halben Zins
zahlt für die im felben Haufe von ihm benützte Wohnung.
Theils um dem Penfionsfonde die Gelegenheit zu geben, die Fondsgelder
ficher und rentabel anzulegen, theils um den auf dem Südbahnhofe Bedienfteten
Gelegenheit zu geben, in der Nähe des Bahnhofes gefunde und billige Wohnungen
zu bekommen, fchenkte die Gefellfchaft dem Penfionsfonde Grund und Boden zum
Bau eines Wohnhaufes bei der Favoritenlinie. Das Haus ifl vierflöckig, der Bau-
aufwand ift 210.000 fl., das Erträgnifs fiir den Penfionsfond ift 7 Percent.
Das Haus umfafst 48 theils gröfsere, theils kleinere Wohnungen und
12 Gewölbe. Die Wohnungszinfe find um circa 10 Percent billiger als in den
nächftgelegenen Häufern. Auch bei diefem Haufe ift ein Afyl und eine Kinder-
fchule eingerichtet, von denen wir fchon früher berichtet.
Auch die anderen Bahngefellfchaften haben dieNothwendigkeit eingefehen,
in diefer Richtung für ihre Arbeiter zu forgen. Sehr bedeutend verfprechen die
Arbeiterwohnungen und Colonie- Anlagen der k. k. privi egirten öfter
reichifchen Nordweftbahn zu werden.
Bei Anlage der Bahnhöfe und Stationen wurde wohl für die Unterbringung
der zur Ausübung des Dienftes unbedingt erforderlichen Beamten und Diener in
den gefellfchaftlichen Gebäuden Sorge getragen; diefe Vorforge konnte fich
jedoch nicht auf dasjenige Dienftperfonale und auf die Arbeiter erftrecken, welche
nicht eigentlich zum inneren Stationsdienft verwendet werden , fondern vielmehr
an den Haupt-Knotenpunkten der Bahn ftationirt werden muffen, um von dort ihre
Dienftleiftungen über eine gröfsere Strecke auszuüben. Wenn fich nun diefe
Leute in den benachbarten Ortfchafien gröfstentheils einmiethen mufsten, wo es
jedoch an den entfp rechenden Wohnungen fehlte, oder für die Miethe der vor-
handenen Localitäten unverhältnifsmäfsig hohe Zinfe verlangt w^urden, fo war
die Erhaltung tüchtiger Kräfte dauernd erfchwert, die Luft zur Veränderung der
Stellung ftets wachgehalten und der Dienft bei dem hiedurch hervorgerufenen
grofsen Wechfel natürlich beeinträchtigt.
Die Etablirung von Beamtenwohnhäufern und Arbeitercolonien vrardt
dadurch fchon lange ein Gegenftand des eingehendften Studiums für die Verwal-
tung der grofsen Bahngefellfchaft. Das Refultat langer Berathung wird nun
bald, wenigftens wie die ausgeftellten Pläne der Colonien der Gefellfchaft
bewiefen , thatfachlich vollendet fein und wird wohl den eben gefchilderten
Uebelftänden , denen die Bedienfteten aus eigener Kraft nicht entgegentreten
können, abgeholfen werden.
Diefe Colonien werden an den Haupt-Knotenpunkten der Bahn angelegt,
und find bereits die für Jedlerfee und Nimburg beftimmten Baulichkeiten in der
Ausführung begriffen und werden vollendet, in der nächften Zeit für billige und
gute Unterbringung der Beamten und des gröfsten Theiles des Arbeiter-
perfonales leicht und beftens Gelegenheit bieten.
Für Errichtung von Schulen, Spitälern. Reftaurationen in diefen Arbeiter-
colonien werden foeben die hiefür nöthigen Pläne angefertigt und dürften dem
nächft endgiltig feftgeftellt werden.
^Hat dann der Arbeiterftand" fo fchreibtuns die Direcflion der Gefellfchaft.
^eine gute Wohnung mit einem kleinen Nutzgarten und einen Antheil an den
gefellfchaftlichen Wafchküchen und Badecabineten, fo wird fich bei demfelben
Die focial-ökonomifchen Bildungsmittel. 27
der Hang zu einer gemüthlichen Häuslichkeit immer mehr entfalten, der Sparfam-
keitsfmn geweckt werden, und aus den meift dermalen in derangirten Verhäl-
niiTen lebenden Familien ein folider Arbeiterftand fich entwickeln, deflen Kinder,
in gut geleiteten Schulen erzogen, den Grundftock einer anhänglichen, fleifsigen
und brauchbaren Arbeitercolonie abgeben werden,"
Die Baukoflen und Mietherträgnifle werden fich in folgender Weife
geflalten :
In Jedlerfee : Baukoftcn Miethertrag Verzinfung
Beamten- Wohngebäude loo.ooo fl. 7888 fl. 768 Percent
Gebäude für ZugbegleitungsPerfonal 80.000 „ 5840 „7 „
Arbeiterhäufer 168.270 „ 12.696 „ 75 ^
Reftauration 20.000 „ 1400 ,,7 „
In Nimburg:
Gebäude für höhere Beamte ... 40.000 „ 2570 „ 642 „
„ „ niedere „ .... 42.000 „ 2780 „ 662
4 Wohngebäude für Zugsperfonal . . 148.000 « 11.280 „ 7*65 ^
4 Arbeiterhäufer, einftöckig .... 70.000 „ 4288 „ 612 „
4 n 105.000 „ 5720 „ 55
9 „ ebenerdig, grofs . . 63.000 „ 5616 „ 89 „
10 „ ebenerdig, klein . . 60.500 „ 4400 „ 7-3 „
Durch ähnliche Verhältniffe, wie die oben erwähnten, ift die Donau-
Dampffchifffahrts- Gefellfchaf t veranlafst worden, bei ihren Kohlen-
Bergwerken in P'ünfkirchen die Frage der Arbeiterhäufer in Angriff zu nehmen.
Der dauernde Wechfel der Arbeiter machte die ganze Unternehmung unficher
und um die Arbeiter mit der (Zeigenden Entwicklung der Aufgabe der Kohlen-
gewerke in Fünfkirchen an dem Unternehmen feflzuhalten, legte die Direktion
Grundfteine zu Arbeiterwohnungen, welche als die erflen und muflergiltigften in
Oefterreich und mit der gefammten Ausbildung der Colonie alles Aehnliche über
ragen. Hoch über den Schornfteinen, dem Rufs, Staub und Rauch, auf dem Berg-
rücken, der das Kleinbabas- und Kapofstasthal trennt, dann auf dem füdlichen
Bergrücken, der die Kohlen -Bergwerke gegen das Land hinein abfchliefst,
umgeben von einer weiten, herrlichen Hügellandfchaft, da liegt eine Stadt von
226 fauberen Häufern und einer Bevölkerung von 2772 Seelen, in Mitten eine
Kirche, eine grofse Schule und Bibliothek, mit einem Krankenhaufe, einer Klein-
kinderbe wahr- Anftalt, einem Turnplatze und in einer fchattigen Promenade mit
einem Vergnügungslocale für Tanz und Gefang. Wir haben einige diefer Anftalten
früher fchon befchrieben und erwähnen hier nur noch, dafs die Anfänge diefer
Colonie in das Jahr 1848 zurückreichen und feit den letzten zehn Jahren unter
der verdienftvollen Leitung des gegenwärtigen Dire<5lors der Gefellfchaft, Ritter
v. Caflian, ihre hohe Entwicklung erhalten hat.
Nach drei verfchiedenen Arten ift hier im Laufe der Jahre die Wohnungs-
frage gelöft worden. Man veffuchte zuerft den Bau von Doppelwohnungen mit
gemeinfchaftlicher Küche und gemeinfchaftlichem Eingange. Jede Wohnung beftand
aus einem grofsen Zimmer und einer Speifekammer. Diefe Bauart undEintheilung
des Baues empfahl fich für die erfte Zeit als billig und fchnell beftellbar. Sie ift
auch ganz paffend für Unverheiratete oder Verheiratete ohne Kinder. Haben aber
die Verheirateten Kinder, fo führt der gemeinfchaftliche Eingang und die gemein-
fame Küche leicht zu Zänkerei und Unzufriedenheit. Diefer Beforgnifs für
die weitere Entwicklung auszuweichen, verfuchte man bald die Anlage von
Coloniehäufern mit je einer Wohnung für eine Familie. Der erfte Bau fetzte die
Küche in die Mitte des Haufes fo grofs, dafs fie nun die ganze Tiefe des Haufes
einnimmt und neben der Eingangsthtir zur Wohnung auch noch durch ein diefer
gegenüberliegendes Fenfter Licht und Luftzug gewinnt. Rechts und links von ihr
liegen Zimmer, grofs und geräumig, mit reichem Licht und gefundem Zug. Bei
28 • Dr. Carl Th. Richter.
der Billigkeit des Baugrundes und zuletzt auch des Baumateriales, denn die
Colonie hat ihre eigenen Ziegelfchläge und Steine zur Genüge, verfuchte man,
als das Bedürfnifs nach folchen Häufern immer gröfser wurde, einen noch com-
fortableren, aber auch verfchwenderifchen Bau. Die dritte Art der Colomehäufer
hat zwei in der GafTenfront gelegene Zimmer, deren Thüren rechts und links vom
Herde in die Küche münden. Von diefer aus gelangt man in die Speifekammer
und in ein drittes zu einer Arbeiterwohnung gehöriges und an ledige Arbeiter
vermiethbares Stübchen. Zu jedem Haufe gehören noch lo Quadratklafter Hof.
in welchem der Düngerhaufen, ein Schweine- und ein Hühnerftall feinen Raum
hat. Der Hof liegt gewöhnlich vor dem Theil des Haufes, durch welchen der
Zugang zu demfelben ftattfindet. Die Fenfter der Wohnzimmer dagegen gehen in
einen Garten, der in einem Mafse von circa loo Quadratklaftem gleichfalls jedem
Haufe zugetheilt ift und je nach Bedarf, und wir können es fagen, auch Bildung,
theils als Blumengarten und fomit als Unterhaltungsort, theils als Gemüfegarten
und fomit als wirthfchaftliche Nutzung verwerthet wird. Alle Häufer find Doppel-
häufer, fo dafs je zwei eine gemeinfchaftliche Seitenwand haben. Im Jahre i8öS
beftanden i66 folche Häufer, 1870 fchon 210 und heule 226, von denen 49 bereits
Privateigenthum. Sie bilden zufammen die alte Colonie auf dem Bergrücken des
Kleinbabas- und Kapofstanthales und die Caffiancolonie, an der feit den letzten
drei Jahren fleifsig gefchaffen wurde, das Andenken des gegenwärtigen Dire(5lors
auch in diefem Gebiete dauernd zu erhalten.
Die Donau-Dampffchifffahrts-Gefellfchaft hat die Häufer aus ihrem Fonde
gebaut und vermiethet ße ausfchliefslich an Arbeiterfamilien. Bei einem Zinfe von
3 Gulden 15 Kreuzern per Monat für Haus und Garten und mit Abzug aller
Steuerlaften trägt das darin angelegte Capital 3 bis 4 Percent. Das ift fehr wenig
bei dem Verdienfte, den man heute aus dem Capital zu ziehen fich gewöhnt hat.
Aber man darf die Wohlthätigkeit und den Nutzen der Inftitution nicht darnach
bemeffen. Die Nachfrage nach Wohnungen ift eine fehr bedeutende, denn Jeder-
mann fühlt, wie behaglich es in den fauberen und freundlichen Häufern unter
Bäumen und Blumen zu wohnen ift. Die Gefellfchaft konnte in den Moralität>
verhältniffen genau mit der Vermehrung der Coloniehäufer die wefentlichen Fort
fchritte zum Belferen bemerken. Die Verheiratungen nahmen zu, die unehelichen
Kinder in rafcher Progreffion ab. Die Sterblichkeit hat fich bedeutend verringert
und das geiftige Leben ift ein vollkommen neugeftaltetes geworden, wie wir
fpäter noch darfteilen werden. Ein Wechfel- der Arbeiter kommt feiten, unter
den in den Häufern wohnenden gar nicht mehr vor. Die Arbeitsleiftung fteigert
fich mit jedem Jahre. Jm Jahre 1870 wurden per Mann im Jahre 299 Schichten
gegen 262 des Jahres 1869 verfahren. Die durchfchnittliche Jahresleiftung per
Mann, in Kohle ausgedrückt, betrug 3700 Centner oder per Tag 12 hh
13 Centner. Im Jahre 1871 hatte fich die Arbeitsleiftung per Mann um 55 Centner
gefteigert und kommt heute den Leiftungen der bedeutenderen Kohlenwerke
in Schlefien, an der Ruhr und in der Saargegend gleich.
Das find die Refultate der Wiener Weltausftellung auf dem Gebiete der
fogenannten focialen Frage. Sie geben annähernd Zeugnifs, dafs auch in den
letzten Jahren rüftig fortgearbeitet worden ift und dafs man fich bemüht hat.
fowohl von Seiten der Arbeiter, als von Seiten der Arbeitgeber Neues und
Treffliches zu fchaffen, die angeregten Gedanken und Thatfachen einer früheren
Zeit glücklich auszubilden. Dafs dabei gerade bei uns in Oefterreich nach vielen
Richtungen hin die Thätigkeit und Fürforge der Arbeitgeber überwiegend ift.
darf keineswegs auffallen. Die auf einem breiteren Boden der Volksbildung ent-
wickelten Elemente der focialen Frage in Deutfchland, auf einer gröfseren focialen
Ausgleichung und gefellfchaftlichen Freiheit in Frankreich gefchaffenen, ähnlichen
Inftitutionen bedurften weniger der Unterftützung der Reichen und Begüterten.
In Oefterreich aber fehlte lange das erfte fördernde Element und fehlt heute noch
das, was Frankreich auszeichnet. Es mufste daher, wir möchten fagen von Oben
Die focial-Ökonomifchen Bildungsmittcl. 29
her angeregt und zum Theil gefchaflfen werden, wofür die Arbeitskräfte wohl
genügendes Verftändnifs hatten, es zu begreifen, aber nicht die Macht, es durch-
zuführen. Und das darf keineswegs als ein Mangel der grofsen ganzen Entwicklung
angefehen werden. Mit dem Fortfehreiten der Induftrie wachfen ja auch, wie die
Sorgen der Arbeit, die Pflichten der Arbeitgeber. Gemeinfames Zufammenwirken
— das ifl das Refultat, welches aus den Darftellungen der Wiener Weltausftellung
hervorgeht, und das zu gleicher Zeit die Bahn zeigt, auf welcher die Zukunft fort-
fchreiten foll.
Das Sparcaflawefen.
Am Schlufle haben wir, um vollftändig zu fein, noch eine kurze Betrach
tung anzufchliefsen, und muffen in wenigen Worten der Ausllellung der erften
öfterreichifchen Sparcaffa in Wien und des Sparcaffawefens gedenken.
Die erfle öflerreichifche Sparcaffa in Wien hatte es übernommen,
in einem eigenen Gebäude eine überfichtliche Darfteilung des öfterreichifchen
Sparcaffawefens zur Anfchauung zu bringen. Zahlreiche Tabellen zeigten die Bewe-
gung der meiften öfterreichifchen Sparcaffen, die Guthaben der Intereffenten, die
Ein- und Auszahlungen, eine voUftändige Sammlung von Statuten und gedruckten
Rechenfchaftsberichten für 1871, mehrere grofse Zifferntableaux und Karten, fowie
eine Anzahl graphifcher Darftellungen gaben ein anfchaiiliches Bild über die Ent-
ftehung, die Einrichtung und das Gedeihen diefer humanitären Anftalten in
Oefterreich. Mehr noch als diefs erläuterte eine Schrift ^Oefterreichs Sparcaffen**
von Heinrich Ehrenberger, herausgegeben von der erften öfterreichifchen Spar-
caffa in Wien 1873, die Ausftellung.
Viele Befucher der Ausftellung mögen an dem zierlichen Pavillon der
Wiener Sparcaffa, ohne ihm Beachtung gefchenkt zu haben, vorübergegangen
fein, viele, welche das Studium der ausgeftellten Tabellen verfuchten, find wohl
von der Maffe des Gebotenen und der Schwierigkeit, das gewaltige Ziffernmaterial
zu bewältigen, bald wieder von dem vollkommenen Durchftudiren desfelben
abgekommen.
Und dennoch gehört die Ausftellung der Wiener Sparcaffa zu dem SchÖnften
und als Verfuch zu dem Neueften, was die Wiener Weltausftellung geboten hat.
Ein wahres Culturmoment, ein Zeichen fortfchreitender und fich entwickelnder
Sittlichkeit, alle Theile der öfterreichifchen Gefellfchaft ehrend, trat hier ver-
körpert vor die Augen. Wenn Sparen nichts anderes als Capitalbildung bedeutet
und die Sparfamkeit die Quelle der Capitalsbildung der ärmeren Claffen ift, fo ift
ja der glückliche Stand der Sparcaffen ein Zeichen des allgemeinen Wohlftandes
und das Wachfen der erfparten Summen die befte Aeufserung des Wachfens des
Reichthums eines Volkes überhaupt. Wie die Gefundheit der niederen Volks-
claffen die Grundlage derGefundheit der Höheren, Reicheren ift, fo ift der Capital-
befitz jener, Vermehrung derNutzbarkeit und fomit Anwachfen desCapitals diefer
Volksclaffen. Wir vermögen es nicht, das reiche Material der Ausftellung der öfter-
reichifchen Sparcaffen zu erfchöpfen. Nur zwei Tabellen entlehnen wir dem oben
angegebenen Materiale und fchliefsen damit unfere ganze Betrachtung. Es liegt in
denfelben und ihren wenigen Ziffern mehr Belehrung, als wir durch die weiteften
Betrachtungen zu geben im Stande wären.
30
Dr. Carl Th. Richter. Die focial-ökonomifchen Bildungsmittel.
Tabelle der europäifchen Sparcaffen.
Staaten
•
X
rt
Anzahl
der
Sparcaffen
Einleger-Gut-
haben mit
Jahresfchlufs
in Gulden öfter-
reichifcher
Währung
Ein-
wohner-
zahl
Eine SparcaflTe
auf Köpfe der
Bevölkerung
Guthaben in
Gulden öfterr-
Währ. per Kopf
d. Bevölkerung
Durchfchniil-
liches auf eine
SparcaflTe ent-
fallendes Gut-
haben in Guld.
öflcrr.Wrihrung
Dänemark .
1869
123
63.259-336
J. 783. 565
14.500
35"5 514-304
Frankreich . . .
1868
i 520
^Filialen 598
f 1.118
iPoft-Sp. 4.338
i 253,295.308
38,067.094
34.049, 6-7
226.561
1 70,250.0401^
Grofsbritannien
1871
^gewöhnl. 489
388.204.588
1 31817.108
6.596
176
115.766
' 4.824
558,454.628
Italien
1867
201
95.074.760
24.273.776
120.765
39
473.00b
Niederlande
1865
182
7,948.833
3,652.070
30.066
2-2
43*675
Norwegen .
1865
233
38,384.665
1,701.478
7.302
20-6
164-741
Ocfterreich
1871
211
341,137.380
20,394.980
96.658
1673
1,616.765
Preufsen . .
1871
830
289,381.209
24,643.415
29.691
11-7
348.652
Schweden .
1869
222
26,712.33a
4,168.525
18.777
6-4
120.326
Schweiz . .
1862
230
52,617.056
2,510.494
10.915
20-9
228.770
Spanien . . .
1867
16
6,395.450
15,673-536
979.596
0-4
399.716
Ungarn - .
1870
»35
122,964.070
»5,509.455
114.885
7-93
910.845
Tabelle
der Sparcaffen in den im Reichsrathe vertretenen Ländern, 1871.
Land
Niederöfterreich . .
Oberöfterreich . . .
Salzburg
Steiermark
Kärnten
Krain
Küftenland
Tirol und Vorarlberg
Böhmen
Mahren
Schießen
Cralizien
Bucowina
Dalmatien
Summe
c
TS «
_ V
N a
cc/3
41
20
I
32
3
I
2
12
56
21
9
10
X
2
2X1
J3 g CS
Anzahl
der be-
wohnten
Häufer
^
rt
c
u
X
C
*
—
xr.
u
:rt
u
UJ
u«
x
c
3
U
fS
Bevölkerung
nach der
Zählung
1865
36o'oS
8-78
179.184
217-90
10-89
105.241
13015
130-15
20.214
407-84
188-42
12-74
62-81
160.440
44.709
181-42
181-42
72.001
14510
72-55
78.780
532"68
94370
44 39
16-85
127.710
632.404
40377
1923
2S0.301
93-50
1.425-78
189-83
933-36
10-39
142-58
189-83
116-18
62.082
835.123
93-939
74.186
5.452-53
25-84
2,766.314
4370
5.262
20.212
5.014
14.903
72.001
39.390
10.642
11.293
»3348
6.898
83.512
93.939
37093
13.110
1,954.251
731.579
151.410
1.131.309
336.400
463.273
582.079
878.907
5,106.069
1.997.897
511.581
5,418.016
511.964
442.796
20,217.531
Eine
SparcaflTe
auf Köpfe
der I
Bevölkerung
47.664
36-579
151.410
35-353
112.133
463.273
291.039
73.243
91.180
95137
56.842
541.812
511.964
221.39S
95.818 ,
^
OFFICIELLER
AUSSTELLUNGS-BERICHT
HBRAUSGBGBBBN DURCH DIB
GENERAL-DIRECTION DER WELTAUSSTELLUNG
18 7 3.
DER
BLINDEN- UND TAUBSTUMMEN-
UNTERRICHT.
(Theilberioht der Gruppe XXVI.)
BERICHT
VON
Eduard Kaltner,
WIEN.
DRUCK UND VERLAG DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
1873.
VORWORT.
Nach dem Programm der officiellen Berichterftattung über
die Wiener Weltausftellung 1873 foll der officielle Bericht noch
„während der Feier des internationalen Feftes abgefafst und auf-
gelegt werden". Diefe Beftimmung zu erfüllen, übergibt die gefer-
tigte Redaftion des officiellen Berichtes in der vorliegenden Form
die einzelnen Seftionsberichte der Oeffentlichkeit und glaubt damit
den Befuchern der Weltausftellung das Studium derfelben wefent-
lich zu erleichtern. Nur eine Bemerkung fei an diefer Stelle
geftattet. Der vorliegende, wie jeder andere während der Welt-
ausftellungs-Feier publicirte Bericht wird einen Theil des officiellen
Berichtes bilden , welcher nach dem Schluffe der Weltausftellung
als ein Ganzes erfcheinen und die wiflenfchaftlichen Refultate der
Ausftellung für die Dauer erhalten foll. Diefs mag dem Lefer die
ftiliftifche Form, in welcher bereits die Vergangenheit der Aus-
ftellung angenommen ift, erklären.
Professor D^- Carl Th. Richter,
Chefreda^eur des officiellen Berichtes.
DER SCHREIBUNTERRICHT.
(Theilbericht der Gruppe XXVI.)
Bericht von
J. HüPSCHER,
Lehrer an der Handels- und natiti/chen Schule in Tru'fl.
Ein erfchöpfenderBericht über den Gefammtumfang des Schreibunterrichtes,
wie er in der Gruppe XXVI von den verfchiedenen Culturvolkern diefs- und jenfeits
der Atlantis, als Wahrzeichen des Bildungsgrades und WerthmelTer eines mehr
oder minder potencirten Grades anzudrehender Volkserziehung und formaler
Jugendbildung, zurWeltausftellung eingefandt wurde, ifl in mehrfachen Beziehungen
ein fchwieriges und verwickeltes Stück Arbeit.
Wären die von der Erfahrung und WifTenfchaft gleich gebilligten Grund-
sätze eines Schreibunterrichts- Verfahrens genau feftgeflellt, böte die Beurtheilung
der aufgewiefenen Leiftungen ebenfo wenig Schwierigkeiten, als die Vergleichung
und Beurtheilung mathematifcher Rechenexempel. Aber gerade in unferem Zweige,
der im Grunde ebenfo präcis und fchmucklos wie die Elemente der Mathematik,
nur W^erthzeichen von Lauten und Klängen als Componenten von Wort und
Sprache darftellen follte, hat mit den Jahren eine Licenz eingegriffen, die wahrhaft
beklagenswerth ift, und die ein Endurtheil über eine gute oder verwerfliche Schrift
und Schreibmethode oft recht fchwierig macht. Sehen wir aber von Vorurtheilen
und eingebürgerten Angewöhnungen ab, fo werden wir dennoch bald feile Anhalts-
punkte finden, die uns auch hier geftatten, leicht zu erkennen, welcher von den
eingefchlagenen Wegen der einzig richtige fei und am leichleften und fchnellften
zum Ziele führen mufs.
W^ir Alle wifl'en, dafs die Schrift nur den Einen Zweck hat, um gelefen zu
werden, ferner, dafs alle Kalligraphie nur dazu dient, den Lefeftoff gefällig zu
geftalten.
Wir werden alfo berechtigt fein, jenen Schreibmethoden den Vorzug zu geben,
die bei fteter Fefthaltung der einheitlichen Urform der Lautzeichen beftrebt ift, die
Handfchriften deutlich, geordnet, fchmucklos, (nach Längen und Diftanzen) und
flieiTend zu geftalten und zu lehren. Jene Schriftarten aber, die durch bizarre Formen
die Einheitlichkeit der Lautwerthe verwirren, die leichte Lesbarkeit ftören, die, von
Verzierungen und Schnörkeln überladen, weniger auf gefchmackvoUes Arrangement
eines Schriftftückes als auf unmotivirte Schreib-Zeichenkünftelei achten, werden
wir auch nicht in die erfle Reihe zu fetzen uns verpflichtet halten.
Die geringftenkalligraphifchen Schwierigkeiten bietet die deutfche Current-
fchrift ; die allerfchwierigfte aber und einvn äflhetifchen Gefchmack documentirende
ifl die auf der Elypfe beruhende, einfache Lateinfchrift.
2 J- Hüpfcher.
Sogenannte Zierfchriften bringt der letzte Lithographen-Lehrling mii
grofser Fertigkeit zu Stande; aber nur der gebildetfte Gefchmack eines Meifter-
fchreibt und flicht eine tadellofe Lateinfchrift.
Sämmtliche fogenannte National-Handfchriften haben denfelben Wertli
wie etwa National-Münzen, Gewichte, Mafse und Coftüme ; fie kommen meift
theuerer zu (lehen als die aligemeine Tracht.
Sprache und Kunft find und muffen mannigfaltig fein, da der Menfchcngeift
in feinen unendlichen Geftaltungen fich in denfelben offenbart; aber die con-
ventionellen Zeichen zur Lautfixirung, die reiner Mechanismus find, könnten wahr
haftig ebenfo einfach, einheitlich und wahr fein wie die Photographie.
Schreiben ifl ein Handwerk, und kann und foU wie jede andere mechanifchc
Fertigkeit fauber und gefallig ausgeführt werden ; aber von der echten Kunfl de^
Zeichnens ift die Kalligraphie eben fo weit entfernt wie die Photographie und
andere Reproducflionsarten.
Nichts wäre daher gebotener, fowohl im Intereffe der Jugendbildung al>
der allgemeinen Lehreinheit, als in einem Generalcongreffe die Schriftzeichen
ein für allemal zu fixiren, und nur nach diefem Normal-Schreibalphabete in fämmt-
lichen Lehranftalten zu unterrichten. Nur fo könnte dem Unfug der ungezügelten
Buchflabenkünftelei kräftig gefteuert und eine gediegene, praktifche, aligemein
leicht leferliche Schreibfchrift erzielt werden.
Wir haben beifpielsweife, von den Unterarten abgefehen, eine deutfche,
englifche, nordamerikanifche, fpanifche und franzöfifche Lateinfchrift. Welch' ver-
wirrender, nutzlofer Luxus ! Dann kommt die deutfche Current-, die griechifche und
ruffifche Schrift — da gehört ja ein Viertel Lebenszeit dazu, um nur allein die
europäifchen Schriftarten geläufig lefen zu lernen.
Bevor wir auf die eigentlichen Schreibmethoden und deren Refultate, die
Schülerfchriften eingehen, muffen wir von den Inflrumenten, Obje(5len und Behelfen
fprechen, welche die moderne Induftrie der fchreibenden Welt darbietet. Denn
die Auswahl der Mittel und W^erkzeuge find beim Schreiben ebenfo entfcheidend
wie bei jeder anderen mechanifchen Fertigkeit auch. Und gerade beim Unterrichte
ifl die Anleitung zu einer richtigen Abfchätzung und Auswahl der Werkzeuge von
unbeftreitbar geiftigcr und formaler Bildung.
Schliefslich wollen wir dabei der mehr oder minder gelungenen Verfuche
gedenken, die von mafsgebender Seite gemacht wurden, um das ganze heutige
Schreibverfahren zu vereinfachen, oder radical auf phoneto-ftenographifchem Wege
zu reformiren, beziehungsweife umzugeflalten.
Subfellien.
Die humanitäre Richtung, welche fich durch unfer gefammtes moderne.^
Unterrichtswefen hindurchzieht, offenbart fich auch in den vielfachen Vcrändc
ruftgen und Verbefferungen bei Anfertigung von Schulbänken, Schreibpulten eic
Mit den Rückenlehnen haben die Schulbänke-Fabrikanten jedenfalls mehr
dem Bedürfniffe entfprochen. als mit den Pulten oder Schreibplattcn, die beinahe
durchwegs zu fchräge gebaut find. Durch die lang andauernde fchräge Haltung
der Hand, befonders beim Schnellfchreiben muffen die Finger durch den
erfchwerten Blutzudrang nothwendiger W^eife bald ermatten und fich überanflrengen.
was bei einem planen oder nur wenig geneigten Pulte nicht der Fall ifl. Die
Erleichterung, welche hiedurch dem Auge gewährt wird, iftaber nur eine probleraa-
tifche, und jedenfalls keine entfcheidende, da dem Uebelftande von „näher" und
„ferner" auf fo kurze Diftanzen, als die Schreibzeilen find, durch das mäfsige und
rhythmifche Vorneigen des freifitzenden Oberkörpers leicht abgeholfen werden
kann. Das Kerzengrad- und Nagelfeflfitzen beim Schreiben ifl überhaupt nicht
natürlich, fehr ermüdend für das Rückgrat und verleitet den Schreiber, bewufst
Der Schreibuntcrrichl. 3
oder unbewufst, fich mit der Brufl an die Subfellie anzulegen ; ein Vorgang, der
feiner gefundheitswidrigen Folgen halber nie geduldet werden follte. Kurzfich-
tigen ift beim Schreiben ein zweckmäf^iges Augenglas zu empfehlen; denn durch
das Zunaherücken des Gefjchtes an das Schreibobjecfl wird das fpecielle Uebel
nur noch gefordert. Für die Hand felber ift es entfchieden vortheilhafter, das
Schreibobje<5l fo weit als thunlich niedrig geftellt zu bekommen.
Der Referent durfte fich von der Befprechung diefes wichtigen Schul-
geräthes um fo weniger dispenfiren, als es hauptfächlich als Schreib- und Zeichen-
unterlage zu dienen beflimmt ift, und für die Hygiene des zarteren Alters von
folgenfchwerer Wichtigkeit ift.
Stahl-Schreibfedern. Diefes moderne Schreibinftrument hat heutigen
Tages die Kielfeder beinahe gänzlich verdrängt. Das englifche, deutfche, zum
Theil belgifche, amerikanifche und allen voran unfer einheimifches Fabricat, hat
eine folche Vollkommenheit erreicht, ift fo bequem, dauerhaft, elaftifch und
gefchickt, dafs es in verhälnifsmäfsig kurzer Zeit alle Vorurtheile überwand,
und fiegreich bis in die letzte Dorffchule eingezogen ift. Die Befürchtungen,
als erzeugte die Stahlfeder eine fchwere Hand, haben fich durchaus nicht
beftätigt ; aber viel Zeit und Arbeit ift dem Lehrer durch die Einführung
der Stahl-Schreibfedern erfpart worden; Zeit, die er bei den heutigen
Anforderungen des Unterrichtes kaum entbehren follte. Der Koftenpunkt wird
fo ziemlich der gleiche geblieben fein; denn die gröfsere Billigkeit der Gansfeder
wird durch die gröfsere Dauerhaftigkeit der Stahlfeder ausgeglichen. Die fchlech-
tefte, wenigft elaftifche Stahlfeder ift, wie billig lie auch zu haben ift, die theuerfte
Schreibfeder.
Papier. Hand in Hand mit der Vervollkommnung der StahlSchreibfeder
ging die Verbefferung des Papieres. Die Mafchinenpapiere find im Ganzen
genommen viel weniger rauh als die alten Handfabricate. Zu glattes Schreibpapier
eignet fich für Kinder freilich wenig, aber durchaus hindernd und fchädlich für
die Nerven der fchreibenden Fingerfpitzen ift das rauhe fliefspapierartige
Fabricat, welches feiner gröfseren Wohlfeilheit wegen gerade in fehr vielen
Schulen zur Anwendung kommt. Der Profit, welchen diefes unzweckmäfsige
Fabricat abwirft, kommt nur in fehr geringem Mafse dem Käufer zu gut. Leider
werden die Schreibpapiere trotz der MalTenerzeugung und der vielfachen Surrogate
für die Hadernfubftanz, bei dem Ungeheuern Bedarf diefes Artikels und der
grofsen Papierverfchwendung, welche unfere Art zu fchreiben erheifcht, von Jahr
zu Jahr theurer im Preife. Da der Confum der Druckereien fich kaum verringern
wird, ift nur noch von einer vereinfachten und bedeutend kürzeren Schreib- und
Druckmethode ein Heil zu erwarten.
Schiefertafeln. Unbedingt verwerflich, weil für die zarte Kinderhand
höchft fchädlich, find die rauhen Schiefertafeln, welcher Form und Art fie immer
fein mögen. Ihre Schädlichkeit wird nur von den harten und dünnen Stiften über-
troffen, welche als acflives Schreibmittel zu diefem fchlechten Obje(5le gebraucht
werden. Es ift eine wahre Pein zuzufehen, wie fo ein armes Kind fich maltraitirt,
und welche abfcheuliche Fingerhaltung es beim Kritzeln mit folchem und auf
folchem Materiale fich anzueignen gezwungen wnrd und — da die erften Ange-
w^ohnheiten nicht fo leicht zu befeitigen find — oft für fein ganzes Leben bei-
behält. Auch in diefem Artikel hatte der Erfindungsgeift der neueren Induftrie
erfreuliche Fortfehritte auf unferer Weltausftellung aufgewiefen.
Seh rc ibgri f fe 1. Diefe in Schulen, befonders in den unteren Claffen, fo
häufig benützten Schreibinftrumente muffen, wenn fie nicht verderblich auf die
erfte Angewöhnung einer hübfchen und zweckmäfsigen Federhaltung, und nach-
theilig auf die fchreibende Hand felbft einwirken foUen, paftös, leicht abfärbend
und nie zu hart fein. Zu wünfchen wäre auch, dafs diefe Schreibftifte in dickere
Hülfen eingelaften würden, theils aus Sparfamkeitsrückfichten, theils um die
Fingerfpitzen nicht ftumpf und müde zu machen.
I*
4 J. Hüpfcher.
Schreib-Federnhalter. Die moderne Induftrie hat die mannigfaltigüen
Stoffe zu diefem nothwendigen Schreibbehelfe verwendet, hauptföchlich Holz.
Bein, Metall und Kautfchuk. Ebenfo erfinderifch war fie in Hinficht der Form.
Nach unferem Dafürhalten, das fich auf eine langjährige Praxis, fowie eine richtige
Hygiene bafirt, find Metallgriffe die unzweckmäfsigften. Holz oder Cork die
geeignetflen Materialien zu Federgriffen oder Haltern. Was die Form betrifft, fo
find die voluminöfen Federhalter jedenfalls den dünneren, felbft für kleine Kinder,
bei Weitem vorzuziehen.
Schreibtinte. Bei dem fafl allgemeinen Gebrauche der Stahl-Schreib-
feder hat die Tinte eine noch gröfsere Wichtigkeit erlangt, als es früher in der
Periode der Gänfekiele der Fall war. Die Tinte hat fehr oft die hervonragendfte
Schuld, wenn es mit einer Feder nicht vorwärts gehen will.
Die Farbe der Tinte thut wenig oder nichts zu ihrer belferen oder fchlech-
teren Qualification, und bleibt Gefchmackfache. Aber ihre chemifche Zubereitung
und Confervirung in einem fehr flüffigen Zuftande, in einem nicht ftark poröfen
Gefafse ifl das Entfcheidende. Rothe Tinte follte Schulkindern nie zum Schreiben
geftattet werden.
Jede Tinte, die in einem zugedeckten Glasgefafse gut flüffig bleibt und
fehr wenig „Satz" bildet, ifl gut. Hingegen ifl vor folchen fchleimigen Tinten zu
warnen, die nur fchwer in continuirlich kleinen Quantitäten von der Feder abfliefsen,
oder auch dünnfiüffigen Tinten, die durch ihre grofse Neigung zum Gerinnen
immerwährende Veranlalfung zum Putzen der Feder geben, und die felbfl flunden-
lang nach ihrer Eintrocknung fich noch leicht verwifchen laffen. Selten wird mit
einem Artikel fo viel Mifsbrauch im Handel getrieben, wie gerade mit diefem.
Freilich wollen viele nur fehr billige Tinte haben. Gute Waare aber verdient gut
gezahlt zu werden.
Kreide. Da diefes Schreibmaterial in edler Linie nicht eigentlich für
Schüler, fondern für den Lehrer mafsgebend ifl, fo fei hier kurz erwähnt, dafs nur
gut gefchlemmtes Material ohne die fatalen Sandkörner, welche die Hand eine>
Kalligraphen zur Verzweiflung bringen und alle Wandtafeln in der kürzeilen Zeit
unbrauchbar machen, zu empfehlen ifl. In manchen Städten ifl es geradezu eine
Unmöglichkeit, fich eine reine Schreibkreide zu verfchaffen. An Anpreifungen und
Ausflüchten laffen es die Herren Verkäufer freilich niemals fehlen. Alfo gut
gefchlemmte Kreide ohne obligaten Sandinhalt I Da die Kinder oft aus ziemlicher
Ferne von der Schultafel zu copiren haben, fo ifl es durchaus nicht gleichgiltig, in
welchem Farbenzuflande diefe fich befindet, oder ob die Kreide fchön weifs und
weithin fichtbar abfärbt oder nicht.
Betreffs der einzelnen hierauf bezüglichen Gegenflände verweifen wir auf
den Bericht Gruppe XI, Seite 3, von J. Nagel. Unfer Bericht verfolgt andere Ziele.
So weit es aber nöthig, kehren wir im Folgenden darauf zurück.
Der Schreibunterricht.
Amerika.
S u b f e 1 1 i e n. Die hohe Stufe, auf welche fich das Schulwefen im Allge-
meinen in Nordamerika in fo unglaublich kurzer Zeit emporfchwang , geht
naturnothwendig mit den humanitären Beflrebungen für die Schule felbfl in fehr
erfreulicher Weife Hand in Hand. Freilich läfst fich nicht gerade Alles, was
die philantropifche Fürforge zum Wohle der Schuljugend erfonnen, abfolut gut
heifsen, theils weil fie zu einfeitig, theils zu kühn und über das praktifche
Der Schreibunterricht. Ö
Bcdürfnifs hinausgehend fich manifeflirt. In beiden Fällen jedoch läfst fich ihr
ein rührender Zug und ein Ringen nach dem Beflen nicht abfprechen. Mögen
die Nordamerikaner noch fo gute kaufmännifche Rechner fein, für Schule und
Erziehung leiden fie, gleichviel aus welchen Urmotiven. wahrhaft Herzerfreuendes.
Beweis denfen das amerikanifche Schulhaus. Ich hoffe, die geehrten Lefer
werden es mir verzeihen, dafs ich von meinem Gegenftande abzukommen
fcheine; ich glaube nicht, dafs diefes der Fall fein wird, und doch, wie wird
das Gemüth und die Seele eines alten Schulmannes erregt, wenn er diefe durch-
aus comfortable Einrichtung, mit vielen der unferigen, befonders in Kleinftädten
und auf dem Lande vergleicht ! Trotz des unbeflreitbaren Anlaufs zum BefTern,
welches unfer gefammtes Schulwefen unter einer erleuchteten Regierung in den
letzten Jahren genommen, wie viel bleibt uns noch zu thun und zu fchaffen
übrig, bevor wir, Regierung und Volk, dahin gelangt fein werden, und zwar
nicht blofs in Oeflerreich allein, fondern in Europa überhaupt, das vor-
gefchrittene Deutfchland nicht ausgenommen, unferen gröfsten Stolz in unfere
Schulen zu fetzen, und wären die Motive ur.ferer diefsbezüglichen Anftren-
gungen anfangs auch keine rein ethifchen, fondern einfache, wohlberechnende
kaufmännifche Speculation.
Wir opfern ohne Bedenken, blofs dem natürlichen Impulfe unferer felbft
lofen elterlichen Liebe folgend und freudig Hunderte von Gulden, wenn eines
unferer theueren Kinder erkrankt, aber mit der Schule knaufern wir noch immer
entfetzlich, und doch find es nicht wenige der Kinderkrankheiten und oft
weit über die Kinderjahre hinausgreifend, die fich die Kleinen eben in den
überfüllten und zu wenig beachteten Schulen holen. Würden wir nur den vierten
Theil von dem für Schule und Erziehung opfern, was wir jährlich für durch-
aus leicht entbehrliche Bedürfniffe ausgeben wahrlich wir könnten Paläfte
unferen Kindern bauen, und die bewährteflen Lehrkräfte nicht nur angemelTen,
fondern glänzend honoriren. Wer dabei am meiflen gewänne.^ Der Staat als
Ganzes und wir felber, jeder Einzelne.
Die Schreibtheken haben durchwegs gutes halbglattes Papier und find
theils mit Vorfchriften und Lineatur verfehen, theils nicht. Eine gewiffe Sorg-
falt für die Bedürfniffe des Schreibers ifl; überall wahrzunehmen. Der Gebrauch
der Goldfeder fcheint nach den Refultaten, wie fie fich in den maffenhaft
exponirten Schriftproben der Schüler und Schülerinen der nordamerikanifchen
Schulen manifeflirt, ziemlich verbreitet zu fein, da die Goldfedern ziemlich hart-
fpitzig und lange nicht fo elaflifch find, wie z. B. die englifchen Stahlfedern,
oder gar das Wiener Fabricat von Carl Kuhn.
C. Southerland aus Baltimore brachte fehr nette Hnirte Schülerhefte
mit Vorfchriften unter dem Titel: Patent Copy Buk. Die Methode ifl die des
National-Syftems. Das Papier ifl weifs, halbglatt und die Schriftmufler tadellos
aufgeführt".
Sc ii i ef e r taf e l n waren in mehreren Gattungen gut vertreten.
J. L. Rafs aus Boflon (leihe eine Colledlion verfchieden linirter Schul-
Schiefertafeln mit auf den hölzernen polirten Einfaffungsrahmen angebrachten un-
verlöfchlichen Vorfchriften, Zahlen und verfchiedenen Zeichnungen als verkäuflich
aus. 24 Stück zu 14 fl. öflerreichifcher Währung. Der Gedanke ifl neu und praktifch,
fowohl für das lernende als fpielende Kind. Das Material ifl fehr gut
präparirt.
F. So ebner aus Hamilton (Ohio) ftellte gute Schiefertafeln mit einem
finnreich ausgedachten Patentlineal aus. Diefes befleht in einer Vorrichtung, die
es ermöglicht, viele theils einfache, theils doppelte Linien auf einmal über die
Tafel zu ziehen, und da die Zeilenfurcher, die in convex nach aufsen gebogenen
Drähten beflehen, fefl find, fo geben fie Zeilen von flcts gleichen Diflanzen.
Die Schreib federn betreffend, haben die Vereinigten Staaten nur ihre
Gold Schreibfedern-Erzeugniffe zur Weltausflellung gebracht und zwar waren meh-
Ö ' J- Hüpfcher.
rere der hervorragendflen Firmen in diefem glänzenden Artikel der modernen Indu-
flrie vorzüglich vertreten. Wie bekannt, ifl bei der Gold-Schreibfeder nicht das Gold
felbft, fondern die diamantharte in Gold eingelaffene Spitze aus einer Compofition
von Iridium und Rodium, die diefem Schreibinftrumente feinen Werth gibt. Bei
richtiger Behandlung bleibt die Federfpitze auch nach jahrelangem Gebrauche
unverfehrt und gewährt dem Schreiber den Vortheil einer fich ftets gleich bleiben-
den Schreibfeder. Für Schulkinder ift des Inftrument bei uns wenigftens zu koft-
fpielig und gar nicht im Gebrauche. Die Federhalter find natürlich auch meiflens
Edelmetall, aber die Griffe nach unferem Dafürhalten zu dünn.
Schulbänke, ein- und mehrfitzige, hat Nordamerika in reicher Auswahl
nach den modernden Conflru<5lionen ausgeftellt und hat fich in diefem Zweige
der Schulhygiene fehr erfinderifch erwiefen. Zu einer Maffenanfchaffung dürften
auch diefe zum Theil fehr zweckmäfsigcn und eleganten Schulgeräthe zu hoch im
Preife liehen.
V^on den Exponenten nennen wir vor Allen:
W. H. Sop ers, Baltimore, im Jahre 1869 patentirte, von Charles Stevens
ausgeflellte Subfellien mit 2 Sitzen, mit umlegbarem Sitzbrett und aufzuhebendem
Pulte, das eine geräumige CafTette bedeckt. Das Dintenfafs mit verfchiebbarem
Deckel ifl in der Mitte der Bank angebracht. Eine gediegene und dauerhafte
Arbeit, zum Theil Eifenconflrucflion. Ebendafell)fl einfitzige Subfellien mit abge-
fonderten fitzgerechten monopoden Bänkchen.
F. W. N i c h o 1 s , Bofton, flellte Mufler-Schulbänke für Kleinkinder-Schulen
aus mit Sitzen zum Einfchlagen und fixer Platte.
Ruffels Schulbänke mit charniermäfsig beweglicher Platte fcheinen
uns für Schulen zu gefährlich, da bei einer Unvorfichtigkeit die fchwere Platte leicht
zu Verletzungen gerade desjenigen Körpertheiles der Kinder führen kann, den fie
in der Schule am meiflen benöthigen, nämlich des Kopfes.
G. W. S c h a 1 1 1 u c k , Bofton, Mufter Schulbänke, ausgezeichnet durch gute
Conftru<5lion, bequeme Sitze und Lehnen; die Schreibplatten find etwas zu fchräg.
W. A. S 1 a y m a c k e r, Bofton, ftellte einfitzige Mufter-Schulbänke von grofser
Gediegenheit, ja gewiflermafsen eleganter und doch dauerhafter Conftrucftion aus
Die Sitze zum Einfchlagen find bewegbar. Der Preis mufs verhältnifsmäfsig aber
hoch fein.
A.H.Andrews & Comp., Chicago, zweifitzige Mufter-Schulbänke mit
Einfchlagfitzen und je einem in der Mitte angebrachten TintenfaiTe.
Zum Schlufse fei noch hinfichtlich der nordamerikanifchen Subfellien-Expo-
fition bemerkt, dafs die Erfinder und Conftruöleure wohl dem Principe der fchiefen
Schreibfläche huldigen, jedoch nicht in extremer Weife; die Neigung ift eine fehr
fanfte, manchmal kaum bemerkbare.
Als Schreibunterrichts-Methode macht fich beinahe ausfchliefslich die
fogenannte „Amerikanifche" geltend. Bei einfachen hübfchen Ovalformen wird
befonders auf Schreibflüchtigkeit Rückficht genonmicn ; daher das Vorlierrfchen
des feinen Striches und nur feltene Anwendung ftiirkerer Schattirungen.
Die Hauptrepräfentanten diefes Syftems find die Methoden von Payfan,
Dunton und Scribners, Herausgeber Shan t ilu ck und das Elecflric Syftem
of penmanfhip von Tom pfo n & B o w 1 e r bei W i If en & H in k 1 e, Cincinnati.
Die deutfche Currenlfchrift erfreut fich nur einer fehr mittelmäfsigen Cultivirung.
Muftergiltig in der Form der Schriftzeichen und pädagogifcher fortfchrei
tender Entwicklung des Stoffes, ift das National-Schreibfyftem von Tompfon
und B o w 1 e r, Cincinnati. In acht Heften wird die Latein- oder Nationalfchrift
behandelt, und zwar in Doppelexemplaren für Knaben oder Mädchen. Das neunte
Heft enthält fehr gefchmackvoll ausgeführte Vorfchriften für Kunftfchreiber.
Sämmtliche Vorlagen find praktifch und edel zugleich. Die Schul-Schreibmethode
ftützt fich auf den feinen Haarftrich und nur in den ovalen Buchftahen wird
etwas mehr Druck angewendet.
Der Schreibunterricht. /
Die verbreitetfte Schreibmethode in Nordamerika ift die ebenfalls fehr
gute Mufterfchrift von Payfan, Dunton und Scribners. Die Unterrichtsweife
ifl diefelbe, wie die vorhergehende, aber nicht fo ganz corre(fl in den Formen
wie diefe. Scribners hatte eine grofse Sammlung von Mufler-Schreibheften für
die Schule und den Privatunterricht ausgeftellt. Ebenfo ganz nette Schriftproben
von Schülern.
Wie bei allen Kalligraphien machen fich auch in der amerikanifchenNational-
fchrift Formabweichungen bemerkbar: doch find diefelben wenigftens nicht ver-
künflelt und immer leicht zu lefen. Die Methode im Ganzen ifl zu empfehlen.
Eine Methode für den Unterricht in der deutfchen Currentfchrift hat Her-
mann Reffet aus New- York bei Steigers deutfcher Schulbücherfammlung aus-
geftellt. Doch fcheint uns die etwas veraltete Fa<:on der meiften Buchflaben und
tler wenig entwickelte Gang der Methode gerade nicht darnach angethan, den im
Verhältnifs zur Nationalfchrift fehr zurückftehenden deutfchen Current viel auf die
Beine zu helfen.
Schüler fchriften. Neben fehr hübfchen Schülerfchriften. welche die
verfchiedenen Staaten Nordamerikas zur Weltausflellung brachten, machten fich
auch fehr unentwickelte und unbeholfene Handfchriften bemerkbar, Avas nach
unferen Schulbegriffen z. B. von Schülern der vierten Claffe kaum begreiflich ifl.
Schade, dafs nicht neben dem Alter des Zöglings und der Clafle auch noch die Zeit-
<lauer feines Schulbefuches angegeben war, da in Amerika die Wahl der Claffe zum
Theil von den Schülern abzuhängen fcheint.
Sehr hübfche und geläufige Schülerfchriften exponirten die Volksfchulen
von New-York. Cincinnati, minder gute Cleveland (Ohio), befonders die deutfchen
Schriftproben waren fehr mittelmäfsig ; ebenfo Dayton (Ohio). BefTeres leifleten
New-Orleans, Baltimore, Boflon, Chicago, Toledo (Ohio) und Andere. Nicht
unerwähnt können wir lafTen, dafs auf der Rückfeite jedes einzelnen Schriftprobe-
blattes der Name des betreffenden Lehrers verzeichnet ifl.
Phonographie. A. E. Burnett aus Cincinnati flellte einige W^andtafeln
mit einer fürs Englifche berechneten phonetifchen Schrift aus. für welches Syflem
wir uns aus mehrfachen Gründen nicht erwärmen konnten; denn abgefehcn von
der unzweckmäfsigen und fchwierigen Schreibung — es ifl eine complicirte
Silbenfchrift mit fehr fubtilen Superpun<5lationen, hat eine phonetifche Schrift nur
«lann W^erth, wenn fie allgemeine Anwendung finden kann. Dafs für die verzwickte
englifche Ortographie eine vernünftige Phonographie fehr zu wünfchen ifl, ifl
übrigens mehr wie bei jeder anderen Sprache einleuchtend und begreiflich.
In Amerika fowohl wie in England hat die Phonographie trotz ihrer offen-
baren Mängel dennoch einen bedeutenden Anhang gefunden und es beflehen
ganze Vereine und, wie natürlich, periodifche Zeitfchriften für die Verbreitung
diefer modernen Schriftgattung. Doch können wir einer Schrift, die nicht alle
BedürfnifTe und Defiderien der fchreihenden Welt (nicht eines Volkes allein) be-
rückfichtigt und ausführt, keine Zukunft von Belang prognofticiren ; denn fo lange
ein Syflem Lücken aufweifl, flellen fich neue Syfleme mit neuen Mängeln ein. In
der That beflehen in England und Amerika mehrere folche Schreibfyfleme neben
einander und machen fich das Feld flreitig.
England.
Methode. Das glückliche Albion! Ohne fein geiingfles Hinzuthun
kam es, wie das fo den Auserwählten Fortunas zu widerfahren pflegt, in den Ruf
— bei vielen Kalligraphen nämlich — einer eigenen Nationalfchrift. Umfonfl fragt
man nach den Motiven, warum die gute lateinifche Curfivfchrift in fo vielen Vor-
lageheften undBlättern ^englifcheSchrift", ^^criture anglaife", „fcrittureinglefe" etc.
ö J. Hüpfcher.
heifst ! Da es fich doch höchftens um kleine, durchaus unwefentliche AbweichuDgen
in der äufseren P'orm handelt. — Glücklicher Weife ifl es nur ein Titel und. die
Briten fchreiben lateinifch. Die neuere englifche Schreibmethode jedoch, die
von keinem Kalligraphen behandelt wird, verdient aber hier einer Erwähnung,
trotzdem England in diefer Branche nicht an der Weltausftellung betheiligt war.
Diefe Methode verfchmäht nämlich alle die fchwierigen Oval- und Halboval- Striche
und geflaltet die gefammte Lateinfchrift fpitzig oder doch eckig. Diefe Methode
zu fchreiben ift wenig äfthetifch; dafür aber praktifch und macht wenig Kopf
zerbrechens: fie iü eben englifch. Beinahe allgemein wurde dfefe eckige Latein-
fchrift in England dadurch, dafs fie die jetzt regierende Königin Victoria zuerft
adaptirte. In der äufseren Form haben alle diefe Handfchriften eine ungemeine
Aehnlichkeit mit einander. Theils aus Beciuemlichkeit, theils als Modefache hat
fich diefe Schriftfpecies auch auf demContinente viele Anhänger (befonders Damen")
verfchafft und nur die wirklichen Schriftenkünfller fcheinen nichts davon zu wiflen.
da noch kein ContinentalKalligraph fie fchönfchreiblich behandelte und in fein
Syflem nuinahm.
S u 1) f e 1 1 i c n. England betheiligte fich an der Wiener Weltausftellung mit
drei Syflemen von Schulbänken.
Die Firma ('allaghan W. London, exponirte ein Syftem von Schul-
bänken nach Angabe des Augenarztes Herrn Dr. Liebreich. Der Herr
Docflor hat in feinem Eifer pro domo ganz aufser Acht gelaffen, dafs zum
Schreiben aufser dem controlirenden Auge auch die arbeitende Hand gehört, und
liefs eine fo enorm fchiefftehende Schreibplatte auf den fonft recht forgfältig und
zweckmäfsig conftruirten Schulbänken anbringen, dafs die Hand überaus ange-
ftrengt und auf die Dauer ganz arbeitsunfähig werden müfste. Hingegen traf er
es dello beffer, mit dem nach oben umlegbaren Vordertheile der Schreibplatte zum
fchiefftehenden Lefepulte. Die Rückenlehne ifl ein fchmaler Concavleiften. in der
Gegend des freien Rückgrats horizontal angebracht, und foll zugleich als Stütz-
und Ausruhobjeöl für die unbcfchäftigten Arme dienen. Der Schämel ift fchräg.
Die Schreibplatte trägt links einen Leiflen für ein etwaiges Buch , aus dem
copirt wird. Hammer George M., London, exponirte zweifitzige Schulbänke
von einfacher Conftrucflion für die Volksfchule und eine andere Gattung
mit vorwärts nach oben überfchlagbarem Lefepulte. convexer Rückenlehne und
einer auf der Platte angebrachten Federnfurche. Als Schreibobje<5l find beide
Syfteme zu fchräge gebaut.
Hawes, C. E., Norvich, zeigte fehr zweckmäfsig gebaute Schulbänke mit
nach unten zur Hälfte umlegbarer Schreibplatte. Die Rückenlehne ift ein wenig
fchräg nach rückwärts gebogen, und von nicht übertriebener Schiefe das Pult.
S tahl- Schrei b fe d ern. Die Stahl-Schreibfedern-Fabrication war durch
drei der renommirtcften enf^lifchen Firmen ausgezeichnet vertreten.
Jofef G i Hof f , G. Brand au er und D. Leonhard überboten einander
an Reichhaltigkeit und gefchmackvollem Arrangement ihrer zum grofsen Theil
vorzüglichen Produ(fle. Als neue Specialitäten erwähnen wir B randauer's doppel-
und mehrfpitzige Stahlfedern für Zierfchriften. Brandauer und Leonhard expo-
nirten noch ein reiches Affortiment von manchen fehr zweckmäfsigen Feder-
haltern.
Maurice de Leon & Comp, ftellte feine Federnhalter mit Tinten-Refer-
voir aus. Diefes Fabricat hat den Vorzug vor denen älterer Conftrudlion, dafs es
auf einen leichten Federdruck fich mit Tinte vollfaugt, die es fodann nach und nach
in die Concavität der Schreibfeder abfliefsen läfst, während die erften Tintenfafs-
halter erft eingefüllt werden mufsten. Trotzdem fchein uns diefs bequeme Schreib-
werkzeug zu hoch im Preife.
B r i t i fch - 1 n d i en. Wahrlich wir muffen uns oft und öfter an unfere
ftrenge Referentenpflicht erinnern, um nicht im Uebermafse unferes freudigen
Erflaunens und pietätvollen Vcrfinkens in die Urgefchichte der Menfchenkultur,
Der Schreibunterricht. 9
anflatt eines trocken objectiven Berichtes eine reflecflirend lyrifche Poefie nieder-
zufchreiben.
Man müfste ein Herz von Stahl, jeder edleren Regung unfähig, im Bufen
tragen, könnte man ungerührt die Schriften und anderen Unterrichtsgegenftände
betrachten, welche uns Indien herüberfandte und die einen Glanzpunkt der
gefammten Weltausflellung von 1873 bilden.
Von dem einfachen, dreifüfsigen Tintenzeuge, des einerfeits appretirten
und zufammengeroUten Schreibleinwand - Stückes und der Schreibfeder aus
fpanifchem Rohr, bis zu jenen complicirten Buchftaben-Geflaltungen, in welchen
die Gefänge und Schriften der Indier und nicht minder die Urtypen unferes foge-
nannten arabifchen Zahlenfyflemes und der Ziffernformen — welche Eindrücke,
welche Fluth von Gedanken muffen fie und noch dazu in der Atmofphäre einer
Weltausflellung von dem Umfange und der Bedeutung der unferen, anregen und
herauf befchwören.
Herrn Dr. Leitner und den intelligenten Corporationen und Schul-
vorfländen von Britifch-Indien aber fagen wir unferen aufrichtigllen Dank für die
lebhafte Betheiligung an unferer Weltausflellung in dem gerade hier culturell fo
ehrwürdigen und wichtigen, als intereffanten Zweige des Unterrichtswefens.
Streifen von Palmenpapier, wie wir fie hier vor uns fahen, mögen auch der
Stoff gewefen fein, auf welchem die heute fo berühmte, als für uns wichtige uralte
Literatur Hindoftansgefchrieben wurde, in einem Alphabete freilich, von welchem,
wie bei den meiflen todten Sprachen, viele Buchflaben als phonetifch ungelöfle
Fragezeichen vor unferem Auge flehen.
Mit eben folchen ülierkalkten Schreibbretern, wie fie die Schulen Hindo-
flans ausflellten, mögen auch vor Jahrtaufenden die Kinder Zoroafler's ihre erflen
Schreib- und Rechenverfuche gemacht haben, und diefelben kalligraphifchen
Spielereien und Randverzierungen, wie wir fie hier vor uns fahen, haben ficher
fchon vor un<lenklicher Zeit den naiven Kindern des Lichts Freude und Erhei-
terung verfchattt.
Die Methode des Schreibunterrichtes ifl, wie auch in neuerer Zeit bei uns,
eine analytifch fortfchreitende, und weifl fowohl in den verfchiedenen Formen der
einheimifch indifchen Schriftarten, als wie in den arabifchen ganz gut^ Refultate
auf. Auch die lateinifche Schrift hat unter den eingebornen Schülern, die aus dem
Englifchen oder ins Englifche überfetzen, manch' brave V'ertreter, und beweifen
daf^ fie fich auch der StahlSchreibfeder zu bedienen gelernt haben. Die europäifche
Politik mag den Kintlem des Oflens manche Unbill nicht erfpart haben, aber
die europäifche Cultur ifl human und zahlt mit Wucherzinfen den Enkeln
zurück, was deren Urahnen für die geiflige Entwicklung der Menfchheit geleiflet
haben.
Schriftproben von Schülern fandten das Localcomit<$ von Bengalen, das
Localcomit^ von -Madras, das Unterrichtsdepartement von Bombay, das Local-
comitö ebendafelbfl. M. Kampfon, Dire<5lor des öffentlichen Unterrichtes in den
nördlichen Provinzen, der Rajah Jye Kifhen Dofs fKalligraphien), derDirecflor
des Regierungscollegiums zu Agra, das Localcomite von Punjab, die Regierung
von Audh, das Unterrichtsdepartement der Centralprovinzen, das Localcomite
von Myfore, das Localcomite von Berar und das Localcomite von Hyderabad.
Aus Madras fandte Abdus Sarnat gefchmackvoll ausgeführte perfifche Kalli-
graphien und B. R. Tagure aus Bengalen eine intereffante Zufammenflellung
aller in Indien gebräuchlichen Alphabete. In der reichhaltigen und lehrreichen
Expofition des verdienftvollen Herrn Dr. Leitner fanden wir auch viele Schrift-
proben aus den Schulen Indiens und dem Cap der guten Hoffnung. So hat uns
England reich entfchädigt für die Lücke, die es in der Ausflellung des eigenen
Schulwefens auf der Wiener Weltausflellung gelaffen hat.
10 J. Hüpfchcr.
Portugal.
Wie fich die moderne Idee von der hochwichtigen Bedeutung der Volks-
fchule bei Regierungen und Völkern fiegreich Bahn bricht, davon gab das por-
tugiefifche Schulhaus einen fprechenden Beweis. Noch gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts konnten kaum zehn Percent der Bevölkerung lefen und der gefaminte
Unterricht lag ausfchliefslich in den Händen des Clerus. Steht Portugal auch heute
noch nicht auf der hohen Stufe der Volkserziehung, wie etwa die Schweiz,
Deutfchland u. f. w., fo zeigt es doch Ernft und Eifer, das Mögliche zu thun oder
wenigflens anzubahnen.
Schrei bmethoden flellten aus: J. Wage r- Ruffe 1, CoUecgao de
pantas Calligraphicos, methodo rapido d'aprender a escrever femmeftre. Metho-
difch geordnet ift diefes Syflem nach unferen Begriffen durchaus nicht ; die Schrift
ift gut und zeigt von grofser Formgewandtheit und bei einfacher Behandlung von
gutem Gefchmack. Schriftproben nach diefem Syflem fanden fich in zu geringer
Zahl vor, um ein endgiltiges Urtheil über deren Werth fellzuftellen.
Godinho aus St. Sebaftian brachte Vorlagen und Schriftproben von
Schülern. Leider konnten wir diefe Obje(fle nicht näher durchfehen, da der
Schlüffel zur Cafette, in welchem fie eingefchloffen waren, fich niemals vorfand.
Schriftproben, zum Theil recht fliefsend und ausdrucksvoll gefchrieben,
fanden wir aus der Real cafa pia in Liffabon, Afilo de Pedro V. dafelbft, Com-
munalfchule dafelbfl, National-Lyceum in Braga u. m. A.
Schreib-Schiefertafel von hübfch glatter Oberfläche in Holzrahmen
hat Francisco Lop es dos Santos Manilho, Volongo, ausgeftellt. Die Kork-
Federnhalter mit Holzkapfel find empfehlenswerth.
Schreibpapiere, zum Theil von fehr guter Qualität brachte Conto Joa-
quim de S a. F e i r a, Dias Manuel J, G o e s, F a 1 c a d L., F. P e n e 1 1 a, G. & H.
F r a d e f f o, Liffabon, Villa Nova Vicomte de la R a i n h a, Liffabon.
Subfellien mit abgefonderten, feflen Stühlen, Schublade. Fedemfurche,
verfchiebbarem Verfchluffe des Tintenzeuges und einer Spalte zum HineinAellen
der Schiefertafel mit wenig geneigter Schreibfläche fanden fich im Schulhaufe.
Spanien.
Gewiffe Wörter und Redensarten werden fo ftereotyp, dafs ernfler Wille
und Vorurtheilslofigkeit des GeiÜes dazu gehört, fie in ihrer abgeftandenen Schal-
heit zu entlarven, gerade fo, wie Menfchen, die fich eines unverdienten fchlechten
oder auch guten Rufes erfreuen, bis ein unwiderleglicher Beweis das gerade
Gegentheil documentirt. So ifl; bei uns das Wort fpanifch rein zur Schablone für
Unverfländliches und Unverftandenes geworden. Der Weltausftellung in Wien
blieb es vorbehalten, das Unhaltbare unfcrer fchiefen Anfichten über diefes Wun-
derland zu corrigiren, und was den Hunderten von Reifebefchreibungen nicht
gelang, das hat das grofse Wunderwerk im l*rater fchlagend bewiefen.
Spanien, einer der intereffanteften und wenigft gekannten Culturherde
Europas, hat uns im wahren Sinne überrafcht durch die Grofsartigkeit. den
Gefchmack, die Reichhaltigkeit und die treffliche Dispofition feiner Ausftellung.
So mancher, der mit einem gewiffen Nafenrümpfen diefe Räume betrat, ift vollauf
befriedigt und reich belehrt von dannen gegangen und Vieles ift ihm eher „fpanifch.,
vorgekommen, als Spanien felbft. Freilich branden die Wogen am hefiigften da,
wo ihnen die ftatrften Hinderniffe entgegenragen; doch über den endlichen Sieg
im Kampfe zwifchen Geift und Form kann heute nicht mehr geftritten werden.
Der Schreibunterricht. 11
Leider ift es uns nicht gegönnt, uns über das ausgedehnte Culturfeld, welches diefes
Land vor unferen Augen entrollt, weitzu verbreiten, und wirinüfTen in denbefchei-
denen Kreis unferer abgegrenzten Pflicht zurückkehren. Spanien hat feine eigene
Schreibmethode und hat fie ganz gut zur Anficht gebracht. Wir find mit den fpani-
fchen Schriftformen aber nicht einverflanden, weil fie durch die abweichende Bil-
dung der lateinifchen Grundformen nicht die Lefe-Einheit befördern, fondern fo wie
die Franzofen mit ihrer Ronde bedeutend flören, ein Vergehen, das aller National-
hochmuth nicht ausgleichen kann ; aber Methode, Entwicklung, Anordnung und
Gefchmack trotz der bizzaren Formen ihrer fogenannten efcritura iluftrada mufs
den fpanifchen Schreiblehrern durchaus vindicirt werden. Die mönchifchen Ver-
krüppelungen der lateinifchen Druckschrift haben auch die Spanier fchon
längfl aufgegeben und bedienen fich feit lange keiner „Fraölurfchrift** mehr, diefe
Formenthorheiten uns Deutfchen überlaflend, die wir uns noch, weifs Gott was,
darauf einbilden. Die folgenden Herren Schreiblehrer betheiligten fich an der
Weltausflellung theils mit ihren Vorfchriften allein, theils mit in den Schulheften
entwickelten Schreibmethoden: Die Patres der öffentlichen Unterrichtsanflalten in
Ye(5ta ; diefe Herren verquicken Schreiben und Zeichnen auf eine rügenswerthe
Weife. S. de Vicente y Odone, Profeflbr und Dire<flor der Schreibakademie (? 1}
in Madrid. Herr Odone ifl löblich bemüht, die lateinifche Curfivfchrift einzuführen,
und feinen Landsleuten mundgerecht zu machen, Reforma de Letras und Mer-
cantilfchrift benannt. Joaquim A 1 e ixan d r c, Direcflor einer Privat-Lehranflalt in
Madrid. Xifra N. Gerona mit einer mittelmäfsigen Methode der neugriechifchen
Schrift. D. P. Solis aus Valencia. Julian Vifias und Juan Gangoiti aus
Madrid. I'ablo Urunuela in Madrid, eine der Ijeflen Methoden und correcfleflen
Schriftformen. Francisco Ruiz Morota, fehr gute Methode, fcliöne Schrift.
Antonio Caflilla in Madrid, Methode und Schrift gleich brav. Francisco Paula
G o nz al CS aus Valencia, Mufleranordnungen für Schriftftücke, ein Unterrichts-
zweig, der nicht genug zu empfehlen ifl, da oftmals die bellen Schüler in Ver-
legenheit gerathen. wenn fie einen einfachen Brief zu fchreiben haben oder ein
Conto auffetzen follen.
Schreibpapiere von ausgefprochen guter Qualität und verhältnifsmäfslg
billigem Preife flellte Spanien in der füdlichen Quergalerie in ziemlich reicher
Auswahl aus. Trotzdem fanden wir die meiflen Schreibtheken aus inferiorem
Fabricate gefertigt, was bei dem Gebrauche der fpanifchen Schriftformen freilich
wenig vcrfchlägt, da fie nur mit flumpffpitzigen Federn gefchrieben werden können.
Für die gewöhnliche lateinifche Curfivfchrift werden indeffen durchwegs befiere
Papierforten verwendet.
SubfeUien fanden fich nur in Abbildung von Manuel da Sure da; fie
boten nichts Bemerkenswerthes und glichen in derHauptfache den portugiefifchen.
Mit hoher Befriedigung und dem Wunfche, es möge fich die lateinifche
Curfivfchrift bald allenthalben Bahn brechen, verliefsen wir die lehrreichen Räume
des fpanifchen Pavillons.
Schweden und Norwegen.
Gefegnet fei das Volk, welches feine höchfte Miffion begreift, und nicht
nur begreift, fondern fich loblichfl bemüht, dem Begriffe die That, foweit feine
Kräfte reichen, frifch und freudig folgen zu lallen. Und welch' höhere Miffion
könnte ein denkendes Volk haben, als diejenige für die fletig fortfchreitende
geiftige Entwicklung feiner fell)fl; untl feiner Kinder zu forgen.^ Darin liegt die
Kraft, der Wohllland der künftigen Gefchlechler, darin im wahren Sinne des
Wortes die hohe Idee der Unflerblichkeit des Gcilles. Denn nicht durch die
natürliche Abflammung fühlen fich die künftigen Gefchlechter mit den dahingegan-
genen verbunden, fondern durch den Geift: und delTen hohes Wollen und edles
12 J. HÜpfcher.
Streben. Ein Juilus v. Liebig hat zum wahren Wohlftande unferes Gefchlechte»
mehr beigetragen, als fammtliche Eroberer und Ausbeuter Indiens. Ein würdiger
Zweig des edlen germanifchen Stammes diefes Schweden !
Der Gefammteindruck, den fein zur Ausftellung gebrachtes, vollkommen
eingerichtetes Schulhaus auf uns machte, ifk ein feelifcher, erhebender; denn hier
wirkten Geift und Herz zufammen und fchufen eine volle Harmonie. — Haben
wir über viele Ausflellungsobje(5le aus dem Gebiete des Schreibunterrichtes
gerade aus der fchwedifchen Abtheilung nichts zu berichten; fo erkennt man doch
die gute Lehrmethode an den Schülerfchriften und den fchriftlichen Arbeiten
derfelben. Vorzüglich nach jeder Richtung hin find aber
die Subfel 1 i en und Schulbänke, die, was Zweckmäfsigkeit. Solidität und
Schönheit in Anordnung, Conftrucftion und Ausführung angeht, unübertroffen da
flehen; da ift nichts überfehen und nichts zu viel ;* und fchwerlich könnte man
fich etwas Praktifcheres an Schulbänken vorllellen.
Stahl federn-H alter aus Kork, leicht, mit voluminöfem Griff und ein-
gelaffener Metallkapfel zum Fefthalten der Stahlfeder, find nicht genug allen Jenen
zu empfehlen, welche viel zu fchreiben und empfindliche Nerven haben. Leider
ift das Fabricat für Schüler zu theuer, auch leichter zerbrechlich wie die Holz-
Federnhalter.
Seh reib tinte von guter Qualität flellte Gul 1 b e rg Th. aus Göteborg
aus ; ferner L u n d i; r e n P. W aus Stockholm.
Papier war meifl als Holzpapicr-Maffe ausgeftellt ; doch auch gewöhn-
liches Schreibpapier von guter Qualität, fo von Lee James aus Göteborg, von
der Fabriks-A(5liengefellfchaft R o f e n d a h 1 u. f w.
Frankreich.
Soweit wir die Gefchichte der Menfchheit, des mühfeligen Vorwärts-
fchreitens in der Cultur, ihres ruhelofen Ringens nach dem Befferen, ihrer Thor-
heiten und Verirrungen, und vor Allem ihrer unzähligen Kriege durchblättern ; feit
Marathon und Salamis hat kein Völkerkrieg fo allgemein menfchliche, fo
edle und veredelnde Früchte getragen, als der lc«zte grofse Krieg und Sieg
Deutfchlands gegen Frankreich. Nicht nur dem Sieger fielen diesmal die
Früchte feiner Grofsthaten anheim, nein, die ganze Menfchheit und allen voran
der Befiegte felber mag er aus momentanem Groll es auch nicht anerkennen
wollen, der Befiegte felber hat mehr, weit mehr gewonnen als verloren. Die
Thatfachen find es , die dafür zeugen.
Wenn fchon anno i866 die öffentliche Meinung dem befferen Schul-
meifler die Lorbern zufchrieb, die Preufsen über die heldenmüthige öfter
reichifche Armee davontrug, um wie viel intenfiver mufste fich nach den
unerhörten Grofsthaten von 1870 und 1871 diefe ganz berechtigte Anficht in
allen Schichten der durch die heutigen Commnnicationsmittel eng verbundenen
Völker des gefammten Ertlballs einniflen, und welch' unberechenbare Folgen
für die Gefammtcultur, wenn diefe Meinung in nacheifernde That umgefetzt
wird. Ein guter Anfang hierzu ift bereits gemacht; bis zu den entfernteften
Antipoden macht fich das Bedürfnifs nach Schule, und zwar gute, unbeein-
flufste Schule, geltend. Dafs auch der grofse Befiegte von 1870 diefe Anficht
zu der feinigen macht, beweifen die fchönen und erfreulichen Anflrengungen.
die er, trotz aller äufseren und inneren Hinderniffe macht, um fein im Argen
liegendes Volksfchul-Wefen zu verbeffern und zu heben.
* Nach Aiißabe des» Seminardircciors F. Sandhcrg in Stockholm. Von den kleineren
Banken kommt das Stück auf 8, und von den gn»r-»creu auf 11 fl. ofterrclchlfcher Wahrang
zu ftchen. Aus Xorwegcn lagen manche gute Schülerfchriften aus verfchicdencn V^olksfchulcn vor.
/
/
V *
Der Schreibunterricht. J 3
"1:1 1, als integrirender Theil des gefammten formellen
'; ''-.» n Frankreich in früheren Zeiten keiner befonderen
^ , '-s aber auf diefem wichtigen Segmente der
'uch vorwärts geht, bewiefen die vielen aiis-
nftproben von Schülern der Volks- und
/ ^ feine verbefTerte Schreibunterrichts-
*• . ogifch fortfchreitend angeordnet,
^ . * * . -'hriftformen find hübfch und
X « '^ie Schreihmethode verdient
>rden.
*- . lerricht, eine gut geordnete
.^^londeres, hingegen die Ronde
• reibmethode eingefandt, die von der
vvölf zum Theile vorpunktirten Schrift-
nd Selbflunteriichte dienen. Die Methode
.iformen find einfach und hül)fch.
agen für eine auf die „Ronde" bafirte fran-
.. Herr Flament hat auch Schriftproben feiner
>ch ganz gut anfchauten. Die einfache curfive Latein-
er gut gelungen, befonders haben die Grofsbuchflaben
.den Formen,
angois exponirte ein Handbuch der Kalligraphie mit hüb-
. und leichten Formen. Taiclet M. J., Remirmont, brachte
vi eine vom öffentlichen Difbridls-Schulvorftande genehmigte Lehr-
mit hübfcher Schrift und guter Anordnung für den Unterricht,
ge, Paris, brachte Vorlagen und Schreibhefte mit theils vorgezeich-
a unterdrück, theils mit leeren Linien zur freien Nachahmung. Die Klein-
.rift ifl gut ausgeführt, ebenfo das grofse Latein; hingegen find die Formen
der Grofsbuchflaben mangelhaft.
Victorin zeigte eine practifche Schreibmethode, doch mit etwas ver-
alteten Schriftformen von zweifelhafter Schönheit. Diefe Schreibmethode ver-
theilt fich auf eine Serie von Schülerheften. E. M. C, eine Schreibmethode,
um den Schreibunterricht zu vereinfachen, mit zum Theil vorpunktirten Buch
flaben. Die Schrift ifl gut, die Ausführung recht gefchickt.
Touffaint E., Schulinfpe<flor, fandte eine Sammlung von Schüler
fchriften aus dem Arrondiffement Peronne ; Gedalgo (junior i. Schulvorlagen
jn Schülerheften, die in den Volksfchulen von Paris angewendet werden. Gute
Methode, hübfche Formen. Boscary, eine einfache fchulgerechte Schreib-
methode für die italienifch fprechenden Provinzen Frankreichs.
Die Schülerhefte mit Vorlagen, welche Godchaux herausgab, haben
acht Blätter gutes Schreibpapier nebfl Einfchlagsdecke und werden zum Preife
von fechs Centimes verkauft.
Die chrifllichen Schulbrüder und die ,,Schweftern der V o r-
fehung" brachten Schülerfchriften, von denen fich befonders die kalligraphifchen
Mädchenarbeiten vortheilhaft präfentirten durch hübfche Züge und gefchmack-
vollen Anordnung des Ganzen, zum Theil mit hübfchen Randverzierungen.
Eine neue Methode, Taubftummme und Hörende zugleich fchreiben und
lefen zu lehren, ift eine interefTante Erfindung von Herrn Emil Groffelin in
Paris und heifst phonomimifche Unterrichtsmethode , bafirt fich auf mimifche
Zeichen, die auf ein kurzes flenographifches Syflem übertragen und aus diefem
erft in die gewöhnliche Schreibfchrift umgefetzt werden. Nach den ZeugnifTen
von Schulvorfländen foll diefe Methode fich fehr practifch erweifen, und fei
hiermit allen Lehrern von Taubftummen zur Prüfung empfohlen. Der Erfinder
14 J. Hiipfchcr.
ifl Secretär einer humanitären Gefellfchaft für den Unterricht von Taubftrmmen
zu gleicher Zeit mit gefunden Schülern.
Schüler fchriften aus Volks- und Mittelfchulen hatte Frankreich reich-
lich ausgeflellt. Die meiflen waren von fehr gefälliger Form und zum grofsen Theile
recht fliefsend und sans g^ne gefchrieben. Sie zeugen nicht nur von Fleifs unn
Ausdauer der Schreiber, fondern von dem Ernft und der guten Methode der
Lehrer.
ßefonders hervorzuheben fmd : Die Stadt Paris: Kalligraphien und fchrift-
liche Schularbeiten. Lyons, Ronen, Caen, Douai, Mirccourt, Dijon, Foix, Lifieux
Poitiers, Arpajon, Gannat, Verfailles, St. Arnould, Touloufe, Tours und Anderem.
Hervorzuheben find noch die hübfche Lineatur, das gute Papier, die Billig-
keit des Schreibmateriales und die praktifche und fchöne Anordnung der Titel
blätter.
Schreib -Schiefertafeln von fehr guter Qualität und praklifcher
Herrichtung für Schulen nebfl leicht zeichnenden Schreibgriffeln exponirteu die
Herren Indre, Deupes, Ardoife, Suzanne, theils linirt und mit aufgedruck-
ten Vorlagen, theils einfache und unlinirte.
Schrei b-Stah Ifedern hatte Frankreich beinahe gar keine ausgeftelli.
Wir fagen fafl gar keine, denn die unzureichenden zwei oder drei Fabricate find
kaum der Mühe des Erwähnens werth. Subfellien. Bapteroffes F., Paris,
ftellte einige fehr einfach conftruirte Schulbänke aus, welche die Concurrenz
mit denen anderer Culturflaaten nicht aushalten. Die Schreibpapiere flan
den weit zurück vor anderen Papiergattungen, die zu Induftrien und Cigarretten
verwendet werden. Tinte konnten wir keine prüfen, da fie in verfchlofTenen
Gefäfsen aufbewahrt fland. Hingegen waren die S c h r e i b kr e i d e - W ü r f e 1
von fehr guter Qualität.
Stenographie war vertreten durch Montet, der einen gedrängten
Curs de Stenographie brachte und Grünebaum's llenographifche. nach Gabeis-
berger's Syftem bearbeitete Tafeln , die indefs nicht durchaus abgerundet und
egal fich darflellt.
Schweiz.
Die hohe Stufe, welche diefes glückliche Staatswefen in der allgemeinen
Cultur einnimmt, zeichnet es ganz befonders noch in feinen öffentlichen Schulein-
richtungen, feiner durchgreifenden Organifation der allgemeinen \'olkserziehung,
vor vielen anderen weit gröfseren und von der Natur unendlich reicher gefcgneten
Staaten, höchfl rühmlich aus. Was uns Portugals Schulhaus als hoffnungsvolle
Anfänge auf dem Gebiete des Schulwefens darbietet, das zeigt uns das
fchweizerifche Chalet in kräftigfler Blüthe. heranreifender oder vollendeter
Frucht.
Dem Schreibunterrichte wurde die Ausflellungs-Commiffion ebenfo gerecht,
wie allen anderen Unterrichtszweigen in dem weiten Gebiete der Volksbildung
und Erziehung.
Die Erziehungsdire(5lion des Cantons B afeil and exponirte M. J. Hüb-
fcher's Vorlagenhefte unter dem Titel : ..Praktifcher Lehrgang zu einem erfolg-
reichen Schreibunterrichte". Diefe Methode ifl wohl nicht neu, aber immerhin
praktifch und pädagogifch fortfchreitend. Die deutfche Currentfchrift ift wunder-
hübfch, einfach und gefchmackvoll. Die Lateinfchrift hingegen überfleigt das
Durchfchnittsmafs nur fehr wenig. Die lithographifche Ausführung ift meifterhaft.
J. S t e i d i n g e r's Rondevorlagen find fehr empfehlenswerth, in der Formgebung
perfeöL
Die Erziehungsdirecflion des Cantons Bern ftellte Wandtafeln mit ein-
fachen deutfchen Currentfchrift-Formen für Volksfchulen aus. Die Schriftenvor-
lagen find gediegen und von praktifch gefälliger Anordnung.
Der Schreibunterricht. 1;)
Die Erziehungsdirecflion des Cantons Frei bürg (lellte Vorlagecartons
auf fteife Deckel gefpannt aus, in der Art wie Zeichenvorlagen an Schulen
gehalten werden ; die Idee, befonders da der Unterrichtsftoff gradatim geordnet,
und auf die einzelnen numerirten Cartons vertheilt ift, verdient Nachahmung.
Schrift und Methode find auch entfprechend.
Die Erziehungsdireölion des Cantons Genf brachte Anifenfel's Exem-
ples d'ccriture von nicht unbedeutendem Werthe , da die Methode fortfchreitend
durchgeführt und die modernen Buchftabenformen wenig zu wünfchen übrig
laffen. Die Erziehungsdirecflion des Cantons Neuenburg exponirte Vorlagen in
franzöfifcher National-Rondefchrift, fowie Lateinvorfchriften, beide gefchmackvoU
und pädagogifch gut zufammengeftellt. Die Erziehungsdirecflion des Cantons
Thurgau, deutfche Vorlageblätter für Volksfchulen von Ulrich Schoop in
St. Gallen. Nach der Anficht des Herausgebers ..genetifch'* geordnet. Die
beigegebenen Ziffermufler find recht dilettantifch in der Form. Auch die Capital-
und Rondefchriften find nicht fehr meifterhaft ausgefallen. Eine Zufammenftel-
lung gebräuchlicher kaufmännifcher Abbreviaturen ifl anerkennenswerth.
Die Erziehungsdire(flion des Cantons Zürich, Schreibhefte und Schreib-
vorlagen, beide gleich gut, nach Corodi's bewährtem Unterrichtsfyftem.
Laufanne exponirte Guignard's methodifch gut geordnete und
praktifch gefchmackvoU ausgeführte Lateinvorfchriften. Andere Lateinvorfchriften
von Bert holet verdienen ihrer Einfachheit und gediegenen Ausführung wegen
alle Anerkennung.
Schulbänke nach Dr. J. Frey's Angabe exponirte Zürich in zwei
Exemplaren mit abgefonderten und verbundenen Rückenlehnen zum Höher- und
Niederfchrauben , Vorleiflen zur Aufbewahrung der Schiefertafeln und fehr
fchräger Schreibplatte.
Italien.
Mit klarer Einficht begriff das kaum freiaufathmende Italien die Noth-
wendigkeit einer befferen Volkserziehung und mit Energie fing es an, die geiftige
Lethargie von dem im Knechtfinn und pfäffifcher Verkommenheit verfunkener
Nachkommen der Medicäer zu verfcheuchen und mit allen ihm zu Gebote flehen-
den Mitteln neues geifliges Blut in die entnervten Volksadern zu leiten.
Ein höchfl erfreuliches Zeugnifs der glücklichen Cur gab dem Genius
Italiens die Wiener Weltausflellung. Die grofsen Völker-Wallfahrten zu den
Kunflwerken und Geiftesfchätzen in den Praterauen , wo Italien wahrlich nicht
den letzten Rang behauptete — nun fie find unftreitig auch lehrreich und
auferbaulich, und wer echt fpommen Gemüthes diefe Stätten betreten, wird fie
gewifs nicht weniger fromm verlaffen haben. Vor welcher culturlichen Riefen-
aufgabe die giovine Italia (land, ift leicht begreiflich, wenn man bedenkt, dafs in
den mittelitalienifchen Provinzen kaum 8 Percent der männlichen und in den
fiidlichen kaum 5 Percent lefen und fchreiben konnte. Freilich nimmt die
Romantik des Meuchelmordes vcn Jahr zu Jahr ab, feitdem die Menfchen
neben dem Gebete auch lefen und fchreiben lernen und arbeiten und fleifsig
Steuern zahlen.
Nicht weniger als durch feinen Himmel und andere hübfchen Dinge ift
Italien von jeher durch feine Kakographie bekannt. Wenn die P'ranzofen die
Sprache dahin definirten, fie fei ein Mittel, das zu fagen, was man nicht denkt,
fo glaubte jeder Italiener, die Schrift fei darum erfunden, damit fic Niemand lefen
könne. Und wie fich fchon zuweilen zur Bornirthcit eine eingebildete Supriorität
zu gefeilen pflegt, fo waren die Italiener alten Stiles auf .ihre Hühnerfüfse noch ftolz.
Als draftifches Beifpiel möge dienen, dafs vor etwa zwanzig Jahren ein reicher
Wiener Kaufmann einen Advocaten in Mailand befchäftigte, aber trotz der
1(5 J. Hüpfchcr.
(lenklichflen Entzifferungskünfte keinen Brief feines Anwaltes lefen konnte. In
feiner Guthmüthigkeit fchrieb er dem Docflor, er möge auf feine (des Kaufmanns)
Rechnung fchönfchreiben lernen; denn er könne unmöglich defTen jetzige Hand-
fchrift lefen. Entrüflet fchrieb ihm der Advocat zurück: Mein Herr! ich kann
fchon fchreiben ; wenn Sie aber überflüffiges Geld haben, fo lernen Sie felber
lefen.
Das ift mit der neuen Area auch befier geworden; in den Schulen Italiens
lernen die Kinder heute weniger Latein und beten ; dafür aber lefen und hübfch
und leferlich fchreiben. In Italien find die Schreiblehrer ebenfo wie anderswo
beftrebt, die alten Formen abzufchaffen und der modernen einfachen und
fchnelleren Handfchrift überall zum Durchbruche zu verhelfen. Zur Ausftellung
kamen Muflervorfchriften von G. Carl in aus Turin, deren Grofsbuchflaben- und
Ziflfernform viel zu wünfchen übrig laffen, aber fonft methodifch gut zu verwenden
find.
Sehr lobenswerthe Vorlagen hatte P. Bruno aus Florenz gebracht. Mehr
gekünftelte und weniger einfach gute Schreibvorlagen brachte Grimald i; etwas
beffere Formen von Curfivfchriften exponirte Modaferri aus Reggio , fehr gut
lithographirt bei Bühring in Meffina. Profeflbr Marco Vegezzi aus Bergamo
brachte ein eigenes flenographifches Syftem. das zwar nicht fo hübfch wie das
Gabelsbergerifche fich ausnimmt . dafür aber ungemein kurz ift. Diefes Syftem
hat in Oberitalien fich vielfachen Anhang erworben.
Von Subfellien fanden wir eine für Volksfchulen zweckmäfsig und ein-
fach conftruirte Schulbank von ProfeflTor G. Dujardin aus Pavia. Ebenfo fanden
wir gute Papierforten und Schiefertafeln, fo wie eine reichhaltige Ausftellung von
fehr guten und billigen Tinten.
Belgien.
Wie nicht anders zu erwarten war, hat fich das induftriös und culiurlich
hochentwickelte und ftrebfame Belgien auch in der XXVT. Gruppe her\'orragend an
der Wiener Weltausftellung betheiligt. Es ift höchft erfreulich, dafs die kleinen
Staaten in unferem Jahrhunderte zu der Einficht gelangt find, dafs nicht politifchc
Nothwendigkeit, welche die Diplomatie fo gern im Munde führt, ihren Beftand
neben den Staatenkoloffen garantirt, fondern die Intenfität ihres geiftigen und
induftriellen Schaffens, ihr humanitäres und freifinniges Wirken ihnen die Sym-
patien der grofsen Nachbar\'ölker entgegentragen. Freiheit, Arbeit, Recht und
Gefetz haben in unferem Jahrhunderte eine Macht erlangt, von welcher in früheren
Zeitläuften nur die beften Geifter träumten.
Schreibmethoden hat Belgien mehrere recht gefchickte ausgeftcllt;
f o : Geilewaert P. ein vollftändiges methodifch nur etwas zu breit gehaltenes
Syftem einer geläufigen kaufmännifchen Handfchrift. Die fehr hübfchen Schrift-
formen find wohl geeignet, eine gediegene und geläufige Schrift zu erzielen, find
aber hier und da durch unnütze Zuthaten und Züge den Principien der Einfachheit
untreu.
Die deutfche Currentfchrift und die Capitalfchriften entbehren meift der
vollendeten Form. Die Ausftattung aber ift alles Lobes werth.
Lory- de Lact P. in Brüfiel exponirte eine praktifche Anweifung zur Er
lernung einer gediegenen Gefchäftsfchrift. Die Methode ift praktifch gehalten,
die Schriftformen von gediegener Einfachheit und Formfchönheit.
Beauj ot H. Ch. in Lüttich exponirte eine Schreibmethode von pädagogifch
nicht unanfechtbarem Werthe. Hierzu einen ausführlichen Commentar, die Theorie
feiner vermeintlich neuen Erfindung behandelnd.
Schreibtheken von verfchiedener Form und Lineatur, theils mit, theils
ohne Vorfchriften und Vorpunktirungen ftellten aus Gebrüder Geilewaert; Robyns
F. A. aus Gelinden in der Provinz Limburg ; Braun Th. in Nivelles. Provinz
Brabant, fehr fchönes Papier und praktifch gebunden u. A.
Der Schreibunterricht. 1 7
Dänemark.
Wüfäten wir nicht, dafs das Schulwefen in Dänemark, fehr gut beftelli und
im Ganzen auf deutfchem Fufse eingerichtet, die erfreulichften Blüthen treibt,
aus feiner Unterrichtsabtheilung hätten wir's kaum erfahren. Schreibvorlagen
fanden wir von C.Magnus, gediegene einfache Schriften, deutfch und latein.
Der Schreibapparat oder vielmehr zufammenfetzbare Wandtafel mit auf Quer-
flreifen überfchriebenen Buchftaben-Muflern, die fich zu Wörtern und Sätzen zu-
fammenftellen laden, daher den Kalligraphen befonders in Dorffchulen, fo wie
Schönfchreib- Vorlagen entbehrlich machen, war fehr intereflant.
Malling-Hausens Schreibmafchine gehört nicht hieher und kommen
wir fpäter darauf zu fprechen.
Die wenigen ausgeflellten Schülerfchriften , obzwar recht lobenswerthe
Refultate einer Volksfchule, laflfen auf das Ganze keinen allgemeinen Schlufs ziehen.
Billige und fehr gute Tinte , fowie ein vorzügliches chemifches, im Waffer
augenblicklich fich auflöfendes und prächtige violette Tinte gebendes Tinlen-
papier exponirte P. Rönning aus Kopenhagen.
Niederlande.
Der europäifche Schreibünterricht war nur in wenig, Obje<5len vertreten;
hingegen lagen in der niederländifchen Abtheilung für die Colonien fehr be-
achtenswerthe Vorfchriften und kalligraphifche Methoden für die Völker in den
niederländifch-afiatifchen Befitzungen auf, aus denen wir leicht erkennen konnten,
dafs die niederländifche Regierung ihre Colonialbevölkerung mit guten Schulen
und gutem Unterrichte ausrüftet.
Deutfehes Reich.
So oft wir vor dem mit Gruppe XXVI bezeichneten Holzgehäufe, den fich
der deutfche Schulmeifter zwifchen dem Induftriepalafle und Mafchinenhalle auf-
zimmerte, vorübergekommen, erinnerten wir uns des alten Orakelfpruches, der den
Athenern den ftrategifchen Rath ertheilte, fich hinter hölzerne Mauern zu ver-
fchanzen, allwo fie fiegesgewifs den übermüthig heranrückenden Feind erwarten
füllten. Nun das neue deutfche Reich befitzt ganz refpeölable Kriegsfchiffe. deren
eines allein hingereicht haben würde, die gefammten Flotten der Athener und
Perfer in den Grund zu bohren, und Krupp's und Dreyse's Fabricate haben fich
bei mancher Gelegenheit auch nicht fchlecht bewährt; aber trotz alledem hat
das Orakel auch heute recht; denn fo lange die Deutfchen ihre Stärke hinter
folchen hölzernen Mauern fuchen, wie die mit Gruppe XXVI überfchriebenen,
find und bleiben fie unüberwindlich, felbft wenn hundert Xerxeffe über zukünftige
Revanche brüteten. Wenn wir fo das deutfche Schul- und Erziehungswefen be-
trachten, wie es hier zur theilweifen und überwältigenden Anfchauung gebracht
wurde, konnte jeder Schulmeifter eine Anwandlung von Stolz bekommen, denn
fo reich war Deutfchland nirgends vertreten, wie in feiner Schule.
Schreibmethoden. Wie in allen Fächern des Volkfchul-Unterrichtes
war das deutfche Reich auch mit vielfachen Methoden für den Schreibunterricht
aufunfcrerWeltausftellung vertreten. An die Spitze fämmtlicher Ausfleller diefes
Unterrichtszweiges Hellen wir unbedingt die Schreibvorlagen von Louis Müller
aus Frankfurt am Main, deffen vortreffliche Methode nur von der aufserordentlich'
fchönen Formgebung der Schrift felber übertroffen wird. Die Refultate feiner
Methode , die in den Schülerarbeiten und Kalligraphien feiner Zöglinge vielfach
2
18 J. Hüpfchcr.
zum Ausdruck gelangten, find die möglich glänzendflen. Die äufsere Anordnunjj
der Schriften von muflerhaftem Gefchmack, die Ausführung untadclhaft.
C. Adler aus Hamburg, progreffive Schönfchreib Hefte mit Vorlagen in 12
Sprachen. (I) Das Papier ift gut, die progreffive Methode ift ziemlich gut einge-
halten , die Lateinfchrift von anerkennenswerther Einfachheit und Form, die
deutfche Schrift hingegen blieb, was Ausführung und Form betrifft, im Hintertreffen.
L. J. Hartmann aus Stuttgart brachte flufenmäfsig geordnete Vorlagen
für die deutfche und lateinifche Schrift unter dem Titel : Methodifche Anleitung
zum Schönfehreiben. Das Werkchen ift fehr erapfehlenswerth, da die Methode
und die Schrift felber gleich trefflich find; nur einige Grofsbuchftaben-Formen der
Lateinfchrift hätten glücklicher gewählt werden können.
Schriftproben nach Bäumel'fchem Ductus brachte das Dresdener Frcimaurer-
Inftitut für Töchter und Lehrerinen. Nach den hübfchen Refultaten zu fchliefsen,
die fehr befriedigend find, mufs diefe Methode fehr gut fein. Von anderen expo-
nirten Schreibfyftemen und Vorfchriften könnten wir mehr oder minder nur das-
felbe fagen.
Schülerfchriften lagen maflenhaft vor und zeugten von derFürforge, die auch
dem Schreibunterrichte an den Volks- und Mittelfchulen Deutfchlands zugewendet
wird. Befonders hervorzuheben ift der fortgefetzte Schreibunterricht in den
unzähligen Fortbildungs-Schulen. Die betreffenden Schriftproben beweifen, wie
nothwendig und wohlthätig die Wirkfamkeit diefcr Einrichtungen find, und wie
fehr fie allenthalben zu empfehlen find.
Ergreifend ift der Anblick der von den Zöglingen des Dresdener Blinden-
Inftitutes ausgeftellten Schriftproben, die fich befonders in Briefen einftiger Zög-
linge an den Dire<5lor rührend ausfprechen.
Nicht zu überfehen find die hübfchen und zum Theil fehr geläufigen Schriften
der Elevinen der vielen Frauenerwerbs-Vereine.
Die Schulhefte haben durchaus paffendes, halbglattes und weifses Schreib-
papier. In Lineatur und Vorfchriften weichen fie je nach den verfchiedenen Unter-
richtsmethoden von einander ab.
Geeignete Schreib-Schiefertafeln ftellten aus Häuf A. aus Holzmaden bei
Kirchheira; die weltberühmte Firma A. W. Faber aus Stein bei Nürnberg. Auf
merkfamkeit verdient die patentirte deutfche Schreibtafel von Wagner aus Kopitr
(Wagner & Stiezel, Dresden), die in Schulen fowie im Haufe zum Schreiben
mit Feder und Tinte dient. Sobald das Gefchriebene nicht mehr gebraucht wird,
löfcht man es mit einem feuchten Tuche weg, und die Schreibtafel dient vom
Neuen zum Schreiben. Eine folche Tafel foU mehrere Jahre ausdauern.
Schulbänke waren in mehreren Modellen vertreten. Die J. K a i f e r'fche
Schulbank ift recht praktifch conftruirt, doch fanden wir die Schreibplatte zu fchief
gebaut. Verbefferte Kunze'fche Schulbänke brachten Bahfe &IIaendeI aus
Chemnitz. Sehr brauchbare, gut und dauerhaft conftruirte Subfellien für Knaben
und Mädchen von 6 bis 15 Jahren, und je nach Material und Anftrich zu verfchie-
denen Preifen. Eine verftellbare Subfellie fürs Haus dient für gröfsere und kleinere
Kinder zugleich. Diefelbe Firma brachte noch die Vi ewege r'fche Schulbank,
die ebenfo finnreich als praktifch entworfen und ausgeführt ift. Noch erwähnen
wir die drehbare Schul-Schiefertafel derfelben Firma. Fernerbrachten Mufterfchul-
bänke B. Schlefinger aus Breslau, Spatz aus Efslingen und Otto R u p p e r t
aus Chemnitz.
Stenographie. Die Gabelsberger'fche ebenfo wie die StolzeTche Steno-
graphie fanden fich reichlich vertreten durch Vereine, Lehrbücher, Schülerfchriften
und Zeitfchriften. Ganz zwecklos fanden wir die Auflegung eines Vifitenbuchs vor
dem Kaften, der Stolze's Heiligthümer einfchlofs ; über den Inhalt, den fich die
beiden Syfteme an den Kopf warfen, ift der befte Bericht — Schweigen.
Pafigraphie. Eine ideographifche, auf einer Combination von unleren
arabifchen Ziffern beruhende Internationalfchrift von Anton Bachmayer aus
Der Schreibunterricht. 19
München fcheint durchaus nicht ohne Berechtigung in die Zukunft zu fehen. Die
Erlernung ift kaum fo fchwer wie irgend eine beliebige Sprache, und gewährt den
Vortheil fich ideographifch mit Jedermann, der diefe Kunfl fich angeeignet hat.
verfländigen zu können. Der Verein für diefe Schrift hat bereits Wörterbücher
in mehreren europäifchen Sprachen herausgegeben.
Oefterreich.
Es war für den Vaterlandsfreund ein erhebendes Gefühl, die Räume der 26.
Gruppe zu durchwandern. Corporationen und Vereine und Einzelne haben mit der
Regierung gewetteifert, das eigentliche Werk der Weltausftellung mit Vielem vom
Guten und Beflen zu fchmücken, was der Zug der neuen Aera in den Geiftern
gereift oder doch zu vielverfprechender Blüthe gebracht hat. Es fei ferne von
uns, über das Geleiflete das noch zu Ueberwindende aufser Acht zu laffen. So
gerechtfertigt unfer Drängen nach kräftiger Initiative von Seiten der Regierung
auf dem Gebiete der Volksfchul-Verbefferung ift, dasBefte müflen wir Lehrer ftets
von uns felbft, von unferer eigenen Veredlung und Vervollkommnung erwarten.
Was von der einen und der anderen Seite im abgelaufenen Decennium Gutes
gefchah, ift alles Lobes werth und fei uns ein Sporn unermüdet weiter zu
fchaffen. »
Die CoUecflivausftellung des öfterreichifchen Unterrichtsminifteriums zeugt
von dem edelften Streben diefer hohen Behörde, der Nationalerziehung nach
Möglichkeit gerecht zu werden. Von fämmtlichen Provinzen Weftöfterreichs
find zu diefem Zwecke auch die fchriftlichen Arbeiten einzelner Volksfchulen
fowie Schönfchriften im engern Sinne reichlich eingelaufen, die im Grofsen und
Ganzen hinter den heften Schulfchriften anderer Staaten nicht zurückftehen ;
ja einzelne ein- und zweiclaffige Volksfchulen leifteten geradezu überrafchend
gute Refultate. Befremden mufste es, dafs im Gegenfatze zu den Provinzftädten
und dem flachen Lande, gerade Wien und die gröfseren ProvinzHauptftädte
in diefem ganz und gar nicht fo unwichtigen Zweige der formalen Jugend-
bildung beinahe gar nicht, oder nur fehr unzureichend vertreten waren. Umfo-
mehr mufste diefe Lücke in der Colle<5livausftellung auffallen, als gerade die
Centren beinahe das ganze Contingent von Vorfchriften und Schreibmethoden
ftellten. Wenn wir über die Schülerfchriften uns im Ganzen lobend geäufsert,
fo können wir dasfelbe leider von der Anordnung der Schriftftücke nur in fehr
eingefchränktem Mafse thun. Und doch ift die äufsere Form ein bedeutendes
pädagogifches Mittel, um Ordnungsfinn, Verftand und guten Gefchmack der
Volksfchüler zu entwickeln. Die zierliche Buchftabenform geht meift in fpäteren
Jahren verloren und weicht einer praktifcher ausgebildeten oder auch fchweren
und unbeholfenen Hand ; der geweckte Sinn für gefchmackvoUes und paffendes
Arrangement von Schriftftücken hingegen bleibt unverkümmert felbft dem mit
fchriftlichen Arbeiten feiten befchäftigten Handwerker. Selbft auf die Gefahr
hin eines kleinen Papierverluftes empfiehlt fich die Beobachtung des hübfchen
und verftändigen äufserlichen Arrangements.
Vertreten waren Böhmen durch Kuttenberg, Kolin, Böhmifch-Trübau,
Kaile, Nachod, Trautenau, Kralupech, Warnsdorf, Polna, Budyn, Würbenthai,
Graber bei Leitmentz, Chateruzka bei Prag, Opocno, Beraun, Jicin, Schlan,
Sobeslau ; — Mähren durch Olmütz; Schlefien durch Troppau und Tetfchen;
Bukowina durch Cernowitz und Maienfeld ; — Niederöfterreich durch Wels ;
Salzburg, durch Stadt Salzburg, St. Johann, St. Andre und Aigen ; Steiermark,
durch Graz, Leibnitz, Marburg, Trifail, Doli, Pragwald, Wildon, Tüffer, Deutfch-
landsberg, St. Leonhard, Steinbrück, St. Margarethen , Tfchadram, Hraftnig,
St. Gertrud, St. Jofef, Gonobitz; Krain, durch Laak, Kaftua, Dolina, Merkaufch ;
das Küftenland durch Trieft, Görz, Konnons, Ronchi, Rovigno, Parenzo, Capo-
diftria, Pirano, Monfalcone, und St. Andrea; — Dalmazien durch Zara.
20 J. Hüpfchcr.
Schön fchreib- Methoden und Vorfchriften. M. Greine r's
Vorlagen wurden von der Jury prämiirt. Seine Schönfchreibhefte erfreuen fich nur
getheilten Beifalls. Die Rofenf eld'fchen Vorlagen leiden an kalligraphifchen Unrich-
tigkeiten und Härten; deflen Lateinfchrift ifl nichts weniger als meiflerhaft. Die
C. Muck'fche Methode ift im Ganzen pädagogifch richtig, die Schriftformen
gröfstentheils gediegen, zeigen nur hier und da Härten, die leicht vermieden
werden könnten.
Sehr empfehlenswerth find die Schreibvorlagen für die Hand der Schüler
an den Volksfchulcn des Schulbezirkes Tetfchen. Gute Methode und gediegene
Schriftform kennzeichnet fie.
Antonio Mazzo ran a aus Trieft bot feine kalligraphifchen Vorfchriften,
die nichts weniger als fchöne Formen find, in einem Chaos von „Zügen" einge-
hüllt; das Ganze ift veraltet und wenig empfehlenswerth. Levz von Trieft
brachte Schreibvorlagen von ziemlich hübfchen Formen und angehender Methode.
Die Poko rny'fchen Schreibvorlagen empfehlen fich befonders als deutfche
Currentfchrift ; die Lateinfchrift ift bei Weitem nicht tadellos.
Bunzel aus Prag ftellte neben recht fchöngefchriebenen kalligraphifchen
Arbeiten eine Schreibmethode von zweifelhaft pädagogifchem und durchaus nicht
unanfechtbar äfthetifchem Werthe aus. Den beigegebenen Schriftproben von deffen
Privatfchülern legen wir kein Gewicht bei.
Johann Marek aus Eger exponirte fehr hübfche deutfche Vorfchriften;
die Lateinfchrift hingegen liefs viel zu wünfchen übrig, befonders die Form der
Grofsbuchftaben.
Franz Folker, Befitzer einer kaiferlichen Auszeichnung, ftellte auch eine
nichts weniger als ausgezeichnete Schönfchreib Methode aus.
Eine manierirte, von der fo fehr wünfchenswerthen Schreibeinheit ab-
weichende, mit vielen unnützen Strichen und Zügen verzierte Schönfchreib-
Methode exponirte Holder.
Aus Windifch-Gratz lagen Schriftproben von Schülern der vierclafTigen
Volksfchule vor. Die Fortfehritte in der Schrift find fichtbar, wenn auch nicht
glänzend ; die Methode befchränkt fich auf das Einfache, Nothwendige. Schade,
dafs fämmtliche exponirte Probefchriften in Doppelzeilen gehalten find, die der
individuellen Entwicklung der Hand, befonders in einer vorgefchritteneren Claffe,
mehr hinderlich als nützlich find.
Aus Roveredo fanden wir gefchmackvoU ausgeführte kalligraphifche
Arbeiten der Schülerinen der englifchen Fräulein zum „Heiligen Kreuz". Wir
freuten uns doppelt über diefe Arbeiten, weil wir die Buchftaben Malerei fiir
eine echte Frauenarbeit anfehen, fo wie das Sticken, Schlingen und andere zierliche
Dinge, die den feinfühlenden Damenfingern ihre Entftehung verdanken, ohne für
Zeitverfchwendung gehalten zu werden. Die Kalligraphie im weiteren Sinne ift
eine echte Frauen- und Klofterbefchäftigung, ein unfchädlicher Zeitvertreib. Gute,
markige Schriftzüge, ohne Verrenkungen und Verzierungen, das find einzig und
allein die Attribute, welche der kräftigen Männerhand zuftehen ; alles Zierliche,
Manierliche, Ueberflüffige möge die Domäne fchöner Hände bleiben. Sobald aber
diefe in das praktifche, bis vor Kurzem nur Männern zugängliche Gefchäftsfach
übergreifen, wird auch hier das Nothwendige über das blofs Gefällige und Spielende
den Sieg davon tragen. Beweis deflen die fchriftlichen Arbeiten der Elevinen der
beiden Frauenvereine von Wien und Prag.
Hier findet man nur feiten den eigenthümlichen Frauenhand Charakter
vertreten, die meiften Schriften find einfach, kräftig und zeugen von dem Ernfte
der Schülerinen und der Lehrer, nur das Prakti/che und Nothwendige zu verfolgen.
Die Handfchriften der Elevinen des Prager Frauen-Erwerbvereines tragen
das Gepräge der ausgezeichneten Fifchel'fchen Schreibmethode an der Stirne.
Lobend zu erwähnen ift bei beiden die gute und gefchmackvolle Anordnung der
Schriftftücke.
Der Schreibunterrioht. 21
Dafelbft fanden wir „Fink's Schreibfchule** aus den dreifsiger Jahren Wiqns.
Wir wollen auch hier von den Zierfchriften abfehen, die fich denn mehr oder
weniger Überall gleich bleiben und nur erwähnen, dafs fowohl die deutfche als
lateinifche Schrift methodifch vorfchreitend, vielleicht allzu minutiös bei der Zer-
gliederung der Buchflabenformen einen ausgezeichneten Schreiber und trefflichen
Lehrer documentiren. Von Uebertreibungen ift Fink's Methode frei. Die Latein-
fchrift befonders ift kräftig und edel.
Ein anderes kalligraphifches Klofterprodudl bot die „Additionelle Abthei
lung" in den fpärlichen fchriftlichen Arbeiten der Urfulinerinen aus Kuttenberg in
Böhmen. Die Methode ift manierirt und eine Unzahl von langen fpiefsähnlichen und
ganz übeiflüfligen „Zügen** bedecken die fonft nicht ungefälligen Schriftformen.
Schriftmufter für Techniker jeder Art nebft wundervollen kalligraphifchen
Arbeiten exponirte J. Schrotter, zum Theile in der Abtheilung ftlr gra-
phifche Kunfi. J. W i n k 1 e r in Wien wurde durch eine Schülerin-Schrift repräfen-
tirt ; wenn man aus den Refultaten auf die Motoren zu fchliefsen berechtigt ift, fo
ift diefer Schreibmeifter aller Anerkennung werth, fowohl was die Formgebung,
als die gefchraackvoUe Dispofition betrifft, W. Albel's Vorfchriften documen-
tiren einen tüchtigen Fachmann und guten Deutfchfchreiber; deffen Lateinfchrift
fteht nicht auf der Höhe der Kunftfchriften. Friedrich Sandtner's Vorlagen
boten nichts Bemerkenswerthes. Muck's Schreibhefte zeichnen fich durch gutes
Papier und hübfches Format aus. Die Schreibhefte mit Vorlagen von J. F u c h s
find billig, doch von fehr mittelmäfsigem Papier. Die Schreibhefte von Muffil
empfehlen fich durch gar nichts.
An Schulbänken fanden wir mehrere Mufter. Die preiswürdigfte iftunftreitig
die von Ernft Gatter aus Simmering bei Wien, deffen Schulbank, was Zweck-
mäfsigkeit und vielfeitige Brauchbarkeit betrifft, ein wahres „en tout cas" ift.
Das StaatsGymnafium in der Rofsau exponirte eine treffliche Schulbank
für erwachfene Schüler; nur fcheint uns die Schreibplatte für die Hand etwas zu
hoch zu ftehen.
Eine fehr empfehlenswerthe Arbeit ift die Volksfchul Bank aus Theesdorf
in Oberöfterreich. Dasfelbe gilt von der Mufter-Schulbank J. Grüllmeyer's
aus Wien.
Eine Schulbank mit trefflicher Vorrichtung zum Höher- und Tieferfchrauben
der Schrelbplatte von den Gebrüdern Ofterfetzer in Wien ausgeftellt, wurde
die Ehre zu Theil, vom Unterrichtsminifterium angekauft zu werden.
Von Schreibtafeln für Schulkinder find befonders hervorzuheben die Spar-
hefte von J. F u c h s und P. A. K r u f s in Wien. Femer die elaftifchen Schiefertafeln
von L. Hardtmuth & Comp, in Wien, ebenfo die eigens von diefen drei Aus-
ftellern hergerichteten Sparftifte, die weich und weifs angehen.
StahlSchreib federn. In der XL Gruppe fanden wir als einzigen Aus
fteller von fabriksmäfsig felbfterzeugten Stahl-Schreibfedern und Federnhalter
die gefchmackvoll arrangirte Expofition von Carl Kuhn & Comp, in Wien.
Wir ftellen die Fabricate des Herrn Kuhn unbedenklich nicht nur neben,
fondem zum Theil über die englifchen Stahlfedern. Die Aluminiumfedern, die
Federn Greiner, Klaps, Dörfler, die Correfpondenzfedern fuchen ihresgleichen,
und die enorme Auswahl an Gattungen bietet jeder Hand und gewohnten
Haltung, jedem Temperament fo gediegene, elaflifche und dauerhafte Schreib-
federn, dafs einmal verfucht, fich kaum Jemand entfchliefsen wird, es mit anderen
Federn zu verfuchen. Aufser der Iridium-Goldfeder kennen wir kein Fabricat, das
fich mit dem KuhnTchen an Dauerhaftigkeit meffen könnte, da bei einer etwas
vorfichtigen Behandlung (und vorfichtig muffen ja auch die fogenannten Goldfedern
behandelt werden) eine einzige Feder durch 8 bis lo Tage dienen kann, während
die gewöhnlichen Dutzendfabricate kaum für einen, höchftens zwei Tage aus-
reichen. Leider findet man von diefem trefflichen Fabricate eine Unzahl von
Imitationen oder gefälfchten Nachahmungen , die meift etwas billiger als das
22 J. Hüpfchcr.
Original zu (lehen kommen , aber durchfchnittlich nicht werth find, gekauft zu
werden, da fie keine einzige der oben erwähnten Tugenden des Originales haben.
Ebcnfo reich und meifl zweckmäfsig ifl die Auswahl an Federhaltern. Intereflani
für Viele dürfte das zur Anfchauung ausgeftellte Verfahren der Stahlfeder-Fabrication
gewefen fein.
Schultinten von guter Qualität und verhältnifsmäfsig billigen Preifen fanden
wir ausgeftellt von Giraldi Giorgio aus Trieft und Rodel Heinrich aus Prag.
Eines oder zwei andere Fabricate konnten wir nicht erproben, da fie in Glaskäften
eingefchloffen waren.
Stenographie. Unfere Gabelsbergerianer nahmen an der Weltausflellung
lühmlichen Antheil. Vor allen ift Faulmann C. aus Wien zu nennen, ob feiner
fchönen Stenogramme fo wie der von ihm ausgeftellten Schülerfchriften. Der
ftenographifche Polyglott von den Schülern des Wiener Therefianums ift ein müfsiges
und verfehltes Blendwerk. An Schreiber's ftenographirter Iliade bewunderten
wir die Geduld desfelben. Solche Arbeiten find in der That eine Nufsfchale werih.
Nicht zu überfehen find Faulmann's exponirte Stenographietypen und Conn'>
Stenogramme.
Ungarn.
Die Lehrmittel-Ausftellung der öftlichen Hälfte des öfterreichifchen Kaifer-
thums beweift das emfte und unausgefetzte Beftreben, fowohl der Regierung, fo
wie der Gemeinden und vieler Vereine die Volkserziehung mit den Anforderungen
der Neuzeit in möglichen Einklang zu bringen. Die Aufgabe, welche da noch zu
löfen bleibt, ift trotz der von Jahr zu Jahr zunehmenden Volksfchulen eine riefen-
grofse, und bedarf der aufopferndftfen Anftrengungen und der höchften Energie
der mafsgebenden Kreife und der intelligenten Bevölkerung; denn noch im Jahre
1872 befuchten von 2,206.187 fchulpflichtigen Kindern nur 1,233.500 die öffentlichen
Schulen , die in 14.550 Schulen von 19.297 Lehrern unterrichtet wurden. Die
Schreiblehr-Methode findet auch in Ungarn vielen Anklang und manche Ver-
befierung.
Von Schreibmethoden heben wir hervor vor allen die modernen Schreib-
vorlagen von Jofef L o w e n y i aus Peft, die fich in Ungarn einer nicht unverdienten
grofsen Verbreitung erfreuen und gute Refultate in den Schülerfchriften vieler
Volks- und Mittelfchulen aufgewiefen haben.
Die Netz-Schreibmethode von Dr. J. Zoch aus Nagy-Röcze ift wohl nicht
neu, aber in einem gewiflen Sinne und in Dorffchulen von ausgefprochener Ver-
wendbarkeit. Das Netz befteht nämlich aus der Lineatur , die von fchrägen
I'aralleldiftanzen durchfchnitten werden, ein Verfahren, das zur crften Einübung
einer geordneten Handfchrift gute Dienfte leiftet. »
Th. Fiedler aus Klaufenburg brachte eine neue Schreibmethode, an
welcher wir aufser der Verquickung des amerikanifchen Syftems mit den allen
Schriftformen nichts Neues wahrnehmen konnten. Aufser dem angeführten fanden
wir noch einige Schreib-Vorlegeblätter, die einzeln zu befprechen wir nicht noth-
wendig finden.
Schülerfchriften waren mafienhaft ausgeftellt, und viele von befonderer
Schönheit und Geläufigkeit, fowohl die Arbeiten der öffentlichen, wie der vielen
Privat-Lehranftalten.
Charles Louis Posner & Guftav Heckenaft aus Peft ftellten gute
Schreibrequifiten, befonders hübfche Schreibhefte aus.
Schulbänke nach Schulz'fchem Syftem boten nichts bemerkenswerthes
Neues.
Gute Schultinten fanden wir ausgeftellt von der Firma Gebrüder Müller
in Peft.
Der Schrcibuntcrricht. 23
Rufsland.
Von den grofsen focialen Reformen, die der edle und humane Fürll, welcher
die Schickfale Rufslands in feinen Händen trägt, fo durchgreifend inaugurirte,
hätte keine andere als eben die XXVI. Gruppe fchlagendere Beweife liefern
können, wenn die mafsgebenden Fa<5loren des Czarenreiches es nicht vorgezogen
hätten, gerade die Gruppe für Erziehung und Unterricht fo fpärlich auf unferer
Weltausflellung figuriren zu laflen. Freilich würde Derjenige fich fehr täufchen.
der von den dürftigen Obje<5len, die er in diefer Gruppe fand, auf das Culturleber,
inRufsland zurückfchliefsen wollte, denn unftreitig gehen dieWogen derVolksbildung
feit der grofsen Bauernemancipation höher und tiefer als jemals früher. Immerhin
bleibt es bedauerlich, dafs diefe Gruppe nicht reicher bedacht wurde. Was
fpeciell vom formalen Schreibunterrichte da war, befchränkte fich auf fchriftliche
Arbeiten von Militärinflituten und einer Methode zum Schön- und Schnellfchreiben
von Moriz Barenzevitfch aus Moskau, einem mit Gefchmack und Sachkenntnifs
der modernen Schnellfchrift zweckmäfsig geordneten Behelfe zum Schreib-
unterrichte.
An Schulbänken fand fich ein recht gediegenes Modell, aber nur en miniatur
ausgeflellt.
Vortreffliche Tinten exponirten Lankowsky & Licop aus Mittau in
Kurland, ferner F. Keltfchesky aus Moskau und A. Efersky aus Odeffa.
Die Papierfabrication wies recht gute Fabricate, aus allerhand Rohftoflfen
gefertigt, auf.
Rumänien.
Die Ausbeute, welche die Unterrichtsgruppe diefes jungen Staates dem
Referenten ergibt, fleht in keinem Verhältniffe zur Einwohnerzahl, noch zu der
natürlichen Ergiebigkeit und Flächenausdehnung des Landes. Berückfichtigt man
aber die Jahrhunderte lange politifche Verkommenheit und die gegenwärtige
unruhige Gährung in dem halbcivilifirten Lande, fo werden uns die guten Anfänge
genügen, die um fo mehr eine gedeihliche geiftige Entwicklung verfprechen, als
die meiflen Wohlhabenden ihre Söhne ins Ausland fludircn fchicken oder von
Privatlehrem unterrichten laffen. Dafs die regierende HohenzoUern'fche Familie
ihren Traditionen auch in Rumänien nicht untreu wird, beweifen die Unterrichts-
und Erziehungsanftalten, die fich des befonderen Schutzes ihrer Hoheiten erfreuen.^
Der Schreibunterricht wird nach irgend einer alten Methode oder vielmehr
Nichtmethode ertheilt und ift fehr einfeitig in feinen Refultaten. Sowohl Knaben
als Mädchen in dem Afyl Elena, iowie im Panteleimon zeigen durch alle Claflfen
denfelben fteifen, unbeholfenen Strich, der zwar deutliche und leferliche, aber
auch ftarre und langfam fchwerfällige Schriften gibt. Dasfelbe gilt von den fchrift-
lichen Arbeiten derHandelsfchüler, foweit fie die Kalligraphie betreffen. Es fcheint
übrigens viel Zeit und Mühe auf Capital- und Ornamentalfchriften verwendet zu
werden, die den Unkundigen zwar blenden, aber den rationellen Pädagogen ganz
kalt lalTen, indem ihr Werth in gar keinem Verhältniffe fteht zum Zeitaufwand und
der gedankenlofen Mache und Mühe. Die deutfchen Schriftproben haben etwa.s
mehr Schwung und Geläufigkeit.
Auch eine National-Stenographie lag zur Befichtigung auf, über deren Werth
wir uns nicht ausfprechen, die aber ihre Aufgabe der Redefixirung eben fo gut
entfprechen mag wie alle anderen mehr oder weniger bequemen Syfteme diefer
Kunft auch. Schön ift ihre äufsere Form keinesfalls, aber darauf kommt's bei der
Stenographie auch gar nicht an.
24 J Hüpfchcr.
China.
Das himmlifche Reich der Mitte trat in der XXVI. Gruppe mit einer grof-
sen Befcheidenheit , ja Verfchämtheit auf, die bei einer geeigneten Gelegen-
heit fich gewifs viel intereffanter ausgenommen hätte. In der Gruppe XI fanden
wir nämlich einige nicht unrühmliche Keime zu einer künftigen Gruppe XXVI.
Wir überladen unferen geehrten CoUegen , über den Inhalt der chinefifchen
Literaturwerke zu berichten, mit welchen die Söhne Con-fu-tse's die Weltaus-
ftellung beglückten, und wollen nur kurz berichten, wie der Sohn des Himmels
fchreibt. Aber eigentlich fchreibt der Chinefe gar nicht , ebenfo wenig als er
Buchftaben hat. Der Chinele malt. Die Schriftfiguren oder Configuralionen
bilden bekanntlich ganze Wörter, und werden mit einem in Tufch getauchten
Pinf.»l auf nur je einer Seite des Doppelblattes aufgetragen. Die beiden Innen-
feiten bleiben frei ; in gleicher Weife werden die Bücher gedruckt. Je mehr
folcher ideographifcher Symbole ein Chinefe feinem Gedächtnifle eingeprägt hat,
defto gröfser wird der W^erth feines Wiffens gefchätzt, und mancher chineftfche
Gelehrte kann das Buch eines anderen chinefifchen Gelehrten gar nicht lefen, da «r
zufallig die darin vorkommenden Wortfymbole nicht kennt. Aufser des Schreib -
pinfels bedient fich der Chinefe auch der Bleiflifte; denn für Tinte ift fein Schreib-
papier nicht fabricirt, es fliefst. Die Zeilen laufen vom Himmel zur Erde , das
heifst von Oben nach Unten und beginnen von rechts nach links.
Die Unterrichtsmethode im Schreiben, die zugleich fo viel wie Lefen
bedeutet, bafirt fiph auf die Paufirung; der junge Chinefe bekommt keine Vor-,
fondem Schreibunterlagen. Die Macht der Gewohnheit und die Vorzüglichkeit
des einheimifchen Bambusrohres erleichtem dem Lehrer den Unterricht in bedeu-
tendem Grade.
Schriftreformen.
Das grofse und unabweisliche Culturbedtirfnifs unferer Tage , die Reform
unferes in" keiner Weife zureichenden und unpraktifchen Schreibverfahrens,
gelangte in zwei unfcheinbaren Werkchen in die glanzerfüllten Räume des mäch-
tigen Weltausilellungs-Palaftes. J. Kaifer, Lehrer in Baiern, ein intelligenter,
praktifcher und unternehmender Kopf, präfentirte in einer lithographirten Bro-
chure feine ^Moderne deutfche Currentfchrift". Die Gefichtspunkte , welche
Herrn Kaifer beftimmten und leiteten, traten aus einem eng umgrenzten nationalen
und fchreiblich hiftorifchen Horizonte nicht heraus. Nur einzig und allein die
Vereinfachung der gegenwärtigen Schriftformen , war das Ziel feines fchreib-
rcformatorifchen Unternehmens. Indem Herr Kaifer mit der „allgemeinen
deutfchen Lehrerzeitung" über den Zopf unferer Transfcription mit Recht klagt,
fchlägt er dem deutfchen Volke feinen eigenen modernen Zopf als Radicalmittel
zur Herbeiführung einer neuen Schreib-Aera vor. Denn abgefehen von der
gänzlichen Aufserachtlaflung der fo dringend nothwendigen logifchen Schreibung
wäre der ganze Gewinn, den uns das Kaifer'fche Syftem brächte,* allerhöchftens
die Gewinnung der Hälfte der Zeit, die wir für unfer gegenwärtiges Schreibver-
fahren brauchen. Von einer Möglichkeit, das Kaifer'fche Syflem zur prompten und
unfehlbaren Transfcription fremder Sprachen zu verwenden, ift ebenfo wenig eine
Spur vorhanden, als bei unferer deutfchen Schrift. Die Buchftaben-Formen find nicht
ohne Gefchick aus den beftehenden Schriften entlehnt und zeigen fich zur Ver-
bindung untereinander brauchbar.
Für eine fo grofsartige Umwälzung wie die Einfuhrung einer neuen Schrift
bietet alfo diefes Projedl nur ein fehr dürftiges Aequivalent.
Das zweite Werkchen, welches fich mit der Reform der hiftorifchen Schrift
befafst, ift unter dem Titel „Neudeutfche Curfivfchrift" von J. Hüpf eher,
Der Schrcibuntcrricht. 25
Leipzig, Ed. Peter's Verlag, als fpäter Gaft zur Aufteilung gelangt und geht
fowohl in den Schriftzeichen wie in der Transfcription mit dem entfchiedenften
Radicalismus vor.
Um den geehrten Lefern nicht parteiifch zu erfcheinen, da der Autor diefes
Werkchens der Verfaffer diefer Zeilen felber ift , fo wollen wir uns auf eine
möglichft kurze Auseinanderfetzung diefes neuen Schreibverfahrens befchränken.
Alfo die neudeutfche Curfivfchrift ift eine vollkommen phonetifche Schrift, die
fchreibt, was das Ohr und wie es hört, oder der Geift zu hören fich vorftellt.
Da es ein Ding der Unmöglichkeit ift, wenn auch als Deutfcher nur in
dcutfcher Sprache fchreibend, allen Fremdwörtern mit ihren von unferer Zunge
abweichenden Lauten, aus dem Wege zu gehen, fo ift es natürlich und von der
zwingendften Pflicht geboten auf diefe letztere ebenfo Rückficht zu nehmen wie
auf die nur deutfchen Laute.
Das Syftem eignet fich alfo ebenfo gut, jede andere Sprache lautgetreu zu
phonographiren, wie die deutfche felber.
Bei fo bewandten Verhältniflen wird es leicht begreiflich , dafs von
Orthographie nur in einem fehr befchränkten Sinne die Rede fein kann ; denn
alle die graphifchen Behelfe oder beifer gefagt , Unbeholfenheiten , zu welchen
unfere Schreibung zu greifen gezwungen ift, wie Grofsbuchftaben , Dehn-
buchftaben, Schärfungsbuchftaben, Vocalablautungen, zwei- , drei- bis fechsfache
Möglichkeit, ein und dasfelbe Wort mit immer gleicher Lautung zu fchreiben
oder umgekehrt einen Buchftaben fttr die verfchiedenften Laute zu verwenden
u. f. w. fallen in dem neuen Syfteme weg und nur dasjenige wird gefchrieben,
einfach, unveränderlich, und mit ftets gleichen Lautwerthzeichen , was unfere
Sprechorgane, und höchftens bezeichnet, wie diefelben die Worte hervorbringen.
An Schnelligkeit übertriff't die neudeutfche oder richtiger , die Univerfal-
fchrift unfere jetzige Schreibmethode um das Dreifache und gewährt mehr als die
halbe Raumerfparnifs gegen die deutfche, lateinifche, griechifche, arabifche oder
was immer für eine der hiftorifchen Schreibfchriften.
An Verbindungsfähigkeit, äufserlicher Darftellung und Lefefichcrheit fteht
fie kaum einer anderen der gebräuchlichen Schreibfchriften nach.
Diefes Schreibfyftem kann ohne grofse Anftrengung in einem einzigen
Monate erlernt und praktifch verwendet werden.
Hofi'entlich wird in nicht allzu ferner Zukunft die Erkenntnifs fich Bahn
brechen, dafs im Schreibwefen , das gerade der überbürdeten Schuljugend und
dem intelligenteften Theile der Menfchheit fo viel koftbare Zeit raubt, und fo viel
überf^üifige Arbeit verurfacht, eine Aenderung refpecflive Verbeflerung eine
unabweislich gebieterifche Pflicht und ein nicht mehr von der Hand zu weifendes
Bedürfnifs ift. Ebenfo wird man einfehen lernen , dafs nur eine auf den Prin-
cipien der Phyfiologie beruhende Phonographie es ermöglichen kann, mit einem
einzigen Alphabet alle Sprachen zu fchreiben und — zu drucken.
R. Mailing Hanfe n's Schreibma fc hin e. Es ift ein bedeutender
Charakterzug unferer vielgeftaltenden Zeitepoche, dafs der Geift unaufhörlich
beftrebt ift und es in allen Zweigen der menfchlichen Thätigkeit, zum Theil
anbahnend, zum Theil aber mit enlfchiedenem Glücke praktifch verfucht und
durchfetzt, fich von allem rein mechanifchen Wirken zu emancipiren, und Zeit und
Mufse für edlere Thätigkeiten zu gewinnen. Dafs trotz diefer Emancipation,
Arbeit und Induftrie, Handel und Verkehr nicht gelitten, fondern einen Auffchwung
genommen haben, den die vergangenen Jahrhunderte kaum ahnten , fteht
Jedermann leuchtend vor Augen, der diefe — nicht abfichtlich fchliefsen
will. Ein läftiger und unverläfslicher Mechanismus z. B. ift das^Rechnen, fowie
es aufhört, die combinirenden Funcflionen des Gerftes zu befchäftigen ; man
erfand eine Rechnenmafchine, die, was Addiren, Multipliciren , Potenciren,
Dividiren etc. betrifl't, mit grofser Leichtigkeit und Unfehlbarkeit operirt. Unfere
3
26 J- Hüpfchcr.
taglöhnernde Schreibearbeit , diefer gedankenlofe, zeitfreffende Mechanismus,
widerfteht mit der zäheflen Gewalt einer zur Natur gewordenen eifemen
Angewohnheit der zeitgemäfsen Reform ; doch fiehe da! keinen Augenblick hat
der füfse alte Schlendrian mehr Ruhe, von allen Seiten wird ihm zugefetzt, und
von links und rechts brechen die Geifleswellen der Neuzeit in die erflarrten
Domänen des Althergebrachten hinein. Die Mailing Hanfe n'fche Schreib-
mafchine ift eine geiftige Eroberung auf dem Gebiete des Schreibwefens und ein
gewaltiger Nagel zum Sarge der gedankenlofen Buchftaben-Künftelei ; ihre Zukunft
ift ebenfo gefiebert, als das letzte Stündlein alles KalligraTphen-Unwefens nahe ift.
Die Mafchine ift eigentlich mehr eine Druck- als Schreibmafchine; * aber wer
wird nicht lieber, fobald er es im Stande ift , feine Briefe und fonftigen Schrift-
ftücke fauber gedruckt, als fchlecht oder felbft gut gefchrieben fehen? Wer wird
fich ferner noch eines Copiften oder Schönfchreibers bedienen wollen , fobald er
mit der Mafchine zu jeder Zeit fechs bis zehn Mal fo viel ausrichtet, als ihm
der gewandtefte Schreiber zu leiften vermag ?
Auf eine ausführliche Befchreibung des höchft finnreich conftniirten
Apparates können wir uns bei dem befchränkten Räume , der unferem Berichte
geftattet ift, nicht einlaflen ; wir verweifen dagegen Alle , die fich für die neue
Erfindung intereifiren, auf die Firma A. v. Szdbel, Wien, JohannesgaiTe 19 , der
diefe Schreib-Druckmafchinen in verfchiedenen Gröfsen und zu verfchiedenen
Preifen fabricirt und gewifs Jedermann Tarife, Befchreibung und Anweifung gratis
zukommen laifen wird.
Dafs der Apparat noch etwas complicirt und mancher Vereinfachung
refpecflive Verbeflerung bedürftig ift, wollen wir fchliefslich ebenfo wenig leugnen,
als dafs der Koftenpreis ein verhältnifsmäfsig hoher genannt werden mufs.
* Wir würden fic Schreib-Druckmafchine benennen.
10
OFFICIELLER
AUSSTELLUNGS-BERICHT
HERAUSGEGEBEN DURCH DIff
GENERAL-DIRECTION DER WELTAUSSTELLUNG
18 7 3
UNTER RBDACTION VON DR. CARL TH. RICHTER, K. K. O. Ö. PROFESSOR IN PRAG.
PAPIERINDUSTRIE
(Qruppe XI.)
BERICHT
VON
EMIL TWERDY,
Ingenieur und Papierfabrikant in Bielitz.
WIEN.
DRUCK UND VERLAG DER K. K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
1873-
PAPIER UND PAPIERZEUG.
(Qruppe XI, Section 1.)
Bericht von
Emil Twerdy,
Ingenieur und Papier/abrikant in Bielitz.
Wenn die Weltausflellungen, durch Schauflellung der heften Leiftungen
menfchlichen Geiftes und Fleifses die Macht und den Fortfchritt der Cultur zu
unmittelbarer Anfchauung zu bringen, in voUendetfter Weife erreichen, eine Fülle
von Anregungen und ein riefiges Belehrungsmaterial bieten; fo bafirt die fegens
volle Wirkung des letzteren doch hauptföchlich nur auf perfönlicher Wahrnehmung,
ohne jene Univerfalität und den dauernden Werth zu erreichen, den fie durch die
Zuhilfenahme eines Mediums gewinnt, das inmitten einer glanzvollen Umgebung
nur ein anfpruchlofes Ausftellungsobjecfl bildet. Wir meinen das Papier, das dem
Wort und der Erkenntnifs, dem Geift und Gedanken zur weiteren Vermittlung
an Andere, als guter Behelf dient.
Das Papier in feiner mannigfachen Form ift in Wahrheit ^n „Träger
der Cultur** und nimmt unter den Artikeln unferes Bildungsbedarfes einen
eminenten Rang ein. Es ift das Mittel, um den flüchtigen Gedanken zu feffeln, die
Thätigkeit des Geiftes dauernd abzufpiegeln, diefelbe Anderen zugänglich zu
machen ; fpielt daher eine der wichtigften Vermittlerrollen im Ideenkreife der
Menfchheit, deffen mannigfachfte Blüthen als Produ<5le des Culturfortfchrittes das
Wohl derfelben zu fördern berufen find.
Neben der Wichtigkeit, welche das Papier in feiner Form als Brief
Schreib-, Druck-, Zeichenpapier etc. befitzt , und geiftigen Zwecken dient, kann
auch die Induftrie desfelben nicht entrathen und abforbirt riefige Mengen in den
verfchiedenften Arten von Pack-, Tapeten-, Seiden-, Blumen-, Bunt-, Photographie-
papier etc. Die ftetige und erfreuliche Entwicklung des Lehr- und Erziehungs-
wefens, die Ausbreitung des Handels, die Zunahme induftrieller Thätigkeit, der
allgemeine Bildungsdrang und die Erhöhung der Volkswohlfahrt haben den
Bedarf an Papier jeder Gattung fehr erheblich gefteigert und den mächtigen
Auffchwung veranlafst, den die Papierinduftrie innerhalb der letzten fechs Jahre
genommen.
Ehe wir jedoch zur Befprechung der diefsbezüglichen Ausftellungsobjecfle
fchreiten, ift es nothwendig, die allgemeinen Verhältnifie der Papierinduftrie, die
2 Emil Twerdy.
heutigen Forderungen des Papiermarktes, und die Fortfchritte in den Betriebs-
mitteln zu kennzeichnen, um die gebotenen Leitungen gebührend zu würdigen.
Das Rohmaterial.
Hadern. Das wichtiglle und werthvoUfte Rohmaterial der Papierinduftrie
bildet heute, nach wie vor, die BaumwoU- und Leinenfafer in der Form von
Hadern , ein Artikel , welcher fchon lange nicht mehr in hinreichender Quantität
befchaflft werden kann, und von welchem fich kaum behaupten läfst, dafs feine
Qualität im Laufe der letzten Zeit irgend welche Verbefferung aufzuweifen hätte.
Entgegen der Mehrzahl anderer Induflrie-Rohmaterialien , welche durch ent-
fprechend forgfältige Behandlung, Pflege, Züchtung, dem Fabrikanten eine wefent-
liche Erleichterung in der Weiterverarbeitung bieten, entzieht fich das Hadem-
material hartnäckig dem zweckfördernden Einflufle des Confumenten, da es faft
ausfchliefslich , als zu keinem weiteren Zwecke verwendbarer „Abfall" feiner
letzten, aber dennoch fo wichtigen Beftimmung zugeführt wird. Die Natur der
Haderngewinnung, das „Lumpenfammeln" bringt es mit fich, dafs die Hadern in
wirrem Gemifch in die Hände des Händlers gelangen, von denen noch keineswegs
alle fo forgfältig in der Sortirung und Clalfificirung ihrer Waare vorgehen, dafs
der Papierfabrikant nicht noch weitere grofse Mühe aufzuwenden hätte, um der
"Wirkung des angekauften Materiales annähernd ficher zu fein. Die moleculare
Verfchiedenheit der, felbft als „fortirt", gehandelten Rohwaare ill demnach eine
fo bedeutende, dafs Fabrikanten halbwegs beflerer Papiere gezwungen find, zum
minderten eine „Nachfortirung" vorzunehmen, und haben faft alle commerciell
gut geleiteten Etabliifements die Gepflogenheit, den Werth der gekauften Roh-
waare auf Grund gewiffer, der Qualität der einzelnen Sorten entfprechender
Einheitspreife zu fixiren, wodurch es allein möglich ift, fich vor Täufchung und
eventuellem Schaden zu bewahren und der Calculation eine legalere, weil ftabile
Bafis zu bieten.
Die aus der Natur der verfchiedenen Gefpinnftfafern fich ergebende Ungleich-
heit, die gröfsere oder geringere Reinheit und Weichheit, die Variationen in der
Färbung etc. erfchweren die Homogenität felbft einer beftimmten Sorte in fo
erheblichem Mafse, dafs der Fabrikant auch bei grofser Aufmerkfamkeit der
weiteren Behandlung nur fchwer auf vollkommene Gleichartigkeit der Stoff"e
rechnen kann. Diefer letztere Umftand fpielt bei den gefteigerten und oft ganz
gerechtfertigten Anfprüchen der Papierconfumenten eine fo wichtige Rolle, dafs
es oftmals trotz anfcheinend ganz gleichartigen Stoff'es der complicirteften Combi-
nationen in der Weiterbearbeitung bedarf, um Ausfehen und Qualität conftant
zu erhalten.
Diefe von den im Allgemeinen noch immer ziemlich primitiven Verhält-
niflen des Hadernhandels und der Natur des Materiales unzertrennbaren Mifs-
ftände, potenziren fich durch den ferneren Umftand, dafs fich in unvermeidlicher
Weife Lager von zur Fabrication einer beftimmten Specialität nicht taugliches
Materials bilden, die nicht fowohl oft werthvolle Räume in Anfpruch nehmen, und die
Gefahr der Verunreinigung beflerer Stoff'e mit fich führen, als auch dem Fabrikanten
durch den darin unnöthiger Weife angelegten Capitalaufwand dire<5l fchaden.
Fabriken, welche nicht mehr als eine Papiermafchine befitzen, werden
dadurch von dem mehr und mehr als ausfchliefslich richtig anerkannten, wirth-
fchaftlichen Grundfatze „der Cultivirung einer Specialität" periodenweife abge-
drängt, oder gezwungen, einen in feltenen Fällen vortheilhaften Zwifchenhandel
ihres Abfallmateriales zu treiben.
Ein fernerer Uebelftand des Hadernhandels befteht darin, dafs der Zufam-
menflufs des Materiales hauptfächlich gerade in einer, dem Zwecke ungünftigen
Zeit, nämlich im Winter erfolgt, wo viele Hände erft nach gefchehener lohnenderen
Papicrinduftrie. O
Feldarbeit für das weniger lucrative Hadernfammeln disponibel werden , das
Material feucht und defshalb doppelt unrein zum Weiterverkauf gelangt, die
Ungleichförmigkeit des Ausgebotes cinerfeits, und die des Materiales an fich ander-
feits, zwingt den Fabrikanten, fein Betriebscapital in AnfchafFung grofser Lager
zu exponiren, wie nicht minder die Fabriksanlage felbft dadurch um vieles volumi-
nöfer wird , dafs grofse Lager- und Sortirräume , fowie Säuberungsapparate zur
urwiichfigften Präparation des Rohftoffes bereit gehalten fein muffen.
Die eben angeführten Uebelftände, als : Ungleichförmigkeit des Bezuges,
der Preife und der Stoffe felbft, die daraus folgende Labilität einer Calculations-
bafis , die fchwierige Verwerthung der Abfallftoffe, die erfchwerte Manipulation
in der Mifchung zur Einhaltung gleicher Qualitäten, die Nothwendigkeit gröfseren
Capitalaufwandes durch Anfchaftung grofser Lager und entfprechender Räume,
verbunden mit der Schwierigkeit, dem gefteigerten Verbrauche gemäfs, die nöthi-
gen Quantitäten der Hadern zu befchaffen, haben es fchon lange als ein dringendes
Bedürfnifs fühlen laflen, einen für die Papierfabrication gleichwerthigen Faferftoff
aufzufinden, der fich wo möglich nicht theurer ftellt. und welchem die erwähnten
Mängel in geringerem Grade anhaften.
Es werden feit Jahren allfeitig grofse Anftrengungen zur Auffindung eines
folchen „Normal-Rohftoßfes der Zukunft" gemacht, und find auf diefem Gebiete
feit der lezten Weltausftellung fehr beachtenswerthe Refultate zu Tage gefördert
worden, ohne dafs das grofse Problem vollftändig gelöft worden wäre. Zu den
wichtigften Hadernfurrogaten gehören: der gefchliffene Holzftoft", das Stroh und
in neuefter Zeit die Cellulofe (auf chemifchem Wege erzeugter Holzftoffj. Auf der
Ausftellung waren aufserdem vertreten : Kartoffelftängel, Brennneffel, Maulbeerbaum-
Rinde und Hanf, welche jedoch nur untergeordnete Bedeutung haben. Animalifche
Surrogate werden gar nicht, mineralifche Stoffe nur als Füllmittel zur Vermehrung
von Maffe und Gewicht des Papieres verwendet.
Der gefchliffene Holzftoff. Die Erzeugung und Anwendung des
gefchliffenen Holzftoffes hat feit dem Jahre 1867 einen grofsartigen Auffchwung
genommen, dieHolzftoff-Fabricationift zu einem felbftändigen, blühenden Induftrie-
zweige geworden, der zwar im Principe keine wefentliche Aenderung, dagegen
in den Details der Apparate manche werthvoUe Vervollkommnung erfahren hat.
Seit G. Keller den genialen Gedanken gefafst , und Heinrich Völler in
Heidenheim demfelben durch zweckmäfsige Form der Apparate praktifche Ver-
werthung gegeben, find Hunderte von Holzftoff-Fabriken errichtet worden, da fich
die Verwendbarkeit des Stoffes immer deutlicher erwies und der Bedarf von Jahr
zu Jahr wuchs. So würde beifpielsweife Deutfchland fieben Millionen Centner
Hadern zur Erzeugung feines Papierquantums nöthig haben, während es nur zwei
Millionen Centner producirt. Der Abgang wird zum geringen Theile durch
die Hademeinfuhr und hauptfächlich durch Surrogate, worunter Holzftoff die
bedeutendfte Rolle fpielt, gedeckt.
Der aufserordentliche Verbrauch an Holzftoff. welcher durch die bis
60 bis 70 Percent gehende Beimifchung zu den Hadernftoffen erklärt wird, weckte
die Unternehmungsluft zahlreicher Intereffenten, welche in der Ausführung und
Verbefferung der Schleif Vorrichtungen dankbare Objedle ihrer Bemühungen fanden.
Allen voran fteht jedoch Heinrich Völter in Heidenheim, der mit bewunderns-
werther Energie und Ausdauer den einmal gefafsten Gedanken verfolgte und
ausbildete, und ihm gebührt das Verdienft, diefe Induftrie zu ihrer heutigen Voll-
kommenheit und Bedeutung gebracht zu haben.
Die wünfchenswerthen Refultate : möglichft grofses Schleifquantum bei
geringftem Kraftconfum, fowie grofse Feinheit und Gleichartigkeit der nicht all-
zu kurzen Fafer, bilden das Ziel aller Vervollkommnung.
Je feiner und gleichartiger die Fafer, defto fchwieriger ift fie im Papiere
erkennbar, und defto mehr convenirt fie dem Papierfabrikanten. Die gebrauch-
4 Emil Twcrdy.
lichften Holzarten find : Fichte, Tanne und Aspe. Das Aspenholz gibt ein (ehr
fchön weifses, jedoch zu weiches Producfl, und erhält das Papier bei Mifchungs-
verhältniffen, wo Fichtenholz noch fehr glattes, klangiges Papier liefert, bei Anwen-
dung von Aspe einen lockeren, fchwammigen „Griff" und rauhes Ausfehen. Hin
gegen kann man mit gleichem Kraftaufwand und gleichen Apparaten um 36 bis 40
Percent mehr Aspenfloff fchleifen als !Fichtc oder Tanne.
Ein fehr beliebter Ausweg, der fowohl dem Schleifer als dem Papierfabri-
kanten dient, ift das Mifchen von Aspen- mit Fichtenholz, und zwar derart, dals
nach je 3 oder 4 oder 5 Fichtenholz-Klötzen, i Aspenholz-Klotz in die Bremskam-
mern des Defibreurs eingelegt und dieMifchung fomit fehr intenfiv erhalten wird.
Die wefentlichfte Bedingung zur Erzielung einer feinen und gleichmäfsigen
Fafer ift bei guter Conftru<5lion und Ausftihrung , fowie möglichfter Stabilität des
Schleifapparates, ein guter, feinkörniger Schleifftein und fein oftmaliges Schärfen.
Bei den meiften bisher ausgeführten Schleifapparaten mit horizontaler Achfe
find mechanifche Steinfchärf- Vorrichtungen noch nicht in Anwendung gekommen,
dagegen zeigt der von der Firma Th. & Fi. Bell ausgeftellte Apparat mit um eine
fenkrechte Achfe rotirendem Stein die Anwendung einer folchen, und es fteht wohl
zu erwarten, dafs der Schärfapparat in entfprechender Modiiication auch bei dem
erftgenannten Syftem zur Anwendung gelangt.
Um den Stoff rafch und ficher vom Stein abzufpülen, der dadurch wefent-
lich angriffsfähig erhalten wird, ift eine reichliche Menge unter Druck eingefpritz-
ten Waffers nöthig, und werden zu diefem Zwecke bei guten Apparaten hinter
jeder Bremskammer Spritzrohre eingefetzt. Leider trifft man noch vielfach mifs-
lungene Imitationen Völter'fcher Apparate, welche fich mit einem einzigen Ein-
fpritzhahn begnügen, und deren verfehlte Conftrucflion es aufserdem bedingt,
dafs der Oberbau, diefer wichtigfte und complicirtefte Theil der Mafchine, bei
jedesmaligem Wechfel des Steines demontirt werden mufs, einUmftand, der bei der
fchwierigen und oft nicht immer genauen Wiedermontirung leicht von nachthei-
ligen Folgen für den Betrieb begleitet fein kann, und als ein entfchieden grober
Fehler bezeichnet werden mufs.
Eine fernere Vervollkommnung der Defibreurs befteht in der Anbringung
einer Stellvorrichtung, wodurch die, die Bremskammer bildenden Platten einen
fehr genauen Anfchlufs an die Peripherie des Schleiffteines erhalten, und das
Splittern des Schleifklotzes, mithin Stoffverluft vermieden wird.
Das Anpreffen der Bremsplatten an den Schleifklotz erfolgt bei den neuen,
guten Mafchinen nur mehr durch Wirkung von Hebeln, Rollen und Gewichten.
Einen nicht minder wichtigen Einflufs auf die Qualität des Stoffes, als der
Defibreur, nimmt dieConftru(5lion und Behandlung derRaffinir- und Sortirapparaie.
Zur Ausfcheidung der groben Splitter werden Cylinder oder Schüttelfiebe ange-
wendet, jedoch verdienen die letzteren, welche wie Knotenfänger fungiren, ent-
fchieden den Vorzug vor den Cylindern, weil ihre Anfchaffung nicht nur billiger,
fondern auch die Reinhaltung leichter möglich ift.
Die eigentliche Scheidung des Stoffes in fertiges und in der Raffinirung
zu unterziehendes Produ(5l erfolgt noch immer am heften durch ein Syftem von Cylin-
dern, die mit verfchieden mafchigem Meffingdraht-Gewebe überfponnen find. Der
Prima-Holzftoff, das heifst, derjenige, deffen Vorkommen im Papiere mit freiem
Auge nicht erfichtlich ift, hjit einen ungleich höheren Werth als die Secundawaarc.
Erftere kann mittelfeinen Druck-, Schreib-,Tapeten-, feinen Packpapieren
fowie Affichen bis 60 Percent, fogar Cigarrettenpapieren bis 20 Percent zugetheilt
werden, ohne dafs die Papiere an Güte verlieren. SecundaHolzftoff hingegen
macht felbft durch geringe Beimifchung die Papiere auffallend rauh und brüchig,
und findet defshalb nur zu ordinären Papieren Verwendung. Jeder Fabrikant
kennt die enormen Calamitäten, welche ihm daraus crwachfen, wenn fchlecht
fortirter Holzftoff zu feineren Papiergattungen verwendet wird, und der fertige
Bogen ftatt des gehofften glatten, ein bürftenähnliches Ausfehen zeigt. Die Neue-
. Papieiinduftrie. O
ningsfucht Reclame bedürftiger „Erfinder"* hat unter dem Verwände erheb-
licher Krafterfparnifs die Weglaflung des Raffineurs vorgefchlagen , wovon
jedoch im InterefTe des Holzfchleifers felbfl nicht dringend genug abzu-
rathen ifl.
Eine verläfsliche Abdichtung der Ausgufs-Mundflücke der Sortircylinder
ift zum Zwecke einer genauen Sortirung von nicht zu unterfchätzender Wichtig-
keit. Am voUkommenflen wird diefelbe dadurch erreicht, dafs ein mit Unfchlitt
getränkter Hanfzopf an die gedrehte Abgufsflanfche durch in drehbare Mefling-
lafchen eingefetzte Stellfchrauben angeprefst wird , wodurch nicht nur ein voll-
kommen waffer- und floffdichter Ausfchlufs erreicht, fondern auch fehr geringe
Reibung erzeugt wird, was fich von keinem anderen Dichtungsfyflem als : ange-
fpannte Kautfchukgurten, Filze, Leder etc. behaupten läfst.
Das Produ^ionsverhältnifs der zwei Stoffqualitäten beträgt bei mangel-
hafter Anlage undj Wartung der Apparate fogar 3 : i, fo dafs die Secundawaare
25 bis 20 Percent der Gefammterzeugung ausmacht. Dagegen läfst fich durch
eine gute Anlage und zweckdienliche Manipulation, fowie durch wiederholtes
Raffiniren diefes ungünftige Verhältnifs wefentlich günftiger geftalten, fo dafs nur
5 bis 7 Percent fogenannten Zweierftoffes entftehen.
Je gröfser die Sortir-Siebflächen find, defto genauer erfolgt die Ausfcheidung.
Ein fehr günftiges Refultat ergibt eine Sortiranlage von 10 Quadratfufs Siebfläche
für je einen, in 24 Stunden erzeugten Centner lufttrocken gedachten Stoffes. In
der Conftru<5lion der Sortircylinder hat man zu den mannigfachften Anordnungen
gegriffen. Ein guter Cylinder mufs vor Allem leicht, und die das fortirende Draht-
gewebe tragende Auflagefläche, nämlich der Cylindermantel derart befchaffen fein,
dafs dem Durchlafs des Stoffes kein Hindernifs entgegenfteht, dafs das Sieb keine
Falten zieht und fich fehr leicht reinigen läfst.
Die billigfte und vielfeitig angewendete Anordnung befteht in einem
Gerippe von parallel zur Cylinderaxe laufenden, nachAufsen konifch zugefpitzten,
dünnen HolzÄäben, auf welchen ein kräftiges Bodenfieb ruht, das dann das eigent-
liche Sortirfieb trägt.
Eine andere und beffere Anordnung ift die von ebenfalls zurAchfe parallel
laufenden Stäben, die jedoch von gefchmiedetem Rundeifen find, über welche
dünne Metalldraht-Ringe, in Abftänden von einem Zoll gefpannt werden, welche
dire<5l das Sortirfieb tragen.
Eine dritte Art befteht in eineni gelochten Zinkblech-Unterboden, auf
welchen das Sortir-Drahtgewebe aufgelöthet wird. Diefe Anordnung fchont die
Siebe fehr, beanfprucht jedoch grofse Cylinderdurchmeffer, da wegen des, zwifchen
den Löchern des Unterbodens ftehenbleibenden, vollen Blechmateriales viel
Durchgangsfläche verloren geht.
Die am häufigften vorkommende Dispofition der Sortircylinder befteht in
deren ftufenweifer Aufftellung in hölzernen Käften, in welche der Holzftoff an
der rückwärtigen Längsfeite einfliefst. Der das Gewebe paffirende, alfo fortirte
Theil fliefst durch den offenen Seitenkranz ziemlich tief unten ab, während der
gröbere, alfo nicht durch das Gewebe durchgehende Theil fich unterhalb des
Cylinders in den Vorderraum des Kaftens drängt, von dem auffteigenden Cylinder
durch Reibung in dünnen Schichten aufgenommen, durch mit Filz umwickelte
Walzen abgenommen und wefentlich entwäffert durch einen Schaber in einen
feparaten Vorkaften abgelegt wird. Der Vortheil diefer Anordnung befteht darin,
dafs der Stoff unter geringem hydroftatifchen Drucke durch das Sieb gedrückt
wird, nachtheilig hingegen ift der Umftand, dafs der fortirte Theil, als am Boden
des Cylinders abfliefsend, immer noch Gelegenheit findet, fich mit dem aufsen
befindlichen unfortirten, alfo gröberen Theil zu vermifchen, refpecflive zurückzu-
treten, und dafs der gröbere Stoff eine, die Vorderfeite des Cylinders eng
umfchliefsende Wand bildet, welche grofse Reibung verurfacht und behufs der
Weiterbeförderung vom Cylinder gehoben werden mufs.
6 Emil Twcrdy.
Die zur Stoffabnahme dienenden Filzwalzen haben das Unangenehme,
Stofffafern in die Gewebemafchen einzuzwängen, welche dadurch verlegt werden
und den freien Durchgang der Fafem hindern.
Diefer mifsliche Umfland ift bei der von der Firma Th. & Fr. Bell
in Kriens bei Luzem, Schweiz, ausgeilellten Sortiranlage durch eine fehr finn-
reiche Conftru(5lion behoben, und verdient überhaupt die von diefer Firma
exponirte Schleifereianlage eine eingehende Würdigung.
Der von Th. & Fr. Bell ausgeführte Defibreur ift mit einem horizontal
liegenden, um eine fenkrechte Achfe rotirenden Stein verfehen. Vier kräftige,
eiferne Säulen tragen das eiferne Gerüft der Bremskammem. Die ftarke Defi-
breurfpindel wird ohne Verluft der Kraftübertragung durch konifche Räder von
der Haupttransmiffion angetrieben. Es fmd acht Bremfen (Preffen) vorhanden,
welche gleichmäfsig an der ganzen Peripherie des Steines, welcher einen
Durchmeffer von 1470 Meter und eine Höhe von 0*360 Meter hat, ver-
theilt fmd.
Das Anpreffen gefchieht durch Wirkung von Hebel und Gewichten,
Waflerftrahl-Rohre führen zu jeder Preffe. Eine zwifchen zwei Bremskammem
angebrachte Schärfevorrichtung befteht in zwei rotirenden Fraifern, die an einer
ftarken fchmiedeeifernen, fenkrecht ftehenden Schraubenfpindel mittelft Hand-
kurbel beliebig hoch geftellt werden können, um die ganze Breite des Steines
zu fchärfen. Das Gewicht der Schlei/mafchine ohne Stein beträgt 7000 Kilo-
gramm.
Die Exponenten machen für ihr Sj'ftem folgende Vortheile geltend:
Solide und einfache Aufftellung, indem das Fundament in den Boden hinein-
kommt und die Mafchine frei ftehen kann; einfaches Getriebe mit geringem
Kraftverlufl ; gleichmäfsiger Druck auf den Stein, daher geringere Reibung in
den Achfenlagern, im Allgemeinen geringerer Kraftbedarf, alfo verhältnifsmäfsig
gröfsere Produ<5lion (3 bis 3 »/g Pferdekraft per 50 Kilos Stoff, trocken gedacht,
in 24 Stunden) ; bequeme Bedienung der Mafchine bezüglich der Reg^lirung des
Druckes durch Auflegen von mehr oder weniger Gewichten ; zweckmäfsige Vor-
richtung zum Schärfen des Steines während des Ganges der Mafchine. Der neben-
ftehende Raffineur ift ebenfalls auf kräftigem, auf dem Boden ftehenden eifemen
Säulengerüfte gelagert, bei den vorhandenen, jedoch nicht montirten Steinen von
i'320 Meter Durchmeffer und 0450 Meter Höhe ift nicht erfichtlich, ob der
Läufer mit fefter oder balancirender Haue verfehen wird. Der Raffineur wiegt
1150 Kilo.
Der Sortirapparat befteht aus fünf Cylindern, (wovon drei Stück aus-
geftellt waren) von je o-6oo Meter Durchmeffer und ri6o Meter Länge und wiegt
circa 1500 Kilo.
Der Entwäfferungscylinder hat einen Durchmeffer von 0900 Meter und
eine Länge von 1200 Meter, fein Gewicht beträgt circa 500 Kilo, exclufive des
Holzkaftens. Die drei erwähnten Sortircylinder ftehen mit ihren Achfen parallel zu
einander, jedoch fo, dafs die Verlängerung der Achfe des erften, höher gelegenen
Vorfortircylinders zwifchen die Achfen der beiden tiefer gelegenen, eigentlichen
Sortircylinder trifft. Die Eigenthümlichkeit und der Vortheil diefer Anordnung
befteht hauptfachlich darin, dafs der durch das Gewebe durchfliefsende Stoff
nicht mehr auf den Boden des betreffenden Cylinders gelangt, fondern in einer
innerhalb des Cylinders gelegenen Blechrinne aufgefangen und zum Abflufs
gebracht wird. Die Tendenz des fortirten Stoffes, fich auf dem Boden des Cylinders
mit dem unfortirten zu vermifchen, wie fie bei den älteren Einrichtungen vor-
herrfcht, wird hier unmöglich gemacht.
Damit man für die Rinne Raum gewinnt, darf felbftverftändlich kein
Rofettenarm den inneren Raum behindern, und ift defshalb jeder Cylinder nur
mit zwei gufseifernen Endkränzen verfehen, die mit ihren abgedrehten Peripherien
auf Leitrollen gelagert fmd. Der obere Cylinder hat links und rechts je zwei
Papicrinduftrie. (
Leitrollen, aufserdem geht fenkrecht unter der Achfe desfelben und parallel mit
diefer eine Welle, auf welcher vier gröfsere Rollen aufgekeilt find, und die durch
eine Riemenfeheibe von einer Transmiffion angetrieben wird. Die erden zwei,
die Peripherien der Endkränze des oberen Cylinders tangirenden Rollen fungiren
hier als Antriebs- und Tragrollen. Die anderen zwei Rollen legen fich feitlich
links und rechts an die Peripherie der Sortircylinder an und dienen hier als
Antriebs-, Trag- und Leitrollen. Die tiefer gelegenen Sortircylinder haben auf
ihrer äufseren Längsfeite noch je zwei kfeinere Leitrollen.
Die Rinne des erflen Cylinders erweitert fich nach ihrem Austritte aus dem
Innern des Cylinders und überdeckt in ihrer Fortfetzung die beiden tiefer
gelegenen Sortircylinder in einem fenkrechten Abftand von circa 0*040 Meter,
wodurch der Stoff links und rechts der ganzen Cylinderlänge nach auf das Sortir-
gewebe auffliefst, und kein Cylinder im Stoffe watet. Im Innern der Cylinder
befindliche Spritzrohre reinigen continuirlich die Mafchen der Drahtgewebe,
wodurch jedes Verfchmieren derfelben verhütet wird. Der Mantel jedes Cylinders
befteht aus in der Entfernung von 105 Millimeter an der Peripherie parallel zur
Achfe gelagerten, in die Endkränze eingefchraubten, fchmiedeeifernenRundfläben,
in welchen Metalldraht-Ringe in der Entfernung von einem halben Zoll von
einander liegen, welche das Sortirfieb unmittelbar tragen. Die Cylinder find fehr
fchön rund und laffen leichte Reinigung zu. Die Kraft zur Bewegung ifl eine
wefentlich geringere als bei dem älteren Syflem.
Der Entwäfferungscylinder hat Rofetten, die auf der mitten durchgehenden
Welle feftgekeilt find, der Siebboden ifl ähnlich denen der Sortircylinder, nur
kräftiger. Die Abdichtung der Ausgufsflanfche erfolgt durch einen angegoffenen
Rand, der in einer Nuth des Holzkaftens geht.
Die ausgeflellt gewefenen Mafchinen, als : Schleifapparat, Raffineur, Sor-
tirungs- und Entwäfferungscylinder find untereinander nicht verbunden, daher die
Aufeinanderfolge der Einzeloperationen nicht erfichtlich ifl; diefelbe erfolgt
folgendermafsen : Von dem Defibreur wird der Stoff in einen Kaflen geleitet, in
welchem fich der fogenannte Späncylinder befindet, durch welchen die Späne
zurückgehalten werden. Von da gelangt der Stoff auf den oberen Vorfortir-
cylinder. Ein Theil desfelben geht durch und fliefst auf die unteren zwei Sortir-
cylinder. Derjenige Stoff, welcher auch diefe paffirt, fliefst dem Entwäfferungs-
cylinder zu, dagegen wird jener Stoff, welcher durch den Vorfortir- und die
Sortircylinder nicht durchgeht, in einem unterhalb befindlichen Kaflen, welcher
mit einem Rührhafpel verfehen ifl, gefammelt, und durch eine Pumpe, Syflem
Perreaux, auf den Raffineur gehoben.
Wird der Stoff gleich bei der Fabrik zur Papierfabrication verwendet, fo
läfst man ihn aus dem Entwäfferungscylinder einfach in Setzkaflen fiiefsen, um
ihn noch etwas mehr zu entwäffern. Wird der Stoff auf nicht zu grofse Entfernun-
gen verfendet, fo läfst man ihn in einen Rührkaflen laufen und dann auf die
Stoffpreffe, von welcher er in Papierform mit circa 45 Percent Trockengehalt
abgenommen und in Säcken verfendet wird.
Diefe Stoffpreffe, welche ebenfalls ausgeflellt war, hat die Form einer
kurzen Langfieb-Papiermafchine von 1*300 Meter nutzbarer Breite, mit einer
kupfernen Bruflwalze, Regifler-, Metalltuch- und Filz-Leitwalzen aus Meffing, zwei
Saugapparaten, einer erflen und einer Glattpreffe.
Ein Ballen fo getrockneten Holzfloffes lag zur Anficht vor. Soll der Stoff
jedoch auf gröfsere Entfernungen verfendet werden, fo wird er von der Stoffpreffe
noch über einen Trockenapparat geleitet, der mit dire<5ler Feuerung geheizt wird,
und welchen er mit 20 Percent Waffergehalt verläfst, da er fich fonll zu fchwer
wieder auflöfen würde. An der ausgeflellt gewefenen Stoffpreffe war ein folcher
Trockencylinder vorhanden, jedoch können nach Bedarf und Umfang der Pro-
du<5lion mehrere angebracht werden. Die direcfle Feuerung wurde gewählt, um
das Brennmaterial beffer auszunützen.
8 Emil Twerdy.
Das Gewicht einer Stoffpreffe beträgt circa 4800 Kilo, das eines Trocken-
cylinders nebil Stuhlung und Leitwalzen aus Eifen circa 5000 Kilo.
Mit einer Schleifmafchine, einem Raffineur, einem Sortirapparate. einem
Entwäfferungscylinder, kann man nach Angabe der Ausfteller in 24 Stunden
7500 Kilogramm lufttrocken gedachten Stoff erzeugen. Eine Stoffpreffe genügt
für 3 Schleifmafchinen.
Th. & Fr. Bell haben bereits 78 Schleifmafchinen ausgeführt, und zwar:
34 für die Schweiz, worunter 12 Stück für die Fabrik Perlen bei Luzem mit
700 Pferdekraft, 20 für Frankreich, worunter 10 Stück nach Mandeure, 10 Stück
nach Bellegarde, 7 für Baden, 3 für Württemberg, 2 für Baiem, 11 für Italien und
I für Oefterreich. Diefe 78 Mafchinen erfordern für ihren Betrieb eine Gefammt-
kraft von über 3000 Pferdekräften.
Von Holzfchleif- Apparaten ift ferner eine »patentirte Holzzerfaferungs-
Mafchine" von H. V ö 1 1 e r und J. M. V o i t h in Heidenheim an der Brenz, Württem-
berg, ausgeflellt. Wie zu erwarten, ifl diefe Mafchine in Conftru(5lion und Aus-
führung gleich vorzüglich und bietet einige beachtenswerthe Verbefferungen. Das
Syftem ifl das von Völter urfprünglich aufgeflellte, mit einem verticalen Schleif-
flein. Ein fehr kräftiges, gufseifernes Geflell enthält die Stuhlung der Hauptlager,
die Führung der fünf Prefskammern und die Lager der Prefsvorrichtung.
Die Form der Ständer ifl derart, dafs der Stein ohne Schwierigkeit heraus-
und hereingebracht werden kann, und kein Theil der Mafchine, aufser einem
leichten Blechdeckel losgefchraubt zu werden braucht. Die Prefskammern find
verflellbar, legen fich genau an den Stein an, und hat jede Preffe ihren eigenen
Wafferhahn. Die Preffung erfolgt durch ein an einer Kette hängendes Gewicht,
die Kette ifl um fämmtliche Rollen gefchlungen, woraus der Vortheil erwächfl,
dafs die beim Auslöfen einer oder zweier Preffen frei werdende Kraft fofbrt von
den übrigen Preffen aufgenommen wird, wodurch fowohl Kraft gefpart als auch
zugleich ein regelmäfsiger, flets fich gleich bleibender Gang der Mafchine erzielt
wird. Die Gewichtsbelaflung wird continuirlich von der Mafchine felbfl in Thätig-
keit erhalten, fo dafs der Arbeiter beim Einlegen des Holzes blofs die Preffe und
kein Belaflungsgewicht zu heben hat. Das Auslöfen des Zahnrades, welches durch
den Eingriff in die Zahnflange die Preffung bewirkt, von der Kettenrolle, gefchieht
durch eine fehr finnreich angeordnete Vorrichtung. Die Kettenrolle fitzt lofe auf
der Welle des Zahnrades. Letztere ifl hohl und enthält eine fchwache Spindel,
die an dem vorderen vorflehenden Ende ein Schraubengewinde befitzt, und durch
ein als Mutter fungirendes Handrädchen eine hin- und hergehende Bewegung
erhält. Das andere Ende der Spindel hat eine feflgekeilte Friölions-Kuppelungs-
muffe, welche in eine gleiche, an die Kettenrolle angegoffene eingreift. Soll Preffung
erfolgen, fo wird durch einige Umdrehungen des erwähnten Handrädchens nach
rechts die Spindel in die Kettenrolle eingekuppelt und die Zahnrad-Welle mit-
genommen , foU hingegen die Preffe gehoben werden, fo wird durch einige
Umdrehungen nach links die Spindel ausgekuppelt, und die Hebung der Zahn-
flange erfolgt mit Leichtigkeit. Das Aufheben des Gewichtes erfolgt durch einen
fchwachen Riemen und Rädervorgelege. Die Prefskammern find allfeitig dicht
gefchloffen, daher der Stoff nicht leicht verunreinigt werden kann.
H. Völter hat vom Jahre 1852 bis Ende 1872: 360 Schleifapparate geliefert
und zwar: von 1852 bis 1859: 13 Mafchinen, 1860 bis i86ö : 61 Mafchinen, 18O7 bis
1872: 136 Mafchinen, zufammen 210 Mafchinen für Europa und 150 Mafchinen für
Nordamerika. Von den patentirten Völter- Voith'fchen Apparaten find bereits
24 Stück im Betriebe. Von den 210 Apparaten arbeiten : in Deutfchland 77,
Oeflerreich 24, Schweden und Norwegen 53, Rufsland 16, Belgien 12, Frank-
reich 10, England b, Schweiz 6. Italien 3, Dänemark 2 und Spanien i Stück. Die
gröfsten, bis jetzt exiflirenden HolzzeugFabriken arbeiten mit Völter'fchen
Mafchinen, wie z. B. Longed, Munkedal und Skärblacka in Schweden, fodann in
Nordamerika, wofelbfl folche mit je deren 18, 20 und 24, in ein und demfelben
Papierinduftrie. i)
Locale ftehend, verfehen find und zum Theil gleichfam unbegrenzte Wafferkräfte
befitzen, während jene fchwedifchen Fabriken je über circa looo Pferde flarke
Waiferkräfte disponiren.
Ein weiterer Fortfehritt in der Holziloff-Fabrication, den Völter in die
Praxis eingeführt, ifl das von Oswald Meyh in Zwickau erfundene und ihm patentirte
Verfahren, das Holz vor dem Schleifen auf eine fehr einfache und wenig koft-
fpielige Weife zu präpariren, dafs es einen zwar braun gefärbten, aber viel fafer-
reicheren Stoff gibt, als der aus nicht präparirtem Holze ift, so dafs man daraus
ohne allen Zufatz von Hadern ein Papier von bemerkenswerther Zähigkeit erhält.
Seiner braunen Farbe wegen ift diefer Stoff jedoch nur zu Pappen, Einfchlag- und
ordinären Tapetenpapieren verwendbar. Das den Herren C. A. Specker und
Waisnix patentirte Holzftoff-Sortirungsverfahren , mittelft gelochter, blecherner
Schüttelfiebe und mit Weglaffung des Raffineurs zu fortiren, war auf der Aus-
ftellung nicht vertreten und hat bisher nur wenig Anklang gefunden.
Die zur Erzeugung des Holzftoffes nöthigen Schleif und Raffineurfteine
fpielen in diefer Induftrie eine wichtige Rolle, und erft feit kurzer Zeit befaffen
fich mehrere Mühlftein-Fabriken mit der Herftellung auch diefer Sorten. Die eigen-
thümliche Stru(5lur des hiezu nöthigen Materiales fand fich nicht überall, wo fonft
ganz brauchbare Mühlfteine gewonnen wurden. Sächfifche und fchweizer Steine
werden fogar noch heute nach Schweden und Norwegen exportirt.
Gebrüder Ifrael, Währing bei Wien, Wienerftrafse 3, hatten einige fehr
fchöne Exemplare von Defibreurs und Raffineurs exponirt.
W^ir fchliefsen die Betrachtung der HolzftofF-Induftrie mit dem Ausdrucke
der Ueberzeugung, dafs diefer PapierRohftoff wegen feiner einfachen Erzeugung,
dem maffenhaften Vorkommen des Rohmateriales, und feiner Billigkeit einen
bleibenden Werth in der Reihe der Hadernfurrogate behaupten wird. Der Vorwurf,
dafs gefchliffener Holzftoff nur zu Mittelpapieren Verwendung finden kann, ift
allerdings unwiderlegbar, nichtsdeftoweniger ift er/ das einzige Hadem-Erfatz-
mittel, um diefe Gattung Papiere, welchen eine fo wichtige volkswirtfchaftliche
Bedeutung innewohnt, billig zu geftalten. Wir erinnern hier einfach an das Zeitungs-
und Bücherpapier, deffen Billigkeit fo wefentlich zur allgemeinen Zugänglichkeit
wichtiger Bildungsmittel beiträgt.
Das Stroh. In den reifen Stengeln der Getreidearten ift nebft den
parallelen Fafern, woraus fie beftehen, hauptfächlich fogenannter Extra<5livftoff
und eine wachs- oder harzartige Subftanz enthalten. Wird das Stroh mit alkalifchen
Laugen auskocht, fo löfen fich jene fremden Stoffe auf, und die Halme erfcheinen
dann leicht in biegfame, feine Fafern zertheilbar, wonach fie zur Papierbereitung
tauglich find. Strohpapier wird in der That vielfach, theils mit, theils ohne Zufatz
von Hadern verfertigt; ganz dünnes und feines Strohpapicr ift, als fehr durch-
fcheinend, zu Copirpapier tauglich , fteht aber an Haltbarkeit dem aus Flachs
bereiteten fehr nach.
Strohpapier und Papier aus Hadern unterfcheiden fich in ihrer Textur und
fonftigen Beschaffenheit fehr wefentlich von einander. In dem zur Papierbereitung
erforderlichen Grade gemahlen, find nämlich, wie mikrofkopifche Unterfuchungen
zeigen, die Strohfafern dünn, kurz und glatt, dagegen die Leinenfafern länger,
dicker und flockig. Leinen gibt ein weiches , nicht leicht brechendes, wenig
Feftigkeit gegen Zerreifsen durch Anfpannen, und wenig Klang befitzendes, im
Riffe faferiges Papier, während Strohpapier, ungerechnet feine ftark hellgelbe oder
bräunlich gelbe, felbft einer kräftigen Chlorbleiche nicht völlig weichende Farbe
die Eigenthümlichkeit zeigt, dafs es zwarfeft, fteif, hart und klingend ift, aber beim
Zufammenfalten leicht bricht, und an geriffenen Rändern nicht faferig erfcheint.
Hadernpapier ift, wenn es nicht geleimt worden , mehr oder weniger
fchwammig, waffereinfaugend, Strohpapier aber dicht, fo dafs man ziemlich gut
darauf fchreiben kann , ohne dafs es geleimt ift. Geringe Papierforten können
10 Emil Tweidy.
daher ohne Schwierigkeit aus Stroh allein erzeugt werden , durch Zufatz eines
Theiles Hadernzeug, wird ihre Haltbarkeit gegen das Brechen bedeutend ver
mehrt. Man zerfchneidet dafs Stroh auf einer Schneidemafchine in Stückchen von
5 bis lO Millimeter Länge, und fondert durch Fegen auf einer Getreideputz
Mafchine die fchwereren , härteren Gliedknoten ab. Die fernere Behandlung
befteht darin, dafs man es unter Anwendung von Dampfund einer Aetzlauge auf
loo Pfund Stroh, 30 bis 50 Pfund frifchgeb rannten Kalk und i bis 2. Pfund Pott
afche) einige Stunden kocht. Die fodann folgende Umwandlung in Ganzzeug, und
die fchliefsliche Verfertigung des Papieres ftimmt mit der Fabrication des
Papieres aus Hadern ziemlich überein. 100 Pfund Stroh geben 60 bis 70 Pfund
Papier. Kornflroh ifl am härteften, darauf folgt Weizenflroh, dann Gerftenflroh,
endlich Haferftroh. Verfetzt man Stroh mit Hadern, fo werden beide abgefondert
zu Halbzeug gearbeitet , dann vermifcht und gemeinfchaftlich zu Ganzzeug
gemahlen.
Befler ift, das Stroh-Halbzeug erft dann dem Hadern-Halbzeug zuzufetzen,
wenn letzteres fchon in einigem Grade feingemahlen ifl, weil das Stroh fich rafch
zerkleinert.
In der deutfchen Abtheilung flellte Th. Nagel, Civilingenieur in Hamburg.
Böckmannsftrafse 22, Mufter von Strohpapier aus, die auf einem von ihm erfun-
denen und bereits in die Praxis eingeführten „StrohfloffGange" gemahlen find,
und fagt Herr Th. Nagel hierüber Folgendes: ^Es ifl mir gelungen, eine An
Kollergang mit fchwingenden Läufern zu conflruiren , welcher nicht nur allen an
denfelben zu (lellenden Anforderungen genügt , fondern welcher fpeciell die
Strohftoff- Fabrication in ein neues und viel günfligeres Stadium geführt hat. Der
erwähnte Gang mahlt nämlich durchfchnittlich 75 Kilo gekochten Strohftoffes in
circa 15 Minuten fertig, wozu ein Holländer für ein gleiches Quantum circa einer
Stunde bedarf. Die ausgeftellten Fabricate find auf diefem Gange in der Fabrik
der Herren K I i n k r a t h und M a r t e n s in Otterndorf an der Elbe, Provinz Han-
nover, von gekochtem Strohftoff m 15 Minuten hergeftellt. Das hiezu verwendete
Korn- und Weizenftroh ift dabei auf gewöhnliche Weife mit 10 Percent Kalk
gekocht. Ebenfo vorzüglich eignet fich der neue Gang dazu, den Strohftoff für
feinere Papiere zu mahlen , wie die ausgeftellten Proben bewiefen , welche au>
dem mit kauftifcher Lauge gekochten Stroh hergeftellt find. Der auf einem folchen
Gange gemahlene Stoff ift dabei weit faferiger, verfilzungsfähiger, als der mehr
zerfchnittene, kürzer gemahlene Holländerftoff, wodurch Papiere und Pappen aus
erfterem Stoffe fefter und haltbarer werden, aufserdem ift dabei circa 10 Percent
weniger Stoffverluft verbunden, da die längeren Fafern weniger durch die Sieb-
mafchen der Pappen- und Papiermafchinen verloren gehen. Ferner ift der Stoff
homogener, es find die unanfehnlichen Knoten zerkleinert, wodurch das Fabricat
beffer und fchöner wird, endlich braucht diefe Stoffmühle nur beiläufig die Hälfte
der Kraft eines Holländers , nämlich nur circa 3*^2 Pferdekraft. Da diefer Gang
nun circa viermal mehr als der Holländer in gleicher Zeit fchafft, fo leiftet erfterer
eigentlich achtmal mehr, als der gewöhnliche Holländer. Für die Strohpapier-
Fabrication ift alfo der gewöhnliche Holländer zum Mahlen des Strohftoffes ent-
behrlich geworden; wo einmal Holländer vorhanden find, können diefelben zum
leichten Nachmahlen des Stoffes, um den Stoffgang zu entlaften. benützt werden
oder auch als Mifchmafchine, um den gekollerten Stoff gut mit Waffer zu mifchen,
verwendet werden , was übrigens auch direöl in den Rührbottichen gcfche-
hen kann."
Der erfte Gang arbeitet laut Angabe des Erfinders in der Fabrik von
Klinckroth und Martens in Otterndorf an der Elbe, mehrere andere find in Auf-
ftellung begriffen. Es ift bedauerlich, dafs diefe vielverfprechende Mafchine nicht
wcnigftens durch ein Modell illuftrirt wurde.
Die Verarbeitung des Strohes in der oben gefchilderten Weife gewinnt
keinesfalls die gleiche Ausdehnung wie die anderer befferer Stoffe, da da«< Papier
Papierinduftrie. 1 1
(eines geringen Anfehens und feiner Brüchigkeit wegen, felbft als ordinäres Pack-
papier nicht beliebt id. Die Billigkeit fteht ihm allerdings entfchuldigend zur
Seite , wiegt aber die fonftigen mifslichen Eigenfchaften nicht auf. Strohpappen
find ein brauchbarer , billiger Artikel und werden in bedeutend höherem Mafse
begehrt als Papier.
Der in oben befchriebener Art präparirte Strohftoff eignet fich durchaus
nicht zur Verwendung für belfere Papierforten, und es galt daher, die Strohfafer,
entkleidet der ihr anhängenden, flörenden fremden Beflandtheile, als für feine
Papiere tauglichen Stoff zu gewinnen. Vorerft handelte es fich darum, die dem
Stroh anhaftenden löslichen Kohlenhydrate , Fette, Extra(5livftoffe etc. zu ent-
fernen, und dann die weiche reine Fafer voUfländig zu entfärben, das heifst, zu
bleichen. Die Ausftellung zahlreicher Mufter gebleichten und ungebleichten
Slrohftoffes, fowie eine grofse Menge tadellofer mit Strohftoff gearbeiteter Papiere,
zeigt die glückliche Löfung des noch vor kurzer Zeit für äufserft fchwierig gehal-
tenen Problems.
Unter den verfchiedenen Methoden der Strohftoff-Bereitung find die
bekannteften die von LahouiTe, Thode und Deininger.
He<5lor J. Lahouffe aus Lille hat fich acht Jahre mit Verfuchen befchäftigt,
ehe er das ihm patentirte und nun am meiften verbreitete Verfahren fand. Sein
Fabricationsfyftem ift folgendes : Das in Häckfelform zerfchnittene Stroh wird,
nachdem es durch eine Reinigungsmafchine von Korn, Aehren und Knoten befreit
worden ift, in einem kugelförmigen Apparat mit kauftifcher Lauge ausgelaugt.
Nachdem das Stroh fich mit der Lauge gefättigt hat, wird der Ueberfchufs der
Lauge in ein Refervoir abgelalTen, um bei der nächften Operation wieder ver-
wendet zu werden , während das Stroh in einen cylindrifchen Kochkeffel gebracht
wird, in welchem es vier Stunden lang unter einem Drucke von 2 '/j Atmofphären
gekocht wird. Nach dem Kochen wird das Stroh im Apparate felbft mit warmem
WafTer gewafchen, wodurch die Kiefelfäure, Petflin, Harz, farbige Subftanzen etc.
entfernt werden. Ein Raffineur zertheilt die Fafern, worauf das Bleichen in Hol-
ftändem vorgenommen wird, und der Stoff zur Papierfabrication fertig ift. Die
Anlage einer Strohftoff-Fabrik nach Lahouffe's Syftem erfordert drei Etagen. In
der oberften wird das Stroh gefchnitten und gereinigt, in der zweiten gelaugt,
in der unterften gefchehen die übrigen Operationen. Die Apparate und Mafchinen
für die Minimalpro ducflion von 20 Centner lufttrockenen Stoffes in 24 Stunden
koften ab Mafchinenfabrik 20.000 fi. öfterreichifche Währung. Die Erzeugungs-
koften von 100 Pfund lufttrockenen Stoffes find folgende :
200 Pfund Stroh . . . 2 fi. — kr.
26 j, Soda . . . 4 r, — „
20 „ Chlorkalk 2 „ 50 „
Regie • 3 -^ — -,
Zufammen i i fl. 50 kr.
Seit 1869 hat die Mafchinenfabrik Gebrüder Sachfenberg in Rofslau an der
Elbe, Anhalt, die Lieferung färamtlicher für den Continent beftimmter Apparate
und Mafchinen für Strohftoff-Fabrication nach diefem Syfteme übernommen, und
werden diefe Einrichtungen in Material und Ausführung gleich vorzüglich geliefert.
LahouiTe hat bisher 38 Strohftoff-Fabriken, worunter manche mit zwei-, drei-,
auch vierfachen Anlagen , eingerichtet. Diefelben vertheilen fich auf die ver-
fchiedenen Länder wie folgt : Deutfchland 11, worunter Kefferftein & Sohn in
Cröllwitz bei Halle an der Saale mit einer vierfachen Anlage, Oefterreich 7,
Spanien 5, England 4, Rufsland 3, worunter Ed. Rudolfi in Babinof bei Petersburg
mit einer vierfachen Anlage, Frankreich 2, Italien 2, Dänemark 2, Schweden i,
Holland i.
Die Strohftoff-Gewinnung nach Thode befteht in Folgendem : Das von
Verunreinigungen, als Difteln, Winden etc. möglichft befreite Stroh wird in Häckfel
] 2 Emil Twcrdy.
zerfchnitten. Auf einer Rcinigungsmafchine werden Staub, Sand und Knoten ent-
fernt, hierauf der gereinigte Häckfel unter Dampfdruck in fphärifchen KefTeln mit
cauflifcher Natronlauge gekocht, und die dadurch erhaltene unreine Strohmaffe durch
mechanifche Wafchapparate von der Kocherlauge befreit. Die gewafchene Stroh
mafle wird in eigenthümlich conftruirten Raffineurs einem einmaligen Mahlprocefs
unterworfen und dadurch vollftändig, ohne irgend welche Strohflecke oder unvoll
kommen zermahlene Strohtheilchen zu hinterlaffen, in Stroh-Ganzftoff übergeführt
Die Wirkung diefer Raffineurs ift in neuerer Zeit durch eine patentirte
Vervollkommnung an derfelben bedeutend erhöht worden, und wird hiedurch jede
befondere Bedienung oder Beauffichtigung der Raffineurs vollfländig befeitigt.
Der Stroh-Ganzftoff wird in grofsen Holländern ohne Zuhilfenahme von
Säure mit Chlorkalk-Lauge gebleicht und kann direcfl mit Lumpen-Ganzftoff ver
mifcht auf der Papiermafchine verarbeitet, oder durch eine Stoffpreffe in enl
wäflerten, verkäuflichen Zuftand gebracht werden. Durch Anlage des mechanifchen
Wafchapparates von Lefpermont und des Eindampfofens von Porion können
75 bis 80 Percent der in den Kochern verwendeten Soda wieder gewonnen werden
Zum Kochen des Strohes werden 20 bis 23 Kilo Soda ä 85 Percent Gehalt
an kohlenfaurem Natron, oder 19 bis 21 y^ Kilo Soda k 90 Percent an kohlen
faurem Natron gebraucht, welches Quantum durch 13 bis 15 Kilo Aetzkalk cauftifch
gemacht wird. Diefe Angaben beziehen fich auf 50 Kilo luftgetrockneter Stroh-
raafle. Zum vollftändigen Bleichen diefes Quantums werden 10 bis 12 Kilo Chlor-
kalk von 3i'8 Percent = 100 Grad nach Gay-Luflac gebraucht.
Die Ausbeute beträgt 50 Percent des Gewichtes des reinen Strohhäckfels
und ftellen fich 50 Kilo mit Rückficht auf die übliche Amortifirung auf 6 bis 6*/^
Thaler. Zur Erzeugung von 2500 Kilogramm lufttrockenen Strohftofi"es find circa
40 Pferdekraft zum Betriebe der Mafchinen erforderlich.
Thode's Strohftoff"- Gewinnungsverfahren, fowie die felbftthäcige Einlauf
Vorrichtung an den Raffineurs find für Sachfen und Oefterreich-Ungarn patentirt
Eine dritte Methode derStrohftoff-Bereitung ift die von Auguft Dei ninger
in Berlin. Deininger hat in anerkennungswerther Weife und wiflenfchaftlicher
Form genaue Elementaranalyfen mit den bekannten Stroharten vorgenommen, um
zu conftatiren, welches Quantum möglichft reinen Papierftoff"es daraus gewonnen
werden könne. Das Refultat diefer ünterfuchungen ergab, dafs aus Roggenftroh
58 bis 60, aus Weizenftroh 62, aus Haferftroh 56, aus Gerftenftroh 60 Percent
Papierftoff gewonnen werden können. Deininger's Verfahren ift folgendes : Da>
auf einer Häckfelmafchine zerfchnittene, von Körnern, Samen, Sand und Staub
gereinigte Stroh, wird in den fogenannten „Sprengungsapparat" gebracht, wo e>
unter Einwirkung von Dampf mit 5 Atmofphären Spannung und 11 ^/^ Pfund kaufti-
fcher Soda auf loo Pfund Strohftoff" den eigentlichen Löfungs- und Zerfetzung>-
procefs durchmacht. Der „gefprengte" Strohftoff" wird in einem Halbzeug-
Holländer mit Wafchtrommeln ausgewafchen, zu Dreiviertel-Stoff" gemahlen und in
Zeugkäften abgelaflen. Um den Stoff" zu bleichen, wird derfelbe aus den Zeug
käften in die Bleichholländer gebracht, und mit einem i Grad Beaum^ ftarken
Chlorwafler gebleicht. 100 Pfund Stoff erfordern 20 Pfund Chlorkalk und 2 Pfund
concentrirte englifche Schwefelfäure.
Deininger gewinnt angeblich aus lOO Pfund Stroh 60 bis 70 Pfund luft-
trockene, gebleichte Strohmaff"e mit einem Koftenaufwand von 4 Thaler i2Grofchen.
So vielverfprechend und günftig auch diefe Angaben find, follen praktifche Erfah-
rungen nicht ganz damit übereinftimmen und hat Deiningers Verfahren nicht jene
Verbreitung und Anerkennung erfahren, wie die zwei erftgenannten Methoden.
Auf der Ausftellung war Deininger mit Muftern von Strohftoff und daraus gefertigten
Papieren vertreten.
Die Cellulofe. Eine fo wichtige Stelle der gefchliffene Holzftoff" in der
Reihe der Hadernfurrogate einnimmt, findet feine Verwendung in Anbetracht der
Papierinduilrie. 13
Papierqualitäten dennoch nur in befchränktem Mafse ftatt. Die allzukurze Fafer
beeinträchtigt die Fertigkeit des Papieres , der Harzgehalt hindert die volle
Wirkung felbft einer kräftigen Bleiche, die Fafern verfilzen fich nicht dicht genug,
liegen mehr an der Oberfläche des Papieres, und befitzt auch diefes nicht genug
Satinirfähigkeit, um gröfseren Anfprüchen zu genügen.
Die Frage der Gewinnung ganz reiner Holzfafer gewann eine folche Bedeu-
tung, dafs zahllofe Experimente angeftellt wurden, um diefes fo überaus wichtige
Problem zu löfen. Es find heute bereits mehrere Methoden bekannt, HolzftofF
auf chemifchem Wege zu erzeugen, aber wie immer bei neu auftauchenden Erfin
düngen, liehen auch hier Zweifel und Mifstrauen der rafchen Anerkennung diefes
neuen Stoffes und feiner fabriksmäfsigen Erzeugung hindernd im Wege. Wiewohl
man längft darüber einig iil, dafs die Holzfafer durch Einwirkung von hoch-
gefpannten Dämpfen und alkalifchen Laugen blofsgelegt wird, worauf das Bleichen
unfchwer erfolgt, fo flehen fich in derDetaillirung der mit dem Holze vorzunehmen-
den ProcefTe die Anflehten der Erfinder oft diametral entgegen, und ifl diefe
Induflrie im Allgemeinen noch zu jung, um jenes Vertrauen zu erwecken, wodurch
derfelben Prosperität erblühen kann.
Es ifl heute für Papierfabrikanten förmlich zur Modefache geworden, Cellu-
lofe, wenn auch nur im experimentalen Wege, zu erzeugen, wofür die Ausflellung
zahlreiche Belege in Form von kleinen Quantitäten Holzfloffes und einzelnen
Papierbögen lieferte. Diefe Manie kann jedoch von jedem Intereffenten nur auf
das freudigfle begrüfst werden, denn je vielfeitiger die Verfuche find, deflo gröfser
ifl die Möglichkeit der Auffindung des rationellflen Verfahrens. Nichtsdeflo-
weniger mufs conflatirt werden, dafs die Grofs induflrie fich bereits diefes Gegen-
flandes bemächtigt und fehr achtbare Refultate zu Tage gefördert hat. Auf der
Ausflellung find mehrere Fabricationsfyfleme, oder eigentlich die Erfolge derfelben
zur Anfchauung gebracht, und ifl nur zu bedauern, dafs keine Methode durch Vor-
führung von Mafchinen und Apparaten oder felbfl nur von einem Modell erläutert
erfchien. Auf diefem Gebiete waren repräfentirt : England durch Stoffmufler und
Papiere von James Lee, Stoffmufler und Papiere von Mc. N i c o 1 1, der auch feinen
Verdampfungsapparat ausflellte, Frankreich durch ein Modell des methodifchen
Wafchap parates von L. Lefpermont in Paris, Deutfchland durch Stoffmufler
und Papier von A. D e i n i n g e r, Bernhard Behrend in Cöslin, die Dalbker
Papierfabrik Max Drefel, Oeflerreich durch Stoftmufler der Gefellfchaft
Pap yrus, Syflem Prinz, Papiennufler von Graf Falke nhayn, Stoffmufler von
Hiebl & Diamant, Stoffmufler und Papiere von G. Röder & Comp, in
Marfchendorf.
Das im Grofsen bisher am öfteflen angewendete Verfahren ifl das von
James Lee in Lydney, England. Den Mittheilungen feines Vertreters Herrn
Ingenieur C. M. Rofenhain, Berlin, Auguflflrafse 26, entnehmen wir hierüber
folgendes :
James A. Lee hat bereits fechs Fabriken in England, fünf in Schweden
und eine in Nordamerika eingerichtet, während fechs Fabriken in Deutfchland im
Bau begriffen find. Die ausgeflellten Holzfloff-Proben waren aus den Fabriken :
Wernbohl in Södermannland, Dalary bei Elmhult in Smaland, Krontorp bei
Bjernöboig in Wermland, Bruzaholm bei Ekesjö in Smaland und Brokhult bei
Söderköpping in Oeflergötland. Jede diefer Fabriken liefert per Woche 22 tons
chemifchen Holzfloffes, für welche in England 30 Pfund per ton geboten werden.
Das Verfahren James L e e 's ifl folgendes : Das von Borke befreite Holz,
welches aus ganzen Stämmen oder Abfällen, mit Ausnahme von Hobel- oder Säge-
fpänen beflehen kann, wird auf einer Schneidmafchine zerkleinert.
Die eingehendflen Verfuche haben bewiefen, dafs man Holz nur gleich-
mäfsig durchkochen kann, wenn die Holzftücke von ganz gleicher Länge und
Dicke find, und in möglichfl znfammengeprefsten Schichten in den Keffel ein-
gebracht werden, was durch den Lee'fchen Holzfehneider in ausgezeichneter
14 Emil Twcrdy.
Weife erreicht wird. Das gefchnittene Holz wird von der Schneidmafchine in
Cylinder von gelochten Blechen gebracht, welche nach gefchehener voUftändigcr
Füllung in einen horizontalen Kochkeflel gefahren werden, worin fie während des
Kochprocefles verbleiben.
Nachdem fo viele mit gefchnittenem Holze gefüllte Cylinder in den Koch-
keflel eingefahren find, als derfelbe faflen kann, wird die Einfahröffnung ver-
fchraubt, Soda in den Keffel gepumpt, und durch ein auf zwei Seiten des Keffels
befindliches dire<5les Feuer der Kochproccfs eingeleitet. Wenn die Flüfsigkeit im
Keflel eine Temperatur erreicht hat, welche circa loAtmofphären Druck entfprichi,
was in 31/j bis 4 Stunden (lattfindet, ifl der Kochprocefs beendet, die Flüfsigkeit
wird herausgelaffen , der Keffel abgekühlt, und die mit gekochtem Holzftoif
gefüllten Blechcylinder werden aus dem Keffel herausgefahren, um fchliefslich in
ein mit horizontalem Rührwerk verfehenes Blechgefäfs entleert zu werden. Nach-
dem der Holzftoff in diefem Blechgefäfs, mit Waffer vermifcht, eine kurze Zeit
gerührt worden ift, , fliefst er in eine Wafchmafchine und hat auf derfelben
dreizehn mit Meffingfieben verfehene, horizontale Wafchtrommeln in der Weife
zu paffiren, dafs der reinfte Stoff immer mit dem klarflen Waffer in Berührung
kommt.
Von der Wafchmafchine wird der ausgewafchene Stoff in zwei mit verticalem
Rührwerk verfehene Holzbottiche gepumpt, von welchen er vermittelft eines end-
lofen Siebes zwifchen horizontal rotirende Walzen gelangt, und vom gröfsten Theil
feines Waffers befreit wird.
Der auf diefe Weife bis auf 50 Percent von Waffer befreite Holzftoff-Streifen
wird dann von Trockencylindern aufgenommen, vermittelft Rollen über eine
Dampfleitung geführt und gelangt fchliefslich ganz trocken zu einer Schneid-
mafchine, welche ihn in das zum Verfandt geeignete Format fchneidet. Da die
wenigften Papierfabriken durch ihre Geldmittel und ihre örtliche Lage im Stande
find, eine eigene Holzftoff-Fabrik anzulegen, fo kann der Holzftoff als Verkaufs-
obje<fl einen Werth nur beanfpruchen, wenn er leicht transportabel, das heifst in
abfolut trockenem Zuftande geliefert wird. J. L e e ift bisher der einzige Fabrikant,
welcher Mafchinen zur Herftellung von ganz trockener Cellulofe liefert. Von der
zum Kochen des Holzefs verwendeten Soda werden 75 Percent im flüfsigen
Zuftande wiedergewonnen. Der Gewfnn an trockenem Holzftoffe beträgt circa
35 Percent von der aufgewandten lufttrockenen Holzmaffe, das heifst Holz, welches
beiläufig zwei Monate im Walde gelegen hat.
Zur Herftellung von 20 Centner Holzmaffe find nöthig : 56 Centner luft-
trockenes Holz, 15 Centner kauftifche Soda, von welcher 75 Percent wieder-
gewonnen werden, demnach der Verbrauch nur 3% Centner ift, ferner 40 Centner
Steinkohlen, 18 Centner Kalk.
Die Herftellungskoften von 100 Pfund ungebleichter Cellulofe betragen
4 Thaler 4 Sitbergrofchen. Da man zum Bleichen des Stoffes per 100 Pfund Holi-
maffe 35 Pfund Chlorkalk braucht, koftet ganz gebleichter Stoß" 6 Thaler 10 Sil-
bergrofchen.
Anlagen unter 200 Centner Produiflionsfähigkeit per Woche werden nicht
ausgeführt, dagegen liefert J. Lee Einrichtungen für 200, 400, 600, 800, 1000
und 2000 Centner Producflionsfahigkeit per Woche. Die hiezu nöthige Betriebs-
kraft beträgt 30 bis 65 Pferdekräfte.
Der Wafferverbrauch für eine mittlere Anlage beträgt circa 70 Cubikfiife
per Minute, die chemifche Befchaffenheit des Waffers ift ohne Bedeutung.
Sämmtliche Mafchinen für eine Fabrik mit Dampfbetrieb, um wöchentlich
in 6 Tagen a 24 Stunden 400 Centner trockenen gebleichten oder ungebleichten
Holzftoff herzuftellen, koften ohne Emballage und Montage, franco, Dock London
10.059 Pfund Sterling. Betriebskraft 35 Pferde.
Für 200 Centner Wochenproduölion koften die Mafchinen für Dampfbetrieb
9324 Pfund Sterling.
Papierinduilrie. 1«)
Zur Orientirung für Unternehmer fügt Herr Rofenhain eine kurze Ueber-
fjcht des Jahresverbrauches für Papier in verfchiedenen T^ändern bei, und 7 war
verbraucht Deutfchland jährlich 3,200.000 Centner Papier.
Oefterreich ^ 1,260.000 „ ^
Frankreich „ 2,590.000 ^ „
Grofsbritannien 3,300.000 « ^
Rufsland ^ 070.000 „ „
Die ausgeflellt gewefenen Papiere enthalten bis 75 Percent Cellulofe und
find zum Theil aus purer Holzmaffe dargeftellt.
John Mc. N i c o 1 gewinnt Cellulofe nach Sinclairs Patent auf folgende
Weife : Das Holz wird zuerfl gefchnitten und hierauf in aufrecht flehenden Keffeln
unter einem Druck von 12 bis 13 Atmofphären gekocht. Der hiezu nöthige Dampf
wird in einem befonderen Dampferzeugungs-Apparat, der aus 24 fchmiedeeifernen
Röhren befleht, erzeugt, kommt aus diefen Röhren in den gemeinfchaftlichen
Dampffammler und von da mittelft Röhren in den Kocher. Diefer Dampferzeuger
bietet durch feine eigenthümliche Conftrudlion eine grofse Sicherheit gegen Explo
fionsgefahr. Er befteht aus heifsglühcnd gefugten Röhren, und betragen deren
gröfste Durchmeffer nicht über 10 Zoll, die kleinflen nicht unter 4 Zoll.
Jeder Keflel wird vor der Inbetriebfetzung auf 500 Pfund Druck per
Quadratzoll geprüft. Die Rohre lalTen fich unfchwer demontiren, Schmutz und
Niederfchläge können durch Kratzer leicht entfernt werden, der Rufs wird durch
einen dünnen Dampfftrahl abgefegt. Der Holzkocher felbfl ift eingemauert, erhält
den Dampf von einem vertical in der Mitte auffteigenden, durchlöcherten Rohre,
wird von oben geladen und unten entleert. Der mit Soda gekochte Stoff wird
mittelft einer Preffe ausgeprefst, und entweder verfchickt, oder an Ort und Stelle .
im Holländer aufgeweicht, im Bleichholländer gebleicht und dem Papierftoff
zugetheilt. Die Wiedergewinnung der Soda gefchieht mittelft eines eigenen Evapora-
teurs, welcher 80 Percent des urfprünglich gelieferten Quantums liefert.
Nähere Angaben über diefesSyftem, ferner, ob und wie viel Fabriksanlagen
bereits ausgeführt wurden, konnten nicht ermittelt werden.
A.'D c i n i ng e r's in allen Ländern patentirtes Verfahren zur Gewinnung
von Cellulofe aus Holz unterfcheidet fich in einigen Punkten fehr wefentlich von
dem anderer Erfinder und bafirl auf folgenden Grundfätzen :
Das Holz wird nur mit Dampf von vier Atmofphären Ueberdruck behandelt,
und bei niedrigerTemperatur auseinander gefprengt. Das in dem Holze enthaltene
Harz, der Farbftoff, das Eiweifs und ein Theil des Pflanzenleims werden gelöft,
dagegen das Holz unter Zuhilfenahme einer fchwachen Lauge durch den aus-
geübten Druck auseinander gefprengt, fo dafs die Fafer im Zellenbau unberührt
und unangegriffen bleibt. Die einmal verarbeitete Lauge wird nicht wiedergewon-
nen, fondern als unbrauchbar verworfen. Das Deininger'fche für Stroh und Holz
anwendbare Sprengverfahren ift nach den Verficherungen des Erfinders bereits
von fieben Fabriken acceptirt und praktifch durchgeführt worden, und find noch
fünf andere im Bau begriffen. Das Holz wird vorher auf Mafchinen zerkleinert, wie
felbe bei der Zündhölzchen-Fabrication üblich find, die Zerfetzung erfolgt in einem
Sprengapparat, welcher aus einem circa gFufs hohen, 5 bis öFufs im Durchfchnitt
haltenden Keffel (für eine Tagesprodu<5lion von 10 Centner ausreichend) befteht.
Diefer Keffel hat oben an der Kopffläche und unten an der Seite je ein Mannloch
von circa 24 Zoll Oeffnung zum Füllen, refpe<5live zum Entleeren. Oberhalb des
Keffels ift ein Refervoir angebracht für das Anfetzen der Lauge, und ein Rohr
verbindet diefes mit dem Sprengapparat. In dem Keffel ift ein doppelter gelochter
Boden zum Auflagern des Rohftoffes und zum Durchlaffen der Flüffigkeiten ange-
bracht. Bei dem nur vier Atmofphären ftarken Drucke ift die Gefahr einer
Explofion nicht zu befürchten. Die Bearbeitung des Holzes beginnt mit dem
Anheizen des Sprengapparates, dem Luftleermachen desfelben und dem Eintreten-
laffen der Lauge von zwei Grad Beaumais. Befindere Einrichtungen im Innern
2
16 Emil Twerdy.
des KelTels unterftützen alle diefe Operationen. Der Keffel ifl mit einem Holz-
mantel verfehen und kann dort, wo kein Dampf zu Gebote fleht, auf direöles Feuer
gefetzt werden. Nach fechsflündiger Bearbeitung ifl der Procefs als beendet zu
betrachten. Nun wird das obere Ventil geöffnet und es beginnt ein einfacher
Spülprocefs, worauf die gewafchene MaiTe herausgenommen, geflampft und in
einem Halbzeug-Holländer gemahlen wird. Für loo Pfund Holz werden 1500
Pfund Dampf verbraucht nebft 18 Pfund kauflifcher Soda.
Zum Bleichen des Holzes gehören 25 bis 30 Pfund Chlorkalk. Die Aus-
beute beträgt laut Angabe des Erfinders 70 bis 75 Percent, die Selbflkoflen
5 bis 5'/2 Thaler.
Wenngleich auch diefe Angaben viel günfliger find, als die anderer Erfinder,
muffen jedenfalls erfl mehrfeitige praktifche Erfolge abgewartet werden, um diefe
Methode als die empfehlenswerthefte bezeichnen zu können.
L. Lefpermont in Paris befafst fich mit dem Kochen der Fafer felbft
nicht, fondern hat nur einen Apparat zumWafchen und zur Wiedergewinnung eines
Theiles der verbrauchten Soda. Der „ununterbrochene methodifche Wafchapparat**
hat zum Zweck, alle mit Laugen und anderen wäfferigen Flüffigkeiten verbundenen
Faferftoffe und fonftigen Subftanzen auf eine folche Weife zu entwäfTern. dafs die
Flüfllgkeiten, refpe<flive Laugen in möglichft concentrirt bleibendem Zuflande
gewonnen werden, daher auch bei der Trennung von Subftanz und Flüffigkeit
Wafchwäffer möglichft wenig oder gar nicht zu gebrauchen.
Seine Anwendung in der Papierfabrication bezieht fich daher auf die
Trennung des HalbftofTes aus Hadern, Stroh und Holzfafern nach erfolgtem
Kochen, um die alkalifchen Laugen möglichft concentrirt wieder zu gewinnen,
und fie entweder in demfelben Zuftande wiederholt zu benützen, oder fie durch
Verdampfung und Calcination gereinigt zum Wiederverbrauch verwendbar zu
machen. Ganz befonders geht diefs die Stroh- und Holzftofffabrication auf chemi-
fchem Wege an, wo fo grofse Mengen Aetzkalien im Ueberfchufs angewendet
werden.
Der Apparat befteht aus einer von mit Sieben überzogenen Wafchtrom-
meln, welche der Stoff mit der Lauge nacheinander pafTirt, wobei die durch die
Trommeln vom Stoffe fich trennende Lauge in die Ausgufsröhren fliefst, welche
wie die Trommeln befländig rotiren und in Canäle ausgiefsen, die in ein oder
mehrere Refervoire münden. Ift die Abfcheidung der Lauge erfolgt, dann beginnt
die Wafchung mit reinem Waffer, nach welcher der Stoff gereinigt hervorgeht.
Wir entnehmen den diefsbezüglichen Mittheilungen Herrn A. Rudel's in feiner
Zeitfchrift, dafs die Vorzüge diefes Apparates durch zahlreiche Anwendungen des-
felben in Frankreich , England , Schweden, Belgien, Deutfchland, Oefterreich,
Rufsland, Italien etc. auf das deutlichfte nachgewiefen find.
Das Lefpermont'fche Verfahren ift unftreitig das bis jetzt vollkoramenfte
aller Wafchmethoden, und hat für die gröfste Stroh- und Holzftofffabrication
Bedeutung. Für die Papierfabrication ift das Ziel feiner Anwendung : Aus den
Stroh-, Esparto-, Holz- und anderen Faferftoffen das ganze zur Zerfetzung diefer
Vegetabilien angewendete Quantum Alkali auszuziehen, und zu diefem Zwecke
die möglichft geringfte Menge Waifer zu brauchen. Zufolge des hiebei ftreng
beobachteten Principes derGegenftrömung, wobei das reinfte Waffer dem reinften
Stoffe begegnet, gefchieht der Procefs fo vollftändig, dafs kein Stofftheilchen den
nach einander folgenden Wafchungen ausweichen kann.
Der methodifche Wafchapparat braucht nur fehr wenig Triebkraft und Auf-
ficht, und erweift fich als umfo nützlicher, als der Preis des Alkalis höher ift.
EinModelldieferMafchinewarvonder Carolinenthaler Mafchinenbau Gefeil
fchaft, vormals Lüffe-Märky und Bernard in Prag, ausgeftellt, welche auch fowie Herr
Dr. Rudel in Dresden weitere Auskunft ertheilen. Der Preis eines folchen Appa-
rates mit gufseifernem BafTin ift 6000 Francs, ohneBafTin, welches dann an Ort und
Stelle aus Cement hergeftellt wird, 5500 Francs.
Papierinduftrie. 17
GuftavRöder& Comp. Mafchinenpapier-Fabrikanten in Marfchendorf,
Böhmen, hatten Proben von aus Fichten- und Aspenholz gewonnener Cellulofe aus-
geftellt, welche nach eigenem patentirten Syftem erzeugt und in Ausfehen, Fein-
heit und Weifse geradezu tadellos find. Das patentirte Verfahren wird geheim
gehalten, ift jedoch käuflich.
Die von diefer Firma ausgeftellten Papiere enthalten unter anderen vorzüg-
lichen Papieren auch feines Kanzleipapier, welches mit Beimifchung von 30 Per-
cent Cellulofe hergeftellt ifl, und welches fich in Bezug auf Reinheit, Weifse und
Glätte gar nicht von dem aus purem Hadernzeug fabricirten unterfcheidet.
Der Preis von 100 Wiener Pfund der nach diefem Syftem hergeftellten
Cellulofe ftellt fich inclufive der üblichen Amortifation auf 19 fl. öfterreichi
fcher Währung, ifl jedoch von einer Güte und Reinheit, wie felbe beftgebleichter
Strohfloff nicht befitzt.
Max Drefel Papierfabrikant in Dalbke bei Bielefeld flellte unter diverfen
Papieren auch folche aus felbfl erzeugtem chemifchen Holzfloff aus. Der beigeleg-
ten Erklärung ift zu entnehmen, dafs von 6000 Zollpfund Kiefernholz 1800 Pfund
Stoff gewonnen werden können. Die Haupteigenfchaft diefer Cellulofe ifl Zähig-
keit, ihr Preis 9 fl. per 100 Zollpfund. Das Bleichen, Färben und Leimen
erfolgt rafcher und billiger als beim Hadenifloff.
Die norddeutfche Papierfabriks- A^liengefellfchaft in Cöslin, Pommern,
ftellte unter anderem auch aus chemifchem Holzfloff erzeugtes Papier aus. Details
hierüber find nicht angegeben, das Papier felbfl ifl Packpapier von mittlerer Güte
und Fefligkeit.
Ueber die anderen auf der Ausflellung befindlich gewefenen Cellulofepro-
ben konnten nähere Angaben nicht ermittelt werden, und fcheinen diefelben nur
die Refultate von Laboratoriumsverfuchen zu fein, über deren Werth felbft-
verfländlich ein Urtheil nicht möglich ifl.
E. Diverfe Rohmaterialien. Die MaulbeerbaumRinde. In der
öflerreichifchen Abtheilung hat Herr He(flor Ritter von Zahony, Papierfabrikant
in Podgora bei Görz, nebfl einem Sortiment vorzüglich ausgeführter Papiere auch
folche, welche aus Maulbeerbaum Rinde gefertigt find, fowie letztere felbil im
rohen, gefchälten und gebleichten Zuflande zur Anfchauung gebracht. Diefes
durch feine Leiflungen hervorragende EtablifTement hat im Laufe des letzten
Halbjahres 1500 Centner roher Rinde, welche 230 Centner lufttrockenen Bafles
ergaben, gröfstentheils zu BriefcouvertPapieren verarbeitet, deren Fefligkeit jener
der Hanfpapiere nicht im Mindeilen nachfleht. Die Verwendung der Rinde des
Maulbeer-Baumes zur Papierfabrication ifl von nicht zu unterfchätzender national-
ökonomifcher Bedeutung, da hiedurch ein neues Materiale der Induftrie dienflbar
gemacht wird, das bisher gänzlich unbeachtet geblieben ifl und keinerlei Verwen-
dung fand. Es gibt zweierlei Verfahren, um die zur Fütterung des Seidenwurmes
nöthigen Blätter zu gewinnen. In ganz Mittel- und Süditalien, in Dalmatien und
in einem Theile von Iflrien werden die Blätter vom Baume abgeflreift und dann
den Würmern vorgeworfen, — im Venetianifchen, dem Küflenlande und im Görzer
Gebiete fchneidet man jedoch die ganzen einjährigen Zweige vom Baume und
flreift entweder erfl im Haufe die Blätter ab, oder legt die ganzen Zweige auf die
Betten der Raupen. Die abgefreffenen Zweige wurden nun bisher einfach als
Brennmaterial verwendet, während fie jetzt mittelfl einer fehr einfachen Vorrich-
tung durch Menfchenhände abgefchält werden und ohne im Mindeflen am Brenn-
materialwerth zu verlieren, noch das ganz bedeutende Erträgnifs an Bafl
geben.
Die Arbeit des Abfchälens ifl vollkommen mühelos, und kann durch halb-
erwachfene Kinder oder durch ältere arbeitsunfähige Leute vorgenommen werden.
Eine Perfon kann mit Leichtigkeit 80 Pfund Baft in einem Tage fammeln und fich
dadurch einen guten Verdienfl fchaffen. Für den Fabrikanten zeigt fich die Ver •
2:ic
1^ Emil Twerdy.
arbeitung diefes Materiales fehr lohnend, denn der Centner lufttrockener Rinde
koftet I fl. 50 kr. und entfällt demnach für den Centner vollkommen gebleichten
Halbftoffes ein Preis von nicht ganz 18 fl., bei welchem man noch mit V'ortheil
Cigarrettenpapier zu 48 bis 52 fl. den Centner verkaufen kann. Herin Ritter
V. Zahony gebührt das Verdienfl, durch Einführung diefes Induflriezweiges die
Ertragsfahigkeit der in (Udlichen Gegenden allenthalben mit Maulbeer-Bäumen
bepflanzten Felder um ein Bedeutendes erhöht zu haben, was um fo mehr in*«
Gewicht fällt, als nur zu häufig durch Ungunft der Witterung oder durch da'^
Auftreten einer Krankheit die Iloff'nungen der Landleute auf das Erträgnifs der
Seidenernte getäufcht werden, während der Ertrag aus dem ausgefchälten Bade
ihnen jedenfalls gefiebert bleibt. Wenn die Verwerthung diefes vegetabilifchen
Stoff"es zu Zwecken der Papierfabrication auch nur locale Bedeutung hat, ift e^^
immerhin von Werth und IntereflTe, diefes bisher ganz unbeachtete Naturproducl
'n der Reihe der Hadernfurrogate mit Erfolg auftreten zu fehen.
Die Brennneffel. In der ungarifchen Papierabtheilung hatte die Her-
manetzer Papierfabrik J. B. H ü 1 1 n e r nebfl verfchiedenen Sorten fehr fchöner feiner
Papiere, Couvertpapier aus purem BrennneflelStoff", fowie fein melirtes Concept-
papier aus Hadern und einer Beimifchung von 50 Percent diefes Stoff'es ausgeftcllt.
Die BrennnelTel-Fafer ift gewonnen von den Gattungen Urtica urens und divica.
Die Qualität der Waare ifl überrafchend gut, und glaubt der Ausfteller, daf?» fich
diefe bei weiterer Ausbildung der StofiTDcreitung noch wefentlich beffer geflalten
dürfte. Es ifl wohl das erfte Mal, dafs die Brennneffel-Fafer in gröfserem Mafsflabc
als Papier-Rohmaterial zur Verwendung kam. und entnehmen wir den freund-
lichen Mittheilungen des Herm Ausftellers, dafs die in den, der Hermanetzer
T*apierfal)rik nahen grofsen Waldcomplexen vorkommende, grofse Menge der
Brennneflfel dazu Veranlaflung gab. Die Brennneflel wird, wenn fie in der Blüthe
(leht, grün eingefammelt, die Blätter und Blüthen mit der Hand gereinigt, und
dann die Stengel an der Sonne, unter Zuhilfenahme von Waffer, womit man die-
felben täglich drei oder vier Mal begiefst, fchwach geröflet und getrocknet. Die
getrockneten Stengel werden zwifchen Walzen fo lange zerquetfcht, bis die Fafer
zum Vorfchein kommt. Das darauf folgende Wolfen befreit die Fafer gänzlich von
tlen Stengelreften , die fo gereinigte Fafer wird gekocht und im Holländer
gebleicht. Die Anwendung von Chlorgas ift, als der Brennneffel-Fafer im hohen
Grade fchädlich, zu vermeiden. Der gebleichte Neffelfloff" wird nun entweder ohne
jede Beimifchung zu Papier verarbeitet, wie das ausgefl:ellt gewefene Couvert-
papier zeigte, oder mit einem beliebigen Zufatz von Hadernftoff gemifcht, wie
aus dem ausgeflellt gewefenen weifsen Conceptpapier erfichtlich war. Der Herr
Ausfleller ift der Meinung, dafs man bei weiterer Ausbildung des Verfahrens ein
fehr feftes, reines und weifses Papier erzeugen kann. Die Rentabilität ift bei dem
heutigen Stande der Papierpreife zu bezweifeln, felbft wenn man die BrennnelTel
ganz*umfonft bekömmt, denn das Einfammcln und Putzen der Neflel ift im Ver-
bal tnifs zu dem Nutzquantum viel zu theuer. Hundert Pfund grüne Brennneflel
geben geputzt und getrocknet circa 35 Pfund Stengel und diefe circa 1% Pfund
Fafer. So ausfichtslos auch die Verwendung diefes Rohmateriales fiir den gegen-
wärtigen Stand der Papierfabrication ift, fo verdient es doch alle Anerkennung,
dafs Verfuche auf diefem Gebiete gemacht, und die Refultate in fo freundlicher
Weife den Fachcollcgen zurKenntnifs gebracht werden. Die Hermanetzer Papier-
fabrik ift ihrer vorzüglichen Leiftungen wegen eines der hervorragendften
Etabliflements Ungarns.
Kartoff elftenge 1. Gebrüder Spiro, Mafchinenpapier-Fabrikanten in
Rothi^ecitz, Böhmen, haben eine Colle(5lion von aus Kartoffelftengeln gefertigten
Pack- und Zuckerpapieren, fowie Proben diefes Stoff"es in mehreren Stadien der
Bearbeitung exponirt. Die Papiere find von bedeutender Feftigkeit, jedoch
Papierinduftric. 19
f cheint es, dafs fich diefer Stoff feines geringen Anfehens wegen nur zu ordinären
Papieren eignet. Nähere Angaben über die Art der Behandlung des Stoffes, die
Erzeugungskoflen desfelben etc. konnten nicht ermittelt werden.
Hiemit ift die Reihe der auf der Ausftellung zur Geltung gebrachten Roh-
rtoffe gefchloffen und endigen wir die Betrachtung über diefelben mit dem Aus
druck der Genugthuung, dafs die feit der Parifer Ausftellung verftrichene Periode
Wefentliches in Auffindung und Vervollkommnung der zur Papierfabrication taug-
lichen Rohfloffe geleiftet hat. Die Papierinduflrie darf mit Berechtigung erwarten,
dafs auf dem eingefchlagenen Wege und an der Hand der Wiffenfchaft weitere
Forfchungen ein Material ausfindig machen werden, welches überall und billig
herzuftellen, auch aufserdem geeignet ift, den gefteigerten Anfprüchen an die
Güte des Papieres zu genügen.
Die Papierfabriks-Einrichtungen,
Wir haben bei Befprechung der verfchiedenen Rohmaterialien das Hadern
Halbzeug nicht als felbftftändiges Material behandelt, da es bei dem heutigen
Stande der Dinge als zur Papierfabrication im engeren Sinne gehörig, betrachtet
werden mufs. Es bleibt der Zukunft vorbehalten, ob die Arbeitstheilung fo weil
gehen wird, dafs auch HadernHalbftoff zum Gegenftande einer befonderen, vom
eigentlichen Papiermachen unabhängigen Induftrie wird, und felbftftändig als
Handelsartikel auftritt. Heute ift bei der Anlage einer Papierfabrik die Nothwen-
digkeit unausweichlich, eigenen Halbftoff aus Hadern zu erzeugen, und müffeu
die hierin erreichten Fortfehritte in der Reihe der in den Papierfabriks-Anlagen
überhaupt gewonnenen aufgeführt werden.
Es ift bereits Eingangs erwähnt worden dafs die käuflichen Hadern einer
genauen Sortirung unterzogen werden muffen. Diefe erfolgt von Hand, und ift
hierin keine Aenderung der hergebrachten Manipulationsweife zu verzeichnen.
S c h n e i d m a fc h i n e n. Die Hadern-Schneidmafchinen werden nun durch-
wegs mit rotirenden Trommeln gebaut. Jene Form, bei welcher zwei Meffer radial
eingefpannt wurden, kommt mehr und mehr aufser Gebrauch, da die Wirkung des
Schnittes von heftigen Erfchütterungen begleitet ift, die fich um fo ftörender
erweifen, als die Hadernfchneider gewöhnlich in der oberften Etage des Fabriks
gebäudes placirt werden, und defshalb feiten ein hinreichend ftabiles Fundament
erhalten. Die Hadernfchneider mit um die horizontale Axe rotirenden Trommeln
haben einen bedeutend ruhigeren Gang, leiften mehr und nützen fich weniger ab.
Gebrüder Sachfenberg, Schifisbauer und Mafchinenfabrikanten in
Rofslau an der Elbe, Anhalt, hatten eine Hadern-Schneidmafchine diefes Syftems
im Annex der deutfchen Mafchinenausftellung ausgeftellt. Die Mafchine ift ganz
in Eifen und fehr folid ausgeführt, hat eine gefällige Form und bietet alle Vor-
theile diefer Anordnung. Die Meffer können leicht herausgenommen und nach
dem Schärfen wieder befeftigt werden, letzteres gefchieht durch Schrauben und
Keile. Die Zuführungswalze liegt parallel zur Trommelachfe, und erhält erftere den
Antrieb durch einen Riemen. Die Mafchine liefert bei einmaligem Schneiden
8 bis lo Centner per Stunde, bei zweimaligem Schneiden 5 bis 6 Centner, bedarf
eines Kraftaufwandes von 3 bis 4 Pferdekräften und koftet 500 Thaler.
Guillotine-Schneidemafchinen waren nicht ausgeftellt.
Die Kochapparate. Diefelben werden jetzt faft nur kugelförmig
gebaut und fanden fich zwei Exemplare auf der Ausftellung.
Der Hadernkocher von Gebrüder Decker & Comp, in Canftatt, Württem-
berg, fafst 20 bis 25 Centner Hadern, ift kugelförmig, das Material Keffelblech
auf 12 Atmofphären probirt, fo dafs die Dampffpannung während des Betriebes
6 Atmofphären erreichen darf. Im Inneren find Stäbe eingenietet zum Faffen der
Hadern und befitzt der Apparat einen halbkugelförmigen durchlöcherten Zwifchen-
20 Emil Twerdy.
boden, einen Seifier zum EinlalTen des Dampfes und der Lauge, ztvei angenietete
hohle Drehzapfen, zwei angenietete Mannloch-Auffötze mit Deckel und V^erfchluf>
zum Füllen und Entleeren, ein Ventil zur Dampfzuführung, fo eingerichtet, dafs
die Lauge nicht durch dasfelbe in die Dampfleitung und den Dampfkeffel zurück
treten kann, ein Zulafsventil für Lauge und Walter, zwei Ablafshähne, einen
Abdampfhahn, ein Luftventil, ein Sicherheitsventil, zwei eiferne Lagerftänder,
fowie das Triebwerk mit doppelter Räderüberfetzung nebft den Riemen-
feheiben.
Der Hadernkocher der Gebrüder Sachfenberg hat die Form einer
Kugel von 7>j.^ bis 8% Fufs Weite und fafst 20 bis 25 Centner Lumpen oder
6% bis 7 Centner Stroh. Das Gewicht desfelben beträgt 105 Centner. Die Kugel
dreht fich auf zwei gufseifernen Zapfen, welche gleichzeitig zum Ein- und Aus
lalTen von Dampf und Waffer dienen. Am äufseren Umfange der Kugel find
diametral gegenüberftehend zwei gufseiferne Kränze zum Füllen und Entleeren,
die durch Deckel verfchloffen werden. Im Innern befindet fich ein aus einzelnen
Blechen beflehendes, gürtelförmiges Sieb in etwa drei Zoll Abftand vom Mantel.
Der zwifchen Sieb und äufserem Mantel entftehende, ringförmige Raum fleht mit
jedem der beiden Zapfen durch ein an der inneren Fläche des Mantels anliegendes
fchmiedeeifernes Rohr in Verbindung. Die einzelnen Bleche des Gürtelfiebes find
zum Abfchrauben eingerichtet, um den ringförmigen Raum von Zeit zu Zeil
reinigen zu können. Zwei Hähne dienen zum Abiaffen des Waffers aus diefem
Räume. Zum befferen Umwenden der Hadern find an dem Siebmantel noch fechs
Schienen angebracht. In die Zapfen führen, durch Stopfbüchfen gedichtet, zwei
feile Röhren, von denen das Einlafsrohr mit einem Sperrventile für Waffer, einem
folchen für dire<5len Dampf und einem Ventil für indireölen Dampf, das Auslafa-
rohr mit einem Auslafsventil für Dampf und Waffer, und einem Stutzen für ein
Verbindungsrohr mit dem etwaigen Nachbarkocher verfehen i(l. Der Betrieb
gefchieht mittelft Riemen und doppeltem Rädervorgelege. Die Betriebsfeheibe
macht per Minute 40 bis 45 Umdrehungen, was für die Kugel im Mittel gleich
09 Umdrehungen entfj)richt. Die Kugel ill für eine Dampffpannung von 4 Atmo-
fphären Ueberdruck conflruirt und wird mit dem doppelten Drucke probirt.
Nach Beendigung des Koch und Wafchproceffes wird der Kocher aufser Thätig-
keit gefetzt, die beiden Deckel werden abgenommen und der Kocher abermals in
Drehung gefetzt, um fich durch die Mannlochöffnungen mit geringer Nachhilfe
felbflthätig zu entleeren. Bei dem Betriebe mehrerer Kocher wird die Einrichtung
getroffen, dafs der nach Beendigung der Kochung entweichende Dampf des einen
Kochers zum Vorwärmen des anderen benützt wird. Die Anzahl der Kochungen
beträgt in 24 Stunden 2 bis 3 für Lumpen, 4 bis 6 für Stroh. Die Kocher
werden in 4 Gröfsen, und zwar mit 7. 7V21 8» 8V2 Fufs rheinifch Weite gebaut und
faffen 16 bis 35 Centner Hadern oder 5 bis 10 Centner Stroh. Die Wafchvorrich-
tung befteht entweder aus tellerförmigen inneren oder gürtelförmigen Sieben.
Gebrüder Sachfenberg haben bereits mehr als 200 Kocher ausgeführt.
Der Vortheil der kugelförmigen Kocher befleht hauptfachlich darin, dafs
felbe leichter und fchneller zu füllen und zu entleeren find als cylindrifche. dafs
fie bei gleichem Volumen leichter find, daher weniger Betriebskraft benöthigen
und dafs die Oberfläche bei gleichem Inhalt geringer ifl als bei cylindrifchen
Kochern, daher weniger Abkühlungsfläche haben und weniger Dampf brauchen.
Die Holländer. Wafch- Bleich- und Halbzeug-Holländer find in der
Ausflellung gar nicht , dagegen Ganzzeug- Holländer in einigen Eexemplaren
vertreten gewefen.
J.G.Landes in München exponirte eine in einem Stück fehr fchöne
Holländerwanne, Wagner & Comp, in Cöthen-Anhalt einen completen gegoffene
Holländer mit ebenfalls ganz eiferner Wanne. Die Conflru<flion des letzteren
bietet nichts Neues.
Papierinduftric. 21
Grofses Auffehen hingegen erregte ein von der Karolinenthaler Mafchinen-
bauGefellfchaft, vormals LüfleMärky und Bernard in Prag ausgeflellten
Ganzzeug-Holländer nachdem Syftem von Debi^, Granger & Pasquier
in Paris.
Wir entnehmen dem von Dr. Alwin Rudel herausgegebenen „Centralblatt"
auszugsweife folgende Erläuterungen : Alle Papierfabrikanten haben ficher die
Ueberzeugung gewonnen, dafs die bis jetzt noch allgemein gebräuchliche Mafchine
zur Bearbeitung des Ganzfloffes eine ihrem Zwecke fehr mangelhaft entfprechende
id. Wenn man fich die Aufgabe, welche die Operationen der Umwandlung von
Geweben in feinft getheiltc Fafern, die in der Papierfabrication mit dem Namen
^Ganzfloff** bezeichnet werden, klar vorflellt, fo kann man das Trenne n der
verfchiedenen Gewebearten durch die Hand der Sortirerinen und Verkleinern der
Stücke auf dem Sortirtifch mit Vor- und Nachfortirung, das Schneiden auf dem
Hadernfchneider, dasEntfafern der Hadern durch die Halbftoflf-Mühle als
durchaus zweckmäfsige und fyftematifch richtig auf einander folgende Arbeiten
bezeichnen, für welche kaum jemals beflere Verfahrungsweifen gefunden werden
dürften, weil die Zwifchenarbeiten der Reinigung durch das Stäuben (Wolfen),
Kochen, Wafchen und Bleichen nur in dem Stadium richtig erfolgen können, in
dem fich die Gewebe und Fafern in dem jeweiligen Grade ihrer Bearbeitung
befinden. Bis zum Halbftofif mufs eben die Zerlegung der Gewebe bis zu Fafern
durch das Schneiden, das Auflockern des Gefpinnftes und die Extra<flion der in
den Fafern mehr oder weniger enthaltenen Subflanzen durch das Kochen, die .
Reinigung derfelben für die darauf folgende Bleichung durch das Wafchen
gefchehen, und kann nur einerfeits in der Form des klein gefchnittenen Gewebes,
anderfeits in der Form dei Fafer (lattfinden?
Ganz anders ifl die Aufgabe bei der Umwandlung desHalbfloffesinGanzfloff.
DerGanzfloff foll nicht allein eine fein getheilte, fondern auch zertheilte Fafer fein,
das heifst, er foU eine Spaltung der urfprünglichen Dicke der Fafer in auch der
Länge nach feineren Fäferchen fein. Denn diefe Zertheilung ifl es, welche die
feine Verfilzung des Papierblattes und damit die Fefligkeit desfelben, feine
belfere Qualität, feine Reinheit in der Durchficht und gute Leimung zu einem
guten Theile mit bedingt.
Für die Operation der Spaltung der Halbftoff-Fafern in feinere Fafern kann
kaum eine fchlechter dazu geeignete Vorrichtung gefunden werden, als es die
deutfche, durch die Holländer verbeflerte Cylindermühle id. Nicht allein, dafs
durch die gering dargebotenen Flächen an den Schienen des Cylinders und Grund-
werkes, wo allein die Spaltung durch Reibung und Druck erfolgen kann, die
Arbeit unendlich verzögert wird, fo gefchieht diefs auf Koften der gleichmäfsigen
Zertheilung noch mehr durch die überwiegend grofse Menge hohler Räume
zwifchen den Schienen, in welche der Stoff beliebig fchlüpfen und fich der
Operation des Mahlens entziehen kann; es ifl kein Zwang, fondern nur ein Zufall,
welche und wie viel Fafern dabei zur Bearbeitung gelangen und daraus mufs ganz
natürlicher Weife eine aufserordentliche Ungleichheit der Faferlängen und Fein-
heiten, aber auch eine ungehörige Zeitverfchwendung hervorgehen.
Die Idee Kinglands in New- York, die Patentmühle, ein aus gegoffenen,
kreisrunden Eifenplatten mit eingeladenen, feinen Schienen beftehendes Syflem,
bei welchem diefe Platten den Bodenftein und Läufer der horizontal liegenden
Mühlfteine erfetzen, auf die Papierfabrication zu übertragen, war jedenfalls eine
fehr glückliche. Es läfst fich kein anderer Grund für die Abänderung der horizon-
talen in die verticale Lage finden, als der, dafs Kingland eine Neuheit
und wenigflens die Vermeidung der vollftändigen Nachahmung der amerikanifchen
Mahlmühle fuchte, indem er diefe Mühle umflülpte. In Amerika und England
fand fie auch zahlreiche Verbreitung, weil man dort keine fo verfchiedenartigen
Stoffe mifcht und ganz befonders viel Baumwoll-Fafern verarbeitet. In Deutfchland
und Frankreich hat fie nur in wenigen Fabriken dauernde Benützung gefunden und
22 Emil Twerdy.
dies ganz befonders aus den beiden Gründen, weil fie erftens heterogene Stoflfe
nicht gleichmäfsig verarbeitet, zweitens weil die Kraft von 40 Pferdeftärken nur
feiten für diefe Mafchine vorhanden ifl und eine kleinere als diefe die Leiftung
wefentlich vermindert.
Eine eingehende Berechnung über die effe<5live Leidung eines gewöhnlichen
Holländers und einer Scheibenftoff-Mühle zeigt, dafs bei erfterem eine Pferdekraft
80 Pfund, bei letzterer eine Pferdekraft 125 Pfund Stoff" in 24 Stunden liefert.
Der Verlud an Kraft bei der gewöhnlichen Cylindermühle rührt von verlorner
Reibung her. Horizontale Mahlgänge haben die geringften Reibungsverlufle, und
Kingland hätte fich eigentlich das Umftülpen der Steine erfparen können.
Eine horizontale Mühle liefert mit einem Kraftverbrauch von 1 Pferdekraft
160 Pfund Ganzftoff.
Die geringe Leiftungsfähigkeit einer Cylindermühle war es, welche die
Herren E. Debi^, Granger & Pasquier zur Conflrudlion ihres vervollkommneten
Syflems geführt hat. Diefes Holländcrfyflem hat feit den fiinf Jahren feines
Beflehens eine folche Ausbildung erfahren, dafs die Kenntnifs desfelben nunmehr
für jeden Papierfabricanten von Wichtigkeit ifl. Die von den Herren ProfelToren
Lespermont und Sagebien am 12. September 1872 in der Papierfabrik zu W'izemes
an einer Cylindermühle von einem Meter Walzendurchmeffer, 0.70 Meter Breite,
1000 Kilo wiegend, bei 180 Touren per Minute angeftellten Bremsverfuche ergaben:
dafs zum Mahlen von Stroh und chemifchem Holzftoff 6 Pferdekraft, zum Mahlen
feften Hadernftoffes 8, und bei Füllung des Troges voll mit Wafler ohne Stoff
10 Pferdekraft nöthig waren. Der koloflale Aufwand an Kraft zur Bewegung des
Stoffes ift ganz erklärlich, da die Schienen der Walze die P'undlion des Rades
eines Dampffchiffes haben, welches • mit Schnelligkeit grofse Laden im Waifer
bewegt — mit dem Unterfchiede, dafs hier die Lad, dort aber die flüffige Maffe
bewegt wird. Bei Dampffchiffen id bekanntlich ein grofser Kraftverbrauch und
nur bis 25 Percent Nutzeffe<5l. Die Schaufeln tauchen höchdens nur mit dem
achten Theile des Radumfanges ein, während die Walze mit den Schienen fad bis
zur Hälfte eintaucht, den Stoff in die Höhe fchleudert und ihn wieder nach
vorn nimmt; denn der kleinde Theil des von den Schienen gefafsten Stoffes
geht über den Kropf oder Sattel und von da weiter im Troge herum.
Die bei der neuen Stoffmühle ausgeführten Verbefferungen haben zum
Hauptzwecke : eine grofse Erfparnifs an Kraft in der Anwendung der Walze, bei
voller Beibehaltung derfelben Art der Wirkfamkeit diefes Werkzeuges als Mahl-
apparat.
Die erde diefer Verbefferungen gründet fich auf die Beobachtung, dafs bei
dem alten Verfahren die Walze zwei unterfchiedene Funcflionen auszuführen hat.
welche für ein gutes Ergebnifs der Triebkraft geradezu entgegengefetzte Bedin-
gungen der Gefchwindigkeit erheifchen. Diefe Fun<5lionen find die Speifung der
mahlenden Flächen und der Mahlung felbd. Die erdere bedeht in der Ertheilung
einer regelmäfsigen und gleichmäfsigen Bewegung der im Troge befindlichen
Stoffmenge und wird durch eine fehr geringe Gefchwindigkeit erlangt. Die zweite
hat die allmälige Verminderung der Faferlängen während des Durchganges über
das Grundwerk zum Zweck und verlangt dagegen eine fehr grofse Gefchwin-
digkeit.
Unterfucht man die für jede diefer beiden Funcflionen aufgewandte Menge
an Triebkraft, fo findet man, dafs in der älteren Stoffmühle diefe Triebkraft im
Verhältnifs der Speifung zur nutzbar gemachten Arbeit beträchtlich id.
In der neuen Stoffmühle werden die beiden Funcflionen der Speifung und
Mahlung durch zwei verfchiedene Mechanismen ausgeführt. Die erdere durch
eine neue Vorrichtung, Elevator genannt, die zweite durch die alte Vorrichtung,
die Walze.
Die Walze id auf dem oberen Theil des Troges mit dem Grundwerke
erhoben und diefes etwas geneigt und vor der Walze derartig angebracht, dafs
Papierinduftrie. 23
fler Stoff in den Trog zurückföllt, ohne gegen die Haube geworfen zu werden.
Um dabei das abfolute Freiwerden der Walzfchienen zu fiebern, fleht der obere
Theil des Grundwerkes um mehrere Centimeter über das Niveau des Stoffes
heraus. Auffteigend vor dem Grundwerke ifl eine ftark gebogene Fläche, welcher
der durch die fpecielle Vorrichtung, die man Elevator nennt, aufgeführte Stoff
regelmfifsig folgt.
Der vor diefer gebogenen, fleil aufzeigenden Fläche befindliche Elevator
befleht aus einem Rade mit Schaufeln von i 200 Meter DurchmelTer und derfelben
iireite wie die Walze, macht nur 1*/^ Umdrehungen per Minute, wegen des tiefen
Eirtauchens der Schaufeln, welche nach der Bewegungsrichtung des Stoffes hin
flark gebogen find. Die Uebertragung der Bewegung erfolgt von der Walzenwells
aus, damit die relativen Bewegungen diefer beiden Theile des Apparates mit
einander wechfelfeitig in Verbindung flehen
Gleichmäfsig durch diefen Apparat hinaufgezogen, kommt der Stoff von
felbfl oben an und gelangt auf natürliche Weife zwifchen die Schienen der Walze
und des Grundwerkes, um da wie in den älteren Mühlen gemahlen zu werden. Da
die Walze nicht mehr den Zugang des Stoffes zu bewirken hat, fo ift es nicht
mebr nöthig, dafs die Schienen fo flark. wie früher hervorragen ; diefS ifl bis auf
fünf bis fechs Millimeter verhindert. Der durch den Stoff der Walzenbewegung
" ereitete Widerfland ifl demnach auf das Geringfle reducirt. und kann diefe
Erfparnifs je nach dem Rauminhalt der StoffmÜhlen und den verfchiedenen
Bedingungen der Aufftellung zwanzig bis dreifsig Percent betragen.
Die zweite Verbefferung, welche kein geringes Intereffe bietet, befleht in
der neuen Anordnung des Bodens der Stoffmühle. Betrachtet man die gewöhnliche
Form der Stoffmühl-Tröge, fo bemerkt man, dafs die dem Boden zunächfl liegenden
Stofffcbichten eine viel langfamere Bewegung als die höheren Schichten haben,
fo dafs die letzteren viel öfter die Walze pafTiren als die erfteren. Die einzige
Hilfe gegen diefen unangenehmen Vorgang ifl das Aufrühren, und ifl diefes
nur ein fehr mangelhaftes Mittel. Befonders unregelmäfsig ifl die Gefchwindig-
keit der Stofffcbichten am Boden und der Oberfläche, am auffleigenden Theile des
Kropfes, welchen der Stoff zu erfleigen genöthigt ifl, um das Niveau zu erreichen,
wo in den älteren Mühlen durch die Walze die Auffchleuderung flattfindet. Indem
man diefen Kropf befeitigt und den Elevator bis auf den Boden des Troges ein
tauchen läfst. erreicht man eine fafl abfolute Gleichartigkeit der Gefchwindig-
keiten aller Stoft'lagen. Die Reibung am Boden kann allein noch den Gang der
unterflen Lagen ein wenig verlangfamen. Um diefen Uebelfland zu beheben, erhält
der ganze Boden des Troges eine ununterbrochene Neigung vom Austritte des
Stoffes unter der Walze an bis zu dem Punkte, wo der Elevator ihn von Neuem
erfafst. Es befland noch eine Ungleichheit des Mahlens durch die fehr verfchie-
denen Bewegungen, welchen mit einer ziemlich gleichen Gefchwindigkeit die Stoff-
fcbichten nahe an der Mittelwand und der Aufsenwand folgen. Um diefe Unregel-
mäfsigkeit zu überwinden, wird das Uebermafs von Stoff benützt, den der Elevator
befländig vor die Walze bringt. Diefes Zuviel wird durch einen Canal an den
äufseren Rand der inneren Mittelwand geführt, und findet fomit in ununterbrochener
Weife und während der ganzen Zeit des Mahlens ein Querabflufs an verfchiedenen
Theilen des Troges flatt, der die vollkommene Vermifchung fiebert. Diefe beiden
letzteren Anordnungen liefern die wirkliche Löfung des Rührers, ohne jede Mit
hilfe eines mechanifchen Werkzeuges.
Die ökonomifchen ErgebnifTe beflehen in einer beträchtlichen Befchleuni-
gung des Mahlens, daher Zeiterfparnifs und einem geringeren Kraftverbrauch auch,
welcher fafl nur 50 Percent von dem bei älteren Stoffmühlen benöthigten ausmacht.
Die neuen Anordnungen bieten jedoch auch noch andere Vortheile von
grofser Wichtigkeit.
Seit mehreren Jahren hat fich die Anwendung von Grundwerken mit
Schienen ohne zugefchliffene Schneide allgemein eingebürgert und ifl diefe auch
24 Em»» Twcrdy.
überdiefs durch den Vortheil einer grofsen Regelmäfsigkeit der Fabrication, der
Vermeidung des Schärfens u. f. w. gerechtfertigt. Diefelbe Anordnung bei den
Walzenfchienen zu treffen, war daher folgerichtig, aber die Dicke von drei bis
fünf Millimeter im Maximum, welche fie am heften haben mufsten. und das noth
wendige Vorftehen derfelben, um das Ergreifen des Stoffes zu bewirken, gaben
ihnen bei der alten Conftru<5lion nicht die gehörige Feftigkeit. Bei der neueu
hingegen, wo das Vorftehen diefer Schienen auf 5 bis 6 Millimeter und mehr ver
mindert ift, dürfen die Schienen ohneweiters ohne Schärfe und ganz dünn fein
Da der Elevator die Walze von der Arbeit der Speifung enthebt, fo wird de«
Durchmeffer der Walze von der Gröfse des Troges ganz unabhängig. Bei einer
Vermehrung des Faffungsraumes ift man nicht mehr, wie bisher, genöthigt, auch
den Durchmeffer der Walze und damit ihr Gewicht zu vergröfsern. Bei Vergröf>e
rung der Stoffmühle bleibt der Walzen-Durchmeffer derfelbe, nur erhält die Walze
eine gröfsere Länge, um dadurch verhältnifsmäfsig die Produdlion zu vermehren.
Die Walzen erhalten demnach die möglichft kleinen Durchmeffer, um fie weniger
koftfpielig zu machen.
Der von der Karolinenthal er M afchinenb au -Gefell fc haf t , vor-
mals Lüffe-Märky & Bernard. in Prag ausgeftellte Holländer hat einen au>
Cement gebauten Trog; doch werden diefe auch in Gufseifen ausgeführt. Nähere
Mittheilungen hierüber ertheilen H. Everling 26, nie cadet Paris, Dr. Alwin
Rudel in Dresden und die genannte Karolinenthaler Mafchinenbau-Gefellfchaft
Von diefen Holländern find bereits 60 Stück im Betriebe, und zwar in 17 Fabriken
Frankreichs, in 2 belgifchen. i baierifchen , 3 preufsifchen, 3 öfterreichifchen,
I italienifchen und i ruffifchen Papierfabrik.
Die deutfchen Fabriken find : Friedrich in Eifenberg, die Eichberger
Papierfabrik in Schlefien, C. A. Lutterkorth in Tilfit, H. A. Schöller Söhne
in Düren. Die Öfterreichifchen Fabriken, welche bereits mit folchen Holländern
verfehen find, find : Die Papierfabrik an der Andritz bei Graz und die Papier-
fabrik in Freiheit, Böhmen. Annähernd ift der Preis der mechanifchen Theile für
eine Mühle von 120 bis 160 Pfund Papierftofflnhalt 4200 Francs ; der Preis de>
complet adjuftirten gufseifernen Troges 900 Francs. Die mechanifchen Theile
einer Mühle mit 200 bis 240 Pfund Stoffinhalt koften circa 4500 Francs, der Trog
circa 1000 Francs.
Der Preis einer Wafchtrommel ift 500 Francs.
Fapie rmafchinen. Von diefen find zwei Stück und ein Modell vor
banden gewefen.
Die Papiermafchine von EfcherWyfs & Comp, in Zürich ift für die
München-Dachauer Aclien-Papierfabrik beftimmt und für die Maffenprodu<5lion
von Zeitungspapier eingerichtet, obzwar auch alle anderen Papierforten darauf
gearbeitet werden können. Die gröfste Arbeitsbreite beträgt 1880 Millimeter für
unbefchnittenes oder 1850 bis 18Ö0 Millimeter für befchnittenes Papier. Die
Mafchinc ift bis auf Siebe, Filze und Riemen vollftändig montirt, und. wie von
diefer weltbekannten Firma vorauszufetzen, vorzüglich, folid und zweckmäfsig
gebaut. Sie befitzt einen Sandfang mittlerer Länge von dreikantigen eingefetzten
Holzleiften zufammengefctzt, drei in einer Ebene liegende Knotenfanger mit ein-
gefetzten Metallplatten, auf welche der Stoff durch eine feitliche kupferne Rinne
zugeleitet wird. Die Länge des Siebes beträgt 12.600 Millimeter (die Sieblänge
gewöhnlicher Mafchinen machen Efcher Wyfs & Comp, nur 11.700 Millimeter).
Saugapparate waren drei Stück mit Meffingbefchlag vorhanden. Die erftc
und zweite Preffe bieten die diefer Firma eigenthümliche Conftru(5lion mit fehr
kräftigen Zapfen, feitlich gefchloffenen Lagerftändern und felbftthätiger Schaber-
bewegung. Säramtliche Prefswalzen, das heifst fowohl diejenigen der Nafspreffen
als diejenigen der folgenden Satinirpreffen find von Hartgufs und in ihren Dirnen
fionen ganz gleich gehalten. Es hat diefs den grofsen Vortheil, dafs, falls im
Papierinduftrie. JO
Laufe der Zeit eine Satinir-Prefswalze zum Satiniren untauglich wird, diefelbe mit
geringer Mühe für eine der Nafspreffen hergeftellt und verwendet werden kann.
Die Zapfen der Walzen find in einem Stück mit diefen gegoffen, find aber weicher
gehalten, worauf bei dem Giefsen forgfältig Rückficht genommen werden mufs.
Der Zapfendurchmeffer beträgt iio Millimeter. Der Trockenapparat ifl durch
feine Gröfse bemerkenswerth. Derfelbe befteht aus drei unteren Trockencylindern
vonjei22o Millimeter Durchmeffer, einem Filz-Trockencylinder von looo Millimeter
Durchmeffer und zwei Filz-Trockencylindern von 460 Millimeter Durchmeflfer,
danach folgt ein oberer Cylinder von 1220 Millimeter Durchmeffer mit einem
darauf liegenden Filz-Trockencylinder von 460 Millimeter Durchmeffer. Nun
kommt die fogenannte FeuchtSatinirpreffe , welche beftimmt ifl, dem Papiere
befondere Glätte zu ertheilen. Wenn fie richtig gearbeitet ifl, fo ifl ihre Wirkung
fehr auffällig. Ihre Behandlung bedarf von Seite des Mafchinenführers Aufmerk
famkeit und Uebung, denn kommt das Papier zu feucht zwifchen die Prefswalzen,
fo wird es fchwarz, kommt es zu trocken, fo wird die Wirkung der Preffung fehr
vermindert. Nach der Feucht-Satinirpreffe folgt wieder ein unterer und noch ein
oberer Trockencylinder von 1220 Millimeter Durchmeffer mit je einem Trocken
filz von 460 Millimeter Durchmeffer; im Ganzen alfo 6 Trockencylinder von
1220 Millimeter Durchmeffer, ein Cylinder von 1000 Millimeter Durchmeffer und
fünf Cylinder von 460 Millimeter Durchmeffer.
Hinter dem Trockenapparate fleht noch eine Satintrpreffe mit drei Hartgufs-
Walzen, dann folgt das Schneidzeug und fchliefslich ein aufrechter Hafpel. welcher
derart eingerichtet i(l, dafs man mit einer Kurbelbewegung alle Arme gleichzeitig
flellen kann.
Die Firma Efcher Wyfs& Comp, behauptet unter allen Mafchinen-
fabriken desContinentes, welche Papiermafchinen bauen, den erflen grofsen Rang;
diefelbe hat von 1841 bis Ende des Jahres 1872 : 89 Papiermafchinen geliefert
und zwar nach Oeflerreich 25, nach Preufsen 20. nach Sachfen 10, nach Baiern 8,
nach Italien 8, für die Schweiz 8, nach Württemberg 4, nach Baden 4 und nach
Rufsland 2 Stück. Die geringfle Arbeitsbreite betrug 1270 Millimeter, die grofste
2130 Millimeter, und zwar für die Papierfabrik Schlöglmühl.
G. Sigl in Berlin exponirte eine für die Aölien-Papierfabrik Schlema bei
Schneeberg in Sachfen beflimmte Papiermafchine von 64 Zoll englifch Arbeits-
breite. Auch diefe Firma rechtfertigte den im Papiermafchinen-Bau wohlerwor-
benen Ruf durch äufserfl exacfle Ausführung. Der Stoff-Einlaufkaflen und der
Sandfang find nicht anmontirt, dagegen ifl die Mafchine von den Knotenmafchinen
ab voUfländig zufammengeflellt. Es find zwei flufenweis poflirte Knoten-Fang-
platten vorhanden, fo dafs der Stoff einer zweimaligen Reinigung unterzogen
werden kann. Es kann jedoch durch Anlage eines Ueberdeigrohres die Vor-
richtung getroffen werden, dafs der Stoff fich theilt und die Hälfte die obere, die
andere Hälfte die untere Knotenplatte paffirt. Diefe Vorrichtung ift jedoch an
der Mafchine noch nicht angebracht. Das Sieb geht über zwei Saugapparate,
die Ständer der erflen und zweiten Preffe find, abweichend von der Form, an der
früher befchriebenen fchweizer Mafchine, feitlich offen, was ein fehr bequemes Ein-
ziehen der Filze und Herausnehmen der Prefswalzen geflattet. Eine Vorrichtung
zum feitlichen Bewegen der Schaber ifl nicht vorhanden. Der Trockenapparat
befleht aus vier Trockencylindern von 1265 Millimeter Durchmeffer und einem
Filz-Trockencylinder für den unteren Filz.
Von den vier Cylindern liegen zwei oben, und zwei unten. Bei vier
Cylindern ifl die Dispofition von drei unteren und nur einem oberen
Cylinder jener von zwei unteren und zwei oberen Cylindern enlfchieden vor-
zuziehen. Das Papier erhält dadurch eine auf beiden Seiten gleiche Glätte
und kann rafcher über den Apparat geführt werden. Hinter dem Trockenapparate
ifl eine Satinirpreffe, hinter diefer das Längenfchneidzeug und endlich ein auf-
rechter Haspel bekannter Conftrudlion. Eine fehr zweckmäfsige Neuerung an
26 Emil Tweray.
der Schüttelpartie ift die Antriebsvorrichtung derfelben, diefelbe beanfprucht
wenig Raum und geftattet eine grofse Variation in der Zahl der Hübe.
Bryans Donkin & Comp, in Bermondfey bei London Hellten ein Modell
ihres Papiermafchinen - Syftems aus, welches auch in Betrieb gefetzt werden
konnte.
Das Modell zeigt Stoffbüten mit Rührvorrichtung, eine Sloffpumpe und die
complete Papiermafchine nebft Transmiffion.
Hinter einem langen Sandfang find zwei neben einander liegende Knoten-
fänger mit gefchlitzten Platten angebracht. Der Saugapparat ift mit einer gelochten
Metallplatte gedeckt, was jedenfalls fehr viel zur Schonung des Siebes beitragen
mufs. Vor und hinter dem Saugapparat ift je ein Egouteur angebracht. Der Antrieb
der Gautfch- und der Nafspreffe erfolgt durch Riemen von der Verlängerung der
Welle der zweiten Preffe aus. Der Trockenapparat befteht aus acht Cylindern,
wovon vorerft drei unten, zwei oben liegen, darauf folgt eine Feucht-Satinirprcfle,
dann wieder zwei Cylinder unten und einer oben. Hinter dem Trockenapparate ftchen
zwei dreiwalzige SatinirprelTen und ein liegender Hafpel mit Aufrollvorrichtung.
Papiermafchinen-Beftandtheile. In der englifchen Abtheilung
der Mafchinenausftellung war ein rotirender Knolenfänger von James Bertram
and fons in Edinburgh, Schottland, ausgeftellt. der in feiner Art ganz neu ift.
Jeder Papierfabrikant kennt die Unvollkommenheit und die hiemit ver-
knüpften Mifsftände der üblichen Knotenmafchinen. Diefelben find in den
meiften Fällen zu klein, nehmen, wenn mehrere vorhanden find, fehr viel Raum ein,
verftopfen fich leicht und werden dadurch Urfache ungleichförmigen Stoffzufluffes
und ungleicher Dicke des Papieres. Um den Stoflf durch die Spalten durchzu-
fpülen, läfst man die Platten auffchlagen, welche Erfchütterungen wieder den unbe-
abfichtigten Erfolg haben, dafs die StoflTknoten fich einzwicken oder gar durch-
drängen. Bei geringer Aufmerkfamkeit kommt es wohl auch vor, dafs ein Ueber
laufen des Stoffes ftattfindet, und eine Partie Papier ganz und gar verdirbt. Diefe
Uebelftände, wenn nicht ganz zu vermeiden, fo doch zu mildern, ift der Zweck des
genannten rotirenden Knotenfang-Apparates.
Der «verbefferte rotirende Knotenfänger" von James Bertram and Ions
(Vertreter A. Rack & Comp. Mafchinenbauer in Wien, Heugaffe 24) ift mit J. &R.
Woods Patent-Saugeapparat verfehen, und bil.;et eine complete, für fich abge
fchloffene Mafchine, welche den Stoff zugepumt erhält und knotenfrei an das Sieb
abgibt.
Die Mafchine ift durchaus in Eifen und MelTing ausgeführt, und kann ifolirt
oder in die Papiermafchine eingefchaltet, arbeiten.
Eine Centrifugalpumpe pumpt den Stof^' in einen eifemen Kaften, in welchem
fich der Knotenfänger befindet. Diefer befteht aus vier gefchlitzten Platten,
welche, genau an einander gefügt, ein Prisma bilden, deffen Grundfläche, ein Quadrat,
aus der Breite der Platten gebildet ift, während die Länge gleich der der Knoten-
platten ift. Die Knotenplatten fitzen in einem drehbaren Rahmen, delTen Achfenenden
hohl find. Das eine Ende der Achfe fteht mit einer Art Pumpencylinder in Ver-
bindung, das andere hohle Ende bildet das Auslaufrohr für den geringften Stoff.
Der Knotenfänger rotirt während des Ganges der Mafchine und ift ringsum von
Stoff umgeben, dadurch rührt er letzteren continuirlichauf, fodafs derfelbe angeb-
lich weder Klumpen bilden noch die Oberfläche verftopfen kann. In dem vorhin
erwähnten Cylinder geht ein Kolben und fchafft den innerhalb des Knotenfangs
befindlichen gereinigten Stoff durch das andere Ende in einen Vorkaften, woraus
der Stoff in einen zweiten Kaften fliefst , der unmittelbar vor dem Sieb der
Mafchine liegt.
Die Oberfläche der Knotenplatten beträgt 42 Quadratfufs, die ganze
Mafchine nimmt im Verhältnifs zu diefer grofsen Arbeitsfläche wenig Raum ein,
ift in allen Theilen gut zugänglich und läfst fich unfchwer reinigen. Die Mafchine
Papjerinduftrie. 27
koftet, ab Fabrik, 370 Pfund Sterling. Mit Walter ftatt des Stoffes fiin<5lionirt die-
felbe fehr exacl, aber fo grofs auch die Vortheile fein mögen, fo läfst fich dennoch
nicht leugnen, dafs der Kaflen nach einiger Zeit mit Knoten ganz gefüllt fein und
bei feiner Entleerung auch viel guter Stoff verloren gehen wird. Der praktifche
Erfolg diefer Mafchine ifl defshalb abzuwarten.
Der rotirende Knotenfänger von Henry Watfon in Newcaflle on Tyne
(Vertreter Jul. Oberhoff, Getreidemarkt 11, Wien) war nicht im Betriebe und
beruht auf gleichem Principe.
Die rotirenden Knotenfänger von Chr. Steinmayer und Chr. Wandel
in Reutlingen, Württemberg, find nach einem von dem englifchen wefentlich
anderen Syftem gebaut.
Der rotirende Knotenfänger von Chr. Steinmayer befleht aus einem
Cylinder, deffen Mantel mit feinen Schlitzöffnungen verfehen ift. Diefer Cylinder
wird durch ein Getriebe, welches an beiden Cylinderenden angebracht ift, unter
fortwährendem Schütteln langfam gedreht. In den Cylinder wird der Stoff durch
Rinnen von beiden Seiten eingeleitet, derfelbe paffirt die Schlitzöffnungen, die
Knoten dagegen bleiben zurück, und werden durch inwendig an den Cylinder
angebrachte Stäbe mit in die Höhe genommen, worauf fie in eine inwendig aufge-
klappte, nach einer Seite geneigte Rinne fallen. Ein oberhalb des Cylinders
angebrachtes Spritzpohr fpritzt beftändig Waffer auf denfelben, um ihn rein zu
erhalten und die in der Rinne angefammelten Knoten abzufpülen und wegzuführen.
Als Hauptvorzüge des Apparates gibt der Ausfteller an : der Cylinder reinigt fich
fortwährend von felbft, dadurch bleiben die Schlitzöffnungen ftets gleich offen und
bleibt die durchgehende Stoffmenge ftets diefelbe.
Die Schlitzöffnungen können enger genommen werden, als bei Platten, da
fie fich nie verftopfen. Die Knotenentfernung ift dadurch vollftändiger. Die
Mafchine nimmt bei grofser Durchgangsfläche wenig Raum ein. Die Mafchine ift
mit Ausnahme der Getriebe ganz aus Meffing und Kupfer und fehr folid und
gefällig ausgeführt.
So finnreich auch diefes Princip ift, fo ift es dennoch unvermeidlich, dafs
nicht auch guter Stoff mit den Knoten abgefpritzt und abgeführt wird ; aufserdem
wirktnochderUmftand vertheuerndauf eine allgemeine Anwendung des Apparates,
dafs für jede Schlitzweite ein anderer Cylinder eingefetzt werden mufs. — Gefchlitzte
Knotenplatten find von Fr. 8c Th. Bell. C. Reif, Chr. Steinmayer und
Chr. Wandel ausgeftellt worden und laffen diefelben in Bezug auf Egalität und
Feinheit der Schlitze nichts zu wünfchen übrig. Die rotirenden Knotenfänger
haben noch nicht allgemein Eingang gefunden, da die Anfichten über deren befte
Conftru(5lion noch zu widerfprechend find, defshalb ift die Anfertigung guter
gefchlitzterlMatten immernoch von grofserWichtigkeitfür jeden Papierfabrikanten.
Die früher gebräuchliche Art der Zufammenfetznng einer Knotenplatte aus geho-
belten Stäben, zwifchen welche zur Erzielung verfchieden breiter Durchgangs-
uffnungen Meffingringelchen von verfchiedener Dicke eingefchoben wurden,
kommt immer mehr aufser Gebrauch, da die gröfseren Anfchaffungskoften ganzer
gefchlitzter Platten reichlich durch den Gewinn an Zeit erfetzt werden, den das
blofse Einlegen einer fertigen Platte gegenüber dem Einfügen der Ringe erfordert.
Nicht nur, dafs das Zerlegen der Stäbe eine mühfame und zeitraubende Arbeit
ift, werden die Ringe von minder gewiffenhaften Mafchinenführern leicht
verwechfelt. wodurch eine UngleichfÖrmigkeit in der Breite der Durchgangs»
Öffnungen entfteht, deren fchädliche Folgen im Papier nur zu fichtbar find.
Schneidma fchinen. Diefe waren unter allen zur Papierfabrication
gehörigen Mafchinen auf der Ausftellung am zahlreichften vertreten, und zwar
Hellte Deutfchland hierin das ftärkfte Contingent. Die PapierfchneidMafchinen
von H ä c k e 1 & Comp., O. Ronniger, Auguft F o m m , Carl K r a u f e , Gebrüder
Schmiel in Leipzig, C. W. Schürmann in Elberfeld und Gebrüder Heim in
Äcf Emil Twerdy.
Offenbach find alle von nur mittlerer Gröfse, und durchwegs für Kurbelbewegung
und Bleuelftange eingerichtet, wodurch das Zurückdrehen des Handrades bei dem
Rückgang des Meffers erfpart wird. Die conftru<fliven Unterfchiede find gering,
vorzüglich ausgeführt und in der Form fehr gefällig ift die Mafchine der Gebrüder
Heim in Offenbach. Diefelbe ift für Riemenbetrieb eingerichtet und mit felbft-
thätigcr Ausrückung verfehen.
Eine kleine Papierfchneid-Mafchine von Pierron & F. Dehaitre in
Paris zeigt eine eigenthümliche Führung des Mefferfupports auf Leitrollen. Die
Kurbelbewegung wird durch eine Bleuelftange unterhalb des Papiertifches auf
einen Hebel übertragen. Der Tifch ift verftellbar und mit einem Mafsftab
verfehen.
Glatt- Walz werke, Kalander. Diefe waren fch wach vertreten, und
zählen die ausgeftellten Exemplare in Bezug auf Walzenanzahl und Breite nur zur
Mittelgattung. Die mit zwei HartgufsWalzen verfehenen Glatt- Walzwerke bieten
nichts Neues, unter den mit Papierwalzen verfehenen find die von Gebrüder Heim
und Efcher, Wyfs & Comp, in Leesdorf bei Wien ausgeftellten bemerkens-
werth. Der Kalander der Gebrüder Heim ift fehr fchön ausgeführt, die Zuleitung
des Papieres jedoch ohne Geradführung; dagegen liegt bei dem Kalander von
Efcher, Wyfs & Comp, vor jeder Walze ein genau regulirbarer Filz, um das
Papier ficher und ohne Gefahr des Faltenziehens einzuführen.
Grofse Kalander mit fünf und mehr Walzen, mit feparater Betriebsmafchine,
wie felbe jetzt ftark in Aufnahme kommen, waren nicht ausgeftellt.
Sieb e und Filze. Metalltücher für Papiermafchinen haben die Firmen
H. Günther in Biberach, Steinmayer, Wandel in Reutlingen, Ku fferath
in Marienweiler bei Düren und Hutter& Schrantz in Wien ausgeftellt.
In Filzen behauptet Frankreich den erften Rang und haben fich an der
Ausftellung die beftbekannten Firmen: Charrier & Comp., Chr^tien Me. Ve.
Debouchaud, Mattard &V^rit& Comp., WeillerLabroufe&Sardou
in Nerfac und Mattard & Bermier in Chdteauneuf, fowie R. R. Wh it ehe ad
Brothers »in London betheiligt. DieLeiftungen der franzöfifchen Fabriken find welt-
berühmt und ftehen ohne Concurrenz da. WhiteheadBrothers ftellten aufser
Nafs- und Steigfilzen Trockenfilze aus Schaf und Baumwolle jius. Die Anfchaffung
derfelben ftellt fich erheblich billiger als die der SchafwolU-Filze, jedoch ift ihr
Ge])rauch noch ein zu neuer, als dafs fich über ihren praktifchen Werth fchon etwas
Beftimmtes fagen liefse.
Die Subftituirung von Metalltüchern an Stelle der Trockenfilze hat fich
nicht bewährt.
Es braucht nicht erft erwähnt zu werden, dafs alle Verbefferungen an
Mafchinen und Fabriksbedarf-Artikeln auch der Papierinduftrie zu Gute kommen
und von intelligenten Fabrikanten gebührend gewürdigt werden Zur rafchen
Kenntnifs und Verbreitung derfelben trägt die Fachliteratur viel bei, wie diefer
überhaupt ein grofser Theil des Fortfehrittes im Allgemeinen zu danken ift.
Die Literatur des Papierfaches hat feit 1867 an vollftändigen Werken wenig
hervorgebracht und befchränkt fich mehr auf periodifche Schriften und Brochuren.
Ein wefentliches Verdienft um die Fachliteratur hat fich Dr. Alwin Rudel
in Dresden erworben, welcher feit 1849 ^uf diefem Gebiet unermüdlich für den
Fortfehritt thätig ift, und in feinem „Centralblatt für deutfche Papierfabrication''
ein Organ unterhält, das als geiftiger Vereinigungspunkt aller Papierintereffenten
dient. Diefe Zeitfchrift ift die ältefte ihrer Art auf dem Continent.
Eine fernere neue erfreuliche Erfcheinung ift die Bildung von Vereinen
zur Wahrung allgemeiner fachlicher Intereffen. Solche Vereine bilden fich nun
faft in jedem Staate, und es ift mit Recht zu erwarten, dafs deren allfeitiges
Zufammenwirken von wefentlich erfpriefslichen Folgen für das Vorwärtsfchreiten
der Papierinduftrie begleitet fein wird.
Papierinduftrie. 29
Die ausgeftellten Rohftoffe und Papiere.
Es liegt in der Natur der Sache, dafs jenes Land, welches eine Ausftellung
veranftaltet und die diefem nächftgelegenen Staaten in der betreffenden Gruppe
relativ am ftärkilen vertreten find und die Betheiligung entfprechend der gröfseren
Entfernung fchwächer wird.
Die Anzahl der ausgeftellten Objede eines Landes ift demnach kein zuver-
läfsiger Mafsftab für die Beurtheilung des Umfanges und Entwicklungsgrades eines
beftimmten Induftriezweiges. Die Papierausftellung in Wien bot nur bei Oefter-
reich-Ungarn und Deutfchland ein entfprechendes Bild des Standes der Papier-
fabrication, wogegen die anderen Länder fchwach, einige gar nicht vertreten waren.
Oefterreich-Ungarn. Von 96 Mafchinenpapier- und 24 Holzftoff-
Fabriken haben 53 Firmen, mithin circa 44 Percent, die Ausftellung befchickt,
doch find hierin alle in Oefterreich-Ungarn fabricirten Papierforten vertreten.
Diefe umfaffen das gefammte Gebiet der in Europa gebrauchten Papiere mit Aus-
nahme von Photographiepapier, welches auf der Ausftellung überhaupt nur von
Frankreich exponirt wurde.
Die Papiere einer Gattung unterfcheiden fich, namentlich bei Ausftellungs-
objedlen. wenig von einander, da deren Herftellungsweife faft überall die nämliche
ift, und kommt, wenn es fich um ein ftrenges Urtheil über gleichnamige Waare
handelt, wefentlich der Preis derfelben in Betracht zu ziehen.
Hochfeine Papiere haben ausgeftellt :
Die Fabriken: Schlöglmühl. Le idesd o rf & Comp., Eichraann&
Comp, in Arnau, Heinrichsthal in Mähren, Ley kam - Jofephsthal, Elb-
mühl in Arnau vormals Lorenz Söhne, Rothneu fiedl, G. Röder in
Marfchendorf, Ritter von Z ah ony in Görz, Imft, Wattens und A bfam in Tirol
und M e y n i e r in Fiume.
Die Erzeugniffe diefer Firmen bieten das Vollkommenfte, was die Papier-
induftrie auf ihrer heutigen Entwicklungsftufe bietet und laffen die ausgeftellten
Documenten-, Wafferdruck-, Noten-, Brief-, Kanzlei-, Feindruck- und Zeichen-
papiere nichts zu wünfchen übrig.
Das hervorragendfte Ausftellungsobjed war das der Adiengefellfchaft
Schlöglmühl, welches fich in der Rotunde befand.
Diefe Fabrik ift eine der bedeutendften Oefterreichs und liefert den Ge-
fammtbedarf des Staates an Noten, Obligationen, Stempel, Briefcouverts etc. Die
Fabrik befitzt 4 Papiermafchinen, worunter eine mit 84 Zoll Arbeitsbreite, wohl
die gröfste Oefterreichs. Die Jahresprodu<5lion beträgt über 50.000 Centner.
Für animalifche Leimung auf der Mafchine befitzt die Gefellfchaft ein eigenes
Patent. Die ausgeftellten, in einem Bogen ftreifig, verfchiedenfärbigen Hand-
papiere waren Unica der Ausftellung und zeugen von der aufserordentlichen Sorg-
falt der Erzeugung.
Als Curiofum ift die aus einem Bogen gewickelte Papierrolle zu erwähnen,
welche 82 Va Wiener Zoll breit, 54332 Fufs, gleich 2^/4 deutfche Meilen lang ifl
und 84 V2 ZoUcentner wiegt. Die ausgeftellten zu einem Pfund Papier nöthigen
Materialien find nur als Decoration anzufehen und haben abfolut keinen
inftrucfliven Werth.
Es würde zu weit führen, alle die zahllofen Variationen in Stoff, Format,
Gewicht, Farbe und Appretur der ausgeftellten feinen Papiere der obengenannten
Fabriken näher zu befprechen, und da die Erzeugniffe derfelben einander faft ganz
ebenbürtig find, befchränken wir uns nur auf die Anführung von Befonderheiten. Der
Verwendung von chemifch gelöftem Holzftoff zu Briefpapier, welches von G. R ö d e r
& Comp, ausgeftellt wurde, ift bereits an anderer Stelle rühmend gedacht worden.
30 Emil Twcrdy.
Die P'abriken von Imft, Wattens und Abfam haben fchönes, gelbes, fati-
nirtes Saiigpapier, die Elbemülil FrachtkartenCopirpapier und fehr gutes Paus-
papier aus feibft gefertigtem Strohftoffe ausgeftelit. Die Documenten- und
Banknoten-Papiere der Fabrik Rotlmeufiedl find in ihrer Art ausgezeichnet.
Mittfelfeine Schreib- und Druckpapiere, Aflfichen-, Umfchlag und feine
Packpapiere haben ausgeftelit:
Die Aöliengefellfchaft in Pitten, die A(5liengefellfchaft Cellulofe, die
A<5liengefellfchaft Steyrermühl, Gebrüder Fialkowski & Twerdy in
Hielitz. Kranz in Andritz, Ignaz Fuchs in Kamnitz. Pechlaner und N e t z e r
in Hall, Blum in Bludenz, J. B. Hüttner in Hennanetz, die Papierfabrik in
Xagy Szlabos, die Petersdorfer und Zernefter I^apierfabrik und Luigi & Comp,
in Roveredo.
Die hedeutendften diefer Fabriken find die der A<5liengefellfchaften Pitten,
Cellulofe und Steyrermühl, von denen jede 35.000 bis 40 000 Centner Papier
jährlich erzeugt. Die Papiere find durchwegs mit 50 bis 60 Percent Holzfloflf
Zufatz gearbeitet, die Appretur meift nur Mafchinenglätte. Die Papierfabrik Pitten
und die der Aöliengefellfchaft Cellulofe gehörige Fabrik Therefienthal hatten in
ihren Expofitionen Zeitungs- und Bücherpapier in fehr gut gewickelten Rollen
bis 600 Pfund Gewicht, und ift ferner das prachtvolle Rofa-Löfchpapier der
Pittener Fabrik befonders lobend zu erwähnen.
Cigarrettenpapiere waren vorhanden : Von der Troppauer Fabrik, der Gefell
fchaft C el lulofe, von Dr. F eu erft ein in Traun, Piette in Freiheit, Hcktor
Ritter von Z a h o n y in Gorz und von W e i f e r und H o 1 z e r in SafTow, Galizicn.
Die vorzüglich geleiteteTroppauerPapierfabrik producirt ausfchliefslich Cigarretten-
papier, welches fich durch Reinheit und Egalität, leichte und geruchlofe Ver
brennbarkeit ganz befonders auszeichnet. Die Farben der von derfelben Firma
ausgeflellten Blumenpapiere find ebenfo mannigfaltig als fchön, rein und
feurig.
Piette, der die Seidenpapier-Fabrication in Oefterreich einführte,
bewährte feinen alten Ruf wie immer. Die chenfo guten Papiere von Zaht»ny
enthalten Maulbeerbaum-Rinde, was bereits an früherer Stelle Erwähnung fand
Zucker- und ordinäre Packpapiere find e.xponirt von: \V. Hamburger
in Pitten, Acliengefellfchaft Pitten, F. Weifs in Mohrau,Dr. M üller iuTroppau,
Rieslings Erben in Hohenelbe, J. Spiro in Rothfecitz, Ig. Spiro in Krumau
und der Ratfchacher Fabrik. Die Pack- und Zuckerpapiere bieten nichts Neues
des Kartoft'elftengelPapieres von Jacob Spiro ift bei den Rohmaterialien aner
kennend gedacht worden.
Pappen und Hadernzeug waren in ganz ausgezeichneter Qualität ausgeftelit
von J. R. Purkert, in Weifskirchlitz bei Teplitz in Böhmen, und Franz
Ohmeyer in Graz. Purkert 's Saugpappen und Gewehrpfropfe find rühmlichft
hervorzuheben.
Die Prefsfpäne der Gefellfchaft Cellulofe aus ihrer Fabrik in Gumpolds-
kirchen und die von F. Hoffmann in Grätz bei Troppau find langft als vor-
züglich anerkannt und auch die ausgeftellten Proben ausgezeichnet fchön.
Von den ausgeftellten Strohpapieren und Pappen verdienen jene von
Fürth & Geliert in Pilfen, H. Smekal in Dechtitz und der Prefsburger
A(5lien- Papierfabrik volle Anerkennung, wogegen die Papiere von Lafk & Mehr
1 ander in Wadowice, Galizien, Manches zu wünfchen iibrig laflfen.
Gefchliffener HolzftofTund Holzdeckel waren durch fieben Ausfteller ver-
treten. I. V. Ste nger's in Frohnleiten färbige Pappen und die Deckel von
Braun & Eberhardt in Niederrochlitz erregen verdiente Aufmerkfamkeil.
Die Holzftoff-Proben lalTen, als getrocknete Maffe, kein genaues Urthcil
über Farbe und Feinheit zu. Cheinifch gelöfter HolzftofT war nur in ganz kleinen
Quantitäten vorhanden, und zwar: in Muftern von Hiebl & Diamant, in
Proben der Gefellfchaft ^Papyrus", in Muftern und Papieren der fchon genann-
Papierinduftrie. 31
ten Firma G. Röder und in einer Papierrolle von Falkenhayn. Letztere hat
ein gelbes und unreines Ausfehen.
Deutfchland. Von 322 Mafchinenpapier - Fabriken mit 465 Papier-
mafchinen, 69 Holzfchleifereien mit circa 20 Strohftoflf-Fabriken haben fich 74
Firmen an der Ausftellung betheiligt. Von diefen entfallen 38 Ausfteller aul
Papiere, 13 auf Holzftoflf und Holzpappe, ii auf Prefsfpäne und Lumpenftoff-
Pappen, 10 auf Strohpapier und Strohpappe und 2 auf gebleichte Strohmaffe.
Die Zahl der Ausfteller beträgt darnach circa 18 Percent der fämmtlichen
Producenten.
Die Ausftellung bot doch ein treues Bild der hochentwickelten deutfchen
Papierinduftrie, da fich die heften Firmen mit ihren Produ<5lten eingefunden
hatten. Den Glanzpunkt der fonft in fehr einfacher und nüchterner Weife arran-
girten Ausftellung bildete die CoUeölivausftellung der Papierfabriken in Düren.
Die bewährteften Firmen und zwar : Gebrüder H o e f c h , Felix S c h ö 1 1 e r , Emil
Hoefch & Schleicher und Heinrich Auguft S c h ö 1 1 e r Söhne, repräfentirten
in würdigfter Weife den alten Ruf der Dürener Papiererzeugnifle. Die Papiere
find dem Gebrauchszwecke, dem Stoffe, dem Formate und den Farben nach fo
mannigfaltig, dafs eine nähere Befchreibung weitaus den Rahmen diefes Berichtes
überfchreiten würde. Es läfst fich im Allgemeinen conftatiren, dafs die feinen
Brief-, Documenten-, Kanzlei- und Zeichenpapiere zu dem Vorzüglichften gehören,
das die Ausftellung überhaupt bot.
Eine fehr intereffante Colle<5lion von Papierwaaren, beftehend in : Düten,
Kapfein, Cartonnagen, Etiquetten etc. ftellten die „Vereinten hefsifchen
Papier- und Papierwaaren-Fabriken** vormals G. Bodenheim & Comp, in
KaJfsel aus, welche diefe Specialität in vorzüglicher Weife und grofsem Erfolge
cultiviren.
Die Hanf-, Löfch- und Druckpapiere von C. F. Difcher in Berghaufen
und Gebrüder Deneke in Raguhn, Anhalt, zeigen gute, jedoch nicht ungewöhn
liehe Ausführung, die Proben der Waiferdruck-Papiere der Wolfswinkler Aölien-
Papierfabrik ausgezeichnete Reinheit und Schärfe. Die Dalbker Papierfabrik, Max
D r e f e 1 , ftellte Papiere aus, wie bereits erwähnt, felbfterzeugter Cellulofe gefertigt,
aus, und zwar in 18 diverfen Farben. Die Büttenpapiere find fo wie die Mafchinen-
papiere befonders zähe und fchön gefärbt. Die Schreibdocumenten , Velin- und
feinen Druckpapiere von Brafe 1 mann ÄVorft er in Stenneet bei Eilpe in Weft-
phalenund Georg Drewf en in Lachendorf bei Celle in Hannover gleichen den
Dürener Papieren an vorzüglicher Ausführung.
Hervorzuheben find ferner noch die Handpapiere mit Wafferzeichen zu
Werthpapieren der Eichberger Papierfabrik bei Hirfchberg in Schlefien und die
fchünen Handpapiere von J. W. Landers in Gladbach bei Köln, wie nicht
minder die verfchiedenen Qualitäten von Kupferdruck-Papieren der Seh rode r-
fchen Papierfabrik in Leipzig.
Pergamentpapier ift durch die Fabrik von Carl Brandegger in Ell-
wangen, Württemberg vertreten, welche Rollen und künftliche Wurftdärme in
ausgezeichneter Qualität erzeugt.
Die vorkommenden Strohpapiere und Strohpappen boten nichts Neue s,
dagegen waren Prefsfpäne und Brandpappen durch vorzügliche Mufter vertreten ,
worunter jene von A. Kauffmann & Schumann in Hohleborn bei Schmal-
kalden, Hefsen, und die von Kade & Comp, in Sorau, Brandenburg, in erfter
Linie zu nennen find.
Die Holzftoff-Induftrie war zahlreich vertreten, die ausgeftellten Proben,
meift in Form von Deckeln find im Ausfehen ziemlich gleichförmig und faft alle
auf Apparaten nach Voelter's Syftem erzeugt. Vo elter felbft hat fich durch
Vorführung mehrerer Stoffproben von verfchiedenen Holzarten und daraus gefer-
tigten Papieren an der Ausftellung betheiligt.
3
32 Emil Twerdy.
Cellulofe war durch Mufter und Papiere der norddeutfchen Papierfabrik in
Cöflli n, Auguft D e i n i n g e r und Max D r e f e 1 vertreten.
Erftere find fefl, jedoch in der Farbe unanfehnlich, der beiden anderen ift
bereits an anderer Stelle erwähnt worden.
Gebleichte Strohmaffe wurde von C. A.Linke in Hirfchberg und C.
Matthys & Pummerer in Paffau in tadellofen Proben zur Anfchauung
gebracht.
Frankreich. Von den franzöfifchen Fabrikanten haben nur 14 die Aus-
ftellung befchickt, und zwar 13 mit Papieren, und eine Firma mit Proben von
Cellulofe. So gering auch die Zahl der Exponenten war, gereicht die franzöfifche
Papierausflellung dem Lande dennoch zur höchilen Ehre, da die bellen Finnen
ihre berühmten Fabricate vorführten.
Die Papiere waren in ganz gleichen gefchloffenen Karten, in einfacher aber
höchfl gefchmackvoUer Weife ausgeftellt und gewährte deren Studium dem Fach-
manne die höchfte Befriedigung.
Die Soci^t^ anonyme des Papetiers du Marais et de St. Marie brachte eine
reiche Sammlung von Druck-, Lithographie-, Kupferdruck-, farbigem, Banknoten-,
A(5len- und Wafferzeichen-Papieren, Jacquard und Glättkarten, welche das Voll-
kommende ihrer Art find. Die Wafferzeichen find von unübertroffener Reinheit
und Schärfe, die Stoffe abfolut rein, die Appretur prachtvoll.
Blanchet fr^res & Kleber, Rives, Ifdre, glänzten durch ihre welt-
berühmten Photographiepapiere, in weifser und mattgelber Farbe ausgefiihrt,
fowie durch Zeichen und Büttenpapiere.
Auf derfelben hohen Stufe der Vollkommenheit flehen die Erzeugniffe von
Lacroix fr^res Angoul^me, Charente, die in Brief-, Druck-, Photo-
graphie- und Pergamentpapier beflehen , wie nicht minder den ausgezeichneten
Brief- und Luxuspapieren der Firma Ch. Becoulet & Comp, und den Schreib
papieren von Bichelberger & Comp, in Etival und Clairfontaine, Vosges, das
höchfte Lob zuzuerkennen ift.
Die ehrwürdige Firma Canfon & Mongolfier in Vidalon les Annonay,
Ardöche, dominirt, wie feit lange, heute noch den Weltmarkt mit ihren Natur
und weifsen Zeichenpapieren, woran fich, was Reinheit und Appretur betrifft,
die Documenten- , Photographie- und hochfeinen Druckpapiere würdig an
fchliefsen.
Die von fünf Fabrikanten ausgeftellten Cigarettenpapiere ftehen den heften
diefer Art ebenbürtig zur Seite, und es ift nur zu bedauern, dafs fich die
Betheiligung Frankreichs in der Gruppe „Papier" quantitativ nicht bedeutender
geftaltet hat.
England. Auch die hochentwickelte, tonangebende Papicrinduflrie
Englands hat fich an der Wiener Ausftellung fchwach betheiligt, indem nur zwei
Ausfteller mit Papieren und zwei mit Cellulofeproben aufgetreten find.
A. Cowans and Sons, Papierfabricanten in Edinburgh, vertraten qualitativ
in ausgezeichneter Weife den Ruhm der englifchen Papiere, und rangiren unter
die erften Firmen des Landes. Die weifsen, färbigen, glatten, gerippten und
gemufterten Briefpapiere find in grofser Mannigfaltigkeit vorhanden und unver-
gleichlich fchön appretirt. Die Leimung der Papiere gefchieht fo forgfaltig,
dafs das Papier den Weg von y^ englifcher Meile zurücklegt, ehe es den Trocken-
apparat verläfst.
Eine Merkwürdigkeit ift die Nachahmung von altem Papier zur Reproduc-
tion alter Werke. T. H. Saunders in Dartford, Kent, brachten Büttenpapier,
Werthpapier. Pergament-, Karten , Zeichen- und Schreibpapier in ebenfalls voll-
endeter Ausführung. Eine Specialität diefer Fabrik ift das durchfichtige Perga-
mentpapier.
Papierinduftrie. 33
Die Cellulofeproben von James Lee und M. Nicol find fchon bei der
Abhandlung über die Rohmaterialien eingehend befprochen worden.
Rufsland hat in fehr anerkennenswerther Weife die Papierausflellung
befchickt, und zeigt in feinen Erzeugniffen ein erfreuliches Bild des gewonnenen
Fortfeh ritt es.
Die eigenthümlichenProdu(5lionsverhältniffe diefes Reiches, welches durch
einen koloflalen Schutzzoll feine Induflrie zu fördern fucht, ermöglichen den
Beiland grofsartiger Werke, welche, wenn auch theuerer, fo doch fall ebenfo gut
fabriciren als die welllich gelegenen, höher entwickelten, fremdländifchenlndullrie-
gebiete, wozu das überreiche Quantum des bellen und billigen Rohmateriales
wefentlich beiträgt. Unter den 8 Papierausllellern figurirten Fabriken von gro/s-
artigem Umfange und vorzüglicher Leillungsfähigkeit.
Die kaiferlich ruffifche Staats-Papierfabrik in Petersburg
flellte Mafchinen- und Handpapiere mit Waflerzeichen aus, die ebenfo vollendet
fchön und als die franzöfifchen. Die im Jahre 1818 gegründete Fabrik ill für die
Fabrication von 100 Millionen Papierbogen jährlich eingerichtet. 17 Dampf-
mafchinen betreiben die Werke und 2800 Arbeiter find in der Papiermanufa(5lur
und bei 58 SchnellprelTen befchäftigt.
Die Newa -Schreibpapier-Fabrik Gebrüder Vargounin.in Petersburg
ftellten gute Schreib-, Druck- und Cigarettenpapiere aus, und verwenden gebleichte
StrohmalTe nach Lahouffe's Syllem zu ihren Fabricaten. Der Werth der auf drei
Mafchinen erzeugten Waaren beträgt jährlich 750.000 Rubel.
Die Fabriken von Gagarin, Prinz Nicolaus in Jaroflaw, fowie jene von
S e r g u j e f f in Penfa erzeugen Schreib-, Druck- und färbige Papiere in fehr guter
Qualität. Sergujeff's Jahresprodu<5lion erreicht den Werth von 800.000
Rubel.
Ebenfo anerkennenswerth find die Druck , Schreib- und Cigarettenpapiere
von Jean E p 11 e i n in Sotfchewka bei Warfchau. Die Papiere waren durchwegs
aus reinem Lumpenfloffe gefertigt, daher fehr feil.
Holzllofl'war durch drei Auslleller vertreten, von welchen der bedeutendlle,
die A<5liengefellfchaft in Tammerfors-Finnland, jährlich 28 000 Centner Stoff und
4000 Centner Holzpappe erzeugt.
Italien. Dieitalienifche Papierausllellung war fo ungünllig fituirt, dafs fie
keinen befonders befriedigenden Eindruck hervorbringen konnte. Die knapp
auf einander gehäuften Papiermuller machten es fall unmöglich die einzelnen
Auslleller genau von einander zu unterfcheiden.
Es find dreizehn Fabriken mit Mafchinenpapier, drei mit Strohpapier, zwei
mit Papieren aus Maulbeerbaum-Rinde und eine Fabrik mit Handpapier vertreten.
Das Papierfortiment von Bernardino Nodari in Lugo, Vicenza, bietet durch gute
fein apprettirte Brief-, Schreib- und Zeichenpapiere das bemerkenswerthelle der
mit Unrecht fo unanfehnlich gellalteten italienifchen Papierexpofition. Hervor
ragende Leillungen find nicht zu conflatiren.
Die Niederlande, welche fünfzehn Papiermafchinen befitzen, haben gar
keine Mafchinenpapiere ausgellellt, dagegen ill die rühmlichll bekannte Bütten-
papier-Fabrication durch eine gute Firma repräfentirt.
Van Gelder & Z o n e n in Amllerdam geniefsen ihrer fchönen Hand-
papiere wegen eines alten Rufes. Die Kupferdruck-, Schreib- Documenten und
Werthpapiere fowie die farbigen Zeichenpapiere zu Kreidezeichnungen find von
einer Reinheit, die nichts zu wünfchen übrig läfst.
Z. G. KnipersÄ Comp, in Lecuwarden Hellten auf der Mafchine erzeugte
Strohdeckel gewöhnlicher Sorte aus.
Spanien und Portugal waren ebenfalls fchwach betheiligt und läfst fich
aus den ausgellellten Papieren auch nicht ein annähernd richtiger Schlufs auf
3*
34: Emil Twerdy.
den wahren Stand der Papiermanufadlur ziehen. Das unvortheilhafte Arrange-
ment der italienifchen Papiere wiederholte fich hier in noch höherem Grade, fo
dafs von den katalogifirten fechzehn fpanifchen und fieben portugiefifchen CoUec
tionen nur Wenige zu bemerken waren. Die Papiere der Firma Capdavila &
Comp, in Barcelona, beftehend in Schreib- und Cigarrettenpapier find gut in
Stoff und Appretur, jedoch nicht rein genug. Die fonftigen Cigarrettenpapiere
boten nichts Ungewöhnliches.
Die Schweiz erfchien leider nur durch eine einzige Papierfabrik bethei-
ligt, deren Erzeugniffe jedoch des vollen Beifalles werth find.
Die Brief-, Schreib- und Zeichenpapiere der Papierfabrik in Worblaufen
ftehen den heften ihrer Art in nichts nach.
Rumänien wiefs einen Ausfteller von farbigen Papieren aus.
Schweden mit dreizehn und Norwegen mit fechs Papierfabriken haben
gar kein Papier ausgeftellt, dagegen waren dreizehn Holzftoff-Fabriken mit Proben
ihrer Erzqugniffe erfchienen.
Es ift zu bedauern, dafs das berühmte fchwedifche Filtrirpapier, welches
nur in Grycksbo, Dalarne fabricirt wird, und die eigenthümliche Bedingung
braucht, mit chemifch ganz reinem WafTer gearbeitet zu fein und einmal zu
gefrieren, nicht vertreten war.
Die Holzftofi"-Induftrie wird in Schweden und Norwegen im grofsartigften
Mafsftabe betrieben. Der unerfchöpfliche Holzreichthum, die Zartheit der Holz-
fafer, welche fich nur unter fo hohem Breitegrade entwickelt und die unbegrenzten
WafTerkräfte und billigen Wafferftrafsen unterftützeij diefe Induftrie in günftiger
Weife. Die erfte Fabrik in Trollhättan, 1857 gebaut, blieb zehn Jahre lang die
einzige im Lande. Anfangs 1873 gab es 27 Holzfchleifereien in Schweden und
20 in Norwegen.
Einzelne EtablilTements, wie z. B. Langed, liefern bis 50.000 Centner
Helzmaffe jährlich.
In neuefter Zeit wird auch Cellulofe in grofsartigen Quantitäten erzeugt,
und zwar beftehen in Schweden zwei Fabriken nach Sinclair's Syftem, fieben nach
Lee's und eine nach Fry's Syftem. Der Werth der jährlich erzeugten Holzmafle
und der Cellulofe beträgt über 51/2 Million Riksdaler.
Nordamerika, Venezuela, Salvador, Brafilien, Monaco,
Dänemark, Belgien und Griechenland haben gar nicht ausgeftellt.
Die gröfste Bewunderung in der Wiener Weltausftellung erregten die von
China und Japan ausgeftellten Papierarten.
Bindfaden aus Papierftreifen gedreht, fo feft und fo glatt wie der beflc
Bindfaden aus Hanf; Fenfterpapier, welches mattes Glas vertritt und in der Kälte
ein träger Wärmeleiter ift, alfo Fenfterfcheiben bildet, wie fie fich mit Eis bedecken
oder anlaufen ; Lederpapier, fo feft und elaftifch, das Jeder, welcher es zum erftcn
Male fieht und unterfucht, für ein fremdartiges Leder hält; Theetaffen aus Papier,
das ftark lackirt ift, und welches der heifsefte Thee im Gebrauche nicht angreift ;
Gewebe, an welchen die Kette Seide und der Schufs dünne zarte Papierftreifen
find; Papier, dafs fich zu Schnupftüchern, weich und zart und feft, verwenden läfst;
endlich Papier, das zu Tifchdecken gebraucht werden kann. Das Papier bildet
demnach gewilTermafsen in Japan ein Mittelglied zwifchen unferem leicht zerreifs-
lichen Papier und den feften Geweben.
Die Wahl des Stoffes und dann die Zubereitung charakterifirt das Papier
der Japanefen. Sie nehmen keine fchon gebrauchten Stoffe oder Hadern dazu,
welche eine kurze, meiftens morfche Fafer enthalten, fondern frifche, lange
Pflanzenfafern, wahrfcheinlich vorzugsweife die Fafer des fchönen feidenartigen
Chinagrafes, Urtica nivea, die einen äufserft feften Papierfilz bildet. Diefe Fafem
geben dem Papiere ohne Leim und ohne ftarke Preffung ein feftes Gefüge auch
bei der bekannten dünnen Schichte, wodurch fich das feine chinefifche und japane-
Papierinduflrie. OU
fifche Papier auszeichnet. Für Fenfterpapier oder zu Laternenwänden wird das
Papier mit einer Flüffigkeit getränkt, die durchfcheinend macht, fiir den Gebrauch
als Leder oder als wafferdichter Stoff wird es mit befonderen Harzen und Oelen
vorgerichtet ; für Gefchirre, in welche man kalte und heifse Flüfligkeiten giefsen
will, wird die dicke Papiermaffe mit einem Unvergleichlichen Lack überzogen,
deflen Grundlage gefchlämmter feiner Thon ift.
Die Anregungen, welche die Befucher der Wiener Weltausflellung in der
japanefifchen Ausftellung erhielten , werden vielleicht auf die gefammte Papier-
fabrication eine umgeftaltende Wirkung haben, und die Verwendungsarten werden
vielfeitige Nachahmung finden, wenn man es bei uns verflehen lernen wird, die
verfchiedenflen Stoffe der Papierfabrication dienftbar zu machen.
Faflfen wir die Charakterillik der einzelnen Papierausftellungen kurz
zufammen, fo ergibt fich, dafs nur Oefterreich-Ungam und Deutfchland quanti-
tativ und qualitativ in ausgiebigfler Weife aufgetreten waren, Frankreich, England
und Rufsland quantitativ fchwach dagegen durch ihre bellen Erzeugniffe , China
und Japan mit feltenen und vielfeitigen Produdlen vertreten waren, wogegen fich
alle anderen Papierexpofitionen in hohem Grade lückenhaft erwiefen. An der
Spitze der Papierinduflrie ftehen heute wie vor 1867 England, Frankreich, Deutfch-
land und Oeflerreich.
I(
OFFICIELLER
AUSSTELLUNGS-BERICHT
HBRAUSGEGRBRN DURCH DIB
GENERAL-DIRECTION DER WELTAUSSTELLUNG
18 7 3.
UNTER REDACTIOiN VON DR. CARL TH. RICHTER, K. K. O. Ö. PKOFESSOK IN* l'KAG.
DIE CHEMISCHE INDUSTRIE.
(Gruppe III.)
EINLEITENDER ALLGEMEINER BERICHT
VON
D^- Adolf Lieben,
X*. Xr. o. ö. Projejjor an der Uni7>nrjitnt zu Praf^
WIEN.
DRUCK UND VERLACi DER K. K. HOi' UND STAATSDRUCK.EREI.
1873-
DIE CHEMISCHE INDUSTRIE.
(Gruppe III )
EINLEITENDER A L L c; E M E I N E R B E R I C H T
VON
D^ Adolf Lieben,
k k. o.o. Pro/clfor an der Unixcrßt,:*. ;;..' Pra^.
1
Die folgende Darfteilung foll ncbft einigen Betrachtungen allgemeiner Art
.j:inen rafchen Ueberblick über die wefentlichften Fortfchritte geben, welche die
Wiener im Vergleich zur vorhergegangenen Parifer Weltausftellung im Gebiete
<ler chemifchen Induftrie aufweift. "^
Wer genauere Auskunft über die Leiftung einzelner Länder oder einzelner
bedeutender Ausfteller, über die Details neuer Verfahrungsweifen, oder eine
Befprechung fämmtlicher den einzelnen Se<5lionen der Gruppe III angehörigen
Xiegenftände, die auf der Ausftellung InterefTe erregten, fucht, wird eine folche in
den folgenden fpeciellen Berichten über die einzelnen Seclionen finden. Indeffen
hat nicht allein der Laie, fondern felbft der chemifche Fachmann, fo viel
allgemeines InterelTe er auch mitbringen mag, nicht immer den Wunfeh, fich in
allen Theilen des weiten Gebietes, das die Gruppe III umfafst, eingehend mit
den Details, wie fie in den Berichten über die Secflionen geboten werden, zu
befchäftigen und Mancher, der die Beforgnifs empfindet, den Wald vor lauter Bäume n
nicht zu fehen, wird gern einen Ueberblick über den ganzen Wald gewinnen, fei
es, dafs er fich's daran genügen läfst, fei es, dafs er dann mit um fo gröfserem
Behagen fich in einzelne Partien vertieft.
Diefe Bemerkungen dürften genügen, um den Zweck des einleitenden
allgemeinen Berichtes zu kennzeichnen und um klar zu machen, dafs er ein anderes
Ziel verfolgt als die Seclionsberichte, daher weder durch diefe überflüffig
gemacht wird, noch die Aufgabe haben kann, fie zu erfetzen.
Eine bedeutungsvolle Thatfache ift es, welche Jedem, der die Ausftellung
-chemifcher Produdle durchwandert und fich der rafchen Fortfchritte freut, die
♦ Die Wichtigkeit der Gruppe III, die chemifche Induftrie, auf der Weltausftellung ift fo
grofs und die Kenntnifsderfelben im Allgemeinen fo gering, dafs wir glaubten, dem Berichte über
■diefe Gruppe einen einleitenden allgemeinen Bericht vorherfenden zu muffen, der auch den nicht
fachmannifch Gebildeten die Wege der Wiffenfchaft näher beleuchtet. Die Rcda(5lion.
V Dr. Adolf Lieben.
menfchlicher Geill und Arbeitskraft auf diefem Gebiete zu verzeichnen haben,
mit Evidenz entgegentritt — nämlich die innige Wechfelbv-^ziehung zwifchen
Theorie und Praxis, zwifchen Fortfehritt der Wiffenfchaft und Fortfehritt der
Induflrie, wie fie im gleichen Maafse kaum noch auf einem anderen Felde menfch-
lichen Schaffens angetroffen wird.
Während der Mann der Wiffenfchaft ohne Rückficht auf materiellen Gewinn,
auf Anwendung oder mögliche Folgen feiner Entdeckungen ruhig dem einzigen
Ziele nachllrebt, das für ihn exiflirt, nämlich der Entdeckung der Wahrheit, hat
der Techniker gelernt, die kaum erflzu Tage geförderten Schätze der Forfchung
in gangbare Münze auszuprägen. Er weifs. dafs es keine flerile Wahrheit gibt,
denn die vereinzelte Thatfache, das dbflra<5te Gefetz, die derzeit ohne unmittel
bare Anwendung flehen, können fpäter eine folche finden und wenn diefe auch
ausbleibt, fo geben fie doch die Stufen ab, auf denen die Menfchheit zu immer
höherer Cultur emporfteigt.
Die riefigen Fortfchritte, welche die chemifche Indullrie in unferem Jahr-
hundert gemacht hat und noch fortwährend macht, verdankt fie dem Aufblühen
der Chemie als Wiffenfchaft und der Methode, welche die Praxis von ihr entlehnt
hat. Mehr und mehr verfchwinden die alten Praktiker mit ihren rein empirifchcn
Beobachtungen, in denen Richtiges und Unrichtiges oft wunderlich gemifchl ift,
mit ihren GeheimnifTen und ihrem HalbwifTen vom Schauplatze und wohlgefchultc,
wiffenfchaftlich gebildete Chemiker treten überall an ihre Stelle. Diefe bringen
aber nicht blofs Kenntniffe mit, fondern auch die Befähigung und den Trieb zum
Forfchen. Sie geben fich Rechenfchaft von den oft complicirten und nicht ganz
aufgeklärten chemifchen ProcelTen, die in der Technik eine Rolle fpielen, uiifl
indem fie diefelben verflehen lernen, kommen fie bald in die Lage, die alten Vei-
fahrungsweifen zu verbelTern oder durch rationellere zu erfetzen. Zur Herbei
führung fo befriedigender Verhältniffe haben in hervorragender W^eife die chemi-
fchen Laboratorien beigetragen, in denen jährlich viele Hunderte von jungen
Leuten mit dem Rüftzeig der Wiffenfchaft verfehen werden, um dann ihre gefchulte
Kraft der Induflrie, Pharmacie, Medicin u. f. w. zuzuwenden, und darum dürfte es
wohl am Platze fein, in einem Berichte über die Weltausflellung, der ja in dem
Fortfchritte der Intluftrie einen Haltpunkt bezeichnet, von dem man fich
nach dem zurückgelegten Wege umfieht und hinausfpäht, welche neue
Wege fich für die Zukunft eröffnen, auch diefer wichtigen Pflanzftätten menfch-
lichen Willens und des grofsen Mannes zu gedenken, der lie zuerfl begründet hat.
Hervorragende Forfcher haben wohl jederzeit einzelne Schüler gehabt, die durch
fie nicht allein in die Wiffenfchaft, fondern auch in die Kunfl zu arbeiten und
neue Refultate zu gewinnen, eingeweiht wurden, aber erfl L i e b i g hat das moderne
chemifche Laboratorium gefchaffen, die Nothwendigkeit und eminente Nützlich-
keil des praktifch-chemifchen Unterrichts hervorgehoben und gezeigt, wie fich
«ierfelbe einer gröfseren Anzahl ertheilen läfst. Er hat das Vorurtheil bekämpft,
als ob praktifche Tüchtigkeit nur durch l*raxis oder vorbereitende Specialftudien
praktifcher Art erworben werden könne, und den feither vielfach belegten
Nachweis geliefert, <lafs vielmehr die Kenntnifs der Theorie und der Forfchungs-
methoden, wie fie im Laboratorium erworben wird, die befle Vorbereitung für
eine praktifche Laufbahn abgibt. In der That ifl leicht einzufehen und die Erfahrung
beflätigt, dafs der theoretifch gebildete Chemiker, der in eine Fabrik eintritt, fich
fehr fchnell und leicht die fehlenden Detailkenntniffe und kleinen Handgriffe
aneignen kann, während der in der Fabrik aufgewachfene Praktiker nur feiten und
nur mit grofser Anftrengung eine richtige Einficht in die chemifchen Vorgänge, die
er täglich vor Augen hat, und ein klares Verfländnifs für die Möglichkeit gewinnt,
dasfelbe Ziel auch noch auf andere als die althergebrachte Weife zu erreichen.
In Deutfchland, wo der Einflufs L i e b i g's und feiner Schule fich am unmittel-
barflen. geltend machte, entftanden bald zahlreiche Laboratorien, denen die heutige
Blüthe der Wiffenfchaft wie der chemifchen Induflrie dafelbfl vornehmlich zu
Die chcmifchc Indiiftric. t»
verdanken ifl. Es kam die Zeit, dafelbfl Frankreich, wo einfl. L a v o i f i e r die Fackel
entzündet hatte, die das ganze Gebiet der Chemie fo hell erleuchtete, erkennen
mufste, dafs es trotz einzelner ausgezeichneter Männer, die das Banner der
W'iffenfchaft hoch hielten, doch der Gefahr ausgefetzt war, zurückzubleiben, wenn
CS nicht denfeiben Weg betrat, den man inDeutfchland bereits gegangen war und
den Lieb ig gewiefen hatte. Ueberall, in England wie in Italien, in Rufsland wie
in Amerika, werden jetzt Laboratorien gegründet oder beftehende umgebaut und
erweitert. Mit freudiger Befriedigung dürfen wir anerkennen, dafs Oefterreich-
üngarn in diefer Beziehung nicht zurückgeblieben ifl und dafs namentlich in den
letzten Jahren durch den Bau fchöner und grofser Laboratorien in Wien und Peft,
«lurch den Befchlufs, ähnliche neue Inllitute in Prag, Graz und Brunn zu errichten,
«lie Regierung den Beweis geliefert hat, dafs fie die hohe Bedeutung der chemi-
fchen Laboratorien für die WilTenfchaft wie für die Induflrie, wie endlich als
Stätten, in denen mit der Kunfl der Beobachtung und des Experiments dem menfch-
lichen Geifle eines der wichtigflen Bildungsmittel geboten wird, zu würdigen
weifs. Sei daher dem Berichterflatter erlaubt, was der Jury nicht vergönnt war,
das erfle Ehrendiplom auf das frifche Grab Liebig's * niederzulegen.
Wie auf der Londoner Weltausflellung von l8ü2 die eben erfl auf-
getauchte Induflrie der Anilinfarben das InterelTantefle war, das fich dem Befdcher
der chemifchen Abtheilung darbot, fo ifl es auch diefsmal eine Entdeckung im
Gebiete der Farbenchemie, die in erfler Linie die Aufmerkfamkeit des chemifchen
Fachmannes zu fefTeln verdient. Diefsmal handelt es fich allerdings nicht wie
<lamals um ganz neue, durch nie früher gefehene Intenfität und Pracht über-
rafchende Farben, fondern vielmehr um einen der längfl bekannten und mit am
bäufigflen angewandten FarbflofTe, den uns bisher die Pflanzenwelt geliefert hat
und den wir nun gelernt haben unabhängig von den Launen der Ernten künfllich
(larzuflellen. Dergleichen künflliche Darflellungen find eine der wichtigflen Auf
ga'oen der Chemie, denn einerfeits erlangt die WilTenfchaft, indem fie die Art und
Weife ergi-ündet, wie die Atome der Elemente fich zu dem Bau eines zufammen-
ge fetzten Moleküls zufanimenfügen, eine nur fchwer auf anderem Weg zu gewinnende
Einficht in das Walten der von Atom zu Atom thätigen Kräfte, anderfeits wird die
Technik dadurch häufig um Körper bereichert, die wichtige Verwendung zulafTen
und die fich in der Natur gar nicht finden oder vielleicht nur auf koflfpielige Art
zu befchaffen waren.
Im Jahre 1868 entdeckten Grabe und Liebcrmann, dafs das Alizarin,
der bekannte wichtigfteFarbfloff der Krappwurzel, in naher Beziehung zum Anthra
cen, einem der zahlreichen im Steinkohlen-Theer enthaltenen KohlenwafTcrfloffe,
fleht, und aus diefem künfllich dargeflellt werden kann. Wie für die Anilinfarben
bildet alfo auch für Erzeugung der Anthracenfarben der Steinkohlen-Theer den
Ausgangspunkt, doch ifl es von Intereffe, zu bemerken, dafs man das Anthracen
und fomit auch das Alizarin durch vollfländige Synthefe, das heifst aus den
Elementen felbfl darflellen kann. Wenn der Flammenbogen zwifchen zwei Kohlen-
fpilzen einer mächtigen, galvanifchen Kette innerhalb einer WaiTerfloff-Atmofphäre
erzeugt wird, fo vereinigen fich unter diefen abfonderlichen Umfländen Kohlen
flotf und WalTerflofT direcfl und liefern das gasförmige Acetylen, das, wenn es bis
zur dunklen Rothghith erhitzt wird, fich wenigflens theilweife in Benzol verwan-
delt. Aus dem Benzol kann man aber einerfeits Anilin und die Anilinfarben,
anderfeits Toluol und daraus weiter Chlorbenzyl bereiten, welches beim Erhitzen
mit WafTer auf 180 Grad Anthracen liefert, üebrigens foll auch dircdl beim
P>hitzen des Acetylens neben Benzol etwas Anthracenhydrür entflehen, das beim
Crlühen Anthracen gibt. Die Darflellung aus den Elementen hat heute für das
Benzol, wie für das Anthracen nur ein theoretifches Intereffe, da der Steinkohlen-
♦ Kur/ vor Eroffnuiic: der Wehauvflclluiic; flaih Jiiflus von Licbit; am i8 April 1S73.
4 Dr. A'.Ioir Lieben.
Theer uns mit beiden Stoften auf viel wohlfeilere Art verforgt. Doch liefert die-
Synthefe einen neuen, wenn auch kaum mehr nöthigen Beweis dafür, dafs es zur
Entftehung der Stoffe, die wir fonft der Pflanzenwelt entlehnten, keiner geheim
nifsvoll wirkenden Lebenskraft bedarf.
Im Zeiträume weniger Jahre, feit 1870, hat fich die künflliche Darflellung
des Alizarins aus dem im Steinkohlen-Theer enthaltenen Anthracen zu einem
wichtigen Induflriezweige entwickelt. Deutfchland zählt bereits zehn bis zwölf
derartige Fabriken, * England und Frankreich, der fchützenden Patente wegen,
je eine. Die Gefammtproduclion für 1873 beläuft fich auf 22.000 Centner zehn-
percentige Alizarinpafle im Werthe von 12 Millionen Mark, wovon circa 15.000
Centner auf Deutfchland, 6000 auf England kommen. Schätzt man die Gefammt-
producfiion aller Gasanflalten auf 5 Millionen Centner Theer und den Gehalt dc^
Theers an Anthracen auf 0'5 Percent, fo ergibt fich ein Totale von 25.000 Cent-
nern Anthracen, über die man heute als Rohmaterial für Alizarinbereituiig
disponirt und die mehr als ausreichend fmd, um den ganzen gegenwärtigen
Alizarinverbrauch (entfprechend i Million Centner Krapp im Werthe von 40 Mil-
lionen Mark) zu decken. Die Färber und Drucker ziehen begreiflicherweife das
künftliche Alizarin feiner gröfseren Reinheit wegen dem Krapp und den verfchie-
denen Krapp-Präparaten, in denen lediglich nur das Alizarin der wirkfameBefland-
theil ift, vor, und fo darf man erwarten, dafs fchon in den nächften Jahren der
Krapp allmälig vom Markte verdrängt werden dürfte. Dafs es ein nationalöcono
mifcher Vortheil ift, wenn die Bodenfläche, die jetzt zur Krappcultur gebraucht
wird, furandere Verwendungen disponibel wird, braucht kaum erftgefagt zu werden.
In Oefterreich exiftirt bisher noch keine Alizarinfabrik, doch ift kein
befonderer Grund einzufehen, warum Oefterreich in diefer Beziehung dem Aus-
lande tributpflichtig bleiben, follte. Sclbft wenn eine öfterreichifche Fabrik auf
Bezug von englifchem Anthracen angewiefen wäre (was auch bei deutfchen
Fabriken vielfach der P'all zu fein fcheint), dürfte die Darftellung des künftlichen
Alizarins, defl"en Abfatz im Inlande gefiebert wäre, fich als gewinnbringend
erweifen. Inwieweit der in Oefterreich producirte Steinkohlen-Theer fich zur
Gewinnung von Anthracen eignet, follte aufserdem durch befondere Verfuche
feftgeftellt werden. .
Der Befprechung des Anthracen-Farbftoff^es fchliefst fich naturgemäfs die
der Anilinfarben an. Diefe Induftrie, deren erfter Urfprung nur bis zum Jahre
1856 zurückreicht, und die auf der Londoner Ausftellung von 1862 zuerft die all-
gemeine Aufmerkfamkeit durch ihr glanzvolles Auftreten feffelte, hat in den letzten
Jahren namentlich in Deutfchland bedeutend an Ausdehnung gewonnen, aufser
dem aber auch erhebliche Fortfehritte aufzuweifen.
Schon auf derlletzten Weltausftellung 1867 zu Paris hatten Po i rri er &:Chap
pat fils Methylanilin ausgeftellt, das nach einem fehr zweckmäfsigen neuen Ver-
fahren von Bardy, nämlich durch Erhitzen von Anilinchlorhydrat mit Methyl-
alkohol in verfchloflenen Gefäfsen dargeftellt worden war. Aus dem Methylanilin
aber war es ihnen, geftützt auf L auth's frühere Beobachtungen, gelungen, durch
Einwirkung von Zinnchlorid lauch noch einige andere Stoffe find zudiefem Zwecke
geeignet) eine prachtvolle, violette Farbe, „Violet de Paris", zu erhalten. Diefer
damals ganz neue Farbftoff und das Methylanilin, aus dem er bereitet wird, haben
feitdem eine grofse induftrielle Bedeutung erlangt, und werden gegenwärtig auch
in Deutfchland, wo fie damals noch unbekannt waren, fabriksmäfsig dargeftellt.
Das Methylanilin-Violett hat gegenüber dem fogenannten Jodviolett (Hofmann's
Violett), das durch Einwirkung von Jodmethyl auf Rofanilin (P'uchfin) erhalten
wird, zwei Vorzüge voraus, welche es in den Stand fetzten, das letztere wenigftens
theilweife zu verdrängen. Zur Darftellung des erften ift nämlich kein Jodmethyl
* Diefe und die hier folgenden ftaiiftifchen Angaben fuul dera amtlichen Katalog der
Ausftellung; des deutfchen Reiches entnommen.
Die chcmlfche Induftric. ^
erforderlich und darin liegt mit Riickficht auf den hohen Preis des Jods ein erheb-
licher ökonomifcher Vortheil ; man bedarf ferner der Arfenfaure nicht dazu, die
zur Bereitung des Fuchfins, alfo indirecfl zu der des Jodvioletts gebraucht wird,
und darin liegt ein beachtenswerther, fanitärer Vortheil, auf den wir noch fpäter
zurückkommen. Der hohe Preis des Jods hat übrigens Anlafs zu Verfuchen gege-
ben, das koftfpiclige Jodmethyl bei Bereitung des Jodvioletts ebenfo wie bei der
des Jodgrüns durch andere Methylpräparate zu erfetzen und dabei hat das Methyl-
nitrat die beflen Refultate gegeben. Aehnlich Vie das Jodviolett ifl auch das
Methylanilin - Violett der Ausgangspunkt zur Herflellung einer prachtvollen,
grünen Farbe geworden, des fogenannten Methylgrüns, das fich dem Jodgrün an
die Seite ftellt.
Ein weiterer fehr erfreulicher Fortfehritt in der Induflrie der Anilinfnrben
befleht in der nunmehr begründeten Hoffnung, die giftige Arfenfaure, deren man
fich gegenwärtig noch fafl allgemein zur fabriksmäfsigenDarftellung des Fuchfins
Ijedient, durch das für die Gefundheit ungefährliche Nitrobenzol erfetzen zu kön-
nen. Bisher find zur Bereitung des Fuchfins in grofsem Mafsflabe aus dem käufli-
chen Anilinöl, das ein Gemenge von Anilin, Toluidin und Pfeudotoluidin in wechfeln-
(iem Verhältniffe zu fein pflegt, lediglich nur Zinnchlorid (Vergu i n), Queckfilber
nitrat (G er b e r - K e 1 1 e r) , Salpeterfäure (Depouilly und Lauth), endlich
Arfenfaure (M e d 1 o c k , Nicholfon, Girard unddeLaire) zur Anwendun
gekommen, und zwar hat das letztere Verfahren allmälig alle übrigen in den Hinter
grund gedrängt. Es gibt aber aufser den genannten noch eine grofse Zahl anderer Sub-
flanzen, die bei ihrerEinwirkung auf Anilinöl Fuchfin hervorbringen, z. B. Kohlen-
tetrachlorid, Eifenfesquichlorid, Kupferchlorid, Queckfdberchlorid, Antimonpenta-
chlorid, Zinnbromid, Queckfilberbromid, Zinnjodid, Zinnfulfat, Queckfilberfulfat,
Eifenfesquinitrat, Bleinitrat, Silbernitrat, Nitrobenzol neben Eifen- und Salzfäure
u. f. w. Das letzterwähnte Verfahren wurde von Coupier i866 vorgefchlagen und
fein Erfolg von S chüt z e nb erge r günflig beurtheilt (ein ähnliches Verfahren,
wobei aber kein Eifen zugefetzt wird, hat H ol 1 i day angegeben), doch fcheint es
in Fabriken bisher keinen Eingang gefunden zu haben. Erfl in neuefler Zeit iH es
den Bemühungen der Fabrikanten M e i fle r, Lucius und B rü ning gelungen, ein
demfelben Princip wie das Coupier'fche beruhendes Verfahren in grofsem Mafs-
flabe durchzuführen und man darf daher jetzt erwarten, die Arfenfaure von ihrer
gegenwärtig fehr bedeutenden Anwendung bald wieder ausgefchloffen zu fehen.
Es ifl diefs nicht allein für die Gefundheit der in Fuchfinfabriken befchäftigten
Arbeiter, fondern auch für das grofse Publicum fehr wünfchenswerth, da ein von
der Bereitung herrührender, kleiner Arfengehalt in dem käuflichen Fuchfin fehr
häufig anzutreffen ifl und bei den zahlreichen Verwendungen diefes prachtvollen
Farbfloftes nicht feiten üble Folgen herbeiführen kann;
Die bedeutende Aniliufarben-Induflrie Englands war auf der Ausflellung
gar nicht vertreten, dagegen haben fich Deutfchland, Frankreich und die Schweiz
in ausgezeichneter Weife betheiligt. Deutfchland foU gegenwärtig ungefähr die
Hälfte der Gefammtprodudlion hervorbringen und hat einen bedeutenden Export.
Einzelne deutfche P'abriken erzeugen nicht weniger als lo Centner Fuchfin täg-
lich. Um diefe Ziffer zu würdigen, mufs man fich gegenwärtig halten, dafs, um
einen Centner Fuchfin zu erzeugen, zwei Centner Rohanilin erforderlich find, zu
deren Darflellung man etwa 90 Centner Theer braucht, welche ihrerfeits durch
Deflillation von circa 3000 Centner Steinkohlen gewonnen werden. Die Anilinöl-
Producflion in Deutfchland hat nach Angabe des amtlichen Kataloges von 10.000
Centner im Jahre 1867 auf jetzt ungefähr 25.000 Centner zugenommen, doch muffen
zur Deckung des deutfchen Farbenfabrications-Bedarfes noch aufserdem 10.000
Centner Anilinöl aus dem Auslande bezogen werden. In Oeflerreich hat dieFabri-
cation der Anilinfarben noch nicht Eingang gefunden. Als Grund wird angegeben,
dafs der in Oeflerreich gewonnene Theer verhältnifsmäfsig wenig Benzol enthalte,
daher nicht fonderlich geeignet zur Erzeugung von Anilinöl fei. Diefes Argument
6 Dr. Adolf Lieben.
dürfte jedoch kaum für alle Kohlenforten Oefterreichs richtig fein, und ift auch
infüferu nicht ganz zutreffend, als ja die Darilellung des Anilinöles aus Theer und
die Bereitung der Farben aus Anilinöl zwei ganz getrennte Fabricationen find.
Der Farbenfabrikant würde, falls er fich im Inlande nicht genug Anilinöl ver
fchaffen kann, dasfelbe aus dem Auslande beziehen, und übrigens kann man nicht
zweifeln, dafs die fabriksmäfsige Verarbeitung des inländifchen Theers einen
bedeutenden Auffchwung nehmen würde, fobald nach einzelnen Produ<5len diefer
Induflrie eine ftärkere Nachfrage eintreten würde. *
Wenn wir in diefer allgemeinen Ueberficht über die Fortfehritte der chemi
fchen Induftrie feit 1867 <iie Theerfarben vorangeftellt haben, fo gefchah es. weil
wir hier eine Entdeckung von hervorragender Bedeutung (die künflliche Darilcl
lung des Alizarins ohne Krapp) zu verzeichnen hatten. Ehe wir uns nun der
chemifchen Grofsinduflrie zuwenden, die durch Maffenhaftigkeit der Produ<5lion
und volkswirthfchaftliche Bedeutung den wichtigften Theil der Gruppe HI aus
macht, fei zur Ergänzung des hier über Neuigkeiten auf dem, Gebiete der Färb
Hoffe Mitgetheilten noch des Ultramarinvioletts gedacht, das von der grofsen
Ze It n e r' fchen Fabrik in Nürnberg ausgeftellt worden ift und das neben den
bekannten zahlreichen, blauen und grünen Nuancen des Ultramarins eine bisher
bei diefer Fabrication nicht erhaltene Farbe darftellt. Bereitung und Zufammen
fetzung derfelben werden jedoch vorläufig geheimgehalten.
Auf dem Gebiete der chemifchen Grofsinduftrie ift zwar nur eine hervor-
ragende Neuigkeit zu verzeichnen, aber dicfe kann eine fo aufserordentliche, die
Grundlagen der chemifchen Induftrie umgeftaltende Bedeutung erlangen, dafs fie
fchon hier eine nähere Befprechung verdient. Es handelt fich um die Fabrication
der Soda. Bekanntlich ift man für den Bedarf an diefem fo wichtigen Produöte
fchon feit dem Ende des vorigen Jahrhunderies nicht mehr auf die natürlich vor-
kommende oder aus der Afche der Strandpflanzen bereitete Soda angewiefen, fon-
dern ftcllt die Millionen von Centnern Soda, deren die heutige Induftrie bedarf, au^
dem Kochfalz mit Anwendung des fcharffinnigen, vonLe Blanc 1791 erfundenen
und feiidem nur in den Details vervollkommneten Verfahrens dar**. Dicf:j Ver
• Für die Ausftellimg 1873 ficlic Bericht von Dr. Lippmann, Gruppe III, Seclion VI,
Farbw.iarcn. Die Redaclion.
*♦ Die fundamentale liedeutung, welche Le B 1 a n c's Entdeckung für die chcmifche
Induftrie gch.ibt hat und noch hat, lafst es gercchtfcriißt crfcheinen, auch der (lefchichtc diefer
Entdeckung hier ein Blatt zu widmen. Es ifk diefs befonders defshalb am Platze, weil dief>
intereflantc Stück chemifcher Gefchichte in den meiften Büchern nicht nur unvoUftandig. fondern
auch unrichtig mitgetheilt ift.
Im Jahre 1782 fetzte die Parifer Akademie der WifTenfchaften einen Preis von 2400 Francs
für die Entdeckung aus, Soda au.s Kochfalz in folcher Weife darzuftellen, dafs fic nicht höher al>
die aus Afche von Strandpflanzen erzeugte zu ftehen komme. Diefer Preis wurde nicht errungen.
Doch fchon wenige Jahre fphter, 1789 machte N. Le B lan c, Chirurg des Haufe;» d'Orleans, dem
Herzog von Orleans (E g a 1 i t e), den Vorfchlag, eine Fabrik zu errichten, um nach einem von ihir
erfonnenen und bis dahin nur im Kleinen verfuchten Verfahren, Soda aus Kochfalz darzuftellen
Am 12. Februar 1790 kam es in London Zwilchen dem Herzog von Orleans, Lc Blanc. Dize und
Shee zur Unterzeichnung eines Vertrages für Gründung einer chemifchen ProduCtenfabrik, worin
der Herzog fich zur Vorftreckung der iiuihigen Capitalien, die anderen Thcilnehmcr zur Errich
tung und Leitung der Fabrik bereit erklärten, indem Le Blanc insbefondere fich zur Einführunc
feiner neuen Methode der Sodafabrication, Dize zur Einrichtung eines Verfahrens der Bleiweif^
bercitung verpflichteten. Dem enifprechend hinterlegte Le Blanc am 27. März 1790 ein ver
ficgelie^ Schreiben, in dem die Grundfaize der noch jetzt üblichen Sodafabrication vollftandig
angegeben find; nur find die Verhäliniffe, in denen fchwefelfaurcs Natron, kohlenfaurcr Kalk
und Kohle zufammengcfchmolzen werden follcn, nicht ganz die richtigen, und das Gemenge foll
in Tiegeln (ftatt in Flammöfen) gefchmolzen werden. Offenbar zur Beruhigung für den Herzog von
Orleans ift den Angaben Le B,l a n c's eine Beftätigung ihrer Richtigkeit von ProfcfiTor d'A r c e i
beigefügt. Die Fabrik wurde in Maifon-de-Seine bei St. Denis errichtet. Lc Blanc, der im
(jrofsen wie im Kleinen raftlos an der Vervollkommnung feiner Methode arbeitete, entdeckte
bald die richtigen für die Sodafchmclze günftigften Vcrhaltniffe, wie fic noch heute unverändert
im Gebrauche ftehen, und erkannte den aufserordentüchen Vortheil, die Schmelzopcration im
Flammofen ftatt wie früher in Tiegeln vorzunehmen. Damit war der wichtigen Entdeckung der
Stempel der Vollendung aufgedrückt. Le Blanc le,;«'te die erwähnten Schlufsrcfultatc feiner
Die chemifche Induftric. * i
fahren beruht auf der durch Schwefelfäure bewirkten Ueberführung des Kochfalzes
in fchwefelfaures Natron, wobei Salzfäure als Nebenprodu<5l gewonnen wird und
auf der Einwirkung, welche Kohle und kohlenfaurer Kalk bei hoher Temperatur
auf das fchwefelfaure Natron äufsern, wodurch beim darauffolgenden Auslaugen
dcrSchmelze kohlenfaures Natron nebft etwas Aetznatron an das Walter abgegeben
werden, während Schwefelcalcium, kohlenfaurer Kalk und Kalk (die fogenannten
Sodarückflände) unlöslich zurückbleiben. Es ifl alfo die Darllellung eines
Zwifchenprodu(5les, des fchwefelfauren Natrons, nothwendig, ehe man vom
Kochfalz zur Soda gelangt; aufserdem ifl der Verbrauch an Kohle fehr bedeu-
tend. Für je einen Centner Soda, die producirt wird, werden circa 3 V2 Centner
Kohle confumirt. Ein weiterer Uebelftand diefes Verfahrens, dafs nämlich der
in Form von Schwefelfäure eingeführte Schwefel, der fchliefslich in die bis
vor Kurzem ganz werthlofen und nur läfligen Sodarückflände übergeht, voll-
fländig verloren wird, ifl erfl in den letzten Jahren durch die Methoden der
Wiedergewinnung des Schwefels von S chaf f n er, Mond und P. W. H ofmann
uenigflens annähernd befeitigt worden. Ueber diefe wichtige Verbefferung
oder vielmehr Ergänzung des Le Blanc'fchen Verfahrens ifl bereits gelegentlich der
Weltausflellung vom Jahre 1867, auf der fie eine der hervorragendflen chemifchen
Neuigkeiten darflellte , eingehend berichtet worden. Diefsmal handelt es fich
nicht um eine Verbefferung des Le Blanc'fchen Verfahrens, fondern um eine
von der Le Blanc'fchen ganz verfchiedene neue Methode der Sodabereitung,
welche vom Kochfalz ausgehend in viel diredlerer Weife zum Ziele führt. Sic ifl
unter dem Namen des Ammoniakproceffes bekannt.
Zwei Ausfleller, Solvay & Comp. (Couillet bei Charleroi in Belgien) und
Honigmann (Aachen), haben Soda ausgeflellt, die nach dem neuen Verfahren
dargeflellt ifl. Von diefen arbeitet der erflere fchon feit mehreren Jahren, und
zwar in grofsem Mafsflabe, fo dafs man wohl annehmen darf, es muffe ihm gelungen
fein, alle Schwierigkeiten der praktifchen Ausführung zu überwinden; er wurde
tlaher auch von der Jury mit dem Ehrendiplome ausgezeichnet.*
Forlchung in einem Patent (lircvct fecret), auf 15 Jahre, für Fabrication von Soda aus Kochfalz,
nieder, das er im September 1791 verlangte und erhielt. Es war ihm jedoch nicht befchieden,
die werthvollen Früchte feiner Anftrengungen zu gcniefsen. Kaum hatte die inzwifchen voll-
ibindig eingerichtete Fabrik /u arbeiten angefangen, als in Folge der grofsen Revolution alle
< iiitcr des Herzogs von Orleans mit Befchlag belegt wurden. Die Fabrik und alle Stücke ihrer
Hinrichtung kamen unter den Hammer. Zugleich verordnete der Wohlfahrtsausfchuss, welcher
<.lie damals durch Absperrung aller Zufuhr von fpanifcher Soda, wie von ausländifchcr Pottafchc
nach Frankreich entftehende fchwicrige Lage wohl erkannte, dafs alle Bürger, die Fabriken zur
Darftellung von Soda aus Kochfalz eingerichtet oder Patente daraufgenommen hatten, ihre Ver-
fahrungsweifen, fowic Stand der Fabrication etc. bekannt geben follcn. Unter 13 Methoden zur Dar-
ftellung von Soda aus Kochfalz, welche der zur Prüfung eingefetzten aus den Herren L c 1 i c v r c,
J*elletier, d'Arcet und G i r o u d beftehenden Commiffion vorgelegt wurden, wurde die von Le
1> I an c herrührende für die bcfle erklart. Trotz diefcr Veröffentlichung, die fpater, 1797, durch die
., Annales de Chimie", B. 19, eine noch gröfscre Verbreitung erhielt, bedurfte es doch einer
l.'ingercn Zeit, ehe der neue Induftriezwcig zu europaifcher Bedeutung gelangte, ja auch nur in
Frankreich fclbft heimifch wurde
In England wurde Le Blanc's ]\f cthode zwar fchon am Anfang unferes Jahrhundertes von
L ofh eingeführt, aber erft 1823, als die unvernünftig hohe Salzfteuer von 30 Pfund Sterling per
'J'onne aufgehoben wurde, geftaltcte fie fich in James M u s p rat t's Händen zur Grundlage
einer grofsariigen Induftrie, die feitdem wie bekannt koloffalc Dimcnfionen angenommen hat.
Die crfte Sodafabrik in Oefterrcich, welche Le Blanc's Verfahren anwandte, wurde 1851
\on Miller&Hochftetterin Hrufchau (Mähren) gegründet.
Der geniale Entdecker, der mit dem kofkbaren Gefchenk, das er der Menfchheit machte,
zur Förderung der Civilifation mehr beigetragen hat, als fo mancher gefeierte Staatsmann, mufste
fich mit der Hoffnung auf künftigen Ruhm begnügen. Durch die oben erwähnten Ereigniffe
materiell zu Grunde gerichtet, konnte Le Blanc trotz einiger Unterflützung, die ihm fpäter zu
Thcil wurde, fich nicht mehr ganz aufrichten. In dürftigen Verhältniffen ftarb er 1806. (Die
vorftehenden Daten über Le Blanc's Entdeckung find grofsentheils einem von der chemifchen
Se<5lion der franzöfifchen Akademie der Wiffenfchaften am 31. März i85(S erllatteten Berichte
entnommen. S. Compt. rend. XLII. 553.)
* Für die Ausflellung 1873 fiehe Dr. A. B:.uer's Bericht Gruppe III, Scclion i, Chemifche
Producle für tcchnifche Zwecke. Die Rcdaction.
O T'!". Adtj.f Liehen
Das angewandte Verfahren lü im l^rincip keineswegs neu. Schon 1838 nahmen
Hemmingund Dyar in England ein Patent auf Darflellung von Soda aus Koch-
falz mittelfl Ammonbicarbonat. doch erlangte die vorgefchlagene Methode keine
induflrielie Bedeutung und gerieth bald in VergelTenheit. Es ifl wefentlich Seh! ö-
fing's Verdienfl, fie wieder zur Geltung gebracht und im Vereine mit Rolland
praktifch durchgeführt zu haben. Nachdem er 1854 ein Patent für Frankreich und
Grofsbritannien genommen, und fich zur Benützung desfelben eine Gefellfchaft in
Paris gebildet hatte, errichtete er 1855 ^" Gemeinfchaft mit dem Ingenieur Rolland
in Puteaux bei Paris eine Sodafabrik, die fich durch neue, eigens für den Zweck
conflruirte Apparate und wohldurchdachtes Ineinandergreifender Operationen aus-
zeichnete. Die Fabrik producirtein den erflen 14 Monaten ihres Beftehens 86.000,
in den folgenden 10 Monaten 230.000 Kilogramm Soda von grofser Reinheit.
Sic war jedoch lediglich nur als Verfuchsfabrik betrieben worden und weder ihre
Einrichtungen noch ihre örtliche Lage für lohnende Producflion befonders geeignet ;
dazu kam noch die fchwer wiegende Thatfache, dafs alles confumirte Salz ver-
fleuert werden mufste, während bei dem angewandten Verfahren ein Drittel de>
Salzes verloren ging. Unter diefen Umfländen wurde die Fabrik wieder aufge-
geben und die Gefellfchaft löfle fich auf. In einer werthvollen Abhandlung (Annalcs
<lc Chimie et de Phyfique [4] B. 14, Seite 5 bis 63) legten Schlöfing und
Rolland die Refultate ihrer angeflrengten Bemühungen und alle beim Betriebe
im Grofsen gefammelten Erfahrungen nieder. War fonach der erfte Verfuch, den
Ammoniakprocess lür Sodafabrication in die Grofsinduflrie einzuführen, wenn
auch vielleicht nur aus äufseren Gründen, nicht vollfländig gelungen, fo kann heute
an der Möglichkeit, denfelben praktifch anzuwenden, kein Zweifel mehr beflehen.
Schon auf der Parifer Ausflellung 1867 hatte der oben genannte belgifche Fabri-
kant Solvay auf diefe Weife erzeugte Soda ausgeftellt, ohne dafs fich die allge-
meine Aufmerkfamkeit damals diefer Sache, ihrer Wichtigkeit entfprechend, zuge-
wendet hätte. Seitdem hat aber die P'abrik fich nicht nur erhalten, fondern, wie
es fcheint, ihre Produ<5lion noch beträchtlich erhöht.
Das Ammoniakverfahren beruht darauf, dafs fich beim Einleiten von Kohlen
fäure in eine mit Ammoniak gefattigte Kochfalz-Löfung fchwer lösliches Xatrium-
bicarbonat niederfchlägt, während das zugleich entflehende Chlorammonium neben
unzerfetztem Kochfalz und etwas Ammonbicarbonat in Löfung bleibt. Durch
Erhitzen des gefällten Natriumbicarbonats wird Soda gewonnen, während Kohlen-
faure entweicht, die man zum Einleiten in neue Salzlöfung verwendet. Aus der
chlorammoniumhaltigen Löfung wird zunächfl Kohlenfäure und Ammoniak durch
Erhitzen, dann das Ammoniak des Chlorammoniums mittelft Kalk ausgetrieben und
zur Wiederholung des ProceflTeß eine frifche Kochfalzlöfung damit gefätiigt.
Wenn nun auch bei der praktifchen Durchführung manche complicirende Details
hinzutreten, fo ifl doch nur eine Schwierigkeit von gröfbcrer Bedeutung abzufehen,
welche fich den offenbaren aufserordentlichen Vortheilen diefes Verfahrens, die
im Vergleich mit der Le Blanc'fchen Methode in der viel direcfleren Bildung und
Gewinnung der Soda, dem relativ viel geringeren AnUgecapital und fehr viel
geringeren Kohlenverbrauche liegen, gegenüberflellt. Diefe Schwierigkeit liegt in
den nicht leicht zu vermeidenden Ammoniakverluflen. Nach der oben gegebenen
theoretifchen Darlegung follte freilich diefelbe Ammoniakmenge zur Darflellung
unbegrenzter Mengen von kohlenfaurem Natron genügen, da eigentlich nur Chlor-
natrium, Kohlenfäure und Kalk (zur Regeneration des Ammoniaks aus Chlor-
ammonium) nothwendig verbraucht werden. IndefTen läfst fich von vornherein
kaum anders erwarten, als dafs man fich diefem Ideal in der Praxis nur nähern
kann, ohne es doch vollfländig zu erreichen. Da nun das Ammoniak und feine
Salze werthvolle Producle find, die eine ausgedehnte Anwendung finden und deren
Verbrauch noch immer zunimmt, fo würde ein erheblicher Ammoniakverlufl die
Rentabilität der neuen Sodafabrications-Methode wefentlich beeinträchtigen und
deren allgemeinen Einführung um fo mehr hinderlich fein, als dadurch die Preife
I)ie chemi'chc Induflric. Vt
<ler Animonfalze noch immer hoher fteigen mufften. Schon die nächllen Jahre
dürfien die cndgiltige Entfcheidung darüber bringen, ob das IVoblem, an delTcn
Durchführbarkeit vom theoretifchen Standpunkte kein Zweifel befteht, auch als
l»raktifch und finanziell befriedigend gelobt zu betrachten ift, wie es gegenwärtig
allen Anfchein hat, und in dicfem Falle dürfen wir einer (bedeutenden Umwäl
zung in der chemifchen Induftrie cntgegenfehen. Die Salzfäure, die bisher in
Maffen als Nebenprodu(5l der Sodafabrication gewonnen wurde, würde dann im
Preife fleigen, die übliche Darflellung des Chlors aus Salzfäure und Braunftein,
bei der nur die Hälfte der angewandten Salzfäure als Clilor verwerthet wird,
nuifste aufgegeben und entweder durch die altbekannte Methode mit Kochfalz.
Schwefelfäure und Braunftein, oder andere Methoden (Einwirkung von Chlor-
magnefium auf Braunftein u. f. w.) erfetzt werden. Jedenfalls ift die Trägweite
der zwar mehr als 30 Jahre alten, aber doch erft in den letzten Jahren durch
Solvay zu praktifcher Bedeutung gelangten Entdeckung. Soda aus Kochfalz durch
Ammonbicarbonat darzuftellen, eine aufserordentlich grofse. Die mächtige Bedeu
tung der Sodainduftrie ergibt fich von felbft bei Betrachtung folgender, der
Wagner'fchen Technologie (18731 entnommenen Zahlen, welche zugleich zeigen,
wie viel für Oefterreich in diefem Induftriezweige noch zu thun bleibt:
SodaprnduClion von Grossbritannien (18721 . . 7,350.000 Centner.
- ^ Frankreich ^ ... 2,300.000
., Deulfchland „ 2,100.000
« Oefterreich „ ... 3S5.000 ^
In naher Beziehung zur Sodafabrication. wie fie nach L e B 1 an es \' er-
fahren heute noch faft allgemein im Betrieb ift, fteht die Erzeugung des Chlorkalkes,
der zum Desinficiren, befonders aber zum Bleichen eine bekanntlich fehr aus-
gedehnte Anwendung findet. Aus der Salzfäure, die man dort als Nebcnproduct
in grofsen Maden gewinnt, wird durch Einwirkung von Braunftein Chlor ent
wickelt, das vom Kalk aufgenommen wird und ihn in Chlorkalk verwandelt. Seit
der Weltausftellung von 1867 und auch feit lange vorher hat rückfichtlich der
Bereitung des Chlorkalks wie des Chlors keine erhebliche Veränderung in der
Induftrie Platz gegriffen. Doch verdient der 1870 gemachte Vorfchlag Deacon's
hier Erwähnung, das Chlor ohne Hilfe von Braunftein durch die oxydirende
Wirkung der Luft auf gasförmige ChlorwafferftofiTäure zu erzeugen. Man läfsi
nämlich ein Gemenge von Chlorwafferftoffgas und Luft bei 370 bis 400 Grad
über Ziegelftückchen oder poröfe Thonkugeln ftreichen, die mit Kupfervitriol
getränkt und dann fcharf getrocknet worden find; Chlor wird frei, das von
beigemengter unveränderter ChlorwafferftofiTäure durch Wafchen mit Waffer
gereinigt wird. Das Deacon'fche Verfahren hat bereits Eingang in die Praxs
gefunden, dürfte aber wohl noch eine weitere Ausbildung nöthig haben, ehe es
lie alte Bereitungsweife des Chlors verdrängen kann.
1
Indem wir einzelne Entdeckungen von minder allgemeinem Intereffe über-
gehen, um nicht den weiter folgenden Specialberichten über die einzelnen
Seclionen der chemifchen Gruppe vorzugreifen, fei hier nur mit wenig Worten
des Ozokerites (Erdwachs, Ilaupt-P'undort Galizien) gedacht, als eines für Oefter-
reich nicht unwichtigen Rohprodu<5les, deffen Verarbeitung und Anwl^ndung fchon
in dem Berichte über die Ausftellung von 1867 befprochen worden ift, feitdem aber
an Bedeutung wefentlich zugenommen hat, * — ferner des von der Sarg'fchen
* Uni Irrlhiiuicni \ urzi. beugen, mag bei diefer Gelegenheit erwähnt fein, dafs <Jic
von dem englifchen Fabrikanien Field ausgcftelltcn fogcnannlcn O/okeriikerzcn nach der
gedruckten eigenen Ati/eige des Fabrikanien nicht eigentlich aus O/okerit, fondern aus dem
feilen Theile des durch Deflillation au5> Ozokerit erhaltenen Productes — das ifl aber nichts
Anderes als Paraffin — gefertigt find. Da der Name Paraffin nicht eine beflimmie Sub-
fianz, fondern ein variables (Jcnienge von feften Kohlenwafferllotfen der allgemeinen Formel
CnH2n-f-2 bezeichnet, fo mag immerhin das aus Ozokcrit gewonnene Paraffin einen höheren
.Schnieizpunkt haben, aU das gewöhnliche. Im Uebrig'in ill diele An\vcn<iung des O/okerils
nicht neu.
10 Dr. Adolf Lieben.
KtTzcnfabrik (Licfing bei Wieni ausgcfleülen fcften Ci'.ycerins. das man bi«« vor
Kurzem nur als FlülTigkeil kannte und das wahricheinlich nie früher in gleicher
Reinheit erhalten worden ift. Anfang 1807 wurde zum erflen Male die zufällige
Beobachtung gemacht (Cr 00k es, Gladflone, Sarg), dafs Glycerin bei flarker
Kälte kryflallifiren könne; Werner gab fpäter an, es fei ihm gelungen, durch
Einleiten von etwas Chlor in Glycerin und nachheriges längeres Ausfetzen an
die Kälte das Glycerin zum Kryftallifiren zu bringen, endlich 1871 nahm Kraut
ein Patent auf Reinigung des Glycerins durch Kryftallifation. Es mag wohl nur an
einem Gehalt des Glycerins an WalTer. vielleicht auch noch an anderen Verun-
reinigungen gelegen haben, wenn an dicfem fo lang bekannten Körper die Eigen
fchaft, flarre Aggregatform annehmen zu können, unbekannt geblieben war. Künftig
wird beim Glycerin, ähnlich wie beim Phenol (Carbolfäurei oder beim EisefTig
die flarre Aggregatform bei Temperaturen unter circa 15 Grad als Beweis befon-
derer Reinheit betrachtet werden dürfen.
Auch das Dynamit darf als eine 1867 von A. Nobel gemachte Erfindung
hier erwähnt werden. Dynamit ifl nichts Anderes als in poröfer Kiefelerde
(Kiefelguhr) aufgefaugtes Glycerin-Trinitrat (Nitroglycerin, Sprengöl) und ver-
ilankt feine explodirenden Eigenfchaften ausfchliefslich dem letzteren Körper,
von dem es 75 Percent zu enthalten pflegt; es hat aber vor ihm aufser der betjue
ni'jren feilen Eon«, auch noch den viel wefentlicheren Vortheil voraus, dafs fein
Transport und feine Handhabung überhaupt weit gefahrlofer find, *
Es ift erfreulich neben dem Körper, der oft für Werke furchtbarer Zer
ft »rung angewandt wird, von einem anderen Körper fprechen zu können, der
Schmerzen lindert und den Leidenden das koftbare Gefchenk des Schlafes bringt.
Es ift diefs das in den letzten Jahren viel genannte Chloralhydrat, eine n\ eifse.
kryftallinifche, in Waffer fehr leicht lösliche Subftanz von durchdringendem, aber
nicht widerwärtigem Gerüche, die in der chemifchen Abtheilung des deutfchen
Reiches in mehreren Vitrinen zu fehen war. Das Chloral, wie das Chloralhydrat
wurden von Lieb ig 1832 entdeckt und feine Zufammenfetzung durch Dumas
mit Genauigkeit feftgcftellt, doch ift die Theorie feiner Entftehung felbft heute
noch nicht in allen Punkten aufgeklärt. Durch erfchöpfende, zuletzt durch Erwärmen
untcrftützte Einwirkung von Chlor auf abfohlten Alkohol bildet fich eine von
felbft erftarrende weifse Subftanz (nach neueren Unterfuchungen Chloralalkoholat?.
die beim Erwärmen mit Schwefelfäure Chloral liefert. Das Chloral ift flülT.g,
befitzt aber die Eigenfchaft, fich mit einer gewifi"en Menge Waffer (i Molecül
Waffer auf ein Molecül Chloral) zu feftem kryftallinifchem Chloralhydrat zu
verbinden.
Im Jahre 1869 zeigte O. Li e b re i c h, dafs diefer den Chemikern längfl
bekannte, aber bis dahin nur gelegentlich zum Behufe theoretifch-chemifcher
Unterfuchungen in den Laboratorien dargeftellte Körper eine für die Heilkunde
«refflich zu verwerthende, Chloroform ähnliche Wirkung auf den Organismus aus-
i'ht. Selbft kleine Mengen davon erzeugen beim innerlichen Gebrauch Schlaf und
«airch Variation der Dofen hat man es in der Hand, entweder nur Hypnofe, oder
Ilypnofe mit Anästhcfie hervorzurufen. Liebreich erklärte die Wirkung des
V hloralhydrates, indem er unter Hinweis auf die bekannte Eigenfchaft desfelben,
in Berührung mit Alkalien Chloroform zu geben, annahm, dafs beim innerlichen
Gebrauch diefelbe Spaltung allmälig unter dem Einfluflfe des alkalifchen Blutes
erfolge, fo dafs fucceffive kleine Mengen Chloroform im Blute gebildet werden.
Daraus ergibt fich auch, dafs die Wirkung durch eine verliälinifsmäfsig lange
Zeit vorhält. Die Acflion des Chloralhydrates wäre fo auf die des Chloroforms,
ilas dabei in einer von der gewöhnlichen verfchiedenen W^cife zur Wirkung kommt,
zurückgeführt. Diefe Anficht, wenn auch nicht ftreng bewiefen, ift jedenfalls
* Für die AusftcüunK 1873 fiche iJr. W. F. (»im! Ücricht i.hcr (irni)pe III, Section 5
Ztindwaarcn und Kxplulix ftotic. Die RcU.iclion.
Die chemifchc Indqftric. 1 1
wahrfcheinlich ; doch ifl es nicht unmöglich, dafs dem Chloralhydrat als folchem
auch eine dire<5le Wirkung eigen i(l und dafs ferner die Ameifeniäure, die bei
der Zerlegung des Chloralhydrates neben Chloroform zugleich enfteht, für die
Wirkung nicht ganz bedeutungslos i(l. Da die Zahl der Schlafmittel, tiber welche
die Medicin verfügt, befchr.inkt ifl und felbft das trefflichfle und am häufigflen
angewandte unter ihnen, das Morphin, nicht von jedem Leidenden gut vertragen wird,
auch bei fortgefetztem Gebrauche feine Wirkfamkeit theilweife einbüfst, fo ifl
Liebreich's Entdeckung gewifs eine der koflbarften Bereicherungen des Arznei ■
fchatzes und darf um fo freudiger begrüfst werden, als der hiebei eingefchlagene
Weg, die in der Natur nicht vorkommenden, künfllich dargeflellten Körper für
die Medicin zu verwerthen, zu den fchönflen Refultaten zu führen verfpricht.
Bei Verfolgung diefer Richtung hat man von vornherein den Vortheil,
nur reine, wohl definirte Subftanzen in ihrer Wirkungsweife zu unterfuchen.
während bei Anwendung der Körper, die Pflanzen- und Thierreich uns darbieten,
derfelbe Vortheil meifl nur durch mühevolle Trennungen der in der Natur
gemengt vorkommenden Stoffe zu erreichen ifl. In Folge deffen hat man, nament-
lich bei dem früher weniger vorgefchrittenenZuflande der Chemie, fich gar oft damit
begnügt, die Gemenge felbfl zur Anwendung zu bringen, und diefer Umfland
hat. theils weil die Zufammenfetzung folcher natürlicher Gemenge nicht immer
diefelbe ifl, theils weil die Wirkung des einen Beflatidtheiles durch die der anderen
beeinfiufst wird, eine klare Erkenntnifs wefentlich erfchwert. Das Chloralhydrat
hat in den wenigen Jahren, feitdem feine Wirkung auf den Organismus bekannt
geworden ifl, eine fo ausgedehnte Anwendung in der Medicin erlangt, dafs es
gegenwärtig centnerweife von Fabriken (Berlin) erzeugt wird und namentlich
nach England und Amerika flarken Abfatz zu finden fchcint.
Als eine für Medicin und Pharmacie wichtige Thatfache, die auf der Welt-
ausflellung zum Ausdruck gelangte, verdient hier noch erwähnt zu werden, dafs
die Cultur der Chinabäume auf Java, welche nicht ohne bedeutende Koflen und
mit rühmenswerther Beharrlichkeit von den Holländern eingeführt wurde, in
neuefler Zeit fehr befriedigende Refultate ergeben hat, fo dafs die Ernten an
Chinarinden fchon in den letzten Jahren beträchtlich waren, und in naher
Zukunft noch reichlicher ausfallen dürften. Der Alkaloidgehalt übertrifft fogar
den der aus den Mutterländern flammenden Chinarinden. Die Beforgnifs, dafs die
vorhandenen Chinapflanzungen dem immer fleigendenBedarfe an den für die Heil-
kunde unfchätzbaren Alcaloiden, die fie uns liefern, bald nicht mehr genügen
könnten, wird durch das von den Holländern auf Java erzielte glänzende Refultat,
fowie durch ähnliche, welche die Engländer in Öflindien erreichten, vollfländig
behoben. *
Faffen wir zumSchluffe diefer gedrängten Ueberficht über die wefentlichflcn
Fortfchrittc, welche die chemifche Induflrie feit der Parifer Ausflellung gemacht
hat, die Betheiligung Oeflerreichs an der chemifchen Induflrie der Welt ins Auge,
fo gibt die Wiener Weltausflellung uns zunächfl die beruhigende Verficherung
tlafs im Allgemeinen die öflerreichifchen Produöle in ihrer Qualität den ausländi-
fchen in nichts nachflehen. Dagegen aber kann nicht verkannt werden, dafs die
öflerreichifche Produktion quantitativ fehr weit hinter derjenigen Deutfchlands,
Frankreichs oder Englands zurückbleibt. So lobenswerth daher auch dieLeiflungcn
von Fabriken wie etwa die Auffiger, die Hrufchauer, die SeybeFfche, Sarg'fche,
Starck'fche, Wagenmann'fche u. a. m. ohne Zweifel fmd, fo bleibt doch für Aus-
dehnung unferer Produ<5lion ein gar weiter Spielraum übrig. Manche Induflrie-
zweige wie z. B. die der Theerfarben find in Oeflerreich noch gar nicht eingeführt;
wichtige Produ<5le wie Soda, Chlorkalk, Ultramarin, Ammoniakfalze, Kalium-
♦ Fiir die Ausftellung 1873 üehe Hofr.^th Dr. .Schroflf. licrichi Ciruppe 111, Section
2 und 8, ph.irmacciuifche Präparate. Die RedaCilon.
12 Dr. Adolf Lieben.
Chromat, Salpeter, Chlorkaliura, Paraffin, u. f. w. find zwar qualitativ gut, aber für
ein fo grofscs Land nur fehr fchwach vertreten. Am befriedigendder. ifl wohl
der Stand unferer Fett- (befonders Stearinkerzen) und unferer Zündhölzchen-
Induflrie. Die letztere hat fich bekanntlich in Oeflerreich früher als in anderen
Ländern entwickelt. Maffe der Produclion, Güte und Billigkeit der Waare haben
ihre allgemeine Beliebtheit und eine weite Verbreitung in aller Herren Länder
erworben.
Es wäre jedoch gefährlich, fich darüber zu täufchen, dafs die Fabri-
cation anderwärts allmälig grofse Fortfehritte gemacht hat und die Concurrenz
in den letzten Jahren eine immer härtere wird. Nur wenn die öflerreichifchen
Fabrikanten der Qualität ihres Produ(5les die gröfste Sorgfalt zuwenden, werden
fie im Stande fein, den durch ihr eigenes und ihrer Vorgänger Verdienft bereits
erworbenen Vorfprung den ausländifchen Producenten gegenüber auch weiterhin
zu behaupten.
Was die Entwicklung der chemifchen Induflrie in Oeflerreich wefentlicli
erfchwert hat, das find nicht fo fehr befondere in der Natur der Sache liegende
Schwierigkeiten, als vielmehr Hemmniffe allgemeiner Art, mit denen auch andere
Induflriezweige bei uns zu Lande zu kämpfen haben. Die im Vergleich zu den
wefllichen Staaten jüngere Cultur hat die Nachfrage nach gewiffen Artikeln erü
allmälig entftehen und zunehmen laffen, fowie fie anderfeits auch die Ilaupturfachc
ill, dafs uns nicht jener Reichthum an erfpartem Capital zur Verfügung fleht,
welcher namentlich in England und Frankreich die Begründung induflrieller
Unternehmungen fo wefentlich erleichtert, und ihre anfangs oft nur langfame und
mühfelige Entwicklung unterflülzt. Zu der Schwierigkeit, Capitalien zu finden
und zum hohen Zinsfufse gefeilt fich aber noch ein weiterer Uebelfland, der
namentlich für die chemifche Grofsinduflrie, die beträchtliche Mafien von Roh-
flolTen verarbeitet, fchwer ins Gewicht fallt, nämlich die theueren Frachten, die in
der relativen UnvoUftändigkeit des Eifenbahnnetzes, den hohen Tarifen der Bahnen
und zum nicht geringen Theil in dem Mangel an Canälen ihren Grund haben,
welche letzteren für den Waarentransport Englands und Frankreichs fowie auch
Deutfchlands von grofser Bedeutung find. Wenn man diefe Ilindernifle erwägt,
zu denen noch manche andere hinzukommen, welche hier in erfchöpfend er Weife
zu erörtern zu weit führen würde, fo wird man zugeben müfl"en,*dafs die Leitungen
tler chemifchen Induftrie in Oeflerreich gerechte Anerkennung verdienen und
dafs namentlich das letzte Jahrzehnt auf fafl allen Gebieten derfelben bedeutende
Fortfehritte gebracht hat. Man wird aber auch bei V^erglcichung der heimifchen
Leiflungen mit denen anderer Länder, wozu eben die Weltausflellung die vor-
trefflichfle Gelegenheit bietet, ohne Befchämung anerkennen, dafs uns auf diefem
Felde noch viel zu thun übrig bleibt. Wenn wir mit diefem Gedanken die
Weltausflellung verlafl"en und uns der ernflen Arbeit zuwenden, w^enn wir die
Fortfehritte der letzten Jahre als Bürgfchaft für eine fchöne Zukunft betrachten.
fo dürfen wir mit Zuverficht einem erfreulichen Erfolge entgegenfehen, den eine
nächfle Ausflellung krönen wird.
Die folgenden Tabellen, die von der Erzeugung wie dem Confum chemi-
fcher Produ<5le und Hilfsfloflfe ein möglichfl treues Bild geben, dürften dem Lefer
eine um fo willkommenere Beigabe fein, als über die chemifche Producflion Ocflcr-
reichs bisher noch wenig in die Oeffentlichkeit gedrungen id. Ich verdanke
diefs werthvolle und nicht leicht zu befchaffende Material an (latiflifchen Daten
der Güte des Herrn Hofrath Profeffor B räch eil i und des technifchen Chemikers
Herrn Zdenko S k rau p , denen ich hiemit meinen verbindlichen Dank für ihre
freundlichen Bemühungen ausfpreche. Die Angaben über Produiflion, die in der
erflen Tabelle enthalten find, beziehen fich auf das Jahr 1870, da fpätere Angaben
nicht in gleicher Vollflandigkeit zu erlangen waren. Die Ziffern, die fich auf
Produölion von Salz und Kohle beziehen, find den Angaben der Berghauptmann-
Die chemifche Induftrie. 13
fjhaften entnommen, und ebenfo wie diejenigen, welche Ein- und Ausfuhr dar-
ftellen, als vollkommen verläfslich zu betrachten. * Auf den gleichen Grad von
\ erläfslichkeit können aus leicht begreiflichen Gründen die in Tabelle I enthal-
tenen Angaben über Erzeugung von chemifchen Produ<5len nicht Anfpruch machen.
Zudem wird man in den meiflen Fällen annehmen dürfen, dafs die heutige Pro-
(!u<5lion gröfser ifl, als die dort angegebene. Uebrigens kann es nur erwünfcht
fein, wenn die vorliegende Veröffentlichung zu Berichtigungen Anlafs gibt,
welche eine genauere Zufammenflellung für die Zukunft ermöglichen.
Der Wcrth der gefammten Einfuhr an chemifchen Produ<5len, Hilfsftoffen,
Färb- und Zündwaaren fowie Arznei- , Parfümerie- und Gerbftoffeu wird für
1872 auf 43,489.346 fl., der Werth der Ausfuhr auf 13,080.250 fl. öfterreichifcher
Währung angegeben.
* BezügHch der Zahlen, welche Ein- und Ausfuhr für 1S72 darftcUcn, hat Herr S k r a u p
mich darauf aufmerkfam gemacht, dafs. diefclbcn dem erflen nicht rcctificirten Ausweife entnom-
men find, deflTen cndgiltige Corrcctur erft im Laufe einiger Monate erfchcinen wird.
14
Dr. Adolf Lieben.
Darfteilung der Produflion
der wichtigflen chemifchen Producfle und Ililfsftoffe Oefterreichs (Cisleithanienb),
fowie ihres Handelsverkehres im allgemeinen öfterreichifch-ungarifchen Zoll-
gebiete im Jahre 1870.
N a m e n
Produ(5lion
Cisleithaniens
Einfiihi
Au !^ fuhr
des ofterrcichifch-ungarifchcn
Zollgebietes
Schwefel
EngUfche Schwefelfäure, berechnet
aufö6«B
Nordhaufer Schwefelfäure
Schwefelfaures Natron ....
Salzlaure
Soda (calcinirte) ...
Soda (kryftallifirte) ...
Doppelt kohlenfaures Natron
Aetznatron
Aetzlauge
Salpeterfaure
Chlorkalk
Pottafche
Chlorkalium und andere Kalifalze .
Raffinirter Kalifalpeter ....
Alaun ...
Eifenvitriol
Kupfervitriol
Chromfaures Kali
Ultramarin
Bleiweifs
Zinkweifs
Blutlaugenfalz ....*...
Berlinerblau
Ammoniakfalze
Salmiakgeift
Weinfteinföure
Weinftein (raffinirt) und Scignettc
falz
Bleizucker
Stearin und Stearinkerzen
Glycerin
Seife
Paraffin und Paraffinkerzen
Petroleum
Superphosphate und Kunftdüuger .
Queckfilber Präparate
Höllenflein
Steinfalz
Sudfalz
Seefalz
Induflrialfalz
Steinkohlen
Braunkohlen
♦ Paft gänzlich aus Siafsfuri von
Centner
29.778
435500
31-383
327.509
440.025
170.833
68.433
b.688
23 790
3.000
43- 125
6 1.20 5
06.065
60.000
36.200
33500
I 65.000
4.672
3.898
8.300
32.400
2443 5
4.000
1.080
7.500
1.200
4.000
9.000
7.800
85.321
5.700
413799
104. 006
300.972
83.696
Centner
I 49.1 80
I 13.385
11.696
2.868
> 245.472
510
465
67
18.735
18.704
23.298
5.642
6.870
19.9Ö5
1 0.6 20
3.619
(Angabe fehlt)
1.707
863
82
(Angabe fehlt)
2.555
503
141
3150
590
1 .71 2
(Angabe fehlt 1
9.778
13.450
649.67 I
(^Angabe fehlt i
150
8V.
1,488.792
2.515-403
682.422
212.389
67,118.268
61,753349
der AtifTigcr Fabrik bezogen.
225.502
20 1.566*
Centner
4.708
21.9 13
2.358
10 673
4.46 8
52
2
■
2.2 24
66
151 3 4
6
258
2.580
22.5 I 5
969
72
(Angabe fehlt)
7.662
3703
3049
(Angabe fehlt)
455 i
54 1
3727
5.4O4
I 2.0 42
« Angabe fehlt)
5-8 10
1.894
I 8.207
.Angabe fehlt)
\
1050.155
\ 18,542.396 ' 18,503 963
1
Die chemifche luduftrie.
15
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16
Dr. Adolf Lieben.
Kohlen- und Salzprodu<5lion Oeilerreichs (Cisleithanien) in den Jahren
1869, 1870 und 1871.
Namen
Steinkohle
Braunkohle .....
Gefammtmenge der Kohle
Steinfalz
Sudfalz
Seefalz
Indudrialfalz
Gefammtmenge des Salzes
1869
1870
1871
Wiener Centner
62,064.188
551939.050
118,003.238
1,509.192
2,375235
670.840
178.670
4,733.940
67,118.268
61,753349
128,871.617
1,488.792
2,515403
682.422
212.389
4,899.006
77,729.639
75.339239
153,068.878
1,509.944
2,576.346
7777"
218.304
5,082.305